Anthropologie in Antike und Gegenwart: Biologische und philosophische Entwürfe vom Menschen 9783495808337, 9783495487006


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Table of contents :
Anthropologie in Antike und Gegenwart
Inhalt
Sabine Föllinger, Diego De Brasi: Einleitung
1. Fragestellung
2. Der Gegenstand der Anthropologie und die hier zugrundegelegte Auffassung von ‚Anthropologie‘
3. Überblick über die antike Behandlung der Fragestellung
4. Die Positionierung des vorliegenden Bandes in der Forschungssituation
5. Die Konzeption des Bandes
a) Der Mensch als ‚Naturwesen‘ und das Verhältnis von Körper und Geist
b) Der Mensch als ‚moralisches Lebewesen‘
c) Der Mensch – ein ‚Egoist von Natur aus‘?
d) Entwürfe christlicher Anthropologie in der Spätantike
I. Der Mensch als ‚Naturwesen‘ und das Verhältnis von Körper und Geist
Francesco Fronterotta: Plato’s Conception of the Self. The Mind-Body Problem and its Ancient Origin in the Timaeus
Jörn Müller: Leib-Seele-Dualismus? Zur Anthropologie beim späten Platon
1. Wein, Tanz und Gesang: Kinetischer Interaktionismus von Leib und Seele
2. Ontologischer Dualismus? Selbst- und Fremdbewegung der Seele in Nomoi X
3. Zwischen Gott und Mensch: Ethischer Dualismus?
4. Fazit: Der späte Platon zwischen physiologischer und pragmatischer Anthropologie
Sabine Luciani: L’homme et l’animal dans l’anthropologie cicéronienne
1. L’animal, voix de la nature
2. „Désanimaliser“ l’homme
3. Animalité et dualisme
Karl-Heinz Leven: „Eine lächerliche Kopie des Menschen“ – der Affe in den Tierversuchen Galens
Einleitung
Tierversuche und Tierschutz im historischen Kontext
Tierversuche in der Antike
Affen als Versuchstiere
Demonstrationen und Schau-Sektionen
Menschenähnlichkeit als Problem
Fazit
Sabine Föllinger: Das Denken als psychosomatischer Prozess in der antiken Medizin und Philosophie
1. Einleitung
2. Aristoteles
3. Galen
4. Nemesios
5. Resümee
II. Der Mensch als moralisches Lebewesen
R. A. H. King: Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon
Nomoi
Politeia
Philebos
Gute Menschen leben gut
Bibliographische Notiz
Brigitte Kappl: Das Tier in Dir. Menschliches Handeln und tierisches Verhalten bei Aristoteles
1. Die Verwandtschaft von Mensch und Tier
2. Konsequenzen für das Verhältnis des Menschen zum Tier
Francesca Masi: Memory, self and self-determination. The mind-body relation in Epicurus’ psychology
1. The function and significance of memory in Epicurus’ philosophy
2. The Epicurean physiology of memory
3. Conclusions: the role of the physiology of memory in Epicurus’ psychology
Christian Illies: Evolution und Menschenwürde. Lässt sich die evolutionäre Sicht des Menschen mit einer normativen Sonderstellung verbinden?
I. Kant oder Darwin?
II. Das Ende des Homo sapiens?
III. Der Mensch als Tier?
IV. Naturalisierung der praktischen Vernunft
V. Darwin und Kant!
Philip H. Crowley: Human Evolution, Culture, and the Balance Between Individual and Social Learning
Introduction
Analysis and Results
Brainpower
Variable/Stressful Climate and Cultural Disruptions
Discussion
Appendix A. Cultural Disruptions Halt Social Learning
III. Der Mensch – Ein ‚Egoist von Natur aus?‘
Arbogast Schmitt: Gerechtigkeit bei Platon. Zur anthropologischen Grundlegung der Moral in der Platonischen Politeia
1) Gibt es universale Normen gerechten Handelns bei Platon?
2) Die methodische Orientierung am ‚érgon‘ zur Ermittlung, was gut oder schlecht für etwas ist
3) Zur Ermittlung der Kriterien für das, was wirklich gut für einen Menschen ist
a) Die staatliche Gemeinschaft als leichter erkennbarer Ausgangspunkt
b) Die Bedingungen eines guten Zusammenlebens in der Gemeinschaft
4) Gerechtigkeit und Glück: Selbstverwirklichung als das jedem zustehende ‚Gute‘
a) Das Nichtwiderspruchsaxiom als Kriterium der Differenzierung des Urteils über die Seele als Untersuchungsgegenstand
b) Zwischen sinnlichem Begehren und vernünftigem Wollen: das Sich-Ereifernde (thymoeidés)
c) Die ‚Arten‘ (eíde) seelischen Verhaltens als drei verschiedene Weisen des Erkennens, Fühlens und Wollens
d) Ist die Politeia die Konstruktion einer Utopie?
5) Versuch einer kritischen Würdigung des platonischen Gerechtigkeitsbegriffs
Evelyn Korn: Kooperatives Verhalten in der Ökonomik. Theorie und experimentelle Evidenz
1. Einleitung
2. Das Allmendeproblem als Beispiel für (mangelnde) Kooperation
3. Experimente zum ‚Homo Oeconomicus‘
4. Schlussfolgerungen
IV. Entwürfe christlicher Anthropologie in der Spätantike‘
Johannes Breuer: Anthropologische Diskurse im lateinischen apologetischen Schrifttum
Minucius Felix
Arnobius von Sicca
Lactanz
Firmicus Maternus
Fazit
Diego De Brasi: Eine Neubewertung des Körpers. Anthropologie und Glauben in den Schriften zur menschlichen Natur des Nemesios von Emesa und Gregor von Nyssa
Einleitung
Die Argumentationsstrategie in Gregors De hominis opificio
Die Argumentationsstrategie in Nemesios’ De natura hominis
Schlussbetrachtungen
Bibliographie
English Abstracts
Stellenregister
Namenregister
Autorenhinweise
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Anthropologie in Antike und Gegenwart: Biologische und philosophische Entwürfe vom Menschen
 9783495808337, 9783495487006

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https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

LEBENSWISSENSCHAFTEN IM DIALOG

A

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Die Überlegung, was das spezifisch Menschliche ausmacht, prägte die antike Philosophie und Medizin und brachte vielfältige Diskussionen hervor: Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Gibt es eine vom Körper unabhängige Seele? Wie ist das Verhältnis von Körper und Seele? Und welche Rolle spielt der Geist? Damit hing die Frage nach der Moralität des Menschen zusammen: Was macht die besondere moralische Stellung des Menschen aus? Wie entstehen Entscheidungen? Wie verhalten sich Egoismus und Altruismus zueinander? Diese Fragen zielen auf Probleme, die – unter den Prämissen eines geänderten Erkenntnisstandes – ganz aktuell sind. So beschäftigt sich die moderne Evolutionstheorie unter der Voraussetzung einer gemeinsamen Entwicklung mit dem Verhältnis von Mensch und Tier und mit der Stellung der menschlichen Moral. Die Genetik thematisiert die Frage nach der Abgrenzung von Kultur und Natur. Die Ergebnisse der Gehirnforschung haben zu einer neuen Diskussion über Materialität und Immaterialität kognitiver Prozesse und über die Existenz einer Willensfreiheit geführt. Der vorliegende Band vereint Beiträge aus der Klassischen Philologie, Philosophie, Biologie, Medizingeschichte und Wirtschaftswissenschaft, die anthropologische Entwürfe der Antike und der Moderne über die Fächergrenzen hinaus miteinander ins Gespräch bringen. Er will auch zeigen, dass biologische Aspekte nicht nur in modernen Diskussionen im Fokus stehen, sondern ebenfalls in antiken Diskursen eine wichtige Rolle spielten.

Die Herausgeber: Diego De Brasi ist Akademischer Rat auf Zeit am Seminar für Klassische Philologie der Philipps-Universität Marburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. Platon, Philon von Alexandrien und die christliche Anthropologie in der Spätantike. Sabine Föllinger ist Professorin für Klassische Philologie/Gräzistik an der Philipps-Universität Marburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die antike wissensvermittelnde Literatur, die antike Philosophie sowie die antike und spätantike Biologie.

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Diego De Brasi / Sabine Föllinger (Hg.)

Anthropologie in Antike und Gegenwart

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Lebenswissenschaften im Dialog Herausgegeben von Kristian Köchy und Stefan Majetschak Band 18

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Diego De Brasi Sabine Föllinger (Hg.)

Anthropologie in Antike und Gegenwart Biologische und philosophische Entwürfe vom Menschen

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Gedruckt mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, Köln

®

MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

www.fsc.org

FSC® C083411

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2015 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: Frank Hermenau, Kassel Einbandgestaltung: Ines Franckenberg Kommunikations-Design, Hamburg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISBN 978-3-495-48700-6 E-ISBN 978-3-495-80833-7

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Inhalt

Sabine Föllinger/Diego De Brasi Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I. Der Mensch als ‚Naturwesen‘ und das Verhältnis von Körper und Geist Francesco Fronterotta Plato’s Conception of the Self. The Mind-Body Problem and its Ancient Origin in the Timaeus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Jörn Müller Leib-Seele-Dualismus? Zur Anthropologie beim späten Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Sabine Luciani L’homme et l’animal dans l’anthropologie cicéronienne . . . . . . . . . 97 Karl-Heinz Leven „Eine lächerliche Kopie des Menschen“ – der Affe in den Tierversuchen Galens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Sabine Föllinger Das Denken als psychosomatischer Prozess in der antiken Medizin und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

II. Der Mensch als moralisches Lebewesen R. A. H. King Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon . . . . . . . 157 Brigitte Kappl Das Tier in Dir. Menschliches Handeln und tierisches Verhalten bei Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

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Inhalt

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Francesca Masi Memory, self and self-determination. The mind-body relation in Epicurus’ psychology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Christian Illies Evolution und Menschenwürde. Lässt sich die evolutionäre Sicht des Menschen mit einer normativen Sonderstellung verbinden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Philip H. Crowley Human Evolution, Culture and the Balance between Individual and Social Learning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

III. Der Mensch – Ein ‚Egoist von Natur aus?‘ Arbogast Schmitt Gerechtigkeit bei Platon. Zur anthropologischen Grundlegung der Moral in der Platonischen Politeia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Evelyn Korn Kooperatives Verhalten in der Ökonomik. Theorie und experimentelle Evidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

IV. Entwürfe christlicher Anthropologie in der Spätantike Johannes Breuer Anthropologische Diskurse im lateinischen apologetischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Diego De Brasi Eine Neubewertung des Körpers. Anthropologie und Glauben in den Schriften zur menschlichen Natur des Nemesios von Emesa und Gregor von Nyssa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . English Abstracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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397 419 427 439 441

Sabine Föllinger, Diego De Brasi

Einleitung

Dieser Band präsentiert die Resultate der Tagung Anthropologie in Antike und Gegenwart. Biologische und philosophische Entwürfe vom Menschen, die vom 20. bis 22. Februar 2013 in Marburg stattfand. Sie galt dem Ziel, verschiedene Disziplinen, die sich mit der Frage nach dem Spezifikum der menschlichen Natur befassen, zu vereinen. Ausgangspunkt war die Bedeutung, die diese Problematik in Philosophie, Biologie und Medizin der Antike besitzt.1 Die dort aufgeworfenen Fragestellungen haben Probleme im Blick, die ebenfalls in der modernen Philosophie und in den modernen Naturwissenschaften diskutiert werden. So verband die Tagung Aspekte aus der rezenten Forschungsdiskussion um die Körper-Geist-Problematik mit neuen und weniger behandelten Fragestellungen, indem sie den Zusammenhang von psychosomatischer Konstitution und Moralität des Menschen sowie den menschlichen Egoismus thematisierte. Sie wollte die Verbindung antiker und moderner Perspektiven fruchtbar machen und antike Konzeptionen in Beziehung zu modernen Vorstellungen, wie sie im Gefolge von Evolutionstheorie, Genetik und Gehirnforschung entwickelt wurden, setzen. Die Fragestellung ergab, dass Spezialisten und Spezialistinnen aus der Klassischen Philologie, der antiken Philosophie, der Me­dizingeschichte und der Biologie zusammenkamen. Angesichts der Tatsache, welche Bedeutung die Vorstellung eines naturgege­benen menschlichen Egoismus für die Grundlegung moderner Wirtschaftstheorie hat, wur-

1

Wenn man von Biologie in der Antike spricht, muss man beachten, dass die Biologie, auch nach ihrer Inaugurierung durch Aristoteles im 4. Jh. v. Chr., ein Teil der philosophía physiké war. Vgl. S. Föllinger, „8. Biologische Fachliteratur: 8.1 Einleitung“, in: B. Zimmermann, A. Rengakos (Hrsg.), Handbuch der griechischen Literatur, Zweiter Band, München 2014, S. 557-559. Auf den Menschen bezogene biologische Fragestellungen wurden auch im Rahmen der Medizin behandelt.

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Sabine Föllinger, Diego De Brasi

de die Breite der Konzeptionen um die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive erweitert. Aufgrund der großen Unterschiede, die sowohl in thematischer als auch – und vor allem – in methodischer Hinsicht unter den an der Tagung beteiligten Fachgebieten bestehen, war die Tagung ein interdisziplinäres Wagnis, und wir sind den Teilnehmern und Teilnehmerinnen dankbar, dass sie es auf sich genommen haben. Dementsprechend präsentiert der Band auch unterschiedliche Zugänge zu den Themen. Dies gilt aber nicht nur für die je nach Disziplin differierenden epistemologischen Ausgangspunkte und Methoden, sondern durchaus auch für die Zugänge bzw. Interpretationen innerhalb einer Disziplin. Ein zentrales Problem bildet die Bedeutung des Begriffes psyché bzw. anima, der üblicherweise mit ‚Seele‘ übersetzt wird. Die psyché ist für die antiken anthropologischen Konzeptionen zentral und birgt unterschiedliche Facetten. Denn mit psyché ist keineswegs unbedingt eine eigene Entität gemeint oder eine irgendwie immaterielle Instanz, durch die sich der Mensch etwa gegenüber dem Tier auszeichnen würde. Vielmehr trugen zu einer solchen Verengung des Seelenbegriffs die neuzeitliche Philosophie und insbesondere Descartes bei.2 Psyché kann vielmehr auch ein Lebensprinzip bezeichnen. Das zeigt gut die semantische „Konfusion“ von Laktanz, der sich fragt, ob anima und animus synonym verwendet werden können (de opificio Dei 18.1). Psyché kann – ganz oder zum Teil – materiell sein. Sie kann in Teile oder Vermögen unterteilt werden wie in Platons Modell oder in Aristoteles’ Psychologie, in der auch Stoffwechsel und andere für die Aufrechterhaltung des Lebens entscheidenden Prozesse Funktionen der psyché sein können. ‚Seele‘ ist also auch ein biologischer Begriff. Dementsprechend verfügen auch Tiere über eine Seele, und welche seelischen Vermögen man ihnen zuteilen möchte, ob nur die vegetativen und Wahrnehmungsvermögen, oder auch Anteile am kognitiven Vermögen, ist in der Antike ein Streit, der teilweise sozusagen bis aufs Messer ausgetragen wird. „Der Glaube an die vermeintliche Einzigartigkeit des Menschen“ ist also nicht erst, „in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich erodiert“.3 Vielmehr ist eine mögliche

2 3

Zur Begriffsgeschichte in der Neuzeit s. H. Holzhey, „Seele, IV: Neuzeit“, in: J. Ritter, R. Eisler (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 9: Se-Sp, Darmstadt 1995, Sp. 26-52. V. Sommer in einem Interview in GEOkompakt 33/2012, S. 142.

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Einleitung

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Einzigartigkeit des Menschen eine Sache, die bereits in der Antike immer wieder neu verhandelt wurde.

1. Fragestellung „Der Mensch ist ein zweibeiniges, mit platten Nägeln versehenes Lebewesen ohne Flügel, das allein unter allem Seienden begriffliche Erkenntnis erlangen kann.“4 Diese Formulierung findet sich in einer Sammlung von Definitionen, die wohl auf die platonische Akademie zurückgeht.5 Sie mutet bizarr an, ist aber aus zweierlei Gründen bemerkenswert. Zum einen stellt sie den Versuch einer Definition des Menschen dar. Zum anderen bringt sie in der grotesken Verbindung unterschiedlich gelagerter Merkmale die Schwierigkeiten zum Aus­ druck, die das Ringen um eine adäquate Positionierung des Menschen bedeutet, das auch die moderne Diskussion kennzeichnet. Als Lebewe­ sen ist der Mensch von anderen Lebewesen durch bestimmte physische Merkmale unterschieden, wobei die morphologische Differenzierung eine besondere Rolle spielt. Gleichzeitig verfügt er über eine spezielle Eigenschaft im Bereich der Kognition, die ihn über andere heraushebt: die Fähigkeit, abstrakt zu denken. Folgt man der antiken Anekdotenbildung, so verdankt sich die genannte eigenartige Definition dem Spott, mit dem der kynische Philosoph Diogenes auf Klassifizierungsversuche, wie sie der platonische Dialog Politikos bietet, reagiert haben soll.6 Diese Schrift behandelt die Frage, wie ein idealer Staatsmann auszusehen habe. Da der Staatsmann mit dem Hirten parallelisiert wird, nehmen die Gesprächsteilnehmer eine Klassifikation von Herdentieren vor.7 Eine erste selbstverständliche Zuordnung besteht darin, dass die Herdentiere in die Gruppe der Lebewesen gehören. 4 5

6 7

Ἄνθρωπος ζῷον ἄπτερον, δίπουν, πλατυώνυχον· ὃ μόνον τῶν ὄντων ἐπιστήμης τῆς κατὰ λόγους δεκτικόν ἐστιν. Def. 415Α. Darum kann es nicht verwundern, dass Aristoteles, etwa in bestimmten definitorischen Zusammenhängen, den Menschen als durch seine Zweibeinigkeit charakterisierte Gattung der Lebewesen bezeichnet (Metaphysik IV 4, 1006a 31ff. V 2, 1014a 2; VII 12, 1037b 8ff.), vgl. U. Dierauer, Tier und Mensch im Denken der Antike. Studien zur Tierpsychologie, Anthropologie und Ethik, Studien zur Antiken Philosophie, 6, Amsterdam 1977, S. 96. Politikos 261C-266D. Politikos 261C-266D.

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Sabine Föllinger, Diego De Brasi

Dann schreitet die weitere Einteilung dihairetisch-dichotomisch voran, das heißt: Jede Gruppe wird in zwei Untergruppen mit gegensätzlichen Eigenschaften aufgeteilt; dabei bilden Merkmale wie die Hörner, vor allem aber die Gestaltung der Füße die Kriterien. Am Schluss steht die Unterteilung der mit Zehen versehenen Tiere in vierbeinige und zweibeinige Tiere. Und so geschieht es, dass der Mensch direkt neben dem Schwein eingruppiert wird. Denn das Schwein ist ein hörnerloses, mit Zehen versehenes, vierbeiniges Landherdentier, und der Mensch teilt alle Eigenschaften mit ihm – außer seiner Zweibeinigkeit. Freilich besteht die Intention des Dialogs nicht in einer ernsthaften biologischen Untersuchung. Und einer solchen dient auch nicht die Klassifizierung. Vielmehr wird durch diese in humorvoller Weise darauf verwiesen, dass der Mensch, wenn er nicht die in ihm speziell angelegten Möglichkeiten verwirklicht, auf einer Ebene mit seinem tierischen Hausgenossen steht. In der gleichen Textpassage8 wird aber auch die Möglichkeit genannt, dass man gleich einfacher die Landtiere in zweifüßige und vierfüßige Tiere und die zweifüßigen wiederum in federtragende und solche ohne Federn hätte einteilen können, so dass also der Mensch als ein zu Fuß gehendes zweibeiniges Landtier ohne Federn bestimmt wäre. Über diese Klassifikation des Menschen nun soll sich Diogenes lustig gemacht haben, indem er einem Hahn die Federn ausrupfte, ihn zu Platons Akademie brachte und sagte: „Dies ist der Mensch nach Platon.“ Daraufhin sei, so die Erzählung weiter, die Definition des Menschen dahingehend ergänzt worden, ein Spezifikum des Menschen seien seine platten Finger- und Fußnägel (Diogenes Laertios 6,40). Freilich wird in der genannten akademischen Definition mit der Fähigkeit zur Abstraktion die Zweibeinigkeit durch eine Qualität ergänzt, die nicht in den Bereich der Morphologie fällt. Inwieweit das Erkenntnisvermögen des Menschen überhaupt physischer Natur ist, wurde zu einem wichtigen Gegenstand der Diskussion in der antiken Philosophie, Biologie und Medizin. Klassifikationsversuche spiegeln den Versuch wider, die Eigenheit des Menschen gegenüber dem Tier zu ergründen. Das dabei unumgängliche Problem eines ‚Speziesismus‘ kritisiert nicht erst die moderne ‚Animal-Rights-Bewegung‘.9 Auch im platonischen Politikos er8 9

Politikos 266E. Nach Peter Singer, der Richard D. Ryder als Schöpfer des Begriffes anerkennt, ist „Speziesismus […] ein Vorurteil oder eine Haltung der Voreingenommenheit zugunsten der Interessen der Mitglieder der eigenen Spezies und gegen die Interessen

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Einleitung

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scheint sie als Problem. Denn der geschilderte Klassifikationsversuch, der mit der überraschenden Parallelisierung von Mensch und Schwein endet, ist der zweite Anlauf. In einem ersten Versuch hatte ein jüngerer Gesprächsteilnehmer spontan vorgeschlagen, man solle die Gruppe der Menschen der Gruppe der Tiere gegenüberstellen. Daraufhin ermahnt ihn sein älterer und verständigerer Gesprächspartner, dies sei eine willkürliche anthropozentrische Aufteilung. Mit derselben Berechtigung könne eine Tiergruppe, vorausgesetzt sie sei verständiger, sich selbst vom Rest der Lebewesen absetzen. Was der Politikos widerspiegelt, ist die Verbindung einer Anthro­ pologie, die beschreibend ist, mit normativen Aspekten: Mensch zu sein, ist nicht nur ein Zustand, sondern eine Aufgabe. Während Platon spielerisch biologische Klassifizierungsversuche mit normativen As­ pekten verbindet, trennt Aristoteles beide Bereiche und wird damit zum Archegeten der Biologie.10 Was also unterscheidet Mensch und Tier? Diese Frage nach dem spezifisch Menschlichen prägte die antike Philosophie, Biologie und Medizin in vielfältiger Weise. Da als spezifischer Unterschied in der Regel die besondere Erkenntnisfähigkeit angesehen wurde, stellte sich das Problem, auf welche Weise sie im Menschen verankert ist und welche Rolle der Körper spielt. Gleichzeitig erhob sich die Frage nach der spezifischen Moralität des Menschen: Was ist es, das die besondere moralische Stellung des Menschen ausmacht? Wie entstehen Entscheidungen? Wie ist das Verhältnis von Egoismus und Altruismus? Diese Fragen zielen auf Probleme, die auch in der Neuzeit und insbesondere im 20. Jahrhundert, wenngleich unter veränderten Prämissen, aktuell wurden. So stellt die moderne Evolutionstheorie die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier unter der Voraussetzung einer gemeinsamen Entwicklungsgeschichte. Die moderne Genetik thema­ti­ siert die Frage nach dem Verhältnis von Kultur und Natur neu. Die – der Mitglieder anderer Spezies“ (P. Singer, Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere, Hamburg 1996 [engl. Orig. 1975], S. 35; vgl. auch Ders., Praktische Ethik, 3. Aufl., Stuttgart 2011, S. 98-136). In Animal Liberation (wie oben), S. 301-342 bietet Singer darüber hinaus eine Geschichte des Speziesimus, in der er der Antike und dem Christentum die Hauptschuld für die ‚Unterdrückung der Tiere‘ zuweist. Doch zeigt S. Newmyer, Animals, Rights and Reason in Plutarch and Modern Ethics, New York, London 2006, insb. S. 4-5, in expliziter Polemik gegenüber Singer, dass die von ihm rekonstruierte Geschichte des Speziesismus von einer nicht hinreichenden Kenntnis der antiken Literatur und Philosophie geleitet ist. 10 Vgl. unten, S. 19-20.

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Sabine Föllinger, Diego De Brasi

zum Teil öffentlich und emotional geführte – Diskussion über die Gehirnforschung und die Freiheit des Willens hat die Frage nach der endgültigen Beseitigung eines ‚veralteten Menschenbildes‘ aufgeworfen und Verteidiger der ‚Willensfreiheit‘ auf den Plan gerufen. Anlässlich all dieser einzelnen Problemstellungen wurde die Frage gestellt, ob es eine ‚Anthropologie‘ überhaupt noch geben könne.

2. Der Gegenstand der Anthropologie und die hier zugrundegelegte Auffassung von ‚Anthropologie‘ Die Anthropologie als ‚Wissenschaft vom Menschen‘ ist sowohl in Hinsicht auf ihre Begrifflichkeit als auch im Blick auf ihre inhaltliche Bestimmung in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Obwohl die Beschäftigung mit dem Menschen als Menschen sich implizit bereits in den homerischen Epen (8./7. Jh. v. Chr.) findet und seit dem Aufkommen der griechischen Philosophie im 6./5. Jh. v. Chr. und der Medizin im 5. Jh. v. Chr. ein wichtiger Bestandteil der antiken Wissenschaft ist,11 entsteht der Begriff ‚Anthropologie‘ als Bezeichnung für die Wissenschaft vom Menschen erst in der Renaissance. Er findet sich erstmals im Titel der von Magnus Hundt 1501 veröffentlichten Schrift Anthropologicum de hominis dignitate.12 Als entscheidenden Anstoß für die moderne Anthropologie betrachtet die moderne Forschung die Abkehr von der mittelalterlichen Transzendenzausgerichtetheit und eine Fokussierung auf den Menschen, die ihn nicht mehr als Teil eines Kosmos oder einer Schöpfung wahrnahm.13 Als signifikant für diese Entwicklung gilt etwa das 1486 verfasste Werk De hominis dignita­ te von Pico della Mirandola.14 Vor allem aber mit Immanuel Kants Vorlesung Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (publiziert 1798) 11 Vgl. die Bezeichnung der sophistischen Tätigkeit als „anthropologische Wende“ (W. Schüßler (Hrsg.), Philosophische Anthropologie, Alber-Texte Philosophie, 11, Freiburg, München 2000, S. 15). 12 Magnus Hundt, Anthropologicum de hominis dignitate, Leipzig 1501. 13 Vgl. Ch. Thies, Einführung in die philosophische Anthropologie, 2. Aufl., Darmstadt 2009, S. 15f.; Ch. Illies, Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter. Zur Konvergenz von Moral und Natur, Frankfurt a. M. 2006, S. 17-21. 14 Pico griff jedoch auf antike, ja christliche Reflexionen zurück, wie z. B. der italienische Philosophiehistoriker Eugenio Garin bereits 1938 feststellte (E. Garin, „La ‚Dignitas hominis‘ e la letteratura patristica“, in: Rinascita 1(4)/1938, S. 102-146).

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Einleitung

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nimmt die Anthropologie eine besondere Stellung in der Philosophie ein, obwohl sie im Gesamtwerk Kants bald zu einer ‚Nebenerscheinung‘ der Ethik – und dadurch zu einer „periphere[n] Teildisziplin“ der Philosophie wird.15 Kant distanziert sich zwar von einer ‚physiologischen‘ Anthropologie, die den Menschen als Naturwesen betrachtet, und wendet sich vielmehr einer ‚pragmatischen‘ Anthropologie zu, die sich dem Menschen „als freihandelnde[m] Wesen“ widmet und erforscht, was dieser als solcher „aus sich selber macht oder machen kann und soll“.16 Doch ermöglicht Kants eigene vernunftkritische Methode, welche die traditionelle Metaphysik und die mathematische Naturwissenschaft als Disziplinen aufdeckt, die sich entweder nur mit „Gedankendingen“ oder nur mit „Erscheinungen“ beschäftigen, „Klarheit über ihre Stellung (i. e. über die Stellung der Anthropologie) als Lebensweltphilosophie diesseits von Metaphysik und mathematischer Naturwissenschaft“17 zu schaffen. Die explizite Abkehr von einer metaphysischen Perspektive gilt auch für die „philosophische Anthropologie“, die sich als eigenständige Disziplin im 20. Jh. etabliert hat. Für diese gab Max Scheler mit seiner Abhandlung Die Stellung des Menschen im Kosmos von 1928 den entscheidenden Anstoß. Auch die Ansätze von Plessner und Gehlen sind hier einzuordnen.18 Die Verwendung des Begriffes Anthropologie für die Antike ist also in gewisser Weise anachronistisch, aber nicht nur deshalb, weil es einen solchen Begriff noch nicht gab19 – bekanntlich können bestimmte 15 S. Thies (wie Anm. 13), S. 15 und O. Marquard, „Anthropologie“, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1: A-C, Darmstadt 1971, Sp. 362-374, hier 366. 16 I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Akademie Ausgabe VII, hrsg. v. K. Vorländer u. O. Külpe, 2. Nachdr. der 2. Aufl., Berlin 1973, S. 119. 17 S. Marquard (wie Anm. 15), Sp. 365. Die Modernität von Kants Anthropologie un­ terstreicht F. Wuketits, „Kants Schriften zur Anthropologie: Wege zu einem moder­ nen Menschenbild“, in: Aufklärung und Kritik, 7(2)/2000, S. 7-21. S. darüber hinaus den Beitrag von Christian Illies in diesem Band. 18 Vgl. Schüßler (wie Anm. 11), S. 18. 19 Bei Aristoteles wird einmalig der Begriff ἀνθρωπολόγος verwandt. Dieser bedeutet jedoch etwa ‚Klatschbase‘, wie auch der Kontext der Passage bestätigt und die spätantiken Kommentatoren des Aristoteles anmerken (Nikomachische Ethik 1125a5ff.: „Es ist auch nicht seine Art, viel von Menschen zu reden, weder von sich, noch von anderen. Ihm liegt ja nicht daran, dass er gelobt werde, noch dass andere getadelt werden“ (Übers. Rolfes/Bien) – οὐδ’ ἀνθρωπολόγος· οὔτε γὰρ περὶ αὑτοῦ ἐρεῖ οὔτε περὶ ἑτέρου· οὔτε γὰρ ἵνα ἐπαινῆται μέλει αὐτῷ οὔθ’ ὅπως οἱ ἄλλοι ψέγωνται; vgl. Aspasios, In ethica Nicomachea commentaria 114,20f.;

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Vorstellungen existieren, auch wenn die Begriffe und Ausdrucksformen differieren –, sondern weil die Anthropologie der Moderne im terminologischen Sinn die Emanzipation von der Metaphysik als ihr Fundament betrachtet.20 Darin aber unterscheidet sie sich von den antiken Ansätzen. Denn in diesen spielte die Frage, wie das Verhältnis des Menschen zur physischen Welt auf der einen Seite und zu einem als göttlich verstandenem Bereich auf der anderen Seite bestimmt sei, bei der Frage nach dem Wesen des Menschen durchaus eine Rolle. Das heißt allerdings nicht umgekehrt, dass der Mensch vorwiegend unter metaphysischen Gesichtspunkten abgehandelt worden wäre, vielmehr finden wir in der Antike eine Breite von Herangehensweisen vertreten. Sie sind nicht zuletzt auch dadurch bestimmt, ob der Mensch unter biologischer, medizinischer oder ethischer Perspektive betrachtet wird. Wenn in diesem Band von ‚Anthropologie‘ die Rede ist, geschieht dies also in dem Bewusstsein der Problematik dieses Begriffes. Dies gilt auch im Hinblick auf die Tatsache, dass sich momentan ganz unterschiedliche Auffassungen dessen, was ‚Anthropologie‘ bedeutet, finden. Zu der Ausbildung differierender Konzeptionen haben vor allem zwei Faktoren beigetragen. Zum einen wird die Geschichtlichkeit und Kulturabhängigkeit des Menschen in den Vordergrund gerückt. Damit geht ein Vorbehalt gegenüber Versuchen universalistischer Ansätze, den Menschen zu erklären, einher.21 Dieser Entwicklung steht eine stärkere Fokussierung auf die ‚Natur‘ des Menschen gegenüber, die durch entscheidende Fortschritte in der Biologie, insbesondere der Evolutionstheorie, Genetik und Ethologie, bedingt sind. So kommt es, dass ganz unterschiedliche Forschungsrichtungen mit dem Begriff ‚Anthropologie‘ bezeichnet werden: Anonymi in Aristotelis Ethica Nicomachea, 190,13). Der Begriff ἀνθρωπολογεῖν wird dann hauptsächlich von christlichen Autoren (Didymos der Blinde, Basilios von Caesarea, Anastasios Sinaites; darüber hinaus vom jüdischen Philosophen Philon von Alexandrien, der im 1. Jh. n. Chr. lebte) eingesetzt, um hervorzuheben, dass die Darstellung der Tätigkeit Gottes durch Begriffe, die normalerweise menschliche Tätigkeiten bezeichnen, nur dem Zweck dient, die göttliche Allmacht dem menschlichen Verstand begreiflicher zu machen. Vgl. Marquard (wie Anm. 15), Sp. 362. 20 Vgl. hierzu die instruktiven Ausführungen bei Schüßler (wie Anm. 11), v. a. S. 9 und Marquard (wie Anm. 15), Sp. 362-364. 21 Besonders in den letzten Jahren ist eine Diskussion über einen möglicherweise negativen Einfluss entflammt, den ein anthropologischer Essentialismus auf die Gesellschaft ausüben könnte. Vgl. hierzu M. Rölli, Kritik der anthropologischen Vernunft, Berlin 2011.

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Der Auffassung, der Mensch sei nur als historisch bedingt zu verstehen, ist die ‚historische Anthropologie‘ verpflichtet. Sie widmet sich dem Menschen nicht als Gattung, sondern der „Vielfalt menschlichen Lebens in verschiedenen historischen Zeiträumen“22. Auch die Kultur- und Sozialanthropologie, die sich mit der Erfassung der unterschiedlichen menschlichen Kulturen beschäftigt (die sog. cultural anthropology der angelsächsischen Tradition), legt den Fokus auf die Partikularität von Erscheinungsweisen menschlichen Lebens. Dem gegenüber steht die Anthropologie als medizinisch-biologische Lehre vom Menschen. Hier führten Erkenntnisse der Evolutionstheorie, der Genetik und der Ethologie zu der Herausbildung von – zum Teil „naturalistischen“23 – anthropologischen Ansätzen, die die Biologie als entscheidendes Feld der Erkenntnis ansahen und ansehen. Sie verstehen sich als Gegenentwürfe zu Anthropologien, die zu sehr den geis­ tigen Bereich des Menschen betonten. Ein wichtiges Beispiel ist die – auch über die Zeitungen publikumswirksam ausgetragene – Debatte über die Ergebnisse moderner Hirnforschung und ihren Einfluss auf die traditionelle Sicht von der Willensfreiheit des Menschen.24 Nach dem ‚Wesen des Menschen‘ fragt auch die philosophische Anthropologie. Deren Daseinsberechtigung wird darin gesehen, dass sie von einer „Kooperation von Theorie und Empirie“25 geprägt ist. Verlangt wird, die empirischen Erkenntnisse der Humanwissenschaften in eine moderne philosophische Anthropologie zu integrieren. Sie müsse, die einzelnen Ergebnisse der mit dem Menschen befassten Wissenschaften integrierend, holistisch sein, ohne den Anspruch zu vermitteln, eine Definition des Menschen geben bzw. ein „Lehrbuch[s] des Menschen“ schreiben zu wollen/können.26 Die Vertreter einer philosophischen Anthropologie plädieren also für die Fokussierung auf den ‚ganzen Menschen‘ unter Ausklammerung metaphysischer Fragestellungen,27 ohne dass im Einzelfall geklärt werden kann, was ‚von Natur‘, also etwa genetisch festgelegt, und was kulturell bedingt ist. 22 Ch. Wulf, Anthropologie. Geschichte – Kultur – Philosophie, 2. Aufl., Köln 2009, S. 75. 23 Illies (wie Anm. 13), S. 33. 24 Vgl. Ch. Geyer, Hirnforschung und Willensfreiheit – Zur Deutung der neuesten Experimente, Frankfurt a. M. 2004. 25 Thies (wie Anm. 13), S. 34. 26 Thies (wie Anm. 13), S. 37. 27 Dies soll zumindest in epistemologischer Hinsicht gelten, vgl. dazu die differenzierte Stellungnahme von Illies (wie Anm. 13), S. 44-49.

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Für den hier vorgelegten Band sind, ohne dass die Bedeutung der anderen Ansätze verkannt würde, die Anthropologien im Sinne der biologischen Lehre und der philosophischen Anthropologie grundlegend. Dieser Ansatzpunkt ist begründet in den frappierenden Ähnlichkeiten, die antike und moderne Fragestellungen aufweisen, sowie in dem Ziel, entsprechend der modernen Fokussierung auf die Materialität zu untersuchen, wie in der Antike die biologische Seite des Menschen gesehen wurde. Auf diese Weise soll auch dem Missverständnis begegnet werden, mit der Konzeption des Menschen als eines animal rationale28 in der Antike sei eine dualistische Sicht eines in zwei Teile, Körper und Geist, zerfallenden Menschen verbunden gewesen, bei dem vor allem der Geist von Interesse gewesen sei. Die Fokussierung auf die ‚geistige Seite‘ des Menschen in antiken Diskursen beruht eher auf dem Leitinteresse moderner Forschung bis in die jüngsten Jahre als auf den tatsächlichen antiken Konzeptionen.29 Antike Philosophen betrachteten auch die biologische Verfasstheit des Menschen und waren von biologisch-medizinischen Ansätzen beeinflusst, und antike medizinische Autoren konnten sich durchaus auch als Philosophen verstehen. Dieser Gesichtspunkt wird in der Forschung der letzten Jahre mehr betont30 und hat Auswirkung auf eine Würdigung bzw. Neuwürdigung der von den entsprechenden Autoren vertretenen Ansätze. Deren Per­ spektive erweist sich vielfach holistischer als lange angenommen.

3. Überblick über die antike Behandlung der Fragestellung Die Auseinandersetzung mit der Bestimmung, was den Menschen aus­ macht, ist für die europäische Kultur seit dem Moment, da menschliche Reflexion für uns durch Literatur fassbar und tradiert wird (also seit dem 8./.7.Jh. v. Chr.), präsent. Doch während literarische Werke wie die homerischen Epen, die frühgriechische Lyrik und die Tragödie dieser Frage eher implizit nachgehen, indem sie Bilder von Menschen zeichnen und ihren Protagonisten auch Reflexionen über 28 Vgl. hierzu die Einleitung von Thies (wie Anm. 13). 29 Vgl. hierzu unten, S. 22-25. 30 Vgl. Ph. van der Eijk, „The Role of Medicine in the Formation of Early Greek Thought“, in: P. Curd; D. W. Graham (Hrsg.), The Handbook of Presocratic Philosophy, Oxford 2008, S. 385-412; L. Jansen, Ch. Jedan (Hrsg.), Philosophische Anthropologie in der Antike, Frankfurt a. M. 2010.

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den Menschen in den Mund legen,31 wird mit der Entstehung der griechischen Philosophie im 6./5. Jh. diese Frage explizit gestellt, und auch die ab dem 5. Jh. v. Chr. aufblühende Medizin wendet sich ihr zu. So sah der Arzt Alkmaion aus Kroton die Unterscheidung von Tier und Mensch darin, dass der Mensch verstehen könne, während die anderen Lebewesen nur wahrnähmen (24 B 1a DK). Die Sophistik des 5. Jhs. v. Chr. nannte als Grund für die kulturelle Überlegenheit des Menschen gegenüber den Tieren seine Vernunft. Diente der Vergleich mit dem Tier der Abgrenzung des Menschen ‚nach unten‘, so wurde in der Begrenztheit der menschlichen Vernunft gegenüber dem göttlichen Allwissen seine Begrenzung ‚nach oben‘ betrachtet. Diese Positionierung finden wir schon bei Alkmaion, insbesondere aber bei Platon, der die Mittelstellung des Menschen zwischen tierischem und göttlichem Bereich besonders analysierte und anschaulich darstellte.32 Dabei nimmt auch für Platon die Vernunft im Menschen die wichtigste Position ein. Denn allein die Vernunft unterscheidet den Menschen vom Tier. Platon will jedoch keine rein deskriptive Anthropologie bieten. Vielmehr ist seine Feststellung, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Lebewesen ist, normativ zu verstehen: Es ist die Aufgabe des Menschen, die Vernunft zu trainieren. Nur, wenn diese richtig ausgebildet ist, kann der Mensch sein Menschsein realisieren, anderenfalls wird er, wie dies eine Stelle in seinem imposanten Alterswerk Nomoi ausdrückt, zur Bestie.33 Während Platons andere Werke stärker die psychische Seite des Menschen in den Mittelpunkt rücken, beschäftigt sich der Dialog Timaios mit dem Verhältnis von Körper und Geist/ Seele und stellt Überlegungen über die Abhängigkeit der moralischen Verfassung von der körperlichen Konstitution an. Das Verhältnis von Tier und Mensch fokussiert besonders Aristoteles, der Archeget der Biologie. Er entwickelt eine differenzierte Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Lebewesen in Form eines Stufenmodells, der sog. scala naturae, die die niedrigsten Stufen der Lebewesen bis zu den höchsten umfasst. Die rationale Begabung des Menschen bedingt seine spezifischen sozialen Eigenschaften. Auch die 31 Vgl. z. B. zu Euripides Th. A. Szlezák, „Mania und Aidos. Bemerkungen zur Ethik und Anthropologie des Euripides“, in: Antike und Abendland. Beiträge zum Ver­ ständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens 32/1986, S. 46-59. 32 Vgl. dazu A. Jagu, La conception grecque de l’homme d’Homère à Platon, Europaea memoria: Studien und Texte zur Geschichte der europäischen Ideen. Reihe 1: Stu­ dien, Bd. 2, Hildesheim 1997. 33 Platon, Nomoi VII, 808D.

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Frage des Verhältnisses von Körper und Geist beschäftigt Aristoteles. Mit der spezifischen Rationalität des Menschen hängen für ihn die aufrechte Haltung sowie die Hand, deren Funktionalität er genau analysiert,34 als anatomische Besonderheiten zusammen. Denn die Hand könne der Mensch aufgrund seiner Vernunftbegabtheit vielfältig gebrauchen, wodurch sie die unterschiedlichen nutzbringenden anderen Organe, die bei den Tieren besser ausgebildet seien, ersetze. Das Verhältnis von physischer Beschaffenheit und Kultur beim Menschen beschäftigte dann insbesondere die Kyniker, die ihre Her­ ausbildung als eine Degeneration gegenüber einem ursprünglichen ‚naturhaften‘ Zustand betrachteten. Anders als die Kyniker wies die hellenistische Schule der Stoa der menschlichen Vernunft eine zentrale Rolle zu und zog zwischen Mensch und Tier eine striktere Trennungslinie als etwa Aristoteles. Zu den den Menschen prinzipiell vom Tier trennenden Merkmalen gehörte – anders als für Aristoteles, der den Tieren eine Art von Sprache zuerkannte – für die Stoa die Sprache, die – genau wie die Vernunft – in einer pantheistischen Weltsicht als Zeichen der Gottesverwandtschaft des Menschen betrachtet wurde. Die Behauptung, dass nur dem Menschen Vernunft zu eigen sei, die die Epikureer teilten, blieb nicht unwidersprochen. Andere philosophische Positionen, wie die Akademiker und Peripatetiker, wandten sich gegen die stoische Auffassung des tierischen ‚Instinkts‘ und vertraten die Ansicht, dass auch Tiere Vernunft hätten. Hierfür wurden systematisch Beobachtungen an Tierkindern gemacht, die auch, wenn sie von anderen Tieren aufgezogen würden, ein angeborenes Verhalten an den Tag legten. So verweist Cicero auf die Beobachtung, dass Entenküken, die von Hühnern aufgezogen wurden, dennoch ein angeboren-instinktives ‚Entenverhalten‘ aufwiesen.35 Die philosophischen Bemühungen um die Problematik der körperlich-geistigen Verfasstheit des Menschen, die in Zusammenhang mit seinem Verhältnis zu den übrigen Lebewesen, insbesondere den Tieren, und seiner Moralfähigkeit gesehen wurde, flankierten von medizinischer Seite erfolgende Auseinandersetzungen mit der ‚Natur des Menschen‘. Diese beginnen mit den hippokratischen Schriften im 5. Jh. v. Chr. In Abwendung von religiösen Vorstellungen postuliert die Schrift Über die Heilige Krankheit die Bedeutung des menschlichen Gehirns. Ein Grundanliegen des kaiserzeitlichen Arztes Galen war 34 Aristoteles. De partibus animalium IV 10. 687a5f. 35 Cicero, De natura deorum 2. 124.

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es, die Analyse der Wechselbeziehung zwischen Körper und Seele zu ergründen, weil er hierin den grundlegenden Ansatz für erfolgreiche Therapien erblickte. Seiner Auffassung nach entsprach das platonische Modell der Dreiteilung der Seele in einen ‚vernünftigen‘, einen ‚muthaften‘ und einen ‚begehrenden‘ Seelenteil seinen empirischen Befunden, auf deren Grundlage er postulierte, dass es drei, jeweils von Gehirn, Herz und Leber abhängige Systeme gebe, die das Denken und Empfinden über Nervensystem, Bewegung und Arterien und die Ernährung über Venen steuerten. Auf diese Weise vertrat er einen – stellenweise – strikten psychosomatischen Zusammenhang, bei dem die Seele dem Körper geradezu unterworfen sei. Kennzeichnend für Galens Bemühen um die Positionierung des Menschen gegenüber den Tieren ist sein Interesse für den Affen, aus dessen Anatomie sich Aufschlussreiches für die des Menschen ergebe.36 Galens Wirken fällt in die Zeit des erstarkenden Christentums, dessen Autoren pagane und christliche Konzeptionen verbinden. Durch die jüdisch-christliche Vorstellung einer Weltschöpfung wird das Element eines ‚Nacheinander‘ von niederen und höheren Lebewesen integriert, womit der Ansatz zu einem Entwicklungsgedanken gegeben ist. Ihn findet man auch in der Anthropologie des Nemesios von Emesa, der im ausgehenden 4. Jahrhundert eine christliche – die erste uns erhaltene37 – Anthropologie Über die Natur des Menschen verfasste. Hier übernimmt er die Vorstellung der scala naturae von Aristoteles und verbindet die philosophische Konzeption der besonderen Stellung des Menschen mit den von Galen entwickelten anatomischen und physiologischen Vorstellungen von der somatischen Lokalisierung einzelner Bereiche des Geistigen im Gehirn. Auch die Willensfreiheit des Menschen sieht Nemesios somatisch verankert. Sein Werk wirkte über verschiedene Stationen bis zu Pico della Mirandola.

36 Galen, De Usu Partium, passim, insb. 1. 58ff. Helmreich = III 80-81 Kühn. 37 C. P. Vetten „Nemesius“, in: S. Döpp, W. Geerlings (Hrsg.), Lexikon der Antiken Christlichen Literatur, Freiburg u. a. 21999, S. 449.

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4. Die Positionierung des vorliegenden Bandes in der Forschungssituation War das Verhältnis von Mensch und Tier in früheren Forschungen eher ein Seitenaspekt in Untersuchungen zur antiken Philosophie, so widmete erstmals Urs Dierauer (wie Anm. 5) dieser Frage eine ausführlichere Untersuchung. 1993 verband Richard Sorabji die Fragestellung mit der Perspektive der menschlichen Moralität.38 Arbeiten der letzten Jahre stellen vermehrt antike Texte in den Vordergrund, die einen nur graduellen Unterschied zwischen Tier und Mensch sehen.39 Zudem entwickelte sich in den USA der sogenannte evolutionary literary cri­ ticism, eine Interpretationsrichtung, die die animalischen Aspekte in der Darstellung des menschlichen Handelns in literarischen Texten zu betonen versucht.40 Die Körper-Geist-Problematik spielte zwar schon in den fünfziger Jahren für die Untersuchung altchristlicher Anthropologie eine gewisse Rolle.41 Aber das Interesse an dieser Thematik nahm erst in den letzten zwanzig Jahren deutlich zu – ein Phänomen, das vermutlich in engem Zusammenhang steht mit dem Bedeutungszuwachs, den innerhalb der philosophischen Disziplinen die sogenannte philoso­ 38 R. Sorabji, Animal Minds and Human Morals: The Origins of the Western Debate, Ithaca 1993. 39 Vgl. zu Platon z. B. L. Brisson, „Le continuum de la vie chez Platon: des dieux aux plantes“, in: M. Herren, I. Schüssler (Hrsg.), Penser la vie. Contributions de la philosophie, Lausanne 2008, S. 19-39; A. Carpenter, „Embodying Intelligence: Animals and Us in Plato’s Timaeus“, in: J. Dillon, M.-E. Zovko (Hrsg.), Platonism and Forms of Intelligence, Berlin 2008, S. 39-57; A. Drozdek, „Metempsychosis and Animals in Plato“, in: Maia 61/2009, S. 77-82; zu Aristoteles: A. Schmitt, „Verhaltensforschung als Psychologie. Aristoteles zum Verhältnis von Mensch und Tier“, in: W. Kullmann, S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse (Akten des Symposion über Aristoteles’ Biologie vom 24.28. Juli 1995 in der Werner-Reimers-Stiftung in Bad Homburg), Philosophie der Antike, 6, Stuttgart 1997, S. 259-285. Vgl. zu Aristoteles auch T. W. Köhler, Homo animal nobilissimum. Konturen des spezifisch Menschlichen in der naturphiloso­ phischen Aristoteleskommentierung des dreizehnten Jahrhunderts, 2 Bde., Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 114, Leiden, Boston 2008. 40 Vgl. zur theoretischen Begründung J. Gottschall, D. S. Wilson (Hrsg.), The Literary Animal: Evolution and the Nature of Narrative, Evanston 2005; zur Anwendung an grie­chischen Texten: J. Gottschall: „Homer’s Human Animal: Ritual Combat in the Iliad“, in: Philosophy and Literature 25(2)/2001, S. 278-294. 41 Z. B. H. Karpp, Probleme altchristlicher Anthropologie. Biblische Anthropologie und philosophische Psychologie bei den Kirchenvätern des dritten Jahrhunderts, Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 44/3, Gütersloh 1950.

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phy of mind erfuhr.42 Von dem verstärkten Interesse an der KörperGeist-Problematik in den Forschungen zur antiken Literatur und Philosophie zeugen die Monographien von Julia Annas zur hellenistischen Philosophie des Geistes43 und von Francesca Masi zum Buch XXV von Epikurs Traktat perì physeôs44 sowie einige in jüngerer Zeit entstandene Sammelbände.45 In Zusammenhang damit dürfte auch zu sehen sein, dass – allerdings nur vereinzelt – neue Übersetzungen und Kommentierungen einiger von Klassischen Philologen und Spe­ zialisten der antiken Philosophie bislang nicht oder nur marginal behandelter Autoren angefertigt wurden, die ein besonderes Interesse an der psychosomatischen Konstitution des Menschen aufweisen.46 Einige als Pilotstudien zu bezeichnende Werke, ebenfalls der jüngeren Zeit, beschäftigen sich mit den medizinischen Aspekten in Werken antiker Philosophen bzw. Kirchenväter.47 42 Zu ihrer Entfaltung s. z. B. M. Pauen, G. Roth, Neurowissenschaften und Philo­ sophie: eine Einführung, München 2001; J. Kim, Philosophy of Mind, 2. Aufl., Boulder 2006. 43 J. Annas, Hellenistic Philosophy of Mind, Hellenistic Culture and Society, 8, Ber­ keley 1992. 44 F. Masi, Epicuro e la filosofia della mente: il XXV libro dell’opera „Sulla natura“, Studies in Ancient Philosophy, 7, Sankt Augustin 2006. 45 J. Brunschwig, Passions and Perceptions. Studies in Hellenistic Philosophy of Mind. Proceedings of the 5th Symposium Hellenisticum, Cambridge u.a 1993; B. Feichtinger, S. Lake, H. Seng (Hrsg.), Körper und Seele. Aspekte spätantiker Anthropologie, Beiträge zur Altertumskunde, 215, München, Leipzig 2006; R. A. H. King, Common to Body and Soul. Philosophical Approaches to Explaining Living Behaviour in Greco-Roman Antiquity, Berlin, New York 2006; B. Niederbacher, E. Runggaldier (Hrsg.), Die menschliche Seele. Brauchen wir den Dualismus?, Frankfurt a. M., Paris, Lancaster, New Brunswick 2006; M. Migliori, L. M. Napolitano Valditara, A. Fermani (Hrsg.), Interiorità e anima: La psychè in Platone, Temi metafisici e problemi del pensiero antico, Milano 2007; D. Frede, B. Reis (Hrsg.), Body and Soul in Ancient Philosophy, Berlin, New York 2009. 46 Zu Nemesios von Emesa: R. W. Sharples, Ph. van der Eijk, Nemesius: On the nature of Man, translated with an Introduction and Notes by Ph. v. d. E. and R. W. S., Liverpool 2008; zu Laktanz: B. Bakhouche, S. Luciani (Hrsg.), Le De opificio Dei: regards croisés sur l’anthropologie de Lactance, Mémoires du Centre Jean Palerne, 31, Saint Étienne 2009, vgl. dazu auch B. Bakhouche, S. Luciani (Hrsg.), Lactance. De opificio Dei – La création de Dieu, Texte établi, traduit et annoté par B. B. et S. L., Monothéismes et philosophie, 13, Turnhout 2007. 47 Zu den Kirchenvätern: V. Boudon-Millot, B. Pouderon, Les pères de l’église face à la science médicale de leur temps, Théologie historique, 117, Paris 2005; zur antiken Embryologie: M. H. Congourdeau, L’embryon et son âme dans les sources grecques (VIe s. av. J. C.-Ve s. ap. J. C.), Centre de recherche d’histoire et civilisation de Byzance, Monographies, 26, Paris 2007; A. Kunz-Lübke, „Wann beginnt das Leben?

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Gegenüber dem Verhältnis von Mensch und Tier ist die Frage, auf welche Weise antike Philosophen und Mediziner die psychosomatische Verfasstheit des Menschen als maßgeblich für seine Ent­ scheidungsfindung, d. h. für sein moralisches Verhalten und insbesondere für einen eventuell angeborenen Egoismus betrachteten, weniger erforscht. Beispiele für Ansätze dieser Interpretationsrichtung sind Reimar Müllers Aufsatz zur epikureischen Anthropologie,48 Charlotte Schuberts Behandlung des Skythenabschnittes in Hippokrates’ Schrift Über die Umwelt,49 Terence Irwins Monographie zur platonischen Ethik50 und der Band von Tom Brickhouse und Nick Smith über Sokrates‘ Moralpsychologie,51 Richard Sorabjis Behandlung der stoi­schen Ethik,52 Stephen Clarks Abhandlung der aristotelischen Anthropologie53 und Arbogast Schmitts Beitrag zur Darstellung menschlichen Handelns in der griechischen Literatur,54 Sabine Föllingers Analyse der Aus­ führungen zur Willensfreiheit bei Nemesios von Emesa,55 Jörn Müllers Monographie zur Willensschwäche in Antike und Mittelalter56 und

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Überlegungen zur pränatalen Anthropologie der hebräischen Bibel“, in: D. Elm, T. Fitzon, K. Liess, S. Linden (Hrsg.), Alterstopoi. Das Wissen von den Lebensaltern in Literatur, Kunst und Theologie, Berlin, New York 2009, S. 249-276 mit einer Parallelstudie zur Embryologie im Alten Testament; zu Ambrosius von Mailand: R. Passarella, Ambrogio e la medicina. Le parole e i concetti, Milano 2009. R. Müller, „Zu einem Entwicklungsprinzip der epikureischen Anthropologie“, in: Philologus 127/1983, S. 187-206. Ch. Schubert, „Anthropologie und Norm. Der Skythenabschnitt in der hippo­kra­ti­ schen Schrift Über die Umwelt“, in: Medizinhistorisches Journal 25/1990, S. 90-103. T. Irwin, Plato’s Ethics, Oxford 1995. T. C. Brickhouse, N. D. Smith (Hrsg.), Socratic Moral Psychology, Cambridge 2010. R. Sorabji, Emotion and Peace of Mind. From Stoic Agitation to Christian Temp­ tation, Oxford 2000. S. R. L. Clark, Aristotle’s Man. Speculations upon Aristotelian Anthropology, Ox­ ford 1975. Seine Analyse blieb allerdings umstritten, vgl. die Rezension von J. Dybikowski, in: The Journal of Hellenic Studies 96/1976, S. 186. A. Schmitt, „Zur Darstellung menschlichen Handelns in griechischer Literatur und Philosophie“, in: O. W. Gabriel u. a. (Hrsg.), Der demokratische Verfassungsstaat. Theorie, Geschichte, Probleme. Festschrift für Hans Buchheim zum 70. Geburtstag, München 1992, S. 3-16. S. Föllinger, „Determination und Willensfreiheit bei Nemesios von Emesa“, in: Feichtinger, Lake, Seng (wie Anm. 45), S. 143-158. J. Müller, Willensschwäche in Antike und Mittelalter. Eine Problemgeschichte von Sokrates bis Johannes Duns Scotus, Ancient and Medieval Philosophy, I, 60, Leuven 2009.

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der von ihm in Zusammenarbeit mit Theo Kobusch und Roberto Hofmeister Pich herausgegebene Band zum Verhältnis von Willen und tatsächlicher Handlung in der philosophischen Reflexion der Kaiserzeit und der Spätantike.57 Einen ersten Einblick in einzelne Autoren gewährt der Sammelband von Ludger Jansen und Christoph Jedan.58 Der vorliegende Band greift dieses Forschungsinteresse auf und entfaltet es in methodischer und systematischer Hinsicht weiter. Aus methodischer Perspektive wird der Versuch unternommen, Konzepte vom Menschen, so wie sie in der antiken Philosophie, Biologie und Medizin, aber auch in der modernen Biologie und Wirtschaftswissenschaft entworfen werden, in Dialog miteinander zu bringen. Dabei erweisen sich die scheinbar unüberbrückbaren methodischen Unterschiede zwischen den Disziplinen als äußerst gewinnbringend. Denn obwohl die Untersuchungen zu den antiken Autoren sich auf Texte und auf die darin dargestellten Entwürfe vom ‚Menschen‘ konzentrieren und die biologischen oder ökonomischen Analysen auf die Auswertung von durch Experimenten gesammelten Daten fokussieren, ermöglicht eine gemeinsame Anwendung dieser Methoden ein vielfältigeres Bild des ‚Untersuchungsgegenstandes‘, d. h. des Menschen, zu gewinnen. Dies führt wiederum zu einer Erweiterung der systematischen Perspektive: Gegenüber früheren Analysen, die sich überwiegend Teilaspekten der anthropologischen Konzeptionen antiker Autoren widmeten, versuchen die Beiträge in diesem Band in ihrer Gesamtheit, die Kluft zwischen Anthropologie in ‚physiologischer‘ und Anthropologie in ‚pragmatischer‘ Hinsicht in der antiken Philosophie zu relativieren.

57 J. Müller, Th. Kobusch, R. H. Pich (Hrsg.), Wille und Handlung in der Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike, Beiträge zur Altertumskunde, 287, Berlin, New York 2010. 58 L. Jansen, Ch. Jedan (wie Anm. 30).

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5. Die Konzeption des Bandes a) Der Mensch als ‚Naturwesen‘ und das Verhältnis von Körper und Geist59 Antike anthropologische Konzeptionen versuchen genauso wie moderne (etwa in der Evolutionstheorie und Genetik zu findende) Be­ stimmungen, Aussagen über den Menschen durch die Beschreibung seiner Position in der Natur, insbesondere gegenüber den Tieren, zu gewinnen. Dabei spielen, anders als bei modernen Einordnungen, für die antiken Wissenschaftler evolutionäre Zusammenhänge keine Rolle. Dafür berücksichtigen viele die Stellung des Menschen im Kosmos und/oder in einem gesamten ontologischen (und metaphysischen) Entwurf des Seins. So legt der Beitrag von Francesco Fronterotta dar, wie die Be­ schreibung der Erschaffung des Menschen durch den Demiurg in Platons Dialog Timaios den Versuch einer Erklärung des sogenannten mind-body-Problems darstellt: Obwohl Platon die Dimension des Göttlichen in dieser als mŷthos, ‚Erzählung‘, bezeichneten Be­ schreibung anklingen lässt, lassen die eigentlichen Ausführungen zur Leib-Seele-Verquickung auf biologische Kenntnisse schließen. Da in den antiken Anthropologien Denken und Vernunft eine entscheidende Rolle zugewiesen werden, erhebt sich die Frage, ob antike Konzeptionen ‚dualistisch‘ sind bzw. ob man moderne Vorstellungen des Dualismus auf sie übertragen kann. Ihr widmet sich Jörn Müller mit Blick auf Platons Nomoi. Die Rolle, die die psychophysische Verfasstheit des Menschen in diesem Werk spielt, deutet Müller als Ausdruck einer Spannung zwischen deskriptiver und normativer An­ thropologie. Sabine Luciani befasst sich mit der Abgrenzung des Menschen vom Tier in Ciceros philosophischem Werk. Indem sie Platons Einfluss auf Ciceros Anthropologie hervorhebt, arbeitet sie heraus, dass die Tiere für Cicero hauptsächlich eine Art heuristischen Gegenbeispiels zum

59 In dieser Sektion wurde bei der Tagung der Blick auf den antiken Diskurs durch den Vortrag von Philip van der Eijk, Clinical and ethical aspects of mental health and mental illness in ancient medical and philosophical thought und der auf den modernen Diskurs durch den Vortrag von Michael Bölker, Auf der Suche nach dem Menschen-Gen – Ansichten einer evolutionären Anthropologie, ergänzt.

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Menschen darstellen, das zu einem besseren Verständnis der menschlichen Natur führen kann. Die Abgrenzung von Mensch und Tier zeigt sich auch und vor allem darin, wie man Tiere ‚benutzt‘. Ein signifikantes Beispiel stellt die Tiersektion dar. An ihrer Verwendung durch den kaiserzeitlichen Arzt Galen zeigt Karl-Heinz Leven, dass Sektionen an Tieren, auch an lebenden, durchaus üblich waren und auch in Form von publikumswirksamen Schauveranstaltungen durchgeführt wurden. Aber bei einer zu großen Ähnlichkeit des Tiers mit dem Menschen, wie beim Affen, ergaben sich Vorbehalte gegenüber Sektionen. Die psychophysische Verfasstheit des Menschen ist in besonderer Weise von Relevanz, wenn es um die Frage geht, ob bzw. auf welche Weise die geistigen Fähigkeiten körperlich verankert sind. Dass in diesem Punkt der antike Diskurs erstaunliche – auch argumentative – Parallelen zum modernen Diskus aufweist, ist Thema des Beitrags von Sabine Föllinger. Er untersucht drei antike Positionen, die das Denken als einen Prozess fassen, der eine körperliche Basis hat, aber nicht auf diese reduzierbar ist. b) Der Mensch als ‚moralisches Lebewesen‘ Wenn sich der Mensch durch Rationalität oder zumindest bestimmte Formen der Rationalität von den anderen Lebewesen unterscheidet und sich hier – möglicherweise – ein Spannungsverhältnis zwischen einem als körperlich verstandenen und einem als ‚geistig‘ aufgefassten Bereich auftut: Was kennzeichnet dann moralisches Handeln? Welche Rolle spielt dabei die psychosomatische Verfasstheit des Menschen? Hierzu bietet die Antike unterschiedliche Reflexionen. Die Frage des Spannungsverhältnisses zwischen Natur und Moral ist aber auch eine brennende Frage der modernen Philosophie, die sich durch die Erkenntnisse und Ansprüche der Evolutionsbiologie herausgefordert sieht und die sich etwa in einer Diskussion über den „idealistische[n]“ und „naturalistische[n] Reduktionismus“ äußern.60 Antike Positionen zu dieser Frage stellen R. A. H. King, Brigitte Kappl und Francesca Masi vor. Der Essay von R. A. H. King zeigt, dass in der platonischen Konzeption der Maßstab zwar „das reine Vernunftleben, Gott“ (S. 177) ist. Aber für den Menschen ist in 60 Illies (wie Anm. 13), S. 32f., vgl. Thies (wie Anm. 13), S. 18f.

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Anbetracht seiner Körpergebundenheit ein gutes, d. h. vernunftgemäßes Leben auch mit Lust verbunden. Unter dem Gesichtspunkt der Normierung geht es dann darum, die richtigen Lüste zu be­ wirken. Auch in der aristotelischen Anthropologie gibt es, wie der Beitrag von Brigitte Kappl erläutert, eine Verbindung von Biologie und Ethik. Aristoteles geht von einer grundsätzlichen Verwandtschaft zwischen Tieren und Menschen aus: Tierische Aktivität ist nicht ein ‚mechanisches‘ Verhalten, sondern Folge einer kognitiven, wenn auch nicht ‚bewussten‘ Leistung. Menschliche Rationalität ist davon graduell unterschieden, aber so weit, dass nur er im eigentlichen Sinn ‚handelt‘, weil nur er, nicht aber das Tier, Entscheidungen im eigentlichen Sinne treffen kann. Der Verbindung von Biologie und Ethik in der Philosophie Epikurs ist der Beitrag von Francesca Masi gewidmet. Masi untersucht zunächst die physiologischen Voraussetzungen des menschlichen Er­ innerungsvermögens und stellt die These auf, dass eben dieses Ver­ mögen nach Epikur die notwendige Bedingung für die Ausübung der Vernunft, und folglich für die Selbstbestimmung des rationalen Subjekts, darstellt. Wie es auf der Grundlage der modernen, von der Evolutionstheorie geprägten, Biologie mit einem Sonderstatus des Menschen aussieht, untersucht Christian Illies. Das Menschenbild der darwinistischen Evolutionstheorie lässt sich – so seine These – mit der Auffassung, dass der Mensch eine normative Sonderstellung, verstanden als Menschenwürde im Sinn von Kants Ethik, besitze, verbinden. Illies begründet dies, indem er gegen die Annahme einer Determiniertheit durch die Gene und für die Moralfähigkeit des Menschen im Sinne einer ‚Konvergenz von Moral und Natur‘ argumentiert. Phil Crowley vertritt die These, dass die Evolution des Menschen nicht allein genetisch bedingt ist, sondern sich der menschlichen Fähigkeit verdankt, flexibel auf umweltbedingte Veränderungen reagieren zu können. Dabei spielt das individuelle Lernen die zentrale Rolle. Soziales Lernen und kulturelle Entwicklung sind erst durch dieses bedingt.

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c) Der Mensch – ein ‚Egoist von Natur aus‘? Zu der Problematik, wie menschliche Entscheidungen zustande kommen, gehört die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit der Mensch von Natur aus ein Egoist ist. In der Antike wird diese Frage von Aristoteles im Zusammenhang mit der Eigenliebe thematisiert. Der Stoa, deren Weltbild Adam Smith beeinflusste,61 zufolge ist ein Resultat des Handelns aus Eigenliebe das Gemeinwohl.62 In der aktuellen Debatte spielt die Frage nach dem angeborenen Egoismus sowohl unter genetischen und evolutionstheoretischen Gesichtspunkten63 als auch im Rahmen ökonomischer Theorien unter dem Aspekt des individuellen Zweckrationalismus eine wichtige Rolle.64 Diese Thematik steht im Zentrum der Beiträge von Arbogast Schmitt und Evelyn Korn. Schmitt geht in seinem Beitrag auf die Relevanz eines ‚richtig verstandenen Egoismus‘ für das politische Denken Platons ein. In seinem Hauptwerk Politeia (Der Staat) schreibe Platon eigentlich niemandem vor, wie man sich in einer Gemeinschaft verhalten soll. Vielmehr – betont Schmitt – wolle Platon darauf hinweisen, dass jede Gemeinschaft den in ihr lebenden Individuen durch Erziehung die Möglichkeit geben soll, die eigenen natürlichen Prädispositionen zu verwirklichen. Umgekehrt soll nach Platon jedes Individuum die eigenen Talente im Dienst der Gemeinschaft anwenden. Ein Leben, in dem individuelle und gemeinschaftliche ‚Bedürfnisse‘ ‚übereinstimmen‘, stelle demnach die eigentliche moralische Aufgabe des Menschen dar. Ob das Modell des homo oeconomicus noch ein brauchbares Instrumentarium für die Erforschung menschlicher Interaktionen sein kann, ist die leitende Frage des Beitrages von Evelyn Korn. Das Modell – so Korn – ermögliche zum einen gute Beschreibungen des Verhaltens von Akteuren, zum anderen gebe es noch kein anderes Modell, das es ersetzen könnte. Denn obwohl verschiedene Experimente darauf hindeuten, dass Menschen nicht aus rein egoistischen Gründen handeln, 61 J. X. Kraus, Die Stoa und ihr Einfluss auf die Nationalökonomie, Diss. St. Gallen 2000. 62 Epiktet, Dissertationes I 19, 11-14. 63 Vgl. die unterschiedlichen Positionen von R. Dawkins, The Selfish Gene, Oxford 1976, J. Bauer, Prinzip Menschlichkeit – Warum wir von Natur aus kooperieren, Hamburg 2006 und J. Bauer, Das kooperative Gen – Abschied vom Darwinismus, Hamburg 2008. 64 Vgl. A. T. Paul, Ökonomie und Anthropologie, Studien des Frankreich-Zentrums der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 5, Berlin 1999.

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lässt sich das menschliche Verhalten immer noch am besten anhand des Modells des homo oeconomicus beschreiben.

d) Entwürfe christlicher Anthropologie in der Spätantike Eine besondere Stellung innerhalb dieser Themenkomplexe hat die christliche Anthropologie der ersten vier Jahrhunderte n. Chr. inne. Die christlichen Autoren dieser Zeit werten die Meinungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse der nichtchristlichen (paganen) Philo­sophen aus. Und sie modifizieren sie, indem sie sie an die christliche Botschaft anpassen. Die in diesem Band behandelten christlichen Anthropologien vertreten zum Teil eine dezidiert positive Auffassung des Körpers, so dass sie vom heidnischen Philosophen Kelsos, der im 2. Jh. n. Chr. lebte, als philosómaton génos, „körperliebendes Geschlecht“ bezeichnet wurden. Johannes Breuer legt den Fokus auf die Verwendung anthropologischer Argumente in lateinischen apologetischen Schriften des 3. und 4. Jh. n. Chr. Dabei stellt er zunächst fest, dass die von ihm behandelten Autoren kein neues eigenständiges Menschenbild anbieten, sondern vielmehr paganes Gedankengut in ihren Werken aufnehmen und leicht modifizieren. Diese Aufnahme verfolgt jedoch nach Breuers Meinung ein präzises rhetorisches Ziel, nämlich die Legitimierung und Selbstdarstellung des Christentums als ernstzunehmender Ge­ genposition zu paganen Philosophien. Schließlich befasst sich Diego De Brasi mit den rhetorischen Strategien, die das Rückgrat in der Beschreibung des menschlichen Körpers in den anthropologischen Schriften des Gregor, Bischof von Nyssa in Kappadokien in 4. Jh. n. Chr., und seines Zeitgenossen Nemesios, Bischof von Emesa in Syrien, darstellen. Ausgehend von der prominenten Bedeutung, die Gregor und Nemesios dem Körper zumessen, betont De Brasi, dass diese ihre raison d’être in dem normativen Charakter der beiden Schriften findet, denn es geht sowohl Gregor als auch Nemesios darum, den Menschen zur Selbsterkenntnis aufzufordern. Für umsichtige und engagierte Hilfe bei der Drucklegung des Bandes gilt unser herzlicher Dank Frau Dr. Brigitte Kappl und Herrn Hans Lauritz Noack. Außerdem möchten wir uns sehr herzlich bei Herrn

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Prof. Dr. Kristian Köchy und Herrn Prof. Dr. Stefan Majetschak für die Aufnahme des Bandes in die von ihnen herausgegebene Reihe „Lebenswissenschaften im Dialog“ bedanken. Unser Dank gilt auch Herrn Dr. Lukas Trabert vom Karl-Alber-Verlag für die gute Zusammenarbeit und Herrn Dr. Frank Hermenau, der uns stets mit seiner fachlichen Kompetenz unterstützt hat. Schließlich möchten wir uns herzlich bei Frau Elke Burk, Frau Judith Tralles, Frau Julia Sotzek, Herrn Sven Meier und Herrn Lauritz Noack für die engagierte Hilfe bei der Planung, Vorbereitung und Durchführung der Tagung be­danken. Marburg, Januar 2015

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I. Der Mensch als ‚Naturwesen‘ und das Verhältnis von Körper und Geist

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Francesco Fronterotta

Plato’s Conception of the Self The Mind-Body Problem and its Ancient Origin in the Timaeus

Jaegwon Kim, the well-known philosopher of mind, opens his recent book Physicalism or Something Near Enough with a trenchant statement: „… as every student of Western philosophy knows, Descartes, who arguably invented the mind-body problem…“.1 In order to defend his physicalist view, Kim assumes as a theoretical background what he takes to be the standard formulation of the mind-body problem. He considers it as standard because it exemplifies the original version of the problem and is at the same time representative of the principles, aporias and philosophical ideas characterizing the history of the debate to which it gave rise. It is Descartes’ formulation, whose origin according to Kim can be traced back to a letter which princess Elizabeth of the Palatinate wrote to Descartes in May 1643:2 „How can the human soul, which is a thinking substance, cause its corporeal spirits to perform voluntary actions?“3 Through his reply to this question in his Sixth Meditation Descartes inaugurates the philosophical history of this dilemma, and proposes a dualist solution to it: mind and body pertain to ontologically distinct substances whose interaction will later become the problematic aspect calling for an explanation. On this basis Kim goes on to expose briefly the „Cartesian“ elements of the question, so as to show how they constitute the standard scheme of the mind-body problem (pp. 72-78). Let me recall them here:

1 J. Kim, Physicalism or Something Near Enough, Princeton, Oxford 2005, p. 8. For a comprehensive introduction to the origins of the mind-body problem in modern philosophical and scientific thinking see M. Di Francesco, Introduzione alla filosofia della mente, 2 ed., Rome 2002, p. 35-123, and S. Nannini, L’anima e il corpo. Un’introduzione storica alla filosofia della mente, Rome, Bari 2002. 2 Elizabeth’s letter can be found in R. Descartes, Lettere, ed. by G. Belgioioso et alii, Milan 2005, p. 1744-1747, lett. n. 391. 3 J. Kim, Physicalism or Something Near Enough, p. 73.

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(1) There exist two radically distinct kinds of substances: a material or extended one, to which belongs the body, and a non-material nonextended one, to which belongs the mind, or rather the thinking subject. The latter can be called a mens, as Descartes does, or a soul, if the soul be construed in this context, as Plato does, as responsible essentially and exclusively for noetic activity.4 (2) Given (1), there follows immediately the need to assume the interaction between these two kinds of distinct substances. That such an interaction exists appears to be an unquestionable fact: it constitutes the very essence of each individual which is evidently composed of a body whose mental faculties and thinking activity it seems difficult to call in question. If we are to take up the challenge that the combination of (1) and (2)5 poses, we have inevitably to raise at least two problems. (3) The first problem concerns the modes of this interaction, which must account for the causal relationship between mind and extension, i. e. between the mental and the physical, and therefore the way the mental performs a causal action on the physical (and vice versa). This is clearly the core of the mind-body problem in its dualist and interactionist version and the main topic in the debate between philosophers of mind. Besides the difficulty of explaining the causal relationship between the mental and the physical, or between mind and extension, there arises the thorny problem of S. Broadie, „Soul and Body in Plato and Descartes“, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 101/2001, p. 295-308, examines the differences between Plato’s conception of the soul and Descartes’ conception of the mind in their relationship with the body, and focuses in particular on the possibility of separating the two items. 5 One can of course refuse to take up this challenge, and defend either (A) the dualist non-interactionist, i. e. occasionalist, view that the two substances, in virtue of their status and operational function, coexist without interacting; or (B) the monist, non-reductionist view (B1) that accepts a functional dualism according to which the mental does not entirely coincide with the physical, but does not subsist independently of it either (as is the case in some forms of functionalism or in the supervenience theory), or (B2) the reductionist view that denies any form of substantial dualism and reduces the whole of the mental to the physical and the functional, so that the very mind-body distinction would turn out to be a mere illusion, as would mind itself, mental life, and even the self, if they were construed as autonomous realities absolutely irreducible to the body or any corporeal element. This is the socalled eliminativist view, inaugurated by Churchland and nowadays pugnaciously defended by D. Dennett, Sweet Dreams. Philosophical Obstacles to a Science of Consciousness, Cambridge (Ma) 2005. 4

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understanding how the mental or the mind, if they are conceived of as pertaining to a substantial reality different from the spatio-temporal one of physical extension, can perform a causal action whatsoever, for such an action seems to presuppose a spatio-temporal relationship which links the cause to its effect. In other words, the problem concerns not only the way a thinking substance can act on an extended substance, but also, more fundamentally, the way a thinking substance with no extension in space and time can perform a causal action at all.6 (4) The second problem concerns the place of this interaction, with the curious and questionable hypothesis of the pineal gland and the marrow which, even if it was due to purely instrumental reasons, has been hotly discussed and has attracted strong criticism. In this theoretical context, the conclusion seems to be inevitable and rather disappointing: (5) if, on the basis of (3), the modes of the mind-body interaction turn out to be incomprehensible or if no clear and satisfactory solutions to this problem emerge, and if at the same time, on the basis of (2), the interaction appears to be certain and unquestionable, it has to be accepted as a primitive and necessary element, which however cannot be further explained. In this context the attempt to give a coherent reply to (4) becomes less important. Such a conclusion was the strongest motive that prompted philosophers of mind to develop an alternative to a Descartes-inspired interactionist dualism. I do not propose here to put this scheme to the test or to discuss it thoroughly in order to assess whether it correctly mirrors Descartes’ position,7 or whether it represents the standard version of the mind6 7

This point is thoroughly discussed by J. Kim (see n. 1), p. 78-85. A few remarks will be in order here. As the relevant passages of the Sixth Meditation and of the Fourth Answers, as well as the above mentioned letters to Elizabeth of the Palatinate and to Regius (dating back to the end of January 1642; see R. Descartes (see n. 2), p. 1589, lett. n. 343) make it clear, Descartes considers the dualist view based on the distinction between mind and extension as necessarily true, because it can be the object of a demonstration. He also holds that the unio substantialis between the mind and the body is undeniable, since it is attested by an indubitable experience. This unio substantialis he sees as a sufficient explanation and foundation for their interaction. However, while it is possible to account for its physiological modalities, its ontological modes are obscure. That is to say, it is impossible and mysterious to think at the same time the distinction between „mind“ and „extension“ and

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body problem to which the fundamental aspects of the modern and contemporary debate can be traced back. Rather, I will try to show how, if this version of the mind-body problem is assumed as the standard one, the conscious formulation of the problem must be traced much further back in time and in the history of philosophy, even further back than Aristotle, i. e. the only ancient philosopher whom scholars regularly refer to in this context because of his psychological hylemorphism (which is sometimes, e. g. by Putnam, taken to be pre-functionalist, and in any case anti-dualist and therefore somewhat pre-reductionist).8 What I intend to suggest is that a clear awareness of the problematic aspects of the soul/mens-body problem can be found as early as Plato, not in an extrinsic and generic way, but in a form that actually bears a contextual and theoretical resemblance to its modern version. For the sake of simplicity I will confine my discussion to a comparatively limited, but nonetheless representative, number of passages taken from two of Plato’s dialogues: the Phaedo, and particularly the Timaeus. A more comprehensive philological and textual scrutiny I leave for another occasion. The choice of just these dialogues evidently excludes other important texts for a reconstruction of Plato’s psychology, i. e. the Meno, the Republic or the Phaedrus. My reason for it is above all that they represent respectively the starting-point and the endpoint of Plato’s psychological thinking, if one accepts the standard chronological order of the dialogues. For in them Plato proposes a reconstruction of the various aspects of the relationship between body and soul: from a

their union. This means that the interaction, although Descartes accepts it as an evident and unproblematic matter of fact, does not constitute at all the basis for going beyond the substantial dualism, for the aliquid unum of mind and extension that warrants their interaction and the efficacy of their causal relationship does not refer to a single substance either from a conceptual or a functional point of view (interestingly enough, Descartes never uses the word „substance“ to indicate the union that he nonetheless describes as „substantial“). As a result, the celebrated Cartesian hypothesis of the pineal gland, while offering a local representation of the interaction between mind and extension, i. e. of the communication between mens/ soul and body, fails to indicate what the „place“ of the soul is, i. e. to assimilate the two substances so as to reduce somehow their discontinuity (I should like to thank Igor Agostini for clarification of some of these points). In what follows I will try to show that Plato’s psychology, particularly in the Timaeus, hints at some possible solutions of this problem. 8 See E. Berti’s rich and illustrative status quaestionis, „Aristotele e il Mind-Body Problem“, in: Iride, 23/1998, p. 43-62.

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genetic point of view, of its origin; from an ontological point of view, of the diversity of the two substances that determine it; from a causal point of view, of their interaction, whose psycho-physiological details Plato even attempts to clarify. Unlike the Phaedo and the Timaeus, the Meno, the Republic and the Phaedrus only tackle the problem of the soul from a partial perspective (an epistemological, an ethical-political, and an eschatological one respectively) and do not offer a systematic discussion of its relationship with the body.9 I will now go on to examine Plato’s texts, on the basis of the standard scheme of the mind-body problem that I have outlined above. (1) The Phaedo and the Timaeus assume the existence of a trenchant substantial dualism between soul and body. I will only quote Phaed. 79a-b: „Shall we pose two kinds of reality (δύο εἴδη τῶν ὄντων), a visible and an invisible one (τὸ μὲν ὁρατόν, τὸ δὲ ἀιδές)? – Let us pose them. – And the invisible kind always remains unchanged (ἀεὶ κατὰ ταὐτὰ ἔχον), while the visible kind never does (μηδέποτε κατὰ ταὐτά)? – Let us pose this too“. Since each of us is composed of soul and body, it is clear that the body is more similar and akin to the visible kind (ὁμοιότερον καὶ συγγενέστερον τὸ σῶμα ... τῷ ὁρατῷ), while the soul is more similar to the invisible kind (ὁμοιότερον ψυχὴ ... τῲ ἀιδεῖ). The conclusion is clear-cut (79c1). Given the substantial distinction between two opposed ambits of reality, a visible and material one, subject to transformation and change, and an invisible one, immaterial and exempt from becoming, it is „absolutely necessary“ (πᾶσα ἀνάγκη) that body and soul find their place in the two opposed ambits. Body and soul too are radically opposed to each other, owing to their nature and their cognitive attitudes. For a few lines further (79c-d) we hear that through the body (διὰ τοῦ

9 In some recent articles I discussed the mind-body problem with reference to the dialogues that I leave out of my account here. See „Anima e corpo: immortalità, organicismo e psico-fisiologia nel Timeo platonico“, in: Les études platoniciennes, 2/2006, p. 141-154; „Che effetto fa essere un pipistrello? Il Mind-body problem nel Timeo platonico“, in: M. Migliori, L. Napolitano, A. Fermani (eds.), Interiorità e Anima. La psychè in Platone, Milano 2007, p. 89-108; „La concezione dell’anima nella Repubblica di Platone“, in: Giornale critico della filosofia italiana, 89/2010, p. 517-552; and „Plato’s Psychology in Republic IV and X: How Many Parts of the Soul?“, in: N. Notomi, L. Brisson (eds.), Plato’s Republic. Selected Papers from the Ninth Symposium Platonicum, Sankt Augustin 2013, p. 188-199, where all the relevant bibliographical references can be found.

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σώματος) we acquire sensible knowledge, i. e. knowledge of an uncer-

tain and ever-changing kind, while the soul, when it acts by itself and has no connection with the body (αὐτὴ καθ᾿ αὑτήν), is the source of a true, eternal and immutable knowledge of those true, eternal and immutable objects to which it is akin (συγγενής), as is once again made clear. As for the Timaeus, one has only to recall what is stated at 30a-b. The most beautiful and accomplished living being is the one which is capable of thinking, and this is why the demiurge „put mind into soul, and soul into body (νοῦν ἐν ψυχῇ, ψυχὴν ἐν σώματι), and thus framed the universe, so as to accomplish a work that might be by nature as beautiful and good as possible“. A few pages further (41c), in his speech to the minor gods who helped him fashion living beings, the demiurge orders them to compose mortal beings. The gods produce their material bodies (42e-43a), while their divine principle, i. e. their immortal soul, is produced separately by the demiurge himself and then entrusted to the minor gods in order that they complete their task (ὅσον αὐτῶν ἀθανάτοις ὁμώνυμον ... θεῖον λεγόμενον ἡγεμονοῦν ἐν αὐτοῖς ... ἐγὼ παραδώσω). The demiurge orders them to „frame the rest“ (τὸ δὲ λοιπὸν ὑμεῖς ... ἀπεργάζεσθε), i. e. the mortal body, since the difference between himself, the supreme god, and the minor gods, his helpers, must correspond to an analogous difference of status and properties between the soul, the only real immortal principle of living beings, and their mortal body. In both dialogues therefore the ontological difference between soul and body as distinct substantial and functional realities appears to be well attested. No doubt or hesitation in this connection seem to arise in Plato’s thinking. (2) We can now move on to the question of the interaction between soul and body, which is also taken to be so evident that a few cursory references will suffice. In the Phaedo Plato explains (64c) that death is nothing else than the „separation of the soul from the body“ (τὴν τῆς ψυχῆς ἀπὸ τοῦ σώματος ἀπαλλαγήν), i. e. the condition in which the body remains in itself, separated from the soul (χωρὶς ἀπὸ τῆς ψυχῆς αὐτὸ καθ᾿ αὑτὸ τὸ σῶμα), and the soul subsists in itself, separated from the body (χωρὶς τὴν ψυχὴν ἀπὸ τοῦ σώματος αὐτὴν καθ᾿ αὑτήν). It follows (66b) that life consists in the „mixture“ of soul and body (ἕως τὸ σῶμα ἔχωμεν καὶ συμπεφυρμένη ᾖ ἡμῶν ἡ ψυχή), for the soul is united with the body (μετὰ τοῦ σώματος) and only after death will it at last

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be by itself and break free from the body, but not before (τότε αὐτὴ καθ᾿ αὑτὴν ἡ ψυχὴ χωρὶς τοῦ σώματος, πρότερον δ᾿ οὔ). While the soul is alive, it is „absolutely necessary“ (πᾶσα ἀνάγκη) for it to have some connection, however slight, with the body, whose reasons and temporal limits only god knows (66e-67a). The Timaeus does not call any of this into question. Firstly (34c), since the soul has to govern the body (ψυχὴν σώματος ὡς δεσπότιν καὶ ἄρξουσαν), it has to be united with it (συνέρξας). This union implies a contact (36e), since the centre of the soul is made to coincide with the centre of the body (μέσον μέσῃ συναγαγών). It is precisely because of this necessity that the demiurge in the above-mentioned speech to his helpers (41d) orders them to produce mortal beings, „weaving together the mortal and the immortal“ (ἀθανάτῳ θηντὸν προσυφαίνοντες), i. e. the soul that they received from the demiurge and the body which they themselves have built. The conclusion is as follows (42a): „the souls are of necessity implanted in bodies“ (σώμασιν ἐμφυτευθεῖεν ἐξ ἀνάγκης [scil. αἱ ψυχαί]). From the combination of (1) and (2) there arise the two „Cartesian“ problems concerning (3) the possibility and the modes of the soul-body interaction and (4) the „place“ of this interaction. (3) As I said above, the problem of the possibility and the modes of the soul-body interaction is a twofold one. Firstly, one must account for (3a) the soul’s role as an active cause, i. e. understand how it can interact with something else, since it belongs to a substantial dimension which is different from the sensible and spatio-temporal one where ordinary causal relationships take place. As a result, one must also explain (3b) how the soul can play the specific role of an active cause in the body whose soul it is, i. e. how it can interact with its body. As for the first point (3a), the Phaedo takes a somewhat general, or rather generic, course. The soul possesses a certain faculty to govern the body because of its divine nature (see e. g. 80a): „nature orders the soul to govern and command“ (ἡ φύσις προστάττει ... ἄρχειν καὶ δεσπόζειν), and therefore „the soul resembles the divine“ (ἡ ψυχὴ ἔοικεν ... τῷ θείῳ). Although Plato here apparently describes the soul as foreign to the sensible, the soul seems indeed to be characterized by a twofold nature. For on the one hand, it is able to perform a function in the sensible world in that it uses the body (τῷ σώματι προσχρῆται). On the other hand, its real nature is a state of autonomy and independence from all that is other than itself, when it „gathers itself…

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and stops wandering“ (αὐτὴ καθ᾿ αὑτὴν γένηται ... πέπαυταί τε τοῦ πλάνου), subsisting in its absolute purity (79c-d). As for the second point (3b), the Phaedo only states (67a) that there exists an absolute necessity which in some mysterious way has received the task to regulate the connection of the soul to the body and its relationship with it. In any case, this relationship must be as distant as possible (ὅτι μάλιστα μηδὲν ὁμιλῶμεν τῷ σώματι μηδὲ κοινωνῶμεν ὅτι μὴ πᾶσα ἀνάγκη).

On both these points the Timaeus appears to be much more explicit and Plato seems to go further. First of all, (3a) the question as to how the soul can at all perform a causal action in the sensible spatio-temporal dimension is answered in the Timaeus pages where the framing of the world soul by the demiurge is described (34a-36d).10 To put it briefly, the whole sensible universe is a living being composed of body and soul, just like every individual living being (but on a larger scale and to a greater degree of purity). Its body is a material compound whose structure is defined by strict mathematical proportions (31b-32c). The world-soul is produced from a mixture of being, sameness and difference, but not of the intelligible ideas of being, sameness and difference, nor of their corresponding sensible properties, but of a mixture of both. In this exclusively negative way Timaeus illustrates the intermediate nature of the world-soul and its middle place in the hierarchy of reality. There is nothing accidental in the mixture of being, sameness and difference out of which the demiurge produces the world-soul, as it follows a precise mathematical order, establishing rigorous numerical proportions for the combination of the three elements. Once this mixture has been achieved, the demiurge divides this material into two equal strips, which he first lays out in the form of a Χ, and then bends to bring together the extremities of the two strips. Thus he obtains two concentric circles, one tilted in relation 10 I am tacitly assuming that the constitution of the world-soul, which is produced by the demiurge in order to animate the whole universe, is wholly analogous to that of the individual souls, since the dialogue explicitly says (41d) that the latter are produced in the same way and out of the same, if less pure, material. I also assume that the description of the generation of the soul by the demiurge is a consequence of the narrative structure and the mythological character of the Timaeus. However, if we leave this aspect aside, we have to admit that as an immortal reality the soul cannot be generated. This description must then be viewed as concerning not the generation proper, but the composition of the soul. See my introduction to Platone, Timeo, ed. by F. Fronterotta, 3 ed., Milan 2011, p. 77-82.

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to the other, like the equator in relation to the ecliptic, intersecting at two opposite points. The first, the circle of the same, rotates outside the other, the circle of the different (34a-36b, see fig. 1); the movement of the circle of the same is perfectly regular and uniform, single and undivided, while that of the circle of the different, though regular and uniform, is divided six times, creating seven circular, concentric trajectories, each characterised by different movements (36d; see fig. 2). It is fairly clear that the mixture of which the soul is composed, as well as the mathematical structure of its disposition – which gives a concrete, numerical and geometrical form to the essential order of the ideas – hint precisely at the necessity that the soul be at the same time a sensible and an intelligible substance. Thus it can have a place halfway between the sensible, which it has to animate, and the intelligible, to which it is akin because of its eternal and immortal nature and on which it has to model itself in order to perform its rational and causal action. The causal activity of the soul – which has the status of an eternal and purely rational substance but is immersed in the sensible spatio-temporal dimension in order to accomplish its animating function – is therefore a consequence of the very mixed nature of its composition. In other words, the soul can cause certain spatio-temporal effects while remaining an incorporeal, eternal and immortal substance, for it is not wholly foreign to the sensible reality subject to becoming in space and time, which is an ingredient of its very composition and structure.11

11 Questionable as it is, I consider Plato’s solution to the problem of the soul’s causal action as proof of the fact that he was acutely aware of this issue. However, two objections can be raised against Plato’s argument. If the soul, in virtue of its composition, is a mixture of sensible and intelligible essence, can it really be considered different from the material body and its sensible nature? That is to say: does the view that one of the two substances at issue is a melange which somehow contains elements pertaining to the other represent an authentic substantial dualism? However one answers such questions, it is fairly clear that in Plato’s view the mixed composition of the soul does not reduce its otherness from the body. This otherness, as Plato repeatedly remarks, is radical in all respects. A more serious objection concerns the structure of the soul. Does not the view that the soul is a mixture of the sensible and the intelligible amount to transferring the ontological difficulty of the substantial dualism to the psychological sphere of the composition of the soul? In other words, this view apparently transfers the problem of the mind-body interaction within the soul, which is seen as reproducing in itself and its essence a delicate relationship between the sensible and the intelligible. Although this objection is certainly serious, Plato seems to take no account of it.

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Fig. 1

Fig. 2

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Fig. 3. I = Intelligible, S= Sensible

The mixed constitution of the soul also provides a solution to the more specific problem (3b) concerning the modes in which it exercises its causality in the body that it animates and with which it interacts. We must turn here to the Timaeus pages where the functions pertaining to the world soul are illustrated (36e-37c). The demiurge equips it with a moving function from which a cognitive function also derives: first, by virtue of the circular movements of its two circles, the world-soul impresses and maintains the regular movement of the heavenly bodies, but also the movement of the earthly bodies, which is an irregular movement that can nevertheless be assimilated to the movements of the world-soul, insofar as the geometrical-mathematical structure characterising the world-soul corresponds, in gradually descending degrees, to that pertaining to all bodies, heavenly and earthly, that have a soul and a body.12 Secondly, as a soul not only lives and moves, but is 12 This point is well illustrated by G. Vlastos, Plato’s Universe, 2 ed., Las Vegas 2005, p. 50-54.

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also intelligent and has cognitive attitudes – insofar as intelligence and knowledge consist in a series of movements produced or received13 –, cognitive attitudes depend on the moving capacity of the world-soul. When knowledge is achieved through the movement of the circle of the same, the world-soul has true knowledge of the intelligible objects which the circle of the same is closely related to or that it properly „touches“ (ἐφάπτηται), so producing intellection and science (νοῦς ἐπιστήμη τε); but when knowledge is achieved through the movement of the circle of the different, the world-soul only has (true) opinions, and perceives the sensible objects which the circle of the different is always turned to and closely related to (37a-c). This cognitive mechanism of the world-soul probably extends to the individual, embodied souls;14 and it also helps to explain how the world-soul can act on the body that it animates and why in the world-body this causal action acquires the character of a geometrical-mathematical disposition. This is the question we have to start with: what happens when the worldsoul „touches“ an object of knowledge, be it an intelligible object (that it touches through the circle of the same, and of which it realizes an intellection) or a sensible one (that it touches through the circle of the different, and of which it forms an opinion)?15 Although this contact is not sensible or material, and therefore is in some sense metaphorical, it has to be sufficiently real to produce what we call knowledge, which is an affection of the soul, a passion, and so, in some sense, a modifica13 See e. g. Resp. I 353d; Soph. 248b-e; Leg. X 896e-897a. 14 There are of course some significant differences between individual souls and the world-soul. They concern their respective degrees of purity and the nature of their respective bodies: eternal and imperishable in the case of the world-soul, mortal and perishable in the case of individual souls. I will not go into these details here. Let me refer to my articles „Il Timeo e la matematica embodied“, in: L. Napolitano (ed.), La sapienza di Timeo, Milan 2007, p. 173-206, part. 190-191 and n. 28, and „Intelligible Forms, Mathematics, and the Soul’s Circles: An Interpretation of Tim. 37a-c“, in: Les études Platoniciennes, 4/2007, p. 119-127, part. 121, n. 5. 15 As is evident, in the case of intelligible objects the „contact“ with the circle of sameness is immediate, since it concerns immaterial realities whose relationship is not hindered by the presence of matter – this holds for the world-soul as well as for individual souls. On the other hand, in the case of sensible objects this „contact“ is seen as concerning the circle of the different and the sense perceptions that come from the sense organs „touching“ directly the sensible objects, and are gradually transmitted through the body until they reach the soul, i. e. its circle of otherness. While this is surely the case for individual souls, it is far from clear how sensible knowledge can pertain to the world-soul, for its body, i. e. the whole of the universe, does not seem to possess sense organs.

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tion of it.16 But, keeping to the model illustrated in the Timaeus, the circle of the same consists of a circular trajectory that, by virtue of its uniform rotation, moves the circle of the different and, through it, the other six concentric circles that it governs. The transmission of this movement too is naturally by contact, since the circle of the same and the circle of the different were laid out by the demiurge in two strips overlapping at one point, and then folded in the form of a X, bringing their extremities together. They therefore intersect at two points, and it is obviously through these two points of intersection that the transmission of movement takes place (see fig. 1). Later, the circle of the different, whose circular movement embraces and accompanies that of the six concentric circles that it includes beneath itself, transmits to them in turn this movement, which then propagates itself, gradually declining through the inferior and inner circles, until it reaches the centre of the soul (see fig. 2), which is united at the centre of the world-body; and that is how the movement of the soul, starting from the perfectly regular and uniform movement of the circle of the same, gradually descends, multiplying and diversifying itself, finally reaches the body and can thus actually animate it.17 But what is actually transmitted in this transmission belt? Certainly movement, in the ways we have just illustrated, but not only that. When the circle of the same or the circle of the different „touch“ an object of knowledge, they sustain its contact, which leaves an imprint in them of the object that has been 16 Although the actions and passions, the contacts and deformations produced by a contact are most naturally to be comprised among sensible and material objects, one must suppose that the same processes can take place among such immaterial realities as the soul and the objects that it cognizes. In this case too there must be a contact between the soul and the object that the soul „touched“, which leaves in it an imprint corresponding to the cognized form, i. e. a psychic trace that remains in the soul and provides the base for cognition. See for example Phaed. 79d, where φρόνησις is defined as a πάθημα of the soul that turns to what is „pure, eternal, immortal and unchanging“ and „always remains unchanging with respect to its objects, for such are the objects that it touches“. Plato frequently uses verbs referring to an actual contact between the soul and its objects in the context of intelligible knowledge: cf. e. g. Symp. 212a4; Phaed. 65b9, 79c8, d6; and more generally the last pages of book VI of the Republic, particularly 511b-e, within the „noetic“ segment of the theory of the divided line. As is well known, Aristotle in De anima III 4, 429a10-20, and 5, 430a10-20, draws a parallel between „thinking“ and „perceiving“, according to which „thinking“ amounts to the intellect’s „receiving“ the action of the intelligible. 17 On the progression and the propagation of this movement see also Leg. X 893c-d and 894c.

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„touched“, and are thus modified by it. The circle of the same or the circle of the different thus continue on their perfectly regular and uniform trajectory, but the point where they have „struck“ their object is modified by the form that the object has impressed on it: it is certainly not a figure in the strict sense, because there is no material, in the strict sense, that can receive its features, but, as the circle of the same and the circle of the different, like the whole soul, have a geometrical-mathematical structure, the modification produced by contact with the object will appear as a geometrical-mathematical modification, supposing, for example, that the circumference of the circle of the same or of the circle of the different is subject to a numerical variation or a quantitative oscillation of the elements that make it up at the point in which the contact with the object took place. Now, continuing in their rotation, the circle of the same and the circle of the different intersect each other at two given points, in each of which, in the course of the rotation, it will pass on the modification undergone by them as a result of their contact with the object „touched“. It is not difficult to imagine what follows in this process of transmission through the concentric circles marked inside the circle of the different, and then, by virtue of the contact between the world-soul and the world-body, in the world-body. It is an extension or radiation of a trajectory and a movement, but also of the modification of this trajectory which has the form of a numerical variation or quantitative oscillation that, impressed on a sensible material (31b-32c), i. e. on the world-body, appears as a concrete and visible form, deriving from a particular distribution of the geometrical elements that make up the body of all things and from their consequent spatial arrangement (cf. fig. 3). As far as I can see, nothing prevents the same mathematical model from explaining, at the level of the individual embodied soul, how each soul directs its body, functioning in turn as a transmission belt (A) of the intelligible order, through its circle of the same which entails the proper functioning of the body, but also (B) of sensible disorder, through its circle of the different which entails the malfunctioning of the body. Naturally, as it is in this case an individual embodied soul, the strongest and most immediate cognitive signal reaches it now through and from the body so that, being in touch with external sensible reality, the body is affected through one of the five senses, which undergoes a physical deformation, whose effects are transmitted to the soul, finally touching its circle of the different. Dealing with signals coming from sensible objects that are changeable and unstable, the

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circle of the different that is affected by them will suffer repercussions and deviations of its movement, thus disturbing or even upsetting the whole soul, and through it, the body of which it is the soul, overturning its natural equilibrium. But when the individual soul is turned to knowledge of the intelligible (41c-d, 44b, 47a-c etc.), then a virtuous mechanism analogous to that previously described for the world-soul is set off: the non-sensible impressions left by contact with intelligible objects on the circle of the same, transmitted to the circle of the different, and so to the lower orders of the soul and then to the body, impress on the whole psycho-physical organism a regular movement and an orderly disposition that re-establish the equilibrium of the whole. This complex mechanism offers a detailed account of the modes of interaction between the soul and the body (of the whole universe as well as of individual souls). Although they are two different substances that pertain to distinct ontological realms, the soul and the body can communicate with each other because they share a common property, i. e. movement, and a common substantial scheme, i. e. their common geometrical and mathematical structure, which can decode the causal actions performed at a psychical level by the soul, in the form of cognitive acts, and transform them in physical dispositions that take place at the material level of the body. (4) If we now move on to the problem of the physical or physiological „place“ of the soul-body interaction, of which the Phaedo bears no trace, the Timaeus offers a clear solution. Given the mechanism which we have outlined above, this interaction involves and concerns the whole body, not one of its particular organs, since the body is penetrated by the soul in its entirety, and each of its regions is reached by the propagation of its movements. What Plato adds to this picture is a material and corporeal substance so thin as to be particularly receptive of the soul’s stimuli, i. e. the marrow, which has the task of transmitting the psychic impulses to the body (73b-d).18 Once (3) and (4) have been answered through the account of the possibility of the causal action of the soul and the illustration of the 18 On the physiological aspects of the soul-body interaction, particularly in the late antique debate – that derives in part from the Timaeus –, and with special emphasis on medicine, see R. Sorabji, „The Mind-Body Relation in the Wake of Plato’s Timaeus“, in: G. J. Reydams-Schils (ed.), Plato’s Timaeus as Cultural Icon, Notre Dame 2002, p. 152-162.

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modes of the causal action in the body that it animates, it becomes possible to raise the issue of the nature of the soul-body interaction, i. e. the product of this interaction: the individual that arises from the union of soul and body. The minimum requirement of any possible solution of the mind-body problem, in its standard version which I took as my starting-point, is the ability to explain not only what the nature and the status of the mental and the physical as well as the modes of their interaction are, but also and above all to account for the nature and the status of their union, i. e. the living individual as such or, in other words, the conscious and integrated self that every living individual constitutes. As I said, the Phaedo appears to consider the union of soul and body as a provisional datum which cannot be further understood or explained. On the other hand, the Timaeus once again goes well beyond this conclusion, raising the problem of the origin of the soul-body relationship and taking as a starting-point the constitution of the individual soul. (5) The individual soul is the product of the union of a rational and immortal principle, akin to the world-soul and produced by the demiurge (41c-d), and of a mortal principle (εἶδος or γένος), in which a passionate or irascible (θυμός) and a desiring or appetitive (ἐπιθυμητικόν) functions are to be distinguished, whose origin and nature seem to be far less clear. The tripartition or more precisely the „tri-functionality“ of the Platonic soul is a well-known and accepted fact, at least from the Republic onward, so much so that it requires no further illustration.19 It is just on the genesis of this compound that the Timaeus provides some extra information. In 41a-d the demiurge speaks to his helpers, the minor gods, and orders them to complete the production of the

19 I tried to clarify this point in the following articles: „Anima e corpo: immortalità, organicismo e psico-fisiologia nel Timeo platonico“, p. 141-143 and 146-152, and particularly, with respect to the Republic and with ample bibliographical references, „La concezione dell’anima nella Repubblica di Platone“, and „Plato’s Psychology in Republic IV and X: How Many Parts of the Soul?“ (see n. 9). For some acute remarks on the functional tripartition of the soul, especially from the viewpoint of the role of „intermediary“ which the soul has to play in order to establish a relationship between the intelligible and the sensible realm, on the cosmological as well as the psychological level, see T. Buchheim, „Plato’s phaulon skemma: On the Multifariousness of the Human Soul“, in: R. A. H. King (ed.), Common to Body and Soul, Berlin, New York 2006, p. 103-120.

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kinds of living beings that are to inhabit the world – above all mankind. He goes on to entrust them the immortal principle (ἀθανάτοις ὁμώνυμον ... θεῖον λεγόμενον ἡγεμονοῦν) that will constitute the soul, which he himself produced out of the same elements, albeit less pure, he had used to compose the world-soul. The gods’ task will be to „weave together the mortal and the immortal“ (ἀθανάτῳ θηντὸν προσυφαίνοντες). Up to now no mention has been made of a distinction between different species or functions of the soul: we only hear of what is composed and dissoluble (τὸ δεθὲν πᾶν λυτόν), i. e. the body, and of the immortal and divine principle, i. e. the rational soul. Therefore the „weaving together“ of mortal and immortal that the demiurge’s helpers have to bring about probably refers to the union of immortal soul and mortal body. The demiurge goes on to sow in the stars and planets the immortal souls he has produced, and then has them take a panoramic tour of the universe, while he explains them the laws of destiny. The first of these concerns the „first generation“ (41de): when the immortal soul is implanted (ἐμφυτευθεῖεν) in the mortal body, there arise violent affections (βιαίων παθημάτων), sensations (αἴσθησιν), i. e. desires mixed with pleasure and pain (ἡδονῇ καὶ λύπῃ μεμειγμένον ἔρωτα), then fear, anger and all accompanying passions (φόβον καὶ θυμὸν ὅσα τε ἑπόμενα αὐτοῖς, 42a-b). If the rational soul does indeed experience these παθήματα when it enters the body, this is because it comes into contact with material reality and thus shares its quantitative alterations (the body is material, therefore it can grow bigger or smaller, increase or decrease, i. e. add or subtract itself to the soul). These corporeal quantitative alterations produce qualitative παθήματα, i. e. reactions that can be called psycho-physiological insofar as they are felt in the soul, although they take place in the body and through it (they are transmitted to the soul according to the above scheme (3b) in the form of movements that spread up to the circles of the soul certain numerical variations or quantitative oscillations of its components.) All these reactions belong to the sphere of corporeal sensation and perception and can be divided into two general categories, i. e. desires and passions, that fall under two pairs of opposites, „pleasure-pain“ and „fear-anger“. I therefore suggest that these two pairs of opposites, along with the general categories of παθήματα to which they refer, correspond to the two mortal functions of the human soul, the irascible (θυμός) and the desiring or appetitive (ἐπιθυμητικόν). On this interpretation, the mortal functions of the human soul turn out to be the παθήματα arising in the human organism as psycho-

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physiological reactions to the implantation of the immortal soul in the mortal body. In the same way, in 42c-d the soul is said to be able to free itself from the cycle of successive reincarnations only if it can reestablish the immortal principle to its role of absolute preeminence, bringing back the soul’s circles to harmony and balance by reasoning (λόγῳ) and controlling (κρατήσας) „the big mass … turbulent and irrational“ (τὸν πολὺν ὄχλον ... θορυβώδη καὶ ἄλογον), „made of fire, water, air and earth“ that has gradually grown about it. Here Plato refers once again, I take it, to the mortal species of the soul, which are irrational, passionate and above all have a material nature (and for this reason are „made of fire, water, air and earth“), since they come about as corporeal reactions to the implantation of the soul. This is why the ultimate liberation of the immortal soul from the body consists in its going back to its original disposition (τῆς πρώτης ... εἶδος ἕξεως), in which the immortal principle subdues and covers through the λόγος the whole of the θορυβώδη καὶ ἄλογον („turbulent and irrational“) sphere, thus remaining pure and alone, in itself and by itself. A few lines further (42d-e) the demiurge orders his helpers to „fashion mortal bodies, that is all that remained and still had to be added to the human soul“.20 This means that the minor gods do not have to „add“ something else after constituting the bodies (e. g., the mortal functions of the soul), since this addition is simply the mortal body itself. On my interpretation and translation, the demiurge’s helpers will only have to fashion the mortal bodies, i. e. what had not been produced by the demiurge himself and therefore had to be added to the immortal soul in order to complete the human living being. That the work of the demiurge’s helpers in these lines of the dialogue only concerns the body, is confirmed by the fact that the union which they have to bring about, the only one mentioned here (in 41d and 42a), is that between the immortal soul and the mortal body. No mention is made, on the other hand, of a union, or a synthesis, or whatever one might want to call it, between an immortal principle and a mortal species of the soul. As is once again made clear in 42e-43a, after the demiurge’s helpers have produced the body as the seat of the immortal soul and 20 σώματα πλάττειν θηντά, τό τ᾿ ἐπίλοιπον, ὅσον ἔτι ἦν ψυχῆς ἀνθρωπίνης δέον προσγενέσθαι. I construe τε as epexegetic and interpret προσγίγνομαι as describing the addition of something to something else or the assemblage of different parts. Therefore τὸ τ᾿ ἐπίλοιπον does not refer to an addition besides the σώματα θνητά, but is a mere qualification or clarification.

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the soul has been implanted in it, there arise from the body violent reactions that reach the soul, flowing and ebbing tides of nourishment and in general sensible παθήματα that disrupt the balance and the disposition of the soul (43b-c; once again reference is here made to the sphere of the lowest desires, i. e. the nutritive ones, and to the whole of tumultuous passions). As is immediately added (43d-e), these flowing and ebbing tides do not shatter the perfect mathematical structure of the soul, since it has been produced by the demiurge, and therefore cannot be broken (it follows that what is at issue here is only the immortal principle of the soul produced by the demiurge); however they do manage to alter and bend it in every direction. This is why in 44a-b the soul is described as ἄνους, i. e. devoid of νοῦς, „as soon as it is bound in a mortal body“ (ὅταν εἰς σῶμα ἐνδεθῇ θηντόν). This being so, the only „irrational“ soul, i. e. the only soul devoid of νοῦς, arises in the body as soon as the immortal principle is implanted in it, and thus coincides with the reaction that the body experiences when it undergoes the implantation. Finally, as is once again stated (44b-c), the νοῦς can regain its leading role only if such a tumult is brought back to the rational rule of the circles of the immortal soul (through a regular nutrition, an adequate education, and above all through philosophical knowledge, which plays a key role in „re-modeling“ the balance of the individual soul on that of the world-soul). If all this fails to happen, the individual risks corrupting the immortal soul and forcing it to wander devoid of mind after the death of the body.21 21 Two more passages are relevant to our discussion. In 69c-d Plato describes how the demiurge’s helpers carry out the order he gave them, i. e. to produce mortal living beings. After receiving the immortal principle of the soul (ἀρχὴν ψυχῆς ἀθάνατον), they fashion the body around it (i. e. around the head only, which receives the rest of the body as an instrument) and in this, ἐν αὐτῷ, προςῳκοδόμουν an ἄλλο εἶδος ψυχῆς, τὸ θνητόν. The mortal species of the soul is „added“ or „placed beside“ the ἀρχὴν ἀθάνατον, since the verb προσοικοδομέω refers to the activity of the οἰκοδόμος, i. e. of the architect who projects, plans and disposes, rather than to that of the workman who produces, builds or even creates. This εἶδος θνητόν is δεινὰ καὶ ἀναγκαῖα ἐν ἑαυτῷ παθήματα ἔχον, and its irresistible παθήματα consist first of all in pleasure and pain, then in temerity, fear and anger, i. e. once again in a desiring and an irascible sphere. From this mixture arises τὸ θνητὸν γένος, i. e. here, at last, mankind. In this passage the mortal species of the soul are for the first time distinguished and spoken of in the plural, i. e. divided into a higher species, anger, which is located in the chest, and a lower one, desire, which is located in the entrails and the liver (69e-71d). Finally, in 73b-d, the constitution of the bones and flesh is described: they derive from the marrow, in which „the bonds of life“ are made fast that bind the soul to the body (τοῦ βίου δεσμοί, τῆς ψυχῆς τῷ σώματι

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As this discussion of the relevant passages seems to me to show pretty clearly, the Timaeus sees the whole mortal and irrational sphere of the soul as a set of psycho-physiological reactions that arise in the body (and are immediately transmitted to the soul) when the immortal soul is implanted in it.22 This means that according to the psychology exposed in the Timaeus there is only one really autonomous soul, which is separate and subsists in itself, and therefore turns out to be immortal and to be added to the body as a substance distinct from it. According to the myth, the human soul appears to be produced by the demiurge as an image of the world-soul and out of the same material, which is gradually divided into portions. Each of these portions is then sowed in a different star and planet. These celestial souls are then implanted in mortal bodies, which they guide. After the death of the body, they finally go back to their star, where they are received by the demiurge’s helpers (41d) and can forever devote themselves to their celestial activity, i. e. the exercise of νοῦς. Thus they will lead a βίον εὐδαίμονα in accord with their ἕξις, which is characterized by immortality, divinity and rationality (42b).23 The immortal souls, these συνδουμένης, ἐν τούτῳ διαδούμενοι). The three species of soul are here taken for

granted (73b), and are said to correspond to and inhere in different species of marrow which are characterized by different degrees of purity. No reference is made here to parts of the soul; rather, we hear of its locations (the only parts in question are those of the marrow, which receive the different species of the soul). Nor are the species ever said to be produced, since their existence is taken for granted. What needs to be explained, is how they can spread in the body and interact with it through the marrow, that ancient ancestor of the pineal gland. 22 My interpretation, which I worked out and clarified in some detail in the abovementioned articles (see n. 9), identifies the generation of the lower and mortal functions of the individual soul with the psycho-physiological reactions that arise in the body when the rational and immortal soul is implanted in it. This amounts to denying that the individual and composite soul possesses any kind of substantial autonomy, and therefore to countering the more traditional view that strictly speaking the lower functions of the individual soul are also „produced“ (by the demiurge’s helpers) as independent and self-subsisting, albeit clearly mortal, „parts“. See e. g. A. E. Taylor, A Commentary on Plato’s Timaeus, Oxford 1928, ad loc., F. M. Cornford, Plato’s Cosmology. The Timaeus of Plato translated with a running commentary, London 1937, particularly p. 146-150, 281-286, 291-294, and L. Brisson, Le même et l’autre dans la structure ontologique du Timée de Platon, 3 ed., Sankt Augustin 1995, p. 416-420. 23 I am thinking here of that final liberation from the body which the soul can attain after completing the cycle of its „rebirths“. What happens after this final liberation is unclear and still a much debated issue. Some scholars think that the soul just dissolves. For others, it can at last devote itself exclusively to rational activity, while

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eternal rational substances forcefully implanted in the bodies, will thus regain their previous nature, that of celestial intellects, all akin to one another in virtue of their origin (i. e. the same material as the worldsoul is made of), their temporary function (i. e. the animation of a body) and their immortal destiny (i. e. the rational exercise of intellect). Upon the death of the body (i. e. the separation of the immortal soul from it), the mortal species of the human soul, as mere functions of the body in its interaction with the immortal soul, will inevitably die and dissolve. This is no surprise at all, since Plato makes it quite clear more than once (69c-e, 70e). I will not go into the consequences that all this entails for a more general interpretation of Plato’s psychology, with respect to the alleged development of his philosophy in the dialogues and to its relationship with Aristotle’s psychology. Nor will I discuss the eschatological implications of this reading for the doctrine of the immortality of the soul, once it is made clear that the dissolution of the union between the body and the soul discontinues all those mortal functions of the soul that pertain to the construction of personal individuality and of the „self“.24 Plato evidently considers the „self“ of an individual as the synthesis of the immortal and rational soul with a mortal body, i. e. he sees it in a strictly dualist and interactionist perspective: there exist two substances, the soul and the body, and each is capable of exercising an open and reciprocal causality. The genesis, the nature and the mode of functioning of this synthesis are also described. The admirable psycho-physiological balance resulting from all this, i. e. the individual „self“, is clearly „temporary“ and always unique and irreplaceable, since it derives from the supervenience25 – to borrow a word from cogsome hold the view that the liberation is once again temporary, for after a period of „rest“ the soul will have to undergo another cycle of „rebirths“ in the bodies. W. Deuse, Untersuchungen zur mittelplatonischen und neuplatonischen Seelenlehre, Mainz, Wiesbaden 1983, examines the problem in some detail and offers a reconstruction of the debate and the different views that were put forward in the Middleplatonic and Neoplatonic tradition. 24 For these issues I refer once again to my „Che effetto fa essere un pipistrello? Il Mind-body problem nel Timeo platonico“ (see n. 9), p. 99-108. See also B. Centrone, „L’immortalità personale: un’altra nobile menzogna?“, in: M. Migliori, L. Napolitano, A. Fermani (eds.), Interiorità e Anima. La psychè in Platone, Milano 2007, p. 35-50. 25 This notion, which plays an important role in some contemporary anti-reductionist theories, is well clarified by D. Davidson (ed.), Essays on Actions and Events, Ox-

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nitive science – of a soul whose complex structure arises from a material body reacting to the implantation of an immortal principle, and therefore disappears upon the death of that material body. For even if every immortal principle were perfectly identical to the others and were implanted in portions of matter identical to one another, the specific psycho-physiological reaction which supervenes would certainly turn out to be in each case different. It would assume the form of the lower functions of the soul that provide the medium between the immortal principle and the mortal body, i. e. the psychic and physical space where the immortal, eternal and immaterial principle communicates with the mortal, changing and material body. In other words, the Platonic soul with the whole of its functions, which we can consider – cognitively speaking – as the self emerging in the subjective conscience, is an incorporeal reality that necessarily arises upon the interaction between the immortal principle and the mortal body. This is so because the immortal principle, when implanted in the mortal body, cannot remain pure and fail to mix with the body, but must necessarily interact with the body that completes it. On this interpretation of the psycho-physiology of the Timaeus, the human soul with the whole of its functions is always immersed in the body, and its composition, structure, and operational capacity are inextricably linked to the body and to its relationship with it, and therefore from the beginning to the end of this relationship, i. e. from the birth until the death of the body.26 Given the above analysis, I believe we can accept the initial hypothesis as to the Platonic origin of the mind-body problem in what I assumed, on the basis of Jaewong Kim’s scheme, to be its standard version. I should even suggest that Plato actually goes well beyond Descartes’ formulation of the problem (or what Kim considers as such).

ford 1980: „Mental characteristics are in some sense dependent, or supervenient, on physical characteristics. Such supervenience might be taken to mean that there cannot be two events alike in all physical respects but differing in some mental respect, or that an object cannot alter in some mental respect without altering in some physical respect“. 26 On Plato’s concept of the soul as individual and personal „self“, which does not seem to have aroused much interest in recent scholarship, see A. Long, „Platonic Souls as Persons“, in: R. Salles (ed.), Metaphysics, Soul and Ethics in Ancient Thought. Themes from the Work of R. Sorabji, Oxford 2005, p. 173-191. However, Long discusses Plato’s view of the soul exclusively with respect to the concept of „person“ as the subject of moral responsibility.

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I do not mean to say that the dialogues offer, from a theoretical or a scientific point of view, any acceptable solution to the dualist-interactionist dilemma. However, there is no denying that from a historicalphilosophical point of view the Timaeus does provide a series of consistent (albeit more or less satisfactory) answers for a solution of this dilemma. I therefore conclude by taking up again a remark by Kim. The mind-body union, within the classic Cartesian framework, remains mysterious, since „union“ is a word which fails to explain anything and only manifests the mystery. We may surely say that it was God who united the mind and the body and dodge the question as to why he did it and in virtue of what powers. However, we cannot avoid asking how he did it, i. e. what kind of relationship obtains between the elements of the mind-body union.27 This remark is particularly relevant to the parallel that I have tried to establish here. In the Phaedo Plato too describes the mind-body union as an absolute necessity regulated by god and therefore mysterious to man, while in the Timaeus he proposes a significant clarification: the sphere of divine action is reduced to the level of the likely discourse of myth, whereas the forms and modes of the mind-body union, the very laws and mechanisms of their interaction become the object of a series of psycho-physiological, or even neuro-biological, hypotheses. Irrespective of whether Plato’s view and the whole dualist-interactionist perspective can be defended, it is arguably the way in which he raises the issue and his determination in tackling it that initiates the long history of the mind-body problem. This is why he may be said to inaugurate not only the discipline which we now call „philosophy of mind“, but perhaps also cognitive science as a series of hypotheses for explaining psychic and physiological phenomena.

27 J. Kim, Physicalism or Something Near Enough, p. 78: „The word „united“ merely gives a name to a mystery rather than clarifying it. If God chose to unite my body with my mind, just what is it that he did? I am not asking why he chose to unite this particular mind with this particular body, or why he decided to engage in such activities as uniting minds and bodies, or whether he, or anyone else, could have powers to do things like that. (…) What I am asking for is more basic: If God „united“ my mind and my body to make a person, there must be a relationship R such that a mind stands in relation R to a body if and only if that mind and that body constitute a unitary person. In uniting my mind and my body, God related the two with R. Unless we know what R is, we do not know what it is that God wrought“.

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Leib-Seele-Dualismus? Zur Anthropologie beim späten Platon

Ältere Darstellungen zur Anthropologie Platons neigen in der Regel zu einer reduktionistischen Behandlung dieses Themenkomplexes: Man folgt meist dem – in seiner Echtheit umstrittenen – Dialog Alkibiades Maior, der in der platonischen Tetralogienordnung unter dem aussagekräftigen Nebentitel „Über die Natur des Menschen“ (Peri physeôs anthrôpou) überliefert ist. Hier wird die Frage, was der Mensch ist, scheinbar mit aller wünschenswerten Deutlichkeit beantwortet: Der Mensch ist weder sein Körper noch das Kompositum von Körper und Seele, sondern er ist einzig und allein mit seiner Seele identisch.1 Als Konsequenz hieraus wird die platonische Anthropologie dann folgerichtig weitgehend im Fahrwasser seiner Psychologie entwickelt.2 Als repräsentatives Beispiel für einen Aufriss der platonischen Anthropologie in diesem Stil bietet sich die vor gut fünfzig Jahren erschienene Darstellung von Michael Landmann in seiner anthropologischen Summe „De homine. Der Mensch im Spiegel seines Gedankens“ (Freiburg/München 1962) an. Der Verfasser zitiert ausführlich den Alkibiades Maior und bezeichnet Platon im Anschluss daran als „Ahnherrn“ einer in der abendländischen Tradition wirkmächtigen „Körper-SeeleAnthropologie“ (ebd., S. 73), die aber letztlich auf die „falsche Bahn des anthropologischen Dualismus“ (S. 69f.) gerate, insofern hier kein wesenhafter Zusammenhang von Leib und Seele angenommen werde. Der Mensch sei bei Platon vielmehr ein innerlich gespaltenes Doppelwesen, ein „homo duplex“ (S. 71), und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht: Zum einen diagnostiziert Landmann einen Substanzendualismus cartesischen Zuschnitts mit der kategorialen Unterscheidung 1 2

Plat., Alc. I, 130c-e. Vgl. z. B. A. N. Zakopoulos, Plato on Man, New York 1975, S. 41-92. Für einen Forschungsüberblick zur platonischen Anthropologie vgl. J. Müller, Art. „Anthropologie“, in: C. Horn, J. Müller, J. Söder (Hrsg.): Platon-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2009, S. 191-199.

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von res cogitans und res extensa (S. 73), die nur akzidentell mitein­ ander vereint seien; zum anderen stünden sich bei Platon Leib und Seele im Menschen als unversöhnliche Feinde gegenüber, weshalb der Aufenthalt im Körper eher eine temporäre Strafexpedition der Seele darstelle, der sie à la longue zu entkommen trachte, weil sie sich in verkörperter Form eben im Zustand der „Selbstentfremdung“ (S. 74) befinde. Für letzteres lassen sich zweifelsfrei im Phaidon, im Gorgias und andernorts im Corpus Platonicum zahlreiche Belege anführen, insbesondere in Form der Kennzeichnung des Körpers als Kerker oder als Grab der Seele.3 Platon vertritt somit in Landmanns Sicht – die hier bloß pars pro toto für viele andere Interpreten bis in die jüngere Vergangenheit steht – einen anthropologisch gewendeten ontologischen und ethischen Dualismus von Leib und Seele.4 Das alles hält er für einen „ruinösen Fehlansatz“, weil es zu letztlich einer Bifurkation der Anthropologie in eine „spiritualistische Vernunftanthropologie“ (S. 78) auf der einen Seite und einen zoologischen Naturalismus auf der anderen Seite führe, je nachdem welche der beiden Seiten des dualistischen Gegensatzes, Seele oder Körper, in den Vordergrund gerückt werde.5 Im Unterschied zu vielen anderen Darstellungen dieser Art stützt sich Landmann dabei nun u. a. massiv auf Platons letztes Werk, die Gesetze, aus denen er verschiedene Anthropologeme entlehnt und das er insgesamt für ein Paradebeispiel des von ihm diagnostizierten anthropologischen Dualismus hält. Er verweist dabei als Parallelstelle für den oben angesprochenen Alkibiades Maior auf eine Passage im 12. Buch der Nomoi: „Ferner muss man dem Gesetzgeber neben all seinen sonstigen Worten auch glauben, wenn er sagt, dass die Seele vom Leib völlig ver3 4

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Leib als Gefängnis (phroura): Phd. 62b; als Grab (sêma): Gorg. 493a; Phdr. 250c; Crat. 400c. Landmann spekuliert allerdings darüber, ob sich nun die Ontologie der platonischen Zwei-Welten-Lehre (Ideen vs. sinnliche Gegenstände) dem anthropologischen Dua­ lismus verdanke oder umgekehrt: „Vielleicht ist Platons metaphysische Bifurkation von Idee und Wirklichkeit nur eine Projektion seiner anthropologischen von Seele und Körper“ (ebd., S. 71). Spiegelbildlich verkehrt sieht es Zakopoulos (vgl. Anm. 2), S. 73: „The psychological dualism of Plato corresponds to his metaphysical dualism.“ Zudem diagnostiziert Landmann einen Verlust der Anthropologie im platonischen Modell: „Die Frage nach der Seele ist nicht mehr die nach dem Menschen, sondern bereits eine speziellere. Aus Anthropologie wird Soteriologie, Psychologie und Ethik.“ (Ebd., S. 73)

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schieden sei und dass sogar schon im Leben das, was das Selbst eines Jeden von uns ausmacht, nichts anderes sei als die Seele, während der Leib jeden von uns als bloße äußerliche Erscheinung (indallomenon) begleite, und man sage mit Recht, dass die Leiber der Toten bloße Abbilder (eidôla) der Verstorbenen seien; das wahre Selbst eines jeden von uns, das als unsterbliche Seele bezeichnet werde, gehe fort zu anderen Göttern, um ihnen Rechenschaft abzulegen.“6 Damit scheint der Fall recht eindeutig zu liegen. Dennoch lassen gerade die Resultate neuerer Forschungen massive Zweifel daran aufkommen, ob Platons Anthropologie im Spätwerk sich adäquat in Kategorien eines starken Leib-Seele-Dualismus erfassen lässt. (1) Zum einen ist der vermeintliche ontologische Dualismus von Körper und Seele als Basis der platonischen Anthropologie, insbesondere in der ‚klassischen‘ Deutung als numerischer Substanzendualismus,7 stark unter Beschuss geraten. Statt dessen wird dem späten Platon entweder eine schwächere Version des Dualismus zugeschrieben – z. B. ein „attributiver Dualismus“8 – oder sogar behauptet, dass er letztlich doch zu einem nicht-reduktiven Monismus übergegangen sei.9 (2) Zum anderen ist auch der ethische Dualismus von Körper und Seele zunehmend in Frage gestellt worden, v. a. im Blick auf deren Zuordnungsverhältnis im Spätdialog Timaios. Thomas Johansen etwa, einer der führenden Vertreter der revisionistischen Lesart in diesem Bereich, setzt an die Stelle der traditionellen Kerker- bzw. Grabmetapher ein diametral entgegengesetztes Bild: Im Timaios sei der Körper für die Seele in ihrer rationalen Orientierung nicht hinderlich, son-

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Lg. 959a-b (Übersetzungen aus den Nomoi entstammen hier und nachfolgend aus: Platon, Nomoi (Gesetze), übers. u. komm. v. K. Schöpsdau, 3 Bde., Göttingen 1994– 2011). Vgl. z. B. K. Bormann, Platon, 3. Aufl., Freiburg 1993, S. 96-130, der sich v. a. auf den mittleren Dialog Phaidon stützt. T. M. Robinson (Plato’s Psychology, 2. Aufl., Toronto 1995, S. 3-20; „The Defining Features of Mind-Body Dualism in the Writings of Plato“, in: J. P. Wright (Hrsg.), Psyche and Soma, Oxford 2000, S. 37-55) sieht einen „straight arithmetical dualism“ auch in einer Reihe von früheren (sokrati­ schen) Dialogen am Werk, v. a. im Protagoras und im Gorgias. Vgl. E. N. Ostenfeld, Ancient Greek Psychology and the Modern Mind-Body Debate, Aarhus 1987. Vgl. G. R. Carone, „Mind and Body in Late Plato“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 87/2005, S. 227-269. Für einen Überblick der verschiedenen Positionen vgl. J. Müller, Art. „Dualismus (Leib-Seele-Relation)“, in: Horn, Müller, Söder (Hrsg.), (Anm. 2), S. 263-266.

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dern befördere sie vielmehr.10 Von einer generellen Leibfeindlichkeit ist hier nicht mehr viel übrig; an die Stelle des Konfliktmodells scheint ein Kooperationsmodell getreten zu sein. Die beiden Grundpfeiler der Landmann’schen Lesart von Platons Anthropologie, der ontologische und der ethische Dualismus von Leib und Seele, scheinen also zumindest für den späten Platon erheblich ins Wanken geraten zu sein; müsste dann aber nicht auch die da­ raus resultierende Anthropologie eine ganz andere Gestalt haben, als Landmann und viele andere dies vermuten? Im Folgenden möchte ich eine Art Fallstudie präsentieren, indem ich die Darstellung des LeibSeele-Verhältnisses in Platons Nomoi in anthropologischer Absicht systematisch aufrolle; diese Auswahl ist nicht zuletzt dadurch motiviert, dass sich dort das oben zitierte, prima facie ja höchst schlag- und aussagekräftige Testimonium findet, auf das sich Lesarten im Stile Landmanns gewöhnlich stützen.11 Die Zielsetzung der folgenden Untersuchung liegt dabei nicht nur in der Sichtung der impliziten und expliziten Stellungnahmen zum Verhältnis von Leib und Seele, sondern auch und gerade in der abschließenden Bewertung dieser Befunde im Blick auf die für meinen Artikel titelgebende Frage: Kann man in den Nomoi überhaupt noch von einem anthropologischen Dualismus sprechen? Und falls diese Bezeichnung zutreffend sein sollte: Wie stark ist dieser Dualismus hier ausgeprägt? Das Suchraster, mit dem ich in der Interpretation verschiedener Passagen der Nomoi operiere, ist dabei v. a. auf folgende Leitfragen fokussiert, die auch einen Dreischritt in der Struktur meiner Ausführungen bedingen: (Teil 1) Wie gestaltet sich das allgemeine Verhältnis von Leib und Seele im Menschen zueinander, insbesondere mit Blick auf ihre Interaktion? (Teil 2) Im Anschluss daran wird die Frage nach dem ontologischen Status von Körper und Seele thematisiert, mit besonderem Augen10 Vgl. T. Johansen, „Body, Soul, and Tripartition in Plato’s Timaeus“, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy, 19/2000, S. 87-111, der eine besonders eingängige Gegenmetapher zur herkömmlichen Gleichsetzung von Körper und Kerker kreiert: „[T]he human body appears less like a prison for the rational soul and more, as one might put it, like a rather comfortable hotel with quite a few research facilities inbuilt. (…) the body is designed with a view to increasing our rationality.“ (Ebd., S. 109) 11 Vgl. auch die detaillierte Aufarbeitung des Leib-Seele-Verhältnisses in den Nomoi bei S. Sharafat, Elemente von Platons Anthropologie in den Nomoi, Frankfurt a.M. 1998, S. 10-61.

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merk darauf, ob hier von einem numerischen Substanzendualismus gesprochen werden kann. Hier stellen sich diverse Probleme, die teilweise denen in der gegenwärtigen „mind-body“-Debatte korrespondieren, u. a. nach der Ablösbarkeit von Seele und Leib. (Teil 3) Zuletzt kommt dann der vermutete ethische Dualismus auf den Prüfstand: Wie fällt die sittliche Bewertung der beiden Größen aus, insbesondere im Blick auf die Rolle des Körpers? Ist der späte Platon in der Tat (noch) so leibfeindlich bzw. -kritisch eingestellt, wie im Anschluss an den Phaidon vielfach angenommen worden ist?

1. Wein, Tanz und Gesang: Kinetischer Interaktionismus von Leib und Seele Im ersten Buch der Nomoi entwirft der das Gespräch führende Fremde aus Athen – wohl das alter ego des späten Platon – folgendes Bild vom Menschen, das die sich anschließenden Überlegungen zur moralischen Erziehung zur Tugend in der neu zu gründenden Stadt weitgehend fundiert:12 Der Mensch sei eine Art Marionette, die an verschiedenen Fäden aufgehängt ist. Auf der einen Seite finden sich die eisernen Fäden unterschiedlicher Gefühle, die sich v. a. auf gegenwärtige und zukünftige Lust- und Schmerzerfahrungen richten; auf der anderen Seite hängt der goldene Faden der vernünftigen Überlegung, der aber allein oft zu schwach ist, um sich ohne Unterstützung handlungsleitend in Szene zu setzen. Hier deutet sich schon ein gewisser Antagonismus von Vernunft und Gefühl an, dessen Eindämmung bzw. Überwindung das wesentliche Erziehungsziel der Nomoi darstellt. Die Schnüre stehen nun offensichtlich für die seelischen Kräfte bzw. Motivationen, die den Körper der Marionette bzw. des Menschen bewegen. In diesem Bild wäre der Körper somit ein in seiner Bewegung vollständig von der 12 Vgl. Platon, Lg. 644c-645a. Zu diesem Gleichnis vgl. u. a. D. Frede, „Puppets on Strings: Moral Psychology in Laws Books 1 and 2“, in: C. Bobonich (Hrsg.), Plato’s Laws. A Critical Guide, Cambridge 2010, S. 108-126; C. Gaudin, „Humanisation de la marionette. Plato, Leg. 644c-645d, VIII, 803c-804c“, in: Elenchos, 23/2002, S. 271295; J. Laurent, „Fil d’or et fils de fer. Sur l’homme marionette dans le livre I de Lois de Platon (644c-645a)“, in: Archives de philosophie, 69/2006, S. 461-473; W. Mesch, „Marionette Mensch und ganze Tugend. Zur Bedeutung eines Gleichnisses in Pla­ tons Nomoi“, in: D. Barbarić (Hrsg.), Platon über das Gute und die Gerechtigkeit, Würzburg 2005, S. 93-107.

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Seele abhängiges, sozusagen ‚ferngesteuertes‘ Objekt. Immerhin hätte er damit gleichzeitig zumindest auch den Status eines spezifischen In­struments seelischer Tätigkeiten, die sich durch ihn verwirklichen, wäre also zumindest kein beliebig austauschbares Vehikel.13 Aber die kausale Wirkungsrichtung der Interaktion im Menschen scheint primär von der Seele zum Körper zu gehen. Dieser Eindruck ändert sich jedoch, sobald man sich den näheren Kontext des Marionettengleichnisses ansieht. Dieses Bild dient nämlich dazu, die Idee der Selbstbeherrschung zu exemplifizieren, die dann vorliegt, wenn die Vernunft über die Gefühle gebietet (und nicht umgekehrt). Das konkrete Beispiel, das der athenische Fremde in großer Breite diskutiert, ist der Weingenuss. Er macht hierbei den auf den ersten Blick befremdlichen Vorschlag, dass Trunkenheit im Rahmen von organisierten Symposien als gezielte Erziehungsmaßnahme fungieren könne. Das erstaunt nicht nur den Spartaner Megillos und den Kreter Kleinias, und zwar insofern der athenische Fremde selbst die Wirkung von Alkohol auf den Menschen wie folgt charakterisiert: „[Athener:] So sag denn. Wenn wir dieser Marionette einen Rausch verabreichen, in was für einen Zustand versetzen wir sie da? (...) Wonach ich frage, ist dies: Verstärkt das Weintrinken die Gefühle der Lust, des Schmerzes, des Zornes und der Liebe zu größerer Intensität? (...) Wie steht es andererseits mit den Wahrnehmungen, Erinnerungen, Meinungen und Gedanken? Verstärkt es diese ebenfalls? Oder entschwinden diese jemandem ganz, wenn er vom Rausch übersättigt ist? (...) Gerät er also nicht in denselben Zustand, was die Verfassung seiner Seele angeht, wie damals, als er noch ein kleines Kind war? (...) Am allerwenigsten ist er dann wohl Herr seiner selbst.“ (Lg. 645d-e) Diese von der Alltagserfahrung sicherlich voll abgedeckten Befunde sind nun insofern für uns signifikant, als sie eine Umkehrung der oben beobachteten kausalen Wirkungsrichtung implizieren. Denn hier wirken sich körperlich induzierte Zustände ursächlich auf seelische Vorgänge aus, und zwar sowohl auf die eisernen Drähte (die eben in ihrer motivationalen Zugkraft gestärkt werden) als auch auf den goldenen Draht der vernünftigen Überlegung, der gewissermaßen komplett neutralisiert wird. Der athenische Fremde beschreibt anschließend, wie das rationale Urteil des Akteurs unter Alkoholeinfluss nicht nur verloren gehen, sondern sich – je nach eingeflößtem Quantum – auch 13 Wie es etwa die Idee einer über die Grenzen der menschlichen Spezies hinausge­ henden Transmigration der Seelen in manchen platonischen Mythen nahelegt.

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graduell verändern kann, so dass es zu verschiedenen Formen von Willensschwäche kommen kann.14 Nicht nur das Fühlen, sondern auch das Denken des Menschen ist somit körperlichen Einflüssen unterworfen. Die kausale Interaktion zwischen Seele und Leib findet somit wechselseitig in beide Richtungen statt, und zwar ggf. in sehr massiver Form, wie das Beispiel der Trunkenheit belegt. Doch welchen positiven Beitrag kann der Alkoholgenuss zur Moralerziehung leisten? Bis hierhin erscheint der berauschte Körper ja eher als eine Bedrohung der kognitiven Autonomie des Akteurs. Platon weist dem Weintrinken nun zwei positive Funktionen zu: (1) Gegenüber dem militärischen Ideal von Tapferkeit, das in den Nomoi v. a. der Spartaner Megillos propagiert und das sich in der Abhärtung gegenüber Schmerzen erschöpft, betont der athenische Fremde, dass man auch seinen eigenen körperlich fundierten Lüsten aktiv Widerstand leisten muss. Dies sollte aber ebenso trainiert werden wie das Erleiden von physischen Schmerzen, und zwar in Form einer gezielten und dosierten Konfrontation mit ihnen. Symposien, die unter Leitung eines nüchternen (i.e. vernünftigen) Mannes stattfinden, verhindern somit, dass man der Verlockung zu solchen Rauschzuständen aufgrund mangelnder Erfahrung im Umgang mit Wein bei der ersten Konfrontation unbedacht und unkontrolliert nachgibt. Diese Resistenz ist nur über gezielte Selbsterfahrungen erreichbar und nicht über eine komplette Vermeidungsstrategie. Der richtige Umgang mit der Lust muss eingeübt werden, insofern Erziehung in den Nomoi insgesamt als „richtige Heranbildung der Schmerz- und Lustgefühle“ (Lg. 653c) verstanden wird. Dosierter Weingenuss leistet somit einen pädagogischen Beitrag zur Tugend der Tapferkeit, die sich eben nicht nur in den äußeren Gefahren des Krieges, sondern auch im inneren Kampf gegen die Begierden zu bewähren hat (vgl. Lg. 637c-d; 648d-e). Eine temporäre Intensivierung der Leidenschaften durch physiologische Stimulation unterstützt somit die langfristige Fähigkeit zur Selbstkontrolle. (2) Daneben kann man sich die enthemmende Wirkung des Alkohols auch auf anderer Ebene pädagogisch zunutze machen. In den Nomoi ist aus Gründen, auf die wir gleich noch näher zu sprechen kommen, eine lebenslange Teilnahme der Bürger an Chorreigentänzen mit Gesang vorgesehen. Dem steht wohl das von ernster Strenge geprägte Ethos von Senioren psychologisch eher entgegen. Diesem 14 Vgl. hierzu C. Bobonich, Plato’s Utopia Recast. His Later Ethics and Politics, Oxford 2002, S. 267-273.

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Problem kann jedoch durch die physiologischen und psychologischen Effekte des Weingenusses abgeholfen werden (vgl. Lg. 665d-666c): Denn dadurch wird die Schamgrenze temporär so abgesenkt, dass eine leichtere Teilnahme möglich ist. Dahinter steht bei Platon letztlich die ausgeklügelte Idee einer allopathischen Katharsis.15 Zielpunkt des Chorgesangs ist die Herstellung harmonischer und rhythmischer Seelenbewegungen; zur Erreichung dieses Zwecks wird aber durch den Weingenuss erst einmal temporär eine größere Unordnung im Individuum hergestellt, deren Beseitigung dann den Weg für eine bessere Neuordnung freigibt. Mit anderen Worten: Der Senior wird durch den Weingenuss auf physiologischer Ebene bewusst in den oben schon angesprochenen Zustand des Kindes versetzt, in dem er wieder die ‚feurige‘ Disposition hat, um seine seelischen Bewegungen aktiv in einen harmonischen Einklang zu bringen. Auch hier leistet Alkoholgenuss somit einen konkreten Beitrag zur psychischen Ordnung.16 Während Platon noch in der Politeia antirationale Begierden und ihre Rauschzustände in Bausch und Bogen als bloße Raserei verurteilt, hält er also in den Nomoi den Einsatz physiologischer Drogen für gerechtfertigt – und zwar im Dienste der seelischen Tugend und Gesundheit. Dies indiziert einen Wandel in der ethischen Bewertung leiblicher Momente, die mit den irrationalen Seelenkräften in Verbindung stehen: Denn diese müssen dann ja nicht mehr partout unterdrückt bzw. wie ein wildes Tier angebunden werden, sondern können letztlich sogar in ihren ureigenen Effekten dienstbar gemacht werden. Dionysos wird damit gewissermaßen zum Helfer des Gesetzgebers.17 Mindestens ebenso bedeutsam ist die sich hier deutlich abzeichnende enge Verzahnung und Wechselwirkung seelischer Zustände mit bestimmten physiologischen Prozessen im Körper. Doch wie lässt sich die bisher eher vage beschriebene kausale Interaktion näher fassen? Dieser Zusammenhang wird deutlicher, wenn man sich die Vorschriften zur Gymnastik in den Nomoi ansieht. Gymnastik dient in ihren beiden Zweigen, dem Ringen und dem Tanz, im 15 Vgl. E. Belfiore, „Wine and Catharsis of Emotions in Plato’s Laws“, in: Classical Quarterly, n.s., 36/1986, S. 421-437. 16 Vgl. Belfiore (Anm. 15), S. 426: „Plato believes that wine is beneficial to older people because it gives them, temporarily, the ‚mad‘ qualities of young children that are conducive to education by the Muses.“ 17 Vgl. hierzu auch die Lobpreisung des Weins in Lg. 671d-672d: Er ist uns nicht zur Raserei gegeben, sondern als „Heilmittel zum entgegengesetzten Zweck, damit die Seele Scham und der Leib Gesundheit und Kraft erwirbt“ (672d).

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Wesentlichen der Übung und Nachahmung von tüchtigen Körpern und Seelen. Der athenische Fremde arbeitet dabei konsequent darauf hin, dass die staatliche Vorschrift der lebenslangen Gymnastik nicht nur der körperlichen Ertüchtigung dient, sondern auch mit Blick auf die psychische Gesundheit der Bürger formuliert ist.18 Warum soll man sich nun sein Leben lang einer geordneten Körperbewegung befleißigen? Aufschluss in dieser Frage gibt ein schönes Beispiel Platons mit alltagspsychologischem Flair: Wenn ein Kleinkind nicht einschlafen kann, versucht die Mutter gerade nicht, es im Wortsinne ‚ruhig‘ zu stellen, sondern sie wird es vielmehr in Bewegung versetzen, indem sie es z. B. im Arm hin und her wiegt und dabei ein Schlaflied singt. Platon analysiert dieses Verhalten wie folgt: Grundursache für die nächtliche Unruhe des Kindes ist seine seelische Unruhe, die sich in bestimmten Angstzuständen manifestiert. Diese Gefühle werden nun durch die von der Mutter körperlich und stimmlich vollzogenen ‚Schaukelbewegungen‘ gewissermaßen konterkariert: „Wendet nun jemand bei solchen Anfällen von außen eine Erschütterung an, so überwältigt die von außen herangebrachte Bewegung die innere Bewegung der Furcht und der Raserei, und wenn sie nach dieser Überwältigung in der Seele Stille und Ruhe einkehren lässt, (...) so lässt sie die Kinder Schlaf finden.“ (Lg. 791a) Die körperlichen Schwingungen übersetzen sich in diesem Fall also unmittelbar in seelische Bewegungen, welche die Beseitigung der schlafraubenden Emotion mit sich bringen. Platon betont hierbei, dass bereits im allerfrühesten Seelenleben des Kindes Einfluss genommen werden muss, damit sich die kindliche Seele nicht an Angstzustände gewöhnt und damit letztlich zur Feigheit habitualisiert wird. Dementsprechend wird Müttern Schwangerschaftsgymnastik als eine Art pränatale Maßnahme zur positiven körperlichen wie seelischen Beeinflussung des Fötus empfohlen (vgl. Lg. 789a-b; e), ebenso wie die Bewegung des noch nicht lauffähigen Kindes durch Herumtragen u. ä.19 Durch den so bewirkten Abbau von seelischen Angstbewegungen entsteht 18 Vgl. hierzu auch die Überlegungen bei R. Kamtekar, „Psychology and the Inculcation of Virtue in Plato’s Laws“, in: Bobonich (Hrsg.), (wie Anm. 1), S. 127-148., bes. 143-149 („How physical education makes us better“), die auch die Unterschiede zur Politeia betont. Zur Erziehung in den Nomoi insgesamt vgl. auch G. Morrow, Plato’s Cretan City, Princeton 1960, S. 297-389. 19 Negative pränatale Einflusse sind ebenfalls der Lebensführung der Eltern geschul­ det. So sind z. B. unter Alkoholeinfluss gezeugte Kinder charakterlich deformiert: Der Betrunkene ist selbst toll an Leib und Seele, und diese schlechte Bewegung

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auch hier ein quasi präreflexiv bewirkter Beitrag zur Tapferkeit, womit eine Art Frühstadium der moralischen Erziehung markiert ist.20 Wie so oft in den Nomoi zeichnet sich hier schon das aristotelische Konzept der Gewöhnung (ethismos) ab, dem Platon allerdings eine dezidiert kinetische Wendung gibt: Das Kind, das mit allerlei ungeordneten seelischen Bewegungen und einem entsprechenden, die ganze Kindheit andauernden körperlichen Bewegungsdrang auf die Welt kommt (vgl. Lg. 653d-e; 672e), muss so früh wie möglich an die richtigen Bewegungen gewöhnt werden. Erkennbar wird dabei die Seele in ihren inneren Bewegungen durch die Bewegungen des Körpers mitgeformt. Entscheidend ist nun, dass Platon alle Arten von geordneter körperlicher Bewegung in einer Art Kontinuum sieht, von der Bewegung im Mutterleib bis hin zur späteren obligatorischen Teilnahme an den Chorreigentänzen. Generell ist bei allen Bewegungen v. a. die Harmonie und Rhythmik der jeweiligen Aktivitäten von grundlegender Bedeutung (vgl. Lg. 664e-665a; 673c-d), wie sie bei den Chören ihren Ausdruck auch in entsprechenden Gesängen findet, die den Tanz begleiten. Anders ausgedrückt: Nur die richtigen physiologischen Schwingungen leisten in den Nomoi einen positiven Beitrag zu Tugend und seelischer Gesundheit. Gymnastik ist dann aber keine reine Körperpflege mehr, sondern ein wesentlicher Beitrag zur Pflege von Tapferkeit und Besonnenheit in ihren Frühformen (vgl. Lg. 636a). In diesem Punkt zeichnet sich eine deutliche Kongruenz der Nomoi mit dem ebenfalls dem platonischen Spätwerk zuzurechnenden Timaios ab. Dort formuliert Platon folgenden Grundsatz: „Es gibt nur eine Rettung (...): Weder die Seele ohne den Körper noch den Körper ohne die Seele in Bewegung zu setzen (kinein), damit beide (...) gleichgewichtig und gesund werden.“ (Tim. 88b-c) Den Hintergrund für diesen therapeutischen Ratschlag bildet im Timaios eine Ätiologie verschiedener Krankheiten, die einer Disproportioniertheit von Leib und Seele geschuldet sind. Bemerkenswert ist hierbei, wie weitgehend das psychophysische Verständnis von Krankheit und Gesundheit an dieser Stelle formuliert wird, v. a. mit Blick auf die körperlichen Ursachen seelischer Missstände.21 So führt Platon z. B. die Unbeherrschtprägt sich unvermeidlich auch in die Seelen und Leiber der gezeugten Kinder ein (Lg. 775c-d). 20 Vgl. Lg. 791c: „Die Gymnastik der kleinen Kinder in Form von Bewegungen (...) trägt viel zu einem Teil der Tugend der Seele [i.e. der Tapferkeit] bei.“ 21 Vgl. Tim. 87d: „In Beziehung auf Gesundheit und Krankheit, Tugend und Schlechtigkeit ist nämlich kein Ebenmaß von größerer Bedeutung als das von Seele selbst

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heit gegenüber den Lüsten, also das Phänomen der akrateia, das in den Nomoi dann eine zentrale Rolle spielt, weitgehend auf nachteilige physiologische Beschaffenheiten des Willensschwachen zurück.22 Im Umkehrschluss führt der Weg zu Glück und Gesundheit gerade über die richtige, und d. h.: über eine möglichst harmonische und symmetrische Ordnung der Bewegungen von Körper und Seele in ihrer wechselseitigen Interdependenz.23 Hierbei operiert Platon wie in den Nomoi mit einer Hierarchie von körperlichen Bewegungen, bei der die Gymnastik an der obersten Stelle steht. Die Begründung für diese Vorrangstellung ist gerade mit Blick auf die Unterscheidung von Selbst- und Fremdbewegung in Nomoi X vielsagend: Als Selbstbewegung ist die Gymnastik im Vergleich mit Fremdbewegungen des Körpers (z. B. an Bord eines Schiffs) dem Denken und der Bewegung des Alls am nächsten verwandt; deshalb ist sie die beste körperliche Therapie für seelische Krankheiten (vgl. Tim. 89a). Auch hier steht somit erkennbar der Gedanke Pate, dass die Bewegungen des Körpers und die innere Gestaltung der seelischen Umläufe eng miteinander verbunden sind. Durch die im Timaios dargestellte Einkörperung der individuellen menschlichen Vernunftseele werden ihre verschiedenen regulären, kreisförmigen Bewegungen erst einmal gestört und durch rektilineare Bewegungen verdrängt, was zu einer weitgehenden Abwesenheit der Vernunft im Kind führt (Tim. 43d-44b). Der Weg zur vollkommenen Wiederherstellung der Rationalität im Individuum führt dann nicht zuletzt über die Beobachtung zu Körper selbst.“ Zum Körper-Geist-Problem im Timaios allgemein vgl. auch F. Fronterotta, „Che effetto fa essere un pipistrello? Il problema mente-corpo nel Timeo platonico“, in: M. Migliori u. a. (Hrsg.), Interiorità e anima. La psychè in Platone, Mailand 2007, S. 89-108. 22 Vgl. Tim. 86d-e und C. Gill, „The Body’s Fault? Plato’s Timaeus on Psychic Illness“, in: M. R. Wright (Hrsg.), Reason and Necessity. Essays on Plato’s Timaeus, London 2000, S. 59-84, der meint, dass in Tim. 86b1-2 sogar letztlich alle seelischen Krankheiten auf physiologische Ursachen zurückgeführt werden. Zur Aitiologie von psychischen Krankheiten im Spannungsfeld von Leib und Seele im Timaeus vgl. auch P. Lautner, „Plato’s Account of the Diseases of the Soul in Timaeus 86B1–87B9“, in: Apeiron, 44/2011, S. 22-39; zur zunehmenden Bedeutung des Körpers für die Erklärung von akrasia im Spätwerk vgl. J. Müller, „Der Leib als Prinzip des schlechten Handelns? Die Diskussion der akrasia-Problematik bei Sokrates und Platon im Spiegel des Leib-Seele-Verhältnisses“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, 63/2009, S. 285-312. 23 Vgl. Gill (Anm. 22), S. 65: „health, both physical and psychic – and psychophysi­ cal – constitutes a kind of symmetry or structure and (...) disease derives from the disruption of this structure.“

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der Sterne und der Nachahmung von deren kreisförmigen Bahnen im eigenen Denken.24 Genau zur Ermöglichung dieser zirkulären Denkbewegung haben die Untergötter im Timaios den menschlichen Kopf rund gestaltet. Der menschliche Körper wird damit im Rahmen einer physiologischen Teleologie aber zu einer Art Mitursache (synaition), also zu einer ermöglichenden Bedingung, für die Realisierung des ethischen Telos der „Angleichung an Gott“ (Tim. 90d) und ist keineswegs ein bloßes Hindernis für die humane Vervollkommnung. Insgesamt zeigt sich die enge Interdependenz der Seele mit dem Körper schon daran, dass den drei Seelenteilen jeweils ein eigener körperlicher Sitz zugewiesen wird, wobei diese leibliche Verteilung ebenfalls funktional bestmöglich zur Realisierung der Vernunft eingerichtet ist: Der im Zwerchfell angesiedelte Mut stellt eine Art ‚Puffer‘ dar, der den im Kopf angesiedelten vernünftigen Seelenteil vor direkten Störungen der im Magen angesiedelten Begierden abschirmt.25 Dies alles bedingt dann aber zugleich eine normative Readjustierung des Verhältnisses der Seele zum Leib im Vergleich zu vielen früheren Werken. Liegt etwa im Phaidon (63d-69e) der Fokus der sokratischen „Sorge um die Seele“ v. a. auf ihrer möglichst weitgehenden Separierung und „Reinigung“ von allem Körperlichen, kann die Selbstsorge im Timaios und in den Nomoi gerade nicht mehr in der strikten Opposition von Seele und Körper konzipiert werden: Die Gesundheit der Seele ist letztlich gar nicht von der des Körpers zu trennen, insofern die Gesundheit des ganzen Menschen sich nicht bloß als Addition von Gesundheit der Seele und Gesundheit des Körpers verstehen lässt, sondern nur „ganzheitlich“ mit Blick auf die Wechselwirkung von Leib und Seele. Damit ist dann aber auch das auf Sokrates zurückgehende Grundmotiv der Selbstsorge grundlegend zu reformulieren: „Caring for the self also involves caring for the body“.26 Dem stimmen auch die Nomoi zu: Die richtige Erziehung muss „Leib

24 Vgl. Tim. 47b-e und L. Brisson, „Den Kosmos betrachten, um richtig zu leben: Timaios“, in: T. Kobusch, B. Mojsisch (Hrsg.), Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuer Forschungen, Darmstadt 1996, S. 229-248. Zur Nachahmung der göttlichen Harmonie in „sterblichen Bewegungen“ durch Töne vgl. auch Tim. 80e. 25 Vgl. Tim. 69a-72d, sowie C. Steel, „The Moral Purpose of the Human Body: A Rea­ d­ing of Timaeus 69-72“, in: Phronesis, 46/2001, S. 105-128. Zum Zusammenhang von Einkörperung und Tripartition der Seele vgl. E. N. Ostenfeld, „Self-Motion, Tripartition and Embodiment“, in: Classica et Mediaevalia, 41/1990, S. 43-49. 26 Johansen (Anm. 10), S. 107.

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und Seele möglichst schön und gut machen“ (Lg. 788c);27 gerade in der wechselseitigen Verschränkung von körperlichen und seelischen Bewegungen erweist sich die menschliche Selbstsorge dabei als eine nahezu herkuleische Aufgabe, für die Tag und Nacht kaum ausreichen (vgl. Lg. 807c-d). Für die Frage nach dem Verhältnis von Leib und Seele lässt sich damit nun auch recht präzise das tertium comparationis angeben, das eine kausale Interaktion von Seele und Körper überhaupt erst ermöglicht: Sie können vermittels ihrer Bewegungen (kinêseis) aufeinander einwirken.28 In der Übertragung und Verursachung von körperlich fundierter harmonischer Bewegung auf die Seele liegt das verbindende Moment von Wein, Tanz und Gesang (vgl. Lg. 672e-673a), das sie als erzieherische Mittel für den ganzen Menschen qualifiziert. Umgekehrt bewegt die Seele ihrerseits den Körper, so wie die Züge der Drähte die Marionette bewegen. Man kann hier also von einem kinetischen Interaktionismus im Leib-Seele-Verhältnis sprechen. Dieser Befund ist allerdings v. a. in ontologischer Perspektive noch weiter interpretationsbedürftig, wie ein Blick auf das zehnte Buch der Nomoi zeigt.

2. Ontologischer Dualismus? Selbst- und Fremdbewegung der Seele in Nomoi X Aus dem bisher Gesagten könnte man zu der Auffassung tendieren, dass Platon im Spätwerk eine Art physikalistisches Bild der Seele zeichnet, in dem sie selbst in Kategorien räumlicher Bewegung erfassbar ist und somit potenziell zu einem Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung wird. Prima facie fügen sich auch bestimmte Aussagen aus Nomoi X nahtlos in dieses Verständnis ein. In dem dort entfalteten Prooemium zum Gesetz gegen den Atheismus beschäftigt sich Platon v. a. mit der Seele als kosmischem Bewegungsprinzip und analysiert ihr Verhältnis zum Körper. Primäres Beweisziel ist die Priorität der Seele gegenüber dem Körper, die Platon wie folgt formuliert: 27 Vgl. auch Lg. 960d: Die Gesetzgebung richtet sich auf „Gesundheit und Erhaltung der Leiber ebenso wie auf Gesetzestreue und Erhaltung der Gesetze in den Seelen“. 28 Vgl. in diesem Sinne auch C. Bobonich, „Images of Irrationality“, in: Ders. (Hrsg.), (Anm. 18), S. 149-171, hier: S. 163: „Interaction is possible because what is psychic and what is material share a common property, that is, motion.“

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„Seele lenkt also alles am Himmel und auf der Erde und im Meer durch ihre eigenen Bewegungen (kinêseis), deren Namen lauten: Wollen, Erwägen, Fürsorgen, Beraten, richtiges und falsches Meinen, in Freude oder Schmerz, Mut oder Furcht, Hass oder Liebe, sowie durch alle Bewegungen, die mit diesen verwandt oder primäre Bewegungen sind und die dann ihrerseits die sekundären Bewegungen der Körper übernehmen (...).“ (Lg. 896e-897a) Alle seelischen Aktivitäten in Form von Denken, Fühlen und Wollen werden somit als kinêseis erster Ordnung beschrieben, die ihrerseits die Bewegung von Körpern als Bewegungen zweiter Ordnung verursachen – hier wird also der kinetische Interaktionismus mit der Wirkungsrichtung „Seele → Körper“ formuliert. Diese Charakterisierung seelischer Aktivitäten kongruiert wiederum mit dem Timaios, in dem ja selbst das Denken in Form zirkulärer Bewegungen beschrieben wird.29 Die generelle Priorität der Bewegungen der Seele gegenüber dem Körper liegt in den Nomoi nun in der Selbstbewegung begründet, die hier sogar zum Definitionskriterium von psychê überhaupt wird: „Was nun den Namen ‚Seele‘ trägt, wie lautet dessen Definition? Haben wir eine andere als die eben genannte: ‚die Bewegung (kinêsis), die sich selbst bewegen kann‘?“ (Lg. 895e-896a) Im Argumentationsgang von Nomoi X erfüllt diese Definition der Seele als Selbstbewegerin die Funktion, einen ursächlichen Regressus ad infinitum zu verhindern: Gäbe es nur Fremdbewegung, wie bei den Körpern, käme man nie zu einem ersten Anfang, also zu einem Prinzip von Bewegung überhaupt (vgl. Lg. 894e). Die Seele als Selbstbeweger bekleidet somit die kosmologische Funktionsstelle, die später bei Aristoteles der „unbewegte Beweger“ einnehmen wird. Nun ist die Bestimmung der Seele als selbstbewegendes Prinzip erst verhältnismäßig spät bei Platon anzutreffen; erstmalig findet sie sich im Phai­ dros, wo die Idee der Selbstbewegung zu einem Unsterblichkeitsbeweis verwendet wird.30 Signifikant ist nun, dass der athenische Fremde in Nomoi X der Seele nicht nur Selbstbewegung als Attribut oder Fähigkeit zuschreibt, sondern sie regelrecht damit identifiziert: Die Seele

29 Vgl. hierzu auch Johansen (Anm. 10), S. 90-92, und Kamtekar (Anm. 18), S. 131. 30 Vgl. Phdr. 245c-246a; vgl. hierzu auch R. Bett, „Immortality and the Nature of the Soul“, in: Phronesis, 31/1986, S. 1-26, der deshalb den Phaidros eher mit den Spätwerken als mit der mittleren Werkgruppe gruppiert.

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ist „die Bewegung, die sich selbst bewegen kann“, und d. h., dass sie ontologisch zuerst einmal selbst als kinêsis bestimmt ist.31 Diese ‚kinetische‘ Definition der Seele hat nun einige neuere Interpreten dazu veranlasst, ihr den Status als eigenständige Substanz abzusprechen und sie in einem physikalistischen Rahmen zu verorten, also die Psychologie des späten Platon gewissermaßen zu einem Teil seiner Physik zu machen. Erik Ostenfeld sieht die Seele beim späten Platon als eine immateriell gedachte Fähigkeit des belebten Körpers und rückt ihn so in die Nähe des aristotelischen Hylemorphismus.32 Die wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Annahme einer dreidimensionalen Räumlichkeit der Seele und ihrer Bewegungen.33 Während Ostenfeld damit für den späten Platon vom numerischen Substanzendualismus à la Descartes abrückt, aber zumindest noch einen attributiven Dualismus von mentalen und körperlichen Prädikaten artikuliert, geht Gabriela Roxana Carone noch einen Schritt weiter und sieht beim späten Platon letztlich eine Art Monismus am Werke. Auch hier spielt die räumliche Natur seelischer Bewegungen in Timaios und Nomoi eine zentrale Rolle, die Carone letztlich sogar dazu veranlasst, die Immaterialität der Seele in Frage zu stellen: Möglicherweise habe der späte Platon den Geist selbst als eine dreidimensionale körperliche Entität konzipiert. Auf jeden Fall folgt aus ihrer Lesart, dass die Seele in den Spätdialogen nur als ein vom Körper unabtrennbares Organisationsprinzip desselben verstanden werden kann.34 Insofern ein numerischer Substanzendualismus die unabhängige Existenz der beiden 31 Vgl. R. Demos, „Plato’s Doctrine of the Psyche as a Self-Moving Motion“, in: Journal of the History of Philosophy, 6/1968, S. 133-145, bes. 138. 32 Vgl. Ostenfeld (Anm. 8), S. 70: „Plato, in the late phase, conceived of the soul as a power (dynamis) of the body and seems in virtual agreement with Aristotle that the soul is a non-material cause (i.e. essence, efficient and final cause).” Vgl. auch ebd., S. 26f. 33 Vgl. ebd., S. 22: „In the later period the soul is definitely conceived of as spatial. It is half house between the individisible Forms and divisible phenomena in the Receptacle: the soul is in time, space, and motion, and the motion is spatial.“ Johansen (Anm. 10), S. 92, sieht das mit Blick auf den Timaios ähnlich: „[B]ody is differentiated from soul by its specific spatial attributes. (...) the motions of body and mind both fall under a general mechanics explaining the motions of extended figures (whether two- or three-dimensional) in space.“ 34 Vgl. Carone (Anm. 9), S. 227: „[T]he mind must be seen in late Plato as the principle of organization of a body and ontologically inseparable of it.“ Sie meint, dass der späte Platon damit noch über den aristotelischen Hylemorphismus hinausgehe, insofern Aristoteles in De anima 430a 22-25 zumindest noch einen Teil des nous für vom Körper abtrennbar und damit unsterblich halte.

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involvierten Substanzen voraussetzt, scheidet diese Deutung für den späten Platon folgerichtig aus. Die Crux beider Deutungen liegt nun in ihrem rein physikalistischen Verständnis des involvierten kinêsis-Begriffs als räumlicher, i. e. dreidimensionaler Bewegung.35 Platon betont zwar in Nomoi X, dass Bewegung und Ruhe immer in der chôra, also im ‚Raum‘, stattfinden (vgl. Lg. 893c) und beschreibt die verschiedenen linearen und kreisförmigen Bewegungen der Seele zuweilen in dreidimensionalen Kategorien; aber es ist unklar, ob diese Charakterisierung auch bruchlos auf die erst später diskutierte psychische Selbstbewegung übertragen werden kann.36 Im Blick auf den Timaios etwa, in dem sich ähnliche Beschreibungen seelischer Bewegungen finden, gibt es bereits in der Antike einen Dissens zwischen Galen, der die Leib-Seele-Relation körperlich fasste, und den Neuplatonikern, die sich massiv dagegen aussprachen.37 Gegen eine physikalistische Interpretation der Psyche spricht m. E. die folgende Charakterisierung von seelischen Aktivitäten in den Nomoi: „Charakterzüge, Gesinnungen, Wollen, Überlegungen, wahre Meinungen, Fürsorge und Erinnerungen wären demnach früher entstanden als Länge, Breite, Tiefe und Kraft der Körper, sofern auch die Seele älter als der Körper sei.“ (Lg. 896c-d) Der Fremde aus Athen spricht sich hiermit explizit gegen die Erfassung der Seele und ihrer Selbstbewegungen in Dimensionen körperlicher Dreidimensionalität aus; in der Reduktion der Seele auf solche Beschreibungen sieht er gerade den Kategorienfehler der Atheisten, die er widerlegen möchte. Insofern die Weltseele ‚älter‘ als der Körper ist – und das kann wohl nur heißen: zeitlich vor ihm entstanden –, ist eine monistische Zurückführung der Seele und ihrer Bewegungen auf körperliche Kategorien problematisch. Es ist bezeichnend, dass Platon in Nomoi X das genaue räumliche Zuordnungsverhältnis von Körper und Seele in ihren Interaktionen bewusst offen lässt, wie das Beispiel der kreisförmigen Sonnenbewegung zeigt: Ob die Seele nun (a) im Körper der Sonne sitzt und ihn von dort aus lenkt, oder (b) ob 35 Für eine grundlegende Kritik am Ansatz von Carone vgl. auch F. Fronterotta, „Ca­ rone on the Mind-Body-Problem in Late Plato“, in: Archiv für Geschichte der Phi­ losophie, 89/2007, S. 231-236. 36 Vgl. hierzu auch die Überlegungen bei H.-U. Baumgarten, Handlungstheorie bei Platon. Platon auf dem Weg zum Willen, Stuttgart, Weimar 1998, S. 198-208. 37 Vgl. R. Sorabji, „The Mind-Body Relation in the Wake of Plato’s Timaeus“, in: G. Reydams-Schils (Hrsg.), Plato’s Timaeus as Cultural Icon, Notre Dame 2003, S. 152-162.

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sie dies von außen über die Einwirkung von Elementen tut, oder (c) ob sie „irgendwelche sonstigen über die Maßen wunderbaren Kräfte besitzt“, mit denen sie den Sonnenkörper in der Kreisbahn bewegt, wird nicht eindeutig entschieden.38 Insgesamt ist der kinêsis-Begriff in seiner ursächlichen Funktion in Nomoi X selbst in Bezug auf Fremdbewegungen zu weit gefasst, um auf räumliche Bewegungen eingeschränkt zu werden; er umfasst vielmehr unterschiedlichen Arten von Veränderung im Bereich des Werdens, wie z. B. auch qualitative Veränderungen, die zwar alle in irgendeiner Form „im Raum“ (en chôra) stattfinden, deshalb aber nicht unbedingt durchgängig im Sinne einer Ortsbewegung im dreidimensionalen Raum aufzufassen sind. Platons Hinweis, dass die kausale Priorität der Seele und ihrer Selbstbewegung ein zeitliches Vorangehen einschließt (vgl. Lg. 896bc), insofern die Seele eben ‚älter‘ ist als der Körper, wirft nun auch Licht auf die zweite Teilbehauptung von Ostenfeld und Carone, nämlich dass die Seele ontologisch gar nicht vom Körper abtrennbar ist. Wie sollte sie dann temporal vor dem Körper überhaupt existiert haben? Dies wird aber im Timaios sowohl für die Weltseele im Verhältnis zum Weltkörper behauptet als auch für die individuellen Seelen, die den Körpern durch die Untergötter ‚eingepflanzt‘ werden.39 Die gesamte Stoßrichtung der Argumentation in Nomoi X richtet sich gegen eine Form des physikalistischen Atheismus, der im Stile bestimmter vorsokratischer Modelle allein der materiellen Welt eine unabgeleitete Realität zuspricht und den Geist bzw. die Seele als eine bloß davon abhängige und gewissermaßen sekundäre Form von Wirklichkeit charakterisiert. Der grundsätzliche Irrtum der Atheisten ist dabei gerade, dass sie die Seele für ‚jünger‘ als den Körper halten.40 Demgegenüber versucht der Fremde aus Athen gerade zu zeigen, dass die Seele „ganz besonders von Natur ist“ (Lg. 892c), insofern ihre Bewegung eine kausal unabhängige ist, von der umgekehrt die Bewegung der materiellen Welt abhängt. Diese Umkehrung der kausalen Blickrichtung erfordert aber zwingend eine vom Körper unabhängige Existenz der Seele als erstes Bewegungsprinzip.

38 Vgl. Lg. 898e-899a. Aus der Stelle geht zumindest hervor, dass bei „uns“ (also bei Menschen oder Lebewesen) die Seele im Körper sitzt und ihn von dort aus bewegt. Robinson (Anm. 7), S. 154f., liest diese Passage als Beleg für die Dreidimensionalität der seelischen Bewegung. 39 Vgl. Tim. 34b-c, wo die Seele im Vergleich zum Körper als ‚früher‘ beschrieben wird. 40 Vgl. hierzu auch Lg. 966d-967d.

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Ein ebenso starkes Argument für die grundsätzliche ontologische Separabilität der Seele vom Körper findet sich in Nomoi X auch in den eschatologischen Aussagen zum Schicksal der menschlichen Seele nach dem Tod. Diese soll vor Gott Rechenschaft ablegen (Lg. 959b), eine Besserung erfahren (Lg. 727d) und zuletzt den Ort ihres nächsten irdischen Aufenthaltes zugewiesen erhalten (Lg. 904d-e). Die Unsterblichkeit der Seele wird in den Nomoi zwar nicht explizit bewiesen, wird aber in den im Mythos in Buch X (903-905d) geschilderten Reinkarnationen erkennbar vorausgesetzt.41 Die diesem Prozess zugrunde liegende Idee der Metempsychose, die Platon auch in vielen anderen Jenseitsmythen vorträgt, hat wohl zur wesentlichen Voraussetzung die Fähigkeit der Seele, zwischen den Wiedereinkörperungen auch abgetrennt von jeder Art von Körper existieren zu können. Ganz in diesem Sinne erklärt der Fremde aus Athen im Übereinklang mit populären Vorstellungen, man müsse die Verstorbenen auch nach ihrem Ableben noch ehren und fürchten, denn deren Seelen besäßen weiterhin „eine gewisse Kraft, durch die sie an dem, was unter den Menschen geschieht, Anteil nehmen“ (Lg. 927a). Das wirkliche Schicksal der Seele ist jedenfalls das jenseitige, wie auch die eher restriktiven Bestattungsregularien erkennen lassen (Lg. 959c). Die Eschatologie in Nomoi X hat zwar in ihrem weitgehenden Verzicht auf mythologische Ausschmückungen einen manchmal schon fast ‚wissenschaftlich‘ anmutenden Charakter, v. a. insofern das Schicksal der Seele primär durch räumliche Metaphern und Ortsbewegungen beschrieben wird; in der Summe liegt hier aber doch eine erkennbare Kontinuität mit den früheren Jenseitsmythen im Corpus Platonicum vor, die alle zumindest die Voraussetzung der ontologischen Separabilität der Seele als Träger personaler Identität vom Körper teilen.42 41 Zur Unsterblichkeit der Seele in den Nomoi vgl. auch Sharafat (Anm. 11), S. 53-57. 42 Vgl. hierzu auch die Analysen von R. Stalley, „Myth and Eschatology in the Laws“, in: C. Partenie (Hrsg.), Plato’s Myths, Cambridge 2009, S. 187-205, der sich gegen Saunders’ Auffassung wendet, in den Nomoi liege gegenüber früheren Werken eine stark veränderte Jenseitsvorstellung („scientific account“) vor, insofern die Momente von Gericht und Bestrafung in den Hintergrund träten. Stalley weist demgegenüber die Kontinuitäten überzeugend nach und stellt lediglich einen Unterschied in der moralischen Botschaft heraus: Während die anderen Mythen bei Platon den Leser zum philosophischen Leben motivieren sollen, fordert der Mythos in den Nomoi bloß dazu auf, ein im konventionellen Sinne gerechtes Leben zu führen, das sich an die Gesetze des Staates hält. Hier liegt erkennbar eine „staatspolitische“ Funktionalisierung vor, die sich nicht zuletzt in den primär abschreckenden Beispielen der Wiedereinkörperung von Gesetzesbrechern spiegelt: Man erfährt im späteren

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Nimmt man diese Befunde aus Nomoi X zusammen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Seele als etwas eigenständig Existentes verstanden wird, eben als Substanz (ousia), wie sie hier auch explizit charakterisiert wird: „[Kleinias:] ‚Sich selbst zu bewegen‘, behauptest Du, komme als Definition demselben Seienden (ousia) zu, dem auch der Name zukommt, mit dem wir alle es als ‚Seele‘ bezeichnen? [Athener:] Das behaupte ich.“ (Lg. 896a) Natürlich ist hier noch nicht avant la lettre die terminologische Unterscheidung von Substanz und Akzidenz im Sinne der aristotelischen Kategorienschrift im Spiel, aber in der Sache scheint klar, dass Selbstbewegung als charakteristische Tätigkeit einer seelischen Substanz zu verstehen ist. Im Unterschied zum Phaidros, in dem mit der Selbstbewegung auch die Ewigkeit, und d. h.: die Unentstandenheit der Seele korres­ pondiert, wird die psychê in Nomoi X explizit als entstanden (d. h. nicht als ewig) bezeichnet; hier decken sich die Nomoi mit dem Timai­ os, in dem die Vernunftseele ja auch erst vom Demiurgen aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt wird. Ihr ontologischer Status ist aber dennoch der einer Unzerstörbarkeit. Der athenische Fremde bekräftigt ausdrücklich, „dass Seele und Körper, sobald sie einmal entstanden sind, etwas Unzerstörbares, aber nichts Ewiges wie die nach dem Gesetz seienden Götter sind – eine Entstehung von Lebewesen wäre niemals möglich, wenn eines von jenen beiden zugrunde ginge“ (Lg. 904a). Diese Aussage überrascht im Blick auf die Seele vor dem Hintergrund der im eschatologischen Mythos vorausgesetzten Unsterblichkeit nicht, wohl aber im Blick auf den ontologischen Status des Körpers. Auch wenn Platon bereits im Phaidon (80c-d) den toten Körpern nach der Trennung von der Seele noch eine gewisse Dauerhaftigkeit zugesprochen hatte, dürfte ihm der Zerfall bzw. die Auflösung von Leichnamen kaum entgangen sein. Gemeint ist hier wohl, dass die vier Elemente als Basis für jede Konstitution von neuen Körpern sich nach dem Tod des Individuums nicht auflösen bzw. nicht komplett verschwinden. Ansonsten wäre auch der natürliche Kreislauf von Lebewesen unter- bzw. abgebrochen, auf den die körperlichen Lebewesen durch Reproduktion zielen. Unsterblichkeit kommt dann aber nur der Gattung zu. Anders ausgedrückt: Nicht der individuelle Leben genau das, was man vorher einem anderen angetan hat (Lg. 870d-e); der Muttermörder wird als Frau wiedergeboren, um dasselbe Schicksal selbst zu erleiden (Lg. 872e). Eine Transmigration in nicht-menschliche Körper (wie im Phaidon und im Timaios) wird hingegen nicht erwähnt.

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Körper, sondern die anonyme Materie ist in den Nomoi unzerstörbar.43 Man könnte in diesem Bereich also eher von einem soul-matter-dualism sprechen als von einem Leib-Seele-Dualismus. In Sachen Substanzendualismus kann man vor dem Hintergrund der kausalen Priorität der Seele in Nomoi X somit ernsthaft in Zweifel ziehen, ob die Rede von der ontologischen Eigenständigkeit des Körpers vollständig aufrecht erhalten werden kann. Selbst die Materie in Form der vier Elemente scheint als Fremdbewegtes jedenfalls erst durch die Seele und ihre auf Selbstbewegung beruhenden Aktivitäten zu einem körperlich tätigen Organismus gemacht zu werden, insofern die Seele sie belebt.44 Für eine Selbstorganisation der Materie lassen die Überlegungen in Nomoi X also keinen Raum. Ein deutlicher Unterschied zu Descartes liegt damit jedenfalls darin, dass die Seele im Gegensatz zur cartesianischen res cogitans bei Platon auch als fundamentales Lebensprinzip des Menschen konzipiert ist, ohne welches der Körper bloß ein untätiger „Fleischklumpen“ (Lg. 959c) ist.45 Von der Seele als einem ghost in the machine (G. Ryle) eines mechanistisch konzipierten Körpers kann beim späten Platon also nicht gesprochen werden. Extrapoliert man diese Befunde in anthropologischer Absicht auf die Frage nach dem Leib-Seele-Dualismus im Menschen, fällt die platonische Antwort in Nomoi X jedenfalls recht eindeutig aus. Die menschliche Seele verdankt ihr Leben bzw. ihre Tätigkeit ursächlich sich selbst, während der Körper ursprünglich von ihr bewegt ist. Dies schließt keineswegs eine beiderseitige kausale Interaktion zu einem späteren Zeitpunkt aus, wie wir ja oben in Teil 1 gesehen haben. Platon behauptet auch nicht, dass die menschliche Seele in allen ihren Tätigkeiten immer nur selbstbewegt ist, sondern lässt gerade Raum für die Formung der Seele durch körperliche Bewegungen. Die Seele des Menschen ist also mal selbst- und mal fremdbewegt, nämlich vom Körper bzw. von äußeren Einflüssen, die über den Körper und seine Organe zu ihr dringen. Der Körper hingegen ist grundsätzlich 43 Zum ontologischen Status des Körpers vgl. auch die Überlegungen bei Sharafat (Anm. 11), S. 21-25. 44 Zum Zusammenhang von Leben und Selbstbewegung vgl. auch Lg. 895c und Sha­ rafat (Anm. 11), S. 13-19. 45 Zu generellen Unterschieden Platons zum cartesianischen Substanzendualismus, die teilweise auch schon für den Phaidon greifen, vgl. S. Broadie, „Soul and Body in Plato and Descartes“, in: Proceedings of the Aristotelian Society, 101/2001, S. 295308.

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fremd- und nie selbstbewegt. Ein vollwertiger Dualismus zweier unabhängiger Substanzen liegt hier also nicht vor. Insofern in den Nomoi der ontologische Status einer Sache wesentlich über ihre Bewegung bestimmt ist (Lg. 804a), besteht vielmehr eine gewisse Asymmetrie: Der Körper hängt in seiner Existenz von der Seele ab – was umgekehrt gerade nicht gilt –, und hat in diesem Sinne nur einen reduzierten substantiellen Status.46 Diese ontologische Ungleichheit von Körper und Seele deutet Platon dann auch ethisch aus, nämlich in Kategorien einer „naturgemäßen Herrschaft“ der Seele über den Körper (Lg. 896b; 967d). Von hier aus lässt sich der Bogen zur Frage nach dem ethischen Dualismus von Körper und Seele spannen.

3. Zwischen Gott und Mensch: Ethischer Dualismus? Betrachtet man die in den Nomoi präsentierte materiale Güterlehre, fällt auf, dass Platon recht konsequent mit einer Dreigliederung von äußeren, körperlichen und seelischen Gütern operiert.47 Diese sieht er in einem teleologischen Zusammenhang, d. h. die äußeren Güter (wie Nahrung oder Geld) sollen auf die körperlichen Güter hingeordnet werden, die ihrerseits um der seelischen Güter willen zu erstreben sind. Damit wird klar artikuliert, dass die beiden unteren Gütergruppen, also die äußerlichen und die körperlichen Güter keinen unkonditionalen Güterstatus haben, sondern vielmehr „abhängige Güter“ (dependent goods: C. Bobonich) sind, deren Gutheit letztlich von ihrem richtigen Gebrauch durch die Seele abhängt.48 Das bedeutet nun aber keineswegs, dass sie einen ausschließlich instrumentellen Wert haben: Platon vertritt in den Nomoi in Sachen Glück durchaus eine inklusivistische Position, bei der letztlich Güter aller drei Klassen vorhanden sein müssen, um von einem glücklichen menschlichen Leben sprechen zu können.49 Dies entspricht weitgehend dem psychophysischen Verständnis von Gesundheit, wie es oben in Teil 1 charakterisiert worden ist: Menschliche Gesundheit entsteht durch und ist wesenhaft 46 In diesem Sinne vgl. auch Ostenfeld (Anm. 8), S. 22. 47 Vgl. zum Folgenden v. a. Lg. 631b-632a; 661a-d; 726a-727a; 728d-e; 743d-744a; 870b-c. 48 Zur dependency thesis vgl. Bobonich (Anm. 14), S. 31-34 und S. 123-127 (speziell zu den Nomoi). 49 Vgl. v. a. Lg. 734d-e. Ähnlich auch schon: Euthd. 278e-282e.

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realisiert in einem richtigen Verhältnis körperlicher und seelischer Bewegungen. Deren Zusammenspiel ist nicht bloß additiv zu begreifen, sondern im Sinne einer aufeinander abgestimmten inneren Proportion und harmonischen Ordnung: Menschliche Gesundheit ist nicht körperliche Gesundheit plus seelische Gesundheit (so als wären dies zwei voneinander grundsätzlich separierbare Größen); ganz in diesem Sinne ist menschliches Glück nicht bloß ein Konglomerat von seelischen, körperlichen und äußerlichen Gütern, sondern ein wohlgeordnetes Ganzes aus diesen drei Komponenten. Dementsprechend legt Platon in den Nomoi Wert darauf, dass auch die Güter der beiden niedrigeren Klassen im neu zu gründenden Staat hinreichend geschützt werden: Im Hinblick auf körperliche Güter zeigt sich dies v. a. in den verschiedenen strafrechtlichen Bestimmungen, die sich gegen Körperverletzung und andere Delikte richten.50 Leibliche Funktionalität und auch das physische Leben des Bürgers an sich sind unverkennbar ‚Schutzgüter‘, denen die Gesetze somit normative Anerkennung zollen. Und auch wenn Platon der Einführung einer umfassenden Geldwirtschaft in den Nomoi weiterhin mit einer gewissen Reserve begegnet, ist im Blick auf die materiellen bzw. äußerlichen Besitztümer der Bürger keine Rede mehr vom ‚Kommunismus‘ der Wächter, d. h. vom Verzicht auf jeglichen Privatbesitz, im Stile der Politeia. Der leitende Gedanke in der Güterlehre ist somit nicht der asketische Verzicht auf äußerliche und körperliche Güter, wohl aber deren Limitation auf das der Seele und ihren Gütern zuträgliche Maß, das oft in einer aristotelisch anmutenden Mitte zwischen den Extremen angesiedelt wird. Die Gymnastik soll die Bürger also nicht allesamt in olympische Athleten verwandeln, sondern ihnen ein ‚gesundes‘ Maß an körperlicher Fitness verschaffen, das auf der Ebene der kinetischen Interaktion auch positiv auf die Seelenströme zurückwirkt. Der Pflege des Körpers ist dementsprechend ein angemessener, also weder zu geringer noch zu großer Raum beizumessen; die körperlich fundierten seelischen Begierden wie Essen, Trinken und Sexualtrieb (vgl. Lg. 782e; 831e; 839a) sind also nicht zu unterdrücken, sondern in Maßen zu halten. Vergleichsweise rigoros verfährt Platon in Bezug auf die limitierende Beschneidung der äußerlichen Güter, insofern er hier bei den Menschen eine maßlose bzw. exzessive Tendenz diagnostiziert.51 Pleonexia, d. h. unbändiges Mehr-haben-wollen, ist die Quelle al50 Vgl. hierzu Lg. 871a-879b sowie Sharafat (Anm. 11), S. 26-28. 51 Vgl. z. B. die tendenziell ‚anti-kapitalistischen‘ Regelungen in Lg. 743c-e.

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ler Disharmonie (diaphônia), sowohl innerhalb des Staates als auch innerhalb der Seele des einzelnen Menschen, und muss deshalb nachhaltig bekämpft werden: Übermaß oder Mangel an äußeren Gütern sind eine stetig sprudelnde Quelle für alle Formen von seelischer und staatlicher Korruption (Lg. 728e-729a). Das ist keine rein empirische Erkenntnis eines im Alter zur Misanthropie neigenden Philosophen, sondern korrespondiert der im platonischen Spätwerk vorherrschenden Unterscheidung zweier Arten von natürlichen Strebungen im Menschen: der körperlichen Begierde nach Nahrung und der seelischen Begierde nach Einsicht (vgl. Tim. 88a-b). Diese sind zwar nicht als strikter Antagonismus zu konzipieren, wie die Ausführungen zur inklusivistischen Güterlehre oben gezeigt haben, aber die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung zu Ungunsten der anderen Güter kommt hier offensichtlich weniger ‚von oben‘ (im Sinne einer das Äußerliche oder Körperliche total vernachlässigenden philosophischen vita contemplativa), sondern primär ‚von unten‘. Die Grenze zwischen körperlichen und seelischen Gütern des Menschen ist in den Nomoi aber ohnehin porös, wie v. a. die vermehrten Diskussionen über Lust und Schmerz zeigen. Denn diese beiden Zustände werden als Affektionen betrachtet, welche die menschliche Seele gerade insofern hat, als sie mit einem Körper verbunden ist: Lust und Schmerzzustände sind in den Nomoi als psychophysische Phänomene bestimmt, was seinen Ausdruck nicht zuletzt darin findet, dass sie wesentlich als kinetische Erscheinungen gefasst werden52 und sich damit bruchlos in das in Teil 1 entwickelte Schema seelisch-körperlicher Interaktion einfügen. Sie sind „wesenhaft menschlich“ (Lg. 732d-733a), und zwar nicht zuletzt, insofern sie die beiden für die menschlichen Handlungen motivational unverzichtbaren „Quellen der Natur“ (Lg. 636d) sind, an denen „zwangsläufig jedes sterbliche Wesen geradezu wie festgebunden und aufgehängt ist mit seinen stärksten Neigungen“ (Lg. 732e). Dies entspricht auch der Charakterisierung der verschiedenen Drähte der menschlichen Puppe im Marionettengleichnis (s. o. Teil 1): Die auf Lust und Unlust gepolten ‚Affektdrähte‘ werden als ‚eisern‘ charakterisiert, insofern sie über eine besonders nachhaltige kausale Zugkraft verfügen, der gegenüber der ‚goldene Draht‘ der Überlegung als ‚weich‘, und d. h. weniger zugkräftig erscheint. 52 Vgl. hierzu Frede (Anm. 12), bes. S. 109-111, die betont, dass damit ein gewisser ‚Rückschritt‘ gegenüber dem Philebos vorliegt, in dem auch nicht-kinetische Formen von Lust (z. B. geistige Genüsse der Kontemplation) angedacht werden.

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Mit dieser Kennzeichnung ist wohl so etwas wie ein psychologischer Hedonismus gemeint, wie die Ausführungen zur Wahl der verschiedenen Lebensformen in Nomoi V bezeugen: Hier wird im Rahmen einer hedonistisch orientierten Präferenzwahl die Überlegenheit von vier guten Lebensformen gegenüber ihren schlechten Pendants explizit ausgewiesen, und zwar mit der Begründung, dass letztlich unsere Wahl der Lebensformen „naturgemäß“ an die abwägende Kalkulation von Lust- und Schmerzempfindungen gebunden ist.53 Wer hingegen behauptet, „dass wir noch irgend etwas anderes außer diesen wollen“, sagt dies letztlich „aus mangelnder Kenntnis (agnoia) und mangelnder Vertrautheit (apeiria) mit den wirklichen Lebensformen“ (Lg. 733d). Deshalb verwundert es auch nicht, dass Platon der Erkenntnis dieser Zustände von Lust und Schmerz eine zentrale Bedeutung für das gesetzgeberische Projekt der Nomoi insgesamt zukommen lässt.54 Ein psychologischer bzw. motivationaler Hedonismus ist allerdings noch nicht mit einem normativen Hedonismus gleichzusetzen. Es mangelt in den Nomoi auch nicht an Passagen, in denen das Risiko, das von den psychophysischen Affekten für eine rationale Lebensführung ausgeht, beschrieben wird. Affekte entstehen ja erst einmal, wie im Timaios beschrieben, durch die Verwirrung der geregelten Umläufe der Vernunftseele infolge der Einkörperung und weisen somit ein nicht zu unterschätzendes Störpotenzial für die rationale psychische Ordnung auf. Aufgrund ihrer kausalen Stärke können Affekte, die vom vernünftigen Urteil abweichen, z. B. willensschwache Handlungen verursachen, bei denen der Akteur nicht das tut, was er für das Beste hält. Gerade in den Nomoi wird im Vergleich zum sokratischen Frühwerk Platons eine solche Form von Unbeherrschtheit (akrateia) als eine distinkte Quelle schlechten Handelns neben der Unwissenheit

53 Vgl. v. a. die Passage Lg. 733a-c, in der sozusagen avant la lettre die Grundprinzipien eines hedonistisch orientierten rational-choice-Kalküls beschrieben sind, allerdings nicht im Sinne einer situativen Präferenzwahl zwischen verschiedenen konkurrierenden Gütern, sondern als Wahl der Lebensform. Vgl. auch Lg. 792d-793a zur rechten Mitte zwischen Lust und Schmerz als Lebensziel. Zur Rolle der Lust in den Nomoi vgl. H. Görgemanns, Beiträge zur Interpretation von Platons Nomoi, München 1960, S. 165-193, sowie R. Stalley, An Introduction to Plato’s Laws, Indianapolis 1983, S. 59-70. 54 „Wenn aber Menschen über Gesetze eine eingehendere Betrachtung anstellen, dann gilt fast die ganze Betrachtung den Lust- und Schmerzgefühlen in den Städten wie in den Gemütern der Einzelnen“ (Lg. 636d). Zur Bedeutung der Affektpsychologie für den Staatsmann vgl. auch Lg. 650b u. 652a.

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etabliert.55 Im akratischen Handeln liegt dann eine Trennung bzw. eine Disharmonie (diaphônia) affektiver Motivation und rationaler Evaluation vor, die Platon natürlich negativ bewertet: Man ist „schwächer als man selbst“, insofern die Vernunft den Begierden unterlegen ist, was natürlich gegen die in den Nomoi unverkennbare normative Stoßrichtung der vernunftorientierten Lebensführung geht.56 Die Gesetze wollen ja gerade eine möglichst pervasive „Verteilung der Vernunft“ (Lg. 714a) erreichen, die sich dann auch im Leben der einzelnen Bürger niederschlagen bzw. abbilden soll. Die Vernunft ist dabei für die Götter selbst etwas Göttliches (vgl. Lg. 897b) und somit ein kosmisch insgesamt verbindlicher normativer Maßstab. Nicht nur zwischen äußeren, körperlichen und seelischen Gütern, sondern auch bei den verschiedenen seelischen Gütern gibt es also eine Hierarchie, die in der rationalen Werthaftigkeit der jeweiligen Tätigkeiten begründet liegt. Hier steht unverkennbar die Vernunft als „das Göttliche in uns“57 an der Spitze der normativen Pyramide, auch insofern Platon im dezidierten Widerspruch zum homo-mensura-Satz des Protagoras nicht den Menschen, sondern Gott zum Maß aller Dinge erhebt (vgl. Lg. 716c): Oberhalb der seelischen Güter stehen die göttlichen, auf die ihrerseits noch einmal alles auszurichten ist. Damit ist ein für die Anthropologie der Nomoi bedeutsamer Kontrast angesprochen, der eigentlich vom ersten Satz an aufgebaut wird, nämlich der zwischen Mensch und Gott,58 oder, präziser gesagt: zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen. Diese Juxtaposition konnotiert mit der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen: Die menschliche Natur ist dadurch sterblich, dass sie beim Tod, d. h. bei der Trennung von Körper und Seele vergeht, während das Göttliche gerade als das Ewige und Unsterbliche bestimmt wird. Die „Naturgabe der Unsterblichkeit“ hat der Mensch

55 Vgl. J. Müller, „Der Mensch als Marionette: Psychologie und Handlungstheorie“, in: C. Horn (Hrsg.), Platon: Nomoi, Berlin 2013, S. 25-46. 56 Vgl. die falsche Prioritätensetzung im Bereich von Lust und Schmerz, die auf eine Entehrung der Seele hinausläuft, insofern sie auf der falschen Ansicht beruht, dass der Leib mehr verdiene als die Seele (vgl. Lg. 727d). 57 Vgl. Tim. 90c: theion en hêmin. Zum „Göttlichsten, was wir besitzen“ und dessen Ansiedlung im Kopf vgl. auch Tim. 73a und 76b. 58 Vgl. den Textbeginn der Nomoi (Lg. 624a): „Gott oder irgendein Mensch ...?“. Zur Anthropologie der Nomoi im Spiegel der Differenz von Menschlichem und Göttlichem vgl. A. Laks, Médiation et coercition. Pour une lecture des Lois de Platon, Villeneuve d’Ascq 2005, S. 45-49.

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als leibseelisches Wesen nur auf der Ebene der Artnatur, nämlich durch die Möglichkeit der kontinuierlichen Zeugung von Nachkommen (vgl. Lg. 721b-c). Dem Menschen wird allerdings eine besondere Nähe und Affinität zum Göttlichen zugeschrieben, und zwar nicht erst nach der Trennung der unsterblichen Seele vom Leib nach dem physischen Tod. In der Ansprache an die Siedler in Buch V wird die Seele des Menschen als sein allereigenster Besitz (oikeiotaton) gerade als das Göttlichste bezeichnet (vgl. Lg. 726a). Der Mensch ist just aus diesem Grund von allen Wesen das gottesfürchtigste (vgl. Lg. 902c), und seine privilegierte Sonderstellung gegenüber dem Göttlichen kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass im Marionettengleichnis und andernorts bei der Verwendung dieses Bildes letztlich Gott als Puppenspieler erscheint.59 Das wirkt zwar zuerst einmal wie eine Herabsetzung des menschlichen Geschlechts, betont aber zugleich auch die Fürsorge der Götter für die Menschen, an welche die Atheisten ja gerade nicht glauben wollen (vgl. Lg. 900c-903b). Wichtig ist nun, dass der anthropologische Kontrast von Menschlichkeit und Göttlichkeit in den Nomoi nicht primär als externe Abgrenzung ‚nach oben‘, sondern eher als interne Differenz im Menschen selbst angelegt ist. Wie wirkt er sich nun im Blick auf den von Landmann und vielen anderen diagnostizierten ‚ethischen Dualismus‘ aus? Zwei Beobachtungen erscheinen mir zentral: [1] Trotz ihrer prima facie schwer überbrückbaren Differenz zum Göttlichen, die v. a. auf dem Gegensatz von sterblichem Leib und unsterblicher Natur beruht, kommen die körperlich fundierten Affekte in den Nomoi keineswegs durchgängig negativ weg.60 Vor allem im Rahmen der moralischen Erziehung wird ihnen eine höchst konstruktive Rolle zugeschrieben: Sie sind nicht vollständig vom sittlich Schönen und Guten getrennt oder ihm gar in feindlichem Antagonismus gegenübergestellt, wie der Fremde aus Athen eigens betont: „Ich be59 Zum Menschen als thauma der Götter vgl. Lg. 644d; 803c; 804a-b. Damit soll wohl die individuelle menschliche Freiheit in der Lebens- und Handlungswahl nicht eingeschränkt werden; vgl. Lg. 904b-c, wo die Verantwortung des einzelnen Menschen für seine charakterliche Beschaffenheit betont wird. Zur positiven Lesart von thauma als „Wunderwerk“ (anstatt „Marionette“) bei Ficino, die ihren Ursprung in neuplatonischen Interpretationen hat, vgl. A. Laks, „Marionnette ou miracle? Une note sur l’interprétation ficinienne d’un passage des Lois de Platon (I, 644c1645c8)“, in: L. Boulègue, C. Lévy (Hrsg.), Hédonismes. Penser et dire le plaisir dans l’Antiquité et à la Renaissance, Villeneuve d’Ascq 2007, S. 255-260. 60 Wie etwa noch in Tim. 69d.

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haupte also: Bei Kindern ist die erste kindliche Empfindung Lust und Schmerz, und das sind die Gestalten, unter denen sich Tugend und Schlechtigkeit erstmals in den Seelen einstellen“ (Lg. 653a).61 Gerade im präreflexiven Entwicklungsstadium ist deshalb der Rekurs auf affektive Gewöhnungsprozesse zur Vorbereitung auf den Erwerb sittlicher Tugenden nahezu unverzichtbar. Grundlegend ist hier die Erziehung zur Mäßigung (sophrôsynê) bzw. Selbstkontrolle. Im zweiten Buch der Nomoi steht hierbei der Versuch einer Harmonisierung (symphônia) von Affekten und vernünftiger Überlegung im Vordergrund, die v. a. durch eine schon frühkindlich praktizierte éducation sentimentale erreicht werden soll. In Anerkennung des psychologischen Hedonismus, d. h. der basalen Handlungsorientierung an Lustund Schmerzzuständen, geht es hier primär darum, dass bereits Kinder an den richtigen Dingen Lust und Freude (bzw. Schmerz) empfinden.62 Dies wird dann, wie in Teil 1 gesehen, wesentlich über eine gymnastische und musische Erziehung erreicht, bei der dem Kind geordnete Bewegungen mitgeteilt werden, die dann auch die kinetischen Aktivitäten seiner Seele gewissermaßen auf die richtige Bahn bringen. Dieser Ansatz hat einen erkennbar prophylaktischen Charakter, insofern man nicht das Verhalten im Falle des bereits vorhandenen inneren Konflikts trainiert, sondern versucht, solche inneren Zerreißproben gar nicht erst aufkommen zu lassen, und zwar indem die hedonistische Handlungsorientierung von vorneherein auf die angemessenen Ziele hingelenkt wird: Die Seele soll damit schon im präreflexiven Zustand durch „richtige Heranbildung dieser Schmerz- und Lustgefühle“ (Lg. 653c) daran gewöhnt werden, nicht mit der Vernunft bzw. dem Gesetz in Widerspruch zu geraten. Der Weise (sophos) ist schließlich dadurch gekennzeichnet, dass bei ihm „Lust- und Schmerzgefühle mit den richtigen Vernunftgrundsätzen (orthois logois) in Übereinklang stehen (symphônous)“ (Lg. 696c). Moralerziehung und Gesetze zielen somit v. a. auf die Affekte und die mit ihnen verbundene motivationale Ausrichtung des Akteurs ab. Das wesentliche Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist eine schon möglichst früh zu initiierende Habitualisierung des Akteurs: „Denn am wirksamsten wurzelt sich bei allen gerade 61 Vgl. Bobonich (Anm. 14), S. 360-373, der in den Lustempfindungen in den Nomoi bereits eine „dim awareness of fineness and goodness“ (S. 364) am Werk sieht. Vgl. auch Kamtekar (Anm. 18), S. 146f., zu „orderly movement as the first rung on a ladder of instances of order on which virtue is a higher rung“. 62 Vgl. hierzu auch L. Mouze, Le législateur et le poète, Lille 2005, S. 149-191.

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zu dieser Zeit [i.e. in der Kindheit] die gesamte Gemütsart durch Gewöhnung ein (pan êthos dia ethos)“, wobei hier generell auf die „Mitte“ (meson) in dem auf Lust- und Schmerzempfindungen basierenden Streben des (heranwachsenden) Akteurs zu achten ist (Lg. 792d-e; vgl. auch Lg. 653b-c). Ultimatives Ziel ist dann die Übereinstimmung von Affekt und Vernunft, die allerdings stets nur eine fragile Balance bildet (s. u. Punkt [2]). Das klingt alles kaum noch nach einem moralischen Intellektualismus sokratischer Prägung, der auf Tugendwissen basiert, sondern lässt sich in Wortlaut und Stoßrichtung eher mit der aristotelischen Vorstellung von Erziehung zur charakterlichen Tugend qua Habitualisierung (ethismos) der Affekte vergleichen.63 Die Pointe ist hierbei, dass Platon diese durch sittliche Erziehung zu realisierende Harmonie von körpergebundenen Gefühlen und Vernunft sogar letztlich in Kategorien der Gottähnlichkeit, also im Blick auf die vom Menschen angestrebte homoiôsis theô beschreibt: Der Besonnene ist dem Gott lieb, insofern er ihm ähnlich ist, der Unbesonnene ist ihm hingegen gerade durch seine Zerrissenheit von Affekt und Rationalität fremd (vgl. Lg. 716c-d). Es gibt also durchaus eine Art von Kontinuität zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen bzw. dem Lustvollen und dem sittlich Guten und Schönen im Menschen, auf deren Basis eine progressive éducation sentimentale zur Tugend hin erfolgen kann.64 [2] Die Tugenden selbst in ihrer höchsten Ausformung werden von Platon als wahrhaft ‚göttliche Güter‘ beschrieben. Allerdings lassen die Ausführungen in den Nomoi Zweifel daran aufkommen, inwiefern sterbliche Menschen in ihrem Dasein diese sittliche Höchststufe überhaupt erklimmen können. Der menschlichen Natur scheint gerade in ihrer leibseelischen Konstitution eine Art Schwäche eingeschrieben zu sein, die selbst die Besten nicht überwinden können. Diese zeigt sich v. a. in der Ausübung der Herrschaft im Staat: Keine sterbliche Seele ist in der Lage, eine unumschränkte Machtstellung auszuüben, ohne letztlich doch von einer Divergenz zwischen affektiver Motivation und moralischer Evaluation erfasst zu werden (Lg. 691c-d), die sie schließlich dazu bringt, aus Eigenliebe gegen das von ihm eigentlich zu besor-

63 Vgl. hierzu schon E. R. Dodds, The Greeks and the Irrational, Berkeley 1951, Kap. 7. 64 Ganz in diesem Sinne betont Platon, dass zwischen das sittlich beste und das lust­ volle Leben kein Keil getrieben werden kann; vgl. Lg. 733d-734d.

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gende kollektive Interesse zu handeln.65 Gegen pleonexia und Willensschwäche sind somit noch nicht einmal die besten Menschen gefeit, jedenfalls nicht, solange sie noch im sterblichen Gewand des Körpers weilen. Aus dieser grundsätzlichen Korruptibilität des Menschen zieht Platon dann seine Konsequenzen. Auch wenn in den Nomoi noch ein ferner Widerhall des Philosophenkönigssatzes erklingt (vgl. Lg. 711e712a), verhindert die beschriebene konstitutive Schwäche der menschlichen Natur66 eine ideale Herrschaft von Menschen über Menschen; deswegen wurden der Sage nach ursprünglich Götter zu Herrschern eingesetzt (vgl. Lg. 713c-d): Dieser Mythos hat zumindest den wahren Kern, „dass es für alle Staaten, über die nicht ein Gott, sondern irgendein Sterblicher herrscht, kein Entrinnen vor Unheil und Leiden gibt“ (Lg. 713e). Deshalb operiert Platon in den Nomoi mit einem recht umfassenden System von institutionellen checks and balances, um eine zu große Machtkonzentration einzelner zu verhindern, und präferiert insgesamt die unpersonale Herrschaft als besseres Arrangement: Das Gesetz steht in seiner Vernünftigkeit letztlich über allen Parteiungen und persönlichen Interessen; jeder menschliche Herrscher im Staat sollte deshalb auch nur als „Diener der Gesetze“ (Lg. 715c) verstanden werden. Die Herrschaft der Gesetze tritt an die Stelle personaler Machtausübung. In gewisser Weise tendieren die beiden oben dargestellten Überlegungen in den Nomoi in unterschiedliche Richtungen: Zum Einen wird die mögliche Kontinuität zwischen Menschlichem und Göttlichem in Gestalt einer ethisch gewendeten homoiôsis theô betont [1]; zum Anderen wird der unüberbrückbare Unterschied zwischen sterblicher und unsterblicher Natur gerade in moralischer Hinsicht akzentuiert [2]. Hier liegt ein unübersehbares Spannungsfeld vor, das die Ausprägung des ethischen Dualismus im Blick auf das Körper-SeeleVerhältnis natürlich nicht unberührt lässt: Während im ersten Szenario die Perfektibilität des Menschen betont wird, bei welcher der Leib und seine Affektionen sogar einen konstruktiven Beitrag zur sittlichen Vollendungsbewegung leisten können, sieht das zweite Modell wesentlich düsterer aus: Hier markiert die Leibbindung der menschli65 Vgl. Lg. 875a-c mit den Anmerkungen von Baumgarten (Anm. 36), S. 216-219. Für die zu wählenden Euthynen wird eine „göttliche Natur“ (Lg. 945c) gefordert, aber es kann sein, dass der Gewählte durch seine Wahl so übermütig wird, dass er seine menschliche Natur (anthrôpinê physis) hervorkehrt und nach der Wahl schlecht wird (Lg. 947e). Zur Selbstliebe als größtem Übel vgl. auch Lg. 731d-732b. 66 Vgl. Lg. 854a: tên tês anthropinês physeôs asthêneian.

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chen Seele eine nie zu überwindende Korruptibilität des Menschen, die einen deutlich tieferen dualistischen Graben zwischen Körperlichkeit und der seelischen Fähigkeit zur Selbstkontrolle aufzureißen droht. Auf diesen prima facie aporetischen Befund im Blick auf den ethischen Dualismus wird im Schlussteil noch einmal näher einzugehen sein.

4. Fazit: Der späte Platon zwischen physiologischer und pragmatischer Anthropologie In Zusammenfassung der bisher herausgearbeiteten Befunde lässt sich Folgendes sagen: Platon entwickelt in den Nomoi eine von inneren Spannungen durchzogene Anthropologie, für die das Zuordnungsverhältnis von Leib und Seele eine zentrale Rolle spielt. Ein starker ontologischer Dualismus scheint hierbei nicht vorzuliegen, insofern Platon im Rahmen eines kinetischen Interaktionismus die menschliche Seele in eine enge beiderseitige Wechselwirkung mit dem Körper setzt, ohne freilich deshalb die Seele selbst als eine rein physikalische sinnliche Entität aufzufassen. Diese wird offensichtlich vielmehr als eine Art ‚amphibisches‘ Wesen gefasst, als ein Zwischenwesen (‚metaxy‘), das eine Mischung aus Intelligiblem und Sensiblem bildet.67 Diese Doppelnatur entspricht nicht nur der Weise, in der die Produktion der Vernunftseele im Timaios beschrieben wird, sondern korrespondiert auch ihrem epistemologischen Potenzial im Menschen: Um sowohl Sinnliches wahrnehmen als auch Geistiges erkennen zu können, muss die Seele gemäß dem alten empedokleischen Grundsatz, dass Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird, Anteile beider Bereiche in sich vereinigen. Man kann argumentieren, dass die Seele in der platonischen Ontologie insgesamt das dynamisierende Bindeglied zwischen der Welt der unveränderlichen Ideen und der kontinuierlich in Veränderung begriffenen Körper darstellt und damit eine ‚dritte Gattung des Seienden‘68 bildet, die auf der Grenze zwischen Werden und Sein steht. Auf jeden Fall lässt sich zeigen, dass sich bereits im Phaidon 67 Zur Seele als metaxy vgl. P. M. Steiner, Psyche bei Platon, Göttingen 1992, Kap. 4, sowie F. Fronterotta, „La réalité de l’âme: principe de vie, source de mouvement, sujet de connaissance“, in: Ders., L. Brisson (Hrsg.), Lire Platon, Paris 2006, S. 155164 (insbesondere zur Mischung der Seele im Timaios). 68 Vgl. Tim. 35a: triton eidos tês ousias.

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der anthropologische Dualismus von Körper und Seele nicht mehr in den Kategorien einer „Zwei-Welten-Ontologie“ abbilden lässt;69 den kinetischen Interaktionismus des Spätwerks kann man durchaus als eine Lösung dieses Dilemmas verstehen. Dies alles setzt grundsätzlich eine Art Annäherung der Seele an den Bereich des Sinnlichen bzw. der Körper auf ontologischer Ebene voraus, die sich auch in den Nomoi zeigt und die für eine starke, i. e. numerische bzw. substantielle Version des ontologischen Dualismus im cartesischen Stil keinen Raum mehr lässt (s. o. Teile 1 und 2). Auch im Bereich des ethischen Dualismus lässt sich ein ähnlicher Trend feststellen, allerdings von der anderen Richtung her: Hier wird der Körper in gewisser Weise der Seele angenähert, insofern in ihm kein permanenter Störenfried der seelischen Entwicklung gesehen wird, sondern eine zu Zwecken der moralischen Erziehung durchaus in Dienst zu nehmende Größe mit einem gewissen Eigenwert innerhalb des leibseelisch verfassten Menschen (vgl. Teil 3). Der Leib ist damit ein legitimer Gegenstand der Sorge und Pflege, und zwar gerade in seiner Interaktion mit der Seele. Ein starker ethischer Dualismus, der sich auf einer Leibfeindlichkeit im Stile des früheren Phaidon gründet, ist damit nicht mehr möglich; an dessen Stelle scheint ein „teleologischer Kompositionismus“ getreten zu sein,70 in dem die Verbindung von Seele und Körper nicht mehr ‚unnatürlich‘ ist, sondern einem übergeordneten Zweck dient, nämlich der bestmöglichen Realisierung der Vernunft (nous) innerhalb des Kosmos (Timaios) bzw. in der Stadt (Nomoi). Damit ist der werthafte Primat der Seele als Instanziierung der Vernunft gegenüber dem Körper nicht aufgehoben oder gar ins Gegenteil verkehrt; aus diesem Grund erscheint die Seele in normativer Hinsicht auch weiterhin eindeutig als Gebieterin bzw. Herrscherin über den Körper (vgl. Tim. 34c). Dennoch lässt Platon in den Nomoi keinen Zweifel daran, dass nicht nur die Seele, sondern auch der Leib Gegenstand der menschlichen Selbstsorge sein soll (vgl. Lg. 724a-b), und betreibt ähnlich wie im Timaios eine Rehabilitation der Sinnlichkeit als einer mit der Vernunft verknüpften Größe.71 Die damit voll69 Vgl. hierzu M. Bordt, „Philosophieren als Sterben-Lernen: Anthropologischer Dua­ lismus“, in: J. Müller (Hrsg.), Platon: Phaidon, Berlin 2011, S. 33-45. 70 Zu einer Lesart der platonischen Anthropologie im Sinne dreier idealtypischer Zu­ ordnungsmodelle (Separationismus; konfliktuöser und teleologischer Kompositio­ nismus) vgl. Müller (Anm. 2), S. 191-193. 71 Vgl. Lg. 961d-e: nous met’ aisthêseôn. Zur ethischen Würdigung des Körpers in den Nomoi insgesamt vgl. auch Sharafat (Anm. 11), 25-38.

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zogene Aufwertung des Leibes zeigt sich interessanterweise selbst im Bereich der Jenseitsmythen, wo die Reinkarnation ja traditionell eher als Bestrafung verstanden wird, womit die Körperlichkeit in toto eine negative Konnotation erhält: Hier scheint im Spätwerk im Gegenteil ein Trend zur Bejahung des Daseins des Menschen als Kompositum von Leib und Seele gegeben zu sein.72 In den Nomoi spielt auf jeden Fall die Perspektive einer vom Leib losgelösten Existenz der Seele keine zentrale Rolle, auch wenn das in Anspruch genommene Konzept von Seelenwanderung ihre grundsätzliche ontologische Separabilität vom Körper verlangt. Aber von Philosophenseelen, die aus dem Zyklus der Wiedergeburten ganz ausscheiden, ist hier im Gegensatz zum Phaidon und anderen Mythen noch nicht einmal andeutungsweise die Rede. Mit Blick auf die einleitend skizzierten Thesen Landmanns (und mancher anderer) lässt sich somit ein eindeutiges Urteil formulieren: Insofern in dieser Lesart der platonischen Leib-Seele-Anthropologie ein starker ontologischer wie auch ethischer Dualismus unterlegt wird, geht sie zumindest am Text der Nomoi weitgehend vorbei. Trotzdem bleibt das Verhältnis von Leib und Seele in diesem Werk in vielfacher Hinsicht spannungsgeladen und lässt sich nicht leicht in eine eindeutig zu fassende Anthropologie ausmünzen. Drei Deutungslinien bieten sich hier an: (a) die aporetische Interpretation, derzufolge Platon über sein ganzes Werk verstreut unterschiedliche Fassungen des mind-body-Dualismus präsentiert habe, die keineswegs widerspruchsfrei sind und sich letztlich nicht in ein einheitliches Bild übertragen lassen.73 Die Nomoi wären dann ein getreues Abbild der verschiedenen Tendenzen im Gesamtwerk, und als Fazit könnte auch für die platonische Anthropologie gelten, was Robinson für die Psychologie des Corpus Platonicum wie folgt ausgedrückt hat: „[T]o the end, Plato is an explorer in the area of philosophical psychology, as in so many other areas of speculation.“74 Wenn man hingegen zu einer etwas systematischeren Deutung Platons neigt, bieten sich mindestens zwei Alternativen hierzu an:

72 Vgl. K. Alt, „Diesseits und Jenseits in Platons Mythen von der Seele (II)“, in: Hermes, 111/1983, S. 15-33, bes. 33. 73 Vgl. Robinson (Anm. 7), der im Rekurs auf die Ergebnisse seiner früheren Mono­ grafie unterschiedliche Ansätze des Leib-Seele-Verhältnisses im Corpus Platonicum rekonstruiert, aber hiermit nicht die Absicht verbindet, eine größere entwicklungs­ geschichtliche Linie zu entwickeln. 74 Robinson (Anm. 7), S. 53.

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(b) die psychophysische Interpretation. Diese Deutungslinie geht davon aus, dass Platon im Spätwerk insgesamt mit einer neuartigen Zuordnung von Körper und Seele operiert, die im Bereich der Anthropologie zu einer gravierenden Verschiebung führt: Platon verabschiede letztlich die Identifikation des Menschen mit seiner Seele aus dem frühen und mittleren Werk zu Gunsten einer leibseelisch verfassten Identität. ‚Wir‘ als Menschen sind psychophysische Komposita, deren doppelter Natur es auch in normativer Hinsicht Rechnung zu tragen gilt.75 Für diese Deutung spricht auf den ersten Blick, dass sich v. a. im Spätwerk vermehrt Stellen finden, in denen der Mensch als „beseelter Körper“ (empsychon sôma: Phlb. 64b) bzw. als Lebewesen aus Leib und Seele beschrieben wird.76 Eine einseitige Fixierung auf die Vernunftseele ist damit ausgeschlossen, nicht zuletzt, insofern der Leib und die aus ihm heraus entstehenden seelischen Affekte eben als Bestandteil einer menschlichen Natur gedeutet werden, die bewusst vom Demiurgen und seinen Helfern mit Blick auf die bestmögliche Ordnung des Kosmos geschaffen worden sind.77 Diese Interpretation ist geeignet, ggf. ganz von einer dualistischen Deutung der platonischen Anthropologie abzurücken, z. B. in Richtung einer psychophysischen Auffassung des Menschen im Sinne der späteren Stoiker,78 aber das ist nicht zwingend; man kann dieser psychophysischen Lesart m. E. auch als ‚moderater‘ Dualist im ontologischen und ethischen Bereich noch folgen.

75 Vgl. für dieses Modell insbesondere Johansen (Anm. 10), der im Timaios ein neues Konzept des menschlichen Selbst und der Selbstsorge entwickelt sieht: „To the extent that rationality is devolved to the lower parts of the soul, our rational self extends to those other parts while we are embodied. In contrast, one often has the impression in other Platonic dialogues, particularly the Phaedo, that even while we are embodied, the intellect alone remains our true self, whereas those aspects of the soul which are associated with the workings of the body appear extraneous to the self. (...) Caring for the self, as we saw, extends to caring for the entire tripartite soul, not just the intellect. Caring for the soul also involves caring for the body.“ (S. 107) 76 Vgl. Tim. 87e; Crat. 399d. 77 Vgl. hierzu J. Müller, „Der Demiurg würfelt nicht. Die Erschaffung der Welt in Platons Timaios“, in: C. Mayer u. a. (Hrsg.), Augustinus – Schöpfung und Zeit, Würzburg 2012, S. 17-45. 78 Vgl. in diesem Sinne z. B. Gill (Anm. 22), S. 70-77, bes. 77: „In this view we are es­ sentially ‚combinations‘ of psyche and body, and constitutively adapted to becoming well proportioned structures of psyche and body, as well as proportioned combi­ nations of psychic motions.“ Gill sieht die platonische Anthropologie im Timaios insgesamt als eine Art Antizipation des stoischen Modells.

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(c) Die dritte Alternative besteht in einer starken personalistischen Interpretation, wie sie etwa Lloyd Gerson vorgelegt hat.79 In dieser Deutung arbeitet Platon über sein gesamtes Werk hinweg kohärent und konsequent einen Kontrast von embodied und disembodied person heraus, wobei erstere mit dem leibseelisch verfassten lebenden Menschen, die zweite hingegen mit der vom Leib nach dem physischen Tod getrennten Vernunftseele identisch ist, die allerdings noch die Züge ihres vorherigen verkörperten Daseins trägt. Die Grundannahme dieses Ansatzes ist dann gerade diese Differenzierung von Personalität und Mensch-Sein.80 Die normative Pointe dieser Lesart ist, dass der Mensch bloß als eine Art inferiores Abbild der Person zu verstehen ist, so dass die „embodied person“ (i. e. der Mensch) danach streben sollte, sich in seiner Identität so weit wie möglich als Wissender bzw. Erkennender zu verstehen und seine Lebensvollzüge auf die Ermöglichung von Ideenerkenntnis auszurichten. Die stärkere Verbindung der Seele mit dem Körper wird hierbei auf faktischer Ebene anerkannt, nicht zuletzt insofern die Seele als embodied person auch Träger körperlicher Zustände (wie Gefühle und Sinneswahrnehmungen) ist – ein numerischer Substanzen­dualismus scheidet damit auch in der Lesart Gersons aus. Die Verbindung der Seele mit dem Körper ist aber eher eine Gefahr für die Person, da sie in ihrer Identitätssuche dadurch zu einem „Stockholm-Syndrom“, d. h. zu einer Identifikation mit dem sie gefangen haltenden Körper verleitet sein könnte und sich nicht mehr auf die theoretische Erkenntnis ausrichtet, sondern zum exzessiven Körperfreund wird.81 Die personalistische Deutung von Gerson weist, wie der explizite Hinweis auf die Metapher vom Körper als Gefängnis der Seele zeigt, Züge eines stärkeren Leib-Seele-Dualismus auf, der sich tendenziell dann wieder eher der Deutung von Landmann annähert – zumindest im Blick auf die ethische Leibfeindlichkeit, insofern zwar nicht der 79 Vgl. L. Gerson, Knowing Persons. A Study in Plato, Oxford 2003. Anregende Über­ legungen zur Interpretation der platonischen Seele in Kategorien des modernen Personenbegriffs bietet auch A. A. Long, „Platonic Souls as Persons“, in: R. Salles (Hrsg.), Metaphysics, Soul, and Ethics in Ancient Thought, Oxford, New York 2005, S. 173-191. 80 Vgl. Gerson (Anm. 79), S. 1: „[F]or Plato persons are different from human beings.“ Vgl. auch ebd., S. 2f. „[F]or Plato persons or at any rate ‚we‘ are not human beings.“ 81 Vgl. Gerson (Anm. 79), S. 276: „As Plato imagines it, embodiment does strange things to persons. It typically produces a sort of ‚Stockholm Syndrome‘ of the body whereby persons become unaccountably attached to their prison and to their lives as prisoners.“

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Mensch, wohl aber ‚wir‘ als Person allein mit der Vernunftseele identisch sind. So verwundert es nicht, dass Gerson ebenso wie Landmann die oben bereits zitierte Passage aus dem 12. Buch der Nomoi als einen schlagenden Beleg für seine Lesart von Personalität bei Platon heranzieht: „Ferner muss man dem Gesetzgeber neben all seinen sonstigen Worten auch glauben, wenn er sagt, dass die Seele vom Leib völlig verschieden sei und dass sogar schon im Leben das, was das Selbst eines Jeden von uns ausmacht, nichts anderes sei als die Seele, während der Leib jeden von uns als bloße äußerliche Erscheinung (indallomenon) begleite, und man sage mit Recht, dass die Leiber der Toten bloße Abbilder (eidôla) der Verstorbenen seien; das wahre Selbst eines jeden von uns, das als unsterbliche Seele bezeichnet werde, gehe fort zu anderen Göttern, um ihnen Rechenschaft abzulegen.“ (Lg. 959a-b) Die Identitätsbedingungen der Person werden hier einzig und allein von der Seele und nicht vom Körper geliefert82 – ganz so, wie es auch im Alkibiades Maior ausgedrückt ist. Gerson möchte zwar insgesamt den Dualismus von Leib und Seele durch den von „embodied“ und „disembodied person“ ersetzen, aber die normative Stoßrichtung des Ansatzes bleibt auf den jenseitigen Status der Vernunftseele in Trennung vom Körper hin zugeschnitten. Zieht man die in den Teilen 1-3 präsentierten Befunde heran, spricht nun trotzdem vieles für die psychophysische Interpretation der Nomoi im Stile von Johansen und Gill, während der Personalismus von Gerson immer noch mit einem verhältnismäßig starken ethischen Dualismus operiert, der dem Text nicht voll gerecht wird. Andererseits ist es richtig, dass die Nomoi auch kein eindeutiges Plädoyer zugunsten des Körpers enthalten, aus dem man etwa entnehmen könnte, dass der für das Menschsein natürliche und charakteristische Zustand der Verbindung der Seele mit einem Leib einer Separation der beiden Größen vorzuziehen sei.83 Die Passage Lg. 959a-b betont jedenfalls die

82 Vgl. auch die Anmerkungen von Gerson (Anm. 79), S. 274f., zu dieser Stelle, der daraus schlussfolgert: „Thus, we can say precisely that a human being is a semblance of a real person. The real person is what departs from this life for divine judgement. (...) this real person would seem to be just the rational subject bearing the marks of its embodiment in a body and participation in bodily life.“ 83 Dies wird sogar explizit verneint; vgl. Lg. 828d: „Denn die Vereinigung von Leib und Seele ist in keiner Weise besser als ihre Trennung, wie ich allen Ernstes behaupten möchte.“

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grundsätzliche ontologische Überlegenheit der Seele gegenüber dem Körper.84 Ganz eindeutig ist der Befund also letztlich nicht. Ich möchte deshalb quasi in irenischer Manier zur Einordnung der Unterschiede in Text und Forschung vorschlagen, dass man der Anthropologie der Nomoi am besten gerecht wird, wenn man sie im Spiegel eines Begriffspaars von Kant betrachtet: der Unterscheidung von physiologischer und pragmatischer Anthropologie. Während die physiologische Anthropologie beschreibt, was der Mensch faktisch von Natur aus ist, wendet sich die pragmatische Anthropologie der Frage zu, was der Mensch aus sich machen soll, womit eine normative Zielrichtung vorgegeben ist. Platon selbst unterscheidet diese beiden Dimensionen nicht explizit, weder in den Nomoi noch andernorts, aber die meisten seiner Aussagen zum Menschen lassen sich auf einer dieser beiden Ebenen verorten und zur jeweils anderen in Beziehung setzen. Um ein Beispiel aus den Nomoi heranzuziehen, kann man sich die Dialektik von psychologischem Hedonismus und normativer Tugendlehre vor Augen führen (s. o. Teil 3): Zum Einen führt Platon aus, dass sich alle menschlichen Entscheidungen de facto nach dem hedonistischen LustSchmerz-Kalkül richten; zum Anderen ist der Sinn der moralischen Erziehung gerade, dass die frühkindlichen Erfahrungen dieser Erscheinungen durch Gewöhnung auf den Erwerb von Tugenden hin gepolt werden, die sich nach dem Schönen und Wahren, und d. h. nicht bloß nach dem prima facie-Lustwert richten. Der gesamte Kontrast zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen in den Nomoi beschreibt letztlich diese Gegenüberstellung und gleichzeitige Verzahnung von physiologischer und pragmatischer Anthropologie. Die Aussagen zum Menschen stehen m. E. bei Platon insgesamt im Spannungsfeld von deskriptiver und normativer Anthropologie im beschriebenen Sinne, wodurch sich auch die eine oder andere ‚Ungereimtheit‘ in den einzelnen Formulierungen erklären lässt.85 In Bezug auf die normative Dimension der pragmatischen Anthropologie fängt der Personalismus Gersons zweifelsfrei eine Reihe von platonischen Intuitionen ein, die auch im Spätwerk noch Gültigkeit haben. Der Mensch in seiner leibseelischen Existenz hat, mit Sloterdijk 84 Vgl. in diesem Sinne auch Sharafat (Anm. 11), S. 23, der allerdings zu Recht darauf hinweist, dass der lebende Körper an dieser Stelle zwar zur Erscheinung (indallomenon: 959b1), aber nicht zum Nicht-Seienden degradiert wird; so bezieht sich eidôla in 959b2 nur auf Leichname (und nicht auf lebende Körper). 85 Vgl. Müller (Anm. 2), S. 195-198.

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gesprochen, eine Art „Vertikalspannung“ nach oben, die über seine irdische Existenz in Richtung einer homoiôsis theô hinausweist und die z. B. im Timaios ihren sinnfälligen Ausdruck im aufrechten Gang des Menschen findet.86 Insgesamt ist der späte Platon offensichtlich darum bemüht, bestimmte beschreibende Fakten der Anthropologie, z. B. die Anordnung des Körpers und seiner Organe, im Lichte der Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen in Richtung Vernunft (und d. h. im Sinne der pragmatischen Anthropologie) zu deuten. Diese normative Stoßrichtung ist auch in den Nomoi sichtbar: Die selbstbewegte Seele in Nomoi X ist nicht von vorneherein auf die Vernunft hin orientiert (vgl. Lg. 897b; d) und kann gerade deshalb als potenzielle Quelle für alle Gegensätze (auch den von gut und böse) fungieren. Die Qualität der individuellen menschlichen Seele bemisst sich dann danach, inwieweit sie sich in ihrem willentlichen Verhalten rational, und d. h. in den Nomoi: nach den Gesetzen als Kodifikation einer überpersönlich gedachten Vernunft, verhält; das entscheidet dann auch wieder über ihre späteren Einkörperungen (Lg. 904c). Der Mensch steht also im Rahmen seiner sittlichen Selbstgestaltung zwischen Vernunft und Unvernunft, zwischen Göttlichem und Tierischem, oder auch: zwischen Unsterblichem und Sterblichem, und muss sich auf einen dieser Gegensätze hin bestimmen. Die Pointe des platonischen Spätwerks scheint dabei zu sein, dass die Seite der Unvernunft nicht einfach mit dem Körperlichen gleichzusetzen ist, insofern der menschliche Leib selbst in rational bestmöglicher Weise konstruiert ist und somit die Seele nach Kräften unterstützen kann. Die Identifikation mit der Vernunft bleibt jedoch im irdischen Dasein des Menschen notwendig immer partiell, da eine vollständige Übereinstimmung mit ihr nicht möglich ist. Dass sowohl ein Auf- als auch ein Abstieg des Menschen möglich ist, verdankt sich dabei der Doppelnatur des Menschen, die an diesen verschiedenen Extremen teilhat. Dies bedingt ein breites Spektrum an Entwicklungs- aber auch an Regressionsmöglichkeiten; gut erzogen ist der Mensch das zahmste aller Lebewesen, aber ohne entsprechende Anleitung auch das wildeste, wie es in den Nomoi (766a) heißt. Dieses amphibische Wesen macht den Menschen insgesamt zu einer Art ‚dämonischen‘ Zwischenwesen (metaxy), das zwischen die Pole einer deskriptiven und einer normativen Anthropologie eingespannt ist.87 In 86 Vgl. insbesondere Tim. 90a-b, wo der Mensch auch als „himmlisches Gewächs“ beschrieben wird. 87 Vgl. hierzu Müller (Anm. 2), S. 195-199, mit weiteren Nachweisen.

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den Nomoi liegt der Akzent dabei auf der deskriptiven Anthropologie, also der Beschreibung des Menschen als psychophysisches Wesen, das er mit seinen körperlich fundierten Lust- und Schmerzgefühlen faktisch ist. Hieraus erklärt sich auch die eher kritische Beurteilung der grundlegenden Schwäche der menschlichen Natur, die eine ideale Philosophenherrschaft im Stile der Politeia als eher unrealistisch erscheinen lässt. Die Herrschaft der Gesetze ist dann die „zweitbeste Lösung“ (Lg. 739a-b), die diesem Umstand Rechnung trägt. Ob man das als misanthropisch imprägnierten Pessimismus wertet oder vielleicht doch eher als erfahrungsgesättigten Realismus, hängt nicht zuletzt davon ab, für wie ‚idealistisch‘ man im Vergleich dazu die Politeia hält. Die deskriptive Anthropologie der Nomoi beschreibt auf jeden Fall die grundsätzlichen Voraussetzungen der Bürger der neu zu gründenden Stadt, an die nun auch die Gesetze adressiert sind und die zum Gesetzesgehorsam überredet werden sollen. Der anthropologische Fokus auf dem Menschen als psychophysischem Wesen ergibt sich in den Nomoi also zumindest ein Stück weit auch aus der Adressatenorientierung, die der Fremde aus Athen selbst deutlich markiert: „Mit Menschen sprechen wir, nicht mit Göttern“ (Lg. 732e).88

88 Laks (Anm. 58), S. 42, sieht hierin den hauptsächlichen Unterschied zwischen den Nomoi (menschliche Ebene) und der Politeia (göttliche Ebene).

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L’homme et l’animal dans l’anthropologie cicéronienne

„Statuit nudum et inermem, quia et ingenio poterat armari et ratione uestiri.“ Lactance, De opificio Dei, 2, 6

Dans le De opificio Dei composé au tournant du ive siècle, Lactance loue les bienfaits de la Providence divine qui s’expriment dans la formation de l’homme. Dans ce bref traité d’anthropologie à visée finaliste, l’apologiste chrétien vante la perfection du genre humain, dont la prééminence légitime la domination sur l’ensemble de la création.1 Être singulier, qui se distingue de tous les autres par son status rectus, signe de son élection, l’homme est un „animal éternel et immortel“ parce qu’il a été doté de facultés rationnelles qui le rapprochent de Dieu.2 Cet optimisme anthropologique, dont Lactance offre un témoignage enthousiaste, repose sur la définition de l’homme comme „animal raisonnable“, dont Montaigne, Descartes et Heidegger souligneront en leurs temps le caractère problématique.3 De fait, la notion d’animal raisonnable suppose de penser l’articulation entre la parenté biologique qui unit tous les êtres animés et l’exigence éthique déterminée par la spécificité rationnelle de l’homme. C’est pourquoi, comme l’a démontré Francis Wolff, l’anthropologie antique, dans la mesure où elle s’inscrivait dans une perspective normative, s’est développée en référence aux figures opposées de l’animal et de la divinité.4 Et l’élaboration de

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B. Bakhouche, S. Luciani (édd.), Lactance, De opificio Dei, édition avec introduction et traduction annotée, Turnhout 2009, p. 32-34. Lact. Opif. 2, 9; 10, 26. Montaigne, Essais, III, 13; Descartes, Deuxième Méditation (édition Adam-Tannery, IX, 1); Heidegger, Über den Humanismus, 1946, trad. française R. Munier, Lettre sur l’Humanisme, dans Questions III, Paris 1984, p. 87-90. Voir T. Gontier, La question de l’animal. Les origines du débat moderne, Paris 2011, p. 119-121. F. Wolff, „L’animal et le dieu: deux modèles pour l’homme“, dans L’être, l’homme, le disciple, Paris 2000, p. 113-137.

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ce schéma hiérarchique est corrélée à l’invention de l’animal, que ni le lexique grec ni la continuité du vivant ne permettaient initialement de prendre en compte. Dès lors, la figure de l’animal devint une référence conceptuelle indispensable à l’élaboration de la pensée anthropologique à finalité éthique, telle qu’elle s’est développée dans les doctrines hellénistiques. La position intermédiaire attribuée à l’homme, entre la bête et le dieu, soulignait d’emblée les enjeux éthiques et parénétiques du discours zoologique.5 La valeur morale du paradigme animal est particulièrement marquée dans l’œuvre de Cicéron, qui ne cesse dans ses discours de se référer aux ferae, bestiae, beluae et autres pecudes pour stigmatiser ses adversaires politiques.6 Ainsi le tyran, „archétype de la monstruosité politique“, est-il assimilé à la belua, dont il possède les principaux traits, à savoir la sauvagerie, la violence et l’irrationalité.7 Cependant si l’immanitas et la feritas sont admissibles, car naturelles, chez la bête sauvage, elles sont en revanche inacceptables, car contre-nature, chez l’homme.8 Cette hybridité monstrueuse, qui dissimule une férocité bestiale sous une apparence humaine, fonctionne comme un repoussoir moral, efficace notamment pour légitimer le meurtre des tyrans, qui se sont placés eux-mêmes en dehors de la communauté humaine.9 À l’inverse, l’exemple de l’animal constitue dans les dialogues philosophiques un instrument rhétorique commode pour „montrer que la vie propre de l’homme est la vie vertueuse et honnête“.10 Cependant, comme l’a souligné Marie-Agnès Ruggiu, bien que la question de l’animal soit toujours envisagée en relation avec l’homme, elle „ne se pose pas uniquement du point de vue du discours et de l’argumentation“;11 elle représente aussi un outil conceptuel nécessaire dans la réflexion sur la finalité humaine, le contre-modèle animal permettant d’établir la parenté de l’homme avec la divinité. C’est de cette notion d’„animal divin“, dont l’anthropologie du chrétien Lactance semble héritée en 5 T. Gontier, L’homme et l’animal. La philosophie antique, Paris 1999, p. 38-70. 6 Voir par exemple Cic. Mil. 32; 40; Pis. 8; 19; 72; Phil. II, 30; III, 28; IV, 12; VII, 27; Sull. 76; Verr. V, 109. 7 C. Lévy, „Rhétorique et philosophie: la monstruosité politique chez Cicéron“, dans Revue des Études Latines, 76/1998, p. 139-157 (148). 8 M. Graver, Stoicism and Emotion, Chicago 2009, p. 122-132. 9 Cic. Off. III, 32; 82. 10 T. Gontier, L’homme et l’animal (v. n. 5), p. 43-44. 11 M.-A. Ruggiu, „Humanité et animalité dans la pensée cicéronienne“, dans Camenae, 1/2007, p. 1-9.

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droite ligne, que je voudrais partir pour démontrer que le statut attribué à l’animal dans l’anthropologie cicéronienne comporte d’importants enjeux théoriques du point de vue de l’histoire de la philosophie. De fait, quand il s’agit d’étudier dans une perspective anthropologique les rapports homme/animal, Cicéron est considéré la plupart du temps comme un utile représentant de la doctrine stoïcienne12 ou, au mieux, comme un précieux témoin de la polémique entre la nouvelle Académie et le Portique autour de la question de l’assentiment.13 Je voudrais mettre en évidence les insuffisances de ces lectures „utilitaristes“ de Cicéron: en dépit de son rôle déterminant, le modèle stoïcien ne suffit pas à rendre compte de l’anthropologie cicéronienne, qui est prioritairement nourrie et structurée par l’héritage platonicien. Fruit d’une élaboration dialectique personnelle, l’humanisme de Cicéron, dont Lactance s’inspirera quatre siècles plus tard pour ébaucher les contours d’une anthropologie chrétienne, trouve lui-même son origine dans une cristallisation de l’opposition entre l’homme et l’animal. Dans cette perspective, je vais d’abord étudier les enjeux polémiques du paradigme animal dans le débat sur le souverain bien, notamment autour de la question du plaisir. J’envisagerai ensuite les enjeux anthropologiques de l’opposition homme/animal chez Cicéron à l’aune du logocentrisme stoïcien. Je m’efforcerai enfin de mesurer l’importance du contre-modèle animal dans la réception cicéronienne de la psychologie dualiste platonicienne. 12 Voir, par exemple, U. Dierauer, Tier und Mensch im Denken der Antike, Amsterdam 1977, p. 199-252; R. Sorabji, Animal Minds & Human Morals. The Origins of the Western Debate, London 1993; D. Goguey, „Facultés intellectuelles accordées aux animaux selon les doctrines philosophiques“, dans C. M. Ternes (éd.), Présence des idées romaines dans le monde d’aujourd’hui. Mélanges R. Chevallier, Luxembourg 1994, p. 224-237 (225); id., Les animaux dans la mentalité romaine, Bruxelles 2003, p. 23-42; U. Dierauer, „Raison ou instinct? Le développement de la zoopsychologie antique“, dans B. Cassin, J.-L. Labarrière, G. Romeyer Dherbey (édd.), L’animal dans l’Antiquité, Paris 1997, p. 3-30 (18-19); T. Gontier, L’homme et l’animal (v. n. 5), p. 78-81; S. Rocca, Animali (e uomini) in Cicerone, De natura deorum II, 121-161, Genova 2003, passim; C. Jedan, „Die Dummen und der Weise. Zur dichotomischen Anthropologie der Stoiker“, dans A. Alexandridis, M. Wild, L. Winkler-Horacet (édd.), Mensch und Tier in der Antike, Louvain-La-Neuve 2008, p. 185-204 (190). 13 J.-L. Labarrière, „De la nature ‚phantastique‘ des animaux chez les stoïciens“, dans J. Brunschwig, M. Nussbaum (édd.), Passions and Perceptions: Studies in Hellenistic Philosophy of Mind, Cambridge, New York 1993, p. 225-249; id. „Logos endiathetos et logos prophorikos dans la polémique entre le Portique et la Nouvelle-Académie“, dans B. Cassin, J.-L. Labarrière, G. Romeyer Dherbey (v. n. 12), p. 257-279; T. Gontier, La question de l’animal (v. n. 3), p. 12-14.

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1. L’animal, voix de la nature La figure de l’animal joue un rôle important dans la réflexion éthique cicéronienne et en particulier dans le débat sur le souverain bien tel qu’il est présenté dans le De finibus bonorum et malorum. 1.1. L’animal dans le débat sur les fins Dans cet ouvrage en cinq livres, composé entre mars et juin 45, Cicéron entreprend de confronter et de discuter le telos proposé par les principales écoles philosophiques hellénistiques. Le traité, qui trouve son unité dans l’exploration systématique des différentes doctrines morales, est constitué de trois dialogues contradictoires, qui diffèrent quant aux lieux, aux temps et aux personnages, mais donnent tous lieu à une réfutation confiée à la persona cicéronienne. L’objectif du De finibus est de déterminer, par le biais de discussions in utramque partem, la théorie morale qui correspond le mieux aux spécificités de la nature humaine. Pour ce faire, Cicéron établit une opposition structurelle entre l’honestas, fin recherchée par les disciples de Platon et d’Aristote et par les stoïciens, et la uoluptas, prônée par les épicuriens, et plus largement par tous les philosophes hédonistes.14 Cette alternative le conduit à récuser le plaisir, qui ne rend pas justice à la nature rationnelle de l’homme, et à valoriser la beauté morale en tant qu’aspiration spécifique de la raison humaine.15 Cependant, la prééminence de la vertu une fois établie, la réflexion se poursuit avec les stoïciens qui considèrent que le bonheur réside purement et simplement dans le fait de vivre moralement. Dans la réfutation du livre IV, Cicéron reproche à ces philosophes de négliger les droits du corps et, par conséquent, d’ignorer délibérément une partie du composé humain. Dès lors, on pourrait penser que la solution réside dans la synthèse d’Antiochus d’Ascalon, qui, suivant les philosophes de l’Ancienne Académie et les péripatéticiens,16 attribuait un rôle modique aux biens corporels et extérieurs dans la pratique de la vertu et dans la réalisation d’une vie parfaitement heureuse. Cependant, à la fin du livre V, Cicé14 Cic. Fin. II, 44. 15 S. Luciani, „Cicéron, la vertu du dialogue“, dans Le Magazine Littéraire, janvier 2011, p. 66-67. 16 Cic. Fin. V, 8.

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ron fait à Pison, porte-parole de cette doctrine, l’objection suivante: si la vertu n’est pas autonome, elle n’est pas à même d’assurer le bonheur. Le sage ne peut avoir la garantie d’être heureux en toutes circonstances si les avantages dispensés par la Fortune entrent en quelque manière dans la composition de son bonheur.17 Même si cette discussion sur les fins semble aboutir à une aporie théorique, elle se révèle néanmoins très précieuse pour qui s’intéresse au statut de l’animal. Les porte-parole des différentes écoles, soucieux de légitimer leur conception du summum bonum, fondent en effet leur démonstration sur une étude de la nature humaine, qui repose ellemême sur une comparaison avec la nature animale. Dans la perspective naturaliste adoptée par les philosophies hellénistiques, l’animal, figure d’identité et d’altérité, est un outil conceptuel indispensable pour définir et penser l’humain. Les discussions du De finibus mettent en évidence les enjeux éthiques de ce paradigme anthropologique. 1.2. Animal et utilitas Structuré selon un principe hiérarchique,18 le traité s’ouvre sur l’exposé de l’épicurien Torquatus, précédé d’une brève critique formulée par Cicéron. Afin de prouver que le summum bonum réside dans le plaisir, Torquatus se réfère, pour commencer, à la catégorie générique des êtres animés qui inclut les animaux, les hommes et les dieux.19 Au sein de l’école épicurienne, l’animal était en effet associé au jeune enfant pour démontrer que l’attrait exercé par le plaisir correspond à une tendance naturelle, qui n’est pas due à l’influence de l’éducation ou de la société.20 Dans le cadre de cet „argument des berceaux“,21 l’animal et l’enfant présentent à l’homme un reflet naturel de lui-même.22 Or il faut remarquer que les animaux ne sont pas cités spécifiquement en exemple dans la première étape de la démonstration, mais à la fin de 17 Cic. Fin. V, 75-86. 18 W. Görler, Untersuchungen zu Ciceros Philosophie, Heidelberg 1974, p. 49-50. 19 Cic. Fin. I, 30: omne animal, simul atque natum sit, uoluptatem appetere eaque gaudere ut summo bono. 20 Voir Diog. Laërt. X, 137; Sext. Emp. H. P. III, 194; A. M. XI, 96. 21 Voir J. Brunschwig, „The cradle argument in Epicureanism and Stoicism“, dans Études sur les philosophies hellénistiques. Épicurisme, stoïcisme, scepticisme, Paris 1995, p. 69-123. 22 Cic. Fin. II, 32: specula naturae.

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l’exposé: selon Torquatus, ce sont les enfants privés de parole et les animaux muets qui donnent le mieux à entendre la uox naturae parce que leur jugement n’a pas été perverti par la culture.23 C’est pourquoi l’animal, en quête de la jouissance apportée par la satisfaction de ses besoins vitaux, constitue pour les épicuriens une incarnation du principe de plaisir à l’œuvre dans la nature.24 Cependant, de façon plus surprenante, Torquatus se réfère également à ce paradigme pour démontrer que les actions les plus vertueuses sont motivées par l’intérêt et se ramènent à une arithmétique des plaisirs. Ainsi le sage peut-il renoncer à un plaisir pour en obtenir de plus grands ou se donner de la peine pour éviter un plus grand mal.25 Les bêtes sauvages elles-mêmes sacrifient leur bien-être et leur sécurité lorsqu’elles combattent. Or elles n’agiraient pas ainsi si elles ne recherchaient l’utilitas.26 Le comportement des bêtes sauvages est utilisé comme argument a fortiori: en rattachant leur férocité naturelle au souci de leur intérêt, Torquatus affirme la primauté de l’utilitas, et par conséquent du plaisir, qui se trouve à l’origine de toute action. Cet exemple permet de démontrer que la vertu, qui n’est pas un moteur initial et naturel chez les êtres animés, ne peut être tenue pour le souverain bien de l’homme. Le raisonnement, fondé sur le rapprochement paradoxal du sage et de la bête sauvage, souligne fortement la proximité de l’animal et de l’humain dans l’éthique épicurienne. Qu’en sera-t-il dans l’exposé cicéronien de la doctrine stoïcienne? 1.3. Animal et conciliatio L’argument des berceaux figure également en bonne place dans l’exposé stoïcien du livre III. Inversant le raisonnement de ses adversaires, 23 Cic. Fin. I, 71: si infantes pueri, mutae etiam bestiae paene loquuntur magistra ac duce natura nihil esse prosperum nisi uoluptatem, nihil asperum nisi dolorem, de quibus neque deprauate iudicant neque corrupte nonne ei maximan gratiam habere debemus, qui hac exaudita quasi uoce naturae sic eam firme grauiterque comprehenderit, ut omnes bene sanos in uiam placatae, tranquillae, quietae, beatae uitae deduceret? Voir M.-A. Ruggiu (v. n. 11), p. 5-6. 24 Lucrèce, DRN I, 1-25. Voir F. Wolff, „L’animal et le dieu: deux modèles pour l’homme. Remarques pouvant servir à comprendre l’invention de l’animal“, dans B. Cassin, J.-L. Labarrière, G. Romeyer Dherbey (v. n. 12), p. 157-180; id. (v. n. 4). 25 Cic. Fin. I, 33. 26 Cic. Fin. I, 34: At id ne ferae quidem faciunt ut ita ruant itaque turbent ut earum motus et impetus quo pertineant non intellegamus.

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Caton y met à profit la conduite des êtres vivants à la naissance pour contester la légitimité du telos épicurien en référence à la théorie de l’οἰκείωσις ou conciliatio.27 Partant, comme Torquatus, de l’ensemble des animalia, il affirme que tout être vivant est mu dès sa naissance non par la quête du plaisir mais par un attachement à lui-même qui le conduit à rechercher spontanément ce qui lui est salutaire et à fuir ce qui lui est nuisible. Parce qu’il a reçu de la Nature une appropriation à lui-même, l’impulsion première de l’être animé correspond à la préservation de sa propre constitution.28 L’exemple spécifique des animaux est mentionné dans le développement consacré à l’origine du lien social. L’affection que les bêtes témoignent à leur progéniture permet de montrer que l’attachement des parents pour leurs enfants est une tendance naturelle, qui s’inscrit dans le prolongement de l’amor sui et se trouve à l’origine de la vie sociale.29 Le comportement des animaux, qui se donnent beaucoup de peine pour faire naître et élever leurs petits, au détriment de leur propre bien-être, ne peut être attribué à l’attrait exercé par le plaisir.30 Tout en mettant en évidence le lien spontané qui unit les hommes entre eux,31 Caton récuse ainsi à nouveau la primauté du plaisir dans le processus d’appropriation.32 Et, pour ce faire, il se réfère, comme l’avait fait Torquatus, à la naturalité de l’animal, censé révéler par ses actes les desseins de la Nature.33 Poursuivant l’analogie, il établit une comparaison entre les parties du corps humains et les animaux, dont certains ont un mode vie solitaire tandis que d’autres vivent en société. Ainsi les fourmis, les abeilles, les cigognes et les pinnothères, petits crabes qui vivent en symbiose avec les huitres,34 n’agissent-ils pas seulement en vue d’eux-mêmes, mais parfois aussi en vue d’autrui. Grâce à ces exemples précis em27 Cic. Fin. III, 16-18. Cf. Cic. Off. I, 12; Sen. Ep. 121; Diog. Laërt. VII, 85-86. 28 T. Bénatouil, „La vertu, le bonheur et la nature“, dans J. Barnes, J.-B. Gourinat (édd.), Lire les stoïciens, Paris 2009, p. 99-114 (100-101). 29 Cic. Fin. III, 65: Quodque nemo in summa solitudine uitam agere uelit ne cum infinita quidem uoluptatum abundantia, facile intellegitur nos ad coniunctionem congregationemque hominum et ad naturalem communitatem esse natos. 30 Cic. Fin. II, 109. 31 Cic. Fin. III, 63: commendatio naturalis. 32 J.-L. Labarrière, La condition animale. Études sur Aristote et les stoïciens, LouvainLa-Neuve 2005, p. 74. 33 Cic. Fin. III, 62: Atque etiam in bestiis uis naturae perspici potest; quarum in fetu et in educatione laborem cum cernimus, naturae ipsius uocem uidemur audire. 34 L’exemple du pinnothère remonte à Chrysippe, voir Ath. Deipn. 89d, cf. Cic. Nat. II, 123; Pline, NH IX, 142.

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pruntés à la zoologie aristotélicienne, le stoïcien confirme l’existence d’un instinct social. Il précise cependant que celui-ci est plus développé chez les hommes, qui ont été pour ainsi dire spécialement conçus par la Nature pour vivre en société. Cette gradation constitue une allusion à la hiérarchie stoïcienne du vivant, qui place l’homme à l’avant-dernier échelon de la scala naturae, entre les animaux et les dieux, avec lesquels il partage la possession de la raison.35 De son côté, Caton insiste sur la spécificité de l’homme en tant qu’être doté de ratio36 et professe le point de vue anthropocentrique qui en découle:37 selon les stoïciens en effet les animaux ont été créés à l’intention des hommes et il est légitime de les utiliser dans la mesure où nul rapport de justice ne peut exister à l’égard de créatures muettes et privées de logos.38 Cependant, conformément à la conception cumulative qui, dans le cosmos stoïcien, préside au classement des catégories d’êtres, l’exposé implique une forme de continuité entre l’animal et l’humain.39 Prenant soin de rattacher la vertu aux principia naturae,40 Caton ne rompt pas totalement avec le paradigme de l’animal-miroir de la Nature. Il apparaît donc que Torquatus et Caton, tout en s’opposant radicalement sur la définition du souverain bien, font un usage similaire de la figure animale: conformément à la perspective naturaliste qui oriente leur doctrine, ils se fondent sur la catégorie générique des animalia pour définir la nature humaine. Dans ce cadre, les bestiae sont convoquées pour déterminer les premières tendances, qui servent de 35 Voir Cic. Nat. II, 33-35; Off. II, 11; Leg. I, 23-25; Diog. Laërt. VII, 138-139; SVF II, 458; II, 988; Sext. Emp. A.M. IX, 88-91 et l’analyse de B. Besnier, „La nature dans le livre II du De natura deorum de Cicéron“, dans C. Lévy (éd.), Le concept de nature à Rome, Paris 1996, p. 127-175 (160-167). 36 Cic. Fin. III, 21; 23. 37 Concernant le logocentrisme stoïcien et le débat autour de l’intelligence animale, voir R. Sorabji, „Esprits d’animaux“, dans B. Cassin, J.-L. Labarrière, G. Romeyer Dherbey (v. n. 12), p. 355-373; D. Goguey, Les animaux dans la mentalité romaine, Bruxelles 2003; U. Dierauer (v. n. 12); J.-L. Labarrière (v. n. 32); T. Gontier, L’homme et l’animal (v. n. 5), p. 71-102. 38 Cic. Fin. III, 67. Cf. Cic. Nat. II, 157-158; Off. II, 14; Diog. Laërt. VII, 129. Pour une vision plus nuancée, voir Rep. III, 19 et Fam. VII, 1, 3. Sur les droits des animaux, voir R. Sorabji (v. n. 12), p. 134-157; S. T. Newmyer, „The Human soul and the Animal soul. Stoic theory and its survival in contractual Ethics“, dans A. Alexandridis, M. Wild, L. Winkler-Horacet (v. n. 12), p. 71-77. 39 J. Wildberger, „Beast or God? The Intermediate Status of Humans and the Physical Basis of the Stoic Scala Naturae“, dans A. Alexandridis, M. Wild, L. WinklerHoracet (v. n. 12), p. 48-70. 40 Cic. Fin. III, 17; 20; 21; 23.

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référence dans la réflexion sur le souverain bien. Quel est, dans ce débat contradictoire, l’avis de l’académicien Cicéron? Conçoit-il l’animal comme une figure référentielle?

2. „Désanimaliser“ l’homme Face à la pluralité des voix et à l’enchevêtrement des points de vue exprimés dans le De finibus, il n’est pas facile de reconstituer la position du philosophe romain. Néanmoins, dans la mesure où elles sont prises en charge par la persona philosophique cicéronienne, on peut faire fond sur les réfutations des livres II et IV : on sait que ces exposés font largement appel aux arguments topiques échangés dans les polémiques philosophiques et, partant, aux doxographies éthiques élaborées par Chrysippe et Carnéade.41 Il n’est pas question de nier l’influence de l’académicien Antiochus d’Ascalon sur le contenu et la forme de l’argumentation.42 Cependant rien n’interdit de considérer que Cicéron parle en son propre nom et élabore une construction dialectique personnelle à partir d’éléments empruntés à la tradition doxographique. Si l’on en croit les propos-mêmes de l’Arpinate, il cherche, non tant à réfuter telle ou telle conception, qu’à déterminer par le dialogue la réponse théorique la plus cohérente.43 Cette méthode est du reste explicitée dans les Tusculanes, où Cicéron insiste sur son appartenance à la nouvelle Académie et sur la liberté avec laquelle il recherche ce qui lui paraît le plus vraisemblable.44

41 Sur l’utilisation des divisions éthiques dans le De finibus, voir A. Michel, „L’épicurisme et la dialectique de Cicéron“, dans Actes du VIIIe Congrès de l’Association Guillaume Budé, Paris 1969, p. 393-411; C. Lévy, „Un problème doxographique chez Cicéron: les indifférentistes“, dans Revue des Études Latines, 58/1981, p. 240-251; id., „La dialectique de Cicéron dans les livres II et IV du De finibus“, dans Revue des Études Latines, 62/1984, p. 111-127; id., „Doxographie et philosophie chez Cicéron“, dans id. (éd.), Le concept de nature à Rome, Paris 1996, p. 109-123. 42 R. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften, 3. Aufl., Leipzig 1883, p. 656-660. 43 Cic. Fin. II, 1-6; V, 79-81. 44 Cic. Tusc. IV, 83; V, 11; V, 33.

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2.1. Bestiarum nullum iudicium puto Or ce qui retient l’attention au premier chef, c’est l’insistance avec laquelle Cicéron récuse le raisonnement analogique qui vise à comprendre l’homme en observant la bête. Ce rejet est exprimé dans un passage important, dont les termes méritent la plus grande attention.45 La figure étymologique (praua/deprauata) permet de mettre en question le paradigme de l’animalité en revenant sur la portée morale de l’opposition nature/culture (disciplina/natura). La feritas qui caractérise les bêtes sauvages est un argument décisif pour disqualifier les animaux, qui ne doivent pas être pris pour guides dans la recherche du souverain bien. Le substantif iudicium, ironiquement appliqué aux bestiae, renvoie au domaine du droit et annonce la métaphore du procès qui sera développée un peu plus bas.46 Cicéron suggère que les animaux, limités qu’ils sont au critère sensoriel, ne peuvent être tenus pour des juges compétents en matière d’éthique et que c’est à la raison, dont les animaux sont jugés dépourvus, qu’il faut en référer.47 Il conteste les fondements d’une analogie jugée non pertinente au plan moral: l’animal ne saurait être à ses yeux un modèle pour l’homme parce qu’il existe entre ces deux faunes48 une différence radicale de nature. Et Cicéron d’insister sur ce qui distingue homines et bestiae en une longue énumération fondée sur la raison et structurée selon les quatre vertus cardinales: puissance de l’esprit, qui incite à la vie en société, à la recherche de la vérité, à la grandeur d’âme et à la modération.49 Cette vision tranchée est confirmée par l’ensemble des philosophica: du De inuentione au De officiis en passant par le De legibus, le De oratore ou les Tusculanes,50 l’Arpinate ne cesse d’insister non seulement sur l’opposition entre l’homme et l’animal mais sur la supériorité humaine. Cet optimisme anthropologique apparaît dans l’usage de verbes 45 Cic. Fin. II, 33: Bestiarum uero nullum iudicium puto. Quamuis enim deprauatae non sint, prauae tamen esse possunt. Vt bacillum aliud est inflexum et incuruatum de industria, aliud ita natum, sic ferarum natura non est illa quidem deprauata mala disciplina, sed natura sua. 46 Cic. Fin. II, 36. 47 Cic. Fin. II, 44. 48 Le terme est emprunté à F. Wolff (v. n. 4), p. 113-137. 49 Cic. Fin. II, 45-46. 50 Cic. Inu. I, 5; Off. I, 11, 14, 34, 50, 81, 105-107; Leg. I, 22-30, de Or. I, 33; Tusc. I, 69; V, 38.

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marquant soit la différence, tels differe ou abesse, soit la précellence, tels praestare, antecellere ou antecedere. Dans tous les cas, il s’agit d’identifier l’homme à ce qui fait sa spécificité, à savoir la possession de la ratio et de la uis orationis qui en découle, et de mettre en évidence la domination de l’homme sur l’ensemble des créatures terrestres. Cette conception anthropocentrique fondée sur l’exaltation du logos trouve son expression la plus achevée dans l’exposé providentialiste du stoïcien Balbus au deuxième livre du De natura deorum.51 Pourtant, la comparaison du petit d’homme et du petit animal avait joué un rôle important dans la polémique philosophique sur la providence: pour réfuter le paradigme artificialiste, les épicuriens avaient insisté sur l’infériorité native du nourrisson par rapport aux autres animaux.52 Reprenant à son compte le point de vue stoïcien dans la perspective du mythe du Protagoras,53 Cicéron admet la faiblesse de l’homme à la naissance, mais considère qu’elle est amplement compensée par la possession de l’intelligence, comme il l’indique dans le prologue du De inuentione54 et dans un passage fragmentaire du De re publica.55 Il est vrai que cet éloge des facultés rationnelles est contredit au livre III du De natura deorum dans l’exposé de Cotta.56 Pour réfuter la téléologie stoïcienne, le porte-parole de la nouvelle Académie conteste ironiquement la supériorité humaine en soulignant, au moyen d’exemples empruntés à la tragédie, à la comédie et à l’histoire, les effets pervers de la raison. Dans la mesure où la raison est compatible avec les vices et avec le mal, dans la mesure où il est possible à l’homme d’en faire un usage criminel, il n’est pas cohérent de considérer qu’elle est un don divin.57 Cependant, cet argument topique renvoie à la polémique néo-académicienne contre la théologie stoïcienne et Cicéron lui-même avoue trouver plus de vraisemblance dans le discours du stoïcien Balbus que dans 51 Voir Cic. Nat. II, 133-153 et l’analyse de S. Rocca (v. n. 12), p. 125-134. 52 Lucr. DRN V, 222-234; cf. B. Rochette, „Nudus … infans … à propos de Lucrèce, V, 222-227“, dans Les Études Classiques, 60/1992, p. 69-73; A. Gigandet, „Les épicuriens et le paradigme artificialiste“, dans C. Lévy, B. Besnier, id. (éd.), Ars et ratio. Sciences, art et métiers dans la philosophie hellénistique et romaine, Bruxelles 2003, p. 221-230. 53 Plat. Prot. 321c-322d. 54 Cic. Inu. I, 5. 55 Cic. Rep. III, 1-3. Cf. F. Tutrone, Filosofi e animali in Roma antica. Modelli di animalità et umanità in Lucrezio et Seneca, Pavia 2012, p. 118-119. 56 Cic. Nat. III, 66-78. 57 Cic. Luc. 80-81, où l’animal fournit un argument contre la perfection des sens humains, voir T. Gontier, La question de l’animal (v. n. 3), p. 13-15.

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celui de Cotta.58 On peut donc considérer que ce point de vue, adopté dialectiquement par le représentant de la nouvelle Académie, ne remet pas en cause la foi de Cicéron dans les potentialités de l’âme humaine, qui recèle les germes de l’absoluta ratio.59 2.2. Le plaisir, le corps, l’animal Compte tenu du fossé infranchissable qui sépare les êtres rationnels des autres espèces, l’impulsion naturelle qui s’exprime dans le comportement animal rend très inadéquatement compte des premières tendances humaines. C’est dans cette perspective qu’est conduite, dans le livre II du De finibus, la réfutation de l’épicurisme, qui est fondée sur l’antithèse entre l’homme et l’animal. Cicéron reproche en effet aux philosophes hédonistes d’assimiler l’homme, qui est une „sorte de dieu mortel“, à une „bête nonchalante“, exclusivement tournée vers les plaisirs du ventre.60 Or cette association de l’animalité et de la uoluptas ne reflète pas exactement le point de vue des stoïciens, qui, comme nous l’avons vu, considéraient que la première impulsion de l’être animé le poussait non pas vers le plaisir, mais vers la conservation de sa constitution et de sa progéniture.61 De son côté, Cicéron préfère écarter le paradigme animal et mener la discussion en se fondant sur l’exemple des petits enfants.62 Sans remettre en cause l’influence stoïcienne sur l’anthropologie cicéronienne, cette légère distorsion traduit chez l’Arpinate une nette tendance à éliminer toute communauté de nature entre hommes et bêtes et à établir une équivalence entre plaisirs sensoriels et animalité. Ce motif est récurrent dans l’ensemble de l’œuvre où la recherche du plaisir est considérée comme une caractéristique purement animale. Dès lors, l’être qui se laisse guider par l’attrait du plaisir ne peut atteindre à la dignité d’homme puisqu’il se comporte à la manière d’une bête (Lael. 32: pecudum ritu).63 Selon cette logique, non seulement Épi-

Cic. Nat. III, 95. Cic. Tusc. V, 38. Cic. Fin. II, 40. Cic. Fin. IV, 16; 25. Cic. Fin. II, 33: Nec uero ut uoluptatem expetat, natura mouet infantem, sed tantum ut se ipse diligat. 63 Même assimilation dans Luc. 139; Lael. 20. 58 59 60 61 62

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cure est présenté comme un penseur du corps,64 mais l’épicurisme n’est rien d’autre qu’une doctrine imaginée par un animal pour des animaux.65 Par le biais de cette assimilation, la figure de l’animal constitue un instrument efficace dans la polémique anti-épicurienne: prôner le plaisir revient à réduire l’homme à l’état de bête muette. Et c’est précisément parce que cette identification n’est pas conforme à la nature que le telos épicurien est irrecevable.66 Pourtant, au-delà de cette opposition schématique, Cicéron n’ignore pas que l’ataraxie épicurienne ne se réduit pas à l’instantanéité des plaisirs en mouvement recommandés par les Cyrénaïques.67 Il reproche du reste à Épicure d’associer plaisirs et absence de douleur sans être en mesure d’expliquer le passage de l’un à l’autre.68 Par ailleurs, il n’exclut pas totalement que le plaisir puisse faire partie des premières tendances.69 En revanche, il ne peut se résoudre à admettre l’axiologie épicurienne qui fait de la vertu l’auxiliaire de la uoluptas.70 Et il est intéressant de remarquer que le renversement de cette hiérarchie s’opère grâce à un raisonnement a fortiori qui fait précisément intervenir le paradigme animal: puisque même le comportement des animaux n’est pas toujours déterminé par l’attrait du plaisir et peut parfois présenter certaines apparences de vertus humaines, il est d’autant plus impossible que la vertu soit chez l’homme subordonnée au plaisir.71 Si le consulaire semble admettre l’idée, commune aux péripatéticiens et aux stoïciens,72 selon laquelle certains animaux comme le lion, le chien ou le cheval manifestent des qualités qui ressemblent à la vertu,73 la force de l’argument repose, d’une part, sur 64 J. Leonhardt, Ciceros Kritik der Philosophenschulen, München 1999, p. 207. 65 Cic. Tusc. V, 73: huic , ut dixi non multum differenti a iudicio ferarum… 66 Cic. Fin. II, 111: Nec tamen ullo modo summum pecudis bonum et hominis idem mihi uideri potest. Cf. Cic. Acad. I, 6: pecudis enim et hominis idem bonum esse censent. 67 Cic. Fin. II, 95-106. 68 Cic. Fin. II, 32. Voir M. Stokes, „Cicero on Epicurean Pleasures“, dans J. Powell (éd.), Cicero the philosopher, Oxford 1995, p. 145-170 et S. Luciani, Temps et éternité dans l’œuvre philosophique de Cicéron, Paris 2010, p. 250-259. 69 Cic. Fin. II, 33-34. 70 Cic. Fin. II, 110. 71 Cic. Fin. II, 110: Ergo in bestiis erunt secreta a uoluptate humanarum quaedam simulacra uirtutum, in ipsis hominibus uirtus nisi uoluptatis causa nulla erit ? 72 Cic. Fin. V, 38. 73 Cette dévalorisation des capacités et des émotions animales sur le mode du „comme si“ est un procédé stoïcien, voir R. Sorabji, „Esprits d’animaux“ (v. n. 37), p. 367-368, qui cite Sen. Epist. 124, 16; Ir. I, 3, 7; II, 3, 5; II, 4, 1.

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le fossé entre animalité et humanité, d’autre part, sur un écart concessif par rapport au motif de l’animal-plaisir. L’argument a fortiori mobilisé pour les besoins de la polémique renforce indirectement le paradigme dont il semble s’écarter. Tout se passe comme si, pour renforcer la cohérence de son propos, le philosophe cherchait à établir une correspondance terme à terme entre la sphère de l’éthique et celle de l’anthropologie: à l’opposition honestas/uoluptas, issue de la tradition doxographique, et plus précisément de la diuisio morale élaborée par Chrysippe,74 répond symétriquement le couple antinomique homme/bête. Dans le cadre de la polémique contre l’éthique épicurienne, l’animal devient un paradigme de uoluptas qui cristallise les enjeux éthiques de l’anthropologie cicéronienne et fonctionne comme une incitation à la vertu. Cependant, la polémique antiépicurienne n’épuise pas la signification de la figure animale dans la pensée cicéronienne. Bien que Cicéron soit sur le fond d’accord avec les stoïciens pour considérer qu’il faut définir le souverain bien en référence à la qualité dominante de l’homme, à savoir la raison, il se garde d’oublier que l’homme est aussi un être charnel dont le corps et les sens ne doivent pas être totalement ignorés.75 C’est pourquoi il ne manque pas de souligner les contradictions inhérentes à la notion d’animal rationnel: l’éthique stoïcienne, qui se fonde sur la force persuasive des représentations et prétend partir des premières tendances, „abandonne la nature“ en excluant les prima naturae de la définition de la vie heureuse.76 Dans ces conditions, le monisme stoïcien, qui ne permet pas de concilier naturalisme et logocentrisme, se heurte à l’obstacle de l’animalité.

3. Animalité et dualisme Cicéron pense pouvoir dépasser cette aporie théorique en se fondant sur une psychologie dualiste77 qui tend à éliminer toute référence à l’animal, comme en attestent les Tusculanae disputationes, rédigées dans le prolongement du De finibus. Cet ouvrage, présenté comme 74 75 76 77

Cic. Luc. 138 et Tusc. V, 84. Cic. Fin. IV, 37-43; V, 34-40. Cic. Fin. IV, 43. Cic. Fin. IV, 28.

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le récit de cinq conversations successives entre Cicéron lui-même et un jeune disciple anonyme, vise à démontrer que non seulement la vertu suffit au bonheur mais que toutes les écoles philosophiques sont à même de garantir la vie heureuse au sage. Pour ce faire, l’Arpinate adopte une perspective génétique et fonde sa réflexion sur l’enseignement de Socrate et de Platon, source de toutes les doctrines éthiques ultérieures.78 3.1. Animal divin Prenant d’abord la Nature pour guide, il rappelle que chaque catégorie d’être se conforme à la loi de son espèce mais souligne le caractère inadéquat de la comparaison homme/animal. Se référant au paradigme animalier pour montrer que chaque espèce a été dotée d’un attribut spécifique, il ajoute que l’homme a reçu de la Nature un don bien supérieur (multo quiddam praestantius), qui rend impossible tout rapprochement avec l’animal.79 S’il reprend à son compte le principe de la scala naturae, Cicéron insiste sur la rupture radicale entre l’homme et les autres êtres animés. La raison n’est pas seulement un attribut supplémentaire accordé à l’homme, c’est une étincelle divine qui modifie radicalement la nature et la disposition de l’être qui la possède.80 On peut percevoir dans cette conception une nouvelle distorsion par rapport à la doctrine stoïcienne: comme l’a souligné Jula Wildberger, Chrysippe et ses successeurs semblent en effet avoir envisagé en termes plutôt quantitatifs les différences entre les catégories du vivant. Conformément à la cosmologie immanente qu’ils professaient, ils considéraient que toutes les choses étaient pénétrées par le pneuma divin, dont la quantité et la concentration augmentaient graduellement selon les niveaux d’être depuis le rocher jusqu’à divinité.81 Cette vision scalaire exclut toute solution de continuité entre les espèces, quelle que soit l’excellence de la raison telle qu’elle sera célébrée par un Sénèque.82 78 Cic. Tusc. V, 36. Sur la continuité de la tradition socratique, cf. Cic. de Or. III, 61-62; Tusc. IV, 6; Off. III, 11. 79 Cic. Tusc. V, 38: Etsi praestantia debent ea dici quae habent aliquam comparationem, humanus autem animus decerptus ex mente diuina cum alio nullo nisi cum ipso deo, si hoc fas est dictu, comparari potest. 80 Cic. Rep. VI, 26; Leg. I, 24; CM 78. 81 J. Wildberger (v. n. 39). 82 Sen. Ep. 76, 9-10.

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Or il me semble que l’anthropologie des Tusculanes repose sur une distinction qualitative, qui vise à instaurer une rupture entre les facultés rationnelles et les éléments terrestres afin de rapprocher l’homme de la divinité. On trouve une confirmation de cette hypothèse dans la première Tusculane, où Cicéron, sans affirmer ce point dogmatiquement, accumule les preuves en faveur de l’immortalité de l’âme.83 Celles-ci sont tirées des extraordinaires qualités de l’esprit, qui ne peuvent provenir d’un principe matériel mais trouvent nécessairement leur origine dans une source divine.84 Comme j’ai essayé de le montrer ailleurs, dans cette auto-citation tirée de sa Consolation, Cicéron insiste sur l’idée de séparation et substitue à la vision matérialiste des stoïciens une conception transcendante de l’âme.85 Or cette définition de l’âme humaine comme incorporalis res, qui aura une grande influence sur l’apologiste Lactance,86 s’inscrit dans le cadre d’une anthropologie platonisante, marquée par le dualisme âme/corps. 3.2. Animal immortel Cette distance par rapport à la psychologie stoïcienne s’exprime également sur la question de l’immortalité de l’âme, qui cristallise l’opposition entre le naturalisme hellénistique et la métaphysique platonicienne.87 Dans la première Tusculane, Cicéron cherche à démontrer que la mort n’est pas un mal, et ce, que l’âme soit immortelle comme le pense Platon ou qu’elle meure avec le corps comme le croient les épicuriens. Or, après avoir longuement évoqué la première hypothèse pour laquelle il avoue sa préférence, il mentionne la position intermédiaire

83 Cic. Tusc. I, 50-71. 84 Cic. Tusc. I, 66: Animorum nulla in terris origo inueniri potest; nihil enim est in animis mixtum atque concretum aut quod ex terra natum atque fictum esse uideatur, nihil ne aut umidum quidem aut flabile aut igneum. His enim in naturis nihil inest, quod uim memoriae, mentis, cogitationis habeat, quod et praeterita teneat et futura prouideat et complecti possit praesentia. quae sola diuina sunt, nec inuenietur umquam, unde ad hominem uenire possint nisi a deo. Singularis est igitur quaedam natura atque uis animi seiuncta ab his usitatis notisque naturis. 85 S. Luciani (v. n. 68), p. 262-265. 86 Voir Lact. Opif. 16, 11; Inst. VII, 9, 7 et B. Bakhouche, S. Luciani (édd.), Lactance, De opificio Dei (v. n. 1), p. 238-239, n. 233. 87 H. Seng, „Aufbau und Argumentation in Ciceros Tusculanae Disputationes“, dans RhM, N. F. 141(4)/1998, p. 329-347 (331-334).

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du Portique juste avant d’envisager la seconde alternative.88 Les stoïciens en effet postulaient une survie provisoire de l’âme après la mort et liaient la durée de cette persistance à la tension du pneuma et à la rationalité: si les âmes des animaux non rationnels périssent avec leur corps, celles des insensés subsistent peu de temps, tandis que celles des sages survivent jusqu’à la conflagration universelle.89 Jugeant incohérente l’idée d’une survie limitée, Cicéron réfute plus spécifiquement le point de vue du stoïcien Panétius, qui semble – peut-être en relation avec l’abandon de la thèse de la conflagration – avoir rejeté plus nettement que ne l’avaient fait ses prédécesseurs, toute idée de survie post mortem.90 Après avoir souligné le fait que l’immortalité était le seul point de divergence entre Panétius et Platon, Cicéron rapporte les principaux arguments du stoïcien, qui sont liés à la nature corporelle de l’âme: d’une part, tout ce qui est né doit périr. Or la ressemblance physique et morale entre parents et enfants prouve que l’âme naît avec le corps. D’autre part, ce qui est sujet à la souffrance l’est aussi à la mort. Or l’âme est sujette à la souffrance.91 Pour réfuter ce dernier argument, Cicéron, se fondant sur le dualisme platonicien,92 rappelle que l’intellect n’est pas atteint par les troubles qui touchent les parties désirantes.93 Le syllogisme fondé sur l’hérédité, qui figurait déjà chez Chrysip­ pe et Cléanthe dans le débat sur la préexistence des âmes,94 oppose plus de résistance. Il renvoie à l’idée selon laquelle, les âmes individuelles résultant de la procréation, les caractéristiques psychologiques se transmettent des parents aux enfants par la semence. Or Cicéron ne nie pas les similitudes entre parents et enfants, mais s’efforce d’en nuancer la portée en ce qui concerne la question de l’immortalité de l’âme. Pour cela, il commence par établir une comparaison avec les animaux, chez lesquels ces ressemblances sont plus manifestes car leur Cic. Tusc. I, 78-81. Cf. Diog. Laërt. VII, 157; SVF II, 522; SVF II, 810; SVF II, 809. E. Vimercati, Il Mediostoicismo di Panezio, Milan 2004, p. 99-107. Cic. Tusc. I, 79. Plat. Resp. 610e-611a. Cic. Tusc. I, 80: cum de aeternitate animorum dicatur, de mente dici, quae omni turbido motu semper uacet, non de partibus iis in quibus aegritudines, irae libidinesque uersentur. 94 Voir Tertullien, Anim. 5, 4 = SVF II, 791; Nemes. Nat. Hom. p. 20, 14-17 Morani = SVF I, 518; Alex. Aphrod. De anima, II, 117, 1-9 et l’étude de J.-B. Gourinat, „Le traité de Chrysippe sur l’âme“, dans Revue de Métaphysique et de Morale, 4/2005, p. 557-578 (564-565). 88 89 90 91 92 93

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âme est dépourvue de raison et donc promise à une mort certaine. Ce rapprochement permet de garantir le caractère incorporel et immortel de la raison humaine en limitant les effets de la génétique à la partie irrationnelle de l’âme. Ce n’est pas un hasard si le syntagme – rationis expers – qui concerne ici l’âme des bêtes est employé au début de la quatrième Tusculane pour ancrer la réflexion sur les passions dans une psychologie bipartite.95 La discriptio cicéronienne de l’âme est parfaitement conforme à la distinction établie par Socrate dans la République entre „l’élément par lequel l’âme raisonne“ et celui par lequel „elle aime, a faim, a soif et vole sans cesse autour des autres désirs“.96 Par conséquent, on peut se demander pour finir jusqu’à quel point Cicéron est fidèle au modèle platonicien. 3.3. Esprits animaux? Cicéron reprend-il à son compte l’assimilation – développée par Platon – des parties irrationnelles de l’âme à des animaux qui doivent être domptés par la raison?97 La réponse à cette question doit être nuancée: l’Arpinate admet que l’âme désirante soit commune aux hommes et aux animaux.98 Il reprend clairement à son compte la hiérarchie dualiste propre à la psychologie platonicienne et indique, dans la deuxième Tusculane par exemple, que l’homme doit veiller à ce que sa raison domine la partie corporelle de son âme.99 Cependant, pour illustrer cette obéissance, Cicéron substitue au modèle zoologique du dressage un paradigme sociologique décliné selon trois types de relations – maître/esclave, général/soldat et père/fils – qui visent à suggérer une 95 Cic. Tusc. IV, 10: … in his explicandis ueterem illam equidem Pythagorae primum, dein Platonis discriptionem sequar, qui animum in duas partes diuidunt, alteram rationis participem faciunt, alteram expertem; in participe rationis ponunt tranquillitatem, id est placidam quietamque constantiam, in illa altera motus turbidos cum irae, tum cupiditatis, contrarios inimicosque rationi. Voir les analyses de C. Lévy (v. n. 94); id., „Chrysippe dans les Tusculanes“, dans B. Besnier, P. F. Moreau, L. Renault (édd.), Les passions antiques et médiévales, Paris 2003, p. 131-143. 96 Plat. Resp. 439c-d. 97 Plat. Phaedr. 246a-253e; Resp. 588c-589d; Tim. 71a et les analyses de U. Dierauer (v. n. 12), p. 66-71; T. Gontier, L’homme et l’animal (v. n. 5), p. 32-34. 98 Cic. Tusc. I, 56. 99 Cic. Tusc. II, 47. Voir S. Luciani, „Discours intérieur et ascèse philosophique chez Cicéron“, dans B. Pérez-Jean, M. Fourcade, P.-Y. Kirschleger, dies. (édd.), Les Dialectiques de l’ascèse, Paris 2011, p. 167-182.

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progression dans la maîtrise de soi en dehors de toute référence à l’animalité.100 On ne relève que deux passages présentant une assimilation explicite de l’irrationnel à l’animalité. Mais il s’agit de développements directement inspirés de Platon: il en est ainsi dans le De re publica, où la partie concupiscente de l’âme est comparée à une bête monstrueuse et féroce qu’il appartient à la raison de dompter101 et dans un passage du De diuinatione qui est une citation de la République.102 L’image apparaît également dans les Tusculanes où Cicéron dit que le chagrin, source de tous les troubles de l’âme, doit être évité comme une bête horrible et cruelle.103 Néanmoins on voit que la comparaison ne porte pas directement sur une partie de l’âme, mais sur une passion, dont la dangerosité est comparée à celle d’un fauve. Il semble par conséquent que Cicéron, soucieux de garantir la prééminence de l’intelligence humaine, cherche à la préserver de toute contamination animale. Dans cette perspective, on ne s’étonnera pas qu’il ne fasse aucune référence ni à la métensomatose, qui impliquait une certaine perméabilité entre l’humain et l’animal,104 ni a fortiori à la thèse de l’intelligence animale, qui, ébauchée dans certains dialogues de Platon, fut soutenue par ses successeurs, et notamment pas Xénocrate,105 puis probablement reprise à des fins polémiques par les philosophes de la nouvelle Académie.106 De même qu’il ne se réfère pas à la partie irascible de l’âme et radicalise de ce fait le dualisme platonicien, il récuse le continuum psychique supposé par l’eschatologie du Phèdre et de la République et n’admet pas que la frontière entre animalité et humanité puisse se situer à l’intérieur de l’âme humaine.107

100 A. Long, „Hellenistic Ethics and Philosophical Power“, dans id., From Epicurus to Epictetus. Studies in Hellenistic and Roman Philosophy, Oxford 2006, p. 4-22. 101 Cic. Rep. II, 67-68. 102 Cic. Diu. I, 60 = Plat. Resp. 571c-572a. 103 Cic. Tusc. IV, 45. 104 Plat. Phaedr. 248c-249c; Resp. 617d-620d; Tim. 90a-90e et les analyses de U. Dierauer, Tier und Mensch (v. n. 12), p. 71-80; id., „Raison ou instinct?“ (v. n. 12), p. 9-10; L. Brisson, „Le corps animal comme signe de la valeur d’une âme chez Platon“, dans B. Cassin, J.-L. Labarrière, G. Romeyer Dherbey (édd.), (v. n. 12), p. 213-241. 105 U. Dierauer, Tier und Mensch (v. n. 12), p. 97-99; id., „Raison ou instinct?“ (v. n. 12), p. 10. 106 U. Dierauer, „Raison ou instinct?“ (v. n. 12), p. 24; J.-L. Labarrière, „Logos en­dia­ thetos“ (v. n. 13), p. 63-81. 107 U. Dierauer, Tier und Mensch (v. n. 12), p. 71.

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Loin de faire une place aux esprits animaux, l’anthropologie cicéronienne se construit donc sur une opposition radicale entre animalité et humanité. L’animal est érigé en figure négative, qui permet de préciser en creux les caractéristiques de la nature humaine. Aux épicuriens qui prétendaient prouver la primauté du plaisir en observant le comportement des bêtes, Cicéron répond que celles-ci ne sauraient être un modèle pour les hommes qui sont bien autre chose que des animaux dénaturés. La différence entre l’homme et l’animal, qui confère un fondement anthropologique à l’opposition entre vertu et plaisir, lui permet de récuser l’éthique épicurienne et de penser la spécificité du telos humain. Face aux premiers stoïciens, qui prétendaient intégrer la vertu aux tendances naturelles des êtres rationnels en montrant „que le comportement d’un agent moral vertueux prend racine dans l’affiliation à l’instinct de conservation“,108 Cicéron s’inspire du médio-stoïcien Panétius pour insister sur la singularité humaine dans le processus qui permet de passer, grâce à la uis rationis, de l’oikeiosis individuelle à l’oikeiosis sociale.109 Soucieux de fonder le débat éthique sur une définition aussi précise que possible de la nature humaine, l’Arpinate rappelle aux stoïciens qu’il y a nécessairement dans l’âme des éléments corporels110 dont on doit tenir compte pour déterminer le souverain bien. C’est pourquoi, s’ils se fondent à juste titre sur la raison pour établir la prééminence de la vertu, leur doctrine gagnerait en cohérence si elle ne s’appuyait pas sur une psychologique matérialiste et continuiste. Dans cette perspective Cicéron insiste sur la spécificité de la psyché humaine en liant la raison à un principe divin, incorporel et immortel. Ce faisant, il instaure une rupture qualitative entre l’homme et les animalia, qui n’ont pas accès à cette forme d’être. Mais cette démarche le conduit à laisser de côté un aspect aussi important que problématique de la psychologie platonicienne, dont par ailleurs il se réclame. Veillant à ne pas faire entrer le loup dans la bergerie, il cherche à préserver l’homme de toute animalité et évite de reprendre directement à son compte le paradigme de l’animal intérieur. Du De inuentione au 108 B. Inwood, „Stoic Ethics“, dans The Cambridge History of Hellenistic Philosophy, Cambridge, New York 2003, p. 677-682. 109 Cic. Off. I, 11-14; cf. Fin. III, 62-63. Sur la différence de perspective entre les deux passages, voir C. Lévy, Cicero Academicus. Recherches sur les Académiques et sur la philosophie cicéronienne, Rome 1992, p. 526-535 et E. Vimercati (v. n. 90), p. 125-129. 110 Cic. Fin. IV, 28.

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De officiis, l’œuvre cicéronienne se caractérise par une tension vers la „désanimalisation“ de l’homme. Contre-modèle psychologique, eschatologique, éthologique, moral et politique, l’animal est prioritairement pour Cicéron une figure d’altérité qui structure la réflexion anthropologique. Ce clivage, qui vient dans une certaine mesure se substituer à la dichotomie posée par les premiers stoïciens entre le sage et l’insensé,111 a été contesté dès l’Antiquité, notamment par Plutarque, Celse, Sextus Empiricus et Porphyre, dont les arguments dérivent pour une grande part de la zoologie aristotélicienne.112 Il est aujourd’hui fortement remis en question par les expériences menées avec des grands singes, des poulpes ou même des corbeaux dans les sciences du vivant.113 En un sens, les mésanges bleues qui, dans les années 1920 en Grande Bretagne, s’entendaient à dérober du lait en perçant l’opercule des bouteilles et s’attaquaient de préférence à celles qui contenaient de la crème, suffisent à prouver – je n’ose dire en volant – la faiblesse théorique de l’opposition homme/animal.114 Disqualifient-elles pour autant l’anthropologie cicéronienne? Je ne le pense pas. Il me semble au contraire que cette dichotomie représente une étape – logiquement et chronologiquement – indispensable à l’émergence de l’humanisme.

111 Sur l’opposition stoïcienne entre l’insensé et le sage, qui est liée à l’usage de la raison, voir T. Bénatouil, Faire usage: la pratique du stoïcisme, Paris 2006, p. 79112 et C. Jedan (v. n. 12), p. 185-204. 112 J.-L. Labarrière, „‚Bons à penser‘. Pour qui, comment et pourquoi?“, dans F. Gasti, E. Romano (édd.), „Buoni per pensare“. Gli animali nel pensiero e nella letteratura dell’Antichità, Pavia 2003, p. 13-28. 113 R. Sorabji, „Esprits d’animaux“ (v. n. 12), p. 355-373; P. Picq, „L’homme, point culminant de l’évolution?“, dans J. Birnbaum (éd.), Qui sont les animaux?, Paris 2010, p. 47-87. 114 Cas célèbre récemment commenté par J.-C. Ameisen, Sur les épaules de Darwin. Les battements du temps, Paris 2012, p. 386-393.

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„Eine lächerliche Kopie des Menschen“ – der Affe in den Tierversuchen Galens

Einleitung Seit Peter Singers 1975 erschienenem Buch „Animal Liberation“ (deutsch 1996 „Die Befreiung der Tiere“) gibt es eine lebhafte „Tierethikdebatte“.1 Neben dem Problem der Massentierhaltung steht hierbei im Zentrum die Frage, ob und wie Tiere für experimentelle Zwecke verwendet werden sollen oder dürfen.2 In dieser Ethikdebatte spielt das Argument, dass Tiere seit Jahrhunderten bei Versuchen verwendet werden, naturgemäß keine Rolle. Eine Tradition gleich welcher Art begründet keine Ethik, sie ist bereits Ausdruck einer ethischen Haltung, die ihrerseits sich wandelnden zeitspezifischen Einflüssen ausgesetzt ist. Für die vorliegende Untersuchung zu den antiken Tierversuchen ist interessant, dass Peter Singer in der antiken Tradition (und später) zu sehen meint, „daß frühere Generationen Haltungen als richtig und natürlich betrachteten, die wir als ideologische Verbrämungen eigennütziger Praktiken erkennen.“3 Der Kern des Problems liegt für Singer im „Speziesismus“, so seine Begriffsprägung: „Speziesismus“ meint die Haltung, den Interessen der eigenen Spezies, nämlich derjenigen des Menschen, höheren Rang einzuräumen als denjenigen anderer Spezies, nämlich der Tiere.4 1 U. Wolf (Hrsg.), Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008; P. Singer, Die Befreiung der Tiere [engl. Original 1975], Reinbek bei Hamburg 1996. 2 Hierzu die Texte bei Wolf (wie Anm. 1), S. 232-288; K. Gärtner, G. Heine, A. Elsässer, „Tierversuche“, in: Lexikon der Bioethik Bd. 3 (1998), S. 567-572. 3 Singer (wie Anm. 1), S. 302. 4 Singer (wie Anm. 1), S. 34; vgl. P. Singer, Praktische Ethik, Stuttgart 32013, S. 102; folgerichtig nennt Singer die Tiere „nicht-menschliche Lebewesen“ (englisch: „non-human animals“) und vergleicht den Speziesismus mit dem Rassismus. Es sei beiläufig erwähnt, dass die Argumente Singers, der sich auf Jeremy Benthams (1748–1832) Utilitarismus beruft, auch von Veganern, die seine Ziele teilen, gelegentlich unverblümt als „konfus“ und „Gerede“ bezeichnet werden, vgl. etwa C.

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Im Unterschied zu einer philosophischen Argumentation nach der Art von Peter Singer, der bewusst auf eine historische Darstellung verzichtet, sollen im folgenden die Positionen zum Tierexperiment in der antiken Medizin, hier insbesondere die Rolle von Affen in Galens Versuchen, herausgearbeitet werden. Zu fragen ist nach Art und Umfang antiker Tierversuche, nach der Auswahl der Versuchstiere, der Begründung und dem erwarteten Erkenntnisgewinn für den Menschen. Bei Galen wird zu betrachten sein, für welche Forschungen er Affen, lebende und tote, heranzog, und welche Besonderheiten den Affen einerseits als Versuchstier attraktiv machten, in anderen Fällen aber auch als ungeeignet erscheinen ließen. Daran schließt sich ein kurzes Fazit.

Tierversuche und Tierschutz im historischen Kontext Die Frage nach dem Tierschutz innerhalb der Medizin, speziell hinsichtlich der Tierversuche, hat eine Geschichte, die bis in das 19. Jahrhundert zurück reicht.5 Im Zuge der britischen AntivivisektionismusBewegung kam es 1876 zum Erlass des „Cruelty to Animals Act“. Hierdurch wurden Tierexperimente, die mit den physiologischen Forschungen von François Magendie (1783–1855) und Claude Bernard (1813–1878) ein unverzichtbares Element der naturwissenschaftlichen Medizin geworden waren, erstmals reglementiert.6 Diese rechtliche Erfassung des Problems war das Ergebnis einer historischen Entwicklung; die Frage, ob und wie Tierversuche unternommen werden sollten, wurde seit dem 17. Jahrhundert kontrovers diskutiert. Epochale Fortschritte der medizinischen Renaissance der Frühen Neuzeit basierten auf Tierversuchen, so die Entdeckung des Blutkreislaufs durch William Harvey (1578–1657), beschrieben in seiner 1628 in Frankfurt veröffentlichten Abhandlung Exercitatio anatomica de motu cordis

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Diamond, „Fleisch essen und Menschen essen“ (engl. Original 1978), in: C. Diamond, Menschen, Tiere und Begriffe. Aufsätze zur Moralphilosophie, Berlin 2012, S. 83-106, hier S. 85 u. 88. Grundlegend A.-H. Maehle, Kritik und Verteidigung des Tierversuchs. Die Anfänge der Diskussion im 17. und 18. Jahrhundert, Stuttgart 1992. R. Wittern, „Versuche am Tier und am Menschen in der Geschichte der Medizin“, in: G. Wanke (Hrsg.), Über das Experiment, Erlanger Forschungen, Reihe B, Bd. 25, Erlangen 2000, S. 9-31, hier S. 9.

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et sanguinis in animalibus.7 Die Renaissance-Medizin war unter dem Einfluss des Humanismus darauf angelegt, die Klassiker Hippokrates und Galen aus griechischen Handschriften zum Druck zu bringen und – für den Gebrauch von Ärzten – in (gutes) Latein zu übersetzen. In Galens Schriften erkannten zeitgenössische Anatomen, darunter Andreas Vesal (1514–1564), dass sich Galen in seinen anatomischen Texten weitgehend auf die Anatomie von Tieren bezog. Damit stellte sich die Frage der Übertragbarkeit der Befunde vom Tier auf den Menschen. Anatomen, später auch Physiologen, der Renaissance betonten, im Unterschied zu Galen Aufbau und Funktion des menschlichen Körpers zu erforschen; damit gerieten Galens Anschauungen in ein Zwielicht, da ihm diese Methodik nicht zur Verfügung gestanden hatte. Gleichwohl ergab sich für die Renaissance-Forscher das Problem der Übertragbarkeit. Denn auch in der Renaissance wurden zahlreiche Befunde an Tieren erhoben und per analogiam auf den Menschen übertragen. Hinzu kam die Artefaktproblematik: fraglich war, ob entscheidende Befunde, die am toten oder lebenden Tier erhoben wurden, überhaupt aussagekräftig sein konnten, oder durch das Messer des Forschers erst entstanden wären. Diese Artefaktproblematik war bereits in der antiken Anatomie erkannt und im Kontext der Diskussion um die Experimente des Herophilos (ca. 330–250 v. Chr.) argumentativ verwendet worden, wie aus dem Bericht des Celsus (1. Jh. n. Chr.) hervorgeht.8 Hier ging es allerdings um Sektionen und Vivisektionen am Menschen, deren epi­ stemologischer Wert für die Medizin als Lebenswissenschaft von empirischen Ärzten bestritten wurde (abgesehen von der ebenfalls kritisch angemerkten Grausamkeit, die sich insbesondere in Vivisektionen von Menschen ausdrückte). Befunde an sterbenden Menschen, so die em-

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J. M. Norman, Morton’s Medical Bibliography, Cambridge 1991, S. 132 [Nr. 759], ein nüchternes bibliographisches Nachschlagewerk, sieht Harveys Schrift als „greatest book in the history of medicine“ – neben der 1543 erschienenen Fabrica des Andreas Vesal (1514–1564); zu Harvey hier nur Th. Fuchs, Die Mechanisierung des Herzens. Harvey und Descartes. Der vitale und der mechanische Aspekt des Kreislaufs, Frankfurt/M. 1992. Celsus, De medicina 1, Prooemium 23 (Lat./Dt. in: W. Müri, Der Arzt im Altertum, München, Zürich 51986, S. 126f.; dt. in J. Kollesch, D. Nickel, Antike Heilkunst. Ausgewählte Texte, Stuttgart 1994, S. 104f.); vgl. K.-H. Leven, U. Tröhler, „Vivisektion“, in: K.-H. Leven (Hrsg.), Antike Medizin. Ein Lexikon, München 2005, Sp. 906-908.

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pirische Position, waren nicht geeignet, irgendetwas über Funktionen im lebenden Körper auszusagen. Analog galt diese Artefaktproblematik stets auch für Tier-Vivisektionen. Hinsichtlich des medizinischen Tierversuchs ergaben sich in der frühen Neuzeit in einem weiteren gesellschaftlichen Diskurs philosophische, theologische und rechtliche Erwägungen. So wurde das alttestamentliche Gebot der Tierschonung (Prov. 12, 10) ins Feld geführt.9 Die dort geforderte Tierfreundlichkeit wurde der in den Tierversuchen vermeintlich oder tatsächlich manifesten Tierquälerei kritisch gegenüber gestellt. In der Frühen Neuzeit wurden in weitem Maß Tierversuche durchgeführt; dass sie im Rückgriff auf die Praktiken der antiken Medizin „wieder“ aufgenommen wurden, ist sowohl richtig als auch falsch. Jedenfalls bedarf diese Feststellung einer Erläuterung, denn tatsächlich hatte es in der Antike Tierversuche gegeben, aber sie spielten eine andersartige Rolle als in der beginnenden modernen Medizin.

Tierversuche in der Antike Tierversuche wurden in der antiken Medizin sporadisch erwähnt: So hieß es, der Vorsokratiker Alkmaion von Kroton (ca. 570–500 v. Chr.) habe Tiersektionen ausgeführt; dasselbe wurde über Demokrit von Abdera (ca. 460–370 v. Chr.) berichtet.10 Im Corpus Hippocraticum gibt es einige wenige Stellen, die auf Tierversuche hinweisen; am bekanntesten ist eine beiläufige Bemerkung in der Schrift „Über die Heilige Krankheit“, wonach man das Gehirn von Ziegen, die an dieser Krank9 Prov. 12, 10, in der Fassung der LXX (Hrsg. A. Rahlfs, Septuaginta, Stuttgart 1935, Bd. 2, S. 203): δίκαιος οἰκτίρει ψυχὰς κτηνῶν αὐτοῦ („ein Gerechter hat Mitgefühl mit dem Leben seines Viehs“), dt. Übers.: Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. v. W. Kraus, M. Karrer, Stuttgart 2009, S. 950. 10 M. D. Grmek, ll calderone di Medea. La sperimentazione sul vivente nell’Antichità, Rom, Bari 1996; G. Lorenz, Tiere im Leben der alten Kulturen. Schriftlose Kulturen, Alter Orient, Ägypten, Griechenland und Rom, Wien 2010, S. 186-190; G. E. R. Lloyd, „Alcmaeon and the Early History of Dissection“, in: Sudhoffs Archiv 59/1975, S. 113-147; Th. Rütten, „Zootomieren im hippokratischen Briefroman”, in: R. Wittern, P. Pellegrin (Hrsg.), Hippokratische Medizin und antike Philosophie. Verhandlungen des VIII. Internationalen Hippokrates-Kolloquiums in Kloster Banz/Staffelstein, Hildesheim 1996, S. 561-582.

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heit litten, sezieren solle, um interessante Befunde zu erheben.11 Der hippokratische Autor war überzeugt, dass Ziegen und Menschen von derselben Krankheit (ὑπὸ τῆς νούσου ταύτης) ergriffen würden, weshalb er die Befunde als gegenseitig übertragbar ansah. Gleichwohl blieben Tierversuche bzw. Beobachtungen bei Tiersektionen in der antiken Medizin unsystematisch. Auch in dem erwähnten „Tierversuch“ zur Epilepsie ging es darum, eine bereits formulierte Hypothese – die Rolle des feuchten Phlegmas – durch die Beobachtung an Ziegen zu belegen. Ein einziger Forscher der Antike untersuchte Tiere verschiedener Gattungen systematisch und gliederte seine Befunde in eine Gesamt­ ordnung tierischen und menschlichen Lebens; die Rede ist von Aristoteles (384–322 v. Chr.), der hierdurch zum Begründer einer antiken Biologie wurde.12 Im frühen Hellenismus nahmen der bereits erwähnte Herophilos und sein etwas jüngerer Zeitgenosse Erasistratos (ca. 320– ca. 245 v. Chr.) das aristotelische Programm auf; sie erlangten durch Tier(vivi-)sektionen und gleichartige Praktiken an Menschen grundlegend neue Erkenntnisse in Anatomie und Physiologie. Die Sektion menschlicher Leichname wurde nur in einer sehr kurzen Phase überhaupt praktiziert und unterlag vorher und nachher einem religiösen Tabu.13 Dies galt allerdings nicht für Tierversuche, die dennoch in der weiteren hellenistischen Medizin, soweit deren Fragmente aussagekräftig sind, kaum eine Rolle spielten. Dies änderte sich erst in der römischen Kaiserzeit mit Galen aus Pergamon (129–ca. 210 n. Chr.);14 als Arzt und Naturforscher knüpfte er bewusst an die aristotelische Methode an und erörterte dementsprechend auch dessen Erwägungen zur Aussagekraft von Tierversuchen.15 Eine Besonderheit bei Galen 11 Hippokrates, De morbo sacro 11, 3f. (Ed. Littré, Bd. 6, S. 382); H. Grensemann (Hrsg., Übers., Erl.), Die hippokratische Schrift ‚Über die heilige Krankheit‘, Berlin 1968, S. 78f.; dt. Übers. H. Diller, Hippokrates. Ausgewählte Schriften, Stuttgart 1994, S. 178. 12 W. Kullmann, S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse, Stuttgart 1997; zusammenfassend W. Kullmann, „Biologie“, in: Ch. Rapp, K. Corcilius (Hrsg.), Aristoteles-Handbuch. Leben, Werk, Wirkung, Stuttgart, Weimar 2011, S. 485-489. 13 H. v. Staden, Herophilus. The Art of Medicine in Early Alexandria, Cambridge 1989, S. 138-241. 14 V. Boudon-Millot, Galien de Pergame. Un médecin Grec à Rome, Paris 2012; S. P. Mattern, The Prince of Medicine. Galen in the Roman Empire, Oxford 2013. 15 Die technischen Aspekte seiner Versuche bei F. Ullrich, Die anatomische und vivisektorische Technik des Galenos, Diss. med. Leipzig 1919; umfassend mit einem Schwerpunkt auf Galen Th. J. M. Gröpl, Das Tier in der Medizin. Eine ideenge-

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war, dass er zahlreiche Versuche an toten und lebenden Tieren in der Öffentlichkeit, in Form von „Demonstrationen“ durchführte.16 Antike Ärzte und Naturkundler gewannen bei der Behandlung von (Kriegs-)Verletzungen, bei bestimmten Krankheiten oder durch exponierte Leichen (geöffnete Gräber, Hinrichtungen) beiläufig Einblicke in das Körperinnere; dies war auch der Fall bei chirurgischen Eingriffen. Planmäßige Forschungen an menschlichen Körpern, d. h. Leichen, waren jedoch nicht möglich; zu systematischen Studien waren Ärzte auf Tiersektionen angewiesen.17 Auszuwählen waren Tiere, die dem Menschen ihrer Natur nach ähnelten. Galen erfasste dieses Problem systematisch in seiner umfangreichen Schrift Ἀνατομικαὶ ἐγχειρήσεις („Anatomische Verrichtungen“), deren Titel der Intention des Autors nach am ehesten mit „Anatomische Praxis“ bzw. „Anatomisches Handanlegen“ zu übersetzen ist. Galen schilderte minutiös anatomische Befunde und erläuterte zugleich, im Sinne einer Anleitung für andere, auf welchem Weg er sie gewonnen hatte und wie seine Versuche nachzuahmen wären. Die Abhandlung in 15 Büchern, an der Galen seit 177 n. Chr. über mehrere Jahre arbeitete, ist zum größeren Teil auf Griechisch (B. 1-9 [Anfang]) überliefert, die späteren Bücher (9-15) sind nur auf Arabisch erhalten.18

schichtliche Abhandlung der Beziehung des Menschen zum Tier unter besonderer Berücksichtigung der Antike anhand Galens anatomischer Schrift Ἀνατομικαὶ ἐγχειρήσεις („Anatomische Handgriffe“), Diss. med. München 2003; sperrig und umständlich, aber von beeindruckender Materialfülle ist M. Frampton, Embodiments of Will. Anatomical and Physiological Theories of Voluntary Animal Motion from Greek Antiquity to the Latin Middle Ages, 400 B.C. – A.D. 1300, Saarbrücken 2008, S. 116-209; Frampton führte selbst Tiersektionen an Affen und Schafen nach den Methoden des Aristoteles und Galens aus. 16 H. v. Staden, „Anatomy as Rhetoric. Galen on Dissection and Persuasion“, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 50/1995, S. 47-66; M. W. Gleason, „Shock and Awe. The Performance Dimension of Galen’s Anatomy Demonstrations“, in: Ch. Gill, T. Whitmarsh, J. Wilkins (Hrsg.), Galen and the World of Knowledge, Cambridge, New York 2009, S. 85-114. 17 Gröpl (wie Anm. 15), S. 91-102; I. Garofalo, K.-H. Leven, „Anatomie“, in: K.-H. Leven (Hrsg.), Antike Medizin. Ein Lexikon, München 2005, Sp. 43-47. 18 Die griechisch überlieferten Bücher 1-9: De anatomicis administrationibus (griech.lat.) hrsg. Kühn (K), Bd. 2, S. 215-731; neue Edition: Galenus. Anatomicarum Administrationum Libri qui supersunt novem (griech-arab.), hrsg. I. Garofalo, 2 Bde., Neapel 1986-2000. Die nur arabisch überlieferten Bücher 9-15: Sieben Bücher Anatomie des Galen, dt. Übers. M. Simon, Bd. 2, Leipzig 1906; Englische Übers.: On Anatomical Procedures. The Later Books, übers. W. L. H. Duckworth, hrsg. M. C. Lyons, B. Towers, Cambridge 1962. Komplette Ausgabe (griech.-ital., ab B. 9 nur

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Affen als Versuchstiere Hinsichtlich der „Ähnlichkeit“ (ὁμοιότης) mit dem Menschen unterschied Galen „sechs Klassen“ von Tieren: an der Spitze standen für ihn die Affen, gefolgt von Halbaffen, Bären, Wiederkäuern und Schweinen.19 Die „Ähnlichkeit“ von Affen mit Menschen wurde naheliegenderweise auch außerhalb der Medizin thematisiert. In der Philosophie diente der Affe als groteskes Gegenbild des Menschen. So bemerkte Heraklit (ca. 544–480 v. Chr.): „Der weiseste Mensch schneidet, mit dem Gott verglichen, wie ein Affe ab, in Weisheit, in Schönheit und in allen anderen Dingen.“ Und um dem Affen gleich seinen richtigen Platz in dieser Dreiheit einzuräumen, fügte er hinzu: „Der schönste Affe ist widerwärtig, mit dem Menschengeschlecht verglichen.“ 20 Affen gehörten in der griechisch-römischen Antike zur Lebenswelt, da einige Verbreitungsgebiete von Affen Teil der Mittelmeerkultur waren. In römischer Zeit hielt man Affen als Haustiere oder benutzte sie zu komischen Schaustellungen.21 So lag es nahe, sie auch für medizinische Forschungen zu verwenden. Die Frage, welche Arten von Affen Galen kannte, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten.22 Wahrscheinlich handelte es sich um den Berberaffen, eine Makakenart (griech. πίθηκος, lat. simia, letzteres abgeleitet von σιμός, „stumpfnasig“), um die geschwänzte Meerkatze (griech. κῆβος und κερκοπίθηκος, lat. cercopithecus) und den Mantelpavian (griech. κυνοκέφαλος, lat. satyrus). Antike und moderne Terminologie der Affenarten stimmen nicht vollständig überein, aus den antiken Benen-

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ital.): I. Garofalo (Hg./ital. Ü.), Galeno. Procedimenti anatomici, Bde. 1-3, Mailand 1991. Galen, Anat. Admin. 6, 3; K 2, S. 548. Hrsg. griech.-arab. Garofalo (wie Anm. 18), Bd. 2, S. 355. DK 22 B 83 = Plat. Hipp. mai. 289 D: ἀνθρώπων ὁ σοφώτατος πρὸς θεὸν πίθηκος φανεῑται καὶ σοφίῃ καὶ κάλλει καὶ τοῑς ἄλλοις πᾶσιν. DK 22 B 82 = Plat. Hipp. mai. 289 A: πιθήκων ὁ κάλλιστος αἰσχρὸς ἀνθρώπων γένει συμβάλλειν, hier zitiert nach J. Mansfeld, O. Primavesi, Die Vorsokratiker. Griechisch/Deutsch, Stuttgart 2012, S. 266f. Zum Wortlaut des (vermeintlichen) Heraklit-Zitats und dessen Einordnung in einen literarischen und philosophischen Kontext vgl. jetzt überzeugend Diego De Brasi, „Von Affen und Mädchen. Die ‚Heraklit-Zitate‘ im Hippias Major (288 e 4 – 289 b 7) im Licht der griechischen Literatur und Philosophie“, in: J. Althoff, S. Föllinger, G. Wöhrle (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. 14, Trier 2014, S. 143-163. O. Keller, Antike Tierwelt. Erster Band: Säugetiere, Leipzig 1909, S. 3-10; W. C. McDermott, The Ape in Antiquity, Baltimore 1938. McDermott (wie Anm. 21), S. 95.

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nungen sind nicht ohne Weiteres die modernen Arten herauszulesen. Galen verwendete für „Affe“ vorzugsweise den Begriff πίθηκος, daneben auch λύγξ, σάτυρος, κυνοκέφαλος und κῆβος. Menschenaffen (Schimpansen, Gorillas, Orang Utans) waren Galen nicht bekannt.23 Die Untersuchungen am lebenden und am toten Tier nannte Galen unterschiedslos „Sektionen“ (ἀνατομαί). Hierbei ging es um Form, Lage und Größe von Strukturen, so von Muskeln, Organen, Knochen. Diese Befunde waren gut am toten Tier zu erheben. Soweit es jedoch darum ging, Funktionen zu beobachten und zu beschreiben, waren Vivisektionen notwendig. Galen interessierte sich für zahlreiche physiologische Vorgänge, so für Atmung und Stimmbildung (ob diese vom Herz oder Gehirn ausginge), für Herz- und Blutbewegung, für die Funktionen von Gehirn, Rückenmark, Nerven und Muskeln. Hintergrund dieser Untersuchungen waren zeitgenössische naturphilosophische Kontroversen, in denen es um den Sitz des ἡγεμονικόν, des leitenden Prinzips im Körper ging.24 Weitere von Galen untersuchte Organfunktionen betrafen Nieren, Harnleiter, Blase, Geschlechtsorgane, inklusive von Untersuchungen zur Schwangerschaft und zur Entwicklung des Fetus.25

Demonstrationen und Schau-Sektionen Die minutiösen Sektionen, die Galen zufolge stets mit „Exaktheit“ (ἀκρίβεια) der Methode erfolgen sollten, verhalfen ihm zu einer Vielzahl von Einzelbefunden; allerdings waren diese nicht voraussetzungslos, sondern durch Galens Grundannahmen geprägt. Hierzu gehörte seine immer wieder bestätigte Sichtweise, dass die Form eines Organs seiner Funktion folge und nicht umgekehrt seine Funktion aus seiner Form und Struktur abzuleiten sei; im Sinne des Aristoteles nahm er an, dass in der Natur eine alle Lebewesen umfassende Teleologie walte, wonach alle Schöpfungen der Natur vollkommen und zweckgerichtet seien.26 Dieses wissenschaftliche Paradigma Galens wurde auf der 23 Gröpl (wie Anm. 15), S. 72. 24 Frampton (wie Anm. 15), S. 132-149. 25 A. Debru, „Physiology“, in: R. J. Hankinson (Hrsg.), The Cambridge Companion to Galen, Cambridge 2008, S. 263-282. 26 Boudon-Millot (wie Anm. 14), S. 256f.; O. Wenskus, „Teleologie“, in: K.-H. Leven (Hrsg.), Antike Medizin. Ein Lexikon, München 2005, Sp. 843f.; R. J. Hankinson,

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praktischen Ebene seiner Experimente ergänzt durch den Anspruch, seine Tierversuche zur Beweisführung im Streit der Philosophenschulen einzusetzen; so wandte er sich explizit gegen stoische Lehren, die er mit seinen experimentellen Befunden zu widerlegen suchte. Insbesondere der letztere Zweck, die Widerlegung von konkurrierenden philosophischen Anschauungen bedingte, dass Galen seine Tierversuche nicht in einem abgeschlossenen „Labor“ vornahm, sondern öffentlich auftrat. Seine Tierexperimente hatten den Charakter von „Vorführungen“, „Demonstrationen“, „Zurschaustellungen“ (ἐπιδείξεις); Galen wies eigens darauf hin, dass er sie zunächst „privat“ (ἰδίᾳ) einstudiert habe. Hierzu bedurfte es vieler Versuche. Erst danach kam es „öffentlich“ (δημοσίᾳ) zum Agon im Stil der „Zweiten Sophistik“; rhetorische Mittel und Demonstration von Befunden am Tier ergänzten sich hierbei.27 Die Zuschauer von Galens Demonstrationen teilten sich in Anhänger und Gegner seiner Positionen bzw. Anschauungen; mit Provokationen und Zurufen war zu rechnen. Galens Demonstrationen folgten dem Dreischritt von Belehren-Beweisen-Beeindrucken (ἐκπλήττειν). Der Theatralik seiner Darbietungen stand die Schaulust der Anwesenden gegenüber. Galens Tierversuche waren blutige Spektakel, bei denen erstaunliche Phänomene, „Wundersames“ (θαυμαστόν) vor Augen geführt wurde. Tiere wurden „wiederbelebt“, Lähmungen experimentell verursacht und rückgängig gemacht. Verletzte, geöffnete Körper von Tieren wurden buchstäblich ausgeschlachtet. Galens Experimente führten Zwang und Machtausübung eindrücklich vor Augen. Im Sinne einer Kombination von „shock and awe“, so Maud Gleason treffend, verbanden Galens Tierexperimente den intellektuellen sophistischen Wettstreit mit Manipulationen an Körpern, die seine Zuschauer aus römischen Zirkusspielen kannten.28 Die aufgeheizte Atmosphäre derartiger Tierversuche lässt sich an einer Episode erkennen, die für Galens weiteren Berufsweg entschei„Philosophy of Nature“, in: ders. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Galen, Cambridge 2008, S. 210-241. 27 V. Staden (wie Anm. 16). Vgl. H. v. Staden, „Writing the Animal. Aristotle, Pliny the Elder, Galen“, in: M. Asper (Hrsg.), Writing Science. Medical and Mathematical Authorship in Ancient Greece, Berlin 2013, S. 111-144, hier S. 134ff. über die sprachliche Darstellung der Tierversuche durch Galen. 28 Gleason (wie Anm. 16), S. 86: „Galen’s anatomical demonstrations … fused the intellectual competition of Second Sophistic performance with the violent manipulations of bodies characteristic of Roman spectacle.“

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dend werden sollte. Als er im Jahr 157 n. Chr. nach Pergamon zurückkehrte, beteiligte er sich an öffentlichen Vivisektionen, die für ihn so erfolgreich verliefen, dass er als Gladiatorenarzt in Pergamon angestellt wurde.29 Galen schilderte in einer arabisch überlieferten Schrift einen Wettbewerb, in dem ein (lebender) Affe als Versuchstier diente: „Once I attended a public gathering where men had met to test the knowledge of physicians. I performed many anatomical demonstra­ tions […]. I made an incision in the abdomen of an ape and exposed its intestines: then I called upon the physicians […] to replace them back [… ] but none of them dared […]. We ourselves then treated the ape displaying our skill, manual training and dexterity. […] making it clear to the intellectuals […] that (physicians) who possess skills like mine should be in charge of the wounded. […] Later another high priest put me in charge of the wounded [i.e. gladiators], and […] none of the patients under my care died, even though each suffered grave and multiple wounds.“30 Galen bestimmte die Regeln dieses Wettkampfs, indem er durch die Eröffnung des Abdomens den Schwierigkeitsgrad der Operation erhöhte; dann forderte er konkurrierende Ärzte heraus, führte ihr Versagen öffentlich vor und brachte selbst die Operation erfolgreich zu Ende. Die Aggression, die Galen gegenüber seinen Konkurrenten hegte, lenkte er gleichsam um auf das Tier, dessen Bauch er aufschlitzte.31 Seine bei dieser Vivisektion demonstrierten überragenden Kenntnisse und praktischen Fähigkeiten, so Galens Selbsteinschätzung, ließen dem Hohen Priester als Verantwortlichen der Gladiatorenspiele gar keine andere Wahl, als Galen zum Gladiatorenarzt zu ernennen. Im selben Kontext und mit dem gleichen Selbstbewusstsein fügte Galen hinzu, dass sich seine Erfolgsserie bei der Behandlung der menschlichen Patienten nahtlos fortsetzte. Keiner der von ihm versorgten Gladiatoren sei unter seiner Behandlung gestorben. Galen erörterte Tier(vivi)sektionen in zahlreichen seiner Schriften; die systematische und umfangreiche Darstellung in De anatomicis ad29 H. Schlange-Schöningen, Die römische Gesellschaft bei Galen. Biographie und Sozialgeschichte, Berlin, New York, S. 106-110. 30 Galen, De optimo medico cognoscendo. On Examinations by which the Best Physicians are Recognized, Hrsg./übers. A. Z. Iskandar, Berlin 1988 (CMG Suppl. Orient. 4), S. 105; französische Übersetzung bei Boudon-Millot (wie Anm. 14), S. 90. 31 Hierzu noch einmal Gleason (wie Anm. 16), S. 96: „These episodes are interesting for their displaced aggression: it’s like a rumble between rival gangs who end up knifing an animal instead of each other.“

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ministrationibus war am wichtigsten. Weitere, gelegentlich beiläufige Nachrichten finden sich im umfangreichen Werk Galens in anderen Schriften. Hierbei ist grundsätzlich zwischen Texten zu unterscheiden, die sich an eine allgemeine Leserschaft richteten, und solchen, die eine Fachgruppe, in diesem Fall Anatomen und experimentierende Ärzte, ansprachen. Beispielhaft für die Schriften an ein allgemeines Publikum ist De praecognitione ad Epigenem; anders als der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei der 178 n. Chr. entstandenen Schrift nicht um ein Lehrbuch der Prognose, sondern um eine autobiographisch geprägte Schilderung seines ersten Aufenthalts in Rom (162–166 n. Chr.); die teils spektakulären Episoden verraten über Galens Charakter und Verhalten mindestens ebensoviel wie über das Leben in Rom.32 Galen wurde 163 von Flavius Boethus, dem früheren Konsul, eingeladen, seine Theorie der Atmung und Stimmbildung im Tierversuch zu demonstrieren; Hauptkontrahent im Publikum war der Peripatetiker Alexander von Damaskus, der ihn gleich zu Beginn mit einer unerwarteten Frage aus dem Konzept brachte, was zum Abbruch der ersten Demonstration führte.33 Es kam zu einem weiteren „Treffen“ (συνουσία), das sich über mehrere Tage erstreckte. Die teils turbulenten Begleitumstände der Demonstration mögen hier beiseite bleiben. Interessant ist, dass Galen die verwendeten Tiere nur kurz erwähnt: Boethus, der Veranstalter, habe „mehrere“ (πλείονας) Ziegenböcke und Schweine „bereit gestellt“ (παρεσκεύασεν).34 Auf Affen, so Galen knapp, habe er bewusst verzichtet, wie weiter unten noch zu erörtern sein wird. Bei den folgenden Experimenten am lebenden Tier demonstrierte Galen die Funktionen der Atemmuskeln und der Stimme und deren Innervation, ohne Einzelheiten auszuführen. Wichtig war ihm im Kontext der Schrift De praecognitione, dass der angestrebte Beweis vollständig gelang und alle Anwesenden, auch frühere Widersacher ihm zustimmten. Dieser Erfolg war ihm selbst im Abstand von 15 Jah32 Galeni De praecognitione. On Prognosis, hrsg., übers. V. Nutton, Berlin 1979 (CMG V 8, 1); Nutton, ebd., S. 60f., weist auf die „unusual mixture of genres“ innerhalb von De praecognitione und nennt es unmissverständlich „a non-medical text“; vgl. Boudon-Millot (wie Anm. 14), S. 367f.; Mattern (wie Anm. 14), S. 129f.; V. BoudonMillot, Galien, Tome I. Introduction générale, Paris 2007, S. LIV-LIX. 33 Ob der erwähnte Alexander mit Alexander von Aphrodisias identisch war oder nicht, mag hier offen bleiben; vgl. Boudon-Millot (wie Anm. 14), S. 139f., die plausibel die Gleichsetzung bezweifelt. 34 Galen, On Prognosis, hrsg., übers. Nutton (wie Anm. 32), S. 96, 10f.

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ren (bei der Abfassung des Traktats 178) noch besonders erwähnenswert.35 Der Umgang mit den Versuchstieren bleibt hier schemenhaft; Galen betonte, dass alle Reaktionen der Tiere nach Erwartung des Experimentators verliefen. Als Experimentator schien Galen keinerlei Assistenz zu benötigen, alle Versuche gelangen ohne Anstrengung, so zumindest der Eindruck in De praecognitione. Dieser geglätteten Version der Tierversuche in De Praecognitione stand in De anatomicis administrationibus eine geradezu handgreifliche und plastische Darstellung gegenüber. Da sich dieser Text im Sinne einer Anleitung an Mediziner bzw. Naturforscher richtete, ging Galen hier detailliert auf alle Einzelheiten der Versuche ein. Er betonte, dass vor einer öffentlichen Demonstration alle Versuche häufig „privat“ (ἰδίᾳ) zu üben seien. Die im Wortsinne gewalttätigen Umstände führte er genau aus: die Tiere, die seziert werden sollten, wurden ertränkt oder erdrosselt; ihnen wurde die Kehle durchschnitten oder große Blutgefäße geöffnet. Für bestimmte Sektionen, bei denen Gefäße und Nerven dargestellt werden sollten, verwendete Galen Tiere, die man hatte verhungern lassen, damit sie extrem abgemagert waren und die erwünschten Strukturen besser sichtbar wurden.36 Die Versuche bei den Vivisektionen hatten verstümmelnde Art, sie gingen einher mit extremen Schmerzen, und Blut floss in großen Mengen; die Tiere mussten gefesselt bzw. auf dem Präpariertisch fixiert werden. Vielleicht wurden sie auch, was nicht erwähnt ist, geknebelt, soweit die Stimmbildung nicht selbst Teil der Versuche war. Ansonsten erfährt man von Galen, dass die Tiere schrien. Die zwangsläufig gewaltsamen Begleitumstände seiner Tierexperimente waren für Galen kein Problem, das er eigens und gesondert erörterte; grundsätzlich stellte er fest, dass „ein unvernünftiges Tier weniger leidensfähig (δυσπαθέστερον) sei als ein Mensch.“37 Gleichwohl scheint hier durch, dass Galen Tiere als grundsätzlich leidensfähig ansah, auch wenn er das Ausmaß der zugefügten Leiden nicht eigens thematisierte. Die Zuschauer von Galens Tierversuchen konnten sich erinnert fühlen an Folter, Tierhetze, Hinrichtung und 35 Galen, On Prognosis, hrsg., übers. Nutton (wie Anm. 32), S. 100, 2f. 36 Gröpl (wie Anm. 15), S. 102-105. 37 Galen, Anat. Admin. 7, 12. K 2, 631f.; griech.-arab. hrsg. Garofalo (wie Anm. 18), Bd. 2, 459; vgl. A. Debru, „L’expérimentation chez Galien“, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt (ANRW), II 37, 2, hrsg. W. Haase, Berlin 1994, S. 1718-1756, hier S. 1725 (Galen dort mit falscher Stellenangabe zitiert); Gröpl (wie Anm. 15), S. 107; Gleason (wie Anm. 16), S. 112.

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Gladiatorenkampf – allesamt sehr vertraute Assoziationen für zeitgenössische Römer. Galen übernahm virtuell die Rolle eines Gladiators oder Tierkämpfers in der Arena, so wenn er betonte, der Schnitt des Experimentators solle „ohne alle Schonung noch Mitleid“ in die Tiefe der Gewebe erfolgen, um die Strukturen, um die es gehe, unmittelbar freizulegen.38 Der Experimentator stellte seine „pragmatische Grausamkeit“39 als vorbildliche professionelle Tugend dar.

Menschenähnlichkeit als Problem Es wurde bereits erwähnt, dass Affen für Aristoteles und Galen eine besondere Rolle spielten, insofern sie durch ihre „Ähnlichkeit“ geeignet waren, als Ersatz für die nicht möglichen Untersuchungen am Menschen zu dienen. Aristoteles stellte in diesem Sinn fest, dass einige Affenarten, so die Makaken, Meerkatzen und Paviane, die Eigen­arten von Menschen und Vierfüßlern teilten (ἐπαμφοτερίζει).40 Aristoteles zählte verschiedene Einzelheiten auf: So habe das „Gesicht” (πρόσωπον) des Affen mit demjenigen des Menschen „viele Ähnlichkeiten“ (πολλὰς ὁμοιότητας), und in manchen Eigenheiten, so im Aussehen ihrer Bauchseite, seien Affen „menschenähnlich“ (ἀνθρωποειδεῖς). Die Affen hätten Hände, Finger, Nägel „ähnlich dem Menschen“ (ὁμοίους ἀνθρώπῳ), allerdings sei alles „tierartiger“ (θηριωδέστερον) gestaltet.41 Bezogen sich die erwähnten Merkmale auf äußerlich sichtbare Eigenheiten, so fügte Aristoteles hinzu, dass sich bei Sektionen die inneren Organe von Affen als den menschlichen ähnlich erwiesen (τὰ δ’ἐντὸς διαιρεθέντα ὅμοια ἔχουσιν ἀνθρώπῳ πάντα τὰ τοιαῦτα).42 Daraus lässt sich ableiten, dass Aristoteles Affensektionen vor Augen hatte bzw. selbst durchführte und deren Befunde per analogiam auf den Menschen übertrug. Dies geschah programmatisch im Rahmen 38 Galen, Anat. Admin. 9; dt. Übers. Simon (wie Anm. 18), S. 14; vgl. On Anatomical Procedures, übers. Duckworth (wie Anm. 18), S. 15. 39 Gröpl (wie Anm. 15), S. 116. 40 Aristoteles, Historia animalium 2, 8. 502 a 16-34, hrsg., frz. Übers. P. Louis, Aristote. Histoire des animaux, Bd. 1, Paris 22002, S. 47. 41 Arist., Hist. an. 502 b 4, hrsg. Louis (wie Anm. 40), S. 48. 42 Arist., Hist. an. 502 b 25f., hrsg. Louis (wie Anm. 40), S. 49, vgl. McDermott (wie Anm. 21), S. 89f.

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seiner vergleichenden Anatomie; denn während die äußere Erscheinung (τὰ πρὸς τὴν ἔξω ἐπιφάνειαν) bei Mensch und Tier direkt zu vergleichen sei, verhalte es sich mit dem Körperinnern gegenteilig (τὰ δ’ἐντὸς τοὐναντίον). Schlechthin „unbekannt“ (ἄγνωστα) sei das Körperinnere des Menschen, so dass man Tiere erforschen (σκοπεῖν), d. h. sezieren müsse, die einen dem Menschen ähnlichen Körperbau aufwiesen (παραπλησίαν τὴν φύσιν).43 Abgesehen von der erwähnten kurzen Phase einer Anatomie am Menschen, wie sie Herophilos und Erasistratos betrieben, blieb die Sektion von Tieren die Methode der Wahl, um das Körperinnere zu erforschen. So betonte auch Galen, der Affe (πίθηκος) sei von allen Lebewesen „das dem Menschen ähnlichste“ (ὁμοιότατος ἀνθρώπῳ), hinsichtlich seiner Innereien, seiner Muskeln, seiner Arterien, Venen und Nerven, weiterhin der Form seiner Knochen.44 Im Sinne einer „Rhetorik der Homologie“45 betonte Galen die Ähnlichkeit zwischen Affe und Mensch, wodurch er seine Versuche wissenschaftlich-naturphilosophisch und praktisch rechtfertigte bzw. begründete. Wissenschaftlich-naturphilosophisch erwies sich bei der Sektion einmal mehr die vorausschauende unfehlbare Planung der Natur bzw. des Demiurgen, der alles zum besten Zweck eingerichtet hatte. Bezüglich der ärztlichen Praxis, hier der Chirurgie, war es Galen zufolge notwendig, alle (inneren) Strukturen zunächst an den Körpern von Affen zu erforschen, so dass man sie leicht bei der Operation von Menschen wiedererkenne.46 So gelang Galen eine riskante Operation am offenen Herzen bei einem jungen Mann, und der selbstbewusste Operateur betonte, dass er diesen Eingriff nie gewagt hätte, wenn er sich nicht zuvor in „anatomischen Handgriffen“ (ἀνατομικαὶ ἐγχειρήσεις), dies zugleich der Schriftentitel seiner maßgeblichen Abhandlung, geübt hätte – und zwar an Tieren, wie hier selbstverständlich zu ergänzen ist.47

43 Arist., Hist. an. 494 b 21-24, hrsg. Louis (wie Anm. 40), S. 25. 44 Galen, Anat. Admin. 1, 2. K 2, S. 219.; griech.-arab. hrsg. Garofalo (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 5. 45 Gleason (wie Anm. 16), S. 111. 46 Galen, Anat. Admin. 12, 7; dt. übers. Simon (wie Anm. 18), S. 115: „Zuvor mußt du sie [die Muskeln] jedoch im Körper der Affen klar sehen, damit du sie im Körper von Menschen … leicht erkennst.“ Galen formulierte hier ein Prinzip der (experimentellen) Chirurgie, das sich in der modernen Medizin bis in die Gegenwart behauptet hat. 47 Galen, Anat. Admin. 7, 13. K 2, S. 633; griech.-arab. hrsg. Garofalo (wie Anm. 18), Bd. 2, S. 461; vgl. Gröpl (wie Anm. 15), S. 85.

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Die prinzipielle Übertragbarkeit der Befunde vom Affen auf den Menschen verwischte einerseits die Grenze zwischen den Spezies und hob das Tier auf eine höhere Stufe der Wertigkeit; dies wiederum vertrug sich kaum mit den Qualen und Grausamkeiten, die den Tieren durch Vivisektionen zugefügt wurden. Das hier aufscheinende Problem stellt sich auch in der modernen Medizin und wird von einer weiteren Öffentlichkeit als anstößig empfunden, soweit es sich um Experimente mit (Menschen-)Affen handelt.48 Galen, dessen Tierversuche zwar epistemologisch anders einzustufen sind als moderne Tierexperimente, sah das Problem und präsentierte einen Lösungsversuch. Er postulierte, dass eine „Besonderheit“ (ἴδιον) den Menschen vor allen Tieren auszeichnete; so seien die Hände und der aufrechte Gang (ὀρθὸς βαδίζει) nur dem Menschen eigen. Der Affe habe einen „verstümmelten“ Daumen (κολοβός) und sei „eine lächerliche Kopie des Menschen“ (γελοῖον ἀνθρώπου μίμημά ἐστιν ὁ πίθηκος). Da ihm die „natürliche Aussstattung“ (κατασκευή) fehle, gehe er „wie ein hinkender Mensch“ (βαδίζει ὥσπερ ἄνθρωπος χωλεύων).49 Mit dieser Distanzierung gelang es Galen, zwischen Mensch und Versuchstier den gebührenden Abstand herzustellen, der es ihm ermöglichte, Vivisektionen durchzuführen. Wenn Galen seine Versuchstiere einerseits mitleidlos traktierte, so ist andererseits auch erkennbar, dass er bestimmte Versuche für ungeeignet hielt bzw. ihren Anblick als beunruhigend einstufte. Ein Beispiel betraf den Arzt und Anatomen Quintus (gest. 145 n. Chr.), der nach Galens Aussage einer der „besseren“ Ärzte seiner Zeit gewesen war;50 über dessen anatomische Demonstration der männlichen Geschlechtsorgane berichtete Galen vom Hörensagen: „Von Quintus habe ich erzählen hören, daß er diese Präparation an einem lebenden Ziegenbocke zu machen pflegte, den er aufrecht stellte, damit er in diesem Zustand (oder: in dieser Beziehung) dem 48 Beispielhaft die seit 1997 laufende Kontroverse um Affenversuche in Bremen, http://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/infos/tierversuche-an-affen/225-derfall-bremen.html (Zugriff am 1. März 2014). 49 Galen, Anat. Admin. 4, 1; K 2, S. 416; griech.-arab. hrsg. Garofalo (wie Anm. 18), Bd. 1, S. 207. Gröpl (wie Anm. 15), S. 119. 50 Galen, On Prognosis 1, 9, hrsg., übers. Nutton (wie Anm. 32), S. 70, 23f.: βελτίων μὲν ὢν ἰατρὸς τῶν καθ᾿ ἑαυτόν. W. D. Smith, The Hippocratic Tradition, Ithaca, New York 1979, S. 68, nennt Quintus, der offensichtlich keine schriftlichen Werke hinterließ, pointiert „the Socrates of second-century medicine.“

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Menschen ähnlich wäre. Ich für meine Person bin aber der Meinung, daß es überflüssig ist, die Testikel eines lebenden Tieres zu präparieren, da keinerlei Nutzen dabei ist, weder für das Studium des Zustandes der Organe, … noch für die Erforschung irgendwelcher Funktionen. Sondern es bringt eine bloße Erschwerung hinzu, eine Vermehrung der Mühe im Verständnis der Organe, über welche du dich leicht und gründlich unterrichten kannst. Denn notwendigerweise muß ja Blut austreten. Und da dem so ist, so ist es besser und vorzuziehen, wenn wir diese Sektion am Körper eines toten Tieres ausführen.“ 51 Offensichtlich widerstrebte Galen diese Art der Präparation, sein Unbehagen begründete er scheinbar wissenschaftlich, doch dahinter standen Emotionen.52 Der von Quintus lebend exponierte Ziegenbock ähnelte einem Menschen, d.h. in diesem Fall einem Mann. Dass seine Geschlechtsorgane in dieser Position seziert wurden, mochte Quintus geeignet erschienen sein, für Galen war eine Grenze überschritten. Das Publikum seiner öffentlichen Vivisektionen bestand aus Männern, denen dieser Anblick schlicht nicht zuzumuten war. Ein lebender Ziegenbock in einer bestimmten Position, noch dazu als Opfer einer Manipulation an den Geschlechtsorganen, war zu „menschenähnlich“, um ihn einer interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Galen begründete seine Ablehnung mit dem Hinweis, bei der Vivisektion fließe Blut, das, so kann man hinzufügen, die Sicht auf den Situs behinderte. Doch dieses Argument hätte bei allen Vivisektionen gegolten, und austretendes Blut ließ sich wegwischen. Die zunächst vage Vermutung, dass Galens Skepsis gegenüber dem Verfahren des Quintus das exponierte Tier selbst betraf, wird gestützt, wenn man betrachtet, ob und wie er weitere „Vivisektionsverbote“ verhängte. Tatsächlich stellte Galen fest, der Affe, den er doch wiederholt als „menschenähnlich“ und daher besonders geeignet für Versuche bezeichnete, sei gelegentlich als Versuchstier regelrecht ungeeignet. Wenn es darum ging, den Schädel zu öffnen und das Gehirn frei zu legen, heißt es bei Galen: „Du mußt dir für diesen Eingriff entweder ein Schwein oder einen (Ziegen-)Bock beschaffen, um zweierlei dadurch zu verbinden. Einmal, daß du dem häßlichen Anblicke des Affen, wenn er lebend seziert wird, 51 Galen, Anat. Admin. 12, 7; dt. Übers. Simon (wie Anm. 18), S. 113; vgl. Übers. Duckworth, Galen. On Anatomical Procedures (wie Anm. 18), S. 124. 52 Gleason (wie Anm. 16), S. 112, sieht Galen hier von der „logic of homology“ in eine „zone of discomfort“ hinein gelangen.

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entgehest. Zum andern, daß das Tier, an welchem die Zergliederung geschieht, mit recht lauter Stimme schreie. Denn das findet man nicht beim Affen.“53 Der vorangestellte und wichtigere Grund, keine Affen zu verwenden, lag in dem „hässlichen Anblick“ des lebend aufgeschnittenen Tieres.54 Dies ging über eine rein ästhetische Qualität weit hinaus. Jedenfalls war es nicht der Affe in seiner „Lächerlichkeit“, der ihn als Versuchstier unmöglich machte. Vielmehr war es die sonst beschworene „Menschenähnlichkeit“, die den Anblick des Affen unerträglich machte.55 Dagegen wirkte der andere Grund, die schwächere Stimme des Affen verglichen mit anderen Tieren, wie nachgeschoben, vergleichbar der oben zitierten Bemerkung über den Blutfluss, der die Sicht behindern könnte. Dass Galen tatsächlich die Vivisektion von Affen bei öffentlichen Demonstrationen, wo es ging, vermied, wird auch aus einer weiteren Stelle deutlich. Bezüglich der Demonstration der Atemmuskulatur und ihrer Innervation schrieb Galen, er habe derartige Versuche „häufig privat und öffentlich“ (πολλάκις ἰδίᾳ τε καὶ δημοσίᾳ) an Schweinen durchgeführt; denn es habe keinen höheren Erkenntniswert gehabt, bei solchen Vivisektionen (ἐν ταῖς τοιαύταις ἀνατομαῖς) Affen zu verwenden, zumal deren Anblick „hässlich“ sei (εἰδεχθὲς τὸ θέαμα).56 Hier wie schon zuvor lagen Galens Bedenken in dem widerwärtigen Anblick, den ein Affe bei der Vivisektion bot; für den öffentlichen Auftritt, die Demonstration anatomischer und physiologischer Befunde, war dies eine denkbar ungünstige Voraussetzung, da die Zuschauer durch das blutige Spektakel bereits genug beansprucht wurden. Den Aussagen Galens entnimmt man weiterhin, dass ihm selbst dieser widerwärtige Anblick sehr vertraut war, hatte er doch derartige Sektionen häufig durchgeführt und zwar „privat“, d. h. in kleinem Kreis und auch „öffentlich“ während der Demonstrationen. Daraus ist zu schließen, dass Galen einen Lernprozess durch53 Galen, Anat. Admin. 9; dt. Übers. Simon (wie Anm. 18), S. 13f., ähnlich übersetzt bei F. Rosenthal, Das Fortleben der Antike im Islam, Zürich, Stuttgart 1965, S. 263; vgl. Übers. Duckworth (wie Anm. 18), S. 15: „You avoid seeing the unpleasing expression of the ape when it is being vivisected.“ 54 Gröpl (wie Anm. 15), S. 120. 55 Anders Gröpl (wie Anm. 15), S. 121f., dessen Sichtweise, Galen habe den Affen stets nur abwertend als „lächerliches“ Abbild des Menschen gesehen und sich solcherart vom Leid der Tiere distanziert, nicht überzeugt. 56 Galen, Anat. Admin. 8, 8. K 2, S. 690; griech.-arab. hrsg. Garofalo (wie Anm. 18), Bd. 2, S. 531.

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machte und seine sich wandelnde Einstellung an nachahmende Ärzte weiter geben wollte. Galen vermochte mit zunehmender Praxis der Vivisektionen, die Vor- und Nachteile verschiedener Tierarten zu beurteilen. Die grundsätzliche „Menschenähnlichkeit“ des Affen, bei den anatomischen Demonstrationen an toten Tieren höchst erwünscht, erwies sich für die meisten Vivisektionen als ein zu vermeidendes Handicap.

Fazit Sektionen und Vivisektionen von Tieren spielten in der antiken Medizin vor der hellenistischen Zeit eine geringe Rolle; die entsprechenden Experimente des Aristoteles gehörten in den Bereich der Biologie. Galen zog Affen als dem Menschen ähnliche Tiere systematisch heran, um Form, Lage, Größe von Strukturen und deren Funktion zu klären. In öffentlichen Demonstrationen (ἐπιδείξεις) nach Art der „Zweiten Sophistik“ trat er damit gleichsam auf und führte sein anatomisches und physiologisches Fachwissen vor Augen. Diese Auftritte dienten ihm auch dazu, konkurrierende naturphilosophische Konzepte und deren Vertreter öffentlich niederzuringen. In vielen Fällen dienten Affen als Modell, da menschliche Leichen Galen nicht zur Verfügung standen. Dies bedeutete, dass Galen vorzugsweise tote Affen benutzte; die Tiere wurden planmäßig vor dem eigentlichen Versuch auf eine Weise getötet, die der jeweiligen Fragestellung angepasst war. Zwar geht aus Galens Schilderungen hervor, dass er auch lebende Affen für physiologische Experimente verwendete, doch ist hier ein deutliches Zögern zu bemerken. Galen musste befürchten, dass der widerwärtige Anblick von Affen während der Vivisektion unter den Zuschauern seiner zahlreichen und stets blutigen, ja gewalttätigen Experimente Abwehr, wenn nicht Abscheu auslöste. Die in den anatomischen Demonstrationen so willkommene „Menschenähnlichkeit“ des Affen wandelte sich hierbei in eine schwere Hypothek um. Der experimentierende Arzt, Galen selbst, aber auch diejenigen, für die er seine praktischen Anleitungen verfasste, waren gewarnt, die Toleranzschwelle der Zuschauer nicht über Gebühr zu beanspruchen. Insgesamt ist aus Galens Einstellung zum Affen als Versuchstier ersichtlich, dass er dessen „Menschenähnlichkeit“ durchaus ernst nahm

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und seine eigenen und die diesbezüglichen Regungen seiner Zuschauer vorausschauend in Rechnung stellte. Der Affe mochte eine „lächerliche Kopie des Menschen“ sein, aber im Rom des 2. Jahrhunderts waren weder Ärzte noch Zuschauer so abgestumpft, dass sie mitfühlende Anwandlungen mit der Kreatur unterdrücken mochten.

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Das Denken als psychosomatischer Prozess in der antiken Medizin und Philosophie

1. Einleitung Die Frage, ob und inwieweit man beim Denken und bei den mit ihm zusammenhängenden Funktionen wie Entscheidung und Willensfreiheit von einer Interaktion von Geist und Körper sprechen kann, ist eine momentan aktuelle Frage, die nicht nur Spezialisten interessiert. Denn die Diskussion darum entfachte vor einiger Zeit und auch jetzt noch die Gemüter und wurde in Massenmedien – teilweise auch recht populistisch – geführt. Die öffentliche Bedeutung bewies eine Serie von Beiträgen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die der Wissenschaftsjournalist Christian Geyer1 2004 veröffentlicht hat.2 Gestritten wurde und wird darum, inwieweit die Ergebnisse der modernen Gehirnforschung eine Absage an das menschliche Bewusstsein und die menschliche Willensfreiheit bedeuten. Grundlage der Diskussion waren die neuen Bildgebenden Verfahren. Aus diesen bzw. aus deren Ergebnissen glaubt(e) man Schlussfolgerungen für die tradierte Auffassung eines ‚Geistes‘ des Menschen und die Existenz der Willensfreiheit ziehen zu können. Repräsentativ für eine pointierte Stellungnahme ist die Auffassung, die der Neurophysiologe Wolf Singer vertritt: Die Ergebnisse der Gehirnforschung zeigten, dass es keinen

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C. Geyer, (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente, Frankfurt a. Main 2004. Auch aktuell ist die Körperlichkeit von Kognition und Emotion ein Thema von öffentlichem Interesse. Die Lebhaftigkeit der Diskussion zeigt Hannah Lühmanns Besprechung des im Rahmen der Forschungsgruppe „Geschichte der Gefühle“ (Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung) entstandenen Buches Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4.2.2013 (S. 28). Hier verweist sie auf Plampers Forderung nach einer Neurowissenschaft, „die sich ihrer eigenen Grundlagen bewusst ist“, und spricht von einem „Friedensangebot“, das Plamper mache, weil er Argumente einer „kritischen Neurowissenschaft“ verwende.

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‚Geist‘ gebe und dass der Mensch determiniert sei. Denn alle emotionalen und kognitiven Prozesse ließen sich auf neuronale Prozesse zurückführen – im Sinne einer Emergenz, d. h.: kognitive Funktionen gehen aus den neuronalen Prozessen so hervor, dass die neuronalen Prozesse eine kausale Erklärung für die kognitiven Funktionen bilden: „[…] wir sagen, Verhaltensleistungen seien emergente Eigenschaften neuronaler Vorgänge. Damit soll ausgedrückt werden, dass die kognitiven Funktionen mit den physiko-chemischen Interaktionen in den Nervennetzen nicht gleichzusetzen sind, aber dennoch kausal erklärbar aus diesen hervorgehen. … (S. 37) Da wir, was tierische Gehirne betrifft, keinen Anlaß haben zu bezweifeln, dass alles Verhalten auf Hirnfunktionen beruht und somit den deterministischen Gesetzen physiko-chemischer Prozesse unterworfen ist, muß die Behauptung der materiellen Bedingtheiten von Verhalten auch auf den Menschen zutreffen.“3 Als Innovation, die den Neurowissenschaften zu verdanken sei, betrachtet Singer dabei die Erkenntnis, dass menschliche und tierische Gehirne fast identisch seien. Er zieht daraus die Schlussfolgerung, das menschliche Gehirn funktioniere nach denselben Regeln wie das Tiergehirn.4 Darum sei es kaum möglich, von der Existenz eines ‚Geistes‘ auszugehen. Denn zum einen sei unklar, zu welchem Zeitpunkt der Ontogenese dieses Geistige mit dem Materiellen eine Verbindung ein3

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W. Singer, „Verschaltungen legen uns fest“, in: Geyer (wie Anm. 1), S. 30-65, hier: S. 35f. Andere Positionen, so die des Verhaltensphysiologen Gerhard Roth, sind zurückhaltender. Nach Roth lässt sich die Aussage, es gebe keine Willensfreiheit, nur auf Verhalten, das man beobachten und (‚objektiv‘) erfassen könne, beziehen, aber nicht auf Zustände wie „fühlen“ und „glauben“, da ein kausaler Zusammenhang zwischen physischen und psychischen Zuständen schwer zu belegen sei (G. Roth, „Worüber dürfen Hirnforscher reden – und in welcher Weise?“, in: Geyer, wie Anm. 1, S. 66-85). Wie tentativ und spekulativ Singers Annahme ist, zeigt seine Ausdrucksweise (Sin­ ger, wie Anm. 3, S. 37, Kursivierungen von mir): „Was zunächst nur Ahnung war, wandelt sich jetzt jedoch zu einem nicht mehr verdrängbaren Problem. Verantwort­ lich für diese Zuspitzung zeichnen vor allem die Naturwissenschaften und in ganz besonderem Maße die Neurowissenschaften. Liefern diese doch zunehmend über­ zeugendere Beweise dafür, dass menschliche und tierische Gehirne sich fast nicht unterscheiden, dass ihre Entwicklung, ihr Aufbau und ihre Funktionen den gleichen Prinzipien gehorchen. Da wir, was tierische Gehirne betrifft, keinen Anlaß haben zu bezweifeln, dass alles Verhalten auf Hirnfunktionen beruht und somit den de­ terministischen Gesetzen physiko-chemischer Prozesse unterworfen ist, muß die Behauptung der materiellen Bedingtheiten von Verhalten auch auf den Menschen zutreffen.“

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gehe. Zum anderen bedeute die Annahme einer Wechselwirkung von Immateriellem und Materiellem, dass zwischen beidem ein Austausch von Energie stattfinden müsse. Dann aber könne man nicht von Immaterialität sprechen.5 Von vor allem philosophischer Seite regte sich Widerstand. Den neurophysiologischen Positionen wurden Fehlschlüsse und naturalistischer Reduktionismus vorgeworfen – ein Vorwurf, der nicht allen Neurophysiologen gemacht werden kann, wie etwa die zurückhaltendere Position des Verhaltensphysiologen Gerhard Roth zeigt.6 In der scharfsinnigen Auseinandersetzung, die Christian Geyer in dem genannten Band mit Singers Position vornimmt,7 ist unter anderem ein Kritikpunkt, Singers Totalanspruch rühre auch daher, dass er stets eine Opposition zwischen einem – von ihm, Singer, selbst vertretenen – Monismus und einem ‚Dualismus‘ aufbaue. Dabei verkenne Singer aber, dass es auch andere Positionen gebe. Der Streit über die Körperlichkeit des Denkens ist nicht so neu, wie er anmuten könnte. Denn bereits in der Antike wurde lebhaft darüber gestritten, wo das Denken lokalisiert sei und welcher Art die mit ihm verbundenen Prozesse seien. Die Debatte hing unmittelbar mit der Frage zusammen, ob es eine immaterielle Seele gebe. Im Folgenden sollen nach einigen grundsätzlichen Vorbemerkungen die Positionen von Aristoteles, Galen und Nemesios von Emesa näher beleuchtet werden. Dabei umfasst der Begriff ‚Denken‘ ein weiteres Spektrum als ‚Bewusstsein‘; es geht vielmehr um eine Bandbreite von Prozessen des Unterscheidens, Urteilens, Erkennens.8 So verwendet etwa Aristoteles

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Singer (wie Anm. 3), S. 38: „Ferner stellt sich das besonders unangenehme Problem der Verursachung, für das wir ebenfalls keine denkbaren Lösungen wissen. Wenn es diese immaterielle geistige Entität gibt, die von uns Besitz ergreift und uns Freiheit und Würde verleiht, wie sollte diese dann mit den materiellen Prozessen in unserem Gehirn wechselwirken? Denn beeinflussen muß sie die neuronalen Prozesse, damit das, was der Geist denkt, plant und entscheidet, auch ausgeführt wird. Wechselwirkungen mit Materiellem erfordern den Austausch von Energie. Wenn also das Immaterielle Energie aufbringen muß, um neuronale Vorgänge zu beeinflussen, dann muß es über Energie verfügen. Besitzt es aber Energie, dann kann es nicht immateriell sein und muß den Naturgesetzen unterworfen sein.“ Roth (wie Anm. 3), S. 66-85. Vgl. C. Geyer, „Hirn als Paralleluniversum. Wolf Singer und Gerhard Roth vertei­ digen ihre Neuro-Thesen“, in: Geyer (wie Anm. 1), S. 86-91. Hierzu vgl. etwa A. Schmitt, „Das Bewusste und das Unbewusste in der Deutung durch die griechische Philosophie (Platon, Aristoteles, Plotin)“, in: Antike und Abendland 40/1995, S. 59-85.

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verschiedene Begriffe zur Differenzierung unterschiedlicher kognitiver Aspekte: nous, phronesis, episteme, sophia, gnome, sunesis, doxa, hypolepsis.9 Im 5. Jhdt. lassen sich zwei Konzeptionen des Verhältnisses von Körper und Geist fassen: Im medizinischen Schrifttum des 5. Jhdts. v. Chr. – das ist das Ergebnis der Untersuchungen von Philip van der Eijk – gab es eine Diskussion darüber, welche körperlichen Faktoren (Organe oder Gewebe oder Substanzen) für psychische Eigenschaften maßgeblich seien. Die meisten Autoren des Corpus Hippocraticum betrachteten psychische Aktivitäten vor allem als Prozesse, die auf dem Ineinandergreifen verschiedener anatomischer und physiologischer Faktoren beruhen. Eine Unterscheidung zwischen ‚geistigem‘ und physiologischem Prozess ist vielfach nicht deutlich, offensichtlich sahen die Mediziner eher ein Kontinuum zwischen Körper und Geist.10 Die Vorstellung eines solchen Kontinuums von materieller und geistiger Sphäre ist für unser modernes Denken befremdlich, wie das Zitat aus Singers Stellungnahme zeigt. Gleichzeitig mit Vorstellungen, die nicht strikt zwischen geistigem und materiellem Bereich im Menschen unterschieden, fassen wir einen philosophischen Zugang, der von einer Zweiteilung der Welt in einen materiellen Bereich und in einen geistigen Bereich ausgeht. Dafür steht der Philosoph Anaxagoras im 5. Jhdt. v. Chr. Dieser nannte νοῦς (Noûs: Geist, Vernunft, Intellekt) das immaterielle Ordnungsprinzip, das für einen sinnvollen und zielgerichteten Verlauf der Welt sorgt (DK 59 B 12). Dieser Begriff bezeichnete in der Folgezeit das kognitive Vermögen oder einen Teil des kognitiven Vermögens des Menschen. Der Arzt Alkmaion aus Kroton, der sich mit Problemen der Sinnesphysiologie beschäftigte, formulierte: Der Mensch unterscheide sich dadurch von allen anderen Lebewesen, dass er allein verstehen (ξυνίησιν) könne, während die anderen Lebewesen nur wahrnähmen.11 Dabei ist ein Spe9 Vgl. P. van der Eijk, „The heart, the brain, the blood and the pneuma: Hippocrates, Diocles and Aristotle on the location of cognitive processes“, in: ders., Medicine and Philosophy in Classical Antiquity. Doctors and Philosophers on Nature, Soul, Health, Disease, Cambridge 2005, S. 119-135, hier: S. 122. 10 Vgl. P. J. van der Eijk, „The matter of mind: Aristotle on the biology of ‚psychic‘ processes and the bodily aspects of thinking“, in: W. Kullmann, S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse (Philosophie der Antike Bd. 6), Stuttgart 1997, S. 221-258 (= ders., in: Medicine and Philosophy in Classical Antiquity, Cambridge 2005, S. 206-237). 11 DK 24A5/B1a.

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zifikum des menschlichen Intellekts die Möglichkeit, Schlussfolgerungen zu ziehen.12 Anaxagoras’ Zweiteilung wirkte möglicherweise anregend für Platon Anthropologie. Ob man diese allerdings tatsächlich als dualistisch bezeichnen kann, ist fraglich.13

2. Aristoteles Aristoteles’ Position kommt für die Frage, inwieweit Denken materiell ist, eine wichtige Rolle zu, auch wenn er – und darin liegt das Pro­ blem – kein konsistentes Konzept zu vertreten scheint, sondern je nach Untersuchungsperspektive die eine oder andere Seite hervorhebt. Dies hat dazu geführt, dass ein Teil der modernen Forschung in ihm einen Vertreter des Dualismus, ein anderer Teil einen Monisten erkennen will.14 Die psyché, Seele, stellt Aristoteles zufolge keine eigene Entität dar, die vom Körper losgelöst existieren kann. Vielmehr15 ist ‚Seele‘ bei Aristoteles ein ‚Lebensprinzip‘, durch das der Körper lebt und seine Struktur und Funktionen hat und eine Einheit bildet.16 Physiologisch ist es die Produktion des Blutes im Herzen, die Einheit stiftende Funk12 DK 24B1: „In das, was man nicht wahrnehmen kann, und ebenso in die menschli­ chen Dinge haben die Götter unmittelbar Einsicht; den Menschen aber bleibt nur die Möglichkeit, (das Nicht-Wahrnehmbare) aufgrund von Anzeichen zu erschlie­ ßen.“ 13 Vgl. die Beiträge von Fronterotta und Müller in diesem Band. 14 Vgl. die Diskussion bei J. Sisko, „Aristotle’s Νοῦς and the Modern Mind“, in: J. J. Cleary, G. M. Gurtler (Hrsg.), Proceedings of the Boston Area Colloquium in Ancient Philosophy 26/2000, Leiden/Boston 2001, S. 177-198. 15 Vgl. den Beitrag von Brigitte Kappl in diesem Band. 16 Vgl. die berühmte Formulierung in De anima II 1. 412a27-29, die Seele sei die erste Entelechie eines natürlichen Körpers, der dem Vermögen nach Leben hat. Siehe hierzu die Diskussionen in S. Föllinger (Hrsg.), Was ist ‚Leben‘? Aristoteles’ Anschauungen zur Entstehung und Funktionsweise von Leben. Akten der 10. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 23.-26. August 2006 in Bamberg, Stuttgart 2010, v. a. die Deutung von D. Quarantotto, die Seele sei für Aristoteles der Einheit stiftende Faktor und stelle eine sich selbst produzierende und reproduzierende Organisation dar (D. Quarantotto, „Aristotle on the Soul as a Principle of Biological Unity“, in: Föllinger (wie oben), S. 35-53). Maria Miller und Alfred Miller vergleichen die Entelechie mit dem modernen Konzept der Homöostase (M. G. Miller, A. E. Miller, „Aristotle’s Dynamic Conception of the Psuchē as Being-alive“, in: Föllinger (wie oben), S. 55-88).

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tion hat. Deshalb weist Aristoteles ihm die Rolle eines Zentralorgans zu und bezeichnet es als „Anfang/Ursprung“ (arché). Das Herz ist der Ursprung der Lebenswärme und damit das wärmste Organ.17 Es ist insofern das Zentralorgan,18 als es mit den für die Wahrnehmung zuständigen Organen und den Körperteilen verbunden ist und durch das Blut eine koordinierende Funktion besitzt.19 Denn das Blut leitet die Informationen aus den Sinnesorganen weiter. Das Herz ist also ein zentrales Organ für die Abstimmung von Wahrnehmung, Bewegung und Ernährung20 – nicht das Gehirn, dem Aristoteles die Funktion eines Kühlorgans zuweist.21 Allerdings bezeichnet Aristoteles das Herz nicht direkt als Sitz des Denkens, des noûs.22 Aristoteles unterscheidet verschiedene ‚Vermögen‘ der Seele:23 das vegetative Vermögen, das auch Pflanzen haben, die Wahrnehmung, über die auch Tiere verfügen, und das kognitive Vermögen, dessen höchste Form nur dem Menschen zukommt. Jedes Seelenvermögen schließt das jeweils untere mit ein. ‚Seele‘ umfasst also ein weites Spektrum von Funktionen, die wir in physisch und psychisch unterscheiden würden. Zu den psychischen Eigenschaften, die sich auf das Erfassen der Außenwelt und modern gesprochen: Informationsverarbeitung und Reflexion beziehen, gehören Wahrnehmung (aísthesis), Vorstellung (phantasía), diskursives Vermögen (diánoia) und Intellekt (noûs).24 Aristoteles geht also von einer inneren Zusammengehörigkeit der Seelenvermögen aus, und auch Tiere haben niedrige Formen des Denkens. Diese Ansicht, dass die Seelen von Tier und Mensch prinzipiell gleich sind, war im Übrigen wissenschaftsgeschichtlich folgenreich.

17 De sensu 2. 439a3f. 18 Vgl. J. Rocca, Galen on the Brain. Anatomical Knowledge and Physiological Speculation in the Second Century AD, Leiden/Boston 2003, S. 29. 19 Historia animalium III 3. 513a15-27; De partibus animalium III 7. 670a23-27: Das Herz ist die „Akropolis des Körpers“ und Ursprung der Wärme. 20 Vgl. De iuventute 3-4. 21 De partibus animalium II 7. 652b17-25. Vgl. W. Kullmann, Aristoteles. Über die Teile der Lebewesen. Übersetzt und erläutert (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hg. von H. Flashar: Bd. 17. Zoologische Schriften, Teil I), Berlin 2007, S. 423-426. 22 Vgl. van der Eijk (wie Anm. 9), hier: S. 122 und S. 130. 23 Vgl. den Beitrag von Brigitte Kappl in diesem Band. 24 Zu einer Differenzierung vgl. Schmitt (wie Anm. 8), S. 64. Offensichtlich ist diánoia ein Terminus, den Aristoteles gerne benutzt, um einen Prozess im Grenzbereich zwischen Wahrnehmung und Denken zu bezeichnen (van der Eijk, wie Anm. 10, S. 256).

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Denn die Auffassung, Tier- und Menschengehirn seien vergleichbar, stellt keine Innovation der Neurowissenschaft dar, wie Singer meint, sondern Aristoteles’ scala naturae, der zufolge sich Mensch und Tier nur graduell unterscheiden, war die Voraussetzung für die neuzeitliche Auffassung, dass Tier- und Menschengehirn sich entsprechen.25 An vielen Stellen seines Werkes geht Aristoteles, wie die umfassende Untersuchung von Philip van der Eijk gezeigt hat,26 von dem Einfluss physischer Faktoren auf kognitive Prozesse aus: 1) Die Wahrnehmung, also ein an Sinnesorgane und physiologische Vorgänge gebundener Prozess, bildet eine Voraussetzung für Denken. 2) Denken selbst wird als ein körperlicher Prozess in den Termini von Bewegung (z. B. De partibus animalium IV 10. 686 a 24-32) bzw. von Zur-RuheKommen von Bewegung (Physik III 3. 247 b 1-248a9), beschrieben.27 3) An vielen Stellen nennt Aristoteles körperliche Faktoren, die dem Denken abträglich sind, wie eine bestimmte Beschaffenheit des Blutes.28 Auf der anderen Seite aber gibt es nach Aristoteles einen Aspekt des Denkens – nur beim Menschen –, der unkörperlich ist. Dies ist der noûs, von dem es heißt, er alleine sei vom Körper getrennt.29 Der modernen Forschung behagten diese ‚Reste eines Dualismus‘ gar nicht, und man versuchte verschiedentlich, sie ‚wegzudiskutieren‘ oder Aristoteles’ Auffassung im Sinn einer modernen Emergenztheorie zu verstehen.30 Doch Sisko hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Vertreter dieser Auffassung in der Regel nicht Aristoteles’ Konzept des Denkens, sondern der Wahrnehmung im Blick haben.31 Dagegen bietet einen m. E. bedenkenswerten Lösungsvorschlag Uwe Voigt:32 Der

25 Vgl. E. Oeser, Geschichte der Hirnforschung. Von der Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt 2002, S. 32 und S. 58-69 (zu Thomas Willis). 26 Van der Eijk (wie Anm. 10). 27 Vgl. van der Eijk (wie Anm. 10), S. 241-248. 28 Van der Eijk (wie Anm. 10), S. 248-250. 29 Vgl. De anima III 4. 429a22-25; De generatione animalium II 3. 736 b 27-29. 30 Vgl. die Diskussion bei Sisko (wie Anm. 14). 31 Sisko (wie Anm. 14), S. 177. Dabei geht er gegen die Ansicht von Wedin vor, dem zufolge für Aristoteles die höheren Stufen des menschlichen Denkens aus den phy­ siologischen Prozessen der Wahrnehmung erwachsen, Aristoteles also eine Art von ‚Emergenztheorie‘ vertritt. Ebenso hält er Castons These für unglaubwürdig, dass Aristoteles in De anima III 4-5 mit nous nicht den menschlichen Intellekt, sondern den göttlichen Noûs meine. 32 U. Voigt, „Wozu braucht Aristoteles den Geist ‚von draußen‘ in seinen biologischen Schriften?“, in: J. Althoff u. a. (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Bd. XVII, Trier 2007, S. 29-38.

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nous ist nach Aristoteles der Teil der Seele, der für das diskursive Denken zuständig ist. Zu diesem aber gehören allgemeine Bestimmungen, die mit den Eindrücken, die die phantasía, das Vorstellungsvermögen, vermittelt, verbunden werden. Denn nur, indem der spezielle Eindruck auf etwas Allgemeines Bezug nimmt, kann einer Sache eine bestimmte Bedeutung zugewiesen werden. Aber damit dieser Prozess vollzogen werden kann, ist eine Instanz nötig, die ihn in Bewegung setzt. Und diese sieht Voigt im noûs. Diese „fragende und Bedeutung zuweisende Aktivität“33 ist die Voraussetzung für die Erkenntnis der Wirklichkeit, aber sie ist nicht Gegenstand der Erkenntnis und kann es nicht sein. Mit dieser Auffassung, so Voigt, formuliert Aristoteles auch eine methodische Grenze für naturwissenschaftliches Vorgehen. Hier kann man nun eine Verbindung zu der modernen, von der Hirnforschung angestoßenen Debatte ziehen. Der Anspruch Singers war, eine Forschungsposition zu wählen, die eine Perspektive aus der dritten Person auf das, was in der ersten Person geschieht, erlaubt.34 Andererseits aber stellt er fest, man wisse nicht, nach welchen Kriterien das Gehirn „seine internen Zustände, in denen sich die Ergebnisse von Datenerfassung und logischen Schlüssen letztlich manifestieren, als kohärent und stimmig beurteilt“. Dies ist, wie Geyer kritisch kommentiert, ein Widerspruch zu Singers Anspruch. Denn damit werde das Hirn zum Paralleluniversum, da es keine Verbindung von der „dritten Person“ zur „ersten Person“ gebe.35 Demgegenüber will, folgt man Voigts Interpretation, Aristoteles die biologische Untersuchung der Seele auf die Aspekte, die naturwissenschaftlich behandelbar sind, beschränkt 33 Voigt (wie Anm. 32), S. 37. 34 Um die Valenz dieser Argumentation richtig zu beurteilen, darf man nicht übersehen (vgl. Anm. 4 und 5), dass Singer auch hier mit einem Syllogismus arbeitet, dessen Prämisse – Immaterielles hat keine Energie – vorausgesetzt, aber nicht begründet oder ‚evident gemacht‘ wird, und eine reductio ad absurdum verwendet. Dass seine Argumentation auf einem apriorischen Weltbild, oder besser: einem bestimmten Wissenschaftsverständnis gründet, wird aus den folgenden Ausführungen (Singer, wie Anm. 3, S. 38f.) klar. Aus den drei Möglichkeiten, die seines Erachtens mit der Prämisse, dass Weltdeutungen widerpruchsfrei sein müssen, übereinstimmen (die Selbsterfahrung trügt und der Mensch ist nicht so, wie er denkt; die naturwissenschaftliche Weltbeschreibung ist unvollständig; die menschlichen kognitiven Fähigkeiten reichen nicht aus, um die Einheit hinter dem Dualismus zu sehen) wählt er, um ein „alles relativierendes Ignoramus“ zu vermeiden, diejenigen aus, die „sich aus der Dritten-Person-Perspektive der wissenschaftlichen Betrachtung als konsensfähig, widerspruchsfrei und gemäß der Kriterien von Wiederhol- und Voraussagbarkeit als beweisbar erwiesen haben“ (39). 35 Geyer (wie Anm. 7), S. 89.

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wissen und davon einen Aspekt abtrennen, der nicht in die Kompetenz des Naturwissenschaftlers fällt.

3. Galen Die Problematik eines adäquaten methodischen Zugangs und die Warnung vor disziplinären Grenzüberschreitungen beschäftigten Galen im 2. Jhdt. n. Chr. In der Zwischenzeit hatten hellenistische Ärzte die Nerven und ihre Verbindung zum Gehirn entdeckt.36 Auf diese Erkenntnisse kann Galen aufbauen. Dabei übernimmt er eine folgenreiche terminologische Verschiebung. Denn während Platon und Aristoteles alle Tätigkeiten bzw. Funktionen des Menschen bzw. von Lebewesen überhaupt als psychische Tätigkeiten bezeichneten, benutzt Galen nun zwei unterschiedliche Terminologien. Er bedient sich einerseits der konventionellen Ausdrucksweise, indem er von „Seele“ (psyché) spricht, und subsumiert darunter sowohl ‚physische‘ als auch ‚psychische‘ Funktionen. Aber gleichzeitig verwendet er – in der Tradition der hellenistischen Mediziner und der Stoa – die begriffliche Gegenüberstellung von „Natur“ (phýsis) und „Seele“. Zur „Natur“ zählen Phänomene wie Stoffwechsel, Blutentstehung und Puls. Dabei handelt es sich um körperliche Aktivitäten, die die betreffenden Organe ‚auto­ matisch‘ ausführen. Demgegenüber stehen Aktivitäten, die Galen ‚seelisch‘ nennt (De Placitis Hippocratis et Platonis 7,3,2. 438,28-33 De Lacy; Übersetzung De Lacy) und die willentlich ausgeführt werden: „δέδεικται μὲν γὰρ ὡς ἡ τοῦ γεγεννημένου ζῴου διοίκησις ὑπὸ τριῶν ἀρχῶν γίνεται, μιᾶς μὲν τῆς ἐν τῇ κεφαλῇ κατῳκισμένης ἧς ἔργα καθ᾿ ἑαυτὴν μὲν ἥ τε φαντασία καὶ ἡ μνήμη καὶ νόησις καὶ διανόησις, ἐν δὲ τῷ πρός τι τῆς τ᾿ αἰσθήσεως ἡγεῖσθαι τοῖς [τ᾿] αἰσθανομένοις τοῦ ζῴου μέρεσι καὶ τῆς κινήσεως τοῖς κινουμένοις καθ᾿ ὁρμήν.“

„I have proved that an animal after birth is governed by three sources, one located in the head, whose work is by itself to provide imagination and memory and recollection, knowledge and thought and ratioci36 Dabei setzte Herophilos neben den Nerven auch die Sehnen und Bänder als Ver­ mittler der Bewegung an. Gleichzeitig aber scheint er Pneuma als physiologisches Medium der Nervenaktion nicht ausgeschlossen zu haben (T 145a von Staden; vgl. Rocca (wie Anm. 18), S. 38 Anm. 132 und 133).

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nation, and in its relation to the other parts of the animal to guide the sensation of the sensory parts and the motion of the parts that move voluntarily (kath’hormén).“ Galen differenziert also weiter in zwei Gruppen. Zu der einen gehören Wahrnehmung und Motorik. Beide bedürfen der Nerven, um ihre Tätigkeit ausführen zu können,37 so dass ihr Ausgangspunkt wie der der Nerven im Gehirn liegt.38 Wahrnehmungsprozesse und motorische Prozesse beruhen auf dem Zusammenspiel mit dem Körper. Denn die Wahrnehmung benötigt die Wahrnehmungsorgane, und der Antrieb, sich zu bewegen, bedarf der Muskeln, damit die Bewegung ausgeführt werden kann. Die zweite Gruppe seelischer Tätigkeiten erstreckt sich, in Galens Ausdrucksweise, „auf die Seele selbst“ (kath’ heautén). Zu diesen zählt er etwa Vorstellungsvermögen (phantastikón/phantasía), Erinnerungsvermögen (mnéme), Gedächtnis (anámnesis) und diskursives Denken (dianoetikón/dianóesis). Als Sammelbegriff für diese Tätigkeiten verwendet Galen die Bezeichnung hegemonikón, „führendes Organ“. Dieses ist also gewissermaßen die ‚Kommandozentrale‘. Damit bedient sich Galen hier eines Begriffs, der in der hellenistischen – vielleicht stoischen – Philosophie geprägt und dann mit Platons ‚rationalem Seelenteil‘ gleichgesetzt wurde.39 Das hegemonikón verortet Galen im Gehirn. Er verteidigt die Ansicht, dass das Gehirn der Sitz des Denkens und die Steuerungszen­ trale des Körpers sei, immer wieder und durchaus polemisch. Die Bedeutung des Gehirns werde zweifelsfrei, so Galen, ex negativo durch Funktionsstörungen bei Verletzungen und bestimmten Krankheiten erkannt. Aber auch Experimente machten dies ganz klar.40 Experimente, auf die er verweist, waren Sektionen und auch Vivisektionen41 von Tieren sowie Tierversuche.42 Galen war offensichtlich entnervt von der 37 De locis affectis 1,7. 8.66.9-68.4 K. 38 Vgl. De placitis Hippocratis et Platonis 7,3,4. 440,9f. De Lacy. 39 Vgl. T. Tieleman, „Galen on the Seat of the Intellect: Anatomical Experiment and Philosophical Tradition“, in: C. J. Tuplin, T. E. Rihll (Hrsg.), Science and Mathemat­ ics in Ancient Greek Culture, Oxford 2002, S. 257-273, hier S. 260: „‚mind‘ or ‚intel­ lect‘“. 40 Zu der Bedeutung, die Galen der Anatomie in dem wissenschaftlichen Diskurs über die Bedeutung des Herzens zuweist, vgl. De placitis Hippocratis et Platonis 1,6-7. 78.16-82,16 De Lacy. Zur Galenischen Methodik vgl. Rocca (wie Anm. 18), S. 49-78. 41 Diese schildert Galen vor allem in den drei ersten Büchern von De placitis Hippocratis et Platonis. Vgl. hierzu Tieleman (wie Anm. 39). 42 Für die Beobachtungen zum Gehirn griff Galen vor allem auf Ochsengehirne zurück (vgl. Rocca, wie Anm. 18, S. 69).

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Debatte, was das Steuerungsorgan des Körpers sei – neben der enkephalozentrischen behauptete sich weiterhin eine kardiozentrische Auf­ fassung – und ebenso von Gegenpositionen, die seines Erachtens die anatomischen Erkenntnisse nicht ernst genug nahmen.43 So finden wir bei ihm den Aufschrei, dass das Gehirn die einzige Quelle des Denkens und die Quelle aller Nerven sei, wisse sogar ein Metzger.44 Aus den anatomischen Befunden und vor allem Versuchen schloss Galen, dass die Gehirnventrikel die Funktionseinheiten darstellen.45 Er unterschied vier Ventrikel. Als Bestätigung dafür dienten ihm Experimente an lebenden Tieren, bei denen er diese Ventrikel verletzte und bestimmte Funktionsausfälle, den Verlust der Wahrnehmung und der Bewegungsfähigkeit, feststellte. Das Medium für die Weiterleitung von Reizen bzw. Informationen sah er in der Tradition der hellenistischen Medizin im ‚pneûma psychikón‘. Dabei handelt es sich um einen Stoff, der dadurch entsteht, dass die eingeatmete Luft im Körper über verschiedene Stufen – zuletzt im Gehirn – verfeinert wird.46 Aber Galen identifiziert das ‚pneûma psychikón‘ nicht mit dem ‚rationalen Seelenteil‘. Es ist für ihn ein Werkzeug.47 Auch sind die Ventrikel für ihn nicht der Ort der Intelligenz, sondern das ganze Gehirn ist das Organ des Denkens. Das wird aus seinen Bemerkungen deutlich, dass das Denken ‚im Körper des Gehirns‘ beheimatet sei (De locis affectis VIII, 174,15-175,4 Kühn; Übersetzung Siegel): „τοῖς γὰρ ἐκ τῆς ἀνατομῆς φαινομένοις ἀκολουθοῦσιν ἡμῖν εὔλογον ἐφαίνετο, τὴν μὲν ψυχὴν αὐτὴν ἐν τῷ σώματι τοῦ ἐγκεφάλου κατῳκῆσθαι, καθ᾿ ὃ καὶ τὸ λογίζεσθαι γίγνεται, καὶ ἡ τῶν αἰσθητικῶν φαντασιῶν ἀπόκειται μνήμη· τὸ πρῶτον δ᾿ αὐτῆς ὄργανον εἰς ἁπάσας τὰς αἰσθητικάς τε καὶ προαιρετικὰς ἐνεργείας εἶναι, τὸ κατὰ τὰς κοιλίας αὐτοῦ πνεῦμα, καὶ μᾶλλόν γε κατὰ τὴν ὄπισθεν“·

„It appears reasonable to us [to assume], since we follow the evidence obtained by dissection, that the soul itself resides in the substance of the brain where the thought process takes place and where 43 Chrysipp, so Galen, habe selbst seine Unkenntnis der Anatomie zugegeben (De placitis Hippocratis et Platonis 1,6. 80,21-24 De Lacy). 44 De Placitis Hippocratis et Platonis 7,8,5-7. 476,11-17 De Lacy. 45 Zu den Kenntnissen, die Galen vom Gehirn hatte, vgl. Rocca (wie Anm. 18). 46 Zu diesem Prozess vgl. Rocca (wie Anm. 18), S. 64-66. 47 Vgl. H. von Staden, „Body, Soul, and Nerves: Epicurus, Herophilus, Erasistratus, the Stoics, and Galen“, in: J. P. Wright, P. Potter (Hrsg.), Psyche and Soma, Oxford 2000, S. 79-116, hier: S. 111 Anm. 85.

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the memory of sensory impressions is deposited. The primary instrument (órganon) of the soul for all sensory and voluntary (motor) activities is the pneuma in the cerebral cavities, and especially in the posterior ventricles.“ Dementsprechend kann die Funktion des Denkens nach Galen gestört sein, falls das Pneuma nicht die geeignete Qualität (poiótes) aufweisen sollte (De usu partium 8,13. 488,26-489,7 Helmreich; Übersetzung Tallmadge May): „οὐδὲ γὰρ τῷ πλήθει τοῦ πνεύματος τοῦ ψυχικοῦ χρῆναι δοκεῖ μοι μᾶλλόν περ ἢ τῇ ποιότητι τὴν ἀκρίβειαν τῆς νοήσεως ἀναφέρειν. ἀλλὰ γὰρ καὶ νῦν, εἰ μή τις οἷον χαλινῷ τινι τὸν λόγον ἐπιστρέψειε, μειζόνων ἢ κατὰ τὰ προκείμενα δογμάτων ἐφαπτόμενος, ἔκφορος ἄν οἴχοιτο, καίτοι τό γε παντελῶς φυλάξασθαι περὶ ψυχῆς οὐσίας εἰπεῖν τι τὴν κατασκευὴν ἐξηγουμένους τοῦ περιέχοντος αὐτὴν σώματος, ἀδύνατον.“

„Indeed, it seems to me that perfection of intellect should be ascribed not to the quantity of the psychic pneuma but rather to its quality. Now, however, unless we restrain this discourse with a curb, so to speak, it will run off the course and lay hold on greater subjects than my proposed theme warrants. And yet it is impossible to avoid altogether saying something about the structure of the soul if one is explaining the structure of the body that contains it.“ In der Schrift Quod animi mores corporis temperamenta sequuntur spricht Galen von der Mischung (krâsis) des Gehirns (IV. 774,17-775, 1K) Ist nun für Galen das Denken ein rein körperlicher Prozess? Das ist die Ansicht von Christopher Gill.48 Da Galen keine Distinktion von Seele und Körper vollziehe, könne man, so Gill, von einer ‚naturalistischen Psychologie‘ sprechen. Diese Ansicht lässt sich jedoch m. E. nicht halten. Denn auch wenn Galen – vor allem aus polemischen Gründen –, wie in der Schrift Quod aninimi mores corporis temperamenta sequuntur, die Bedeutung des Körpers über die der Seele stellen will, vertritt er doch nicht einfach die Ansicht, die Seele sei auf körperliche Prozesse reduzierbar. So setzt er zum einen nicht das Pneuma mit der Seele gleich, sondern hält es für ein Instrument der Seele, wie der oben angeführte Text (De locis affectis VIII, 174,15-175,4 Kühn) deutlich macht.49 Zum anderen vertritt Galen verschiedentlich einen 48 C. Gill, Naturalistic Psychology in Galen and Stoicism, Oxford 2010. 49 Vgl. auch De placitis Hippocratis et Platonis 7,3,21. 444,4-8 De Lacy und 7,3,30. 446,11-13 De Lacy.

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Agnostizismus, indem er darauf hinweist, dass die Frage, inwieweit die Seele oder ein Teil von ihr unsterblich und damit immateriell sei, nicht in die Kompetenz des Mediziners, sondern des Philosophen falle.50

4. Nemesios51 Die Verbindung philosophischer und medizinischer Aspekte stellt Nemesios von Emesa her, der unter anderem Galens medizinische Kenntnisse verarbeitete. Er verfasste am Ende des 4. Jhdts. n. Chr. eine Schrift Über die Natur des Menschen, die man als christliche Anthropologie bezeichnen kann.52 Nemesios vertritt ein monistisches Weltbild. Entsprechend der Einheit des Kosmos ist auch der Mensch eine Einheit, die aus einem geistigen und einem körperlichen Bereich besteht. Die Verbindung zeigt sich nach Nemesios gerade in der Existenz der menschlichen Willensfreiheit, und er widmet ihr etliche Kapitel. Denn er möchte, in Abwehr zeitgenössischer deterministischer Anschauungen, beweisen, dass der Mensch frei handeln und deswegen schuldig werden kann. Nach Nemesios ist es gerade die Willensfreiheit, die die seelisch-körperliche Komplexität des Menschen demonstriert, da sie körperlich verankert ist. Wir fassen hier also eine Konzeption, in der somatische und geistige Komponenten ineinandergreifen. Nemesios knüpft an Galen an, geht aber über ihn hinaus, weil er neuere medizinische Erkenntnisse53 integriert. Diese Neuerung liegt darin, dass Nemesios Elemente, die das Denken ausmachen, im somatischen Bereich, konkret: in bestimmten Arealen des Gehirns, verankert. In diesem Punkt war Galen vage geblieben.54 Nemesios verortet 50 Siehe z. B. De placitis Hippocratis et Platonis 9,9,7-14. 598,26-600,30 De Lacy. 51 Die folgenden Ausführungen basieren auf meinen Überlegungen in: S. Föllinger, „Willensfreiheit und Determination bei Nemesios von Emesa“, in: B. Feichtinger u. a. (Hrsg.), Körper und Seele. Aspekte spätantiker Anthropologie, Leipzig 2006, S. 143-157. 52 Vgl. S. Föllinger, D. De Brasi, Art. „Nemesios“, in: Reallexikon für Antike und Christentum XXV, 2013, Sp. 822-838. 53 Sie gehen auf Poseidonios von Byzantium zurück. Vgl. hierzu R. W. Sharples, P. van der Eijk, Nemesius. On the Nature of Man. Translated with an introduction and notes, Liverpool 2008, S. 25 und S. 121f. Anm. 607, wo auf die Ähnlichkeit mit Johannes Philoponos’ Kommentar zu Aristoteles’ De anima (155. 20-30) verwiesen wird. 54 Vgl. Rocca (wie Anm. 18), S. 245-247.

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Wahrnehmung und Kognition ganz konkret folgendermaßen: Während die Sinne/das Wahnehmungsvermögen (αἰσθήσεις/aisthéseis) im ersten Hirnventrikel anzusiedeln seien, finde sich das Denkvermögen (διανοητικόν/dianoetikón) im mittleren, das Erinnerungsvermögen (μνημονευτικόν/mnemoneutikón) im hinteren Hirnventrikel (12. 68,6-13 Morani).55 Das, was menschliches Handeln ausmacht und Grundlage für eine moralische Beurteilung sein kann, ist die „Entscheidung“ (prohaíresis). Sie beruht auf der planenden Überlegung – der Mensch muss ja über die Wahloptionen reflektieren und zu einem Urteil gelangen – und dem Antrieb (etwas in Handlung umzusetzen). Genauer gesagt, bestimmt Nemesios die prohaíresis (33. 101,3-5 Morani) als eine „Mischung aus Überlegung, Urteil(svermögen) und Begehren“: ἔστιν οὖν μικτόν τι ἐκ βουλῆς καὶ κρίσεως καὶ ὀρέξεως.56 Sie ist „ein mit Überlegung verbundenes Begehren nach dem in unserer Macht Liegenden oder eine mit Begehren verbundene Überlegung der in unserer Macht liegenden Dinge“ (33. 101,15-16 Morani: συνάγεται δὲ ἐκ τούτων προαίρεσιν εἶναι ὄρεξιν βουλευτικὴν τῶν ἐφ᾿ ἡμῖν ἢ βούλευσιν ὀρεκτικὴν τῶν ἐφ᾿ ἡμῖν, τοῦ γὰρ προκριθέντος ἐκ τῆς βουλῆς ἐφιέμεθα προαιρούμενοι). Wie ausgeführt, ist das Denkver-

mögen somatisch verankert. Darüber hinaus hat die Entscheidung einen körperlichen Ausgangspunkt, nämlich Gehirn und Rückenmark, denn diese sind der Ursprung der Bewegung (27. 88,3-5 Morani: ἔστιν οὖν τῆς κατὰ προαίρεσιν ἢ καθ᾿ ὁρμὴν κινήσεως ἀρχὴ μὲν ὁ ἐγκέφαλος καὶ ὁ νωτιαῖος μυελός, ἐγκεφάλου μέρος ὢν καὶ αὐτὸς, ὄργανα δὲ τὰ ἐκ τούτων πεφυκότα νεῦρα καὶ οἱ σύνδεσμοι καὶ οἱ μύες57).

Aber Nemesios verknüpft mit dieser mechanischen Erklärung ein logisches Argument, das die Bedeutung des Reflexionsvermögens un55 Grunert zufolge entwickelte Nemesios als erster die Ventrikeltheorie (P. Grunert, „Die Bedeutung der Hirnkammern in der antiken Naturphilosophie und in der Medizin“, in: J. Althoff u. a. (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption XII, Trier 2002, S. 151-182). 56 Nemesios geht hier auf Aristoteles zurück, integriert aber verschiedene Aristoteles­ kommentare (vgl. B. Motta, „La paternità scomoda. La presenza dell’etica di Aristo­ tele nella riflessione di Nemesio di Emesa sulla libertá morale“, in: Atti e memorie dell’Accademia Galileiana di Scienze Lettere ed Arti in Padova, III, 112, 1999-2000, S. 37-62, hier: S. 48-58; Sharples, van der Eijk, wie Anm. 53, S. 26f.). 57 „The brain and the spinal cord, which is itself part of the brain, are the origin of movement according to choice or to impulse; the organs which grow from these are the nerves, the ligaments and the muscles“ (Übersetzung Sharples, van der Eijk).

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terstreicht. Der Argumentationsgang verläuft folgendermaßen: Wenn es keinen freien Willen gäbe, wäre die Existenz eines Reflexionsvermögens überflüssig. Aber in der Schöpfung – Nemesios ist Christ! – gibt es nichts Überflüssiges (De natura hominis 39. 113,8-13 Morani): „ἔτι εἰ μηδεμιᾶς ἐστιν ἀρχὴ πράξεως ὁ ἄνθρωπος, περιττῶς ἔχει τὸ βουλεύεσθαι. εἰς τί γὰρ χρήσεται τῇ βουλῇ, μηδεμιᾶς ὢν πράξεως κύριος; τὸ δὲ κάλλιστον καὶ τιμιώτατον τῶν ἔν ἀνθρώπῳ περιττὸν ἀποφαίνειν τῶν ἀτοπωτάτων ἂν εἴη.“

„Außerdem: Wenn der Mensch für keine Handlung der Ursprung ist, so besitzt er überflüssigerweise die Fähigkeit zur Überlegung. Denn wozu wird er die Überlegung gebrauchen, wenn er nicht Herr über seine Handlungen ist? Aber zeigen zu wollen, dass das, was am schönsten und am wertvollsten (kálliston kaí timiótaton) im Menschen ist – dass das überflüssig ist (‚keine Funktion hat‘), zeugt wohl von ziemlicher Ignoranz.“ Dieses Argument ist letztlich ein logisches Argument, das auf der Prämisse beruht, es gebe in der Natur nichts Überflüssiges.58 In der modernen Diskussion nun findet sich ein ganz vergleichbares Argument. Es wurde von Jürgen Habermas gebraucht und ist Teil seines Plädoyers für die von einigen Gehirnforschern geleugnete menschliche Freiheit:59 „Wenn aber Gründe und die logische Verarbeitung von Gründen als Epiphänomene abgetan werden müssen, bleibt von der kausalen Rolle des Selbstverständnisses sprach- und handlungsfähiger Subjekte nicht mehr viel übrig. Aus neurobiologischer Sicht spielen Gründe die Rolle nachträglich rationalisierender, bloß mitlaufender Kommentare zum unbewusst verursachten und neurologisch erklärbaren Verhalten. Dann bleibt allerdings rätselhaft, warum der Luxus eines ‚Raums der Gründe‘ (Wilfried Sellars) überhaupt entstanden ist, warum Meinungen und Handlungen für die Subjekte selbst mit Gründen verknüpft sind. Warum müssen wir uns gegenseitigen Legitimationsforderungen stellen? Welche Funktionen erfüllt der Überbau von Sozialisationsagenturen, die den Kindern eine kausal leerlaufende Nötigung dieser Art andressieren? John Searle hat jüngst gegen diesen Epiphänomenalismus des bewussten Lebens einen starken evolutionstheoretischen Einwand erhoben: ‚Die Prozesse der bewussten Ratio58 Vgl. den ausgeführten Schluss bei Alexander von Aphrodisias, De fato 11. 178,8-15, zitiert bei Sharples, van der Eijk (wie Anm. 53), S. 196 Anm. 954. 59 J. Habermas, „Um uns als Selbsttäuscher zu entlarven, bedarf es mehr“, Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15.11.2004, S. 35-36, hier: S. 35.

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nalität sind ein so wichtiger Teil unseres Lebens, und vor allem ein biologisch so kostspieliger Teil unseres Lebens, dass es sich damit so anders verhielte als alles, was wir von der Evolution wissen, wenn ein Phänotyp dieser Größenordnung überhaupt keine funktionale Rolle im Leben und für das Überleben des Organismus spielen würde.‘“ Habermas meint hier, unter Berufung auf Searle, dass es evolutionstheoretisch gesehen unsinnig wäre, wenn „ein biologisch so kostspieliger Teil unseres Lebens“ umsonst wäre. Die antike und die moderne Argumentation entsprechen sich – auch wenn die eine von der Schöpfung, die andere von der Evolution ausgeht –: Eine Absage an die Willensfreiheit würde bedeuten, dass das rationale Element des Menschen umsonst existieren würde. Dass ein solcher ‚Leerlauf‘ der Schöpfung bzw. Evolution nicht plausibel ist, scheint beiden Autoren, dem antiken Bischof wie dem modernen Philosophen, um so evidenter, weil es sich beiden zufolge gerade um den ‚wertvollsten‘ Teil des Menschen handelt (to de kálliston kai timiótaton bzw. „ein biologisch so kostspieliger Teil des Lebens“).

5. Resümee Die Reflexion über den Zusammenhang von körperlichen und geistigen Funktionen ist kein modernes Phänomen. Vielmehr sind sie, wie diese Ausführungen zeigen sollten, Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung im philosophisch-medizinischen Diskurs der Antike. Dabei fassen die hier skizzierten Positionen den Menschen durchaus nicht einseitig als ein animal rationale mit einem ‚frei schwebenden Geist‘ auf, sondern betrachten das Denken als einen somatisch verankerten Prozeß. Gleichzeitig wird deutlich, daß die Frage nach der Materialität des Denkens und damit der Beschaffenheit der ‚Seele‘ auch ein Nachdenken über Methoden und Abgrenzung von Kompetenzen mit sich bringt. Nicht zuletzt zeigt sich, daß – etwa in Bezug auf Plausibilitätsannahmen und logische Strukturen – antike und moderne Argumentationen Parallelen haben.

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II. Der Mensch als moralisches Lebewesen

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Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon1

„Bilde also die Form eines vielfältigen und vielköpfigen Tieres, mit den Köpfen wilder und zahmer Tiere ringsherum, das fähig ist, all dies aus sich umzuwandeln und aus sich wachsen zu lassen“, sagt Sokrates in Platons Politeia, einer Wiedergabe einer Diskussion über die beste Verfassung von Stadt und Mensch. In Sokrates’ Erzählung antwortet Glaukon: „Das ist das Werk eines klugen Bildners. Dennoch, da Rede sich mehr für das Bilden als Wachs oder dergleichen eignet, sei es so gebildet.“ Sokrates fährt fort: „Bilde eine weitere Form eines Löwen und eine weitere eines Menschen. Bei weitem am größten soll die erste Form, am zweitgrößten die zweite sein. „Diese sind leichter, sagte Glaukon: und sie sind schon gebildet.“ Sokrates: „Verbinde sie also, drei wie sie sind, zu einem, so dass sie irgendwie miteinander verwachsen sind!“ Glaukon sagt: „Sie sind so zusammengebunden.“ „Umhülle sie außen mit dem Abbild eines Menschen so, dass es dem, der nicht das Innere sehen kann, sondern nur auf die äußere Schale schaut, wie ein Lebewesen zu sein scheint, ein Mensch.“ (Politeia 588C-E) Anhand von diesem Bild in der Rede (logos) will Sokrates eine Summa seiner Ausführungen über die Verhältnisse zwischen den Lebensweisen bieten, die von den jeweiligen Teilen der Seele geführt werden. Es sind diese Seelenteile, die durch die drei Tierformen abgebildet werden: Die Körper des jeweiligen Tieres bzw. des inneren Menschen stellen – zusammengenommen – die Seele dar. Hier ist der Mensch ein Lebewesen (zôon) wie Löwe und vielköpfige Hydra. Alle drei zusammen bilden das, was wir für gewöhnlich als einen Menschen ansehen. Der „innere Mensch“ (589A) stellt nun das Lernfähige in uns dar, der Löwe das Temperament, das uns ehrgeizig macht, die Hydra die Vielfalt der Begierden, die mit dem Körper einhergehen. Der Zweck 1

Mein Dank gilt Sabine Föllinger und Diego De Brasi für die Einladung nach Mar­ burg und den Teilnehmern für eine anregende Diskussion.

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unserer Handlung und unserer Rede sollte es sein, die Herrschaft über uns dem inneren Menschen zu überantworten. Zu sagen, dass Gerechtigkeit gut ist, heißt, die vielköpfige Hydra zu zähmen, den Löwen zum Verbündeten zu machen. Der innere Mensch stiftet Freundschaft zwischen sich und den anderen Lebewesen und zwischen dem Löwen und der Hydra (589A-C). Diese Rede, dieses Bild sagt uns, wie die Dinge zu sein haben; sie ist eine normative Anthropologie, die in der Natur der Seele gründen soll. So werden mögliche Lebensweisen dargestellt, und wir verstehen, wovon sie geleitet sind. Zwei zentrale Gesichtspunkte sind dabei Lust und Tugend, allerdings kommt in diesem Bild eigentlich nur Tugend zur Sprache. Lust und Schmerz dienen mir eher als Kurzformel für die anvisierten Phänomene – sprachlich ließen sie sich natürlich ausdifferenzieren – Freude, Vergnügen, Unlust, Unbehagen, im Grie­chischen etwa neben hêdonê, chara, charis, gegenüber lypê, to lypêron. Es ist nicht über jede Diskussion erhaben, ob es legitim ist, diese Überlegungen unter die Rubrik „Der Mensch als moralisches Wesen“ einzuordnen – denn das Verhältnis zwischen Moral im heutigen Sinn und griechischer Ethik wird kontrovers diskutiert. Griechische Sitten sind nicht unsere Sitten, griechische Moralphilosophie ist nicht die unsrige. Zum Teil lassen sich solche Bedenken sprachlich festmachen: to kalon oder to kallos ist ein Wertebegriff, der aber zugleich ästhetisch konnotiert ist (traditionell: das Schöne bzw. die Schönheit) und mit­nichten nur die Sphäre der praktischen Werte betrifft, die unter Moral im engeren Sinne fallen; ein Gegenbegriff ist etwa schändlich (aischron). Weshalb vollziehen Menschen den Geschlechtsakt nachts? Weil die Lust des Aktes lächerlich und schändlich ist (Philebos 65E-66A). Aber ich nehme nicht an, dass sie deswegen als unmoralisch gedacht ist. Und das Wort kalon kann sich auch einfach auf eine gelungene Ausführung beziehen. Damit will ich weder dem Relativismus das Wort reden noch Platon als rückständig erklären. Das Projekt eines angemessenen Verständnisses dessen, was Moral ist bzw. sein soll, wird nicht vorangetrieben, wenn man die historischen Unterschiede tilgt. Der Name Platons ist gemeinhin eher mit der Idee des Guten verbunden, der von Aristoteles mit dem menschlichen Guten. Aristoteles kritisiert bekanntlich Platon für die Unbrauchbarkeit der Idee des Guten: Was in der Ethik erforderlich sei, sei das praktisch Gute, ein Gutes also, das man tun kann. Ferner teile sich das Gute in viele Gattungen auf, ist also nicht Eines über Vielen. Es ist aber irreführend von Aristoteles, die Idee des Guten in der Politeia vom menschlichen Leben

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abzulösen; schließlich ist alles, was wir in der Politeia darüber lesen, bekanntlich lediglich die Meinung des Sokrates. Grundsätzlich geht es Sokrates in der Politeia natürlich um die Einarbeitung des Guten ins menschliche Leben durch Erziehung und Lernen (vgl. 618A-E). Hier, wie vielerorts auf diesem Gebiet, ließen sich triftige Vergleiche mit Aristoteles anstellen. Platonische Schriften gehen sehr wohl auf das menschliche Gute ein. Lust und Schmerz sind uns natürlich gegeben als Lenker, sie können aber auch selbst gelenkt werden, und zwar durch die Vernunft bzw. Einsicht (nous, phronêsis), die mit der Tugend oder dem leitenden Teil der Tugenden identifiziert wird. Im Gegensatz zu manchen modernen Ansätzen sind Lust und Schmerz nicht selbst, nicht von sich aus gut bzw. schlecht. Lust und Schmerz bilden Gelenkstellen des Arguments in Gorgias, Protagoras, Politeia, Timaios, Philebos und Nomoi. Wie einheitlich Platons Meinungen auf diesem Gebiet sind, wird kontrovers diskutiert. Es ist natürlich auch umstritten, ob man überhaupt Platons Lehrmeinungen suchen oder nicht vielmehr eine in der Schwebe bleibende Dialektik rekonstruieren soll. Gleichwohl ist im Folgenden eine Untersuchung derjenigen Lehrmeinungen angestrebt, die einen Zusammenhang zwischen Lust und Tugend herstellen. Dabei soll in Umrissen ein Bild davon gegeben werden, wie sich Lust und Tugend zueinander verhalten, unter Berücksichtigung der jeweiligen Perspektiven in einzelnen Werken. Es ist so, dass der Wert der Tugend für Platon grundsätzlich ein anderer ist als der der Lust. Lust ist aber nicht wertlos, zumal man es im politischen Denken mit gängigen Auffassungen und Lebensweisen zu tun hat und Lust zum gängigen Bild des guten Lebens gehört. Der Philebos stellt die wichtigste Auseinandersetzung mit diesem Thema dar: Um Lust und Schmerz zu verstehen, so erfährt man dort, aber auch in anderen Dialogen, kann man sich an Zeugungsdrang, Hunger und Durst orientieren (vgl. Symposion 206B-209E, Politeia 585A-E, Philebos 31-32, Timaios 64A-65A): Die Lust ist dann eine Veränderung oder „Bewegung“ die zum Sollzustand führt, Schmerz die gegenteilige Bewegung, und zwar, insofern sie wahrgenommen werden. Dieses Modell wird dann auch auf das Lernen angewendet; wir müssen ja auch nur lernen, weil wir durch Verkörperung gebunden sind. Und es ist durch unsere Verkörperung, dass wir bzw. unsere Seelen dreigeteilt sind, und somit unter verschiedene Herrscher fallen können, nämlich diese Teile. Soll die Herrschaft gut sein, muss sie durch

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die Natur der Seele geleitet sein. Das menschliche Leben ordnet sich selbst – was ist aber das ordnende Prinzip? Und inwiefern kann man, wenn dieses Prinzip nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs ist, davon reden, dass Menschen sich selbst ordnen? Durch Einsicht in Wahrheiten, die nicht dem menschlichen Dafürhalten anheimgestellt sind, sondern auf die Natur, in diesem Falle der Seele, zurückgehen. Hier liegt m.E. eine Quelle der Bedeutung der Lernfähigkeit für die Herrschaft über sich wie auch über andere.

Nomoi In den Nomoi lesen wir die Unterhaltung dreier Greise auf einer Wanderung zum Geburtsort von Zeus auf Kreta. Sie unterhalten sich zunächst allgemein über die Bestimmung von nomoi (Gesetze, aber auch Bräuche), d. h. vor allem darüber, wozu sie dienen; sodann geht es aber um die verhältnismäßig konkrete Bestimmung einer Vorlage für die nomoi einer Stadt, die einer der Redner, der Kreter Kleinias, mitbegründen soll. Der Hauptredner trägt die Bezeichnung „Athenischer Fremder“; der dritte ist ein Spartaner, Megillos. Ein gesamtgriechisches Unternehmen also, auch wenn der Athener die beiden anderen führt, und die Gesetze, die letztlich erlassen werden sollen, große Nähe zum Athenischen Gesetz aufweisen. Ferner werden fremde Verfassungen diskutiert, vor allem diejenigen Persiens und Ägyptens; demnach konkurriert das griechische Unternehmen polis mit anderen Formen der Vergesellschaftung. Der Text ist, wenn auch voller Glanzlichter, in gewisser Weise gröber gewebt als Politeia und Philebos. Er dient wohl als Einführung zum Denken Platons, insofern er eine Zusammenführung und Zurschaustellung leitender Gedanken bietet, voller Bezüge zu früheren Werken; ferner als öffentliches Vermächtnis, das es verdient, anstelle der Ilias, dem traditionellen Grundpfeiler der griechischen Erziehung, auswendig gelernt zu werden (vgl. 811C-812A). Also sind die Nomoi weit mehr als ein Gesetzestext. Was aber fehlt, ist die genaue dialektische Auseinandersetzung mit Tugend bzw. Lust. Wozu dient nun die Gesetzgebung? „Bei der Gesetzgebung zielt jeder brauchbare Gesetzgeber nur auf die höchste Tugend, vollkommene Gerechtigkeit“ (630C), er zielt auf die Tugend in Gänze (630E). Bemerkenswert lustfrei ist die Liste der Güter, die uns der Athenische Fremde darbietet. Er unterteilt sie in menschliche und göttliche Güter,

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wobei erstere von letzteren abhängen. Dass die einen Güter göttlich sind, bedeutet natürlich nicht, dass sie Menschen nicht zukommen sollten; denn gerade sie sind die Tugenden. Die menschlichen Güter sind Gesundheit, Schönheit (kallos), körperliche Stärke und Reichtum im Verbund mit Einsicht (phronêsis). Die göttlichen Güter sind dagegen, in absteigender Reihung, erstens phronêsis, zweitens „die mit Vernunft (nous) selbstbeherrschte Haltung der Seele”, im Verbund mit Mut ergeben diese Gerechtigkeit, und schließlich der Mut selbst. Die menschlichen Güter sind auf die göttlichen gerichtet, und alle, auch die phronêsis, blicken auf den Nous, den Intellekt, als Anführer, der souverän ist (631CD). Während die Politeia die Gerechtigkeit zum Thema hat, kommt in den Nomoi der Selbstbeherrschung (sôphrosynê), der charakteristischen Bürgertugend, die Schlüsselrolle zu – soweit besteht ein Unterschied in der Stoßrichtung der beiden Dialoge. Allerdings haben wir bereits gesehen, dass Gerechtigkeit die Tugend in Gänze ist, die durch die Gesetzgebung zu bewerkstelligen ist. In der Liste der göttlichen Güter ergibt sich die Gerechtigkeit aus der Anwesenheit der anderen Tugenden. Beides kann natürlich zusammen bestehen: Bei Gesetzen oder Bräuchen geht es darum, dass man gehorcht und also Selbstbeherrschung besitzt, da diese impliziert, dass man sich vom Besseren leiten lässt. In einer polis geht es vor allem um Einheit, also ein funktio­nierendes Ganzes, in dem jeder Teil das Seinige tut und erhält, das also gerecht ist. Das Bemerkenswerte ist nun an den Nomoi, dass trotz fehlender dialektischer Auseinandersetzung mit den physiologischen Grundprinzipien der Moral, Lust und Schmerz, und trotz ‚lustfreier Güterliste‘ die Relevanz der Lust anders zum Ausdruck gebracht und argumentativ eingesetzt wird: in Form von Beispielen bzw. eines Modells. So vertritt der Athenische Fremde die Meinung, dass man die ganze Tugend in den Gesetzen anvisieren soll. Während Gesetze etwa in Kreta dafür Sorge tragen, dass man mit Schmerz umgehen kann, also die Kreter zu Mut erziehen, versäumen es dortige Gesetzgeber, sich mit der Lust auseinanderzusetzen. Dazu will der Athenische Fremde die Institution des Symposiums verwenden, als Schule der Mäßigung (648DE). Man solle das Trinkgelage anhand von Regeln mäßigen, um „gemäßigte Gewohnheit zu kultivieren“; und dieses Prozedere solle dann auch bei anderen lustvollen Tätigkeiten angewendet werden (673E-674A). Lüste und Schmerzen seien die „zwei Quellen, die natürlich fließen dürfen: Wenn einer davon schöpft, so oft und so viel er soll, dann ist

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er glücklich, gleichermaßen die Stadt, der Privatbürger und jedes Lebewesen, jener aber, der es erkenntnislos und zur falschen Zeit macht, wird auf eine dem ersten entgegengesetzte Weise leben“ (636DE). Schmerz und Lust werden als Motivierungen sehr ernstgenommen, was noch nicht heißt, dass sie für sich letztlich Werte darstellen. Auch hier liegt ihr Wert vielmehr darin, wie wir damit umgehen: Lust und Schmerz, die frühesten Empfindungen (Widerfahrnisse: pathê) eines Kindes (653A), stellen den Weg zu Laster und Tugend dar (644C645C). Es besteht natürlich ein enger Zusammenhang zwischen der Bedeutung von Lust und Schmerz in den Nomoi und der Bedeutung der Strafe in dem Werk. Die Strafe wird in den Gesetzen aber wohlgemerkt immer mit Erklärungen versehen. Die Gesetze stellen eine Fortsetzung des Lernens durch Lust und Schmerz des Kindes dar. Auch wenn Lust und Schmerz alberne Berater sind, wie Platon feststellt, erlauben sie es uns andere zu lenken, solange sie nicht einsehen, was zu tun und zu lassen ist. Eines der Bilder in den Nomoi für das, was wir sind, soll illustrieren, wie die „törichten und gegensätzlichen Ratgeber, Lust und Schmerz“ uns bewegen und wie der Kalkül, was nun besser ist hinsichtlich der erwarteten Schmerzen und Lüste, ihnen übergeordnet ist bzw. sein soll. Hier haben wir es nun mit dem oben angesprochenen Modell zu tun, es ist ein Modell der Selbstbeherrschung. Nehmen wir an, schlägt der Athenische Fremde vor, „jedes von uns Lebewesen“ sei eine göttliche Marionette, gezwungen durch törichte Ratgeber, Lust und Schmerz, aber auch durch die „goldene und heilige Führung des Kalküls“ (644D-645B). Ob wir zu einem ernsten Zweck oder als Spielzeug dienen, es sind diese pathê (Widerfahrnisse) in uns, die wie Fäden an uns herumzerren. Sie wirken gegeneinander und zwingen uns zu gegensätzlichen Handlungen: Hier, also in diesen gegensätzlichen Handlungen, liegt die Abgrenzung von Tugend und Laster. Wir sind ihnen ausgesetzt, sie widerfahren uns. Das heißt aber nicht, dass wir nicht eine Handhabe besitzen dafür, wie wir beeinflusst werden. Der Kalkül (logismos), also die vernünftige Überlegung, dient dann der Beurteilung der relativen Werte von Schmerz und Lust. Als öffentliches Urteil einer Stadt heißt dieser Kalkül nomos, Gesetz. Der Faden, dem man gehorchen muss, ist der Kalkül, also in einer Stadt das öffentliche Gesetz. So erklärt sich durch diese Befehlshierarchie, was es heißt, sich selbst überlegen oder unterlegen zu sein (626E-627A). Genau wie im Dorf und in der Stadt besteht Krieg zwischen den Teilen von uns (Platon redet nicht von der Dreiteilung der Seele hier, aber sie

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passt bestens), und die Frage ist dann, wer die Oberhand gewinnt. Man bzw. eine Stadt ist sich selbst überlegen, und somit gut, sagt der Athener, wenn das bessere Element siegt. Wenn nicht, dann ist man sich selbst unterlegen, d.i. schlecht. Die Stadt ist angehalten, sich von diesen Kräften durch einen Gott oder Gesetzgeber in Kenntnis zu setzen, um innere und äußere Angelegenheiten zu regeln. Somit wird dann die Grenze zwischen Tugend und Laster deutlicher, nämlich dadurch, dass sie durch Gesetz bekannt wird und Städte und Menschen durch sie beherrscht werden. Somit ist Erziehung der anfängliche Erwerb von Tugend durch ein Kind, wenn die Empfindungen (Widerfahrnisse) von Lust und Zuneigung, Schmerz und Abneigung in seiner Seele in die richtigen Bahnen geleitet werden, noch bevor es ihre Begründung verstehen kann. Wenn das Kind aber ausreichend erwachsen ist, um Begründungen zu verstehen, dann sind Vernunft und Empfindung im Einklang und sagen ihm beide, dass es richtig erzogen worden ist, durch die Einübung der angemessenen Gewohnheiten. Tugend ist sogar diese allgemeine Harmonie (symphônia) von Vernunft und Empfindung. Erziehung läuft dann letztlich auf die korrekte Gestaltung von Lustund Schmerzempfindungen hinaus, daraufhin, das zu lieben und zu hassen, was man soll (653BC). Bei gelungener Erziehung ist die Empfindung selbst vernunftgemäß. In den Nomoi wird versucht, eine Engführung von Lust und Gerechtigkeit per Gesetzgebung zu erwirken: Jeder Versuch, einen Keil zwischen sie zu treiben, soll mit äußerster Strenge geahndet werden. Einen solchen Keil findet man, dem Athenischen Fremden zufolge, bei Spartanern, Kretern und allen anderen, der aber den Altvorderen und alten Gesetzgebern zuzuschreiben ist, nicht den Göttern, die angeblich für die Spartanische und Kretische Verfassung verantwortlich zeichnen (662B-663A, vgl. den Anfang des Dialogs 624Aff.). Eine traditionelle und grundlegende Aporie der griechischen Ethik ist nämlich die Frage, ob nicht eine Kluft besteht zwischen dem angenehmen und dem tugendhaften Leben. Dennoch stellt der Athenische Fremde die Spartanische und Kretische Erziehungsweise so dar, als wären sie ständig bemüht, den guten Menschen als glücklich darzustellen: Dazu verpflichten sie ihre Dichter (660E). Auf diese Vorgehensweise will der Athenische Fremde nun auch jeden Gesetzgeber verpflichten, indem er ihm ein Dilemma vorlegt. Ist das gerechte Leben auch das lustvollste oder gibt es zwei verschiedene Lebensweisen, einerseits die in höchstem Maß gerechte und andererseits die in höchstem Maß lustvolle?

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Wenn der Gesetzgeber sagt, es gebe zwei, dann könnte man ihn fragen, welche der beiden durch die Götter gesegnet (eudaimôn) sei. Er kann kaum sagen: die lustvollste, denn das würde ihn darauf festlegen, dass das gerechte Leben durch die Götter nicht begünstigt ist. Und er müsste dann rechtfertigen, warum er seine Kinder anhält, tugendhaft zu sein, statt sie auf das beste Leben, also das lustvollste, vorzubereiten. Wenn er dagegen das gerechte Leben vorzieht, dann würde ein jeder wissen wollen, was darin besser als das lustvolle Leben ist: „Denn welches Gut könnte dem Gerechten zuteil werden, das von der Lust getrennt wäre?“ (662D-663A). Kann man dieses Argument theologisch verstehen, etwa so, dass die Götter die Gerechten begünstigen und dass darin kenntlich wird, dass die Gerechten ein lustvolles Leben haben? Ich denke, die Pointe liegt vielmehr darin, dass die Natur der Gerechtigkeit Lust mit sich bringen sollte. Das Gegenargument gegen die theologische Position, nämlich dass die beiden Lebensweisen zusammenfallen, gibt einem Gründe, gerecht zu sein: „Niemand möchte sich freiwillig dazu überreden lassen, etwas zu machen, was nicht mehr Lust als Schmerz im Gefolge hat“ (663B). Also ist es rational für den Gesetzgeber, diese beiden Lebensweisen engzuführen; denn so erfüllt er seine Aufgabe, die Durchsetzung eines tugendhaften Lebens in der Stadt. So verstanden basiert die Rechtfertigung dieser Engführung zwischen Lustleben und Tugendleben auf dem praktischen Gesichtspunkt des Gesetzgebers. Diese Gesetzgebung betrifft unter anderem die Gesänge, die gepflegt werden und die strengen Vorschriften unterliegen. Entscheidend bei der Erziehung in Lust und Schmerz sind nämlich die Chöre, deren sogenannte Gesänge eigentlich ‚Zaubersprüche für die Seele‘ sind. Es stellt sich natürlich die Frage, wie die Gesänge beurteilt werden sollen. Auch dies bildet einen Teil der Einrichtung der nomoi. Denn die Lust selbst sagt uns nichts darüber, was etwa gute Kunstproduktionen sind oder nicht. Wir dürfen uns bei der Kunst nicht am Urteil der Vielen orientieren, sondern an „Männern von Kaliber und ausreichender Erziehung“ (658E). Denn die Gesänge sind sehr ernstzunehmende Instrumente, um diese Harmonie in der Seele zwischen Vernunft und Widerfahrnis („Empfindung“) herzustellen (659D-E). Zu diesem Zweck soll es drei Chöre für die Erziehung der Kinder geben: einen Chor, der den Musen geweiht ist, einen Chor der Männer unter dreißig Jahren, dem Apollo Päan geweiht, schließlich einen Chor der Männer zwischen dreißig und sechzig Jahren, dem Dionysos geweiht. Die Bürger, die zu alt für das Singen und Tanzen sind, sollen dann Geschichten

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über die gleichen tugendhaften Charaktere erzählen, die Gegenstände der Chorgesänge sind. Die Pointe dieser Gesänge ist: Das beste Leben bringt die meiste Lust (664B). Sie müssen allerdings ständig variiert werden, um Lust zu erzeugen und daher auch das Verlangen, sie zu wiederholen (659DE) (664E-665A). Zum Zwecke der Beurteilung der Lieder werden Gründe für den Besitz von Anmut (charis) unterschieden: entweder der Besitz von Anmut selbst oder von Richtigkeit oder Nützlichkeit („oder“ ist hier natürlich nicht exklusiv zu verstehen). ‚Anmut‘ darf hier nicht im neuzeitlichen Sinn verstanden werden, als rein ästhetische Kategorie, sondern hat ebenso eine praktische Dimension. Als alternative Übersetzung, die gleichwohl ähnliche Anachronismus-Risiken birgt, würde sich noch ‚Attraktivität‘ anbieten. So fällt unter den Besitz von Anmut bzw. Attraktivität z. B. auch die Lust, die mit dem Essen verbunden ist; seine Richtigkeit und sein Nutzen liegen dann in seiner Gesundheit. Bei der darstellenden Kunst entsteht ebenfalls Lust, und die Richtigkeit der Kunst und die damit einhergehende Angemessenheit der Lust liegt in der genauen Darstellung der Größe und Eigenschaften des Originals. Folglich wird die Lust als Beurteilungskriterium nur dann verwendet, wenn sich keine Frage der Genauigkeit oder Nützlichkeit ergibt. Dies gilt beim Spiel (667DE). Alleiniges Kriterium für ein gutes Spiel ist also die Lust. Lust ist sozusagen ein defizienter Modus der Zweckmäßigkeit: Wo andere Zwecke fehlen, da hat sie Platz. (Platon setzt natürlich selbst Spiel klugerweise dort ein, wo es sehr wohl als Einübung bestimmten Zwecken dient). Allerdings liefert die Lust keine Anhaltspunkte für Urteile: Das Gleiche ist gleich, das Verhältnismäßige verhältnismäßig, ob einer Lust empfindet oder nicht. Ernstzunehmende Musik, die also nicht nur Spiel ist, ist ihrem Original, dem Schönen (kalon), ähnlich. Also soll sie nach ihrer Richtigkeit beurteilt werden (668AB). Soweit die allgemeinen Betrachtungen über das Geschäft der Festlegung der nomoi, insofern Lust und Schmerz einbezogen werden. Ein grundlegendes Textstück des Dialogs bildet die Vorrede (726A-734E) zu den Gesetzen der neu zu gründenden Kolonie, die der Athenische Fremde bietet. Es dient der Erklärung bzw. Rechtfertigung der darauf folgenden Gesetze für die geplante Stadt auf Kreta insgesamt. Diese Rede des Athenischen Fremden ist in einem gehobenen Stil verfasst; ein Anliegen ist dabei die gebotene Ehrung der Seele, die nur den Göttern unterstellt ist. Hier wird die menschliche Natur auf Lust, Schmerz und Verlangen festgelegt und das Thema des edlen bzw.

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schönen (kalon) Lebens verhandelt: Dieses Leben bietet aufs Ganze gesehen ein Übergewicht an Lust gegenüber Schmerz (732D-733D). Wir müssen uns, als Gesetzgeber, aber auch dann als Einzelne, für eine Lebensform entscheiden, nämlich welcher Zustand zur eigenen Natur passt und welcher nicht. So müssen die schmerzvollen bzw. lustvollen Lebensweisen eingeordnet werden. Die Rangordnung lautet: lustvolles Leben, dann ein neutrales Leben, wenn dies eine Vermeidung von Schmerz bedeutet, nicht aber, wenn es eine Vermeidung von Lust darstellt. Die Wahl ist dann schwierig zwischen Handlungssträngen, insgesamt also ganzen Lebensweisen, die gleiche Schmerzen und gleiche Lüste bereiten. Wir wählen grundsätzlich eine Lebensweise, in der Lust vorherrscht. Hier muss man aber unterscheiden zwischen intensiven, schwachen und gemäßigten Lüsten und Schmerzen. Die Frage, die sich uns dann stellt, ist, zu welchem Leben unsere natürlichen Empfindungen (Widerfahrnisse) uns geneigt machen? Es würde allerdings nur Unkenntnis der Art und Weise, wie das Leben geführt wird, an den Tag legen, wenn man behauptete, dass wir etwas anderes als Lust wollen (731B). Nachdem man sich also seine Neigungen und Abneigungen klar gemacht hat, gilt als Faustregel, eine Lebensweise zu wählen, die einen so glücklich wie möglich machen wird, d. h. mit einer möglichst günstigen Mixtur von Schmerz und Lust. Dabei sind folgende Lebensweisen möglich – jeweils auf Gegensatzpaare abgebildet: selbstbeherrscht-zügellos, weise-töricht, mutig-feige. Wenn man die erforderliche Erfahrung hat, dann betrachtet man das selbstbeherrschte Leben als sanft und gemäßigt, das zügellose dagegen als mit gewaltsamen Lüsten und Schmerzen behaftet. Und dann sieht man ferner, dass das beherrschte Leben ein höheres Maß an Lust gegenüber Schmerz im Hinblick auf Größe, Häufigkeit und Anzahl beinhaltet, das zügellose Leben das Gegenteil. Dieses letztere Leben ist keineswegs frei: Es entsteht lediglich aus mangelnder Beherrschung, aus Unkenntnis oder aus beidem. Ähnlich kann man dann auch mit den anderen Gegensatzpaaren verfahren. So würde man sehen, dass das beherrschte, weise, mutige und gesunde Leben das höhere Maß an Lust mit sich führt, das entgegengesetzte Leben das höhere Maß an Schmerz (731B-734D). „Das gute Leben ist am lustvollsten” ist ein Grundsatz der Gesetzgebung, der Bildung von Bräuchen in den Nomoi (660-3, vgl. auch 733-4). Das liegt unter anderem daran, dass die Gesetze nur dann gute Gesetze sind, wenn sie möglichst breite Zustimmung erfahren, und man kann auf die Lust setzen als Motiv, sich die tugendhafte Lebens-

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form (denn so ist gut hier zu verstehen) anzueignen. Denn etwas anderes zu meinen, als dass wir so leben, um möglichst lustvoll zu leben, zeigt lediglich Unkenntnis (733B-D). Allerdings finden wir auch, dass die Lust nicht an sich gut ist: Es ist nicht die Lust, die lustvolle Aktivität gut macht (vgl. 667DE). Die Verrichtung der Arbeit, die Erfüllung des Zweckes ist das Vorrangige. Die Lust muss nämlich von der Warte des Guten, also des Tugendhaften aus beurteilt werden (663C). Die Nomoi liefern keine Definition der Lust; der Dialog steht nicht alleine, vielmehr ist er eine Einladung zu der Lektüre anderer Schriften Platons. Soweit ist es relevant, dass es Platons letzte, unvollendete Schrift ist. Wenn es von der Lust heißt, sie sei die Überzeugung, dass man gedeiht, dann ist das eine allgemeine Wahrheit über jene, die Lust empfinden (657C). Allerdings können sie sich täuschen, und um dieser Täuschung vorzubeugen, ist erstens Erziehung und dann eine rationale Auseinandersetzung mit der Lust vonnöten, so wie wir das in der Politeia und im Philebos vorfinden. Für das gelebte Leben reicht es nicht, nur zielstrebig Lust zu verfolgen und Schmerz zu vermeiden; noch gröber, aber dafür suggestiver und gut erinnerlich kommt das in der Formulierung einer der Sprüche in Delphi zum Ausdruck: mêden agan, „von nichts zuviel“ (792C-E).

Politeia Sokrates bietet in Platons Politeia so etwas wie ein Rezept für das gelungene Leben, sowohl in der Polis wie auch auf ein Einzelleben als Ganzes gesehen. Es ist allerdings ein sehr griechisches Rezept, und es fragt sich, wie gut es ansonsten in der Welt verständlich, geschweige denn anwendbar wäre. Denn Dialektik basiert auf der Zustimmung des Gesprächspartners zur jeweiligen These, was voraussetzt, dass er die These versteht. Dieses Verständnis speist sich mitunter aus dem Alltagsverständnis. Das Wort ergon wird zumeist, und recht irreführend, mit „Funktion“ wiedergegeben, irreführend deswegen, weil wir zunächst an Maschinen denken, jedenfalls an Artefakte oder artifizielle Systeme, während Platons Modell eigentlich das eines Arbeiters ist, der ein bestimmtes Werk durch ein ganzes tätiges Leben hindurch verrichtet, sozusagen ein Funktionär, wenn man dieses Wort wörtlich nehmen darf. Das Argument der Politeia, dass es dem guten Menschen gut

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geht, lässt sich einfach resümieren; es wird in polemischer Absicht auch gerafft in Buch I gegen Thrasymachos ins Feld geführt. Um den Reichtum des Modells zu entfalten, bedarf es aber dann, in nicht-polemischer, sondern lehrend-forschender Absicht, der weiteren neun Bücher. Das Argument (353D) ist, dass jedes Ding ein ergon besitzt, also das, was es entweder alleine verrichtet oder jedenfalls besser als andere Dinge, und die aretê, Vortrefflichkeit des Dinges, was es zu einem guten Exemplar seiner Art macht, ist die Disposition des Betreffenden, die es ihm erlaubt, dieses Werk gut zu verrichten. Das ergon ist zwar ein teleologisches Prinzip des Dinges; aber es reicht nicht zum Guten hin, dafür ist die Vortrefflichkeit vonnöten. Wenn etwas gut in seiner Art sein soll, dann besitzt es die entsprechende aretê. Das Werk der Seele sei nun, so Sokrates, Besorgen, Beherrschen und Beraten „und dergleichen“; Leben wird dann meiner Meinung nach zu dieser Liste hinzugefügt als das grundlegende Werk der Seele. Ihre aretê ist die Gerechtigkeit: „Die gerechte Seele und der gerechte Mann wird gut leben, schlecht aber der ungerechte“ sagt Sokrates, und Thrasymachos stimmt zu, „und wer wohl lebt, ist er nicht löblich und glücklich, wer aber nicht, das Gegenteil?“ Folglich ist es förderlicher, Gerechtigkeit zu besitzen, als nicht (354A). Thrasymachos gibt zwar dem Argument statt, seine Antworten sind aber nicht ehrlich. Wenn Sokrates sich endlich (nach acht dichten Büchern) aufmacht, argumentativ direkt gegen die Herausforderungen in Buch II durch Glaukon (357B-362C) und Adeimantos (362D-368E) zu zeigen, dass Gerechtigkeit in sich, also abgesehen davon, wie es Menschen bzw. Göttern zu sein scheint, besser ist als Ungerechtigkeit, verläuft das Argument schnell in drei Gängen, wie ein Olympischer Kampf (vgl. 583B). Es geht nicht um die Frage, ob der Gerechte glücklich ist, der Ungerechte unglücklich, sondern darum, wer glücklicher ist. Dies kontrastiert mit dem Argument aus dem ersten Buch, das wir uns gerade angesehen haben. Der erste Beweis ist eher die Bemerkung, dass man in einem dialektischen Zusammenhang u. U. gar keinen Beweis benötigt. Denn der Gegner kann, wie Glaukon hier, die fragliche Meinung teilen, nämlich dass der König, also der Gerechte, glücklicher ist als der Tyrann. Genauer gesagt ist er einverstanden, dass es in puncto Tugend bzw. Glück eine Reihung der fünf möglichen Verfassungen einer Stadt gibt, und dementsprechend eine absteigende Reihung von deren Vertretern, König, Timokrat, Oligarch, Demokrat, Tyrann (580AB). Dies gilt, ob es Menschen und Göttern bekannt ist oder nicht (580C). Also geht es

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um das Verhältnis der Gerechtigkeit bzw. der Ungerechtigkeit selbst zum Glück bzw. Unglück. Das zweite Argument basiert auf der berüchtigten Dreiteilung der Seele (580D-583A), die in der Politeia den Leitfaden für die Bestimmungen der Tugenden von Stadt und Mensch abgibt. Eingangs haben wir das Bild dafür, das dreifache Tier, gesehen. Es gibt drei Arten der Lust, die den drei Teilen entsprechen (581B): 1. Dem räsonierenden Teil der Seele, mit dem man lernt, entsprechen „philosophische“ Lüste, also solche, die den Umgang mit Weisheit betreffen; oder auch: die der Umgang mit Weisheit mit sich bringt, die mit dem Umgang mit Weisheit einhergehen. (Der Weisheitsliebende, der Philosoph, liebt die Erkenntnis nicht bloß aus der Ferne, sondern tut alles, um in ihre Nähe zu gelangen und dort zu bleiben, genau wie der Liebhaber von Wein oder Pferden.) 2. Dem Temperament (thymos), womit man zürnt und eifert, entspricht Lust an Herrschaft, Sieg, Ehre. 3. Dem begehrlichen Teil entspricht Lust an Geld und Gewinn. In verschiedenen Menschen herrschen verschiedene Teile: Jeder schreibt die meiste Lust seiner eigenen Lebensweise zu – der Mann des Geldes, der Ehrliebende, der Weisheitsliebende (581CE). Der Mann des Geldes (Geld erlaubt die Bedienung der Begierden nach Zeugung, Essen und Trinken, deswegen heißt er hier so) denkt, dass Ruhm und Lernen wertlos seien im Vergleich zu Gewinn. Der Freund der Ehre hält Geldverdienen für vulgär und denkt, Gelehrsamkeit ohne Ehre sei bloßer Schall und Rauch. Der Philosoph hält dafür, dass die anderen Lebensweisen seiner eigenen weit unterlegen seien, sie seien lediglich für das Leben notwendig (581DE). Die Frage ist nun, wem man glauben soll. Man müsse zwischen den Lebensweisen anhand von Erfahrung, Einsicht und Argument entscheiden, sagt Sokrates. Wer hat nun Erfahrung mit diesen Lüsten? Der Philosoph hat notwendigerweise seit seiner Kindheit von den anderen Lüsten gekostet, aber der Gewinnsüchtige hat nicht die Lust des Lernens, „wie die Dinge sind“, gekostet bzw. erfahren. Daher hat der Philosoph mehr Erfahrung auch als der Liebhaber von Ehre (582AB). Letzterer hat dagegen nicht mehr Erfahrung von Ehre als der Philosoph, da sie beiden zukommt, insofern sie ihre jeweiligen Ziele erreichen: der Reiche, der Tapfere, und der Weise werden je von vielen geehrt. Aber: Nur der Philosoph kommt als einziger in den Genuss der Lust, Seiendes zu betrachten. Daher ist er der Erfahrenste der drei Typen (582D). Nicht nur das: Seine Er-

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fahrung wird von Einsicht (phronêsis) begleitet. Mit anderen Worten: die Erfahrung belehrt uns nicht, sie bedarf vielmehr der Einsicht, um verstanden zu werden. Schließlich ist das Werkzeug, um dieses Urteil zu fällen, das Werkzeug des Philosophen: Argumente (logoi). Wenn Reichtum das beste Mittel wäre, um Urteile zu fällen, dann wären das Lob und der Tadel des Gewinnliebenden am wahrsten. Wenn Ehre, Sieg und Tapferkeit die besten Mittel wären, dann Lob und Tadel des Ehrliebenden. Da aber die besten Mittel Erfahrung, Einsicht und Argument sind, ist das Lob des Philosophen, des Liebhabers der Argumente, am wahrsten (582DE). Zumindest gibt der reflektierte Mann eine Expertise ab, wenn er seine eigene Lebensweise anderen anempfiehlt (583A). Glaukon ist damit einverstanden, dass die Lust des lernenden Teils der Seele dem Philosophen zufolge am angenehmsten ist, an zweiter Stelle folgt die des Ehrliebenden, schließlich die des Mann des Geldes. Man sieht in diesem Beweis, dass das Urteil über die Lebensweisen nicht über jeden Schein erhaben ist – es scheint nämlich dem Lieb­ haber der Weisheit so zu sein, aber es geht darum zu begründen, dass man den richtigen Richter in dieser Frage wählt. Es soll ein praktisches Vorbild dessen Urteil man vertrauen kann, begründet gewählt werden. Auch wenn es übertrieben wäre zu sagen, dass Platon bewiesen hat, dass der Weisheitsliebende das Vorbild abgibt, dass die passendsten Vermögen besitzt, v. a. zu argumentieren, stehen der Mann des Geldes und der Mann der Ehre ohne rechte Ressourcen, sich für diese Rolle zu behaupten. Sobald es nur um Begründung geht, geraten sie ins Hintertreffen. Der dritte Beweis (583A-588A) basiert darauf, dass die Lüste von Menschen, die nicht über Wissen verfügen, weder wahr noch rein sind (583A). Um zu klären, was das heißt, stellt Sokrates ein Modell von Lust und Schmerz auf, bei dem es auch einen dazwischenliegenden Bereich der Ruhe gibt. Folglich kann das Aufhören von Schmerz angenehm sein, das Aufhören von Lust schmerzvoll. So kann das Dazwischenliegende als Lust oder Schmerz erscheinen (583C-584A). Nun entstehen manche Lüste nicht aus der Ablösung von Schmerz, z. B. Lüste des Geruches (584B); sie folgen gar nicht auf Schmerz, auf empfundenen Mangel. Was weder lustvoll noch schmerzvoll ist, ist Ruhe; sie kann aber nicht zugleich lustvoll und schmerzvoll sein. Also erscheint sie nur lustvoll und schmerzvoll, je nachdem, worauf sie folgt: Ruhe nach Schmerz ist lustvoll, Ruhe nach Lust schmerzvoll. Also ist es möglich, das Dazwischenliegende für Lust zu halten, wenn

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man nicht die wahre Lust, also jene Lust, die keine Kontrastlust (Lust in Abhebung von Schmerz) ist, erfahren hat. Wenn man Helles (leukon) nicht kennt, dann erscheint Grau hell im Vergleich zu Dunkel (melan) (585A). Es geht hier also darum, die wahre Lust zu isolieren, nämlich eine Lust, die sich nicht nur durch ihren Kontrastzustand bestimmt. Sokrates unterscheidet zwischen Seele und Körper: Hunger und Durst sind leere Zustände des Körpers, Unwissenheit die Leere der Seele. Essen und Einsicht können jeweils diese Zustände auffüllen. Welche Auffüllung hat nun größeren Anteil am reinen Seienden? Essen und Getränk oder die ‚Auffüllung‘ mit wahrer Meinung, Erkenntnis, Einsicht, „summarisch mit aller Tugend“ (585C)? Dabei gilt, dass die wahrere Auffüllung einen mit dem, was ‚mehr ist‘(585B) erfüllt. Dieses ‚mehr sein‘ ist eine adverbiale Steigerung von ‚sein‘; ihre Bedeutung wird nachher erläutert. Die Gegenstände der Einsicht sind wahrer, also ist die Lust des Einsehens wahrer. Die Qualität der Aktivität bemisst sich an der Qualität des Gegenstandes der Aktivität. Was ist nun ‚mehr‘ (als Adverb zu „sein“)? Diese Frage wird beantwortet, indem Sokrates und Glaukon feststellen, welchem von beiden (Essen, Tugend) Gleichheit, Unsterblichkeit und Wahrheit zukommt, gegenüber dem, was diese Eigenschaften nicht besitzt. Und Glaukon stimmt zu, dass dasjenige, was immer dasselbe ist, mehr Sein hat. Es ist nicht, so kann man das verstehen, einmal so, einmal nicht so, sondern ständig das, was es ist. Nicht nur, dass es nicht täuscht, es ist einfach und in Wahrheit das, was es ist. Zur Debatte steht also, welcher dieser Zustände uns mehr mit Dingen auffüllt, die der Natur angemessen sind (585D). Die Vorstellung ist wohl, dass Körper und Seele natürliche Funktionen bzw. Bedürfnisse haben, und es geht ihnen dann gut, wenn diese erfüllt werden. Eine wahrhafte Auffüllung mit Dingen, die mehr Sein besitzen, macht Menschen in Wahrheit froh (chairein). Diejenigen dagegen, die „unerfahren in Tugend und Einsicht“ sind (586A), verbringen ihre Tage mit Zeugung und Fressen, wie Vieh. Also erlangen jene, die ohne Erfahrung der Weisheit und aretê sind, nur das Dazwischenliegende, sie erlangen nie Sein, also die Wahrheit. Der letzte Passus des Arguments verdient eine vollständige Übersetzung: „Wenn die ganze Seele also ohne Aufbegehren dem weisheitsliebenden Teil gehorcht, folgt daraus, dass auch sonst jeder Seelenteil seine eigene Funktionen erfüllen und gerecht sein kann, und insbesondere kann er die Lüste genießen, die ihm zugehören und die die besten und nach Möglichkeit die wahrsten sind“ (586E-587A).

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Nur der Seelenteil, „mit dem man lernt“, ist in der Lage, die Belange der anderen Teile zu erkennen und die passenden Verhältnisse zwischen den Teilen einzurichten, so dass jeder Teil, soweit das im Verbund mit den anderen Teilen möglich ist, seine Bedürfnisse erfüllen kann. Aus der Gerechtigkeit ergibt sich das lustvolle Leben für die ganze Seele.

Philebos Im Philebos wird die Frage diskutiert, was das menschliche Gute ist: Lust und Vernunft sind die Anwärter. Jene Beschaffenheit und Verfassung der Seele wird gesucht, die das Leben glückselig (eudaimôn) macht (11D), und zwar dasjenige aller Menschen. Keiner der beiden Anwärter ‚Lust‘ und ‚Vernunft‘ erfüllt aber die drei formalen Kriterien für das Gute, wie ich sie nennen möchte; nämlich zielhaft (teleos), ausreichend (hikanos) und wählenswert (hairetos) für jeden zu sein, der es erkennt. Folglich ist nur eine Mischung aus beiden das menschliche Gute. (Es wird natürlich vorausgesetzt, dass das menschliche Gute anhand dieser Faktoren bestimmt werden kann und dass es um das Gute gehen muss.) Diese drei Kriterien erlauben es, das Gute in seiner „Wohnung“ ausfindig zu machen. Die Vernunft ist entscheidend hier, denn sie erlaubt es festzustellen, ob etwas wählenswert ist oder nicht (vgl. 22B). Die Mischung aus Lust und Erkenntnis ist, was das gute Leben ist, nicht Indizien, die es uns erlauben, der Lust und der Erkenntnis habhaft zu werden. Mischung (meixis) ist nun eine der vier Gattungen, in die „alles jetzt Seiende“, aufgeteilt wird, neben Grenze (peras), Unbegrenztem (apeiron) und der Ursache (aitia) der Mischung (23B27C). Somit wird ein Gerüst geschaffen, innerhalb dessen die Frage nach dem guten menschlichen Leben verhandelt werden kann. Diese Mischung entsteht, indem durch die Ursache die Grenze in das Unbegrenzte eingearbeitet wird. Nicht jedes Gemisch ist eine Mischung im Sinne des Philebos: Sie muss gut sein. Das Modell ist eines der Herstellung, und das Hergestellte ist nur wirklich, wenn es die entsprechende Norm erfüllt, also gut ist. Diesem Gerüst selbst geht eine Auffassung von Dialektik voraus, „ein Geschenk der Götter an die Menschen“, die dem Lernen, Lehren und Forschen dient (16C-17A). Das „jetzt Seiende“, so sagt Sokra-

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tes, besteht aus Grenze und Unbegrenztem, die miteinander natürlich verbunden, also in irgendeiner Weise einander angemessen sind. Man muss dann diese einheitliche Form, die man setzt und findet, aufteilen, in so viele Teile wie möglich; diese Teile sind an Zahl begrenzt; es handelt sich um eine realistische Auffassung von Einteilung. Man hört dann mit dem Abgrenzen von Teilen auf, wenn keine Aufteilungsmerkmale mehr gegeben sind. Diese Methode erlaubt es, Lust wie auch Erkenntnis in Teile zu sondern, so dass man entscheiden kann, welche Lüste und welche Erkenntnisse in das gute Leben aufzunehmen sind. Man sieht hier, wie praktische und theoretische Interessen ineinandergreifen. Dabei bleibt unausgedrückt, inwiefern Sokrates denkt, dass die theoretische Arbeit für die Lebensführung selbst unabdingbar ist. Jedenfalls ist sie für die Begründung der Lebensweise unabdingbar – ein Punkt, in dem Philebos selbst eklatant scheitert. Er weigert sich ja, die Seite der Lust im Wort zu verteidigen, und wird von Protarchos vertreten; er hat allerdings auch kein Interesse an der Begründung. Protarchos nimmt dagegen im Verlauf des Dialogs zunehmend die Seite der Vernunft ein, so dass er schließlich gar nicht mehr aufhören will, mit Sokrates zu diskutieren. Am Ende des Dialogs wird dann eine Analyse dessen vorgenommen, was Lust und Vernunft zum guten Leben beitragen. Die drei Kriterien des Guten (20D-22B) werden hier (60D) erneut aufgegriffen: Hikanos, „ausreichend“, es bedarf keiner weiteren Eigenschaften. Im Kontrast dazu steht etwa ein Leben der Lust oder der Vernunft, und zwar für Menschen, denn bei beiden fehlt etwas. Teleos wird oft mit „vollständig“ übersetzt, es ist aber besser mit „zielhaft“ wiederzugeben, denn das Gute dient als Ziel: Das also, was den Platz des Guten einnimmt, muss sich als Ziel eignen. Hairetos, „wählenswert“: Für jeden, der das Gute kennt (oder: darüber Bescheid weiß), ist es zu Wählendes. Das Gute ist das, dem jeder, der es erkennt, nachjagt (20D). Das Gute bezieht sich nicht auf einzelne Handlungen, sondern auf das Ganze eines Lebens. Um sich dem Guten zu nähern, muss man sich auch am Streben, zwar nicht am eigenen, sondern am Streben im Allgemeinen orientieren. Pflanzen und Tiere sind dabei eingeschlossen, das Gute ist allumfassend (vgl. 60A). Was allerdings am Anfang des Dialogs gesucht wird (11D), ist das Gute als das menschliche Ziel. Philebos, bzw. sein Vertreter Protarchos, bedient sich einer Version des später sogenannten Wiegenarguments (vgl. Diogenes Laertius X 137): Das Gute ist Lust, denn wir sehen, dass jedes Tier von Geburt an mit Lust zufrieden ist. Einerseits

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unterscheidet sich der Mensch von den Tieren durch Nous, Vernunft. (Kraniche sind allerdings notorisch kluge Tiere für die Griechen, auch ihnen wird im Politikos Einsicht zugeschrieben.). Auf der anderen Seite legt Sokrates Wert darauf, die Möglichkeit eines lustfreien Lebens offenzulassen, eines Lebens ohne Verlust und Auffüllung, m. a. W. ein göttliches Leben (33B, 55A). Die Lust geht also mit der Sterblichkeit einher. Das lust- und schmerzfreie Leben dagegen ist nur dem Nous, der Vernunft vorbehalten. Für das Lustleben ist aber Erkenntnis notwendig (60DE, vgl. 20C22B). Also muss man mischen; das ist in dieser Darlegung m. E. als eine logische Mischung zu verstehen, als ein Zusammenhang, der durch die jeweilige Bestimmung der Teile bezogen auf den zu erfüllenden Zweck begründet ist. Womit wir hier konfrontiert sind, ist laut Sokrates „eine unkörperliche Ordnung, die edel (kalon) sich eines lebendigen Körpers bemächtigt“ (64B). Der Mischvorgang besteht darin, etwas Unbegrenztes zu begrenzen; die Grenze und ‚ihr‘ Unbegrenztes sind einander natürlich verbunden, also einander angemessen. Folglich muss man jeweils angemessene Teile nehmen. Dafür ist es notwendig, die Teile von Vernunft und Lust zu sichten, um ein begründetes Urteil zu fällen, welche angemessen sind und welche nicht. Dies ist eine Arbeit der Vernunft. Es werden allerdings alle Künste bzw. Wissenschaften ins gute Leben eingelassen, auch die primitivsten, „damit wir den Weg nach Hause finden“ (62B). Die Einteilung der Künste bzw. Wissenschaften erfolgt nach Reinheit, Genauigkeit und Beschaffenheit. Allerdings sind die einfachsten Künste auch mit Erfahrung und Übung verbunden („gemischt“), etwa die Tonkunst. Sie muss aber auch ins gute Leben mitaufgenommen werden; denn was wäre ein Leben (bios) ohne Musik, fragt Sokrates, und Protarchos antwortet, dass dies kein Leben sei (62A-C). Im Unterschied zur allumfassenden Aufnahme der Wissenschaften werden nur die Lüste zugelassen, die die Tätigkeiten der Vernunft nicht stören, und die aufs ganze Leben gesehen vorteilhaft und unschädlich sind (63A). Die Vernunft hat also in einer bestimmten Form der Darlegung, in der Dialektik, diejenigen Lustteile einzugrenzen, die in die Mischung des guten Lebens passen. Die Vernunft dient als Grenze, also als begrenzende Instanz. Die Lust selbst wird im Dialog unter das Unbegrenzte eingereiht (27E, 31A, 32D, 41D, 52C-E). Warum sind hier aber die Lüste unbegrenzt? Weil sie von sich aus kein Maß kennen (auf das Maß und das Angemessene gehen wir weiter unten kurz ein). Ausgeschieden werden ferner falsche Lüste (62DE),

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also solche, die deswegen falsch sind, weil sie in sich Unlust bergen, etwa das Lachen über eine Komödie: Missgunst (phthonos) ist in sich Unlust. Betroffen sind ferner auch solche Lüste, die deswegen falsch sind, weil sie täuschend sind. Platon bedient sich hier eines Kunstgriffes: Sokrates lässt die Lüste selbst zu Wort kommen (in scharfem Kontrast zu Philebos, deren Verfechter!), und sie wählen Erkenntnis, damit sie erkannt werden und damit sie vorteilhaft sein können. Das gute menschliche Leben besteht also aus einer Mischung von Lust und Vernunft. Um zu zeigen, was in dieser Mischung dafür verantwortlich ist, dass sie allen gefällt (64C), und auch, welche der beiden in der Mischung dominiert, muss das Gute in Einzelaspekte zerlegt werden; und diese Aspekte des Guten sollen dann je als näher verwandt (syngenesteron) mit der Vernunft oder aber mit der Lust herausgestellt werden (64C). Die drei Momente des Guten werden schnell gefunden – schlicht mit der Feststellung, dass es so allen klar ist (64D): Maß (to metron) bzw. Angemessenheit (to symmetron) und das Edle (to kalon) (64E); die Wahrheit kommt, vielleicht für uns überraschend, hinzu (64E, vgl. 64B). Diese drei bilden eine Art Einheit und sind dafür verantwortlich, dass die Mischung gut ist. Die Frage ist nun, ob Lust oder Vernunft diesen drei Qualitäten, dem Besten unter den Menschen und Göttern verwandter ist (65A-B). Für alle drei wird dann nachgewiesen, dass sie der Vernunft verwandter sind; Protarchos bereitet das überhaupt kein Problem: Wozu brauchen wir da viel Zeit?, fragt er (65C). Trotz der vielen Fragen, die uns dieser Passus aufgibt, ist er äußerst bemerkenswert als eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit dem Problem der Pluralität der Werte. Wenn, wie manchmal behauptet wird, die Lust an sich gar keinen Wert besäße, dann wäre der Wertepluralismus kein Problem. Folglich ist das, was uns und den Göttern erlaubt, ein gutes Leben zu führen, Vernunft in allen ihren Spielarten. Gut ist dabei nicht die Lust, sie ist lediglich Werden und nicht zielhaftes Sein (54C). Tugend spielt scheinbar im Philebos eine untergeordnete Rolle (sie wird nur 45E, 48E, 55C, 63E, 64E erwähnt); das ist aber nur scheinbar so, denn die Vernunft bzw. Einsicht sind gerade das Ordnende des tugendhaften Lebens. Das macht es natürlich leichter, der Einheit der Tugend habhaft zu werden. Worum es nicht geht, ist die politische Umsetzung des Programms, die aber unverzichtbar ist für Menschen, wenn sie gut werden sollen; vielmehr geht es um die intellektuelle Analyse dieses Lebens in der Muße der Schule.

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Gute Menschen leben gut Die Nomoi enthalten auch viel „Anthropologie“, also Kunde über fremde Kulturen (vor allem Persien und Ägypten), allerdings in praktischer Absicht: Es geht um die Beurteilung der Sitten von einem selbst normativ ausgerichteten Standpunkt aus, mit dem Ziel, die besten Sitten für die Stadt ausfindig zu machen. Diesen Ansatz kann man als eine Antwort auf den Relativismus sehen: Es ist natürlich wahr, dass verschiedene Gemeinschaften ihre Angelegenheiten verschieden regeln. Wenn es aber eine Zielsetzung für die Gesetzgebung gibt (und das setzt voraus, dass es Gesetzgebung gibt und dass sie eine zweckgerichtete Tätigkeit sein muss), dann kann man beurteilen, ob bestimmte Sitten förderlich sind oder nicht. Dieser Aneignungsvorgang hat natürlich Grenzen. Es mag angehen, dass die (angebliche) Stabilität der Ägyptischen Kultur übernommen wird, aber die in den Nomoi skizzierte Stadtverfassung ist doch sehr hellenisch, angefangen mit dem Projekt der Stadtgründung selbst. Ein weiterer zentraler Gedanke ist die Wandelbarkeit der menschlichen Natur: Darauf gründet Erziehung und so auch die Polis. Die Teilbarkeit der Seele erlaubt diese Wandelbarkeit; denn welcher Teil die anderen beherrscht, steht nicht jeweils von vorneherein fest. Dementsprechend ist die (menschliche) Seele keine atomare Form, genauso wenig wie eine Stadt. Folglich ist ihre Einheit nur durch eine geeignete Beherrschung möglich; ihre Vielfalt kennt natürlich keine Grenzen, ihre Einheit dagegen schon. Entgegen seinem Ruf ist Platon erpicht darauf, die Bedeutung der Erfahrung bei der Wahl der Lebensform als unverzichtbar hinzustellen. Allerdings ist es nicht Erfahrung alleine, die zählt – Argumente sind erforderlich, und es muss nicht immer die eigene Erfahrung sein. Moralische Exempla sind leitend für seine Konzeption der Bildung, seien sie künstlerisch dargestellt oder wirklich, aus der Tradition geschöpft. In Platons eigenen Schriften übernimmt natürlich Sokrates diesen Part. Die Lust hat keinen kognitiven Wert – sie ist zwar in der Lage, uns zu täuschen, und hat einen Gegenstand. Sie ist aber nicht argumentativ oder begründend. Sie wird u. a. unterschieden durch die Tätigkeiten, die sie begleitet. Vor allem geht es Platon darum, aus den Fängen des Scheines zu entkommen – und die Lust bietet da keinen Anhaltspunkt, geschweige denn Mittel, wie es Argumente tun. Die Lust ist uns mitgegeben mit ihrem grimmigen Bruder Schmerz, die Geschwister sind aber wandelbar, unsere Neigungen und Abneigun-

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gen sind durch Wörter zu bewegen, und wenn nicht durch Erziehung und Überredung bzw. Überzeugung (die peithô umfasst beides), dann durch Strafen, und in ein funktionierendes, also tätiges Ganzes eingliederbar. Ein Vorzug der Gerechtigkeit – das Spielen seiner Rolle und das Erhalten des Seinigen (Politeia 433E-434A) – liegt darin, dass man handlungsfähig ist (ebenda 351B). Es wäre gut, wenn man beweisen könnte, dass gute Menschen gut leben: Platon hat auf diese These viel Mühe verwandt. Dieser Essay versucht, sie in den Nomoi, in der Politeia und im Philebos zumindest verständlich zu machen. Einen schnellen Zugang zu der These bietet die grundlegende Funktion der Seele: Sie belebt Lebewesen. Diese leben gut, wenn die Seele ihre Funktion gut ausführt. Dazu befähigt sie ihre Tugend, die Gerechtigkeit. Das Bild wird allerdings dadurch erheblich komplizierter, dass die Seele teilbar ist. Dabei ist der Grundgedanke, dass die ganze Seele dann gut funktioniert, wenn jeder Teil seine Funktion erfüllt – dieses ‚Gute Funktionieren‘ ist dann gerade die Gerechtigkeit. Damit die Seelenteile ihre Funktionen gut ausführen, bedarf es allerdings primär der Einsicht, vor allem in die Seele. Um also gerecht zu sein, muss die Seele vom lernenden Teil geführt werden. Denn nur so können alle Teile der Seele, von Einsicht geleitet, in ihren jeweiligen Bedürfnissen befriedigt werden. Diese Befriedigung besteht darin, dass sie ihre Funktionen gut erfüllen. Damit stellt sich aber Lust ein, als die Wiederauffüllung jener Mängel, die mit der Leiblichkeit einhergehen: Essen, Trinken, Zeugung. Lust ist also nicht das Gute, begleitet es aber (vgl. Philebos 63E), insofern dieses sich auf das leibliche Dasein erstreckt und das Dasein geordnet abläuft. Also ist Lust nicht selbst ein hypothetisches Gut, sondern begleitet ein Gut, das das tatsächliche Leben erfordert. Das Ordnen dieses Lebens ist eine Aufgabe der Einsicht. So ist dann das menschliche Gut eine Mischung aus Lust und Einsicht. Lust darf die Einsicht in der Lebensführung aber nicht stören, etwa durch Intensität oder durch Täuschung. Als körperliche Wesen sind wir an die Lust gebunden: Wir würden demnach nicht wählen, ohne sie zu leben – ohne sie wäre das Leben unvollständig. Aber unser Maßstab wäre eigentlich ein Leben ohne die selbsterhaltenden Veränderungen der Leiblichkeit, also das reine Vernunftleben, Gott. Platon widmet sich der Lust mit viel Mühe; zum einen ist das als Aufarbeitung gängiger Meinungen zu verstehen, aber auch als Bemü-

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hen, dass alle Aspekte und Bereiche des Lebens, also der verkörperten Seele, zu ihrem Recht kommen. Und diese Herrschaft soll nicht repressiv sein, sondern naturgemäß. Bibliographische Notiz Diese Überlegungen gehen auf zwei klassische Beiträge zur Auslegung der griechischen Ethik zurück: – zum einen K. V. Wilkes, „The Good Man and the Good for Man in Aristotle’s Ethics“, in: A. Rorty (Hrsg.), Essays on Aristotle’s Ethics, Berkeley, 1980, S.341-358 und J. Annas, Platonic ethics old and new, Cornell, 1999, insb. Kap. VII: „Elemental Pleasures“, S. 137-161. Während der letzte Beitrag versucht, eine Annäherung zwischen Platon und den Stoikern zu forcieren, soll hier anhand der gleichen Platonischen Texte gezeigt worden sein, dass Platon und Aristoteles denken, dass der gute Mensch im Besitz des menschlich Guten ist. Das ist nun eine These der Arbeit von Wilkes, allerdings argumentiert sie mit einem neuzeitlichen Moralbegriff (Altruismus). Der Egoist ist aber genauso wenig der Gegner in der Politeia wie in den Gesetzen und im Philebos, denn er hat vergessen, dass wir, wenn nicht durch anderes dann durch schnödes Bedürfnis (chreia) aneinander ge­kettet sind: Die Auseinandersetzung mit Thrasymachos im ersten Buch der Politeia, der auf sein eigenes vermeintliches Wohl bezogen ist, liefert nicht den roten Faden zur Platonischen Moral, auch wenn formal die Herausforderung von Glaukon und Adeimantos im zweiten Buch, eine begrifflich schärfere Formulierung als die des Thrasymachos, die restliche Diskussion strukturiert.

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Das Tier in Dir Menschliches Handeln und tierisches Verhalten bei Aristoteles

Zoologen von einem anderen Stern würden uns als Schimpansen klassifizieren, so lautet die Einschätzung des amerikanischen Evolutionsbiologen Jared Diamond.1 Schließlich teilt der Homo sapiens mit dem Schimpansen über 98 % seines Genmaterials. Moderne Biologen von diesem Stern gehen nicht so weit, versuchen aber doch, den Menschen von seinen evolutionären Ursprüngen, und das heißt eben, vom Tier her zu verstehen. Allenthalben finden sie im Menschen genetische Programme, Verhaltensmechanismen o. Ä. und führen auch die ‚höheren‘ Vermögen des Menschen gern direkt oder indirekt auf den Überlebensvorteil bzw. die Möglichkeit zur Weitergabe der Gene zurück. Sie wenden sich damit gegen eine vor-darwinistische Auffassung vom Menschen als Krone der Schöpfung, den eine unüberbrückbare Kluft vom Tierreich trenne, sofern er als einziges Lebewesen über Vernunft und Bewusstsein verfüge. Die Ursprünge dieser Auffassung liegen, wie v. a. Richard Sorabji2 gezeigt hat, nicht zuletzt in der antiken Stoa: Auch die Stoa sieht für den Menschen aufgrund seiner logos-Natur eine Sonderstellung im Kosmos vor; zwar hat er in seiner Körperlichkeit und Sinnlichkeit mit all ihren Belästigungen wie Hunger, Geilheit und sonstigen Trieben auch etwas Animalisches in sich, doch seine Aufgabe ist es, dieses Tier in sich, soweit möglich, niederzuhalten und zu vernichten (oder bestenfalls zu ignorieren) und nur seinem logos, der allein göttlich und frei ist, zu folgen. Entsprechend ist auch das Tier ‚draußen‘ von geringem Wert; die gesamte Welt ist auf den Menschen hingeordnet. Besonders plastisch ist das ausgedrückt in einem Dictum Chrysipps, das Cicero in De na­ 1 2

J. Diamond, Der dritte Schimpanse. Evolution und Zukunft des Menschen, Frank­ furt/M. 1994, S.10 (Neuauflage 2005). R. Sorabji, Animal Minds and Human Morals. The Origins of the Western Debate, London 1993.

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tura deorum zitiert: Dem Schwein, so hören wir dort, sei die Seele statt Salz gegeben, damit es nicht vergammle.3 Mit anderen Worten: Schweine sind nichts als laufende Steaks; ihre Seele spart uns die Konservierungsmittel. Freilich gibt es in der Antike auch andere Traditionen, die den Bereich des Animalischen sehr viel positiver beurteilen und deshalb einen anderen Umgang mit ihm pflegen, vor allem die platonische und aristotelische.4 Wie das bekannte Gleichnis aus dem neunten Buch von Platons Politeia lehrt, besteht das, was wir Mensch nennen, in Wirklichkeit aus drei Wesen: Einem vielköpfigen chimärengleichen Ungeheuer – dem sinnlichen Begehren (epithymia), einem Löwen – dem auf Selbsterhaltung und Anerkennung ausgerichteten Eifer (thymos), und einem, im Verhältnis dazu recht kleinen, aber feinen Menschlein – dem vernünftigen Denken (logos), das das Wohl des Gesamten erfassen und dafür Sorge tragen kann.5 Das Funktionieren dieser ungleichen Wohngemeinschaft wird nach Platon aber nicht gewährleistet durch die Unterdrückung der beiden Tiere, sondern durch eine harmonische Symbiose unter der Führung des logos, wie bereits die Beschreibung der Tugenden im vierten Buch zeigt: Der Mensch als Ganzer ist dann gerecht, wenn jeder Teil der Seele das Seine tut und der Mensch mit sich selbst befreundet ist, weil er die drei in ein harmonisches Verhältnis gebracht hat.6 Der ‚Weise‘ 3 4

5 6

Cicero, De natura deorum II 160: Sus vero quid habet praeter escam? cui quidem, ne putesceret, animam ipsam pro sale datam dicit esse Chrysippus; qua pecude, quod erat ad vescendum hominibus apta, nihil genuit natura fecundius. Vgl. G. Steiner, „Das Tier bei Aristoteles und den Stoikern. Evolution eines kosmi­ schen Prinzips“, in: A. Alexandridis, L. Winkler-Horacek, M. Wild (Hrsg.), Mensch und Tier in der Antike – Grenzziehung und Grenzüberschreitung, Wiesbaden 2008, S. 27-46. Zum Verhältnis Tier-Mensch in der Antike immer noch grundlegend: U. Dierauer, Tier und Mensch im Denken der Antike. Studien zur Tierpsychologie, An­­ thropologie und Ethik, Amsterdam 1977; außerdem Sorabji (Anm. 2); vgl. auch die Internet-Bibliographie von Th. Fögen: http://www.telemachos.hu-berlin.de/esterni/ Tierbibliographie_Foegen.pdf (letztes Update Mai 2006). Neben den genannten Arbeiten waren bei den vorliegenden Überlegungen besonders hilfreich: A. Schmitt, „Verhaltensforschung als Psychologie. Aristoteles zum Verhältnis von Mensch und Tier“, in: W. Kullmann, S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse, Stuttgart 1997, S. 259-285; A. Coles, „Animal and Childhood Cognition in Aristotle’s Biology“, ebd., S. 287-323; J.-L. Labarrière, „De la phronesis animale“, in: D. Devereux, P. Pellegrin (Hrsg.), Biologie, logique et métaphysique chez Aristote, Paris 1990, S. 405-428. Platon, Politeia IX 588b-e. Ebd., IV 443c9-444a2.

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(sophos) ist einer, der in jenem kleinen Teil, dem logos, die Art von Wissen (epistêmê) hat, die jedem einzelnen Teil und dem Ganzen zuträglich ist; der ‚Besonnene‘ (sôphrôn) ist einer, bei dem Freundschaft (philia) und Zusammenklang (symphônia) der Teile herrscht, indem der regierende Teil und die beiden regierten darin übereinstimmen (homodoxein), dass der logos die Führung haben soll.7 Dann – und nur dann –, wenn jeder Seelenteil entsprechend den ihm eigenen Kompetenzen agiert, hat er auch die ihm eigene Lust (hêdonê), so dass dieses Leben nicht nur das beste, sondern zugleich das lustvollste und glücklichste ist.8 Bei Aristoteles gestaltet sich das Verhältnis des Menschlichen zum Tierischen, trotz mancher Differenzen, grundsätzlich ähnlich: Zwar erklärt Aristoteles, dass der Mensch als einziges Lebewesen neben vegetativem Vermögen, Wahrnehmung und Thymos über Rationalität verfügt und deshalb allein fähig zum Handeln (praxis) und zur Glückseligkeit (eudaimonia) ist.9 Andererseits gibt es aber auch bei ihm keine Kluft zwischen rationalen und niedrigeren Seelenvermögen, sondern eine grundsätzliche Kontinuität in der Vielfalt des Belebten. Ich möchte im Folgenden diesen Zusammenhang näher erläutern, um dann im Schlussteil auf die Konsequenzen einzugehen, die sich daraus für unseren Umgang mit dem Animalischen sowohl in uns selbst als auch außerhalb von uns ergeben.

1. Die Verwandtschaft von Mensch und Tier 1.1 Der fundamentale Zusammenhang des Lebendigen Die genannte Verwandtschaft zwischen Tierischem und Menschlichem zeigt sich schon rein äußerlich darin, dass Aristoteles in seinen zahlreichen biologischen Schriften den Menschen grundsätzlich als ein Lebewesen (zôion) unter anderen traktiert. Aber auch in der Ethik rekur7 8 9

Ebd., 442c-d1. Ebd., IX v.a. 586d1-587a6. Vgl. z. B. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 10, 1099b32-1100a1 und X 8, 1178b2432: Tiere sind nicht fähig zur eudaimonia, weil ihnen die theôria, also die freie Tätigkeit des Intellekts (nous), völlig fehlt; De anima III 3, 428a19-24: Tiere können keine begründete Überzeugung (pistis und peithô) haben, weil sie nicht über logos verfügen. Eudemische Ethik II 8, 1224a 28f.: Sie sind nicht fähig zur praxis.

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riert Aristoteles immer wieder auf die Naturwissenschaft, vor allem die Biologie: So fordert er z. B. in der Nikomachischen Ethik, dass der Politiker, der für die optimale Entfaltung der Bürger sorgen will, über die Seele Bescheid wissen muss10 – und über die Seele gibt bei Aristoteles an erster Stelle, wenn auch nicht ausschließlich, eine naturwissenschaftliche Schrift, nämlich De anima, Auskunft. Die inhaltliche Bestimmung der menschlichen ‚Tugend‘ (aretê) und des menschlichen Glücks (eudaimonia) gewinnt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik aus der Bestimmung des menschlichen ‚Werks‘ (ergon), d. h. der spezifischen Leistung des Menschen: Sie besteht in der optimalen Entwicklung und Betätigung derjenigen seelischen Potenzen, die er in De anima unterscheidet.11 Bei diesen Potenzen – Ernährung/Wachstum, Fortpflanzung, Wahrnehmung, Vorstellung und verschiedene Stufen rationalen Denkens sowie die daraus entspringenden Formen des Strebens – handelt es sich nicht um beliebige Merkmale, sondern um eine geordnete Reihe, d. h. die höheren Vermögen bauen auf den niedrigeren auf (sog. scala naturae) und weisen ihnen gegenüber ein zunehmendes Maß an Komplexität und Flexibilität auf.12 Sie lassen sich begrifflich unterscheiden; in der konkreten Vielfalt der Organismen ist der Übergang jedoch ein kontinuierlicher: „Die Natur nämlich geht kontinuierlich (synechôs) über vom Unbelebten zu den Tieren, hindurch durch das, was zwar lebt, aber kein Tier ist, so dass das eine vom anderen nur ganz geringfügig unterschieden scheint, weil es einander ganz nahe ist.“13

10 Nikomachische Ethik I 13, 1102a18-21. 11 Ebd., I 6. 12 Zur zunehmenden Komplexität der seelischen Aktivitäten vgl. De partibus anima­ lium II 10, 655b37-656a6. Zur sog. scala naturae bei Aristoteles vgl. H. Happ, „Die Scala naturae und die Schichtung des Seelischen bei Aristoteles“, in: R. Stiehl, E. Stier (Hrsg.), Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift Franz Altheim, Bd. 1, Berlin 1969, S.220-244. 13 Aristoteles, De partibus animalium IV 5, 681a12-15 (die geringe sachliche Differenz zeigt sich an dieser Stelle auch in der Formulierung: dia tôn zôntôn men, ouk ontôn de zôiôn). Vgl. auch Historia animalium VIII 1, 588b4-12: Vom Unbelebten zu den Lebewesen geht die Natur in kleinen Schritten weiter, so dass durch die Kontinuität verborgen bleibt, wozu der Grenzbereich gehört. Im Vergleich zu den unbeseelten Körpern erscheinen die Pflanzen als lebendig, im Vergleich zu den Tieren als unbelebt. Der Übergang von ihnen zu den Tieren ist aber kontinuierlich, vgl. Dierauer (Anm.4), S.111-113. Das gilt nicht nur im Verhältnis Pflanze-Tier, sondern auch im Verhältnis Tier-Mensch: Aristoteles, De partibus animalium IV 10, 689b31-34 und Historia animalium II 8, 502a16-b26 (zum Affen). Zur Kontinuität im Übergang

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Der enge Zusammenhang manifestiert sich auch in der Ontogenese der Lebewesen selbst: Zunächst lebt der Embryo das Leben einer Pflanze, dann das eines Tieres, bevor er – in unserem Fall – zum Menschen wird.14 Während die moderne Biologie den Zusammenhang des Lebens vorwiegend von unten, d. h. von den basalen körperlichen Vorgängen her, sieht, eröffnet Aristoteles, obwohl auch er viel über die gemeinsame Physiologie der Lebewesen zu sagen hat, noch eine andere Perspektive. Als grundlegendes Kriterium für Leben gilt Aristoteles Wachstum bzw. Ernährung und Fortpflanzung – entsprechend nennt er in De anima als „erstes und allgemeinstes“ Seelenvermögen das Ernährungs- und Fortpflanzungsvermögen. „Denn es ist für das, was lebt, das natürlichste aller Werke (physikôtaton tôn ergôn) [...], ein anderes hervorzubringen wie es selbst, ein Tier ein Tier, eine Pflanze eine Pflanze ...“ – soweit würde wohl jeder moderne Biologe noch anerkennend nicken. Was dann folgt, dürfte eher Kopfschütteln hervorrufen, sollte aber nicht unterschlagen werden, weil es ein für die Einheit der Natur bei Aristoteles fundamentaler Gedanke ist: „... damit es teilhat am Ewigen und Göttlichen, soweit es vermag. Denn alles strebt nach jenem, und um seinetwillen tut es alles, was es tut gemäß der Natur“.15 Auch wenn das pflanzliche Vermögen laut Aristoteles noch keine kognitive Kraft besitzt und insofern gegenüber allen höheren Seelenvermögen abfällt, so scheint doch grundsätzlich alles Seelische einig zu sein im „Streben“ nach diesem Höchsten. Dieses höchste Prinzip, die schlechthin erste Ursache, ist bei Aristoteles nun bekanntlich der göttliche Intellekt (nous). Von ihm heißt es in der Metaphysik, er bewege „als Geliebtes“ (hôs erômenon); an diesem Prinzip (archê) hängen der Himmel und die Natur.16 Er verwirklicht die höchste Form von Leben und Glück, indem er ungehindert und zeitlos, d. h. ewig, „denkt“. Diese Form des Lebens ‚ahmen‘ alle anderen Lebewesen in der ihnen möglichen Form ‚nach‘: seine Ewigkeit durch kontinuierliches Werden,

Pflanze-Tier, aber auch im Übergang Tier-Mensch vgl. Coles (Anm.4), v. a. S. 291296. 14 Aristoteles, De generatione animalium II 3, 736a35-736b8. Vgl. auch Historia animalium VIII 1, 588b1f.: Die Seele der Kinder unterscheidet sich sozusagen gar nicht von der der Tiere (thêria). 15 De anima II 4, 415a23-b2. 16 Metaphysik XII 7, 1072b3 und 1072b13f.

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d. h. Fortpflanzung,17 sein „Denken“ (theôria) durch die verschiedenen Formen des Erkennens. Insofern ist jede seelische Regung, auch noch die elementarste, letztlich zurückführbar auf die Einheit des göttlichen nous.18 1.2. Die Verwandtschaft von Wahrnehmung und rationaler Erkenntnis Als Kriterium für tierisches Leben nennt Aristoteles das Vorliegen von Wahrnehmung (aisthêsis).19 Sie ist bereits ein erkennendes, da unterscheidendes Vermögen:20 das unterscheidende Erfassen von etwas, krinein, ist das gemeinsame Merkmal aller erkennenden Vermögen: „Spezifische Leistung (ergon) des Lebewesens ist nicht nur die Fortpflanzung [...], sondern sie haben alle auch an einer bestimmten Form von Erkenntnis (gnôsis tis) teil, die einen an mehr, die anderen an weniger, wieder andere nur an ganz beschränkter. Denn sie haben Wahrnehmung, und Wahrnehmung ist eine Form von Erkenntnis“,21 heißt es in De generatione animalium. Auch in De anima stellt Aristoteles die Ähnlichkeit zwischen Wahrnehmung und rationaler Erkenntnis, speziell der des Intellekts (nous), heraus. In beiden Fällen finde ein unterscheidendes Erfassen von Bestimmtem statt (krinei ti ... kai gnôrizei tôn ontôn). Deshalb hätten auch die Alten Wahrnehmen und Denken (fälschlicherweise)

17 Vgl. auch folgenden Gedanken in De generatione et corruptione II 10, 336b27-34: Die Natur strebt immer nach dem Besseren und das Sein ist besser als das NichtSein; aber Sein (im prägnanten Sinn, d. h. so, wie das Göttliche immer es selbst ist) können nicht alle haben, deshalb vollendete der Gott das Ganze auf die noch übrige Weise, nämlich durch dauerndes Werden. 18 Dazu, dass und inwiefern dieser Begriff von Leben als „Denken“ grundlegend für das Verständnis auch der niedrigeren Formen von Leben ist, vgl. A. Schmitt, „Leben ist Denken (Metaphysik XII 7. 1072 b 27)“, in: S. Föllinger (Hrsg.), „Was ist Leben?“ Aristoteles’ Anschauungen zur Entstehung und Funktionsweise von Lebewesen, Stuttgart 2010, S. 189-224. Zur Hinordnung des gesamten Kosmos auf ein Eines hin vgl. auch Aristoteles, Metaphysik XII 10, 1075a11-23. 19 De anima II 2, 413b1-4. 20 Vgl. Analytica Posteriora II 19, 99b35: Alle Lebewesen verfügen über ein angeborenes Unterscheidungsvermögen (dynamis symphytos kritikê): die Wahrnehmung. Zum spontanen Charakter bereits der Wahrnehmung vgl. W. Bernard, Rezeptivität und Spontaneität der Wahrnehmung bei Aristoteles, Baden-Baden 1988. 21 Aristoteles, De generatione animalium I 23, 731a29-34.

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in eins gesetzt.22 Die Wahrnehmung im eigentlichen Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten mit ihren jeweiligen spezifischen Objekten23) nimmt die wahrnehmbare „Form“ (eidos), z. B. was die Farbe zu dieser Farbe macht, etwa ‚rot‘, ohne Materie auf, wie auch der Intellekt die für ihn spezifischen Objekte, die intelligiblen Sachgehalte (eidê), aufnimmt. Im Akt der Wahrnehmung werden Wahrnehmendes und Wahrgenommenes identisch, genauso wie bei der Erkenntnis des Intellekts. Wegen der Einfachheit und Unmittelbarkeit des Zugriffs sieht Aristoteles diese beiden Formen der Erkenntnis als untäuschbar an.24 Neben der Wahrnehmung der spezifischen Objekte unterscheidet Aristoteles noch zwei weitere Formen der aisthêsis, die, anders als die grundlegende Form der Wahrnehmung, synthetisch und deshalb täuschbar sind: einmal die „Wahrnehmung des Gemeinsamen“, d. h. von Ruhe und Bewegung, Anzahl, Ausdehnung und Gestalt – die Wahrnehmung von diesen Dingen ist nicht an einen einzelnen Sinn gebunden, sondern man kann z. B. jemanden kommen sehen oder auch kommen hören – manchmal sogar kommen riechen.25 Des Weiteren spricht Aristoteles von einer „akzidentellen Wahrnehmung“ (aisthê­ sis kata symbebêkos),26 bei der man im Zuge der Wahrnehmung auf etwas schließt, was gar nicht Objekt der Wahrnehmung bzw. dieser Wahrnehmung ist: Wenn man, so das Beispiel des Aristoteles, den Sohn des Diares ‚sieht‘, so liegt hier eigentlich bereits ein Schluss von etwas Wahrnehmbarem, wie Farbe und Form, auf etwas nicht Wahrnehmbares, Sohn von XY, vor. Tieren ist diese Art von Schlussfolgerung auf ‚Sohn von XY‘ zwar nicht möglich; sie leisten aber Vergleich-

22 De anima III 3, 427a19-22. Vgl. ebd., III 4, 429a13f. sowie Nikomachische Ethik VI 12, 1143a35-b5. 23 Unter ihnen besteht ebenfalls eine Stufung: Basaler Sinn ist der Tastsinn, gefolgt vom Geschmackssinn; sie stehen unmittelbar in Verbindung zu den grundlegenden Lebensfunktionen, vgl. De anima III 12, 434b14-18. Von den übrigen drei werden Gesicht und Gehör am höchsten eingeschätzt – der Gesichtssinn bietet am meisten Unterscheidungsmöglichkeiten, das Gehör steht in enger Verbindung zum Lernen, vgl. Metaphysik I 1, 980a21-b25. 24 De anima II 12, 424a17-19 (Wahrnehmung als Aufnehmen des eidos ohne Materie); ebd., III 6, 430b26-30 (Untäuschbarkeit). 25 De anima III 1, 425a14-b11. Im selben Kapitel wird als Leistung der Wahrnehmung auch noch die Koordination der Einzelwahrnehmungen genannt, etwa die Zuordnung von „gelb“ und „bitter“ zu einer Sache („Galle“). 26 De anima II 6 und III 1, 425a14-27.

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bares, etwa wenn ein Löwe einen Hirsch ‚sieht‘ oder eine Katze eine Katzenklappe identifiziert. Die akzidentelle Form der Wahrnehmung, zu der auch Tiere fähig sind, ragt damit schon über den Bereich der Wahrnehmung im eigentlichen Sinn hinaus.27 Und tatsächlich spricht Aristoteles zumindest einigen Tieren auch Lernen aus Erfahrung (empeiria) zu, so etwa am Anfang der Metaphysik, wo in einer Archäologie des Wissens die verschiedenen kognitiven Potenzen der Lebewesen von unten nach oben erläutert werden.28 Die Historia animalium wartet auf mit einer Fülle von Beispielen für die Fähigkeit von Tieren, durch Lernen ihr Verhalten zu modifizieren.29 empeiria setzt voraus, dass man an verschiedenen Wahrnehmungen etwas Identisches festhalten kann, das sich auch auf andere Fälle übertragen lässt,30 und insofern handelt es sich dabei bereits um eine Form von Erkenntnis des Allgemeinen. Auch Menschen gehen sehr häufig – und mit Erfolg – empirisch vor. Aristoteles nennt hier z. B. Ärzte, die aufgrund ihres Erfahrungswissens Patienten erfolgreich behandeln können, sogar besser als Kollegen, die zwar über systematisches Fachwissen (technê) verfügen, aber über wenig praktische Erfahrung.31 Einige Passagen aus der Historia animalium zeugen von einer Art empirischer Heilkunde auch in der Tierwelt: Wilde Ziegen auf Kreta etwa fressen, wenn sie von Pfeilen getroffen werden, Diptam; dieser hilft ihnen bei der Wundheilung.32 Das große Feld der empeiria teilen sich also Tier und Mensch. Erst der Bereich, der darüber hinausgeht und methodisches Vorgehen (tech­ 27 Aristoteles spricht zwar meines Wissens nirgends explizit den Tieren akzidentelle Wahrnehmung zu. Dass sie seiner Auffassung nach darüber verfügen, ergibt sich aber zum einen aus der Maßgabe, dass Wahrnehmung grundsätzlich der spezifische Bereich des Animalischen ist, zum anderen aus den vielen Schilderungen tierischen Verhaltens bei Aristoteles, die eine derartige Kompetenz voraussetzen. 28 Metaphysik I 1, 980a27-b28. 29 Historia animalium I 1, 488b25f.: Viele Tiere haben teil an Erinnerung und Lernen (mnêmê und didachê). Ebd., IX 1, 608a17-21: Tiere haben teil an Lernen und Belehrung (mathêsis und didaskalia), teils durch Menschen, teils durch Artgenossen (di allêlôn), sofern sie über Gehör verfügen. Konkrete Beispiele u. a. IX 3, 610b33f.: Hirt ‚lehrt‘ Schafe; 7, 612b29-31: Schwalben erziehen Junge zur Reinlichkeit; 46, 630b19-21: Elefant lässt sich vieles beibringen und versteht viel; De partibus ani­ malium II 17, 660a35-b2: Lernen und Kommunikation bei Vögeln. Vgl. auch Labarrière, (Anm.4), S. 417-420 und den Appendix bei Coles (Anm. 4), S. 320-323. 30 Vgl. Aristoteles, Analytica Posteriora II 19, 99b36-100a6. 31 Metaphysik I 1, 981a12-24. 32 Historia animalium IX 6, 612a3-5; es folgen weitere Beispiele; vgl. auch den Appendix bei Coles (Anm. 4), S. 320-323.

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nê) und rational fundiertes Wissen (epistêmê) umfasst, ist allein dem Menschen vorbehalten, d. h. der Bereich des rationalen Denkens im eigentlichen Sinn (logos). Anders als der Mensch, der das Allgemeine für sich, unter Absehen von den Einzelwahrnehmungen, methodisch erschließen und so zu einem echten Wissen (epistêmê), das die Gründe kennt, gelangen kann, verbleiben die Tiere (bestenfalls) im Bereich der Empirie: Ihre Erkenntnis ist immer an die Wahrnehmung gebunden. Das ihnen zugängliche Allgemeine ist das Allgemeine, von dem Aristoteles am Anfang der Physik spricht, wenn er bemerkt, dass Kinder, deren kognitive Fähigkeiten sich ja zunächst auf dem Niveau der Tiere bewegen, zuerst zu allen Männern „Vater“ und zu allen Frauen „Mutter“ sagen.33 Aus einem oder mehreren markanten wahrnehmbaren Merkmalen, die zwar auch dem Vater bzw. der Mutter, aber eben nicht nur ihnen, zukommen, schließen die Kinder auf die Sache selbst – wobei sie in diesem Fall irren; denn grundsätzlich lässt sich das, was eine Sache ist, also ihr eidos, nicht einfach aus ihren wahrnehmbaren Merkmalen ableiten, so dass Schlussfolgerungen dieser Art immer täuschungsanfällig sind. Denn was die Wahrnehmung bietet, ist immer ein Ganzes (holon), ein konfuses Allgemeines, das erst zu einer Sacheinheit (eidos) differenziert werden muss. Zu diesem Herauslösen der intelligiblen Sacheinheit aus den wahrnehmbaren Einzelinstanzen ist nur der logos imstande.34 Zur Bildung eines wahrnehmungsgebundenen Allgemeinen benötigen Lebewesen neben der Wahrnehmung noch die Fähigkeit, Vorstellungen zu bilden (phantasia) und sie in der Erinnerung festzuhalten (mnêmê): Die phantasia, die eng mit der Erinnerung verbunden ist, kann Wahrgenommenes speichern und reproduzieren. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass ein Lebewesen vergangene mit gegenwärtigen Wahrnehmungen vergleichen und in die Zukunft projizieren 33 Physik I 1, 184a23-b14. Vgl. Labarrière (Anm. 4), S. 419. 34 Ebd., 184a23-26: „Deshalb muss man vom Allgemeinen (sc. der Wahrnehmung) zum Einzelnen (sc. zum bestimmten Sachbegriff) fortschreiten. Denn das Ganze (holon) ist gemäß der Wahrnehmung (uns) bekannter, das Allgemeine aber ist ein Ganzes, denn das Allgemeine umfasst vieles als Teile.“ Neben der Tatsache, dass Wahrnehmen immer auf ein äußeres Objekt angewiesen ist, weswegen Aristoteles sagt, man könne zwar denken, wann immer man wolle, wahrnehmen aber nicht – liegt hier die entscheidende Differenz von Wahrnehmen und rationalem Erkennen: Rationale Vermögen erfassen das, was die Dinge oder Lebewesen zu dem macht, was sie sind, ihr eidos (der nous ist gewissermaßen alle eidê), das vom Wahrnehmbaren kategorial verschieden ist, auch wenn es ausgehend von der Wahrnehmung erkannt wird.

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kann. Aristoteles spricht ihr deswegen eine zentrale Rolle im Leben der Tiere zu;35 aber auch das rationale Denken des Menschen stützt sich auf Vorstellungen, ohne freilich mit ihnen identisch zu sein. Je nachdem, ob die Vorstellungen nach dem Vermögen der Wahrnehmung reproduziert werden oder ob das rationale Denken sie organisiert, kann man zwischen einer wahrnehmungsgeleiteten Vorstellung (phantasia aisthêtikê) und einer rational geleiteten (phantasia logisti­ kê) unterscheiden.36 Diese Unterscheidung ist von Bedeutung für das Verhalten bzw. Handeln der Lebewesen. 1.3. Die identische Struktur von menschlichem Handeln und tierischem Verhalten Damit sind wir bei einem weiteren Charakteristikum von Lebewesen gelangt, der Ortsbewegung (kinêsis kata topon).37 Dass Aristoteles in De anima über sie spricht, nachdem er die erkennenden Vermögen abgehandelt hat, ist kein Zufall: Streben und das darauf folgende Bewegen sind keine eigenursprünglichen Phänomene, sondern erwachsen aus den erkennenden Vermögen. Und hier gilt: Bei allen Lebewesen, die in der Lage sind, ein Streben zu entwickeln – und das sind alle, die mindestens über Wahrnehmung verfügen, weil mit ihr unmittelbar Lust und Schmerz verbunden sind und diese wiederum die Gegenstände des Verfolgens (diôkein) oder Meidens (pheugein) bilden – liegt dieselbe Struktur in der Entstehung von Bewegung zugrunde.38 Zunächst muss das Lebewesen etwas als für sich gut bzw. lustvoll erfasst haben; sofern die Lust erst angezielt wird und nicht unmittelbar gegenwärtig ist (denn dann wird sie genossen, nicht erstrebt), ist die Vorstellung in Verbund mit der Erinnerung dafür zuständig, die Lust in der Weise präsent zu machen bzw. zu halten, dass sie bewegungsauslösend wirken kann. Das durch die phantasia vermittelte 35 Metaphysik I 1, 981a27-b27; De anima III 3, 429a4-8. 36 Die phantasia der Tiere ist naturgemäß eine wahrnehmungsgebundene phantasia: De anima III 10, 433b27-30; vgl. ebd., III 11, 434a4-7: Niedere Tiere wie Würmer haben eine unbestimmte (ahoristôs) Form von phantasia. 37 Zur Ortsbewegung – die allerdings nicht allen Lebewesen zukommt – vgl. ebd., III 9-11 und De motu animalium 6-8. 38 Dies hat vor allem Corcilius in seiner grundlegenden Studie herausgearbeitet: K. Corcilius, Streben und Bewegen. Aristoteles’ Theorie der animalischen Ortsbewe­ gung, Berlin/New York 2008. Vgl. auch Dierauer (Anm. 4), S. 130.

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Lustvolle bzw. Gute löst ein Streben (orexis) aus, das wiederum körperliche Auswirkungen hat und, wie Aristoteles sagt, die Bewegungsorgane „vorbereitet“; am Ende steht die Bewegung selbst.39 Die Struktur einer solchen Bewegungsentstehung interpretiert Aristoteles auch als syllogistisch: In einem Lebewesen sind durch Veranlagung, Gewöhnung und Lernen allgemeine Tendenzen vorgegeben, etwa: ‚Süßes muss man fressen‘; darin besteht die allgemeine Prämisse eines solchen ‚praktischen Syllogismus‘. In den Tieren ist diese allgemeine Prämisse natürlich kein ‚Satz‘ oder ein bewusstes Urteil, sondern eine allgemeine Neigung zu einem bestimmten Verhalten. Wenn nun im Einzelfall die Wahrnehmung etwas als ‚süß‘ erfasst (partikuläre Prämisse: ‚das hier ist süß‘), dann wird ein Begehren entstehen und das Lebewesen, sofern nichts im Wege steht, „unverzüglich“ (euthys) das Süße fressen. Das Fressen selbst ist dabei die Schlussfolgerung des praktischen Syllogismus.40 Bei Tieren und Menschen verläuft dieser Prozess nach demselben Muster. Die Unterschiede sind im Einzelfall freilich gravierend: Denn der genannte Prozess kann höchst unterschiedlich ausgeprägt sein je nachdem, welche kognitive Leistung ihm zugrundeliegt. Es erfassen ja die verschiedenen Seelenvermögen auf ganz unterschiedliche Weise Lustvolles und Gutes. In unserem Beispiel war die erstrebte Lust eine eher simple, wenn auch von vielen empfundene, Lust der Wahrnehmung; es gibt aber auch Lüste von höherer Qualität und Komplexität, etwa die Freude über Anerkennung oder die Lust an der Vergeltung eines Unrechts; bekanntlich ist ja auch Rache süß. Um die Anerkennung und die Rache als etwas Gutes bzw. Lustvolles erfassen zu können, bedarf es bereits höherer seelischer Vermögen, und das entsprechende Streben nennt Aristoteles auch nicht mehr „(sinnliches) Begehren“ (epithymia), sondern „Eifer“ (thymos). Der thymos ist für uns nicht ganz leicht zu fassen, da wir traditionell dazu neigen, in der Dualität 39 Aristoteles, De motu animalium 6, 700b17-29 und 8, 702a16-19 sowie De anima II 3, 414a32-b6: Wo Wahrnehmung ist, dort ist auch Lust und Schmerz, und dort auch (phantasia und) Begehren; ebd., III 10, 433a9-30: Es bewegen Streben (orexis) und praktischer Intellekt (nous praktikos) bzw. Vorstellung (phantasia); denn letztlich bewegt das Objekt des Strebens (orekton), d. h. das, was gut ist oder erscheint, und zwar dadurch, dass es als solches erkannt bzw. vorgestellt wird. 40 De motu animalium 7; vgl. Nikomachische Ethik VII 5, 1147a25-b5. Zum praktischen Syllogismus und den damit verbundenen Interpretationsproblemen s. Ch. Rapp, Ph. Brüllmann (Hrsg.), Focus: The Practical Syllogism/Schwerpunkt: Der praktische Syllogismus, Paderborn 2008 (Logical Analysis and History of Philosophy 11).

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Sinnlichkeit/Begehren – Vernunft/Wille zu denken. Grundsätzlich ist der thymos ein im nicht-rationalen Seelenteil angesiedeltes Streben, das erwächst aus dem unmittelbaren Erfassen einer Person oder Situation als bedrohlich oder nicht bedrohlich und aus der damit verbundenen Unlust bzw. Lust, insbesondere das Streben nach Genugtuung, das aus einer (tatsächlichen oder vermeintlichen) Geringschätzung resultiert. Der thymos wacht wie ein Hund darüber, dass man seine Integrität als Person wahren und sich selbst erhalten kann. Sein Hauptaffekt ist der Zorn; so kann der Begriff thymos nicht nur für das Streben, sondern auch für den für ihn typischen Affekt gebraucht werden. Der Abwehr von Bedrohung korrespondiert auf der anderen Seite die Zuneigung; auch diese fällt in das Metier des thymos.41 Der Vergleich des thymos mit einem Hund, der sich sowohl bei Platon als auch bei Aristoteles findet, weist schon darauf hin, dass auch Tiere derartige Bestrebungen haben können: Auch sie verteidigen sich selbst oder kämpfen für ihren Nachwuchs.42 Dies impliziert übrigens bereits eine durchaus komplexe kognitive Leistung; denn das thymetische Streben setzt genau dann ein, wenn ein Lebewesen etwas als für sich schädlich erkannt hat. In Aristotelischer Terminologie würde man eine solche kognitive Leistung der akzidentellen Wahrnehmung zuordnen. Über die genannten Formen von Lust bzw. Unlust hinaus gibt es, nur noch beim Menschen, etwa die Lust daran, eine mathematische Aufgabe zu lösen oder einen 41 Aristoteles liefert keine systematische Erklärung des thymos, vgl. Aristoteles-Lexikon, hg. v. O. Höffe, Stuttgart 2005, S.594 s. v. thymos. Einige wesentliche Charakteristika scheint er von Platons Konzeption des thymoeides übernommen zu haben. Wichtige Stellen bei Aristoteles sind: Nikomachische Ethik III 11, 1116b23-17a9: Verhältnis von thymos und Tapferkeit; ebd., VII 7, 1149a25-b3: thymos schreitet sofort zur Rache wie ein Hund, der gleich beim ersten Geräusch bellt, bevor er geprüft hat, ob es sich um einen Freund handelt; wenn Verstand oder Vorstellung Übergriff oder Geringschätzung melden, schließt er gleichsam, dass man dagegen ankämpfen muss, und empört sich unverzüglich; anders als das sinnliche Begehren (epithymia) kann er auf den logos hören; Politik VII 7: thymos ist auf Freiheit bedacht und unbeugsam; er ist andererseits das seelische Vermögen, mit dem wir lieben (philein); deshalb reagiert er auch auf Geringschätzung durch Freunde besonders heftig. 42 Zum Vorliegen thymetischen Strebens bei Tieren, vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik III 4, 1111b12f. und III 1, 1116b24-26, De sensu 1, 436a6-11. Der Vergleich mit dem Hund findet sich bei Platon in Politeia II 375a2-e5 (dort wird der Vergleich gezogen zwischen Hunden und den Wächtern; diese haben im Staat dieselbe Position wie in der Seele der thymos), bei Aristoteles in der Nikomachischen Ethik VII 7, 1149a28. In Historia animalium I 1, 488b20-22 wird im Zuge der Unterscheidung von Tieren nach ihren Verhaltensweisen (êthê) der Hund als besonders thymetisches Tier genannt.

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Vortrag zu hören – Voraussetzung dafür ist eine bereits ziemlich ausgebildete Rationalität. Ein Streben nach derartigen Lüsten wäre in aristotelischer Terminologie ein vernünftiger Wille (boulêsis).43 Je komplexer die Erkenntnismöglichkeiten sind, desto komplexer sind also auch die mit der Erkenntnis verbundenen Lusterfahrungen und die daraus resultierenden Strebungen und Gefühle. Da die Erkenntnisfähigkeit der Tiere nach Aristoteles auf die Wahrnehmung beschränkt ist, sind ihre Strebungen und Lusterfahrungen ebenfalls an die Möglichkeiten der Wahrnehmung gebunden und bewegen sich vorwiegend im Bereich des grundlegenden ergon, der Selbsterhaltung, Ernährung und Fortpflanzung. So heißt es in der Eudemischen Ethik, dass die Tiere so gut wie keinen Sinn hätten (schedon ... anaisthêtôs echonta) für die Schönheit von Gestalt, die Harmonie von Tönen oder für Wohlgerüche.44 An der entsprechenden Stelle in der Nikomachi­ schen Ethik fügt Aristoteles hinzu, dass Hunde sich am Geruch der Hasen nicht als solchem freuten, sondern nur akzidentell, weil der Geruch der Hasen für die Hunde Futter bedeute; ebenso freue sich der Löwe nur akzidentell über die Stimme des Ochsen, nämlich sofern sie ihm mitteile, dass der Ochse, und damit das Fressen, nahe sei.45 Und erst recht, so könnte man ergänzen, kann sich der Löwe nicht freuen über die gelungene Organisation seelischer Potenzen in einer bestimmten Materie, die der Ochse als Lebewesen darstellt und die einen Biologen in Freude versetzt.46 Denn der Löwe kann diesen Begriff des Ochsen gar nicht bilden. Auch wenn er durch verschiedene Wahrnehmungen von einzelnen Ochsen etwas Identisches an ihnen festhalten kann, was ihm erlaubt, weitere Exemplare dingfest zu machen, und er deshalb in gewisser Weise etwas Allgemeines am Ochsen erkannt hat, so ist er für ihn (wie für den Chrysipp aus De natura deorum) immer nur Fressen.

43 Die drei Formen des Strebens finden sich in dieser Begrifflichkeit in De motu ani­ malium 6, 700b17-29, De anima II 3, 414b2, Eudemische Ethik II 7, 1223a26f. und II 10, 1225b24-26. 44 Eudemische Ethik III 2, 1230b36-31a15. Vgl. De sensu 5, 443b19-444a8, dazu Dierauer (Anm. 4), S. 105. 45 Nikomachische Ethik III 13, 1118a16-23. 46 Vgl. De partibus animalium I 5, 645a7-10: Für diejenigen, die die Ursachen erkennen können, hält die Betrachtung auch wenig ansehnlicher Organismen unfassbare Freuden (amêchanoi hêdonai) bereit.

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Dem Menschen hingegen steht sozusagen die ganze Palette von seelischen Aktivitäten und den sie begleitenden Lüsten zu Gebote.47 Die für den Menschen spezifische Fähigkeit des logos, den Dingen auf den Grund zu gehen und sie umfassend zu erklären, ermöglicht ihm zugleich ein Wissen über sich selbst und seine seelischen Möglichkeiten. Er kann deshalb in viel prägnanterem Sinne Urheber seines Tuns sein und es kontrollieren. Wer in der Lage ist, das für sich im umfassenden Sinn Gute zu erkennen, zu überlegen und abzuwägen (bou­ leuesthai) und auf dieser Basis begründete Entscheidungen zu treffen (prohaireisthai), dem erst gesteht Aristoteles Handeln im vollen Sinn (praxis) zu – dazu sind weder Tiere noch Kinder imstande. Allerdings verbleiben auch wir Menschen oft genug auf einem, gemessen an den Anforderungen der Aristotelischen Ethik, eher bescheidenen Niveau. „Es ist schon eine Aufgabe, ein vortrefflicher Mensch zu sein“, gibt Aristoteles selbst zu verstehen,48 und: „Die Menge zieht offenbar ganz und gar sklavisch das Leben von Vieh (boskêmatôn bios) vor.“49 1.4. Die Flexibilität auch der tierischen Physis Der Spielraum für die Selbstentfaltung ist also beim Menschen erheblich größer als bei den Tieren; dennoch ist auch bei ihnen die Entwicklung und das Verhalten nicht einfach vorprogrammiert. Wie gesehen, spricht Aristoteles gerade nicht von einem Verhaltensmechanismus, sondern von einer Art Schlussfolgerung (Syllogismus), die zwar nicht bewusst und in reflektierter Anwendung der zugrundeliegenden Kriterien getätigt wird, aber dennoch eine aktive kognitive Leistung des Lebewesens darstellt und deshalb auch, zumindest bei höheren Tieren, eine gewisse Flexibilität aufweist, so dass durch Erfahrung und Ge-

47 Wobei dieser Vorzug wiederum seine eigenen Gefahren birgt: So ist etwa die Un­ beherrschtheit (akrasia), also der Konflikt zwischen Strebungen, die aus dem logos resultieren, und solchen, die aus den vorrationalen Vermögen erwachsen, etwas dem Menschen Eigenes, vgl. Nikomachische Ethik VII 5, 1147b3-5. 48 Ebd., II 9, 1109a24f. 49 Ebd., I 3, 1095b19f. Im Übrigen geht Aristoteles davon aus, dass es auch Menschen gibt, die ihren logos so wenig entwickeln, dass es für sie besser ist, wenn sie von anderen beherrscht werden, vgl. Politik I 5-7.

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wöhnung eine Optimierung der für das jeweilige Lebewesen charakteristischen Tätigkeiten möglich ist.50 Ermöglichungsgrund dafür ist, dass die „Natur“ (physis qua ou­ sia) eines Lebewesens nach Aristotelischem Verständnis nicht einfach etwas Vorgegebenes ist, sondern ein Ziel (telos), das erst erreicht werden muss.51 Das Lebewesen kommt nicht mit einem fertigen Verhaltensrepertoire auf die Welt, sondern verfügt über bestimmte Potenzen (dynameis), die zur Entfaltung gebracht werden können und müssen. Und es ist erst dann im prägnanten Sinn es selbst, wenn es diese in ihm angelegten Potenzen tatsächlich erstens ausbildet und zweitens auch betätigt. So hat z. B. der Mensch, wie Aristoteles in De anima sagt, grundsätzlich eine Disposition zum Erwerb der Grammatik, diese Fähigkeit muss aber erst durch Lernen, Übung u. Ä. entfaltet werden. Das bloße „Haben“ grammatischer Kompetenzen reicht allerdings noch nicht aus – im Schlaf unterscheidet sich der beste Grammatiker nicht von einem Analphabeten –, sondern die Vollendung, und damit auch das Glück und die Lust, liegt in der Betätigung (energeia) des erworbenen Wissens.52 Gleiches gilt, wenn auch in eingeschränkterer Weise, für die Tiere. Auch ihnen sind bestimmte Fähigkeiten angeboren, in deren Ausbildung und Anwendung sie sich besser oder weniger gut verwirklichen können.

50 Politik VIII 13, 1332b3-5. Vgl. auch Labarrière (Anm. 4), S. 419f.; K. Corcilius, „Aristotle’s definition of non-rational pleasure and pain and desire“, in: J. Miller (Hrsg.), Aristotle’s Nicomachean Ethics: A Critical Guide, Cambridge 2011, S. 117-143, hier S. 142. Die Historia animalium bietet eine Fülle von Beispielen dafür. Besonders erwähnenswert IX 1, 608b29-609a3: Wilde Tiere sind nicht notwendig wild, sondern wenn kein Konkurrenzkampf (polemos) um Nahrung erforderlich ist, leben sie friedlich miteinander und mit dem Menschen, z. B. Krokodile in Ägypten. 51 Vgl. Metaphysik V 4, v. a. 1014b10-16: „Denn die primäre und im eigentlichen Sinn so genannte Natur (physis) ist das Wesen (ousia) von dem, was den Ursprung seiner Bewegung in sich selbst hat, sofern es ein solches ist. Denn die Materie wird Natur genannt, weil sie fähig ist, dies (sc. das Wesen) aufzunehmen.“ Ähnlich Physik II 1, 193a28-b8. Vgl. J. Müller, Physis und Ethos. Der Naturbegriff bei Aristoteles und seine Relevanz für die Ethik, Würzburg 2006, Kap. II. 52 Aristoteles, De anima II 1, 412a19-28 und II 5, 417a21-b2: Aristoteles unterscheidet hier 1) die bloße Fähigkeit, Wissen zu erwerben (erste dynamis), 2) die ausgebildete Fähigkeit (zweite dynamis = erste entelecheia) und 3) deren Betätigung (zweite entelecheia). Dazu, dass es auf die Betätigung ankommt, s. Nikomachische Ethik I 6, 1098a5-7; I 9, 1098b30-99a7; X 6, 1176a30-b9.

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1.5 Die Bewertung der tierischen Vermögen Die Aussagen des Aristoteles über das, was Tiere leisten können, erscheinen ambivalent. Einerseits setzt Aristoteles eine deutliche Demarkationslinie, indem er Tieren den vollen Gebrauch von Rationalität ebenso wie die Fähigkeit zum Handeln und zur Glückseligkeit grundsätzlich abspricht. Andererseits äußert er sich in einer Vielzahl von Passagen, v. a. in den biologischen Schriften, bewundernd über die seelischen Fähigkeiten der Tiere und gebraucht in diesem Kontext auch Begriffe wie „praktische Klugheit“ (phronêsis), „Einsicht“ (synesis) u. Ä.53 Die auf den ersten Blick irritierende Unterschiedlichkeit in der Bewertung zeugt allerdings weniger von einer sachlichen Unklarheit als von einer Verschiedenheit der Perspektive in den einzelnen Schriften. So ist es klar, dass je nachdem, ob man sie an Pflanzen oder Unbelebtem oder an Menschen misst, Tiere besser oder schlechter wegkommen. In den Worten des Aristoteles: „Im Vergleich zum rationalen Denken scheint es fast nichts zu sein, nur Geschmacks- und Tastsinn zu haben, im Vergleich zu einem völligen Fehlen von Wahrnehmung (anaisthê­ sia) aber [scheint es] in höchstem Maße gut (beltiston).“54 Außerdem weist das Tierreich selbst eine enorme Bandbreite von Lebensformen auf – von den Zoophyten bis hin zu den Primaten. Während sich die verschiedenen Seelenvermögen begrifflich trennen lassen, ist ihre Verwirklichung in den real existierenden Lebewesen durch fließende Übergänge gekennzeichnet. So erklärt Aristoteles bekanntlich, dass es bei manchen Lebewesen schwer zu entscheiden sei, ob es sich um Pflanzen oder Tiere handle.55 Affen erhalten, zumindest was ihre Gestalt angeht, einen Zwischenstatus zwischen Tier und Mensch.56

53 S. Steiner (Anm. 4), S. 32f. 54 De generatione animalium I 23, 731a35-b2. 55 De partibus animalium IV 5, 681a10-12; De generatione animalium I 23, 731b8-13; Historia animalium VIII 1, 588b10-21. 56 De partibus animalium IV 10, 689b31-34 und Historia animalium II 8, 502a16-18. S. dazu Coles (Anm. 4), S. 296, der zu Recht darauf hinweist, dass von der Zwischenstellung (epamphoterizein) des Affen hier zwar nur im Hinblick auf körperliche Merkmale die Rede ist, dass aber, wie an anderen Stellen deutlich wird, diese körperlichen Merkmale auch mit geistigen Fähigkeiten korrelieren. Dies wäre auch im Sinne der Auffassung des Aristoteles von Organen als Werkzeugen seelischer Funktionen konsequent. Vgl. auch die berühmte Passage aus dem vierten Buch von De partibus animalium (IV 10, 686a25-87a23) über den Körperbau des Menschen (auch) als Ausdruck seiner überlegenen Denkfähigkeit.

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Vor allem aber darf man daraus, dass Aristoteles bei den Tieren keine rationalen Vermögen im eigentlichen Sinn am Werk sieht, nicht schließen, sie verhielten sich in der Weise irrational, dass sie lediglich triebgesteuert und quasi mechanisch funktionierten. Auch ihre Wahrnehmungen sind seelische Aktivitäten und als solche in gewissem Ausmaß formbar. Die aisthêsis als unterscheidendes Erfassen (dynamis kritikê) ist eine Form von Erkenntnis (gnôsis tis), und auch wenn sie sehr viel eingeschränkter erkennt als die höheren seelischen Vermögen, ist sie immer noch gleichsam ein Ausläufer des Intellekts (nous), von dem, wie Aristoteles in der Metaphysik sagt, letztlich die gesamte Natur abhängt.57 Der im Hinblick auf die seelische Verwandtschaft von Tier und Mensch markanteste Text ist wohl die Eingangspassage zum achten Buch der Historia animalium. Dort lesen wir, dass es in den meisten Lebewesen „Spuren“ (ichnê) der seelischen Qualitäten gebe, die im Menschen deutlicher artikuliert seien. Genannt werden dabei Tugenden, z. B. Tapferkeit, Gefühle und geistige Fähigkeiten. All dies gebe es bei Menschen und Tieren, unterschieden teils dem Grad nach, teils in der Weise, dass Tiere über analoge Fähigkeiten verfügten. Besonders deutlich werde das, wenn man auf die kleinen Kinder blicke: Bei ihnen könne man gleichsam „Spuren und Samen (spermata)“ der späteren Eigenschaften erkennen; die Seele der Kinder unterscheide sich aber „sozusagen überhaupt nicht“ von der tierischen. Von daher sei es nicht abwegig, dass Tier und Mensch eine teils identische, teils ähnliche, teils analoge Ausstattung hätten.58

2. Konsequenzen für das Verhältnis des Menschen zum Tier 2.1. Das Verhältnis zum Tier „in uns“ Wenn der Mensch, wie skizziert, eine ganze Reihe seelischer Potenzen mit dem Tier gemeinsam hat und wenn in der Ausbildung und Betätigung der seelischen Potenzen jedes Lebewesen zu sich selbst 57 Vgl. auch oben S. 183f. 58 Aristoteles, Historia animalium VIII 1, 588a18-b3, dazu Labarrière (Anm. 4), S. 410420; Coles (Anm. 4), S. 312-320; zur „natürlichen Tugend“ vgl. J. G. Lennox, „Aristotle on the Biological Roots of Virtue: The Natural History of Natural Virtue“, in: J. Maienschein, M. Ruse (Hrsg.), Biology and the Foundation of Ethics, Cambridge 1999, S. 10-31.

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kommt (darin liegt seine „Tugend“, aretê), so besteht die Aufgabe des Menschen in einer höchstmöglichen Vervollkommnung nicht nur der Bereiche, die für den Menschen spezifisch sind, also den Bereichen des rationalen Denkens und der Praxis im prägnanten Sinn, sondern auch der Bereiche, die er mit dem Tier gemeinsam hat, also v. a. die Wahrnehmung in ihren verschiedenen Formen und die von ihr ausgehenden Strebungen und Gefühle. Auf die Erziehung gerade dieser ‚tierischen‘ Anteile in uns verwendet Aristoteles einen nicht unerheblichen Teil seiner ethischen Überlegungen und fordert, sie von Kindheit an durch Gewöhnung (ethismos, d. h. eine Art von Lernen, die auch Tieren zukommt) so zu kultivieren, dass man Lust an den richtigen Dingen hat, selbst wenn man rational noch gar nicht nachvollziehen kann, warum es die richtigen Dinge sind.59 Ziel ist dabei das Zusammenstimmen (homophônein) der Seelenteile, also eine Harmonie zwischen dem Animalischen und dem spezifisch Menschlichen. Bezeichnenderweise ist für Aristoteles die Selbstbeherrschung (enkrateia) keine aretê. Durch enkrateia ist man zwar in der Lage, einem Streben, das mit dem vernünftigen Wollen in Konflikt steht, nicht nachzugeben. Und natürlich ist es besser, sich zu beherrschen, als unbeherrscht zu sein; aber bei einem Menschen, der über aretê verfügt, kommt es erst gar nicht zu einem Konflikt. Und das nicht, weil das Tier in ihm komplett mundtot gemacht wäre, sondern deswegen, weil es ganz in Einklang steht mit dem logos (panta gar homophônei tôi logôi).60 Damit sind wir wieder bei der eingangs geschilderten seelischen ‚Symphonie‘ Platons angelangt. 2.2. Das Verhältnis zum Tier „draußen“ Was Aristoteles über das ergon des Menschen sagt, gilt analog für jedes Lebewesen: dass es seine Vollendung in der Ausbildung und Betätigung seiner seelischen Möglichkeiten erreicht und damit, aristotelisch gesprochen, die ihm spezifische aretê entfaltet und darin seine spezifische Lust (hêdonê) erfährt. So heißt es in der Nikomachischen Ethik: 59 Zur Unterscheidung zwischen der Ausbildung des nicht-rationalen Seelenteils (ethische Tugenden) und der des rationalen (dianoetische Tugenden) vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik I 13, 1102a32-1103a10. Zur zentralen Rolle der Gewöhnung (ethizesthai) ebd., II 1, 1103a17-23 und b23-25; II 2, 1104b11-13. 60 Nikomachische Ethik I 13, 1102b27-29 (Zitat: 28). Vgl. auch ebd., III 14, 1119b15-18 und VII 11, 1151b34-52a3.

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„Es scheint für jedes Lebewesen (zôion) eine für es eigentümliche Lust (oikeia hêdonê) zu geben, wie auch ein ergon; nämlich die gemäß der Tätigkeit (energeia)“,61 d. h. diejenige Lust, die in der ungehinderten Betätigung seiner Vermögen liegt. Obwohl Wahrnehmung für die Tiere primär das Überleben sichert, scheint sie deshalb auch einen gewissen eigenen Wert zu haben. Darauf weist, meine ich, die oben zitierte Passage aus De generatione ani­ malium hin. Dort wird es als spezifische Leistung (ergon) der Pflanze bezeichnet, Samen zu produzieren, also sich fortzupflanzen; dies sei bei den Tieren jedoch nicht das einzige ergon, sondern bei ihnen komme Kognition (gnôsis) hinzu in unterschiedlichem Maß – und die wird dann, selbst in ihrer primitivsten Form, dem Tastsinn, als vergleichsweise optimal (beltiston) beurteilt, ohne dass dabei ein Nutzen für den Nahrungserwerb in den Blick genommen wird.62 In dieselbe Richtung weisen die letzten Sätze der Schrift De anima: „Die anderen Wahrnehmungen (sc. außer dem Tastsinn) hat das Lebewesen, wie gesagt, nicht nur um des Seins willen, sondern um des Guten willen, etwa den Sehsinn, da es sich in Luft und Wasser bewegt und überhaupt im Durchsichtigen, damit es sieht, den Geschmack wegen des Lustvollen und Unangenehmen, damit es dies in der Nahrung wahrnehmen und begehren und sich bewegen kann, das Gehör, damit ihm etwas bedeutet werden kann (sêmainêtai ti), die Zunge, damit es einem anderen etwas bedeuten kann.“63 Selbst wenn man das „gute Leben“ (eu zên) im vollen Wortsinn, wie auch die eudaimonia, allein dem Menschen vorbehalten will, so stellt doch auch schon das bloße „Leben“ (zên) als ein mit Lust verbundenes Tätigsein einen Wert dar und ist per se erstrebenswert.64 Von dieser Warte aus gesehen sind also die Tiere ‚dazu da‘, ihr er­ gon zu verwirklichen, d. h. sich zu erhalten, sich fortzupflanzen, wahrzunehmen, zu streben und sich zu bewegen und die darin bestehende

61 Ebd., X 5, 1176a3-5. 62 De generatione animalium I 23, 731a25-b4. 63 De anima III 13, 435b19-25. Vgl. De sensu 1, 436b8-437a3. Den Eigenwert der tie­ rischen Wahrnehmung betont auch schon Dierauer (Anm. 4), S. 115f. 64 Aristoteles, Nikomachische Ethik X 4, 1175a10-17: „Man könnte glauben, dass alle nach Lust streben, weil auch alle nach Leben streben, das Leben ist aber eine bestimmte Tätigkeit (energeia) [...], die Lust aber vervollkommnet die Tätigkeiten. Logischerweise streben sie also nach Lust; denn sie vollendet einem jeden das Leben als etwas, was erstrebenswert ist.“

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Lust zu erfahren. Sie sind mithin Selbstzweck, und der Umgang mit ihnen müsste diesem Umstand Rechnung tragen. Das wäre nun auch für moderne Zeitgenossen ein ökologisch korrektes Ergebnis. Leider tut sich hier aber noch eine Problemzone auf: An einer notorischen Stelle im ersten Buch der Politik schreibt Aristoteles, „dass man davon ausgehen muss, dass die Pflanzen um der Tiere und Menschen (zôia) willen sind, und die Tiere (ta alla zôia) um der Menschen willen: die zahmen zur Nutzung (chrêsis) und zur Nahrung (trophê), die wilden, wenn nicht alle, so doch zum größten Teil, um der Nahrung und sonstiger Unterstützung (boêtheia) willen, damit Kleidung und andere Hilfsmittel (organa) daraus gewonnen werden können. Wenn nun die Natur nichts Unvollendetes und nichts umsonst macht, ist es notwendig, dass die Natur dies alles um der Menschen willen gemacht hat.“65 Wie bereits mehrfach konstatiert worden ist, steht diese Äußerung im Corpus Aristotelicum singulär da. Nirgends sonst formuliert Aristoteles, obwohl er oft genug das Verhältnis Mensch – Tier thematisiert, einen ähnlichen Gedanken. Überhaupt widerspricht das Konzept einer durchgehenden teleologischen Ordnung der Welt im Sinne der Stoa dem Aristotelischen Begriff teleologischer Naturerklärung, die auf eine interne Finalität ausgerichtet ist, so dass die Formulierung „umwillen“ an dieser Stelle offenkundig nicht so verstanden werden darf, dass Pflanzen und Tiere im eingangs erwähnten Chrysippschen Sinn bloße Nahrungsmittellieferanten für Menschen sind. Man kann vermuten, dass Aristoteles sich in der Politik eher populär-traditionellen Vorstellungen annähert, während er in den naturwissenschaftlichen Traktaten sachgemäßer und in seinem Sinne argumentiert.66 Diese Er65 Politik I 8, 1256b16-22. 66 So Dierauer (Anm. 4), S. 155-157; W. Wieland, Die Aristotelische Physik, Göttingen 1962, S. 275f.; W. Kullmann, Wissenschaft und Methode. Interpretationen zur ari­ stotelischen Theorie der Naturwissenschaft, Berlin/New York 1974, S. 297f.; ders., Die Teleologie in der aristotelischen Biololgie. Aristoteles als Zoologe, Embryolo­ ge und Genetiker, SB Akad. der Wiss., phil.-hist. Klasse, 1979, Abh. 2, Heidelberg 1979, S. 25f.; D. M. Balme, „Teleology and Necessity“, in: A. Gotthelf, J. G. Lennox (Hrsg.), Philosophical Issues in Aristotle’s Biology, Cambridge 1987, S. 275-86, hier S. 279; Steiner (Anm. 4), S. 28f. Demgegenüber hält Happ (Anm. 12), S. 239f. an dem Gedanken einer äußeren Teleologie fest, da sie lediglich „eine natürliche Konsequenz aus der [...] gängigen Lehre des Aristoteles von der Wert-Stufung des Lebendigen ist, weil Wert-Priorität bei Aristoteles stets Seins-Priorität einschließt und diese wieder eo ipso eine Kausalität begründet.“ Auch Schütrumpf: Aristoteles, Politik, Buch I, übs. u. erl. v. E. Schütrumpf, Darmstadt 1991 (Aristoteles, Werke in

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klärung kann freilich nicht wirklich befriedigen. Weiter führen hier Überlegungen zum Verständnis des Begriffes „um-willen“ (hou he­ neka). Grundsätzlich bezeichnet bei Aristoteles das „Worumwillen“ (hou heneka) das Ziel (telos) von natürlichen oder technischen Prozessen. In der Biologie besteht das telos eines Gesamtorganismus, wie wir gesehen haben, in der ‚Selbstverwirklichung‘: Alles was lebt, strebt nach der ihm möglichen Vollendung, d. h. nach der möglichst guten Ausbildung seiner seelischen Potenzen. Das vollendete Lebewesen selbst also ist sein eigener Zweck. Neben dieser primären Bedeutung des hou heneka kennt Aristoteles noch andere Verwendungsweisen. So heißt es im zweiten Buch der Physik, dass „auch wir in gewisser Weise telos“ sind.67 Zwar lässt sich der Gedankengang dort nicht ohne weiteres auf die Politik übertragen; denn der Passus in der Physik bezieht sich auf Produkte von technê. Dort ist es ja der Normalfall, dass etwa beim Bau eines Hauses zwar das funktionstüchtige Haus selbst telos des Herstellungsprozesses ist, andererseits Häuser aber deswegen gebaut werden, damit Menschen darin wohnen können.68 Das verhält sich bei natürlichen Wesen grundlegend anders. Sie haben den Ursprung ihrer Bewegung in sich selbst und sind um ihrer selbst willen da. (Allenfalls könnte man, „metaphysischer“ gesprochen, sagen, dass sie da sind, um das Göttliche in der ihnen möglichen Form nachzuahmen.) Um dieses primäre hou heneka zu erreichen, müssen sie sich allerdings erhalten, und das heißt zunächst einmal: sich ernähren. Da Steine schlecht verdaulich sind, sind Tiere und Menschen auf Pflanzen und/oder andere Tiere als Nahrungsquelle angewiesen, deutscher Übersetzung, Bd. 9), S. 314, neigt dieser Deutung zu. Inwiefern die höhere Stellung des Menschen eo ipso eine Kausalität begründen soll, bleibt allerdings fraglich. 67 Physik II 2, 194a27-b8. S. dazu auch Dierauer (Anm. 4), S. 155, Anm. 23. 68 Das Beispiel bringt Philoponos in seinem Kommentar zu De anima (Ioannis Phi­ loponi in Aristotelis De anima libros commentaria, ed. M. Hayduck, Berlin 1897 (CAG 15), S. 269f. Zu den unterschiedlichen Bedeutungen des hou heneka vgl. v. a. W. Kullmann, „Different Concepts of the Final Cause in Aristotle“, in: A. Gotthelf (Hrsg.), Aristotle on Nature and Living Things. Philosophical and Historical Stu­ dies, Pittsburgh-Bristol 1985, S. 169-175; zu unserer Stelle S. 173: „Plants and beasts contain the cause of their existence in themselves but can secondarily be made sub­ servient to the end of procuring food, clothing, and so on, for man. The expediency of plants and beasts is secondary.“ Ihm schließt sich Müller (Anm. 51), S. 48-50, an. Zu der umstrittenen Interpretation der aristotelischen Unterscheidung zwischen hou und hôi beim hou heneka vgl. ders., Die Teleologie (Anm. 66); K. Gaiser, „Das zweifache Telos bei Aristoteles“, in: I. Düring (Hrsg.), Naturphilosophie bei Aristo­ teles und Theophrast, Heidelberg 1969, S. 97-113.

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um überhaupt lebensfähig zu sein. Und genau dies ist der Kontext, in dem sich unsere anstößige Passage findet: Aristoteles beschäftigt sich in dem fraglichen Kapitel mit der Erwerbskunst (ktêtikê), die dazu dient, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Nahrungserwerb ist ein grundlegendes Bedürfnis für alles, was lebt – so muss die Natur, wie sie für Nahrung unmittelbar nach der Geburt sorgt (z. B. durch die Muttermilch), auch für die erwachsenen Lebewesen Sorge tragen. Es geht hier also um grundlegende Bedürfnisse, zu deren Befriedigung sich der Mensch nach Aristoteles auch der Tiere bedienen darf, wie die Tiere sich wiederum der Pflanzen oder anderer Tiere bedienen. Aber auch wenn Aristoteles es für gerechtfertigt hält, dass Menschen nicht nur Pflanzen, sondern auch Tiere als Nahrungsmittel gebrauchen,69 so ist damit sicherlich keine willkürliche Ausbeutung, gar im Sinne einer modernen Massentierhaltung, intendiert. Am Ende des Kapitels weist er nachdrücklich darauf hin, dass der Erwerb ein Maß und eine Grenze hat in dem, was für ein gutes Leben nötig ist70 – und das gute Leben besteht bei Aristoteles bekanntlich nicht im Verzehr von Gänselebern und im Tragen von Nerzmänteln. Hinzu kommt ein weiterer Gesichtspunkt aus dem fünften Kapitel des ersten Buches, das von der Herrschaft (archê), speziell der des Herrn über den Sklaven, handelt. Herrschen und Beherrschtwerden – vielleicht sollte man neutraler Leiten und Geleitetwerden übersetzen –, so lautet ein zentraler Gedanke hier, ist nicht nur notwendig, sondern auch zuträglich. Es ist ein Verhältnis, das sich überall findet, auch beim Unbelebten, z. B. in der Harmonie, überhaupt bei allem, was zusammengesetzt ist. So entspricht es auch der physis und ist von Vorteil, dass der Körper von der Seele geleitet wird, ebenso der nichtrationale Teil der Seele vom rationalen. Und – das ist der entscheidende Passus – wie es sich im Menschen selbst verhalte, so auch im Verhältnis zwischen Mensch und Tier: Zahme seien hinsichtlich ihrer physis besser als wilde, für sie alle aber sei es besser, vom Menschen

69 Dass er das tut, erhellt auch aus Politik VII 2, 1324b39-41. 70 Politik I 8, 1256b26-27, s. auch den Kommentar von Schütrumpf (Anm. 66) zur Stelle, S. 318. In diesem Sinne kommentiert Simplikios die oben zitierte (Anm. 67) Stelle aus der Physik, dass auch der Mensch in gewisser Weise telos sei: „Er sagt, dass alles um unseretwillen da ist (hyparchein) – nicht alles Seiende, sondern alles, was zu unserer Erhaltung (sôtêria) nötig ist, wie die künstlich verfertigen Dinge.“ (Simplicii in Aristotelis Physicorum libros quattuor priores commentaria, ed. H. Diels, Berlin 1882 (CAG 9), S. 304.)

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beherrscht zu werden, da sie sich so in ihrem Leben erhalten könnten (tynchanei sôtêrias).71 Das bedeutet im Klartext: Das Ziel, dem ein ‚richtiges‘ Herrschaftsverhältnis dient, ist das für beide Teile Beste. Wie es für den Körper gut ist, von der Seele „beherrscht“ zu werden, weil so beide jeweils entfalten können, was sie sind, so muss offenbar auch die Herrschaft der Menschen über die Tiere dem Wohl beider dienen. Ein „Gebrauch“ der Tiere wäre in diesem Sinne ein umsichtiger Gebrauch, der auch den Tieren die ihnen gemäße Lust in der Ausübung ihrer Vermögen ermöglicht – jedenfalls bevor sie auf dem Grill landen.72

71 Politik I 5, 1254a21-b13. Das Verhältnis Tier – Mensch ähnelt, wie Aristoteles im Folgenden ausführt, in dieser Hinsicht dem Verhältnis Herr – Sklave. Dazu heißt es am Ende von I 6, dass ein solches Verhältnis von „Herrschen“ und „Beherrschtwerden“, sofern es auf rechte Weise geschieht, und d. h. nicht bloß aufgrund von Konvention (nomos) und gewaltsam (biastheisin), für beide Seiten zuträglich sei, so dass es auch Freundschaft (philia) zwischen Herren und Sklaven geben könne (I 6, 1255b4-15). 72 In diesem Sinne lässt sich vielleicht auch folgende Passage aus der Nikomachi­ schen Ethik verstehen: „Ebenso macht die aretê des Pferdes das Pferd hervorragend (spoudaios) und tüchtig (agathos) im Laufen und darin, den Reiter zu tragen und den Feinden standzuhalten.“ (Nikomachische Ethik II 5, 1106a19-21). Hier scheint ebenfalls eine Symbiose vorzuschweben in dem Sinn, dass sowohl das Pferd sein ergon erfüllen kann als auch der Mensch sich das Pferd zunutze macht.

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Memory, self and self-determination The mind-body relation in Epicurus’ psychology

1. The function and significance of memory in Epicurus’ philosophy In the present essay, I set out to examine the nature of the mind-body relation in Epicurus’ philosophy through the physiological analysis of one of the most complex psychic functions: memory. According to Epicurus, memory plays a particularly significant role in the epistemological, ethical and practical sphere. Generally speaking, it is not unreasonable to argue that memory is a prerequisite for the building of a rational subject’s identity in his relation to the surrounding environment. This may clearly be inferred from the following passage of De Rerum natura, where Lucretius explains: „And grant for the moment that the nature of mind and power of spirit does feel after it has been torn away from our body, yet that is nothing to us, who by the welding and wedding together of body and spirit exist compacted into one whole. Even if time should gather together our matter after death and bring it back again as it is now placed, and if once more the light of life should be given to us, yet it would not matter one bit to us that even this had been done, when the recollection of ourselves (repetentia nostri) has once been broken asunder.“1 What distinguishes human beings from other animals is their capacity to retain traces of all their experiences and to mutually connect them, recall them, associate them with present stimuli, and use them in order to acquire more complex forms of knowledge and implement decision-making processes that will enable them in each case to meet specific needs and fulfil the ultimate aim of life, in conformity with their beliefs and desires.

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Lucr. III 843-851, Loeb translation.

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More in particular, memory is crucial for the construction of prolepsis (scil. preconception),2 – that is to say, the development of general notions pertaining to things which have repeatedly been experienced – and hence for the organising of sense-data, the formation and justification of beliefs, linguistic understanding and communication. This clearly emerges from the following passages by Diogenes Laertius: „Preconception, they [the Epicureans] say, is as it were a perception, or correct opinion, or conception, or universal ‚stored notion‘ (i. e. memory), of that which has frequently become evident externally: e. g. ‚Such and such a kind of thing is a man‘. (2) For as soon as the word „man“ is uttered, immediately its delineation also comes to mind by means of preconception, since the senses give the lead. Thus what primarily underlies each name is something self-evident. And what we enquire about we would not have enquired about if we had not had prior knowledge of it. For example: ‚Is what’s standing over there a horse or a cow?‘ For one must at some time have come to know the form of a horse and that of a cow by means of preconception. Thus preconceptions are self-evident. And opinion depends on something prior and self-evident, which is our point of reference when we say, e. g., ‚How do we know if this is a man‘?“3 The capacity to bring prolepseis to mind, then, stands at the basis of various epistemological operations, insofar as – according to Epicurus – it is impossible to comprehend, investigate, doubt, discuss or refute any given thing, or develop an opinion about it, unless we already possess a general notion of this thing.4 2

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On the notion of prolepsis, see – among others – A. A. Long, „Aisthesis, Prolepsis, and Linguistic Theory in Epicurus“, in: Bulletin of the Institute of Classical Studies, 18/1971, pp. 114-133; A. Manuwald, Die Prolepsislehre Epikurs, Bonn 1972; D. K. Glidden, „Epicurean semantics“, in: AAVV. ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ: Studi sull’Epicureismo greco e romano offerti a Marcello Gigante, Napoli 1983, pp. 185-226; D. N. Sedley, „Epicurus, On nature, Book XXVIII“, in: Cronache Ercolanesi, 3/1973, pp. 5-83; J. Hammerstaedt, „Il ruolo della prolepsis epicurea“, in: G. Giannantoni, M. Gigante (eds.), Epicureismo greco e romano, Atti del Congresso Internazionale, Napoli 1926 maggio 1993, Napoli 1996, pp. 221-37; P. M. Morel, „Method and evidence: on the Epicurean preconception“, in: Proceedings of the Boston Area Colloquium in Ancient Philosophy, 23/2007, pp. 25-48; D. Konstan, „Commentary on Morel“, in: Proceedings of the Boston Area Colloquium in Ancient Philosophy 23/2007, pp. 4955; J. Giovacchini, L’Empirisme d’Épicure, Les Anciens et les Modernes - Études de philosophie, 11, Paris 2012, pp. 29-37. DL X 33, 17 E, Long-Sedley translation. This doctrinal point is also stressed by Clem. Alex. II 4 = 255 Usen.; Cic. nat. deor. I 16, 43 = [174] Arr. = 255 Usen.; SE, M I 57. See too SE, M XI 21, discussed in E.

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Diogenes Laertius, moreover, lists prolepsis as one of the criteria for truth through which to judge the soundness of an opinion: „in the Canon, Epicurus says that sensations, preconceptions and feelings are the criteria of truth“.5 In order to verify the content of a judgement, it is necessary to compare the data on which it is based and which constitute it with the previously acquired notions of the objects to which these data refer.6 Finally, a prolepsis is that concept which springs to mind when an object is mentioned or which is associated with a name.7 As Catherine Atherton has recently explained, linguistic understanding for Epicurus is nothing but a „special kind of memory, of a system of sound-concept/tupos-thing correlations“.8 Aside from being constitutive of prolepsis, according to Epicurus memory plays a crucial role in learning and intellectual development. The memorising of certain fundamental principles is useful both for those who are not yet far advanced in the knowledge of natural philosophy and for those who have already reached a high level of knowledge.9 In particular, the recollection of the most significant notions constitutes the starting point for acquiring a more detailed knowledge of the issues investigated.10 Memory also exercises an important practical function. In this context, memorisation contributes to removing false opinions and replac-

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Spinelli, „Physics, Memory, Ethics: the Epicurean Road to Happiness (or better, as Miles would play it: ‚Seven Steps to Heaven‘ ...)“, forthcoming in: L. Castagnoli, P. Ceccarelli (eds.), Greek Memories: Theory and Practice, forthcoming, Cambridge, pp. 176-179. On the issue of what role prolepsis plays in these operations, see J. Barnes, „Epicurus: Meaning and Thinking“, in Giannantoni, Gigante (s. n. 2), pp. 197-220. DL X 31, 17 A, Long-Sedley translation. On the problems raised by this classification and the inclusion of prolepsis among the criteria for truth, see D. Furley, Two studies in the Greek Atomists, Princeton 1967, p. 206; Sedley (s. n. 2), pp. 14-15; Long (s. n. 2), p. 120; Morel (s. n. 2), p. 32; Giovacchini (s. n. 2), p. 30. Long (s. n. 2), p. 120, provides the following example by way of clarification: in order to verify that the statement „the cat is in the garden“ is true, we must compare the data available – namely, „cat“, „being in“, and „garden“ – with our preconceptions of „cat“, „being in“ and „garden“. If the data available agree with these general notions, then the belief in question will be justified. Long, (s. n. 2), p. 120; Sedley (s. n. 2). C. Atherton, „Epicurean Philosophy of Language“, in: J. Warren (ed.), The Cambridge Companion to Epicureanism, Cambridge 2009, p. 214. With regard to this aspect of memory in Epicurean philosophy, I shall refer to Spi­ nelli (s. n. 4). Epic. Ep. Hrd. 35-36.

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ing them with notions based on empirical evidence, predisposing the mind to receive and correctly interpret affective and sensory stimuli.11 The recollection of doctrinal principles, moreover, plays a part in decision-making processes. For instance, bringing to mind the nature of pleasure or desire is what enables the acting subject to regulate his behaviour in all circumstances.12 Finally, memory helps attain ataraxia even in old age or in painful situations by preserving pleasant past experiences and making one relive them.13 The wealth of accounts regarding the value of memory for Epicurus from the point of view of knowledge and ethics is regrettably counterbalanced by a lack of information concerning the way in which the philosopher conceived of memory in physical terms. A correct understanding of the Epicurean physiology of memory can help not just clarify the epistemological and practical efficacy of this phenomenon, but also help measure the extent to which the Epicurean atomistic doctrine is capable of accounting for one of the most complex psychic functions. In the present article, I shall more generally be arguing that the physical aetiology of memory sheds light on the way in which the mind operates, on the one hand in relation to the human body as a whole, and on the other in relation to the environment. Indeed, Epicurus treats memory as a paradigm for those mental faculties that are required in order to attain ataraxia and which are both the ne­ cessary product of the atomic structure of the human body and of its mechanical interaction with external stimuli, and the outcome of its independent rational activity. On the other hand, the capacity to retain and conjure up memories, which provides the empirical material for the exercising of this activity, in turn represents the necessary condi-

11 See Epic., Ep. Men. 123 and 135. On this point, see M. Frede, „An Empiricist View of Knowledge: Memorism“, in: S. Everson (ed.), Epistemology, Cambridge 1990, pp. 225-250; M. Erler „Epicurus as deus mortalis. Homoiosis theoi and Epicurean Self“, in: D. Frede, A. Laks, (eds.), Traditions of Theology. Studies in Hellenistic Theology, its Background and Aftermath, Leiden, Boston, Köln 2000, pp. 159-181; M. Nussbaum, „Therapeutic arguments: Epicurus and Aristotle“, in: M. Schofield, G. Striker (eds.), The Norms of Nature: Studies in Hellenistic Ethics, Cambridge 1996, pp. 31-74 and Spinelli (s. n. 4). 12 See Epic. Ep. Men. 128-129. 13 DL X 22 = [52] Arr. = 138 Usen. For a more detailed discussion, see Giovacchini (s. n. 2), p. 35 and Spinelli (s. n. 4).

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tion for the exercising of reason, and hence for the self-determination of the rational subject. In relation to this, I would like to examine a few passages from Epicurean literature that are not widely known among non-specialists. These are a few surviving excerpts from Book XXV of On Nature, a particularly interesting work for the purposes of the present enquiry, albeit a textually uncertain and fragmentary one.14 In this book, Epicurus broaches the problem of how to reconcile his understanding of human behaviour with his atomistic physics, in the light of which he also interprets human nature. The issue may be outlined as follows. From Epicurus’ ethical writings it is possible to draw a well-defined model for human agency. Unlike other living beings, humans are morally responsible subjects who exercise control over their own choices and actions, insofar as they can shape their own ethical development through the acquisition of appropriate habits, beliefs and tools for the gaining of knowledge. Human beings can act in conformity with their own desires and beliefs thanks to a decisionmaking process that in each case will enable them to meet their own needs, while pursuing the ultimate aim of life. Hence, humans are capable of controlling the future to some extent, and the effectiveness of their own decisions. The question, however, is how Epicurus can justify this model within the context of his atomistic psychology. To put it more simply, it is not clear how an atomic aggregate can turn into a morally responsible agent. For within the context of an atomistic doctrine of the soul, the whole range of psychic, emotional, intellectual and rational operations that stand at the basis of men’s practical actions risk being strictly predetermined – that is to say: on the one hand dependent upon factors which individuals can in no way control (the nature of atoms, the com-

14 Given the uncertain and fragmentary nature of the passages from Book XXV of Epicurus’ On Nature, I have chosen to also provide the original Greek text, as established by S. Laursen, „The early Parts of Epicurus, On Nature, 25th Book“, in: Cronache Ercolanesi, 25/1971, pp. 5-109 and S. Laursen, „The later Parts of Epicurus, On Nature, 25th Book“, in: Cronache Ercolanesi, 27/1997, pp. 5-82. Unlike Laursen, however, I will be providing an unbroken and unified version, so as to make the text easier to read. Any suggested integrations to the published text will be recorded in the footnotes. For an overview of the editorial history of this book, I shall refer to what I have written in F. Masi Epicuro e la filosofia della mente. Il XXV libro dell’opera Sulla natura, Sankt Augustin 2006, pp. 21-26.

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position of the soul, the nature of the soul-body relation, environmental influences) and on the other unchangeable. The surviving texts from Book XXV suggest that within the context of a polemic which was possibly triggered by disagreements within the Epicurean school but which later extended to philosophical opponents outside it – not explicitly mentioned, however – Epicurus found himself faced with the following difficulties: 1) the fact that the states, dispositions and activities which the mind develops over time may be regarded as the unavoidable outcome of a causal concatenation proceeding ex infinito; 2) the fact that the causal power and overall condition of the mind in each phase of its development may depend upon the causal power and condition of its individual components; 3) the fact that the sum of states, dispositions and activities which the mind develops over time may originate from the preordained development of the original nature or atomic constitution of the individual; 4) the fact that mental development may be determined by the mechanical interaction between nature and the environment. In his book, therefore, Epicurus embarks on a general investigation of the nature and causes of mental properties, with the aim of safeguarding the outcomes of the psychological and moral development of human beings from the fatalist implications of Democritean atomism.15 In his analysis, Epicurus approaches memories and the physical mechanisms underlying the phenomenon of memory as examples of those properties, which cannot be reduced to the mere outcome of rigid causal determinism: „ἅμα ποιοῦντες πάντ᾽ ἀ[πὸ] τῆς προτέρας κινήσε[ω]ς τὴν αἰτίαν ἔχειν καὶ περικάτω τρέποντες τὸν λόγον (διὸ δὴ καὶ κατ᾽εὐ[ήθ]ειαν εἰς τουτ᾽[ἐ]τελέσα[τ]ε ἀφυείας) αὐτῶν τῶν [ἀ]π[ο]γεγεννημένων

15 For a study of Book XXV of On Nature, I shall refer to D. Sedley, „Epicurus’ Refutation of Determinism“, in: AAVV. ΣΥΖΗΤΗΣΙΣ: Studi sull’Epicureismo greco e romano offerti a Marcello Gigante, Napoli 1983, pp. 11-51; J. Annas, Hellenistic Philosophy of Mind, Hellenistic Culture and Society, 8, Berkeley, Los Angeles 1992; J. Annas, „Epicurus on Agency“, in: J. Brunschwig, M. C. Nussbaum (eds.), Passions and Perceptions. Studies on Hellenistic Philosophy of Mind. Proceedings of the Fifth Symposium Hellenisticum, Cambridge 1993, pp. 53-71; S. Bobzien, „Did Epicurus discover the free will problem?“, in: Oxford Studies in Ancient Philosophy, 19/2000, pp. 287-337; T. O’ Keefe, Epicurus on Freedom, Cambridge 2005; Masi (s. n. 14).

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ῥ[η]τέον τὰς μνήμας γ[ίνε]σθαι ἢ τὰ ταῖς μνήμαις ἀνάλογα πά[θη ἃ συν]ηκολούθη[σ]ε …“

„… at the same time, making everything have its causal power16 from the earlier movement and turning the argument around and upside-down (this is also why you have naively ended up in such intractable results), one must say that among these same „developed products“, the memories or the states analogous to memories that followed …“17 In the present essay, therefore, I shall be investigating those passages from Book XXV which I regard as being most significant for any attempt to reconstruct the Epicurean physiology of memory and hence to reconsider the relation between the mental sphere and the physical sphere in Epicurus’ psychology.

2. The Epicurean physiology of memory Epicurus uses the term μνήμη to describe different aspects of memory. „Memory“ is simultaneously the act of grasping (λαμβάνειν) and retaining (ἔχειν) the trace of a perceptual experience (τύπος), the act of recalling this trace (μνημονεύειν), and the „seat“ in which this phenomenon occurs (ἐν τῇ μνήμῃ). In order to comprehend the nature and causes of memory, then, it is necessary to explain first of all how Epicurus conceives of the formation and nature of traces, how he explains the act of remembering, and finally what the „site“ is in which traces of past experiences are stored away, so to speak, and from which they may be recalled. In the following pages, I shall be investigating the Epicurean physiology of memory, first by explaining what Epicurus means by typos, then what processes and conditions favour the creation of traces, and finally which is the seat destined to receive and store up these traces. 16 The expression „to have the αἰτία“ in Epicurus’ writings may mean „to have the causal power“. With regard to this notion of αἰτία, I shall refer to a forthcoming article of mine: F. G. Masi, „The Method of Multiple Explanations. Epicurus and the Notion of Causal Possibility“, in: C. Natali, C. Viano (par), Aitia II, Avec ou sans Aristote, Aristote, Traductions et Études, Louvain 2014, pp. 37-63, 17 Epic. On Nature, XXV, Laursen 1995, p. 92, 1191, 6, 1, 5, 1; 1420, 2, 3 = [35. 11] Arr. From here onwards, I will underline letters that are uncertain. For a deeper analysis see Masi (s. n. 14), pp. 73-76.

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2.1 The typos The term τύπος for Epicurus certainly refers to a form of cognition that is: 1) representational, since it sums up the features of an experience18 – whether this arises from a single sensory stimulus or a combination of stimuli,19 from a given teaching20 or from more complex modes of direct engagement;21 2) intentional, since it refers to an external object which has come to be experienced;22 and 3) propositional – at least in some cases – since memories can take the form of a „believing that“.23 Τύπος, however, also possesses a specific physical meaning.24 In general, τύποι are the material residues that are impressed upon the soul by perceptual stimuli. Indeed, Epicurus also uses the term τύπος as a synonym for εἴδωλον, to describe a simulacrum which, upon meeting the eye, engenders the vision of a given image.25 Likewise, it is noteworthy that the verb ἐντυπῶν is explicitly used to refer to the imprinting of images upon the mental aggregate.26 In order to grasp the exact nature of the processes which contribute to the formation of these residues, it may be useful, first of all, to briefly consider the overall mechanism of sense-perception and the specific causal relation between body and soul that stands at its basis. According to Epicurus, the soul is a uniform body constituted of 18 As may be gleaned from DL X 33, where a trace is described as the universal idea of a thing. 19 This will emerge more clearly from an analysis of Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1995, p. 91 = [35.10] Arr. Konstan (s. n. 2) rightly notes that certain τύποι, such as for instance the prolepsis of the gods, are complex ideas stemming from the combination of several perceptions. 20 As may be inferred from Epic. Ep. Hrd. 35-36, where τύποι describes the salient points of Epicurean doctrine. 21 Lucr. III 673, speaks, for instance, of vestigia gestarum rerum. 22 As already noted, DL X 33, defines prolepsis as „the recollection of an external object which has often appeared“. 23 Prolepsis, for example, will have a propositional content such as „this thing is a man“ (DL X 33), „the gods are blessed and incorruptible beings“ (Epic. Ep. Men., 124), or „the just is what is useful to society“. On this point, see Manuwald (s. n. 2), p. 103105; Barnes 1996 (s. n. 4); G. Striker, Essays on Hellenistic Epistemology and Ethics, Cambridge,1996; Morel (s. n. 2), pp. 36-37. 24 I have already made this point in Masi (s. n. 14). See too C. Diano, Scritti Epicurei, Firenze 1974, pp. 186-189; F. Verde (a cura di), Epicuro. Epistola a Erodoto, Intro­ duzione di E. Spinelli, Roma 2010, p. 72; P. M. Morel (par), Épicure, Lettres, maximes, et autres textes, Paris 2011, pp. 7-8; Spinelli (s. n. 4). 25 Epic. Ep. Hrd. 46. 26 In Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1995, p. 91 = [35.10] Arr.

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atoms of various degrees of subtleness and mobility that arise from the mixing – i. e. breakdown – and recombination of different natural substances (pneuma and heat, according to the Letter to Herodotus, plus air and an unnamed substance, according to Lucretius).27 On account of its intrinsic rarefaction, not unlike that of gases or liquids, the soul requires a structure that may contain it without any dispersion: the body. The latter, in turn, is an atomic structure consisting of aggregates of various degrees of density and compactness: bones, organs, blood, etc. Each of these structures has pores,28 which is to say gaps of different sizes – depending on the density of the structure – that are located between the atoms constituting it. Located within these meatuses are the atoms forming the soul.29 According to the later Epicurean tradition, and Lucretius in particular, the soul is further divided into an irrational part, which is known as anima and distributed throughout the body, and a rational part, which is known as animus or mens, and enclosed within the chest. I shall be considering the significance of this division later on. For the time being, suffice it to state that this division ought not be interpreted as an „ontological bipartition“30 of the soul, but rather as an articulation of its functions, based on its unique arrangement within the body. Thanks to the special conditions which the body imposes upon the psychic aggregate – the fact that the atoms of the soul are forced to move about within the narrow spaces that are not occupied by the body – and by virtue of the body’s constant interaction with the surrounding environment, the soul is capable of acquiring specific faculties and of exercising specific activities, such as hearing, perceiving, thinking and imagining. 27 For a more in-depth study of the Epicurean doctrine of the soul, I shall only refer here to G. B. Kerferd, „Epicurus’ doctrine of the soul“, in: Phronesis, 16/1971, pp. 80-96, and the notes to Epic. Ep. Hrd. 63-68 in Verde (s. n. 24), pp. 187-197. L. Repici, „Il pensiero dell’anima in Epicuro e in Lucrezio“, in: F. Alesse et alii, Anthropine Sophia. Studi di filologia e storiografia filosofica in memoria di Gabriele Giannantoni, Roma 2008, pp. 379-406, clearly illustrates the issues arising from a comparison between Epicurus’ doctrine of the soul and Lucretius’. On the meaning of „mixture“, see Alex. Aphr. De mixt. 214.28-215.8 = Usen. 290. 28 On the doctrine of pores, see D. Leith, „Pores and Void in Asclepiades’ Physical Theory“, in: Phronesis 57(2)/2012, pp. 164-191. 29 C. Bailey, The Greek Atomists and Epicurus. A study, Oxford 1929, p. 397. On the relation between the soul and the rest of the body as an aggregate, see too Repici (s. n. 27), p. 382. 30 I owe this expression to F. Verde.

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Hearing, in particular, comes about through a direct interaction with outside stimuli. Sensation, that is to say, is produced when atoms of the fourth, unnamed nature, stimulated by contact with atoms from the surrounding environment, transmit their motion to the other kinds of atoms that compose the soul, in an order which reflects their degree of subtlety and mobility: first the fire atoms, then the wind atoms, and finally the atoms of air.31 Perception comes about much like sensation, but through the specific corporeal structures constituting the sense organs – complex systems of atoms and pores that differ in terms of their magnitude, shape and arrangement, and which vary from species to species, person to person, and even within the same subject under different circumstances.32 Differing in their constitution, sense organs are suited to receiving different stimuli and producing specific perceptual motions. Suffice it here to briefly mention the case of sight, which also underlies many other intellectual functions. Tactile and taste perceptions presuppose a direct contact between the sensory organ involved and a stimulus; in order to understand how these senses operate, we need only consider what has already been stated with regard to sensation.33 Hearing and smell instead function in a similar way as sight, but through contact with emanations and effluences.34 Epicurus thus argues that „we see shapes and think of them by the entrance of something coming from external objects“,35 that is to say because τύποι or εἴδωλα36 reach us in rapid succession37 and make their way into our eyes and mind. These are very subtle films that are released by the surface of outer objects, reproducing their colour and shape.38 The same mechanism is set at work when a living being conjures up or dreams of objects that are not directly perceivable. One difference between an actual vision and a fantasy or dream – albeit not the 31 32 33 34 35 36 37 38

As suggested by Lucr. III 246-251. Lucr. IV 649-670. Lucr. IV 617-721. Epic. Ep. Hrd. 52-53; Lucr. IV 524-527; 674-678. Epic. Ep. Hrd. 49, 1-2. Epic. Ep. Hrd. 46, 7. Epic. Ep. Hrd. 50. Regarding the way in which simulacra are transferred from exterior objects, I shall refer to G. Leone (ed.), Epicuro, Sulla Natura, Libro II, Edizione, traduzione e commento, La Scuola di Epicuro 18, Napoli 2012, pp. 141-165.

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main difference – lies precisely in the nature of the simulacra which are perceived. For in the case of sight, the eye or soul is struck by a stimulus, which is part of a succession of images that have departed from an external object, to reach the sensory organ. But in the case of a fantasy, the mind is filled by films stemming from a combination of εἴδωλα from different sources that have casually mingled in the air;39 in the case of a dream, the mind is filled by one or more images of an object that is no longer present and which have been left floating about in the air.40 Given this mechanism of interaction between the body as a whole and the surrounding environment, it is certainly correct to argue that the τύποι which make up the content of memories reflect, from a physical perspective, the changes which the soul has undergone through the contact of sense organs with perceptual stimuli.41 However, in order to understand in what way these alterations turn into a stable acquisition, it is necessary to more carefully reflect upon certain factors that may influence the process of formation of these alterations, namely: the capacity of stimuli to filter through, their reiteration, the fluidness of the psycho-physical structure, and the acquisition of faculties capable of selecting what elements penetrate from the outside. 2.1.1 The filtering and reiteration of stimuli In one passage, Epicurus first explains how the minds of different individuals may be struck by the same stimulus to different degrees: „...[τοῖς μ]ὲν μᾶλ[λον, τοῖς δ᾽] ἧττον, τοῖς δ᾽ὅλως ἐπὶ βρα[χύ] τι

καὶ οὐκ ἐντυπῶν πάλιν τινῶν καὶ πρὸς τὴν διανοητικὴν σύνκρισιν ὁμοιοσχημόνων τοῖς πρὸς τάδε τὰ αἰσθητήρια παρεμπιπτόντων ἐκ τοῦ ἐκεῖθεν προοδοποιηθῆναι τά γε δὴ πολλὰ ἐχούσης μὲν καὶ αὐτῆς τῆς συστάσεως τῆς διὰ τῶν στοιχείων αἰτίας παρὰ τὴν τῶν ἀτ[ό]μων διαφορὰν καὶ τῶν προυπαρχόντων πόρων, οὐ μὴν [ἀ] λλ[ὰ] καὶ τοῦ ἀπογεγεν[νημέ]ν[ο]υ νοηθέντο[ς]…“

„…[falling into] some to a larger extent, into others to a smaller, and into some for a while even not forming an impression at all, some (images ?), similar in shape to those that fall into these sense organs, 39 Lucr. IV 724-744. 40 Ibid., 757-766. 41 This is quite rightly stressed by Spinelli (s. n. 4).

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fall again into also the very mental aggregation, after that the way has been prepared from over there, because the very same constitution has the most relevant causal power in accordance with the difference of the atoms and the pre-existing pores, but also because the ‚developed product‘ has been thought …“42 The text is short and fragmentary, yet packed with useful hints. First of all, Epicurus refers to an unspecified something that is capable of penetrating into different subjects to different degrees, to the point that in certain cases it cannot even form any impressions at all. The implied subject of the sentence may be taken to be either any sensory stimulus in general or, more specifically, a visual stimulus. This is suggested first of all by the reference to sense organs and the mental aggregate. Epicurus also uses the term τὰ αἰσθητήρια in the Letter to Herodotus, and does so in order to describe the eyes.43 In addition, we know that the mind is capable of receiving the same stimuli as those, which penetrate into the eyes.44 In the Letter to Herodotus Epicurus further employs the adjective ὁμοιοσχήμων to denote the isomorphism between films and the objects they stem from.45 The verb ἐντυπῶν, a hapax in Epicurus’ writing, is reminiscent of the term ἐντυπώσεις by which Democritus describes the impressions left by films in the air.46 Epicurus rejects the distinction drawn by his predecessor between films and ἐντυπώσεις, since, unlike Democritus, he believes that sensory stimuli directly interact with sense organs, without any need for an intermediary. Still, it is not unreasonable to suggest that Epicurus continued to use this verb to refer to the impression of a film upon the eyes or mind. Secondly, Epicurus explains that the different degrees of penetration of stimuli, and hence their different capacity to impress themselves, depend on how open the access routes are which lead from the sense organs to the mental aggregate. In order to understand what this means, we must consider the fact that according to Epicurus and the Epicureans, the penetration of visual stimuli into the mind, i. e. into 42 Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1995, p. 91, 1191, 6, 2, 2, 3; 1420, 2, 2 = [35.10] Arr 43 Epic. Ep. Hrd. 50, 5. 44 As may be gleaned from Epic. Ep. Hrd. 49; Lucr. IV 729-731; 749-756; Cic. De fin. I 6, 21; Diog. Oen. fr. 9 II 9-IV 2 Smith. 45 Epic. Ep. Hrd. 46, 1. See too M. Wigodsky, „Homoiotetes, Stoicheia and Ho­moio­ mereiai in Epicurus“, in: Classical Quarterly, 57/2007, pp. 521-542; Verde (s. n. 24), p. 116. 46 As may be inferred from Thphr. De sensu 51 D 513.

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the mind concentrated in the heart, presupposes that these stimuli are capable of crossing and filtering through – so to speak – areas of the body with different densities. The reiteration of the same stimulus aids this process. The idea of a path opened by an image along which other similar images may flow clearly emerges from a passage of De rerum natura in which Lucretius discusses dreams: „And whenever men have given constant attention to the games through many days on end, we usually see that, when they have now ceased to observe all this with their senses, yet certain passages are left open in the mind by which the images of these things can come in.“47 And what also proves particularly significant in this regard is a fragmentary inscription attributed to Diogenes of Oenoanda: „Now the images that flow from objects, by impinging on our eyes, cause us both to see external reality and [through entering our soul to think them. So it is through impingements] that the soul receives in turn the things seen by the eyes; and after the impingements of the first images, our nature is rendered porous in such a manner that, even if the objects which it first saw are no longer present, images similar to the first ones are received by the mind [creating visions both when we are awake and in sleep].“48 The repeated flow of a visual stimulus, therefore, makes the nature of atomic aggregates porous enough to convey the stimulus to the mind on the one hand, and on the other to receive similar stimuli, even in the absence of the perceived object. Let us leave this issue aside for the time being, since I shall be examining it later on, in relation to the question of how impressions are recalled. In what follows, I instead wish to focus on two further hints provided by Epicurus’ text. The first concerns the use of the adjective ὁμοιοσχήμων to describe sensory stimuli. I believe there are three reasons why Epicurus specifies that the films which strike the mind are not identical to those which make an impression on sense organs, but only similar to them. The first reason why the author feels compelled to stress the difference between the images which penetrate into the mind and the images which penetrate into the eyes might be the different location of the διάνοια within the body – explicitly given as the chest by Lucretius – 47 Lucr. IV 973-977, Loeb translation. 48 Diog. Oen. fr. 9 II 9-IV 2, Smith edition and translation. This had already been treated as a useful passage for reconstructing not just the Epicurean theory of dreams but that of memory too by Long-Sedley 1987, p. 82.

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compared to the αἰσθητήρια, which are instead located in a periphery position. In order to reach the mind, films must also cross extremely compact parts of the body, such as bones; hence, the smaller the interstices in the denser areas of the body surrounding the mind, the more subtle the images must be. This explanation would appear to find some support first of all in Lucretius IV 728-731, which states that the images penetrating into the mind are more gossamer than those which meet the eyes, „since (quoniam) they penetrate through the rarefied parts of the body“. It is possible to suggest that, within this context, the reference to the body was intended to highlight its constitutive complexity – something Lucretius often stresses. Secondly, always within the context of a discussion of mental visions, a mention of the compactness of the structure which the films must pass though may also be found in a fragment of Book XXXIV of On Nature, where we read: „even though compactness (πυκνότης) does not help, the symmetries of the pores ensure passages for them too in these impacts“.49 Secondly, the images penetrating into the mind may be described as being similar to those penetrating into the sense organs as a way of ensuring that the former, by virtue of their formal resemblance to the stimuli which strike the eyes, will be similar to the external objects from which they stem. It further seems to me that the statement that the stimuli which make an impression upon the mind are similar yet not identical to those received by the organs of perception is a relevant one for the purposes of the present enquiry, since it provides a physical explanation for the representational nature of memory: a mental impression is not the exact copy of a perceived object, but its closest schematisation. Finally, the last piece of information, which Epicurus provides in the text under consideration, concerns those factors, which contribute to the entrance of stimuli and their imprinting upon the mind. The first and most relevant factor is atomic constitution,50 which consists in a specific relation between atoms and pores, which may be more or 49 Epic. On Nature, XXXIV, fr. Leone 2002, p. 65, col. XXIV. 50 σύστασις is the term which Epicurus uses in Book XXV of On Nature in order to describe the overall atomic make-up of an individual. This includes both soul and body, as may be inferred from a fragment that makes explicit reference to the flesh (Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1997, p. 27). The σύστασις varies from individual to individual to some degree, and many develop over time. See F. G. Masi, „La nozione epicurea di ΑΠΟΓΕΓΕΝΝΗΜΕΝΑ“, in: Cronache Ercolanesi, 35/2005, p. 45.

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less suited to the reception and passage of a given stimulus. The second factor is that of having thought of „the developed product“. The expression ἀπογεγεννημένον is a technical term, which Epicurus only employs in this book of his major work On nature. In general, it refers to the outcome of any psychic development, namely to a soul or mind which has acquired certain properties or finds itself exercising one of its functions. The term may further be used more specifically, to describe a particular faculty of the mind. In this sense, as we shall later be observing in greater detail, the notion is also employed to refer to memories.51 It is noteworthy, therefore, that Epicurus invokes the conjuring up of a given mental content in order to explain the ingress of sensory stimuli. Just what the philosopher may wish to convey to his readers is not clear from the passage, which is regrettably incomplete in this section. Still, further hints are provided by Book XXV, as well as by other sources that can help us understand what the author might have meant in this context. 2.1.2 The selection of environmental stimuli: the contribution of rationality My hypothesis is that in the passage just examined Epicurus is referring to the fact that when the mind thinks – that is, when it concentrates on something – it automatically predisposes itself to receiving certain stimuli rather than others. This emerges, first of all, from a passage from Book XXV in which the philosopher explicitly argues that, given the constitutive principles of the mind, all psychological and moral developments depend on us, that is on the beliefs we have created for ourselves and through which we are capable of selecting environmental stimuli, and thus of controlling their impact on our own nature: „ἀπ[ὸ τῆς πρ]ώτης ἀρχῆς σπέρμ[ατά ἐστιν ἀγ]ωγά, τὰ μὲν εἰς ταδ[εί], τὰ δ᾽εἰς ταδεί, τὰ δ᾽εἰς ἄμφ[ω] ταῦτά [ἐ]στιν ἀεὶ [κα]ὶ πράξεων κ[αὶ] διανοήσεων καὶ διαθέ[σε]ων καὶ πλεί[ω] καὶ ἐλάττωι, ὥστε παρ᾽ἡμᾶς π[οθ]᾽ ἁπλῶς τὸ ἀπογεγεννημένον ἤδη γείνεσθαι τοῖα ἢ τοῖα καὶ τὰ ἐκ τοῦ περιέχοντος κ[α]τ᾽ἀνάγκην διὰ τοὺς πό[ρο]υς

51 For a more in-depth analysis of the meaning of this term and how critics have understood it, see Masi (s. n. 50).

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εἰσρέοντα παρ’ ἡμᾶς π[ο]τε γείνεσθαι καὶ παρὰ τὰς ἡμετέρας [ἐ]ξ ἡμῶν αὐτῶν δόξ[ας]. Καὶ εἰ παρὰ τὴν φύσι[ν...“

„From the very first beginning [there are]52 always seeds leading, some to this, some to that, some to both, whether that be actions and thoughts and dispositions, to a greater or smaller extent. In a way that, at some time, it precisely depends on us that the ‚developed product‘ becomes such or such, and depends on us rather on the beliefs (that are formed) out of ourselves that what flows in through the pores with necessity from what surrounds us at some point of time becomes (such or such). And if against nature …“53 There are at least three reasons why this passage is a relevant one for the purposes of the present enquiry. The first is that it explicitly states what the principle of self-determination of agents consists in. As Bobzien explains, „Epicurus held that we ourselves become causally and morally responsible at the point when we start changing our disposition by way of developing our own thoughts, value judgements and desires we have adopted or developed solely as a result of hereditary and environmental impacts“.54 It is noteworthy that over the course of Book XXV of On Nature this principle of self-determination is presented as a shattering of the possible deterministic chains implicit in atomistic psychology. Indeed, this principle is conceived as a causal factor that is independent from any form of causal heredity, which is self-generating and capable of introducing a different mode of operation compared to those elements which condition the psychological development of human beings, namely their original atomic constitution, their environment, and their age.55 Memory too, then, insofar as

52 ἐστιν Masi; ἡμῖν Sedley; Laursen. 53 Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1997, pp. 32 ff., 1191, 8, 1, 5; 697, 4, 1, 1; 1056, 6, 3 = [34. 26] Arr. On this text, see Sedley (s. n. 15), p. 23; Annas, Hellenistic Philosophy (s. n. 15), p. 132; Annas, „Epicurus on Agency“ (s. n. 15), p. 62; Bobzien (s. n. 15), p. 293 ff. 54 Bobzien (s. n. 15), p. 335. 55 As I have endeavoured to show in my book Masi (s. n. 14), pp. 194-209, in Book XXV of Peri physeos Epicurus outlines a theory of the mind according to which the soul, at a given stage of its evolution, acquires certain faculties (e. g. to develop beliefs and judge on the basis of criteria for truth); in such a way, the soul acquires independent causal power, by virtue of which it is capable of affecting the development of the mind’s atomic constitution and of engendering a new process of causation with respect to mental development, compared to the one determined by the interaction between the subject’s atomic nature and the environment.

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it brings this principle into play, appears to be free from any form of rigid atomistic mechanism. I shall later be getting back to this point. The second reason why the passage quoted is an interesting one is that, despite the uncertain conclusion, when explaining what makes rationality effective in relation to psychic development, Epicurus clearly argues that the beliefs which a subject creates for himself guide his perception, predisposing him to receive given stimuli rather than others. On the other hand, we know that opinion, for Epicurus, is an „accessory motion“ that develops starting from previously introjected empirical material, which it then reorganises into judgements through combinatorial mechanisms such as analogy, similarity, and so on.56 The third reason why the above fragment is a particularly useful one, then, is that it elucidates the double nature of memory, as well as its relation of interdependence with rationality. To the extent that memory coincides with the psychic function of receiving impressions, it is a passive function. As already stated at the beginning, the reception of objective representations and the capacity to retain them are preliminary and indispensable conditions for any kind of opining or discursive activity. It is easy to infer from this that „passive“ memory, understood as the capacity to receive and retain impressions, is necessary for the very self-determination of the subject. By contrast, insofar as memory presupposes the faculty of developing opinions in order to select and focus on given sensory stimuli, it is an active function, which requires the exercising of reason. Partial confirmation of this may be found in a passage from Book IV of De rerum natura in which Lucretius examines the question of how it is possible for man to conjure up the image of a desired object and to predict his own future behaviour. Here Lucretius discusses the mind’s capacity to select a specific image out of the countless ones available at any given moment: „Because within a single period of time detectable by our senses – the time it takes to utter a single sound – there lie hidden many periods of time whose existence is discovered by reason, it follows that everywhere at every time every image is ready on the spot: so great is the speed and availability of things. And because they are delicate the mind can only see sharply those of them, which it strains to see. Hence the remainder all perish, beyond those for which the mind has prepared 56 On this point, see Verde (s. n. 24), p. 136.

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itself. The mind further prepares itself by hoping to see the sequel of each thing, with the result that this comes about. Don’t you see how the eyes too, when they begin to see things which are delicate, strain and prepare themselves, and that there is no other way to see sharply? […] Why then is it surprising if the mind loses everything else beyond the matters to which it is devoting itself?“57 This last passage too suggests that the impressionability of the soul – that is to say, its capacity to acquire traces of perceptions – depends on the one hand and for the most part on its inborn constitution; but on the other hand on its manner of operating, which determines its inclination to receive given stimuli but not others. The question now remains to be addressed of what the physical cause might be for the capacity of the ψυχή to retain traces of past experiences, once it has been impressed. 2.1.3 The fluidity of the atomic constitution Epicurus clearly identifies the fluidity and suppleness of the atomic constitution as the natural cause of the latter’s capacity to receive and retain imprints of past experiences. Here I shall only refer to a couple of passages. The first is not directly connected to the topic of memory, but provides a significant hint with regard to the possibility that mind might lose its suppleness, grow rigid and thus become impervious to external stimuli – in particular those intended to alter its character, such as exhortations, admonishments, scoldings, and so on: „αυν[±6/7]ς οὐ μαχόμεθα τοῖς ἔ[θισμα] κα[ὶ] οὐ τὴν ἀτον[ί]αν ἔχουσ[ιν αλλ᾽] οὐ[δ]ὲ παρακαλεῖν ἐπιχειροῦμεν καὶ παροξύνειν ἐπὶ τὰ κ[α]ιρι[ώ]τατα ὡς ἤδη πέπηγεν ἀ[πὸ] τῆς φύσεως τῆς αὐτῆς κακηθρο[ι]σμένης οὐχ ἑτέρως τινὶ τὴν [αἰτία]ν ἀναψούσης τὴν πῆξιν τὴν ὁμοίαν τ[ῆ]ι κ[.]..νη[ι] καὶ μ[..]ατωντοιαβ[---] τὴν αἰτίαν προσφέ[ροντες] οὐ[δ]᾽ ὅσοι[ς προσφ]έρομε[ν-“

„… we do not fight those [‚developed products‘] who have a stable character58 and do not have the elasticity,59 but do not even try to call 57 Lucr. IV 794-815, 15 D, Long-Sedley translation. 58 ἔ[θισμα] Diano, reconstruction not accepted by Laursen. 59 The Epicurean concept of ἀτονία differs from the Stoic one of τόνος, insofar as according to Epicurus the lack of τόνος is what ensures the permeability and alterability of the atomic constitution. For a different interpretation, however, see G. Arrighetti (a cura di), Epicuro, Opere, Biblioteca di cultura filosofica, 41, 2a ed. Torino 1973, p. 339.

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them over and exhort them to the more fitting things, since they have already stiffened on the basis of the nature that is in itself poorly compounded and that will not allow to connect the cause to anything else, the stiffened state similar …bringing forward the cause and not, to all to which we bring forward …“60 The second text concerns learning modes: „των[..]ν[..]ε καὶ ὑπ[..]ησ. ψόφων τε κα[ὶ νο]ήσεων κα[ὶ ἐ]πινοημ[ά] των καὶ φαντασμάτων καὶ τῆς αἰωνίας κ[ατ]ὰ ψυχὴν ὀχλή[σ]εως ἢ εὐδαιμονίας ἢ μ[ὴ] αἰωνίας τὴν α[ἰτ]ίαν τοῦ θηρεύειν τὴν ἀρχὴν κ[α]ὶ κανόνα καὶ κριτήριον κατ[ὰ] μικρόν. Ταῦτά τε γὰρ εἰς τὸν ἐπιλογισμὸν τοῦ κριτηρίου ἦγεν κα[ὶ ἐκ το]ῦ κριτηρίου αὐτ[οῦ] ἐπαισθά[νεσθαι ἐ]πὶ λόγι[σι]ν καὶ πρ[ὸς τ]ού[τοις] ..[..]μεν[α] εἰς τὴ[ν] κατὰ μικρὸν ὥνπερ [ἔ]νπρο[σθ]εν εἶπα διερεύνη[σι]ν. ἀλλήλοις γὰρ ταῦτα τὴν αἰ[τί]αν [κ]αὶ χρείαν παρείχετο καὶ ἐνα[λλ]ὰξ ἑκάτερον παρεμπεῖπτον ἐπεσπ[ά]σατο εὐθὺς τὸ ἕτερον ἐπινόημα, κατὰ μικρὸν πρῶτον ἐγγεινόμενον καὶ ταχέως ἐκρέον, εἶτα μᾶλλον μᾶλλον κατανοούμενον, τὰ μὲν διὰ τὴν φυσικὴν αἰτίαν τῆς ἐπαυ[ξ] ήσεως καὶ ἀπαλλά[ξε]ως πλαδαρότητος, τὰ δὲ διὰ τὴν ἐξ ἡμῶν γεινομένη[ν] ...“

„of sounds and thought and afterthoughts and representations of the everlasting or not everlasting disturbance or happiness in the soul the cause for searching for the beginning and canon and criterium a little by little. For these things led on to the afterthought about the criterium and from the acquisition of the very same criterium to the faculty of reason and beyond these things61 … to the investigation a little by little of the thing I mentioned above. For these things provided each other with the cause and the need and in turn one thought coming in immediately dragged the other along, coming at first a little by little and quickly flowing out again, then being thought more and more firmly, partly due to the natural cause of growth and decrease of fluidity, partly due to the causal power that comes to be out of our-

60 Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1997, p. 25, 1191, 7, 2, 2 = -18 inf./1191, 7, 1, 6 = -17 sup.; 697, 3, 2, 1 = [34. 23] Arr.; 1056, 5, 4. 61 κα[ὶ ἐκ το]ῦ κριτηρίου αὐτ[οῦ] ἐπαισθά[νεσθαι ἐ]πὶ λόγι[σι]ν καὶ πρ[ὸς τ]ού[τοις] Masi; κα[ὶ ἐκ το]ῦ κριτηρίου αὐτ.. ἐπαισθά[± 5/6] [ἐ]πιλογι[..]. καὶ πρ[..].. [....]..[..] μεν Laursen.

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selves …“62 In this rather complex text from the final and recapitulating section of Book XXV,63 Epicurus traces the various steps which have led him to discuss the topics just outlined. The philosopher justifies his investigation by invoking on the one hand the interconnection of the various topics and on the other hand pupils’ progressively increasing learning capacity. Epicurus attributes this capacity to two different factors. The first is a physical one: the varying density of psychic matter. The second factor is a psychological one: judging from what has been argued so far, it probably concerns the practice of interpreting things, whereby subjects are capable of independently reflecting upon the content of any given teaching. What I wish to stress here is the fact that if someone’s atomic constitution is too fluid, a given stimulus may well flow through without leaving any traces. In the light of these last passages, however, it may plausibly be argued that according to Epicurus the capacity to grasp sensory stimuli is inversely proportional to the density of one’s atomic constitution, whereas the capacity to retain stimuli is directly proportional to the density of one’s constitution, insofar as greater fluidity amounts to greater permeability but a more limited capacity to retain perceptual stimuli; and conversely, greater density amounts to reduced permeability but a greater capacity to retain stimuli. 2.2 Recollection Having clarified the physical nature of traces and explained the mechanisms which contribute to their formation and conservation, it is now a matter of understanding how recollection operates, i. e. how these traces are recalled. In order to do so, it is necessary to address a preliminary question: whether according to Epicurus a distinction may be drawn between the recollection of a notion such as „everything is made up of atoms and void“ and the memory of a past experience, such as „the person I have met in place X at time Y“ – or, to borrow 62 Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1997, pp. 46 ff. 1191, 9, 1, 3 = -2 sup.; 697, 4, 2, 3; 1056, 8, 2 = [34.32] Arr. 63 On the context of this passage, see S. Laursen, „The summary of Epicurus On nature book 25“, in: Papiri letterari greci e latini, 1/1992, pp. 143-154 and Masi (s. n. 14), pp. 37-64.

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two terms used to describe Plato’s theory of memory and Aristotle’s respectively, between anamnesis and reminiscence, impersonal and personal memory.64 Two sets of considerations may be formulated in this regard. First of all, as already noted, within the framework of Epicurus’ theory of knowledge, all mnemonic content, even the most complex, has an empirical basis – if not directly so, at least indirectly. The τύποι of the fundamental principles of natural science derive from their vocal counterpart, namely from φωναί or elementary formulas, which in turn encapsulate knowledge that is inferentially derived from sense-data.65 From this point of view, the learning mechanism for a notion such as „everything is constituted by atoms and void“ is the same as that for the representation of a person one has met in place X at time Y. As concerns the recollection of these notions, the difference here seems to lie not so much in the process by which their traces are recalled, as in the degree of intentionality that is required in order to activate this process. A past event or experience may be recalled regardless of a subject’s intentions through the effect of a sensory stimulus similar to those which engendered a trace of the past experience in the first place: one capable of following and reactivating the same access routes running from the sense organs to the mind. The recollection of any intellectual content, by contrast, may stem from a conscious search and attempt to bring into focus one of the many representations of reality preserved in the subject’s memory. In this case too, however, sensory stimulation may be required in order to aid the recollection of a trace and the linking of a present circumstance with an already acquired notion – an example being the act of repeating in a loud voice the notion one wishes to recall. In order to better understand how Epicurus conceives of this aspect of memory, however, it may be useful to examine yet another passage from Book XXV of On Nature, one which provides a genuine aetiology of the recollection of doctrinal principles: a)

„… ποτε ἀπεμν[ημόν]ευεν ἢ ἀνάλογον τῆ[ι ἀπομ]νημονεύσει πάθος ἴσχανεν καὶ ἐνδιέτριβεν ὅθε[ν ἡ]συχίει τε καὶ τῶν μ[ - - -] καὶ 64 J. Annas, „Aristotle on Memory and the Self“, in: Oxford Studies in Classical Philosophy 4/1986, pp. 99-117. 65 See Epic. Ep. Hrd. 36 and the notes in Verde (s. n. 24), p. 74.

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μεγίστους φόβους [ἐπ]αξ[ό]ντων ἐπισκέψε[ι πα]ρ[ὰ τὰ] σ[υμ] πίπτον[τα]. ετ...[- - -]γε[±3/4 μά]λιστα τ[οὺς τοῦ] φυσ[ικοῦ] πάθους φόβ[ους] κατ[ὰ] τ[οὺς ἀνθ]ρώπους καὶ κα[τ]ὰ τὰ ὑπ[ὲρ ἄ]νθρωπον [τὴν ἀλ]ήθ[ειαν κατὰ τὸ] ὡρισ[μένον] ἐζ[ήτει]...[.]εχουσι [- - -]κα[ὶ] τοῦ ἀφανοῦ[ς - - -]σεπιμ[- - -]φ[±5/6]νφαν[- - -]καιπο[- - -]ιθαυμ[- - -] υοκαι[- - -]ως γε[- - -δ]οξα[- - -]καθα[- - -]εον[- - -]“ (lacuna incerta)

„At some point [the mind] remembered or got an affect analogous to the remembering and stayed in a state where with calm as well as in the investigation66 of the things that would have produced67 the [most everlasting] and greatest fear according to the circumstances68 … mainly fears of physical pain,69 researches for the truth, on the basis of what is defined,70 regarding both human beings and the things above human beings …“71 b)

„…[μ]νήμη ἢ τὸ τῆι [μνή]μηι πάθος ἀνάλογον ὧν ἔδει μᾶλλον ἐνεγείνετο πρὸς τὸ ὡρισμένον καὶ τὰ πάντα ἐξέλεγχον τῆς ἀναφορᾶς γινομένης καὶ οὐ πρὸς ἀόριστα καὶ κρίσεως προσδεόμενα. αὕτη δ᾽αὖ πάλιν ἡ τούτου μνήμη ἢ ἀνάλογος μνήμηι κίνησις τὰ μὲν συνεγεγέν[νη]το εὐθύς, τὰ δ᾽ ηὔξητο, τὴν ἀρχὴν ἔχουσα καὶ τὴν αἰτίαν ἧι μὲν τῆι πρώτει συστάσει τῶν τε ἀτόμων ἅμα καὶ τοῦ ἀπογεννηθέντ[ο]ς, ἧι δὲ τῆι ἐ[παυ]ξομένηι, ε[ἶ π]άντα δρῶ[με]ν, τ[ῶ] ν ἀτόμων ἅμα καὶ αὐτοῦ τοῦ ἀπογε[γεν]νημένου ἐ[ξ] ἀ[νά]γκ[ης ἀ] ντίξουν ἐπ᾽ἐ[νίω]ν [τοῖς] ἀπ[ογ]εννήσασιν ...“

„The memory, or the affect analogous to the memory of the more necessary things came in, reference being made to the well-defined and all refuting and not to things that cannot be defined but need judgment. This memory, then, of that, or the movement analogous to memory, was in some cases in the state of having been immediately co-generated, in other cases it was in the state of having grown, being 66 ἐπισκεψε [ Laursen. 67 [ἐπ]αξ[ό]ντων Masi; [ἐπ]α[γόν]ντων Diano, Arrighetti; [- - -] αξ[ό]ντων Laursen. 68 πα]ρ[ὰ τὰ] σ[υμ]πίπτον[τα] Masi; πα]ρ[ὰ τὰ ἐμ]πίπτον[τα] Arrighetti; - - - ]ρ[.] σ[± 2/3]πίπτον [..] Laursen. 69 τ[οὺς τοῦ] φυσ[ικοῦ] πάθους φόβ[ους] Diano, Arrighetti; τ[- - -] φυσ[ικοῦ] πάθους φόβ [± 2/3] Laursen. 70 [τὴν ἀλ]ήθ[ειαν κατὰ τὸ] ὡρισ[μένον] ἐζ[ήτει] Diano, Arrighetti; [± 5/6]ηθ[- - -] μ[[± 4/5]ωρισ.[± 5/6]ιζ[- - -] Laursen. 71 Epic. On Nature, XXV, fr. Laursen 1997, p. 14, 697, corn. 2, pz. 2, z. 3 = [34. 19] Arr.; 1056 corn. 4, z. 4.

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the beginning and the cause for, in the one case, the first constitution of both the atoms and the ‚original product‘, in other, the growing (constitution) by means of which we perform all our actions, of both the atoms and the ‚developed product‘ itself, that in some cases is necessarily something opposite to what produced …“72 The passage may be divided into two sections and interpreted as follows.73 In section a) the author first of all sets out to illustrate the usefulness of memories as a way of dispelling the most significant fears and of fostering the search for truth. Fragmentary and uncertain as it may be, this section proves particularly useful as it helps set Epicurus’ investigation of mental faculties, such as recollection, squarely within the framework of his ethical doctrine: the author’s aim would appear to be to provide an aetiology of memory capable of justifying the effectiveness of memories in the pursuit of ataraxia. It is further worth noting that, according to the suggested reconstruction, in this first section of the passage memory is associated with the quest for truth, as already noted above. This aspect of memory is examined in greater detail in the following section. In section b) the philosopher explains what operations contribute in each circumstance to bringing the fundamental principles of Epicurean doctrine to mind. He argues that the recollection of those things which are most to be borne in mind is achieved by keeping to certain criteria, without yielding to the emotions aroused by contingent circumstances. Epicurus then explains that the recollection of the fundamental principles of the doctrine is to some extent inborn, insofar as it is possible to suggest that the mind possesses the faculty of recollection right from its birth; yet, in other respects, the recollection of these principles develops over time, insofar as it derives from the actualisation and strengthening of one’s mnemonic powers. Finally, Epicurus explains that the origin and cause of the faculty of recollection is one’s original atomic constitution: while this varies from individual to individual, it possesses all the features necessary for the development of this faculty. The origin and cause of the manifestation and strengthening of memory in an individual’s life is instead the development of his constitution, which is to say – as may be inferred from other passages of the same book – the fact that the individual’s constitution has consolidated itself through its interaction 72 Epic., On Nature, XXV, fr. Laursen 1997, pp. 16 ff., 1191, 4, 2, 1/1191, 7, 2-3; 697, 2, 2, 4; 1056, 5, 1; 697, 2, 2, 4 = [34. 20] Arr. 73 See too Diano (s. n. 24), p. 285 n. 5; Arrighetti (s. n. 59), p. 630; Annas (s. n. 15), p. 60.

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with the environment, education, and the practice of interpretation. What is most worth stressing with regard to the above-quoted passage is the fact that it links recollection to a process which Epicurus describes as an „anaphora“. It is reasonable to suppose, therefore, that the author primarily conceives of recollection as the act of tracing data that is present back to previously acquired objective notions. In support of this view, one may also refer to a passage by Clement of Alexandria which presents prolepsis not simply as the possession of the general notion of an object, but as that active association which enables an individual to trace the perception of an object back to a previously formed notion:74 „Now, he [scil. Epicurus] defines preconception as a focusing (ἐπιβολή) on something evident and on the evident notion of the thing.“75 The implications of this from a physical perspective may perhaps be inferred from a passage on dreams in Book IV of De Rerum Natura, in which Lucretius significantly refers to memory: „And when sleep has relaxed the limbs the mind stays awake in just the same way, except that these same images which stimulate our minds while we are awake do so to such an extent that we seem to see beyond all doubt someone who has departed this life and is dead and buried. The reason why nature compels this to happen is that all the bodily senses are suppressed and at rest throughout the limbs and cannot convict falsehood with the true fact. Moreover the memory lies in slumber and does not protest that the man whom the mind thinks that it sees alive is long dead.“76 According to the above passage, it would seem as though both in the case of dreams and in that of memories, a stimulus follows the access routes previously followed by similar stimuli, and in such a way reactivates a past experience.77 Again according to Lucretius, dreams 74 This point has already been made by Morel (s. n. 2), pp. 39-41; see too Giovacchini (s. n. 2), p. 33. 75 Clem. Alex. II 4 = 255 Usen. This, however, is the only passage in which prolepsis is identified with ἐπιβολή; commentators thus regard Clement’s account as a con­ troversial one. 76 Lucr. IV 757-767, 15 D Long-Sedley translation. 77 This would also help explain the meaning of what is stated in the passage from DL X 33 examined at the beginning of this article, namely that through prolepsis one thinks of the τύπος, since the senses give the lead (προηγουμένων τῶν αἰσθήσεων).

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and memories, however, differ in two respects. In dreams, unlike in the case of memories, a present stimulus is not associated with any past experience. In dreams, moreover, the subject is not aware that the stimulus he is receiving does not correspond to a present stimulus. From this it is perhaps possible to infer that, unlike dreaming, recollection – understood as the act of recalling a previously archived representation – presupposes a capacity to judge and justify things, which is to say: awareness of the fact that a given stimulus is associated with a past experience and that it may not correspond to a present stimulus. As already noted, this capacity to combine present stimuli with previously acquired notions and to draw conclusions with regard to reality on the basis of this comparison presupposes that the recollecting subject has already developed the faculty of fashioning beliefs for himself, i. e. of reasoning independently. What remains to be explained now is in what respect it is possible to speak of a „seat“ of memory. 2.3 The seat of memory The problem of locating memory would appear to emerge from some passages of the Letters in which Epicurus uses the expression ἐν μνήμῃ to state that is it precisely in one’s memory that the recollection of the traces of fundamental doctrines occurs. In the light of the sources examined so far, I believe that there are two ways of solving this question. The first is to understand „memory“ as actually referring to the physical seat where the traces of perceptions are stored and from which they are recalled.78 This solution, however, requires further qualification. We have seen that Epicurus distinguishes two different aspects of memory: alongside the faculty of being impressed by perceptual stimuli and of retaining traces of these impressions, the faculty of recalling past experiences. And we have seen that this faculty presupposes other rational and intellectual faculties. On the one hand, then, it is tempting to identify memory simply with those paths, so to speak, that are open to sensory stimuli, which is to say with the sum of alterations that have stably been „incorporated“ by the soul. On the other hand, however, memory may be identified with that part of 78 As we have seen, DL X 33, for instance, speaks of „a notion stored (ἐναποκειμένην) within us“ with regard to prolepsis.

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the soul fulfilling more complex tasks, which is to say that part of the psychic aggregate that is capable of thinking, imagining and reasoning, and which later Epicureans – and especially Lucretius – clearly locate in the heart.79 Actually, it is far from certain that Epicurus himself embraced such a clear-cut distinction between a rational part of the soul and an irrational one.80 Indeed, the author of Book XXV of On Nature would appear to use the terms διάνοια and ψυχή interchangeably and to regard dianoia as the sum of functions which the psychic aggregate is capable of performing in a specific bodily framework. If we opt for the first solution, then, we must cautiously assume that the seat in which the traces of perceptual experiences are stored and reactivated through the passage of similar stimuli and the contribution of reason is to be identified with psychic aggregate as a whole – which is moreover bound in an inescapable, complex and specific form of interaction with the body. Besides, this clearly emerges from the last passage from Book XXV I have quoted, which clearly suggests that the cause and origin of recollection lies in the subject’s atomic constitution, and hence in the soul-body structure as a whole. Still, we cannot rule out the possibility that within the context of the Letters81 the expression ἐν μνήμῃ is used figuratively, to refer not so much to any specific place but to recollection more generally, as that which makes it possible to draw upon doctrines which have required prolonged reflection and study. Having made this point clear, let us now move on to draw some conclusions.

3. Conclusions: the role of the physiology of memory in Epicurus’ psychology It is important to attempt to reconstruct the Epicurean physiology of memory for a number of reasons. First of all, only by taking the physical framework within which memory operates into account is it 79 Lucr. III 136-142. On the distinction between soul and animus or mens, see C. Giussani, Studi Lucreziani, Torino 1896, pp. 190 ff.; Bailey (s. n. 29), pp. 580; Kerferd (s. n. 27), pp. 84 ff., Diano (s. n. 24), p. 146. 80 See the notes in Verde (s. n. 24), pp. 189-190. 81 E. Spinelli, „Epistola“, in: P. Angelo (a cura di), Forme letterarie della filosofia, Roma 2012, pp. 154-163 and Spinelli (s. n. 4).

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Memory, self and self-determination

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possible to understand Epicurus’ emphasis on the need to memorise and ponder upon the fundamental principles of his science. Epicurean mnemonics is based on a particular conception of the soul, according to which repeated and appropriate stimulation is a precondition for learning and the stable acquisition of those objective representations of reality destined to provide the cognitive, ethical and practical foundations of an individual’s life.82 Furthermore, an understanding of the processes and mechanisms underlying memory sheds light on the way in which recollection operates on the epistemological and practical level. For instance, the fact that recollection entails a genuine reactivation of sensory pathways helps account for the power of memory to counter painful emotions in the present. Likewise, if we understand how recollection operates in terms of the drawing of association and the formulation of justifications compared to other mental faculties, such as dreaming and imagining, we will find it easier to interpret prolepseis, which – as memories – not only retain traces of repeated perceptual experiences,83 but also link these traces to present stimuli.84 Finally – and this strikes me as being the most important point – an aetiology of memory capable of integrating all the various levels at play (the ethical, the epistemological, and the physical) enables us to better understand the Epicurean philosophy of the mind in general. The interpretative model for mental states which may be inferred from the Epicurean study of memory brings the modern notion of „supervenience“ to mind.85 The nature of the relation between physical and intellectual qualities in Epicurus’ atomistic psychology is highly controversial, particularly in the light of the surviving fragments from Book XXV of On Nature. Some scholars have attributed to Epicurus an emergentist theory of the mind;86 others an anti-reductionist theory;87 others still, a reductionist theory of the identitarian sort.88 Drawing upon the modern notion of „supervenience“ – whatever may be the 82 As quite rightly noted by Spinelli (s. n. 4). 83 This thesis was upheld, among others, by Long (s. n. 2); Hammerstaedt (s. n. 2); Konstan (s. n. 2). 84 Glidden (s. n. 2), pp. 184-195; Morel (s. n. 2), pp. 41; Giovacchini (s. n. 2), p. 33. 85 For a more detailed investigation of these issues, I shall here refer once more to Masi (s. n. 14). 86 Sedley (s. n. 15). 87 Annas (s. n. 15). 88 O’Keefe (s. n. 15).

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historiographical limits of a similar operation – is nonetheless useful insofar as it enables us to credit Epicurus not so much with having solved a problem, as having identified it.89 Epicurus, in other words, would appear to have realised the need on the one hand to preserve a relation of dependence between the mental states of individuals and the physical states of their atomic constitution, in such a way as to safeguard the inner consistency of his system; and on the other hand to assign mental states some degree of independence from those of the atomic constitution, so as to justify the moral autonomy of agents. While always maintaining a physicalist framework, Epicurus is willing to acknowledge the multi-layered nature of reality, in which the upper levels depend on the lower ones, while preserving a degree of independence. In this respect, it is also worth noting Epicurus’ use of the expression „the memory or affection [or motion] analogous to memory“, where the notion of „analogy“ – I would argue – refers to the discrepancy between the level we experience, namely the mental level, and the one we can only infer from our experiences, namely the atomic level. Memory certainly derives from a given atomic structure; yet, as suggested by several of the points we have examined, it also stems from the intellectual and rational activity of the soul. In turn, rationality is seen by Epicurus as the subject’s causal power of selfdetermination, which is not itself determined by other causal factors and which is capable of shattering the deterministic chains of causes. By virtue of rationality, the soul is capable of acting upon the atomic constitution and of engendering a new process of causation with respect to mental development, compared to the one determined by the mechanical interaction between nature and the environment. On the other hand, as the capacity to receive and retain impressions, to form stable representations and to recall traces either through sensory stimulation or through a conscious search that provides material on which the agent can exercise his opining or discursive faculty, memory ultimately represents the crucial and constitutive condition for the psychological development and moral progress of individuals, for the establishment and assertion of their own identity and responsibility.90 89 On „supervenience“ as the posing rather than solving of a problem, see J. Kim, Mind in a Physical World, Cambridge-Mass. 1998. 90 A partly different and more extended Italian version of this article has been published as F. Masi, „Gli atomi ricordano? Fisicalismo e memoria nella psicologia di Epicuro“, in: Antiquorum Philosophia, 8/2014, 4, p. 121-141.

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Evolution und Menschenwürde Lässt sich die evolutionäre Sicht des Menschen mit einer normativen Sonderstellung verbinden?1

I. Kant oder Darwin? Darwins Origin of Species wurde schon früh als letzter Sargnagel des Theismus gesehen. „Moses oder Darwin?“ – so brachte Alfred Dodel diese Herausforderung 1889 auf den Punkt.2 Und wie etwa Richard Dawkins Bestseller The God Delusion (2006) zeigt, hat dieser Einwand nicht an Aktualität verloren. Aber Darwins Einsichten, vor allem sein Buch zur Abstammung des Menschen (Descent of Man), könnten auch die Totenglocke für alle Moral läuten.3 So jedenfalls argwöhnt be­ reits im Erscheinungsjahr des Buches die Journalistin Frances P. Cobbe. Doch Darwin konnte solch ein Glockengeläut nicht hören, ganz im Gegenteil: In einer Fußnote, die er in späteren Auflagen diesem Buch hinzufügt, verwirft er Cobbes Einwand und besteht darauf, dass die evolutionäre Erklärung eines menschlichen ‚Moralsinnes‘ überhaupt erst zeige, wie tief die Ethik im Menschen gegründet sei und wie sie dem sozialen Leben diene. Statt die Moral zu untergraben, ist die Evo­ lutionstheorie nach Darwin das beste Fundament, das sie finden kann. Also kein Totengeläut, sondern eher der Fanfarenstoß einer neuen Ethik? 1

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In diesen Beitrag sind zwei frühere Veröffentlichungen eingegangen. Eine frühe Fassung der Teile II und III finden sich in C. Illies, „Human Dignity and Dar­ winism“, in: M. Düwell, J. Braarvig, R. Brownsword, D. Mieth (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Human Dignity: Inter-Disciplinary Perspectives, Cambridge 2014, S. 518-525. Teil IV basiert auf C. Illies, „Kann die teleologische Urteilskraft naturalisiert werden?“, in: M. Hofer, C. Meiler, H. Schelkshorn, K. Appel (Hrsg.), Der Endzweck der Schöpfung. Zu den Schlussparagraphen (§§ 84-91) in Kants Kritik der Urteilskraft, Freiburg 2013, S. 170-192. Für die kritische Durchsicht und hilfreiche Anmerkungen danke ich meinem Assistenten Alexander Fischer. A. Dodel, Moses oder Darwin? Eine Schulfrage. Allen Freunden der Wahrheit zum Nachdenken vorgelegt, Zürich 1889. C. Darwin, The descent of man, and selection in relation to sex, 2. Aufl., London 1874, S. 99.

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Mit dieser musikalischen Alternative ist das Leitmotiv meiner Überlegungen angestimmt. Aber da die Frage, ob eine evolutionäre Sicht des Menschen das Ende der Moral bedeutet, noch zu allgemein gestellt ist, spitze ich sie weiter zu und richte den Blick auf ein konkre­ tes moralisches Urteil: Lässt sich die evolutionäre Sicht des Menschen mit einer normativen Sonderstellung im Sinne einer Menschenwürde verbinden? Bevor im Folgenden diese Frage positiv beantwortet werden wird, sei kurz der begriffliche Rahmen der Überlegungen präzisiert. Unter der „evolutionären Sicht“ wird hier die Darwinistische Erklärung der Menschwerdung verstanden, also die These, dass die Natürliche Selek­ tion in Verbindung mit ungerichteter Variation und knappen Ressour­ cen die entscheidenden Evolutionsfaktoren auch bei der Entstehung des Homo sapiens waren. (Das Besondere an Darwins Theorie ist ja nicht überhaupt eine Evolutionstheorie vorzulegen, sondern eine kausale Erklärung für die Entstehung der Arten anzubieten.) Der so verstandene Darwinismus ist das zentrale Erklärungsmoment un­ terschiedlicher Spezialwissenschaften, die sich dem, den Menschen auszeichnenden, Moralvermögen zugewandt haben, etwa der Sozio­ biologie und Evolutionspsychologie. Sie versuchen eine evolutionäre Erklärung dafür zu finden, dass wir in moralisch relevanter Weise han­ deln, bzw. befähigt sind Situationen moralisch zu bewerten und unser Verhalten nach diesen Bewertungen auszurichten. Es soll nun nicht darum gehen, die Ergebnisse dieser Wissenschaften im Einzelnen zu bewerten und zu kritisieren (obgleich viele ihrer Ergebnisse noch sehr spekulativ sind). Gefragt wird nur hypothetisch: Lässt sich unter der Annahme, dass darwinistische Erklärungen für die Menschwerdung und für einen angeborenen Moralsinn grundsätzlich plausibel sind, weiterhin daran festhalten, dass der Mensch auch tatsächlich (aus gu­ tem Grund) eine besondere Würde hat? Hier ist eine zweite Klärung vonnöten, denn der Begriff „Men­ schenwürde“ ist schillernd. Im Folgenden soll darunter verstanden werden, dass es einen besonderen normativen Status des Menschen gibt. Das heißt: Als Menschen haben wir einen moralischen Anspruch darauf, umfassend geachtet zu werden. Diese Forderung lässt sich auch in Form (moralischer) Rechte formulieren, die uns Menschen zuste­ hen: zum Beispiel das Lebensrecht, ein Recht auf körperliche und see­ lische Unversehrtheit sowie einen geschützten Entfaltungsraum, aber auch der Anspruch auf Hilfe, wenn man in Not ist. Ihnen korrespon­ dieren moralische Pflichten, den Anderen in entsprechender Weise zu

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behandeln, also seine Rechte zu respektieren oder ihm zu helfen, wenn er in Not ist. Die klassische Formulierung findet der Gedanke einer Menschenwürde in Kants Ethik. Er stellt die kategorische Forderung ins Zentrum, den Mensch niemals als bloßes Mittel, sondern immer auch als Selbstzweck zu behandeln. Zur Menschenwürde gehört seit Kant auch der Universalisierungsgedanke: Unabhängig von Alter, Ge­ schlecht, Überzeugungen oder Religion kommt sie allen Menschen zu, einfach nur weil sie Menschen sind. (Bzw. weil sie als Menschen potentiell freie, sich selbst bestimmende Vernunftwesen sind, wie Kant argumentiert.) Ein drittes Merkmal des Menschenwürdeansatzes sollte erwähnt werden, da er für unsere Frage wichtig ist: In der Re­ gel wird der besondere Status des Menschen als unbedingt und nicht verhandelbar gesehen. Die Forderung, die Menschenwürde zu achten, ist nicht bloß auf Tradition, Religion oder bloße Gesetze gegründet, sondern wird als Vernunftforderung verstanden. Die Menschenwürde hängt also auch nicht davon ab, ob wir bereit sind sie zu akzeptieren, sondern sie ist, jedenfalls in der Kantischen Tradition, eine Folge rich­ tigen Verstehens und Begreifens.4 Will man klarstellen, worüber man spricht, sollte man auch hin­ zufügen, worum es nicht geht. Darum sei betont, dass allein der moralische Begriff der Menschenwürde mein Thema ist, kein rechtlicher Begriff. Ob die Menschenwürde (und die mit ihr verbundenen mora­ lischen Rechte bzw. Pflichten) eine positivrechtliche Fassung in na­ tionalem oder internationalem Recht findet oder finden sollte, kann ausgeklammert bleiben. Geklärt werden soll nur, ob ein darwinistisch erklärbarer Moralsinn eine Grundlage für eine Ethik darstellen kann, die an moralischen Forderungen in einem unbedingten Sinne festhält.5 Oder, wie wir jetzt noch genauer formulieren können: Lässt sich eine darwinistische Erklärung der Menschwerdung, einschließlich seiner moralischen Vermögen, mit einer Menschenwürde

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Das heißt, es gibt gute Gründe den Menschen so zu sehen: Es ist rational bzw. ver­ nünftig. Und wenn es vernünftig ist, dann ist es eben für unser Denken unhinter­ gehbar, also gleichsam absolut – weswegen Kant von einem kategorischen Imperativ spricht. Denn wenn die Vernunft sagt, dass wir den Menschen so sehen sollten, dann können wir uns auf nichts anderes berufen, um das in Frage zu stellen. Für das ver­ nünftige Fragen ist die Vernunft alternativlos. Eine schwächere Form der Ethik, die moralische Forderungen lediglich auf Traditio­ nen oder subjektiven Interessen gründet, findet darwinistische Erklärungen ohne­ hin unproblematisch, da sie selbst eine Form der Naturalisierung darstellt.

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im Sinne eines allen Menschen zukommenden, unbedingten und vernunftgegründeten Anspruchs auf Achtung und Respekt verbinden? Um zu zeigen, dass diese Kompatibilität denkbar ist, müssen wir vor allem auf drei Herausforderungen eine Antwort finden. Erstens löst die Evolutionstheorie den klassischen Artbegriff auf und die schar­ fe Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt. Ohne eine solche Abgrenzung scheint aber die Rede von einer Sonderstellung unhalt­ bar. (II.) Diese Sonderstellung wird zweitens dadurch infrage gestellt, dass eine evolutionäre Sicht des Menschen ihn jener Besonderhei­ ten zu berauben scheint, auf deren Grundlage ihm traditionell die Würde zugesprochen wird. Sind wir nicht lediglich etwas komplexere Instinktwesen, deren Autonomie nur eine Illusion ist? (III.) Drittens hat die jüngste Evolutionstheorie noch einen besonderen Pfeil im Kö­ cher: Durch die evolutionäre Sicht droht eine Naturalisierung unserer moralischen Urteile, zum Beispiel auch des Urteils, dass der Mensch eine besondere Würde hat. Wenn aber die Rede von einer besonderen Würde des Menschen selbst nur eine angeborene Überzeugung ist – wie kann sie da noch beanspruchen, richtig zu sein? (IV.) Doch die Menschenwürde ist robust genug, um diesen Herausforderungen zu widerstehen, wie in allen drei Fällen argumentiert werden wird. Was nicht heißt, dass sich die Ethik bequem zurücklehnen kann: Die Evolu­ tionstheorie zwingt nämlich durchaus, die Würdeethik neu zu beden­ ken, wie abschließend gezeigt werden soll (V.).

II. Das Ende des Homo sapiens? „The doctrine of human dignity says that humans merit a level of moral concern wholly different from that accorded to mere animals; for this to be true, there would have to be some big, morally significant differ­ ence between them. Therefore any adequate defence of human dignity would require some conception of human beings as radically different from other animals. But that is precisely what evolutionary theory calls into question.“6 Für James Rachels verlangt die Menschenwürdeethik, dass der Mensch scharf von den Tieren abgrenzbar sein müsse. In diesem Sin­ 6

J. Rachels, Created From Animals, Oxford 1990, S. 171-172. Rachels folgert aller­ dings, dass man deswegen die Würde ausbreiten müsse.

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ne hielt auch Mortimer Adler die Menschenwürde für gescheitert, so­ bald der Unterschied zwischen Mensch und Tier nicht mehr kategorial wäre. Für Adler ist daher der Darwinismus bzw. die evolutionäre Sicht des Menschen mit dem Gedanken einer absoluten Menschenwürde unvereinbar, eben weil damit diese strikte Grenze aufgelöst werde.7 In der Tat lässt sich aus evolutionärer Perspektive an keiner stren­ gen Differenz zwischen Homo sapiens und anderen Arten festhalten, weil der Artbegriff allgemein problematisch wird. Die traditionelle Auffassung, der essentialistische oder typologische Artbegriff, charak­ terisierte Arten anhand morphologischer Merkmale und unterschied anhand dieser Merkmale streng zwischen den verschiedenen Arten. Dagegen ist nach dem phylogenetischen oder evolutionsbiologischen Verständnis eine „Art“ lediglich eine Sequenz zeitlich aufeinander folgender Populationen. Eingeschlossen sind alle Individuen einer solchen Population im Zeitverlauf und eine Art endet erst durch das Aussterben oder wenn es zu einer Aufspaltung in unterschiedliche Populationen, also neue Arten, gekommen ist. Die Individuen einer Art können dabei durchaus morphologisch stark variieren und die Un­ terschiede innerhalb einer Art über die Zeit können größer sein als zwischen zwei verwandten Arten. Entsprechend steht auch die Art Homo sapiens in einer kontinuierlichen Reihe mit vorausgegangenen Populationen. Es gibt ein Übergangsfeld zwischen Homo erectus und Homo sapiens und wenn wir weiter zurückgehen, stoßen wir auf den Homo rudolfensis und den Australopithecus anamensis. Weder hier, noch bei der Abtrennung der Schimpansen von den Menschenartigen vor 5 bis 6 Millionen Jahren, ist das Kontinuum durch eine klare Linie durchbrochen. Auch die Fortpflanzungsgemeinschaft ist kein scharfes Kriterium zur Abtrennung von Arten: Nicht nur dürften in den meisten Fällen Populationen (wenigstens theoretisch) mit ihren Stammarten kreuzbar sein, auch abgespaltene Arten können sich meist noch lange fruchtbar miteinander fortpflanzen (wie etwa der Tiger und der Löwe).8 Das gilt auch für den Menschen, der sich offensichtlich erfolgreich und frucht­

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So in seinem 1967 erschienenen Buch The Difference of Man and the Difference it Makes. Was in der Natur allerdings kaum vorkommt, denn nur bei geographischen oder an­ dersartigen Fortpflanzungsbarrieren können sich überhaupt Populationen zu neuen Arten aufspalten.

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bar mit Nachbararten paaren konnte, wie der jüngste Nachweis von Neandertalergenen beim Menschen belegt. Evolutionsbiologisch ist die Rede von einer „Art“ also nur ein Hilfskonstrukt, mit dem ein dynamisches und letztlich ungeglieder­ tes Phänomen künstlich eingeteilt wird, um überhaupt über diese sich verästelnde und ständig verändernde Kontinuität sprechen zu können. Schon 1896 zieht der amerikanische Botaniker Liberty Hyde Bailey diesen Schluss: „Species are, therefore, a human contrivance, and the only value which the modern naturalist can attach to them, as such, is their temporary convenience as a means and vehicle of thinking and writing about the organic creation.“9 Der „Art“ also entspricht keine biologische Entität – wie kann die Würdeethik dann noch dem Homo sapiens eine besondere Würde zusprechen? Es reicht als Antwort nicht, dass sich die Frage praktisch nicht mehr stellt, wie wir unsere Vorfah­ ren oder die Neandertaler hätten behandeln sollen. Das Problem ist grundsätzlicher Natur: Spricht die Würdeethik einem kaum abgrenz­ baren, bloßen Konstrukt einen besonderen, ja absoluten normativen Status zu? Doch auch in dieser Fassung kann der Einwand zurückgewiesen werden. Erstens ist eine ethische Begriffsbildung auch bei nicht klar abgrenzbaren Phänomenen sinnvoll möglich (i). Zweitens ist die Wür­ deethik gar nicht auf die Art als biologische Entität gegründet und kann deswegen die evolutionsbiologische Auflösung des klassischen Artbegriffs überstehen (ii). Schauen wir auf beide Erwiderungen. (i) Braucht die Ethik scharf abgrenzbare Phänomene? Die Notwen­ digkeit, sich auch dort sprachlich zu orientieren, wo Phänomene keine klare Abgrenzung zeigen, ist eine ganz allgemeine Herausforderung für das Denken. Schon der Vorsokratiker Zenon von Elea verwies auf Paradoxien, die entstehen, wenn wir eine Welt, die letztlich eine konti­ nuierliche Einheit darstellt, in Kategorien teilen wollen. So formulierte er die Paradoxie des Haufens (Sorites-Paradoxie). In ihrem Zentrum steht die Unmöglichkeit anzugeben, ab wie vielen Teilen es sich tat­ sächlich um einen „Haufen“ handelt Sind 100 Sandkörner ein Hau­ fen? Wenn ja, warum nicht 99? Wenn auch 99, warum nicht 98? usw. Aber zu der Paradoxie gehört auch, dass wir sehr wohl sinnvoll von „Haufen“ sprechen können – obgleich wir sie nie numerisch genau definieren können. Eine ähnliche Unschärfe begegnet uns auch bei der 9

L. H. Bailey, „The Philosophy of species-making“, in: Botanical Gazette 22/1896, S. 454-462, hier S. 457.

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Extension vieler Begriffe. Ist die Berliner Siegessäule ein „Gebäude“ oder eine Skulptur? Sind Viren Lebewesen? Ist Türkis eine eigene Far­ be oder eine Schattierung von Blau oder Grün? Die Frage ist nicht aus der Sache zu beantworten, sondern wird meist pragmatisch entschie­ den oder bleibt einfach offen – und dennoch können wir sehr wohl erkennen, dass der Reichstag ein Gebäude ist, dass Katzen leben und wann eine Ampel auf Grün springt. Für die Begriffsbildung genügt es, einen idealtypischen Anwendungsfall beschreiben zu können. Das gilt auch für die Begriffe der Ethik: Wir wissen was Folter ist, auch wenn unklar ist, welche konkreten Formen psychischer Grausamkeit dazu gezählt werden sollten. Ebenso lässt sich die Lüge definieren, ohne dass damit schon entschieden wäre, wann genau Schweigen als Lügen be­ trachtet werden muss. Und auch hinsichtlich der Frage, was ein Mensch ist, kennt die Ethik solche Abwägungsprobleme: Sollte man totipoten­ ten Stammzellen ein Lebensrecht zugestehen? Wie gehen wir mit ei­ nem Anenzephaliker um? Auch hier stellt sich die Frage, wem wir den Sonderstatus und in welchem Umfange zusprechen, ohne dass damit der Begriff einer besonderen Würde selbst fraglich würde. Auch die Menschenwürdeethik hat ja in ihrer Geschichte um die angemessene Extension des Begriffs lange gerungen und erst allmählich diese Wür­ de universal, also allen Menschen zugesprochen (nachdem zunächst durchaus Unterschiede zwischen Mann und Frau, Erwachsenem und Kind und Menschen unterschiedlicher Ethnien gemacht wurden). (ii) Ohnehin ist die Konzeption einer Menschenwürde nicht an eine biologische Gegebenheit gekoppelt, sondern an besondere Eigenschaf­ ten eines (wie auch immer beschaffenen) Wesens. Denn in der Regel wird die Menschenwürde damit begründet, dass Menschen eine Auto­ nomie im Sinne einer Freiheit zur moralischen Selbstbestimmung haben (ein Wesen ist autonom, wenn es das Gute aus freien Stücken tun kann). In sehr verkürzter Form lässt sich wie folgt argumentieren: Wenn es etwas Gutes gibt, dann ist es auch gut, dieses Gute zu fördern und in seinem Sinne zu handeln. Die notwendige Voraussetzung dafür ist aber eine Autonomie oder Moralfähigkeit des Handelnden, also das Vermögen, das Gute zu tun. Dann aber muss es aber auch gut sein, diese Autonomie zu achten und zu respektieren – weil eine Ethik ande­ renfalls selbstwidersprüchlich wäre. Sie kann nicht einerseits das Gute fordern und andererseits neutral dazu stehen, ob das Gute tatsächlich gefördert wird. Wenn aber die zentrale Voraussetzung dafür, das Gute fördern zu können, die Autonomie ist, dann folgt, dass es auch gut ist, diese Autonomie grundsätzlich zu befördern. Womit wir in etwa

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bei Kants Formulierung des Kategorischen Imperativs angelangt sind, nach dem wir den anderen Menschen nicht instrumentalisieren, son­ dern ihn immer (auch) als Selbstzweck, also als selbstbestimmtes au­ tonomes Wesen, achten sollten.10 Was folgt aus einer solchen Begründung?11 Der Bezug der Begrün­ dung zum Homo sapiens ist letztlich kontingent. Jedes autonome We­ sen hat den besonderen normativen Status, ganz unabhängig davon, in welcher biologischen (oder nicht biologischen) Gestalt es vor uns tritt. Eine konsequente Menschenwürdeethik schlösse daher Nean­ dertaler und Marsmenschen ein, sofern sie wenigstens im Prinzip mo­ ralfähig wären, und müsste auch auf Formen künstlicher Intelligenz ausgeweitet werden, wenn diese zu autonomen Entscheidungen fä­ hig wären.12 Die Unabhängigkeit von der biologischen Basis zeigt sich daran, dass wir auch heute schon Menschen mit sehr unterschiedli­ chen genetischen Ausstattungen diese Würde zusprechen; und auch unser Erbgut von dem unserer Vorfahren abweicht. So vermutet man zum Beispiel, dass die heutigen Melanesier auf den pazifischen In­ seln auch von den Denisova-Menschen abstammen, welche wiederum nur entfernt mit dem modernen Homo sapiens, dafür näher mit dem Neandertaler verwandt waren.13 (Die Evolution vieler Taxa verläuft nicht linear sondern vernetzt (reticulat), so dass eine Art verschiede­ ne Abstammungslinien haben kann, die sich einmal abspalteten, spä­ ter aber wieder kreuzten.) Für die Forderung nach einer allgemeinen Würde des Menschen stellen solche genetischen Besonderheiten keine Schwierigkeit dar; jedes moralfähige Wesen wird eingeschlossen, un­

10 Für eine sorgfältige und ausführliche Begründung der menschlichen Freiheit als zentralem Wert der Ethik siehe etwa A. Gewirth, Reason and Morality, Chicago, London 1978. 11 Man kann natürlich darüber debattieren, ob diese Begründung hinreichend ist. Aber das ist ein rein philosophisches Problem, hier helfen uns Einwände der Evolutions­ biologie nicht weiter. Und allein die will ich hier diskutieren. 12 Freilich wird die Ethik vor dem Problem stehen, dass nicht alle Individuen einer moralfähigen Population selbst moralfähig sind; ein Neugeborenes hat zum Beispiel noch keine Autonomie in diesem Sinne. Die allgemeine Antwort der Würdeethik ist, alle Mitglieder einer Population einzuschließen, die wenigstens im Prinzip diese Eigenschaft besitzen. Aber dieses Problem ist hier nicht unser Thema – es reicht festzuhalten, dass der Bezug zu der biologischen Basis kontingent ist. Wer oder was auch immer die Eigenschaften besitzt, hat einen Anspruch auf die Zusprechung ei­ ner Würde. 13 Die Denisova-Menschen kamen zur Altsteinzeit im Altaigebirge (Südsibirien) vor und werden als eine eigene Population der Gattung Homo verstanden.

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abhängig von seinem Erbgut und seinen Vorfahren. Und sogar unab­ hängig davon, ob er zur Art des Homo sapiens gehört. Daher bleibt die Würdeethik auch unberührt von der Auflösung des klassischen Artbe­ griffs. Es sei angemerkt, dass die Frage nach der Extension der Menschen­ würde durchaus Probleme aufwirft. Nicht jeder Mensch ist in vollem Sinne autonom; manche sind es zeitweise nicht (wie ein Betrunkener, ein Schlafender oder ein Neugeborenes), andere vielleicht nie (wie ein Schwerstbehinderter). In der Regel schließen wir sie alle ein, weil wir den typischen Vertreter als Maßstab nehmen – und der typische Mensch ist nun mal moralfähig. Was genau ein typischer Mensch ist und warum die Würde auch bei Grenzfällen eher großzügig als re­ striktiv zugesprochen werden sollte, sind schwierige Fragen, die wir hier aber offen lassen können. Denn sie haben nichts mehr mit der evolutionsbiologischen Auflösung des klassischen Artbegriffs und den schwammig gewordenen Grenzen der Art zu tun. Der erste Einwand lässt sich daher zurückweisen. Es braucht kei­ ne feste Artgrenze, um Menschen eine Würde zuzusprechen. Jedes auto­nome Wesen erhebt aus gutem Grund diesen Anspruch. Besuchen uns einmal Marsmenschen, treffen wir auf gentechnisch modifizier­ te Mensch-Tier-Hybride oder könnten wir in einer Zeitreise unseren evolutionären Ahnen begegnen, so wäre in jedem Fall ihre Moralfä­ higkeit die entscheidende Grundlage unseres Umgangs mit ihnen.

III. Der Mensch als Tier?14 Auf Grundlage der Evolutionstheorie lässt sich aber eine zweite Frage vorbringen: Ist der Mensch nur ein Naturwesen wie die anderen Tie­ re? Bei diesem Einwand wird nicht die Abgrenzung eines Wesens mit besonderer Würde problematisiert, sondern grundsätzlich bestritten, dass Mitgliedern der Art Homo sapiens eine solche Würde zukommen sollte. Denn in zwei Weisen kann man dem Menschen aus evolutions­ biologischer Sicht die Autonomie absprechen wollen, auf der ja diese Würde gründet: Entweder indem man die Freiheit des Menschen be­ 14 Eine ausführlichere Diskussion der Probleme des genetischen Determinismus und Egoismus findet sich in „Der Mensch im Schatten der Gene“, in C. Illies, Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter, Frankfurt 2006, S. 187-213.

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zweifelt oder indem man ihn für unfähig hält, anders als egoistisch zu handeln. Denn beides, die freie Selbstbestimmung wie auch das Vermögen Gutes zu wollen, sind die Voraussetzungen der Autonomie (bzw. der Moralfähigkeit). Schauen wir zunächst auf die Freiheit. Ist sie nur eine Illusion, mit der sich der Mensch selbst erhöht? Bereits Nietzsche spricht in diesem Sinne von den vielen eitlen und schwärmerischen Deutun­ gen, die von uns Menschen „bisher über jenen ewigen Grundtext homo natura gekritzelt und gemalt wurden“.15 Der Einwand wird heute von Seiten der Neurobiologie in etwas nüchternerer Sprache vorgetragen: Vielleicht meinen wir nur frei zu sein, während wir ei­ gentlich von neuronalen Prozessen gelenkt werden. Aber der Einwand wird auch von evolutionsbiologischer Seite formuliert (die uns hier allein interessiert): „Ein Verstehen der oft unbewußten Natur der genetischen Kontrolle ist der erste Schritt zu der Einsicht, daß wir in allen Bereichen [...] lediglich Marionetten sind“.16 Nun ist es be­ zeichnend, dass ein solcher Gendeterminismus sich vornehmlich in populärwissenschaftlichen Büchern zur Evolutionsbiologie befindet; Evolutionsbiologen vertreten ihn in der Regel nicht.17 Aber sie könn­ ten sich über die Reichweite ihrer eigenen Theorie irren. Es lohnt da­ her, kurz zu fragen, ob es genetische Anlagen zur Entwicklung von Gefühlen und Einstellungen beim Menschen geben könnte, die in einem entsprechenden Kontext unweigerlich zu einer entsprechen­ den Handlung führen. Ein solcher Gendeterminismus steht nun aber nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Evolutionsbiologie, son­ dern übersteigt sie bei weitem. Wir sind weit davon entfernt, Kau­ salketten von einzelnen Genen zu einem bestimmten Verhalten zu finden. Bestenfalls finden sich statistisch signifikante Häufungen von Verhaltensmustern bei bestimmten genetischen Anlagen. Die Evo­ lutionsbiologie kann also lediglich zeigen, dass wir angeborene Dis­ positionen haben, die sich allerdings erst in einem sozio-kulturellen Umfeld entfalten müssen – und dies je nach Umfeld durchaus un­ terschiedlich tun. Eine angeborene Musikalität macht noch keinen Musiker, sondern benötigt einen guten Unterricht und geduldige El­ 15 F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, in: G. Colli, M. Montinari (Hrsg.), Kritische Studienausgabe, Bd. 5, München 2012, S. 169. 16 R. Wright, The Moral Animal, New York 1994 (dt. Diesseits von Gut und Böse, München 1996), S. 37. 17 Siehe in diesem Sine etwa E. O. Wilson, Consilience. The Unity of Knowledge, New York 1998, S. 205.

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tern, die zum Üben motivieren. Determinierend können genetische Anlagen also schon wegen der kontingenten Entfaltungsbedingungen nicht sein – es sei denn, man verträte zudem noch einem kulturellen Determinismus, der aber empirisch nicht belegt werden kann. Kurz­ um: Angesichts unseres heutigen Wissens ist die Gendeterminismus­ these eine bloße Spekulation und sicher kein starker Einwand gegen die Annahme einer Autonomie des Menschen. Die evolutionstheoretische Vermutung eines universalen Egois­ mus scheint zunächst vielversprechender, um dem Menschen seine Moralfähigkeit abzusprechen. Sind wir so veranlagt, dass wir die Ent­ scheidungsfreiheit, die wir wohl besitzen, letztlich nur in unserem egoistischen Interesse nutzen? Haben wir also bei aller Freiheit doch keine Autonomie im Sinne der Fähigkeit, sich frei unter moralische Gebote zu stellen, sondern denken zwanghaft-angeboren letztlich nur an unsere Vorteile? Schließlich stehen wir, wie alle gegenwärtigen Organismen, als ‚Sieger‘ am Ende einer hunderte von Millionen Jahre lange evolutionären Konkurrenzgeschichte; wir sind die Nachfahren jener Lebewesen, die sich erfolgreich und rücksichtslos gegen ande­ re durchgesetzt haben (die Verlierer der Evolution sind alle ausge­ storben). Folgt daraus nicht, dass wir alle genetische Egoisten sind, weil die Evolution stets die belohnt, die mehr an sich und die eigenen Nachkommen als an Artgenossen und andere gedacht haben? Dieses Argument ist deswegen besonders gewichtig, weil es eine der zen­ tralen Leistungen der jüngeren Evolutionsbiologie (der Soziobiologie) darstellt, sogar den vermeintlichen Altruismus im Tierreich als (ego­ istische) Anpassungsstrategie erklären zu können: Der Verzicht auf Reproduktion oder die Hingabe des eigenen Lebens (wie zum Beispiel bei Ameisensoldaten) dient letztlich der Weitergabe eigener Gene, die ja auch durch Verwandte in die nächste Generation getragen werden können. In ähnlicher Weise folgen viele Verhaltensweisen des Menschen einer solchen Logik der Weitergabe eigener Gene durch scheinbare Selbstlosigkeit. Die ältliche Tante, die statt nach einem Ehemann zu suchen sich um die Kinder ihrer Schwester kümmert, dient letztlich ebenso ihren Genen wie der stets hilfsbereite Nachbar. Denn die Nich­ ten und Neffen tragen die Gene der Tante (zwei von ihnen so viel wie ein eigenes leibliches Kind), so dass es der Logik der Gene entspricht, bei geringen eigenen Reproduktionschancen lieber indirekt seinen Ge­ nen zu dienen. Und der nette Nachbar profitiert davon, dass ihm in Notsituationen ebenfalls geholfen wird, was wiederum im Interesse

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seiner Gene ist.18 So ist jedenfalls die soziobiologische Erklärung, die auf diese Weise hinter allen Antrieben, und damit auch hinter der ver­ meintlichen moralischen Handlung, einen Genegoismus identifiziert  – „the ultimate goal that the mind was designed to attain is maximizing the number of copies of the genes that created it“.19 Wenn diese Ana­ lyse stimmen sollte, dann wäre es um unsere Moralfähigkeit schlecht bestellt, weil wir letztlich nur egoistische Ziele haben, selbst dort, wo unser Tun vermeintlich selbstlos ist. Kants Argument, dass Wesen, die Gutes tun können, auch Achtung verdienen, würde also gar nicht ange­ tastet. Es würde nur bestritten, dass der Mensch ein solches Wesen ist. Aber auch dieser Angriff auf die Autonomie kann nicht überzeu­ gen: Zum einen erfasst er nur einen Teil des menschlichen Verhaltens, zeigt also bestenfalls, dass es eine Disposition dazu gibt, im Interesse seiner Gene zu handeln. Es finden sich viele Situationen, die nicht der Genlogik entsprechen, so etwa hilfsbereite fremde Menschen, die nicht erwarten können, irgendwann diese Hilfe erwidert zu bekommen. Es mag eine dem Menschen angeborene Versuchung sein, das liebe Selbst im Auge zu behalten, und eine heuchlerische vermeintliche Selbstlo­ sigkeit, die auf eine Gegenleistung spekuliert, ist sicher häufig (und all das hat die Ethik bereits seit Jahrtausenden thematisiert). Aber die empirischen Belege sprechen nicht dafür, im Genegoismus ein Letzt­ ziel allen Handelns zu sehen (das „ultimate goal that the mind was designed to attain“).20 Es ist zweitens nicht einmal klar, was „ultimate goal“ hier eigent­ lich heißen soll. Es kann kein bewusstes Ziel hinter jedem Handeln gemeint sein oder auch nur eines, das man ins Bewusstsein heben könnte. So erleben wir unser Handeln nicht. Die Tante wird subjek­ tiv ehrlich versichern können, aus Liebe ihren Nichten zu helfen, wie auch der hilfsbereite Mensch genuin freundlich sein kann. Wollte man ihnen allen und in allen Situationen doch einen (vielleicht unbewuss­ ten) Egoismus unterstellen, müsste man diesen irgendwie nachweisen 18 Siehe zum nepotischen und reziproken Altruismus beim Menschen die Darstellung in C. Illies, Philosophische Anthropologie, (wie Anm. 14), S. 129-134. 19 Steven Pinker, „Evolutionary psychology is controversial“, http://www.flyfishing­ devon.co.uk/salmon/year3/psy339evaluation-evolutionary-psychology/evaluationevolutionary-psychology.htm#pc-ep (letzter Aufruf am 30.04.2014). 20 Soziobiologen wie Richard Alexander versuchen zu zeigen, dass in solchen Fällen der Genegoismus das letzte Ziel bleibe, aber der Mensch fälschlich meine, es mit den gewählten Mitteln erreichen zu können. Wenig spricht dafür, dass Alexander recht hat.

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können. Aber dafür sprechen die Befunde der Evolutionsbiologie gar nicht; hier werden zwar gewisse Gefühle und Antriebe (wie Verwand­ tenliebe oder sexuelle Lust) als genetisch vorgegeben angenommen, damit wir uns reproduzieren. Aber die Evolutionsbiologie behauptet nicht, dass wir eine genetische Anlage hätten, an unsere Gene zu den­ ken oder gar ein besonderes Gen-Gefühl zu entwickeln. Angenom­ men wird stattdessen, dass genetisch angelegte Dispositionen uns bzw. diesen Genen nützlich sind, also funktional für das eigene Überleben und die Fortpflanzung. Funktionalität ist aber keineswegs mit einem Egoismus gleichzusetzen; es sind zwei unterschiedliche Kategorien. Wir nennen ja auch nicht den Baum „egoistisch“, nur weil er Wurzeln entwickelt, um Wasser aufzunehmen.21 Funktionalität steht aber nicht im Gegensatz zu Autonomie, was man schon daran erkennt, dass man (autonom) darum bemüht sein kann, möglichst effizient-funktional moralisch zu handeln. Drittens ist Fitness steigerndes Verhalten des Menschen schon des­ wegen nicht egoistisch, weil es letztlich überhaupt nicht um den einzel­ nen Menschen geht, der so handelt, sondern um etwas Anderes, etwas Allgemeineres: Die Logik der Fitness fordert, bestimmte Erbinforma­ tionen in die nächste Generation weiterzugeben und zu vervielfälti­ gen. Der konkrete Träger dieser Gene (bzw. das Gen mit Fitness) stirbt letztlich und weicht für seine Kopien bzw. Nachfahren. Evolutionär gesehen geht es letztlich darum zu weichen (bzw. ist das vorteilhaft für die Gene), um Nachfahren Platz zu machen. Das ist nicht „egoistisch“ im Sinne wirklicher Selbstbezogenheit. Die Evolutionsbiologie kann also weder zeigen, dass der Mensch gendeterminiert, noch dass er zum Egoismus verdammt ist. Die Mög­ lichkeit zum moralischen Handeln kann sie ihm daher nicht abspre­ chen, womit der zweite Einwand zurückgewiesen ist. Daher haben wir weiterhin einen guten Grund, ihm eine besondere Würde zuzuspre­ chen.

21 Ob dann aber Gene „egoistisch“ genannt werden können, wie es Dawkins in seinem berühmten Buchtitel nahelegt, brauchen wir hier nicht zu behandeln, weil es um den normativen Status des Organismus Mensch geht und um dessen Autonomie, nicht um die Moralfähigkeit seiner Gene. Dass auch diese Rede vom egoistischen Gen unsinnig ist, zeige ich in: C. Illies, Philosophische Anthropologie, (wie Anm. 14), S. 199-206.

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IV. Naturalisierung der praktischen Vernunft IV.1 Werturteile als Anpassungen ohne Wahrheitsanspruch? Damit kommen wir zum letzten Problem, das sich durch die Evoluti­ onsbiologie für die Menschenwürde stellt: Könnte es nicht sein, dass das Urteil, der Mensch habe eine Würde, nur eine Anpassung ist? Viel­ leicht denken wir so, weil es selektiv vorteilhaft ist, so zu denken. Und warum sollte dann das Urteil darüber hinaus noch wahr oder richtig sein? In der Einleitung seines Buches Der Mythos der Moral (2001) argumentiert Richard Joyce in diesem Sinne, dass es ein völliger Irr­ glaube sei, es gäbe tatsächlich moralische Werte. Wenn wir ‚Töten ist falsch!‘ sagen und meinen, dass es wirklich so sei (bzw. das Urteil rich­ tig sei), dann machen wir uns etwas vor. Nach dem wirklich Guten hin­ ter diesen Urteilen zu fahnden sei letztlich deswegen genauso sinnlos wie die Suche der alten Chemiker nach dem Phlogiston. Phlogiston nämlich gibt es gar nicht, es ist ein Hirngespinst. Richard Joyces Argument steht in einer langen Reihe anderer „Entlarvungen“ der Moral, die von Kallikles und Thrasymachos über Hobbes und Hume bis zu Nietzsche, Freud, Wittgenstein und Foucault reicht.22 Aber seine Variante ist für uns besonders interessant, weil er sich explizit auf die Evolutionstheorie bezieht, vor allem auf die Er­ gebnisse der Evolutionspsychologie. Wir sind mit genetisch gegebenen Anlagen ausgestattet, so wird hier allgemein argumentiert, die uns na­ helegen, in einer bestimmten Weise zu denken und zu urteilen, die im Interesse unseres selektiven Erfolgs ist – bzw. es für unsere Jäger- und Sammlervorfahren in der damaligen Selektionsumgebung war. Unser moralisches Urteilsvermögen ist ein altes Erbe, um in der frühmensch­ lichen Horde den Zusammenhalt zu stabilisieren und verlässliche Verhaltenserwartungen zu generieren. Uns erscheine also gleichsam intuitiv das als richtig, was für die Kooperation funktional sei und da­ mit letztlich der Verbreitung unsere Gene diene. Während die frühen Verhaltensbiologen sehr allgemein von Antrieben, Impulsen, Gefüh­ 22 Sie alle haben Werturteile als Illusion entlarven wollen, indem sie etwas NichtMoralisches anboten, was den eigentlichen Kern der vermeintlichen Werturteile ausmachen sollte. Wenn wir meinen, Vernunftgründe für Handlungen anzuführen, so sind es nur versteckte Gefühle und Leidenschaften, argumentiert Hume. Und Nietzsche sieht die Moral als Tarnmäntelchen des Willens zur Macht und der er­ strebten Herrschaft über andere. Er will diese verlogene Maske abreißen und den nackten Egoismus der Bestie Mensch zeigen, der sich dahinter versteckt.

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len oder Verhaltensdispositionen sprachen, wird hier die handlungs­ auslösende Instanz spezifiziert. Es geht um das Vermögen, in bestimm­ ter Weise die Welt zu beurteilen. Dafür wird eine Anlage vermutet, die sich in der natürlichen Selektion durchgesetzt haben soll. Von der Evolutionstheorie werden so Erklärungen für beides angeboten: Für die Tatsache, dass Menschen überhaupt moralische Urteile fällen. Aber auch für den konkreten Inhalt zumindest einiger dieser Urteile (bei­ spielsweise die positive Bewertung von wechselseitiger Hilfe und die Verurteilung von Inzest).23 Für eine solche Erklärung angelegter Urteilsvermögen bzw. Urteile spielt nun eine mögliche Wahrheit oder Falschheit dieser Urteile keine Rolle; selektioniert werden Vermögen allein danach, ob sie funktio­ nal sind zur Lösung lebensweltlicher Herausforderungen. Aus dieser evolutionären Perspektive ist unsere Urteilskraft ein Genvermeh­ rungsmechanismus, wie gute Augen oder ein leistungsfähiges Herz. Deswegen wird auch vermutet, dass wir bei einer anderen Selektions­ geschichte heute ganz andere Urteile fällen würden. Dies illustriert schon ein Gedankenexperiment von Charles Darwin in The descent of man, and selection in relation to sex (1871): „Nehmen wir zum Beispiel den Extremfall, dass nämlich die Men­ schen unter genau denselben Bedingungen wie Honigbienen aufge­ zogen würden. In diesem Fall hielten es zweifellos unsere unverhei­ rateten Frauen, ebenso wie die Arbeiterinnen bei den Bienen, für eine heilige Pflicht, ihre Brüder zu töten. Und Mütter würden versuchen, ihre fruchtbaren Töchter zu töten. Und niemand käme auf den Gedan­ ken, dagegen einzuschreiten.“24 Darwin argumentiert also, dass unsere Wertvorstellungen nur des­ wegen selektiert wurden, weil sie unsere Fitness steigerten, nicht etwa weil sie wahr oder richtig wären. Wenn die natürliche Selektion uns un­ ter anderen Umständen geformt hätte, etwa in steter Konkurrenz um ein sehr viel geringeres Nahrungsangebot, dann hätten wir heute viel­ leicht die angeborene Überzeugung, dass alle getötet werden dürften, 23 Auch wenn viele Details dabei ungeklärt sind, zum Beispiel, ob wir die Disposition für konkrete moralische Urteile besitzen oder lediglich eine angeborene Neigung, einige Überzeugungen eher zu haben als andere. C. S. Sripada, „Nativism and Mo­ ral Psychology: Three Models of the Innate Structure that Shapes the Contents of Moral Norms“, in: W. Sinnott-Armstrong (Hrsg.), Moral Psychology Vol. 1: The Evolution of Morality. Adaptations and Innateness, Cambridge 2007, S. 319-343. 24 C. R. Darwin, The descent of man, and selection in relation to sex, Bd. 1, London 1871, S. 73.

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die für die Fortpflanzung nichts mehr beitrügen, zum Beispiel unsere alt gewordenen Eltern. Menschen hätten also keine Würde im Sinne eines Lebensrechts.25 Der zentrale Punkt des Einwands ist also, dass die evolutionäre Funktionalität ihrer eigenen, situationsgebundenen Lo­ gik folgt und es sich erübrigt, darüber hinaus nach der Richtigkeit der als funktional angeborenen Urteile zu fragen. „[O]ur moral beliefs are entirely independent of their truth“, schreibt Joyce, „which forces the recognition that we have no grounds one way or the other for maintai­ ning these beliefs“.26 Und Joshua Greene nennt moralische Werturteile in diesem Sinne „a kind of moral confabulation“.27 Es wird bei diesem Einwand nicht bestritten, dass wir Werturteile fällen, aber diese Urteile werden durch eine kausale Erklärung natu­ ralisiert (also auf funktional-kausale Zusammenhänge reduziert). Da­ mit, so der Einwand, könne das Urteil aber keinen Gültigkeitsanspruch mehr erheben. Das gibt dem Einwand die besondere Schärfe: Wenn das Denken selbst naturalisiert wird, worauf sollte es sich dann noch berufen, um sich gegen seine Naturalisierung zu verwehren? Die zen­ trale These des dritten Einwands lautet also: Weil sich für biologisch angelegte Werturteile eine evolutionäre Erklärung findet, sind sie kei­ ne gültigen Einsichten. Auf den hier untersuchten Fall der Ethik einer allgemeinen Menschenwürde bezogen, heißt das dann: Weil das biologisch angelegte Werturteil, alle Menschen hätten eine besondere Würde, eine evolutionäre Erklärung findet, drückt es keine gültige Einsicht aus. Es muss hinzugefügt werden, dass aus evolutionsbiologischer Sicht nicht bestritten wird, dass wir unsere moralischen Überzeugungen für richtig bzw. objektiv gültig halten. Aber das sagt nichts über ihren tat­ sächlichen Wahrheitswert, denn auch diese Überzeugung zweiter Stu­ fe könnte eine besonders raffinierte Anpassung sein. Es ist nämlich 25 Und es wird berichtet, dass sich kulturell in derartigen Umständen solche Über­ zeugungen tatsächlich herausbilden. Im gebirgigen Nordjapan, wo Hunger auf der Tagesordnung stand, hielten es angeblich Menschen noch vor hundert Jahren für ihre moralische Pflicht, mit 70 Jahren aufzubrechen, um auf dem Gipfel des Berges Narayama auf den Tod zu warten, damit sie ihren Kindern und Kindeskindern nicht mehr zur Last fielen. So wird es in dem japanischen Roman Die Ballade von Narayama (1956) von Shichiro Fukazawa geschildert, der auch mehrfach verfilmt wurde. 26 „Metaethics and the Empirical Sciences“, Philosophical Explorations 9/2006, S. 133148. 27 J. Greene, „The Secret Joke of Kant’s Soul“, in: W. Sinnott-Armstrong (Hrsg.), Mo­ ral Psychology Vol. 3: The Neuroscience of Morality. Emotions, Brain Disorders, and Development, Cambridge 2007, S. 35-79, hier S. 63.

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evolutionär durchaus vorteilhaft, sie für gültig zu halten; wer das tut, wird in besonderer Weise von seinen Werturteilen zum Handeln moti­ viert sein und zum Beispiel besser kooperieren28 – und zwar weit mehr, als wenn er moralische Urteile für bloß subjektive Geschmacksurteile hielte. Deswegen spricht die Evolutionsbiologie von einer angeborenen „Illusion“ objektiver Geltung: „morality is a function of (subjective) feelings; but it shows also that we have (and must have) the illusion of objectivity.“29 Diese Illusions-Hypothese macht den evolutionsbiolo­ gischen Entlarvungseinwand besonders robust gegenüber Kritik. Denn wer den Entlarvungseinwand damit zurückweisen wollte, dass dieser den objektiven Charakter moralischer Urteile verkenne (eben weil die ja stets schon einen objektiven Gültigkeitsanspruch einschlössen), dem wird der Evolutionspsychologe gar nicht widersprechen müssen. ‚Frei­ lich!‘, kann er antworten. So verstehen wir unsere moralischen Urtei­ le. Aber gerade diese Denknotwendigkeit ist selbst wieder funktional. Es ist evolutionär sinnvoll, moralische Urteile für richtig zu halten, weil wir dann unser Verhalten nachdrücklich nach ihnen ausrichten. Aber das heißt eben nicht, dass sie tatsächlich objektiv gültig wären – sondern nur, dass wir dazu selektioniert wurden, sie in diesem Sinne zu verstehen. IV.2 „Alle Menschen haben eine besondere Würde“ – ein evolutionspsychologischer Erklärungsversuch Nachdem der dritte Einwand zunächst allgemein dargestellt wurde, muss er jetzt für die Frage unserer Überlegungen konkretisiert werden: Lässt sich plausibel machen, dass wir eine Anlage dafür haben, Menschen eine besondere Würde zuzusprechen? Erik Wielenberg hat jüngst eine Erklärung vorgeschlagen, die das leisten könnte. Sie soll hier kurz vor­ gestellt werden (wenn auch in einer für unsere Zwecke leicht modifi­ zierten Form). Die Erklärung besteht aus zwei Teilschritten:30

28 M. Ruse, E. O. Wilson, „The Evolution of Morality“, New Scientist 1478/1985, S. 108-128. 29 M. Ruse, Taking Darwin Seriously, Oxford 1986, S. 254. Ruse spricht hier zwar von Gefühlen als Träger moralischer Wertungen, aber sein Argument lässt sich auch auf Urteile übertragen. 30 E. Wielenberg, „On the evolutionary debunking of morality“, Ethics 120(3)/2010, S. 441-464.

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Erstens scheint jeder Mensch sich selbst einen besonderen Status zuzusprechen. Der Mensch hält sich für irgendwie wichtig, achtensund schützenswert – bzw. als (einen) letzten Zweck seines Handelns. Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass eine solche Selbsteinschät­ zung angeboren ist. Gene mit der Anlage, so über sich zu urteilen, würden ja die evolutionäre Fitness ihres Trägers stärken. Denn der­ jenige, der sich als Lebewesen anderen von vorneherein unterordnet und keinen Wert auf sein eigenes Gedeihen und Wohl legt, der ist auch nicht motiviert, sich zu schützen und sich hartnäckig zu wehren, wenn andere ihn für ihre Zwecke ge- oder missbrauchen wollen. Nur wer sich um sich mit ganzer Kraft bemüht, hat in einer Welt wie der uns­ rigen eine Chance zu überleben und sich fortzupflanzen. Diese Erklärung genügt aber noch nicht. Denn sie bleibt auf den Einzelnen beschränkt bzw. dürfte bestenfalls unsere Verwandten ein­ schließen (Nepotismus steigert die Fitness meiner Gene). Aber wa­ rum sollten wir den Status darüber hinaus allen Menschen gewähren? Damit kommen wir zum zweiten Schritt. Erik Wielenberg vermutet eine Art Ähnlichkeitsprinzip am Werk („Likeness Principle“), nämlich dass wir „Dinge, die hinsichtlich ihrer bekannten Eigenschaften ähn­ lich sind, auch hinsichtlich ihrer unbekannten Eigenschaften für ähn­ lich halten“.31 Grundsätzlich dürfte es durchaus funktional sein, wenn Menschen ähnliche Fälle ähnlich behandeln, also auf Basis des Like­ ness Principle denken. Dann aber wäre auch eine genetische Anlage für eine entsprechende Überzeugung bzw. Denkanlage beim Menschen durchaus naheliegend und ein Selektionsvorteil: Wer automatisch mit dem Ähnlichkeitsprinzip denkt, kommt schneller zu vorteilhaften Ein­ sichten. Wenn das Ähnlichkeitsprinzip aber eine Konstante unseres Ur­ teilens ist, also jeden Denkvorgang begleitet, sollte es, im Fall der im ersten Schritt genannten Selbstachtung, Anwendung finden. Auch hier ist eine Generalisierung möglich: Ich muss aufgrund des Prinzips annehmen, dass der besondere normative Status allen Lebewesen zu­ gestanden werden muss, die mir als Mensch ähnlich sind. Wer mit uns die bekannten Eigenschaften teilt, also wer wie ich zur Spezies Mensch gehört, der teilt auch unsere unbekannten oder unsichtbaren Eigen­

31 Ebd., S. 445.

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schaften, nämlich vor allem die, ein Selbstzweck zu sein. Der Satz, „Ich bin Selbstzweck“ wird so zum All-Satz: „Jeder ist Selbstzweck“.32 Auf diese Weise könnte man mit der Evolution jene dem Menschen naturgegebene Überzeugung versuchen zu erklären, dass alle Men­ schen eine Würde haben. Ob die Erklärung in dieser Weise korrekt ist, muss beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zwar offen bleiben. Die genauen Mechanismen, die hinter den angenommenen geneti­ schen Anlagen stehen könnten, in bestimmter Weise zu urteilen und denken, sind uns ohnehin noch völlig unbekannt. Aber da eine solche Anlage, auch für ein Urteilen über die Menschenwürde, grundsätzlich plausibel erscheint, dürfen wir sie als eine rationale Option ernst neh­ men und auf ihrer Grundlage fragen: Kann das biologisch angelegte Werturteil, alle Menschen hätten eine besondere Würde, eine gültige Einsicht sein, wenn es eine evolutionäre Erklärung zugrundelegt, wie etwa die eben skizzierte? IV.3 Erkenntnisanspruch trotz evolutionärer Erklärbarkeit? Es drängt sich eine unmittelbare Zurückweisung dieses Einwands auf, nämlich: Genese und Geltung sind zu differenzieren: Es besteht kei­ ne logische Verbindung zwischen der evolutionären Entstehungsge­ schichte eines Urteils und seiner tatsächlichen Geltung. Daher können Anlagen zur Bildung bestimmter Urteile durchaus evolutionär funk­ tional sein. Ohne dass deswegen etwas darüber ausgesagt wäre, ob die Urteile falsch oder richtig wären. Wenn wertende Urteile nicht auf be­ schreibende zurückgeführt werden können, wie David Hume betont hat, dann erwarten wir genau diese logische Unabhängigkeit. Daher ist es durchaus möglich, dass wir evolutionär angelegte Urteile haben und dass diese Urteile (unabhängig davon) auch korrekt oder falsch sind. Für die Zurückweisung des Einwands lässt sich auf einen Parallel­ fall verweisen. Nämlich auf die evolutionäre Erklärung angeborener Dispositionen für theoretische Urteile, also dass wir evolutionsbedingt die Welt in bestimmter Weise sehen oder beschreiben müssen. Die na­ türliche Selektion hat uns vermutlich mit einer Fülle solcher Anlagen 32 Wielenberg lässt es unentschieden, ob es auch unsere Fitness erhöht anzunehmen, dass jeder Mensch einen besonderen normativen Status hat, oder ob diese Annahme lediglich eine Folge von einem Denkprinzip ist, das zu haben in anderen Umständen vorteilhaft ist.

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ausgestattet, etwa mit der Überzeugung, dass alle Ereignisse in der Welt kausal vernetzt sind: Wenn etwas geschieht, dann erwarten wir stets, dass es dafür eine Ursache gibt. Und vermutlich müssen wir die Welt so sehen, weil wir dieses evolutionäre Erbe in uns tragen. Aber diese Annahme einer kausal geordneten Welt ist zugleich richtig; die Welt ist tatsächlich so, dass alles eine Ursache hat. Und das überrascht nun nicht, denn es ist ja gerade deswegen evolutionär funktional die Welt kausal geordnet zu sehen, weil sie wirklich so ist. Eine adäqua­ te Vorstellung von der Welt ist durchaus nützlich, wenn man in ihr zurechtkommen will. Wir hätten also eine Situation, die gegen den Einwand spricht: Eine Situation, in der ein biologisch angelegtes Urteil zugleich eine gültige Einsicht ist. Warum, so diese Standard-Zurück­ weisung, sollte das bei Werturteilen nicht ebenso sein?33 Nun ist es zwar unbestreitbar, dass Genese und Geltung logisch voneinander unabhängig sind. Aber die Richtigkeit des moralischen Urteils scheint im Fall seiner evolutionären Erklärbarkeit doch viel „schwerer zu schlucken“ als bei theoretischen Annahmen, wie Robert Wright in The Moral Animal schreibt.34 Warum bereitet sie Schluck­ probleme? Weil es einen großen Unterschied zwischen theoretischen und wertenden Urteilen gibt: Im theoretischen Fall ist die Struktur der Wirklichkeit ein wichtiger Grund dafür, warum eine entsprechen­ de Annahme sich bei uns entwickelt haben könnte. Unser Urahn mit der Neigung, stets nach Ursachen zu suchen, hatte in unserer kau­ sal geordneten Welt einfach bessere Überlebenschancen. Aber im Fall wertender Urteile scheinen wir keinen offensichtlichen begründenden Zusammenhang zu finden. Nach Wright sind falsche Annahmen über moralische Tatsachen (falls es solche Tatsachen überhaupt gibt) nicht unbedingt schlecht für unsere Fitness. Dass zum Beispiel Gruppen­ fremden mit Abwehr oder gar Aggression begegnet werden darf, ist

33 Nicht alle Evolutionstheoretiker würden allerding so weit gehen, das bezüglich theoretischer Urteile zu sagen. R. Trivers argumentiert etwa: „[T]he conventional view that natural selection favours nervous systems which produce ever more ac­ curate images of the world must be a very naive view of natural selection“. („For­ word“, in R. Dawkins, The Selfish Gene, Oxford 1976, S. vi). Ein ähnlicher Zweifel bezüglich der Glaubwürdigkeit unserer Überzeugungen wurde bereits von Charles Darwin erhoben, etwa in seinem Brief an William Graham vom 3. Juli 1881 (in: F. Darwin (Hrsg.), The Life and Letters of Charles Darwin Including an Autobiographical Chapter, Bd. 1, London 1887, S. 315-316). 34 Es sei „harder to buy“, schreibt Wright, sobald wir die „biological machinery behind this illusion“ kennten (Wright, wie Anm. 16, S. 339).

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(wenigstens aus Sicht einer universalistischen Ethik) durchaus ein fal­ sches moralisches Urteil – aber so zu urteilen ist durchaus nützlich oder war es wenigstens in dem selektiven Umfeld unserer Ahnen. Deswegen ist der dritte Einwand nicht so einfach zurückzuweisen. Denn wenn Darwins Bienenfabel recht hat und es nur von den Zufäl­ ligkeiten unserer Evolutionsgeschichte abhängt, dass wir urteilen, alle Menschen hätten eine Würde, dann erschiene es doch zu seltsam, dass dieses Zufallsergebnis zugleich richtig und wahr sein sollte. Sharon Street spricht davon, dass wir hier ein „höchst ungewöhnliches Zu­ sammentreffen“ annehmen müssten zwischen „unabhängigen norma­ tiven Wahrheiten, die der [moralische] Realist postuliert, und den mo­ ralischen Ansichten, zu denen wir von evolutionären Kräften gedrängt werden.“35 Der Verweis auf die logische Kompatibilität von Wahrheit und Funktionalität reicht nicht – das „höchst ungewöhnliche Zusam­ mentreffen“ von Genese und Geltung plausibel zu machen ist eine zentrale Herausforderung für jeden, der an der Richtigkeit unserer moralischen Überzeugungen festhält, argumentiert Street. Stellen wir uns also dieser Herausforderung. Nun ist erstens festzustellen, dass das Zusammentreffen nicht ganz so ungewöhnlich ist, wie Street nahelegt. Denn schließlich nimmt die Evolutionspsychologie an, dass wir manche angeborene Über­ zeugungen haben, die nicht im Einklang mit dem moralisch Rich­ tigen stehen. Die fremdenfeindlichen Tendenzen wurden ja bereits genannt. Auch dass Menschen Blutsverwandte vorziehen, oder dass wir in bestimmten Situationen eine Bereitschaft zum Töten von Kon­ kurrenten und sogar von Kindern zeigen, wäre zu nennen. Die Wür­ deethik behauptet also, dass nur einige unserer angeborenen morali­ schen Überzeugungen tatsächlich richtig bzw. wahr sind. Wir sind ein höchst schillerndes Geschöpf, in dem sich moralische und unmorali­ sche Impulse und Tendenzen vermengen und uns in unterschiedliche Richtungen drängen. Nicht ohne Grund hat Pico Della Mirandola be­ merkt, dass der Platz des Menschen in der Schöpfungsordnung zwi­ schen Bestien und Engeln sei.36 Und wir haben nicht nur widerstre­ 35 „[S]triking coincidence between the independent normative truths posited by the realist and the normative views that evolutionary forces pushed us toward“, wie Sharon Street schreibt, die noch hinzufügt, es sei die fundamentale Herausforde­ rung für den Realisten „to explain this coincidence“. (S. Street, „Reply to Copp: Naturalism, Normativity, and the Varieties of Realism Worth Worrying About“, in: Philosophical Issues 18/2008, S. 207-228.) 36 Pico Della Mirandola, Über die Würde des Menschen, Hamburg 1999, S. 6.

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bende Neigungen, sondern manchmal überhaupt keine in Bereichen, die dennoch moralisch relevant sind. Kurz: Das Zusammentreffen zwi­ schen angeborenen Annahmen und moralischer Richtigkeit ist gerin­ ger als Street unterstellt; es geht darum, dass sich einige richtige Über­ zeugungen unter den sehr unterschiedlichen (guten wie schlechten) angeborenen Überzeugungen des Menschen befinden. Dass es dennoch viele Konvergenzen zwischen genetischen An­ lagen und Moralforderungen gibt (man denke an die Aufopferung von Eltern für ihre Kinder), ist nun deswegen sogar naheliegend, weil es ja in beiden Bereichen um etwas Ähnliches geht, nämlich um das menschliche Wohl: Unsere genetischen Anlagen dienen unserem Wohl (unserer Gesundheit, sozialen Kooperationen etc.), weil dies die Voraussetzung für Reproduktion und damit evolutionären Erfolg ist. Aber ebenso fordert die Moral eine Sorge um das menschliche Wohl. Die teleologische Ethik stellt das Wohl meist direkt ins Zentrum des Handelns. Aber auch Kant spricht von der „Glückseligkeit“ anderer Menschen als einen „Zweck [...] der an sich selbst Pflicht“37 ist, wobei er zur Glückseligkeit ausdrücklich die „physische Wohlfahrt“38 zählt. Er sieht sie als Voraussetzung freien Handelns und zählt dazu „Wohl­ habenheit, Stärke, Gesundheit und Wohlfahrt“.39 Alan Gewirth führt in seinem Hauptwerk Reason and Morality (1978) Kants Ansatz wei­ ter und expliziert jene Güter, die er als Voraussetzung menschlicher Handlungsfreiheit moralisch gefordert sieht – und die er für rational letztbegründet hält. Da der Mensch ein biologisches Wesen ist, kon­ vergieren die moralischen und genetisch-evolutionären Forderungen in vieler Hinsicht. Wie weit dabei die Konvergenz geht, ist nicht entscheidend. Hätte etwa Wielenberg mit seiner oben skizzierten Erklärung Recht, dann fände sich in dem zentralen Ethikbereich der Menschenwürde eine sehr weitgehende Deckung von einem angeborenen und einem Ver­ nunfturteil.40 Natürlich könnte es sein, dass unsere angeborene Dispo­ sition nicht so weit reicht – vielleicht haben wir kein zusätzliches Ähn­ lichkeitsprinzip als Vorgabe unseres Denkens, oder jedenfalls keines, 37 I. Kant, Metaphysik der Sitten, Akademie Ausgabe, Bd. VI, Berlin, New York 1968, S. 386. 38 Ebd., S. 393. 39 Ebd., S. 388. 40 R. Boyd und P. J. Richerson haben ebenfalls argumentiert, dass es durchaus auch genetische Anlagen zu einem universalen Altruismus geben könnte. Dann wäre die Übereinstimmung noch größer.

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das stark genug wäre, uns zur praktischen Anerkennung des Selbst­ zweckcharakters anderer zu nötigen. (Man bedenke, wie skrupellos die Menschen in ihrer Geschichte einander immer wieder gequält und ab­ geschlachtet haben.) In diesem Fall würde das moralische Gebot sich nur zu einem sehr kleinen Teil mit einem angeborenen überlappen, nämlich nur im Falle der Sorge um uns selbst. Egal wie groß nun ge­ nau der Unterschied zwischen bzw. die Konvergenz von moralischen und evolutionären Zielen ist: Die Anlagen zu praktischen Urteilen sind damit den Anlagen zu theoretischen ähnlicher, als man zunächst an­ nehmen könnte. Denn wie es fitnesssteigernd ist, richtige Urteile über die Natur zu fällen (zum Beispiel dass sie kausal geordnet ist), so ist es fitnesssteigernd, richtige (wahre) Urteile über die soziale Welt zu fällen (zum Beispiel, dass wechselseitige Hilfe oder aufopferungsvolle Liebe den eigenen Kindern gegenüber gut ist). Aber vielleicht ist das Erklärungsproblem gar nicht, dass geneti­ sche Anlagen für Urteile und genuin moralische Urteile konvergieren können, als das Gegenteil, dass sie nämlich oft im Widerspruch zu­ einander stehen, also divergieren. Was ist zu Darwins Bienenfabel zu sagen, nach der wir Menschen in einer ganz anderen sozio-kulturellen Situation auch ganz andere Werturteile fällen würden? Also in einer bienenartigen Gesellschaft nicht allen Menschen eine Würde zusprä­ chen? Zunächst ist einzuwenden, dass Darwin ja nur über evolutionär angelegte Urteile spricht – wenn die in seiner Bienenwelt tatsächlich so wären, dann wäre die Diskrepanz zwischen genetisch angelegten Handlungszielen und moralischen Werturteilen eben viel größer als bei uns heute (denn Argumente, wie die Kants, für einen Selbstzweck­ charakter aller Menschen ändern sich ja nicht deswegen, weil der Mensch plötzlich in einem Bienenstock lebt). Mehr folgt eigentlich nicht aus dem Gedankenexperiment. Aber Darwins Bild fordert zu einer Klarstellung auf: Auch eine Ethik, die an der Richtigkeit, Wahrheit oder Gültigkeit von Wert- oder Zweckurteilen festhält, bestreitet nicht, dass es gefordert ist, diese kon­ text-sensitiv anzuwenden. Die Urteile über notwendige Zwecke bei Kant sind zum Beispiel auf allgemeinster Ebene angesiedelt und lassen Refle­ xionen über konkrete Anwendungen und Abwägungen zu. So folgt aus der Bestimmung des Menschen als Selbstzweck zwar der Schutz seines Lebens, aber Töten aus Notwehr bleibt moralisch erlaubt. Das heißt auch, dass bei einer menschlichen Gesellschaft im Bienenstock zwar viele For­ derungen anders wären (die Würdeforderung anders übersetzt werden müsste, weil Bienenmenschen vermutlich andere Bedürfnisse hätten).

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Aber es würde nicht bedeuten, dass es ein moralisches Tötungsgebot für Brüder gäbe. Warum sollte es? – auch in unserer Kultur gibt es viele Menschen, die sich nicht reproduzieren, ohne dass Stimmen laut würden, oder es gar vernünftige Gründe gäbe, sie deswegen zu töten. Andererseits kann es auch bei Nicht-Bienenmenschen Notsituationen geben, wie in kargen Gebirgsregionen Japans, in denen es vielleicht eine moralische Pflicht für alte Menschen geben könnte, sich für andere zu opfern (vermutlich aber nur eine super-erogatorische). Solche Grenzsi­ tuationen werden in der Ethik immer wieder diskutiert. Aber das sind keine Fälle gänzlich anderer moralischer Maßstäbe, sondern (oft tra­ gische) Situationen, in denen zwischen moralischen Forderungen ab­ gewogen werden muss. Eine Relativität aller moralischen Werturteile folgt aus ihnen nicht, sondern lediglich, dass Funktionalität und Mora­ lität gelegentlich (tragischerweise) auseinanderklaffen. Vermutlich wollte Darwin aber mit seinem Beispiel zeigen, dass in der menschlichen Bienengesellschaft andere moralische Urteile zu einer Denknotwendigkeit würden und es deswegen ohnehin keine Vernunftgründe für moralische Urteile gäbe, sondern diese lediglich biologische Notwendigkeiten spiegeln. Aber gerade das gelingt mit der Bienengeschichte nicht. Würde der Mensch tatsächlich unter einem solchen Denkzwang stehen, so hätten wir eine gänzlich andere Situa­ tion. Dann wäre der Mensch gar kein Mensch mehr, sondern wirklich eine Biene. Er hätte ja gerade die Autonomie nicht mehr, um deretwil­ len wir ihm einen besonderen normativen Status zusprechen. Diese Freiheit der eigenen Urteilsbildung ist Fundament der Moralfähigkeit und daher der entscheidende Unterschied zu anderen Tieren. Die freie Urteilsbildung begründet also seine besondere Würde und der Mensch hätte sie eben nicht, wenn er wie eine Biene wäre, die nur biologisch festgelegte Urteile fällen kann.41 Werturteile, wie das einer universalen Menschenwürde, können also durchaus biologisch angelegt sein und eine objektive Gültigkeit beanspruchen. Wenn gute Gründe für die Werturteile sprechen, dann bleiben diese auch dort gültig, wo die Urteile zugleich evolutionär funktional sind. 41 Was nicht heißt, dass Menschen, die man bienenartig leben lässt und so indoktri­ niert, dass sie nicht mehr wirklich frei denken, keine Würde mehr hätten. Denn die­ se hätten weiterhin das Potential, sich frei zu bestimmen und moralisch zu handeln. Nur Lebewesen, die grundsätzlich nicht moralfähig sind (also Bienen) haben auch keine Menschenwürde.

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Evolution und Menschenwürde

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V. Darwin und Kant! Nach dem Gesagten können wir festhalten, dass die evolutionäre Sicht mit einer Sonderstellung des Menschen im Sinne der Menschenwürde einhergehen kann – jedenfalls taugen die drei diskutierten Einwände nicht, um die These einer allgemeinen Menschenwürde fraglich wer­ den zu lassen. Darwin und Kant sind möglich. Und doch haben die angeschnittenen Diskussionen Folgen für eine Ethik der Menschenwürde. Wenn Würdezusprechung auf der Moral­ fähigkeit gründet und nicht auf der Zugehörigkeit zu einer bestimm­ ten biologischen Spezies, dann ist die Würdeethik erstens prinzipiell offen für Erweiterungen. Sollten unsere Vorfahren schon lange mo­ ralfähig gewesen sein, so hätten sie auch einen Anspruch auf Achtung gehabt, aber dasselbe gilt für andere Lebewesen wie etwa Primaten. Sollten sich also auch bei höheren Säugern, bei Walen oder Gorillas, Spuren der Autonomie, also der moralischen Selbstbestimmung finden, dann müsste in der Tat auch diesen der besondere Status zugesprochen werden. Es wäre nur ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte des Ringens um die Reichweite der Menschenwürde, aber kein funda­ mentales Problem. Damit wäre die Ethik zwar komplexer, wie Marcus Düwell jüngst gezeigt hat,42 aber nicht inkonsistent. (Dass sich eine Ethik der Menschenwürde mit einer Achtung gegenüber anderen Le­ bewesen verbinden lässt, haben ja etwa Albert Schweitzer und Hans Jonas schon vor Jahrzehnten gezeigt.43) Zweitens kann der evolutionsbiologische Einwand einmal mehr ins Bewusstsein rufen, wie wichtig eine philosophische Begründung der Menschenwürde ist. Denn eine evolutionäre Erklärung dafür, wie wir zu moralischen Urteilen kommen, ist dann das letzte (vernünftige) Wort, wenn für die Geltung dieser Urteile nur auf Traditionen oder Intuitionen verwiesen werden kann und auf wirkliche Begründungen. Und eine solche Begründung kann aber nicht, das sei hier betont, aus der biologischen Beschreibung des Menschen kommen.44 Die Natur­ 42 Marcus Düwell, „Dignity Beyond Humanity – Animal Ethics and the Concept of Human Dignity“, in: Düwell, Braarvig, Brownsword, Mieth (wie Anm.1). 43 Siehe etwa A. Schweitzer, Die Ehrfurcht vor dem Leben – Grundtexte aus fünf Jahrzehnten, München 1991, und H. Jonas, The Phenomenon of Life, Chicago 1966. 44 Im Umfeld dieser Kritik ist auch der oft gegen die Würdeethik erhobene Speziezis­ mus-Einwand zu finden. Peter Singer hat ihn besonders laut erhoben; er spricht von einem „Vorurteil oder eine Haltung der Voreingenommenheit zugunsten der Inter­ essen der Mitglieder der eigenen Spezies und gegen die Interessen der Mitglieder

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wissenschaft ist normativ stumm, mit ihren Methoden kann sie keine Gründe nennen, warum der Mensch einen besonderen Status haben soll. Deswegen erscheinen Mensch und Tier für den Biologen gleich­ wertig: „[T]he capacity for reason is simply one adaptation among many millions that have evolved in the animal kingdom. We like to think that reason is a supreme adaptation; that rational animals de­ serve preferential treatment […]. However, after Darwin, this is no different and no more convincing than say, an elephant thinking that trunks are the supreme adaptation.“45 Dahinter steht jedoch der Irr­ tum anzunehmen, eine naturwissenschaftliche Beschreibung sei in der Lage Wert zu oder in diesem Fall abzusprechen. Dass der Mensch kraft seiner Vernunft, vor allem aber wegen der auf ihr aufbauenden Moralfähigkeit mit Recht „preferential treatment“ verlangt, lässt sich jedoch nur mit philosophischen Argumenten (wie den oben skizzier­ ten) zeigen – und die Suche nach solchen Argumenten ist daher eine dringliche Aufgabe. Es ist drittens entscheidend für die Würdeethik, den Zusammen­ hang zwischen Richtigkeit und Neigung tiefer zu bedenken. Häufig wird ja von ethischer Seite, vor allem in der kantischen Tradition, ein Bezug auf angeborene Neigungen zurückgewiesen oder steht wenigs­ tens unter Generalverdacht; das Gute könne nicht zugleich naturge­ geben sein. Kant argumentiert zum Beispiel, dass die Beförderung der eigenen Glückseligkeit kein moralisches Gebot sei, weil wir es ohne­ hin täten; es sei der „menschlichen Natur unvermeidlich“.46 Aber das scheint nicht plausibel: Warum soll etwas nur deswegen kein morali­ sches Gebot sein, weil es auch eine angeborene Disposition gibt, es zu tun? Dasselbe gilt ja auch für die Mutterliebe und ähnliche Neigun­ gen. Wenn die oben vorgelegten Gedanken zutreffen, dann sollte es eher so erscheinen, als ob die Natur durchaus oft mit der Moral – bzw. dem vernünftig Geforderten – konvergiert.47 Und das könnte man als anderer Spezies.“ (P. Singer: Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere. Reinbeck, 1996, S. 35.) Aber der Einwand ist offensichtlich unzutreffend, weil ja die Würde nicht nur der Spezies, und einfach nur weil sie diese Spezies ist, zugesprochen wird, sondern jeder Spezies, die moralfähige Wesen hat und zwar wegen dieser Moralfä­ higkeit. 45 S. Stewart-Williams, Darwin, God and the Meaning of Life: How Evolutionary Theory Undermines Everything You Thought You Knew, Cambridge 2010, S. 263/4. 46 Kant (wie Anm. 37), S. 387. 47 Wie eine solche Konvergenzanthropologie aussehen könnte, habe ich an anderem Ort zu zeigen versucht: Illies (wie Anm. 1).

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Evolution und Menschenwürde

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einen glücklichen Zustand sehen, dass nämlich wenigstens ab und an „die Natur im Menschen nach demselben Ziel hinwirkt wohin die Mo­ ralität treibt“ (wie Kant selbst schreibt48). Ist die Evolutionstheorie die Totenglocke oder der Fanfarenstoß einer neuen Ethik? Weder das eine, noch das andere, so ist unsere musikalische Bilanz. Aber ihre Einsichten in die Natur des Menschen könnten der Generalbass, das harmonische Gerüst sein, welches die Melodie der Menschenwürde begleitet. Und wir haben die Pflicht, mit den vielen Instrumenten unseres praktischen Handelns diese Melodie immer wieder neu zum Klingen zu bringen.

48 I. Kant, Vorarbeiten zum Ewigen Frieden, Akademie Ausgabe, Bd. VI, Berlin, New York 1955, S. 192.

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Human Evolution, Culture, and the Balance Between Individual and Social Learning1

Introduction „Let us suppose the mind to be, as we say, white paper void of all characters, without any ideas. How comes it to be furnished? … To this I answer, in one word, from experience.“2 „… most behavior that is of interest here evolved in the Pleistocene.“3

We now know that humans do not really begin life as tabulae rasae; instead we arrive as infants with certain instinctive behaviors and with tendencies often having some genetic basis (i. e. non-zero heritabilities4). We also know that humans evolved from an ape ancestor shared with chimpanzees about 6-8 million years ago; yet our unprecedented intellectual capacity, socialization, and cultural accomplishments have developed during the most recent 10 % or less of that interval. Does this mean that the behavioral traits of contemporary humans are largely inherited from Pleistocene hunter-gatherers? The key to those unprecedented human traits is behavioral flexibility. Humans occupy an enormous range of habitats (indeed we cre1

2 3 4

I thank Monique Borgerhoff Mulder, Chip Bruce, Evelyn Korn, Andy Sih, and Brittany Slabach for reading and commenting on the manuscript and Lillie Crowley for mathematical advice. I appreciate the invitation from the organizers to present this work at the conference „Anthropology in the Ancient and Modern World: Biological and Philosophical Conceptions of Man“ held in Marburg, Germany, February 20-22, 2013. I also thank Evelyn for being an excellent host during my winter and spring visit to Marburg in 2013. J. Locke, An Essay Concerning Human Understanding, 1690/1947. P. H. Rubin, Darwinian Politics: The Evolutionary Origin of Freedom, New Brunswick 2002. P. Hatemi, R. McDermott, „The genetics of politics: discovery, challenges and pro­ gress“, in: Trends in Genetics 28/2011, p. 525-533.

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ate our own habitats) and meet the increasingly complex challenges associated with our overwhelming success in propagating the species mainly by making behavioral adjustments to novel conditions.5 Our evolutionary heritage constrains the extent of our flexibility, particularly by keeping us focused on fitness-related solutions (e. g. those that provide nutritious food, opportunities to aid kin and develop beneficial social relationships, access to mates, and better survival). But the impossibility of encoding in genes the solutions to unpredictable challenges seems to have sent us in the evolutionary direction of a large, energetically expensive brain with which to find those solutions. In that sense, Locke6 may have been closer to the truth than Rubin7 and his kindred contemporary spirits in the social sciences, who assert that much of contemporary human behavior may have directly evolved from behavior in our hunter-gatherer past.8 During the evolution of hominins, the primary problems to be solved were foraging (particularly the acquisition of enough meat as a source of protein and fat to feed a group),9 dealing with a stressful and changing climate,10 and – especially during benign climatic intervals of population expansion in Africa and Europe – issues of security, withingroup cooperation and conflict, and warfare among tribal groups.11 This scenario can be understood as a public goods game: group competition based on the contributions of individuals within the groups.12 Advantages in this game are thought to have accrued from group coordination and cultural development; but I will argue that individual learning as the source of fitness-enhancing knowledge and cultural advance

5 6 7 8

9 10 11 12

R. Lewontin, The Triple Helix: Gene, Organism, and Environment, Harvard 2002. S. above n. 1. S. above n. 2. E. g. see R. Frank, Passions with Reasons: The Strategic Control of the Emotions, New York 1988; J. H. Barkow, J. Toby (eds.), The Adapted Mind, Oxford, New York 1992; R. W. Wrangham, D. Peterson, Demonic Males: Apes and the Origin of Human Violence, New York 1996; P. Boyer: Religion Explained: The Evolutionary Origins of Religious Thought, New York 2001. M. Ridley, The Origins of Virtue: Human Instincts and the Evolution of Cooperation, New York 1996. R. Potts, „Variability selection in hominid evolution“, in: Evolutionary Anthropology 7/1998, p. 81-95. Wrangham, Peterson, s. above n. 7; M. P. Ghiglieri, The Dark Side of Man: Tracing the Origins of Male Violence, Reading 1999. See Ridley, s. above n. 8; D. S. Wilson, „A Critique of R. D. Alexander’s views on group selection“, in: Biology and Philosophy 14/1999, p. 431-499.

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Human Evolution and Culture

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may have been more important to group success and to the evolution of intelligence through increased brain size and function (here referred to as brainpower). Basically, brainpower increased during the emergence of Homo heidelbergensis, Homo neanderthalensis, and Homo sapiens under the influence of intense group-level interdemic selection.13 Though some instinctive behaviors could be selected for through individual selection across groups (e. g. snake avoidance, fecal aversion), much genetic specialization must have been erased by the changing environment and the need for flexibility. In an attempt to understand the interaction between genetic and cultural evolution under these conditions, R. McElreath and R. Boyd14 presented a model based on individual and social learning. Though the approach was insightful, the results were limited in application by assumptions about the mechanism of social learning and the direct inheritance of behavior. In what follows, I will develop a model related to the McElreathBoyd (MB) approach but with some key differences that lead to some different conclusions. Specific goals of the present study are to derive and use the model to show that it matters whether human behavioral traits originated primarily by learning or by (genetic) evolution; to argue that evolution is over-rated and learning is under-rated in determining human behavior during and since the Pleistocene; to consider how increasing reliance on social interactions and behavioral flexibility through individual and social learning could create selection pressures for the evolution of larger brains; and to address the role of climatic variation and environmental disturbances in the accumulation of culture – and the potential for that accumulation to help buffer the impact of the environment on human social groups.

13 R. G. Klein, The Human Career, Chicago 1999; R. Layton, S. O’Hara, A. Bilsborough, „Antiquity and social functions of multilevel social organization among human hunter-gatherers“, in: International Journal of Primatology 33/2012, p. 12151245. 14 R. McElreath, R. Boyd, Mathematical Models of Social Evolution: A Guide for the Perplexed, Chicago 2007.

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Analysis and Results Following MB, I begin by distinguishing two types of learning – individual and social – as alternative strategies for individuals within groups. Admittedly, these types and the distinction between them are a caricature, but a potentially instructive one. Individual learning is making new observations, achieving deeper understanding, and developing new concepts and methods as novel contributions by individuals that may be transmitted to the group’s common knowledge or store of information here called culture. Social learning is accessing and using this cultural trove that is the collective memory and skill set of the group, typically with guidance from its guardians and disseminators, to advance the prospects of individuals and the group as a whole. Individual learning carries its own direct benefits and costs (as fitness) for the learner as well as advancing cultural development of the group. Social learning may also enhance individual learning as well. To keep things simple, fitnesses of the respective strategies, subscripted i for individual learning and s for social learning, are expressed as wi = b – c (1) and ws = αX,

(2)

where b > c > 0; b is the benefit to the individual and the group achieved by individual learning, c is the cost of individual learning (errors, risks, and inefficiencies), X (> 0) is culture available to each social learner, and α (> 0) is the coefficient that translates X into the net benefit of social learning. Like MB, I assume that culture as socially transmittable group-specific information accumulates through advances made by individuals and communicated to the group and that individual learning is independent of culture; ignoring any positive feedback from culture here is a simplifying assumption that keeps the analysis analytically tractable (relaxing this assumption is addressed in the Discussion). The rate of cultural accumulation in the current model is proportional to benefit from individual learning b multiplied by the proportion p (0 < p < 1) of the group at any particular time that engages in individual learning. Here β (> 0) is the constant of proportionality for this accumulation rate, and δ (> 0) is the constant of proportionality for continuous cultural erosion and loss, potentially reflecting inefficiencies of social transmission (aka teaching); thus

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wi = b – c

(1)

e, fitnesses of the respective strategies, subscripted i for individual (2) ning, are expressed w ass = αX, nefit to the individual b –the c group achieved by individual learning, (1) w i =and simple,(errors, fitnesses of the strategies, subscripted for individual arning risks, andrespective inefficiencies), X (> 0) is culture iavailable to Evolution and Culture 263 areHuman expressed as >al0)learning, is the coefficient that translates X into the net benefit of social w s = αX, (2) wtransmittable (1) eefit that culture as socially group-specific information i =b–c Togroup keep things simple, fitnesses learning, of the respective strategies, subscripted i for individual to the individual and the achieved by individual dX/dt = and βbp –sδX. X (>learning, (3) ces made byTo individuals communicated to group and that and for social are expressed as arning (errors, risks, and inefficiencies), 0)the is culture available to subscripted i for individual keeplearning things simple, fitnesses of the respective strategies, w sany =of αX, (2)individual endent of culture; ignoring positive feedback from culture here keep things simple, fitnesses the respective strategies, subscripted w i is=ibfor c (1) 0) islearning the coefficient translates X into net benefit and s forthat social learning, are the expressed as of social Cultural accumulation and social learning in– the present model are he benefit to analysis the individual and thetractable group by individual learning, atthat keeps the (relaxing s for social are expressed as achieved andanalytically end culture aslearning, socially transmittable group-specific information = bassumption –c (1) w ithis ual learning (errors, risks, and inefficiencies), X (> 0) is culture available to on). similar and in principle but differ in specifics MB. wi = b –to cthe group (1) w s = αX, (2) es made communicated and that from and by individuals d α (> 0) is theincoefficient that translates X into thetonet benefit of social accumulation the current proportional from where bany >model c positive > to 0;isbMB, isfeedback theI benefit to individual achieved by individual learning, In contrast assume that the distinction between individual ndent of culture; ignoring from culture here isand the group wbenefit = αX, (2) sthe ssume culture as socially group-specific information plied bythat the < benefit ptransmittable < tractable 1) of group at any particular wthe = (relaxing αX, (2) X (>learning, sthe c social is cost of individual learning (errors, and inefficiencies), 0) is culture available to at keeps thebproportion analysis analytically this assumption where > and c > 0; b pthe is(0 the to individual and the risks, group achieved by individual learning is not genetically based: will adopt advances made by individuals and communicated to the group that an individual ual learning. Here β (> 0) is the constant of proportionality forand this c > 0; b is the benefit to the individual and the group achieved by individual each social learner, and α (> 0) is the coefficient that translates into the net benefit on). c is the cost of individual learning (errors, risks, and inefficiencies), X (>learning, 0) is Xculture available to of social independent ofthe culture; ignoring anytwo positive feedback from culture here implies is available one ofmodel these learning strategies the fit0)ofiseach the constant of proportionality for erosion st individual (errors, and inefficiencies), Xfrom (> 0) isthat to highest learning. Like MB, I continuous assume that culture as socially transmittable group-specific ccumulation in learning the current is isproportional to cultural benefit social learner, and α (>risks, 0) the coefficient that translates Xculture into the net benefit of social information ion that keeps analysis analytically tractable (relaxing this To keep things simple, fitnesses of the respective strategies, subscripted for individual inefficiencies social transmission (aka teaching); thus ness at refer the model presented here asinformation thetoidecision lng learner, αthe (>of 0) is that translates into theassumption net benefit social accumulates advances by individuals and of communicated the group and that lied by theand proportion p the (0

0)analysis is the constant of proportionality for w s(relaxing αX, lifetime as an individual or a social learner; but more likely, to even assume that the distinction and social learning isthis ing assumption that keeps the analytically tractable this assumption The rate ofindividual cultural accumulation in=the current model is proportional benefit (2) from dX/dt = βbp –between δX. (3) is addressed in the Discussion). ded δ in (>the 0) is theadopt constant of0;for proportionality for continuous cultural erosion where b individual >the c >cultural bof is the are benefit toin the individual and the by learning, dividual will one these twobsimilar learning strategies that To things simple, ofindividual thefrom respective strategies, su Discussion). allowing differences aptitude for the individuals learning multiplied by thekeep proportion pdifferent (0 0) isgroup the constant of proportionality for individual learning bthat multiplied by the proportion p (0i sfor

0) is(> the that translates Xproportionality into the net benefit w ithis =ofcultural b social – c erosion beach multiplied by the proportion p (0 < p0)coefficient

0) is the constant of for on efficiency at the level. Or itmore may best tothis think of each inand social learning in the present are similar in socially principle but be differ pting a lifetime role as an individual athat social learner; butof learning. Like MB, I–Here assume transmittable group-specific information and engages in individual learning. βor (>group 0) isculture the constant proportionality w b(> c model (1) = bcontinuous – c for (1 i = ifor and loss, reflecting inefficiencies of wsocial transmission (aka teaching); thus dividual will adopt the one of these learning strategies that accumulation rate, and δpotentially 0) istwo the constant of as proportionality cultural erosion fferences in aptitude for the different roles, individuals would be able accumulates through advances made by individuals and communicated to the group and that dividual as using a mix of the two learning types continuously, with p w = αX, s ion rate, and δ (> 0) is the constant of proportionality for continuous cultural erosion and dX/dt = βbp – δX. (3) anyand time. I refer to the model presented here as the decision making loss, potentially reflecting inefficiencies of social transmission (aka teaching); thus MB, I assume that the distinction between individual andcignoring social learning is with negligible effect efficiency at the group itteaching); may individual learning is independent of culture; positive feedback from is differ where blevel. >Or bindividual isany the benefit to the and group achiev potentially reflecting inefficiencies ofof social transmission (aka thus w son= αX, (2) w αX, (2 as both the proportion alland learning that is learning. Regardless s = Cultural accumulation social learning in the present model areindividual similar inculture principle but yred is important for individual and group success. It reflect dX/dt =>could βbp –0; δX. (3)thehere an individual will adopt the one of these two strategies that asto using a mix of the two learning types continuously, with pare a the simplifying assumption that keeps the analysis analytically tractable (relaxing this assumption clearning is the cost of individual learning (errors, risks, and inefficiencies), X dX/dt = βbp – δX. (3) evidual benefit individual and the group achieved by individual learning, where b > c > 0; b is the benefit to the individual and the group achieved by individual learning, in specifics from MB. pting a lifetime role as an individual or a social learner; but more Cultural accumulation and social learning in the present model similar in principle but differ of the time scale of shifts between learning types, each DM individual ness at any time. I refer to the model presented here as the decision making ning that isisaptitude individual learning. Regardless oflearning the scale ofbe shifts addressed in the Discussion). social learner, α (> 0)but is the coefficient that translates X into ccumulation andfrom social learning in individual the model are similar inand principle differ al learning (errors, inefficiencies), X (>time 0) is(errors, culture available to crisks, isMB. the cost of risks, and inefficiencies), X (> 0) issocial culture available In contrast topresent MB, Ieach assume that the distinction between individual and learning is t ferences in for theand different roles, individuals would able in specifics adopting the highest fitness strategy leads to wiisof=that wsculture and thus xibility isisimportant forrate both individual and It could reflect hsαfrom DM adopting the highest fitness strategy leads to = The ofefficiency cultural accumulation inthe the current model proportional benefit i social learning. Like MB, Ithe assume astolearning socially transmittable grou MB. (> 0)individual the coefficient that translates Xan into the net benefit of each and αgroup (> 0)success. is coefficient that X into the netstrategies benefit social not genetically based: individual will adopt onetranslates these learning that red with negligible effect on atthat the group level. Or itw may In contrast tosocial MB, Ilearner, assume the distinction between individual andtwo social isfrom of es adopting a lifetime role that as Like an individual or aaccumulates social learner; more individual learning bhighest multiplied by proportion pbut (0 psocial

0) is the constant proportionality for continuous cultural erosion afor simplifying assumption that keeps the analytically tractable highest at any time. refer the model presented here as decision making ndependent of culture; ignoring positive feedback from culture isany individual learning is independent of culture; ignoring positive feedback from culture here is individuals asany juveniles adopting aleads lifetime ashere an individual orItaanalysis social learner; but more heresults DM individual adopting theI highest fitness strategy to wrole (DM) model. This flexibility is to important both individual and group success. could reflect i = h individual asloss, using aimportant mix of the two learning continuously, withIt pcould (aka �analysis 𝑋𝑋 = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5) and reflecting inefficiencies of social transmission teaching); thus this istypes addressed in the Discussion). del. This flexibility for both individual and group success. reflect on that keeps the analytically (relaxing this assumption aispotentially simplifying assumption that keeps the analysis tractable (relaxing assumption likely, even allowing for differences in aptitude foranalytically different roles, individuals would be able individuals as juveniles adopting atractable lifetime role as an individual orthe a social learner; but more Setting equation (3) to zero results in learning is individual learning. Regardless of theThe time of shiftsaccumulation mbined withthat equation then yields dX/dt =scale βbp – δX. (3)itismay slussion). as likely, juveniles adopting a 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. lifetime individual or arate social learner; but more at of(4) cultural inthe thegroup current model propo shift their efforts asan required with negligible effect on efficiency level. Or is addressed inrole the as Discussion). even for differences in aptitude for the different roles, individuals would be able (𝑏𝑏(4), 𝑋𝑋� allowing = to − s, each DM individual adopting the highest fitness strategy leads to w i =would = 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). accumulation and social learning in model are similar intypes principle but n allowing for differences in aptitude for the different individuals be able individual learning b(6) multiplied by the proportion pto (0benefit

𝑝𝑝̂from increases magnitude Xby(equation (3)), eir efforts as required negligible effect efficiency at the group level. may insince specifics that engages in individual Here βwith (>time isscale the constant on (5) the proportion allmultiplied learning that isany individual learning. Regardless of the of shifts o be best to think of�with each individual using aof mix of the two learning ultiplied by the pMB. (0 < the p 0) is the constant ofsocial proportionality this bined with equation (4), then yields oportion results in � of all learning that is individual learning. Regardless of the time scale oflearning shifts not genetically based: an individual will adopt the one of these two strategies dδzero vice for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋 is stable, as is readily apparent and loss, potentially reflecting inefficiencies of social transmission and thus w learning types, each DM individual adopting highest strategy to w (> between 0)versa is 𝑝𝑝̂the constant of proportionality for continuous cultural erosion accumulation rate, and δ (> 0) is the constant of proportionality forleads continuous cultural erosion(ak s𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). i = that = 𝛿𝛿(1 (6) fitness and−equation (5), when combined with equation (4), then yields � 𝑋𝑋of = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5) earning types, each DM individual the highest fitness strategy leads to where me argument. But it is important toadopting recognize that behavior isthus implies fitness at any time. to the model presented the decision dX/dt = βbpmaking – thus δX. i = as(aka w s and thus 𝑋𝑋�likely =of(𝑏𝑏 − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) inefficiencies social transmission (aka and loss, potentially reflecting inefficiencies social transmission teaching); 𝑝𝑝̂lecting is stable, since 𝑝𝑝 the > 𝑝𝑝̂highest increases the magnitude ofIteaching); Xrefer (equation (3)), n combined with equation (4), then implying yields us han culture, a key assumption here, that p will follow the (DM) model. This flexibility is important for both individual and group success. It could reflect Cultural accumulation and social learning in the present model are sim � (𝑏𝑏 Setting equation (3) to zero results in 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) dX/dt = βbp – δX. (3) dX/dt = βbp – δX. (3 learners higher than individual learners, attracting more social 𝑝𝑝̂ =to𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6) (6) ��model (𝑏𝑏in 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) individuals as juveniles adopting asimilar lifetime asXan individual a social butprinciple more but differ in specifics from MB. behaviors and shift extreme values (0 when X > 𝑋𝑋�;inlearning 1 role when 𝑋𝑋�)𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, �< Setting equation (3) to zero results and social learning in the present are principle but differ Cultural accumulation and social in the present or model are learner; similar in 𝑋𝑋 = (5) vice versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋 is stable, as is readily apparent euation 𝑝𝑝̂(3) is stable, since 𝑝𝑝 in > in 𝑝𝑝̂ increases the magnitude X of (equation (3)),I assume to zero results likely, even allowing for differences aptitude for the roles, individuals would able individ Inofcontrast todifferent MB, the distinction between �= ≠that 𝑋𝑋�argument. . This becomes central considering implications equation (5), when combined with equation (4), then yieldsthat in from MB. the 𝑋𝑋in 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5) be me But itand isspecifics important to recognize that behavior is severe likely social learners higher than individual learners, attracting more social � to shift their efforts as required with negligible effect on efficiency at the group level. Orsocial itofmay 𝑋𝑋 = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5) not genetically based: an individual will adopt the one these two ee below). B, culture, I and assume the between individual and learning is between contrast to MB, I assume that distinction individual and learning is equation (5),distinction whenIncombined with equation (4),follow then yields 𝑝𝑝̂social =the 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6)lea an a that key assumption here, implying that p will the p; and for 𝑝𝑝 genetically

; 1 when X ) the same argument. But it is important to recognize that behavior is likely asItthe proportion of all learning that isany learning. Regardless time scale ofdecision shifts 𝑝𝑝̂that =fitness 𝛿𝛿(1 −offitness 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (DM) flexibility is important for both individual grou making the social learners higher than individual learners, attracting more socialand ess any becomes time. Ieasy refer the model presented here as decision making implies highest at time. I This refer to the model presented here as(3)), the making isof totosee 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝individual >model. 𝑝𝑝̂the increases the magnitude ofof(6) X the (equation ≠ster 𝑋𝑋�at . than This in considering the implications of severe (3)), the fitness of social learners higher than culture, a𝑝𝑝̂Xcentral key assumption here, implying that pmagnitude will follow the between learning types, DM individual adopting the fitness strategy leads = reflect se easy see that is4(equation stable, since 𝑝𝑝each >flexibility 𝑝𝑝̂making increases the of Xhighest (equation individuals asIt juveniles adopting a𝑋𝑋�(3)), lifetime role asreadily antoindividual or a s i apparent making the fitness of model. social learners higher than individual learners, attracting more social bility istoimportant for both individual and group could reflect (DM) This issuccess. important for both individual and group success. Itwcould learners and reducing p; and vice versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, is stable, as is below). � ) social ween behaviors andthus shift to extreme values (0 Xmore 𝑋𝑋�;allowing 1social when Xis lifetime role as an individual oraptitude a social butismore from (3), by the same But it to readily recognize that behavior likely learners reducing and vice versa for 𝑝𝑝 learners,

𝑋𝑋�;the 1level. when X the 𝑋𝑋�is; culture, 1individual when X 𝑋𝑋�shifts ;learning. 1 when XRegardless < 𝑋𝑋�) and (5), when combined with equation then yields � .Regardless learning that isequation individual learning. ofbelow). the scale of asinthe proportion of allbecomes learning thattime iswhen individual of the timethe scale of shifts shifts in the (see during intervals which Xenvironment ≠ 𝑋𝑋 This central in(4), considering theDM implications of severe assumption here, implying that p will follow fitness be-leads ervals in which ≠between 𝑋𝑋�.adopting This4 becomes centralfitness inwconsidering the implications severedifference s 𝑝𝑝̂and = thus 𝛿𝛿(1 −leads 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6)to w i = each DM individual thebelow). highest strategy to w i =thetheof learning types, each DM individual adopting highest fitness strategy shifts in theXenvironment (see behaviors and tosince extreme X > of𝑋𝑋�X= ; (equation 1(𝑏𝑏when − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. he environmenttween (see Itwbelow). iss and easy to see that 𝑝𝑝̂ isshift stable, 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ values increases(0 thewhen magnitude (3)), thus Setting equation to zero results in �= making social learners higher than learners, attracting more social (𝑏𝑏 −of (𝑏𝑏 𝑋𝑋� = 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) 𝑋𝑋(3) − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) X  𝑋𝑋�;𝑝𝑝1>when X < 𝑋𝑋�) the magn 𝑝𝑝̂ =difference 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6)𝑝𝑝̂ is =extreme 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6) making theXfitness learnersthe higher than individual learners, that 𝑝𝑝̂ is stable, 𝑝𝑝 > It 𝑝𝑝̂inis increases the of (equation (3)), easy to see that 𝑝𝑝̂ becomes is stable, since 𝑝𝑝ofin>social 𝑝𝑝̂ increases the magnitude ofofXsevere (equation (3)),at duringsince intervals which X≠ 𝑋𝑋�.magnitude This central considering implications learners and reducing and vice learners, versa forattracting 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋� is stabl ocial learners higher than individual learners, attracting more social the fitness(see of social learners higher than p; individual more social shifts in making the environment below). https://doi.org/10.5771/9783495808337 t.table, But itasisisimportant to recogn ; and vice versa forlearners 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Si an ̂ readily apparent y assumption here,isimplyin he same argument. from But iteq i nize that behavior likely . ift to extreme values the (0 wh er than culture, a key assu to equil ng that p will follow 4

as juveniles adopting lifetime roletime. as anI individual a social learner;here but as more implies the highest afitness at any refer to theormodel presented the decision making allowing for differences in aptitude for the different roles, individuals would be able (DM) model. This flexibility is important for both individual and group success. It could reflect r efforts as required with negligible on efficiency the grouporlevel. Or learner; it may but more individuals as juveniles adopting effect a lifetime role as an at individual a social hinklikely, of each individual using a mix ofinthe two learning types continuously, with p would be able even allowingasfor differences aptitude for the different roles, individuals ortion of alltheir learning that is individual learning. Regardless of the timeatscale of shifts to shift efforts as required with negligible effect on efficiency the group level. Or may 264 Philip H. itCrowley rning types, individual adopting theahighest wi = be best to each thinkDM of each individual as using mix of fitness the twostrategy learningleads typestocontinuously, with p as the proportion of all learning that is individual learning. Regardless of the time scale of shifts (𝑏𝑏 =individual − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. adopting (4) With = 𝑋𝑋�DM and social learners coexist within between learning types,Xeach individual the highest fitness strategy leads togroups wi = – ation zero andtothus w s(3) orresults theseinlearning types coexist within individuals – as long as 𝑋𝑋� = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, 𝑋𝑋� = (𝑏𝑏 − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (5) (4) n (5), whenequation combined equation Setting (3)with to zero results(4), in then yields (7)𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, 𝑝𝑝̂ = ,𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6) 𝑋𝑋� = (5) easy toequation see that 𝑝𝑝̂(5), is when stable,combined since 𝑝𝑝 >with 𝑝𝑝̂ increases and equationthe (4),magnitude then yieldsof X (equation (3)), fitness of social learnersimplies higher than individual attracting more social 𝑝𝑝̂ = 𝑋𝑋�finding ; 1 when Xthe < 𝑋𝑋�con) environment (see below). Now I explore two the DM model: during intervals in which X ≠ 𝑋𝑋�. This becomes central in considering the implications of severe ditions in which increasing intelligence via brain size and function shifts in the environment (see below).

(brainpower, k) increases fitness, and determining the implications of 4

stressful and regular cultural disruptions. ividual and social learnersclimate coexist within groups – or these learning types 4 als – as long as idual and social learners coexist within groups – or these learning types 𝛼𝛼𝛼𝛼 > 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏), (7) ls – as long as 1. When thesocial inequality is not satisfied, allgroups learning is these individual. Note ividual and learners coexist within – or learning types 𝛼𝛼𝛼𝛼 > 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏), (7) learning and culture do not increase fitness in this model with equation (1) als – as long as . When the inequality is not satisfied, all learning is individual. Note Brainpower in MB) – they are byproducts of the fitness-increasing effects of individual 𝛼𝛼𝛼𝛼 > 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏), (7) and culture not learners increase coexist fitness in this model with (1) types =arning 𝑋𝑋�When individual and do social groups – or equation theseNote learning 1. the are inequality is notofsatisfied, all within learning iseffects individual. MB) – they byproducts the fitness-increasing of individual ndividuals – as long as DM two elaborations of the model: finding the conditions in which learning and culture do not increase fitness in this model with equation Increasing brainpower by greater investment(1)in brain structure and > 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏), viaMB) brain size and function𝛼𝛼𝛼𝛼 (brainpower, k) increases fitness, and in – they are byproducts of the fitness-increasing effects of individual (7) wo ofthe the DM can model: finding the conditions inthe which function potentially coefficients hatelaborations 𝑝𝑝̂ 1. ainpower willlearning be (i.e. dw i /dkof >brain 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(𝑘𝑘)�1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏(𝑘𝑘)�/�𝛼𝛼(𝑘𝑘)𝛽𝛽(𝑘𝑘)�. (11) 𝑏𝑏(𝑘𝑘) − 𝑐𝑐 − (8) 𝑤𝑤𝑖𝑖 = t the benefits of additional brainpower for𝑘𝑘,individual learning must � /dk > 0) if and only if db/dk > 1. npower will be selected for (i.e. dw i = 𝛼𝛼(𝑘𝑘)𝑋𝑋 − 𝑘𝑘, (9) 𝑤𝑤 𝑠𝑠 An upper limit to brainpower may ultimately the costs (as𝛿𝛿(𝑘𝑘)�1 inand Figure 1A). 𝑝𝑝̂ = − 𝑐𝑐/𝑏𝑏(𝑘𝑘)�/�𝛼𝛼(𝑘𝑘)𝛽𝛽(𝑘𝑘)�. (11) he benefits of additional brainpower for individual learning must �= (𝑏𝑏(𝑘𝑘) 𝑋𝑋is −included 𝑐𝑐)/𝛼𝛼(𝑘𝑘), (10) ways, neither of which explicitly in the model: diminishing /dk > 0) if and only if db/dk > 1. ainpower will be selected for (i.e. dw i he costs (as in Figure 1A). An upper limit to brainpower may ultimately b/dk 1 for sufficiently high k, or physiological or anatomical constraints t the model: 0) if anddiminishing only if db/dk ional brainpower will be forincluded (i.e. dwused that α(k) increases with kselected (implying culture to greater advantage in > 1. i /dk ways, neither of which is explicitly in the ranial size atbenefits birth) on brain size. brainpower for individual learning must eans the of additional less 0) if at α(k) with kFigure (implying culture usedlimit to advantage in (as in 1A). An upper to brainpower may tter d𝑋𝑋�than /dk >the 0,costs and thus the cultural equilibrium 𝑋𝑋� increases with brainpower cranial size at birth) on brain size. and only if b(k) db/dk >k,1.asThis simply means thatultimately the benefits of additional ess α(k) increases faster than with seems unlikely, it follows of twotoways, neither of kwhich explicitly in of thelearning model: diminishing ition α(k), the change in(implying the isequilibrium proportion thatinis that increases with cultureincluded used to greater advantage � /dkα(k) d𝑋𝑋 > 0, and thus the culturalfor equilibrium 𝑋𝑋� increases with brainpower brainpower individual learning must accumulate faster than the ult inα(k) db/dk < 1presumably for faster sufficiently high k, ork,physiological or anatomical constraints nless δ(k), which decreases with kas(aseems lower cultural loss rate), and increases than b(k) with unlikely, it follows ion to α(k), the change in the equilibrium proportion of learning that is lt d𝑋𝑋 size vs cranial size at birth) on brain size. costs (as in Figure 1A). An upper limit to brainpower may ultimately � /dk � crease with k (culture accumulates more rapidly and extensively from > 0, and thus the cultural equilibrium 𝑋𝑋 increases with brainpower δ(k), which presumably decreases with k (a culture lower cultural loss rate), and shough likely that α(k) k (implying greater advantage in term – c/b(k)) increases with kproportion as b(k) used increases, the that ition tothe α(k), the(1increases change inwith the equilibrium oftolearning is ease with k (culture accumulates more rapidly and extensively from it follows unless α(k) increases faster thanwith b(k) with k, as seems diminishes with increasing k. Overall, the balance of theseunlikely, effects in the nt, but δ(k), presumably decreases kas (a lower cultural loss rate), and ough thewhich term (1>–0,c/b(k)) increases with kequilibrium b(k) increases, the � � (10) that d𝑋𝑋 /dk and thus the cultural 𝑋𝑋 increases with brainpower s that 𝑝𝑝̂with decreases withaccumulates increasing brainpower (asand in Figure 1A), indicating crease k (culture more rapidly extensively from diminishes with increasing k. Overall, the balance of these effects in the that is ). In addition to (1 α(k), the change in thewith equilibrium proportion of learning omes increasingly despite the lack of directly-associated hough the term –prominent, c/b(k)) increases k as b(k) increases, the https://doi.org/10.5771/9783495808337 hat 𝑝𝑝̂ decreases with increasin pends on δ(k),with which presumak. t diminishes increasing mes . to increasingly increase withprominen k (cultu sedthat 𝑝𝑝̂ decreases with incr ning). Though the Disruptions term (1 – c/b(k)) increases with k as b(k) increases, the mate Cultural omesand increasingly prominent, despite the lack of directly-associated

dX/dt = transmission βbp – δX. (aka teaching); thu ofsocial sociallearners transmission and loss, potentially (aka teaching); reflecting thus of social a simplifying assumption that keeps the analysis analytically tractable (relaxing this assumption Xting = 𝑋𝑋�inefficiencies individual and coexist within groups – orinefficiencies these learning Cultural accumulation and social learning intypes theβbp present dX/dt = βbp – δX. (3) dX/dt = – δX.model are similar in princi n individuals –isasaddressed long as in the Discussion). in specifics from social learning in theThe present model accumulation similar in MB. principle andinsocial learning differ in the present model similar rate of accumulation theIbut current proportional to are benefit fromin principle 𝛼𝛼𝛼𝛼Cultural >cultural 𝛿𝛿(1are − 𝑐𝑐/𝑏𝑏), (7) In contrast to MB, assume model that theisdistinction between individual and soci in specifics from MB. individual learning b multiplied by the proportion p (0 < p < 1) of the group at any particular s that 𝑝𝑝̂ < 1. When the inequality isnot notgenetically satisfied, all learning is individual. Note based: an individual will adopt the one of these two learning strateg I assume that time the distinction between Inindividual contrast to and MB, social I assume learning that the distinction between individual and social Human Evolution and Culture 265 this thatculture engages individual learning. Here β (> 0) isisthe of proportionality hat social learning and doinnot increase fitness in this model with equation implies the highest fitness at any time. I constant refer to(1) the model presentedforhere as the dec adopt theare one of notthese genetically learning based: strategies an individual will of adopt the one of thesecultural two learning strategies accumulation rate, and δtwo (>model. 0) is the constant of that proportionality continuous erosion ofndividual X (nor inwill MB) – they byproducts of the fitness-increasing effects individual (DM) This flexibility is important forfor both individual and group success. It at any time. I and refer to the model implies presented the highest here as fitness the decision at any time. making I refer to the model presented here as the decisi potentially reflecting inefficiencies ofof social thus be loss, set in either individuals of two ways, neither which is explicitly included as juveniles adopting atransmission lifetime role(aka as anteaching); individual orina social learner; ity is important for both individual (DM) and model. group This success. flexibility Itconditions could is important reflect for both individual and group success. It cou dX/dt = βbp – δX. (3) explore two elaborations of the DM model: finding the in which likely, even allowingthat for differences in aptitude thesufficiently different roles, individuals w therole model: diminishing returns result in model db/dk < similar 1forfor opting a lifetime an function individual individuals or social as a social juveniles learner; adopting but a lifetime roleare as an individual or a social learner; bu Cultural accumulation and learning in the more present in efficiency principle but differ elligence via brain sizeas and (brainpower, k) increases fitness, and to shift their efforts as required with negligible effect on at the group lev high k,fororthe physiological or anatomical birth canal sizeindividuals wou ifferences in aptitude likely, different even roles, allowing individuals for differences wouldconstraints be in able aptitude(e. g. for the different roles, in from MB. he implications ofspecifics stressful climate regular cultural disruptions. beand best to think of each individual as using a mix of the two learning types continu uired with negligible effect ontoefficiency shift their efforts the brain group as required level. Or with it may negligible effect on efficiency the groupis level. In contrast toasMB, I at assume that the distinction individual and Regardless socialatlearning vs cranial size at birth) on size. the proportion of all learning thatbetween is individual learning. of the time s dividual as using mix of thebased: be two best learning to think types of each continuously, individual with as a mix oflearning the two learning types not an individual will adopt the oneusing these two agenetically It seems likely that α(k) increases with kpof(implying culture used fitness tothat continuous between learning types, each DM individual adopting thestrategies highest strategy le implies the highest fitness any Ilearning refer the model here asRegardless the decision rning that is individual learning. as the Regardless of time. of thealltime scale that of shifts is individual learning. ofmaking the time scal sing brainpower by greater investment inatthus brain structure andtofunction canpresented and w sproportion greater advantage in social learning), but unless α(k) increases faster (DM)adopting model. flexibility is important for both individual and success. could reflect ch DM the individual the between highest fitness strategy types, each leads to individual w adopting the highestItfitness strategy leads i = w i and w .group fluence coefficients α, β,This and δ; the learning parameter b; and theDM fitnesses (𝑏𝑏 − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. 𝑋𝑋� s= than k, as seemsan itbrain. follows from (10) that aswith juveniles adopting aunlikely, lifetime role as anAssume individual orequation a social learner; but more thus w s and er k express theindividuals directb(k) fitness cost of operating expensive that the Setting equation (3) to zero results in even allowing for differences in aptitude for the different roles, individuals would be able (𝑏𝑏c>− (𝑏𝑏 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4)have 𝑋𝑋� =increases − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. of individual likely, learning are independent of brain expenses. Then we d 𝑋𝑋� = /dk 0, and thus the cultural equilibrium with brain𝑋𝑋� =at𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, to shift their efforts as−required with negligible effect onthe efficiency the group level. Or it may o results in power (see Setting equation (3) to zero results in 𝑏𝑏(𝑘𝑘) 𝑐𝑐 − 𝑘𝑘, (8) 𝑤𝑤𝑖𝑖 =Figure 1B). In addition to α(k), change in the equiliband individual equation (5), when acombined with equation (4), then yields be best think each as using mix of the types continuously, with p �learning � − 𝑘𝑘, 𝑋𝑋� = to 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5)two 𝑋𝑋 = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (9) 𝑤𝑤𝑠𝑠 =of𝛼𝛼(𝑘𝑘)𝑋𝑋 𝑝𝑝̂ Regardless = 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). rium proportion oflearning learning that is individual depends on δ(k), which as the proportion of all that is individual learning. of the time scale of shifts � mbined with equation (4), then and yields equation (5), when combined with equation (4), then yields the (𝑏𝑏(𝑘𝑘) 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼(𝑘𝑘), (10) It is easy to see that 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases magnitude of X (e presumably decreases k (a lower cultural loss rate), and onstrategies, β(k),to wsubscripted types, each with DM individual adopting the highest fitness strategy leads i = 𝑝𝑝̂ =between 𝛿𝛿(1 − learning 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). 𝑝𝑝̂fitnesses (6) =higher 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). Tofitness keep things simple, of the respective making the of social learners than individual learners, attracting mor thus wassumed s and to−increase with (culture accumulates more and as t 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the It is magnitude easy to ksee that Xsocial (equation 𝑝𝑝̂and islearning, stable, (3)), since 𝑝𝑝 𝑝𝑝>< 𝑝𝑝̂ 𝑝𝑝̂increases the𝑋𝑋�magnitude of is X readi (equa learning s of for arefor expressed as rapidly 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(𝑘𝑘)�1 𝑐𝑐/𝑏𝑏(𝑘𝑘)�/�𝛼𝛼(𝑘𝑘)𝛽𝛽(𝑘𝑘)�. (11) learners andand reducing p; vice versa . Similarly, is stable, (4) � (𝑏𝑏 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. al learners higher than making learners, the fitness attracting of>learning). social more learners social higher attractingthat more so blearners, ––c c/b(k)) i =(1 0) ifthe and only if db/dkthan >the 1.individual itional brainpower willindividual be selected forindividual (i.e. dw i /dk(3), extensively from Though equation by same argument. But itterm iswimportant to recognize beha Setting (3) from to𝑋𝑋brainpower zero results inisindividual �and nd vicethat versa 𝑝𝑝 < equation 𝑝𝑝̂of. Similarly, learners isand stable, reducing as p; readily andthe vice apparent versa for 𝑝𝑝 key 𝑋𝑋; 1 w 𝑛𝑛 difference ishes with increasing k. Overall, the balance ofshift these effects in the and equation (5), when combined with equation (4), then yields −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0where /𝑡𝑡 𝑟𝑟b 0>, that >faster 0; binisthan the benefit to the individual and group achieved by ind than culture, key assumption equilibrate implying much p which will follow culture, a key assumption here, implying that p will fol ways, neither is𝑟𝑟during explicitly included the diminishing dr of thetwo chance ofa exactly nof is which �1 −to𝑒𝑒here, � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 ac geometric series. intervals in Xmodel: ≠𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). 𝑋𝑋�the . This becomes central in the considering the implicatio 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(1 − (6) above equation implies that decreases with increasing brainpower � � � c is the cost of individual learning (errors, risks, and inefficiencies), X (> 0) is c sult in db/dk < 1shift for sufficiently high k, or physiological or anatomical constraints behaviors and to extreme fitness values difference (0 when between X > 𝑋𝑋 ; 1 behaviors when X < and 𝑋𝑋 ) shift to extreme values (0 when X > 𝑋𝑋 ; 1 whe The expected duration added by an overlapping disruption t is the same as the expected a shifts in𝑝𝑝̂the environment Itat isbirth) easy to see that is stable, since 𝑝𝑝(see >(> 𝑝𝑝̂below). increases the magnitude of X (equation (3)), each social learner, 0) is the coefficient translates X into the net be me initial tin the additional disruption size vsthe cranial on brain size. (assize Figure 1A), indicating that social learning becomes increasingly r that Xal≠during 𝑋𝑋�. This becomes central induring considering intervals theinoccurs: implications which Xand ≠ 𝑋𝑋�α of . This severe becomes central inthat considering the implications 𝑡𝑡𝑟𝑟 the making fitness of social learners individual learners, attracting more socialgroup-specifi −𝑡𝑡𝑟𝑟higher /𝑡𝑡 learning. Like MB, I than assume that culture as transmittable ms that α(k) increases with k𝑡𝑡 (implying culture used to below). greater insocially 𝑡𝑡𝑒𝑒 −𝑡𝑡/𝑡𝑡0 𝑑𝑑𝑑𝑑 ∫ �1−(1+𝑡𝑡 � (see 𝑡𝑡𝑟𝑟 advantage seelikely below). shifts in the 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 0 )𝑒𝑒 of 0 0 prominent, despite theenvironment lack directly-associated = increases = 0than = 𝑝𝑝𝑡𝑡advances . follows (A-4)benefits. learners reducing p; and vice for 𝑝𝑝̂ 𝑒𝑒. 𝑡𝑡Similarly, 𝑋𝑋�fitness is stable, as and is readily apparent to the g 𝑡𝑡𝑟𝑟 and 0 0, and thus the cultural equilibrium 𝑋𝑋 increases with brainpower that t a is the same for any additional overlapping disruptions as well. to equilibrate much in faster than culture, a key assumption here, implying that p will follow the (relaxing athe simplifying assumption keeps the analysis analytically tractable B). InThis addition α(k), change equilibrium proportion of learning that is meanstothat the4the expected continuous disruption time t d is that 4 fitness difference between behaviors and shift to values (0 when X > 𝑋𝑋�; 1 when X < 𝑋𝑋�) 2 extreme is −𝑡𝑡 addressed ink− the Discussion). depends on δ(k), (a𝑒𝑒 −𝑡𝑡 lower −𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0decreases 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 +with 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � cultural 𝑡𝑡𝑑𝑑 =which 𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡presumably �𝑒𝑒 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 +loss ⋯ .rate), and (A-5) 𝑎𝑎 �1 − 𝑒𝑒 � during intervals in which X ≠ 𝑋𝑋 . This becomes central in considering implications severe The rate of cultural accumulation in current model isofproportional to med increase with k (cultureseries accumulates more rapidly and extensively from thethe kingtothe limit ofVariable/Stressful the geometric and Climate substituting then yields and Cultural Disruptions shifts in the environment (see below). individual learning b multiplied by the proportion p (0 < p < 1) of the group at a rning). Though the term (1 –−𝑡𝑡c/b(k)) increases with k as b(k) increases, the 1 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � (𝑡𝑡𝑟𝑟 + − 𝑒𝑒increasing �in = individual �. −effects 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0in 𝑑𝑑 = 𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 0 )�1learning. −𝑡𝑡the 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �balance time that engages Here β (> 0) is the constant of proporti this effect𝑡𝑡diminishes with k. Overall, of𝑡𝑡these the(A-6) 1−�1−𝑒𝑒 and δfrom (> 0)text is1A), the constant cycle that of disruption and(as recovery, paccumulation = 1 that during t d , rate, and 𝑝𝑝are = in 𝑝𝑝̂occasional equation (6) of proportionality neach implies 𝑝𝑝̂Suppose decreases with brainpower (as Figure indicating inincreasing MB) there environmental disrup-for continuous herwise, so that the long-term average 𝑝𝑝̅the is despite 4 and loss, potentially inefficiencies ofirrelevant social transmission rning becomes increasingly prominent, the lack ofreflecting directly-associated tions that cause accumulated culture to become (and (aka teachin −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂ 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 � dX/dt = βbp – δX. ts. (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 � = + = . thus to be lost). To𝑡𝑡 )(1 keep things tractable here, assume that these dis−𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) 𝑡𝑡0 )(1 −learning 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )(1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ) 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡𝑟𝑟 +Cultural 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡 − 𝑒𝑒accumulation 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) in the present model are similar in pr and 0 𝑟𝑟 + social � . First find ruptive events at intervals of expected duration similar and approach can be usedhappen to in find theindependently long-term 𝑋𝑋�𝑑𝑑 , the average level of (A-7) ssful A Climate Cultural Disruptions specifics from 𝑋𝑋 MB. total loss ofaculture. In that Appendix Aeach the environmental recovery time isMB,each lture disruption, asare theoccasional time-weighted average of Xtdisruptions during phase of the rto se (asduring in MB) that there that cause the In contrast I re-accumulates assume that the distinction between t0 and after disruption culture at the rate dX/individual and on thattodisruptions mayequation overlap inthus time isallowing account, sruption, beginning with (A-1) and for overlap: culture become irrelevant (and togenetically betaken lost).into Tobased: keep things tractablewill here,adopt the one of these two learning str not an individual dt. Solving equation (3), 2 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑡𝑡 emphasized in 𝑡𝑡 𝑝𝑝̅ aredisruptive found. A key point the appendix is0 �+�1−𝑒𝑒 that −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡 −𝑡𝑡 0 � duration hese events happen independently at intervals of expected t 0 andto the model presented here as the the highest fitness at𝑟𝑟/𝑡𝑡any time. �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ���1−𝑒𝑒 +⋯ � I refer 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 ∫0 𝑟𝑟 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 𝑟𝑟 � implies 0 ∫0 w s under these at conditions (seeThis Figure 2).equation w i >re-accumulates � ws ups contribute to group success (the Setting primaryequation basis for(3) to zero results in under these conditions (see Figure 2). eded in individual or social learning. Culture arises as a 𝑋𝑋� = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, Intervals of stressful nterdemic selection among the competing groupsclimate depends that impose change sufficiently and equation (5), when combined with equation (4), then yields s, security issues, and climate variation and gradual to maintain X stress. close This to equilibrium while shifting its 𝑝𝑝̂ =perhaps 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). sing human brainpower, despite the expense of maintaining a It is easy to see that 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude of hich leads to an increased frequency of social learning and fitnessand of shift social learners higher than individual learners, attracting m c variation and stress reduce fitness, making diminishthe culture, learners andbehavior reducingmay p; and vice versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋� is stable, as is re l learning. While evolved (and thus instinctive) https://doi.org/10.5771/9783495808337 s important to recognize that b me basic human traits, the flexi tion here, implying that p w the large brain linked to c . reme values (0 when X > 𝑋𝑋� environmental challenges, and the spectacular cultural

Cultural accumulation and social learning in the present model are similar in principle but differ each cycle of disruption and recovery, p = 1 during t d , and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ from text equation (6) in specifics fromInMB. otherwise, that the that long-term average 𝑝𝑝̅ between is In contrast to MB, Isoassume the distinction individual and social learning is (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 � 𝑝𝑝̂ 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂ +strategies not genetically based: adopt the one of𝑡𝑡0these two learning that 𝑝𝑝̅ = an individual will + = . −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 (𝑡𝑡𝑟𝑟 + ) to )here𝑡𝑡0as ) 𝑡𝑡0 )(1 + (𝑡𝑡model + the 𝑡𝑡0 )(1 − 𝑒𝑒making 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡𝑟𝑟at+any 𝑡𝑡0 the − 𝑒𝑒 I refer − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )(1 implies the highest fitness time. presented decision � . First find 266 flexibility Philip H. Crowley A similar approach can used to find theand long-term 𝑋𝑋success. 𝑋𝑋�𝑑𝑑 , the average level of (A-7) (DM) model. This total important forbe both individual group It could reflect mulation following loss ofisaculture. In Appendix A the recovery time is culture during disruption, as the time-weighted average of Xt rduring each phase of the individuals as juveniles adopting a lifetime role as an individual or a social learner; but more potential complication that disruptions mayequation overlap(A-1) in time taken into account, disruption, beginning with and is allowing for overlap: magnitude may influence relationships in otherwould ways as well. likely, even 𝑋𝑋allowing forfound. differences in aptitude these for the different roles, individuals able � and 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑡𝑡 emphasized in 𝑡𝑡𝑟𝑟 m averages 𝑝𝑝̅ are A key point the appendix is0 �+�1−𝑒𝑒 that −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 �2+⋯be −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 𝑟𝑟 0 �𝑒𝑒 efficiency ���1−𝑒𝑒 �may ∫0 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ ∫0 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 𝑟𝑟 �on to shift their efforts as required with negligible effect at the group level. Or it 0 Under these conditions, coefficients α and β relating individual learns prevented while X𝑋𝑋�< 𝑋𝑋�=, because w i > w s under these conditions (see Figure 2). . p (A-8) 𝑑𝑑 individual as using a mix of the two be best to thinking of each learning types continuously, with 𝑡𝑡𝑑𝑑 to tothat cultural accumulation social learning could decline somes of stressful climate impose change sufficientlyand gradual maintain X close as the proportion of all learning that is individual learning. Regardless of the time scale of shifts After some calculations, again including the geometric series derived from the probabilities while perhaps shifting its magnitude mayimportant influence these relationships in otherto be increases in δof what, but the most effects seem likely between learning types, each DM individual adopting the highest fitness strategy leads to w i = overlapping intervals it individual emerges that nder these conditions, coefficients α of anddisruption, β relating learning to cultural and c and decreases in 1b. If b-c and 1−𝑒𝑒 thus faster than α, as −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 w 𝑡𝑡 declines and thus w 𝛽𝛽𝛽𝛽 1 s i 𝑟𝑟 −𝛿𝛿𝑡𝑡 nd social learning could decline the 𝑟𝑟 �important 𝑋𝑋�𝑑𝑑 somewhat, = 𝛿𝛿𝑡𝑡 �𝑡𝑡𝑟𝑟 − but − 𝑒𝑒most + � 𝑡𝑡 𝛿𝛿2 effects + 2 − 𝛿𝛿seem � �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ��. (A-9) � �1 𝛿𝛿 (𝑏𝑏 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4)may 𝑟𝑟 as well. 𝑑𝑑 seems plausible, then must decline Stressful climate eases in δ and c and decreases in b. If b-c and thus w i declines faster than α, as � Setting (3) include toaszero results in Putting this together withclimate previous long-term 𝑋𝑋 is without also reductions in may t results, , making intervals , then 𝑋𝑋�equation must decline well. Stressful alsothe include reductions in t 0 , social learning � = 0𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, 𝑡𝑡0 𝑋𝑋�+𝑡𝑡𝑑𝑑 𝑋𝑋�𝑑𝑑 (5) (A-10) �and s without socialmore learning more frequent, thus𝑋𝑋reducing and 𝑝𝑝̅. . 𝑋𝑋� 𝑋𝑋= frequent, thus reducing 𝑡𝑡0 +𝑡𝑡𝑑𝑑 and equation some (5), when combined with equation (4), then yields summarizes of the qualitative results of this analysis. The basic idea is that Figure 3 summarizes of the qualitative results of this analysis. 𝑝𝑝̂ = success 𝛿𝛿(1some − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6) mpeting human groups contribute to group (the primary basis for The basic idea is that members ofCulture competing human contribute It is easy to see that 𝑝𝑝̂ is stable, > 𝑝𝑝̂ increases thearises magnitude X (equation (3)), by engaging as needed in individual or since social𝑝𝑝learning. as a of groups making the fitness of social learners higher than learners, attracting moreby social to group success (the primary basis for individual gain) engaging as dividual learning. Interdemic selection among theindividual competing groups depends learners and reducing p;in and vice versa 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂variation . Similarly, is stable, as is readily apparent aging requirements, security issues, andfor climate and 𝑋𝑋�stress. Thisarises needed individual or social learning. Culture as a byproduct of from equation (3), by the samebrainpower, argument. But it is the important thatabehavior is likely account for increasing human despite expensetoofrecognize maintaining individual learning. Interdemic selection among the competing groups to equilibrate much faster than a keyfrequency assumption ally costly brain, which leads to culture, an increased of here, socialimplying learning that and p will follow the depends primarily on foraging requirements, security issues, lation. difference But climatic variation and stress reduce fitness, diminish fitness between behaviors and shift to extreme valuesculture, (0 whenand X >shift 𝑋𝑋�; 1 when X of 0) their is theimplications constant ofCrowley proportionality for this evolutionary But,capacity as has been emphasized inisthe present this need not imply that cultural erosion ovided with a fitness. prodigious to learn both individually and analysis, accumulation rate, and δ (> 0) the constant of proportionality for continuous To keep things simple, fitnesses of the In respective subscripted for individual thesurvive, potential responses are genetically encoded. cases of strategies, genetically fixedtransmission (and ithus decisionto reproduce, and advance their social/kin group. and loss, potentially reflecting inefficiencies of social (aka implications, however, that best characterizes the humanteaching); deci- thus learning andfitness sfitnesses for reflexes), social learning, are optimization expressed aswould things simple, ofevolutionary thebehavioral respective strategies, subscripted ievolutionary for individual free) behavior (e.g. dynamics reflect change on a multidecision making behavior, and game theory dX/dt = βbp – δX. ( w = b – c (1) sion making process. or social learning, are expressed as to understand i generational time scale. Moreover, short-term it can sometimes derstood to arise from dynamics based on genetic change. In decision theintypical Cultural accumulation and social learning the making, present model are similar in principle but diffe and w = b – c (1) i The behavioral flexibility envisioned here provides processes. scope forIt indibe useful conceptualize choice as analogous to responses, evolutionary ion makingtoinvolving between behavioral thefitness-maximizing net inchoices specifics from MB. w sthe =implications αX, the still flexibility of choosing among alternatives short term based linked to(2) siscan be appropriately expressed in terms ofI in their for on assessments viduals to develop personalities. While behavioral flexibility is clearly In contrast to MB, assume that the distinction between individual and social learning b > emphasized c >fitness 0; b is implications, the benefit the individual and thenot group achieved by individual learning, w sto=however, αX, (2) their that best characterizes the human decision making aswhere haslong-term been in the present analysis, this need imply that notindividual genetically based: an individual will adopt theX one ofisthese twoavailable learning valuable, especially in dealing with unpredictable challenges like envicisisthe the benefit costencoded. of to individual learning (errors, risks, and inefficiencies), (> 0) culture tostrategies that ;eprocess. bgenetically the and the group achieved by individual learning, In cases of genetically fixed (and thusI refer decisionimplies the highest fitness at any time. to the model presented here as the decision makin each social learner, and α (> 0) is the coefficient that translates X into the net benefit of social ronmental variability, under equilibrium conditions wi ≈ ws indindividual learning (errors, risks, and inefficiencies), X (> 0)scope is culture availablewith to develop The behavioral flexibility envisioned here provides for individuals es), behavioral dynamics would reflect evolutionary change on a multi(DM) model. This flexibility is important for both individual and group success. It could reflec learning. MB, I assume that culture as socially transmittable group-specific information ner, and αto (>Like 0) is the coefficient that translates X into the net benefit of social personalities. While behavioral flexibility is clearly valuable, especially in dealing with Moreover, understand short-term decision making, it can sometimes viduals may tend to specialize and thus perhaps become more effective individuals as juveniles adopting a lifetime role as anto individual accumulates through made by individuals and communicated the group or anda social that≈ learner; but more MB, I assume that culture as socially transmittable group-specific information challenges like environmental variability, under equilibrium conditions with eunpredictable choice as analogous toadvances evolutionary fitness-maximizing processes. It individuals i at either individual orfor social learning. Other maywindividuals tend likely, even allowing differences in aptitude for the different roles, individual learning is independent of culture; ignoring any positive feedback from culture here is to would be ab ough advances madetend by individuals and communicated to thelinked group and that at either w individuals may and thuson perhaps become moreto effective ngs among alternatives in to thespecialize short term based assessments to shift their efforts as required with negligible effect on efficiency at the group switch rapidly between these learning types or maintain a mix of thelevel. Or it ma a simplifying assumption that keeps the analysis analytically tractable (relaxing this assumption ing is independent of culture; ignoring any positive feedback from culture here is individual or social learning. Other individuals may tend to switch rapidly between these plications, however, that best characterizes the human decision making be best to think of each individual as using a mix of the two learning types continuously, with p is addressed in the Discussion). another type oftwo, personality. When wthis ≈w , individuals and groups ssumption that two, keeps the analysis analytically tractable (relaxing assumption learning types or maintain a mix of the another type of personality. i s When w i ≈ w s , as the proportion of allinlearning that model is individual learning. of the time scale of shift The rate ofhere cultural accumulation the current is the proportional toRegardless benefit from the Discussion). individuals and groups maximize fitness by maintaining 𝑝𝑝 ≈ 𝑝𝑝̂ at group level, though this exibility envisioned provides scope for individuals to develop maximize fitness bytypes, maintaining atadopting the group level, fitness though this leads to w = between learning each DM individual theathighest strategy i learning bwhen multiplied byespecially thespecialize proportion pa(0

0) is the constant of proportionality for this s ing byvariability, proportion p (0 1) ofconditions the group at any like under equilibrium w i particular ≈ individual. Particular withbenvironmental Xmultiplied < 𝑋𝑋�, fitness isthe maximized when p< =p 1< and learning is with exclusively � for (𝑏𝑏 across the group. course with X < 𝑋𝑋 , fitness ispersonalities, maximized when = − (4 accumulation rate, and δHere (> 0)βlearning is constant of be proportionality continuous cultural erosion es in individual learning. (>the 0)Of ismay the constant ofeither proportionality for𝑐𝑐)/𝛼𝛼. this omodes specialize and thus and perhaps become more effective at of individual social also associated with particular but Setting equation (3) to zero results in and loss, potentially reflecting inefficiencies of social transmission (aka teaching);modes thus of indiand learning is exclusively individual. Particular ate, δ (> 0)p = 1 is ofto proportionality continuous erosion ng. Other individuals may tend switch rapidly for between these cultural thisand possibility is the not constant addressed here. dX/dt = (aka βbp –teaching); δX. 𝑋𝑋� =model 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5 reflecting inefficiencies ofvia social transmission thus nially a mix of thecultural two, another type of personality. When walso w That evolution cultural accumulation the (orwith in MB) has no (3) i ≈in s , DM vidual and social learning may be associated particular perCultural accumulation and social learning in the present model are similar in principle but differ and equation (5), when combined with equation (4), then yields dX/dt = βbp – δX. (3) aximize fitness by maintaining 𝑝𝑝 ≈ 𝑝𝑝̂ at the group level, though this direct effect onsonalities, fitness follows directly from the culture-independence of fitness garnered by but this possibility is not𝑝𝑝̂addressed here. in specifics from MB. 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6 ulation andlearning social learning the model arethe similar principle butfrom differ en individuals specialize in in a balanced way across group.in= Of course individual (equation (1)).present In fact, individual learning may benefit social/cultural Inincreasing contrast tothe MB, I assume that the distinction between individual and in social learning isof X (equation (3)) That cultural evolution via cultural accumulation the DM model It is easy to see that 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude m MB. context by benefits that can be obtained, or by reducing the costs, or both. Thus ximized when p = 1 and learning is exclusively individual. Particular genetically based: an individual will adopteffect the oneon of these two follows learning making the fitness of social learners higher than learners,that attracting more social (or in MB) has nowith direct fitness directly from the ast to MB, I assume that theassociated distinction between individual and social learningstrategies is wenot might replace (1) with social learning mayequation also be particular personalities, butindividual implies highestlearners fitness at any time. I refer totwo thelearning model presented here as the decision making � is stable, and reducing p; and vice versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋 as is readily apparent based: an the individual will adopt the one of these strategies that 𝑤𝑤 = 𝑏𝑏(𝑋𝑋) − 𝑐𝑐(𝑋𝑋), (13) ressed here. of 𝑖𝑖 fitness garnered by individual learning (equa(DM) model.culture-independence This from flexibility is important forsame both argument. individual But and it group success. It could reflect equation (3), bydecreases the is important to recognize that behavior is likel � and hest fitness atincreases any time. I refer to the model presented here as the decision making ution via cultural accumulation in the DM model (or in MB) has no where b(X) with X and/or c(X) with X. The result is higher 𝑋𝑋 higher tion (1)). In fact,much learning mayassumption social/cultural individuals as juveniles adopting aindividual lifetime role asculture, an individual orbenefit a social from learner; but morethat p will follow the to equilibrate faster than a key here, implying his flexibility is both important for both individual group success. could reflect lows directly from the culture-independence fitness garnered by fitness through types of learning. But theofand resulting decrease inIt c/b implies higher likely, even allowing for differences in aptitude for the that different roles, individuals would be able context by increasing the benefits can be obtained, or reducing fitness difference between behaviors and shift to extreme values (0by when X > 𝑋𝑋�; 1 when X < 𝑋𝑋� uveniles adopting a lifetime role as an individual or a social learner; but more tion (1)). In fact, individual learning may benefit from social/cultural equilibrium frequency of individual learning 𝑝𝑝̂ (equation (6)), longer recovery times from to shift their the efforts as required with negligible effect on efficiency at the group level. Or it may � or both. Thus replace equation (1) with benefits becosts, obtained, or by reducing the or both. Thus during intervals in which X might ≠costs, 𝑋𝑋.long-term This becomes central considering the implications of severe owing forthat differences in aptitude for the different roles, individuals would beinable disruptions t rcan (appendix equation (A-3)), andwe higher average frequency of individual be best to think of each individual as using a mix of the two learning types continuously, with p norts (1)as with in the environment (see below). required withshifts negligible effect on efficiency ata the groupeffect level.onOrindividual it may learning 𝑝𝑝̅ (appendix (A-7)). through positive as the proportion ofequation all learning that Thus, is individual learning. Regardless of the time learning, scale of shifts 𝑤𝑤𝑖𝑖 = −a𝑐𝑐(𝑋𝑋), (13) of each may individual as𝑏𝑏(𝑋𝑋) using mix of the two learning types continuously, with pa reduced overall culture reach higher levels with increased fitness, but social learning plays (13) between learning types, each DM individual adopting the highest fitness strategy leads to w = all that is individual learning. Regardless of the time vulnerability scale of shiftsof culture to i If, learning however, cultural evolution itself can reduce hnrole. Xof c(X) decreases with X. The result is actually higher 𝑋𝑋�help and higher wand/or s and thus eachBut DM individual adopting the highest fitness strategy leads to w = sg oftypes, learning. the resulting decrease in c/b implies higher environmental disruption, as seems likely, then 𝑝𝑝̅ would decline through time, and social i 4 𝑋𝑋� =X(𝑏𝑏and/or − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼.c(X) decreases where b(X) increases with with X. The (4) result individual learning 𝑝𝑝̂ (equation (6)), longer recovery times from Setting equation (3) to zero results in � quation (A-3)),isand higher long-term average frequency of individual (𝑏𝑏 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) higher and higher 𝑋𝑋�fitness through both types of learning. = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5)But (A-7)). Thus, through a positive effectin onc/b individual learning, nation (3) to zero results in 7 (4), decrease implies higher equilibrium frequency of and equationthe (5), resulting when combined with equation then yields levels with increased fitness,𝑋𝑋�but social learning plays a reduced overall = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5) 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6) individual learning (equation (6)), longer itself canwith actually help(4), reduce vulnerability of culture to recovery times from dis),evolution when combined equation then yields It is easy to see that 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude of X (equation (3)), ruptions t𝛿𝛿(1 (appendix equation (A-3)), , as seems likely, then 𝑝𝑝̅ = would decline through time, and social and higher long-term average − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). r making the fitness of𝑝𝑝̂ social learners higher than individual learners, attracting(6)more social frequency of individual learning (appendix equation (A-7)). Thus, y tolearners see thatand 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude reducing p; and vice versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly,of𝑋𝑋�Xis(equation stable, as(3)), is readily apparent essfrom of social learners higher than individual learners, attractingtomore social that through positive effect on learning, culture reach equation (3), by thea same argument. But it isindividual important recognize behaviormay is likely � is stable, as is readily apparent ducing p; and vice versa for 𝑝𝑝than 𝑋𝑋�; 1 when Xhelp < 𝑋𝑋�) rerole. If, however, cultural evolution uch fasterintervals thanoverall culture, a key assumption here, implying p will follow the actually during in which X≠ 𝑋𝑋�. This becomes central inthat considering the implications of severe duce vulnerability of culture environmental as seems ce shifts between behaviors and shift extreme values (0 to when X > 𝑋𝑋�; 1 when X disruption, < 𝑋𝑋�) in the environment (seetobelow). � . This becomes likely, then central wouldindecline through time, and social learning would in which X ≠ 𝑋𝑋 considering the implications of severe ironment (see become below). more prominent. These issues should be addressed in future

work to evaluate and expand4on these conclusions. Hypotheses4 about the course of human evolution all suffer from limited testability. This does not mean that all are equally (im)plau-

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Human Evolution and Culture

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sible. Much emphasis must be placed here on parsimony: what are the simplest interpretations consistent with the main features of the species? Genes, culture, and individual learning have all contributed something important to the outcome and to this discussion, but atTo keep things simple, fitnesses of the respective strategies, subscripted i for indi tributing behavioral patterns a fixedareset of instructions encoded in learning and s for socialto learning, expressed as w = b – c the genome requires particularly thorough justification not currently i le, fitnesses of the respective strategies, subscripted i for individual 16 and available. Evidence of the heritability of behavioral tendencies has rning, are expressed as To keep things simple, fitnesses of the respective strategies, subscripted w i for individual = αX, s w = b – c (1) i little to say about whether behavior itself is genetically fixed. The ng and s for social learning,where are expressed asb is the benefit to the individual and the group achieved by individual le b > c > 0; w iindividual = b – c current (1) well-traveled idea that much behavior is directly atc is the cost of learning human (errors, w s = αX, (2) risks, and inefficiencies), X (> 0) is culture av each social learner, and α (> 0) is the coefficient that translates X into the net benefit of s tributable to genes from our hunter-gatherer past is basically a just-so nefit to the individual and the group achieved by individual learning, wMB, (2) group-specific informa s = αX, learning.deserves Like Iisassume that culture as socially transmittable story that hardly its status in some circles as received wisdom. arning (errors, risks, and inefficiencies), X (> 0) culture available to e b > c > 0; b is the benefit toaccumulates the individual and the group achieved by individual through advances made by individuals andlearning, communicated to the group and is the coefficient that translates X risks, into the benefit of re-inventions social Similarities across cultures involve of available the both from cultur he0)cost of individual learning (errors, andnet inefficiencies), X culture; (> 0) is culture to feedback individual learning is independent of ignoring any wheel, positive esocial that culture as socially transmittable group-specific information learner, and α (> 0)and is athe coefficient that translates X into the net benefit of social literally figuratively, primarily through learning. There is good simplifying assumption that keeps the analysis analytically tractable (relaxing this assu ces by individuals and culture communicated to the group and group-specific that ng.made Like MB, Ireason assume to that as socially transmittable is addressed in the Discussion). expect common solutions tohere emerge byinformation learning processes endent of culture; ignoring any feedback from culture mulates through advances madepositive by individuals and communicated toisthe group andmodel that is proportional to benefit f The rate of cultural accumulation inRice the current 17 in response to common problems (e. g. see 2012). Tightly knit at keeps the analysis analytically tractable (relaxing assumption dual learning is independent of culture; ignoring anythis positive from culture individual learning b multiplied byfeedback the proportion p (0 < phere < 1)isof the group at any partic on). social groups (bands) that increased foraging success in many hunterplifying assumption that keeps thethat analysis analytically tractable (relaxing assumption time engages in individual learning. Here βthis (> 0) is the constant of proportionality fo accumulation ingatherer the currentcommunities model is proportional to benefit from in this way, with subsequent dressed in the Discussion). may accumulation 18 rate, and have δ (> 0)arisen is the constant of proportionality for continuous cultural e lied byrate the of proportion p (0 0) is and the constant of proportionality formodel this are similar in principle bu CulturalHere accumulation socialerosion learning in the present ng inefficiencies of social transmission (aka teaching); thusfor continuousiscultural whether seemingly almosterosion always learnmulation rate, and δ (> 0) is the constantadaptive of proportionality in specifics from MB. or non-adaptive, dX/dt = βbpinefficiencies – δX. oss, potentiallying, reflecting ofinfluences social (aka teaching); thusof In contrast to transmission MB, Ifrom assumethe that(3) the distinction between individual though of course sifted array learned rules and social lea ocial learning in the presentnot model are similar in principle but differ based: individual will adopt one of these learning strategies th = βbpand –an δX. (3) and beliefs wegenetically calldX/dt culture constraints thatthe may have atwo genetic fitness at any I refer to the model presented here as the decision ral accumulation and social implies learningthe in highest the present model aretime. similar in principle but differ basis could also influence the behavior we observe. assumefrom that MB. the distinction between individual and socialislearning is for both individual and group success. It could (DM) model. This flexibility important ecifics

dividual will adopt one of these twodistinction learning strategies that individuals as juveniles adopting a lifetimeand rolesocial as anlearning individual In contrast to MB,the I assume that the between individual is or a social learner; but m t any time.based: I refer an to the model presented here as the decision likely, for differences in aptitude for thethat different roles, individuals would enetically individual willeven adoptallowing the one of these twomaking learning strategies y isthe important for bothatindividual group success. It could reflect to shift their efforts as required with negligible on making efficiency at the group level. Or es highest fitness any time. Iand refer to the model presented here as the effect decision pting a lifetime role as an orthink aboth social learner; but be best tofor ofindividual each individual as using a mixItof the two learning types continuously, model. This flexibility is individual important and more group success. could reflect Appendix Cultural Disruptions Halt Social Learning ferences in aptitude for theA. different roles, individuals would be the proportion of learning that isable individual duals as juveniles adopting aaslifetime role as an all individual or a social learner;learning. but moreRegardless of the time scale o red with negligible onbetween efficiency at the group level.DM Or itindividual may learning each adopting thebehighest , even allowing for effect differences in aptitude fortypes, the different roles, individuals would able fitness strategy leads to vidual usingAn mix of the two learning with p group level. thus types w s and ft theiras efforts asa required with negligible effectcontinuously, on efficiency at the it may fitness important implication of behavioral (rather thanOrgenetic) ning individual learning. ofofthe time of shifts 𝑋𝑋� = (𝑏𝑏 − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. st to that thinkis of each individual asRegardless using a mix thecausing twoscale learning types disruptions continuously, with p maximization is that events cultural prevent social hproportion DM individual highest fitness strategy leads to wini = Setting equation (3) to zero results of alladopting learning the that is individual learning. Regardless of the time scale of shifts learning altogether until culture can re-equilibrate. This is because X 𝑋𝑋� = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, een learning types, each DM individual adopting the highest fitness strategy leads to w i = �= (𝑏𝑏 𝑋𝑋 − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) < implies that w > w and thus that p→1; only after a recovery time and equation (5), d thus i s when combined with equation (4), then yields results in 𝛿𝛿(1 − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). tr when again X = 𝑋𝑋� = does = ws and p→𝑝𝑝̂ .=Assume for simplicity that (𝑏𝑏 −w𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) i 𝑋𝑋� zero = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, It is easy to see thatsets 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝(Note > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude g equation (3)any to results in instantaneously disruption X to(5)zero. that any reduc- of X (equati bined with equation (4), thenmaking yields the of social learners higher than individual learners, attracting more soci 𝑋𝑋� fitness = 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, (5) 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(1combined − 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). learners and reducing p; yields and vice versa(6) for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋� is stable, as is readily app quation (5), when with equation (4), then 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude X (equation (3)), But it is important (6) from𝑝𝑝̂ equation byofthe same argument. to recognize that behavior i = 𝛿𝛿(1 −(3), 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). learners higher than individual learners, attracting more social to equilibrate much faster than culture, a keyofassumption It is easy to see that 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases the magnitude X (equationhere, (3)),implying that p will follow McDermott 2011, as s.between above n.behaviors 3.apparent dngvice 𝑝𝑝social 𝑋𝑋�; 1 when 17 it E.isg.important see W. R. Rice, „The evolution of≠�an enigmatic human trait:in false beliefs due � me argument. But to recognize that behavior is likely during intervals in which X 𝑋𝑋 . This becomes central considering thetoimplications of ers and reducing p; and vice versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋 is stable, as is readily apparent pseudo-solution traps“, in: ThepAmerican Naturalist p. 557-566. an culture, a key assumption here,inimplying will follow the that179/2012, shifts the (see equation (3), by the same argument. Butenvironment it isthat important to below). recognize behavior is likely 18 Layton et. al. 2012,(0s. when above Xn.>12. ehaviorsmuch and shift to than extreme values 𝑋𝑋�;here, 1 when X < 𝑋𝑋�)that p will follow the uilibrate faster culture, a key assumption implying � . This becomes central in considering the implications of severe ≠ 𝑋𝑋 s difference between behaviors and shift to extreme values (0 when X > 𝑋𝑋�; 1 when X < 𝑋𝑋�) ee below). in which X ≠ 𝑋𝑋�. This becomes central in considering the implications 4 g intervals of severe in the environment (see below). https://doi.org/10.5771/9783495808337

4

.

4

om as thejuveniles sifted array of learned rules involve and we call culture and constraints uals adopting acultures lifetime rolebeliefs as re-inventions an individual orthe a social learner; wisdom. Similarities across of wheel, both but more vidual learning have all contributed something the outcome dX/dt = reinforcement βbpwe –important δX. have arisen in for this way, with subsequent byto cultural evolution,would be(3) netic basis could also influence the behavior observe. ven allowing differences in aptitude for the different roles, individuals able vely, primarily through learning. There is good reason to expect common ut attributing behavioral patterns to the a fixed set of instructions encoded in ccumulation and social learning in present model are in principle but differ ionary origins by thenegligible authors. The simplest explanation for 17 similar their efforts asproposed required effect on efficiency at see the group level. Or it may by learning processes in with response tocurrently common problems (e.g. Rice ticularly thorough justification not available. Evidence of the s from MB. eemingly adaptive or non-adaptive, is almost always learning, though of al Disruptions Halt Social Learning 16(bands) to think of each individual as about using foraging awhether mix ofsuccess the twoin learning types continuously, with p ocial groups that manyishunter-gatherer lcontrast tendencies has little to increased say genetically to MB, I assume thatrules the distinction between individual and social learning is om the sifted array of learned and beliefsbehavior we call itself culture and constraints roportion of all learning that is individual learning. Regardless the time scale of shifts have arisen in this way, with subsequent reinforcement by cultural evolution, idea that could much current human behavior isone directly attributable toofgenes 270 cally based: anof individual will adopt thegenetic) these two learning strategies thatPhilip H. Crowley etic basis also influence the behavior weofobserve. implication behavioral (rather than fitness maximization is that onary origins proposed by the authors. The simplest explanation for nnt learning types, each DM individual adopting the highest fitness strategy leads to w i = r past is basically a just-so story that hardly deserves its status in some e highest fitnessprevent at any time. refer to the model presented here the decision making ural socialI learning altogether until culture canasreeemingly adaptive or non-adaptive, is almost always learning, though of thus disruptions om. Similarities across cultures re-inventions ofonly the wheel, both al Disruptions Social Learning del. This is learned important for both individual and group success. It could reflect � Halt because Xflexibility < 𝑋𝑋array implies that w irules >involve w and thus that p→1; after aconstraints recovery s and � om the sifted of beliefs we call culture and (𝑏𝑏 𝑋𝑋 = − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. (4) would be tion in X below implies that p→1, but the recovery time , primarily through learning. There is good reason to expect common s as juveniles adopting a lifetime role as an individual or a social learner; but more � does X = 𝑋𝑋 w = w and p→𝑝𝑝̂ . Assume for simplicity that any disruption 17 i s etic basis could also influence the behavior we observe. equation (3) to zero results in earning processes in response to common problems (e.g. see Rice shorter for smaller reductions in X.) ofdifferences behavioral (rather than fitness maximization is that en allowing for in aptitude for the different roles, would be able � implies st Ximplication to zero. (Note that any reduction in Xgenetic) below 𝑋𝑋 thatindividuals p→1, but the �= 𝑋𝑋 𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, al groups (bands) that increased foraging success in many ralbe disruptions social learning altogether until culture re-X(0) eir efforts as for required with negligible effect on efficiency at the group level. prevent From text equation (12) with p hunter-gatherer = 1can and = Or 0, it may(5) dation shorter smaller reductions in X.) le arisen Disruptions Halt Social Learning (5), when combined with equation (4), then yields in this way, with subsequent reinforcement by cultural evolution, � because < 𝑋𝑋with implies and thattwo p→1; only after recovery think ofX each individual aswX(0) using mixthus of the learning typesa continuously, with p i > w=sa0, quation (12) p = 1that and 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(1 −simplest 𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). ry= origins proposed bythat the authors. The explanation for of all learning is learning. Regardless of the time scale of shifts(6) Xportion 𝑋𝑋� does w iof =𝑋𝑋(𝑡𝑡) w s and p→𝑝𝑝̂ . individual Assume for simplicity thatmaximization any disruption −𝛿𝛿𝛿𝛿 (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 tIt implication behavioral (rather than genetic) fitness is that = − 𝑒𝑒 �. (A-1) (A-1) is easy to(Note seeeach 𝑝𝑝̂any is individual stable, since 𝑝𝑝 > 𝑝𝑝̂ increases thefitness magnitude of X (equation ingly adaptive orthat non-adaptive, is almost always learning, though of but earning types, DM adopting the𝑋𝑋�highest strategy leads to w i =(3)), X to zero. that reduction in X below implies that p→1, ral disruptions prevent social learning altogether culture re- the nd so the fitness of social learners higher than individual learners, attracting more social sifted array of learned rules andinbeliefs we calluntil culture andcan constraints us dhe be shorter for smaller reductions X.) � 𝑏𝑏−𝑐𝑐 ecause X < 𝑋𝑋 implies that w w s−and thus that p→1; 𝑋𝑋 only after a as recovery −𝛿𝛿𝑡𝑡 i >behavior 𝑟𝑟𝑝𝑝̂�, � stable, basis could also the we observe. (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 = (A-2) apparent and reducing p;influence and < .so Similarly, is readily uation (12)wwith =and 1vice and (𝑏𝑏 At time trversa ,X(0) X ==for ,𝑒𝑒𝑝𝑝and 𝑋𝑋�0,= − 𝑐𝑐)/𝛼𝛼. that is (4) Xuation = 𝑋𝑋� does wp𝛼𝛼ssame p→𝑝𝑝̂ . Assume for simplicity any disruption i =the (3), by argument. But it is important to recognize that(A-1) behavior is likely −𝛿𝛿𝛿𝛿 uation (3) to zero results in (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 𝑋𝑋(𝑡𝑡) = − 𝑒𝑒 �. � X to zero. (Note that any reduction in X below 𝑋𝑋 implies that p→1, butp the isruptions Halt Social Learning 𝛼𝛼𝛼𝛼a key ibrate much faster than culture, here, implying that will follow (5) the � =�assumption 𝑋𝑋in �𝛼𝛼𝛼𝛼−𝛿𝛿(1−𝑐𝑐/𝑏𝑏) /𝛿𝛿. (A-3) 𝑡𝑡𝑟𝑟 = 𝑙𝑙𝑙𝑙reductions nd ddifference besoshorterbetween for smaller X.)𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿, � ; 1 when X < 𝑋𝑋�) behaviors and shift to extreme values (0 when X > 𝑋𝑋 𝑏𝑏−𝑐𝑐 on (5),(12) when combined with equation −𝛿𝛿𝑡𝑡(4), 𝑟𝑟 �, then yields with p ==1 (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 and X(0) =−0,𝑒𝑒genetic) (A-2) of severe tuation disruptions are statistically independent of each with anthe expected plication behavioral than fitness maximization isimplications that �(rather (A-2) ntervals inofwhich . This becomes central inother, considering 𝛼𝛼 X ≠ 𝑋𝑋 𝑝𝑝̂ = 𝛿𝛿(1 −is𝑐𝑐/𝑏𝑏)/(𝛼𝛼𝛼𝛼). (6) −𝛿𝛿𝛿𝛿 (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 sruptions of t (i.e. the disruption rate 1/t 0 ).until A complication is that more 𝑋𝑋(𝑡𝑡) = − 𝑒𝑒 �. (A-1) disruptions prevent social learning altogether culture can re0 the environment (see below). smay easyhappen to� see during that 𝑝𝑝̂ is stable, since 𝑝𝑝 > of 𝑝𝑝̂ increases the magnitude of X (equation (3)), 𝛼𝛼𝛼𝛼 a recovery interval duration t . The independence of r use w�i > w s and thus that p→1; only after a recovery(A-3) d soX < 𝑋𝑋 implies 𝑡𝑡𝑟𝑟 that = 𝑙𝑙𝑙𝑙 � /𝛿𝛿. e fitness of social learners higher than individual learners, attracting social which 𝑏𝑏−𝑐𝑐 nd the resulting exponential distribution onset times implies that themore chance −𝛿𝛿𝑡𝑡 𝑋𝑋� does w i = w sfrom and p→𝑝𝑝̂ .𝛼𝛼𝛼𝛼−𝛿𝛿(1−𝑐𝑐/𝑏𝑏) Assume for simplicity that�any disruption 𝑟𝑟of (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 = − 𝑒𝑒 �, (A-2) −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 nd reducing p; and versa for 𝑝𝑝 < 𝑝𝑝̂ . Similarly, 𝑋𝑋 is stable, as is readily apparent disruptions are statistically independent of each other, with an expected 𝛼𝛼is vice 0 ; and ruption during t 𝑒𝑒 so the chance of exactly one additional � o zero. (Note thatr any reduction in X below 𝑋𝑋 implies that p→1, but the tion (3), of bytthe same argument. But itis is1/t4important to recognize thatmore behavior is likely ruptions the disruption rate is that 0 (i.e. 0 ). A complication shorter for smaller reductions in X.) 𝛼𝛼𝛼𝛼 ate much faster𝑡𝑡than culture, a key assumption here, implying that p will may happen a 𝑙𝑙𝑙𝑙 recovery of duration t r . The independence offollow the �𝛼𝛼𝛼𝛼−𝛿𝛿(1−𝑐𝑐/𝑏𝑏) � /𝛿𝛿. (A-3) on (12) with during p (A-3) = 𝑟𝑟1 = and X(0) = 0,interval �chance d the s.resulting exponential distribution of onset times implies thatX the 2011, above n. 3. ference between behaviors and shift to extreme values (0 when > 𝑋𝑋 ; 1 when X < 𝑋𝑋�) −𝛿𝛿𝛿𝛿 disruptions are statistically independent each due other, with an expected (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 𝑋𝑋(𝑡𝑡) = enigmatic − 𝑒𝑒 trait:�.falseofbeliefs (A-1) −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 human “The evolution oft ran to pseudo-solution traps”, in: of severe � .𝑟𝑟This uption during is≠the 𝑒𝑒 𝑋𝑋 ; and sorate theiscentral chance of complication exactly one additional ervals in which X becomes in considering the implications ruptions of t (i.e. disruption 1/t ). A is that more 0 ost 179/2012, p.0557-566. he environment (seeabelow). Assume thatinterval disruptions aret r .statistically independent of each other, may happen during recovery of duration The independence of . above n. 12. 𝑏𝑏−𝑐𝑐 (𝛽𝛽𝛽𝛽/𝛿𝛿)�1 − 𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 �, = (A-2) 𝛼𝛼 with d011, thes.resulting exponential distribution of onset times implies that the chance an expected interval between disruptions of t (i. e. the disrupabove n. 3. 0 8 so the chance of exactly one additional 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ; and uption duringofttion 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 ranisenigmatic “The evolution human trait: false beliefs due to pseudo-solution traps”, in: rate is 1/t ). A complication is that more than one disruption may 𝛼𝛼𝛼𝛼 0 (A-3) t 179/2012, p. 𝑡𝑡557-566. 𝑟𝑟 = 𝑙𝑙𝑙𝑙 �𝛼𝛼𝛼𝛼−𝛿𝛿(1−𝑐𝑐/𝑏𝑏)� /𝛿𝛿. 4

happen during a recovery interval of duration tr. The independence of above n. 12. uptions are statistically independent of each other, with an expected 011, s. above n. 3.disruption events and the resulting exponential distribution of onset ionsevolution of t 0 (i.e. disruption is 1/t is that more 0 ). A complication 8ratetrait: “The of the an enigmatic human false due to pseudo-solution traps”, in: times implies that thebeliefs chance ofindependence no additional a recovery interval of duration t r . The of disruption during tr is t happen 179/2012,during p. 557-566. eabove resulting n. 12. exponential distribution of onset times implies that the chance

on during t r is 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ; and so the chance of exactly one additional 8

and so the chance of exactly one additional disruption during tr is

s. above n. 3. evolution of an enigmatic human trait: false beliefs due to pseudo-solution traps”, in: 2 9/2012, p. 557-566. ion during t r is �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , the chance of exactly two is �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , ve n. 12. 𝑛𝑛

chance of exactly n is �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , a geometric series. 8 The expected duration added by an overlapping disruption t a is the same as the expected chance of exactly twooccurs: is uring the initial the t r that the additional disruption 𝑡𝑡 ∫ 𝑟𝑟 𝑡𝑡𝑒𝑒 −𝑡𝑡/𝑡𝑡0 𝑑𝑑𝑑𝑑 2

)𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0

/𝑡𝑡 � 𝑡𝑡 −𝑡𝑡�1−(1+𝑡𝑡 /𝑡𝑡 0 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 𝑡𝑡 exactly 𝑡𝑡two is �1 = 0 𝑟𝑟 0 , 𝑟𝑟−𝑡𝑡𝑟𝑟0/𝑡𝑡0 = 𝑡𝑡0 − 𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡𝑟𝑟0 . (A-4) 𝑎𝑎 = 𝑡𝑡𝑟𝑟 −𝑡𝑡/𝑡𝑡0 1−𝑒𝑒 𝑒𝑒 −1 𝑑𝑑𝑑𝑑 ∫0 𝑒𝑒 ometric series. hat t a is the same for any additional overlapping disruptions as well. isruption t a is the same as the expected This means that the expected continuous disruption time t d is urs: and the chance of−𝑡𝑡exactly n is −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 2 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑟𝑟𝑟𝑟𝑡𝑡/𝑡𝑡 +0𝑡𝑡�𝑒𝑒 (A-5) −𝑡𝑡𝑟𝑟− /𝑡𝑡0𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 �𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟𝑟𝑟 /𝑡𝑡00+2 ⋯−𝑡𝑡.𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 /𝑡𝑡 𝑎𝑎 �1 ng0t�r is �1𝑡𝑡𝑑𝑑−=𝑒𝑒 −𝑡𝑡 , the chance of exactly two is �1 − 𝑒𝑒 � 𝑒𝑒 , 𝑟𝑟 = 𝑡𝑡0of−the𝑡𝑡𝑟𝑟geometric . 𝑟𝑟/𝑡𝑡series (A-4) the limit 𝑛𝑛 −𝑡𝑡and /𝑡𝑡0 −1−𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 substituting then yields 0 𝑟𝑟 𝑒𝑒 of exactly n is �1 − 𝑒𝑒 � 𝑒𝑒 , a geometric series. 1 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 )�1 = 𝑡𝑡well. 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �disruption � = (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0as 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �. (A-6) 𝑑𝑑 as 𝑟𝑟 +added sruptions pected 𝑡𝑡duration by𝑒𝑒an 𝑟𝑟overlapping the−expected 1−�1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡t0a� is the same a geometric series. n time t is e cycle initialof tdr disruption that the additional disruption and recovery, p = 1occurs: during t d , and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ from text equation (6) 𝑡𝑡𝑟𝑟 2 −𝑡𝑡/𝑡𝑡 −𝑡𝑡𝑟𝑟that 0 𝑡𝑡𝑒𝑒𝑒𝑒 −𝑡𝑡 𝑟𝑟0/𝑡𝑡 0 +⋯ 𝑑𝑑𝑑𝑑 ∫/𝑡𝑡 𝑡𝑡0.average �1−(1+𝑡𝑡𝑟𝑟𝑝𝑝̅(A-5) /𝑡𝑡is0 )𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 � 𝑡𝑡𝑟𝑟 ise, long-term − 𝑒𝑒so 0 � the 𝑡𝑡𝑎𝑎+= = 𝑡𝑡0 −𝑡𝑡 𝑝𝑝̂ 𝑡𝑡+𝑟𝑟/𝑡𝑡(𝑡𝑡 . (A-4) /𝑡𝑡0 = 𝑡𝑡 0𝑟𝑟𝑑𝑑𝑑𝑑 0 0𝑟𝑟−1 (𝑡𝑡 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 𝑡𝑡0 )�1 + 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � � hen 1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟𝑡𝑡/𝑡𝑡 𝑟𝑟 yields 0 𝑝𝑝̂ 0 𝑒𝑒 𝑒𝑒 −𝑡𝑡/𝑡𝑡 ∫0 𝑟𝑟 − + = . −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) −𝑡𝑡𝑡𝑡 /𝑡𝑡+ (𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 )(1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) (𝑡𝑡 (𝑡𝑡 )(1 )(1 + + 𝑡𝑡 + + 𝑡𝑡 𝑡𝑡 − 𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 the �same additional 0 �. 𝑟𝑟 (A-6) 𝑟𝑟 0for+any 0 disruptions as well. 0 𝑟𝑟 0 (𝑡𝑡 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟0overlapping 𝑡𝑡0 )�1 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � = � � A similar approach can be used todisruption find the long-term of (A-7) eans that the expected continuous time t d is 𝑋𝑋. First find 𝑋𝑋𝑑𝑑 , the average level and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ from text equation (6) 2 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 each phase of the during −𝑡𝑡𝑟𝑟the /𝑡𝑡0 time-weighted 0 �X𝑒𝑒during 𝑟𝑟 0 + ⋯ . 𝑡𝑡𝑑𝑑 = 𝑡𝑡a𝑟𝑟 disruption, + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − 𝑒𝑒as �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1average − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡of (A-5) ion, beginning with equation (A-1) and allowing for overlap: it of𝑡𝑡the series and then yields 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0substituting (𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 )�1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 𝑝𝑝̂ +geometric �

=

𝑡𝑡0𝑟𝑟

𝑟𝑟 0𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 𝑟𝑟 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/.

−𝑡𝑡𝑟𝑟−𝑡𝑡 /𝑡𝑡0𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 = ∫𝑡𝑡0𝑡𝑡 + 𝑒𝑒 −𝑡𝑡∫0𝑟𝑟−/𝑡𝑡𝑒𝑒0 �𝑒𝑒 + 𝑡𝑡(𝑡𝑡 �1 +− 𝑡𝑡 0)(1 = 𝑋𝑋�𝑟𝑟.0 First𝑎𝑎𝑟𝑟find0𝑋𝑋� , the ave rm 𝑑𝑑 f disruption and recovery, p of X during each phase of the

𝑑𝑑)

https://doi.org/10.5771/9783495808337 2

d

̂

.

Human Evolution and Culture

271

The expected duration added by an overlapping disruption ta is the 2 dis-

𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , the chance of exactly two is �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , disruption during t r isas �1 the − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡expected same time during the initial tr that the additional 𝑛𝑛 and the chanceruption of exactlyoccurs: n is �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , a geometric series. The expected duration added by an overlapping disruption t a is the same as the expected time during the initial t r that the additional disruption occurs:

𝑡𝑡 ∫ 𝑟𝑟 𝑡𝑡𝑒𝑒 −𝑡𝑡/𝑡𝑡0 𝑑𝑑𝑑𝑑

𝑡𝑡0 �1−(1+𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 )𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 �

𝑡𝑡𝑟𝑟

2

0 /𝑡𝑡0 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟(A-4) = 𝑡𝑡two . disruption during𝑡𝑡𝑎𝑎t r = is �1𝑡𝑡𝑟𝑟− −𝑡𝑡/𝑡𝑡 𝑒𝑒 −𝑡𝑡0𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �𝑒𝑒=−𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , the chance of exactly 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 , 0 −is𝑒𝑒�1 (A-4) 𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡− 0 −1 1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 𝑑𝑑𝑑𝑑 ∫0 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 𝑛𝑛 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 and the chance of exactly n is �1 − 𝑒𝑒 � 𝑒𝑒 , a geometric series. Note that t a is the same for any additional overlapping disruptions as well. 2 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0by −𝑡𝑡 The an𝑟𝑟 /𝑡𝑡overlapping is overlapping the 0 , thedisruption 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0expected Thisexpected means expected continuous t dt aistwo disruption during t rduration is the �1 − oftime exactly is same �1 − 𝑒𝑒as−𝑡𝑡the � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , Notethat that ta𝑒𝑒added is the�𝑒𝑒 same forchance anydisruption additional disruptions as 2 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 time during the initial t r that the additional occurs: 𝑛𝑛𝑟𝑟 /𝑡𝑡−𝑡𝑡 −𝑡𝑡𝑟𝑟−𝑡𝑡 /𝑡𝑡0𝑟𝑟 /𝑡𝑡disruption −𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 0 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 𝑡𝑡 0 ,t�1 𝑟𝑟 𝑒𝑒0 �𝑒𝑒 𝑟𝑟 +0 ⋯ 𝑡𝑡of 𝑡𝑡𝑡𝑡𝑟𝑟𝑟𝑟 + 𝑡𝑡−𝑡𝑡/𝑡𝑡 − 𝑒𝑒−disruption + −�1𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 �series. . chance (A-5) and the chance exactly n�1 is0 �1 𝑒𝑒 �𝑒𝑒0 � 𝑒𝑒during ar is geometric , the of exactly two is �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 / 𝑑𝑑 = 𝑎𝑎 𝑎𝑎−𝑡𝑡 well. 𝑑𝑑𝑑𝑑 ∫0 𝑡𝑡𝑒𝑒 𝑡𝑡0 �1−(1+𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 )𝑒𝑒 𝑟𝑟/𝑡𝑡0 � 𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 𝑛𝑛 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 Taking the limit of the geometric series and substituting then yields The expected duration added by an overlapping disruption t is the same as the expected 𝑟𝑟 0 0, a =and the =n is 𝑡𝑡0�1 −a−𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟disruption (A-4) the chance of0 exactly 𝑒𝑒 𝑟𝑟 time geometric 𝑡𝑡𝑎𝑎 = This that expected is 2 series. 𝑡𝑡 means −𝑡𝑡 /𝑡𝑡continuous −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 −1.� two 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 0 �𝑒𝑒 0 , the chance −𝑡𝑡/𝑡𝑡 𝑟𝑟/𝑡𝑡−𝑡𝑡 𝑒𝑒of exactly 0 𝑑𝑑𝑑𝑑 tadditional d 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 , during �1 − 𝑒𝑒t−𝑡𝑡 ∫0 𝑟𝑟t r𝑒𝑒that r is �1 − 𝑒𝑒1−𝑒𝑒 1𝑟𝑟occurs: time during𝑡𝑡thedisruption initial disruption −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡is 0 � expected 0 �. The duration by an overlapping disruption t a is the same as )�1 (𝑡𝑡added − 𝑒𝑒 �1 −the 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 = + 𝑡𝑡 (A-6) 𝑛𝑛 �−𝑡𝑡 𝑑𝑑 = 𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 𝑟𝑟 0 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 �𝑒𝑒 0, a 𝑟𝑟 any Note that t a is theand same additional overlapping as well. the for chance of0exactly is �1 1−�1−𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 0disruptions geometric series. 0 � 𝑟𝑟 the 𝑑𝑑𝑑𝑑 time𝑡𝑡0n 𝑡𝑡𝑒𝑒 −𝑡𝑡/𝑡𝑡 ∫ )𝑒𝑒 −𝑡𝑡�𝑟𝑟t/𝑡𝑡 �1−(1+𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑟𝑟 disruption during the additional occurs: 𝑟𝑟 /𝑡𝑡initial r that 0 𝑝𝑝̂𝑡𝑡0from equation (6) (A-4) In eachThis cyclemeans of disruption and recovery, t d , and 𝑡𝑡𝑎𝑎that = the = p = 1 during − text continuous disruption time t= d is 𝑡𝑡𝑟𝑟expected 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑝𝑝 = The expected overlapping 𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 −1.t a is the same −𝑡𝑡/𝑡𝑡 −𝑡𝑡/𝑡𝑡0 𝑑𝑑𝑑𝑑 duration added 𝑟𝑟/𝑡𝑡0an ∫ −𝑡𝑡 /𝑡𝑡as the expected 0 𝑑𝑑𝑑𝑑disruption 1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡by 𝑒𝑒 𝑒𝑒 𝑡𝑡𝑒𝑒 ∫ 𝑡𝑡 2 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡𝑡𝑡0 �1−(1+𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 )𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 � 0 0 otherwise, so that the long-term average 𝑝𝑝̅ is −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑟𝑟t r 0that 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 � 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 + ⋯ . the additional disruption occurs: time during the initial 𝑡𝑡 = = = 𝑡𝑡0 − 𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡𝑟𝑟0 . 𝑡𝑡 = 𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 �1 − 𝑒𝑒 �𝑒𝑒 + 𝑡𝑡 �1 − 𝑒𝑒 (A-5) (A-5) 𝑡𝑡 𝑎𝑎 𝑑𝑑 𝑟𝑟 𝑎𝑎 𝑎𝑎 /𝑡𝑡 Note(𝑡𝑡that+t𝑡𝑡a is the disruptions −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0for any additional −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡−𝑡𝑡 𝑒𝑒 −1 0 as 0 �𝑟𝑟 0 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑑𝑑𝑑𝑑 ∫0 𝑟𝑟𝑡𝑡0𝑒𝑒𝑝𝑝̂−𝑡𝑡/𝑡𝑡 )�1 − 𝑒𝑒1−𝑒𝑒 −the 𝑒𝑒same + (𝑡𝑡 +well. 𝑡𝑡overlapping � −𝑡𝑡/𝑡𝑡 𝑟𝑟 limit 0 )�1 0 𝑝𝑝̂0 𝑑𝑑𝑑𝑑 𝑟𝑟 −𝑡𝑡 00 𝑟𝑟𝑡𝑡/𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑒𝑒 ∫ )𝑒𝑒 𝑡𝑡 �1−(1+𝑡𝑡 /𝑡𝑡 � Taking the of geometric series and substituting then yields 0 𝑟𝑟 t0d is 0continuous disruption 𝑝𝑝̅ = + =Note = for . 𝑡𝑡𝑟𝑟 disruptions This means that the expected time −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 ) that t is the same any additional overlapping as well. = = 𝑡𝑡 . (A-4) 0) 𝑟𝑟− a (𝑡𝑡 (𝑡𝑡 )(1 )(1 + 𝑡𝑡 + + 𝑡𝑡 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )(1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ) 𝑡𝑡−𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑡𝑡0 + − 𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 𝑡𝑡 𝑎𝑎 0 0 0 𝑑𝑑𝑑𝑑 0 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡𝑟𝑟0 2 0 1 /𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑒𝑒 𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 −1 ∫0𝑟𝑟𝑟𝑟𝑟𝑟−𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0−𝑡𝑡 0−𝑡𝑡 /𝑡𝑡𝑒𝑒0𝑟𝑟−𝑡𝑡/𝑡𝑡 /𝑡𝑡0+ 𝑡𝑡 )�1 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡− 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 0 + 𝑡𝑡 that (𝑡𝑡𝑟𝑟and 𝑡𝑡𝑑𝑑Taking 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 =approach − 𝑒𝑒be − �the �1−𝑒𝑒 �. then (A-6) 𝑡𝑡𝑑𝑑𝑟𝑟 + = 𝑡𝑡𝑡𝑡the +can 𝑡𝑡limit 𝑒𝑒 �𝑒𝑒 �𝑒𝑒 𝑒𝑒. −𝑡𝑡 � 𝑒𝑒0substituting + ⋯𝑟𝑟 . 0disruption (A-5) �𝑑𝑑 , 0the This means the expected continuous 𝑎𝑎𝑟𝑟�1 𝑟𝑟 find of the geometric yields −𝑡𝑡𝑎𝑎𝑟𝑟�1 /𝑡𝑡series A similar used to find long-term 𝑋𝑋�= First 𝑋𝑋 average level oftime t d is 𝑎𝑎 �1 (A-7) 0 �− 1−�1−𝑒𝑒 Note that t is the same for any additional overlapping disruptions as well. 2 a −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 Taking the limit of the geometric seriespand substituting then yields 𝑟𝑟phase 0equation 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 0 (6) culture during disruption, as the time-weighted average of X during each of the In each cycle ofadisruption and recovery, = 1 during t , and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ from text 𝑡𝑡 = 𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 �1 − 𝑒𝑒 �𝑒𝑒 + 𝑡𝑡 �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 + ⋯ . d 𝑑𝑑 𝑟𝑟 𝑎𝑎 𝑎𝑎 This means that the expected continuous disruption time t d is 1for overlap: disruption,sobeginning with equation and allowing −𝑡𝑡(A-1) /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 𝑟𝑟 0 otherwise, that the long-term average 𝑝𝑝̅ is of the /𝑡𝑡 geometric and−substituting 𝑡𝑡𝑑𝑑 = 𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − 𝑒𝑒 Taking �𝑒𝑒 the limit �1−�1−𝑒𝑒 � 0= (𝑡𝑡𝑟𝑟 series + 𝑡𝑡0 )�1 �. then (A-6)yields 𝑒𝑒 2 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0−𝑡𝑡 0 � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 +(A-6) �10/𝑡𝑡− −𝑡𝑡 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 �𝑒𝑒𝑟𝑟 −𝑡𝑡𝑡𝑡0𝑟𝑟�/𝑡𝑡 + 𝑡𝑡𝑎𝑎+ �1𝑡𝑡 /𝑡𝑡 − 𝑒𝑒2−𝑡𝑡−𝑟𝑟 /𝑡𝑡 ⋯ . 2 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0(A-5) 𝑡𝑡 = 𝑡𝑡 + 𝑡𝑡𝑡𝑡𝑎𝑎𝑟𝑟−𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 /𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑟𝑟0 � 𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 the (𝑡𝑡𝑟𝑟 +∫𝑡𝑡𝑡𝑡disruption 𝑟𝑟 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟during 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡of −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡 −𝑡𝑡 −𝑡𝑡 𝑟𝑟 �𝑒𝑒 t r is𝑑𝑑 �1 −𝑟𝑟𝑟𝑟𝑒𝑒� −𝑡𝑡 chance exactly two 𝑒𝑒1 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0�� = 𝑒𝑒 (𝑡𝑡 +, 𝑡𝑡 )�1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 0 ���1−𝑒𝑒 0 )�1 0 )�1 𝑟𝑟𝑟𝑟/𝑡𝑡 00�𝑒𝑒 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 �𝑒𝑒p0 𝑝𝑝̂ �yields +⋯ �0is��1�.−(6) 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 ∫0limit 𝑡𝑡𝑑𝑑 = ,and 𝑡𝑡𝑛𝑛t𝑟𝑟d ,+ 𝑡𝑡0𝑎𝑎 �+�1−𝑒𝑒 �1 − 𝑝𝑝̂𝑒𝑒𝑟𝑟 −𝑡𝑡 0 0 In each cycle of disruption and recovery, = 1 during and 𝑝𝑝 = from text equation 𝑝𝑝̅ = + = 𝑟𝑟 0 Taking the of the geometric series substituting then −𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 ) −𝑡𝑡 𝑡𝑡/𝑡𝑡 + (𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 )(1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡01−�1−𝑒𝑒 𝑟𝑟 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 (𝑡𝑡 (𝑡𝑡 )(1 )(1 ) + + 𝑡𝑡 + + 𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑡𝑡 − 𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 � 0𝑑𝑑 = 𝑟𝑟 and 0 the chance of exactly 0 𝑟𝑟 is �1 0 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 � 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 0 , a geometric 𝑟𝑟 1 0 𝑋𝑋 . (A-8) n series. otherwise, soIn thateach the long-term average 𝑝𝑝̅ cycle is𝑡𝑡 −𝑡𝑡of /𝑡𝑡0disruption −𝑡𝑡 /𝑡𝑡�0 and recovery, −𝑡𝑡𝑟𝑟𝑝𝑝/𝑡𝑡= 𝑟𝑟 𝑟𝑟 0 In each p = 1 during t , and 𝑝𝑝̂ from cycle of disruption and recovery, p = 1 during t , and � d (𝑡𝑡 )�1 𝑑𝑑𝑒𝑒 long-term 𝑡𝑡𝑟𝑟 +to 𝑡𝑡𝑎𝑎find �1 −the �𝑒𝑒 = average +𝑟𝑟𝑡𝑡/𝑡𝑡00 level �. (A-6)text equat − of 𝑒𝑒 A similar approach can𝑡𝑡𝑑𝑑be=used 𝑋𝑋.�First find 𝑋𝑋0𝑑𝑑��, the (A-7) 𝑟𝑟 −𝑡𝑡 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � The duration added anthe overlapping disruption same as the expected a−is𝑒𝑒 the (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑒𝑒 −𝑡𝑡expected 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂soby 𝑡𝑡1−�1−𝑒𝑒 �d of 0 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡 𝑟𝑟 + 𝑡𝑡the 0 )�1 After some calculations, again including the geometric series derived from otherwise, that long-term average 𝑝𝑝̅ tprobabilities is culture a disruption, as the time-weighted average of X during each phase of the from text equation (6) otherwise, so that the long-term average is 𝑝𝑝̅ = during + = . Induring each and recovery, p0=)𝑟𝑟1/𝑡𝑡0during t , and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ −𝑡𝑡 from time that additional disruption occurs: −𝑡𝑡𝑟𝑟initial /𝑡𝑡of /𝑡𝑡 text equation (6) 0 ) disruption 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 (𝑡𝑡𝑟𝑟the )(1 + 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡 𝑡𝑡t0r(A-1) − cycle 𝑒𝑒the 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 overlapping intervals of disruption, it+ emerges that )�1 (𝑡𝑡𝑡𝑡𝑟𝑟0allowing −for 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 + 𝑡𝑡0− 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )�1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )(1with �𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡𝑟𝑟d + 𝑡𝑡0 )(1 −𝑡𝑡0𝑒𝑒𝑝𝑝̂ 𝑟𝑟 0 ) disruption, beginning equation and 𝑡𝑡𝑟𝑟 long-term −𝑡𝑡 otherwise, socan thatbe the 𝑝𝑝̅ isoverlap: 0find 𝑝𝑝̅𝑡𝑡𝑒𝑒=−𝑡𝑡/𝑡𝑡 + 𝑟𝑟/𝑡𝑡find =of 0 � 𝑋𝑋 �0.0)𝑒𝑒 �𝑑𝑑 , the average 𝑑𝑑𝑑𝑑 average ∫0 used 𝑡𝑡0long-term �1−(1+𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑟𝑟−𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡 A𝑡𝑡similar approach to the 𝑋𝑋 First level −𝛿𝛿𝑡𝑡 (A-7) 𝑟𝑟 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 𝑟𝑟 0 𝛽𝛽𝛽𝛽 1 1−𝑒𝑒 𝑡𝑡 1 (𝑡𝑡 (𝑡𝑡 (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0 )(1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 )(1 ) )(1 ) 2+ + 𝑡𝑡0 −𝑡𝑡 +/𝑡𝑡𝑟𝑟0/𝑡𝑡 𝑡𝑡00� + − 𝑒𝑒𝑡𝑡 )�1. − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 𝑟𝑟 𝑒𝑒 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑡𝑡 𝑡𝑡 )�1 −𝑡𝑡 0 0+� (A-4) 𝑟𝑟 /𝑡𝑡𝑟𝑟 = −−𝑒𝑒𝑡𝑡𝑒𝑒𝑟𝑟−𝑡𝑡−𝛿𝛿𝑡𝑡 = 𝑡𝑡𝑝𝑝̂0𝑡𝑡+0− 𝑟𝑟�/𝑡𝑡𝑟𝑟= 𝑟𝑟𝑡𝑡/𝑡𝑡 (𝑡𝑡 0 ���1−𝑒𝑒 +−𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 𝑡𝑡0𝑎𝑎 �1 𝑋𝑋�𝑑𝑑 a=disruption, �𝑡𝑡 �0−𝑡𝑡 + + −1−𝑒𝑒 − �during �10 −𝑡𝑡−𝑡𝑡 𝑒𝑒0 𝑟𝑟each ��. � �𝑒𝑒 �+�1−𝑒𝑒 �𝑟𝑟0𝑡𝑡phase +⋯ � (𝑡𝑡of −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 /𝑡𝑡00−1(A-9) ∫0 𝑟𝑟 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 𝑟𝑟𝑟𝑟∫ 00𝑝𝑝̂ 0 𝑟𝑟the 2 culture during 𝑒𝑒𝑟𝑟𝑡𝑡+ � . First 𝑑𝑑𝑑𝑑 𝑒𝑒𝑟𝑟−𝑡𝑡/𝑡𝑡 𝛿𝛿X𝑟𝑟can 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝛿𝛿average 2 of 𝑝𝑝̅ =𝛿𝛿𝑡𝑡𝑑𝑑 0 0 𝛿𝛿as the∫0time-weighted +similar = to . find 𝑋𝑋�𝑑𝑑 , the av A approach be used find the long-term 𝑋𝑋 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 (𝑡𝑡𝑟𝑟 +equation ) 𝑡𝑡allowing )(1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 ) + for 𝑡𝑡0 )(1(A-8) 𝑡𝑡0 + (𝑡𝑡 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0and − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 ) 𝑋𝑋�𝑑𝑑 =this together . 𝑟𝑟 +average disruption, beginning (A-1) 0t+with 0 )(1 − 0 + (𝑡𝑡𝑟𝑟overlapping Note that𝑡𝑡with the 𝑡𝑡same for anythe additional disruptions as well. �𝑡𝑡0is overlap: culture during a disruption, as the time-weighted of X during each phase of a isprevious Putting results, 𝑡𝑡𝑑𝑑long-term A 𝑡𝑡similar approach can be/𝑡𝑡used to 𝑋𝑋find the long-term 𝑋𝑋�. 2First find 𝑋𝑋�𝑑𝑑 , the average level of (A-7) 𝑡𝑡 that 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑟𝑟 −𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 This means the expected continuous disruption time t is � � disruption, beginning with equation (A-1) and allowing for overlap: 𝑟𝑟 𝑟𝑟 𝑟𝑟 0 0 0 dprobabilities After some calculations, again including the geometric from the of 𝑡𝑡0 𝑋𝑋+𝑡𝑡𝑑𝑑���1−𝑒𝑒 𝑋𝑋𝑑𝑑 series derived � �𝑒𝑒 �+�1−𝑒𝑒 � +⋯ � 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 ∫0 (A-7) ∫ 𝑟𝑟 0 0 � =as the−𝑡𝑡time-weighted culture during a disruption, average of X during each phase of the 2 𝑋𝑋 . (A-10) 0 �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡𝑡𝑡0𝑟𝑟 +𝑡𝑡 𝑡𝑡 �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �−𝑡𝑡 0 + ⋯−𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑟𝑟 /𝑡𝑡 overlapping of disruption, emerges 𝑡𝑡𝑒𝑒 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �2 +⋯ � 𝑡𝑡𝑑𝑑 = 𝑡𝑡𝑟𝑟it+ 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1equation −that 𝑒𝑒𝑟𝑟−𝑡𝑡 . 𝑟𝑟/𝑡𝑡0 �+�1−𝑒𝑒 (A-5) 𝑋𝑋�𝑑𝑑 = intervals . 0𝑟𝑟 /𝑡𝑡 (A-8) 𝑑𝑑(A-1) 𝑎𝑎 disruption, beginning with and0 allowing for overlap: ���1−𝑒𝑒 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ ∫𝑡𝑡00+𝑡𝑡 ∫0 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 𝑟𝑟 � �𝑒𝑒 𝑑𝑑 𝑟𝑟 𝛽𝛽𝛽𝛽 1of the geometric 1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡and 𝑡𝑡𝑟𝑟 1 Taking the limit series substituting then yields � 2 −𝛿𝛿𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑟𝑟 𝑟𝑟 0 𝑋𝑋 = . � 𝑟𝑟 𝑟𝑟 −𝑡𝑡𝑟𝑟� /𝑡𝑡derived −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡��. −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 After some𝑋𝑋calculations, probabilities of � �1including − 𝑒𝑒 �𝑑𝑑the +𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 �geometric + series − �1 − 𝑒𝑒 from 0 0the ���1−𝑒𝑒 �+�1−𝑒𝑒 +⋯ 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 𝑑𝑑 = 𝛿𝛿𝑡𝑡 �𝑡𝑡𝑟𝑟 − ∫again 𝑡𝑡𝑑𝑑 𝑟𝑟 0 �(A-9) 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝛿𝛿 2 −𝑡𝑡𝑟𝑟 �/𝑡𝑡 2�𝑒𝑒 𝛿𝛿 0 ∫0 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 0 𝛿𝛿 1 𝑑𝑑 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 𝑟𝑟 that 0 �𝑒𝑒 𝑟𝑟 0 � )�1 (𝑡𝑡 overlapping intervals of disruption, it emerges 𝑡𝑡 − 𝑒𝑒 = 𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 �1 − 𝑒𝑒 � = + 𝑡𝑡 �. (A-6) � 𝑑𝑑 𝑟𝑟 𝑎𝑎 𝑟𝑟 0 𝑋𝑋with . derived After some calculations, again −𝑡𝑡 including the geometric from the prob 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 1−�1−𝑒𝑒 𝑑𝑑 =previous A similar approach can be used to� find . Firstseries find , (A-8) Putting this together results, the long-term 𝑡𝑡𝑑𝑑 the long-term −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑋𝑋 is 𝛽𝛽𝛽𝛽 of disruption 1 1−𝑒𝑒 𝑡𝑡during 1 t , andit−𝑡𝑡 𝑟𝑟 disruption, overlapping intervals that −𝛿𝛿𝑡𝑡 /𝑡𝑡0𝑝𝑝̂ from Inthe each cycle and recovery, 1of 𝑝𝑝emerges text the equation (6) 𝑟𝑟 � 𝑟𝑟= d −series 𝑡𝑡0+ 𝑋𝑋�including +𝑡𝑡 𝑋𝑋�𝑑𝑑2p =the 𝑋𝑋�After �𝑡𝑡 − �1 − 𝑒𝑒 � + − � �1 𝑒𝑒 ��. (A-9) some calculations, again geometric derived from probabilities of 𝑑𝑑 𝑑𝑑 = 𝑟𝑟 average level of culture during a disruption, as the time-weighted � = average 𝛿𝛿𝑡𝑡𝑑𝑑 𝛿𝛿 𝛿𝛿 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝛿𝛿 . 𝑟𝑟 1 1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡(A-10) 𝑡𝑡𝑟𝑟 1 otherwise, so that the long-term is𝛽𝛽𝛽𝛽 2 that −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 overlapping intervals of𝑋𝑋disruption, 𝑡𝑡0 +𝑡𝑡𝑋𝑋 �𝑑𝑑it𝑑𝑑 𝑝𝑝̅emerges = �𝑡𝑡 − �1 − 𝑒𝑒 � + � + − � �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ��. 𝑟𝑟 average of X during each phase of the disruption, beginning with equa� −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 2 𝑟𝑟 results, 0� Putting this together with previous the long-term 𝛿𝛿 𝛿𝛿 − 𝑒𝑒 2 𝑟𝑟 0𝛿𝛿� (𝑡𝑡𝑟𝑟 + − 𝑒𝑒 𝛽𝛽𝛽𝛽 𝑡𝑡0 )�1 𝑡𝑡𝛿𝛿𝑡𝑡0 𝑑𝑑𝑝𝑝̂𝑋𝑋 is1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑡𝑡0𝑟𝑟)�1 𝑟𝑟 1 𝑡𝑡𝑟𝑟 0 1 −𝛿𝛿𝑡𝑡 −𝑡𝑡 /𝑡𝑡 𝑝𝑝̅ = + = . 𝑟𝑟 0 𝑡𝑡0 𝑋𝑋�− +𝑡𝑡 =allowing �1 𝑒𝑒𝑑𝑑 𝑋𝑋�𝑑𝑑 𝑟𝑟 �with +−� previous − 𝛿𝛿�(𝑡𝑡the �1+− (A-9) 𝑋𝑋�𝑑𝑑 − −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0𝑟𝑟) − this /𝑡𝑡0 )+results, /𝑡𝑡0 ) tion overlap: 𝑟𝑟�𝑡𝑡 𝑟𝑟2 (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0and (𝑡𝑡 )(1 𝑡𝑡𝑒𝑒0 )(1 − ��. 𝑡𝑡0 +(A-1) 𝑒𝑒𝛿𝛿𝑡𝑡 𝑒𝑒𝑡𝑡−𝑡𝑡 𝑒𝑒 −𝑡𝑡 Putting 𝑋𝑋�𝑟𝑟is 2 𝑡𝑡0 + 0 +together 𝑟𝑟 + 𝑡𝑡0. )(1 𝑟𝑟 long-term 𝑟𝑟 𝛿𝛿 𝑑𝑑 𝑋𝑋� =𝑡𝑡𝛿𝛿for (A-10) 𝑡𝑡0 +𝑡𝑡 � . First find �𝑑𝑑𝑑𝑑𝑋𝑋,� 𝑑𝑑the average level 𝑑𝑑 find the long-term �𝑋𝑋 𝑡𝑡0 𝑋𝑋�+𝑡𝑡 A similar approach can be used to 𝑋𝑋 of (A-7) Putting this together with previous results, the long-term 𝑋𝑋 is𝑋𝑋 �= . of the culture during a disruption, as the time-weighted𝑡𝑡 average 𝑡𝑡0 +𝑡𝑡phase 𝑑𝑑 𝑋𝑋�+𝑡𝑡𝑑𝑑 𝑋𝑋�𝑑𝑑 of X during each 0 � =allowing for . overlap: (A-10) disruption, beginning with equation (A-1) 𝑋𝑋 and 𝑡𝑡 +𝑡𝑡

𝑋𝑋�𝑑𝑑 =

𝑡𝑡

𝑡𝑡

0

𝑡𝑡

𝑑𝑑

2

∫0 𝑟𝑟 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫0 𝑟𝑟 ∫0 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡𝑟𝑟 � �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ���1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 �+�1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � +⋯ �

.

𝑡𝑡𝑑𝑑

(A-8)

After some calculations, again including the geometric series derived from the probabilities of overlapping intervals of disruption, it emerges that

(A-8) 𝛽𝛽𝛽𝛽 1 1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑡𝑡𝑟𝑟 1 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 𝑋𝑋�𝑑𝑑 = 𝛿𝛿𝑡𝑡 �𝑡𝑡𝑟𝑟 − 𝛿𝛿 �1 − 9𝑒𝑒 𝑑𝑑

�+�

𝑡𝑡𝑟𝑟 𝛿𝛿 2

+

2

− 𝛿𝛿� �1 − 𝑒𝑒

Putting this together with previous results, the long-term 𝑋𝑋� is 9





𝑡𝑡 𝑋𝑋+𝑡𝑡 𝑋𝑋 𝑋𝑋� = 0 𝑑𝑑 𝑑𝑑.

��.

(A-9) (A-10)

𝑡𝑡0 +𝑡𝑡𝑑𝑑

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

−𝑡𝑡 /𝑡𝑡

−𝑡𝑡 /𝑡𝑡

−𝑡𝑡 /𝑡𝑡

0 �𝑒𝑒 0 � 𝑟𝑟 0 �. )�1 − 𝑒𝑒(A-5) (𝑡𝑡⋯ + −𝑡𝑡 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 𝑒𝑒 𝑡𝑡𝑟𝑟 �1 (A-6) 𝑟𝑟 /𝑡𝑡𝑡𝑡0𝑟𝑟�𝑒𝑒 𝑟𝑟 /𝑡𝑡− 0 + 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � 𝑒𝑒−𝑡𝑡−𝑡𝑡/𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡�0 = 𝑑𝑑 = 𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − 𝑒𝑒𝑡𝑡−𝑡𝑡 − 𝑒𝑒𝑟𝑟 −𝑡𝑡 +limit . of𝑡𝑡0the 𝑟𝑟 0 � the 1−�1−𝑒𝑒 Taking geometric series and substituting then yields 𝑎𝑎 1 (6) In each cycle of disruption and recovery, p =yields 1 during t d , and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ from text equation −𝑡𝑡 e geometric series and substituting then 𝑡𝑡𝑑𝑑 = 𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �1−�1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �� = (𝑡𝑡𝑟𝑟 + otherwise, −𝑡𝑡 so that the long-term average 𝑝𝑝̅ is 1 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡recovery, + 𝑡𝑡𝑎𝑎 �1 − �. − (A-6) − 𝑒𝑒of 0� In 𝑡𝑡each p = 1 during t d , and 𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ fr 0 )�1 (𝑡𝑡𝑟𝑟𝑒𝑒+ 𝑡𝑡0 )�1�𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ��1−�1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �� 𝑒𝑒and + 𝑡𝑡0 )�1 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂= (𝑡𝑡𝑟𝑟 + 𝑡𝑡cycle 0 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡 𝑟𝑟 disruption 𝑝𝑝̅ = + = . −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) −𝑡𝑡otherwise, −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0average so that the long-term 𝑝𝑝̅ isCrowley 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) (𝑡𝑡 (𝑡𝑡 (𝑡𝑡 )(1 )(1 )(1 ) + + 𝑡𝑡 + + 𝑡𝑡 + + 𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑡𝑡 𝑡𝑡 − 𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 Philip H. 0 𝑟𝑟 272 0 0 t , 𝑟𝑟and0𝑝𝑝 = 𝑝𝑝̂ from text 0 equation 𝑟𝑟 0 (6) uption and recovery, p = 1 during d 𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 � − 𝑋𝑋 𝑒𝑒�−𝑡𝑡 𝑡𝑡0 )�1 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂ + (𝑡𝑡𝑟𝑟 A similar approach can be used to find the long-term(𝑡𝑡 𝑋𝑋�𝑟𝑟. + First find level of 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂ (A-7) 𝑑𝑑 , the average 𝑝𝑝̅ = + = long-term average 𝑝𝑝̅ is 0 )the𝑡𝑡 + (𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 )(1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) (𝑡𝑡 + 𝑡𝑡 each )(1 −phase + during 𝑡𝑡 X 𝑡𝑡 + (𝑡𝑡 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡of culture during a disruption, as the time-weighted average of

0

−𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0

𝑟𝑟

0 /𝑡𝑡 −𝑡𝑡

0

𝑟𝑟

0

0

𝑟𝑟

0� )�1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟approach + (𝑡𝑡𝑟𝑟 +for𝑡𝑡0overlap: 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂equation (A-1) and 𝑡𝑡0 𝑝𝑝̂allowing � disruption, beginning with A similar can be used to find the long-term 𝑋𝑋�. First f + = . −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ) −𝑡𝑡 /𝑡𝑡0 )geometric 𝑟𝑟 culture during a disruption, as the time-weighted average of X during e 𝑡𝑡)(1 𝑡𝑡 − calculations, again including the series derived (𝑡𝑡 )(1 𝑡𝑡 + + 𝑡𝑡 𝑡𝑡 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ) 𝑡𝑡∫0𝑡𝑡After 𝑒𝑒 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟+ (𝑡𝑡𝑟𝑟 +some 𝑟𝑟 −𝑡𝑡0𝑟𝑟/𝑡𝑡0 �+�1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 �2 +⋯ � 𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ���1−𝑒𝑒 0 ∫ 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡𝑟𝑟 � �𝑒𝑒 −𝑡𝑡0 𝑟𝑟 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ 0 0 0 disruption, beginning equation (A-1) and allowing for overlap: roach 𝑋𝑋can findprobabilities the long-termof 𝑋𝑋�.overlapping First find 𝑋𝑋�𝑑𝑑 , intervals the averagewith of (A-7) �𝑑𝑑 =be used fromtothe oflevel disruption, it emerg. (A-8)

𝑡𝑡 𝑑𝑑 ption, as the time-weighted of X 𝑡𝑡during each phase of the 0𝑡𝑡𝑟𝑟 ∫0𝑡𝑡 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡𝑟𝑟� �𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 ���1−𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡0 �+�1−𝑒𝑒 ∫0 𝑟𝑟 𝑋𝑋(𝑡𝑡)𝑑𝑑𝑑𝑑+�∫ es that againaverage After some calculations, including the geometric series derived from the probabilities of �𝑑𝑑 = 𝑋𝑋 with equation (A-1) and allowing for overlap: overlapping intervals of disruption, it emerges that 𝑡𝑡 𝑑𝑑

2 𝑡𝑡 𝑡𝑡 again including the geometric series derived f −𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡 1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟After −𝑡𝑡𝑟𝑟𝑡𝑡𝑟𝑟/𝑡𝑡some 𝛽𝛽𝛽𝛽 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡 1 1 calculations, � 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡0 ��. +�∫0 𝑟𝑟 ∫0 𝑋𝑋(𝑠𝑠)𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑𝑑/𝑡𝑡 𝑋𝑋�𝑑𝑑 =𝑟𝑟 �𝛿𝛿𝑡𝑡�𝑒𝑒�𝑡𝑡𝑟𝑟 − 0𝛿𝛿 ���1−𝑒𝑒 �1 − 𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 � +0 �+�1−𝑒𝑒 � 𝑡𝑡 𝛿𝛿2 overlapping + 2 −0 �𝛿𝛿�+⋯ �1intervals − of disruption, it (A-9) emerges that 𝑟𝑟 𝑑𝑑 . (A-8) 𝛽𝛽𝛽𝛽 1 1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 𝑡𝑡 1 Putting this together with𝑡𝑡previous results, the long-term 𝑋𝑋� is −𝛿𝛿𝑡𝑡 𝑑𝑑 𝑋𝑋�𝑑𝑑 = 𝛿𝛿𝑡𝑡 �𝑡𝑡𝑟𝑟 − 𝛿𝛿 �1 − 𝑒𝑒 𝑟𝑟 � + � + 𝑟𝑟 − 𝛿𝛿� �1 − 𝑡𝑡𝑟𝑟 𝛿𝛿 2 2 𝑡𝑡0 𝑋𝑋�+𝑡𝑡𝑑𝑑 𝑋𝑋�𝑑𝑑from the probabilities (A-9) 𝑑𝑑 ons, again including the geometric series derived of 𝑋𝑋� = . (A-10) � is 𝑡𝑡0 +𝑡𝑡𝑑𝑑 Putting this together with previous results, the long-term 𝑋𝑋 of disruption, it emerges that

𝛽𝛽

𝑑𝑑

this previous the long-term 0 ��. �𝑡𝑡𝑟𝑟 − 𝛿𝛿 �1 −Putting 𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟 � + � together + 𝑟𝑟 with − 𝛿𝛿� �1 − 𝑒𝑒 −𝑡𝑡𝑟𝑟 /𝑡𝑡results, (A-9) 2 1−𝑒𝑒 −𝛿𝛿𝑡𝑡𝑟𝑟

1

𝑡𝑡𝑟𝑟 𝛿𝛿

𝑡𝑡

2

with previous results, the long-term 𝑋𝑋� is �



𝑡𝑡 𝑋𝑋+𝑡𝑡 𝑋𝑋 𝑋𝑋� = 0 𝑑𝑑 𝑑𝑑.



𝑡𝑡0 +𝑡𝑡𝑑𝑑

1





𝑡𝑡 𝑋𝑋+𝑡𝑡 𝑋𝑋 𝑋𝑋� = is 0 𝑑𝑑 𝑑𝑑. 𝑡𝑡0 +𝑡𝑡𝑑𝑑

(A-10)



(A-10)

9

9

9

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Human Evolution and Culture

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Figure 1. Effects of brainpower on equilibrium levels of learning and culture (p and X). Graphs are based on text equations (8)-(11), with b(k) = 1 + (k+1)2, α(k) = 1 + k, β(k) = 1 + k, δ(k) = e-k, and c = 1. Units of brainpower are of arbitrary magnitude. Note the increasing dominance of social learning (1 - p) with the rise in culture as brainpower increases.

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Philip H. Crowley

Figure 2. An example of variation in learning mode and culture through time with periodic severe environmental disruptions. For these calculations, b = 2, α = 1, β = 1, δ = 1, c = 1, and t0 = 1. Dashed lines are long-term averages (p and X, respectively, derived in Appendix A); p and X are equilibrium magnitudes in the absence of disruptions.

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Human Evolution and Culture

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Figure 3. Key environmental influences, responses, and their interactions early in the evolution of Homo sapiens. Dashed arrows indicate probable sources and influence of interdemic selection. Solid arrows show the major effects and the sign of each effect obtained from the modeling results.

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III. Der Mensch – Ein ‚Egoist von Natur aus?‘

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Arbogast Schmitt

Gerechtigkeit bei Platon1 Zur anthropologischen Grundlegung der Moral in der Platonischen Politeia

1) Gibt es universale Normen gerechten Handelns bei Platon? Wenn man in der europäischen Geistesgeschichte nach einer Begründung dafür sucht, ob es für Gerechtigkeit sichere, von der Relativität des geschichtlichen Wandels unabhängige Normen geben könne, würde man – im Sinn einer verbreiteten philosophischen Geschichtsschreibung – Platon als ersten und wichtigsten Zeugen für eine solche Begründungsmöglichkeit ansehen. Tatsächlich leitet Platon die Gerechtigkeit (oder: das Gerechte) aus einer Idee des Guten und des Gerechten ab und bestimmt das Maß an Gerechtigkeit in der einzelnen Handlung auf Grund ihrer ‚Teilhabe‘ an der Idee. Schon im Urteil vieler Gelehrter der Renaissance steht diese Herleitung empirischer Normen aus einem transzendenten Begriffssystem allerdings in Gegensatz zu jeder empirisch absicherbaren und in diesem Sinn wissenschaftlichen Begründung moralischen und politischen Verhaltens. Man sah in der Platonischen Politeia sogar ein Beispiel für eine Art imaginärer Fiktion, die nicht einmal einem Dichter gestattet sein könne. Denn auch dessen Erfindungen sollten wenigstens wahrscheinlich, d. h. im wirklichen Leben möglich sein können. Von einer anthropologischen Begründung der Moral in der Politeia kann auch aus der Perspektive heutiger Forschung keine Rede sein. Es gibt in diesem Text nicht einmal Ansätze einer empirisch vergleichenden Untersuchung möglicher menschlicher Verhaltensweisen und insbesondere keinen Versuch, aus solchen vergleichenden Studien uni1

Der folgende Beitrag ist die erheblich erweiterte und auf die Themenstellung dieser Tagung angepasste Form einer anderen Fassung, die unter dem Titel „Der Staat als Möglichkeitsraum individueller Selbstentfaltung bei Platon“ erschienen ist in: G. Blamberger, M. Roussel (Hrsg.), Möglichkeitsdenken. Utopie und Dystopie in der Gegenwart, Köln 2013, S. 91-120. S. auch bereits Verf., Der Einzelne und die Gemeinschaft in der Dichtung Homers und in der Staatstheorie bei Platon. Zur Ableitung der Staatstheorie aus der Psychologie, Stuttgart 2000.

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Arbogast Schmitt

versale Konstanten zu gewinnen, die in unterschiedlichen historischen und geographischen Räumen wenigstens eine gewisse Vergleichbar­ keit aufweisen. Tatsächlich findet man in der Politeia nirgends Belege für universal geltende, geschichtsunabhängige Normen, durch die man moralisches von unmoralischem Handeln unterscheiden könne. Im Gegenteil: Es gehört wohl zu einer elementaren Leseerfahrung, die jeder, der sich mit platonischen Dialogen beschäftigt, macht, dass dort, vor allem durch Sokrates, jede Art Norm, jedes ‚universal pat­ tern‘ richtigen Verhaltens destruiert wird. Gleichgültig, ob sich So­ krates mit Generälen (Laches), Priestern (Euthyphron), mit Menschen, die eine bestimmte Tugend zu verkörpern scheinen (Charmides) oder mit jemandem, der über anerkannte Muster richtigen Verhaltens all­ gemein Bescheid zu wissen meint (Menon), unterhält und nach den Normen und Mustern für tapferes, frommes, besonnenes, gerechtes oder tugendhaftes Verhalten fragt, – es gibt kein solches Muster, dessen Gültigkeit er nicht durch Gegenbeispiele einschränkt oder entkräftet.2 Diese ausdrückliche und mit argumentativer Konsequenz geführ­ te Kritik legt nahe, ihre Gründe genauer zu verfolgen. Dabei erweist 2

Dieser deutliche Textbefund wird – bis in die neueste Forschung hinein – zu wenig beachtet. Die sicher richtige Feststellung, dass Platon gerechtes Handeln von einer Teilhabe an einer Idee der Gerechtigkeit abhängig macht, führt in der Regel dazu, ihm einen „allgemeinen und invariablen Maßstab“ zu unterstellen (s. S. Weber, Art. „Gerechtigkeit“, in: Ch. Horn, J. Müller, J. Söder (Hrsg.), Platon-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart/Weimar 2009, S. 278), der als eine „natürliche Norm“ im Handeln verkörpert sein müsse. Dass hier eine genauere Differenzierung nötig ist, zeigt die Kritik, die D. Sachs in einem einflussreichen Aufsatz („A Fallacy in Plato’s Republic“, in: The Philosophical Review 72/1963, S. 141-158) an Platon ge­ übt hat. Er könne mit seinem Gerechtigkeitsbegriff nicht erklären, weshalb man sich an die Normen gerechten Handelns wie: die Wahrheit sagen, Menschen zu achten, nicht zu töten, nicht zu stehlen, usw. halten solle. Platon aber will diese Normen nicht erklären, da er sie offenkundig für ungenügende Maßstäbe gerechten Han­ delns hält: Es gibt Situationen, in denen man einen Menschen töten darf, ja muss (etwa Tyrannenmord), in denen man stehlen darf, die Unwahrheit sagen muss, usw. (s. das Folgende). Die Orientierung an der Idee führt Platon offenkundig nicht zu ei­ ner Fixierung von Handlungsnormen. Er hat einen dynamischen Gerechtigkeitsbe­ griff. S. das Folgende. Diese dynamisch-elastische Orientierung an Kriterien anstelle von Normen ermöglicht auch eine produktive Auseinandersetzung mit den heute sogenannten Menschenrechten. S. Verf., „Der Mensch und seine Grundrechte. Zwei gegensätzliche Moralkonzeptionen der Antike und ihre Bedeutung für die Werte­ debatte in der Moderne“, in: P. Janich (Hrsg.), Humane Orientierungswissenschaft. Was leisten verschiedene Wissenschaftskulturen für das Verständnis menschlicher Lebenswelt, Würzburg, 2008, 129-148.

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sich – das wird die These der folgenden Ausführungen sein –, dass die Platonische Begründung richtigen Verhaltens das Prädikat ‚anthropologisch‘ beanspruchen kann. Von Anthropologie und sogar von einer empirisch begründeten Anthropologie kann bei Platon allerdings nur in einem vom heutigen Wissenschaftsverständnis abweichenden, aber, wie ich glaube, in einem legitimen Sinn gesprochen werden. Denn er sucht die Begründung der Moral zwar nicht in einer Durchmusterung empirisch vorfindbarer unterschiedlicher menschlicher Verhaltensweisen, wohl aber in einer Reflexion auf die jedem einzelnen Menschen zur Verfügung stehenden und von ihm auch reflexiv kontrollierbaren psychischen Vermögen, mit deren Hilfe er überhaupt erst fähig ist, unterschiedliche Handlungsweisen zu vollziehen und zu beurteilen. Besonders aufschlussreich für die Gründe seiner Ablehnung von Normen und Regeln, die man aus der Empirie gewinnen kann, ist ein Gespräch, das Sokrates am Anfang der Politeia, d. h. des Dialogs, dessen Thema nach antiker Auslegungstradition nicht einfach die Staatsverfassung, sondern die Gerechtigkeit im Staat3 – für die Gemeinschaft 3

Die Frage, ob man ‚politeia‘ mit ‚Staat‘ übersetzen darf, ist viel diskutiert, in der Re­ gel wird diese Übersetzung abgelehnt. Das hat einerseits gute Gründe. Denn – abge­ sehen davon, dass der Titel vermutlich nicht einmal von Platon selbst stammt – von einem Flächenstaat, wie in den Gebilden, die wir heute meistens mit dem Begriff ‚Staat‘ bezeichnen, kann bei Platon keine Rede sein. Die Politeia soll eine Gemein­ schaft sein, in der alle mit allen zumindest in einem grundsätzlichen Freundschafts­ verhältnis stehen können und die die obere Grenze von 100.000 Einwohnern nicht überschreitet. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die richtige Übersetzung: ‚Stadt‘, ‚Politeia‘ also die Verfassung einer ‚Polis‘. Andererseits sind die Prinzipien, die Pla­ ton als Bedingungen für eine gelungene Verfassung einer Gemeinschaft in der Po­ liteia entwickelt, nicht nur für Städte oder Stadtstaaten anwendbar. Das von Platon selbst benannte Thema des Dialogs ist die Gerechtigkeit, und zwar die Gerechtigkeit in ihrer Bedeutung für das Leben des Einzelnen. Dass er dieses Thema auch in seiner Relevanz für das Leben in einer politischen Gemeinschaft diskutiert, hat zwei Hauptgründe: Zum einen sind die vielen unterschiedlichen Fähigkeiten, die die Menschen entwickeln können, überhaupt nur in einer relativ großen Gemeinschaft entwickelbar, man kann also über die unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten eines Individuums nur in diesem Rahmen diskutieren. Zum andern benutzt Platon das Leben in einer größeren Gemeinschaft nur als didaktisches Hilfsmittel. Die un­ terschiedlichen psychischen Verhaltensmöglichkeiten, über die der Einzelne verfügt, seien leichter und deutlicher an ihrer Rolle in der Gemeinschaft erkennbar. Von diesen gut erkennbaren ‚Großbuchstaben‘ aus könne man ein erstes Bild gewinnen, für das man dann die Begründung in der menschlichen Psyche suchen könne. – Die politische Gemeinschaft ist also auf keinen Fall das Hauptthema der Politeia. Pla­ ton braucht sie als Entfaltungsraum und als vergrößerte Folie für die Analyse des innerseelischen Zustands, den er für den am besten organisierten hält. – Von dieser Perspektive her kann allerdings die Ablehnung, ‚Politeia‘ mit ‚Staat‘ zu übersetzen,

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wie für die Einzelnen – ist, mit dem alten und sehr reichen Kephalos führt (Politeia 330d-331d). Kephalos nennt dort zwei Grundbedingungen eines gerechten Lebens, an die er sich immer gehalten habe: den Schutz des Eigentums und Wahrhaftigkeit, d. h. zwei Werte, denen auch in neuzeitlicher Auslegung oft der Charakter evidenter Prinzipien zugesprochen wird. John Locke etwa leitet den Schutz des Eigentums unmittelbar aus der Tatsache ab, dass der Mensch ein mit Vernunft und Verstand begabtes Wesen ist. Er hält es für eine axiomatische Bedingung der Gerechtigkeit, die dieselbe Sicherheit wie die mathematischen Axiome habe,4 dass der Staat dafür zu sorgen habe, dass der Besitz (possessio) der zum Leben nützlichen Dinge für jeden Privatsache und sicher sein müsse (rerum ad vitam utilium suam cuique privata et secura sit).5 Auch Sokrates fragt Kephalos nicht nach irgendeinem Wert, sondern nach dem, was für ihn ‚die Gerechtigkeit selbst ausmacht‘ (331c1f.) und was ihm der höchste Wert in seinem Leben (mégiston agathón, 330d2) sei. Kephalos’ Antwort, er habe, begünstigt durch seinen Reichtum, immer das Eigentum der anderen respektieren können und niemals die Unwahrheit sagen müssen, hält er nicht etwa für eine schlechte Maxime, an die man sich gar nicht halten solle, aber er zeigt, dass sie nicht universal gültig ist. Wenn man, das ist sein Beispiel, von einem Freund, der im Besitz seines Verstandes war, Waffen übernommen hat, die dieser im Zustand des Wahnsinns zurückfordert, würde da nicht jeder sagen, es sei nicht gerecht, ihm sein Eigentum zurück zu geben, und es sei auch nicht recht, ihm die Wahrheit zu sagen? Sokrates’ Folgerung, es sei also in manchen Fällen gerecht, in anderen Fällen nicht gerecht, das Eigentum eines anderen zu respektieren, akzeptiert Kephalos ohne Zögern.

4 5

nicht mehr als sinnvoll betrachtet werden. Auch in modernen Staaten leben Indi­ viduen mit verschiedenen psychischen Potenzen, deren Zusammenspiel optimiert werden kann. Dazu kommt, dass die Freundschaftsbedingung, die Platon in einer politischen Gemeinschaft für wichtig hält, auch in ‚Flächenstaaten‘ verwirklicht werden könnte, z. B. durch eine Binnengliederung, die von kleinen zu zunehmend größeren Einheiten aufsteigt, so dass sich in der kleinsten Einheit noch die meisten kennen können, in den größeren aber die Repräsentanten der jeweils kleineren. S. John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, übers. v. C. Winckler, mit einer Bibliographie von R. Brandt, Hamburg 1988, S. 199f. (= IV, Kap. III, §18). John Locke, Epistola de tolerantia, ed. by Raimond Klibansky, engl. transl J. W. Gough, Oxford 1968, S. 124.

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Für die genaue Bestimmung der Sokratischen Position sollte man beachten, dass hier nicht die Frage zur Diskussion steht, ob Waffen zu den ‚für das Leben nützlichen Dingen‘ gehören. Sokrates spielt offenbar auf das Schicksals des Aias an, der nach dem Tod Achills von Odysseus oder den Atriden um die eigentlich ihm zustehenden Waffen betrogen worden war und der sich deshalb im Wahnsinn selbst in sein Schwert gestürzt hatte. Natürlich war dieses Schwert eine ‚res ad vitam suam utilis‘. Die Frage war also nicht: ‚Ist das Schwert ein für Aias’ Leben nützlicher Besitz?‘, das war es offenkundig, sondern: ‚Konnte Aias in dieser Verfassung von diesem an sich nützlichen Besitz einen für sich vorteilhaften Gebrauch machen, war es gut für ihn, ihm sein Eigentum zu überlassen?‘ Noch eine zweite Besonderheit sollte man nicht übersehen: Sokrates vertritt hier auch keine – reine – Gesinnungsethik. Schon die antiken Stoiker, auf deren Ethikkonzept sich die Frühe Neuzeit in erster Linie stützt, haben das gerechte Handeln aus einem Handeln in Übereinstimmung mit der richtigen Vernunft (orthós lógos, recta ratio) abgeleitet. Sie betonen, dass auch nur ein Handeln, das aus diesem Prinzip heraus und um seiner selbst willen getan wird, ein sittlich gutes Handeln sei.6 Wer etwa ein geschuldetes Eigentum einem anderen zurückerstattet, nur, weil er ihn dadurch irgendwie schädigen (z. B. erniedrigen) oder sich einen Vorteil verschaffen möchte, handelt nicht gerecht.7 Es ist aber ziemlich deutlich, dass auch dies nicht das Problem ist, das Sokrates dem Kephalos vorlegt. Die Frage ist nicht, ob er fremdes Eigentum in der richtigen Gesinnung, in Übereinstimmung mit dem Bewusstsein, um der rechten Vernunft willen zu handeln, zurückgibt. Die richtige Gesinnung hat Kephalos. Er will das Rechte um seiner selbst willen tun, nicht um irgendwelcher sekundärer Ziele willen, die er sich durch ein äußerlich gerechtes Verhalten verspricht. Dass er Sokrates zustimmt, es sei in einem Fall wie dem des Aias nicht gerecht, die Forderung, das Eigentum zurückzugeben, zu erfüllen, liegt daran, dass ihm sofort einleuchtet, dass er in diesem Fall den Eigentümer schädigen würde. Es ist ein höheres Gut als das Eigentum, das er verletzen würde, wenn er sich an die Pflicht, fremdes Eigentum zu respektieren, halten würde.

6 7

S. z. B. Cicero, De finibus III, 58f. S. z. B. H. v. Arnim (Hrsg.), Stoicorum Veterum Fragmenta, Leipzig 1887–90, 3, 513.

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Das Gleiche gilt von der Wahrheitspflicht, an die man sich auch nach heutigem Rechtsverständnis nicht halten dürfte, wenn man etwa einen von einem verbrecherischen Regime unschuldig Verfolgten versteckt hält. Sokrates’ Ausgangsfrage an Kephalos war, was ihm denn das „größte Gut“ in seinem Leben gewesen sei. Als dieses größte Gut hatte Kephalos zwei Verhaltensweisen angesehen, die ihm ein gerechtes Leben ermöglicht hätten. Sokrates aber zeigt ihm in einem für ihn typischen Widerlegungsverfahren (élenchos), dass er mit diesen Verhaltensweisen sein Ziel, niemals ungerecht zu sein, gar nicht zuverlässig erreichen könne, und endet deshalb mit der Feststellung, dass Gerechtigkeit nicht richtig definiert sei, wenn man sie als Respektierung des Eigentums und der Wahrheit verstehe. Wie immer bei diesem elenktischen Verfahren geht es Sokrates nicht um eine völlige Widerlegung der Meinung des anderen.8 Das Gegenbeispiel soll aber darauf hinweisen, dass die gefundene Bestimmung noch nicht zureichend ist. Die Suche nach einer zureichenden Bestimmung wird die gesamte Argumentation des folgenden Dialogs nötig machen. Sie besteht nicht einfach darin, dass man noch andere, noch abstraktere Begriffsmerkmale zu ermitteln sucht. Sokrates sucht einen Übergang in eine andere Dimension. Die Beobachtung gemeinsamer Merkmale gerechten Verhaltens in vielen, möglichst für alle geltenden Fällen macht eine Voraussetzung, die sie nicht mitbedenkt: Wer gemeinsame Merkmale des Gerechten aus konkreten Erfahrungsinstanzen ‚abziehen‘ will, braucht – zuvor schon – ein Kriterium der Unterscheidung, was an den konkreten Einzelfällen überhaupt Merkmal von Gerechtigkeit ist und was nicht.

8

S. zur Methode des élenchos ausführlicher Verf., „Sokratisches Fragen im Platonischen Dialog“, in: K. Pestalozzi (Hrsg.), Der fragende Sokrates, Stuttgart und Leipzig 1999, 30-49. Eine knappe Zusammenfassung mit Hinweisen auf die Forschungsliteratur bietet M. Erler, s.v. „Elenchos“, in: Ch. Schäfer (Hrsg.), PlatonLexikon, Darmstadt 2007, 107f. Die große Tradition des elenktischen Denkens, das bis in die ‚scholastische Methode‘ reicht, wird erstaunlicherweise in der Forschung kaum beachtet. Platon kann als der Begründer der Methode ‚durch die Aporie zur Euporie‘ gelten, und zwar durch eine besondere Auslegung des Nichtwiderspruchsprinzips. Es dient Platon zur Differenzierung von zu pauschal gefassten Meinungen und führt so über oft oder in der Regel geltende Urteile zu notwendigen bis zureichenden Urteilen. Zum Widerspruchssatz bei Platon s. u.

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Tatsächlich verweist die Übereinstimmung aller, dass man Aias im Zustand des Wahnsinns sein Schwert nicht zurückgeben dürfe, auf die – freilich noch ganz unreflektierte – Anwendung eines solchen Kriteriums. Denn offenbar ist das, was „jeder sagen würde“ (331c6): „Es genügt nicht, das Eigentum eines anderen zu respektieren, man muss auch darauf achten, ob dieses Respektieren etwas Gutes für den anderen ist.“ Dieses Gut, an dem sich jeder orientiert, ist nicht ein Gut in einem jenseitigen Leben. Diesen Aspekt sollte man nicht übergehen: das Gute, an dem man sich, um gerecht zu sein, orientieren soll, ist nicht ‚das Gute‘ schlechthin. Von einem absoluten Guten kann man immer in kritischer Skepsis fragen, ob es ein solches Gutes überhaupt geben könne. Sokrates aber spricht von einem allen deutlich vor Augen stehenden, in der konkreten Situation gut erkennbaren und von den meisten akzeptierten Gut. Natürlich ist die Frage, was das Gute für einen Menschen ist, nicht mit dem Hinweis auf das, was alle oder die meisten leicht erkennen, beantwortet. Aber man kann festhalten, dass Sokrates seine Suche nach diesem Gut mit einem solchen ‚konsensualen‘, von vielen leicht und klar erkennbaren Gut beginnt. Man kann daraus die Erkenntnis gewinnen, dass man deshalb, weil die Frage nach dem, was ‚das Gute‘ oder ‚die Wahrheit‘ ist, nicht einfach oder vielleicht gar nicht beantwortet werden kann, nicht den skeptischen Schluss ziehen darf, der aber sehr oft gezogen wird, man könne deshalb gar nicht nach Kriterien für ‚gut‘ und ‚wahr‘ fragen. Der – methodische – Weg muss vielmehr, wie Aristoteles dies später auf den Begriff bringt, mit dem „für uns Klaren und Deutlichen“ beginnen und durch Anwendung rationaler Kriterien auf einen in sich selbst (möglichst) klaren Sachbegriff hinführen.9 Dieses „für uns Klare und Deutliche“ gewinnt Sokrates auf eine Weise, in der oft an einem – fehlgeleiteten – Rationalismus Kritik geübt wird. Er weist nach, dass selbst hoch abstrakte, scheinbar für das ganze Leben der Menschen gültige ‚universale‘ Normen nicht in der Lage sind, allen Einzelfällen gerecht zu werden. Er sucht den Ausweg aber nicht in einer pauschalen Ablehnung rationaler Begriffe – in der Überzeugung, sie müssten von der konkreten Einzelerfahrung her korrigiert oder geändert werden. Er beachtet vielmehr, dass man sich auch 9

S. z. B. Physik I,1, 184a14-26; s. dazu Verf., Die Moderne und Platon, 2. Aufl., Stuttgart, Weimar 2008, S. 316-324 (mit weiterer Literatur, s. v. a. Anm. 312).

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bei dieser Kritik am abstrakten Begriff an Kriterien halten muss, die besser und schlechter, d. h. rationaler oder weniger rational sein können. Ausgangspunkt für diese Suche nach den Kriterien zur Beurteilung der Erfahrung, d. h. nach dem ‚Weg des Logos‘, ist für Sokrates auch in der Politeia die ‚Homologie‘, d. h. der consensus, die Übereinstimmung, die bisher im Gespräch erreicht war. Bereits diese für alle leicht klare ‚Homologie‘ enthält einen wichtigen Fingerzeig für die Richtung der Suche. Denn sie besteht nicht einfach in der gemeinsamen Überzeugung, dass man einem Menschen nicht ein Mittel, durch das er den Tod finden kann, geben darf. Wenn jemand sein Schwert zurück erbitten würde, um damit das Vaterland zu verteidigen, dann würde man ihm sein Eigentum zurückgeben, obwohl man mit seinem Tod rechnen muss. Der Grund, weshalb jeder sagen würde, man dürfe Aias sein Schwert nicht überlassen, ist vielmehr, dass er in einem Zustand ist, in dem er nicht selbst über das, was gut oder schlecht für ihn ist, urteilen kann.

2) Die methodische Orientierung am ‚érgon‘ zur Ermittlung, was gut oder schlecht für etwas ist Das richtige Urteil über das, was für einen Handelnden gut oder schlecht ist, muss, das war das Argumentationsziel der Problemeinführung in den ersten Passagen der Politeia, das Maß sein, das man finden muss, wenn man die Kriterien für gerecht und ungerecht ermitteln möchte. Diese Kriterien dürfen nicht willkürlich aufgenommen, sondern müssen methodisch, d. h. ‚kunstgemäß‘ ermittelt sein. Genau auf diese Aufgabe ist das weitere Gespräch des Sokrates zunächst mit Polemarchos, dann mit Thrasymachos zentriert. Konsequent führt Sokrates auf den Übergang zu einem kunstgemäßen Vorgehen hin. Zunächst klärt er, wodurch überhaupt der Unterschied zwischen einem beliebigen, improvisatorischen und einem kunstgemäßen Vorgehen erzielt wird, und fragt also, worauf man achten muss, wenn man erfassen will, worin die besondere Leistung einer Kunst (téchne) besteht. Die Antwort ist, etwas wird dadurch zur Kunst und wird auch dadurch als Kunst erkannt, dass es etwas Bestimmtes kann. Jede Kunst wird bestimmt durch ihre je besondere ‚dýnamis‘ (346a2-4) und durch das ‚Werk‘ (érgon), das sie hervorbringt (ergázetai, 346d6).

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Das, was für die Kunst als Kunst gilt, gilt, wie Sokrates in einer markanten Partie Thrasymachos gegenüber plausibel macht, auch für das kunstgemäße Erkennen empirischer – natürlicher wie künstlicher – Gegenstände. Wer wissen will, was ein Auge ist, muss nicht äußere Eigenschaften beobachten, sondern begreifen, was ein Auge kann und leistet. Erst wenn er weiß, dass es Farben und Formen unterscheiden kann, kann er unter den beobachtbaren Eigenschaften diejenigen aussondern und ordnen, die zu Merkmalen des Begriffs ‚Auge‘ werden können. Diese Art der ‚Begriffsbildung‘, die sich am ‚Werk‘ (érgon) von etwas orientiert,10 veranschaulicht Sokrates an dem Messer, das man zum Beschneiden der Reben benutzt (drépanon) (353a). Wenn man Rebzweige bis auf eine bestimmte Zahl von ‚Augen‘ zurückschneiden will, könnte man ein Schlachtmesser (máchaira) dazu nehmen, würde dann aber leicht zuviel abschlagen, man könnte auch ein Schnitzmes10 Zum vieldiskutierten ‚Ergon-Argument‘ bei Platon und Aristoteles hat Friedemann Buddensiek sorgfältige und sehr weiterführende Untersuchungen vorgelegt (s. v. a. in: Die Theorie des Glücks in Aristoteles’ Eudemischer Ethik, Göttingen 1999, 104147). Ein grundlegendes Problem seiner Interpretation liegt allerdings darin, dass er sich an dem ‚systemischen‘ Konzept autopoietischer Organismen oder ganzheitlicher Einheiten, wie es in der Evolutionsbiologie oder der Soziologie entwickelt wurde, orientiert. Das hat zur Folge, dass er das érgon als das, was den Zugang zur Erkenntnis des komplexen Ganzen eines Einzelgegenstands (‚Individuum‘) möglich macht, auslegt. Bei Platon wie Aristoteles bietet die Orientierung am érgon aber gerade ein Auswahlkriterium, das zwischen akzidentellen und substantiellen Momenten eines Gegenstands unterscheidet. Nicht alles an einem Rad z. B. gehört zur funktionalen Einheit, die bewirkt, dass es rollt. Das Material, aus dem es gefertigt ist, z. B. das Holz, hat vielmehr seine eigene innere Funktionalität, die von den funktionalen Bedingungen des Rollens (etwa der Kreisform, die für das Rollen nötig ist) verschieden sind. Deshalb nennen Platon wie Aristoteles diese Bedingungen ‚Materie‘. Sie machen aus, dass der Gegenstand sich ändern oder ganz vergehen kann: Das Holz verbiegt sich, bricht, usw. Das, was die Funktion des Rades möglich macht, ändert sich nicht. S. auch F. Buddensiek, Die Einheit des Individuums. Eine Studie zur Ontologie der Einzeldinge, Berlin/New York 2006, v. a. S. 107-211 und 212ff., v. a. S. 261: „Das Bild vom Individuum, das sich insgesamt so ergibt, entspricht dem Bild vom Individuum als Funktionsgefüge (das dürfte gut platonisch und aristotelisch sein, Anm. Verf.). Jeder Teil des Individuums ist ein Teil, der einen Beitrag zur Selbständigkeit und Einheit des Gefüges leistet, d. h. seine Funktion erfüllt. Es gibt keine nicht-integrierten Teile.“ Diese Auslegung würde die ganze Anstrengung der Bildung des Individuums zu etwas Einem überflüssig machen. S. dagegen Verf., Denken und Sein bei Platon und Descartes, Heidelberg 2011, S. 23-30 (zum synthetischen Charakter von Einzeldingen). Wenig hilfreich ist die Behandlung der Ergon-Problematik durch J. Müller, s. v. Werk/Funktion érgon) in: Schäfer (Anm. 8), S. 325-327.

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serchen (smíle) nehmen, hätte dann aber das Problem, dass man mit den kräftigeren Zweigen gar nicht zurecht käme. Das drépanon dagegen ist in Form und Materialbeschaffenheit so gemacht, dass es einen Trieb von bestimmter Stärke genau zwischen mehreren Knospenansätzen abschneiden kann. Die Herstellung eines drépanon durch einen Handwerker geschieht im Blick auf die Bedingungen, wie diese Aufgabe erfüllt werden kann.11 Auch für die Erkenntnis bietet die Erfüllung dieser Aufgabe den Maßstab, an dem man sowohl begreift, dass man es mit einem bestimmten Gegenstand zu tun hat, als auch, was für ein Gegenstand dies ist. Das Beispiel bietet zugleich eine erste Erklärung für den Zusammenhang von wahr, gut und schön, auf den Platon immer wieder hinweist. Auch dieser Zusammenhang hat nicht zuerst transzendente, spekulative Gründe, sondern gehört zu einer rationalen Analyse erfahrbarer Gegenstände. Ein drépanon wird genau dann ein drépanon wirklich sein, wenn es von einer Rebe nicht zuviel abschlägt und nicht nur ein bisschen abschabt, sondern sie exakt und effektiv an der richtigen Stelle durchtrennt. Ein solches drépanon ist eben dadurch auch ein gutes drépanon, denn es leistet das, was es leisten soll, in optimaler Weise. Man kann ihm auch das Prädikat ‚schön‘ geben. Denn wenn ein drépanon so gebaut ist, dass es seine Aufgabe optimal erfüllt, müssen alle seine Teile so gemacht sein, dass sie miteinander und zum Ganzen funktional zusammenstimmen, d. h. in einer proportionierten Harmonie zueinander stehen. Auf den Zusammenhang zwischen dem Sein und dem Gutsein geht Sokrates noch einmal am Beispiel des Auges ein und bekommt leicht die Zustimmung, dass ein Auge nur dann sein ‚Werk‘ richtig erfüllen kann, wenn es seine ihm eigentümliche Vollkommenheit (areté = Bestheit) hat: Es ist die bestmögliche Leistung des Auges, an der man 11 Das ist der Grund, weshalb ein Handwerker sich nach Platon mehr an der Idee orientiert als ein Künstler, z. B. ein Maler, der ein schon vorhandenes Rebenzurückschneidemesser kopiert. Dieser – und nur dieser direkt kopierende – Künstler orientiert sich nicht an den allgemeinen Bedingungen, aus denen heraus man die verschiedensten Rebschneidegeräte (heute z. B. macht man Scheren) konstruieren kann, sondern bindet sich an eine schon vorhandene Erscheinungsform. S. dazu Verf., „Mythos bei Platon“, in: R. Brandt, S. Schmidt (Hrsg.), Mythos und Mythologie, Berlin 2004, S. 55-88, bes. S. 63-70; ders., „Der Philosoph als Maler – der Maler als Philosoph. Zu Relevanz der platonischen Kunsttheorie“, in: G. Böhm (Hrsg.), Homo Pictor, München/Leipzig 2001, S. 32-55.

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erkennt, was ein Auge ist (353b-d). Wenn man also wissen will, was ein Auge ist, fragt man, was es kann, und wenn man wissen will, was ein Auge kann, prüft man dies an der Verwirklichung dieses Könnens bei seinem Vollzug und sucht dafür den möglichst besten Vollzug.

3) Zur Ermittlung der Kriterien für das, was wirklich gut für einen Menschen ist a) Die staatliche Gemeinschaft als leichter erkennbarer Ausgangspunkt Die Überlegungen zu dýnamis und enérgeia als der Kriterien des Seins und des Gutseins von etwas dienten Sokrates als Vorbereitung, um die entsprechenden Kriterien auch bei der Frage nach dem Sein des Menschen und nach dem, was wirklich gut für ihn ist, zu ermitteln (353d ff.). Denn die Frage nach der Gerechtigkeit hatte sich als Frage nach dem, was für einen Menschen wirklich gut ist, erwiesen. Im Sinn einer traditionellen Forschungsmeinung leitet Platon dieses Gute aus dem Wesen des Menschen ab, indem er von allen kontingenten Besonderheiten des empirischen Menschseins abzusehen und das Wesen selbst aus dem in aller Veränderung identischen Substrat zu bestimmen sucht, das auf die Teilhabe an der Idee gegründet ist. Sokrates’ Vorgehen in der Politeia unterscheidet sich von dieser vorgeblich platonischen Metaphysik erheblich. Denn er sucht auch den Menschen nicht von irgendeinem identisch Zugrundeliegenden her zu verstehen,12 sondern von seinen ihm eigentümlichen Akten her: Was sind die besonderen Vermögen, über die der Mensch als Mensch verfügt, und wie lassen sie sich in ihren Aktvollzügen erkennen? Da es in der Politeia um den handelnden Menschen geht, stehen nicht alle menschlichen Vermögen zur Diskussion, sondern diejenigen, die ihn zu einem in der Gemeinschaft handelnden Wesen machen. 12 Die Suche nach einem ‚Zugrundeliegenden‘ (wörtlich also: subjectum) ist bei Platon wie Aristoteles eine Frage nach dem materiellen Substrat und nicht nach der Substanz (im Sinn des wesentlichen Seins von etwas), wenn mit diesem ‚Zugrundeliegenden‘ das in aller Veränderung identisch Beharrende gemeint ist. S. dazu Verf., (Anm. 10), S. 60-69.

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Auch bei der Verfolgung dieser Frage berücksichtigt Sokrates den Unterschied zwischen dem, was ‚früher für uns‘ und ‚früher der Sache nach‘ ist. Er hat dafür das berühmte Bild von den großen Buchstaben, die leichter erkennbar seien als die kleinen, geprägt (368c-d). Die großen Buchstaben stehen für die Unterschiede, die man in großen Gruppen im Staat vorfindet, die kleinen für die innere Differenzierung der individuellen menschlichen Seele, denn nur von ihr können, wie Sokrates betont, die Unterschiede in den Staat gekommen sein (435e). Der Anfang der sokratischen ‚Suche‘ ist – diesen Prinzipien gemäß – elementar und auf den ‚dynamischen‘ und ‚energetischen‘ Aspekt menschlichen Gemeinschaftshandelns bezogen. Die erste Frage ist daher: Weshalb handeln die Menschen, die dadurch etwas für sich Gutes und insgesamt ein gutes Leben erreichen wollen, überhaupt in der Gemeinschaft? Es könnte auch jeder Einzelne in seinem Eigentum und von ihm zu leben versuchen. Das hätte aber zur Folge, dass jeder selbst sein Feld bestellen und abernten müsste, er müsste selbst sein Haus bauen, seine Schuhe und Kleider herstellen, für seine Gesundheit sorgen, usw. (369b ff.). Eine solche ‚polypragmosýne‘ (Vielgeschäftigkeit, multi-tasking) würde offenkundig den Einzelnen überfordern und auch dazu führen, dass die jeweiligen ‚Werke‘ nicht gut ausgeführt wären. Wer sich auf die Herstellung von Ölpressen spezialisiert, kann bessere Geräte produzieren, als es dem Olivenbauer, der das nur nebenbei tun könnte, möglich wäre; wer sich mit dem Bauwesen intensiv befasst, baut bessere Häuser, usw. Dieser leicht und allgemein zugänglichen Erfahrung entspricht die weitere, dass Menschen unterschiedliche Begabungen haben und mehr und Besseres leisten, wenn sie diese Begabung ausbilden und sich ihr gemäß betätigen (370a-b). Aus diesen beiden, dem Erfahrungsbereich des common sense zugänglichen und von ihm bestätigten Befunden ergibt sich eine plausible Vermutung über den Ursprung einer staatlichen Gemeinschaft, die sich erheblich von den Ursprungsspekulationen unterscheidet, die man in vertragstheoretischen Staatstheorien, die die Grundlage für die meisten modernen Staaten bilden, entwickelt hat. Für Sokrates ist der Ursprung der Gemeinschaft der gemeinschaftliche Nutzen voneinander: Der Bauer erzeugt die Nahrung für den Architekten, der ihm dafür sein Haus baut. Beide gewinnen auch dadurch von dieser Aufgabenteilung, dass sie auf diese Weise ihre individuellen Vermögen am besten entfalten können. Ursprung des Staats ist daher

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eine Art der Freundschaft, eben die, die aus dem gemeinsamen Nutzen entsteht.13 Diese Erklärung hat den Vorzug, dass sie auf einer nachprüfbaren gemeinsamen Erfahrung beruht. In den meisten ‚kontraktualistischen‘ Staatstheorien steht dagegen am Anfang die Erschließung eines aller historischen Erfahrung vorausliegenden Ursprungszustands. Der Ausgangspunkt ist meistens, schon seit der antiken Stoa, die Annahme, dass der Mensch alles um seiner Selbsterhaltung willen tue. Zu einer ethisch-politischen Maxime wird dieser von Natur in jedem Lebewesen wirksame Trieb durch die reflektierende Vernunft. Sobald diese Vernunft in einem Lebewe13 Erstaunlicherweise sieht Rousseau gerade in diesem gegenseitigen Hilfsbedürfnis den Anfang allen Übels unter den Menschen: „Solange die Menschen sich nur Arbeiten widmeten, die ein einzelner bewältigen konnte, und Künsten, die nicht das Zusammenwirken mehrerer Hände erforderten, lebten sie so frei, gesund, gut und glücklich, wie sie es ihrer Natur nach sein konnten, und fuhren sie fort, untereinander die Süße eines unabhängigen Verkehrs zu genießen. Aber von dem Augenblick an, da ein Mensch die Hilfe eines anderen nötig hatte, verschwand die Gleichheit, das Eigentum kam auf, die Arbeit wurde notwendig und die weiten Wälder verwandelten sich in lachende Felder, die mit dem Schweiß der Menschen getränkt werden mußten und in denen man bald die Sklaverei und das Elend sprießen und mit den Ernten wachsen sah“. J.-J. Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit. Discours sur l’inégalité. Kritische Ausgabe des integralen Textes von Heinrich Meier. Paderborn 1984, S. 195. Der Text zeigt aber deutlich, dass für Rousseau das Problem entsteht, weil er mit der Inanspruchnahme der Hilfe anderer zwei Folgen gegeben sieht: Weil nun nicht mehr jeder alles zur Selbsterhaltung selbst tut, verschwinde die Gleichheit, da sich der Einzelne nun auf einzelne Tätigkeiten, die er selbst bewältigen kann, beschränkt und in anderen Bereichen andere zu Hilfe rufen muss, die sich nun ihm unterordnen müssen. Darin sieht er zugleich die Ursache für die Entstehung des Eigentums und mit ihm von Sklaverei, Elend usw. Rousseaus Begriff von Arbeit ist offenbar von dieser Dienstleistung für die Erhaltung des Eigentums anderer her zu verstehen. S. dazu z. B. J. Berger, „Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen. Zur Vergangenheit und Gegenwart einer soziologischen Schlüsselfrage“, in: Zeitschrift für Soziologie 33/2004, S. 354-374. Im Platonischen Staat sollen gerade nicht die Einen die Arbeit für die Anderen erledigen. Es soll vielmehr jeder seine Arbeit tun und durch sie die Anderen beim Erfüllen ihrer Arbeit unterstützen. Es ist grundsätzlich nicht ganz glücklich, Platons Prinzip, im Staat solle jeder das Seine tun, mit dem Begriff der Arbeit oder gar der Arbeitsteilung zu beschreiben. Platon denkt, das soll im Folgenden noch genauer begründet werden, an eine erfüllende Tätigkeit, in der der Einzelne seiner Begabung entsprechend sich verwirklicht. Dieses Tätigsein wird oft extrem eng ausgelegt. Platon wollte aber kaum den Einzelnen vorschreiben, sie dürften nur genau einen Arbeitsvorgang betreiben. Das geht bereits daraus hervor, dass er bei der individuellen Begründung der Verschiedenheiten im Staat nur drei Seelenteile unterscheidet. Diese Bereiche sollen möglichst in ihrer jeweiligen Kompetenz beachtet werden. S. das Folgende.

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sen aktiv geworden ist – und das ist nur beim Menschen möglich – verwandelt sich der natürliche Trieb in eine ethische Pflicht. Sie beruht auf der Einsicht in die Allgemeinheit des Selbsterhaltungstriebs: Jedes Lebewesen ist von ihm bewegt, jedem Lebewesen steht seine Befriedigung daher in gleicher Weise zu. Dieses allgemeine Wissen führt allerdings zu einem Bruch mit dem ursprünglich natürlich gegebenen Trieb, denn es schränkt ihn ein. Vieles, was unmittelbar der eigenen Selbsterhaltung dient, kann, so scheint es, ohne Schädigung des anderen, der ein gleiches Recht durchsetzen möchte, nicht erreicht werden. Deshalb entsteht der Staat aus der Notwendigkeit, den natürlichen Trieben Einhalt zu gebieten und sie durch Zwangsgesetze und Institutionen so zu reglementieren, dass „die Freiheit jedes Einzelnen neben der aller anderen bestehen kann.“14 Der Anfang des Staats ist hier also eine Einschränkung des als grundsätzlich negativ (weil irrational) beurteilten status naturalis des Menschen. Unter ethischem Aspekt führt dies meistens zu einer Pflicht der Unterdrückung der Gefühle durch die Gebote der Vernunft. Im Unterschied zu diesen kontraktualistischen Gründungstheorien geht Sokrates bei seiner Staatsgründung von positiven Bedürfnissen der Menschen aus: sie brauchen einander zur Lebensgestaltung15 und sie leben besser, wenn sie sich gegenseitig dabei unterstützen. Auch wenn ein Mensch zur Not allein sich alles zur Selbsterhaltung Nötige beschaffen kann, er lebt besser, wenn er sich auf das beschränkt, was er am besten kann, und für das Andere die Hilfe Anderer in Anspruch nimmt. Auch bei Sokrates gibt es daher eine Einschränkung; diese 14 S. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft B 374/A 317. Kant macht diese Aussage im Kontext einer ‚Verteidigung‘ der ideengeleiteten Ethik Platons (B 369/A 312 ff.). Dass er die Maxime, dass „jedes Freiheit mit der andern ihrer zusammen bestehen kann“ als die „notwendige Idee“ bezeichnet, von der eine apriorische Begründung der Ethik abhänge, macht seine Nähe zu stoischen Konzepten deutlich, wie sie ihm vor allem durch Cicero vermittelt waren (s. Cicero, De finibus III, 21; s. dazu U. Santozki, Die Bedeutung antiker Theorien für die Genese und Systematik von Kants Philosophie, Berlin/New York 2006, v. a. S. 149-229). Cicero macht genau den Unterschied, auf den es auch Kant ankommt: den Unterschied zwischen dem, was jemandem empirisch, auf Grund seiner natürlichen Neigungen, seiner Lust- und Unlusterfahrungen als gut erscheint, und dem, was die Vernunft selbst als allgemeines Gesetz der Respektierung des Selbsterhaltungsrechts jedes Individuums als summum bonum erschließt. 15 Eben diese Begründung für die Entstehung des Staats gibt auch Aristoteles, der dar­ in, dass erst in einer relativ großen Gemeinschaft jeder Einzelne seine individuelle Begabung entfalten kann, den Grund benennt, weshalb der Mensch ein zóon poli­ tikón ist. S. Aristoteles, Politik I, 1.

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Einschränkung ist aber nicht abstrakt, weil sie die gesamte natürliche Basis des Menschen einschränkt, und sie ist nicht ‚zwangsbewehrt‘. Denn diese Einschränkung ergibt sich nicht aus der Anerkennung einer allgemeinen Maxime, sondern aus einer je individuell nachprüfbaren Einsicht: man lebt besser, wenn man sich auf seine individuellen Kompetenzen konzentriert. Bereits an dieser Stelle kündigt sich ein weiterer wichtiger Unterschied zu einer Vertragstheorie an: Das Ziel des Lebens wird von Sokrates nicht aus dem Selbsterhaltungstrieb abgeleitet und auf ihn beschränkt, es ergibt sich vielmehr aus dem Bedürfnis nach einem guten Leben. Nicht das Leben überhaupt, sondern das gute Leben ist das Ziel – und das heißt, wie Sokrates später deutlich macht, nicht nur das materiell gute Leben, sondern ein Leben, das durch Selbstverwirklichung zum Glück führt.

b) Die Bedingungen eines guten Zusammenlebens in der Gemeinschaft aa) Die ‚sophrosýne‘ als ‚Meinungsgemeinschaft‘ der für die Selbsterhaltung produktiv Tätigen mit der Leitung der Staats Aus der Einsicht, dass es besser ist, wenn jeder im Staat seinen eigenen, besonderen Vermögen gemäß lebt (und in diesem Sinn ‚das Seine tut‘), ergibt sich die ‚großbuchstabige‘ Vorform einer ersten Grundtugend, die für einen guten Staat wichtig ist: die sophrosýne. Im Sinn eines populären Verständnisses ist die sophoprosýne die Herrschaft der Vernunft über die Leidenschaften. Dieses populäre (und den meisten Vertragstheorien zugrundeliegende) Verständnis ist aber nicht dasjenige, das sich aus der bisher gewonnenen Übereinstimmung über die Bedingungen der Staatsgründung ergeben hat. Denn diese Übereinstimmung besagt, dass es für jeden besser und angenehmer ist, wenn er ‚das Seine tut‘. Da man das Angenehme nach Platon wie Aristoteles um seiner selbst willen und freiwillig wählt, bereitet die Erfüllung dieser sophro­ sýne von sich her keine Schwierigkeit. Der Bauer überlässt gern dem Architekten die Planung seines Hauses und dem Arzt die Fürsorge für seine Gesundheit. Unter diesem Aspekt gibt es unter den verschiedenen Mitgliedern einer staatlichen Gemeinschaft auch eine ‚Meinungsgemeinschaft‘ (homodoxía): Jeder überlässt von sich aus dem Anderen

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das Urteil und die Entscheidungsfreiheit in seinem Gebiet und beansprucht für sich dasselbe im eigenen Bereich von den Anderen. Dass sich dennoch nicht alle dieser ‚Tugend‘ befleißigen, liegt an der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, v. a an der Tendenz, das im Augenblick und nur für Einen oder etwas Einzelnes Gute für das Gute des Ganzen zu halten. Das wird im späteren Verlauf der Politeia bei der Diskussion über die verschiedenen ‚Teile‘ der Seele erst ganz klar. Die Zunge etwa, die das Süße schmeckt, d. h. erkennend unterscheidet und genießt, hat für diese Wahrnehmungserfahrung die Kompetenz und sie ist es auch, die weiß, ob der Wein gut oder nicht gut schmeckt. Wenn die Zunge aber meint, das gerade geschmeckte Süße des Weins sei das für den ganzen Körper Gute und sie (genauer: der Mensch, der sich gerade ihrer bedient) müsse daher selbst entscheiden, wie viel von diesem Süßen dem Körper zuträglich sei, überschreitet sie ihre Kompetenzen, ja sie wird zur möglichen Gefährdung der Gesundheit des ganzen Körpers. Eine ähnliche Kompetenzüberschreitung beobachtet Sokrates bekanntlich bei seinen Diskussionen mit den Bürgern Athens allenthalben. Jeder, der von einer Sache etwas versteht, meint, seine Erfahrungen und seine Entscheidungskompetenzen seien auch für das Ganze gültig. Diese Fehlhaltung entsteht nicht dadurch, dass der General meint, er verstehe auch etwas vom Hausbau oder der Medizin, sondern durch eine pauschale Überschätzung der eigenen Kompetenz, die den Eindruck begünstigt, das eigene Können sei das maßgebliche Können für die gesamte Gemeinschaft bzw. für den ganzen Menschen (434a-c).16 bb) Die Aufgabe der Tapferkeit in der staatlichen Gemeinschaft Wegen der Tendenz, die eigene Kompetenz für das Maß zu halten, nach der sich die ganze Gemeinschaft richten soll, ist Sokrates über16 Diese Passage wird bei der Kritik an der von Platon vorgeschlagenen ‚Arbeitstei­ lung‘ oft übergangen. Platon lässt Sokrates ausdrücklich betonen, dass kaum ein Schaden für die Gemeinschaft entsteht, wenn ein Baumeister die Arbeiten des Schusters übernimmt oder wenn er sogar allein beide Berufe ausübt, die Schädigung entsteht erst, wenn ein Geschäftsmann z. B. auf Grund seines Reichtums, meint, er müsse die Aufgaben der Helfer oder der Regierung übernehmen – oder alles zugleich tun können. Die vorgebliche Arbeitsteilung bindet den Sohn nicht an den Beruf des Vaters, sie bindet nicht einmal an einen bestimmten Beruf im eigenen Lebenslauf. Die Beschränkung, die Sokrates meint, bezieht sich offenbar auf den eigenen Kompetenzbereich und dessen Verhältnis zum Ganzen – des Staats oder des einzelnen Individuums. S. das Folgende.

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zeugt, dass im Staat neben den für die Selbsterhaltung des Lebens zuständigen Bürgern eine zweite Gruppe nötig sei, die die staatliche Gemeinschaft als ganze nach innen und außen verteidigt. Sie befasst sich „mit der Stadt als ganzer, auf welche Weise sie sich zu sich selbst und zu den anderen Städten am besten verhält“ (428d). Diese Gruppe muss also das, was die ganze Gemeinschaft bedroht, erkennen können und muss fähig sein, diesen Bedrohungen entgegenzutreten. Das beste Verhalten (areté) einer Bedrohung gegenüber ist die Tapferkeit. Das ist also die zweite Tugend, die im Staat vorhanden sein muss, wenn es gerecht in ihm zugehen soll. Voraussetzung für den Erwerb dieser ‚Tugend‘ ist eine Meinung über das, was das Leben der Gemeinschaft und der Einzelnen in ihr bedroht (429c-d).

Exkurs: Was ist eine Meinung? Über das, was eine Meinung ist, hat Platon eine von vielen modernen Auffassungen abweichende Auffassung, die mit guten Gründen ein eigenes Recht beanspruchen kann.17 17 S. dazu Verf. (Anm. 9), S. 307-330; ders. (Anm. 12), S. 104-110 und s. jetzt vor allem M. Krewet, Die Theorie der Gefühle bei Aristoteles, Heidelberg 2011, S. 407-464. Die neuere Forschung konzentriert sich extrem auf ein Scheinproblem. Da Platon die Gegenstände des Meinens von denen des Wissens unterscheidet, ‚meint‘ man, er habe ‚noch‘ nicht gesehen, dass man sehr wohl über ein und dasselbe eine Meinung und ein Wissen haben kann. An den Gegenständen könne man also Meinung und Wissen nicht unterscheiden. S. z. B. (mit Diskussion der Forschung) Ch. Horn, „Platons episteme-doxa-Unterscheidung und die Ideentheorie“, in: O. Höffe (Hrsg.), Platon, Politeia, Berlin 1997, S. 291-312. S. auch wieder U. Meixner, s. v. „Meinung“, in: Schäfer (Anm. 8), S. 200-202. Aus platonischer Sicht liegt dieser Kritik selbst eine Konfusion zugrunde, und zwar die Konfusion zwischen dem äußeren Gegenstand, auf den sich eine Meinung oder ein Wissen bezieht, und dem inneren Gegenstand des Meinens oder Wissens, d. h. dem jeweils gemeinten Inhalt. Auf diese Unterscheidung verweist bereits Aristoteles. Wer über die Diagonale im Quadrat die Meinung hat, sie sei mit den Seiten kommensurabel, hat eine Meinung über denselben Gegenstand, über den man auch das Wissen haben kann, dass sie inkommensurabel sei. Der Inhalt der Meinung, d. h. ihr subjektiver Inhalt, ist aber nicht derselbe wie der Inhalt des Wissens. Diesen Unterschied gibt es natürlich auch, wenn man über denselben Gegenstand eine wahre Meinung und ein Wissen hat. Wer meint, dass eine (bestimmte) Schlange giftig ist, dessen Meinung hat nicht denselben Gegenstand wie das Wissen dessen, der die Gründe, weshalb und in welcher Weise diese Schlange giftig ist, kennt.

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Wer eine Meinung hat, bezieht sich nach Platon immer auf ein sinnlich gegebenes Einzelnes, erfasst an diesem Einzelnen aber etwas Allgemeines. Dieses Allgemeine allerdings ist nicht irgendetwas Gemeinsames, das man in einem schnellen, nur meinenden Urteil von den Einzeldingen abgehoben hat, es ist vielmehr das ‚Werk‘, das in etwas Einzelnem verwirklicht ist. Ein Auge als Auge sieht man nicht mit dem Sehsinn, der nur Weiß, Blau, usw. in bestimmter Formung erfasst. Erst wenn man das, was dieses farbige Gebilde kann und leistet, bemerkt, ist man fähig eine Meinung über das, was dieses gesehene Einzelne ist, zu bilden: Es kann Farben und Formen unterscheiden, es ist ein Auge. Dieses Können, die dýnamis des Sehvermögens, ist das Allgemeine, die je besondere Verwirklichung in diesem oder jenem Sehorgan das Einzelne. Wenn man sich eine Meinung über etwas bilden will, darf man sich also nicht auf die ganze Erscheinungsmannigfaltigkeit eines Gegenstands, einer Person, einer Situation richten, sondern muss sich an ihr auf das konzentrieren, was ausmacht, dass sie etwas Bestimmtes kann und vollzieht. Die Besonderheit dieser meinungshaften Erkenntnis der allgemeinen Möglichkeit, Farben zu unterscheiden, ist allerdings, dass dieses Allgemeine noch nicht aus einer Untersuchung der Bedingungen dieser dýnamis für sich selber erkannt ist (das leistet erst der lógos), sondern an der Leistung, dem ‚Werk‘ (érgon) eines einzelnen Gegenstands. Mit dieser Erkenntnisweise ist eine mögliche Irritierung gegeben. Denn sie verleitet zu dem Schluss, das Werk, das etwas vollzieht, sei an eben die Erscheinungsweise gebunden, in der es gerade wahrnehmbar ist. Ein Sehvermögen muss aber nicht immer in einer kugeligen Linsenform verwirklicht sein, ein Tisch muss nicht braun und aus Holz sein, ein Mensch muss nicht weiß und blond sein, usw. Das Gleiche gilt für die Äußerungsformen psychischer Aktivitäten. Ob man von jemandem bedroht wird, sieht man nicht, man muss es, d. h. das Bedrohungspotential, an den sichtbaren Erscheinungsformen begreifen und man muss sich gegen die vielen Täuschungsgefahren vorsehen, die mit diesem Begreifen, das unmittelbar mit der Wahrnehmung verbunden ist, einhergehen. Dazu kommt, dass das Erkennen von etwas Bedrohendem kein reiner Erkenntnisakt ist. Genauer: Es ist dann kein reiner Erkenntnisakt, wenn man an einer im Augenblick präsenten bedrohlichen Erscheinung begreift oder zu begreifen meint, dass sie (für jemanden – jetzt)

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bedrohlich ist. Deshalb gehört zu einer Definition der Tapferkeit nicht nur ein kognitiver Aspekt, man muss die richtige Meinung über eine Bedrohung auch in Höhen und Tiefen der Gefühle festhalten können (429c-d). Fortsetzung bb): Die Aufgabe der Tapferkeit in der staatlichen Gemeinschaft Da das Meinen auf das ‚Werk‘ von etwas gerichtet ist, das ‚Werk‘, um das es im Staat geht, aber das gemeinschaftliche Handeln ist, ist die Bedrohung, der die Tapferkeit entgegentreten soll, die Bedrohung der möglichen Selbstverwirklichung der einzelnen Bürger wie der Gemeinschaft als ganzer. Ihre Aufgabe ist es nicht, etwas vom Haus- oder Ackerbau zu verstehen, sondern dafür zu sorgen, dass immer dort, wo ein Mitglied der Gemeinschaft oder die Gemeinschaft als ganze darin bedroht wird oder selbst andere bedroht, das eigene ‚Werk‘ zu erfüllen, helfend oder abwehrend einzugreifen. Da man tapfer immer gegenüber einer präsentischen Bedrohung sein muss, steht der Tapfere grundsätzlich vor eben den Problemen, vor denen man beim Meinen insgesamt steht: Er muss aus dem Ganzen einer Erscheinung das Bedrohungspotential gleichsam herauslösen. Das bringt viele Täuschungsmöglichkeiten mit sich: Er kann etwas für bedrohlich halten, obwohl es nur so aussieht; er kann das Bedrohende nicht erkennen, weil die äußere Erscheinung keine typischen Merkmale einer Bedrohung enthält; er kann eine Bedrohung an bestimmten, nur in einigen Fällen vorhandenen Erscheinungsweisen identifizieren und überall, wo diese Erscheinungsweisen vorliegen, Bedrohung vermuten, usw. Insbesondere zwingt die Notwendigkeit, einer präsenten Bedrohung entgegenzutreten, zu schnellem Handeln – mit allen Täuschungsgefahren vorschnellen Entscheidens.18 Deshalb gibt Sokrates der Erziehung dieser ‚Helfer‘ (epíkouroi ist der genauere Begriff, phýlakes umfasst beide: die Helfer und die Regierenden, man könnte formulieren: die Helfer und die Hüter) einen 18 In Anlehnung an Platons ‚philosophischen‘ Hund (Politeia 376a2-8; s. a. 469e1; Nomoi 967c8) sagt Aristoteles vom thymós: „Es scheint der Thymos zwar irgendwie auf den Logos zu hören, aber nicht genau. Wie bei übereiligen Dienern, die noch bevor sie alles gehört haben, was man ihnen sagt, losrennen und dann den Auftrag fehlerhaft ausführen, oder wie bei den Hunden: noch bevor sie sehen, ob einer ein Freund ist, bellen sie, wenn einer nur ein Geräusch macht“ (Nikomachische Ethik 1149a 25-29).

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außergewöhnlich großen Raum in seiner ‚Staatsgründung‘, und zwar weniger zur Ausbildung körperlicher Tüchtigkeit und Wehrfähigkeit (nach außen), sondern vor allem zur Erziehung des ‚Musischen‘ im Menschen, das ihn zur richtigen Aktivität im Inneren der Gemeinschaft befähigt. Wer meint, einer Bedrohung für sich oder die Seinen ausgesetzt zu sein, empfindet Unlust und will die Bedrohung abwehren. Die Ausbildung der Tapferkeit hat deshalb, wenn man die moderne Begrifflichkeit (in ihrer zu starken Scheidung) anwendet, einen kognitiven und einen emotionalen Anteil. Im Sinn des platonischen Erkenntnisbegriffs muss man am kognitiven Anteil selbst unterscheiden zwischen der je präsentischen Leistung des Meinens ‚Dies hier bedroht mich – in dieser oder jener Weise, Stärke, usw. –‘, diese Form des Erkennens ist für den sogenannten Gefühlsanteil bei der Begegnung mit etwas Bedrohlichen verantwortlich, und der Fähigkeit, die augenblickliche Bedrohung in ihrem Potential für die Gefährdung des Ganzen – des ganzen Menschen, der ganzen Gemeinschaft – richtig einzuschätzen. Diese letztere Leistung ist die Leistung einer frei über sich verfügenden Vernunft. Auf diese Vernunft muss der Tapfere hinzuhören in der Lage sein, wenn sein Verhalten nicht konfus und beliebig, sondern auf das für alle Seiten Gute gerichtet sein soll. Auch dieses Hinhören auf eine freie, von den Augenblicksbedingungen unabhängige Vernunft ist nicht nur eine kognitive Leistung, sondern wird von den dazu gehörenden Gefühlen begleitet. Wer begreift, dass etwa ein bitter empfundenes vermeintliches Unrecht gar kein Unrecht war, wird dies mit einem Gefühl der Erleichterung begleiten, während etwa der, der eine scheinbar harmlose Erscheinung in ihrem tatsächlichen Bedrohungspotential durchschaut, in Furcht geraten und einen Abwehrwillen entwickeln wird. Der Gegensatz von Vernunft und Gefühl ist für das von Platon Gemeinte zu undifferenziert.19 Das Ineinandergreifen von Erkennen, Fühlen und Wollen gibt in der Politeia den Plan vor, nach dem Sokrates die Ausbildung der ‚Helfer‘ gestaltet. Sie beginnt – in unserer Begrifflichkeit – mit der musischemotionalen Seite, aber sie ist nicht nur emotional, sondern sie verfolgt das Ziel, dass die jungen Menschen lernen, an dem, was wirklich gut für sie und die Gemeinschaft ist, Freude zu empfinden und das Gegenteil abzulehnen. Sokrates hat sogar in besonderer Weise die möglichen 19 S. dazu grundsätzlich und umfassend jetzt Krewet (Anm. 17); s. auch Verf. (Anm. 9), S. 341-380.

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Täuschungsgefahren vor Augen, die aus einer falschen Einschätzung zu verfehlten Gefühlen führen. Das ist der Grund, weshalb er der ‚musischen‘ Ausbildung dieser kleinen Gruppe derjenigen, die den Staat als ganzen beschützen sollen, zwei ganze Bücher (2 und 3) widmet. Ihre Strenge ist oft kritisiert worden, man muss aber bedenken, dass sie nur auf die Wenigen angewendet werden soll, die für den Erhalt der ganzen Gemeinschaft ausgewählt sind und aus deren Mitte die noch wenigeren Mitglieder der Regierung gewählt werden sollen. cc) Wohlberatenheit und Gerechtigkeit im Staat Die gymnastisch-musische Ausbildung ist (noch) keine Ausbildung der rationalen Vermögen des Menschen, wohl aber trägt sie dazu bei, dass die Tätigkeit der Vernunft nicht durch die Fixierung auf den Augen­blick gestört oder ganz unterbunden wird, so dass eine Freiheit für den Gebrauch der Vernunft entsteht. Dass das Gemeinwesen eine solche für das Ganze sorgende Vernunft, die ‚nach vorne und hinten zu sehen‘ in der Lage ist, benötigt, darüber sind sich die Gesprächspartner einig, auch wenn ihre besondere Leistung erst viel später erarbeitet und bewertet wird. Sokrates nennt diese Vernunft sophía, in genauerer Beschreibung euboulía, Wohlberatenheit. Aus dem Hinhören auf diese ‚praktische Vernunft‘ entsteht diejenige Form der homodoxía,20 des gemeinschaftlichen Meinens, auf die es Platon in besonderer Weise ankommt: die Übereinstimmung der verschiedenen Gruppen im Staat (und der Arten seelischen Verhaltens im Einzelnen) untereinander. Eine Gemeinschaft, in der jeder seine ihm eigene Begabung optimal verwirklichen können soll, braucht also, so wird das Ergebnis der bisherigen Gespräche im 4. Buch zusammengefasst (427c-435d), die Fähigkeit der Einzelnen, aufeinander zu hören (sophrosýne), die Fähigkeit, die Selbstverwirklichung der Einzelnen gegeneinander und gegen äußere Beeinträchtigungen zu schützen (Tapferkeit, Courage), und die Fähigkeit, das Zusammenspiel der Tätigkeiten der Einzelnen im Ganzen der Gemeinschaft so zu beurteilen, dass es ‚wohlberaten‘, d. h. auf das für alle Gute ausgerichtet ist (sophía, euboulía). 20 S. Politeia 442d: Platon spricht von ‚der gleichen Meinung sein‘; andere Formulierungen sind: ‚dieselbe Meinung haben‘ (431d/e) oder ‚gleiche Gesinnung‘ (homónoia, 432a) u.ä.

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Die gesuchte Gerechtigkeit scheint in diesem ‚Tugendkatalog‘ gar nicht vorzukommen, sie besteht aber eben darin, dass das Zusammenwirken dieser ‚Bestformen‘ menschlichen Handelns eben dazu führt, dass jeder ‚das Seine tun‘ kann.

4) Gerechtigkeit und Glück: Selbstverwirklichung als das jedem zustehende ‚Gute‘ a) Das Nichtwiderspruchsaxiom als Kriterium der Differenzierung des Urteils über die Seele als Untersuchungsgegenstand Das Vorgehen bis zu dieser Stelle der Argumentation war an den ‚Großbuchstaben‘, d. h. an dem dem common sense Näherliegenden orientiert. Ausgehend von der Frage, weshalb die Menschen überhaupt ein Leben in einer größeren Gemeinschaft suchen, sollte geklärt werden, wie das Verhältnis der Einzelnen zur Gemeinschaft gestaltet sein muss, damit jeder dem eigenen Antrieb folgen und zugleich in gutem Verhältnis mit anderen leben kann. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen können, wie Sokrates betont (435e), nur durch Unterschiede der individuellen Menschen selbst in die Gemeinschaft gekommen sein. Die Folge muss also sein, dass auch der einzelne Mensch über verschiedene Handlungsfähigkeiten verfügen muss, damit er 1) seine Grundbedürfnisse zur Lebenserhaltung in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen des ganzen Menschen erfüllen kann (sophrosýne), 2) sich für die Anerkennung der Selbstverwirklichungsrechte der einzelnen Bedürfnisse in funktionaler Hinordnung auf den ganzen Menschen einsetzen kann (Tapferkeit), 3) sich für das für den ganzen Menschen Gute in freier Verfügung über die Vernunft engagieren kann (Wohlberatenheit, euboulía, sophía). Wenn jeder Mensch zu diesen unterschiedlichen Handlungsformen fähig ist, ist es dann eine einzige Fähigkeit in ihm, die ihn zu allem befähigt, oder muss man annehmen, dass sich eben die Unterschiede – Sokrates spricht von eíde und éthe, von im Charakter begründeten

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Handlungs-‚Arten‘, die es in der Gemeinschaft gibt, auch im einzelnen Menschen finden (435e)? Auch zur Beantwortung dieser Frage geht Sokrates von einer allen leicht zugänglichen Erfahrung aus. Dass wir in unseren Handlungen nicht nur den Bedürfnissen zur Selbsterhaltung folgen, belegt der Befund, dass es häufig vorkommt, dass wir Bedürfnisse, die wir haben, selbst elementare Bedürfnisse wie Hunger und Durst, nicht befriedigen, etwa dann, wenn vernünftige, z. B. medizinische Gründe dagegen sprechen. Diese übliche Erfahrung mit scheinbar widersprüchlichen Tendenzen in uns konfrontiert Sokrates mit einem Grundkriterium, über das das Denken von sich aus verfügt und das es auf seine Erfahrungen anwendet: mit dem Nichtwiderspruchsaxiom. Anders als wir es von einer nachcartesianischen Auslegung her gewohnt sind, hat dieses Axiom für Platon allerdings einen heuristischen Charakter. Er formuliert: „Da offenkundig ein und dasselbe Gegensätzliches nicht zugleich tun oder erleiden kann – jedenfalls in Bezug auf dasselbe und in Relation zu demselben – wissen wir, dass dort, wo wir finden, dass dies geschieht, es nicht eines und dasselbe war, sondern mehreres (436b)“.21 Von den Beispielen, an denen Platon die Anwendung dieses Kriteriums erläutert, hat das Beispiel vom Kreisel, der an ein und derselben Stelle stehen bleibend sich zugleich dreht (436d-e), am meisten Eindruck gemacht (er selbst hat es dreimal wiederholt). Dieses Phänomen beweist nach Platon nicht, dass sich der Satz vom Widerspruch auf die wirkliche Welt nicht anwenden lässt, die einer ‚zweiwertigen Logik‘ nicht folgt, es verweist vielmehr darauf, dass der, der meint, an dem zugleich stehenden und sich bewegenden Kreisel ein Beispiel für einen ‚daseienden Widerspruch‘ zu haben, es an einer Unterscheidung hat fehlen lassen. Denn wenn er beachtet, dass seine Meinung, ein und dasselbe bewege sich und ruhe zugleich, dem Kriterium, dass etwas nicht zugleich es selbst sein und nicht sein kann (in Relation zum selben, usw.) zuwiderläuft, dann weiß er, dass er nach einer Un21 Zur immer noch vertretenen These, Platon habe gar nicht das – erst von Aristoteles formulierte – ‚Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs‘ vertreten, sondern lediglich ein ‚Prinzip der Gegensätze‘ (s. R. Robinson, „Plato’s Separation of Reason from Desire“, in: Phronesis 16/1971, S. 38-49, v. a. S. 39; und s. jetzt wieder J. Müller, „Ontologie“, in: Schäfer (Anm. 8), S. 145), s. Verf., Die Bedeutung der sophistischen Logik für die mittlere Dialektik Platons, Diss. Würzburg 1974, S. 122-128; ders. (Anm. 9), S. 215-269.

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terscheidung verschiedener Hinsichten oder Relationen suchen muss, in Bezug auf die ein und derselbe Kreisel steht und sich bewegt. Z. B. kann man an einem aufrecht stehenden Kreisel die in der Senkrechten verharrende Höhe von der kreisförmigen Peripherie unterscheiden und so feststellen, dass es gar nicht der Kreisel ist, der steht und sich dreht, es steht vielmehr die Höhe und es dreht sich die Peripherie. Einen Widerspruch gibt es also gerade nach Platon immer nur in unseren Urteilen, in der ‚Wirklichkeit‘ kann es Gegensätze, Widerstreitendes, Vermischtes geben, keinen Widerspruch. Die Aufgabe, die bei der Feststellung eines Widerspruchs zu erfüllen ist, ist daher immer, die Zuweisung der einander widersprechenden Prädikate an ein und dasselbe Subjekt zu überprüfen. Nicht der Kreisel steht und bewegt sich, sondern die Höhe des Kreisels steht, die Peripherie bewegt sich, oder die Stelle, an der der Kreisel steht, bleibt unverändert, die Selbstbewegung aber ändert sich, usw.22 In analogem Sinn muss man beim Menschen verfahren, bei dem man beobachtet, dass er zugleich zu trinken begehrt und dieser Begierde doch widersteht. Wenn dieses Widerstehen tatsächlich ‚in Bezug auf dasselbe und in Relation zu demselben‘, d. h. genau auf das Begehren zu trinken gerichtet ist (und nicht etwa darauf, dass man die bittere Arznei nicht, den guten Wein aber sehr wohl trinken will), dann machen diese gegensätzlichen Strebungen in ein und demselben Menschen eine Unterscheidung nötig. Offenbar ist es nicht dasselbe, mit dem wir zu trinken begehren und mit dem wir diesem Begehren 22 Platons Umgang mit dem Widerspruchssatz unterscheidet sich dadurch signifikant von seiner Auslegung in der neueren, z. B. sprachanalytischen Logik. Wenn behauptet wird, das Widerspruchsprinzip besage, dass von zwei Aussagen, von denen die eine die Negation der anderen ist, mindestens eine der beiden Aussagen falsch und – in einer starken Auslegung – die andere wahr sein müsse, dann ist es unzulässig, dieses ‚Prinzip‘ zur Beurteilung von Platons Umgang mit dem Widerspruchssatz oder -prinzip zu nehmen. Bei Platon können die beiden Sätze ‚Der Kreisel steht‘ und ‚Der Kreisel steht nicht‘ beide wahr oder beide falsch sein. Der Satz ‚Der Kreisel steht‘ schließt den anderen ‚Der Kreisel steht nicht‘ nur dann als wahr aus, wenn er ungenügend differenziert verstanden wird, d. h. wenn er als Aussage über den Kreisel als ganzen genommen wird. In einem solchen Verständnis sind beide Aussagen falsch. Wird dagegen das Subjekt der Aussagen präzisiert: ‚Die Höhe des Kreisels bewegt sich nicht‘ und ‚Die Peripherie des Kreisels bewegt sich‘, sind beide Aussagen wahr. Der Widerspruchssatz dient nicht zu einer Schlussfolgerung über die Wahrheit oder Falschheit des jeweils anderen Satzes, sondern ist Anlass einer Differenzierung der Subjekte, denen ein Prädikat zugesprochen wird. S. dagegen z. B. F. von Kutschera, Platons Parmenides, Berlin 1995 (passim) und jetzt wieder U. Meixner, ‚Widerspruch(sprinzipien)‘ in: Schäfer (Anm. 8), S. 328f.

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widerstehen. Das eine muss vielmehr als ein sinnliches Bedürfnis, das andere als ein rationaler Gegenwille verstanden werden. Nicht ‚der Mensch‘ oder ‚der Kranke‘ will zugleich trinken und nicht trinken, sondern sein sinnliches Begehren strebt nach einem Getränk, sein Wille, gesund zu werden, hält dieses Begehren zurück. b) Zwischen sinnlichem Begehren und vernünftigem Wollen: das Sich-Ereifernde (thymoeidés) Bevor wir uns der Frage zuwenden, welche ‚Arten‘ seelischen Verhaltens Platon mit der Unterscheidung verschiedener Strebetendenzen im Menschen bezeichnet wissen wollte, müssen wir noch die dritte Art beachten, die in modernen psychologischen Systemen kaum einen Ort, ja in modernen westlichen Sprachen nicht einmal eine Bezeichnung hat. Platon macht nämlich deutlich, dass sinnliche Bestrebungen keineswegs immer gleich vom Verstand zurückgehalten werden. Im Gegenteil, wenn einer meint, dass ihm ein Unrecht geschehe, d. h. wenn er sich in dem, was ihm zusteht und was er selbst in eigener Kompetenz kann, gehindert fühlt, dann, so sagt er, „kocht es in ihm und er ist empört und kämpft für das, wovon er meint, dass es sein Recht sei, und hungert lieber und dürstet, als darauf zu verzichten, sich durchzusetzen“ (440c-d). Dass dieser Kampf für das eigene Recht, der oft dazu führt, dass wir unsere sinnlichen Bedürfnisse unterdrücken und auf sinnliche Lüste verzichten, nicht immer ein Kampf der Vernunft gegen die Sinnlichkeit ist, sehe man auch daran, dass sogar ganz kleine Kinder schon sich heftig ereiferten, zu einer freien Verfügung über die Vernunft würden dagegen manche nie fähig, die meisten erst spät (441a-b), das SichEreifern aber ist etwas, was den Menschen von der Geburt bis zum Tod begleitet. aa) Achill als Beispiel Platon steht mit dem Konzept eines ‚Sich Ereifernden‘23 im Menschen in einer bis auf Homer zurückgehenden Tradition. Bereits bei Homer 23 Der ganze Komplex des thymetischen Denkens bei Platon ist jetzt gründlich und mit umfassenden Belegen aufgearbeitet bei W. Brinker, Platons Ethik und Psychologie. Philologische Untersuchungen über thymetisches Denken und Handeln in den platonischen Dialogen, Frankfurt/Main 2008.

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gibt es einen thymós, der eben diese Zwischenstellung hat, die Platon in der Politeia beschreibt. Das bekannteste Beispiel bietet Achill. Agamemnon wollte zum Schaden des ganzen Unternehmens vor Troia auf eine Geliebte nicht verzichten, die er aber, weil sie Tochter eines Apollonpriesters war, nicht hätte rauben dürfen. Achill war der einzige, der den Mut hatte, Agamemnon entgegenzutreten. Das verärgerte Agamemnon so sehr, dass er Achill sagt, er brauche ihn gar nicht, er könne ruhig nach Hause fahren. Achill, der seit neun Jahren allein Grund dafür ist, dass die Troianer einen offenen Kampf mit den Griechen nicht wagen, ist darüber so empört, dass er, wie Homer formuliert, in seinem Herzen (das ist der Ort, an dem der thymós lokalisiert ist) hin und her überlegt, ob er sich jetzt noch beherrschen oder nicht lieber gleich zum Schwert greifen und Agamemnon niederstechen soll (Ilias vv. 54-218). Achill ‚überlegt‘ also, aber das, was er überlegt, ist Teil einer leidenschaftlichen Erregung in ihm, deren Ziel auch keineswegs vernünftig ist, denn sie endet damit, dass Achill bereits zum Schwert greift. Dieser Mangel an Vernunft im ‚hin und her Überlegen‘ Achills wird bei Homer dadurch deutlich, dass er in diesem Augenblick die Göttin der Vernunft, Athene, eingreifen und Achill raten lässt, nicht zum Schwert zu greifen. Achill hört auch auf Athene und lässt sich überreden, von einem Königsmord abzulassen, ohne freilich seinen empörten Rachedurst ganz aufzugeben.24 Dieser sich ereifernde thymós bei Homer hat eine ähnliche Mittelstellung, wie sie noch Platon dem thymoeidés gibt: Er ist keine sinnliche Begierde, Achill wendet sich sogar gegen die Erfüllung einer sinnlich erotischen Begierde, wenn auch nicht aus irgendwelchen asketisch-moralischen Gründen, sondern weil sie zu einer Schädigung der Gemeinschaftsanliegen führt. Dieser thymós hat selbst eine Fähigkeit zu denken, sein Denken steht aber im Dienst der Sache, für die er sich ereifert. Er hat aber immerhin die Fähigkeit, auf die Vernunft zu hören und wohl sogar eine gewisse Tendenz, ihr zu folgen, wenn auch mit der Beschränkung, dass er den Blick von dem vermeintlich Guten, der ‚Bestrafung‘ Agamemnons, nicht abwenden kann. Darauf nimmt Homers Athene Rücksicht und rät ihm lediglich, sich auf andere Weise als durch einen Königsmord Genugtuung zu verschaffen. Legt man diesen Vorgang auseinander und reflektiert auf die verschiedenen psychischen Akte, die in ihm zusammenlaufen, findet man 24 S. Verf., Selbständigkeit und Abhängigkeit menschlichen Handelns bei Homer, Stuttgart 1990, S. 76-82.

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als Beginn einen Erkenntnisakt. Achill erkennt in Agamemnons Rede eine unerhörte Erniedrigung und Verachtung (seiner großen Leistungen für die Gemeinschaft). Diese Erkenntnis ist von einem großen seelischen Schmerz begleitet: áchos génet’ heißt es bei Homer (Ilias 1, 188). áchos ist ein starker, seelischer Schmerz, der den Menschen plötzlich durchfährt,25 er kommt nicht zur Erkenntnis der Schamlosigkeit Agamemnons hinzu, sondern ist unmittelbar mit ihr da. Eben dieses mit der Erkenntnis verbundene Schmerzgefühl aber treibt Achill zu einer ‚Überlegung‘ in die Zukunft: Er sucht nach einer Befreiung von diesem Schmerz und wird von der Vorstellung dieser zukünftigen Lust26 zu einem Streben und von diesem unmittelbar zum Handeln gedrängt – er greift zum Schwert. Die Reihenfolge der psychischen Akte ist also: 1) Erkenntnis (hier: eine Meinung über ein Unrecht), 2) mit der Erkenntnis unmittelbar empfundenes (Unlust-)Gefühl, 3) Entwicklung eines Strebens nach Befreiung von diesem Unlustgefühl durch die Vorstellung einer Befreiungsmöglichkeit, 4) Handlung (Achill greift zum Schwert). bb) Die Platonische Analyse der Aktkomponenten des thymoeidés Bei Platon finden wir die im thymós zusammenwirkenden Akte in angemessener Begrifflichkeit explizit beschrieben: Die Erkenntnisweise des thymoeidés, der seelischen Verhaltensweise, bei der man sich für sein ‚Werk‘ ereifert, ist das Meinen. Die mit diesem ‚Meinen‘ verbundenen Gefühle sind Gefühle, die mit dem Gelingen, der Behinderung oder dem Scheitern der erstrebten Selbstverwirklichung verbunden sind. Das sind also Gefühle, die aus der gewonnenen oder verweigerten Anerkennung in der Gemeinschaft entstehen, besonders Empörung und Zorn über erlittenes Unrecht, aber auch viele andere Gefühle, die alle schon bei Homer dem thymós zugeschrieben werden: „Freude und Verärgerung, Schmerz, Leid, Schreck und Schock, Raserei, Angst, Scham oder Scheu, Härte und Unbeug-

25 S. Lexikon des Frühgriechischen Epos, Bd. 1, Göttingen 1979, 1766 1774 s. v. áchos und áchnymai, bearb. v. E. M. Voigt. 26 Diese Lust als Movens des Zorns exemplifiziert Platon selbst an Achill. S. Philebos 47d-48b3. S. dazu Brinker (Anm. 23), S. 222.

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samkeit, Tapferkeit und Feigheit, Wohlwollen, Gnade, Mitleid oder Rücksichtnahme, … Stolz, Ehre, …“27 Aus diesen Gefühlen der Lust oder Unlust entsteht durch die Vorstellung, sie in Zukunft weiterbehalten zu können oder zu müssen bzw. sie neu wiederzugewinnen oder abzuwehren, ein Streben, also eine Willensart, die zur Handlung drängt.28 Auch wenn diese Willensform, die Platon das thymoeidés (die Willensart, die ein Sich-Ereifern ist) nennt, kaum eine eigene Bezeichnung in modernen westlichen Sprachen hat, geschweige denn, dass sie in psychologische Lehrbücher eingegangen wäre, sie benennt eine psychische Verhaltensweise, für die es reiche Erfahrungsmöglichkeiten gibt. Viele Verhaltensweisen, bei denen wir auf sinnliche Lüste oder Begierden verzichten oder ihnen entgegentreten, sind keineswegs eben wegen dieser Unterdrückung der Sinnlichkeit bereits vernünftig. Viele fasten mehr, als medizinisch gut für sie ist, aus nur ästhetischen Gründen, viele überarbeiten sich aus reinem Ehrgeiz, usw. Im 19. Jahrhundert haben viele in Duellen ihr Leben aufs Spiel gesetzt – um einer falsch verstandenen Ehre willen. Auch heute finden wir Fremdenhass, Rassenhass, die Selbstaufopferung um missverstandener politischer oder religiöser Ziele willen, aber auch die Selbstaufopferung im Dienst der Hilfe für andere, für Freiheit, für die Gemeinschaft, das Vaterland, usw. Alle diese Verhaltensweisen sind nicht von sinnlichen Lüsten oder Begierden bewegt, aber sie sind auch nicht von sich her schon vernünftig. Auch wenn sie eine gewisse Freiheit von sinnlichen Bedürfnissen voraussetzen und deshalb in guter Bildung geeignet sein könnten, auf die Vernunft zu hören, es ist nicht selten die Fixiertheit des Blicks auf ein nur vermeintliches Gut der Selbstverwirklichung, die die Kraft der Beherrschung der Sinnlichkeit bietet. Diese Zwischenstellung zwischen Sinnlichkeit und Vernunft ist der Grund, weshalb Platon der Ausbildung des thymoeidés und der Gruppe im Staat, die in besonderer Weise von ihm geprägt ist, eine so intensive gymnastisch-musische Ausbildung verordnet. Sie wäre aber in der von ihm erörterten Weise unmöglich, wenn das thymoeidés 27 S. die Zusammenstellung bei Brinker (Anm. 23), S. 22. 28 Zur analogen Analyse der Strebeformen in der menschlichen Psyche s. V. Cessi, Erkennen und Handeln in der Theorie des Tragischen bei Aristoteles, Frankfurt/ Main 1987, S. 136-161.

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nur eine Art Wille wäre, der ein eigenständiges, ‚selbstursprüngliches‘ Vermögen neben Verstand und Gefühl wäre. Diese um die Mitte des 18. Jahrhunderts (wieder) neu eingeführte Einteilung der psychischen Vermögen in Verstand, Wille und Gefühl ist immer wieder zur Erklärung der drei Arten seelischer Aktivität bei Platon angewendet worden und war Anlass zu vielen Missverständnissen bzw. zu vieler Kritik an Platon.29 Das thymoeidés ist aber, wie schon deutlich geworden ist, kein Wille in irgendeinem modernen (oder hellenistischen) Sinn. Es steht nicht selbständig neben Verstand und Gefühl und kann wegen dieser Unabhängigkeit mit beiden, aber auch gegen beide agieren und sich so gegen das vom Verstand Eingesehene wenden oder gegen etwas vom Gefühl Empfundenes kämpfen. Das thymoeidés ist zwar offenkundig eine Strebe- oder Willensform, aber es ist gerade als Willensform etwas Komplexes, eine Einheit aus mehreren psychischen Akten. c) Die ‚Arten‘ (eíde) seelischen Verhaltens als drei verschiedene Weisen des Erkennens, Fühlens und Wollens Die Komplexität, die man beim thymoeidés feststellen kann, gilt, wie man in der neueren Forschung mehrfach belegt und – nicht ganz konsequent zu Ende – diskutiert hat, für alle drei seelischen ‚Arten‘ bei Platon. Auch das Begehrliche (epithymetikón, genauer: das zum Begehren Fähige, Geeignete, Geneigte) erkennt etwas, fühlt etwas und will etwas. Dasselbe gilt vom logistikón. Anders als der Name nahelegt, ist es in der Politeia nicht als ein reines Denkvermögen beschrieben, sondern auch es hat eine bestimmte Form des Erkennens, Fühlens und Wollens.30 Logistikón, thymoeidés und epithymetikón unterscheiden sich also nicht dadurch, dass das eine denkt, das andere will, das dritte fühlt, 29 Zum Verhältnis der neuzeitlichen, im 18. Jahrhundert erneuerten Dreiteilung der ‚Seelenvermögen‘ in Verstand, Gefühl und Wille zu der platonisch-aristotelischen Differenzierung der verschiedenen Willensformen s. Verf., Aristoteles. Poetik, Berlin 2011, S. 334-348. 30 S. v. a. Politeia 580c-588a; s.a. 441c; s. dazu J. Moline, „Plato on the Complexity of the Psyche“, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 60/1978, S. 1-26; s. s. vor allem – mit angemessener Erklärung: S. Büttner, Die Literaturtheorie bei Platon und ihre anthropologische Begründung, Tübingen/Basel 2000, S. 26-110; zur Begründung, weshalb die drei Seelen-‚Teile‘ bei Platon drei Willensformen sind s. auch Verf., Der Einzelne und die Gemeinschaft bei Homer und in der Staatstheorie bei Platon, Stuttgart 2000.

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sondern durch je verschiedene Weisen des Denkens, Fühlens und Wollens. Wie die etwas ausführlichere Behandlung des thymoeidés gezeigt hat, ist das thymoeidés eine Einheit aus Mehrerem, es ist eine bestimmte Form des Wollens, die das Produkt aus bestimmten Akten des Erkennens und Fühlens ist. Analog ist es beim epithymetikón. Seine Erkenntnisweise ist das Wahrnehmen. Seine ‚Gefühle‘ sind die unmittelbar beim Wahrnehmen und durch es empfundenen Lüste oder Unlüste. Sein Wille ist ein Begehren, das – vermittelt durch die Vorstellung und ihren Zukunftssinn – die empfundene Lust festhalten oder wieder genießen will bzw. das die mit der Wahrnehmung verbundene Unlust abwehren oder nicht noch einmal haben will. Es ist also als Ganzes eine Willensform, als solche aber ein Komplex aus verschiedenen seelischen Akten und nicht ein einfaches, allein aus sich tätiges Vermögen des Gefühls (diese Deutung ist schon dadurch ausgeschlossen, dass das epithymetikón etwas begehrt und nicht nur fühlt). Auch das logistikón hat neben dem Erkennen Formen des Fühlens und Wollens und bildet seinerseits die Einheit aus diesen drei in ihr zusammenwirkenden Akten. Das heißt, auch es ist als Ganzes ein Wille. aa) Die Erkenntnisvoraussetzungen des Wollens Zum genaueren Verständnis muss man beachten, dass bereits die Wahrnehmung für Platon eine selbständige, aktive Erkenntnisleistung erbringt.31 Die Erkenntnisleistung der Wahrnehmung hat allerdings enge Grenzen. Das Sehvermögen kann Farben und Formen, das Hörvermögen Töne unterscheiden, usw. Die Fähigkeit, auch zu erkennen, was ein bestimmtes farbiges Gebilde ist, hat das Auge nicht, es muss vom Verstand darüber belehrt werden, was dieses farbige Phänomen kann und leistet. Aber das Auge kann Farben, das Ohr kann Töne zusammensetzen, und so kann man (d. h. der Mensch mit Hilfe von Auge und Ohr) z. B. eine von einer Farbe umgrenzte Gestalt (schéma) sehen bzw. die Dauer eines Tons oder einen Akkord hören. Auch wenn diese bereits synthetisierende Leistung der Wahrnehmung noch nicht hinreicht, um aus den Wahrnehmungsdaten auf einen Gegenstand zu schließen, den man erst an seinem érgon begreift, man könnte auch einen nur wenige Sekunden dauernden Ton nicht als 31 S. dazu v. a. W. Bernard, Rezeptivität und Spontaneität der Wahrnehmung bei Aristoteles, Baden-Baden 1988.

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diesen Ton wahrnehmen, wenn man nicht darauf achten würde, dass es tatsächlich ein Ton ist. Also muss man darauf achten, wann er anfängt, wann er endet. Um Anfang, Mitte und Ende des Tons zu ‚hören‘, muss man darauf achten, dass man immer denselben Ton hört, der sich also in den verschiedenen Stadien seiner Dauer gleich bleibt, der kontinuierlich verläuft und nicht diskret unterbrochen ist, usw. Alle diese Kriterien wendet man meistens scheinbar ‚unbewusst‘ an, genauer: Man achtet zwar auf das von diesen Kriterien Bestimmte, etwa darauf, dass der Ton sich gleich bleibt. Was man unter Gleichheit eines Tons, etwa dass er in verschiedenen Phasen derselbe bleibt, oder unter Gleichheit im Allgemeinen versteht, etwa Identität in verschiedener Materie, wird nicht thematisiert. Aber es ist klar, dass man diesen einen Ton umso besser und sicherer hören wird, je richtiger und angemessener man diese Kriterien: Identität, Verschiedenheit, Gleichheit, Ganzheit, Teil, Kontinuität, Diskretheit, Anfang, Mitte, Ende usw. anwenden kann. Allein diese kurze Reflexion belegt aber schon mit hinreichender Sicherheit, dass das ‚bloße‘ Wahrnehmen kein nur passiv rezeptiver oder gar rein physiologischer Vorgang, etwa ein bloßer Reiz oder Sinneseindruck, sein kann. Solche Kriterien des Unterscheidens wendet jeder bei jeder Art von Erkennen an, zu einer methodisch reflexiven Kenntnis dieser Kriterien und dadurch zu einem souveränen, wissenden Gebrauch kommt man aber nur, wenn man sie nicht nur mehr oder weniger genau anwendet, sondern sie selbst reflexiv zum Thema macht. Dazu muss man, wie Sokrates in der Politeia formuliert, nur „dies Geringe“ leisten, „eins, zwei, drei zu unterscheiden“ (522c). Denn wenn man nicht nur zählen, sondern wissen will, was man meint, wenn man eins, zwei, drei unterscheidet, muss man genau diese Kriterien erfassen: Einheit, Vielheit, Identität, Verschiedenheit, Ganzheit, Teil, Gleichheit, Diskretheit, Kontinuität, usw. Bei der Zahl aber wird man nicht mehr mit den besonderen Realisationsformen dieser Kriterien bei Farben, Tönen, bei Tieren, Menschen, Bäumen usw. konfrontiert, sondern rein mit ihnen selbst. Denn aus ihnen konstituieren sich der Begriff der Zahl und die Begriffe der verschiedenen Zahlen.32

32 S. Verf. (Anm. 12). S. 121-130, S. 161-164; grundlegend zur erkenntnistheoretischen Bedeutung der Mathematik bei Platon ist G. Radke, Die Theorie der Zahl im Platonismus. Ein systematisches Lehrbuch, Tübingen/Basel 2003.

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Das kann hier nicht weiter behandelt werden. Für den verfolgten Zusammenhang ist aber wichtig, dass es offenbar den Unterschied zwischen einer bloßen Anwendung von Unterscheidungskriterien und einem reflexiven und souverän selbständigen Umgang mit diesen Kriterien gibt. bb) Zur Unterscheidung einer bloßen Anwendung von Erkenntniskriterien und einer reflexiven und freien Verfügung über sie beim Wollen Die Unterscheidung zwischen einem bloßen Gebrauch-Machen von Erkenntniskriterien und einem reflexiven und dadurch freien Umgang mit ihnen hat eine große Bedeutung auch für die Verschiedenheit der Willensformen in der Politeia. Das epithymetikón folgt der Erkenntnisweise der Wahrnehmung, es empfindet die Lust oder Unlust, die bei der Wahrnehmung von Farben, Formen, Tönen, Tonverhältnissen, Gerüchen, Geruchskompositionen usw. entstehen, aber es basiert auch auf dem, was wir Gegenstandsanschauung nennen. Diese Anschauung hat die Besonderheit, dass sie meint, einen Gegenstand ganz an seinen sinnlichen Erscheinungsformen identifizieren zu können. Das unterscheidet sie von der Art der Gegenstandserkenntnis durch das Meinen. Denn beim Meinen richtet man sich auf das Können und das ‚Werk‘ von etwas, auch wenn man dieses Können noch nicht für sich betrachtet. Das leistet nach Platon erst das Denken im strengen Sinn (diánoia und noûs = ratio und intellectus). Dieses letztere, ‚noetische‘ Denken ist dadurch charakterisiert, dass es die Kriterien des Erkennens als sie selbst kennt und deshalb frei, souverän und nicht irritiert durch vielfältige Vermischungen mit anderem über sie verfügen kann. Es hat deshalb die Besonderheit, dass es auch die Erkenntnisakte des epithymetikón und des thymoeidés beurteilen kann, denn es ist es ja selbst, das in eingeschränkter Form in ihnen aktiv ist. Deshalb kann es das Einheit Stiftende in ihnen allen sein.33 Man muss nach Platon also von einem Erkenntnisvermögen des Menschen sprechen, das aber in unterschiedlicher Weise aktiviert 33 Aristoteles hat in seinem Konzept der phrónesis als praktischer Vernunft die platonischen Ansätze weitergeführt und expliziert, s. Verf., „Phronesis – eine andere Art des Erkennens“, in: G. Radke-Uhlmann (Hrsg.), Phronesis – die Tugend der Geisteswissenschaften. Beiträge zur rationalen Methode in den Geisteswissenschaften, Heidelberg 2012, S. 31-81.

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werden kann und muss. Grund dafür ist offenbar die Endlichkeit und materielle Geteiltheit des Menschen: Er kann nicht alles zugleich und ganz, sondern nur im Neben- und Nacheinander von Raum und Zeit erkennen, und er erkennt nicht alles mit demselben körperlichen Organ. Das Auge oder das Ohr haben nicht dieselbe Erkenntniskompetenz. Die Wahrnehmungen insgesamt haben nicht dieselbe Erkenntniskompetenz wie das Meinungs- und das diskursive Urteilsvermögen. Während die Wahrnehmungen die bunte Vielfalt der sinnlichen Erscheinungen erfassen und auch von ihnen allein her Gegenstände zu erkennen versuchen, ist das Meinungs- und Urteilsvermögen auf die Erkenntnis des ‚Werks‘ eben dieser Erscheinungsvielfalt gerichtet. Deshalb können diese Vermögen auch bei einer Muschel vermuten, dass sie über ein Sehvermögen verfügt, obwohl die Muschel kein dem Auge der meisten ‚höheren‘ Lebewesen ähnliches Sehorgan hat. Erst das noetische Erkenntnisvermögen aber erkennt die allein dem Denken zugänglichen und von ihm unterscheidbaren Möglichkeiten, die in unterschiedlicher Weise in etwas Anderem realisiert sein können. Sie sind daher frei von den Irritierungen, die sich aus der Zusammengesetztheit mit Anderem ergeben und ermöglichen ein unverzerrtes Urteil. Aus dieser Binnendifferenzierung der Erkenntnisvermögen ergibt sich auch das besondere Verhältnis der drei Willensformen zueinander. Anders als in einer Vermögenspsychologie, in der Verstand, Gefühl und Wille nebeneinander stehen und es dem Verstand zukommt, mit Hilfe des Willens die Gefühle zu ‚steuern‘ (mit der Folge, dass der Verstand scheinbar gar nicht frei er selbst sein kann, wenn er nicht die irrationalen Gefühle und Strebungen unterdrückt), gibt es bei der platonischen Unterscheidung der Arten seelischen Verhaltens weder eine radikale Abwertung der Sinnlichkeit, als sei sie irrational, so dass sich der Verstand von ihr befreien müsse, noch eine radikale Aufwertung, als biete sie gerade, weil sie vom Verstand noch nicht kontrolliert ist, noch einen direkten Zugang zur Wirklichkeit oder zur inneren Genialität des Menschen. Das epithymetikón (das Begehren) Die Sinnlichkeit hat für Platon vielmehr ihre eigene Erkenntnis- und Gefühlskompetenz und ist darin sicher und hat darin auch ihren eigentümlichen Wert. Es ist das Auge, das entscheidet, ob ein Baum grüne oder bunte Blätter hat, und der Geschmacks- und Geruchssinn

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sagen uns, ob der Wein süß ist und einen wohlduftenden Geruch hat. Auch die mit diesen Wahrnehmungserkenntnissen verbundene Lustoder Unlust zu empfinden, ist Sache der Sinnlichkeit und nicht etwa des Verstandes. Sein Wissen über die Geschmacksqualitäten von Oliven wird ihn nicht zum Kenner machen, der den guten und schlechten Geschmack von Oliven beurteilen kann. Das kann allein die Wahrnehmung. Da nach Platon das Erkenntnisvermögen im Menschen etwas Eines ist, ja seine subjektive Identität ausmacht, muss man genauer formulieren: Es ist der Verstand, der nur vermittels der Wahrnehmung die wahrnehmbaren Qualitäten erfassen kann. Sofern er – zunächst nur akzidentell – an diesen Wahrnehmungen aber beteiligt ist, kann er mit seinen Mitteln zur Verbesserung der Wahrnehmungserfahrungen beitragen, etwa, indem er sein Wissen über die mögliche Komposition von Gerüchen, Farben, Tönen, Formen (schémata) benutzt, um die innere Struktur seiner Wahrnehmungen aufzuklären und so z. B. auch eine komplexe musikalische Struktur im Hören zu begreifen.34 Diese Verbesserungsmöglichkeit der Wahrnehmung durch den Verstand verweist bereits auf die Grenzen, die Platon tatsächlich der Sinnlichkeit gesetzt sieht. Diese Grenze liegt in der Eigenkompetenz der Wahrnehmung. Welchen Geschmack oder Geruch ein Wein hat, erkennt das Geschmacks- und Geruchsvermögen. Ob der Wein aber der Gesundheit eines Menschen gut tut, in welcher Menge, zu welcher Zeit usw., dies kann die Wahrnehmung nicht beurteilen. Erst dadurch also entstehen Probleme aus der Sinnlichkeit, wenn sie (oder richtiger: der Mensch, der sich nur ihrer bedient) über das, was für ein gutes Leben des Menschen insgesamt gut ist, von sich aus und allein entscheiden will. Da die Menschen im Staat sich nach den seelischen Verhaltensmöglichkeiten richten, die der einzelne Mensch hat, muss dieses Verhältnis von Kompetenz und Kompetenzüberschreitung auch in der staatlichen Gemeinschaft berücksichtigt werden. Die Aktivitäten des ‚Begehrlichen‘ in uns richten sich vor allem auf die sinnlich-materielle 34 Augustinus und Boethius haben in ihrer Auslegung der Schönheitserfahrung im­ mer wieder darauf hingewiesen, dass die Sinne zwar leicht eingängige Proportio­ nen erfassen können, aber schon bei komplexeren oder auch nur extrem kurzen oder langen Formen versagen. Um eine komplizierte Proportion eines Gebäudes, die komplexe Struktur einer musikalischen Komposition ‚hören‘ zu können, bedürfe man bereits der Mitwirkung des Verstandes. S. Verf., „Zahl und Schönheit in Augustins De musica VI“, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaften N.F. 16/1990, S. 221-237.

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Selbsterhaltung. Zu ihnen gehören für Platon daher nicht nur diejenigen produktiven Tätigkeiten, mit denen wir die sinnlichen Bedürfnisse befriedigen, sondern auch das ganze Handels- und Geldwesen. Wenn ein reich gewordener Kaufmann zugleich eine Bank betreibt, wäre diese Vermischung mehrerer Tätigkeiten zwar vielleicht für den einen oder den anderen Geschäftsbereich manchmal hinderlich, zum Problem würde aber erst eine grundsätzliche Kompetenzüberschreitung, d. h. eine Überschreitung, die den Bereich der sinnlich-materiellen Selbsterhaltung zum Maß für die ganze Gemeinschaft bzw. den ganzen Menschen macht. Ein Beispiel wäre etwa, wenn Handel und Banken, d. h. der ‚Markt‘, vorgeben möchten, wie und mit welchen Zielen die Bildung oder die Kunst in einer Gemeinschaft betrieben werden. Solche Vorgaben wären nach Platon eine Einmischung in Gemeinschaftskompetenzen, die das Prädikat ‚ungerecht‘ erhalten müssten, denn sie schränken die mögliche Selbstverwirklichung des Menschen auf seine elementaren Bedürfnisse ein und gefährden eine Entfaltung des eigentlich Menschlichen. Das thymoeidés (das Sich-Ereifern) In ähnlicher Weise hat auch das thymoeidés, das Sich-Ereifern, für die eigene Selbstverwirklichung in der Gemeinschaft, seine eigene Erkenntnis, Gefühl- und Willenskompetenz. Es ereifert sich für alles, was der Selbstverwirklichung gut tut und genießt es, d. h. empfindet dabei Gefühle der Anerkennung und Ehre, und bekämpft alles, was dieser Selbstverwirklichung schadet, und tut dies mit Tapferkeit und den Gefühlen des Zorns, der Empörung, der Zivilcourage, der Scham und dergleichen. Anders als die Wahrnehmung richtet sich das Meinen nicht auf die reine Erscheinungsvielfalt, sondern auf das ‚Werk‘, das in ihr verwirklicht wird. Es ist aber anders als das reine Denken auf das in den einzelnen Phänomenen präsente ‚Werk‘ bezogen. Die Eigenkompetenz dieses Meinens und der mit ihm verbundenen Gefühle liegt daher in der unmittelbaren Reaktion auf eine Bedrohung bzw. in der unmittelbaren Ergreifung einer Möglichkeit der Selbstentfaltung. Die Gefährdungen des thymoeidés liegen nicht nur, ja nicht in erster Linie in dem Übereifer, der auf die Erkenntnis einer Entfaltungsmöglichkeit oder einer Bedrohung reagiert und sich wie Hunde zu schnell auf einen vermeintlichen Feind stürzt oder wie Diener, die nicht richtig hinhören und gleich losstürzen, den Auftrag falsch

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ausführen,35 die eigentliche Gefährdung liegt auch hier in einer Absolutsetzung des eigenen Wollens. Diese Absolutsetzung entsteht, wenn der Wille zur Abwehr dazu führt, dass die Tapferkeit zum höchsten Gut wird, oder wenn das Streben nach Ehre und Anerkennung losgelöst von der dienenden Funktion, die es für die Selbstverwirklichung des ganzen Menschen hat, allein um seiner selbst willen gesucht wird. In der Gemeinschaft würde diese Kompetenzüberschreitung z. B. dazu führen, dass der General bestimmt, welche Straßen gebaut, welche Kommunikationsmittel verbreitet werden, und insbesondere, dass er versucht, die ganze Gemeinschaft auf militärische Ziele hin auszubilden (wie etwa in Sparta zu manchen Zeiten). Dass eine Gemeinschaft, in der mehr oder weniger die Ehre zum höchsten Gut geworden ist, vielfältigen Gefährdungen ausgesetzt ist, zeigt die Geschichte vielfältig. Die Art der Gefährdung hängt dabei vor allem von den Gütern ab, deren Besitz mit Ehre belohnt wird: körperliche Überlegenheit, Reichtum, künstlerische Fähigkeiten, usw. Platon beobachtet in einer ‚Timokratie‘ (in der das Streben nach Ehre regiert) v. a. eine Tendenz, die Ehre im Besitz großen Eigentums zu suchen. Dadurch bekommt eine ‚Timokratie‘ eine Tendenz zur Oligarchie, in der nur noch der Besitz für sich selbst gesucht wird und in der, wie Platon in einem deutlichen Bild beschreibt, das Streben nach mehr Reichtum auf dem Thron sitzt, während der Verstand und das thymoeidés am Boden darunter sitzen und der Verstand nur noch überlegen darf, wie aus wenig Geld mehr wird, während der thymós nichts Anderes mehr bewundern und sich für nichts Anderes mehr ereifern darf (553c-d). Das Bild bietet eine sehr gute Erklärung für ein scheinbares Paradoxon: dafür nämlich, wie eine Gesellschaft oder ein Einzelner sich ganz rational und dennoch affektgetrieben verhalten kann. Diese Rationalität ist eben keine freie, frei über sich verfügende Rationalität, sondern sie steht ganz im Dienst eines Affekts, in platonischer Deutung: im Dienst einer sinnlich-materiellen Selbsterhaltung oder im Dienst bloßen Strebens nach Ansehen oder einer Mischung aus beiden. Die Unfreiheit einer solchen dienenden Vernunft, die dazu führt, dass sie gar nicht als Vernunft im eigentlichen Sinn tätig sein kann, verweist darauf, dass die Freiheit ein wesentliches Charakteristikum dessen ist, was Platon das logistikón nennt. Die Fähigkeit, im Sinn des logistikón zu handeln, gewinnt man erst, wenn man die Kriterien, die man beim Erkennen anwendet, für sich selbst erkannt hat und sie ih35 S. oben Anm. 18.

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nen gemäß anwendet. Obwohl Platon in den mittleren Büchern der Politeia ein Programm der Ausbildung der Rationalität im Menschen entwirft – es wurde später die Grundlage für das sogenannte Quadrivium innerhalb der artes liberales36 – liegt das Gewicht in der Politeia auf dem Handlungsaspekt, der sich aus der freien Verfügung über Verstand und Vernunft (diánoia und noûs) ergibt. Verfolgt man den Weg vom epithymetikón bis zum logistikón, kann man feststellen, dass dieser Weg grundsätzlich ein Weg zunehmender Freiheit ist – und keineswegs ein Weg, der zu einer Unterwerfung unter eine totalitäre Herrschaft führt, wie Karl Popper, freilich in Anlehnung an eine zu seiner Zeit verbreitete Platondeutung, behauptet hat.37 Das epithymetikón kann nur das begehren, was ihm Auge, Ohr, Nase usw. im jeweiligen Augenblick anbieten. Einen keineswegs unerheblichen Ansatz zur Befreiung von diesen Beschränkungen gibt es freilich bereits im epithymetikón selbst durch die Steigerung des rationalen Moments in ihm. Wer einen guten Wein nicht nur wegen seiner Süße oder seiner berauschenden Wirkung willen trinkt, sondern die Unterscheidungsfähigkeiten der Zunge und Nase in möglichst vollendeter Weise betätigt, wird dafür nicht nur mit dem bei weitem größten Genuss dieses Weins belohnt, er hat auch weniger Probleme mit dem Hinhören auf eine ‚höhere‘ Vernunft. Denn er wird aus eigenem Antrieb und frei auf einen unmäßigen Genuss des Weins verzichten, weil und natürlich auch nur wenn er den höchstmöglichen Genuss aus der Empfindung von Geruch und Geschmack gewinnen will. Denn dieser Genuss setzt eine optimale Unterscheidungsfähigkeit der Sinne voraus, die sowohl durch eine übertriebene Süße als auch durch zu viel betäubenden Alkohol beeinträchtigt würde. Nicht durch eine Unterdrückung der Sinnlichkeit also, sondern durch ihre Optimierung wird es möglich, sich von den Begrenzungen der Sinneskompetenzen zu befreien. In einem grundsätzlicheren Sinn ist das thymoeidés in der Lage, die Grenzen der Sinnlichkeit zu überwinden. Da es, gestützt auf die Erkenntnisleistung des Meinens (dóxa), auf das ‚Werk‘ von etwas gerichtet ist, das in unterschiedlichen Erscheinungen unterschiedlich verwirklicht sein kann (s. o.), sind auch seine Lustgefühle und sein Wille 36 S. Radke (Anm. 32), S. 178 ff. und passim. 37 S. K. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, I: Der Zauber Platons, Bern 1957 (engl. 1945).

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unabhängiger von den jeweils präsenten Phänomenen. Das Meinungsvermögen befähigt, ein Sehvermögen nicht nur an der Linsenform des Menschen, sondern auch in der Spiegelstruktur der Muschel zu erkennen. Wer sich eine Meinung über die zornige Wut eines Menschen nicht nur aus dem äußeren Gehabe bildet, sondern aus dem ‚Werk‘ des Zorns, dem Streben nach rächender Vergeltung eines Unrechts, braucht keine heftig tobende Medea vor sich zu sehen, um ihre zornige Empörung mitzuempfinden, er wird ihren Zorn auch in einer heuchlerisch versöhnlichen Rede bemerken, wenn er (wenigstens) vermutet, dass diese Rede dem ‚Werk‘ des Zorns in Medea dient. Tatsächlich entwickelt der Chor der vornehmen Frauen aus Korinth in der Euripideischen Medea intensives Mitleid mit Medea, obwohl sie sich das ganze Stück über sehr rational verhält, weil er bemerkt, dass dieser planvoll rationale Wille seinen Grund im Leiden Medeas an der unerhörten und schamlosen Erniedrigung durch den untreuen Jason hat. Ursache für diese Freiheit vom augenblicklichen äußeren Eindruck ist, dass der Chor anders als der begriffsstutzige Jason nicht vom äußeren Schein der Rede Medeas eingenommen wird, weil er auf das Ziel achtet, das sie mit ihr verfolgt.38 Das logistikón (der vernünftige Wille) Die Differenz, wie Medea ihr Unglück selbst empfindet und wie der Chor Mitleid mit ihr fühlt – beides sind Gefühlsweisen des thymoeidés – macht auf eine ähnliche Möglichkeit des Übergangs in eine, von einer ‚höheren‘ Vernunft geprägte Empfindungsmöglichkeit aufmerksam, wie man sie auch im Bereich sinnlicher Lüste beobachten kann. Denn Medeas berühmte und viel zitierte Sätze: „Ich erkenne, was ich Schlimmes (mir anzu-)tun im Begriff bin, aber meine Empörung (thymós) ist Herr meiner (Rache-)Pläne“39 zeigen, dass sie trotz des Wissens, wie groß ihr Unglück in einem Leben ohne ihre Kinder sein wird, sich von dem ihr ganz präsenten Gefühl der Erniedrigung durch Jason nicht befreien kann. Das kann aber der Chor, der aus seiner distanzierteren und dadurch auch weiteren Perspektive heraus 38 S. dazu Verf., „Leidenschaft in der Senecanischen und Euripideischen Medea“, in: U. Albini u. a. (Hrsg.), Storia, poesia e pensiero nel mondo antico, Neapel 1994, S. 573599. 39 Euripides, Medea 1078-1080.

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erkennt, dass Medea sich mit der Tötung der Kinder um ihr ganzes Glück bringen wird. Grund für die größere Freiheit des Urteils und die damit verbundene größere Richtigkeit des Gefühls des Chors ist, dass er klarer und konkreter als Medea das ganze Unglück des späteren Leben Medeas vor sich sieht und so das drohende Unglück schon wie etwas Präsentes empfinden kann. Dieser freiere Blick auf das für das Ganze Gute ist für das logistikón, wie Platon es beschreibt, charakteristisch. Für die praktische Vernünftigkeit des von ihm ausgehenden Willens beruft sich Platon mehrfach im Staat auf den homerischen Odysseus. Als dieser, nach Hause zurückgekehrt und als Bettler verkleidet, am Abend in seinem Palast sitzt, sieht er, wie seine Dienerinnen zu den Freiern schleichen. Das empört ihn so sehr, dass er am liebsten aufspringen und sie töten möchte. Aber er beherrscht sich, weil er daran denkt, dass er nur dann wieder Herr in seinem Haus wird sein können, wenn er die Freier besiegt, vor denen er sich nicht verraten darf (Odyssee 20, 1-55). Dieses Verhalten erweckt für einen heutigen Leser den Eindruck, dass hier der Verstand über den Affekt siegt. Platons Anliegen scheint es zu sein, an diesem Beispiel für die Freiheit des Verstandes von den Leidenschaften zu werben, d. h. ein asketisches, rein der Vernunft folgendes Leben zu proklamieren. Übersehen wird bei dieser Deutung eine kleine, aber bedeutende Zwischenpassage, in der Homer an einem Vergleich den inneren Zustand des Odysseus veranschaulicht.40 Homer vergleicht diesen Zustand nämlich mit der heftigen Begierde eines hungrigen Mannes, der dabei ist, einen Ziegenmagen zu braten. Der Magen tropft schon vor Fett und duftet, so dass der Hungernde es kaum abwarten kann, bis er endlich durchgebraten ist. So habe Odysseus hin und her überlegt, wie er als Einzelner sich gegen so viele wehren könne (ebd. 20, 24-30). Die Art und Weise, wie Odysseus sich von seinem Zorn auf die Dienerinnen befreit, ist nicht eine asketische Unterdrückung seines Affekts, es ist vielmehr die Vorstellung einer viel größeren Lust, die mit dem vernünftigen Gedanken an das für ihn größere Gut verbunden ist, die so präsent in ihm ist, dass die weit geringere Lust an der

40 Zur Art der Anschaulichkeit bei Homer und ihrer Deutung durch Aristoteles s. Verf., „Anschauung und Anschaulichkeit in der Erkenntnis- und Literaturtheorie des Aristoteles“, in: G. Radke-Uhlmann, A. Schmitt (Hrsg.), Anschaulichkeit in Kunst und Literatur, Berlin/Boston 2011, S. 91-152, zu Homer v. a. S. 131-147.

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Bestrafung der Dienerinnen daneben verschwindet und unbedeutend wird. Bereits Homer hat für diese freiere Vernunft, die er nóos nennt,41 die charakteristische Beschreibung, dass sie in der Lage sei, ‚nach vorne und nach hinten‘ (z. B. Ilias 18, 250) zu sehen. Über diese Fähigkeit verfügen nur wenige Figuren in der Ilias, v. a. der alte Ratgeber Nestor auf der Seite der Griechen, auf der Seite der Troianer der Warner und Ratgeber Polydamas. Homer schreibt ihm diese Fähigkeit z. B. zu, weil er anders als sein Feldherr Hektor, der im Siegestaumel die Gefahr nicht erkennen will, die von Achill ausgeht, der sich am Kampf wieder beteiligt, nach vorn und nach hinten blickt: Er erinnert an die unüberwindliche Stärke Achills und verweist auf die Sicherheit, die ein Rückzug hinter die starken Mauern der Stadt wieder bieten wird (Ilias 18, 243-313). Bei Homer gibt es noch kein Wissen um die Kriterien des Denkens selbst und um die daraus resultierende Fähigkeit, selbständig und methodisch über das eigene Denken zu verfügen. Von der Konsequenz für die Handlungspraxis aber, dass die Kenntnis dessen, was sich als etwas Mögliches unterscheiden und in vielem Verschiedenen und auf verschiedene Weise verwirklichen lässt, zu einem freieren und selbstbestimmteren Umgang mit einzelnen Anforderungen in der ‚Realität‘ befähigt, hat Homer offenbar eine Kenntnis, wie man an der Darstellung des Handelns des Odysseus vielfach beobachten kann. Es ist sogar Athene selbst, die Homer Odysseus gegenüber sagen lässt, sie unterstütze ihn eben deshalb, weil er anders als die meisten anderen mit klarem Kopf seinen wahren Vorteil auch in schwierigen Situationen im Auge behalte. Jeder andere, der nach langen Jahren endlich nach Hause komme, würde, so lobt sie ihn, sofort zu Frau und Kindern stürzen (sc. und sich wie Agamemnon in größte Lebensgefahr begeben). Er aber versuche erst alle möglichen Gefahren und alle Möglichkeiten seiner Rettung zu erproben und lasse sich nicht von vorschnellem Begehren verführen (Odyssee 13, 296-299; 330-340). Ähnlich wie im epithymetikón die Steigerung der ihm immanenten Rationalität den Übergang in eine Verhaltensweise fördert, die mehr auf das, was die einheitliche Verwirklichung des Menschen ausmacht, gerichtet ist, so fördert im thymoeidés die Ausrichtung auf das ‚Werk‘ von etwas, je konzentrierter sie ist und je weniger sie sich vom jeweiligen phänomenalen Umfeld irritieren lässt, den Übergang zum 41 Zur Bedeutung des nóos bei Homer s. Verf. (Anm. 24), S. 182-222.

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logistikón. Wer den Zorn nicht nur an der lauten Stimme, dem roten Kopf, den stampfenden Füßen u. ä. festzustellen gewohnt ist, sondern wer in allen Erscheinungsformen des Zorns auf sein ‚Werk‘ achtet, darauf, dass jemand über ein Unrecht empört ist und diese Unlust beseitigen möchte, der sammelt gewissermaßen aus vielen verschiedenen Fällen immer neue Möglichkeiten, wie sich Zorn verwirklichen kann. So wird er frei oder freier von der jeweiligen Erscheinungsweise und fähig an ganz unterschiedliche Ausdrucksformen des Zorns vorauszudenken. Durch eine solche Fähigkeit, seinen nóos frei zu betätigen, vermeidet Odysseus viel tragisches Unglück und erreicht es am Ende, wieder ganz das Glück mit seiner Frau in seinem Besitztum genießen zu können. d) Ist die Politeia die Konstruktion einer Utopie? Odysseus und seine ihm kongeniale Gattin Penelope sind Ausnahmefiguren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es je solche Menschen gegeben hat oder wieder geben wird, ist gering. Dennoch ist die Darstellung dieser Figuren durch Homer keine bloße Utopie. Homer zeigt an ihnen vielmehr, wie man sein müsste,42 d. h. wie man sich im wirklichen Verlauf seines Lebens verhalten müsste, wenn man ein der praktischen Vernunft folgendes, den wahren Vorteil nicht aus den Augen verlierendes Leben führen wollte. Dass dieses Leben nicht als Utopie verstanden werden soll, bezeugt das viele Leid und Unglück, das beide, Odysseus und Penelope, durch viele Widrigkeiten und Hindernisse aus der sie umgebenden ‚Wirklichkeit‘ ertragen müssen, bevor sie das erreichen können, was sie beide für die glücklichste Form ihres Lebens halten – und von dem sie sich durch alle Irrungen und Wirrungen auch nicht haben abbringen lassen. Die Konstruktion der Platonischen Politeia hat eine analoge Intention. Platon zeigt keinen Idealstaat, er führt keine Menschen vor, die so leben, wie es sich für ein Leben im besten Staat gehört. Er entwickelt vielmehr die Bedingungen, die man entwickeln müsste, wenn man ein Leben im größtmöglichen Zustand des Glücks führen möchte. Und er 42 Genau dies hat Aristoteles – wieder Platon folgend – als Aufgabe der Dichtung überhaupt formuliert: Sie soll nicht einfach die geschichtliche Wirklichkeit wiedergeben, sondern darstellen, wie etwas geschehen müsste. S. Poetik 9, 1451a36-b12; s. dazu Verf. (Anm. 29), S. 372f. und 392-398.

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geht in vielfacher Reflexion die vielfachen Irrungen und Wirrungen durch, die die Entwicklung dieser Bedingungen gefährden. Die Politeia endet sogar mit einer ausführlichen und sehr erfahrungsnahen Reflexion auf die Bedingungen, die selbst einen wirklich erreichten Bestzustand wieder in Gefahr, ja schrittweise in immer größere Gefahr bis hin zu seiner völligen Verkehrung bringen.43

5) Versuch einer kritischen Würdigung des platonischen Gerechtigkeitsbegriffs Auch wenn man nicht alle Bedingungen eines gerechten Lebens so, wie sie Platon für gegeben und gefordert hält, akzeptiert, dass das grundsätzliche Ziel, das er verfolgt, ein legitimes und sinnvolles Anliegen ist, dürfte kaum in Frage zu stellen sein. Denn dieses Ziel hat keine je historisch bedingten, festgelegten Normen, nach denen man sich im Leben richten müsse, sondern basiert auf dem Wunsch jedes Einzelnen, ein möglichst glückliches Leben zu führen. Das Glück, dessen Form Platon in der Politeia diskutiert, sucht nicht Bedingungen für die Empfindung unplanbarer Glücksgefühle,44 es geht Platon auch nicht um einen biederen Lustkalkül, der in maßvoller Bescheidung nur nicht zu viel Glück erstreben möchte, um in einem einfachen Leben jeder Gefährdung zu entgehen. Das Glück, über das in der Politeia nachgedacht wird, ist das größtmögliche und dauerhafteste Glück für jeden Einzelnen.45 Es ist das, was jeder von sich aus will. Der Anspruch, dass

43 S. dazu Verf. (Anm. 9). S. 514-519. 44 Zu Recht betont N. Blößner, „Platons missverstandene Ethik. Das neue Bild von Platons ‚Staat‘ in der Forschung seit 1988“, in: Gymnasium 114/2007, S. 251-269, hier: S. 255-258, dass „Eudaimonie kein Gefühl“ im Sinn eines bloßen subjektiven Empfindens und einer Stimmung ist. Auch die Folgerung, Glück sei für Platon „ein Sachverhalt: der Sachverhalt, dass ein Leben sinnvoll gelebt wird und gelingt“ (256) trifft eine wesentliche Intention Platons. Das gelingende Leben allerdings ist für Platon wie für Aristoteles ausdrücklich mit Lust, ja mit der höchsten Lust verbunden. Vielleicht genügt es deshalb modernen, vor allem Pflicht- und Zweckethiken folgenden Auffassungen (wie Blößner zu Recht betont) ein anderes Verständnis von Lust entgegenzusetzen. S. das Folgende. 45 Zu diesem Glücksbegriff s. Verf., „Figuren des Glücks in der griechischen Litera­ tur. Glück als Ausdruck vollendeter Selbstverwirklichung im Handeln“, in: D. Tho­ mae, Ch. Henning, O. Mitschelich-Schönherr (Hrsg.), Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart/Weimar 2011, S. 135-140.

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dieser Wille erfüllt wird, ist daher der Grundanspruch der Gerechtigkeit. Es ist gerecht, dass jedem das ihm zustehende Glück auch – soweit möglich – zuteil wird. Auch der Weg, den Platon überprüft, hält einer kritischen Prüfung in vieler Hinsicht stand. Denn er geht nicht von einem dogmatischen oder spekulativ erschlossenen Menschenbild aus, sondern von einer Reflexion auf das, was ein Mensch kann, genauer: was er in der ihm möglichen Vollendung am besten kann. Die Vorstellung, dass gerade die Verwirklichung dieses ‚Könnens‘ die höchste Lust bereite, beruht zwar auf einer anderen Glücksvorstellung als der, die heute die größte Verbreitung hat. Aber sie kann durch eigene Erfahrung überprüft und bestätigt werden. Sie ruht auf der Überzeugung, dass die Lust der Tätigkeit folgt, ja unmittelbar mit ihr gegeben ist. Aristoteles formuliert sehr eindrücklich, sie stelle sich (sc. mit der – gelingenden – Tätigkeit) ein, wie die Schönheit in der Blüte der Jugend. Da aber zwar jede Tätigkeit mit Lust oder Unlust verbunden ist und auch die mit Lust verbundenen Tätigkeiten oft nicht auf ein dauerhaftes und vollendetes Glück hinführen, braucht man zum wirklichen Glück eine Ordnung der Lüste.46 Die Suche nach dieser Ordnung, die allein einen Zustand der Gerechtigkeit herstellen kann, gibt die Ordnung der Argumentation in der Dialogführung der Politeia vor. „Jedes Handeln und Produzieren (d. h. alles Tätigsein) wird um eines Guten willen getan.“ Mit diesem gut platonischen Axiom beginnt Aristoteles seine Ethik (1094a1 f.). Es meint nicht, dass alles Handeln und Machen auf etwas objektiv Gutes zielt. Es behauptet lediglich, dass jeder das, was er tut, tut, weil er meint, es sei etwas Gutes für ihn. Auch wenn jemand mit Absicht Böses tut oder sich selbst Böses antut, zieht er es vor, dieses Böse und nicht etwas Anderes zu tun, d. h. er hält es für besser, z. B. sich selbst zu verletzen, andere zu schädigen, als dies nicht zu tun. Damit aus diesem oft nur scheinbar Guten etwas wirklich Gutes für den Handelnden wird, ist daher eine Bildung des Menschen nötig: Er muss erkennen, was wirklich gut für ihn ist und ihn dauerhaft mit Glück erfüllt, er muss die Lust an diesem (und keinem anderen, etwa nur kurzfristigen) Guten auch empfinden, und er muss diejenigen Tätigkeiten, die ihm diese Lust verschaffen, auch wollen.

46 S. Aristoteles, Nikomachische Ethik, X, Kap. 4-7, v. a. 1174b5-33.

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Das ist der Grund, weshalb Platon in der Politeia das, was den Menschen zur Tätigkeit hinführt, d. h. den Willen oder das Streben, etwas zu tun, zum Grundthema macht. Ausgehend von der Beobachtung, dass wir nicht nur mit den Sinnen Verschiedenes, ja einander Wiederstreitendes wollen (z. B. kann man Süßes essen, Bitteres nicht essen wollen), sondern dass es auch Strebungen in uns gibt, die dem von Sinnen Begehrten grundsätzlich entgegentreten und uns dazu führen, dass wir jede Art sinnlicher Begierden zurückdrängen, fragt Platon nach dem – innerpsychischen – Grund dieser widerstreitenden (nicht: widersprüchlichen) Strebungen oder Arten des Wollens. Viele Erfahrungen bezeugen, dass es nicht immer gleich die Vernunft ist, die uns zum Verzicht auf sinnliche Lüste und Begierden bewegt. Wer sich über ein Unrecht empört, sich wegen eines Fehlers schämt, Anerkennung durch Leistung sucht, Bedrohungen fürchtet, kümmert sich in diesen Zuständen nicht um sinnliche Lust oder Unlust. Er tut dies aber oft einer augenblicklichen Herausforderung gegenüber und in gänzlicher Ausrichtung auf sie. Dies verweist darauf, dass die Erkenntnisgrundlage dieser Art von Strebungen nicht Wahrnehmungen sind, sondern das Vermögen, sich eine Meinung über sinnliche Phänomene zu bilden. Denn das Erkenntnisvermögen des Meinens hat die Besonderheit, dass es sich nicht an die sinnliche Erscheinungsvielfalt zerstreut, sondern deren funktionale Einheit an dem, was sie kann und leistet, an ihrem ‚Werk‘ (érgon) erfasst. Denjenigen Willen, mit dem sich der Mensch für sein ‚Werk‘ engagiert, nennt Platon das thymoeidés, das, womit sich der Mensch ereifert. Von ihm unterscheidet er diejenige Willensform, durch die der Mensch nicht nur in je bestimmten Augenblicken und gegenüber einzelnen Herausforderungen sich mit emotionalem Engagement zu verwirklichen sucht, sondern durch die er nach dem strebt, was für ein erfülltes Tätigsein in einem ganzen Leben gut ist. Ein solcher Wille setzt die Fähigkeit voraus, das, was der Mensch kann, nicht nur in dieser oder jeder Anwendung, sondern rein für sich selbst zu erkennen. Erst ein so gebildeter Wille verdient nach Platon die Bezeichnung ‚vernünftig‘. Die anderen Willensformen bedienen sich mehr oder weniger frei dieser Vernunft und sind daher mehr durch die Fähigkeit, auf sie zu hören, als durch eine eigenständige (d. h. aus reflexivem Wissen über sich selbst verfügende) Vernunft charakterisiert. In diesem Sinn sind sie áloga. Sie sind nicht irrational, sondern nicht selbständig rational. Als áloga sind sie gemeinsam dem logistikón entgegengesetzt, deshalb teilen Platon wie Aristoteles die Seele manchmal nur in zwei

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‚Teile‘, manchmal in drei. Das bedeutet keinen sachlichen Unterschied, sondern dass die Binnendifferenzierung der áloga manchmal nicht thematisiert wird (sc. wenn es für die Fragestellung nicht relevant ist). Auch dass Platon drei Willensarten in der menschlichen Psyche unterscheidet, hat also nachprüfbare und plausible Gründe. Berücksichtigt man allein die Erkenntnisfähigkeiten, die Platon unterscheidet, müsste man weit mehr ‚Teile‘ ansetzen. Denn Platon kennt drei (oder sogar vier) verschiedene Formen der Wahrnehmung (direkte Wahrnehmungen, synthetische Wahrnehmungen, gemeinsame Wahrnehmungen), zwei Formen der phantasía, abgegrenzt davon ein Meinungsvermögen (mit einer Binnenunterscheidung) als erste Grundform des Denkens im strengen Sinn, dann das rational diskursive Denken (diánoia) und, als höchste Form des Denkens, die unmittelbare Einsichtsfähigkeit des Intellekts (noûs). Das sind, wie schon Proklos aufgelistet hat,47 acht Unterschiede. Dass Platon in der Politeia nur drei Arten seelischen Verhaltens unterscheidet, hat seinen Grund, wie ich zu zeigen versucht habe, darin, dass er dort die psychischen Voraussetzungen des Handelns klären will: Alle Wahrnehmungsformen (und zum Teil auch die Vorstellungen) erkennen die Vielfalt der Sinneserscheinungen, empfinden daran Lust oder Unlust und begehren das als lustvoll Erfahrene und meiden das Unlustvolle. Im Unterschied dazu richtet sich das Meinungsvermögen auf das, was etwas kann und leistet. Es erkennt also das ‚Werk‘ oder – in der späteren mittelalterlichen Begrifflichkeit – den Akt von etwas, empfindet die Lust an der Verwirklichung dieses Aktes bzw. die Unlust über seine Behinderung und strebt nach Anerkennung und Überlegenheit (auch: physischer Sieg), um die Lust dieser Verwirklichung genießen bzw. die Unlust an ihrer Behinderung abwehren zu können. Die rationalen Erkenntnisformen (diánoia, noûs) haben gemeinsam, dass sie sich auf das im Einzelnen verwirklichte Mögliche für sich selbst richten, das in ihm präsente Gute genießen und es verwirklichen wollen. Eine diesem vernünftigen Willen sehr nahe kommende Form des Wollens ist die Fähigkeit, über die je einzelne Handlungssituation hinaus eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man das für sich selbst Beste erreichen kann, erkennen und mit Lust verfolgen zu können, wie es Platon an Odysseus bewundert hat.

47 S. Proklos, In Platonis rem publicam commentarii, ed. W. Kroll, Leipzig 1899, Vol. 1, 206-235; v. a. 233 ff.

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Alle drei Willens- oder Strebeformen haben bei Platon ein gutes Recht und sollen ‚das Ihre tun‘ dürfen. Dennoch gibt es eine Ordnung unter ihnen. Wir brauchen die sinnlichen Lüste und das sinnliche Wollen, um für unsere Selbsterhaltung tätig zu werden und dabei auch um dieser Strebeziele willen die Arbeit der Beschaffung dessen, was unsere sinnlichen Bedürfnisse erfüllt, auf uns zu nehmen. Aber es ist keine Frage, dass die Zerstreuung an die immer nur in jeweiliger Gegenwart präsente sinnliche Vielfalt dazu verführt, wegen der Augenblickslust oder -unlust das ‚Werk‘ des ganzen Menschen aus den Augen zu verlieren. Dafür, dass dies nicht geschieht, setzt sich der thymós mit seiner Fähigkeit ein, die funktionale Einheit einer sinnlichen ‚Mannigfaltigkeit‘ an ihrem Akt zu erkennen, dessen emotionales Engagement für das, was das Werk eines Menschen fördert oder bedroht, oft überlebenswichtig ist, auf jeden Fall aber nötig, damit ein Mensch wirklich ‚das Seine tun‘ kann. Aber auch der thymós ist an das jeweils Fördernde oder Bedrohende bei jeweils einzelnen Handlungen gebunden – für sie muss es sich ja auch ‚ereifern‘. Er braucht daher noch den Rat einer praktischen Vernunft, die das, was für einen bestimmten einzelnen Menschen oder für ihn als Mensch überhaupt gut und glücksbringend ist, in der Fülle der Möglichkeiten erkennen und so genießen kann, dass die nur mögliche Lust so präsent ist, dass sie zur Entwicklung eines vernünftigen Willens führt. Ohne Frage enthält diese Ordnung bei Platon eine Wertung: Der glücklichste Mensch ist der, der sein Menschsein in der bestmöglichen Form lebt, d. h. der die Freuden des Erkennens um ihrer selbst willen am meisten liebt und alle anderen Lüste und Unlüste auf die Ermöglichung eines solchen Lebens ausrichtet. Die sehr oft gezogene Folgerung allerdings, Platon vertrete ein intellektualistisches Elitedenken und behalte das Glück allein den Philosophen vor, liegt deutlich neben dem von Platon Gemeinten. Er betont in abschließender Wertung selbst, dass jeder ‚Teil‘ des ganzen Menschen dann, wenn alle ‚Teile‘ das Ihre tun und sich nicht verabsolutieren und über die anderen erheben, seine eigene Lust ‚ernte‘ und zwar die beste und wahrste, die möglich ist.48 Dieses Urteil kann als argumentativ gut begründet gelten. Dass beides, die ausführliche 48 Politeia 586e3-587a1: „Wenn dem (‚Teil‘), mit dem wir das Erkennen lieben, die ganze Seele folgt und sich nicht gegen ihn auflehnt, dann tut jeder Teil den anderen gegenüber das Seine und ist gerecht, ganz besonders aber genießt jeder die ihm gemäße Lust, und zwar die beste und, soweit das möglich ist, die wahrhafteste.“

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Begründung und die abschließende ausdrückliche Wertung von den Interpreten oft übergangen werden, hat die wichtigste Ursache in der Übertragung eines historisch wie sachlich unangemessenen Rationalitätsbegriffs auf Platon. Der vermeintliche Gegensatz von Verstand und Gefühl, der dem Verstand nur dann Freiheit zugesteht, wenn er ganz frei von jeder Art von Gefühl ist, existiert für Platon nicht. Dies zu bedenken, ist vor allem dann wichtig, wenn man die innerpsychische Ordnung auf den ganzen Staat überträgt. Es wäre erstaunlich widersprüchlich, wenn Platon, wie man kritisiert hat, zugleich von den Menschen in den verschiedenen Bereichen des Staats verlangen würde, sie sollten in einer homodoxía, in einer Meinungsgemeinschaft miteinander leben (die durch die ‚Tugend‘ der sophrosýne möglich wird), aber zugleich allen Menschen, die nicht Philosophen sind, das Denkvermögen absprechen möchte. Oft folgt diese Kritik nicht einmal der naheliegenden, ‚natürlichen‘ Auslegung des Platonischen Textes. Wenn man einem Patienten rät, er solle auf den Arzt hören, behauptet man damit nicht, er könne gar nicht selbständig denken. Gemeint ist vielmehr, dass er mit seinem eigenen Verstand das medizinisch Richtige nicht beurteilen kann. Es zeugt aber zugleich von einem eigenständigen Urteilsvermögen, wenn jemand selbst erkennen kann, wann er dem Urteil eines anderen folgen soll. In analoger Weise soll ein Mensch, der etwas mit Hilfe der Wahrnehmung erkennt, in der Lage sein, die Leistung, die er durch diese aktive Erkenntnispotenz erreichen kann, zu beurteilen und dort, wo sie ihre Grenzen hat, sich auf andere Erkenntnisformen stützen. Das gilt auch für das Leben in der Gemeinschaft. Der Landwirt, der Kaufmann, der Arzt können wissen, wofür sie in eigener Kompetenz zuständig sind. Auch der Anspruch, wegen dieser je besonderen Kompetenzen auch das beurteilen und leisten zu können, was für das Zusammenleben der Menschen in der ganzen Gemeinschaft gut und nötig ist, kann durch selbständiges Wissen über das eigene Können als unberechtigt erkannt werden. Die vermeintliche Unterwerfung unter den Herrschaftsanspruch der Vernunft ist in Wahrheit das Gegenteil. Nur durch Erkenntnis der Grenzen, innerhalb derer man das eigene Können frei entfalten kann, ist Selbsterkenntnis möglich und nur durch sie kann der einzelne Mensch und die ganze Gemeinschaft verhindern, unter vielfältige Abhängigkeiten zu geraten. Wer materielles Gewinnstreben über alles stellt, muss notwendigerweise viele andere Lüste in sich unterdrücken. In der Gemeinschaft würde die Herrschaft eines absolut gesetzten

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epithymetikón notwendig zur Unterwerfung aller anderen Betätigungsmöglichkeiten des Menschen führen und alles, was nicht dem materiellen Erfolg dient, ausschließen bzw. nur insoweit zulassen, wie es diesem Ziel dient. Das hätte zur Folge, dass alles, was der reinen Erkenntnisgewinnung oder was ‚nur‘ mit Ehre verbunden ist, einen Platz unter dem Thron der Besitzgier, wie Platon sagt, angewiesen bekommt und sich nur noch für die Mehrung des Besitzes engagieren darf. Ausgeschlossen bzw. untergeordnet würden dann nicht nur Künste und Wissenschaften, sondern alle Betätigungen, die des Handwerkers, des Kaufmanns, des Sportlers würden diesen Zielen unterworfen und um ihr Recht gebracht, ‚das Ihre zu tun‘. Probleme mit der Gerechtigkeit entstehen nach Platon also immer dann, wenn sich einzelne ‚Teile‘ der Seele verabsolutieren und sich an die Stelle des Ganzen setzen wollen. In einer funktionalen Hinordnung auf das, was für den ganzen Menschen gut ist, dagegen hat jeder Teil mit seinen Kompetenzen sein volles Recht und genießt auch die ihm mögliche höchste Lust. Das ist der Grund dafür, dass gerade das Streben nach der höchstmöglichen Selbstentfaltung und der damit einhergehenden größten Lust eines jeden ‚Teils‘ der Seele zugleich der beste Dienst am Ganzen ist. Im Blick auf die politische Gemeinschaft heißt das, dass jeder dann, wenn er sich selbst am besten zu verwirklichen sucht und darin auch genießt, durch eben diesen ‚Egoismus‘ zugleich der beste Bürger, die beste Stütze für den Staat im ganzen ist. Egoismus und Altruismus fallen hier zusammen, allerdings nicht, weil sich der Egoismus der Einzelnen in seiner besten Form als Altruismus erweist. Leitend ist der Egoismus, bei dem man zwischen falschem, engstirnigen, fehlgeleitetem und wirklich auf das eigene Beste bedachtem Egoismus unterscheiden muss. Diese beste Form des Egoismus führt per se dazu, das der, der ihn verwirklicht, auch für das Ganze am besten tätig ist. Die Aufgabe für den Staat, der Gerechtigkeit unter seinen Bürgern gewährleisten möchte, ist daher nicht die Festlegung von Mustern gerechten Verhaltens, das durch Institutionen, Gesetze, Vorschriften durchgesetzt wird. Die Aufgabe ist vielmehr, für eine umfassende Bildung aller Mitglieder zu sorgen. Die Inhalte dieser Bildung, wie sie Platon in der Politeia selbst entwirft, entsprechen im Grundsätzlichen dem Konzept, das seit der Spätantike unter dem Titel ‚Die sieben Freien Künste‘ zu realisieren versucht wurde. Es geht um eine zugleich gymnastisch-musische und rationale Ausbildung des Menschen, die alle seine möglichen ‚Lebens-

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formen‘ umfasst. Sie orientiert sich also nicht an jeweiligen historischen ‚Bedürfnissen‘, wohl aber muss sie auf die jeweiligen historischen Bedingungen Rücksicht nehmen, um ihnen gemäß diejenigen Bedürfnisse zu entwickeln, die die Bürger lehrt, ‚das wirklich Angenehme schmecken zu lernen‘. Diese Art der Bildung beruht, das wollte dieser Beitrag herausarbeiten, auf einer Reflexion auf die grundlegenden Vermögen und Akte, über die der Mensch als Mensch verfügt. Diese Reflexion ist ‚anthropologisch‘, denn sie ist auf das, was der Mensch von sich aus kann, bezogen, und sie ist empirisch, denn sie bezieht sich auf das, was das jedem Menschen Nächstliegende und Eigene und dadurch ihm unmittelbar Zugängliche ist: auf seine eigenen Fähigkeiten. Die Platonische Politeia konstruiert keinen utopischen Staat, der niemals empirisch wirklich werden könnte, sondern sie sucht die Bedingungen zu ermitteln, unter denen der Mensch seine Vermögen und Fähigkeiten optimal ausbilden und verwirklichen kann. Dass eine solche Verwirklichung nie vollständig möglich ist, betonen die Gesprächspartner in der Politeia immer wieder. Dass aber die Orientierung an diesen Bildungskriterien nicht nur sinnvoll, sondern sogar notwendig ist, wenn ein Mensch eine ihm selbst gerecht werdende Verwirklichung seiner selbst erreichen möchte – dafür bietet die Politeia eine Reihe immer noch sehr beachtenswerter Begründungen.

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Kooperatives Verhalten in der Ökonomik Theorie und experimentelle Evidenz1

1. Einleitung Wenn ich in lockerer Runde nach meinem Beruf gefragt werde, erle­ be ich häufig eine von zwei Reaktionen: Entweder spiegeln sich auf dem Gesicht meines Gegenübers unerfreuliche Gedanken über gierige Manager, die Folgen von Studiengebühren, Ausbeutung von Prakti­ kanten, Schließung aller kleinen Fächer an Universitäten und ähnli­ che Übel, die durch die sogenannte Ökonomisierung der Gesellschaft verursacht werden. Oder ich blicke in ein erfreutes Gesicht, das fragt, ob ich nicht auch denke, dass man die Sozialromantiker dieser Welt endlich mit den ökonomischen Realitäten vertraut machen müsse oder dass Leistungsmessung in allen Bereichen des Lebens einzusetzen sei. So unterschiedlich diese Reaktionen sind, so haben sie doch eines gemeinsam. Sie gehen selbstverständlich davon aus, dass mein Bild vom Menschen das des Homo Oeconomicus ist. Dieser ist vollständig rational. Das heißt, dass er stets umfassend informiert ist, alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen perfekt auswertet, eine klar struk­ turierte Präferenzordnung hat und stets danach strebt, sein Wohlbe­ finden – gerne gleichgesetzt mit Profit – zu maximieren. Der Homo Oeconomicus interessiert sich nur für seine eigenen Belange, was ihm in der Öffentlichkeit fälschlicherweise den Ruf einträgt, überhaupt nur dann auf andere zu schauen, wenn sie ihm unmittelbar nutzen können. Dieser niemals vergessende, berechnende und egoistische Op­ portunist ist ein solches Zerrbild, dass nicht einmal die hartgesottenste Neoklassikerin2 Menschen dahinter entdecken wird. Gleichwohl nutze ich den Homo Oeconomicus, wenn ich die Inter­ aktion zwischen Menschen modellieren möchte, um zu verstehen, wa­ 1 2

Ich danke Jennifer Koch und Kjell Vogelsang für hilfreiche Kommentare. Die Neoklassik ist das Gebiet der Wirtschaftswissenschaften, das Interaktion zwi­ schen Individuen mithilfe des Homo Oeconomicus untersucht.

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rum sie sich in einer bestimmten Situation in einer bestimmten Weise verhalten haben, oder um Verhaltensvorhersagen bzw. -empfehlungen zu geben. Denn auch in Modellen, die den Homo Oeconomicus als Leitbild individuellen Verhaltens nutzen, ist kooperatives Verhalten, d. h. Verhalten, das den Nutzen aller Beteiligten aus einer Interaktion berücksichtigt, nicht ausgeschlossen. Dies liegt daran, dass das Indivi­ duum in ökonomischen Modellen stets in ein soziales System einge­ bettet ist und seine Handlungen in Bezug zu diesem Kontext wählt. Zur Rationalität des Homo Oeconomicus gehört, dass er berücksich­ tigt, dass andere Individuen ihre eigenen Interessen verfolgen und dass es regelsetzende und -durchsetzende Instanzen gibt, die Kooperation im Zweifel zur besten Handlungsalternative machen. Die Institutionenökonomik als wichtiges Feld der Wirtschaftswis­ senschaften hat sich der Frage verschrieben, wie nahe Gruppen ratio­ naler Individuen an umfassende Kooperation herankommen können, wenn alle Beteiligten ihren Eigennutz maximieren.3 Sie untersucht ferner, welche Eigenschaften Regelsysteme haben müssen, um das je­ weils bestmögliche Ergebnis – das Ökonominnen das „Zweitbeste“ nennen, weil wir wissen, dass mit rationalen Individuen das allerbeste Ergebnis nicht zu erzielen ist – zu erreichen.4 Ökonomische Analyse zielt damit typischerweise genau nicht auf Konkurrenz und Wettbe­ werb, sondern auf gegenseitige Unterstützung und Kooperation. Der Weg dorthin führt jedoch mitunter über den Wettbewerb, der dann 3

4

Für die Institutionenökonomik als Disziplin hat es in den vergangenen Jahren zwei Nobelpreise gegeben. Im Jahr 2007 erhielten Leonid Hurwicz, Eric Maskin und Ro­ ger Myerson den Preis für ihre Verdienste um die theoretische Analyse von Insti­ tutionen, die insbesondere die Frage nach der Realisation des Zweitbesten beant­ wortet. In seiner Nobel-Lecture zeigte Roger Myerson (R. Myerson, „Perspecti­ ves on Mechanism Design in Economic Theory“, in: American Economic Review 98(3)/2008, 586-603) die Verbindung dieser Überlegungen zur Antike, indem er darauf verwies, dass bereits Xenophons Oikonomikos von der Beziehung zwischen wirtschaftlichen Akteuren und politischen Regelsystemen handelt. Im Jahr 2009 wurden Elinor Ostrom und Oliver Williamson für ihre Leistungen in der politi­ schen Umsetzung der Institutionenökonomik mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Ostrom erhielt ihn insbesondere für ihre Beiträge zur Milderung von Allmendepro­ blemen in Entwicklungsländern (siehe z. B. E. Ostrom, J. Burger, Ch. B. Field, R. B. Norgaard, D. Policansky, „Revisiting the Commons: Local Lessons, Global Challen­ ges“, in: Science 284/1999; zur Struktur von Allmendeproblemen siehe Abschnitt 2 dieses Aufsatzes). Dass die Idee des Zweitbesten keine Erfindung der modernen Ökonomie ist, sondern bereits in Platons Schriften auftaucht, zeigen die Arbeiten von Jörn Müller und R. A. H. King in diesem Band.

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ein Ergebnis produziert, das die Interessen aller Beteiligten ausgleicht. Dieser Gedanke wird etwa im Ordoliberalismus, der theoretischen Grundlage der bundesrepublikanischen sozialen Marktwirtschaft, deut­ lich. Der Ordoliberalismus nennt den Wettbewerb als anzustrebende Marktform, wenn das Handeln der Beteiligten in ein Schutzsystem eingebettet ist, welches etwa das Privateigentum schützt aber gleich­ zeitig auch Verpflichtungen aus Besitz ableitet. Die Forderung nach kooperativem Verhalten aller Beteiligten erscheint damit nicht an der Oberfläche, ist aber das Fundament, ohne das die (Wirtschafts-)Ge­ meinschaft nicht denkbar wäre. Die Frage nach einer (Wirtschafts-)Ordnung, die Kooperation er­ möglicht, ist von jeher ein Grundelement der Volkswirtschaftslehre (Nationalökonomie), die sich aus den Arbeiten der Moralphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung entwickelt hat. Die Notwendigkeit einer stabilisierenden Ordnung verdeutlicht Thomas Hobbes in seinem Leviathan,5 da er einen „war of every man against every man“ sieht, wo diese Ordnung fehlt. Seine Ausführung beinhal­ tet bereits klar das Bild des Homo Oeconomicus, der von sich aus nicht kooperativ handeln wird, jedoch durch ein von einer starken Autorität durchgesetztes Regelsystem zur Kooperation erzogen wird.6 Dieses Zusammenspiel von individuellen Interessen und lenkender Autorität ist in der Folge in verschiedenen Motiven aufgegriffen worden. Wäh­ rend sich Montesquieu in De l’Esprit des loix7 der Frage zuwendet, welche Rechte und Pflichten eine solche Autorität haben solle, und Je­ remy Bentham in seinem Fragment on Government8 die Frage nach der Bereitstellung des „größten Glücks für die größte Zahl“ durch staatliche Regeln stellt, konzentriert sich Adam Smith als der Grün­ dervater der Ökonomie in seiner Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations9 auf das Zusammenspiel der Interessen Ein­ zelner. Er betont, dass das Gemeinwohl – als Ziel aller kooperativen 5 6 7 8 9

Th. Hobbes, Leviathan (hrsg. von J. C. Gaskin), Oxford, New York 2008 (Or. 1651). Die Entwicklung des Konzepts des Homo Oeconomicus wird allerdings John Stuart Mill (J. S. Mill, On Liberty and Utilitarianism, New York 1993 [Or. 1859]) zugeschrieben. Charles-Louis de Secondat Montesquieu, The Spirit of Laws, Amherst/New York 2002 (Or. 1748). J. Bentham, A Comment on the Commentaries and a Fragment on Government, edited by J. H. Burns, H. L. A. Hart, Oxford, New York 2008 (Or. 1776). A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, edited by E. Cannan, Chicago 1904 (Or. 1776).

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Ideen – am besten gedeihe, wenn dem Eigeninteresse der Individu­ en hinreichend Platz eingeräumt werde. Die Formulierung, dass wir unser Abendessen nicht der Mildtätigkeit von Metzger, Bäcker und Brauer verdanken, sondern deren Eigeninteresse, hat in diesem Zu­ sammenhang eine gewisse Berühmtheit erlangt und nicht gerade dazu beigetragen, dass Ökonomen als gemeinwohlorientiert betrachtet wer­ den. Wenn Smith jedoch auf diese Textstelle reduziert wird, gerät in Vergessenheit, dass der Wohlstand der Nationen nicht Smiths erstes großes Werk war. Vielmehr hat er in der Theory of Moral Sentiments10 deutlich gemacht, dass das Interesse an den Mitmenschen eine Ver­ pflichtung für jedes Individuum ist – diese Idee findet sich dann in der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft wieder, die im Ordolibera­ lismus aus dem Eigentum abgeleitet wird. Bereits in den frühen öko­ nomischen Texten findet sich damit der Verweis auf die Wichtigkeit einer regelgebenden Umwelt, um Menschen zum Erlernen koopera­ tiven Verhaltens zu bewegen. Ebenfalls bereits in den frühen Werken ist aber die eigennutzorientierte Sicht auf den Menschen angelegt, die sich im Modell des Homo Oeconomicus niederschlägt: Ohne Regeln und Kontrolle ist keine Kooperation zu erwarten. Warum nutzen Ökonominnen dieses „hässliche“ Bild? Dafür gibt es drei Gründe. Zunächst ist das Verhalten des Homo Oeconomicus das ungüns­ tigste Verhalten, um Kooperation in einer Gesellschaft herzustellen. Sollten sich mit diesem Modell Regeln entwickeln lassen, die zu einem kooperativen Miteinander führen, kann sich die Situation nur verbes­ sern, wenn Menschen tatsächlich stärker gemeinwohlorientiert sind als angenommen. Als zweite Begründung dient die tägliche Erfahrung, dass Men­ schen durchaus eigennutzorientiert handeln und dabei abwägen, ob es lohnend ist, moralische Normen oder explizit vereinbarte Regeln einzuhalten. Die Kriegsberichterstattung aller Jahrtausende zeigt, zu welchen Taten Menschen fähig sind, wenn sie glauben, dass die gesell­ schaftlichen Regeln außer Kraft gesetzt sind. Aber auch in weniger existenziellen Situationen beobachten wir Verhalten, das die eigenen Interessen über das Gemeinwohl stellt. Wir alle kennen Menschen, die schon einmal in einer Prüfung gemogelt haben, Steuern hinterzogen haben oder ihre Haushaltshilfe schwarz beschäftigen. All dies sind Verhaltensweisen, die mit dem Bild des Homo Oeconomicus leicht zu 10 A. Smith, The Theory of Moral Sentiments, New York 2006 (Or. 1759).

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erklären, jedoch nur schwer mit einem grundsätzlich gemeinwohlori­ entierten Menschenbild in Einklang zu bringen sind. Insbesondere in der Frage der Steuerhinterziehung lässt sich aber selbst mit dem Bild des Homo Oeconomicus eine Erklärung für beobachtetes Verhalten finden, die Raum für kooperatives Verhalten lässt. So ist der Anteil von Bürgerinnen, die Einkommenssteuer hinterziehen in Deutschland im internationalen Vergleich relativ gering. Gleichzeitig ist aber auch das Ausmaß der Kontrolle in Deutschland niedriger als in anderen Ländern. Roland Kirstein11 analysiert die Interaktion zwischen Steuer­ zahler und Kontrollbehörde mithilfe eines spieltheoretischen Modells. Er zeigt, dass es ein Gleichgewicht zwischen vollständig rationalen Akteuren sein kann, wenig zu kontrollieren und verlässlich zu zahlen (oder eben viel zu kontrollieren und stärkeres Vermeidungsverhalten zu zeigen). Ein dritter Grund für die Verbreitung des Homo Oeconomicus in wirtschaftswissenschaftlicher Modellierung liegt in der Entwicklung der Wissenschaft selbst. Die Möglichkeit der Formalisierung von Überlegungen, die durch Leibniz‘ und Newtons Infinitesimalrechnung entstand, wurde in der Ökonomie seit dem 19. Jahrhundert unserer Zeitrechnung genutzt. Hermann Heinrich Gossen12 formulierte Ge­ setze für die Beschreibung individuellen Nutzens, die auf Benthams Idee der Messung von Glück fußen, jedoch durch eine Axiomatisie­ rung den Methoden der mathematischen Analysis zugängig sind. Das von ihm formulierte Axiomensystem ist seither verfeinert und von Paul Samuelson13 in eine Form gebracht worden, die noch immer Kern einführender mikroökonomischer Lehrveranstaltungen ist. Teil dieses Axiomensystems sind die Annahmen über Eigennutz und vollstän­ dige Rationalität des Homo Oeconomicus. Ohne die Annahmen zur Rationalität wäre eine Verhaltensvorhersage mithilfe mathematischer Zugänge schlicht unmöglich, da kein Auswahlkriterium formuliert werden könnte. Die Annahme der Eigennutzorientierung vereinfacht die Analyse erheblich, wie Ted Bergstrom in seiner Arbeit „Love and Spaghetti,

11 R. Kirstein, „Bayesianische Steuerbehörden und das Tax Payer Puzzle“, in: U. Voll­ mer (Hrsg.), Ökonomische Analyse politischer Institutionen, Berlin 2008, S. 121-141. 12 H. H. Gossen, Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs, und der daraus fließenden Regeln für menschliches Handeln, Braunschweig 1854. 13 P. Samuelson, Foundations of Economic Analysis, Harvard 1947.

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the Opportunity Cost of Virtue“14 anschaulich zeigt. Er betrachtet ein gemeinsames Abendessen von Romeo und Julia, die sich eine Schüssel mit Spaghetti teilen möchten. Unter der Annahme, dass beide neben der wunderbaren Atmosphäre des Essens, die außerhalb der Analy­ se liegt, ausschließlich am eigenen Spaghettikonsum interessiert sind, könnte eine Ökonomin den beiden eine Empfehlung geben, wie die Spaghetti so aufzuteilen sind, dass beide den Tisch zufrieden verlas­ sen. Komplizierter wird die Angelegenheit jedoch, wenn wir unterstel­ len, dass beide die Idee der Kooperation aufgrund ihrer Verliebtheit so verinnerlicht haben, dass sie nicht nur am eigenen Spaghettikon­ sum, sondern auch an dem der/des anderen interessiert sind. In die­ sem Fall könnte es passieren, dass Romeo sich schlechter stellt, wenn er einen zusätzlichen Löffel Spaghetti angeboten bekommt, weil der Gedanke daran, dass dieser Löffel nun nicht Julia zur Verfügung steht, sein Wohlbefinden mindert. Im Ergebnis lässt sich auch unter diesen Annahmen eine Aufteilung der Pasta finden, die derjenigen unter Ei­ gennutz im Ergebnis ähnelt; der Weg dorthin ist jedoch mathematisch aufwändiger – ein Umweg, der durch die gewählte Axiomatisierung vermieden werden soll. Die Argumentation, die hinter der Langlebig­ keit des Homo Oeconomicus steht, ist also letztlich, dass sie in der Summe ein durchaus realistisches Bild von Gesellschaften (wenn schon nicht vom einzelnen Menschen) zeichnet, das mit der einfachs­ ten konsistenten Methode ermittelt werden kann. In den letzten Jahrzehnten haben sich Ökonominnen um Ansätze bemüht, die ein Bild des Menschen zeichnen, das auch dem Individu­ um gerechter wird. Experimente, die ökonomische und psychologische Fragestellungen und Methoden nutzen, haben gezeigt, dass weder die Annahme vollständiger Rationalität noch die der Eigennutzorientie­ rung Menschen – zumindest Menschen in Industrieländern – auch nur annähernd richtig darstellt. Mit der Verhaltensökonomik ist so ein eigenes Forschungsfeld entstanden, das die neuen Erkenntnisse in den Theorierahmen einzubinden sucht.15 Die Entwicklung alternativer Modelle erweist sich jedoch als schwierig, da insbesondere die Begriffe, 14 T. Bergstrom, „Puzzles: Love and Spaghetti, the Opportunity Costs of Virtue“, in: Journal of Economic Perspectives 3(2)/1989, S. 165-173. 15 Auch dieses Feld wurde in jüngerer Zeit durch einen Nobelpreis als wichtiges For­ schungsgebiet der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Im Jahr 2002 erhielten Daniel Kahneman und Vernon Smith den Preis für die Etablierung von Experimen­ ten als Methode der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung sowie für die Ent­ wicklung alternativer Ansätze in der Modellierung von Nutzen.

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die mit kooperativem Verhalten verbunden sind – insbesondere Fair­ ness, Altruismus, Reziprozität – nur schwer allgemeingültig zu defi­ nieren und in ein Axiomensystem einzubinden sind. An der Entwick­ lung eines solchen Systems wird zurzeit noch gearbeitet. In den nächsten Schritten werde ich die Fragen der Verhaltens­ ökonomik und die bisher entwickelten Lösungsansätze darstellen. Dazu skizziere ich zunächst anhand eines Beispiels die Vorhersagen des Ansatzes, der auf dem Bild des Homo Oeconomicus fußt. Da­ rauf aufbauend erläutere ich die Kritik der Verhaltensökonomik und stelle die Ergebnisse von Experimenten vor, die sich mit der Koope­ rationsbereitschaft von Menschen und deren Entwicklung befasst haben.

2. Das Allmendeproblem als Beispiel für (mangelnde) Kooperation Ein Kooperationsproblem entsteht dadurch, dass Individuen in ihrem Konsum von Gütern und Dienstleistungen miteinander verbunden sind. Diese Verbindung kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: Entweder konkurrieren Individuen direkt um eine bestimmte Res­ source (etwa um Nahrung oder Platz); die Bereitstellung der Ressource benötigt eine gemeinsame Leistung (Schutz der Gruppe, arbeitsteilige Produktion); oder das Verhalten eines Individuums stört oder begüns­ tigt ein anderes, ohne dass das erste Individuum dies berücksichtigt (Rauchen im Restaurant, Musikhören bei geöffnetem Fenster). In al­ len drei Beispielgruppen führt kooperatives Verhalten zu einem ande­ ren Ergebnis als ausschließlich eigennutzorientiertes Verhalten. Im Folgenden nutze ich das Problem sogenannter Gemein- oder Allmendegüter, um die Effekte von (mangelnder) Kooperation und die Wirkung von Institutionen zu erklären. Dieses Beispiel bietet sich aus zwei Gründen an. Zum einen ist der Umgang mit Gemeingütern ein Problem, das jede Gruppe von Individuen zu lösen hat. Zum anderen lässt sich die Interaktion in Elemente zerlegen, die in experimentellen Studien untersucht werden. Der Begriff der Allmende (Englisch ‚commons‘) stammt aus dem Mittelalter und bezeichnet dort ein gemeinsames Eigentum aller Mit­ glieder einer Gemeinde. Die Allmende war bis in das 19. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ein wichtiger Bestandteil der bäuerlichen Wirt­ schaft. Allmenden waren typischerweise Weiden, auf die jedes Ge­

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meindeglied sein Vieh treiben durfte.16 Innerhalb der Gemeinschaft war ein Ausschluss von diesem Recht nicht vorgesehen; eine Begren­ zung der Häufigkeit der Nutzung existierte nicht. In der Folge waren Allmendeweiden häufig übernutzt. In ihrer ursprünglichen Form exis­ tiert die Allmende in Deutschland nicht mehr. Das durch den Begriff skizzierte Problem existiert aber in anderen Bereichen weiter. In der Entwicklungsökonomik ist sie ein aktueller Forschungsgegenstand, weil in vielen Entwicklungsländern Landnutzung nicht durch expli­ zite Regeln geklärt ist (siehe dazu Hayo und Vollan17). Aber auch für industrialisierte Nationen ist das Problem noch immer aktuell. So ist die Nutzung internationaler Fischfanggründe eine typische Allmende, weil es keine regelnde Instanz gibt, die einen Zugriff verweigern könn­ te. Ähnliches gilt für internationales Immissionsschutzrecht oder die Nutzung fossiler Energien in nicht national zugeordneten Gebieten. Das Allmendeproblem hat zwei Kernelemente. Zum einen steht be­ reits jedes Individuum selbst im Konflikt zwischen heutiger und spä­ terer Nutzung der Ressource. Zum anderen kommt ein Konflikt mit den anderen Nutzerinnen hinzu. Diese beiden Grundelemente lassen sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen. Betrachtet seien zwei Kinder (Ina und Jana), die sich eine Dose mit Plätzchen teilen sollen. Die Dose ist ihnen von einer Verwandten mit den Worten „Teilt sie Euch!“ in das gemeinsame Kinderzimmer gestellt worden. Die Eltern mischen sich zunächst nicht in die Verteilung der Plätzchen ein (es gibt keine äußere regelnde Instanz) und die gemeinsame Wohnsituation macht eine direkte und glaubwürdige Aufteilung der Plätzchen un­ möglich. Die Plätzchen sind also ein klassisches Gemeingut zwischen den Kindern.18 Es sei unterstellt, dass Ina und Jana die gleichen Präferenzen den Plätzchen gegenüber haben. Beide möchten die Plätzchen gerne als nach­ mittägliche Nascherei für die nächsten Wochen nutzen. Die optimale Portionsgröße für jeden Nachmittag hängt dabei von zwei Elementen ab. Einerseits sind Plätzchen lecker – mehr Plätzchen sind damit besser als weniger. Andererseits verursachen Plätzchen aber auch Bauchweh und mit jedem zusätzlichen Plätzchen steigt die Gefahr, Bauchweh zu 16 Natürlich gab es auch andere Nutzbereiche. So wurden Allmenden auch zur Holzoder Torfgewinnung genutzt. 17 B. Hayo, B. Vollan, „Group interaction, heterogeneity, rules, and cooperative be­ haviour: Evidence from a common-pool resource experiment in South Africa and Namibia“, in: Journal of Economic Behavior & Organization 91(2)/2012, S. 73-78. 18 Eine formale Analyse des Plätzchenproblems findet sich im Anhang.

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bekommen.19 Die ‚richtige‘ Menge an Plätzchen ist also diejenige, die den Zugewinn durch mehr Genuss und die drohenden Kosten durch mögliches Bauchweh gerade ausgleicht. Wenn beide Kinder diese Ab­ wägung treffen, essen sie jeden Nachmittag eine bestimmte Menge an Plätzchen. Da unterstellt ist, dass sie die gleichen Präferenzen haben, entscheiden sich beide für die gleiche Menge. Der Einfachheit halber sei unterstellt, dass diese Menge 25 Plätzchen pro Kind und Nachmit­ tag ist und die Dose 1.000 Plätzchen enthält. Wenn beide Mädchen sich nur an dieser Abwägung orientierten, erhielte im Ergebnis jedes Mädchen die Hälfte der Plätzchen; die Dose reichte für 20 Tage. Nun sind aber die beiden Kinder nicht nur an der nachmittäglichen Portion Plätzchen interessiert. Vielmehr sehen beide, dass in der Dose etwa 1.000 Plätzchen sind. Sowohl Ina als auch Jana möchten von die­ ser Gesamtmenge an Plätzchen möglichst viel abbekommen. Neben der täglichen Portion stiftet damit auch der eigene Anteil an Plätz­ chen einen Nutzen. Dieses Interesse an der Gesamtmenge verursacht ein Koordinationsproblem. Zwar ist eine Menge von 25 Plätzchen am Nachmittag die optimale Menge für jedes Kind, wenn es sicher sein kann, dass es am Ende 500 Plätzchen erhält. Doch diese Bedingung ist nicht erfüllt. Denn eine vorherige klare Absprache über die Aufteilung der Gesamtmenge ist – im Plätzchenbeispiel annahmegemäß, in der Realität häufig durch die Struktur der Ressource verursacht – nicht möglich. Beide Kinder können ihren Anteil an den Plätzchen damit nur dadurch steuern, wie viele Plätzchen sie pro Nachmittag essen. Vor diesem Hintergrund hat jedes Mädchen einen Anreiz, mehr als die eigentlich optimalen 25 Plätzchen zu essen, um seinen eigenen An­ teil zu erhöhen bzw. zu sichern. Denn wenn etwa Ina davon ausgeht, dass Jana die ihr ‚zustehenden‘ 25 Plätzchen am Nachmittag isst, kann sie ihren Nutzen dadurch erhöhen, dass sie ein 26. Plätzchen nimmt: Der Ausgleich zwischen heutigem Genuss und Bauchwehgefahr ist durch das Bedürfnis, den eigenen Anteil zu sichern, aus der Balance geraten. Der zusätzliche Nutzen aus einem weiteren Plätzchen ist da­ mit erhöht. Jana ist in einer ähnlichen Situation. Auch sie hat einen 19 Die Gefahr, Bauchweh zu bekommen, ist in diesem Beispiel der Ersatz für die Kosten der Übernutzung der Ressource. In einem realen Allmendeproblem wie etwa der Nutzung von Fischfanggründen müssen die Nutzerinnen darauf achten, dass sich die Ressource erholen kann – indem genügend junge Fische verbleiben, die die Basis der nächsten Generation und damit der Nutzung in der Zukunft bilden. Bei einer zu starken heutigen Nutzung steigt das Risiko, dass nicht genügend Jungfische für eine bestandserhaltende Vermehrung verbleiben.

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Anreiz, mehr Plätzchen zu essen, wenn sie denkt, dass Ina 25 Plätzchen isst. Wenn für beide Mädchen die Homo-Oeconomicus-Annahme gilt, d. h. beide ihre Informationen perfekt auswerten, antizipiert jedes Mädchen, dass die jeweils andere einen Anreiz hat, von der ursprüng­ lichen Planung abzuweichen. So geraten die beiden in eine Spirale, die den täglichen Plätzchenkonsum erhöht. Ab einer bestimmten Menge an Plätzchen tritt wieder die Bauchwehgefahr in den Vordergrund, so­ dass die Spirale irgendwann stoppt. Da die beiden Mädchen symmetrisch sind, werden sie auch in die­ ser Situation die gleiche Anzahl an Plätzchen wählen. Es sei unterstellt, dass jedes Mädchen nunmehr 38 Plätzchen pro Tag isst. Im Ergebnis erhalten beide wiederum jeweils 500 Plätzchen, die Dose ist allerdings nach 13 Tagen leer statt nach 20; das Bauchwehrisiko ist im Vergleich zur Lösung ohne Konkurrenz um die Plätzchen gestiegen. Die Konkurrenz um die Plätzchen verändert das Spiel zwischen den Mädchen in einer Weise, dass sie sowohl in der kurzen als auch in der langen Frist schlechter gestellt sind als ohne diese Konkurrenz. Unter den oben getroffenen Annahmen lässt sich diese Verschlech­ terung auch dann nicht vermeiden, wenn sich die beiden Kinder des Problems bewusst sind und im Voraus die Abmachung treffen, bei den optimalen 25 Plätzchen zu bleiben. Solange es keine Möglichkeit gibt, sich an diese Abmachung zu binden, werden beide mehr Plätzchen essen. Hier scheint der Homo Oeconomicus also unfähig zur Koope­ ration. Der englische Name des Allmendeproblems „tragedy of the commons“20 charakterisiert diesen Aspekt der Situation besser als der neutrale deutsche Begriff. Es gibt jedoch Auswege aus dem Problem, die allerdings ein stär­ keres Eingreifen als durch Absprachen erfordern. Die Abmachung, nur 25 Plätzchen pro Nachmittag zu essen oder dieser Lösung zumindest nahe zu kommen, muss mit einer Selbstbindung versehen werden, die auf verschiedene Weisen hergestellt werden kann. Im Falle der Mädchen wäre die einfachste Lösung, die Dose nicht im gemeinsamen Zimmer aufzubewahren, sondern bei den Eltern zu deponieren. Die Eltern könnten dann überwachen, dass kein Kind mehr als 25 Plätzchen pro Tag entnimmt. Eine solche externe Instanz 20 Der Begriff wurde von Garrett Hardin geprägt (G. Hardin, „The Tragedy of the Commons“, in: Science 162/1968, S. 1243-1248). Mit seiner Arbeit hat er eine in­ tensive Diskussion über Regelungsmechanismen und Anpassungsstrategien sowohl in den Natur- als auch in den Wirtschaftswissenschaften angeregt.

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steht jedoch nicht für alle Allmendeprobleme zur Verfügung. Wer soll­ te etwa den Fischfang verschiedener Nationen im Pazifik überwachen? Und selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, Überfischung festzustellen, wäre das Problem noch nicht gelöst. Denn eine bindende Wirkung ent­ steht durch eine regulierende Instanz nur, wenn diese die Absprache auch durchsetzen kann. Das heißt, dass sie im Falle eines Regelver­ stoßes Strafen aussprechen kann, die den Regelverstoß unattraktiv machen. Ein solcher Durchsetzungsmechanismus fehlt im internati­ onalen Kontext häufig, weshalb internationale Absprachen oft nicht eingehalten werden. Wenn äußere Instanzen fehlen, um Absprachen durchzusetzen, sind sogenannte selbstdurchsetzende Verträge nötig, um Kooperation her­ zustellen. Mit der Gestaltung solcher Verträge und der Frage, wie nahe diese dem optimalen Verhalten kommen können, haben sich die Ins­ titutionenökonomik und die politische Ökonomie in den vergangenen Jahrzehnten befasst. Eine Möglichkeit, das Allmendeproblem zu lösen, ist die Einfüh­ rung von Eigentumsrechten und Nutzung einer Marktlösung. Für die beiden Kinder könnte diese Lösung wie folgt aussehen: Die Tante könn­ te die Dose nicht beiden gemeinsam geben, sondern Jana. Wenn Jana weiß, dass die Plätzchen nicht lange haltbar sind, gibt es für sie keinen Grund, sie alleine zu essen (die letzen wären vor dem Verzehr bereits schimmelig). In diesem Fall ist ein Tausch zwischen den Schwestern eine Möglichkeit, die Plätzchen aufzuteilen. Ina kann Jana eine Gegen­ leistung anbieten. Jana muss nun für jedes Plätzchen abwägen, ob es besser ist, es selber zu essen oder zu tauschen. Inas Gebote wiederum geben wieder, wie wichtig es für sie ist, Plätzchen zu essen, statt die Gegenleistung zu behalten. Ein solcher Tauschmechanismus würde die wahren Interessen der Kinder berücksichtigen und einen zu schnel­ len Verzehr vermeiden helfen. Wird nur die aufteilende Wirkung der Marktlösung betrachtet (der Teil, der nach der Zuteilung der Plätzchen an Jana in Kraft tritt), ist so eine optimale Aufteilung gewährleistet. Aber auch diese Lösung hat Schwächen. Zum einen stellt sich die Frage, wem das Eigentumsrecht zuzusprechen ist. Warum sollte Jana die Dose erhalten und nicht Ina? Selbst wenn die Verwandte regelmä­ ßig kommt und den Kindern abwechselnd Plätzchen schenkt und die Ungleichverteilung der Eigentumsrechte in der langen Frist so aus­ gleicht, bleibt die Frage, wer die erste Dose erhalten sollte. Zum an­ deren tritt mit dem Eigentumsrecht ein anderes, weniger offenbares, Problem auf. Jana kann die Plätzchen nur als Tauschgegenstände nut­

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zen, wenn sie sicher sein kann, dass sich Ina nicht auf anderem Wege Zugang zu den Plätzchen verschafft. Sie muss ihr Eigentum schützen. Dieser Schutz verbraucht Ressourcen, die ihr für andere Aktivitäten nicht zur Verfügung stehen. Selbst wenn es also durch den Markt­ mechanismus gelänge, eine Verbrauchsrate von 25 Plätzchen pro Tag und Kind einzurichten, wären die beiden Mädchen schlechter gestellt als ohne Konkurrenz, da die Kosten für den Schutz des Eigentums entstehen. Dieses Argument vertieft Samuel Bowles in seinem jüngst erschienenen Buch The New Economics of Inequality and Redistribution.21 Er legt dar, dass eine zunehmende Ungleichverteilung von Vermögen auch unabhängig von moralischen Aspekten abzulehnen ist. Denn sie verursacht eine unproduktive Nutzung von Ressourcen zur Sicherung von Eigentum sowohl auf individueller als auch auf ge­ sellschaftlicher Ebene.22 Die Einrichtung politischer Institutionen ist eine Alternative zur Verteilung von Eigentumsrechten an Individuen. Die beiden Mädchen könnten also ein Verfahren entwickeln, das die tägliche Aufteilung von Plätzchen regelt. Auch hier ist allerdings ein Durchsetzungssystem nötig, das Ressourcen verbraucht. Die Frage, welche Regelsysteme in welchem Kontext stabil sind und die richtigen Anreize für alle betei­ ligten Gruppen setzen, ist die Kernfrage der Institutionenökonomik (siehe dazu Persson und Tabellini23 und Richter und Furubotn24). Das Beispiel der Kinder mit der Plätzchendose zeigt die Viel­ schichtigkeit der Frage, wie kooperatives Verhalten innerhalb ökono­ mischer Modelle von rationalen Akteuren erklärt werden kann. Die Modellierung der Ziele menschlichen Verhaltens unterstellt zunächst Eigennutzorientierung in einem Maß, das Kooperation verhindert: Die Tatsache, dass jedes Mädchen an der Größe seines Anteils an den Plätz­ chen interessiert ist, verhindert eine einfache Koordination auf eine für beide Kinder gute Lösung. Die Modellierung unterstellt aber auch, 21 S. Bowles, The New Economics of Inequality and Redistribution, Cambridge 2012. 22 O. Hart, Firms, Contracts, and Financial Structure, Oxford 1963, hat in einem an­ deren Kontext – am Beispiel eines Unternehmens, das Kreuzfahrten mit erlesenen Abendessen anbietet – erläutert, welche Effekte die Verteilung von Eigentumsrech­ ten auf Produktivität hat. Sollte das Schiff dem Koch oder dem Kapitän gehören, um das Unternehmen so produktiv wie möglich zu machen? 23 T. Persson, G. Tabellini, Political Economics: Explaining Economic Policy, Massachu­ setts 2000. 24 R. Richter, E. G. Furubotn, Neue Institutionenökonomik: Eine Einführung und kritische Würdigung, Tübingen 2010.

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dass Menschen zu der Einsicht fähig sind, dass sie sich vor sich selber schützen müssen. Die Entwicklung von Institutionen, die Eigentum schützen und einen Verteilungsmechanismus zur Verfügung stellen, ermöglicht eine solche Selbstbindung. Sie kann daher als Wille zur Kooperation von Individuen gesehen werden, die ihre eigenen Schwä­ chen vernünftig einschätzen. Offen bleibt hier die Frage, ob das Modell der Eigennutzorientie­ rung menschliche Präferenzen tatsächlich richtig abbildet. Diese Frage ist in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen von Feld- und Labor­ experimenten sowohl von Psychologinnen als auch von Ökonominnen untersucht worden.

3. Experimente zum ‚Homo Oeconomicus‘ In dem zuvor skizzierten Allmendeproblem überlagern sich verschie­ dene Ziele individuellen Verhaltens. Neben dem Koordinationspro­ blem, das die beiden Kinder zu lösen haben, gibt es den individuellen Zielkonflikt zwischen heutigem und späterem Konsum (dem soforti­ gen Nutzen aus Plätzchenverzehr und der Gefahr, Bauchweh zu be­ kommen). Typischerweise weist jede lebensweltliche Interaktion solche Überlagerungen verschiedener Interessen und Interessenskonflikte auf. Ein Experiment, das eine so komplexe Situation abbildet, kann da­ her zwar die Wirkung von Institutionen testen, nicht aber Aufschluss über die Struktur individueller Präferenzen geben. Um mehr über diese zu erfahren, werden daher künstliche Entscheidungssituationen geschaffen, die einzelne Aspekte von Zielfunktionen isolieren. Für das Allmendebeispiel ist dies die Frage, ob der Wille zur Kooperation nicht bereits intrinsisch in der Nutzenfunktion der Mädchen angelegt ist. Um die Existenz eines solchen Kooperationswillens zu testen, wer­ den in der experimentellen Ökonomik häufig drei Spielsituationen ge­ nutzt: Spiele, in denen sogenannte öffentliche Güter zur Verfügung gestellt werden sollen, sogenannte Diktator- und Ultimatumspiele. Ein öffentliches Gut ist dadurch charakterisiert, dass allen Mitglie­ dern einer Gruppe ein Nutzenzuwachs zuteilwird, wenn ein Mitglied in dieses Gut investiert. Ein klassisches Beispiel hierfür ist das Aufräu­ men einer Wohngemeinschaftsküche. Sobald eine Bewohnerin geputzt hat, können alle anderen Bewohnerinnen die saubere Küche genießen. Das neoklassische Modell, das allen Bewohnerinnen Eigennutzorientie­

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rung unterstellt, sagt für eine solche Situation vorher, dass alle Bewoh­ nerinnen darauf hoffen, dass eine andere putzt. In der Summe wird zu wenig Reinigung von der Gruppe zur Verfügung gestellt. Im Laborexperiment wird die Bereitstellung eines öffentlichen Gu­ tes durch Zahlung eines bestimmten Betrages abgebildet. Der Betrag wird so vervielfacht, dass er allen Gruppenmitgliedern nützt, aber für die Zahlende zu einer Nutzeneinbuße führt (Beispiel: ein Laboreuro führt dazu, dass alle Gruppenmitglieder 80 Laborcent erhalten). Wenn alle Gruppenmitglieder diesen Beitrag leisten, erhält jedes Mitglied im Ergebnis eine Summe, die den Ausgangsbesitz übersteigt. Für jedes Gruppenmitglied ist es aber besser, wenn nur die anderen zahlen – ein rationaler Homo Oeconomicus würde nicht zahlen und die gesamte Gruppe wäre am Ende schlechter gestellt als bei kooperativem Verhal­ ten. Tatsächlich zeigen Laborexperimente, dass Menschen einen posi­ tiven Beitrag leisten, der zwischen der Vorhersage des neoklassischen Modells und dem gemeinsamen Optimum liegt.25 Die Untersuchungen zeigen, dass die neoklassische Vorhersage falsch ist und Menschen nicht – oder zumindest nicht im Labor – voll­ kommen eigennutzorientiert handeln. Sie handeln aber auch nicht vollständig im Sinne der Gemeinschaft. Die Ergebnisse legen damit nahe, dass die Ziele der Teilnehmerinnen sowohl Eigennutz als auch Gemeinsinn beinhalten. Um herauszufinden, welche Mischung dem Verhalten zugrunde liegt, werden die beiden anderen genannten Spiele genutzt. Sowohl das Ultimatum- als auch das Diktatorspiel basieren auf der gleichen Ausgangssituation mit zwei Individuen. Im Diktatorspiel er­ hält Individuum A einen bestimmten Geldbetrag (z. B. 10 €), den sie zwischen sich und Individuum B aufteilen soll. Hier hat Individuum B eine ausschließlich passive Rolle als Empfängerin des ihr zugewie­ senen Teilbetrags. Im Ultimatumspiel schlägt Individuum A eine Auf­ teilung vor, Individuum B kann diese ablehnen oder annehmen. Lehnt sie die Aufteilung ab, gehen beide Teilnehmerinnen leer aus. Nimmt sie die Aufteilung an, wird der Betrag entsprechend A’s Vorschlag auf­ geteilt. Für beide Spiele hat die Neoklassik eine klare Verhaltensvor­ hersage: Im Diktatorspiel wird ein Homo Oeconomicus den gesamten Betrag für sich behalten. Im Ultimatumspiel wird sie B den kleinsten 25 Einen Überblick über die ersten Experimente zu öffentlichen Gütern gibt J. An­ dreoni, „Cooperation in Public-Goods Experiments: Kindness or Confusion?“, in: American Economic Review 85(4)/1995, S. 891-904.

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möglichen Betrag anbieten. B wird diesen Betrag annehmen, weil er immer noch besser ist als gar keine Zahlung. In Laborexperimenten in westlichen Kulturen tritt keine dieser Vor­ hersagen ein.26 In Ultimatumspielen behalten die anbietenden Spielerinnen typi­ scherweise zwischen 50 und 60 % des zu verteilenden Betrages für sich und diese Gebote werden akzeptiert. Angebote, die der akzeptie­ renden Spielerin weniger als 30 % des Betrages lassen, werden häufig nicht akzeptiert. Ein Angebot von 40 % des Betrages an Spielerin B kann im We­ sentlichen zwei Ursachen haben: Spielerin A hat kooperative Präfe­ renzen oder sie antizipiert, dass Spielerin B ein kleineres Gebot nicht akzeptieren wird. Im letzteren Fall wäre ein Angebot von 40 % des Betrages die Reaktion eines Homo Oeconomicus auf eine bestimmte Erwartung. Beide Möglichkeiten sind im Ultimatumspiel nicht vonei­ nander zu trennen. Aus diesem Grund werden Experimente mit dem Diktatorspiel durchgeführt, in denen es keine Reaktion von Spielerin B zu befürch­ ten gibt. Ein positives Angebot wäre dann allein durch die Präferenzen von Spielerin A zu erklären. Abhängig von den Regeln des jeweiligen 26 Das erste Ultimatumspielexperiment führten W. Güth, R. Schmittberger und B. Schwarze („An Experimental Analysis of Ultimatum Bargaining“, in: Journal of Economic Behavior and Organization 3/1982, S. 367-388) im Jahr 1978 mit Stu­ dierenden der Universität Köln durch (in verschieden komplexen Varianten). Be­ reits dort zeigte sich, dass die anbietenden Spieler nicht den vollen Betrag, sondern zwischen 50 % und 70 % der aufzuteilenden Summe für sich verlangten. Diese Forderungen wurden typischerweise von den zweiten Spielern akzeptiert. Das Ul­ timatumspiel ist in verschiedenen Abwandlungen immer wieder Gegenstand von Experimenten gewesen, wie die Überblicksartikel von R. H. Thaler („Anomalies: The Ultimatum Game“, in: Journal of Economic Perspectives 2(4)/1988, S. 195206) und C. Camerer und R. H. Thaler („Anomalies: Ultimatums, Dictators, and Manners“, in: Journal of Economic Perspectives 9(2)/1995, S. 209-129) zeigen. Mit ihren Experimenten in 15 verschiedenen Gesellschaften hat eine Forschergruppe um J. Henrich den Fokus um eine kulturelle Komponente erweitert (J. Heinrich, R. Boyd, S. Bowles, C. Camerer, E. Fehr, H. Gintis, R. McElreath: „In search of Homo Oeconomicus: Behavioral experiments from 15 small-scale societies“, in: American Economic Association: Papers and Proceedings 91(2)/2001, S. 73-78; J. Heinrich, R. Boyd, S. Bowles, C. Camerer, E. Fehr, H. Gintis, R. McElreath, M. Gurven, K. Hill, A. Barr, J. Ensminger, D. Tracer, F. Marlow, J. Patton, M. Alvard, F. Gil-White, and N. Smith: „‚Economic Man‘ in cross cultural perspective: Behavioral experi­ ments from 15 small-scale societies“, in: Behavioral and Brain Sciences, 28(6)/2005, S. 795-815). Ein Blick in Google Scholar zeigt, dass sich das Spiel nach wie vor gro­ ßer Beliebtheit unter Experimentatorinnen erfreut.

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Experiments zeigen die Teilnehmerinnen sehr unterschiedliches Ver­ halten. Eine wichtige Komponente ist dabei, wie Spielerin A das zu verteilende Geld erhält (das sogenannte Framing). Ist der Versuchsauf­ bau so gestaltet, dass die Spielerin eine kleine Aufgabe lösen musste, um das Geld zu erhalten, ist die Wahrnehmung, dass sie ihr „eigenes“ Geld teilt. In diesem Fall erhält Spielerin B in der Regel nichts oder nur einen kleinen Anteil. Wenn das Geld jedoch einfach von der Expe­ rimentatorin zugeteilt wird, also keine eigene Leistung vorher zu er­ bringen war, die das Gefühl ermöglicht, einen durch Leistung begrün­ deten Anspruch auf das Geld zu haben, verändert sich das Verhalten. Hier scheinen die Teilnehmerinnen die Wahrnehmung zu haben, dass der zur Verfügung stehende Betrag eigentlich der Experimentatorin gehört und der Auftrag ist, „fremdes“ Geld zwischen sich und einer anderen Person aufzuteilen. In diesen Fällen erhält die andere Teilneh­ merin bis zu 90 % des Betrages.27 Die verschiedenen Experimente zur Bereitschaft, zu einem Grup­ pengut oder zum Wohlbefinden einer anderen Teilnehmerin beizutra­ gen, haben zur Entwicklung der Theorie individuellen Verhaltens in der Mikroökonomie beigetragen. Die Ergebnisse legen die Frage nach der Ursache der Bereitschaft zu teilen nahe. Sowohl erwartete Rezi­ prozität (Falk und Fischbacher28, Dohmen et al.29), Vertrauen (Frank30), Vorstellungen von Fairness (Fehr und Gächter31), Ungleichheitsaver­ sion (Bolton und Ockenfels32), aber auch der Einfluss von Hormonen (Fehr 200933) sind zur Erklärung des beobachteten Verhaltens heran­ 27 Das Journal of Economic Behavior and Organization hat dem Wert und der Gestal­ tung von Experimenten im Jahr 2010 einen Special Issue gewidmet. J. Oechssler, „Searching beyond the lamppost: Let’s focus on economically relevant questions“, in: Journal of Economic Behavior and Organization 73(1)/2010) beschreibt den Stand der Diktarorspielliteratur hier anschaulich. 28 A. Falk, U. Fischbacher, „A theory of reciprocity“, in: Games and Economic Behavior 54(2)/2006, S. 293-315. 29 Th. Dohmen, A. Falk, D. Huffman, U. Sunde, „Homo Reciprocans: Survey Evidence on Behavioural Outcomes“, in: The Economic Journal 119/2009, S. 592-612. 30 R. H. Frank, „If Homo Economicus Could Choose His Own Utility Function, Would He Want One with a Conscience?“, in: American Economic Review 77(4)/1987, S. 593-604. 31 E. Fehr, S. Gächter, „Fairness and retaliation“, in: Journal of Economic Perspectives 14(3)/2000, S. 159-181. 32 G. E. Bolton, A. Ockenfels, „ERC: A Theory of Equity, Reciprocity, and Competition“, in: American Economic Review 90(1)/2000, S. 166-193. 33 E. Fehr, „On the Economics and Biology of Trust“, in: Journal of the European Economic Association 14(3)/2009, S. 235-266.

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gezogen worden. Alle genannten Konzeptionen leiden allerdings an dem gleichen Problem: Eine allgemein anwendbare Definition der Be­ griffe ist bisher nicht erfolgt und scheint auch kaum möglich. Reziprozität etwa kann sehr verschiedene Ausprägungen haben. Sie kann einerseits Teil einer Austauschbeziehung zwischen auf län­ gere Zeit verbundenen Partnerinnen sein.34 Dann ist sie aber nicht als besonders kooperative Form des Miteinanders zu erklären, sondern als Ergebnis einer wiederholten Interaktion von rationalen eigennutzori­ entierten Individuen. Andererseits kann Reziprozität tatsächlich das Kennzeichen spezieller Präferenzen sein – wenn Individuen einer „wie du mir, so ich dir“ Maxime auch in kürzeren Interaktionen folgen. Beide Erklärungen sind im Experiment nicht voneinander zu trennen. Ähnliche offene Fragen gibt es auch zu den Begriffen Fairness und Vertrauen. Die Experimente lassen aber auch andere Fragen unbeantwortet. Der Versuch, aus einer einmaligen Laborsituation Rückschlüsse auf die Präferenzen von Individuen ziehen zu können, beruht auf zahlreichen impliziten Annahmen über Verhaltensstrukturen. Die Frage, ob eine Laborsituation überhaupt Aufschluss über lebensweltliche Situationen geben kann, wird in der experimentellen Wirtschaftsforschung bereits seit einiger Zeit diskutiert. Hier hilft die Entwicklung von Feldexperi­ menten, um zu klären, was Laboruntersuchungen leisten können. Un­ klar ist aber auch, welche äußeren Faktoren die Entscheidung in einer bestimmten Situation beeinflussen. Henrich et al.35 haben untersucht, welchen Einfluss das kulturel­ le Umfeld auf Entscheidungen im Diktator- und Ultimatumspiel hat. Eine Gruppe von zwölf experimentellen Wirtschaftswissenschaftlern hat beide Spiele in 15 verschiedenen ‚kleinen‘ Kulturen gespielt – die Kulturen umfassten Jäger und Sammler, Brandrodungswirtschaften, Nomaden, sowie sesshafte Subsistenzwirtschaften. Die angebotenen 34 Solche Austauschbeziehungen sind z. B. bei zwittrigen Fischen zu beobachten (siehe z. B. P. H. Crowley, Mary K. Hart, „Evolutionary stability of egg trading and parcelling in simultaneous hermaphrodites: The chalk bass revisited“, in: Journal of Theoretical Biology 264/2007, S. 420-429). In einem Paar tauschen die Partner Eier und Spermien. Eier sind in diesen Tauschbeziehungen das knappe Gut, sodass jeder Partner sicherstellen möchte, nicht nur seine Eier zur Befruchtung beizutragen sondern auch die eigenen Spermien. Als Lösung, die Kooperation sichert, hat sich hier ein Tausch von kleineren Eier- und Spermienpaketen eingestellt, in dem die Partner regelmäßig die Rollen tauschen. 35 Heinrich et al. 2001, 2005, wie Anm. 26.

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Beträge im Ultimatumspiel zeigen eine größere Varianz als in den Experimenten, die in westlichen Kulturen durchgeführt wurden. Ins­ besondere werden zum Teil erheblich kleinere – wenn auch immer noch positive – Beträge als in den zuvor durchgeführten Experimenten angeboten. Die Ablehnungsraten variieren ebenfalls stark, wobei in ei­ nigen Kulturen alle Angebote akzeptiert werden. Henrich und seine Mitforscher36 erklären die Unterschiede mit zwei kulturspezifischen Faktoren: Marktintegration und Vorteilhaftigkeit von Kooperation in der Gruppe. Je wertvoller kooperatives Verhalten für das eigene Über­ leben ist, umso stärker neigen die Gesellschaften zu größeren Angebo­ ten im Ultimatumspiel. Die Wissenschaftlergruppe hat die Experimen­ te in eine große ethnographische Untersuchung eingebettet, die hier nicht angemessen wiedergegeben werden kann. Für die hier betrachte­ te Fragestellung lässt sich aber das Teilergebnis festhalten, dass Men­ schen das Ausmaß ihrer grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft an äußere Faktoren anpassen können. Die Analysen zeigen auch, dass es kein ‚natürliches‘ Niveau von Kooperationsbereitschaft gibt. Vielmehr ist das Ausmaß an Eigennutzorientierung Teil kultureller Prägung.37 In einer Reihe von Experimenten mit Marburger Studierenden sind Stephan Meisenzahl, Johannes Ziesecke und ich der Frage nachge­ gangen, inwiefern eine ökonomisch orientierte Anleitung den Willen zur Kooperation beeinflusst.38 Die Teilnehmerinnen wurden zufällig in Paare sortiert, deren Experimenterfolg von den Investitionen bei­ der Partnerinnen in ein gemeinsames Projekt abhing. Das Experiment war so gestaltet, dass die Investition ein öffentliches Gut war, d. h. es gab ein gemeinsam optimales Investitionsniveau (130 Punkte) und ein deutlich niedrigeres individuell rationales Investitionsniveau (30 Punkte). Wie schon in anderen Experimenten zeigte sich, dass die Teil­ nehmerinnen ohne weitere Anleitung Beiträge zwischen dem indivi­ duell rationalen und dem gemeinsam optimalen Niveau wählten. Un­ ser Interesse galt der Frage, ob sich dieses Beitragsniveau beeinflussen lässt. 36 Heinrich et al. 2001, 2005, wie Anm. 26. 37 Im Rahmen der theoretischen Modellierung des Individuums wird dieser Aspekt durch sogenannte Identitäten erfasst. Die Idee ist, dass Menschen in verschiedenen Kontexten wissen, dass bestimmte Erwartungen an ihr Verhalten gestellt werden. Diese wollen sie gerne erfüllen. Bei Abweichung droht ein innerer Bestrafungsverlust. Die erste Formulierung dieser Idee geht auf Akerlof und Kranton (2000) zurück. 38 E. Korn, S. Meisenzahl, J. Ziesecke, How and when can economic skills enhance cooperation?, MAGKS Joint Discussion Paper Series in Economics 16/2003.

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Zu diesem Zweck haben wir die vorbereitenden Erklärungen, die die Teilnehmerinnen zu durchlaufen hatten, sowie den Modus der Paarbildung verändert. Entweder spielten die Teilnehmerinnen das Spiel 20mal wiederholt mit derselben (anonymen) Partnerin oder in jeder von 20 Runden wurde ihnen eine neue Partnerin aus einer Grup­ pe von fünf anderen ebenfalls anonymen Teilnehmerinnen zugelost. Die Regelerklärungen wurden für einige Gruppen von Teilnehmerin­ nen um eine Trainingsrunde erweitert. In dieser Runde lernten die Teilnehmerinnen, wie die individuell rationale beste Antwort auf ein erwartetes Verhalten der anderen Teilnehmerin zu finden ist. Ferner lernten sie, was das Nash-Gleichgewicht – das Verhalten des Homo Oeconomicus in diesem Spiel – ist. Das Experiment zeigte zwei Ergebnisse. Wenn die Teilnehmerin­ nen ihre jeweiligen Spielpartnerinnen aus der größeren Gruppe zu­ gewiesen bekamen, hatte das zusätzliche Training gar keinen Effekt auf das Verhalten. Diejenigen Teilnehmerinnen, die in festen Paaren spielten, passten Ihr Verhalten hingegen an: Sie wurden kooperativer und leisteten höhere Beiträge zu dem öffentlichen Gut als die Teilneh­ merinnen ohne zusätzliches Training. Das Ergebnis mutet zunächst merkwürdig an, hatte das Training doch das individuell rationale Ver­ halten erst in das Bewusstsein der Teilnehmerinnen gebracht. Für das Ergebnis wichtig ist allerdings die wiederholte Interaktion. Das Trai­ ning hat den Teilnehmerinnen neben dem kurzfristigen Erfolg auch die Kosten des eigennutzorientierten Verhaltens gezeigt: Ein kurzfris­ tiger Vorteil wird durch einen langfristigen Nachteil aufgewogen. Die ökonomische Perspektive hat hier bewirkt, dass die Teilnehmerinnen ihre individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung in den richtigen (lang­ fristigen) Rahmen stellen konnten. Dieser ist aber nur relevant, wenn es eine stabile Gruppe gibt, in der langfristige Erfolge auch tatsächlich zu realisieren sind. Sowohl die Experimente, die den kulturellen Hintergrund indivi­ duellen Verhaltens analysieren, als auch dieses auf kurzfristige Beein­ flussung ausgelegte Experiment zeigen zwei Grundelemente koopera­ tiven Verhaltens. Einerseits belegen sie, dass Menschen grundsätzlich bereit sind, kooperativ zu handeln – dafür ist aber eine stabile soziale Umgebung notwendig, die Kooperation lohnend macht. Andererseits zeigt sich, dass eine Orientierung auf ökonomische Faktoren der Ko­ operation eher dient als sie hindert.

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4. Schlussfolgerungen Die vorgestellten Überlegungen zeigen, dass der Homo Oeconomicus als das – in Überarbeitung befindliche – Modell des Individuums in den Wirtschaftswissenschaften nicht geeignet ist, ein genaues Bild vom Menschen zu geben. Die Schwierigkeiten der Überarbeitungen zeigen jedoch auch, wie schwierig es ist, eine allgemeingültige Form zu finden, die nicht in völlige Beliebigkeit mündet und damit ihren Modellcharakter verliert. Für eine andere Aufgabe ist das Modell des Homo Oeconomicus jedoch gut geeignet: Zu erwartende Konflikte in der Interaktion zwischen Individuen bildet eine neoklassische Formu­ lierung, die auf dem Bild des Homo Oeconomicus aufbaut, korrekt ab. Diese Modellierung darf allerdings nicht den Anspruch erheben (und tut dies auch nicht), die Motivation jedes einzelnen Individuums kor­ rekt abzubilden. Wie das Beispiel des Allmendeproblems verdeutlicht, kann eine ausschließlich auf die Gruppeninteraktion ausgerichtete Modellierung dazu beitragen, Institutionen zu schaffen, die den Homo Oeconomicus zu Kooperation anleiten. Wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten stehen damit vor dem Zielkonflikt, entweder dem Individu­ um (besser) gerecht zu werden oder (bessere) Vorhersagen für politi­ sche und gesetzgeberische Regulierungsaufgaben entwickeln zu kön­ nen. Die Reduzierung von Individuen auf eine Eigennutzorientierung ohne intrinsischen Gemeinsinn unterstellt damit nicht, dass Menschen nicht in der Lage wären, gemeinsinnorientiert zu handeln. Vielmehr antizipieren die neoklassischen Modelle, dass der Homo Oeconomicus durch den institutionellen Rahmen einen Anreiz erhalten muss, sich kooperativ zu verhalten. Kooperation erfolgt in dieser Modellierung nur unter Bedingungen, die diese begünstigen. Die Idee, dass Lernen motiviert sein muss und durch positive oder negative Verstärkung beeinflusst wird, ist aber eine Vorstellung, die auch außerhalb der Wirtschaftswissenschaften zu finden ist. Als wich­ tiges Element solcher Verstärkungsmechanismen zeigt sich in ökono­ mischen Arbeiten – wie in Arbeiten anderer Sozialwissenschaften – die verlässliche Einbindung in eine soziale Umgebung, die dem Individu­ um einen Reputationserwerb als „kooperativ“ ermöglicht. Auf das Zusammenspiel einer solchen Umgebung und einem Um­ feld, das Eigennutzorientierung in einem gewissen Maße gestattet, möchte ich zum Schluss meiner Ausführungen hinweisen. Zahlrei­ che Teile der Lebenswirklichkeit in Deutschland, die wir als selbst­

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verständlich hinnehmen, sind einerseits von Vertrauen geprägt und andererseits ohne den Schutz von Eigentum und der Duldung von Ei­ geninteresse, wie sie schon Adam Smith beschrieb, nicht denkbar. Ein Beispiel ist die Existenz und dauerhafte Funktion von Papiergeld. Ein Zehneuroschein erhält seinen Wert nur dadurch, dass wir ihm gemein­ sam diesen Wert zuschreiben und dass es Institutionen gibt, die seiner Besitzerin das Recht einräumen, einen Gegenwert in einer bestimm­ ten Größenordnung einzufordern. Die Existenz dieser Institutionen erfordert Rechtsstaatlichkeit genauso wie die Akzeptanz wirtschaftli­ cher Interessen. Wo eines von beiden fehlt, droht die Entwertung des Geldes, die Flucht in reine Tauschmärkte oder der Zusammenbruch der produktiven Aktivität insgesamt. Allein ein Blick in die deutsche Ge­ schichte des letzten Jahrhunderts – mit der Inflation und den Schwarz­ märkten der 20er und 30er sowie der Nachkriegsjahre und dem Zu­ sammenbruch des Wirtschaftssystems der DDR – zeigt dies deutlich. Zurzeit ist die Stabilität unseres Tauschmittels einmal wieder ge­ fährdet. Die öffentliche Diskussion hat die Schuldigen klar ausge­ macht: die gierigen Banker, die die Staaten der Europäischen Union erpressen. Ich hoffe, mit meinen Ausführungen auf einen anderen Aspekt als den der persönlichen Gier aufmerksam gemacht zu haben. Banker (und andere Menschen) sind vermutlich so gierig oder bereit zu teilen wie sie immer waren. Mit einer mobilen Gesellschaft und einer Auflösung kleiner Kontrollstrukturen ist aber der verlässliche Rahmen weggebrochen, der ein gemeinsames Interesse verstärken könnte. Mit der Vergrößerung des Wirtschaftsraums in der Eurozone sind zum einen die Möglichkeiten, die eigenen Aktivitäten schnell und ohne Schwierigkeiten an einen anderen Ort zu verlegen, mehr gewor­ den; zum anderen sind verschiedene Koordinationssysteme unter ei­ nem Dach zusammengefasst worden, ohne die Regeln klar zu definie­ ren oder Anpassungswege für die einzelnen Gruppen zu entwickeln. Der klare, Orientierung schaffende Rahmen fehlt. Die Kunst der Utopie liegt damit nicht darin, sich kooperativere Menschen zu wünschen, sondern Menschen als eigennutzorientiert mit einer Bereitschaft, über Kooperation nachzudenken, zu akzeptie­ ren und Regeln zu gestalten, die beide Aspekte würdigen.

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Anhang: Formale Darstellung des Plätzchenproblems Das Problem der besten Aufteilung ihrer Plätzchen, dem die zwei Kin­ der in Abschnitt 2 gegenüber stehen, lässt sich so formalisieren, dass sowohl das individuelle Entscheidungsproblem als auch der Konflikt um die gemeinsame Ressource gut zu erkennen sind. Die Funktionen, die ich für das Beispiel nutze, sind Herbert Gintis’ „Game Theory Evolving“39 entnommen – dort unter dem Titel „The Klingons and the Snarks“. Die Kinder, hier i und j genannt, ziehen beide Nutzen aus der Men­ ge an Plätzchen, die sie jeden Nachmittag essen können, ri bzw. rj, so­ wie der gesamten Menge an Plätzchen, die sie zu sich nehmen, qi bzw. qj. Zur Vereinfachung wird unterstellt, dass die Kinder eine einmalige Entscheidung darüber treffen, wie viele Plätzchen sie an jedem Nach­ mittag essen wollen, und dies nicht revidieren können. Obwohl das Modell also Verhalten über einen längeren Zeitraum beschreibt, ist nur ein einziges Mal eine Entscheidung zu treffen. Diese Annahme vereinfacht die Analyse, verändert aber die Grundstruktur der Situ­ ation nicht. Insgesamt stehen 1.000 Plätzchen zur Verfügung (diese Entscheidung liegt nicht in der Hand der Kinder, sondern hängt an der Entscheidung der Tante, wie viele Plätzchen sie mitbringt). Damit ist die Gesamtmenge an Plätzchen, die ein Kind essen kann, keine frei wählbare Menge, sondern abhängig von der Entscheidung der beiden über ihren nachmittäglichen Konsum, d. h. = qi 1000ri

und = q j 1000rj

(r + r ) i

j

( r + r ). i

j

Das Interesse beider Kinder an der Gesamtmenge an Plätzchen wie am nachmittäglichen Konsum lässt sich durch eine sogenannte Nut­ zenfunktion ausdrücken. Der Nutzen jedes Kindes, u (für utility) genannt, ändert sich mit jeder Kombination von Gesamtmenge und Nachmittagskonsum. Wie stark diese Änderung ausfällt, wenn etwa die Gesamtmenge steigt, hängt von den persönlichen Präferenzen des Kindes ab und wird durch eine bestimmte Form der Nutzenfunktion

39 H. Gintis, Game Theory Evolving: A Problem Centered Introduction to Modeling Strategic Interaction, Princeton 2009, S. 87.

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ausgedrückt. Für das hier gewählte Beispiel seien die Präferenzen bei­ der Kinder als gleich in folgender Form angenommen:

ui (qi , ri ) =4qi + 50ri − ri 2 bzw.

u j (q j , rj ) =4q j + 50rj − rj2 . Diese Funktion bildet ab, dass zusätzlicher Plätzchenkonsum am Nach­ mittag das Wohlbefinden einerseits steigert, aber gleichzeitig auch – und durch die quadratische Form in steigender Weise – das Risiko er­ höht, Bauchweh zu bekommen. Beide Funktionen sind neoklassisch insofern als (solange die tägliche Ration eine bestimmte Menge nicht übersteigt; diese sogenannte Sättigungsmenge liegt typischerweise au­ ßerhalb des erreichbaren Bereichs und hat daher keinen Einfluss auf die Entscheidung) mehr Konsum besser ist als weniger und jedes Kind eigeninteressiert ist. Der Konsum des anderen Kindes geht weder po­ sitiv noch negativ direkt in den eigenen Nutzen ein. Die zweite An­ nahme an den Homo Oeconomicus, dass er perfekt rational ist, geht über die Verhaltensplanung der Kinder in das Modell ein. Sie wägen in einem Optimierungskalkül Vor- und Nachteile ihres Verhaltens gegeneinander ab. Um die Wirkung der verschiedenen Teile der Nut­ zenfunktionen gegeneinander abwägen zu können, geht die Analyse in zwei Schritten vor. Sie unterstellt zunächst, dass es keinen Kon­ flikt zwischen den Kindern gibt (sie einigen sich auf eine gleichmäßige Aufteilung der Gesamtmenge an Plätzchen). Dann betrachtet sie die Konkurrenz um die Plätzchen, die durch das Interesse an der Gesamt­ menge ausgelöst wird. Schon ohne die Einbeziehung des anderen Kindes gibt es eine Ab­ wägung zwischen „heute essen“ und „warten“. Die Einbeziehung der Gesamtmenge in den Konsum drückt die Konkurrenzbeziehung zwi­ schen den Kindern aus. Denn über die Gesamtmenge wird erfasst, dass jedes Plätzchen, das Kind i isst, nicht mehr für Kind j zur Verfügung steht und umgekehrt. Da die jeweiligen Gesamtmengen an Plätzchen von den Konsumra­ ten abhängen, kann die Plätzchenaufteilung zwischen den beiden Kin­ dern als Spiel modelliert werden, in welchem jedes Kind unabhängig vom anderen (aber unter Berücksichtigung seiner Erwartung über die Entscheidung des anderen) seinen nachmittäglichen Plätzchenkon­ sum, ri bzw. rj, wählt. Daraus resultieren gleichzeitig die beiden Ge­

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samtmengen, qi bzw. qj, sowie der Nutzen, den jedes Kind aus dem Konsum erfährt. Um zu vergleichen, wie sich kooperatives und eigennutzorientier­ tes Verhalten unterscheiden, betrachten wir zunächst eine Situation, die von der Konkurrenz um die Ressource befreit wurde. Es sei dazu unterstellt, dass die Kinder sich darauf einigen können, immer die glei­ che Menge an Plätzchen zu konsumieren. Damit wird am Ende jedes Kind 500 der insgesamt 1.000 Plätzchen essen können. Zu entscheiden ist nun, welche Tagesportionen die Kinder wählen. Das Entscheidungsproblem für Kind i (Kind j stellt analoge Über­ legungen an) lautet damit: max ri

4 500 + 50ri − ri 2 . ui =⋅

Gesucht ist die Tagesportion ri, die den Nutzen des Kindes maximiert. Um diese zu finden, betrachten wir die sogenannte Bedingung erster Ordnung.40 Das ist die Portion ri, für die die erste Ableitung der Nut­ zenfunktion des Kindes gerade Null ist: 50 − 2ri = 0 ⇔

25. ri =

Ohne Konkurrenz würde jedes Kind 25 Plätzchen am Nachmittag es­ sen und damit seinen Nutzenzuwachs aus einem nächsten Plätzchen und dem Verlust durch die Gefahr, durch dieses nächste Plätzchen Bauchweh auszulösen, ausgleichen. Die Plätzchendose reicht für 20 Tage und jedes Kind hat einen Nutzenwert von 2.625. Dieser Wert hat an sich keine Bedeutung, er dient lediglich als Referenzpunkt für die weiteren Betrachtungen. Um das optimale Verhalten beider Kinder im ursprünglichen Pro­ blem (mit Konkurrenz um die Ressource) zu ermitteln, sind erneut die Bedingungen erster Ordnung für die beiden Nutzenmaximierungs­ probleme zu betrachten. Das Problem für Kind i lautet nunmehr: r max ui = 4 ⋅1000 i + 50ri − ri 2 . ri ri + rj

40 ������������������������������������������������������������������������������ Um zu ermitteln, ob das Kind tatsächlich ein Maximum seiner Nutzenfunktion be­ rechnet, ist zusätzlich die Bedingung zweiter Ordnung zu prüfen. Darauf sei hier verzichtet. Da die betrachtete Nutzenfunktion konkav ist und klassische Regulari­ tätsbedingungen erfüllt, ist die Bedingung zweiter Ordnung erfüllt.

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Die Bedingung erster Ordnung für Kind i lautet 4000

rj (ri + rj ) 2

0 + 50 − 2ri =

(für Kind j gilt eine analoge Bedingung). In der Bedingung erster Ordnung für Kind i ist die Entscheidung von Kind j enthalten, was den interaktiven Charakter der Situation ausmacht. Um sein bestmögliches Verhalten zu wählen, muss Kind i damit Erwartungen über das Verhalten von Kind j bilden. Da Kind j eine analoge Bedingung erster Ordnung hat und seinerseits Erwartun­ gen über das Verhalten von Kind i bilden wird, ist die Lösung dieses Problems ein sogenanntes Nash Gleichgewicht. In diesem bestätigen sich die Erwartungen der Kinder gegenseitig, sodass kein Kind einen Grund hat, von dem geplanten Verhalten abzuweichen, solange das andere Kind bei seinen Planungen bleibt. Hier ist es nun notwendig, beide Bedingungen erster Ordnung gleichzeitig zu betrachten, um eine Lösung für das System von Gleichungen zu finden. Beide Bedingungen können wie folgt umgeformt werden: r − 25 2000 für Kind i , = i (ri + rj ) 2 rj rj − 25 2000 = für Kind j. 2 (ri + rj ) ri

Da die linken Seiten beider Gleichungen gleich sind, müssen auch die rechten Seiten gleich sein; damit müssen Lösungen des Systems die Bedingung rj ri

=

ri − 25 rj − 25

erfüllen. Diese Gleichung kann nur erfüllt sein, wenn rj=ri oder ri+rj=25 gilt. Die Bedingung ri+rj=25 führt allerdings nicht zu einer Lösung des Systems, wie durch Einsetzen in die Bedingungen erster Ordnung bei­ der Kinder zu zeigen ist. Die Forderung, dass diese gleich Null zu sein habe, ist nicht für beide zu erfüllen, wenn die Summe der Portionen 25 ist. Damit ist also zu überprüfen, ob die Bedingung rj=ri zu einer Lö­ sung des Problems führt. Mit dieser Bedingung lautet die Bedingung erster Ordnung für Kind i

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Evelyn Korn 4000 ⇔

ri 0 + 50 − 2ri = (2ri ) 2

1000 + 50ri − 2ri 2 = 0.

Diese quadratische Gleichung hat zwei Lösungen, von denen nur eine positiv ist: ri=38,12. Weil beide Kinder die gleiche Portionsgröße wäh­ len, gilt auch rj=38,12. Pro Tag essen die Kinder etwas mehr als 76 Plätzchen. Die Plätzchendose ist nunmehr also nach 13 Tagen statt nach 20 Tagen leer. Der Nutzen jedes Kindes ist nun 2.452,87 und da­ mit kleiner als im gemeinsamen Optimum. Bemerkenswert an diesem Ergebnis ist, dass wie unter der Annahme der Kooperation jedes Kind in der Summe 500 Plätzchen isst. Die Kon­ kurrenzsituation hat im Ergebnis nicht dazu geführt, dass tatsächlich eines der Kinder einen Vorteil über das andere hätte erlangen können. Das Ergebnis der Konkurrenz – schnellerer Verzehr der Ressource – wird damit nicht dadurch verursacht, dass eines der Kinder im Ergeb­ nis mehr Plätzchen bekäme, sondern dass sich beide Kinder in ihrer Erwartung darauf einstellen müssen, dass das andere Kind mehr essen könnte. Die Bedingung erster Ordnung lässt sich zu einer sogenannten besten Antwort umformen. Diese Beste-Antwort-Funktion würde bei­ den Kindern empfehlen, mehr als 25 Plätzchen pro Tag zu konsumie­ ren, wenn das andere Kind sich an das gemeinsame Optimum von 25 Plätzchen hält – um so einen möglichen Vorteil für sich zu realisieren. Weil beide Kinder um diesen Anreiz wissen, entscheiden sie sich zu einem erhöhten Plätzchenkonsum. Dieses Problem kann nur durch ein Regelsystem behoben werden, das beiden eine Bindung an den gemeinsam optimalen Konsum von 25 Plätzchen pro Tag ermöglicht.

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IV. Entwürfe christlicher Anthropologie in der Spätantike‘

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Gedanken über das Wesen des Menschen, seine Natur, seine im Unterschied etwa zu Tieren spezifischen Fähigkeiten sowie seine Stellung und Bestimmung im Gefüge der Welt finden sich wahrscheinlich im theologischen Schrifttum fast aller Religionsgemeinschaften.1 Insbesondere bei Religionen, die auf heiligen Schriften basieren, überrascht es nicht, dass die dort geäußerten Gedanken einerseits im liturgischen Rahmen erklärt und ausgedeutet, andererseits in exegetischen Werken interpretiert, zueinander in Beziehung gesetzt und weitergedacht werden. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die frühchristliche Literatur, die in einem historischen Umfeld entstand, das bereits über eine Fülle detaillierter und plausibler Entwürfe vom Menschen verfügte. Insbesondere griechischsprachige christliche Autoren haben hierbei philosophische und medizinische Gesichtspunkte der paganen Bildungstradition transformierend übernommen und in ihre eigenen 1

Vgl. etwa zum Judentum: S. Ben-Chorin, Was ist der Mensch? Anthropologie des Judentums, Tübingen 1986; T. Hieke, „Staub vom Ackerboden oder Bild Gottes. Menschenbilder des Alten Testaments in spannungsvoller Beziehung“, in: Leben­ diges Zeugnis 53/1998, S. 245-261; B. Janowski, K. Liess (Hrsg.), Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie, Herders Biblische Studien, 59, Freiburg 2009; A. Wagner (Hrsg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie, Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 232, Göttingen 2009; C. Frevel (Hrsg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament, Quaestiones disputatae, 237, Freiburg i. Br. 2010; A. Schellenberg, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen, Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, 101, Zürich 2011. Zum Islam: T. Asad, The Idea of an Anthropology of Islam, Center for Contemporary Arab Studies, Georgetown University, Occasional Paper Series, Washington D.C. 1986; A. Ahmed, Toward Islamic Anthropology. Definition, Dogma and Directions, Ann Arbor 1986; R. Tapper, „‚Islamic anthropology‘ and the ‚anthropology of Islam‘“, in: Anthropo­ logical Quarterly 68/1995, S. 185-193.

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anthropologischen Darlegungen integriert,2 was nicht nur in jüngerer Zeit zu großem Interesse u. a. der kulturwissenschaftlichen Forschung an diesen Werken geführt hat.3 Im vorliegenden Beitrag möchte ich jedoch einen anderen Schwerpunkt setzen: Zum einen soll nicht die griechische, sondern die lateinische christliche Literatur befragt werden; zum anderen sollen gerade nicht homiletische oder exegetische Werke in den Blick genommen werden, also Gattungen, die sich eher an innerchristliche Rezipientenkreise richten. Vielmehr möchte ich case studies dafür vorstellen, welche anthropologischen Diskurse in der Apologetik aufgegriffen werden, d. h. in Werken, welche den christlichen Glauben gegenüber seiner paganen Umwelt verteidigen sowie zugleich als logisch-kohärentes und damit akzeptables System präsentieren wollen.4 Insbesondere soll dargelegt werden, wie sich die jeweiligen Ausführungen in den Gesamtzusammenhang einordnen – ob also Anthropologie um ihrer selbst willen thematisiert wird oder ob sie primär als Teil eines größeren Argumentationszusammenhanges begegnet. Eine vollständige Darlegung der Anthropologie der jeweiligen Autoren kann in diesem 2

3

4

Hierin lässt sich ein illustratives Beispiel desjenigen Vorgehens sehen, das die Münsteraner Schule um Christian Gnilka in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Kirchenväter als Chrêsis bezeichnet. Grundlegend hierzu C. Gnilka, Der Begriff des „rechten Gebrauchs“, 2., erweiterte Auflage Basel u. a. 2012 sowie die in dieser Forschungstradition stehenden Einzeluntersuchungen der Reihe Chrêsis. Die Me­ thode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Kultur. Vgl. hierzu z. B. V. Boudon-Millot, B. Pouderon (Hrsg.), Les pères de l’Église face à la science médicale de leur temps, Paris 2005; B. Feichtinger (Hrsg.), Körper und Seele. Aspekte spätantiker Anthropologie, Beiträge zur Altertumskunde, 215, Leipzig 2006 sowie den Beitrag von Diego De Brasi in diesem Band. – Aus der Fülle von Überblicksdarstellungen zur christlichen Anthropologie im Allgemeinen sei beispielshalber verwiesen auf H. Merki, „Ebenbildlichkeit“, in: T. Klauser (Hrsg.), Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 4, Stuttgart 1959, Sp. 459-479; Chr. Markschies, „Innerer Mensch“, in: E. Dassmann (Hrsg.), Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 18, Stuttgart 1998, Sp. 266-312; G. Greshake, „Anthropologie B. II Systematisch-theologisch“, in: W. Kasper u. a. (Hrsg.), Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 1, Freiburg, Basel, Wien, Sonderausgabe 2009, Sp. 726-731 sowie W. Korff, „Anthropologie B. III Theologisch-ethisch“, in: W. Kasper u. a. (Hrsg.), Lexi­ kon für Theologie und Kirche, Bd. 1, Freiburg, Basel, Wien, Sonderausgabe 2009, Sp. 731-734. Zur Apologetik als literarischem Genos vgl. etwa A. Wlosok, ,,Zur lateinischen Apo­ logetik der constantinischen Zeit (Arnobius, Lactantius, Firmicus Maternus)“, in: Gymnasium 96/1989, S. 133-148 sowie M. Fiedrowicz, Apologie im frühen Chris­ tentum. Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, 3., aktualisierte und erweiterte Auflage, Paderborn u. a. 2006, S. 13ff.

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Rahmen nicht geleistet werden;5 insbesondere der Themenkomplex „Tier und Mensch“ soll hier ausgespart bleiben, da ich darüber andernorts gehandelt habe.6

Minucius Felix An den Anfang gestellt sei die Schrift Octavius des Anwalts Minucius Felix, die in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts verfasst wurde.7 Der Autor schildert darin ein Streitgespräch zwischen dem Heiden Caecilius und dem Christen Octavius, in dem die beiden ihren jeweiligen religiösen Standpunkt klarzumachen und als überlegen zu erweisen suchen. Das Werk ist jedoch nicht dialogisch angelegt, sondern zwei ausführliche Reden sind einander gegenübergestellt, wobei die Rede zugunsten des Heidentums den Anfang macht und somit nach dem Prinzip der Deuterologia, also dem dispositorischen Grundsatz, dass die jeweils als zweite vorgetragene Ansicht obsiegt, schon von vorneherein als unterlegen eingeführt wird. Der Heide Caecilius trägt zunächst seine spezifische Sicht auf den Menschen vor, die denkbar pessimistisch anmutet:8 Im Bereich des 5

6 7

8

Hervorzuheben ist allerdings, dass ich den Begriff „Anthropologie“ nicht auf Fra­ gen nach dem Wesen der menschlichen Seele verenge, wie es H. Karpp, Probleme altchristlicher Anthropologie. Biblische Anthropologie und philosophische Psycho­ logie bei den Kirchenvätern des dritten Jahrhunderts, Beiträge zur Förderung christ­ licher Theologie, Bd. 44, 3. Heft, Gütersloh 1950 getan hat. J. Breuer, „Patristische Perspektiven des Verhältnisses zwischen Tier, Mensch und Gott“, in: J. Althoff, S. Föllinger, G. Wöhrle (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, 21, Trier 2011, S. 69-88. Über den Autor und sein Werk informieren u. a. B. Altaner, A. Stuiber, Patrolo­ gie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, 8., durchgesehene und erweiterte Auflage, Freiburg, Basel, Wien 1978, S. 146-148; H. Drobner, Lehrbuch der Patro­ logie, Freiburg i.Br. 1994, S. 131f.; M. Fiedrowicz (wie Anm. 4), S. 62ff. sowie B. Windau, „Minucius Felix“, in: S. Döpp, W. Geerlings (Hrsg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, 3., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Freiburg i.Br. 2002, S. 504f. Min. Fel. 5,2ff.: nullum negotium est patefacere omnia in rebus humanis dubia, incerta, suspensa magisque omnia verisimilia quam vera [...]. itaque indignandum omnibus, indolescendum est audere quosdam, et hoc studiorum rudes, litterarum profanos, expertes artium etiam sordidarum, certum aliquid de summa rerum ac maiestate decernere, de qua tot omnibus saeculis sectarum plurimarum usque ad­ huc ipsa philosophia deliberat. [...] beati satis satisque prudentes iure videamur, si secundum illud vetus sapientis oraculum nosmet ipsos familiarius noverimus.

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Menschen existiere kein sicheres Wissen – eine Behauptung, die stilistisch durch ein Trikolon weitgehend synonymer Begriffe (dubia, incer­ ta, suspensa) wirkungsvoll unterstrichen wird. Man könne nur plausible, aber keine wahren Aussagen treffen. Durch die allgemein gehaltene Formulierung in rebus humanis wird zunächst offengehalten, ob Caecilius meint, dass Menschen generell keine echte Erkenntnis erlangen können, oder ob er andeuten möchte, dass zwar in menschlichen Angelegenheiten keine wahren Aussagen getroffen werden können, aber z. B. in naturwissenschaftlichen Fragen. Im weiteren Verlauf wird jedoch klar, dass die erste, umfassendere, die Erkenntnisfähigkeit des Menschen insgesamt betreffende Einschätzung intendiert war: Caecilius ereifert sich nämlich darüber, dass gerade großenteils ungebildete Menschen wie die Christen es sich anmaßten, etwas über das Wesen der Welt zu sagen, worüber doch unter den Philosophen, also den Exponenten intellektueller Einsicht, seit jeher Uneinigkeit herrsche. Sowohl die Gegenstände der Astronomie als auch die Verhältnisse unter der Erde seien dem Menschen so weit entzogen, dass sie nicht nur nicht wissbar seien, sondern dass man nicht einmal Mutmaßungen darüber anstellen dürfe. Vielmehr erscheine man dann klug, wenn man sich an den alten Ausspruch halte, wir sollten uns selbst besser kennenlernen, womit auf das berühmte γνῶθι σαυτὸν am Tempel des delphischen Apollon verwiesen ist. Eine solche Selbstbetrachtung, könnte man die Argumentation des Caecilius extrapolieren, führe nämlich dazu, dass der Mensch sich seiner Begrenztheit und seiner kategorialen Unterlegenheit gegenüber den Götter bewusst wird, insofern er sterblich und eben auch nur in begrenztem Maße einsichtsfähig ist. Dazu passt, dass kurz darauf auch ausdrücklich die „Grenzen unserer Niedrigkeit“ (humilitatis nostrae termini) angesprochen werden. Caecilius entwirft hier ein Menschenbild, dessen zwangsläufige Konsequenz eine agnostische Haltung sein muss: Wer intellektuell nicht fähig zur Erkenntnis ist, hat die maximale Leistung dann erbracht, wenn er sich eines Urteils enthält. Gleichzeitig gibt ihm diese Position die Gelegenheit zur Polemik gegen den christlichen Anspruch, etwas Wahres über die Natur der Welt zu wissen.

sed quatenus indulgentes insano atque inepto labori ultra humilitatis nostrae terminos evagamur [...]. [zitiert nach (unter Anpassung der Interpunktion sowie der Schreibung von u und v): M. Minuci Felicis Octavius, ed. B. Kytzler, Leipzig 1982].

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Ebenfalls wenig schmeichelhaft, doch mit etwas anderer Zielrichtung ausgesprochen, ist eine weitere Aussage des paganen Diskutanten: Der Mensch und überhaupt jedes Lebewesen sei eine quasi beliebige Zusammenballung von Elementen, in die dann auch der Mensch ebenso wie jedes Lebewesen wieder zerfalle – ein Konzept, bei dessen Vortrag Caecilius selbst das Bild des Rückflusses zur Quelle und eines Kreislaufs heranzieht.9 In dieser im Grunde materialistisch-epikure­ ischen Sicht hat der Mensch zwar keine Sonderstellung mehr gegenüber den Tieren inne; aber er ist auch aller Ängste vor dem Jenseits enthoben, wodurch die Heilsversprechen des Christentums irrelevant werden. Ganz anders stellt sich die Argumentationsführung des Christen Octavius dar, die in Kapitel 16 beginnt:10 Es gebe durchaus Menschen, die in ihrer Meinung ständig schwankten. Dies sei aber darauf zurückzuführen, dass ihnen ein verlässliches Urteil über das Wahre (veri stabile iudicium) fehle, und stelle somit – so ist zu ergänzen – keinen genuin menschlichen Wesenszug dar. Denn alle Menschen seien – unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht und ihrer gesellschaftlichen Position – geschaffen worden als Wesen, die zur Einsicht fähig seien und sich ihrer auch mühelos bedienen könnten. Octavius versteigt sich aber zu einer noch kühneren These, indem er das Substantiv sensus im unmittelbaren Anschluss durch das Wort sapientia ersetzt: Menschen hätten nicht etwa eher zufällig Weisheit erlangt, sondern sie sei ihnen von Natur aus eingepflanzt. Dadurch wird der ursprüngliche Vorwurf des Caecilius abgewehrt, die Christen hätten aufgrund ihres niedrigen sozialen Ranges und ihrer geringen Bildung gar kein Recht, über metaphysische Themen zu sprechen. Zugleich hat die Ansicht von der angeborenen sapientia ebenso tadelnden wie protreptischen Charakter: Wer trotz der prinzipiellen Möglichkeit noch nicht zur Erkenntnis gelangt ist, hat seine wahre Natur noch gar nicht voll entfaltet; andererseits scheint es aber auch jedem beliebigen Menschen – und somit eben auch Caecilius – möglich zu sein, diesen Zustand zu erreichen.

9 Min. Fel. 5,8: homo et animal omne, quod nascitur, inspiratur, attollitur, elemen­ torum ut voluntaria concretio est, in quae rursum homo et animal omne dividitur, solvitur, dissipatur, ita in fontem refluunt et in semet omnia revolvuntur [...]. 10 Min. Fel. 16,3ff.: cui non est veri stabile iudicium, prout infida suspicio spargitur, ita eius dubia opinio dissipatur. [...] meus frater [...] sciat omnes homines, sine dilectu aetatis, sexus, dignitatis, rationis et sensus capaces et habiles procreatos nec fortuna nanctos, sed natura insitos esse sapientiam [...].

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Auch der Punkt, der Mensch solle sich selbst besser kennenlernen, wird von Octavius aufgegriffen, allerdings in einer neuen Formulierung:11 Nach Octavius soll sich der Mensch darum bemühen, zu erkennen, was er sei, woher er sei und warum er sei. Dies erscheint nun nicht mehr als impliziter Aufruf zur Demut, wie er bei Caecilius herausklang, sondern als echte Aufforderung, sich über die Stellung des Menschen im Kosmos klar zu werden. Dass die Anthropologie sogar aufs Engste mit der Theologie verknüpft ist, wird nun im Folgenden behauptet, indem Octavius formuliert, man könne das Wesen des Menschen nicht erkennen, wenn man nicht zuvor das Wesen des Göttlichen (divinitatis ratio) erkannt habe. Die entscheidenden Instrumente, die uns – im Gegensatz zu den Tieren – hierfür zur Verfügung stünden, seien Sprache und Verstand, mit denen wir Gott zugleich erkennen, fühlen und nachahmen könnten. Dieser Erkenntnisakt sei sogar gewissermaßen obligatorisch, da sich den Sinnesorganen die himmlische Pracht gleichsam aufdränge. Durch den Hinweis auf unter anderem eben diese Pracht ist der Weg zu einem neuen Argument gewiesen, das eine Verbindung von Theologie und Anthropologie ermöglicht: In Kapitel 17 kommt Octavius auf die Schönheit des menschlichen Körpers zu sprechen,12 die bezeuge, dass der Mensch eben kein Produkt zufälliger Atomkonglomerationen sei, sondern ein Kunstwerk Gottes. Diese Schönheit drücke sich insbesondere in der Funktionalität des menschlichen Körpers aus, an dem jeder Teil einen bestimmten Zweck erfülle und zugleich der Zierde diene, ein Gedanke, der später bei Lactanz leitmotivisch aufgegriffen werden sollte. Zugleich sei es besonders bemerkenswert, dass alle Menschen zwar eigentlich die gleiche Gestalt hätten, dass aber doch jedes Individuum charakteristische Einzelzüge trage. Deutlich erkennbar ist also die Absicht, mittels einer positiven Charakterisierung

11 Min. Fel. 17,1f.: nec recuso, quod Caecilius adserere inter praecipua conisus est, hominem nosse se et circumspicere debere, quid sit, unde sit, quare sit [...]. [...] nisi divinitatis rationem diligenter excusseris, nescias humanitatis [...]. [...] sermo et ratio, per quae deum adgnoscimus, sentimus, imitamur, ignorare nec fas nec licet ingerentem sese oculis et sensibus nostris caelestem claritatem [...]. 12 Min. Fel. 17,11f.: ipsa praecipue formae nostrae pulchritudo deum fatetur artificem: status rigidus, vultus erectus, oculi in summo velut in specula constituti et omnes ceteri sensus velut in arce compositi. longum est ire per singula. nihil in homine membrorum est, quod non et necessitatis causa sit et decoris, et, quod magis mirum est, eadem figura omnibus, sed quaedam unicuique lineamenta deflexa; sic et similes universi videmur et inter se singuli dissimiles invenimur.

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des menschlichen Leibes und seiner Funktionen dessen planvolles Geschaffen-Sein zu beweisen und dessen Schöpfer zu preisen. Nicht expliziert wird in diesem Kontext das Thema der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen, die für Christen angesichts von Genesis 1,2713 außer Frage steht, von paganen Rezipienten hingegen nicht unbedingt mitgedacht wird.14 Dennoch unterliegt die menschliche Erkenntnisfähigkeit gewissen Einschränkungen:15 Zwar hatte Octavius zuvor erläutert, dass der Mensch Gott erkennen und spüren könne; doch eine wirkliche Erkenntnis mittels der Sinnesorgane ist genauso unmöglich wie ein vollumfängliches Erfassen (conprehendi) oder ein gleichsam quantifizierendes Taxieren (aestimari). Gewissermaßen nähert sich Octavius hier doch wieder der zur Demut aufrufenden Einschätzung des Heiden Caecilius, indem er postuliert, man könne Gott aufgrund der menschlichen Begrenztheit nur dann in gebührender Weise einschätzen, wenn man ihn „uneinschätzbar“ nenne. In Verknüpfung mit den voraufgehenden Ausführungen über die Leistungsfähigkeit des Menschen und seiner Teile ergibt sich hieraus ein hohes Lob des christlichen Gottes: Selbst für ein so hochstehendes Wesen wie den Menschen bleibt Gott ungreifbar.16 Hier verdichtet sich also ein Geflecht anthropologischer Aussagen letztlich zu theologischer Enkomiastik. Eine erstaunlich geringe Rolle spielt bei Minucius Felix die menschliche Seele; doch auch das wenige, was man über sie erfährt,17 ordnet 13 Gn. 1,27: et creavit Deus hominem ad imaginem suam, ad imaginem Dei creavit illum, masculum et feminam creavit eos (Wortlaut nach Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, rec. R. Gryson, Stuttgart 52007.) 14 Erst in Kap. 32,1 wird die Ansicht, dass der Mensch, wenn man es recht bedenke, ein Abbild (simulacrum) Gottes sei, ohne nähere Erläuterung und als auch für Heiden akzeptable These vorgetragen (quod enim simulacrum deo fingam, cum, si recte existimes, sit dei homo ipse simulacrum?). 15 Min. Fel. 18,8: hic [sc. deus] non videri potest: visu clarior est, nec conprehendi pot­ est nec aestimari: sensibus maior est, infinitus, inmensus et soli sibi tantus, quantus est, notus. nobis vero ad intellectum pectus angustum est, et ideo sic eum digne aestimamus, dum inaestimabilem dicimus. 16 Eine Art Gegenentwurf dazu findet sich in 23,8: Dass die Vorstellungen über die paganen Götter falsch und erlogen seien, sei (zumindest für diejenigen, die genauer forschten,) offenkundig (his atque huiusmodi figmentis et mendaciis dulcioribus corrumpuntur ingenia puerorum et isdem fabulis inhaerentibus adusque summum aetatis robur adolescunt et in isdem opinionibus miseri consenescunt, cum sit veri­ tas obvia, sed requirentibus). 17 Min. Fel. 32,6: deum oculis carnalibus vis videre, cum ipsam animam tuam, qua vivificaris et loqueris, nec aspicere possis nec tenere?

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sich gut in die bislang beobachteten Tendenzen ein. In Kapitel 32 wird die Seele en passant als Quelle der Lebenskraft und der Sprache bezeichnet (qua vivificaris et loqueris) und in ein argumentum a minore eingefügt: Da der Mensch doch schon seine eigene Seele nicht erblicken oder halten könne, könne er erst recht nicht Gott mit körperlichen Augen (oculis carnalibus) sehen. Während die Seele im Menschen das Wertvollste und gleichzeitig am wenigsten Wahrnehmbare ist, gilt dies für Gott noch in weit höherem Ausmaß. Auch hier geht also anthropologische Deskription mit Theologie im eigentlichen Sinne, also mit „Reden über Gott“, einher, wobei nicht expliziert wird, ob die menschliche Seele nur durch das tertium comparationis „Unerfassbarkeit“ mit Gott verbunden gedacht wird oder sie ihm irgendwie wesensverwandt ist.

Arnobius von Sicca Nun möchte ich die Schrift adversus nationes in den Blick nehmen, die Arnobius von Sicca, ein im fortgeschrittenen Alter zum Christentum konvertierter Rhetoriklehrer aus Nordafrika, Anfang des vierten Jahrhunderts – vermutlich zur Zeit der diocletianischen Christenverfolgung – abgefasst hat.18 In den sieben Büchern seines Werkes, das in den literarischen Rahmen einer fiktionalen Gerichtsrede gestellt ist, nimmt er zunächst das Christentum gegen den Vorwurf in Schutz, es habe durch seine Verweigerung gegenüber dem paganen Kult die ganze Welt dem Zorn der Götter ausgeliefert; anschließend versucht er zu beweisen, dass vielmehr die traditionellen Kultpraktiken Roms für echte Gottheiten empörend sein müssen. Im Hinblick auf anthropologische Diskurse19 ist insbesondere das zweite Buch von Interesse. Nachdem etwa in Kapitel 6 die Abwertung weltlichen Spezialwissens (z. B. in den Bereichen Grammatik, Rhetorik und Jurisprudenz) mit dem Hinweis auf das bekannte Diktum abgeschlossen worden ist, die Weisheit des Menschen sei vor Gott 18 Zu ihm vgl. etwa B. Altaner, A. Stuiber (wie Anm. 7), S. 183-185, M. Fiedrowicz (wie Anm. 4), S. 74-76 sowie R. Jakobi, „Arnobius der Ältere (von Sicca)“, in: S. Döpp, W. Geerlings (wie Anm. 7), S. 62-64. 19 Eine Monographie zu Arnobius’ Seelenlehre und Menschenbild hat B. Amata, Pro­ blemi di antropologia arnobiana, Biblioteca di Scienze Religiose, 64, Rom 1984 vorgelegt.

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Dummheit,20 behauptet der Kirchenvater im Folgenden in Form einer rhetorischen Frage,21 wir Menschen könnten von uns selbst aus nichts wissen, wobei sich verhängnisvollerweise aber Blindheit und falscher Stolz in uns zusammenfänden, so dass wir uns in der fälschlichen Annahme, etwas zu wissen, geradezu aufblasen würden. In Form einer praeteritio lässt der Sprecher nun Themen der göttlichen Sphäre (di­ vina) und solche, die in „natürliche Dunkelheit“ getaucht seien, außer Acht und konzentriert sich auf die Fragen, was der Mensch sei, woher er stamme und zu welchem Zweck er hervorgebracht worden sei, also auf genau diejenigen Fragen, deren Klärung Minucius Felix zur zentralen menschlichen Agenda erklärt hatte. Nachdem noch weitere schwierige, jedoch unbeantwortbare Fragen von großer Wichtigkeit benannt worden sind, u. a. die Rolle einer göttlichen Macht bei der Schöpfung und körperlichen Gestaltung des Menschen sowie die Theodizee, geht der Fokus über auf Sachverhalte, die vor unser aller Augen liegen, jedoch ebenfalls nicht erklärt werden könnten: Warum schläft der Mensch ein und wie funktionieren Träume? Wohnen den Dingen selbst diejenigen Eigenschaften inne, die bei uns Sinneswahrnehmungen auslösen, oder entstehen die Eigenschaften erst als Wahrnehmungen in unseren Sinnesorganen? Warum werden Haare grau, und warum geschieht dies nicht auf einmal, sondern in einem länger währenden Prozess? Interessanterweise werden also die engen Grenzen des menschlichen Wissens gerade dadurch aufgezeigt, dass auf naheliegende Fragen zur Funktion des menschlichen Körpers keine plausiblen Antworten

20 Arnob. nat. 2,6: numquam illud vulgatum perstrinxit aures vestras, sapientiam hominis stultitiam esse apud deum primum? [zitiert nach (unter Anpassung der Interpunktion sowie der Schreibung von u und v): Arnobii adversus nationes libri VII, rec. A. Reifferscheid, New York, London 1969 (Nachdruck der Ausgabe Wien 1875), CSEL 4]. 21 Arnob. nat. 2,7: quid enim, si verum perspiciam, […] scire per nos possumus, quos ita caecos et superbos nescio quae res protulit et concinnavit invidia, ut, cum nihil sciamus, omnino fallamus nos tamen et in opinionem scientiae sub inflati pecto­ ris tumore tollamur. ut enim divina praeteream et naturali obscuritate res mersas, potest quisquam explicare mortalium id, quod Socrates ille conprehendere nequit in Phaedro, homo quid sit aut unde sit, [...] in quos usus prolatus sit, cuius sit excogi­ tatus ingenio, quid in mundo faciat [...]? potest, inquam, scire in medio haec posita atque in sensibus constituta communibus, quibus causis mergamur in somnos, qui­ bus evigilemus, quibus modis fiant insomnia, [...] utrum sapor in rebus sit an palati contagionibus fiat; quibus ex causis pili nigrorem ingenitum ponant neque omnes pariter sed paulatim adiciendo canescant [...]?

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gegeben werden können; eben durch den Verweis auf die medizinischanthropologische Unkenntnis wird ein zentraler anthropologischer Wesenszug herausgestellt. Betrachtet man nun den größeren Argumentationszusammenhang, so wird deutlich, dass der Erweis weitgehender menschlicher Unkenntnis ein wichtiges Etappenziel ist: Im größeren Rahmen soll nämlich gezeigt werden, dass auch die Ansichten der Philosophen letztlich nur Meinungen, aber kein bewiesenes Wissen darstellen. Deshalb solle den Christen, deren religiöse Lehre von Außenstehenden ebenfalls als bloße Meinung empfunden wird, das gleiche Recht zugestanden werden; der Erweis der These, dass Menschen generell nur glauben, aber eben nicht wissen können, dient also der Legitimation der christlichen Religion. Doch findet sich in adversus nationes auch ein ethisch höchst fragwürdiges, aber sehr interessantes Menschenexperiment, das in Kapitel 20 des zweiten Buches begonnen wird:22 Der Sprecher evoziert die Vorstellung eines unterirdischen Ortes, an dem klimatisch gute Lebensbedingungen herrschen, in den jedoch keinerlei Laute hineindringen und auch kein direktes Sonnenlicht. An diesem Ort wird nun ein Baby geboren, pikanterweise eines, das von einem Platoniker oder Pythagoreer abstammt. Dieses Kind wird nun von einer Amme versorgt, die jedoch kein Wort mit ihm wechselt und ihm immer nur die gleiche Nahrung vorsetzt, so dass das Kind sodann ein Minimum an Sinneseindrücken empfangen kann. Am Anfang von Kapitel 22 wird nun expliziert, worauf das Experiment abzielt: auf die Überprüfung der These, die Seele sei göttlich, unsterblich und Trägerin a-priorischen Wissens. Im Folgenden wird dann anhand zahlreicher rhetorischer Fragen deutlich gemacht, dass ein solcher antiker Kaspar Hauser nach der Freilassung aus seinem Gefängnis sich natürlich nicht in der Welt zurechtfinden oder in der menschlichen Gesellschaft Fuß fassen, ja nicht einmal sich verständlich artikulieren könnte.23 Seinen 22 Vgl. hierzu z. B. G. Gierlich, Arnobius von Sicca. Kommentar zu den ersten beiden Büchern seines Werkes „Adversus Nationes“, Diss. Mainz 1985, S. 233ff. Einen diachronen, auch Arnobius berücksichtigenden Überblick über Höhlengleichnisse von der Antike bis ins byzantinische Mittelalter inkl. ihrer Rezeption bietet W. Blum, Höhlengleichnisse. Thema mit Variation, Aisthesis Essay, 22, Bielefeld 2004. 23 Die moderne Linguistik hingegen differenziert zwischen einzelsprachlicher Aus­ drucksfähigkeit, die durch „kommunikativen Input“ erworben werden muss, und angeborener allgemeiner Sprach(erwerbs)fähigkeit, die sich aus der Existenz einer „Universalgrammatik“ erklären lässt. Zu diesem Konzept, dessen bekanntester Ver­ treter Noam Chomsky sein dürfte, vgl. etwa G. Fanselow, S. Felix, Sprachtheorie.

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Abschluss findet das Experiment in einer polemischen Apostrophe an Platon selbst, dem die vermeintliche Schwäche seiner Lehre von der Anamnesis, also dem Lernen als Erinnerung der Seele an ihr eigentlich aus der Ideenwelt bekannte Sachverhalte, vorgehalten wird. Richtige Aussagen aber, so Arnobius, rührten nicht aus naturgegebenem Wissen um die Dinge, sondern erst aus ihrer Erkenntnis her.24 Insgesamt ergibt sich eine plausible Gedankenabfolge: Aufgrund der begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit kann es eigentlich kein echtes Wissen geben, weshalb die christlichen Anschauungen genauso toleriert werden müssen wie pagane Philosopheme. Da Jesus Christus aber im Rahmen des Heilsgeschehens die wahren Zusammenhänge offenbart hat, hatten die Christen die Gelegenheit zur Erkenntnis und sind jetzt zu wahrem Wissen gelangt. Agnostizismus und Zurückhaltung des Urteils waren also aus der rein menschlichen Perspektive sinnvoll, sind nunmehr aber durch die Intervention Christi obsolet geworden.25 Interessant ist auch die von Arnobius vorgetragene Ansicht über die menschliche Seele, die seiner Meinung nach zumindest per se nicht unsterblich ist.26 Zunächst sieht sich der Kirchenvater vor ein Dilemma Eine Einführung in die Generative Grammatik, Bd. 2: Die Rektions- und Bindungs­ theorie, Tübingen 1987, S. 10ff. Für eine solche Unterscheidung wäre aber in Arno­ bius’ Gedankengang aus argumentationstaktischen Gründen ohnehin kein Platz. – Zur Geschichte derartiger „Spracherwerbsexperimente“ vgl. z. B. R. Campbell, R. Grieves, „Royal investigations of the origin of language“, in: Historiographia Linguistica 9/1982, S. 43-74. 24 Arnob. nat. 2,24: quid in Menone, o Plato, quaedam rationibus numeri admota ex puerculo sciscitaris et ex eius niteris responsionibus comprobare, quae discamus, non discere, sed in eorum memoriam, quae antiquitus noveramus, redire? qui si tibi vere respondet – non enim nos convenit fidem rebus abiudicare, quas dicis –, non rerum scientia, sed intellegentia ducitur [...]. 25 Auch bei Minucius Felix findet sich die Anschauung, dass die Wahrheit über das Göttliche erst jetzt reif geworden sei (38,7): quid ingrati sumus, quid nobis invide­ mur, si veritas divinitatis nostri temporis aetate maturuit? fruamur bono nostro et recti sententiam temperemus […]. 26 Arnob. nat. 2,30f.: quis erit tam brutus et rerum consequentias nesciens, qui ani­ mis incorruptibilibus credat aut tenebras Tartareas posse aliquid nocere aut igneos fluvios [...] aut rotarum volubilium circumactus? [...] ista persuasio non tantum est incitatrix ad vitia libertate ex ipsa peccandi [...]. nam si verum est animas nullius esse participes finis [...], quid periculi res habet contemptis praetermissisque virtuti­ bus, quibus est contractior atque horridior vita, voluptatibus se dare [...]? [...] rursus vero si animae leti adeunt ianuas, Epicuri ut sententia definitur, nec sic causa est conpetens, cur expeti philosophia debeat, [...] non tantum est erroris maximi, verum stolidae caecitatis frenare ingenitos adpetitus, cohibere in angustiis vitam [...], cum nulla te praemia tanti laboris expectent, cum dies mortis advenerit [...]. medietas

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gestellt: Wenn die Seele unsterblich wäre, dann wäre dies eine Einladung für alle Menschen, ab sofort alle moralischen Maßstäbe über Bord zu werfen und nur noch den eigenen lasterhaften Interessen zu folgen. Denn sollte die Seele unsterblich sein, bräuchte man vor sämtlichen Qualen der Unterwelt, die in Anspielungen auf große Sünder der Mythologie anklingen, keine Angst mehr zu haben. Was nämlich unsterblich sei, sei auch unzerstörbar und könne keinen Schaden nehmen. Nebenbei wird mithin deutlich, dass Arnobius ein in diesem Aspekt negatives Menschenbild hat, insofern er moralisch gutes Handeln nur als Konsequenz der Furcht vor Strafe sieht. Wenn aber die Seele doch sterblich wäre, so der Kirchenvater weiter, dann gäbe es genausowenig einen Grund, sich im Leben zu zügeln, da man ja im Jenseits weder bestraft noch belohnt werden könnte. Die Seele müsse demnach eine Art mittlere Qualität (medietas quaedam) besitzen, also zunächst weder unsterblich noch sterblich sein, sondern sich erst durch ihre Lebensführung eines der beiden Attribute als Lohn bzw. Bestrafung erwerben. Seltsam mutet hierbei an, dass aus einem drohenden moralischen Dilemma eine Aussage über die Natur der menschlichen Seele abgeleitet wird, dass also letztlich andere anthropologische Thesen allein dadurch als falsifiziert dargestellt werden, dass sie moralisch bedenkliche Konsequenzen mit sich brächten. Allerdings passt die verfochtene Position wiederum gut in den allgemeinen argumentativen Duktus des Textes: Nur durch den christlichen Gott kann echte Erlösung erlangt werden. Sollte die Behauptung der Gegner aber doch zutreffen, dass alle Seelen unsterblich seien, so wird in Kapitel 36 nachgeschoben, dann herrsche dieser Zustand nicht von Natur aus, sondern nur durch den Willen und das Geschenk Gottes.27

ergo quaedam et animarum anceps ambiguaque natura locum philosophiae peperit et causam, cur appeteretur, invenit [...]. – Zu diesem Themenkomplex vgl. z. B. A. Röhricht, Die Seelenlehre des Arnobius nach ihren Quellen und ihrer Entstehung untersucht. Ein Beitrag zum Verständnis der späteren Apologetik der alten Kirche, Hamburg 1893 und H. Karpp (wie Anm. 5), S. 171ff. 27 Arnob. nat. 2,36: sed immortales perhibentur dii esse. non ergo natura, sed volunta­ te dei patris ac munere. quo igitur pacto immortalitatis largitus est donum deis die certa prolatis, et animas hoc pacto dignabitur immortalitate donare, quamvis eas mors saeva posse videatur extinguere et ad nihilum redactas inremeabili abolitione delere.

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Lactanz Nunmehr soll ein Werk vorgestellt werden, das sich in seiner Anlage deutlich von den beiden ersten unterscheidet: In der 303/304 abgefassten Schrift de opificio dei28 nimmt der Kirchenvater Lactanz29 gegenüber seinem Adressaten Demetrianus, offensichtlich einem Christen, die Rolle eines Lehrers ein.30 Ausgangspunkt der Darlegungen ist die Auseinandersetzung mit dem epikureischen Philosophem, die Welt sei ohne Vorsehung entstanden und werde auch nicht von einer solchen gelenkt, sondern alles sei nur zufälligen Bewegungen von Atomen geschuldet.31 Ein Teilargument dieser These nämlich besteht in dem Hinweis darauf, dass der Mensch im Gegensatz zu den Tieren von der Natur nur mit einem unzureichenden Körper ausgestattet worden sei, dass der menschliche Leib mithin nur ein Zufallsprodukt, jedoch keine bewusste, zweckorientierte Schöpfung sei. Zwar ist für Lactanz der Körper nur ein vergängliches Gefäß, in dem der Geist, mit dem er den wahren Menschen identifiziert (animus, id est homo ipse verus), enthalten sei.32 Aber auch jener sei von Gott, 28 Bzgl. der mit der Bestimmung des Titels zusammenhängenden Probleme vgl. Lac­ tance, De opificio dei – La création de dieu, Texte établi, traduit et annoté par B. Bakhouche et S. Luciani, Turnhout 2009, S. 29. 29 Über den Autor und sein Œuvre informieren u. a. B. Altaner, A. Stuiber (wie Anm. 7), S. 185-188; H. Drobner (wie Anm. 7), S. 147-150; M. Fiedrowicz (wie Anm. 4), S. 84-88 sowie K. H. Schwarte, „Laktanz“, in: S. Döpp, W. Geerlings (wie Anm. 7), S. 443-445. Eine umfangreiche Studie zu Lactanzens Anthropologie liegt vor mit M. Perrin, L’homme antique et chrétien. L’anthropologie de Lactance – 250-325, Théologie historique, 59, Paris 1981. 30 Sehr anregend ist der Sammelband von B. Bakhouche, S. Luciani (Hrsg.), Le De opificio Dei. Regards croisés sur l’anthropologie de Lactance, Actes des Journées d’études organisées à Montpellier (24-25 novembre 2005), Saint-Étienne 2007, der die Schrift nicht nur in Beziehung zu Lactanzens Gesamtwerk und zur literarischen Tradition setzt, sondern auch ihre medizinischen Überlegungen geistesgeschichtlich verortet sowie ihre Rezeption thematisiert. 31 Lact. opif. 2,10: unde ego philosophorum, qui Epicurum secuntur, amentiam soleo mirari, qui naturae operam [v. l.: opera] reprehendunt, ut ostendant nulla provi­ dentia instructum esse ac regi mundum, sed originem rerum insecabilibus ac solidis corporibus adsignant, quorum fortuitis concursionibus universa nascantur et nata sint. [zitiert nach (unter Anpassung der Interpunktion sowie der Schreibung von u und v): Lactance, De opificio dei – La création de dieu (wie Anm. 28)]. 32 Lact. opif. 1,11: vas est enim quodammodo fictile, quo animus, id est homo ipse verus, continetur, et quidem non a Prometheo fictum, ut poetae locuntur, sed a summo illo rerum conditore atque artifice deo, cuius divinam providentiam perfectissimamque virtutem nec sensu comprehendere nec verbo enarrare possibile est. temptabo

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dem höchsten Schöpfer der Dinge und Künstler, geschaffen, dessen Vorsehung und vollendete virtus weder geistig erfasst noch verbalisiert werden könnten. Der Kirchenvater will daher, so gut er dies mit seinen kümmerlichen Fähigkeiten vermöge, die Funktion beider, des Körpers und des Geistes, beschreiben. Von Anfang an also ist bei ihm die anthropologische Beschreibung explizit in den Dienst der theologischen Argumentation gestellt. Zunächst befasst sich Lactanz nun mit dem Verstand (sensus atque ratio).33 Dieser sei ein Spezifikum des Menschen, das allen anderen Lebewesen fehle. Für die Sicherheit der Tiere sei zwar durch deren körperliche Merkmale gesorgt. Dies sei aber nur eine Art Notlösung, um sie trotz des Fehlens des Verstandes zu schützen. Schon hier wird also deutlich, dass der Verstand des Menschen etwaige partielle körperliche Vorteile einzelner Tierarten in der Sicht des Kirchenvaters mehr als aufwiegt. Die ratio verbindet den Menschen aber zusätzlich in ganz besonderer Weise mit seinem Schöpfer: Gott selbst ist nach Lactanz die ratio, und er hat, wie durch einen Finalsatz deutlich gemacht wird, dem Menschen den Verstand als Erkennungszeichen dafür gegeben, dass er von Gott geschaffen ist. Später wird jedoch deutlich, dass dieses Alleinstellungsmerkmal mit einer ganz besonderen Pflicht einhergeht: Der quasi-göttliche Verstand verleiht dem Menschen nicht nur die Herrschaft über die Tierwelt, sondern auch über seinen Leib.34 Hier wird also ein anthropologisches Faktum herangezogen, um eine normativethische Aussage zu treffen. Ein weiteres Element, das den Menschen mit Gott verbindet, ist sein Aussehen: Allein der Mensch habe eine aufrechte Haltung und ein Gesicht, das er mit Gott Vater teile bzw. das jenem sehr nahekomme.35 Da die physiologische Beschreibung der einzelnen Sinnesorgane, Eingeweide und Fortpflanzungsorgane in de opificio dei zwar sehr interessant ist, aber von Medizinhistorikern weit angemessener erörtert tamen, quoniam corporis et animi facta mentio est, utriusque rationem, quantum pusillitas intellegentiae meae pervidet, explicare. 33 Lact. opif. 2,1: dedit enim homini artifex ille noster ac parens deus sensum atque rationem, ut ex eo appareret nos ab eo esse generatos, quia ipse intellegentia, ipse sensus ac ratio est. 34 Lact. opif. 8,3: eius prope divina mens (quia non tantum animantium, quae sunt in terra, sed etiam sui corporis est sortita dominatum), in summo capite conlocata tamquam in arce sublimi, speculatur omnia et contuetur. 35 Lact. opif. 8,3: vultus deo patri communis ac proximus originem suam fictoremque testatur.

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werden könnte, sollen hier noch die Aussagen des Kirchenvaters über die Seele behandelt werden.36 Sie ist für Lactanz in einer nicht näher bestimmbaren Weise Gott ähnlich (apparet animam nescio quid esse deo simile, 17,4) und wird auch von ihm allein gebildet, anders als etwa der Leib, zu dem jeweils Vater und Mutter etwas beitragen. Die Seele ist immer durch sich selbst in Bewegung und kann weder gesehen noch ertastet werden, so dass sie unsterblich und ewig sein muss. Sie kommt gleich nach der Empfängnis in den Körper und steht schon irgendwie im Zusammenhang mit Blut, Wärme und Atem, ohne dass sie dadurch jedoch hinreichend definiert werden könnte. Trotz ihres geheimnisvollen Wesens verknüpft Lactanz sie aber dennoch mit einem konkreten Organ: Wie der Magen den Körper mit Nahrung versorge, so ernähre die Lunge als „Luftbehälter“ die Seele.37 Allerdings werden auch bei Lactanz die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit gerade anhand einer anthropologischen Frage deutlich: In Kapitel 14 erklärt er, alles, was mit der Bewegung bzw. Erregung des Geistes und der Seele zu tun habe, folge einem so unerkennbar dunklen und tiefsinnigen Prinzip, dass es jenseits des menschlichen Vermögens liege, diese Dinge klar zu durchschauen. Ebenso ist er sich sicher, dass etliche Organe lediglich dem Zweck dienten, die Seele im Körper zu halten; die genaue Aufgabe eines jeden Organs könne aber nur Gott als Schöpfer kennen.38 Schließlich thematisiert der Kirchenvater noch die Frage, ob Seele und Geist dasselbe seien, wobei er die anima als lebensspendendes Element anspricht (quo vivimus), den animus hingegen als Instrument des Wahrnehmens/Verstehens und Vernünftigseins bezeichnet (quo sen­ timus et sapimus). Schon ganz zu Anfang wird die Frage jedoch als unlösbar (inextricabilis) qualifiziert und daher auch nach Anführung zahlreicher Argumente für beide Ansichten nicht abschließend entschieden.39

36 Lact. opif. 17,1ff. – Zur Seelenlehre des Lactanz vgl. etwa H. Karpp (wie Anm. 5), S. 132ff. 37 Lact. opif. 11,5: quoniam ergo duo sunt in homine receptacula, unum aeris, quod alit animam, alterum ciborum, quod alit corpus [...]. 38 Lact. opif. 14,8f.: sed omnia, quae ad motus animi animaeque pertineant, tam obscurae altaeque rationis esse arbitror, ut supra hominem sit ea liquido pervidere. id tamen certum et indubitatum esse debet: tot res, tanta viscerum genera unum et idem habere officium, ut animam contineant in corpore. sed quid proprie singulis muneris sit iniunctum, quis scire nisi artifex potest, cui soli opus suum notum est? 39 Lact. opif. 18,1: sequitur alia et ipsa inextricabilis quaestio, idemne sit anima et animus an vero aliud sit illud, quo vivimus, aliud autem, quo sentimus et sapimus.

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Firmicus Maternus In eine ganz andere historische Situation ist schließlich das letzte Werk einzuordnen, das hier noch kurz vorgestellt werden soll: Die Schrift de errore profanarum religionum ist von dem Syrakusaner Firmicus Maternus um die Mitte des vierten Jahrhunderts veröffentlicht worden,40 also zu einer Zeit, da das Christentum durch das Mailänder Toleranzedikt schon offiziell als Religion akzeptiert war und als seine Inhalte bereits weite Verbreitung gefunden haben dürften. Der Autor fordert darin die beiden Kaiser Constantius und Constans explizit zur Sicherung des christlichen Glaubens und zur Niederwerfung des Heidentums auf.41 Bisweilen klingen auch in dieser Schrift anthropologische Themen an. So werden etwa bei der Widerlegung der These, die vier Elemente seien als Urstoff aller Dinge göttlicher Verehrung würdig, die Denkund die Sehkraft als Wege der menschlichen Wahrnehmung benannt, ohne dass diese näher erläutert oder ihre Grenzen erwähnt würden.42 In Kapitel 5 wird die Unsterblichkeit der Seele als allgemein bekanntes Faktum einer Diskussion als Ausgangsannahme zugrunde gelegt:43

40 Einen Überblick über den Autor und sein Werk bieten u. a. B. Altaner, A. Stuiber (wie Anm. 7), S. 360f.; M. Fiedrowicz (wie Anm. 4), S. 96-98 sowie H. Holthaus, „Firmicus Maternus“, in: S. Döpp, W. Geerlings (wie Anm. 7), S. 267f. 41 Firm. err. 20,7: vos nunc, Constanti et Constans, sacratissimi imperatores, et ve­ nerandae fidei vestrae imploranda virtus est. supra homines erigitur et a terrena fragilitate separatus caelestium se rerum societate coniungit, qui in omnibus actibus suis, prout potest, dei summi sequitur voluntatem. modicum superest, ut legibus vestris funditus prostratus diabolus iaceat, ut exstinctae idololatriae pereat funesta contagio. [...] erigite vexillum fidei: [...] sit faustum felixque rei publicae, quod inter acervos caesarum hostium prostravistis exercitum. [...] erigite tropaea victoriae et praeferatur ingens titulus triumphorum. profanarum rerum strage gaudentes exultate fortius, exultate fidenter. felicitas vestra cum dei virtute coniungitur: pro salute hominum Christo pugnante vicistis. [zitiert nach (unter Anpassung der Interpunktion sowie der Schreibung von u und v): Firmicus Maternus, L’erreur des religions païennes, Texte établi, traduit et commenté par R. Turcan, Paris 1982]. 42 Firm. err. 1,2: deum, qui singula [sc. elementa] suis locis ordinibusque constituens , quod aut mente aut cogitatione colligimus, aut certe quod oculis cerni­ mus [...]. 43 Firm. err. 5,4: si dividitur anima et substantia sua diverso efficaciae genere sepa­ ratur, dissoluto ordine suo incipit esse, quod fuerat. aliud enim mens est, aliud ira, aliud libido. animam ergo separatio ista dissolvit et patitur maximam ex ista parti­ tione iacturam nec integram sui speciem formamve custodit, quae per tres contra­

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Aufgrund eines Überlieferungsproblems44 ist nicht klar auszumachen, gegen wen Firmicus’ Kritik an einer Dreiteilung der Seele gerichtet ist. Deutlich ist aber, dass für ihn die Existenz dreier Seelenteile eine Dividierbarkeit mit sich brächte, deren inakzeptable Konsequenz wiederum die Sterblichkeit der menschlichen Seele wäre. Einen zusammenhängenden Abriss seines Menschenbildes gibt der Kirchenvater in Kapitel 25: Gott hat den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Durch die Frau und die Verlockungen des Teufels getäuscht, hat der Mensch die Würde des ihm versprochenen Ruhmes verloren. Christus hingegen hat die Unsterblichkeit gewonnen; er stellt das positive Gegenbild zu Adam dar. Das Wort Gottes hat sich mit einem Leib vermischt, um den Menschen zu retten, den Tod zu besiegen und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Körpers mit der göttlichen Unsterblichkeit zu verbinden. Dieser Entwurf vom Menschen und der condition humaine beschränkt sich offenkundig darauf, Elemente der biblischen Anthropologie zu referieren und in einen heilsgeschichtlichen Horizont einzuordnen, ohne Probleme zu thematisieren. Interessant ist jedoch die Einleitung, die diesen Ausführungen vorangestellt ist:45 Sie dienten dazu, das, was wahr sei, darzustellen und durch die Darlegung der göttlichen Ordnung die Makel des heidnischen Irrtums zu widerlegen. Nun scheint es also keine Notwendigkeit mehr zu geben, das christliche Menschenbild argumentativ zu verteidigen, sondern es fungiert zumindest in diesem Text als letztinstanzlicher Maßstab, an dem sich andere Entwürfe messen und ggf. widerlegen lassen müssen. Bemerkenswert ist ferner, dass Firmicus mehrfach auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen eingeht bzw. bestimmte Verhaltensweisen als typisch weiblich charakterisiert: In Kapitel 4 werden syrisch-phönizische Luftkulte kritisiert, wobei insbesondere die kosmetische und sexuelle Verweiblichung von Priestern als sicher nicht rias separata dividitur, et, ut verius dicam, fit ex ipsa divisione mortalis [...]. egregia erroris istius ac praeclara commenta! 44 Im Codex unicus fehlen zwischen den als 5,2 und 5,3 gezählten Textabschnitten zwei Blätter. 45 Firm. err. 24,9: in isto loco positi ordinem debemus sanctae dispositionis aperire, ut quicquit nobis investigantibus sanctum dei verbum prophetica tradidit disciplina ad refutandas profani erroris maculas specialiter explicetur [...]. commenti sunt, qui sacrilegia errantibus tradiderunt, sic a nobis ordo veritatis curiosius requiratur. suspensis itaque paululum ceteris ad haec explicanda, quae vera sunt, transferatur oratio.

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gott-gewollt eingestuft wird.46 Andernorts wiederum wird bei der Behandlung der eleusinischen Mysterien die Trauer der Demeter als „Folterqualen der weiblichen Unfähigkeit, Schmerz zu ertragen“ (muliebris impatientiae tormenta) bezeichnet.47 Schließlich wird in Kapitel 12 ein Katalog aufgeführt,48 aus dem sich ersehen lässt, welches menschliche Laster oder gar Verbrechen sich durch Verweis auf welche pagane Gottheit legitimieren lasse. So werden etwa Ehebruch und Vatermord mit Zeus verbunden, Brudermord mit den Korybanten. Durch die Kon­ textualisierung hiermit eindeutig als negativ ausgewiesen, werden auch homosexuelle Praktiken, die verklausuliert als „weibliche Dinge erleiden“ bezeichnet werden, und die Suche nach „Trost für einen verweiblichten Körper“, wofür man sich an Dionysos orientieren könne, genannt. Für Firmicus scheint also auch die Abgrenzung der Geschlechter und ihrer Verhaltensweisen voneinander ein wichtiger Teil der göttlichen Ordnung zu sein, deren Missachtung aufs Schärfste missbilligt wird. Fazit Bilanzierend lässt sich festhalten, dass in den betrachteten apologetischen Schriften des dritten und vierten Jahrhunderts vielfach Aussagen über das Wesen des Menschen und seine Stellung im Weltgefüge getroffen werden, wobei lediglich bei Firmicus Maternus eine Unterscheidung zwischen den Geschlechtern von Bedeutung erscheint.

46 Firm. err. 4,1f.: nam quia aer interiectus est inter mare et caelum, effeminatis eum sacerdotum vocibus prosecuntur. dic mihi: hoc numen est, quod in viro feminam quaerit, cui aliter servire sacerdotum suorum chorus non potest, nisi effeminent vultum, cutem poliant et virilem sexum ornatu muliebri dedecorent? videre est in ipsis templis cum publico gemitu miseranda ludibria, viros muliebria pati [...]. publicant facinora sua et contaminati corporis vitium cum maxima delectationis macula confitentur. exornant muliebriter nutritos crines [...]. 47 Firm. err. 7,4: sed nullo genere matris dolor vincitur nec muliebris impatientiae tormenta curantur, sed credens vere filiam prope Syracusas esse visam [...] ad Syra­ cusanae civitatis litus [...] pervenit. 48 Firm. err. 12,2ff.: adulterio delectatur aliquis: Iovem respicit et inde cupiditatis suae fomenta conquirit. [...] muliebria patitur aliquis et effeminato corpori solacium quaerit: videat Liberum amatori suo post mortem etiam promissae libidinis prae­ mia imitatione flagitiosi coitus repensantem. si qui monstruoso cupiditatis ardore in paternae necis armatur exitium, a Iove sumat exordium. qui fraternum desiderat sanguinem, Corybantum sequatur institutum [...].

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Zentrale Themen sind die menschliche Erkenntnisfähigkeit und ihre Grenzen, die menschliche Seele sowie das Verhältnis des Menschen in seiner Leiblichkeit zu seinem Schöpfer. Fast immer ließ sich zeigen, dass die vorgetragenen anthropologischen Ansichten Teile einer umfassenderen Argumentation darstellten: Bei Minucius Felix stellt der Christ Octavius das Suchen des Menschen nach seinem Wesen, Ursprung und Daseinszweck als unverzichtbar und sogar als mit der Suche nach dem Göttlichen zwangsläufig verknüpft dar, nachdem sein werkimmanenter Gegner auf die vermeintlichen Grenzen des Wissbaren hingewiesen und dadurch die christliche Lehre als anmaßend kritisiert hatte. Octavius legitimiert also die christliche Kosmologie, indem er aufzeigt, dass für den Menschen – um mit Kant zu sprechen – die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis gegeben sind, auch wenn er konzediert, dass Gott letztlich nur gespürt, aber nicht wirklich erkannt werden könne – worin sich wiederum ein enkomiastisches Element sehen lässt. Arnobius hingegen macht in polemischer Weise deutlich, wo die menschliche Erkenntnisfähigkeit an ihre Grenzen stößt: eben nicht nur bei metaphysischen Problemen, wie sich an den endlosen Kontroversen der Philosophen erkennen lasse, sondern auch schon bei naheliegenden Fragen der menschlichen Physiologie. Doch gerade dadurch, dass er der paganen Philosophie den Charakter echten Wissens abspricht und sie als eine Ansammlung bloßer Meinungen desavouiert, kann er für die christliche Lehre Toleranz im Sinne einer der Gerechtigkeit geschuldeten Gleichbehandlung fordern. Für Lactanz wiederum sind Geist und Verstand Alleinstellungsmerkmale des Menschen, die ihn direkt mit Gott verbinden, jedoch auch nicht ausreichen, um dessen Schaffen intellektuell völlig zu durchdringen. Firmicus Maternus benennt kurz Optionen menschlicher Wahrnehmung, thematisiert ihre Einschränkungen jedoch nicht. Bei ihm ist vielmehr das in enger Anlehnung an biblische Vorstellungen referierte Verständnis des Menschen als Gottes Schöpfung der Maßstab, anhand dessen andere anthropologische Konzepte verworfen werden – eine Haltung, die mit der neuen Stellung des Christentums im römischen Staat verknüpft sein dürfte. Der menschliche Körper insgesamt gilt Minucius Felix aufgrund seiner nützlichen Glieder als Ausweis göttlicher Vorsehung und Lactanz greift diesen Gedanken auf und verifiziert ihn durch eine detaillierte teleologische Beschreibung der einzelnen Körperteile und Organe. Der Seele schließlich widmen sich alle vier berücksichtigten

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Autoren: Minucius Felix nennt sie en passant Quelle der Lebenskraft und der Sprache; nach Arnobius hingegen verfügt sie über kein apriorisches Wissen und hat zunächst eine „mittlere“ Qualität, so dass erst durch die jeweilige Lebensführung eventuell ihre Unsterblichkeit verdient wird. Für Lactanz, der wesentliche „psychologische“ Fragen für unlösbar hält, ist sie ein irgendwie Gott ähnliches, lebenspendendes Element, das unsterblich und immateriell ist, das aber doch konkret mit der Lunge verbunden gedacht wird und dessen Erhalt im Körper mehrere Organe dienen. Firmicus Maternus schließlich ist ohne nähere Erläuterungen von der Unsterblichkeit der Seele so überzeugt, dass er daraus ein Argument gegen ihre vermeintliche Komposition aus drei Bestandteilen ableitet. Die untersuchten Texte präsentieren also keine neuen, eigenständigen Entwürfe vom Menschen und thematisieren seine Spezifika nicht um ihrer selbst willen. Dennoch lassen sie deutlich erkennen, dass auch anthropologische Argumente im Ringen um die Legitimierung und Etablierung der christlichen Religion im Rahmen der lateinischen Apologetik eine nicht nur marginale Rolle spielten.

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Eine Neubewertung des Körpers Anthropologie und Glauben in den Schriften zur menschlichen Natur des Nemesios von Emesa und Gregor von Nyssa*

Einleitung „Σοὶ μὲν δή, σάρξ, τοῖα, δυσαλθέϊ εὐμενέοντι

ἐχθρῷ καὶ πολέμῳ οὔποτε λυομένῳ, θηρὶ πικρὸν σαίνοντι, πυρὶ ψύχοντι, τὸ θαῦμα, θαῦμα μέγ’, εἴ ποτ’ ἐμοί γ’ ὕστατον εὐμενέοις.“

„Dir aber, Fleisch, ist dies alles gesagt worden, dir, der du schwer heilbar bist, dem wohlwollenden Feind und niemals endenden Krieg, dem Tier, das (mir) bitter schmeichelt, dem Feuer, das kühlt, wie erstaunlich! Ja, sehr erstaunlich wäre es, wenn du wirklich mir zu guter Letzt wohlgesonnen wärest.“1 Mit dieser Ansprache an die Körperlichkeit des Menschen beendet Gregor von Nazianz2 den ersten Teil seines Gedichtes De humana natura (c. 1,2,14, vv. 59-62): Sitzend in einem schattigen Hain – so die fiktive Situation – denkt Gregor über seine Identität nach, welche durch die Vergänglichkeit der menschlichen Natur gekennzeichnet ist (v. 17: τίς γενόμην, τίς δ’ εἰμί, τίς δ’ ἔσσομαι). Dabei beklagt er zuerst die leidvolle Existenz des Menschen, erkennt dann, dass dieser Zustand durch die menschliche Körperlichkeit erklärt werden muss, *

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In diesem Beitrag werden die folgenden Abkürzungen verwendet: HO = Gregorii Nysseni De hominis opificio, MPG 44, 125A-256C; DNH = Nemesii Emeseni De natura hominis, edidit M. Morani, Lipsiae 1987. Ich bin Frau Prof. Dr. Sabine Föllinger, Herrn Prof. Dr. Philip van der Eijk, Herrn Prof. Dr. Karlheinz Leven, Herrn Prof. Dr. Arbogast Schmitt und Frau Dr. Brigitte Kappl für ihre konstruktiven Kritiken und für ihre Anmerkungen sehr dankbar. Die Übersetzungen griechischer Texte stammen, wenn nicht anders angegeben, von mir. Übersetzung: K. Domiter, Gregor von Nazianz, De humana natura (c. 1,2,14): Text, Übersetzung, Kommentar von K. D., Patrologia – Beiträge zum Studium der Kirchenväter, 6, Frankfurt a. M. 1999. Einführend zu Gregor von Nazianz s. C. Moreschini, I Padri Cappadoci: storia, letteratura, teologia, Roma 2008, insb. S. 27-72 und 77-159 sowie H. R. Drobner, Lehrbuch der Patrologie, 2. Aufl., Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 300-305.

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und identifiziert schließlich den Sündenfall als Ursache dieser Situation. Jedoch zeigt diese an Oxymora reiche Passage eine zwiespältige Stellung gegenüber dem Körper: „Der Sinn dieser Verse ist unzweifelhaft: Der Leib ist dem Menschen sowohl nützlich als auch schädlich. Schädlich ist er, weil seine Neigung, sich vom Himmlischen ab- und dem Irdischen zuzuwenden, den Menschen stets in Gefahr bringt, sich von Gott zu entfernen. Nützlich, weil er als Ursache aller Affekte – und damit auch allen menschlichen Leids – zur Erprobung der Tugend dient, die Gesinnung prüft und die Ausdauer der Schwachen auf ihrem Weg zu Gott stärkt.“3 Eine ähnlich zwiespältige – und doch, wie es sich im Laufe meiner Erörterungen zeigen wird, überwiegend positive – Auffassung der menschlichen Leiblichkeit lässt sich in zwei etwa zur selben Zeit dieses Gedichtes entstandenen Traktaten, die in der handschriftlichen Überlieferung manchmal beide Gregor von Nyssa zugeschrieben wurden und in der modernen Forschung häufig miteinander verglichen worden sind,4 festmachen: Gregors von Nyssa De hominis opificio und Nemesios’ von Emesa De natura hominis.5 Beide Werke befassen sich ausdrücklich mit dem Thema des Menschen,6 wobei Gregor seine 3 4

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Domiter (wie Anm. 1), S. 140. Vgl. z. B. M. Perrin, L’homme antique et chrétien. L’anthropologie de Lactance (250325), Théologie Historique, 59, Paris 1981, S. 188-192 (zur Physiologie von Laktanz, Cicero, Nemesios und Gregor); F. M. Young, „Adam and Anthropos. �������������� A study of Interaction of Science and the Bible in Two Anthropological Treatises of the Forth Century“, in: Vigiliae Christianae 37/1983, S. 110-140 (zur Verwendung biblischer Zitate in HO und DNH); M. Streck, Das schönste Gut. Der menschliche Wille bei Nemesios von Emesa und Gregor von Nyssa, Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 88, Göttingen 2005 (zum menschlichen Willen bei Nemesios und bei Gregor). Einführend zur Biographie des Gregor von Nyssa s. H. R. Drobner (wie Anm. 2), S. 291-299. Zur Chronologie seiner Werke s. J. Daniélou, „La chronologie des oeuvres de Grégoire de Nysse“, in: Studia Patristica 7/1966, S. 159-169; P. Maraval, Art. „Chronology of Works“, in: L. F. Mateo-Seco, G. Maspero (Hrsg.), The Brill’s Dictionary of Gregory of Nyssa, transl. by S. Cherney, Supplements to Vigiliae Christianae, 99, Leiden, Boston 2010, S. 153-169; G. May, „Die Chronologie des Lebens und der Werke des Gregor von Nyssa“, in: M. Harl (Hrsg.), Écriture et culture philosophique dans la pensée de Grégoire de Nysse, Leiden 1971, S. 51-67. Einführend zu Biographie und Werk des Nemesios S. Föllinger, D. De Brasi, Art. „Nemesios von Emesa“, in: Reallexikon für Antike und Christentum 25, Sp. 822-838. Eine in dieser Hinsicht vergleichbare Schrift stellt in der lateinischen christlichen Literatur der Traktat De opificio Dei des Laktanz dar. Vgl. z. B. 1.9-11: „Besinne dich deines wahren Vaters, gedenke der Stadt, in welche du deinen Namen eintragen ließest, und erinnere dich an den Stand, dem du angehörst: Du verstehst sicherlich,

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Behandlung der menschlichen Natur von Anfang an ausdrücklich in eine soteriologische Perspektive situiert,7 während Nemesios eher eine psycho-physiologische Beschreibung des Menschen anstrebt.8 Insbe-

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was ich meine. Denn ich beschuldige dich nicht des Hochmutes, von dem in dir kein Anzeichen zu finden ist; sondern das, was ich sage, muss auf den Geist, nicht auf den Körper bezogen werden, dessen Gesamtstruktur so beschaffen ist, dass er dem Geist wie einem Herrn dient und von dessen Willen geleitet wird. Er ist nämlich gewissermaßen ein irdenes Gefäß, in dem der Geist, d. h. der eigentliche Mensch, eingeschlossen ist. Und er ist sicherlich nicht von Prometheus gestaltet worden, wie die Dichter behaupten, sondern von jenem höchsten Schöpfer und Bildner der Welt, von Gott, dessen göttliche Vorsehung und vollkommene Perfektion weder mit dem Verstand begriffen noch mit Worten beschrieben werden kann“ (Memento et ueri parentis tui et in qua ciuitate nomen dederis et cuius ordinis fueris: intellegis profecto quid loquar. Nec enim te superbiae arguo, cuius in te ne suspicio quidem ulla est, sed ea quae dico, ad mentem referenda sunt, non ad corpus: cuius omnis ratio ideo conparata est, ut animo tamquam domino serviat et regatur nutu eius. Vas est enim quodammodo fictile quo animus id est homo ipse verus continetur, et quidem non a Prometheo fictum, ut poetae locuntur, sed a summo illo rerum conditore atque artifice deo, cuius divinam providentiam perfectissimamque virtutem nec sensu conprehendere nec verbo enarrare possibile est). Zu diesem Werk s. u. a. den Beitrag von Johannes Breuer in diesem Band, S. 369-371. HO 128A: „Die Absicht der uns bevorstehenden Untersuchung ist aber nicht klein, ihr Objekt steht keinem Wunder der Welt nach, vielleicht ist es sogar größer als alle uns bekannten, weil nichts anderes unter dem Seienden außer der menschlichen Kreatur Gott ähnlich ist. Deshalb werden die wohlwollenden Zuhörer uns bei dem Gesagten bereitwillig Nachsicht gewähren, auch wenn die Rede weit hinter der Würde (ihres Objektes) zurückbleibt. Denn nichts – glaube ich – darf unerforscht bleiben von allem, was den Menschen betrifft: Von dem, wovon wir glauben, dass es geschehen ist, von dem, was wir erwarten, dass es sich künftig ereignen wird, und von dem, was wir jetzt sehen“ (Ἔστι δ’ οὐ μικρὸς ὁ προκείμενος ἡμῖν εἰς θεωρίαν σκοπός, οὐδέ τινος τῶν ἐν κόσμῳ θαυμάτων τὰ δεύτερα φερόμενος, τάχα δὲ καὶ μείζων ἑκάστου τῶν γιγνωσκομένων, διότι οὐδὲν ἕτερον Θεῷ ἐκ τῶν ὄντων ὡμοίωται, πλὴν τῆς κατὰ τὸν ἄνθρωπον κτίσεως, ὥστε παρὰ τοῖς εὐγνώμοσι τῶν ἀκροατῶν πρόχειρον ἡμῖν τὴν ἐπὶ τοῖς λεγομένοις συγγνώμην εἶναι, κἂν πολὺ κατόπιν τῆς ἀξίας ὁ λόγος ἔλθοι. Δεῖ γὰρ, οἶμαι, τῶν περὶ τὸν ἄνθρωπον ἁπάντων, τῶν τε προγεγενῆσθαι πεπιστευμένων, καὶ τῶν εἰσύστερον ἐκβήσεσθαι προσδοκωμένων, καὶ τῶν νῦν θεωρουμένων μηδὲν παραλιπεῖν ἀνεξέταστον). Zum Thema der oikonomia Gottes in Gregors Werk s. einführend

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G. Maspero, Art. „Oikonomia“, in: L. F. Mateo-Seco, G. Maspero (Hrsg.), The Brill’s Dictionary of Gregory of Nyssa, transl. by S. Cherney, Supplements to Vigiliae Christianae, 99, Leiden, Boston 2010, S. 537-543 und R. J. Kees, Die Lehre von der Oikonomia Gottes in der Oratio Catechetica Gregors von Nyssa, Supplements to Vigiliae Christianae, 30, Leiden, Boston 1995. DNH 1. 1,1-3 Morani: „Dass der Mensch vor allem aus der Zusammensetzung ei­ ner intellektiven Seele und eines Körpers besteht, und zwar in solcher ausgezeich­ neten Weise, dass keine schönere Entstehung oder Zusammensetzung möglich gewesen wäre, haben viele gebildete Männer gedacht“ (τὸν ἄνθρωπον ἐκ ψυχῆς

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sondere bieten diese Schriften, die in der älteren Forschung vor allem Gegenstand der Quellenkritik gewesen sind,9 ausführliche Überlegungen zur Interaktion von (Intellekt,) Seele und Körper im Menschen, wobei dem Körper eine durchaus positive Rolle zugeschrieben wird, ja dieser wird – im Gegensatz zu neuplatonischen Stellungnahmen, welche die eigentliche menschliche Natur mit der (rationalen) Seele identifizierten -, zum unabdingbaren Bestandteil eines jeden menschlichen Wesens. Es soll hier demnach durch eine vergleichende Analyse der Argumentationsstrategien Nemesios’ und Gregors zunächst ihre Auffassung des menschlichen Körpers näher erläutert werden. Auf diese Weise wird sich zeigen, dass ihre Beschreibungen des menschlichen Körpers keinen rein deskriptiven Zweck verfolgen, sondern rhetorisch eingesetzt werden, um eine Anthropologie vorzustellen, die auch normativ sein will. Mit anderen Worten, es wird gezeigt, dass die Beschreibung der menschlichen Physiologie in beiden Traktaten nicht den Zweck hat, den „Ist-Zustand“ der menschlichen Natur darzulegen, sondern vielmehr die Leser an die Würde zu erinnern, die in moralischer Hinsicht dem Menschen zuteilwird und sowohl dem Körper als auch der Seele inhärent ist. In einem ersten Abschnitt werden im Folgenden die zentralen Thesen über die Rolle und Funktion des Körpers in beiden Schriften zusammengefasst, während eine zweite und eine dritte Sektion sich den unterschiedlichen Argumentationsstrategien Gregors und Nemesios’ widmen werden. Auf diese folgt schließlich eine knappe Zusammenfassung.

νοερᾶς καὶ σώματος ἄριστα κατεσκευασμένον , καὶ οὕτω καλῶς ὡς οὐκ ἐνδέχετο καλῶς ἄλλως γενέσθαι ἢ συνεστάναι, πολλοῖς καὶ ἀγαθοῖς ἀνδράσιν ἔδοξεν).

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Z. B. W. Jaeger, Nemesios von Emesa. Quellenforschungen zum Neuplatonismus und seinen Anfängen bei Poseidonios, Berlin 1914; H. A. Koch, Quellenuntersuchungen zu Nemesios von Emesa (Diss. Phil. Leipzig) Berlin 1921; K. Gronau, Poseidonios und die jüdisch-christliche Genesisexegese, Leipzig, Berlin 1914; aber auch in jüngster Zeit A. Bedke, Anthropologie als Mosaik. Die Aufnahme antiker Philosophie durch Gregor von Nyssa in seiner Schrift De hominis opificio, Orbis antiquus, 45, Münster 2012. Dies ermöglicht mir, in diesem Beitrag auf eine eingehende Untersuchung des Verhältnisses der Werke zu ihren paganen und nicht-paganen Quellen zu verzichten.

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Rolle und Funktion des menschlichen Körpers in Gregors De hominis opificio und in Nemesios’ De natura hominis Sowohl Gregor als auch Nemesios, anders als die meisten Kirchenväter, entfernen sich vom strengen ‚Leib-Seele-Dualismus‘ der ‚platonischen‘ Tradition und verfechten die psychosomatische integrale Einheit des Menschen.10 Gregor und Nemesios fassen in der Tat das Problem des Leib-Seele-Verhältnisses nicht räumlich, sondern geistigrelational auf, wobei Gregor zumindest in De hominis opificio betont, dass die Art und Weise der Verquickung von Körper und Geist unbegreiflich bleibt.11 Nemesios legt hingegen eine ausführliche Aus10 HO 233D: „Da aber der Mensch eine Einheit ist, die aus Seele und Körper besteht, (müs­ sen wir) einen einzigen und gemeinsamen Anfang für seine Entstehung annehmen, damit er [scil. der Mensch] weder älter noch jünger als er selbst werde …“ (Ἀλλ’ ἑνὸς ὄντος τοῦ ἀνθρώπου, τοῦ διὰ ψυχῆς τε καὶ σώματος συνεστηκότος, μίαν αὐτοῦ καὶ κοινὴν τῆς συστάσεως τὴν ἀρχὴν ὑποτίθεσθαι, ὡς ἂν μὴ αὐτὸς ἑαυτοῦ προγενέστερός τε καὶ νεώτερος γένοιτο ...); DNH 3. 40,10-12 Morani: „Auch die

Seele also ist mit dem Körper vereinigt, und zwar vereinigt, ohne mit ihm verschmol­ zen zu sein. Dass sie (mit ihm) vereinigt ist, zeigt die Tatsache, dass beide zusammen empfinden: in der Tat empfindet das Lebewesen zugleich als Ganzes, weil es eins ist“ (καὶ ἥνωται τοίνυν καὶ ἀσυγχύτως ἥνωται τῷ σώματι ἡ ψυχή. ὅτι μὲν γὰρ ἥνωται, ἡ συμπάθεια δείκνυσι· συμπαθεῖ γὰρ ὅλον ἑαυτῷ τὸ ζῷον ὡς ἓν ὄν). 11 HO 160D: „Man muss denken, dass der Geist an jedem Körperglied in gleicher Weise angebunden ist, wobei die Art der Verflechtung unbeschreiblich ist“ (Τὸν δὲ νοῦν ὁμοτίμως ἑκάστῳ τῶν μορίων, κατὰ τὸν ἄφραστον τῆς ἀνακράσεως λόγον ἐφάπτεσθαι νομιστέον; das Adverb ὁμοτίμως impliziert eigentlich, dass

allen Körperteilen die gleiche Ehre, d. h. die Ehre, mit dem Geist verbunden zu sein, zuteilwird). Anders z. B. in De anima et resurrectione, wo Gregor eine (überwiegend aristotelische) Definition der Seele bietet (29B): „Die Seele ist eine gewordene Substanz, eine lebendige, geistige Substanz, die einem organisch strukturierten und mit Sinnesorganen ausgestatteten Körper durch sich selbst die Kraft zum Leben und zur Sinneswahrnehmung verleiht, solange die diese empfangende Natur besteht“ (ψυχή ἐστιν οὐσία γενετή, οὐσία ζῶσα, νοερά, σώματι ὀργανικῷ

καὶ αἰσθητικῷ δύναμιν ζωτικὴν καὶ τῶν αἰσθητῶν ἀντιληπτικὴν δι᾽ ἑαυτὴν ἐνιεῖσα, ἕως ἂν ἡ δεκτικὴ τούτων συνέστηκε φύσις, ÜS Zachhuber, s. unten). H.

Meißner, Rhetorik und Theologie. Der Dialog Gregors von Nyssa De anima et resurrectione, Patrologia – Beiträge zum Studium der Kirchenväter, 1, Frankfurt a. M. 1991, S. 240-244, sieht in dieser nur eine vorläufige Definition der Seele, dagegen s. J. Zachhuber, „Die Seele als Dynamis in Gregor von Nyssa. Überlegungen zur Schrift De anima et resurrectione“, in: C. Sedmak, M. Bogaczyk-Vormayr (Hrsg.), Patristik und Resilienz. Frühchristliche Einsichten in die Seelenkraft, Berlin 2012, S. 211-230. Zum Leib-Seele-Verhältnis bei Gregor s. J. Cavarnos, St. Gregory of Nyssa on The Human Soul, ed. and rev. by C. Cavarnos, Belmont (MA) 2000 (1947), S. 56-71; K. Corrigan, Evagrius and Gregory. Mind, Soul and Body in 4th Century CE, Farnham 2009, S. 145-149; L. F. Mateo-Seco, Art. „Body“, in: L. F. Mateo-Seco,

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einandersetzung mit den stoischen Lehren über die Verbindung von Körper und Seele dar und spricht sich schließlich für die Lösung des Ammonios,12 des Lehrers Plotins aus, welche die metaphysische Independenz der Seele sicherstellt und zugleich die Interdependenz von Körper und Seele (DNH 3. 39,12 Morani: τὸ ζῷον ἕν) ermöglicht.13 G. Maspero (Hrsg.), The Brill’s Dictionary of Gregory of Nyssa, transl. by S. Cherney, Supplements to Vigiliae Christianae, 99, Leiden, Boston 2010, S. 117-120; J. Zachhuber, „Die Seele als Dynamis“ (wie oben). Man könnte auch Laktanz, De opificio Dei 14 und v. a. 16. 11-12 als Vergleich heranziehen: „Entweder hat der Geist im Kopf oder in der Brust seinen Sitz. Kann nun jemand verstehen, welche rationale Macht bewirkt, dass jener unfassbare Geist entweder im Gehirn sitzt oder in jenem zweifachen Blut, das im Herzen zusammentrifft, und daraus nicht schließen, wie groß die Macht Gottes ist? Denn der Geist sieht sich selbst nicht, noch sieht er, wie er beschaffen ist. Doch selbst wenn er dies sähe, dann könnte er auch nicht begreifen, auf welche Weise das Nicht-körperliche mit dem Körperlichen verbunden ist. Oder der Geist hat keinen Sitz und breitet sich in den ganzen Körper aus – was der Fall sein kann und Xenokrates, Platons Schüler, verfochten hat, wenn eben die Sinneswahrnehmung in jedem beliebigen Körperteil zugegen ist. Auch in diesem Fall ist es nicht möglich, das Wesen des Geistes zu begreifen, da seine Natur so zart und fein ist, dass sie, sobald sie in die festen Eingeweide eingedrungen ist, sich mit allen Gliedern mittels einer lebendigen und fast brennenden Sinneswahrnehmung vermischt“ (Siue igitur in capite mens habitat siue in pectore, potestne aliquis conprehendere quae uis rationis efficiat ut sensus ille inconprehensibilis aut in medulla cerebri haereat aut in illo sanguine bipertito qui est conclusus in corde, ac non ex eo ipso colligat quanta sit dei potestas, quod animus se ipsum non uidet aut qualis sit nec si uideat, tamen perspicere possit quo pacto rei corporali res incorporalis adiuncta sit? Siue etiam mentis locus nullus est, sed per totum corpus sparsa discurrit – quod et fieri potest et a Xenocrate Platonis discipulo disputatum est, siquidem sensus in qualibet parte corporis praesto est –, nec quid sit mens ipsa nec qualis intellegi potest, cum sit natura eius tam subtilis ac tenuis ut solidis uisceribus infusa uiuo et quasi ardente sensu membris omnibus misceatur). Zur Seelenlehre des Laktanz s. H. Karpp, Probleme altchristlicher Anthropologie. Biblische Anthropologie und philosophische Psychologie bei den Kirchenvätern des dritten Jahrhunderts, Gütersloh 1950, S. 132-171; Perrin (wie Anm. 4), S. 231-370; B. Bakhouche, S. Luciani (Hrsg.), Lactance, De opificio Dei/La création de Dieu, Texte établi, traduit et annoté par B. B et S. L., Monotheismes et Philosophie, 13, Turnhout 2009, S. 7173 und Anm. 224-240. 12 Die Forschung nimmt jedoch an, dass Nemesios’ Quelle bereits hier Porphyrios ist, da dieser später (DNH 3. 42,22 Morani) genannt wird. S. zuletzt P. F. Beatrice, „L’union de l’âme et du corps. Némésius d’Émèse lecteur de Porphyre“, in: V. Boudon-Millot, B. Pouderon (Hrsg.), Les pères de l’Église face à la science médicale de leur temps, Paris 2005, S. 253-286; R. W. Sharples, P. J. van der Eijk (Hrsg.), Nemesius. On The Nature of Man. Translated with an Introduction and Notes by R. W. S. and P. J. E., Liverpool 2008, S. 81 Anm. 390. 13 Der Passus stellt eine der am meisten analysierten Stellen von De natura hominis dar. S. z. B. A. Kallis, Der Mensch im Kosmos. Das Weltbild Nemesios’ von Emesa,

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Doch bietet auch Nemesios keine eindeutig nachvollziehbare Lösung und greift lieber auf einen Vergleich zurück, der ihm allerdings ermöglicht, der Seele einen besonderen ontologischen Status zuzusprechen (DNH 3. 40,22-41,10 Morani): „ὡς γὰρ ὁ ἥλιος τῇ παρουσίᾳ τὸν ἀέρα εἰς φῶς μεταβάλλει ποιῶν αὐτὸν φωτοειδῆ, καὶ ἑνοῦται τῷ ἀέρι τὸ φῶς ἀσυγχύτως ἅμα καὶ αὐτῷ κεχυμένον, τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ ἡ ψυχὴ ἑνουμένη τῷ σώματι μένει πάντως ἀσύγχυτος, κατὰ τοῦτο μόνον διαλλάττουσα, ὅτι ὁ μὲν ἥλιος σῶμα ὢν καὶ τόπῳ περιγραφόμενος οὐκ ἔστι πανταχοῦ, ἔνθα καὶ τὸ φῶς αὐτοῦ, ὡς οὐδὲ τὸ πῦρ· μένει γὰρ καὶ αὐτὸ ἐν τοῖς ξύλοις ἢ ἐν θρυαλλίδι δεδεμένον ὡς ἐν τόπῳ. ἡ δὲ ψυχή, ἀσώματος οὖσα καὶ μὴ περιγραφομένη τόπῳ, ὅλη δι’ ὅλου χωρεῖ καὶ τοῦ φωτὸς ἑαυτῆς καὶ τοῦ σώματος, καὶ οὐκ ἔστι μέρος φωτιζόμενον ὑπ’ αὐτῆς, ἐν ᾧ μὴ ὅλη πάρεστιν. οὐ γὰρ κρατεῖται ὑπὸ τοῦ σώματος, ἀλλ’ αὐτὴ κρατεῖ τὸ σῶμα, οὐδὲ ἐν τῳ σώματί ἐστιν ὡς ἐν ἀγγείῳ ἢ ἀσκῷ, ἀλλὰ μᾶλλον τὸ σῶμα ἐν αὐτῇ.“

„Denn wie die Sonne mit ihrer Präsenz die Luft zu Licht verändert, indem sie sie lichtähnlich macht, und das Licht mit der Luft unvermischt vereinigt ist und zugleich durch sie fließt, auf dieselbe Weise bleibt die Seele, vereinigt mit dem Körper, völlig unvermischt. Nur in dieser Hinsicht besteht ein Unterschied: Die Sonne, weil sie ein Körper ist und an einem Ort eingegrenzt ist, ist nicht überall, wo auch ihr Licht ist, wie auch das Feuer. Denn auch dieses bleibt in den Holzstücken oder im Lampendocht, als ob es an einem Ort gebunden wäre. Die Seele aber, da sie nicht körperlich ist und an keinem Ort eingegrenzt ist, durchzieht als Ganzes ihr ganzes eigenes Licht und den ganzen Körper, und es gibt keinen Teil, der von ihr beleuchtet wird, in dem sie nicht als Ganzes anwesend ist. Denn die Seele ist nicht vom Körper beherrscht, sondern sie herrscht über den Körper, und sie ist nicht in dem Körper wie in einem Gefäß oder in einem Weinschlauch, sondern vielmehr ist der Körper in ihr.“ Trotz ihrer Überzeugung von der psychosomatischen integralen Einheit des Menschen halten Gregor und Nemesios dennoch die Bestandteile des Menschen anscheinend nicht für völlig gleichrangig, da Münster 1978, S. 125-173; Streck (wie Anm. 4), S. 30-36; Beatrice (wie Anm. 12); B. Motta, La mediazione estrema. L’antropologia di Nemesio di Emesa fra platonismo e aristotelismo, prefazione di E. Berti, Problemata, Collana di studi aristotelici, 1, 2005, S. 123-144; J. Söder, „Der Mensch als personifizierte Freiheit bei Nemesios von Emesa“, in: L. Jansen, C. Jedan (Hrsg.), Philosophische Anthropologie in der Antike, Frankfurt, Lancaster 2010, S. 363-380, hier S. 370-374.

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der Körper ein ὄργανον, ein Instrument, durch das die Seele ihre Tätigkeiten ausüben kann, bleibt. Die Werkzeug-Funktion des Körpers wird jedoch sowohl bei Gregor als auch bei Nemesios durch einen Vergleich mit einem Musiker bzw. Musikinstrument präzisiert, welcher ihre leicht unterschiedlichen Auffassungen des Körpers besser verdeutlicht. So ist der Körper für Gregor kein bloßes Instrument,14 dessen sich die Seele einfach bedient. Vielmehr muss bei jedem menschlichen Individuum eine Komplementarität von Seele und Körper vorliegen, welche das menschliche Dasein überhaupt erst ermöglicht. Für Nemesios hingegen ist das Körper-Seele-Verhältnis als ein Verhältnis zwischen Pfleger und Gepflegtem zu verstehen: Die Seele muss sich um den Körper kümmern, so dass dieser sich als ein für die Seele geeignetes Organ erweist.15 14 HO 161A-B: „Da aber der gesamte Körper wie ein Musikinstrument geschaf­ fen ist, so geschieht das, was oft denen passiert, die zwar der Musik kundig sind, ihre Kunst aber nicht zeigen können, weil die Untauglichkeit der Instrumente es nicht zulässt (denn das entweder mit der Zeit Verdorbene oder durch Fallen Ge­ brochene oder von Rost und Schimmel unbrauchbar Gemachte bleibt stumm und wirkungslos, obwohl es von einem in der Flötenkunst anscheinend hervorragenden Musiker geblasen wird). Auf dieselbe Weise übt auch der Geist, indem er das ge­ samte Instrument durchdringt und sich jedem einzelnen Teil mit seinen geistigen Fähigkeiten – wie es eben seine Natur ist – einfügt, seine eigene Wirkung in den naturgemäß beschaffenen Teilen aus, während er erfolg- und wirkungslos in den Teilen bleibt, die nicht die Kraft haben, seine kunstvolle Bewegung aufzunehmen“ (Ἀλλ’ ἐπειδὴ καθάπερ τι μουσικὸν ὄργανον ἅπαν τὸ σῶμα δεδημιούργηται, ὥσπερ συμβαίνει πολλάκις ἐπὶ τῶν μελῳδεῖν μὲν ἐπισταμένων, ἀδυνατούντων δὲ δεῖξαι τὴν ἐπιστήμην, τῆς τῶν ὀργάνων ἀχρηστίας οὐ παραδεχομένης τὴν τέχνην (τὸ γὰρ ἢ χρόνῳ φθαρὲν, ἢ παρερρηγμένον ἐκ καταπτώσεως, ἢ ὑπό τινος ἰοῦ καὶ εὐρῶτος ἠχρειωμένον, ἄφθογγον μένει καὶ ἀνενέργητον, κἂν ὑπὸ τοῦ προέχειν δοκοῦντος κατὰ τὴν αὐλητικὴν τέχνην ἐμπνέηται)· οὕτω καὶ ὁ νοῦς δι’ ὅλου τοῦ ὀργάνου διήκων, καὶ καταλλήλως ταῖς νοητικαῖς ἐνεργείαις, καθὸ πέφυκεν, ἑκάστῳ τῶν μερῶν προσαπτόμενος, ἐπὶ μὲν τῶν κατὰ φύσιν διακειμένων τὸ οἰκεῖον ἐνήργησεν, ἐπὶ δὲ τῶν ἀσθενούντων δέξασθαι τὴν τεχνικὴν αὐτοῦ κίνησιν, ἄπρακτός τε καὶ ἀνενέργητος ἔμεινε).

15 DNH 2. 25,26-26,6 Morani: „Denn der Körper ist ein Instrument der Seele. Wenn er passend eingerichtet wurde, dann arbeitet er in Synergie mit der Seele und ist in einem passenden Zustand. Wurde er aber unpassend eingerichtet, hindert er sie und die Seele braucht Mittel, um die Unangemessenheit des Instruments zu bekämpfen. Und wenn sie nicht durchaus besonnen ist, wird sie zusammen mit ihm verderben, genauso wie ein Musiker gleichzeitig mit der Verzerrung seiner Lyra auch Fehler macht, wenn er sie davor nicht in angemessener Weise einrichtet. Deshalb muss sich die Seele auch um den Körper kümmern, um das Instrument auf die für sie passende Weise einzurichten“ (ὄργανον γὰρ ὂν τὸ σῶμα τῆς ψυχῆς, ἐὰν μὲν ἐπιτηδείως κατασκευασθῇ, συνεργεῖ τῇ ψυχῇ καὶ αὐτὸ ἔχει

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Wenn also die Körperlichkeit für Gregor und Nemesios ein wesentliches Element der menschlichen Natur ist, stellt sich die Frage, inwiefern diese Auffassung zu ihren Argumentationsstrategien beiträgt und welche Bedeutung ihr in De hominis opificio und in De natura hominis zugemessen werden soll. Widmen wir uns zunächst Gregors De hominis opificio.

Die Argumentationsstrategie in Gregors De hominis opificio Der Bischof von Nyssa, der sich mit seinem Traktat zum Ziel setzt, das Hexameron des Bruders Basilius zu vervollständigen, und sich an ein Publikum von Gläubigen richtet, geht in seinen Ausführungen ‚didaktisch‘ vor: Bereits in dem Begleitbrief an seinen Bruder Petrus kündigt er an, seinen Stoff um der Klarheit willen (HO 128B: σαφηνείας δὲ χάριν, saphêneías de khárin) in betitelte Rubriken zu untergliedern,16 und betont mehrmals, die Gesamtheit seiner Ausführungen nach dem Prinzip der ἀκολουθία (akolouthía), d. h. nach dem

. ἐπιτηδείως ἐὰν δὲ ἀνεπιτηδείως, ἐμποδίζει, καὶ τότε χρεία τῇ ψυχῇ πραγμάτων ἀπομαχομένων πρὸς τὴν ἀνεπιτηδειότητα τοῦ ὀργάνου, καὶ ἐὰν μὴ σφόδρα νήψῃ, καὶ συνδιαστρέφεται αὐτῷ, καθάπερ μουσικὸς συνεξαμαρτάνει τῇ τῆς λύρας διαστροφῇ, ἐὰν μὴ πρότερον αὐτὴν καταστήσῃ καλῶς. διὸ καὶ χρεία τῇ ψυχῇ τῆς ἐπιμελείας τοῦ σώματος, ἵνα καταστήσῃ αὐτὸ ὄργανον ἐπιτήδειον ἑαυτῇ).

16 Bedke (wie Anm. 9), S. 14 f. zweifelt – in Anlehnung an Gronau (wie Anm. 9), S. 141 Anm. 2 – an der Echtheit der im Prolog angekündigten Gliederung und der im Text angegebenen Überschriften. Seine Argumente scheinen mir jedoch nicht zwingend: 1) Die Tatsache, dass die Kapitelüberschriften teilweise oberflächlich und nicht erschöpfend sind, lässt sich eben mit dem Charakter einer Überschrift erklären, die ja möglichst kurz und prägnant den Inhalt einer Sektion wiedergeben soll. Zudem ist m.E. unwahrscheinlich, dass ein Leser, der „Gregors sprunghafte[n] Stil zu schreiben, seine langen Exkurse, sein Wiederaufnehmen schon vollendet scheinender Gedankengänge“ als problematisch ansah und diesem mit einer Gliederung des Traktates entgegenwirken wollte, eben nur oberflächliche und nicht präzise Kapitelüberschriften verfasst haben soll. 2) Die Tatsache, dass die meisten Kapitel der Schrift durch Satzverbindungspartikel eingeleitet sind, spricht in der Tat für eine von Gregor als durchgehend konzipierte Argumentation. Doch ist eine argumentative Einheit der Schrift nicht mit einer inhaltlichen Untergliederung inkompatibel, wie Bedke selbst (69) anmerkt. Insofern könnte die Verwendung von Satzverbindungspartikeln als textinterner Hinweis auf den Beginn eines neuen Abschnittes, dem die Kapitelüberschrift entspricht, verstanden werden.

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Prinzip einer logisch folgerichtigen Darstellung, gestalten zu wollen.17 So rahmt er zunächst die Erschaffung des Menschen in die Gesamtheit der Schöpfung ein, um dessen Vorrangstellung hervorzuheben, welche in der Gottebenbildlichkeit des Menschen bestehe (HO 128C-137C). Die Gottebenbildlichkeit des Menschen erweist sich in der darauf folgenden Argumentation als Gregors theologisch-anthropologische Grundthese, aus welcher alle weiteren Ausführungen resultieren. Diese befassen sich zunächst mit der Geist-Problematik: sein Wesen; seine Fähigkeit, sich durch Stimme und Hände auszudrücken; seine Tätigkeit im theoretischen und praktischen Bereich, welche durch die Sinne ausgeübt wird; die Unmöglichkeit, den Geist an einem einzigen Körperteil festzubinden (HO 137D-177C). Doch die menschliche Gott­ ebenbildlichkeit stellt ein weiteres Problem dar. Denn wie kann das Körperliche, das Sterbliche (der Mensch) dem Unkörperlichen, dem Ewigen (Gott) ebenbildlich sein?18 Auf diese Frage antwortet Gregor mit einer originellen Auslegung von Genesis 1,26, ein Passus, der in Gregors

17 Dazu J. Daniélou, „Akoluthia chez Grégoire de Nysse“, in: Revue de Sciences Religieuses 27/1953, S. 219-249, insb. S. 221; H. Drobner, „Gregory of Nyssa as Philosopher: De anima et resurrectione and De hominis opificio“, in: Dionysus 18/2000, S. 69-102, insb. S. 83-87. 18 HO 180B: „Was hat es mit der Rede vom Abbild auf sich? Vielleicht wirst du fragen: Wie soll das Unkörperliche dem Körperlichen ähnlich sein? Wie das Vergängliche dem Ewigen? Das sich im Wechsel Ändernde dem Unveränderlichen? Das Leidensfähige und Vergehende dem Leidlosen und Unvergänglichen? Das mit allem Bösen durchweg Wohnende und mit ihm Wachsende dem mit ihm Unvermischten? Denn groß ist die Kluft zwischen der Idee des Urbildes und dem nach dem Bild Gewordenen. Denn ein Abbild, wenn es eine Ähnlichkeit mit dem Urbild aufweist, ist ordnungsgemäß so genannt. Wenn aber das Nachbild vom vorliegenden Urbild abweicht, dann ist dieses etwas anderes und kein Abbild von jenem. Wie also ist der Mensch, dieses sterbliche, leidensfähige und kurzlebige Wesen, ein Abbild einer unvermischten, reinen und immerwährenden Natur?“ (Τίς οὖν ὁ τῆς εἰκόνος λόγος; ἴσως ἐρεῖς· πῶς ὡμοίωται τῷ σώματι τὸ ἀσώματον; πῶς τῷ ἀϊδίῳ τὸ πρόσκαιρον; τῷ ἀναλλοιώτῳ τὸ διὰ τροπῆς ἀλλοιούμενον; τῷ ἀπαθεῖ τε καὶ ἀφθάρτῳ τὸ ἐμπαθὲς καὶ φθειρόμενον; τῷ ἀμιγεῖ πάσης κακίας τὸ πάντοτε συνοικοῦν ταύτῃ καὶ συντρεφόμενον; Πολὺ γὰρ τὸ μέσον ἐστὶ, τοῦ τε κατὰ τὸ ἀρχέτυπον νοουμένου, καὶ τοῦ κατ’ εἰκόνα γεγενημένου. Ἡ γὰρ εἰκών, εἰ μὲν ἔχει τὴν πρὸς τὸ πρωτότυπον ὁμοιότητα, κυρίως τοῦτο κατονομάζεται. Εἰ δὲ παρενεχθείη τοῦ προκειμένου ἡ μίμησις, ἄλλο τι, καὶ οὐκ εἰκὼν ἐκείνου τὸ τοιοῦτόν ἐστι. Πῶς οὖν ὁ ἄνθρωπος τὸ θνητὸν τοῦτο καὶ ἐμπαθὲς καὶ ὠκύμορον, τῆς ἀκηράτου καὶ καθαρᾶς καὶ ἀεὶ οὔσης φύσεώς ἐστιν εἰκών;).

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Augen eine zweistufige Schöpfung des Menschen, nach dem Gottesabbild und nach den sexuellen Merkmalen, postuliert (HO 177D-185D).19 Gregors positive Bewertung des Körpers fließt in seine Auslegung der Genesispassage über die Schöpfung des Menschen mit hinein und bestimmt das weitere Vorgehen der Argumentation. Denn wenn der Mensch Abbild Gottes ist und von ihm durch den Körper in das Materielle situiert wird, ist der Mensch auch einer zeitlichen Dimension unterworfen.20 Gregor widmet sich demnach dem menschlichen Dasein aus einer eschatologisch-soteriologischen Perspektive. Die Schöpfung des Menschen in seiner körperlichen sowie sexuellen Gegebenheit wird deshalb erneut analysiert und in Auseinandersetzung mit denjenigen, die die Sexualität dem Fall Adams zuschreiben, als Teil des göttlichen Plans interpretiert, der in der Auferstehung der Körper vervollkommnet wird. Diese sei nämlich nicht unwahrscheinlich (οὐκ ἔξω τοῦ εἰκότος, HO 188A-225A). Die Ausführungen über die Auferstehung führen wiederum zu einer neuen Behandlung des KörperSeele-Verhältnisses: Wenn mit der Auferstehung die Seele wieder an ihren Körper gebunden wird (HO 225A-229B), dann kann sie nicht vor ihm existieren oder er vor ihr, so dass Seele und Körper gleichzeitig von Gott erschaffen werden und eine vom Augenblick der Zeugung an nicht zu trennende Einheit bilden (HO 229B-240B). Damit wäre das in der Präambel angekündigte Ziel der Schrift, d. h. die Darstellung der psychosomatischen Natur des Menschen, mit der Behandlung der Auferstehung und mit der wiederholten Beteuerung der Verflechtung von Körper, Geist und Seele erreicht. Jedoch ergänzt Gregor den Traktat mit einer Darstellung der menschlichen Physiologie (240C-256C), die weitestgehend aus Galens Werken übernommen ist.21 Stellt diese Sektion wirklich, wie es behauptet wurde, einen rein

19 S. dazu J. Zachhuber, Human Nature in Gregory of Nyssa. Philosophical Background and Theological Significance, Supplements to Vigiliae Christianae, 46, Leiden, Boston 2000, S. 145-186. 20 J. Y. Guillaumin, H. G. Hamman, Grégoire de Nysse, La création de l’homme, Introduction, Traduction et Notes par J. Y. G. et H. G. H., Pères de la Foi, 23, Paris 1982, S. 16-20. 21 S. dazu insb. A. M. Ieraci Bio, „Gregorio di Nissa (De hominis opificio, 30) e la fisiologia galenica del De usu partium“, in: La cultura scientifico-naturalistica nei Padri della Chiesa (I-V sec.). XXXV Incontro di studiosi dell’Antichità cristiana (Roma – Institutum Patristicum Augustinianum, 4-6 maggio 2006), Roma 2007, S. 489-512.

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deskriptiven Nachtrag zur eigentlichen Argumentation dar?22 Eine kursorische Lektüre würde diesen Eindruck bestätigen. Sowohl der Titel, den Gregor dieser Sektion verleiht,23 als auch der einleitende Abschnitt, der die darauffolgenden Ausführungen entschieden als epitomé medizinischer Theorien präsentiert, sprechen für diese Deutung.24 Zudem wird die Gesamtheit der physiologischen Beschreibungen bei 22 Vgl. J. Laplace, J. Daniélou, Grégoire de Nysse, La création de l’homme, Introduction et traduction par J. L., notes par J. D., Sources Chrétiennes, 6, Paris, 2e réimpression de la 1re édition revue et corrigée 2011, S. 228 Anm. 1; Guillamin, Hamman (wie Anm. 20), S. 157 Anm. 1. 23 HO 240B: „Eine kursorische, eher medizinische Betrachtung der Einrichtung un­seres Körpers“ (Θεωρία τις ἰατρικωτέρα περὶ τῆς τοῦ σώματος ἡμῶν κατασκευῆς δι’ ὀλίγων). 24 HO 240B-C: „Über die genaue Ausstattung unseres Körpers belehrt doch jeder sich selbst aus dem, was er sieht, erlebt und empfindet, indem er die eigene Natur als Lehrerin hat. Aber derjenige, der die in Büchern fleißig zusammengetragenen Forschungen der Fachgelehrten über dieses Thema aufgreift, kann auch alles mit Genauigkeit lernen. Von diesen haben einige mit Hilfe von Sektionen gelernt, wie jeder einzelne Teil in unserem Körper angeordnet ist; andere haben hingegen erforscht, zu welchem Zweck jeder Teil unseres Körpers entstanden ist, und dies dargelegt, so dass die Interessierten aufgrund dessen eine hinreichende Kenntnis der menschlichen Ausstattung haben. Sollte aber jemand verlangen, dass die Kirche in all diesem eine Lehrerin sei, damit man in keiner Hinsicht einer externen Stimme bedarf – denn das ist das Gesetz der geistigen Schafe, wie der Herr sagt, dass sie keiner fremden Stimme zuhören – werden wir in kurzen Worten auch darüber sprechen“ (Ἀλλὰ

τὴν μὲν ἀκριβῆ τοῦ σώματος ἡμῶν διασκευὴν διδάσκει μὲν ἕκαστος ἑαυτὸν, ἐξ ὧν ὁρᾷ τε καὶ ζῇ καὶ αἰσθάνεται, τὴν ἰδίαν ἑαυτοῦ φύσιν διδάσκαλον ἔχων. Ἔξεστι δὲ καὶ τὴν ἐν βίβλοις φιλοπονηθεῖσαν τοῖς τὰ τοιαῦτα σοφοῖς περὶ τούτων ἱστορίαν ἀναλαβόντι, πάντα δι’ ἀκριβείας μαθεῖν. Ὧν οἱ μὲν ὅπως ἔχει θέσεως τὰ καθέκαστον τῶν ἐν ἡμῖν, διὰ τῆς ἀνατομῆς ἐδιδάχθησαν· οἱ δὲ καὶ πρὸς ὅ τι γέγονε πάντα τὰ τοῦ σώματος μόρια κατενόησάν τε καὶ διηγήσαντο, ὡς ἀρκοῦσαν ἐντεῦθεν τῆς ἀνθρωπίνης κατασκευῆς τὴν γνῶσιν τοῖς φιλοπόνοις γενέσθαι. Εἰ δέ τις ἐπιζητοίη πάντων αὐτῶν τὴν ἐκκλησίαν διδάσκαλον γίνεσθαι, ὡς εἰς μηδὲν τῆς ἔξωθεν φωνῆς ἐπιδεῖσθαι – οὗτος γὰρ τῶν πνευματικῶν προβάτων ὁ νόμος, καθώς φησιν ὁ Κύριος, τὸ ἀλλοτρίας μὴ ἀκούειν φωνῆς –, διὰ βραχέων καὶ τὸν περὶ τούτων λόγον διαληψόμεθα). Einige Interpreten – s.

z. B. Bedke, (wie Anm. 9), S. 97 – deuten diese Aussagen Gregors als ‚paradox‘ und behaupten z. B.: „Daß er dann vorgibt, gerade auf diesem Gebiet (der menschlichen Physiologie) eine dezidiert kirchliche Position zu vertreten, entbehrt nicht einer gewissen Komik – handelt es sich doch, klar erkennbar am weiteren Gedankengang des 30. Kapitels, um eine medizinische Quelle“. Doch genau das Gegenteil will m. E. die Formulierung Gregors besagen: Wer die Möglichkeit und die nötige Ausbildung besitzt, um die physiologischen Traktate zu lesen und zu verstehen, wird aus diesen alles in Hinsicht auf die menschliche Physiologie lernen können. Wer hingegen diesen Schriften gegenüber misstrauisch ist und nur die Lehre der Kirche akzeptieren will, soll sich anhand seiner Zusammenführung medizinischer Lehren

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der Wiederaufnahme des Hauptthemas ziemlich eindeutig als Exkurs bezeichnet (HO 253A-B). Die rhetorische Strategie, die das Rückgrat dieser Sektion bildet, zeigt allerdings, dass diese epitomé für Gregor ein notwendiger Abschluss seines pädagogischen Anliegens ist. Nicht nur stellt Gregor am Beginn der Ausführungen klar, dass er durch die Beschreibung der menschlichen Physiologie die „geistigen Schafe“ der Kirchenlehre entsprechend weiterbilden möchte. Vielmehr strukturiert er die Inhalte der galenischen Physiologie in einer Weise, die ihm ermöglicht, seine Auffassung des menschlichen Körpers und seine Thesen über das Körper-Seele-Verhältnis noch präziser zu begründen und somit einen noch höheren Überzeugungsgrad bei seinem Publikum zu erreichen. So spiegelt die funktionale Dreigliederung der menschlichen Organe (HO 240D-241A) – obwohl nur ein struktureller und kein perfekter Parallelismus besteht – die ebenso funktionale Dreiteilung des Lebensprinzips (ἐν τρισὶ διαφοραῖς τὴν ζωτικὴν καὶ ψυχικὴν δύναμιν, en trisí diaphoraîs tên zôtikên kaí psykhikên dýnamin), die Gregor bereits seiner Behandlung des aufrechten Ganges und der Hände angeschlossen hatte (HO 144D-145C), wider: Einerseits gruppiert Gregor die Organe in diejenigen, die für die Erhaltung des Lebens notwendig sind (Gehirn, Herz, Leber), diejenigen, die ein schönes Leben ermöglichen (τὸ καλῶς ζῆν, tó kalôs zên, die Sinnesorgane), und diejenigen, die der Fortpflanzung dienen. Andererseits erkennt er drei Arten des Lebensprinzips: die „natürliche“ (φυσική, physikê) Seele, die das Wachstum der Lebewesen antreibt, die „wahrnehmungsfähige“ (αἰσθητική, aisthêtikê) Seele, die die Sinneswahrnehmung ermöglicht, und die „rationale“ bzw. eigentlich „menschliche“ (λογική, ἀνθρωπίνη, logikê, anthrôpínê) Seele, die an der Vernunft teilhat (λόγου μετέχουσα, καὶ νῷ διοικουμένη, lógou metékhousa, kaí nô dioikouménê ). Demselben Zweck, d. h. der Bestätigung seiner funktionalen Dreiteilung des Lebensprinzips, dienen auch die Ausführungen über Gehirn, Leber, Herz, Atmungs- sowie Verdauungssystem (HO 244D253A). In ähnlicher Weise greift er auch bei seiner Darstellung des Skeletts, der Sehnen und der Sinnesorgane (HO 241A-244D)25 implizit auf seine Beschreibung der Aktivität des Geistes im Körper zurück weiterbilden. Insofern beweist Gregor eine außerordentliche Offenheit gegenüber der paganen Wissenschaft. 25 Zu dieser Stelle s. Streck (wie Anm. 4), S. 177-179.

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(z. B. 156C-160B). Zugleich bilden die physiologischen Ausführungen über den Ernährungsprozess einen geeigneten Ausgangspunkt für den eigentlichen Schluss des Werkes, in dem die Hauptthesen Gregors zusammengefasst werden, da dieser eben die Thematik der Ernährung auf metaphorischer Ebene wiederaufnimmt.26 Der Nachtrag erweist sich daher als erforderlicher Bestandteil der Argumentation Gregors: Dadurch wird das gesamte Argument über die Verflechtung von Körper, Geist und Seele, die bereits aus philosophisch-theologischer Perspektive vertreten wurde, auch in einem Bereich nachvollziehbar gemacht, der für Gregor unmittelbar zum Horizont der Lebenserfahrung seines Publikums gehört: Wie der Körper funktioniert, inwiefern in der menschlichen Physis die Verflechtung von Geist und Körper begreifbar sind, könne nämlich jedermann auch anhand seiner Erfahrungen entdecken (vgl. 240B-C). Die Tatsache, dass Gregor sich der physiologischen Theorien seiner Zeit bedient, um das Verhältnis von Körper und Seele argumentativ-deskriptiv zu verdeutlichen, passt folglich zu seinem didaktischen Zweck und stellt den unmittelbaren Ausgangspunkt zum Übergang von einer deskriptiven zu einer normativen Anthropologie dar. Die Darstellung der menschlichen Körperstruktur mündet in der Tat in eine Zusammenfassung der im gesamten Traktat vertretenen Thesen und schließt mit der peroratio ab, der Mensch solle sich darum bemühen, zur ursprünglichen Gottebenbildlichkeit zurückzukehren (256C): „Ἀλλ’ ἐπανέλθωμεν πάντες ἐπὶ τὴν θεοειδῆ χάριν ἐκείνην, ἐν ᾗ ἔκτισε τὸ κατ’ ἀρχὰς τὸν ἄνθρωπον ὁ Θεὸς, εἰπών· ὅτι ‚Ποιήσωμεν ἄνθρωπον κατ’ εἰκόνα καὶ ὁμοίωσιν ἡμετέραν.‘ ᾧ ἡ δόξα καὶ τὸ κράτος εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων. Ἀμήν.“

„Lasst uns also alle zu jener Gottebenbildlichkeit zurückkehren,27 in der Gott den Menschen am Anfang erschuf, als er sagte: ‚Lasst uns

26 HO 253B: „Indem aber die menschliche Natur sie aufnimmt [scil. die Bestandteile des Lebens, Seele und Körper], pflegt sie sie wie eine Amme mit ihren eigenen Kräften und ernährt sie von beiden Seiten und weist in beiden Teilen in entsprechender Weise einen deutlichen Zuwachs auf“ (ἐκδεξαμένην δὲ τὴν ἀνθρωπίνην φύσιν, καθάπερ τινὰ τροφὸν ταῖς οἰκείαις δυνάμεσιν αὐτὴν τιθηνήσασθαι τὴν δὲ τρέφεσθαι κατ’ ἀμφότερα, καὶ καταλλήλως ἐν ἑκατέρῳ μέρει τὴν αὔξησιν ἐπίδηλον ἔχειν).

27 Eine wörtliche Übersetzung des Satzes lautet: „Lasst uns also alle zu jener gottähn­ lichen Gnade zurückkehren“. Dieser Ausdruck, der im Deutschen nicht in ange­ messener Weise wiedergegeben werden kann, impliziert m. E. aus theologisch-an­ thropologischer Perspektive, a) dass der Mensch aufgrund von Gottes Gnade ihm

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den Menschen nach unserem Bild und uns ähnlich machen.‘ Ihm sei die Ehre und die Kraft in alle Ewigkeit. Amen.“ Zudem kann die Beschreibung der menschlichen Physiologie sogar als moralische Aufforderung an die Leser eingesetzt werden. So hebt Gregor in der Darstellung des Blutkreislaufs, dessen Ursprung er der galenischen Physiologie entsprechend in der Leber situiert, z. B. hervor (HO 245B): „Παιδευέτω τοῦτο τοὺς ἀτακτοῦντας περὶ τὸ ἴσον, διδαχθέντας παρὰ τῆς φύσεως, ὅτι ἡ πλεονεξία φθοροποιόν τι πάθος ἐστίν.“ „Dies [d. h. wie der Blutkreislauf das Sterben verhindert] soll diejenigen, die zuchtlos mit dem Recht umgehen, erziehen, da sie von der Natur unterrichtet wurden, dass die Habsucht eine den Tod verursachende Krankheit ist.“ Halten wir also fest: In seiner Funktion als Bischof von Nyssa, der durch seinen Traktat zur christlichen ‚Fortbildung‘ seiner Leser beitragen möchte, fordert Gregor den ganzen Menschen, das compositum von Körper und Seele, auf, sich an diesem Bild zu orientieren und sein Leben danach zu richten.

Die Argumentationsstrategie in Nemesios’ De natura hominis Widmen wir uns nun Nemesios. Betrachtet man seine Schrift, lassen sich v. a. drei Hauptmerkmale feststellen, die zunächst auf eine wesentliche Andersartigkeit gegenüber Gregors Werk schließen lassen. Erstens richtet Nemesios sich, anders als Gregor, sowohl an ein christliches als auch an ein paganes Publikum.28 Zweitens beginnt er seine Ausführungen in medias res, ohne – wie es bei Gregor der Fall

ebenbildlich erschaffen worden ist, b) dass der ursprüngliche Zustand des Men­ schen – vor dem Fall Adams – ein Zustand der Gnade war. 28 DNH 42. 120,21-23 Morani: „Da die Rede nicht nur an diese [scil. die Christen], sondern auch an die Griechen (d. h. die Paganen) adressiert ist, lass uns auch aus anderen Dingen, an die sie glauben, zeigen, dass es die Vorsehung gibt“ (ἐπειδὴ δὲ οὐ πρὸς τούτους μόνους [scil. Χριστιανούς] ὁ λόγος, ἀλλὰ καὶ πρὸς Ἕλληνας, φέρε καὶ δι’ ἄλλων, οἷς ἐκεῖνοι πιστεύουσιν, ἀποδείξωμεν πρόνοιαν οὖσαν). Vgl. auch DNH 2. 38,7-9 Morani: „Aber für diejenigen, welche die Schriften der Christen nicht anerkennen, reicht es zu zeigen, dass die Seele nicht eines der vergänglichen Dinge ist“ (πρὸς δὲ τοὺς μὴ καταδεχομένους τὰ τῶν Χριστιανῶν γράμματα ἀρκεῖ τὸ μηδὲν εἶναι τὴν ψυχὴν τῶν φθειρομένων ἀποδεῖξαι·…).

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ist – jeglichen Hinweis auf das von ihm befolgte argumentative Prozedere zu geben (DNH 1. 1,1sqq. Morani). Drittens, während Gregor explizit die Bibel als leitende Quelle seines Denkens nennt, findet man bei Nemesios eher spärliche Verweise auf die Heilige Schrift, welche sich überwiegend in der ersten (über die Stellung des Menschen im Kosmos) und in der letzten Sektion der Schrift (über die göttliche Vorsehung) häufen.29 Vielmehr präsentiert Nemesios seine Erörterung über die menschliche Natur als Auswertung der Positionen paganer Philosophen zu den von ihm behandelten Themenfeldern. Letztere können, wie Robert Sharples und Philip van der Eijk zu Recht herausarbeiten, in vier Hauptabschnitte gegliedert werden:30 1. eine Einleitung, in der der Mensch als compositum von Körper und Seele dargestellt und seine Stellung im Kosmos analysiert wird (DNH 1. 1-16 Morani); 2. eine Sektion über die Eigenschaften der Seele und über die Art und Weise, wie diese mit dem Körper verbunden ist (DNH 2-3. 16-44 Morani); 3. ein Abschnitt, der sich über etwa ein Drittel des gesamten Traktates erstreckt und in dem die menschliche Physiologie und Psychologie behandelt werden (DNH 4-28. 44-93 Morani); 4. eine abschließende Sektion, in der Nemesios sich dem Problem der Willensfreiheit, des Schicksals und der göttlichen Vorsehung widmet (DNH 29-43. 93-136 Morani). Anhand dieser schematischen Zusammenfassung des Inhalts von De natura hominis zeigt sich, dass Nemesios’ Anthropologie eine zweifache Dimension aufweist, eine physiologisch-deskriptive und eine ethisch-normative. Diese werden von Nemesios mittels einer Analogie miteinander verbunden (DNH 33. 101, 3-8 Morani): „τί μὲν οὖν οὐκ ἔστιν ἡ προαίρεσις, εἴρηται, τί δὲ ἔστιν, εἴπωμεν. ἔστιν οὖν μικτόν τι ἐκ βουλῆς καὶ κρίσεως καὶ ὀρέξεως, καὶ οὔτε ὄρεξις καθ’ ἑαυτὴν οὔτε βουλὴ μόνη, ἀλλ’ ἐκ τούτων τι συγκείμενον. ὡς γὰρ λέγομεν τὸ ζῷον ἐκ ψυχῆς καὶ σώματος συγκεῖσθαι, μήτε δὲ σῶμα εἶναι καθ’ ἑαυτὸ τὸ ζῷον μήτε ψυχὴν μόνην, ἀλλὰ τὸ συναμφότερον, οὕτω καὶ τὴν προαίρεσιν.“

„Was die Entscheidung (das Entscheidungsvermögen) nicht ist, ist gesagt worden, nun aber wollen wir sagen, was sie ist. Sie ist also eine 29 Siehe Young (wie Anm. 4), S. 131-137. 30 Sharples, van der Eijk (wie Anm. 12), S. 3.

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Mischung aus Überlegung, Urteil(svermögen) und Begehren, wobei sie weder Begehren an und für sich noch Überlegung allein ist, sondern eben etwas Gemischtes aus beiden. Denn wie wir sagen, dass das Lebewesen aus Seele und Körper besteht und dass weder der Körper an und für sich noch die Seele allein das Lebewesen ist, sondern beides zusammen, so auch die Entscheidung (das Entscheidungsvermögen).“ Die Analogie dient jedoch nicht nur einer besseren Veranschaulichung der gebotenen prohairesis-Definition, sondern wirft auch Licht auf die ethisch-normative Dimension der Schrift. Denn durch die prohairesis-Lebewesen-Analogie greift Nemesios auf seine vorherige physiologische Argumentation zurück, in welcher er in Anlehnung an Galen die Begierde an spezifische Körperorgane festband. Das Entscheidungsvermögen ist demnach Ausdruck der psychosomatischen Verfasstheit des Menschen.31 Dies thematisiert Nemesios bereits in seiner Einleitung, wo er den Menschen als τὸ συνδέον ἀμφότερας τὰς φύσεις ζῷον (tó syndéon amphóteras tás phýseis zôon), als Lebewesen, das beide Naturen – d. h. das Sinnliche und das Intelligible – verbindet, bezeichnet und die ihm gegebene Möglichkeit, „sein Leben [selbst] in die Hand zu nehmen und sich selbst zu dem [zu] machen, was e[r] sein will“,32 hervorhebt. Eben diese Betonung der Handlungsfreiheit des Menschen, die – wie schon der italienische Philosophiehistoriker Eugenio Garin anmerkte33 – in Pico della Mirandolas Oratio de hominis dignitate wiederzufinden ist, ist bei Nemesios v. a. in der Einleitung an eine normative, paränetische Perspektive gebunden. In den folgenden Abschnitten plädiert Nemesios in der Tat für ein tugendhaftes Leben, indem er systematischer als im gesamten Traktat auf die Bibel verweist34 und bewusst christliche Argumente vorbringt. So unterstützt Nemesios z. B. die Behauptung, dass der Mensch, der sein Leben nach den Prinzipien der Rationalität gestaltet und die Begierde ablehnt, an einem „göttlichen, von Gott am meisten geliebten und in unübertroffener

31 S. dazu S. Föllinger, „Willensfreiheit und Determination bei Nemesios von Emesa“, in: B. Feichtinger u. a. (Hrsg.), Körper und Seele. Aspekte spätantiker Anthropologie, Leipzig 2005, S. 143-157; dies., Beitrag in diesem Band, insb. S. 151-154. 32 Söder (wie Anm. 13), S. 375. 33 E. Garin, „La ‚Dignitas hominis‘ e la letteratura patristica“, in: Rinascita 1(4)/ 1938, 102-146, vgl. auch Söder (wie Anm. 13), S. 370 Anm. 16. 34 Young (wie Anm. 4), S. 134-135.

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Weise menschlichen“ Leben teilhaben wird,35 mit Zitaten aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther (15:47-49) und aus anderen biblischen Büchern (Gen. 3:19; Psalm. 49(48):13=20).36 Zudem betont Nemesios, dass dem Menschen allein das Privileg der Reue und der Unsterblichkeit gewährt worden ist, wobei die Seele Reue aufgrund der körperlichen Begierde empfinden kann und der Körper aufgrund der Unsterblichkeit der Seele sich auch Unsterblichkeit erhoffen darf. Abschließend mahnt Nemesios seine Leser, sich die außergewöhnliche Stellung des Menschen im Kosmos zu vergegenwärtigen und dieser durch ein tugendhaftes Verhalten gerecht zu werden, bevor er zur deskriptiven Behandlung der Eigenschaften von Seele und Körper übergeht. Die paränetische Funktion der Einleitung ermöglicht meines Erachtens ein besseres Verständnis der Struktur des Traktates. Da der Mensch ausdrücklich aufgefordert wird, seiner Natur gerecht zu werden, soll ihm zunächst klargemacht werden, worin diese eigentlich besteht, d. h. in einem compositum aus Körper und Seele, dessen Hauptmerkmal das Entscheidungsvermögen ist. Und, da die Besonderheit der menschlichen Natur ein Ausdruck der göttlichen Vorsehung ist (DNH 1. 15,7), sollte schließlich auch – ein nicht geringes theologisches Problem – das Verhältnis zwischen menschlicher Freiheit und göttlicher πρόνοια (prónoia, Vorsehung) analysiert werden.37

Schlussbetrachtungen Fassen wir abschließend kurz zusammen. Den Schriften des Gregor und des Nemesios sind nicht nur das pagane philosophische und medizinische Substrat, aus welchem die beiden Autoren sich Argumente für ihre Erörterungen aneignen, und die christliche Grundrichtung ihres Denkens 35 DNH 1. 5,15sq. Morani: τὴν θείαν τε καὶ θεοφιλεστάτην ζωὴν μετέρχεται καὶ τὴν ὡς ἀνθρώπου προηγουμένως. 36 Vgl. Nemesii Emeseni De natura hominis, edidit M. Morani, Lipsiae 1987, S. 5 (apparatus). 37 Das Werk endet allerdings abrupt, mitten in der Argumentation. Auch Sharples, van der Eijk (wie Anm. 12), S. 3 betonen, dass die letzten Kapitel über die πρόνοια (DNH 42-43. 120-136 Morani) „may seem surprising, but (they) mark a return to the consideration of the universe as a whole which was also the background to the first section“.

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gemeinsam, sondern auch die ihre Argumentationen leitende Intention. Die deskriptive Behandlung der menschlichen Natur dient in der Tat sowohl in De hominis opificio als auch in De natura hominis einer paränetischen Absicht, die den Menschen als compositum von Körper und Seele zur Wiederentdeckung der menschlichen Eigenmerkmale – bei Gregor der menschlichen Gottebenbildlichkeit, bei Nemesios der dem Menschen innewohnenden Willensfreiheit – ermahnen will. Insofern sind sowohl Gregors De hominis opificio als auch Nemesios’ De natura hominis mit ihrer Verflechtung von deskriptiver und normativer Anthropologie nicht nur Traktate, die einen philosophisch bedingten, argumentativen Zweck verfolgen, sondern auch ein weiteres – in meinen Augen besonders anspruchsvolles – durch die preaching rhetoric geprägtes Beispiel in der Tradition des delphischen Spruches γνῶθι σαυτόν (gnôthi sautón, ‚erkenne dich selbst‘). Freilich ist jedoch eine Charakterisierung von Nemesios’ Schrift in den Termini der preaching rhetoric zunächst nur partiell zutreffend: Wie bereits vermerkt worden ist,38 richtet sich der Bischof von Emesa auch an pagane Leser, so dass die Interpretation seines Werkes als ‚Predigt‘ nur für das christliche Leserpublikum anwendbar wäre. Doch ist es nicht auszuschließen, dass Nemesios’ De natura hominis auch ein ‚missionarisches‘ Ziel gehabt haben konnte. In diesem Fall wäre die Bezeichnung preaching rhetoric auch für Nemesios uneingeschränkt plausibel: Nicht nur hätte Nemesios eine Nähe zwischen paganen und christlichen Positionen herausstellen, sondern auch diese in ethischer Hinsicht bewusst hervorheben wollen, um zu zeigen, dass die Befolgung der christlichen Lehre auch die definitive Erfüllung der von einigen paganen Autoren vertretenen Ansichten darstelle. Außerdem ist der Unterschied zwischen einer preaching rhetoric mit anthropologischem Schwerpunkt und einer paganen Anthropologie auch nicht so markiert, wie moderne Interpreten es annehmen möchten: Es ist in der Tat nicht auszuschließen, dass auch klassische Autoren ihre deskriptive Anthropologie „in pragmatischer Hinsicht“ formulierten.39

38 S. oben S. 391 und Anm. 28. 39 S. hierzu die Beiträge von A. Schmitt und J. Müller in diesem Band.

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Francesco Fronterotta, Plato’s Conception of the Self. The Mind-Body Problem and its Ancient Origin in the Timaeus In this paper, I examine Plato’s conception of the relation between soul and body in the Timaeus as an antecedent of the modern standard version of the mind-body interactionist dualism. The following points are discussed: 1. Soul and body as distinct substances (Tim. 30a-b; 41c; 42e-43a); 2. Soul and body as necessarily connected in a close interaction to give birth to the individual living being (Tim. 34c; 36e; 41d; 42a); 3. The modalities of the interaction between soul and body (Tim. 34a37c); 4. The „place“ of the interaction between soul and body (Tim. 73b-d); 5. The nature of the interaction between soul and body as the proper „self“ of the individual living being (Tim. 41a-44c; 69c-71d; 73b-d). These issues are related to some modern accounts of the status of the self. Jörn Müller, Leib-Seele-Dualismus? Zur Anthropologie beim späten Platon Plato’s anthropology has often been accused of being based on a rather strong (Cartesian) form of mind-body dualism. My paper investigates this claim with regard to Plato’s later work, especially the Laws (Nomoi), by distinguishing between the different kinds of dualism which are supposed to be in play. In relation to ontological dualism, it can be shown that Plato describes a dynamic interaction between the soul and the body which is far from being dualistic. A similar result is to be found regarding ethical dualism: although Plato argues for an axiological predominance of the soul, he does not ultimately denigrate the body (as he did in some earlier works). Thus, Plato does not subscribe either to ontological or to ethical dualism in the Laws. The re-

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sults of this textual analysis are set in the context of claims in recent literature (Carone, Gerson, Johansen, Ostenfeld). Finally, I suggest that the late Plato strikes a balance between a descriptive and a normative version of anthropology which accounts for some of the interpretative problems surrounding his view of man. Sabine Luciani, L’homme et l’animal dans l’anthropologie cicéronienne In works that deal with Man/animal relationships in an anthropological context, Cicero is usually considered a useful representative of Stoic thought and, at best, as a precious source for the dispute between the new Academy and the Stoa concerning the question of assent. I will try to emphasize the lack of „utilitarian“ readings of Cicero. It seems to me that despite its importance, the Stoic model is not sufficient to do justice to Cicero’s anthropology, which is mainly nurtured and structured by the Platonic tradition. Cicero’s humanism finds its origin in a crystallized opposition between Man and animal, and would later inspire Lactantius in shaping Christian anthropology. In this context, I will first examine the polemical stakes of the animal paradigm in the debate on the sovereign good, in particular around the issue of pleasure; secondly, I will explore the anthropological debates that are at issue in the opposition Cicero makes between Man and animal, setting it in the context of Stoic logocentrism; I shall finally examine the importance of the ‚animal‘ as a ‚counter-model‘ for Man in Cicero’s reception of Platonic dualistic psychology. Karl-Heinz Leven, „Eine lächerliche Kopie des Menschen“ – der Affe in den Tierversuchen Galens Animal experimentation and the dissection and vivisection of animals were systematically employed by Galen of Pergamon (129 – c. 210 A.D.). Galen’s key premise was the „similarity“ of the form, site and function of organs in man and animals, since human corpses, for various reasons, were not available to him. The animal most similar to man was undoubtedly the ape, as Aristotle had already stated. Galen displayed his anatomical and physiological expertise in public „demonstrations“ (Gr. endeixeis), which were intended to impress a wider audience of lay and expert visitors, among them rival natural philosophers. When using living apes, Galen was aware of the fact that their „similarity“ to man could produce a strong feeling of discomfort in his audience

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because his experiments were also bloody spectacles. Therefore Galen recommended using other animals, such as pigs and goats, instead of apes in live demonstrations, and only used the dead bodies of apes in public displays. Nevertheless it is obvious from Galen’s accounts that in his „private“ experiments he often used living apes. Abstaining from living apes in „public“ experiments if possible, Galen showed a remarkable sensitivity to the emotions of the spectators at his demonstrations. Sabine Föllinger, Das Denken als psychosomatischer Prozess in der antiken Medizin und Philosophie This article shows that the materiality of the mind was the subject of animated discussion in antiquity, setting this discussion against the background of modern debates on the issue, particularly in the neurosciences. Whereas Hippocratic theories did not differentiate between an intellectual and a material sphere of man, with Anaxagoras’s concept of noûs (‚mind‘) we find a new conception of an immaterial ordering principle that could later be used to designate man’s powers of cognition. But the somatic embedding of thought remained an object of philosophical, medical and biological discourse. This article presents three positions that suggest a physical basis for thought, without entirely reducing thought to the physical: Aristotle’s psychology, Galen’s location of thought in the brain, and Nemesios’s argument that man’s freedom of will is physically embedded. An examination of these theories shows that the question of the materiality of the mind – and thus of the make-up of the ‘soul’ – also involved reflection on methods. R. A. H. King, Das menschliche Gute und der gute Mensch bei Platon Plato’s name is more often coupled with the idea of the good than with the human good. However, this paper argues that a major concern in Laws, Republic and Philebus is to show that the human good is realised in the good human. This approach shows Plato‘s affinity to Aristotle, rather than to the Stoics. Plato’s normative anthropology is grounded in the nature of the soul, and thus in the relevant knowledge, or at least grounded opinion. A good human is one in which the parts of the soul are ordered by knowledge, and so able to realise their potential.

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Brigitte Kappl, Das Tier in Dir. Menschliches Handeln und tierisches Verhalten bei Aristoteles Although Aristotle notoriously denies that animals have the capacity to reason, he sees a close connection between humans and animals, especially in his biological works. In the first section, this article explores the extent of this connection by taking a closer look at Aristotle’s description of the different capacities of the soul of living beings and of animal and human behavior. Humans share not only the basic vital functions of the soul with animals, there also seem to be fundamental parallels in the way the soul perceives things and in the way humans and animals seek to attain their respective pleasures. In the second part of the article, the resulting consequences for our treatment of the animal realm are sketched: how should we deal with ‚the animal within‘ ourselves, and how with ‚the animal outside‘? Francesca Masi, Memory, self and self-determination. The mind-body relation in Epicurus’ psychology In this essay, I set out to examine the nature of the mind-body relationship in Epicurus’ philosophy through the physiological analysis of one of the most complex psychic functions: memory. The wealth of accounts regarding the value of memory for Epicurus from the point of view of knowledge and ethics is regrettably counterbalanced by a lack of information concerning the way in which the philosopher conceived of memory in physical terms. Nonetheless a correct understanding of the Epicurean physiology of memory can help not just clarify the epistemological and practical efficacy of this phenomenon, but also help measure the extent to which the Epicurean atomistic doctrine is capable of accounting for one of the most complex psychic functions. In the present article, I shall be arguing more generally that the physical aetiology of memory sheds light on the way in which the mind operates, on the one hand in relation to the human body as a whole, and on the other in relation to the environment. I will claim that, according to Epicurus, the capacity to retain and conjure up memories represents the necessary condition for the exercising of reason, and hence for the self-determination of the rational subject.

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Christian Illies, Evolution und Menschenwürde. Lässt sich die evolutionäre Sicht des Menschen mit einer normativen Sonderstellung verbinden? Is Darwinism compatible with a Kantian notion of human dignity? It has been claimed that the evolutionary view of humans implies a naturalization of the human species which is incompatible with any allegedly unique moral status. In this paper, the objections to this claim will be looked at in some detail. The claim might be backed by three evolutionary arguments: First, one might reason that evolutionary theory dissolves the notion of species (there is a continuum of life forms; „species“ is merely our attempt to categorize them). Secondly, an evolutionary explanation of humans is said to show that they have no freedom and ability to act selflessly. But then there seems to be no reason why they should have a special moral status. Thirdly, arguments from evolutionary psychology are employed in attempts to debunk morality, by suggesting that our moral evaluations (like: „humans have a special dignity“) are merely functional adaptations. This paper contends that all three arguments are insufficient to rebuff human dignity: the special status of humans does not depend on a strict separation of homo sapiens from other organisms, and evolutionary theory does not imply that we are fully determined or unable to act altruistically. Finally, the debunking arguments wrongly claim that a functional disposition to make certain judgments is incompatible with its truth. Whether or not a value judgment is right depends on the philosophical arguments for it, not on our genetic disposition to make it. Philip H. Crowley, Human Evolution, Culture, and the Balance between Individual and Social Learning The key trait underlying the exceptional evolutionary success of the human species is behavioral flexibility. An enlarging cerebrum increasingly allowed individuals and social groups to make short-term behavioral adjustments to an unpredictable environment, develop an extremely sophisticated type of socialization, and build culture as the basis for social learning through cultural evolution. I hypothesize that human behavior generally did not evolve directly (in the sense of a genetic program) but arose from short-term fitness-based decision

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making shaped by genetically and culturally evolved, general-purpose cognitive mechanisms. To illustrate this line of thinking, I develop and analyze a simple model of individual and social learning under the sort of inter-group competition likely to have played an important role in hominin evolution. In the model, cultural accumulation and thus-enabled social learning are largely byproducts of individual learning. Conditions in which the high metabolic costs of expanded brain structure and function are more than offset by the fitness benefits of additional brainpower would have produced selection for larger brain size. Responses to extreme environmental disturbances would have included cultural loss and intervals in which social learning stopped alto­ gether. Establishing continuity of social learning required the emergence of effective resistance to such disturbances, an achievement perhaps attributable to both genetic and cultural evolution. Arbogast Schmitt, Gerechtigkeit bei Platon. Zur anthropologischen Grundlegung der Moral in der platonischen Politeia Plato is often accused of having a dogmatic concept of morality. Since his philosophy is oriented toward an ideal Being, he appears to neither make space for nor to comprehend the historically relative nature of all rules and norms of morality. Yet, this conclusion does not take into account the experience we have when we read Plato’s dialogues, for in many of them we find that there are no norms, no rules, and no definitions of the good, the just, the courageous, or the virtuous man that are not deconstructed in the course of the dialogue. In Plato’s Republic, Socrates does not even concede norms that we would consider basic, inalienable human rights (for instance, the right to property). Thus, he uses the example of a crazed person who might harm himself to demonstrate that one can question almost all universally valid principles, and, indeed, that one must do so. Socrates’ own definition of the morally correct action or attitude is not based on normative behaviors derived from a hypothetical nature of man; rather, it is based on an anthropological analysis of the dynameis, the capacities, of man and the conditions under which these either are or can be actualized. The individual can achieve what he can as a human in general and as a human with his specific individual talents in particular only in a community with others – a community that provides the existential conditions under which he can focus on his own capacities. The community thus has the responsibility to offer each individual – through musical

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and rational education – the conditions under which he can try out and develop his abilities. In contrast, the individual has a responsibility to make use of these conditions such that he can realize himself along with all his talents and abilities optimally. According to Plato, an individual who achieves this state also achieves the greatest possible happiness and is, moreover, a valuable member of the community. The true moral task for humans thus lies in this coincidence of personal happiness and optimal collaboration within a community. Evelyn Korn, Kooperatives Verhalten in der Ökonomik. Theorie und experimentelle Evidenz In neoclassical economics, the so-called homo economicus is an agent whose actions aim at maximizing his own wellbeing; the homo economicus is also thought to be perfectly rational which implies that all available information is correctly evaluated in a time-consistent way. Although this model of human action is obviously flawed, it is still used as an important reference model in the social sciences. This paper provides two reasons why it might still be worthwhile to work with this problematic model. In the first instance, although the model distorts the picture when a specific decision maker is at issue, it is well suited to predict group behavior. In this context, institutions that shape individual behavioral choices play a crucial role in supporting cooperative behavior between rational individuals. Secondly, there is still no alternative to the concept of the homo economicus that is capable of describing broader motivations. Although experimental studies suggest that humans may have motivations other than their own wellbeing, there is no structural model to describe this. Therefore, the paper focuses on an analysis of institutions that enhance cooperation between self-interested individuals. Johannes Breuer, Anthropologische Diskurse im lateinischen apologetischen Schrifttum Christianity developed in an intellectual environment in which many anthropological concepts already existed: Christian writers had to present their ideas of man and his position and purpose in the world in a way which was also plausible and appealing to pagan readers. In this paper, I focus on four Latin apologists (Minucius Felix, Arnobius of Sicca, Lactantius and Firmicus Maternus) and analyze the ways in which

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they engage with wider anthropological discourses. I demonstrate that these discourses are almost always embedded in larger arguments. The concepts of man put forward by these authors are neither completely new nor are they presented for their own sake. Anthropological arguments, however, played an important role in establishing Christianity as a reasonable, and hence appealing, system of thought. Diego De Brasi, Eine Neubewertung des Körpers. Anthropologie und Glauben in den Schriften zur menschlichen Natur des Nemesios von Emesa und Gregor von Nyssa This paper aims to analyze the rhetorical strategies underlying the portrayal of the human body in Gregory of Nyssas’s De hominis opificio and Nemesios of Emesa’s De natura hominis, two anthropological treatises from the 4th century CE. In these works, both authors offer an exhaustive description of the functions of the human body and hold rather positive views of it, claiming that the true essence of human beings consists in the inseparable union of body and soul. A thorough reading of the texts shows that, in arguing this, both Gregory and Nemesios have a precise goal, i. e. urging their audiences to rediscover their true nature as creatures of God. In particular, Gregory links his examination of the human body to his argument for the resurrection of the body and admonishes his readers to consider the body to be as crucial as the soul to salvation. Nemesios, on the other hand, aims at a psychosomatic explanation of free will, which he apparently considers a peculiar aspect of human nature, and wants to remind his readers to act according to their original righteous nature.

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Alexander Aphrodisiensis De anima II 117, 1-9 11394

De fato 11, 178,8-15 15358 De mixtione 214.28-215.8 21127

Alcmaeon

24 A5 DK 14211 24 B1a DK 19, 14211, 14312

Anaxagoras

59 B12 DK 142

Aristoteles

Analytica Posteriora II 19, 99b35 18420 19, 99b36-100a6 18630 De anima II 1, 412a19-28 19352 2, 413b1-4 18419 3, 414a32-b6 18939 3, 414b2 19143 4, 415a23-b2 18315 5, 417a21-b2 19352 6 18526 12, 424a17-19 18524 III 1, 425a14-b11 18525 1, 425a14-27 18526 3, 427a19-22 18522 3, 428a19-24 1819 3, 429a4-8 18835 4-5 14531 4, 429a10-20 4716 4, 429a13f. 18522

4, 429a22-25 14529 5, 430a10-20 4716 6, 430b26-30 18524 9-11 18837 10, 433a9-30 18939 10, 433b27-30 18836 11, 434a4-7 18836 12, 434b14-18 18523 13, 435b19-25 19763 Ethica Eudemia II 7, 1223a26f. 19143 8, 1224a28f. 1819 10, 1225b24-26 19143 III 2, 1230b36-31a15 19144 Ethica Nicomachea I 1, 1094a1f. 321 3, 1095b19f. 19249 6 18211 6, 1098a5-7 19352 9, 1098b30-99a7 19352 10, 1099b32-1100a1 1819 13, 1102a18-21 18210 13, 1102a32-1103a10 19659 13, 1102b27-29 19660 II 1, 1103a17-23 19659 1, 1103b23-25 19659 2, 1104b11-13 19659 5, 1106a19-21 20172 9, 1109a24f. 19248 III 4, 1111b12f. 19042 11, 1116b23-17a9 19041 11, 1116b24-26 19042 13, 1118a16-23 19145 14, 1119b15-18 19660

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Stellenregister 1, 588b1f. 18314 1, 588b4-12 18213 1, 588b10-21 19455

IV 8, 1125a5ff. 1519 VI 12, 1143a35-b5 18522

IX 1, 608a17-21 18629 1, 608b29-609a3 19350 3, 610b33f. 18629 6, 612a3-5 18632 7, 612b29-31 18629 46, 630b19-21 18629

VII 5, 1147a25-b5 18940 5, 1147b3-5 19247 7, 1149a25-29 29718 7, 1149a25-b3 19041 7, 1149a28 19042 11, 1151b34-52a3 19660

De iuventute 3-4 14420

X 4-7, v. a. 1174b5-33 32146 4, 1175a10-17 19764 5, 1176a3-5 19761 6, 1176a30-b9 19352 8, 1178b24-32 1819 De generatione animalium I 23, 731a29-34 18421 23, 731a25-b4 19762 23, 731a35-b2 19454 23, 731b8-13 19455 II 3, 736a35-736b8 18314 3, 736b27-29 14529 De generatione et corruptione II 10, 336b27-34 18417 Historia animalium I 1, 488b20-22 19042 1, 488b25f. 18629 1, 494b21-24 13243 II 8, 502a16-18 19456 8, 502a16-34 13140 8, 502a16-b26 18213 8, 502b4 13141 8, 502b25f. 13142 III 3, 513a15-27 14419 VIII 1, 588a18-b3 19558

Metaphysica I 1, 980a21-b25 18523 1, 980a27-b28 18628 1, 981a12-24 18631 1, 981a27-b27 18835 V 4, 1014b10-16 19351 XII 7, 1072b3 18316 7, 1072b13f. 18316 10, 1075a11-23 18418 De motu animalium 6-8 18837 6, 700b17-29 18939 7 18940 8, 702a16-19 18939 De partibus animalium I 5, 645a7-10 19146 II 7, 652b17-25 14421 10, 655b37-656a6 18212 17, 660a35-b2 18629 III 7, 670a23-27 14419 IV 5, 681a10-12 19455 5, 681a12-15 18213 10, 686a24-32 145 10, 686a25-87a23 19456 10, 687a5 f. 2034 10, 689b31-34 18213

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Stellenregister

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Biblia

Physica I 1, 184a14-26 2859 1, 184a23-b14 18733

Genesis 1:26 386 1:27 36313 3:19 393

II 1, 193a28-b8 19351 2, 194a27-b8 19967

Liber Psalmorum 49(48):13 394

III 3, 247b1-248a9 145

Paulus Tarsensis (Apostolus) Epistulae ad Corinthios I 15:47-49 393

Poetica 9, 1451a36-b12 31942 Politica I 1 29215 5-7 19249 5, 1254a21-b13 20171 8, 1256b16-22 19865 8, 1256b26-27 20070

Liber Proverbiorum 12:10 122

VII 2, 1324b39-41 20069 7 19041

Cicero

VIII 13, 1332b3-5 19350

Cato Maior 78 11180

De sensu 1, 436a6-11 19042 1, 436b8-437a3 19763 2, 439a3f. 14417 5, 443b19-444a8 19144

De divinatione I 60 115102

Celsus

De medicina I Prooemium 23 1218 Academicorum posteriorum liber I 6 10966

Epistulae ad familiares VII 1, 3 10438

Arnobius Maior Adversus nationes 2,6 36520 2,7 36521 2,24 36724 2,30f. 36726 2,36 36827

De finibus bonorum et malorum I 30 10119 33 10225 34 10226 71 10223

Athenaeus

II 1-6 10543 32 10122, 10968 33 10645, 10862 33-34 10969 36 10646 40 10860 44 10014, 10647 45-46 10649

Deipnosophistae 89d 10334

Bentham, Jeremy

A Comment on the Commentaries and a Fragment on Government 331

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430 95-106 10967 109 10330 110 10970, 71 111 10966 III 16-18 10327 17 10440 20 10440 21 10440, 29214 23 10440 58f. 2836 62 10333 62-63 116109 63 10331 65 10329 67 10438 IV 16 10861 25 10861 28 11077, 116110 37-43 11075 43 11076 V 8 10016 34-40 11075 38 10972 75-86 10117 79-81 10543

Stellenregister 138 11074 139 10863 In M. Antonium orationes Philippicae II 30 986 III 28 986 IV 12 986 VII 27 986 De natura deorum I 16, 43 2044 II 33-35 10435 123 10334 124 2035 133-153 10751 157-158 10438 160 1803 III 66-78 10756 95 10858

In L. Pisonem 8 986 19 986 72 986

De officiis I 11 10650 11-14 116109 12 10327 14 10650 34 10650 50 10650 81 10650 105-107 10650

Laelius de amicitia 20 10863 32 108

II 11 10435 14 10438

De legibus I 22-30 10650 23-25 10435 24 11180

III 11 11178 32 989 82 989

De inventione I 5 10650, 10754

Lucullus 80-81 10757

De oratore I 33 10650

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Stellenregister III 61-62 11178 Pro P. Sulla 76 986 De re publica II 67-68 115101 III 1-3 10755 19 10438 VI 26 11180 Pro T. Annio Milone 32 986 40 986 Tusculanae disputationes I 50-71 11283 56 11498 66 11284 69 10650 78-81 11388 79 11391 80 11393 II 47 11499 IV 6 11178 10 11495 45 115103 83 10544 V 11 10544 33 10544 36 11178 38 10650, 10859, 11179 73 10965 84 11074 In Verrem V 109 986

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Clemens Alexandrinus Stromateis II 4 2044

Darwin, Charles Robert

The descent of man, and selection in relation to sex 231, 245

Diogenes Laertius

De clarorum philosophorum vitis VI 40 12 VII 85-86 10327 129 10438 138-139 10435 157 11389 X 22 20613 31, 17A 205 33, 17E 204 33 21018, 22, 23 137 10120, 173

Diogenes Oenoandensis fr. 9 II 9-IV 2, Smith 21444

Epicurus

Epistula ad Herodotum 35-36 20510, 21020 36 22365 46 21025, 21236, 21445 49 212, 21444 50 21237, 21443 52-53 21234 Epistula ad Menoeceum 123 20611 124 21023 128-129 20612 135 20611 De rerum natura XXV Laursen 1995, p. 91 = [35.10] Arr. 21019 Laursen 1995, p. 91, 1191, 6, 2, 2, 3; 1420, 2, 2 = [35. 10] Arr. 213f.

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

432

Stellenregister

Laursen 1995, p. 92, 1191, 6, 1, 5, 1; 1420, 2, 3 = [35. 11] Arr. 208f. Laursen 1997, p. 14, 697, corn. 2, pz. 2, z. 3 = [34. 19] Arrighetti; 1056 corn. 4, z. 4 223f. Laursen 1997, pp. 16 ff., 1191, 4, 2, 1/1191, 7, 2-3; 697, 2, 2, 4; 1056, 5, 1; 697, 2, 2, 4 = [34. 20] Arr. 224f. Laursen 1997, p. 25, 1191, 7, 2, 2 = -18 inf./1191, 7, 1, 6 = -17 sup.; 697, 3, 2, 1 = [34. 23] Arr.; 1056, 5, 4 220f. Laursen 1997, p. 27 21650 Laursen 1997, pp. 32 ff., 1191, 8, 1, 5; 697, 4, 1, 1; 1056, 6, 3 = [34. 26] Arr. 217f. Laursen 1997, pp. 46 ff. 1191, 9, 1, 3 = -2 sup.; 697, 4, 2, 3; 1056, 8, 2 = [34.32] Arr. 221f. XXXIV Leone 2002, p. 65, col. XXIV. 216

1,7. 8.66.9-68.4 Kühn = 7,3,30. 446,11-13 De Lacy 14837 3,9. 8.174,15-175,4 Kühn 149, 150 De optimo medico cognoscendo S. 105 (Iskandar) 128 De Placitis Hippocratis et Platonis 1,6-7. 78.16-82,16 De Lacy 14840 1,6. 80,21-24 De Lacy 14943 7,3,2. 438,28-33 De Lacy 147 7,3,4. 440,9f. De Lacy 14838 7,3,21. 444,4-8 De Lacy 15049 7,3,30. 446,11-13 De Lacy 15049 7,8,5-7. 476,11-17 De Lacy 14944 9,9,7-14. 598,26-600,30 De Lacy 15150 De praecognitione 1, 9. S. 70, 23f. Nutton 13350 5, 10. S. 96, 10f. Nutton 12934 5, 21. S. 100, 2f. Nutton 13035

Euripides

Medea 1078-1080 316

De usu partium 1, 58ff. Helmreich = III 80-81 Kühn 2136 8,13. 488,26-489,7 Helmreich 150

Firmicus Maternus

Gregorius Nazianzenus

De errore profanarum religionum 1,2 37242 4,1f. 37446 5,4 37243 7,4 37447 12,2ff. 37448 20,7 37241 24,9 37345

Galenus

De anatomicis administrationibus 1, 2. K 2, S. 219 13244 4, 1. K 2, S. 416 133 6, 3. K 2, S. 548 12519 7, 12. K 2, S. 631f. 130 7, 13. K 2, S. 633 13247 8, 8. K 2, S. 690 13556 9 (dt. Übersetzung Simon, S. 13f.) 131, 134f. 12, 7 (dt. Übersetzung Simon, S. 113ff.) 13246, 13451 De locis affectis VIII

c. 1,12,4 (De humana natura) 59-62 377

Gregorius Nyssenus

De anima et resurrectione 29B 38111 De hominis opificio 128A 3797 128B 385 128C-137C 386 137D-177C 386 144D-145C 389 156C-160B 389 160D 38111 161A-B 38414 177D-185D 386 180B 38618 188A-225A 387 225A-229B 387 229B-240B 387 233D 38110 240B 38723 240B-C 38824

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Stellenregister

433

Kant, Immanuel

240C-256C 387 240D-241A 389 241A-244D 389 244D-253A 389 245B 390f. 253A-B 388 253B 38926 256C 390

Anthropologie in pragmatischer Hinsicht 119 AA 1516 Kritik der reinen Vernunft B 369/A 312ff. 29214 B 374/A 317 29214 Metaphysik der Sitten 386 AA 25237 387 AA 25646 388 AA 25239 393 AA 25238

Heraclitus

22 B 82 DK 125 22 B 83 DK 125

Herophilus Medicus

Vorarbeiten zum Ewigen Frieden 192 AA 25748

Fragmenta T 145a von Staden 14736

Lactantius

Hippocrates

Divinae institutiones VII 9, 7 11286

De morbo sacro 11, 3f. 12311

Iohannes Philoponus

In Aristotelis De anima libros commentaria 155. 20-30 15153

Hobbes, Thomas Leviathan 331

Homerus Ilias I 54-218 304 188 305

XVIII 243-313 318 250 318 Odyssea XIII 296-299 318 330-340 318 XX 1-55 317 24-30 317

De opificio dei 1,9-11 3786 1,11 36932 2,1 37033 2,6 97 2,9 972 2,10 36931 8,3 37034, 35 10,26 972 11,5 37137 14 38111 14,8f. 37138 16,11 11286 16,11-12 38111 17,1ff. 37136 18,1 10, 37139

Locke, John

An Essay Concerning Human Unterstanding 259, 2824 Epistola de tolerantia 2825

Lucretius

De rerum natura I 1-25 10224

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

434

Stellenregister 2. 38,7-9 Morani 39128 3. 39,12 Morani 382 3. 40,10-12 Morani 38110 3. 40,22-41,10 Morani 383 3. 42,22 Morani 38212 4-28. 44-93 Morani 392 12. 68,6-13 Morani 152 27. 88,3-5 Morani 152 29-43. 93-136 Morani 392 33. 101,3-5 Morani 152 33. 101,3-8 Morani 392 33. 101,15-16 Morani 152 39. 113,8-13 Morani 153 42. 120,21-23 Morani 39128 42-43. 120-136 Morani 39437

III 136-142 22879 246-251 21231 843-851 203 673 21021 IV 524-527 21234 617-721 21233 649-670 21232 674-678 21234 724-744 21339 757-766 21340 757-767 22676 794-815 22057 973-977 215

Nietzsche, Friedrich

V 222-234 10752

Jenseits von Gut und Böse 169 (Colli, Montinari; Bd. 5) 24015

Mill, John Stuart

On Liberty and Utilitarianism 3316

Montesquieu, Charles Louis de Secondat

Plato

Alcibiades Maior 130c-e 591

De l’Esprit des loix 331

Cratylus 399d 9176 400c 603

Minucius Felix

Definitiones (Ps.-Plato) 415a 11

Octavius 5,2ff. 3598 5,8 3619 16,3ff. 36110 17,1f. 36211 17,11f. 36212 18,8 36315 23,8 36316 32,1 36314 32,6 36317 38,7 36725

Nemesios Emesenus

Euthydemus 278e-282e 7949 Gorgias 493a 603

De natura hominis 1. 1,1-3 Morani 3798, 392 1. 1-16 Morani 392 1. 5,15f. Morani 39335 1. 15,7 Morani 394 2-3. 16-44 Morani 392 2. 25,26-26,6 Morani 38415

Leges I 624a 8358, 163 626e-627a 162 630c, e 160 631b-632a 7947 631c-d 161 636a 68 636d 81, 8254 636d-e 161f. 637c-d 65 644d 8459 644c-645a 6312 644c-645c 162

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Stellenregister 645d-e 64 648d-e 65, 161 650b 8254 II 652a 8254 653a 85, 162 653b-c 163 653c 65, 85 653d-e 68 657c 167 658e 164 659d-e 164, 165 660-3 166 660e 163 661a-d 79 662b-663a 163 662d-663a 164 663b 164 663c 167 664b 165 664e-665a 68, 165 665d-666c 66 667d-e 165, 167 668a-b 165 671d-672d 6617 672e 68 672e-673a 71 673c-d 68 673e-674a 161 III 691c-d 86 696c 85 IV 711e-712a 87 713c-d 87 713e 87 714a 83 715c 87 716c 83 716c-d 86 721b-c 84 724a-b 89 V 726a 84 726a-727a 7947 726a-734e 165 727d 76, 8356

435 728d-e 7947 728e-729a 81 731b 166 731b-734d 166 731d-732b 8765 732d-733a 81 732d-733d 166 732e 81, 96 733a-c 8253 733-734 166 733b-d 167 733d 82 733d-734d 8664 734d-e 7949 739a-b 96 743c-e 8051 743d-744a 7947 VI 766a 95 775c-d 6819 782e 80 VII 788c 71 789a-b 67 789e 67 791a 67 791c 6820 792c-e 167 792d-e 86 792d-793a 8253 803c 8459 804a 79 804a-b 8459 807c-d 71 808d 1933 811c-812a 160 VIII 828d 9383 831e 80 839a 80 IX 854a 8766 870b-c 7947 870d-e 7742 871a-879b 8050 872e 7742 875a-c 8765

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

436 X 892c 75 893c 74 893c-d 4717 894c 4717 894e 72 895c 7844 895e-896a 72 896a 77 896b 79 896b-c 75 896c-d 74 896e-897a 4613, 72 897b 83, 95 897d 95 898e-899a 7538 900c-903b 84 902c 84 903-905d 76 904a 77 904b-c 8459 904c 95 904d-e 76 XI 927a 76 XII 945c 8765 947e 8765 959a-b 616, 93 959b 76 959c 76, 78 960d 7127 961d-e 8971 966d-967d 7540 967c8 29718 967d 79 Phaedo 62b 603 63d-69e 70 64c 40 65b9 4716 66b 40 66e-67a 41 79a-b 39 79c-d 39 80a 41 80c-d 77

Stellenregister Phaedrus 245c-246a 7230 246a-253e 11497 248c-249c 115104 250c 603 Philebus 11d 172, 173 16c-17a 172 20c-22b 174 20d 173 20d-22b 173 22b 172 23b-27c 172 27e 174 31a 174 31-32 159 32d 174 33b 174 41d 174 45e 175 47d-48b3 30526 48e 175 52c-e 174 54c 175 55a 174 55c 175 60a, d 173 60d-e 174 62a-c 174 62b 174 62d-e 174 63a 174 63e 175, 177 64b 91, 174, 175 64c, d, e 175 65a-b, c 175 65e-66a 158 Politicus 261c-266d 116, 7 266e 128 Protagoras 321c-322d 10753 Respublica I 330d-331d 282 331c6 285 346a2-4 286

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Stellenregister 346d6 286 351b 177 353a 287 353d 4613, 168, 289 354a 168 II 357b-362c 168 362d-368e 168 368c-d 290 369b ff. 290 370a-b 290 375a2-e5 19042 376a2-8 29718 IV 427c-435d 299 428d 295 429c-d 295, 297 431d-e 29920 432a 29920 433e-434a 177 434a-c 294 435e 290, 300, 301 436b 301 436d-e 301 439c-d 114 440c-d 303 441a-b 303 441c 30730 442c5-d1 1817 442d 29920 443c9-444a2 1806 469e1 29718 VI 511b-e 4716 VII 522c 309 VIII 553c-d 314 IX 571c-572a 115102 580a-b, c 168 580c-588a 30730 580d-583a 169 581b, c-e, d-e 169 582a-b, d 169 582d-e 170

437 583a 170 583a-588a 170 583b 168 583c-584a 170 584b 170 585a, b, c, d 171 585a-e 159 586a 171 586d1-587a6 1818 586e3-587a1 171, 32448 588b-e 1805 588c-e 157 588c-589d 11497 589a 157 589a-c 158 X 610e-611a 11392 617d-620d 115104 618a-e 159 Sophista 248b-e 4613 Symposium 206b-209e 159 212a 4716 Timaeus 30a-b 40, 419 31b-32c 42, 48 34a-36b 43 34a-36d 42 34a-37c 419 34b-c 7539 34c 41, 89, 419 35a 8868 36e 41, 419 36e-37c 45 37a-c 46 41a-d 50 41c 40, 419 41c-d 49, 50 41d 52, 54 41d-e 51 42a 41, 52, 419 42a-b 51 42c-d 52 42d-e 52 42e-43a 40, 53, 419 43b-c 53

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

438

Stellenregister

43d-e 53 43d-44b 69 44a-b 53 44b-c 53 44b 49 47a-c 49 47b-e 7024 64a-65a 159 69a-72d 7025 69c-d 5321 69c-e 55 69d 8460 69e-71d 5321 70e 55 71a 11497 73a 8357 73b-d 49, 5321, 419 76b 8357 80e 7024 86d-e 6922 87d 6821 87e 9176 88a-b 81 88b-c 68 89a 69 90a-b 9586 90a-e 115104 90c 8357 90d 70

De ira I 3, 7 10973 II 3, 5 10973 4, 1 10973

Sextus Empiricus

Adversus mathematicos I 57 2044 IX 88-91 10435 XI 21 2044 96 10120 Pyrrhoneiai hypotyposeis III 194 10120

Smith, Adam

An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations 331, 332 The Theory of Moral Sentiments 332

Stoicorum veterum fragmenta I 518 11394

Plinius Secundus Naturalis historia IX 142 10334

Proclus

In Platonis rem publicam commentarii 206-235 (Kroll) 32347

Rousseau, Jean-Jacques Discours sur l’inégalité 29113

Seneca

II 458 10435 522 11389 791 11394 809 11389 810 11389 988 10435 III 513 2837

Theophrastus

Epistulae Morales ad Lucilium 76, 9-10 11182 121 10327 124, 16 10973

De sensu 51 D 513 21446

Tertullianus De anima 5, 4 11394

https://doi.org/10.5771/9783495808337 .

Namenregister

Alexander Aphrodisiensis 12933, 15358 Alexander Damascenus 129, 12933 Alcmaeon 19, 122, 142 Ammonius 382 Antiochus Ascalonensis 100, 105 Anastasius Sinaiticus 1619 Anaxagoras 142, 143 Aristoteles 91, 10, 115, 13, 1519, 19, 20, 21, 2239, 24, 28, 29, 68, 72, 73, 7334, 77, 80, 86, 123, 12415, 126, 131, 136, 141, 143-147, 15256, 158, 159, 178201, 223, 285, 28710, 28912, 29215, 293, 29517, 29718, 30121, 30729, 31033, 31740, 31942, 32044, 321, 322 Arnobius Maior 364-368, 375, 376 Aspasius Peripateticus 1519 Athenaeus Sophista 10334 Augustinus 31234 Basilius Caesariensis 1619, 385 Bentham, Jeremy 1194, 331, 333 Bernard, Claude 130 Boethius 31234 Carneades Cyrenaus 105 Celsus Medicus 117, 121 Celsus Philosophus 30 Chomsky, Noam 36623 Chrysippus 10334, 105, 110, 111, 113, 14943, 179, 191, 198 Cicero 20, 26, 97-117, 179, 2836, 29214 Cleanthes 113 Darwin, Charles Robert 28, 179, 231233, 235, 245, 25033, 251, 253-256 Democritus 122 Descartes, René 10, 35, 36, 37, 387, 56, 73, 78, 97 Didymos Caecus 1619 Diogenes Cynicus 11, 12 Diogenes Laertius 173, 204, 205 Diogenes Oenoandensis 215

Elisabeth von der Pfalz 35, 377 Epicurus 20, 23, 24, 28, 203-230, 361, 369 Erasistratus Ceus 123, 132 Euripides 1931, 316 Firmicus Maternus 372-376, 425 Flavius Boethus 129 Foucault, Michel 244 Freud, Sigmund 244 Galenus 20, 21, 27, 74, 119-136, 141, 147-151, 387, 389, 390, 393 Gregorius Nazianzenus 377 Gregorius Nyssenus 30, 377-391, 394, Harvey, William 120, 1217 Heidegger, Martin 97 Heraclitus 125 Herophilus Medicus 121, 123, 132, 14736 Hippocrates (et Corpus Hippocraticum) 20, 24, 121, 122, 123, 142 Hobbes, Thomas 244, 331 Homerus 14, 18, 303-305, 317-319 Hume, David 244, 249 Hundt, Magnus 14 Kant, Immanuel 14, 15, 28, 94, 231, 233, 238, 242, 252, 253, 255, 256, 257, 29214, 375 Lactantius 10, 97-99, 112, 362, 369-371, 374, 376, 3784, 6, 381f.11 Leibniz, Gottfried Wilhelm 333 Locke, John 259, 260, 282 Lucretius 10752, 203, 210-216, 219, 226, 228 Magendie, François 130 Mill, John Stuart 3316 Minucius Felix 359, 360, 363, 365, 36725, 375, 376 Montaigne, Michel de 97

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Namenregister

Montesquieu, Charles Louis de Secondat 331 Nemesius Emesenus 21, 23 , 24, 30, 141, 151-153, 377-385, 391-395 Newton, Isaac 333 Nietzsche, Friedrich 240, 244 46

Panaetius 113, 116 Petrus (Bruder Gregors von Nyssa) 385 Philo Alexandrinus 1619 Pico della Mirandola, Giovanni 14, 21, 251, 393 Plato 10-13, 19, 21, 24, 26, 27, 29, 35-43, 4716, 49, 50, 52, 5321, 55-57, 59-96, 99, 100, 111-116, 143, 147, 148, 157-162, 165, 167, 170, 175-178, 180, 190, 196, 223, 279-327, 3304, 367 Plotinus 382 Plutarchus Chaeronensis 117 Popper, Karl Raimund 315 Porphyrius 117, 38212

Quintus 133, 134 Regius, Henricus 377 Roth, Gerhard 2342, 1403, 141 Rousseau, Jean-Jacques 29113 Seneca 112 Sextus Empiricus 117 Singer, Peter 129, 119f., 25544 Singer, Wolf 139-142, 145f. Smith, Adam 29, 331, 332, 349 Socrates 70, 86, 157, 159, 167-176, 280294, 297-301, 309 Vesal (Vesalius, Andreas) 121 Willis, Thomas 14525 Wittgenstein, Ludwig 244 Xenocrates 38211 Xenophon 3303 Zeno Eleaticus 236

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Autorenhinweise

Johannes Breuer ist z. Zt. akademischer Oberrat im Fachgebiet Klassische Philologie am Institut für Altertumswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die augusteische Dichtung (insbesondere Horaz), die antike Rhetorik sowie die christliche Bewertung und Transformation paganer Bildungsgüter in der Spätantike. Philip H. Crowley is Professor of Biology at the University of Kentucky, where he has conducted research and taught since 1976. He is an evolutionary ecologist, using both theoretical and empirical methods to address mating systems, disease dynamics, and life-history strategies in a wide array of organisms, from viruses and bacteria to humans. Diego De Brasi ist akademischer Rat auf Zeit im Fachgebiet Gräzistik am Institut für Klassische Sprachen und Literaturen der Philipps-Universität Marburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen das politische Denken Platons, Philon von Alexandrien und die christliche Anthropologie in der Spätantike. Sabine Föllinger war von 2003–2011 Professorin für Klassische Philologie/Gräzistik an der Universität Bamberg. Seit Oktober 2011 lehrt sie Gräzistik an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die griechische Tragödie, antike Philosophie, antike Biologie, antike ökonomische Literatur sowie literarische Formen der antiken Wissensvermittlung, insbesondere der Dialog. Francesco Fronterotta is Associate Professor (History of Ancient Philosophy) at Sapienza-Università di Roma. His research has been dedicated to Plato’s ontology and cosmology, and to the Platonic tradition (Plotinus). He also worked on the Presocratics (Parmenides and Heraclitus), and on some modern and contemporary interpretations of Ancient philosophy.

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Autorenhinweise

Christian Illies studierte Biologie und Philosophie. Ab 2002 Universitätsdozent an der TU Eindhoven, dann Professor für Philosophie der Kultur und Technik an der TU Delft, seit 2008 Lehrstuhl für praktische Philosophie an der Otto-Friedrich Universität Bamberg. Seine Spezialgebiete sind Ethik, Philosophie der Biologie, Naturphilosophie und Philosophische Anthropologie so wie Philosophie der Architektur. Brigitte Kappl ist Akademische Oberrätin am Seminar für Klassische Philologie der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der antiken Ethik und Literaturtheorie und ihrer Rezeption. R. A. H. King lehrt Geschichte der Philosophie in Bern. Seine Forschungsschwerpunkte sind Platon, Aristoteles, Plotin und der Vergleich der Ethik im alten China mit der griechisch-römischen praktischen Philosophie. Evelyn Korn ist Professorin für Mikroökonomie an der Philipps-Universität Marburg. Ihr Interesse gilt der institutionenökonomischen Analyse von (menschlicher) Kooperation, insbesondere im Rahmen der Familienökonomik. Sie arbeitet interdisziplinär zu Fragen der Biologie und der Altertumswissenschaften – hier z. B. zur Staatsorganisation der Hethiter sowie zu Platons Idealstaatskonzeption. Karl-Heinz Leven ist Medizinhistoriker und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsgebiete sind die antike und byzantinische Medizin, die Geschichte der Seuchen und die Medizin in der NS-Zeit. Sabine Luciani ist Professorin für lateinische Sprache und Literatur an der Aix-Marseille Université und Mitglied des Instituts Paul-Albert Février (UMR 7297). In ihrer Forschung widmet sie sich der Geschichte der hellenistischen und römischen Philosophie, insbesondere der Beziehung zwischen Literatur und Philosophie in Rom. Sie hat u. a. mehrere Studien zu Lukrez und Cicero veröffentlicht. Francesca Masi ist „Ricercatrice“ im Fachgebiet Geschichte der Antiken Philosophie an der Universität Ca’ Foscari in Venedig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der antiken Ontologie,

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Autorenhinweise

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Physik, Psychologie und Ethik. Insbesondere untersucht sie das LeibSeele-Verhältnis, das Problem des Determinismus bzw. des freien Willen und die antike Reflexion über Gerechtigkeit. Sie hat vor allem zu Aristoteles und Epikur veröffentlicht. Jörn Müller ist ordentlicher Professor für antike und mittelalterliche Philosophie am Institut für Philosophie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ethik, Handlungstheorie, Anthropologie und philosophische Psychologie. Arbogast Schmitt studierte Gräzistik, Latinistik, Germanistik und Philosophie. Von 1981 bis 1991 war er Professor für Klassische Philologie (Schwerpunkt Gräzistik) in Mainz, von 1991–2011 in Marburg. Seit 2011 ist er Honorarprofessor an der FU Berlin. Die Schwerpunkte seiner Forschungen liegen auf der Geschichte der Antike-ModerneAntithese, bei Homer, der griechischen Tragödie sowie Platon und Aristoteles.

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