Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts: Die Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache (1771) 9783110896381, 9783110175189

Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Bandes ist die für das Jahr 1771 von der Berliner Akademie der Wissenschaften g

185 56 38MB

German Pages 669 [672] Year 2002

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Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Zum Geleit
Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit
I. Kapitel. Zum aktuellen Forschungsstand und zur Entwicklung der Sprachursprungsfrage bis 1769
1.1. Kurzüberblick über einige repräsentative Studien zur Sprachursprungsproblematik
1.2. Ausgewählte Stationen der Sprachursprungsdiskussion vor der Aufklärung
1.3. Zur französischen Sprachursprungsdiskussion im 18. Jahrhundert
1.4. Zu einigen wichtigen Repräsentanten der deutschen Sprachursprungsdiskussion des 18. Jahrhunderts
II. Kapitel. Institutionelle Grundlagen Die Frage nach dem Ursprung der Sprache im Kontext der Berliner Akademie
2.1. Institutionelle Grundlagen
2.2. Präsentation des archivalischen Fundus
2.3. Zur essayistischen Form der Preisbewerbungsschriften
2.4. Zur Methode unserer Untersuchung: Das serielle Vorgehen
III. Kapitel. Topoi und charakteristische Argumentationsstrukturen in den Berliner Preisbewerbungsschriften
3.0. Präsentation rekurrenter Topoi und Argumentationsstrukturen
3.1. Der Topos der ‘Tiersprache’
3.2. Der Topos der Neugeborenen und (Klein-)Kinder
3.3. Der Topos der ‘wilden Kinder’ und ‘Waldmenschen’
3.4. Der Topos der exotischen Völker – Exotische Völker als Exponenten eines archaischen Kulturund Sprachstadiums
3.5. Der Topos der Taubstummen
3.6. Die Relation zwischen Sprache und Gesellschaft: die Polemik gegen Rousseau
IV. Kapitel Zu herausragenden Exponenten der Berliner Sprachursprungsdiskussion
4.0. Zu Anlage und methodologischen Besonderheiten dieses Kapitels
4.1. Francesco Soave – Ein Exponent der Berliner Preisfrage
4.2. Zur sprachtheoretischen Reflexion bei Michaelis
4.3. Herders ‘Abhandlung über den Ursprung der Sprache’ im Vergleich zu ausgewählten Manuskripten
V. Bibliographie
5.1. Primärliteratur
5.2. Sekundärliteratur
VI. Index nominum
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Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts: Die Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache (1771)
 9783110896381, 9783110175189

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Cordula Neis Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts

W DE G

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Stefan Sonderegger und Oskar Reichmann

67

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003

Cordula Neis

Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts Die Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache (1771)

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003

Das vorliegende Werk wurde als Inaugural-Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam im Jahre 2001 eingereicht.

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017518-5 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.

© Copyright 2003 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: LinguaSatz, Thomas Spehr, Bonn Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Meinen Eltern

Dem Andenken meiner Großmutter

Danksagung Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation am Institut für Romanische Sprachwissenschaft der Universität Potsdam bei Frau Prof. Dr. Gerda Häßler geschrieben. Gutachter waren Frau Prof. Dr. Gerda Häßler, Herr Prof. Dr. Hans-Josef Niederehe (Universität Trier) und Frau Prof. Dr. Lia Formigari (Università La Sapienza, Rom). Allen drei Gutachtern möchte ich an dieser Stelle für ihre Hinweise und Empfehlungen danken. Mein besonderer Dank gilt jedoch Prof. Dr. Gerda Häßler. Bereits im Laufe meines Studiums konnte ich wertvolle Anregungen für die Auseinandersetzung mit dem Thema des Sprachursprungs in Seminaren bei Frau Prof. Dr. Häßler gewinnen. Sie hat die vorliegende Arbeit mit unermüdlichem Engagement und mit großem Interesse in all ihren Phasen begleitet, wofür ich ihr herzlich danke. Danken möchte ich ihr besonders für die beständige Ermutigung, die sie mir auch in schwierigeren Phasen der Redaktion dieses Buches zukommen ließ. Maßgeblichen Anteil am Zustandekommen dieses Werkes hat auch die Graduiertenförderung des Landes Brandenburg, die die vorliegende Arbeit über einen Zeitraum von insgesamt dreieinhalb Jahren durch ein Stipendium förderte und mir so intensive archivalische Studien und ausgedehnte Lektüren ermöglichte. Gedankt sei ferner dem Direktor des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Herrn Dr. Wolfgang Knobloch. Im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wurde ich auch von den sonstigen Mitarbeitern stets sehr freundlich beraten. Dank gebührt außerdem den Herren Professoren Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger, die die Aufnahme des vorliegenden Werkes in die Reihe Studia Linguistica Germanica befürwortet haben. Für sein spontanes Interesse an meinem Buch und die gute Zusammenarbeit möchte ich Herrn Dr. Heiko Hartmann vom Verlagshaus de Gruyter danken. Ebenso danke ich Frau Angelika Hermann, die vom Verlag mit der technischen Herstellung des Werkes betraut wurde, für ihre große Sorgfalt und Geduld. Für die kompetente Einrichtung des Manuskriptes danke ich Beate und Thomas Spehr. Besonderer Dank gebührt meiner Familie, die mich über einen langen Zeitraum bedingt durch dieses Buch nahezu vollständig entbehren mußte und mir in jeder Hinsicht ein großer Rückhalt war. Leider konnte meine Großmutter das Erscheinen dieses Werkes nicht mehr erleben.

Vili Einen unschätzbaren Freundschaftsdienst haben mir Dr. Uwe Dietzel und Christiane Hümmer erwiesen, die das Buch ohne Murren Korrektur gelesen haben. Allen meinen anderen Freunden, insbesondere Patricia und Sarah Metzer, danke ich für ihre Geduld mit mir und meinem Buch. Berlin/Potsdam 2002

Cordula Neis

Inhaltsverzeichnis Zum Geleit

1

Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit

3

I. Kapitel Zum aktuellen Forschungsstand und zur Entwicklung der Sprachursprungsfrage bis 1769

9

1.1.

Kurzüberblick über einige repräsentative Studien zur Sprachursprungsproblematik

9

1.2.

Ausgewählte Stationen der Sprachursprungsdiskussion vor der Aufklärung 14 1.2.1. Die biblische Tradition: Der Turmbau zu Babel 14 1.2.2. Piatons 'Kratylos' und seine Bedeutung für die weitere Sprachursprungsdiskussion 17 1.2.3. Zur epikureischen Sprachursprungskonzeption und ihrer Rezeption 25 1.2.4. Zu sprachtheoretischen Überlegungen René Descartes' (1596-1650) im Kontext seiner dualistischen Philosophie 40 1.2.5. Locke zum Problem des Sprachursprungs und zur sprachlichen Relativität 47 1.3. 1.3.1. 1.3.2. 1.3.3. 1.3.4.

1.3.5. 1.3.6. 1.3.7.

Zur französischen Sprachursprungsdiskussion im 18. Jahrhundert Condillac als Exponent der sensualistischen Sprachursprungstheorie Rousseaus gesellschaftstheoretische Akzentuierung der Sprachursprungsfrage Die Bedeutung der (französischen) Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts für die Hypothesen zum Sprachursprung Die Sprachursprungsdiskussion im Kontext der medizinischphysiologischen Reflexionen des 18. Jahrhunderts: La Mettrie Buffon Mechanistisch-physiologische Sprachursprungstheorien: De Brosses Diderots Äußerungen zum Sprachursprung vor dem Hintergrund der Diskussion um die Wortstellung Maupertuis' 'Réflexions philosophiques'oder: Von der Relativität der Einzelsprachen

50 50 55 57

58 60 62 64

X

1.4.

Inhaltsverzeichnis

1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.4. 1.4.5.

Zu einigen wichtigen Repräsentanten der deutschen Sprachursprungsdiskussion des 18. Jahrhunderts Süßmilch Hamann Moses Mendelssohn (1729-1786) Lessing Johann David Michaelis (1717-1791)

65 65 66 67 68 68

1.5.

Fazit

68

II. Kapitel Institutionelle Grundlagen - Die Frage nach dem Ursprung der Sprache im Kontext der Berliner Akademie 70 2.1.

2.1.1. 2.1.2. 2.1.3. 2.2.

Institutionelle Grundlagen Zu Tradition und Charakteristik der Berliner Akademie Die akademische Preisfrage als Königsweg des Erkenntnisgewinns Die sprachtheoretischen Preisfragen der Berliner Akademie im Kontext der Berliner Sprachursprungsdiskussion

70

70 82 89

2.2.1. 2.2.2.

Präsentation des archivalischen Fundus Beschreibung der Ausgangslage Dokumentenanhang zum archivalischen Fundus

100 116

100

2.3.

Zur essayistischen Form der Preisbewerbungsschriften

171

2.4.

Zur Methode unserer Untersuchung: Das serielle Vorgehen

176

III. Kapitel Topoi und charakteristische Argumentationsstrukturen η den Berliner Preisbewerbungsschriften 183 3.0.

Präsentation rekurrenter Topoi und Argumentationsstrukturen..

183

3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3.

Der Topos der 'Tiersprache' Definition des Topos der 'Tiersprache' Zu zentralen Referenztexten Der Topos der 'Tiersprache' in repräsentativen Manuskripten zur Berliner Preisfrage Das Manuskript 686 als Paradigma der Vernetzung topischer Argumentationsstrukturen Fazit: Die Stellung des Topos 'Tiersprache' in den Argumentationen der Preisbewerber

195 195 196

3.1.4. 3.1.5.

198 223 229

Inhaltsverzeichnis

3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.2.3. 3.2.4. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4. 3.4.5. 3.4.6. 3.5. 3.5.1. 3.5.2.

3.5.3.

3.5.4. 3.5.5. 3.6. 3.6.1.

Der Topos der Neugeborenen und (Klein-)Kinder Präsentation des Topos und wissenschaftshistorische Einordnung Zentrale Referenztexte zum Topos der Neugeborenen und (Klein-)Kinder Der Topos der Neugeborenen und (Klein-)Kinder in repräsentativen Manuskripten zur Berliner Preisfrage Verknüpfung des Topos der Neugeborenen und (Klein-)Kinder mit dem Topos der wilden Kinder, das Psammetichos-Experiment Der Topos der 'wilden Kinder' und 'Waldmenschen' Präsentation des Topos und wissenschaftshistorische Verortung Der Topos der wilden Kinder in den Manuskripten zur Berliner Preisfrage Fazit Der Topos der exotischen Völker - Exotische Völker als Exponenten eines archaischen Kultur- und Sprachstadiums Definition des Topos der exotischen Völker und Relationierung zum Topos der 'wilden Kinder' Der Topos der exotischen Völker in zentralen Referenztexten... Zur Abgrenzung des Topos der exotischen Völker vom Topos der 'wilden Kinder' im Manuskript 667 Exotische Völker - Repräsentanten einer zurückgebliebenen Kulturperiode oder Exponenten der Selbstbescheidung? Die Hottentotten als Inkarnation einer 'barbarischen* Kulturstufe Fazit Der Topos der Taubstummen Methodische Vorüberlegungen Der Topos des Taubstummen im Kontext verwandter Topoi der Berliner Preisfrage - Zu einigen Spezifika der sozialen Situation des Taubstummen im 18. Jahrhundert La Mettries 'L'homme-machine' und 'Traité de l'âme' im Spiegel der sensualistischen Taubstummendiskussion: Ein Paradigma charakteristischer Topoi-Vernetzungen in Analogie zur Berliner Sprachursprungsdiskussion Der Topos der Taubstummen in den Manuskripten zur Berliner Preisfrage Fazit Die Relation zwischen Sprache und Gesellschaft: die Polemik gegen Rousseau Zur Bedeutung von Rousseaus Discours de l'inégalité für die Berliner Sprachursprungsdiskussion

XI

231 231 233 241 260 273 273 281 308 309 309 310 315 322 325 331 332 332

334

338 348 368 370 370

XII

3.6.2. 3.6.3. 3.6.4.

Inhaltsverzeichnis

Zu charakteristischen anthropologischen und sprachtheoretischen Implikationen von Rousseaus 'Discours de l'inégalité' 374 Der Topos der Relation von Sprache und Gesellschaft im Rahmen der Rousseau-Kritik der Berliner Sprachursprungsfrage 398 Fazit 427

IV. Kapitel Zu herausragenden Exponenten der Berliner Sprachursprungsdiskussion

430

4.0.

Zu Anlage und methodologischen Besonderheiten dieses Kapitels 430

4.1. 4.1.1.

Francesco Soave - Ein Exponent der Berliner Preisfrage Soaves Beitrag zur Berliner Sprachursprungsfrage im Lichte seiner Polemik gegen Herders 'Abhandlung' Zu Leben und Werk Francesco Soaves Präsentation der Preisbewerbungsschrift Francesco Soaves Charakteristik der anthropologischen Konzeption von Soaves Preisbewerbungsschrift Charakteristik der epistemologischen Argumentation in Soaves Preisbewerbungsschrift Zur Bedeutung von De Brosses' 'Traité de la formation méchanique des langues' für Soaves Sprachursprungskonzeption Die Entstehung der 'partes orationis' im Kontext topischer Argumentationsstrukturen Zu Ausbau und Weiterentwicklung der artikulierten Lautsprache im Urzustand Soave contra Rousseau: die Gesellschaft als 'conditio sine qua non' der Sprachgenese Soave zur 'Sprache der Tiere' Fazit

4.1.2. 4.1.3. 4.1.4. 4.1.5. 4.1.6. 4.1.7. 4.1.8. 4.1.9. 4.1.10. 4.1.11. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.2.4. 4.3.

431 431 436 440 442 457 479 486 493 497 501 505

Zur sprachtheoretischen Reflexion bei Michaelis Ausgangslage: Zu drei zentralen sprachtheoretischen Schriften des Michaelis Zum Codex Michaelis 74 Zur Preisbewerbungsschrift des Michaelis zum Sprachursprung (Cod. Michael. 72) Fazit

507

518 549

Herders 'Abhandlung über den Ursprung der Sprache' im Vergleich zu ausgewählten Manuskripten

550

507 512

Inhaltsverzeichnis

XIII

4.3.1.

Die Herder-Legende und die Berliner Sprachursprungsfrage oder: ein schwieriges Kapitel der Rezeptionsgeschichte 4.3.2. Die Entwicklung von Herders Sprachdenken bis zur 'Abhandlung über den Ursprung der Sprache' 4.3.3. Zentrale Argumentationsstrukturen in Herders 'Abhandlung über den Ursprung der Sprache' 4.3.4. Fazit

563 601

V. Bibliographie

605

5.1.

Primärliteratur

605

5.2.

Sekundärliteratur

614

VI. Index nominum

649

550 557

Zum Geleit Dort, im Reinen und im Rechten, Will ich menschlichen Geschlechten, In des Ursprungs Tiefe dringen, Wo sie noch von Gott empfingen Himmelslehr' in Erdesprachen Und sich nicht den Kopf zerbrachen. (Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832]), West-östlicher Divan: Mogarmi Nameh/Buch des Sängers: Hegire·. 7-12 Dieses, der Arbeit als Motto vorangestellte Zitat aus Goethes Hegire, dem ersten Gedicht des West-östlichen Divans, plausibilisiert in anschaulichster Weise die innersten vorwissenschaftlichen Beweggründe, die eine Auseinandersetzung mit einer so alten, aber auch komplexen spekulativen Problemstellung wie der Frage nach dem Ursprung der Sprache motivieren können, in der Vergangenheit motiviert haben und vielleicht auch in der Zukunft motivieren werden. Die Suche nach dem Ursprung schlechthin läßt sich im Sinne Goethes als das positive Korrelat zu einer Flucht aus der Gegenwart interpretieren. Eine Rückkehr zu den Ursprüngen ist für Goethe die Rückkehr zu den Quellen menschlicher Bestimmung, deren reines Fließen in einem petrarkistischen Idyll als Symbol einer - nicht von den Usurpationen der Zivilisation angekränkelten - irdischen Reinheit und Gerechtigkeit unter göttlicher Leitung heraufbeschworen wird. Der Zustand des Ursprungs ist somit ein Zustand der Reinheit, der Unschuld, der Vollkommenheit, in dem auch die von Gott verliehene Sprache dem Menschen als ein ihm wesentliches und ihn auszeichnendes Unterpfand gegeben ist. Obwohl die hier anklingende metaphysische Dimension der Reflexion über den Sprachursprung scheinbar im Widerspruch zu einer analytischempirischen Betrachtungsweise steht, ist die Faszination eben dieser metaphysischen Dimension auch in einer Zeit kaum zu leugnen, die die rigorosen Postulate des Positivismus und des Neo-Positivismus hinter sich gelassen hat und deren wissenschaftlicher Erkenntnisstand kühnen philosophischen Spekulationen inzwischen beeindruckende Ergebnisse in den Disziplinen der Neurologie, Primatenforschung, Anthropologie und Archäologie entgegensetzen kann. So scheint gerade die Tatsache, daß mit dem Sprachursprung ein „prä-

2

Zum Geleit

historischer" Punkt der Menschheitsentwicklung evoziert wird, der sich im Dunkel der ersten Anfänge verliert, für die Jahrhunderte überdauernde Faszination mitverantwortlich zu sein, die von diesem Thema ausging und bis in die heutige Zeit ausgeht.

Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit Eine Dissertation mit dem Titel Anthropologie im Sprachdenken des 18. Jahrhunderts - Die Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache (1771) verweist den Leser auf ein schier unübersehbares Feld sprachtheoretischer, anthropologischer und historischer Implikationen, die jeweils auf ihre Weise spezifische Aspekte der Problematik befruchten, aber im gleichen Zug argumentativ so eng miteinander verwoben sind, daß sie in ihrer gegenseitigen Bezogenheit aufeinander betrachtet werden müssen. Die Frage nach dem Ursprung der Sprache ist ihrem Wesen nach eine interdisziplinäre Problemstellung, da mit ihr theologische, anthropologische, sprachtheoretische, erkenntnistheoretische, naturwissenschaftliche und ästhetische Fragestellungen aufgeworfen werden, die allesamt im Rahmen dieser Untersuchung - freilich zu höchst unterschiedlichen Anteilen - zu berücksichtigen sein werden. Der Titel der Dissertation verdeutlicht bereits unsere vordergründige Akzentuierung des Verhältnisses aufklärerischer Sprachtheorie und Anthropologie, was jedoch keineswegs bedeuten kann, daß etwa erkenntnistheoretische oder naturkundliche Betrachtungen der damaligen Philosophen nicht Gegenstand unserer Untersuchung sein werden. Bedingt durch die Universalität der Fragestellung selbst sowie die Universalität des großen aufklärerischen Gelehrten sind Fragestellungen wie die unsrige a priori stark interdisziplinär orientiert, wobei wir aber die für uns vordergründig relevanten Aspekte der Problemstellung privilegieren werden. Da die Frage nach dem Ursprung der Sprache zugleich auch die Frage nach dem Ursprung des Menschen ist, verschmelzen hier verschiedenste Disziplinen miteinander, die sich alle das Ziel gesetzt haben, eine der Grundfragen menschlicher Existenz anzugehen und Licht in das Dunkel der ersten Anfänge zu bringen. Die außerordentliche Faszination, die von dieser interdisziplinären Problemstellung ausgeht, belegt auch ihre Kontinuität über die Jahrhunderte. Von Piaton (428 v. Chr.-349/7 v. Chr.) bis zur Gegenwart haben sich Philosophen, Theologen, Anthropologen, Naturwissenschaftler, kurz: Gelehrte unterschiedlichster Provenienz und von unterschiedlichsten Motivationen angetrieben, dieser Problematik angenommen. Es sei in diesem Zusammenhang allerdings gleich angemerkt, daß unsere Arbeit sich dem Sprachdenken der Aufklärung widmet und nicht vordergründig die Ergebnisse moderner Forschung zum Sprachursprung thematisieren möchte, wenngleich wir an gegebener Stelle unsere Reflexionen durchaus auch perspektivisch orientieren werden und kontrastiv auf moderne Erkenntnisse eingehen werden, um den Erkenntnisstand der aufklärerischen Forschung adäquat situieren zu können.

4

Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit

Die komplexe Problematik der aufklärerischen Sprachursprungsdiskussion erreicht zweifelsohne mit der Berliner Preisfrage von 1771 ihren Höhepunkt. Hier wird ein über Jahrhunderte erörtertes Problemfeld zum Gegenstand einer akademischen Preisfrage, die in den Gelehrtenrepubliken Europas kursierte und beantwortet wurde. Die Berliner Preisfrage nach dem Sprachursprung provozierte tatsächlich einen überwältigenden Widerhall, ging doch die Rekordzahl von 31 Antworten ein auf die Frage, ob der Mensch, seinen natürlichen Fähigkeiten überlassen, Sprache erfinden könne und wenn ja, mit welchen Mitteln er dazu gekommen wäre. Von diesen 31 Einsendungen hat sich jedoch die Historiographie der Sprachwissenschaft ebenso wie die Literaturwissenschaft, verblendet vom Glänze des Preisträgers Johann Gottfried Herder (1744-1803), bis zum Jahre 1974 einzig dessen gekrönter Abhandlung Über den Ursprung der Sprache zugewandt und die konkurrierenden Manuskripte ins Reich der Vergessenheit verbannt. Erst die 1974 publizierten Arbeiten von Hans Aarsleff „The Tradition of Condillac: The Problem of the Origin of Language in the Eighteenth Century and the Debate in the Berlin Academy before Herder" und die Dissertation „The Enlightenment Debate on the Origin of Language" von Allan D. Megill lenkten die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit auf die bis zu diesem Zeitpunkt gänzlich unberücksichtigten Arbeiten der konkurrierenden Teilnehmer an der Sprachursprungsfrage. Dabei befinden sich von den insgesamt 31 Einsendungen immerhin 24 Manuskripte im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften - ein außerordentlicher Glücksfall für den interessierten Rekonstrukteur dieses akademischen Wettbewerbs! Besagter Rekonstrukteur sieht sich allerdings bei der Beschäftigung mit diesem umfangreichen Fundus mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten konfrontiert, die in der Vergangenheit trotz des unleugbaren Forschungsinteresses an dieser Fragestellung eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Fundus vereitelten. Die 24 Manuskripte sind in drei verschiedenen Sprachen, nämlich Deutsch, Französisch und Lateinisch abgefaßt. Sie weisen einen Umfang zwischen 3-210 Seiten und ein oftmals bis an die Grenzen der Dechiffrierbarkeit reichendes Schriftbild auf. Ein weiteres gravierendes Problem für die Rekonstruktion dieser Fragestellung resultiert aus der Spezifik des akademischen Preisbewerbungsverfahrens. Die konkurrierenden Manuskripte mußten anonym eingereicht werden und diese Anonymität wurde in der Regel nur im Falle des Sieges aufgehoben. Um den Sieger ermitteln zu können, mußten die Autoren ihre Einsendungen mit einer Devise versehen. Dieser Devise wurde in einem separaten Briefumschlag der Name des Verfassers zugeordnet. Da jedoch der Name des Autors nur im Falle des Sieges bekannt wurde und die der Identifizierung dienenden Briefumschläge verbrannt wurden, erweist sich die Attribution von Autoren als eine außerordentliche Schwierigkeit. Dieses Verfahren hat sich

Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit

5

für die historiographische Rekonstruktion der Berliner Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache zusätzlich als problematisch erwiesen, da traditionell die preisgekrönte Abhandlung Herders als Denkmal der Sprachwissenschaftsgeschichte galt und eine weitere Betrachtung der Frage vor dem Hintergrund einer mystifizierenden Legendenbildung um das Andenken Herders zumindest bis zu den 1974 publizierten Arbeiten von Hans Aarsleff und Allan D. Megill, auf die wir im weiteren Verlauf noch näher eingehen werden, obsolet erschien. Die monodimensionale Orientierung an der Abhandlung Herders war jedenfalls nicht dazu geneigt, die Auseinandersetzung mit den 30 verbliebenen und größtenteils anonym1 gebliebenen Manuskripten der Mitbewerber zu stimulieren.2 In diesem Zusammenhang sei gleich darauf verwiesen, daß die Rekonstruktion der anonymen Autoren nicht Anliegen dieser Arbeit ist. Diese Arbeit ist nicht institutionengeschichtlich orientiert, sondern zielt primär darauf ab, das Sprachdenken einer bestimmten Epoche, konkret der Aufklärung, zu rekonstruieren. Für diesen Zweck wird mit dem Berliner Manuskriptenfundus eine Textserie gewählt, die aufgrund der vergleichbaren Bedingungen der Wettbewerbsteilnahme geeignet ist, geläufiges und nicht durch das Prisma großer Namen gebrochenes Denken der damaligen europäischen Gelehrtenwelt zu reflektieren. Die bisherige einseitig an großen Namen orientierte Höhenkamm-Historiographie bedarf unserer Ansicht nach eines Korrektivs durch das serielle Vorgehen, das wir in exemplarischer Form auf die Manuskripte zur Berliner Sprachursprungsfrage anwenden werden. Die vereinseitigende Fixierung auf die zugegebenermaßen beeindruckende Person des Preisträgers Herder hat zweifelsohne dazu beigetragen, Aspekte seines Sprachdenkens als seine eigene, originäre Leistung einzustufen, obwohl der von uns vorgenommene Vergleich mit den Manuskripten seiner Mitbewerber zeigen wird, daß so manches an Herders sprachtheoretischen Überlegungen dem Reflexionshorizont der Zeit zugeschrieben werden muß. Das bei unserer Untersuchung angewandte methodologische Verfahren ordnet sich ein in die von Brigitte Schlieben-Lange entwickelte Konzeption eines seriellen Vorgehens als Korrelat der „Höhenkamm-Linguistik" (vgl. Neben der Identität des Siegers sind bei dieser Preisfrage noch weitere Attributionen durch die historiographische Forschung vorgenommen worden. Auch uns selbst ist eine weitere Attribution gelungen. Das Problem der Autorschaft der verschiedenen Manuskripte werden wir im II. Kapitel noch näher behandeln. Wir werden auf die besonderen Schwierigkeiten, die sich für die historiographische Rekonstruktion aus der vereinseitigenden Zentrierung auf die Persönlichkeit Herders und das dadurch aufgeworfene Desiderat eines objektiveren Zugangs ergeben, insbesondere im letzten Kapitel dieser Arbeit (Kapitel 4.3.) noch näher eingehen. In diesem Kapitel soll die Arbeit Herders durch einen direkten Vergleich mit den Einsendungen seiner Konkurrenten auf ihre Originalität hin überprüft werden.

6

Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit

Schlieben-Lange 1984: „Vom Vergessen in der Sprachwissenschaftsgeschichte. Zu den 'Ideologen* und ihrer Rezeption im 19. Jahrhundert"). Wir werden auf unsere Methode im Π. Kapitel dieser Arbeit noch näher eingehen, hielten es allerdings für geboten, von vornherein unsere methodologische Orientierung anzudeuten, um bei unseren Lesern keine falschen Erwartungen zu wecken. Mithilfe des Berliner Fundus zur Sprachursprungsfrage soll somit eine Serie von Texten untersucht werden, die unter vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen als Antworten auf eine spekulative Frage eingegangen sind, welche die damalige Gelehrtenwelt umtrieb. Die hohe Anzahl der Einsendungen, die aus verschiedenen Ländern Europas die Berliner Akademie ereilten, dokumentiert eindrucksvoll die Virulenz der Fragestellung und die besondere Bedeutung, die ihr in den damaligen Gelehrtendiskussionen zukam. Aus der Anonymität eines Großteils der Einsendungen läßt sich am Beispiel der Berliner Preisfrage nahezu paradigmatisch das Zeittypische der aufklärerischen Reflexion über Sprache allgemein und den Sprachursprung im besonderen herausfiltern. Da unser methodologischer Zugang zu den anonymen Manuskripten nicht primär eine Orientierung an den großen Namen erlaubt, strukturieren wir die jeweils vorgefundene Argumentation zum Sprachursprung anhand rekurrenter Argumentationsmuster, die in einer als topisch zu klassifizierenden Art und Weise auftreten. Was wir in diesem Zusammenhang unter Topos verstehen wollen, erklären wir zu Beginn des III. Kapitels, welches sich den für den Zusammenhang zwischen Sprache und Anthropologie besonders relevanten Topoi zuwenden wird. Bedingt durch das fast völlige Inkognito der Manuskripte in der heutigen Forschungslandschaft (sieht man einmal von der Dissertation Megills und einzelnen Arbeiten von Aarsleff (1974), Häßler (1997b; 1999) und Veldre (1997) ab) ist für unsere Vorgehens weise eine sehr engmaschige Textbetrachtung und eine relativ extensive Zitierpraxis vonnöten, um dem Leser eine gewisse Nachvollziehbarkeit unserer Überlegungen zu ermöglichen. Da uns für die historiographische Arbeit ohnehin eine eingehende Betrachtung der Quellen unerläßlich erscheint, werden wir diesen engmaschigen Textumgang auch auf die scheinbar bekannten sprachtheoretischen Texte der europäischen Aufklärung anwenden, die in der Sekundärliteratur jedoch allzu oft auf ihre idées forces reduziert erscheinen. Die von uns untersuchte Textserie werden wir mit diesen bekannten und rezeptionsgeschichtlich bedeutsamen Texten, welche wir im weiteren Verlauf als Referenztexte bezeichnen werden, relationieren (vgl. II. Kapitel). So läßt sich unserer Auffassung nach eine überzeugendere Rekonstruktion des aufklärerischen Sprachdenkens gewinnen, da nunmehr eine Vielzahl bekannter Texte teilweise im neuen Gewand untersucht und durch Kontrastierung mit einer Textserie auf ihre Originalität hin überprüft wird. Gleichzeitig liefert die Textserie einen interessanten Einblick

Anliegen und Zielrichtung dieser Arbeit

7

in die Auseinandersetzung der damaligen Gelehrtenwelt mit den retrospektiv als besonders relevant eingeordneten Schlüsseltexten, wobei für die damalige Rezeption auch insbesondere die z.T. höchst unterschiedliche Zitierpraxis zu würdigen sein wird. Da es im Zuge unserer Untersuchung in einigen Fällen möglich war, Autoren anhand unterschiedlicher Verfahren und nicht zuletzt aufgrund bereits bekannter Untersuchungsergebnisse zu identifizieren, stellen wir neben die Betrachtung rekurrenter Topoi (III. Kapitel) ein Kapitel, welches den herausragenden Exponenten der Berliner Sprachursprungsfrage gewidmet ist (IV. Kapitel). Somit wird das an Topoi orientierte serielle Verfahren mit einer stärker personenzentrierten Betrachtungsweise amalgamiert. Eine Verschmelzung des seriellen Verfahrens mit einer als Höhenkamm-Historiographie klassifizierbaren Untersuchungsform erreicht nach unserer Ansicht eine objektivere Darstellung der aufklärerischen Reflexion zum Sprachursprung, welche das primäre Anliegen dieser Arbeit ist.

I. Kapitel Zum aktuellen Forschungsstand und zur Entwicklung der Sprachursprungsfrage bis 1769 1.1. Kurzüberblick über einige repräsentative Studien zur Sprachursprungsproblematik Anliegen dieses einleitenden Kapitels ist es, in einem kurzen Abriß zentrale Stationen der Entwicklung der Sprachursprungsproblematik bis zum Jahre 1769, dem Jahr der Ausschreibung der Berliner Preisfrage, zu skizzieren. Da wir in diesem Rahmen keineswegs eine exhaustive Darstellung der doch beträchtlichen Vielfalt an Sprachursprungstheorien bis zum Zeitpunkt der Berliner Preisfrage vorlegen können, wird der Leser sich mit einem bisweilen pointillistischen oder auch pauschalen Gesamtüberblick zufriedengeben müssen, der sich insbesondere denjenigen Autoren zuwendet, deren Argumentationen auch von den verschiedenen Teilnehmern an der Berliner Sprachursprungsfrage wiederaufgegriffen und diskutiert wurden. Für eine detailliertere Darstellung der Sprachursprungskonzeptionen der wiederaufgegriffenen Autoren verweisen wir auf unsere diesbezüglichen Erörterungen in den jeweils relevanten Kapiteln. Ferner soll der Blick des Lesers in diesem einführenden Kapitel auf die verschiedenen, für unterschiedliche Aspekte der Problemstellung konsultierbaren Werke, sowohl der Primär- wie der Sekundärliteratur gelenkt werden. Es kann und soll in diesem Rahmen keine lückenlose Rekonstruktion der Problemstellung vorgelegt werden, da eine derartige Darstellung mühelos eine eigenständige Monographie füllen könnte, die dazu noch äußerst umfänglich würde ausfallen müssen, wie etwa Arno Borsts Monumentalwerk Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker aus dem Jahre 1963 oder die von Joachim Gessinger und Wolfert von Rahden herausgegebene zweibändige Darstellung der Theorien vom Ursprung der Sprache (1989) eindrucksvoll belegen. Aus diesem Grunde bezieht sich der folgende Kurzabriß der Sprachursprungstheorien primär auf diejenigen Konzeptionen, die von den Teilnehmern an der Berliner Sprachursprungsfrage - in freilich unterschiedlichem Grade der Explizität - aufgegriffen wurden und als Projektionsfolie für die Entwicklung der jeweils eigenen, wenngleich nicht immer originellen und

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Zum aktuellen Forschungsstand

eigenständigen Sprachursprungskonzeption dienten. Allerdings werden auch Sprachursprungskonzeptionen, die nicht vordergründig im Rahmen des Berliner Preiswettbewerbes thematisiert wurden, im weiteren Verlauf unserer Darstellung kurz erwähnt werden, um mindestens eine ungefähre Vorstellung von der Vielfalt des Sprachursprungsdenkens bis zum Zeitpunkt der Berliner Preisfrage zu vermitteln. Die Beschreibung zentraler Sprachursprungsauffassungen haben wir im Anschluß an eine kurze Präsentation ausgewählter Schlüsseltexte der Sekundärliteratur mit der Darstellung des Forschungsstandes verschmolzen. Dies geschah in der Hoffnung, durch die Referenz auf die jeweils relevante Literatur unsere eigene Darstellung etwas entlasten zu können, da das innovatorische Anliegen dieser Dissertation, nämlich die Untersuchung des Berliner Fundus zur Sprachursprungsfrage, hier im Mittelpunkt der Reflexion stehen muß und eine zu umfangreiche sprachtheoretische und -philosophische Charakterisierung von verschiedenen Sprachursprungstheorien diese ohnehin schon sehr materialintensive Untersuchung in ungebührlicher Weise überfrachten würde. Mit Arno Borsts 1963 erstmals veröffentlichten und 1995 wieder aufgelegten Turmbau von Babel wurde bereits auf ein Werk verwiesen, welches eine schier unüberblickbare Fülle von Sprachursprungskonzeptionen1 vorführt. Allerdings ist dazu anzumerken, daß eine solch exhaustive Behandlung des Sprachursprungsthemas als Korrelat eine ausführlichere Darstellung einzelner Theorien, deren Wirkungsmächtigkeit sich auch für die Folgezeit dokumentieren läßt, erfordert. Zweifelsohne ist Borsts Turmbau jedoch nach wie vor ein unverzichtbares Referenzwerk für jeden, der sich dieses Themas annimmt. Demgegenüber konzentrieren sich die von Joachim Gessinger und von Wolfert von Rahden herausgegebenen Theorien vom Ursprung der Sprache auf einzelne thematische Schwerpunkte, wie etwa die biblischen Sprachursprungstheorien (vgl. Albertz 1989), die Sprachursprungskonzeptionen der Scholastik (vgl. Kaczmarek 1989), die Sprachursprungskonzeption Sigmund Freuds (1856-1939) (vgl. Kapferer 1989) oder es werden - nach Ländern geordnet - typische Repräsentanten und Dokumente zum Sprachursprungsthema vorgestellt (vgl. Formigari 1989; Droixhe/Haßler 1989). Durch den systematischen Charakter und die Übersichtlichkeit, die mit den thematischen und geographischen Schwerpunkten geschaffen wurde, entspricht dieses Werk dem Desiderat einer gut rezipierbaren, aber nicht an den Folgen unzu-

Auch Ulrich Ricken charakterisiert Borsts Turmbau von Babel als ein Werk, welches „ein Material von kaum überschaubarer Mannigfaltigkeit über die Interpretationen einer übernatürlichen Sprachschöpfung und der babylonischen Sprachverwirrung" darböte (vgl. Ricken 1984: 164).

Kurzüberblick über einige repräsentative Studien

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lässiger Verknappung laborierenden Darstellung der - zugegebenermaßen komplexen Sprachursprungsproblematik. Einen Mangel an derartigen systematischen Überblicksdarstellungen, die dennoch besonders relevante Sprachursprungstheorien adäquat behandeln, belegt auch die Tatsache, daß Ulrich Ricken in seinem - für unsere Fragestellung zentralen Werk - Sprache, Anthropologie, Philosophie in der französischen Aufklärung für eine Grobklassifizierung von Sprachursprungstheorien auf Paul Kuehners Theories on the Origin and Formation of Language in the Eighteenth Century in France aus dem Jahre 1944 zurückgreift (vgl. Ricken 1984: 164). Ricken selbst liefert in seinem Werk von 1984 einen nützlichen Überblick über die wichtigsten Stationen der Sprachursprungsdiskussion, wobei er insbesondere auf die französische Diskussion, aber auch auf die Berliner Preisfrage für 1771 eingeht, um schließlich die Berührungspunkte zwischen Sprachursprungskonzeptionen und darwinistischem Menschenbild näher zu beleuchten. Rickens Beitrag ist vor allem auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Sprachursprungsfrage nach ihrem Kulminationspunkt in Form der Berliner Preisfrage von Interesse. Allerdings ist zu bedenken, daß sich Rickens Sprache, Anthropologie, Philosophie in der französischen Aufklärung keineswegs auf das Sprachursprungsproblem beschränkt, da hier sprachtheoretische und weltanschauliche Diskussionen des Cartesianismus ebenso behandelt werden wie die Sprachauffassung der Idéologues und die Sprachauffassung der Französischen Revolution ebenso thematisiert wird wie Etienne Bonnot de Condillacs (1714-1780) Grammaire. Das Sprachursprungsproblem ist hier also nur eines, wenn auch ein zentrales, unter mehreren. Ahnliches ist zu dem gleichfalls von Ulrich Ricken herausgebenen und 1990 erschienenen Band Sprachtheorie und Weltanschauung in der europäischen Aufklärung festzuhalten. Dieses Buch stellt ebenso wie Rickens 1984 publizierte Monographie ein unverzichtbares Referenzwerk für jeden Wissenschaftler dar, der sich mit aufklärerischen Sprachursprungstheorien beschäftigt, thematisiert aber gleichfalls eine Fülle von sprachtheoretischen und anthropologischen Problemkreisen, die durch die übersichtliche Gliederung nach chronologischen und geographischen Gesichtspunkten in systematischer und gut aufbereiteter Form präsentiert werden. Für unseren Zusammenhang von besonderem Interesse ist hier zweifelsohne das 2. Kapitel des Werkes, welches sich der Darstellung der französischen Sprachdiskussion der Aufklärung widmet und dabei näher auf die sprachtheoretischen Konzeptionen Condillacs, Jean-Jacques Rousseaus (1712-1778) und Denis Diderots (1713— 1784) eingeht, die in ihrer jeweiligen Spezifik herausgearbeitet und miteinander relationiert werden. Auf dieses Kapitel wird im Rahmen unserer Präsentation der französischen Sprachursprungsdiskussion und ihrer Relevanz für die Berliner Preisfrage noch näher einzugehen sein. Insbesondere die Aus-

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führungen zu Condillac und Rousseau sind für unser Erkenntnisinteresse hier von besonderer Bedeutung. Während Ricken bei der Behandlung von Condillacs Sprachtheorie das im Essai sur l'origine des connaissances humaines (1746) behandelte Sprachursprungsproblem vor allem im Zusammenhang mit Condillacs epistemologischer Konzeption thematisiert, widmet sich der Abschnitt über Rousseau den sozialkritischen Äußerungen des Genfer Philosophen in seinem Discours de l'inégalité von 1755. Da dieser Text Rousseaus für die Autoren der Berliner Preisfrage den zentralen Referenztext (vgl. Kapitel 2.4.) verkörperte, werden wir in Kapitel 3.6. eingehend auf dieses Werk und die diesbezügliche Sekundärliteratur eingehen und verzichten daher in dieser einleitenden Überblicksdarstellung auf eine nähere Behandlung der umfangreichen relevanten Literatur zu Rousseaus Sprach- und Gesellschaftstheorie. Ein weiteres unverzichtbares Referenzwerk insbesondere für die französische Sprachursprungsdiskussion ist die umfangreiche Monographie von Daniel Droixhe La linguistique et l'appel de l'histoire (1600-1800). Rationalisme et révolutions positivistes aus dem Jahre 1978. Ähnlich wie etwa die Theorien von Ursprung der Sprache beeindruckt dieses Werk durch die ungeheure Fülle und Vielfalt des aufgearbeiteten Materials, wobei auch zahlreiche weniger bekannte Autoren zum Sprachursprung und zu den Problemen der Sprachentwicklung und des Sprachverfalls konsultiert werden. Die Rekonstruktion der Sprachursprungsdiskussion in diesem Werk ist beispielhaft und aus der gegenwärtigen Forschung nicht wegzudenken. Neueren Datums ist Droixhes Untersuchung De l'origine du langage aux langues du monde. Etudes sur les XVIIe et XVIIIe siècles (Droixhe 1987), die wichtige Repräsentanten der Sprachursprungsfrage wie etwa Jean-Jacques Rousseau und Johann Georg Hamann (1730-1788) näher behandelt. Gemeinsam mit Gerda Häßler hat Daniel Droixhe den Aufsatz „Aspekte der Sprachursprungsproblematik in Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" (Droixhe/Haßler 1989) veröffentlicht, der die wichtigsten Stationen der französischen Sprachursprungsdiskussion vorstellt und dabei etwa auf die Arbeiten von Rousseau, Pierre-Louis Moreau de Maupertuis (1689-1759) und Charles de Brosses (1709-1777) näher eingeht - Autoren, denen auch im Rahmen der Berliner Preisfrage für 1771 eine herausragende Bedeutung zukommt. Thematisch verwandt mit unserer Untersuchung sind die Arbeiten von René Piedmont (1984) und Jürgen Storost (1994), die sich beide ebenfalls mit einer sprachtheoretischen Preisfrage der Berliner Akademie beschäftigen, nämlich mit der Preisfrage nach der Universalität des Französischen aus dem Jahre 1784. Im Unterschied zu Piedmont sind wir indes bestrebt, das ideologische Umfeld der Berliner Preisfrage stärker zu berücksichtigen. Zentrales Anliegen ist bei uns eine Integration der Berliner Sprachursprungsfrage in den europäischen Kontext aufklärerischer Sprachreflexion (vgl. II. Kapitel).

Kurzüberblick über einige repräsentative Studien

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Im Unterschied zur Arbeit Storosts, in der die institutionengeschichtliche Verankerung der Preisfrage nach der Universalität des Französischen eine entscheidende Rolle spielt, steht in dieser Dissertation die Rekonstruktion des aufklärerischen Sprachdenkens per se im Mittelpunkt. Im unmittelbaren ideologischen „Vorfeld" unserer Untersuchung stehen zweifelsohne jene Arbeiten, auf die wir bei der Darstellung des Anliegens unserer Dissertation bereits z.T. verwiesen haben: Hans Aarsleffs „The Tradition of Condillac: The Problem of the Origin of Language in the Eighteenth Century and the Debate in the Berlin Academy before Herder", Bruce Kieffers „Herder's Treatment of Süssmilch's Theory of the Origin of Language in the 'Abhandlung über den Ursprung der Sprache': a re-evaluation" (1978) sowie Allan Dickson Megills Dissertation The Enlightenment Debate on the Origin of Language aus dem Jahre 1974. Diese Publikationen sind für unsere Dissertation von entscheidender Bedeutung, da sie allesamt ein Anliegen verfolgen, welches sich mit unserem eigenen teilweise überschneidet: Sowohl Aarsleff als auch Megill versuchen durch die Rehabilitierung Condillacs und durch den Verweis auf die Existenz weiter Manuskripte neben der siegreichen Abhandlung Herders eine unzulässige historiographische Vereinfachung zu korrigieren. Beide Publikationen werden im Laufe unserer Untersuchungen noch wiederholt thematisiert werden. Allan Dickson Megills The Enlightenment Debate on the Origin of Language steht in unmittelbarer Beziehung zum Gegenstand dieser Arbeit. Megills Dissertation hat bisher als einzige die Berliner Sprachursprungsfrage thematisiert, wobei allerdings die Rezeption der 24 in Berlin vorhandenen Manuskripte in einer sehr oberflächlichen Weise erfolgte, die eher auf eine kursorische Durchsicht, denn auf eine intensive Auseinandersetzung mit diesem umfangreichen Fundus schließen läßt. Aus diesem Grunde ist auch unsere Arbeit keinesfalls in allzu starker thematischer Nähe zu Megills Dissertation zu sehen, da diese eine genaue Untersuchung des Berliner Fundus schuldig bleibt und die Berliner Sprachursprungsfrage letztlich als Kulminationspunkt einer Fragstellung auffaßt, deren Chronologie und deren wichtigste Stationen über die Jahrhunderte hinweg verfolgt werden, um sich schließlich schwerpunktmäßig zentralen Positionen der Aufklärung zuzuwenden. Eine lückenlose Rekonstruktion der Chronologie der Sprachursprungsfrage bietet ohnehin das bereits erwähnte Standardwerk von Arno Borst. Abgesehen von Megills Dissertation sei noch auf die in jüngster Zeit veröffentlichten Aufsätze von Häßler und Veldre verwiesen, die sich Einzelaspekten der Berliner Preisfrage zugewandt haben (vgl. Häßler 1997b, Häßler 1999, Veldre 1999). An gegebener Stelle werden wir auf diese Publikationen verweisen. Dieser Kurzabriß wichtiger Veröffentlichungen zur Sprachursprungsfrage kann natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Vielmehr dient er dazu, dem Leser wichtige Materialien zu empfehlen, die für diese

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Untersuchung als Basis dienten. Auf weitere wertvolle Materialien wird im Verlaufe der Untersuchung an entsprechender Stelle verwiesen werden. Im Anschluß an diese kurze Präsentation bedeutsamer Sekundärliteratur sollen nunmehr einige ausgewählte Stationen der Sprachursprungsproblematik vorgestellt werden.

1.2. Ausgewählte Stationen der Sprachursprungsdiskussion vor der Aufklärung 1.2.1. Die biblische Tradition: Der Turmbau zu Babel Der zweite Band der Theorien vom Ursprung der Sprache beginnt mit der Darstellung der biblischen Sprachursprungstheorie, die Rainer Albertz in seinem Beitrag „Die Frage des Ursprungs der Sprache im Alten Testament" (Albertz 1989) behandelt. Der biblische Genesistext stellt zweifelsohne die zentrale Quelle der abendländischen Sprachursprungsreflexion dar, die über die scholastischen Sprachursprungstheorien des Mittelalters bis in einige Texte der Aufklärung hinein (z.B. in den Traktaten von Jean Henri Samuel Formey (1711-1797) oder Johann Peter Süßmilch (1707-1767)) ihre Wirkungsmächtigkeit unter Beweis gestellt hat. Anhand des aufschlußreichen Artikels von Rainer Albertz möchten wir kurz einige wesentliche Aspekte der biblischen Sprachursprungsreflexion thematisieren, da eine zu weitreichende Interpretation des Genesis-Textes über Jahrhunderte die traditionelle christliche Sichtweise des Sprachursprungs geprägt hat und somit quasi als Urquelle der Berliner Preisfrage nach der Möglichkeit menschlicher Spracherfindung fungiert. Von besonderer Wichtigkeit erscheint uns in Albertz' Beitrag seine Betonung der Tatsache, daß das Alte Testament sich nicht vordergründig für das Problem des Sprachursprungs interessiert habe (Albertz 1989: 2). Auch fänden sich keinerlei Hinweise, welche eine Klassifizierung des Hebräischen als Ursprache der Menschheit erlaubten (Albertz 1989: 2). Diesem Umstand ist deshalb besondere Beachtung zu schenken, weil über Jahrhunderte das Hebräische von der christlichen Tradition als die Ursprache der Menschheit angesehen wurde, obwohl das Alte Testament, wie Albertz zeigt, keinerlei textuelle Belege für diese These liefert. Die Klassifizierung des Hebräischen als Ursprache trete erst im frühjüdischen Jubiläenbuch (2. Jh. v. Chr.) auf; im Alten Testament fehle sogar eine Bezeichnung für das Hebräische! (Albertz 1989: 2). Neben der kritischen Positionierung zur Bedeutung des Hebräischen im Alten Testament und seiner zentralen historischen Rolle als präsumtiver Ursprache rekapituliert Albertz aber auch Schlüsselpassagen des Genesistextes, die für den Sprachursprung Relevanz besitzen. Entscheidend für die Behänd-

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lung des Sprachursprungsproblems ist hier zunächst die als nominatio rerum bekannte Passage (Gen 2,19f.), jener Abschnitt des Schöpfungsberichtes, der die Benennung der Tiere durch Adam darstellt. Erst die Gemeinschaft mit den Tieren und der Frau entlockt dem vormals stummen Adam die ersten Worte. Wie allerdings der Mensch die Sprache gelernt habe, wie sie von Gott auf ihn übergegangen sei, ob dieser den Menschen mit der Sprache als ganzer oder nur mit der Sprachfähigkeit belehnet habe, ist für den biblischen Erzähler nicht von Belang. Albertz betont jedoch, daß „der Erzähler die Sprache nicht ausdrücklich zu den Grundgegebenheiten der menschlichen Existenz rechnet" (Albertz 1989: 7). Die nominatio rerum sei vielmehr als erster autonomer Akt des Menschen anzusehen, wobei die Sprache als „eine zutiefst menschliche Handlungsmöglichkeit" fungiere (Albertz 1989: 7). Hauptfunktion der Sprache sei nach der Erzählung Gen 2 die Kommunikation, die interessanterweise auch den Kontakt mit den Tieren ausdrücklich einschlösse, was auf eine ursprünglich viel engere Beziehung zwischen Mensch und Tier schließen ließe (vgl. Albertz 1989: 8). Die entscheidende Episode für die spätere Rezeption biblischer Aussagen zum Sprachursprungsproblem ist zweifelsohne die überaus eingängliche und dramatisch wirkungsvoll konzipierte Erzählung vom Turmbau zu Babel (Gen 11). Diese Episode ist gerade aufgrund ihrer außerordentlichen Plastizität in der Bildenden Kunst immer wieder dargestellt worden, wobei das Gemälde Pieter Brueghels des Älteren (1515-1569) vielleicht als die berühmteste Darstellung der Babel-Erzählung anzusehen wäre. Die Babel-Episode beginnt mit der Behauptung, daß einst alle Menschen die gleiche Sprache und die gleichen Worte gebraucht hätten (Gen 11,1). Diese Festellung sei nach Albertz dafür verantwortlich, daß man über Jahrhunderte angenommen habe, „die Bibel vertrete die Konzeption einer einheitlichen Ursprache, die auf das 'erste Menschenpaar Adam und Eva' zurückgehe und bis zum Turmbau gesprochen worden sei, bis sie von Gott in eine Vielzahl von Sprachen 'verwirrt' wurde" (Albertz 1989: 10). Die Erzählung vom Turmbau zu Babel zeigt den Gott der Bibel als einen Gott der Strafe, der die Hoffahrt der Menschen und ihren „prometheischen" Wunsch, sich zum Himmel emporzuschwingen, mit der babylonischen Sprachverwirrung quittiert. Albertz betont in seinem Beitrag, daß Gott den Menschen auf diese Weise die „Voraussetzung für eine solche ihre Begrenztheit übersteigende gemeinsame technisch-zivilisatorische Anstrengung" entzogen habe, nämlich die einheitliche Sprache (Albertz 1989: 13). Gegenüber der anschaulichen Darstellung der babylonischen confusio linguarum verblaßt allerdings eine biblische Passage, welche für das Problem der Einheit oder Verschiedenheit der Sprachen und Völker von nicht zu vernachlässigender Bedeutung ist: die sogenannte Völkertafel. Bei dieser Völkertafel handelt es sich um eine Auflistung der Nachkommen Noahs, der von

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der großen Sintflut gerettet wurde (vgl. Gen 6-9). Noahs Kinder und Kindeskinder verbreiteten sich über zahlreiche Länder des „Nahen Ostens", „von ihnen zweigten sich nach der Flut die Völker der Erde ab" (Gen 10,32). Aufgrund der größeren Anschaulichkeit der Turmbau-Erzählung mußte jedoch die durch einen rein aufzählenden Charakter geprägte Völkertafel zurücktreten,2 obwohl die Verschiedenheit der Einzelsprachen bereits hier dargestellt wird und bei genauerer Betrachtung von Gen 10 die Episode von Babylon im Hinblick auf die Diversifizierung der Einzelsprachen als obsolet erscheinen müßte. Aus unseren Ausführungen in enger Anlehnung an Albertz 1989 geht hervor, daß in der Bibel nur wenige Hinweise auf das Sprachursprungsproblem zu finden sind, daß es keinerlei Festlegung bezüglich des Hebräischen als Ursprache zu verzeichnen gibt, daß aber trotz dieser Sachlage die relevanten Passagen des Schöpfungsberichtes für die weitere Tradition von zentraler Bedeutung waren. Diese weitere Tradition in all ihren einzelZu dieser Einschätzung gelangt auch Umberto Eco in seiner eher populärwissenschaftlich konzipierten Ricerca della lingua perfetta von 1993, die aber das Problem der verlorengegangenen Ursprache und Kompensationsversuche durch Universalsprachenmodelle in einer konsistenten und kohärenten Form präsentiert. Im ersten Kapitel seiner Ricerca della lingua perfetta vergleicht Eco die Völkertafel mit der Episode vom Turmbau zu Babel und hebt dabei die dramaturgische Überzeugungskraft letzterer Erzählung im Gegensatz zum rein enumerativen Charakter der Völkertafel hervor, wodurch sich die spätere Einschätzung der BabelGeschichte als Ursprungserklärung für die Verschiedenheit der Sprachen rechtfertigen lasse, obwohl die Völkertafel und die Verbreitung der Völker der Erde ihr chronologisch Vorausgängen: „Come intendere questa pluralità di lingue prima di Babele? Ma Genesi 11 è drammatico, iconologicamente forte, e prova ne sia la ricchezza delle raffigurazioni che la Torre ha ispirato attraverso i secoli. Gli accenni di Genesi 10 sono invece quasi parentetici e certamente esibiscono una minore teatralità. Naturale che l'attenzione, nel corso della tradizione, si sia puntata sull'episodio della confusione babelica e che la pluralità delle lingue sia stata sentita come il tragico effetto di una maledizione divina" (Eco 1993: 15). Die Tatsache, daß Ecos Buch auch bei der interessierten literarischen Allgemeinheit auf starken Widerhall gestoßen ist, dokumentiert nachdrücklich das zeitlose und allgemeine Interesse an einer sprachphilosophischen Fundamentalftage wie der nach dem Ursprung der Sprache und dem Charakter oder der Identität der Ursprache. Auch wenn in Ecos Buch die Frage nach der Möglichkeit einer Universalsprache im Vordergrund steht und die Rekapitulation diesbezüglicher Unternehmungen (angefangen von der Ars magna des Raimundus Lullus (um 12331315/16) über die Universalsprachenprojekte eines John Wilkins (1614-1672) oder George Dalgarno (1626-1687) bis hin zur characteristica universalis eines Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und schließlich die Bemühungen um das Esperanto) als zentrales Anliegen aufzufassen sind, bleibt auch die Sprachursprungsfrage hier nicht unberührt. Ihr Schicksal ist schließlich eng mit der Problematik der Diversität der Einzelsprachen und deren nationalistisch motivierter Apologie verbunden.

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nen Ausprägungen nachzuzeichnen, ist nicht Ziel unseres Bestrebens. Einen wertvollen Überblick über die Entwicklung der Sprachursprungsfrage von den Anfängen bis zur Berliner Preisfrage und ihrem engeren chronologischen Umfeld liefert Megül (1974).

1.2.2. Piatons 'Kratylos' und seine Bedeutung für die weitere Sprachursprungsdiskussion Innerhalb der schier unüberblickbaren Vielfalt von Sprachursprungstheorien greifen Autoren der Berliner Preisfrage neben der biblischen Tradition häufig auf antike Schriftsteller zurück, die in unterschiedlichen Zusammenhängen wertvolles Material für Theorien zum Sprachursprung geliefert haben. An erster Stelle wäre hier näher auf Piatons Kratylos einzugehen. Dieser Dialog gilt als ältestes erhaltenes Zeugnis abendländischer Sprachphilosophie (vgl. Borsche 1991: 140, White 1992: 234, Malmberg 1991: 58). In seiner Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart weist auch Eugenio Coseriu Piaton und seinem Dialog eine Schlüsselfunktion für die weitere Entwicklung der abendländischen Sprachphilosophie zu. Er zieht eine Entwicklungslinie, die sich mit Heraklit (ca. 540-480 v. Chr.) beginnend über Piaton (428 v. Chr.-349/7 v. Chr.) und Aristoteles (384-322 v. Chr.) zu den Stoikern bis hin zu Thomas von Aquin (1225/6-1274) verfolgen läßt (Coseriu 1972: 20). Da die Sprachreflexion Heraklits nur durch Dokumente späterer Philosophen, insbesondere der Stoiker erhalten ist (vgl. Malmberg 1991: 53), ist Piatons Kratylos als erstes Dokument abendländischer Sprachreflexion zu betrachten.3 Ebenso wie die biblischen Passagen im engeren Sinne als Zeugnisse des Ursprungs der Sprache angesehen werden können, behandelt auch Piatons Kratylos nicht vordergründig den Sprachursprung, sondern das Problem der Richtigkeit der Namen (vgl. Schmitter 1987: 21). Die Frage nach der „Angemessenheit der Sprache in bezug auf das Sein" (Coseriu 1972: 22) war bereits von Heraklit gestellt und schließlich von Piaton übernommen worden. In seinem Dialog Kratylos erörtert Piaton die Frage, ob das Wort als Name des Dinges etwas über das Wesen des Dinges aussagt oder ob es zwischen Wort und Ding keinerlei Verbindimg gäbe. Piaton führt somit zwei zueinander in konfliktuellem Verhältnis stehende Positionen vor: Auf der einen Seite steht die sogenannte physei-These (Piaton, Kratylos 383 a 4-b 2), nach der zwischen Wort und Ding ein natürlicher Zusammenhang bestehen muß; auf der anderen die sogenannte thesei-These, die das Wort als rein arbiträres

Für wertvolle Hinweise zu Piatons .Kratylos' danke ich Prof. Dr. Peter Staudacher.

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Zeichen konzipiert, welches auf der Basis gesellschaftlicher Konvention vereinbart wurde (Piaton, Kratylos 384 c 10-d 7). Die Frage nach der Natürlichkeit oder Konventionalität der Wort-DingRelation kann in der Geschichte der Sprachphilosophie auf eine lange Kontinuität zurückblicken, welche im mittelalterlichen Universalienstreit ihren Kulminationspunkt erreicht. Die Tatsache, daß das Problem der Wort-DingRelation immer wieder thematisiert wurde, erscheint indes verwunderlich, da Piaton mit seiner raffinierten, geradezu sophistischen Argumentation im Kratylos die Frage nach der Angemessenheit der Namen bereits in überzeugender und sinnvoller Weise beantwortet hatte. Es ist nämlich gerade die Nichtangemessenheit dieser Fragestellung, die nach dem langen Ringen zwischen Kratylos, dem Vertreter der Natürlichkeitstheorie, und Hermogenes, dem Repräsentanten der Konventionaltheorie, ans Licht kommt. Während die Natürlichkeitstheorie oder /?/ryíeí-Hypothese von der Existenz eines natürlichen Zusammenhanges, einer Ähnlichkeit zwischen Wort und Ding ausgeht, wird die Wort-Ding-Relation im Sinne der Konventionaltheorie oder auch theseiHypothese als rein arbiträres Konstrakt betrachtet. Als Vermittler zwischen beiden Positionen fungiert Sokrates, der zunächst gegen die Konventionaltheorie des Hermogenes polemisiert, dann aber auch die Natürlichkeitstheorie des Kratylos in Frage stellt. Der Dialog endet letztendlich offen und schließt mit der Aufforderung des Kratylos an Sokrates, das Wesen des Heraklitismus zu ergründen (440 e). Da sich nach der Vorstellung des Heraklit alles im permanenten Fluß befindet und den Dingen bedingt durch diesen stetigen Wandel letztlich keine individuelle Identität mehr zugeschrieben werden kann, scheint Erkenntnis für Sokrates unmöglich zu sein, sollte die herakliteische Konzeption zutreffen (440 a). Mit dieser Argumentation am Ende des Dialoges sind wir bereits zum Herzstück von Piatons Sprachbetrachtung vorgedrungen: Für das Verständnis des Kratylos-DizXoges ist die Kenntnis seiner Seinsphilosophie unerlässlich. Um die Relation zwischen Wort und Welt zu klären, muß für Piaton erst einmal ermittelt werden, ob ein sprachunabhängiges Sein überhaupt existieren kann. Wenn Piaton seinen Sokrates im Zuge der kritischen Prüfung der Vertragslehre des Hermogenes fragen läßt: „Nennst Du etwas wahr reden und etwas falsch?" (385 b), dann erweitert sich die Frage nach der Adäquatheit der Bennungen zu einer Diskussion um die Relation zwischen Sprache und Wahrheit. Die Arbitraritätsthese wird mit dem Wahrheitsrelativismus des Protagoras in Zusammenhang gebracht. Eine weitere Schwierigkeit für die Bestimmung der Wort-Ding-Relation resultiert aus dem gleichfalls von Sokrates eingeführten und bereits thematisierten Problem des Heraklitismus (402 b). Durch den permanenten Fluxus allen Seins muß es inadäquat erscheinen, einem Ding einen festen Namen zuzuweisen. Auf der Basis des Heraklitismus wird im weiteren Verlauf des

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Dialogs die Richtigkeit der Benennungen in Zweifel gezogen (411c und 439 d ff.). Die Erkenntnis der Unvollkommenheit der Wörter als Abbilder (431 d) legt die Existenz der Falschheit nahe, welche Kratylos in der Diskussion mit Sokrates als reines Geräusch abtun wollte (411 c und 439 d ff.) eine bedeutungsschwere Äußerung, da mit dem Verzicht auf eine Differenzierung in Wahrheit und Falschheit auch alle ethischen Kategorien und Moralvorstellungen hinfällig werden müssen. Im Zusammenhang mit der Feststellung von der Unvollkommenheit der Wörter muß auch ein Einwand des Sokrates gegen Kratylos* Negation der Existenz der Falschheit erwähnt werden: Sprache kann keine vollkommene Abbildung der Realität sein, da sie sich sonst damit begnügen müßte, die Realität zu verdoppeln (432 b/c). Aufgrund der repräsentativen Funktion der Sprachzeichen muß es aber Falschheit geben, da die Wahl der jeweiligen Signifikanten unterschiedlich glücklich ausfallen muß (432 e). Verantworüich für die Auswahl der verschiedenen Bedeutungsträger ist nach Meinung des Sokrates ein Gesetzgeber,4 den er zu Beginn des Dialoges (388 a) in Analogie zu einem Handwerksmeister eingeführt hatte.5 Auf dieses Modell des Gesetzgebers kommt nun Sokrates gegen Ende des Dialogs wieder zurück: Vermittels welcher Wörter nun hat er [der Gesetzgeber] wohl die Kenntnis der Gegenstände erlernt oder gefunden, wenn doch die ersten Wörter noch nicht gegeben waren, wir aber sagen, es sei nicht möglich, zur Erkenntnis und zum Finden der Dinge anders zu gelangen, als indem man die Wörter erlernt oder selbst findet, wie sie beschaffen sind? (438 b)

Mit dieser Argumentation wirft Piaton eine Fragestellung auf, welche ebenso wie das Problem der Wort-Ding-Relation auch noch im 18. Jahrhundert die Gemüter der Philosophen in Wallung versetzen sollte und auch die Teilnehmer an der Berliner Preisfrage umgetrieben hat: das Problem der Anteriorität von Sprache und Denken. Mit besonderer Intensität wird dieses Thema von Jean-Jacques Rousseau in seinem Discours de l'inégalité aufgegriffen werden. Rousseau erklärt sich für unfähig, eine Problemlösung zu entwickeln (vgl. Kapitel 3.6.). Schon Piaton läßt seinen Sokrates den Gesprächspartner Dieser Gesetzgeber ist für die Erfindung von Benennungen ebenso ein Fachmann wie der - in Analogie eingeführte - Tischler bei der Herstellung des Webschiffchens. Allerdings ist dieser Gesetzgeber wohl als eine fiktive Person zu erachten, der ein methodologischer Wert für die Entwicklung der sokratischen Argumentation zukommt und nicht als eine real existierende Person (vgl. Schmitter 1987: 23/24). Piatons Gesetzgeberidee wurde jedoch in der Folgezeit oftmals als „eine konkrete mythologische oder historisch greifbare Person" (Schmitter 1987: 24) gedeutet. Noch in der Romantik war die Auffassung von der Sprache als göttliches Geschenk geläufig. Der Akt des Benennens ist für Piaton ebenso ein kunstvoller Akt wie beispielsweise das Weben.

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Kratylos fragen, wie die ersten Gesetzgeber wohl die ersten Wörter überhaupt hätten festsetzen sollen, da sie noch über keinerlei Wörter verfügten, die Erkenntnis der Dinge aber offenbar einzig durch die Wörter möglich sei (438 b). Einen Ausweg aus diesem Dilemma glaubt Kratylos einzig im Walten einer Gottheit erkennen zu können, da die Erkenntnis des Wesens der Dinge menschliche Möglichkeiten übersteige (438 c). Damit optiert Kratylos für einen göttlichen Sprachursprung und wendet sich gegen Sokrates, der einen solchen Ursprung zuvor (425 d) höhnisch verworfen hatte. Mit schwindelerregendem Etymologisieren hatte Sokrates zunächst offenbar die Natürlichkeitstheorie vertreten. Allerdings legt der exzessive Charakter dieser buntschillernden Passage zugleich die Ironisierung des etymologischen Verfahrens nahe, welches vor der Erschaffung der Urwörter kapitulieren muß (vgl. Megill 1974: 8).6 Einen Deus ex macchina zur Erfindung der Urwörter herabzuzitieren, wäre für Sokrates unzulässig und simplifizierend: Lächerlich wird es freilich herauskommen, glaube ich, Hermogenes, wie durch Buchstaben und Silben nachgeahmt die Dinge kenntlich werden. Aber es muß doch so sein; denn wir haben nichts besseres als dieses, worauf wir uns wegen der Richtigkeit der ursprünglichen Wörter beziehen könnten. Wir müßten denn, auf ähnliche Art, wie die Tragödienschreiber, wenn sie sich nicht zu helfen wissen, zu den Maschinen ihre Zuflucht nehmen und Götter herabkommen lassen, uns auch hier aus der Sache ziehen, indem wir sagten, die ursprünglichen Wörter hätten die Götter eingeführt, und darum wären sie richtig (425 d).

Die Wörter haben sich als bisweilen unzuverlässige Repräsentanten der Dinge erwiesen. Daher zieht Sokrates die nachvollziehbare Schlußfolgerung, daß die Erkenntnis des Wesens der Dinge auch jenseits der Sprache möglich sein müßte (438 d). Wörter erscheinen als eine manchmal trügerische Zwischeninstanz oder gar Barriere zwischen Mensch und Welt. Für Sokrates ist es jedenfalls offenbar erstrebenswert, zur direkteren und sichereren Erkenntnis der Dinge ohne das Hilfsmittel der Sprache zu gelangen (439 a/b). Allerdings glaubt er, in Gemeinschaft mit Kratylos dieses Fundamentalproblem nicht lösen zu können, zumal man sich auch erst einmal über die Grundbedingungen des Erkenntnisprozesses selbst im Klaren sein müßte. Damit dieser Prozeß überhaupt vonstatten gehen kann, ist die Konstanz der Phänomena unerläßlich. Dies jedoch würde bedeuten, daß man am Ende die Position des Heraklitismus aufgeben müßte. Es würde zu weit führen, Piatons Kratylos in diesem Rahmen einer noch detaillierteren Analyse zu unterziehen. Dazu sei verwiesen auf Coseriu 1972, Borsche 1991, Malmberg 1991 und White 1992. Für unseren Zusammenhang von besonderem Interesse ist Rudolf Schrastetters Beitrag zu Piatons Kratylos Auch Megill interpretiert Sokrates' eingehende Auseinandersetzung mit den Etymologien als philosophisches Amüsement Piatons (vgl. Megill 1974: 10).

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in Gessinger/von Rahden 1989, da er den Dialog im Kontext der Sprachursprungsfrage untersucht (vgl. Schrastetter 1989: 42-64). Im Hinblick auf die Bedeutung des Kratylos für die Geschichte der Sprachphilosophie äußert Schrastetter deutlich sein Mißfallen gegenüber dem „durch nichts zu erschütternde[n] Vorurteil, Piaton eine der beiden Sprachentstehungstheorien in den Mund legen zu wollen" (Schrastetter 1989: 62). Schrastetter plädiert gegen die Konzeption eines uneingeschränkten Erkenntnisoptimismus, der die Sprache als Mittel aller Erkenntnis und allen Denkens von Sein und Bewußtsein als diesen Kategorien überlegen erscheinen läßt (Schrastetter 1989: 63). Auch wenn die Sprache das Werkzeug unseres Bewußtseins ist, ist doch auch sie bereits geprägt von der außersprachlichen Realität, auf die sie sich bezieht. Konfrontiert mit einer Argumentationsweise, die die Grenzen zwischen Sprache, Erkenntnis und Bewußtsein verwischt und allen drei Faktoren im Wechsel mit Skepsis gegenübertritt, betont Schrastetter in seinem Artikel ausdrücklich die Differenz zwischen der sprachtheoretischen, epistemologischen und ontologischen Argumentationsebene in Piatons Kratylos. Zweifelsohne ist die Sprache „Werkzeug des Bewußtseins" und „Mittel der Erkenntnis" (Schrastetter 1989: 63). Zweifelsohne wird Sprache vorgeprägt von dem Zweck, den sie ausfüllen soll. Und dennoch, so warnt Schrastetter, dürfe Sprache keineswegs für die Wirklichkeit dessen gehalten werden, was sie erst ermöglicht (vgl. Schrastetter 1989: 63). Schrastetter protestiert hier gegen eine Gleichsetzung von Sprache mit Sein und Bewußtsein. Diese Positionsnahme impliziert zugleich auch eine Kritik an der Natürlichkeitstheorie des Kratylos, da bei zuspitzender Auffassung dieser Theorie der Übergang zwischen den Phänomena der Außenwelt und der Sprache nicht mehr deutlich zu ziehen ist, wie der kritische Hinweis des Sokrates, daß die Sprache kein vollkommenes Abbild der Realität sei, nahelegt. Allerdings ist Schrastetter, wie bereits deutlich wurde, weit davon entfernt, Piaton selbst auf eine der beiden Theorien, Natürlichkeitstheorie oder Vertragstheorie, festlegen zu wollen. Wesentlich erscheint ihm indes, daß auch die Sprache kein probates Mittel ist, um den Schwierigkeiten einer fundamentalen Ontologie entrinnen zu können. Bevor man die Frage nach dem Ursprung der Sprache stellen könne, müsse zunächst die Frage nach der Richtigkeit der Sprache gestellt werden (vgl. Schrastetter 1989: 63). Unsere Ausführungen zu Piatons Kratylos haben gezeigt, daß in diesem ältesten erhaltenen Dokument westlicher Sprachphilosophie wichtige sprachtheoretische Fragen gestellt werden, die im Zusammenhang mit der Ontologie Piatons stehen und die über Jahrhunderte das europäische Sprachdenken entscheidend prägen und beeinflussen sollten. Ein zentrales Problem ist hierbei die Frage nach der Beziehung zwischen Wort und Welt. Die Darstellungsfunktion der Sprache steht zur Disposition, ihre besondere Spezifik, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Grenzen werden abgesteckt. Das Wesen der

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Sprache als eines Urphänomens oder als einer Vermittlerin zwischen Mensch und Welt wird analysiert. Vor der Frage nach dem Ursprung steht jedoch erst einmal die Frage nach der Richtigkeit, nach der Adäquatheit der Sprache. Den Ursprung der Sprache zu untersuchen, erscheint erst dann legitim, wenn ihre Relation zu fundamentalen ontologischen Problemen geklärt ist. Sprache, die Wahrheit transportieren sollte, erweist sich oftmals als trügerisch und gaukelt uns Scheinbilder vor - eine Argumentation, die Francis Bacon (1561-1626) im Rahmen seiner Idolenlehre im Novum Organon wiederaufgreifen sollte (vgl. Apel 1963: 286). Die Lehre von den idola fori, zu denen auch die Sprache zu rechnen ist, bildet ein zentrales Element von Bacons Sprachkritik, die in eine nominalistische Erkenntnistheorie eingebettet ist, deren „Tradition durch den englischen Empirismus, über Francis Bacon, Hobbes, Locke, Berkeley bis zu B. Russell und Wittgenstein, in die Sprachkritik des modernen Neopositivismus mündet" (Apel 1963: 96). Besondere Berühmtheit in der Sprachphilosophie erlangte in diesem Zusammenhang John Locke (1632-1704) mit seiner Kritik des abuse of words am Ende des dritten Buches seines Essay concerning human Understanding (1690).7 Das Thema des Sprachmißbrauchs sollte aber auch von den französischen Philosophen leidenschaftlich debattiert werden, wobei hier insbesondere die Ausführungen von Claude-Adrien Helvétius (1715-1771) zum abus des mots zu nennen wären (vgl. Ricken 1984: 194-210). Da für die Adepten des Nominalismus Wörter reine Namen waren, denen keinerlei Korrelat in der Realität entsprach, mußten sie der Sprache mit einem außerordentlichen Mißtrauen gegenübertreten, das im radikalen Skeptizismus eines George Berkeley (1685-1753) kulminieren sollte. Die nominalistische Sprachauffassung läßt sich im Anschluß an die beiden von Piaton vorgestellten Möglichkeiten der Relation zwischen Wort und Welt als Anknüpfung an die f/iarez-Hypothese interpretieren. Die Beziehung zwischen Wort und Welt ist rein arbiträr, d.h. sie erfolgt aufgrund einer intentioneilen Satzung. In seinem wichtigen Artikel „L'arbitraire du signe. Zur Spätgeschichte eines aristotelischen Begriffes" (1967) betont Eugenio Coseriu, daß John Locke interessanterweise die Theorie des arbitraire du signe noch von den Scholastikern übernommen habe (Coseriu 1967: 91), obwohl Locke bekanntlich den Essay concerning human Understanding als das selbstbewußte Manifest des gegen alle Dogmen und Vorurteile mit wissenDer abuse of words kann sich sowohl auf Mängel der Sprache selbst als auch auf die mißbräuchliche Verwendung durch ihre Benutzer beziehen, wie Lia Formigari in ihrem Werk Linguistica ed empirismo nel Seicento inglese betont: „II terzo libro del saggio si conclude con un'analisi dei difetti del linguaggio: alcuni inerenti ad esso, altri derivanti dagli abusi che gli uomini ne fanno, gli uni e gli altri tanto più pericolosi nel discorso scientifico ('philosophical use of words ") che in quello ordinario ('civil use of words')" (Formigari 1970: 192).

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schaftlicher Genauigkeit opponierenden Empirismus schreibt. Die Scholastik ihrerseits hatte die Theorie der Arbitrarität des Zeichens von Aristoteles ererbt, der in seinem Werk De interpretatione das sprachliche Zeichen im Gegensatz zu den Schreien der Menschen und Tiere als nicht natürlich motiviert (Coseriu 1967: 88 und Weidemann 1970: 172), sondern als „traditionell eingerichtet" und als „historisch motiviert" dargestellt hatte. Aristoteles' De Interpretatione sei über die Übersetzung und den Kommentar des Anicius Manlius Severinus Boethius (480-524) schließlich von der Scholastik übernommen worden (Coseriu 1967: 88). Von Boethius' Aristoteles-Übersetzung übernahm die Scholastik auch die Qualifizierung des sprachlichen Zeichens als „vox significativa secundum placitum" (Coseriu 1967: 89). Eng verknüpft mit der Eigenschaft der Arbitrarität ist die der Konventionalität. In Ermangelung einer natürlichen Motiviertheit des Zeichens muß eine historische Übereinkunft den Zusammenhang zwischen Signifikat und Signifikanten garantieren. Die unmittelbare Verflechtung der Eigenschaft der Arbitrarität mit der der Konventionalität belegen schon sprachbezogene Ausführungen des Aristoteles. Eine nähere Erklärung der Bezeichnung „konventionell" findet sich in Aristoteles' Organon, genauer im Peri hermeneias, der Lehre vom Satz.8 Im 2. Kapitel dieser Abhandlung definiert Aristoteles das Nomen als „einfen] Laut, der konventionell etwas bedeutet, ohne eine Zeit einzuschließen, und ohne das ein Teil von ihm eine Bedeutung für sich hat (Aristoteles 1995, I, Organon II, Lehre vom Satz, Peri hermeneias: 16a). In diesem Zusammenhang definiert er „konventionell" dann allgemeiner: Die Bestimmung „konventionell" (auf Grund einer Übereinkunft) will sagen, daß kein Nomen von Natur ein solches ist, sondern erst wenn es zum Zeichen geworden ist. Denn auch die artikulierten Laute, z.B. der Tiere, zeigen etwas an, und doch ist keiner dieser Laute ein Nomen. (Aristoteles 1995, I, Organon II, Lehre vom Satz, Peri hermeneias: 16a)

Aristoteles' Definitionsversuch der Konventionalität zeigt deutlich seine Solidarität mit der rAerei-Position des Hermogenes. Das sprachliche Zeichen ist nicht natürlich, sondern historisch motiviert. Eine Hinwendung zu dieser theiej'-Position konstatiert Coseriu noch bis in die Spätscholastik hinein, wobei er allerdings auf eine Verschiebung der Problemstellung von einer rein funktionalen Ebene auf eine genetische Ebene verweist (vgl. Coseriu 1967: 89). Die Scholastiker begnügen sich nicht mehr damit, das Zeichen als traditionell institutionalisiert zu betrachten, sondern wollen herausfinden, wie diese Konvention entstand.

Auf die zentrale Bedeutung des Peri hermeneias für Aristoteles' Unterscheidung zwischen „Tiersprache" und menschlicher Sprache verweist Weidemann (1991: 171).

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Der Blick auf die Sprachtheorie des Aristoteles und an die daran anknüpfende empiristische Richtung hat gezeigt, wie bedeutsam das von Piaton im Kratylos untersuchte Problem der Relation zwischen Wort und Welt auch in späteren Jahrhunderten eingeschätzt wurde. Die besondere Leistung Piatons besteht in seiner sprachkritischen Haltung, die ihn die pAyie/'-Hypothese ebenso wie die i/ieyei-Hypothese als unzureichend klassifizieren läßt. Unsere Betrachtung des Kratylos-Dialoges hat gezeigt, daß das Problem des Sprachursprungs für Piaton erst dann relevant erscheint, wenn die Angemessenheit der Benennungen erwiesen ist. Schon bei Piaton tritt der aporetische und hochspekulative Charakter der Sprachursprungsfrage deutlich zutage. Einen deus ex machina vom Himmel herabzurufen, erscheint für Sokrates als eine unzulässige solution de facilité. Gefangen im Zirkel der Anterioritätsrelation zwischen Sprache und Denken, die an der Unmöglichkeit, die Entstehung der „Urwörter" ohne Zuhilfenahme von Sprache motivieren zu können, sinnfällig wird, muß Kratylos kapitulieren. Er überläßt den „linguistischen Urknall" einer Gottheit. Das Problem der Anteriorität von Sprache und Denken, welches auch im 18. Jahrhundert den Philosophen allerlei Kopfzerbrechen bereiten sollte, wird bei Piaton noch zusätzlich verschärft durch die herakliteische Position, die die Konstanz der Phänomena der Außenwelt in Frage stellt. Aufgrund des Heraklitismus erscheint eine sprachunabhängige Form der Erkenntnis ebenso problematisch wie eine sprachgebundene. Die Mängel einer sprachgebundenen Erkenntnis offenbarte die bisweilen unzureichende Darstellungsfunktion der Sprache, die sie zum Instrument des Mißbrauchs prädestiniert. Piatons Verzicht auf eine offene Positionsnahme zugunsten einer der beiden Theorien demonstriert deutlich den aporetischen Charakter sprachphilosophischer Fundamentalfragen, zu denen auch die Frage nach dem Sprachursprung zu rechnen ist. In seiner für unsere Arbeit grundlegenden Dissertation The Enlightenment Debate on the Origin of Language betont Allan D. Megill, daß das Thema des Kratylos nicht der Ursprung der Sprache sei, sondern das Problem der Relation zwischen Signifikant und Signifikat. 9 Auch wenn nach der Einschätzung Megills die im Kratylos diskutierte Frage nach der Natürlichkeit oder Konventionalität der Sprache nicht notwendigerweise mit der Sprachursprungsfrage zusammenhängt (vgl. Megill 1974: 12/13), so zeigt seine eigene Berücksichtigung dieses Dialoges ebenso wie dessen Behandlung etwa bei Coseriu oder Schrastetter, daß der Kratylos-Text vom Ursprungsproblem Megill schreibt: „But the subject of the Cratylus is not the origin of language, nor does the nature/convention distinction, as it is used in the Cratylus, refer to two opposing theories of the origin of language. The Cratylus is concerned with the question, 'What is the relationship between signifier and signified'" (Megill 1974: 11).

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nicht abgekoppelt werden kann.10 Diese Tatsache läßt sich auch anhand des Fundus zur Berliner Preisfrage belegen, der die Relevanz dieser Problemstellung für die Sprachursprungsdiskussion dokumentiert (vgl. Kapitel 3.O.).

1.2.3. Zur epikureischen Sprachursprungskonzeption und ihrer Rezeption Epikur (342-271 v. Chr.) Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Sprachursprungsproblematik ist zweifelsohne der Beitrag der epikureischen Philosophie. Die Sprachtheorie Epikurs entwickelt sich im Zusammenhang seiner Naturphilosophie. Obwohl Epikur eigentlich „kein besonderes theoretisches Interesse an der Sprache" zugesprochen werden kann (Hossenfelder 1991: 217)," sind seine Reflexionen zum Sprachursprung für die weitere Entwicklung der Fragestellung keineswegs als quantité négligeable zu klassifizieren, sondern im Gegenteil höchst bedeutsam. Allerdings besteht der einzige überlieferte Beitrag Epikurs zur Sprachursprungsfrage in seinem „Brief an Herodot". Dieser Brief findet sich in Diogenes Laertios* Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Diogenes Laertios (Ende des 3. Jhdts. n. Chr.) widmet das 10. Buch dieses Werkes dem Leben und Schaffen Epikurs. Dieser wird zunächst als Figur von zweifelhaftem Lebenswandel charakterisiert,12 dann jedoch

Interessanterweise kommt auch Megill, dem so viel daran gelegen war, zu zeigen, daß der Sprachursprung nicht Gegenstand des Kratylos sei, nicht umhin, diese Fragestellung als zentralen Aspekt der späteren Sprachursprungsdiskussion zu klassifizieren. Im Widerspruch zu den vorherigen Aussagen schreibt Megill nämlich: „[...] the distinction between the natural and the conventional theories of language, discussed so exhaustively in the Cratylus, would come up again and again in later discussions of the origin of language" (Megill 1974: 22). In der Darstellung Megills wird die Bedeutung sprachtheoretischer Problemkreise und konkret des Ursprungsproblems offenkundig überschätzt (vgl. Megill 1974: 13), zumal ein diesbezügliches Interesse gerade bei der ideologischen Gegenrichtung der Epikureer, nämlich bei den Stoikern, zu konstatieren wäre (Hossenfelder 1991: 217). Bei Diogenes Laertios finden sich folgende Aussagen zur Person Epikurs: „Danach soll er mit seiner Mutter in den Hütten der kleinen Leute umhergezogen sein; mit seinem Vater soll er für ein Lumpengeld Elementarunterricht erteilt haben. Ja auch einen seiner Brüder soll er verkuppelt und mit der Hetäre Leontion zusammengelebt haben. Mit der Atomenlehre des Demokrit und der Lustlehre des Aristipp springe er ganz wie mit seinem Eigentum um" (Diogenes Laertius 1998: 224). Diesen wenig vorteilhaften Beschreibungen folgen dann aber Ausführungen über die menschliche Güte Epikurs und über die Anziehungskraft seiner Person und seiner Schule (vgl. Diogenes Laertius 1998: 227).

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wird die enorme Ausstrahlungskraft seiner Person und Schule hervorgehoben. 13 In dem von Diogenes Laertios zitierten Brief Epikurs an Herodot (ca. 484-ca. 430) findet sich auch eine Äußerung zum Sprachursprung, die an die Natürlichkeitstheorie aus Piatons Kratylos anknüpft und zugleich auf der physiologischen Eigenart der Lautproduktion14 und der daraus resultierenden Individualität der verschiedenen Sprachlaute abhebt. Es wird hier nicht ein Sprachursprung schlechthin angenommen, sondern von Anbeginn an die Diversität der Einzelsprachen berücksichtigt: Man muß sich ferner auch davon überzeugen, daß die Natur in vielen und mannigfachen Beziehungen der Belehrung und dem Zwange folgt, die von den Dingen selbst ausgehen, und daß der Verstand das von ihr (der Natur) an die Hand Gegebene in der Folge genauer erforscht und mit Erfindungen bereichert, auf manchen Gebieten schneller auf andern langsamer, und in manchen Perioden und Zeiten über ganze Abschnitte aus der Unendlichkeit hin, in anderen wieder in kürzeren Zeiten. Nach dieser Annahme sind denn auch die sprachlichen Bezeichnungen (die Wörter) nicht von vornherein durch Satzung entstanden, vielmehr lassen die Menschen je nach ihrer natürlichen volksmäßigen Eigenart und besonderen Vorstellungsweise den Luftstrom (zur Bezeichnung der Dinge) dem Munde in individuell gestalteter Weise entfahren, bestimmt durch die jeweiligen Seelenregungen und Vorstellungen, auch unter dem Einfluß der verschiedenen örtlichen Verhältnisse der Völker. (Brief Epikurs an Herodot, in: Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen: X, 75) Die Textpassage aus dem Brief an Herodot zeigt, daß Epikur die Sprache als eine menschliche Erfindung ansieht, die den menschlichen Bedürfnissen gemäß als eine von Natur aus wahre Hilfe zur allgemeinen Erkenntnis diente. Epikur fragte als erster nach der Entstehung dieser ersten Sprache des MenDorothee Kimmich beurteilt in ihrem aufschlußreichen Werk Epikureische Aufklärungen die Beschreibung, die Diogenes Laertios von der Person des Epikur liefert, als „ausgesprochen wohlwollend" (Kimmich 1993 : 64). Diese Einschätzung können wir in dieser Form nicht teilen, da speziell der erste Abschnitt der Charakteristik doch wenig schmeichelhaft ausfallt und der daraus resultierende zwiespältige Eindruck durch die Hochherzigkeit der Beschreibung in den folgenden Passagen nicht ohne weiteres revidiert werden kann. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die kritischen Anfangszeilen des von Diogenes entworfenen Epikur-Porträts die Grundlage für die Jahrhunderte überdauernde Ächtung des Philosophen gelegt haben. So widmete etwa Pierre Bayle (1647-1706) nicht nur Epikur und Titus Lucretius Carus (ca. 96-55), dem wohl bedeutendsten Divulgator der epikureischen Lehre, ausführliche Artikel zu deren Rehabilitierung gegenüber der Kritik aus dem christlichen Lager, sondern ebenfalls der Hetäre Leontium (vgl. Kimmich 1993: 114). Der physiologische Aspekt der Lautbildung hatte schon Aristoteles besonders interessiert, wie die diesbezüglichen Äußerungen im Peri hermeneias dokumentieren (vgl. Weidemann 1991).

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schengeschlechts und der sich später entwickelnden Diversität der Einzelsprachen, wie Arno Borst in seinem Turmbau von Babel betont (Borst 1995: Bd. I, 137). Der Mensch des Ursprungs erscheint bei Epikur als ein tierähnliches Geschöpf, dem kaum Vernunft zugesprochen werden kann. Ein göttliches Einwirken auf die Sprache wird in keinerlei Form zugelassen; dafür wird aber der empirisch nachvollziehbaren Realität der Diversität der Einzelsprachen in besonderem Maße Beachtung geschenkt. Zwar bringe die Natur die Sprache hervor, aber die Einzelsprachen seien das Resultat unterschiedlicher klimatischer Bedingungen und unterschiedlicher Leidenschaften und Vorstellungen einzelner Völker. Somit läßt sich also bereits bei Epikur die Vorstellung des génie de la langue avant la lettre nachweisen.15 „Wahrnehmung und Gefühl, die beiden Grundpfeiler epikureischer Psychologie, erklären die Verschiedenheit der Sprachen, und diese wird dadurch fast schon geheiligt" (Borst 1995: Bd. I, 137). Diese Naturheiligkeit der Sprache sei durch ihren späteren Ausbau und die Erfindung neuer Wörter nur noch bestätigt worden (Borst 1995: Bd. I, 137). Aus der zitierten Textpassage wurde deutlich, daß für Epikur das natürliche Element der Sprache gegenüber dem konventionalisierten Element stark im Vordergrund steht; in der Tat verwirft Epikur die tfiesei-Hypothese (vgl. Hossenfelder 1991: 219). Die menschliche Natur erzwingt förmlich die Artikulation von Lauten. Mit dieser Aussage ist eine enge Parallelisierung von artikulierter Lautsprache und tierischen Kommunikationsformen gegeben, die durch die anthropologischen Analogien zwischen Urmenschen und Tieren bei Epikur und Lukrez noch verstärkt wird. Durch diese Parallelisierung von Mensch und Tier, welche die von der religiösen Orthodoxie geforderte unangefochtene Sonderstellung des Menschen in der chain of being unterminiert, geraten in der Folge alle Autoren in Verruf, die es wagen, Epikur oder Lukrez als Autoritäten zu zitieren. Sie müssen mit schweren Sanktionen seitens der Kirche rechnen. Die Verarbeitung des Epikureismus durch Autoren wie Pierre Gassendi (1592-1657) und später auch Julien Offray de La Mettrie (1709-1751) hat die Entwicklung der modernen Philosophie nachhaltig beeinflußt und namentlich die Entstehung und Verbreitung des Freidenkertums in Frankreich wie auch andernorts begünstigt (vgl. Gensini 1999a: 44/45). Konstitutiv für die Sprachursprungstheorie beider Autoren ist die Ablehnung eines göttlichen Eingriffs, sei es als Initialzündung der Sprachgenese, sei es als Gesetzgeber für die Wort-Ding-Zuordnung. Im Gegensatz zur christlichen Tradition und geläufigen Interpretation der Babel-Erzählung gilt es für das epikureische Denken festzuhalten, daß die Diversität der Einzelsprachen als Segen und nicht als Fluch gewertet wird. Im Gegensatz zur aristotelischen Konzeption 15

Zum génie de la langue vgl. Christmann 1967, 1976, 1977, 1981, Rosiello 1961, Rosiello 1967, Häßler 1984, Sommer 1998, Neis 2001.

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liegt die Akzentuierung der Sprachentstehungsprozesse für Epikur auf den physiologischen und affektiven Komponenten, um gleichzeitig das arbiträre und konventionelle Moment zurückzudrängen. Lukrezens' Popularisierung der epikureischen Philosophie und Sprachursprungstheorie im 'De rerum natura' Das Verdienst, die Philosophie Epikurs auch der lateinischen Sprache erschlossen zu haben, kommt dem Römer Titus Lucretius Carus (ca. 98-55) zu (Jürß/R. Müller/E.G. Schmidt 1991: 90), der mit seinem großen Lehrgedicht De rerum natura eine Kosmogonie geschaffen hat, die namentlich im 18. Jahrhundert unter den Vertretern der Aufklärung in verschiedenen europäischen Ländern ihre Bewunderer gefunden hat. In seinem Aufsatz „Lucretius in Eighteenth-Century Germany. With a Commentary on Goethe's 'Metamorphose der Tiere'" zeigt Hugh Barr Nisbet, wie das poetische Lehrgedicht des Lukrez die Bewunderung von Autoren wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Johann Christoph Friedrich Schiller (1759-1805), Johann Gottfried von Herder (1744-1803), Albrecht von Haller (1708-1777), Friedrich II. (1712-1786), Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), Johann Jakob Wilhelm Heinse (1746-1803) oder Christoph Martin Wieland (1733-1813) zu erregen vermochte und deren poetischem oder philosophischem Schaffen entscheidende Impulse zu vermitteln vermochte (vgl. Nisbet 1986: 98). Die eminente Bedeutung des Lukrez für die aufklärerische Philosophie basiert zweifelsohne auf seiner streng naturalistischen Erklärung der Realität und seiner unmißverständlichen Absage an alle teleologisch und providentiell orientierten Geschichtskonzeptionen.16 Auch für die Autoren der Berliner Preisfrage sollte das De rerum natura einen zentralen Referenztext darstellen, der teilweise auch textgetreu zitiert wurde (vgl. Kap. 4.1.). Mit seinem großen Weltepos De rerum natura hat Lukrez der Nachwelt ein Werk von bleibender Geltung erschaffen, welche sowohl auf den inhaltlichen Reichtum des Textes als auch auf seine stilistische Vielfalt zurückzuführen ist. In dieser Kosmogonie finden sich eine Metaphysik der Natur, ein System der Physik und eine Moralphilosophie mit Hinweisen für das praktische Leben neben eingehenden naturgeschichtlichen Betrachtungen. Zugleich entwirft Lukrez in diesem Werk eine hypothetische Geschichte des Menschengeschlechtes und vertritt schließlich mit großem Impetus eine antireligiöse Grundhaltung, die die Unsterblichkeit der Seele negiert und jegliches göttliches Eingreifen in das menschliche Geschick abstreitet. Neben dieNisbet schreibt dazu: „Along with Spinoza, Lucretius provided the eighteenth century with one of its main models for a rigorously explanation of all reality, and the radical Enlightenment with one of its weapons against teleological and Providential views of nature and human history" (Nisbet 1986: 99/100).

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ser inhaltlichen Vielfalt beeindruckt das Werk aber auch durch seine außergewöhnliche stilistische Variabilität: Schwelgerische Lyrismen, die bald beschreibende, bald hymnische Züge tragen, stehen neben bisweilen trocken anmutenden philosophischen Versen, die ihrerseits von kühnen satirischen Einwürfen umsäumt werden. Diese Polyvalenz des De rerum natura hat es über die Jahrhunderte hindurch zu einer regelrechten Fundgrube für Dichter, Philosophen und Naturwissenschaftler werden lassen, die sich, ihren spezifischen Interessen gemäß, darauf beriefen (vgl. Nisbet 1986: 97).17 Für die Verbreitung epikureischen Gedankengutes war gerade die Tatsache von Bedeutung, daß Lukrez die literarische Gattung des Lehrgedichtes wählte - eine Form, die sich durch die Überschneidung zwischen Literatur und Philosophie kennzeichnete. Die Verschmelzung dieser beiden Disziplinen im De rerum natura, in der Briefliteratur eines Quintus Horatius Flaccus (65-5 v. Chr.) oder Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr.-65 η. Chr.), in der Dialog-Literatur der Renaissance und des frühen 18. Jahrhunderts, aber auch in der Moralistik und im philosophischen Roman von Petronius Arbiter (?66) bis Christoph Martin Wieland hat entscheidend zur Popularisierung des Epikureismus beigetragen (vgl. Kimmich 1993: 47). Innerhalb dieser illustren Reihe großer Literaten und Philosophen darf Lukrez als erster den Titel eines poète-philosophe für sich in Anspruch nehmen; mit der Kopplung von philosophischer Weisheit und ästhetischem Genuß folgt er dem hedonistischen Prinzip, nach dem voluptas zum dux vitae werden sollte (vgl. Kimmich 1993: 47). In seinem umfangreichen Weltepos De rerum natura widmet Lukrez der Darstellung des Jugendalters der Welt und den Ursprüngen der Zivilisation breiten Raum. Das Thema wird im vorletzten, dem V. Buch des Werkes behandelt und nimmt etwa 700 Zeilen bei einem Gesamtumfang von ca. 7000 Zeilen ein - ein Faktum, welches die zentrale Bedeutung dieser Passage für die Konzeption des Lukrez sinnfällig werden läßt. Der Dichter läßt die ersten Menschen dem Schoß der „Mutter Erde" entspringen. Hitze und Feuchtigkeit der Felder lassen „Gebärmuttern" entstehen, die durch Wurzeln mit der Erde verbunden sind. Nachdem die Menschen diesen „Gebärmuttern" entsproßen waren, füllten sie sich mit einem milchähnlichen Saft, der den ersten Menschen zur Nahrung diente.18 Die Erde gab ihren Kindern Nahrung, die Wiesen boten ihnen ein weiches Lager und zu Anbeginn der Welt sahen sich die

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Nisbet, an den sich unsere vorangehenden Ausführungen eng anlehnten, kommentiert zum De rerum natura: „Consequently, this unique composition has tended to be used over the centuries as a quarry by poets, philosophers, and scientists, rather than endorsed as a whole or imitated directly in the way that more homogeneous forms such as the elegy, epigram, satire, or ode have been" (Nisbet 1986: 97). Vgl. Lukrez: V, 805-815.

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Menschen auch noch nicht allzu exzessiven Klimaschwankungen ausgesetzt, da alles gleichmäßig und beständig wuchs.19 Es gedieh jedoch ein menschliches Geschlecht, welches den allmählich entstehenden klimatischen Belastungen trotzte, welches weder vor den Anforderungen der Nahrungsbeschaffung noch vor Krankheiten zurückschreckte. Während der sich nun vollziehenden kosmischen Revolution führten die Urmenschen ein Vagabundendasein, gleich dem der Tiere: Multaque per caelum solis volventia lustra vulgivago vitam tractabant more ferarum. (Lukrez: V, 931-932)

So hatten die ersten Menschen keinerlei Behausung oder Kleidung, aßen die Früchte des Waldes und tranken das Wasser der Bäche und Flüsse (Lukrez V: 940-947). Sie kannten weder den Gebrauch des Feuers, noch verstanden sie es, Tierfelle als Bekleidung zu nutzen. Höhlen und Wälder waren ihre Behausung (Lukrez, V: 952-957). Unfähig, das Gemeinwohl in Betracht zu ziehen, kannten sie weder Bräuche noch Recht und Gesetz: Nec commune bonum poterant spectare, neque ullis moribus inter se scibant nec legibus uti. (Lukrez: V, 958-959)

Auch die Beziehungen zwischen den Geschlechtern waren durch Triebhaftigkeit, Gewaltsamkeit und Unverbindlichkeit gekennzeichnet: Et Venus in silvis iungebat corpora amantum; conciliabat enim vel mutua quamque cupido, vel violenta viri vis atque inpensa libido, vel pretium, glandes atque arbita vel pira lecta. (Lukrez: V, 962-965)

Diese Konzeption des Umganges der Geschlechter miteinander zu Anbeginn der Menschheitsgeschichte wurde namentlich von Rousseau im Discours wiederaufgegriffen und brachte ihm die lautstarke Kritik zahlreicher Autoren der Berliner Sprachursprungsfrage ein (vgl. Kapitel 3.6.). Wie konnte nun dieses wilde Menschengeschlecht in der Darstellung des Lukrez zur Entstehung der Sprache gelangen? Der Abschnitt, der dem Sprachursprung gewidmet ist, beginnt mit den im Rahmen der Berliner Preisfrage wiederholt als Devise (vgl. II. Kapitel) zitierten Worten: „Terra cibum pueris, vestem vapor, herba cubile praebebat multa et molli lanugine abundans. At novitas mundi nec frigora dura ciebat, nec nimios aestus, nec magnis viribus auras. Omnia enim pariter crescunt et robora sumunt" (Lukrez: V, 816-820).

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At varios linguae sonitus natura subegit mittere, et utilitas expressit nomina rerum. (Lukrez: V, 1028-1029)

Die Natur selbst zwingt den Menschen zur Entäußerung der ersten Laute und das Bedürfnis läßt die Namen der Dinge entstehen. Die Idee eines Zwanges zur lautlichen Entäußerung gemahnt deutlich an die aus dem Brief an Herodot bekannte Vorstellung Epikurs, der von natürlichen Zwängen spricht und den Sprachursprung rein physiologisch motiviert. Ebenso wie bei Epikur gibt es auch bei Lukrez keinen Gesetzgeber im Sinne Piatons, der als besonders luzider Geist mit der Fähigkeit zur Spracherfindimg versehen ist. Für Lukrez sind die Lautäußerungen der ersten Menschen wahre Lautentäußerungen, die einem physischen und affektiven Bedürfnis entspringen und durchaus den Lautbekundungen der Tiere an die Seite zu stellen sind. Wie bereits gezeigt wurde, konzipiert Lukrez ja auch die ersten Menschen als eine Spezies, die sich von derjenigen der Tiere kaum unterscheidet. Für Lukrez erscheint es stimmig, daß die primitiven Menschen des Urzustandes Dinge mit Wörtern bezeichnen, da selbst die Tiere je nach emotionalem Zustand unterschiedliche Laute ausstoßen (vgl. Lukrez: V, 1033-1040). Im folgenden wird dann die Idee eines ingeniösen Gesetzgebers nach platonischem Muster entschieden zurückgewiesen: Proinde putare aliquem tum nomina distribuisse rebus et inde homines didicisse vocabula prima, desiperest. nam cur hie posset cuneta notare (Lukrez: V, 1041-1043)

Einen Gesetzgeber in Sachen Sprache anzunehmen, erscheint Lukrez als blanker Unsinn, denn wenn ein Mensch jedes Objekt mit einem eigenen Namen belegen könne, was autorisierte uns dann zu glauben, daß nicht auch andere es ihm hätten gleichtun können? Nam cur hie posset cuneta notare yocibus et varios sonitus emittere linguae, tempore eodem alii facere id non quisse putentur. (Lukrez: V, 1043-1045)

Der Sprachursprung wird hier als ein natürlicher Tatbestand konzipiert, der sich aus der physischen Grundausstattung des Menschen ergibt, welcher nunmal mit Stimme und Zunge versehen ist, um diese auch zur Artikulation zu gebrauchen. Selbst die Tiere stoßen unterschiedliche Schreie je nach Art desjenigen Affektes aus, der gerade von ihnen Besitz ergriffen hat: Postremo quid in hac mirabile tantoperest re, si genus humanum, cui vox et lingua vigeret, pro vario sensu varia res voce notaret Cum pecudes mutae, cum denique saecla ferarum

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Zum aktuellen Forschungsstand dissimilis soleant voces varias eiere, cum metus aut dolor est, et cum jam gaudia gliscunt (Lukrez: V, 1056-1061)

Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, daß für den Sprachursprung nach Lukrez einerseits die physische Konstitution des Menschen, andererseits seine emotionale Disposition ausschlaggebend ist. Während seine körperliche Ausstattung ihn mit der Grunddisposition zur Lautsprache versieht, veranlassen ihn seine Emotionen unmittelbar zur Lautäußerung und werden den affektiven Äußerungen der Tiere an die Seite gestellt. Es ist leicht nachvollziehbar, daß eine Konzeption, welche den Ursprung des menschlichen Geschlechtes und dessen Sprache derartig eng mit dem Wesen der Tiere verband, auf ihre erbitterten Widersacher insbesondere unter religiösen Traditionalisten und auch überzeugten Cartesianern stoßen mußte. Der AntiLucrèce des Kardinals Melchior Polignac (1661-1741) ist hier nur ein Beispiel unter mehreren, denn die Diskreditierung des durch Lukrez von Epikur übernommenen Gedankengutes konnte zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Einfluß der Lehre und Lebenskonzeption Epikurs war bis in die Spätantike außerordentlich und gewann durch die Weiterentwicklung durch Lukrez noch an Bedeutung, wie Jochen Schmidt in seinem Artikel „Für und wider die Lust: Epikur und Antiepikureismus. Von der Antike bis zur Moderne. Mit einem Versuch über Hieronymus Boschs Garten der Lüste" herausstellt: Vor allem hatte im ersten Jahrhundert v. Chr. Lukrez in seinem Gedicht 'De rerum natura' Epikurs Lehre wirkungsvoll ausgestaltet und dabei den Kampf gegen die traditionelle Religion in den Mittelpunkt gerückt, gegen eine Religion, die er als Aberglauben und Ursache vieler Übel, zum Beispiel gräßlicher Opfergebräuche und entwürdigender Abhängigkeitsgefühle kritisiert. (J. Schmidt 1989: 207)

Für seine säkularisierte und entmythologisierte Weltsicht konnte Lukrez bei seinem geistigen Vorbild Epikur in der Tat umfangreiche Anleihen machen, hatte Letzterer doch massiv jeglichen Eingriff von Göttern und Dämonen in die Geschicke der Welt abgelehnt und ebenso den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und an ein Jenseits verworfen. Unabhängigkeit von derartigen religiösen Konzeptionen war für Epikur Voraussetzung zum Erreichen des Glückes, jenem höchsten Sinn der epikureischen Lebenskonzeption. Neben dem Streben nach Glück galt Epikur vor allem die Realisierung des Lustprinzips als Zeichen wahrer Weisheit. Im Gegensatz zum Idealismus „bejaht Epikur den sinnlichen Genuß um seiner selbst willen, darunter ausdrücklich die Gaumenfreuden und die Erotik, doch lehnt er schrankenlose und leere Genußsucht ebenso wie Rigorosität und Askese ab" (J. Schmidt 1989: 206/207). Gerade Epikurs Bekenntnis zur Sinnenfreude hat jedoch eine langwährende antiepikureische Polemik auf den Plan gerufen, die das Lust-

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prinzip in einer so von Epikur nicht intendierten Radikalität auffaßte und diesen Aspekt seiner Philosophie zu den bösartigsten Diffamierungen mißbrauchte. Diese antiepikureische Polemik wurde von Vertretern der Stoa wie in späterer Zeit von den Christen gleichermaßen geführt. Mit dem Vorwurf der Gottlosigkeit und Sittenlosigkeit wird Epikur gleichermaßen von Clemens von Alexandrien (ca. 150-vor 215) wie auch von Lactanz (um 300 n. Chr.) oder Tertullian (ca. 160-222/3) gegeißelt (vgl. J. Schmidt 1989: 208/209). „Für Ambrosius ist er geradezu ein Trunkenbold und Patron der Wollust: 'magister...ebrius et voluptatis patronus"4 (J. Schmidt 1989: 209). Die antiepikureische Polemik erreicht ihren Höhepunkt im Psalmenkommentar des Augustinus (354-430), der in Bezug auf Epikur das bereits gängige Schimpfwort „porcus"20 aufgreift: quem ipsi...philosophi porcum nominaverunt...qui voluptatem corporis summum bonum dixit, hunc philosophum porcum nominaverunt (Augustinus: Psalm 73, 25 zit. nach Schmidt 1989: 210).

Hatte Horaz sich bereits als „Schweinchen aus der Herde Epikurs", als „Epicuri de grege porcum" bekannt21 und durch diese Selbstreflexion den moralisierenden Antiepikureismus ironisch provoziert, so wog das unverhohlene Bekenntnis zu Epikur seitens eines der berühmtesten französischen Materialisten ungleich schwerer: In seinem Système d'Epicure bekennt sich La Mettrie, seines Zeichens Leibarzt Friedrichs II., einmal mehr zu seiner atheistischen Grundanschauung: La Religion n'est nécessaire que pour qui n'est pas capable de sentir l'Humanité. Il est certain, (qui n'en fait pas tous les jours l'observation ou l'expérience?) qu'elle est inutile au commerce des honnêtes gens. (La Mettrie 1987: I, 379)

Im letzten Paragraphen des Système d'Epicure schreibt er: Je vous saliie, heureux Climats, où tout homme qui vit comme les autres, peut penser autrement que les autres; où les théologiens ne sont pas plus Juges des philosophes, qu'ils ne sont faits pour l'être; où la liberté de l'Esprit, le plus bel appanage de l'humanité, n'est point enchaînée par les préjugés; où l'on n'a point honte de dire, ce qu'on ne rougit point de penser; où l'on ne court point risque d'être le Martyre de la Doctrine, dont on est l'Apôtre. (La Mettrie 1987:1, 386)

Der letzte Teil des La Mettrie-Zitates verdeutlicht eindrucksvoll die starken Widerstände, denen sich der aus Frankreich wegen seiner atheistischen AnDie falsche Interpretation des epikureischen Lustprinzips durch die christliche Tradition ließ das Schwein zum „Markenzeichen Epikurs" (Kimmich 1993: 60) werden. Horaz: Epistula 1, 4, 16.

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schauungen geflohene Philosoph gegenübersieht. Er fordert ein Recht auf freie Meinungsäußerung in Glaubensfragen und plädiert für Toleranz und Befreiung von Vorurteilen. Angesichts der schweren Repressalien, denen sich alle nicht-orthodoxen Subjekte seitens der Kirchenmacht ausgesetzt sahen, müssen Traktate wie das Système d'Epicure oder die noch polemischeren Abhandlungen La Mettries wie L'homme-machine und Traité de l'âme als nicht mehr zu übertreffende Grenzüberschreitungen gewertet werden. La Mettrie gibt allein schon seinen Traktaten provozierende Titel und wagt es, Namen auszusprechen, wo andere Autoren lieber Zuflucht bei als weniger subversiv eingestuften Persönlichkeiten suchen, wenn es um die Berufung auf Autoritäten geht. In diesem Sinne äußert sich auch Stefano Gensini in seinem Artikel „Epicureanism and Naturalism in the Philosophy of language from Humanism to the Enlightenment". Gensini verweist hier konkret am Beispiel des Sprachursprungs darauf, daß die Übernahme epikureischen Gedankengutes unter kulturellen und politischen Gesichtspunkten eine Gefahr darstellt. So habe die deutliche Parallelisierung von menschlicher Sprache und tierischen Kommunikationsformen bei Epikur und Lukrez die Einmaligkeit des Menschen und den Mythos des babylonischen Turmbaus in Frage gestellt. Die Verschiedenheit der Sprachen habe sich nach der epikureischen Anschauung aus der jeweils unterschiedlichen Konfrontation zwischen menschlicher Natur und spezifischen körperlichen Gegebenheiten und kulturellen Kontexten ergeben. Anstelle der Theorie von der babylonischen confusio linguarum als Strafe menschlichen Hochmutes und menschlicher Sündhaftigkeit tritt hier ein rein physiologisches Argument zur Begründung der sprachlichen Vielfalt. Um die Verfechter der orthodoxen Lehrmeinung nicht auf den Plan zu rufen, hätten daher viele Autoren anstelle der Berufung auf Epikur und Lukrez lieber weniger gefährliche Namen als Referenzpersonen herangezogen: More generally speaking, Epicurean tenets about language origins were problematic from a political-cultural vantage point. They suggested that differences in languages derived from the different ways human Nature had worked against various physical and cultural circumstances. This theory sharply contrasted with the myth of Babel, to the extent that it denied that language varieties were the consequence of a human sin, but were simply physiological. Finally, the analogy between human and animal languages put forward by De Rerum Natura challenged the privileged position usually ascribed to humans and his rational faculties when compared with other beings. It is not a coincidence, therefore, that many authors quoted Epicurean ideas on language only in indirect form, possibly by resorting to „safer" names (e.g. Horace, Diodorus Siculus, etc.) who did not raise doctrinal suspicions. (Gensini 1999a: 46)

Gensinis Beitrag zur Bedeutung des Epikureismus in der Sprachphilosophie erscheint in unserem Zusammenhang von besonderer Wichtigkeit, nicht zu-

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letzt, weil er eine intensivere Auseinandersetzung der Sprachwissenschaftsgeschichtsschreibung mit diesem Thema fordert. Dieses Ansinnen ist angesichts der großen Bedeutung, die diesen Theorien beispielsweise für die in Rede stehende Sprachursprungsfrage der Berliner Akademie zukommt, nachdrücklich zu befürworten. Zwar habe bereits Ernst Cassirer (1874-1945) in der Philosophie der symbolischen Formen auf die nicht zu vernachlässigende Bedeutung der epikureischen Anschauungen für die moderne Sprachphilosophie und hier insbesondere für Giambattista Vico (1668-1747) verwiesen, aber dennoch habe die Historiographie der Sprachwissenschaft zu wenig Anstrengungen unternommen, um die Bedeutung der epikureischen Lehre für die moderne Sprachphilosophie zu erhellen: Nevertheless, historians of linguistic theories have not done enough to discover to what extent the modern philosophy of language has been influenced by Epicurus' and Lucretius' doctrine. (Gensini 1999a: 44)

Ein plausibler Grund für die Unterschätzung epikureischen Gedankengutes durch die Historiographie der Sprachwissenschaft liegt nach Gensini in der traditionellen Vernachlässigung der natürlichen Aspekte der Sprachfunktionen zugunsten einer Überprivilegierung der - durch die aristotelische Sprachtradition - stärker berücksichtigten intellektuellen Aspekte der Sprache, die sich in den Eigenschaften von Arbitrarität und Konventionalität artikulieren (vgl. Gensini 1999a: 45). Unsere Ausführungen zur epikureischen Sprachursprungskonzeption haben die enge Verwandtschaft der Theorien von Epikur und Lukrez sinnfällig werden lassen, wobei Lukrez eigentlich die Konzeption Epikurs nur noch effektvoller ausgearbeitet hat. Die zentrale Rolle des De rerum natura für die Verbreitung des Epikureismus ist sicherlich auf die inhaltliche wie stilistische Vielfalt des Werkes zurückzuführen, die es verstand, Dichter, Philosophen und Wissenschaftler in ihren Bann zu ziehen. Für die Verbreitung der epikureischen Sprachursprungstheorie erscheint die größere Bedeutung von Lukrez auch deshalb plausibel, weil sie in einem Monumentalwerk über die Entstehung der Zivilisation der Feder des Dichters selbst entspringt. Demgegenüber existiert keine vergleichbare Überlieferungstradition von Epikurs konzisen Äußerungen zum Sprachursprung, die nur mittelbar durch das Werk des Diogenes Laertios auf uns gekommen sind. Weitere bedeutsame epikureische Sprachursprungskonzeptionen (Diodorus - Vitruvius - Horaz) Eine enge Verwandtschaft zu den Sprachursprungskonzeptionen von Epikur und Lukrez weist auch die Sprachursprungsvision des Diodorus Siculus (1. Jhd. v. Chr.) auf. Seine diesbezüglichen Äußerungen, die er im 1. Buch seiner Bibliotheca histórica niedergelegt hat, sind insbesondere durch ein

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Werk des 17. Jahrhundert wieder ins Bewußtsein gerückt, dessen Veröffentlichung „skandalöses Aufsehen" (Ricken 1984: 166) erregte: Es handelt sich hierbei um die 1678 erschienene Histoire critique du Vieux Testament von Richard Simon (1638-1712). Der streitbare Benediktinerpater setzt der Vorstellung eines göttlichen Sprachursprungs die Vision einer rein menschlichen Sprachschöpfung entgegen, wobei er sich auf verschiedene antike Autoren, nämlich Aristoteles, Epikur, Lukrez und eben auch Diodor von Sizilien bezieht. Diese teils berühmten, teils berüchtigten Autoren werden als Kronzeugen für die Möglichkeit einer rein menschlichen Spracherschaffung angerufen. Das 15. Kapitel des ersten Buches seiner Histoire critique du Vieux Testament ist dem Sprachursprung gewidmet und beginnt gleich mit einem kurzen Resümee der Ursprungsvision, die Diodorus Siculus in seiner Bibliotheca histórica, Buch I. Kap. 8 vertritt. Wir lesen bei Richard Simon darüber: Diodore de Sicile explique l'invention des Langues de cette maniere. Les hommes faisant leurs premiers coups d'essai pour parler, prononcèrent d'abord des sons qui ne signifioient rien: puis, après qu'ils se furent appliqués à ces sons, ils en formèrent d'articulés pour exprimer mieux leurs pensées. La raison corrigea la nature, & accomoda les mots à la signification des choses. (Simon 1678: 87)

Im unmittelbaren Anschluß an dieses Kurzresümee von Diodors Sprachursprungsvision folgt ein Zitat aus Lukrezens De rerum natura, was die unmittelbare Verwandtschaft beider Konzeptionen erhellt. Analog zu Lukrez schließen sich auch in der Ursprungsvision des Diodor die Menschen auf der Suche nach Schutz vor wilden Tieren in kleinen Gruppen zusammen. Eine jede dieser Gruppen entwickelte nun, je nachdem wie der Zufall es wollte, ihre eigene Sprache (vgl. Megill 1974: 18). Diese Sprache war zunächst noch „unbezeichnend" und „verworren" (Borst 1995: Bd. I, 160). Erst allmählich hätten die Menschen ihre Ausdrücke artikuliert und Zeichen für die verschiedenen Gegenstände vereinbart. Da diese Menschengruppen aber weit verteilt gewesen seien und ein jeder seine Worte planlos und nur dem Zufall folgend hervorgebracht habe, sei es zur Entstehung verschiedener Sprachen gekommen (vgl. Borst 1995: Bd. I, 160). Von noch entscheidenderer Bedeutung für die Berliner Sprachursprungsdiskussion ist die Sprachursprungskonzeption des römischen Architekten Marcus Vitruvius Pollio (1. Jhdt. v. Chr.), der u.a. von Herder im gleichen Atemzug wie Diodor von Sizilien erwähnt und ebenso verworfen wird (Herder 1978: 21), der aber gleichfalls als „Devisenspender" einer Preisbewerbungsschrift fungiert (vgl. II. Kapitel). In seinem für die Baukunst noch heute bedeutsamen De architectura entwirft Vitruvius im 1. Kapitel des 2. Buches seine Konzeption vom Leben der Urmenschen und den Anfängen von

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Zivilisation, Seßhaftigkeit und Siedlungswesen.22 Ebenso wie Lukrez läßt er die ersten Menschen nach Art der wilden Tiere in Wäldern und Höhlen umherirren und die Früchte der Erde essen: Homines vetere more, ut ferae, in silvis et speluncis et nemoribus nascebantur, ciboque agresti vescendo vitam exigebant. (Vitruvius II, 1,1)

Die in den Wäldern und Höhlen umherschweifenden Menschen werden nun durch eine Entdeckung zusammengeführt, die für die antike Kulturentstehungslehre schlechthin von herausragender Bedeutung war (vgl. R. Müller 1997: 40; vgl. auch Kap. 3.6.): die Entdeckung des Feuers. Durch die Unbill der Witterung werden Bäume vor den Augen der Urmenschen von peitschenden Stürmen in Brand gesetzt, was sie zur Flucht nötigt: Intera, quodam in loco, ab tempestatibus et ventis densae crebritatibus arbores agitatae et inter se terentes ramos, ignem excitaverunt: Et eo, fiamma veliementi perterriti, qui circa eum locum fuerunt, sunt fugati. (Vitruvius II, 1,2)

Die Ruhe nach dem Sturm gibt den Urmenschen Gelegenheit, sich näher an das brennende Gehölz heranzuwagen und der wohltuenden Hitze des Feuers gewahr zu werden. Mit Zeichen locken sie andere Menschen an, um ihnen die Nützlichkeit dieses Elementes zu bedeuten: Postea, requie data, propius accedentes cum animadvertissent commoditatem esse magnam corporibus ad ignis teporem, ligna adicientes, et id conservantes, alios adducebant, et, nutu demonstrantes, ostendebant quas haberent ex eo utilitates. (Vitruvius II, 1,3)

Bei diesem Zusammentreffen stießen die Menschen, von der Macht des Atems getrieben, verschiedene Laute aus. Bei ihren weiteren Begegnungen versahen sie diese Laute mit Bedeutungen und erfanden die ersten Wörter: In eo hominum congressu cum profundebantur aliter e spiritu voces: cotidiana consuetudine, vocabula, ut obtigerant constituerunt. (Vitruvius II, 1,4)

Ebenso wie die erste Kontaktaufnahme durch die Tücken der Witterung rein zufällig provoziert worden war, wird auch die Sprache von Vitruvius ebenso wie von Diodor als reines Zufallsprodukt charakterisiert, das sich durch den usus langsam institutionalisiert: Deinde, significando res saepius in usu, fari fortuito coeperunt; et ita sermones inter se procreaverunt. (Vitruvius II, 1,5)

Zentral für die Sprachursprungskonzeption des Vitruvius ist die Bedeutung des Feuers, das er auch in den unmittelbar folgenden Versen nochmals zuDas erste Kapitel des 2. Buches trägt die Überschrift De priscorum hominum vita, et de initiis humanitalis atque tectorum et incrementis eorum (Vitruvius 1971: 62).

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sammenfassend als Quelle der Gesellschaftsbildung benennt (Vitruvius 1971: 64). Dieser prometheische Aspekt sollte auch in der Folgezeit für die Hypothesenbildung zum Sprachursprung wesentlich sein, wie sich etwa anhand von Rousseaus Discours de l'inégalité und seines Essai sur l'origine des langues demonstrieren läßt. In beiden Werken wird die Gesellschaftsbildung als unerläßliche Voraussetzung für die Entstehung von Sprache angesehen. Da ihr allerdings eine schier unüberwindbare Mauer von Hindernissen entgegengestellt wird (vgl. Kapitel 3.6.), greift Rousseau auf Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, Jahreszeiten und auch das Feuer zurück, um ein Zusammenrücken der zunächst verstreut lebenden Menschen und damit auch Sprache zu motivieren. Neben der Konzeption des Menschen als eines tierhaften Geschöpfes, das erst durch die Kenntnis vom Nutzen des Feuers zum Zusammenschluß mit Seinesgleichen veranlaßt wird, konnte Rousseau - ebenso wie mancher Teilnehmer an der Berliner Preisfrage - bei Vitruvius auch schon den Hinweis auf die Bedeutung des Zufalls für den Sprachursprung vorfinden (vgl. dazu auch Kap. 3.6.). Die Berücksichtigung der Kontingenz der Ereignisse als einer wesentlichen Komponente der epikureischen Sprachursprungserklärung sollte später den leidenschaftlichen Protest des Theologen und Demographen Johann Peter Süßmilch auf den Plan rufen, seines Zeichens Mitglied der Berliner Akademie und Autor eines 1756 dort verlesenen und 1766 publizierten Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe. In diesem Werk vertritt Süßmilch die Konzeption eines göttlichen Sprachursprungs, wobei ihm als Hauptargument der systematische Charakter der Sprache dient, den er als Abbild göttlicher Ordnung auffaßt. Vor diesem Hintergrund polemisiert Süßmilch in seiner Schrift immer wieder gegen die epikureische Vorstellung, die Sprache habe mit „dem ersten Unverstand und Hazard angefangen" und sei, „auf ein Gerathewohl fortgeführet worden...bis endlich ein oder mehrere witzige Köpfe unter den Menschen aufgestanden, welche diesem Werke Ordnung und Vollkommenheit gegeben haben" (Süßmilch 1766: 54). Wir werden in den Kapiteln 2.1.3. und 4.3. noch näher auf Süßmilchs Sprachursprungstheorie und deren Bedeutung für die Berliner Preisfrage eingehen. Die Beispiele Süßmilch und Rousseau dokumentieren bereits die zentrale Bedeutung, die der epikureischen Sprachursprungskonzeption für die Theoriebildung im 18. Jahrhundert zukommen sollte. Aber nicht nur die Sprachursprungshypothese Rousseaus läßt sich mit Vitruvs Erzählung im De architectura in Verbindung bringen. Letztlich kann auch der unter der Bezeichnung Klimatheorie zu subsumierende Erklärungsansatz für die Existenz verschiedener Sprachen, der sich in ausgereifter Form bei Charles-Louis de Secondât baron de la Brède et de Montesquieu (1689-1755), Charles de Brosses (1709-1777) und Antoine Court de Gébelin (1728-1784) findet, mit

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der Konzeption des Vitruvius relationiert werden, da auch bei dessen Erklärungsmodell Naturereignisse oder -katastrophen für den Zusammenschluß von Menschengruppen und damit zur Begründung der Herausbildung von Sprache herangezogen werden (vgl. Verri 1970, Droixhe 1978, Häßler 1984). Neben Vitruvius knüpft auch der Dichter Quintus Horatius Flaccus unmittelbar an die epikureische Sprachursprungsauffassung an. Er thematisiert das Problem des Sprachursprungs nur kurz, aber wirkungsvoll in seinen Satiren, konkret in der 3. Satire des 1. Buches, in der es - in enger Anlehnung an Lukrezens De rerum natura - heißt: cum prorepserunt primis ammalia terris, mutum et turpe pecus, glandem atque cubiiia propter unguibus et pugnis, dein fustibus atque ita porro pugnabant armis quae post fabricaverat usus; donee verba, quibus voces sensusque notarent, nomina invenere; dehinc absistere bello, oppida coeperunt munire, et ponere leges. (Horaz, Satiren, Buch I. Satire 3, 99-105)

Analog zur Beschreibung des Lukrez ist auch für Horaz der Urmensch ein „mutum et turpe pecus"; Lukrez hatte die ersten Menschen ja als „peeudes mutae" charakterisiert (Lukrez, De rerum natura·. V, 1059). Horazens Charakterisierung des Urmenschen als „mutum et turpe pecus" entpuppte sich als äußerst griffig und prägnant. Sie findet sich u.a. in Herders siegreicher Sprachursprungsschrift wieder und wird von diesem in einer engagiert geführten Polemik bekämpft (Herder 1978: 91).23 Ein zentrales gemeinsames Motiv in den Darstellungen von Horaz und Lukrez ist außerdem der Verzehr von Eicheln, die quasi als Hauptnahrungsmittel der ersten Menschen angeführt werden und die auch in den Geórgica des Publius Vergilius Maro (7019) ebenso wie bei Lukrez als Symbol der Fruchtbarkeit der Erde beschrieben werden.24 Von dem sowohl bei Vergil als auch bei Lukrez und Vitruv

Durchaus im Einklang mit Horaz zitiert Herder allerdings die Verse: „Sic verba, quibus voces sensusque notarent Nominaque invenere" am Ende des 2. Abschnitts des 1. Teiles seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (Herder 1978: 41). Gleich zu Beginn des ersten Buches der Geórgica ergeht der Ruf an die Fruchtbarkeits- und Landbaugötter Liber und Ceres, die chaonische Eichel, welche als primitives, urzeitliches Nahrungsmittel charakterisiert wird, durch sprießende Ähren zu ersetzen: Liber et alma Ceres, vestro si muñere tellus Chaoniam pingui glandem mutavit arista. (Vergil, Geórgica, Liber Primus, 7-8)

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gezeichneten friedvollen Idyll der ersten menschlichen Zusammenkünfte erscheint die Darstellung des Horaz indessen weit entfernt. Seine Urmenschen sind in einen erbarmungslosen Kampf ums Dasein verstrickt, in einen Kampf um Eicheln und Lagerstätten, der zunächst mit Fäusten, dann mit Knüppeln und schließlich in versöhnlicherer Weise mit Worten ausgetragen wird. Der Sprachursprung markiert somit für Horaz zugleich das Ende eines bellum omnium contra omnes, um es mit den Worten des Thomas Hobbes (15881679) zu sagen.25 Für Horaz ist der Zeitpunkt der Sprachentstehung identisch mit dem Beginn der Zivilisation, als deren zentrale Errungenschaften Seßhaftwerdung und Gesetzgebung beschrieben werden. Es erscheint bemerkenswert, daß Horaz die Sprache als Medium des friedvollen Dialoges und als Mittel zur Domestizierung der barbarisch und aggressiv gezeicheten Urmenschen konzipiert. Demgegenüber wird Rousseau später in seinen beiden für die Sprachursprungsdiskussion hochrelevanten Werken Discours de l'inégalité (1755) und Essai sur l'origine des langues (1781 posthum) die Sprache aufgrund ihrer Neigung zur Doppeldeutigkeit und Mißverständlichkeit als Grundmotiv für die Entstehung kriegerischer Auseinandersetzungen darstellen. Der abus des mots wird für ihn zum Fundament der Herrschaft totalitärer Despoten und oligarchischer Cliquen, denen schließlich nur noch durch den Donner der Kanonen der Garaus gemacht werden kann. Im Essai sur l'origine des langues tritt im letzten Kapitel an die Stelle der Sprache der Donner der Geschütze.26

1.2.4. Zu sprachtheoretischen Überlegungen René Descartes' (1596-1650) im Kontext seiner dualistischen Philosophie Zum Problem der Verschiedenheit der Sprachen Für die Berliner Sprachursprungsdiskussion hat sich neben der antiken und der biblischen Tradition insbesondere das philosophische und sprachtheoretische Gedankengut des 17. Jahrhunderts als bedeutsam und einflußreich erwiesen. Da unser Anliegen nicht eine Rekonstruktion der Sprachursprungsfrage von den Anfängen bis 1769 ist, die ja von Megill in seiner bereits angesprochenen Dissertation aus dem Jahre 1974 in überzeugender Weise

Die Gesellschaftstheorie von Hobbes ist für die Berliner Sprachursprungsfrage von besonderer Bedeutung, wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch verschiedentlich zu konstatieren sein wird. Rousseaus Sprach- und Gesellschaftstheorie werden wir in Kapitel 3.6. eingehend würdigen.

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geleistet wurde, wagen wir einen beträchtlichen Sprung nach vorne von der Antike bis zum 17. Jahrhundert. 27 Im 17. Jahrhundert wird die schon in Mittelalter und Renaissance beliebte Problematik der Verschiedenheit der Sprachen wiederaufgegriffen. Bedingt durch die besondere Plastizität der Erzählung vom Turmbau zu Babel vermochte diese Problemstellung über die Jahrhunderte hinweg eine bemerkenswerte Kontinuität zu enfalten. Anhand unserer Ausführungen zu den biblischen Aussagen zum Problem des Sprachursprungs wurde deutlich, daß diese Fragestellung eng mit dem Problem der Diversität der Einzelsprachen verbunden ist. Die enge Verwobenheit beider Problemkreise ist von Gerda Häßler in ihrem Artikel „Verschiedenheit der Sprachen und universelle Prinzipien der menschlichen Sprachfähigkeit - Gegensatz oder Herausforderung" unter Konsultation einer Vielfalt von Autoren aus mehreren europäischen Ländern (z.B. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Giambattista Vico (1668-1747), Gregorio Mayáns y Sisear (1699-1781)) sowie unter Berücksichtigung der Berliner Preisfrage nach dem Sprachursprung demonstriert worden (Häßler 1999a: 23-40). In diesem Artikel wird das konfliktive Verhältnis zwischen der Konzeption sprachlicher Universalien, wie sie in prototypischer Form von Antoine Arnauld (1612-1694) und Claude Lancelot (1616-1695), den Grammatikern von Port-Royal, vertreten worden war, und der unbestreitbaren Diversität der verschiedenen Einzelsprachen, wie sie die sprachliche Realität präsentiert, problematisiert. Die Grammatiker von PortRoyal postulieren im Sinne des cartesianischen Dualismus von Körper und Geist, den sie auf die Ebene der Sprache und des Denkens übertragen, die Existenz sprachlicher Universalien als Korrelat der eingeborenen Ideen, die der Cartesianismus als Inbegriff der raison dem Menschen zuschreibt. Demgegenüber sei die Verschiedenheit der Sprachen Ausdruck der Vergänglichkeit der Sprache im Gegensatz zur Vollkommenheit der raison. Gerade die Verschiedenheit der Sprachen beweise den arbiträren Charakter des sprachlichen Zeichens und zeuge damit von dem körperlich-unvollkommenen Wesen der Sprache im Gegensatz zum Geist. (Zur Grammatik von Port-Royal im

Eine kurze Rekonstruktion der Problemstellung, die auch das Mittelalter und die Renaissance abdeckt, findet sich in Megill (1974), Droixhe (1978) und (Ricken 1984). Für die scholastischen Sprachursprungstheorien empfiehlt sich insbesondere Kaczmarek (1989). Einen wertvollen Beitrag zu unserer Problemstellung liefert auch Klein (1992), der die Tradition des Wortes in der christlichneoplatonischen Tradition und in der frühen Neuzeit untersucht. Sprachmystische Gesichtspunkte, wie sie sich in Jacob Böhmes (1575-1624) Lehre von der Natursprache artikulieren, finden sich in diesem Werk ebenso wie die Auseinandersetzung mit sprachtheoretischen Projekten der Neuzeit, als deren prominenteste Repräsentanten u.a. Theodor Bibliander (1504-1564) und Guillaume Postel (?) genannt werden.

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Kontext der rationalistischen Philosophie vgl. Donzé 1967, Rosiello 1967, Lakoff 1976, Robinet 1978, Ricken 1984, Häßler 1984, Hoinkes 1991). 'Cartesianische' Linguistik? Mit der Frage nach der Relation zwischen universellen Strukturen des Denkens und der Relativität der Einzelsprachen wird aber nicht nur ein Konflikt aufgeworfen, der ausschließlich für das Sprachdenken der frühen Neuzeit konstitutiv gewesen wäre, sondern gleichfalls in jüngerer Zeit bedingt durch die vehement geführte Debatte um Noam Chomskys polarisierendes Werk Cartesian Linguistics (1966) für die Historiographie der Sprachwissenschaft unter den vordringlichsten Domänen wissenschaftlichen Interesses rangierte. Nach Chomskys Auffassung sei Descartes' Dualismus, auf den wir im folgenden näher eingehen werden, nicht nur von entscheidender Bedeutung für die Autoren der Grammaire générale von Port-Royal gewesen (vgl. dazu auch die Untersuchungen von Hildebrandt 1976). Vielmehr lasse sich bis zur GTG eine Kontinuität der Tradition des cartesianischen Rationalismus nachweisen. Wir können an dieser Stelle die ausgesprochen polemisch geführte Diskussion um die Existenz einer „cartesianischen Linguistik" und um die Legitimität dieser Bezeichnung nicht in all ihren Etappen rekonstruieren. Tatsache ist, daß René Descartes' Äußerungen zu sprachtheoretischen Problemkreisen eher konziser Natur sind und die Sprache keineswegs zu den primären Bereichen seines Interesses gehörte. Es sei in diesem Zusammenhang nur kurz darauf verwiesen, daß Chomskys Postulat einer „cartesianischen Linguistik" von manchem Kritiker offenbar gar zu wörtlich genommen wurde: Mit aller Entschiedenheit hat namentlich Hans Aarsleff Chomskys Cartesian Linguistics als ein seinen Autoren disqualifizierendes Machwerk verurteilt (vgl. Aarsleff 1970, 1974, 1982), wobei er allerdings den Untertitel des Werkes A Chapter in the History of Thought allzu wörtlich nahm. So möchte Aarsleff Chomskys Cartesian Linguistics als eine historiographische Rekonstruktion des rationalistischen Denkens begreifen, obwohl Chomsky selbst ausdrücklich die Hinterfragbarkeit des von ihm gewählten Titels unter Verweis auf Descartes' Zurückhaltung gegenüber sprachtheoretischen Problemstellungen betont hatte. Letztendlich dient Chomsky das Konzept der 'cartesianischen Linguistik' als ein Arbeitsbegriff, unter dem er die angeborene Fähigkeit des Menschen zum kreativen Umgang mit Sprache gegenüber den rein automatischen Lautäußerungen von Tieren als das entscheidende Distinktionskriterium der menschlichen Spezies subsumiert. Im Gegensatz zu Chomsky, der mit seiner „cartesianischen Linguistik" die deduktive rationalistische Orientierung der Grammaire générale von Port-Royal privilegiert habe, erklärt Luigi Rosiello die induktiv-empiristische Orientierung der Sprachtheorie der Aufklärung als entscheidenden und wesentlich fruchtbareren Ansatz für die Wei-

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terentwicklung der Sprachphilosophie und Grammatiktheorie bis hin zum Strukturalismus (vgl. Rosiello 1967: 8/9). In diesem Sinne beschränkt sich auch unsere Darstellung auf eine nur skizzenhafte Wiedergabe von Descartes' Äußerungen zur Sprache. Descartes' dualistische Philosophie und ihre Auswirkung auf seine Reflexionen zur Sprache Der cartesianische Dualismus hatte Körper und Geist in einen unversöhnlichen Gegensatz zueinander gestellt. Dem Geist, der res cogitans, stellt Descartes den Körper, die res extensa, gegenüber. Mit seinem Postulat zweier grundverschiedener Substanzen, nämlich der denkenden und der ausgedehnten, versucht Descartes, seine Bemühungen um die Erforschung der materiellen und körperlichen Welt mit einem religiösen Weltbild in Einklang zu bringen (vgl. Ricken 1984: 18). Der Dualismus zwischen Körper und Geist schlägt sich auch auf Descartes' philosophische Orientierung nieder als Dualismus zwischen seiner Physik und seiner Metaphysik, welche nicht immer ohne weiteres miteinander vereinbar erscheinen (vgl. Rüssel 1999: 577). Neben der Materie nimmt Descartes also die Existenz einer unkörperlichen res cogitans an, die er als Existenzform Gottes und der menschlichen Seele konzipiert. Diese res cogitans ist ein Privileg von Gott und Mensch; kein anderes Wesen darf sie sein Eigen nennen. Sie ist somit eine Schlüsselkonzeption von Descartes' Anthropologie, hat aber auch entscheidende Konsequenzen für seine sprachtheoretischen Reflexionen. Überlegungen zu sprachtheoretischen Problemkreisen greift Descartes auch unter dem Aspekt des Dualismus von Körper und Geist auf - eine Sichtweise, die auch für die sprachtheoretischen Überlegungen Arnaulds und Lancelots konstitutiv werden sollte. Allerdings steht für Descartes die Sprache - sieht man einmal von seinen konzisen diesbezüglich relevanten Äußerungen im Discours de la méthode (1637) und einem Brief an Marin Mersenne (1588-1648), der sich mit dem Projekt einer Universalsprache beschäftigt, ab28 - keinesfalls im Vordergrund seines Interesses.29 Für Descartes ist der Mensch das einzige Wesen, in dem die res cogitans und die res extensa als Seele und Körper miteinander vereint sind. Dieser Blickwinkel ist auch zentral für seine sprachtheoretischen Positionen, da er „die vom Körper hervorgebrachten Sprachzeichen als Kommunikationsinstrument der unkörperlichen Seele" (Ricken et al. 1990: 11) konzipiert. Die Sprache ist für Descartes äu28 29

Der Brief ist datiert auf den 20. November 1629. Dieses Faktum ist auch Chomsky keineswegs entgangen, der sich des polemischen Charakters seines Titels Cartesian Linguistics sehr wohl bewußt war: „...Descartes makes only scant reference to language in his writings..." (Chomsky 1966: 3).

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ßerliches Ausdrucksmittel der raison, die er im Discours de la méthode in scharfer Polemik den seelenlosen Automatismen der Tiere gegenüberstellt. Tiere sind für Descartes reine Automaten, die weder über eine eigene Seele, noch über Sprache verfügen. Selbst wenn man Maschinen in der Form eines Tieres konstruierte, so unterschieden sich diese nicht von den Tieren selbst: Et je m'étais ici particulièrement arrêté à faire voir que, s'il y avait de telles machines, qui eussent les organes et la figure d'un singe, ou de quelque autre animal sans raison, nous n'aurions aucun moyen pour reconnaître qu'elles ne seraient pas en tout de même nature que ces animaux. (Descartes, Discours de la méthode 1996: 90/92)

Allein der Mensch verfügt über eine Seele und damit über Denkfähigkeit. Aus diesem Grunde ist auch die artikulierte Lautsprache eine Prärogative der menschlichen Spezies. Wohl wären manche Tiere, wie etwa die Papageien befähigt, mehr oder minder artikulierte Laute zu produzieren, jedoch verbänden sie keinerlei mentale Konzepte mit diesen rein mechanischen Lautbekundungen: Car c'est une chose bien remarquable, qu'il n'y a point d'hommes si hébétés et si stupides, sans en excepter même les insensés, qu'ils ne soient capables d'arranger ensemble diverses paroles, et d'en composer un discours par lequel il fassent entendre leurs pensées; et qu'au contraire, il n'y a point d'autre animal, tant parfait et tant heureusement né qu'il puisse être, qui fasse le semblable. Ce qui n'arrive pas de ce qu'ils ont faute d'organes, car on voit que les pies et les perroquets peuvent proférer des paroles ainsi que nous, et toutefois ne peuvent parler ainsi que nous, c'est-à-dire, en témoignant qu'ils pensent ce qu'ils disent. (Descartes, Discours de la méthode 1996: 92/94)

Die Sprache wird somit in der Darstellung Descartes' zum äußeren Distinktionskriterium des homo sapiens im Gegensatz zum instinktgeleiteten Tier, welches einzig zur unreflektierten rein mechanischen Artikulation von Lauten befähigt sei (vgl. hierzu Kapitel 3.1.). Das Denken wird im Vergleich zur Sprache, welche als rein äußerlich-körperliche Manifestation des Denkens begriffen wird, eindeutig privilegiert. Das berühmte cartesianische Dictum „Cogito, ergo sum" verdeutlicht die Privilegierung der geistigen Fähigkeiten des Menschen gegenüber dem Körper, der analog zu den Tieren als Maschine konzipiert wird, die den Gesetzen der Mechanik unterworfen ist (vgl. Ricken 1984: 18). Als Inbegriff der menschlichen raison ist Descartes' Postulat der eingeborenen Ideen aufzufassen. Bestimmte Ideen von Gott, von Formen, Symbolen, Zahlen und anderen abstrakten Konzepten seien dem Menschen von Natur aus eingegeben. Sie sind letztendlich Ausdruck der überzeitlichen und universellen raison des Menschen. Diese unkörperliche raison manifestiert sich auf körperlicher Ebene durch das sprachliche Zeichen, welches jedoch dem Menschen vorbehalten ist und seine Superiorität gegenüber dem Tierreich begründet.

Ausgewählte Stationen der Sprachursprungsdiskussion

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Descartes' 'Automatentheorie' im Kreuzfeuer der Kritik: Der Protest La Mettries Sowohl mit seinem Konzept der idées innées als auch mit seiner Behauptung, daß Tiere seelenlose Automaten seien, hatte Descartes eine regelrechte Lawine von philosophischen Debatten losgetreten, die auch die Sprachursprungsfrage nachhaltig beeinflussen sollten. Mit seiner Konzeption der Tiere als Automaten hatte er seine Gegner zur Frage nach der Existenz einer „Tiersprache" provoziert. Während Autoritäten wie etwa der bedeutende Naturforscher und Vorstand des königlichen Pflanzengartens Georges-Louis Ledere Comte de Buffon (1707-1788) Descartes' Ansicht über das Wesen der Tiere übernahmen, stieß sie bei Etienne Bonnot de Condillac auf die allerentschiedenste Kritik. Condillac protestierte in seinem Traité des animaux (1755) vehement gegen die Ansichten Descartes' und Buffons, indem er den Tieren eine Seele und sogar Ansätze eines Denkvermögens zusprach (vgl. dazu Kapitel 3.1. und 4.1.). Descartes' Dualismus und seine anthropologische Konzeption sollte ebenfalls bei dem bereits mehrfach zitierten Julien Offray de La Mettrie auf erbitterten Widerstand stoßen. Sein Hommemachine ist eine gnadenlose „Abrechnung" mit den Postulaten des Cartesianismus. Er wendet sich darin namentlich gegen Descartes' Konzeption der idées innées, der eingeborenen Ideen - eine Denkform, die letztlich auf übernatürliche Schöpfung zurückgeht und als Ausdruck einer immerwährenden, zeitlosen raison des Menschen zu verstehen ist (vgl. Cassirer 1923, Ricken 1984, Ricken et al. 1990, Häßler 1999b). In seinem Homme-machine nutzt La Mettrie den cartesianischen Dualismus als Ausgangsbasis seiner materialistischen Grundanschauungen. Er begreift den menschlichen Körper als „Maschine", beraubt den Menschen aller Spiritualität und reduziert seine Existenz auf mechanisch-physiologische Vorgänge der Respiration, Destillation, Exkretion u.ä. mehr. Die körperliche Maschine Mensch wird ebenso zum seelenlosen Automatismus wie die Tiere Descartes', wenn La Mettrie schreibt: Nous pensons, et même nous ne sommes honnêtes Gens, que comme nous sommes gais, ou braves; tout dépend de la manière dont notre Machine est montée. On diroit en certains moments que l'Ame habite dans l'estomac. (La

Mettrie, L'homme-machine 1987: 71)

Sprache ist für La Mettrie keineswegs notwendigerweise ein Privileg des Menschen; vielleicht könne man sie auch manche Tierarten wie etwa den Orang-Utan lehren, wenn man nur entsprechende chirurgische Eingriffe an diesem Tiere vornähme. Dazu steht im Homme-machine zu lesen: Parmi les Animaux, les uns apprennent à parler et à chanter; ils retiennent des airs, et prenent [sic] tous les tons, aussi exactement qu'un Musicien. Les au-

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Zum aktuellen Forschungsstand tres, qui montrent cependant plus d'esprit, tels que le Singe, n'en peuvent venir à bout. Pourquoi cela, si ce n'est pas un vice des organes de la parole? Mais ce vice est-il tellement de conformation, qu'on n'y puisse aporter aucun remède? En un mot seroit-il absolument impossible d'apprendre une Langue à cet Animal? Je ne le croi pas. Je prendrais le grand Singe préférablement à tout autre, jusqu'à ce que le hazard nous eût fait découvrir quelqu'autre espèce plus semblable à la nôtre... (La Mettrie, L'Homme-machine 1987: 75/76)

Während Descartes die Sprache als Prärogative des Menschen ansieht, traut La Mettrie dem Orang-Utan gerade aufgrund seiner organischen Verwandtschaft mit dem Menschen durchaus den Erwerb der artikulierten Lautsprache zu (vgl. La Mettrie, L'homme-machine 1987: 76). In diesem Zusammenhang äußert er sich auch direkt zum Problem des Sprachursprungs: Mais qui a parlé le premier? Qui a été le premier Précepteur du Genre humain? Qui a inventé les moiens de mettre à profit la docilité de notre organisation? Je n'en sai rien; le nom de ces heureux et premiers Génies a été perdu dans la nuit des tems. Mais l'Art est le fils de la Nature; elle a dû long-tems le précéder. (La Mettrie, L'homme-machine 1987: 79)

In dieser Passage wendet sich La Mettrie spöttisch gegen die Vision eines göttlichen Sprachlehrers. Wer auch immer die Sprache erfunden habe, wenn man denn überhaupt einen „Gesetzgeber" im platonischen Sinne annehmen wolle, so sei sie bei aller Kunstfertigkeit ihres Erfinders doch das Werk der allmächtigen Natur. La Mettries Votum, das natürlich zugunsten des menschlichen Sprachursprungs ausfällt, steht hier ganz in der Tradition des Epikureismus, den Friedrichs Leibarzt zum Maßstab seiner eigenen Existenz auserkoren hatte. La Mettries L'homme-machine ist ebenso wie sein Traité de l'âme und sein Système d'Epicure als leidenschaftliches Plädoyer gegen eine Vormachtstellung des Menschen im Vergleich zum Tier zu verstehen. In all diesen Traktaten wird gegen die Existenz einer unsterblichen menschlichen Seele polemisiert; diesbezügliche Konzeptionen von Descartes oder Nicolas Malebranche (1638-1715) werden der Lächerlichkeit preisgegeben und durch die Frage nach der Existenz einer „Tierseele" aller Spiritualität entkleidet. La Mettrie nutzt geschickt die Doppeldeutigkeit von Descartes' physiologischer Erklärung von Sprache und Denken. Ulrich Ricken verweist darauf, daß schon im 17. Jahrhundert die Eignung von Descartes' physiologischer Konzeption der Sprache für materialistische Verunglimpfungen bemerkt worden sei (vgl. Ricken 1982b: 179; vgl. auch Ricken 1981a: 550). Gegen eine Reduktion von La Mettries Homme-machine auf einen reinen Automaten opponiert indessen Sergio Moravia. Er betont die Bedeutung von Bildung und Kulturtätigkeit in La Mettries Homme-machine und weist aus diesem Grunde eine Interpretation von La Mettries Maschinen-Mensch als reinem Automaten zurück (vgl. Moravia 1982: 72). Allerdings prägen die

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Bezüge auf die intellektuellen und kulturellen Fähigkeiten des Menschen im Homme-machine das anthropologische Gesamtkonzept doch weitaus weniger als die mechanistische Physiologie. Somit erscheint La Mettries Hommemachine als eine Descartes'sche Automatentheorie à l'envers, die dem cartesianischen Dualismus, der ja bequem für die Verteidigung eines christlichen Weltbildes herangezogen werden konnte, eine auf rein physiologischen und epikureischen Prämissen basierende Absage erteilt.

1.2.5. Locke zum Problem des Sprachursprungs und zur sprachlichen Relativität Bevor jedoch Philosophen wie Condillac oder La Mettrie die cartesianischen Grundanschauungen verurteilen sollten, hatten Descartes' Auffassungen John Locke (1632-1704) auf den Plan gerufen, der seinen Essay concerning human Understanding 1690 als programmatisches Pamphlet des Empirismus gegen den cartesianischen Apriorismus entworfen hatte. Bereits das erste Buch des Essay ist ganz der Widerlegung von Descartes' Postulat der Existenz eingeborener Ideen gewidmet. Wie ein Schlachtruf tönt dem Leser Lockes No innate ideas! entgegen. Im zweiten der vier Bücher des Essay entwirft Locke dann sein eigenes epistemologisches System. Nachdem er sich im ersten Buch immer wieder gegen eine Erkenntnis auf der Basis angeborener aprioretischer Ideen gewehrt hat, fordert er nun demgegenüber eine Erkenntnis aus den Sinnen heraus. Zentrale Kategorie des gesamten Erkenntnisvorgangs ist die Erfahrung des Menschen mit den Dingen der Außenwelt, die über die Sinne vermittelt wird. Allerdings läßt es Locke im 2. Buch seines Essay an der zu erwartenden Konsequenz vermissen: Neben der sensation, also der äußeren Erkenntnis aus den Sinneswahr nehmungen heraus, postuliert er die Notwendigkeit der reflection - einer inneren Form der Erkenntnis, die auf Introspektion basiert und für das Verständnis von Abstrakta und abstrakten Vorgängen, die sich der direkten Beobachtung durch die Sinne entziehen, notwendig erscheint.30 Die Konzeption der reflection erweist sich somit als ein dualistisches Relikt in Lockes Epistemologie, als eine Konzession an den zuvor verbos bekämpften Cartesianismus. Eine derartige Inkonsequenz des philosophischen Systems rief jedoch „Korrekteure" auf den Plan - konkret Etienne Bonnot de Condillac, den „französischen Dolmetscher Lockes", um ein Diktum von Karl Marx zu zitieren. Condillac, auf dessen Erkenntnis- und Sprachphilosophie wir im Anschluß eingehen werden, zeigte sich bemüht, das dualistische Relikt des Lockeschen Empirimus zu beseitigen. Gegen Locke vertrat er eine Lockes Dualismus von reflection und sensation wird in einem übergeordneten epistemologischen Zusammenhang in Kapitel 4.1. näher thematisiert werden.

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Form der Erkenntnis rein aus den Sinnen heraus; das Denken wurde für Condillac zur sensation transformée, zur umgewandelten Sinnesempfindung. Der Name John Locke ist aus der Sprachursprungsdiskussion des 18. Jahrhunderts nicht wegzudenken. Neben seinen Einlassungen zum Erkenntnisprozeß erörtert Locke auch das Problemfeld „Sprache" im III. Buch seines Essay, welches den Titel Of words trägt. Allerdings sei er sich, wie er selbst ausführt, der Bedeutung der Sprache für den Erkenntnisprozeß zu spät bewußt geworden (vgl. Ricken 1984: 86). Die Entdeckung der zentralen Rolle der Sprache für den Erkenntnisprozeß sollte in der Tat Condillac vorbehalten bleiben. Dennoch waren Lockes Ausführungen zum Erkenntnisprozeß und seine sprachtheoretischen Betrachtungen von entscheidender Bedeutung für die aufklärerische Sprachursprungsdiskussion. Sie stießen auch in den Beiträgen zur Berliner Preisfrage auf Widerhall. Allerdings stand der Sprachursprung nicht im Zentrum von Lockes sprachtheoretischer Reflexion, die sich primär den Problemen der Wort-Ding-Relation, der verbalen Repräsentation abstrakter Ideen und sprachpolitisch orientierten Fragestellungen wie dem abuse of words zuwandte. Dennoch ist für unseren Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, daß Locke zu Beginn des III. Buches des Essay concerning human Understanding die Sprache als „the great instrument and common tie of society" definiert (Locke, Essay Book III. Chap. 1. §.1). Sprache ist für Locke das Instrument, mit dem Gott den Menschen gemäß seiner Bestimmung als „sociable creature" ausgestattet habe. Nach Lockes Auffassung war es also Gott, der dem Menschen die Sprache verliehen hatte, weil er ihn als ein geselliges Geschöpf geschaffen hatte. Dennoch läßt sich Locke keineswegs als ein Repräsentant des göttlichen Sprachursprungs einordnen. Zu Recht schreibt Borst in seinem Turmbau von Babel, daß Locke „nicht mehr an die heilsgeschichtliche Vorsehung und die Ordnungsmacht der Sprache", sondern „nur noch an die sinnliche Erfahrung" glaubte (Borst 1995: Bd. 111,2: 1396). Analog zu Dante (vgl. Apel 1963, Eco 1993, Borst 1995, Marazzini 1989, Vitale 1960) unterscheidet Locke nämlich zwischen der Sprache und der Sprachfähigkeit. Letztere habe Gott dem Menschen quasi als Grunddisposition für die Erfindung der Sprache verliehen, die Entwicklung der sprachlichen Form jedoch dem Menschen überlassen. Somit ist die Sprache nach Lockes Darstellung keineswegs göttlichen, sondern menschlichen Ursprungs. Da der Mensch sie sich selbst erschaffen hat, kann die Sprache auch nicht Trägerin ewiger und eingeborener Ideen sein, welche einzig eine göttliche Macht kreieren könnte. Aufgrund ihres menschlichen Ursprungs ist die Sprache aber auch unvollkommen; die Relationen zwischen Wort und Ding sind arbitrarily imposed, woraus Doppeldeutigkeiten und Unsicherheiten im Bezeichnungsgebrauch resultieren, welche ihrerseits usurpatorische Verwendungsweisen begünstigen (vgl. Formigari 1970, Häßler 1984, Ricken 1984, Rickenet al. 1990).

Ausgewählte Stationen der Sprachursprungsdiskussion

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Wenn Locke zu Beginn des ΙΠ. Buches des Essay concerning human Understanding auf der kommunikativen Funktion der Sprache abhebt, so geht er doch in den beiden letzten Kapiteln, die der imperfection of words und dem abuse of words gewidmet sind, dazu über, die Unzulänglichkeiten der sprachlichen Kommunikation anzuprangern. Zuvor hatte er bereits ausführlich die Schwierigkeiten thematisiert, die aus dem arbiträren Charakter des Zeichens resultieren: Aufgrund der Willkürlichkeit der Wort-Ding-Relation ergibt sich eine gewisse Inkonstanz des Bezeichnungsgebrauches und eine starke Wandelbarkeit von Sprache. Als ein Ergebnis des arbiträren Charakters des sprachlichen Zeichens entsteht somit die Diversität der Einzelsprachen. Während Descartes die Arbitrarität und die Existenz verschiedener Einzelsprachen als Beweis für die körperliche Natur der Sprache im Gegensatz zum unkörperlichen Denken angeführt hatte, interpretiert Locke die Arbitrarität im Sinne einer Sprachrelativität des Denkens. Bei Locke wird die Sprache „nicht mehr als System zum Ausdruck der universellen Ratio verstanden" (Häßler 1984: 23), sondern sie drückt die von Nation zu Nation divergierenden historischen und sozialen Bedingungen der Sprachgemeinschaft aus. Gegen die cartesianische Annahme von der Existenz eingeborener Ideen setzt Locke somit die Idee einer Sprachrelativität des Denkens (vgl. dazu Häßler 1984). Locke interessiert der Einfluß unterschiedlicher Kulturen und unterschiedlicher nationaler Traditionen auf die Entstehung jeweils spezifischer WortDing-Relationen. Im Zusammenhang mit der Arbitrarität betont Locke die Rolle der Geschichte, der Sitten und Lebensweisen der verschiedenen Völker für die Entwicklung unterschiedlich konzipierter Wort-Ding-Relationen. So führt er etwa die nationale Spezifik der Wort-Ding-Relation und die von Volk zu Volk divergierende Kombination von „komplexen Ideen" anhand des Unterschiedes zwischen Wasser und Eis vor (Locke, Essay, Book III, chap. 6) Während der Unterschied zwischen Wasser und Eis einem jeden Engländer inhaltlich und auch sprachlich geläufig sei, würde ein Jamaikaner, der die Erscheinung Eis nicht in seiner Lebensumwelt vorfinden könne, Wasser und Eis mit demselben Wort bezeichnen. Da die verschiedenen Völker die Phänomene der Welt zu unterschiedlichen komplexen Ideen zusammenfassen, müssen auch die dafür verwendeten Bezeichnungen erheblich divergieren. Bedingt durch den Nominalismus Lockes werden die Bezeichnungen ohnehin nur als reine Namen konzipiert und die Relation zwischen Wort und Dingwelt geht verloren. Aus diesem Grunde erscheint die Diversität der Einzelsprachen als leicht erklärbare Erscheinung (vgl. dazu Häßler 1992: 119). Das Beispiel von water und ice dokumentiert die Existenz von gewissen Inkompatibilitäten zwischen den geistigen Vorstellungen und sprachlichen Repräsentationen unterschiedlicher Nationen. Aufgrund spezifischer kultureller und historischer Erfahrungen ergeben sich bei unterschiedlichen Völkern,

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ja sogar bei verschiedenen Individuen, divergierende Ideenkombinationen und letztlich verschiedene Sprachen. In diesem Sinne interpretiert Locke die Episode vom Turmbau zu Babel als narrative Darstellung des arbiträren Charakters der Sprache, als Ausdruck ihrer „Autonomie und Aporie" (Borst 1995: Bd. III/2, 1397). Babel wird für Locke zur Inkarnation eines Wirrwarrs der Begriffe und der Bezeichnungen und damit zu einer allegorischen Beschreibung der imperfection of words. Wir können in diesem Rahmen auf Lockes Sprachtheorie nicht weiter eingehen und verweisen daher auf Aaron 1971, Brandt 1981, Formigari 1970, Häßler 1984, Ricken 1984 und Yolton 1968.

1.3. Zur französischen Sprachursprungsdiskussion im 18. Jahrhundert 1.3.1. Condillac als Exponent der sensualistischen Sprachursprungstheorie Es wurde bereits darauf verwiesen, daß Lockes Erkenntnistheorie mit dem Konzept der reflection neben der Erkenntnis aus den Sinneswahrnehmungen, also der sensation, ein dualistisches Relikt beibehalten hatte, welches bei dem sensualistischen Philosophen Etienne Bonnot de Condillac auf Widerspruch stoßen sollte (vgl. Ricken 1984, Hoinkes 1991: 49). Nach dem Dafürhalten Condillacs bedeutete der inkonsequente Sensualismus Lockes eine zwar unfreiwillige, aber unzulässige Konzession gegenüber der cartesianischen Konzeption der idées innées, welche er selbst in seinem Essai sur l'origine des connaissances humaines aus dem Jahre 1746 ebenso wie Locke verwerfen sollte. Obwohl CondUlac als der Fortführer des Lockeschen Empirismus bestrebt war, dessen Philosophie in Frankreich zu popularisieren, wollte er sie dennoch keineswegs unkritisch übernehmen. So legte er Locke zur Last, die zentrale Bedeutung der Sprache für den Erkenntnisprozeß verkannt zu haben - ein Vorwurf, mit dem Locke sich - wie gesehen - bereits selbst belegt hatte. In Condillacs Erkenntnistheorie wurden die Sinne zur einzigen Quelle der Erkenntnis. Das Denken war für Condillac die mit Hilfe der Zeichen umgewandelte Sinnesempfindung, die sensation transformée. Sprache und Denken seien aus einer langen Wechselwirkung von Sinneseindrücken und Zeichen entstanden. Das sprachliche Zeichen ist für Condillacs Erkenntnistheorie von zentraler Bedeutung, weil es notwendig ist, um die ursprünglichen Sinnesempfindungen zu fixieren und miteinander zu kombinieren (vgl. Ricken et al. 1990: 72). Damit schien der Erkenntnisprozeß aller Spiritualität entkleidet und damit schien der Weg gebahnt für einen rein menschlichen Ursprung der Sprache ohne irgendeine Form göttlicher Intervention, wie sie in Lockes Sprachursprungskonzeption ja noch spürbar war. Wenn Denkprozesse einzig

Zur französischen Sprachursprungsdiskussion

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auf der Basis sinnlicher Erkenntnis ablaufen konnten, konnten Sprach- und auch Gesellschaftsentwicklung als Menschenwerk imaginiert werden. Diese Radikalisierung des Lockeschen Empirismus durch seinen „französischen Dolmetscher" Condillac wurde von den Anhängern der Restauration als Ausdruck eines radikalen Materialismus gegeißelt. Ricken verweist in verschiedenen Veröffentlichungen (Ricken 1984, Ricken 1989: 288, Ricken et al. 1990: 70) darauf, daß Condillac für die Repräsentanten der Restauration „der schuldigste aller modernen Verschwörer" gewesen sei (Ricken 1989: 288, Ricken et al. 1990: 70), der die „ohnehin schon gefährliche Philosophie von John Locke zu noch weiter gehenden subversiven Konsequenzen" geführt habe (Ricken et al. 1990: 70/71). In seinem Essai sur l'orìgine des connaissances humaines hatte Condillac im ersten Teil unter der Überschrift Des matériaux de nos connaissances et particulièrement des opérations de l'âme seine sensualistische Erkenntnistheorie entworfen, wobei er zugleich den Cartesianismus kritisiert und die Inkongruenzen von Lockes Sensualismus diskutiert hatte. Im zweiten Teil des Essai sur l'origine des connaissances humaines verknüpfte er seine sensualistische Theorie dann mit einer Hypothese zum Sprachursprung, die wichtige anthropologische und gesellschaftstheoretische Implikationen enthielt (vgl. Ricken 1989: 290, Ricken et al. 1990: 72). Condillac entwickelt seine Sprachursprungshypothese gleich zu Beginn des zweiten Teiles seines Essai (Seconde partie, Section première) auf der Basis eines Gedankenexperimentes. Er beginnt seine Überlegungen mit einem kurzen Bezug auf den Genesistext, wobei er jedoch erklärt, daß Adam und Eva aufgrund göttlicher Unterstützung für den Sprachgebrauch keinerlei Erfahrung mit sinnesgestützen Denkoperationen benötigt hätten.31 Unmittelbar im Anschluß an diese Konzession an die traditionelle christliche Lehrmeinung von der Entstehung der Zivilisation folgt jedoch ein Gedankenexperiment, welches für eine Vielzahl weiterer Sprachursprungstheorien und auch im Rahmen der Berliner Preisfrage von herausragender Bedeutung sein sollte: Condillac distanziert sich von der biblischen Erzählung, indem er für die Zeit nach der Sintflut zwei Kinder beiderlei Geschlechts von aller Zivilisation abgeschieden in einer Wüste ohne jegliche Kenntnis von Sprache imaginiert: Mais je suppose que, quelque temps après le déluge, deux enfans, de l'un et de l'autre sexe, aient été égarés dans des déserts, avant qu'ils connussent l'usage d'aucun signe. (Condillac, Essai 1947: 60a)

„Adam, et Eve ne durent pas à l'expérience l'exercice des opérations de leur ame, et, en sortant des mains de Dieu, ils furent, par un secours extraordinaire, en état de réfléchir et de se communiquer leurs pensées" (Condillac, Essai 1947: 60a).

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Dieses Kinderpaar läßt er nun ausgehend von den im ersten Teil des Essai entworfenen epistemologischen Prämissen eine erste Form der Kommunikation erfinden. Hier tritt kein allmächtiger Gott mehr auf den Plan, der Sprache als vollkommenes Ganzes oder zumindest in Form der Sprachfähigkeit in Ansätzen verleiht wie dies etwa Locke noch angenommen hatte. Sprache ist in Condillacs historisch-genetischer Rekonstruktion des Sprachursprungs das alleinige Werk des Menschen. Dieser ist aufgrund seiner Fähigkeit, Sinnesempfindungen durch Zeichen zu analysieren, zu sortieren und zu kombinieren, dazu imstande, selbständig Sprache zu erfinden. Die Erfindung der Sprache erfolgt jedoch nicht spontan und entspringt nicht dem Geist eines besonders begabten oder privilegierten Gesetzgebers, wie ihn die platonische Konzeption suggeriert hatte. Sprache ist für Condillac das Ergebnis eines langen Prozesses der Wechselwirkung zwischen sensations und Zeichen (vgl. Ricken et al. 1990: 72). Sprachliche Zeichen werden jedoch nach Condillac nicht bewußt erfunden, sondern entstehen in Wechselwirkung mit dem Denken und im Zuge der Kommunikation. Diese beruht freilich zu Beginn der Menschheitsgeschichte nur auf rudimentären Lauten und Gesten. Condillac bezeichnet diese erste Vorstufe der artikulierten Lautsprache als langage d'action - als Aktionssprache, die erst allmählich durch die Entwicklung der artikulierten Lautsprache ergänzt wurde, um schließlich neben dieser als Relikt fortzubestehen (vgl. Ricken 1984: 97 und Ricken et al. 1990: 72). Zu Beginn der Menschheitsgeschichte ermöglichen spontane Gebärden und Schreie die Fixierung und Mitteilung von Gedanken. Dabei erfolgt die Verbindung zwischen bestimmten Sinnesinhalten und bestimmten Lauten zunächst rein zufällig und beschränkt sich zunächst auf den Ausdruck von Primärbedürfhissen. Im Laufe der Zeit verbindet das hypothetische Kinderpaar die Empfindung eines Bedürfnisses mit dem Objekt, das die Erfüllung dieses Bedürfnisses gewährleistet. So entsteht etwa eine gedankliche Verbindung zwischen dem Gefühl des Hungers und der Linderung verschaffenden Frucht (vgl. Condillac, Essai, Seconde partie, section première, chap. 1., §. 1). Die beiden Kinder begleiten nun ihrerseits ihre jeweiligen Perzeptionen mit bestimmten Gesten und Schreien, die Condillac als langage d'action bezeichnet: Quand ils vécurent ensemble, ils eurent occasion de donner plus d'exercice à ces premières opérations, parce que leur commerce réciproque leur fit attacher aux cris de chaque passion les perceptions dont ils étoient les signes naturels. Ils les accompagnoient ordinairement de quelque mouvement, de quelque geste ou de quelque action, dont l'expression étoit encore plus sensible. (Condillac, Essai 1947: 60b/61a)

Condillacs Konzeption dieser ersten rudimentären Kommunikationsform des Menschen gemahnt deutlich an die Sprachursprungskonzeption des Lukrez. Auch bei Condillac sind es die reinen Primärbedürfnisse, welche den Urmen-

ZurfranzösischenSprachursprungsdiskussion

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sehen die ersten Laute auspressen. Utilitas expressit nomina rerum! Auch bei Condillac rücken diese primitiven Bedürfnisse den Menschen in die Nähe zum Tier, da sie als Ergebnis des Instinktes und nicht der Reflexion aufgefaßt werden: Ainsi, par le seul instinct, ces hommes se demandoient et se prêtoient des secours. Je dis par le seul instinct, car la réflexion n'y pouvait encore avoir part. L'un ne disoit pas: Il faut m'agiter de telle manière pour lui faire connoître ce qui m'est nécessaire, et pour l'engager à me secourir; ni l'autre: Je vois à ses mouvemens qu'il veut telle chose, je vais lui en donner la jouissance: mais tous deux agissoient en conséquence du besoin qui les pressoit davantage. (Condillac, Essai 1947: 61a) Eine entscheidende Rolle für die Weiterentwicklung der „Aktionssprache" kommt auch dem neugeborenen Kind des imaginierten Urpaares zu, welches neben lebhafter Körpersprache gleichfalls das Schreien zum Ausdruck seines Begehrens einsetzt: Ce couple eut un enfant, qui, pressé par des besoins qu'il ne pouvoit faire connoître que difficilement, agita toutes les parties de son corps. Sa langue se replia d'une manière extraordinaire, et prononça un mot tout nouveau. Le besoin continuant donna encore lieu aux mêmes effets; cet enfant agita sa langue comme la première fois, et articula encore le même son. Les parens surpris, ayant enfin deviné ce qu'il vouloit, essayèrent, en le lui donnant, de répéter le même mot. La peine qu'ils eurent à le prononcer fit voir qu'ils n'auroient pas été d'eux-mêmes capables de l'inventer. (Condillac, Essai 1947: 61b) Auch das Kind wird somit von seinen besoins zum Gebrauch des langage d'action motiviert - ein weiterer Erklärungsansatz für den Sprachursprung, der in der epikureischen Tradition verankert ist. Mit der Berücksichtigung des kindlichen Spracherwerbs für die Erklärung des Ursprungs der Sprache wählt Condillac eine Verfahrensweise, die für die Anthropologie und das Sprachdenken des 18. Jahrhunderts als charakteristisch einzuschätzen ist: Zur Erklärung eines phylogenetischen Prozesses, hier der Entstehung der Sprache, wird unkritisch auf Erkenntnisse der Ontogenese, nämlich konkrete Erfahrungen mit Neugeborenen und Kleinkindern zurückgegriffen. Dieses Modell sollte auch für die Berliner Sprachursprungsdiskussion außerordentlich bedeutsam werden (vgl. Kapitel 3.2.), wie überhaupt Condillacs hypothetisch angenommenes Kinderpaar immer wieder als Vorlage für Sprachursprungstheorien benutzt wurde (vgl. dazu insbesondere die Kapitel 3.2. und 3.3.). Die Grenzen der „Aktionssprache" wurden indes rasch erreicht; der wachsenden Komplexität der Bedürfnisse vermochte diese Gebärdensprache nicht mehr gerecht zu werden. Zunächst erwies sich die „Aktionssprache" jedoch als ein beträchtliches Hindernis für den Übergang zur artikulierten Lautsprache, da diese für die ungeübten Sprechorgane der Urmenschen eine

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Zum aktuellen Forschungsstand

ernsthafte Hürde darzustellen schien (vgl. Condillac, Essai, Seconde partie, section première, chap. 1. §. 7). Für den weiteren Verlauf der Sprachentwicklung nimmt Condillac dann eine Koexistenz von langage d'action und artikulierten Lauten an. Der langage d'action verkörpert in Condillacs Vision das Fundament der daraus entstehenden Darstellenden Künste. Er geht über in tänzerische, darstellerische und musikalische Ausdrucksformen, die der Essai in den anschließenden Kapiteln behandelt.32 So wendet sich Condillac im 2. Kapitel der ersten Sektion des zweiten Teils der Prosodie des premières langues zu. Er versucht, sich Klangbild und Charakter der ersten Sprachen der Menschheit vorzustellen. Zum Ausdruck ihrer Gemütsregungen hätten die ersten Menschen lange Zeit jene spontanen Schreie benutzt, die ihnen diese Gefühle entlockt hätten. Zusätzlich hätten sie in der Imitation von Tierlauten eine weitere Möglichkeit zur Bereicherung ihres noch spärlichen Vokabulars vorgefunden. Die Ursprache der Menschheit habe einen sanglichen Charakter besessen. Da es den ersten Menschen leichter gefallen sei, Tonhöhen zu variieren, anstatt Neologismen zu bilden, hätten sie sich primär auf die distinktive Funktion prosodischer Merkmale verlegt.33 Diese Art von Sprache habe sich bis in die heutige Zeit im Chinesischen erhalten.34 Die hier vorgetragene Hypothese der menschlichen Sprachentwicklung ist jedoch keineswegs eine ureigene Schöpfung Condillacs. Für seine Hypothese des menschlichen Sprachursprungs, die er am Beispiel des hier beschriebenen Kinderpaares entwirft, konnte er umfangreiche Anleihen bei Bernard de Mandeville (1670-1733) machen, der in seiner Fable of the Bees von 1714 den göttlichen Sprachursprung verworfen hatte. Mandevilles Theorie des Sprachursprungs beschreibt kärgliche Anfänge der Sprache auf der Grundlage von Mimik und Gestik, die nur langsam um artikulierte Laute erweitert werden. Eine beschränkte Anzahl von Zeichen und Gesten, die zwei „UrPersonen" miteinander austauschen, dient in Mandevilles Konzeption als Anfang der Sprache. Diese Zeichen hätten nun dazu gedient, im Geiste des Empfängers Assoziationen mit der Objektwelt zu generieren und so eine Wort-Ding-Verbindung zu begründen. Pierre Juliard verweist in seinen PhiAls zentrale Quelle für Condillacs ästhetische Konzeption dienten Jean-Baptiste Du Bos' (1670-1742) Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture aus dem Jahre 1719. „Cette prosodie a été si naturelle aux premiers hommes, qu'il y en a eu à qui il a paru plus facile d'exprimer différentes idées avec le même mot, prononcé sur différens tons que de multiplier le nombre des mots à proportion de celui des idées" (Condillac, Essai 1947: 64a/b). „Ce langage se conserve encore chez les Chinois. Il [sic] n'ont que 328 monosyllabes qu'ils varient sur cinq tons, ce qui équivaut à 1640 signes. On a remarqué que nos langues ne sont pas plus abondantes" (Condillac, Essai 1947: 64b).

Zur französischen Sprachursprungsdiskussion

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losophies of Language in Eighteenth-Century France aus dem Jahre 1970 auf den entscheidenden Einfluß von Mandevilles Fable of the Bees auf das Sprachdenken Condillacs und des Sensualismus allgemein (vgl. Juliard 1970: 19/20 und auch Formigari 1972: 8).35 Juliard erachtet diesen Text Mandevilles als „the earliest bold refutation of the orthodox interpretation of the origin of language" (Juliard 1970: 20) und rügt Condillac für allzu freimütige Anleihen bei Mandeville ohne Angabe seiner Quelle (vgl. Juliard 1970: 19).36 Dennoch sollte Condillacs Essai sur l'origine des connaissances humaines für manch weitere Theorien zum Ursprung der Sprache von herausragender Bedeutung sein - insbesondere für die Ursprungsvision Rousseaus, der Condillac sogar ausdrücklich als Inspirator seiner eigenen Sprachursprungskonzeption benannt hat (vgl. Rousseau, Discours de l'inégalité 1992: 199).37

1.3.2. Rousseaus gesellschaftstheoretische Akzentuierung der Sprachursprungsfrage Von herausragender Bedeutung für die weitere Sprachursprungsdiskussion und für die Berliner Preisfrage (vgl. Kapitel 3.6.) war ein Werk Rousseaus, welches im 18. Jahrhundert in ganz Europa auf außergewöhnlichen Widerhall gestoßen war: Jean-Jacques Rousseaus Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes aus dem Jahre 1755 sollte eine leidenschaftliche Polemik über das Wesen des Menschen und seine natürlichen Prädispositionen, über die Lebensumstände der Zivilisation im Gegensatz zu einem hypothetischen Urzustand der Menschheit entfachen. Rousseau polemisiert in seinem Discours de l'inégalité gegen die gesellschaftlichen Mißstände seiner Zeit, indem er diese einem hypothetischen Urzustand der Menschheit gegenüberstellt, der durch Absenz aller letztendlich nur der Verweichlichung und der Ungleichheit dienenden Errungenschaften der Zivilisation gekennzeichnet ist. Dieser hypothetische Naturzustand führt den Menschen als homme sauvage im Einklang mit der ihn umgebenden Natur vor, läßt ihn jedoch als solitäres, einzig auf Selbsterhaltung und Fortpflanzung bedachtes Wesen erscheinen, welches im Grunde der Sprache nicht bedarf.

Auf die herausragende Bedeutung von Mandevilles Fable of the Bees für Condillacs Sprachursprungshypothese und die Sprachursprungskonzeptionen des Sensualismus verweist schon Kuehner 1944: 22. Im Falle Condillacs erscheint dieser Vorwurf durchaus nachvollziehbar, da er im Gegensatz zur breiten Masse der Autoren des 18. Jahrhunderts - seine Quellen in der Regel präzise angibt. Eine wertvolle Sammlung von wichtigen Beiträgen zu Condillacs Sprachtheorie liefert Sgard 1982.

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Rousseau gewinnt seine Sprachursprungshypothese zu nicht unerheblichen Anteilen aus dem Widerspruch zu derjenigen Condillacs (vgl. Claparède 1935), die eine relativ harmonische Entwicklung der Menschheitsgeschichte vorführt und die gesellschaftlichen Implikationen der Sprachursprungsproblematik nach Rousseaus Dafürhalten nicht angemessen berücksichtigt (vgl. dazu Bach 1976, Bach 1977, Ricken 1984, Ricken et al. 1990: 86). War für Condillacs Sprachursprungshypothese die Privilegierung der erkenntnistheoretischen Aspekte der Fragestellung kennzeichnend, so widmet sich Rousseau insbesondere der sozialgeschichtlichen Seite des Problems. Die Bereicherung und Weiterentwicklung von Condillacs sensualistischer Sprachursprungstheorie um sozialkritische Aspekte wird von Ricken als ein besonderes Verdienst der Sprachtheorie Rousseaus hervorgehoben (vgl. Ricken et al. 1990: 73). Während Condillac jedoch den Sprachursprung an exponierter Stelle, nämlich direkt zu Beginn des zweiten Teiles des Essai thematisiert, behandelt Rousseau den Ursprung der Sprache als eines unter mehreren Problemem, die sich für seine hypothetische Rekonstruktion der Menschheitsgeschichte ergeben. Das Sprachursprungsproblem wird somit integriert in ein Gewebe komplexer gesellschaftstheoretischer Hypothesen, die sich nicht nur auf eine Darstellung des vorgeblichen Naturzustandes konzentrieren, sondern zugleich Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft Rousseaus enthalten. Damit wird das Problem des Sprachursprungs in einem stark politischen und gesellschaftstheoretischen Kontext behandelt - eine Verquickung von Problemen, die in dieser Form in anderen Sprachursprungshypothesen nicht auftritt. Da wir Rousseaus Sprachursprungskonzeption in Kapitel 3.6. ausführlich thematisieren werden, wobei wir auch auf Affinitäten und Unterschiede zur Konzeption Condillacs eingehen werden, verzichten wir an dieser Stelle auf eine weiterführende Darstellung.

Naturrechtstheoretiker und ihr Einfluß auf Rousseaus Konzeption der Gesellschaft Rousseaus Konzeption eines hypothetischen Naturzustandes muß allerdings im Kontext der bereits im 17. Jahrhundert florierenden Diskussionen um das Naturrecht gesehen werden. Entscheidende Anstöße hatte Rousseau von den Naturrechtstheorien eines Hugo Grotius (1583-1645), eines Jean-Jacques Burlamaqui (1694-1748) und eines Samuel Freiherr von Pufendorf (16321694) erhalten38, deren Beiträge zur Naturrechtsproblematik von der Gelehrtenwelt mit großem Interesse aufgenommen wurden und auch Berücksichtigung in der Encyclopédie finden sollten (vgl. den Artikel DROIT NATUREL). Die Bedeutung dieser Naturrechtstheoretiker ist von Robert Derathé in seinen beiFormigari betont den starken Einfluß des epikureischen Naturalismus auf Pufendorfs Naturzustandstheorie.

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den Monographien Jean-Jacques Rousseau et la science politique de son temps (1970) und Le Rationalisme de Jean-Jacques Rousseau (1979) eingehend behandelt worden.39 Für die Problematik des Naturrechts im allgemeinen sei auch ausdrücklich auf Leo Strauss' Natural Right and History verwiesen, das eine umfangreiche Darstellung der Entwicklung des Naturrechts von der Antike an liefert. Dabei werden auch die Beiträge von Rousseau und Hobbes in angemessener Form gewürdigt. Der bedeutsamste Repräsentant der Naturrechtstheorie war aber zweifelsohne Thomas Hobbes, der in seinem Leviathan den Urzustand der Menschheitsgeschichte als ein bellum omnium contra omnes konzipiert hatte. In Hobbes' zutiefst pessimistischer Vision war der Mensch des Menschen Wolf („homo homini lupus"), der sich sein Recht mit den Fäusten sicherte. Die destruktiven und aggressiven Strebungen der Menschheit erschienen Hobbes einzig durch die Konzentration aller Macht in den Händen eines absoluten Souverän für bezähmbar und kontrollierbar. So legitimiert in Hobbes' Konzeption die schrankenlose Aggressivität des Menschen, die als anthropologische Konstante gesehen wird, die absolutistische Herrschaft. Für die Autoren der Berliner Preisfrage ist ebenso wie für Rousseau insbesondere Hobbes' Naturzustandsvision im Leviathan von Belang; wir werden an gegebener Stelle (u.a in Kapitel 4.3.) nochmals darauf eingehen. Weniger deutliche Spuren haben Hobbes' sprachtheoretische Reflexionen hinterlassen, die dieser im 4. Kapitel seines Leviathan vorträgt. Hobbes betont in diesem Zusammenhang insbesondere die mnemotechnische Funktion der Wörter, die er als marks of ideas, als Merkzeichen der Ideen, konzipiert. Für die Autoren der Berliner Preisfrage ist allerdings insbesondere Hobbes' Vision des Urzustandes von Interesse, wie überhaupt anthropologische Reflexionen gegenüber epistemologischen deutlich dominieren (vgl. III. Kapitel).

1.3.3. Die Bedeutung der (französischen) Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts für die Hypothesen zum Sprachursprung Für die Aufstellung von Hypothesen zum Sprachursprung hatte sich die Konzeption eines Naturzustandes als fruchtbarer Ansatz erwiesen. Sprachtheoretische Vermutungen wurden in unmittelbarem Zusammenhang mit anthropologischen Gegebenheiten betrachtet, wobei sich speziell im 18. Jahrhundert eine ausgeprägte Tendenz zur Postulierung anthropologischer Konstanten zeigte (vgl. Häßler 1999c). Bevor das Wesen der Sprache ermittelt werden konnte, mußte zuerst das Wesen des Menschen adäquat beschrieben werden. Eine Rekonstruktion der Sprachgenese erschien nur möglich vor dem Hintergrund einer Hypothesenbildung über die dem Menschen angeborenen Fähig39

Weitere Verweise finden sich in Kapitel 3.6.

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keiten. Einzig auf diese Weise schien das Wie der Sprachentstehung begreiflich. Während Autoren wie Locke und Condillac ihre Theorien vom Sprachursprung im Rahmen ihrer Erkenntnistheorie entworfen hatten, privilegierte ein Rousseau die gesellschaftstheoretische Komponente der Problemstellung. Durch seinen Discours wurde eine untrennbare Verbindung zwischen Sprachursprung und Naturzustandsvision geschaffen, die für die weitere Reflexion zum Sprachursprung beispielhaft werden sollte. Für seine Darstellung des Urmenschen hatte Rousseau insbesondere die im 18. Jahrhundert in voller Blüte prangende Reiseliteratur herangezogen, in der er buntschillernde Darstellungen ferner Länder und exotischer Völker vorfinden konnte. Während Condillac in seinem Essai primär auf die antike Tradition und auf das Brauchtum der Griechen und Römer zurückgegriffen hatte, um einen archaischen Zustand der Menschheitsgeschichte hypostasieren zu können, konsultierte Rousseau die Berichte eines Charles-Marie de la Condamine (17011774), eines Louis-Armand de Lom d'Arce, baron de La Hontan (ca. 16661715) oder eines Peter Kolbe (1675-1726). Anhand der Darstellungen eines de la Condamine oder eines Jean de Léry (1534-1613) vermochte der Gelehrte des 18. Jahrhunderts sich ein anschauliches Bild von den Völkern längs des Amazonas nachzuzeichnen. La Hontan wußte allerlei Schauerliches über die Huronen und ihre seltsamen Artikulationsgewohnheiten zu berichten. Peter Kolbe erzählte voller Abscheu von den Lebensumständen der Hottentotten, die er eher als Tiere denn als Menschen wahrgenommen zu haben schien. Sprachursprungshypothesen des 18. Jahrhunderts müssen im Kontext der Reiseliteratur dieser und anderer Autoren gesehen werden, da diese Textsorte neben der Annehmlichkeit des Exotismus auch unverzichtbare Einblicke in die vorgeblichen Primitivkulturen dieser Völker gewährleistete.40 Wir werden uns in Kapitel 3.4. noch ausführlich mit dieser Problematik auseinandersetzen.

1.3.4. Die Sprachursprungsdiskussion im Kontext der medizinischphysiologischen Reflexionen des 18. Jahrhunderts: La Mettrie - Buffon Ebensowenig wie die aufklärerische Sprachursprungsdiskussion unabhängig von der damaligen Reiseliteratur angemessen zu beurteilen ist, kann dabei auf die Berücksichtigung wichtiger medizinisch-physiologischer Überlegungen des 18. Jahrhunderts verzichtet werden. Die anthropologische Konzeption des 18. Jahrhunderts ist im Kontext medizinischer Beobachtungen zu sehen, wobei insbesondere der Vergleichenden Anatomie hier eine Schlüsselfunktion Als herausragende Darstellungen der Anthropologie des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Reiseliteratur und des Bildes des Wilden verdienen Duchet 1971, Krauss 1987 und Fink-Eitel 1994 Erwähnung.

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zukommen dürfte.41 Wie bereits aus den vorangehenden Ausführungen deutlich wurde, hatte La Mettrie mit L'homme-machine ein Traktat vorgelegt, welches Descartes' Konzeption des Körpers als reiner Maschine bewußt allzu wörtlich genommen und den Menschen auf eine seelenlose, animalische Existenz reduziert hatte. Diesen „Automaten-Menschen" hatte La Mettrie in „bedrohliche" Nähe zum Orang-Utan gerückt, dessen Verwandtschaft mit dem homo sapiens durch die anatomischen Sektionen von Edward Tyson (1651-1708) und Peter Camper (1722-1789),42 um nur zwei prominente Beispiele von Anatomen zu nennen, nachgewiesen worden war. Die Erkenntnisse der Vergleichenden Anatomie wurden bisweilen großzügig mit den pittoresk anmutenden Journalen der Entdeckungsreisenden, Missionare und Seefahrer verschmolzen, so daß eine Differenzierung zwischen Affen und bestimmten exotischen Menschenrassen teilweise nicht mehr vollzogen wurde (vgl. Kapitel 3.1. und 3.4.). Dieses Faktum ist für die aufklärerische Sprachursprungsreflexion von nicht zu vernachlässigender Bedeutung, da eine Parallelisierung der Urmenschen mit „primitiven" Völkern, welche wiederum mit affenartigen Hominiden auf eine Stufe gestellt wurden, für eine epikureisch orientierte Sprachursprungskonzeption als konstitutiv anzusehen ist. Wird etwa im Sinne Condillacs ein Sprachursprung aus den besoins angenommen, so konnten sich die Befürworter einer derartigen Konzeption auf die anatomischen Untersuchungen Tysons stützen, die die Ähnlichkeit zwischen Affen und Menschen demonstrierten. Gegen eine derartige Konzeption sollte Rousseau in seinem posthum erschienenen Essai sur l'origine des langues Protest erheben, in dem er zwar für die Völker des Nordens einen Sprachursprung aus den besoins postuliert, aber die Sprachen der Völker südlicher Gefilde als leidenschaftlichen Gesang und als Resultat der passions konzipiert (vgl. Derrida 1967, Duchet 1971, Droixhe/Haßler 1989, Porset 1968 und vgl. auch Kapitel 3.6.). Die Erkenntnisse der Vergleichenden Anatomie nutzte der berühmte Naturforscher Buffon ebenso ausgiebig wie die zahllosen Berichte der Weltreisenden, um die Vielfalt menschlicher Rassen in seinem De l'homme von 1749 in all ihrer Buntheit nachzuzeichnen. Einerseits hatte Buffon jedoch mit Descartes die uneingeschränkte Superiorität des Menschen im Vergleich zum Tier vertreten (Buffon 1971: 45), andererseits schien er so manchen „primitiven" Völkern den Status des Menschseins absprechen zu wollen (vgl. Kapitel 3.4.). Buffons De l'homme ebenso wie seine Histoire naturelle lieferten den „Rekonstrukteuren" des Sprachursprungs ein Material von unschätzbarem Wert für die Hypothesenbildung zum Wesen des Menschen, die ja der Eine wertvolle Aufarbeitung dieser komplexen Problematik liefert Moravia (1970 und 1982). Zu Camper vgl. Moravia 1970: 49-52 und Ricken 1981a: 551.

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Hypothesenbildung über den Ursprung der Sprache vorausgehen mußte. Auch wenn Buffon selbst den Sprachursprung nicht als ein problematisches Thema betrachtet, da er Sprache in cartesianischem Sinne schlicht als Prärogative des Menschen ansieht, liefern seine anthropologischen und zoologischen Untersuchungen einen höchst bedeutsamen Hintergrund für die aufklärerische Sprachursprungsreflexion und insbesondere auch für die Berliner Preisfrage.

1.3.5. Mechanistisch-physiologische Sprachursprungstheorien: De Brosses Die anatomischen und physiologischen Untersuchungen seiner Zeit haben auch die Sprachursprungskonzeption des Präsidenten der Akademie zu Dijon, Charles de Brosses, entscheidend mitbeeinflußt (vgl. Sautebin 1899). Sein Traité de la formation méchanique des langues von 1765 präsentiert eine ausführliche und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Problem der Ursprache, die er einerseits anhand physiologischer, andererseits anhand etymologischer Gegebenheiten zu imaginieren versucht. Obwohl die Ursprache unwiderruflich verlorengegangen sei, so gestatteten doch die Erkenntnisse über die Konfiguration der menschlichen Artikulationsorgane und die etymologische Forschung die Rekonstruktion charakteristischer Elemente der ersten Sprachen der Menschheit (vgl. De Brosses 1756: Bd. I, 220/221). Da die anatomische und physiologische Grundausstattung bei verschiedenen Völkern wichtige Übereinstimmungen aufwiese, wäre es möglich, von dieser gemeinsamen Basis ausgehend, sprachliche Universalien zu ermitteln. Für De Brosses bietet somit eine Kombination aus mechanisch-physiologischem und etymologischem Erklärungsansatz die Möglichkeit zur Überwindung des Problems der Diversität der Einzelsprachen, die der Rekonstruktion einer gemeinsamen Ursprache der Menschheit erhebliche Hindernisse in den Weg stellt. Da die anatomische Konfiguration der Sprechorgane bei allen Menschen im Wesentlichen identisch sei und zwischen dem Stimmorgan und den innersten Gefühlen des Menschen eine tiefgreifende Verbindung bestünde (vgl. De Brosses 1765: Bd. I, 225), müßten auch alle Menschen eine gemeinsame Ursprache besessen haben: die Sprache der sentiments. So kündeten etwa die Interjektionen, denen im Traité de la formation méchanique des langues eine Schlüsselrolle als sprachliche Universalien zugedacht ist, als beredte Boten von den intimsten sensations intérieures, die ein jeder Mensch verspüre (vgl. De Brosses 1765: Bd. I, 221-224). Mit dieser Überlegung vertritt De Brosses einen monogenetischen Sprachursprung, welcher jedoch keineswegs dem monogenetischen Sprachursprung der Bibel an die Seite gestellt werden darf, da die Sprache für De

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Brosses eine menschliche Erfindung ist. Den monogenetischen Sprachursprung versucht der Présidera anhand von Etymologien und Sprachvergleichen nachzuweisen. So stellt er etwa einen beeindruckenden Sprachvergleich anhand der Wörter papa und maman vor, der auch vor besonders exotischen Sprachen wie dem Vandalischen, dem Tartarischen, dem Bengalischen oder dem Molukkischen keinen Halt macht (vgl. De Brosses 1765: Bd. I, 244247). Die Ähnlichkeit der vorgeführten Beispielwörter in einer Vielzahl von Sprachen beruht für De Brosses auf „phonetischen Universalien", die sich aus bestimmten artikulatorischen Präferenzen ergeben, die er bereits im frühen Kindesalter lokalisiert. So überträgt denn auch De Brosses Erkenntnisse über den kindlichen Spracherwerb auf die gesamte Stammesgeschichte der menschlichen Spezies (vgl. Droixhe 1978: 192 und vgl. Kapitel 3.2.). Wenn De Brosses einerseits sprachliche Universalien zu ermitteln versucht, so bemüht er sich auf der anderen Seite auch, die Diversität der Einzelsprachen zu erklären. Zwar sei die physiologische Grundausstattung der verschiedenen Völker im Wesentlichen identisch, aber es ließen sich gewisse Abweichungen konstatieren, die auf den Einfluß des unterschiedlichen Klimas zurückzuführen seien (vgl. Häßler 1984: 54). Das Klima habe einen entscheidenden Einfluß auf Temperament und physische Konstitution verschiedener Völker. Dabei ist der Gedanke einer entscheidenden Rolle des Klimas für die Ausbildung verschiedener körperlicher und psychischer Dispositionen keineswegs eine ureigenste Erfindung von De Brosses. Schon Hippocrates (ca. 460-375 v. Chr.), der Stammvater der Medizin, hatte die zentrale Bedeutung klimatischer Verhältnisse für die Entstehung und Behandlung verschiedener Krankheiten hervorgehoben (vgl. Juliard 1970: 78, vgl. Fischer-Homberger 1977, vgl. Engelhardt/Hartmann 1991). Neben De Brosses vertraten auch Rousseau, Montesquieu und Antoine Court de Gébelin die Idee einer entscheidenden Bedeutung des Klimas für die Ausbildung artikulatorischer Prädispositionen und Präferenzen. Dagegen trat Condillac der Klimatheorie mit Skepsis gegenüber. Gegenüber den Vertretern der Klimatheorie, die den Einfluß des Klimas auf die physiologischen Gegebenheiten bei verschiedenen Völkern verabsolutiert, betont Condillac die besondere Bedeutung großer Schriftsteller für die Herausbildung des génie de la langue (vgl. Christmann 1966, Häßler 1984, Neis 2001: 77). De Brosses' Sprachursprungstheorie ist für den weiteren Fortgang der Theorieentwicklung aber nicht nur aufgrund der besonderen Hervorhebung der Rolle des Klimas und seiner Auswirkungen auf anatomisch-physiologische Gegebenheiten interessant: Eine besondere Bedeutung kommt in De Brosses' Sprachursprungstheorie der Imitation zu, da viele Urlaute durch Geräusche von Tieren, Gegenständen oder witterungsbedingten akustischen Erscheinungen entstünden. Somit kommt dem onomatopoetischen Wortbildungsverfahren eine zentrale Rolle zu. Im Gegensatz zu Piaton, der seinen

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Sokrates die Natürlichkeitstheorie des Kratylos durch schwindelerregendes Etymologisieren und Imitieren ironisch zurückweisen läßt, erachtet De Brosses Imitation und Etymologie als zentrale Komponenten einer Rekonstruktion des Sprachursprungs. De Brosses' Traité ist auch von den Teilnehmern der Berliner Preisfrage als wichtiges Dokument herangezogen worden (vgl. insbesondere Kapitel 4.1.), wobei gerade seine Imitationstheorie für deren Hypothesenbildung von entscheidender Bedeutung war.

1.3.6. Diderots Äußerungen zum Sprachursprung vor dem Hintergrund der Diskussion um die Wortstellung De Brosses hatte seine Sprachursprungshypothese ebenso wie Court de Gébelin weitestgehend von Condillac übernommen (vgl. Kukenheim 1962: 31/32, Juliard 1970: 36). Unter dem Einfluß Condillacs entwickelte auch Diderot quasi en passant einige wenige Gedanken zum Sprachursprung in seiner Lettre sur les sourds et les muets von 1751. Ahnlich wie De Brosses betont auch Diderot die Natürlichkeit des Sprachursprungs, den er den dafür disponierten Artikulationsorganen mit Leichtigkeit entspringen läßt: [...] je vous répondrai que les hommes, en instituant les premiers éléments de leur langue, ne suivirent, selon toute apparence, que le plus ou le moins de facilité qu'ils rencontrèrent dans la conformation des organes de la parole, pour prononcer certaines syllabes plutôt que d'autres [...] Le son de la voyelle A se prononçant avec beaucoup de facilité, fut le premier employé, et on le modifia en mille manières différentes avant que de recourir à un autre son. (Diderot 1969: 556) Analog zu De Brosses nimmt auch Diderot den Vokal A als eine Art von Urlaut an, der nur langsam zugunsten anderer Laute modifiziert worden wäre. Als Beleg dient ihm dafür das Hebräische, das er als eine Ansammlung von /4-Lauten beschreibt. Offenbar konnte Diderot als Freund Condillacs und Rousseaus der Sprachursprungsthematik nicht völlig „entgehen". Im Mittelpunkt von Diderots Lettre steht allerdings weniger die Frage nach dem Ursprung der Sprache, sondern vielmehr die Frage nach der Leistungsfähigkeit verschiedener semiotischer Systeme (Dichtung, Malerei und Musik). Ein wesentliches Anliegen Diderots in der Lettre sur les sourds et les muets besteht darin, den unterschiedlichen Charakter und die unterschiedliche Funktionsweise verschiedener semiotischer Systeme zu demonstrieren. 43 Dabei verweist er auf das „Mißverhältnis" zwischen Sprache und Denken: Sprache ist aufgrund ihres sukzessiv-analytischen Charakters nicht geeignet, die SimultaZu Diderots Lettre sur les sourds et muets vgl. Chouillet 1973, Chouillet 1977, Crocker 1952; Dieckmann 1980, Gessinger 1993, Gessinger 1994, Ricken 1989, Ricken et al. 1990.

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neität der verschiedenen Sinneseindrücke, die gleichzeitig auf den Geist einströmen, adäquat zu verarbeiten. Da Diderot als Adept des Sensualismus den Erkenntnisvorgang rein von den sensations her erklärt, diese aber simultan in großer Zahl auf den Geist einströmen, muß die sukzessiv vorgehende Lautsprache als unzureichendes Mittel zur Verarbeitung dieser Sinneseindrücke, also letztlich des Denkens, erscheinen. Das Denken selbst wird von Diderot als ein kontinuierlicher Prozeß wahrgenommen, der nicht in einzelne Momente zerteilt werden kann: Notre âme est un tableau mouvant d'après lequel nous peignons sans cesse: nous employons bien du temps à le rendre avec fidélité; mais il existe en entier, et tout à la fois: l'esprit ne va pas à pas comptés comme l'expression. (Diderot 1969: 543) In seinen weiteren Ausführungen in der Lettre beschäftigt sich Diderot dann mit dem Problem der Wortstellung und der Inversion. Im Gegensatz zum Cartesianismus, der die Sprache als Abbild aprioretischer Denkstrukturen konzipiert und vor diesem Hintergrund an einem unverrückbaren ordre naturel, nämlich der S-P-O-Wortstellung, festhält, plädiert Diderot im Einklang mit den Postulaten des Sensualismus für eine freiere Wortstellung (vgl. Rikken 1976b, Ricken et al. 1990: 83, Monreal-Wickert 1977). Die Grundlagen der Wortstellung seien aus der Sinneserfahrung abzuleiten. Deren Komplexität und Verschiedenheit entsprächen aber gerade die Inversionen wesentlich eher als der starre ordre naturel, der als sprachlicher Repräsentant der idées innées auftritt, welche Diderot als Sensualist energisch zurückweist. Diderots Beitrag zum Problem der Relation zwischen Sprache und Denken ist jedoch, obwohl er keine ausdrückliche Sprachursprungstheorie entwirft, für diese Fragestellung bedeutsam. Für die Rekonstruktion des Sprachursprungs erscheint es notwendig, die Anterioritätsrelation zwischen Sprache und Denken zu ermitteln. Existierte zuerst die Sprache oder das Denken? Ist das Denken von der Sprache abhängig oder gibt es sprachunabhängiges Denken? Für manche „Rekonstrukteure" des Sprachursprungs erweist sich gerade diese Frage als Teufelskreis. Sie läßt Süßmilch für einen göttlichen Sprachursprung optieren und Rousseau vor der Problemstellung als Ganzer schließlich kapitulieren. Mit seinen Beobachtungen zum simultanen Charakter des Denkens und der Sukzessivität der artikulierten Lautsprache leistet Diderot einen wichtigen Beitrag für die Hypothesenbildung zum Sprachursprung, die das Verhältnis zwischen Sprache und Denken berücksichtigen muß, um eine gewisse Plausibilität beanspruchen zu dürfen. Allerdings hat Diderots vielfältige Argumentation aus der Lettre sur les sourds et les muets nur geringen Widerhall bei den Teilnehmern an der Berliner Preisfrage gefunden (vgl. Kapitel 3.5.). Diese haben - von einigen Ausnahmen abgesehen, die wir in den Kapiteln III und IV berücksichtigen

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werden - die anthropologischen gegenüber den epistemologischen Implikationen der Frage nach dem Sprachursprung privilegiert.44

1.3.7. Maupertuis' 'Réflexions philosophiques' oder: Von der Relativität der Einzelsprachen Die französische Sprachdiskussion und vor allem der Beitrag Rousseaus sind für die Berliner Preisfrage nach dem Sprachursprung von zentraler Bedeutung. So hatte etwa der Präsident der Berliner Akademie, Maupertuis, durch seine Réflexions philosophiques sur l'orìgine et la formation des mots von 1748 der Sprachursprungsfrage einen entscheidenden Anstoß verliehen (vgl. Häßler 1992: 126b, F. Schneider 1995: 46). Nur zwei Jahre nach Condillacs Essai versuchte Maupertuis mit seinen Réflexions, das komplexe Verhältnis zwischen Sprache und Denken weiter zu entschlüsseln. Dazu diente ihm als Leitfaden die Philosophie George Berkeleys (1685-1753), dessen Devise esse est percipi Maupertuis zur Maxime seines Erklärungsansatzes erhob. Ebenso wie Condillac glaubte auch Maupertuis, alle Erkenntnis aus den Sinnen ableiten zu können und mit der Sprache über ein Werkzeug zur Analyse und Zergliederung der Wahrnehmungen zu verfügen (vgl. Ricken 1984: 222). Maupertuis erkennt jedoch eine besondere Schwierigkeit für den Erkenntnisprozeß in der Diversität der Einzelsprachen. Einzelne Sprachen gliedern offenbar den Strom der Perzepüonen in unterschiedlicher Weise, so daß die Wahrnehmung der Außenwelt in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Weise erfolgt. Die Arbitrarität des Zeichens und die „Objektivität" der Außenwelt treten somit in ein Spannungsverhältnis, welches unterschiedliche Sprachen auf unterschiedliche Weise bewältigen. Maupertuis nimmt für die verschiedenen Sprachen die Existenz verschiedener plans d'idées (geistiger Ebenen) an, die das Denken entsprechend der jeweiligen Sprache verschieden organisieren. Aufgrund der Diversität der plan d'idées der verschiedenen Sprachen, welche sich nicht auf einzelne Wörter beschränken, sondern auf ganze Systeme sprachlicher Inhalte, ergeben sich erhebliche Probleme für die Übersetzung (vgl. Ricken 1984: 222). Bestimmte sprachliche Inhalte erscheinen als unübersetzbar - eine Schwierigkeit die schon von Locke angezeigt worden war. Dieser hatte sich dabei allerdings auf einzelne Wörter beschränkt und nicht komplexe Systeme von plan d'idées angenommen. Aufgrund der abweichenden plan d'idées ergaben sich jedoch für Maupertuis unterschiedliche Möglichkeiten der Erkenntnis bei verschiedenen Sprachen, Allerdings sei bereits an dieser Stelle darauf verwiesen, daß die Unterteilung in epistemologische und anthropologische Aspekte der Berliner Preisfrage vor allem aus methodologischen Erwägungen sinnvoll erscheint. In Wirklichkeit lassen sich beide Aspekte nicht immer eindeutig voneinander abgrenzen.

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so daß sich ein Sprachvergleich förmlich aufdrängte. Darüberhinaus erschien der Sprachvergleich als ein probates Mittel, um volksspezifischen Vorurteilen, die durch die sprachspezifisch geprägte Weltsicht transportiert worden waren, entgegenzuwirken (vgl. Ricken 1984: 222).

1.4. Zu einigen wichtigen Repräsentanten der deutschen Sprachursprungsdiskussion des 18. Jahrhunderts 1.4.1. Süßmilch Maupertuis' Réflexions hatten an der Berliner Akademie Aufsehen erregt und der Sprachursprungsdiskussion, mit der sie in engem Zusammenhang standen, einen entscheidenden Anstoß verliehen.43 Dieser Spielball wurde von dem Theologen und Demographen Johann Peter Süßmilch aufgenommen, der die Réflexions zum Anlaß nahm, seine Idee eines göttlichen Sprachursprungs zu vertreten. In seinem Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe, den er zuerst im Jahre 1756 in der Berliner Akademie vortrug, erklärte Süßmilch die Sprache aufgrund ihrer Ordnung und Vollkommenheit zum Werk eines allmächtigen Schöpfers. Wesentlich für seine Argumentation war zweifelsohne auch der Teufelskreis, den das Problem der Anteriorität von Sprache und Denken in Gang gesetzt hatte. Da Sprache ohne Denken Süßmilch ebenso unvorstellbar erschien wie Denken ohne Sprache, konnte die Sprache einzig ein Geschenk Gottes sein. In seinem Versuch polemisierte Süßmilch außerdem gegen die epikureische Sprachursprungstheorie, die er als eine unzulässige Herabwürdigung des Menschen ansah. Der Mensch als Krone der Schöpfung sei von den Epikureern, als deren wichtigste Vertreter er Horaz und Lukrez nennt, ebenso wie von ihren ideologischen Nachfolgern, von denen er insbesondere Rousseau und Maupertuis angreift, auf die Ebene eines Tieres herabgewürdigt worden. Süßmilchs Versuch stellt zweifelsohne einen Schlüsseltext für die Berliner Preisfrage dar. Sein Autor wird als einer der wichtigsten Inspiratoren dieses Wettbewerbs gelten müssen. Wir werden auf Süßmilchs Bedeutung für die an der Berliner Akademie geführte Diskussion im Vorfeld der Preisfragenausschreibung im Π. Kapitel dieser Arbeit näher eingehen.

Die akademieinterne Diskussion, die der Berliner Preisfrage voranging, behandeln wir näher in Kapitel 2.1.3.

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1.4.2. Hamann Ebenso wie Süßmilch vertritt auch Johann Georg Hamann, Herders Freund und akademischer Lehrer, die Theorie eines göttlichen Sprachursprungs. Er hält die „sinnreiche Hypothese, welche den Ursprung der Sprache menschlicher Erfindung unterschiebt für ein[en] losen Einfall einiger Newtonianer diesseits des Wassers, die alle [...] zum poßierlichen Affengeschlechte gehören" (Hamann 1772: 14). Da Hamann seine Schriften zum Sprachursprung jedoch als „Kampfschriften" konzipiert hat, die meistens als Gegenreaktion auf Herders Preisschrift entstanden sind (vgl. Baudler 1970: 158) und somit erst als unmittelbare Reaktion auf die Berliner Preisfrage verfaßt wurden, deren 'ideologisches' Vorfeld in diesem Kapitel untersucht werden sollte, können wir nur kurz auf den Magus aus dem Norden eingehen.46 Hamann teilt Süßmilchs Ansicht, daß die Sprache die Voraussetzung des Denkens sei. Da die menschliche Sprache ein Abbild der göttlichen ist, kann sie unmöglich vom Menschen selbst erfunden worden sein. Jedoch existiert eine unüberwindbare Kluft zwischen der Sprache Gottes und der Sprache der Menschen, welche durch den Sündenfall im Paradies entstanden ist. Auch wenn Gott sich in einem gnädigen Akt des Erbarmens zur Erde herabläßt, so verhilft diese Kondeszendenz, diese Herablassung Gottes, dem Menschen nicht zu gottgleichen Einsichten (zur Theorie der Kondeszendenz vgl. Baudler 1970, Weiß 1990). Dennoch vereint die menschliche Sprache das irdische mit dem göttlichen Element, denn für Hamann ist die nominatio rerum durch Adam, der nach eigenem Gutdünken Namen erfinden darf, ein „Zug des göttlichen Ebenbildes". Da die Sprache somit sowohl göttliche Erhöhung als auch menschlichen Sündenfall miteinander vereint, wird sie zum Ausdruck der gesamten Problematik der Heilsgeschichte (vgl. Borst 1995: Bd III/2, 1489). Für Hamann ist der Turmbau zu Babel die logische Konsequenz des Sündenfalles. Die postbabelische Verschiedenheit der Einzelsprachen faßt er im Sinne der biblischen Geschichte als eine Strafe Gottes auf. Hamann deutet den Turmbau zu Babel als ein „hybrides Großunternehmen" , das die Kompetenzen des Menschen bei weitem überschreitet. Mit der Kondeszendenz Gottes und der Entstehung der Verschiedenheit der Einzelsprachen wird nach Hamann der „Thurm der Vernunft", d.h. der Aufklärung, die meint, sich über die göttliche Vorsehung hinwegsetzen zu können, verdammt (vgl. Borst 1995: Bd. ΠΙ/2, 1489). Das Unverständnis der Philosophen und der Gelehrten untereinander ist letztlich Ausdruck eines ewigen Babel, welches auch durch das Pfingstwunder nicht endgültig überwunden wird. Babel droht immer wieder von Neuem. Hamanns Geschichtsvision ist trotz des Festhaltens am göttlichen Sprachursprung jedoch keineswegs als retrograd zu bewerten (vgl. in diesem Sinne auch die Interpretation von Weiß 46

Zu Hamann vgl. Baudler 1970, Wohlfart 1984, Borst 1995 und Weiß 1990.

Repräsentanten der deutschen Sprachursprungsdiskussion

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1990). Mit ihrer Absage an eine präsumtive hebräische Ursprache, an die Herausbildung der modernen Sprachen unmittelbar im Anschluß an Babel und mit ihrer Zurückweisung der Völkertafel als eines Stammbaumes aller späteren Sprachen und Völker weist Hamanns Sprachkonzeption in die Zukunft (vgl. Borst 1995: Bd. III/2, 1490).

1.4.3. Moses Mendelssohn (1729-1786) Im Gegensatz zu Süßmilch und Hamann vertrat Moses Mendelssohn den menschlichen Ursprung der Sprache. Er war durch die Übersetzung, die er von Rousseaus Discours de l'inégalité besorgt hatte, seinerseits dazu inspiriert worden, sich dieses Themas anzunehmen. In einem Brief vom 2. Januar 1756 an seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing, den er als Sendschreiben an den Herrn Magister Lessing in Leipzig tituliert,47 behandelt Mendelssohn eingehend zentrale anthropologische Positionen aus Rousseaus Discours. Zwar teilt er mit Rousseau die Konzeption eines natürlichen Sprachursprungs, aber er lehnt Rousseaus radikale soziokritische Orientierung ab (vgl. dazu Ricken et al. 1990: 243 und Häßler 1992: 126b). Mendelssohn ist für die Teilnehmer an der Berliner Preisfrage deshalb von besonderer Bedeutung, weil ihm aufgrund seiner Übersetzung das Verdienst zukommt, Rousseaus politisch radikalisierte sensualistische Sprachursprungshypothese in Deutschland weiter verbreitet zu haben. Charakteristisch für Mendelssohns Sprachursprungstheorie ist die Schlüsselrolle, die er der Imitation zuspricht. Ahnlich wie De Brosses oder auch Condillac erachtet er die Natur als eine wertvolle Quelle für onomatopoetische Wortbildungen. Analog zu Condillac imaginiert Mendelssohn die Entstehung von Naturlauten als eine erste Stufe der Sprachgenese. Sie sind die Grundlage später entstehender arbiträrer Zeichensysteme, die durch gesellschaftliche Konvention festgelegt werden und dann auch die sprachliche Darstellung abstrakter Konzepte ermöglichen. Die Sprache ist für Mendelssohn ebenso wie die Gesellschaft menschlichen Ursprungs (vgl. Borst 1995: Bd III/2, 1492).

Dieses Sendschreiben findet sich auch in Krauss 1963: 70-84.

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Zum aktuellen Forschungsstand

1.4.4. Lessing Ähnlich wie sein Freund Mendelssohn nahm auch Gotthold Ephraim Lessing 1766 einen menschlichen Sprachursprung auf der Basis der Imitation und der onomatopoiesis an. Lessing übernahm die physei-These von Piatons Kratylos, nach der eine Ähnlichkeitsrelation zwischen den Wörtern und Dingen besteht. Ähnlich wie Charles de Brosses, dessen Traité de la formation méchanique des langues 1765 erschienen war, erachtete Lessing onomatopoetische Wörter als Relikte der Sprachgenese. Lessing betont in diesem Zusammenhang auch die expressive Kraft onomatopoetischer Wortbildungen, die in allen Sprachen zum Ausdruck der Leidenschaften verwandt würden. Ähnlich wie Rousseau im Essai sur l'origine des langues (vgl. Kapitel 3.6.) konstatiert Lessing einen Verlust an Authentizität und Natürlichkeit, den die Sprachen im Zuge der Institutionalisierung arbiträrer Zeichen erleiden müssen (vgl. Borst 1995: Bd. III/2, 1496).

1.4.5. Johann David Michaelis (1717-1791) Eine besondere Bedeutung für die Sprachursprungsdiskussion kommt dem Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis zu, der auch auf die Berliner Preisfrage in sehr unmittelbarer Weise Einfluß nahm: In seiner 1759 ausgezeichneten Preisschrift über den Einfluß der Meinungen eines Volkes in die Sprache und der Sprache in die Meinungen eines Volkes hatte Michaelis nämlich selbst der Berliner Akademie die Stellung der Sprachursprungsfrage nahegelegt (vgl. die Kapitel 2.1.3. und 4.2.). Da Michaelis im weiteren Verlaufe unserer Arbeit noch eingehend behandelt werden wird (vgl. insbesondere das ihm gewidmete Kapitel 4.2.), verzichten wir an dieser Stelle auf eine weiterführende Darstellung.

1.5. Fazit In diesem einleitenden Kapitel haben wir versucht, einen kaleidoskopartigen Überblick über wichtige Stationen der Sprachursprungsproblematik zu liefern, die insbesondere für die Berliner Preisfrage relevant waren. Selbstverständlich fehlt in dieser Darstellung so mancher Gelehrte, der der jahrhundertealten Diskussion um den Sprachursprung wesentliche Impulse zu vermitteln wußte. Zudem wurde ein kühner zeitlicher Sprung von den Epikureern bis ins 17. Jahrhundert gewagt, der die dazwischenliegenden Entwicklungen als weniger bedeutend erscheinen ließ. Diese Entscheidung wurde jedoch im Sinne einer primären Konzentration auf die für die Berliner Diskussion un-

Fazit

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mittelbar relevanten Texte getroffen und möchte keineswegs eine Abwertung der kaum oder gänzlich unberücksichtigten Epochen und Entwicklungen der Sprachursprungsproblematik nahelegen. Unsere „Kurzporträts" wichtiger Repräsentanten der Sprachursprungsthematik bilden lediglich einen skizzenartigen Rahmen, der einzig der Kontextualisierung der Berliner Preisfrage dienen sollte, die im nächsten Kapitel eingehend zu behandeln sein wird. Unsere Ausführungen haben insbesondere die Bedeutung der epikureischen Tradition für die Entwicklung zentraler Sprachursprungstheorien etwa von Condillac und Rousseau verdeutlicht. Da diese Autoren für den Berliner Sprachursprungswettbewerb von herausragender Bedeutung waren, wurde die argumentative Tradition, in der ihre „ Schlüsseltheorien" zu situieren sind, prioritär behandelt. Demgegenüber wurden nur exemplarisch einzelne Vertreter der Theorie des göttlichen Sprachursprungs zitiert. Dies ergab sich einerseits aus der Aufgabenstellung der Berliner Preisfrage, die auf eine menschliche Spracherfindung abzielte. Andererseits werden wir im weiteren Verlaufe dieser Arbeit (v.a. in Kapitel 4.2.) verschiedentlich auf Argumentationen im Sinne eines göttlichen Sprachursprungs verweisen, wobei diese allerdings im Lichte der Kritik der Apologeten des menschlichen Sprachursprungs zu würdigen sein werden. Da einzig die Theorie des menschlichen Sprachursprungs den Weg für eine Anthropologie als Philosophie der Geschichte bahnen konnte, mußte die Theorie des göttlichen Sprachursprungs zugunsten des Menschen als Agens der Geschichte überwunden werden (vgl. Formigari 1972: 7). In diesem Zusammenhang stellt auch die Berliner Preisfrage eine besondere Herausforderung an die Gelehrten der damaligen Zeit dar.

II. Kapitel Institutionelle Grundlagen Die Frage nach dem Ursprung der Sprache im Kontext der Berliner Akademie 2.1. Institutionelle Grundlagen 2.1.1. Zu Tradition und Charakteristik der Berliner Akademie Die Preußische Sozietät der Wissenschaften unter Friedrich I. Im Jahre 1700 war unter dem Kurfürsten Friedrich III., dem späteren König Friedrich Wilhelm I. von Hohenzollern (1688-1740), auf das Betreiben keines Geringeren als Leibniz' in Berlin die Preußische Sozietät der Wissenschafien ins Leben gerufen worden. Die besondere Rolle des Universalgenies und Polyhistors Leibniz für die Gründung der Sozietät1, deren erster Präsident2 er wurde, wird ausgiebig von Adolf von Harnack (1851-1930), dem Historiographen der Berliner Akademie, gewürdigt,3 dessen umfangreiche Die Bezeichnung „Sozietät" wurde von Leibniz bewußt in Abgrenzung von der „Universität" gewählt, da diese zur damaligen Zeit gleichfalls als „Akademie" bezeichnet werden konnte (vgl. Grau 1988: 78). Im Gegensatz zur Universität, die, darin noch Trägerin ihres scholastischen Erbes, eine reine Stätte der Lehre war, bestand der Zweck der Akademie ausschließlich in der Forschung (vgl. A. Kraus, Vernunft und Geschichte 1963: 210). Dieses Amt sollten bis zum Tode Friedrichs II. in Würde nur noch der Hofjprediger Daniel Ernst Jablonski (1660-1741), der Freiherr Marquard Ludwig von Printzen (1675-1725) und der Mathematiker Maupertuis innehaben. Die Akademiepräsidenten Jakob Paul Gundling (1673-1731) und David Fassmann (16821744) werfen kein rühmliches Licht auf die junge Sozietät, da sie zugleich Hofnarren Friedrichs I. waren und nicht zuletzt um ihres exzessiven Lebenswandels willen der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Friedrich II. nahm nach dem Fortgang Maupertuis' schließlich selbst die Funktionen des Akademiepräsidenten wahr, nachdem er Jean Baptiste le Rond genannt d'Alembert (1717-1764) nicht dazu hatte bewegen können, dieses Amt zu übernehmen. Harnack rühmt Leibniz als den „Schöpfer der meisten Akademien des Continents" und als den „wirkliche[n] Stifter, das Haupt und die Seele" der Preußischen Akademie. Er zitiert auch ein Diktum Diderots, der über Leibniz gesagt

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Darstellung auch heute noch maßgeblich ist.4 Bei seinen Plänen für diese Akademiegründung konnte sich Leibniz bereits an den Vorbildern der 1662 gegründeten Londoner Royal Society und der Pariser Académie des Sciences orientieren, die in der Glanzzeit Ludwigs XIV. (1638-1715) entstand. Harnack sieht die Entstehung der Akademien, die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in großer Zahl vor allem in Frankreich, England und den Niederlanden aus dem Boden schössen, als Ausdruck eines neuen, durch Renaissance und Reformation vorbereiteten Geistes, der die Emanzipation vom scholastischen Dogma forderte und im Gegensatz zur Lehranstalt der Universität die Akademie als eine Stätte der Forschung konzipierte (vgl. Harnack 1901: 2/3). Wissenschaft sollte nicht länger „Lehre" oder „Curiosität", sondern methodisch betriebene Forschung sein, als deren Inbegriff mit dem Anbrach der Neuzeit die Naturwissenschaften gesehen wurden, denen allein sich die Londoner Royal Society und die Pariser Académie des Sciences verschrieben hatten. Hatte die Universität unter dem Einfluß des Aristotelismus Mitte des 17. Jahrhunderts den experimentierenden Naturwissenschaften noch skeptisch gegenübergestanden, so vollzog sich gegen Ende des Jahrhunderts unter dem Einfluß der Philosophie Bacons und des Newtonianismus ein Umschwung, der die Blütezeit der Mechanik und der Mathematik und das Privileg des Experimentes vor dem Axiom herbeiführte.5 Während aber die Royal Society und die Académie des Sciences sich ganz den Naturwissenschaften zugewandt hatten, forderte der Universalismus eines Leibniz eine Akademiegründung, in der naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Disziplinen unter einem Dach vereinigt werden sollten. Ausgehend von kühnen Zielvorstellungen, die etwa in der Devise theoria cum praxi ihren Ausdruck fanden, strebte Leibniz eine Symbiose von theorehaben soll: „Dieser Mann hat allein Deutschland so viel Ruhm gebracht, wie Plato, Aristoteles und Archimedes zusammen Griechenland" (vgl. Harnack 1901:

3). 4

5

Harnacks Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in drei Bänden aus dem Jahre 1900 (bzw. die komprimierte Fassung dieser Publikation in einem Bande aus dem Jahre 1901) ist immer noch das Standardwerk für die Darstellung der preußischen Akademiegeschichte, was die zahlreichen Referenzen neuerer und neuester Veröffentlichungen, die sich dieses Themas annehmen, deutlich dokumentieren. Auch unsere Darstellung der Berliner Akademiegeschichte basiert im Wesentlichen auf Harnack. Harnack schreibt über diese Blütezeit der Naturwissenschaften: „Mathematik wurde ein Evangelium - sie wurde sogar poetisch verklärt und drang in die höfische Bildung; adelige Frauen umgaben sich mit Mathematikern wie früher mit Sängern, und Maupertuis verglich die Thätigkeit des Mathematikers mit der des Dichters oder Redners; selbst Friedrich II. verherrlichte den 'Apollon newtonianisé'. Die mathematische Physik wurde das Centrum, ja der Inbegriff der Wissenschaft" (Harnack 1901: 5).

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tischer und praktischer Forschung an. Die Preußische Sozietät sollte zu einem Anziehungspunkt der europäischen Gelehrtenwelt werden und als erste deutsche Gründung zu ähnlichem Ruhm wie die genannten französischen und englischen Vorbilder gelangen. Leibniz' Universalismus trug die Aufteilung der Sozietät in vier verschiedene Klassen Rechnung. Seit 1710 gliederte sie sich in die vier folgenden Klassen: „1. Physica incl. Medicin, Chemie usw.; 2. Mathematica incl. Astronomie und Mechanik; 3. Ausarbeitung der deutschen Sprache und 4. Litteratur, insonderheit orientalis" (vgl. H.-H. Müller 1975: 30/31). Das besondere Interesse gerade an orientalischen Sprachen ist vermutlich als Ergebnis der traditionellen Auffassung, das Hebräische als Sprache der Bibel sei die verlorengegangene Ursprache selbst oder stünde ihr unter allen bekannten Sprachen am nächsten, zu interpretieren (vgl. in diesem Sinne auch Neis 1999: 140). Obwohl Leibniz selbst sich gegen die Vorstellung des Hebräischen als Ursprache wehrte6 (vgl. Heinekamp 1976: 538 und Gensini 1991: 63), räumte er jedoch ein, daß im Hebräischen ebenso wie in den anderen Sprachen Relikte der Ursprache erhalten geblieben seien. Die Erforschung des Hebräischen und seiner Wurzelwörter und Etymologien konnte somit einen wertvollen Beitrag für Leibniz' Bemühungen um eine Universalsprache leisten (vgl. Heinekamp 1976: 538/539). Von seinem Projekt einer characteristica universalis versprach sich Leibniz gerade eine für die wissenschaftliche Kommunikation besonders erstrebenswerte größere Eindeutigkeit der Bezeichnungen im Vergleich zur traditionellen lateinischen Gelehrtensprache. Leibniz' Idee einer characteristica universalis dokumentiert einmal mehr seine universalistische Denkweise, die er auch auf institutioneller Ebene in der Preußischen Sozietät der Wissenschaften verwirklicht sehen wollte. Allein die Durchsetzung des universalistischen Postulats gestaltete sich schwierig, denn Leibniz' Akademiegründung stand zunächst unter keinem günstigen Stern, da sie sich in der absolutistischen und militaristischen Gesellschaftsordnung Preußens einem gewaltigen Hindernis gegenüber sah. Der König Friedrich Wilhelm I. verachtete die Wissenschaften und ließ seine Akademie verkommen bis sie schließlich zur Bedeutungslosigkeit hinabsank (vgl. H.-H. Müller 1975: 31). In der Tat erachtete der roi sergeant Leibniz als einen unbrauchbaren Kerl, der nicht einmal zum Schildwache stehen tauge und gefiel sich darin, die „unwürdigen Diener der Wissenschaft" höchst-

6

Im Juli 1697 schreibt Leibniz an Wilhelm Ernst Tenzel (1659-1707): „Linguam Hebraicam primigeniam dicere idem est ac dicere truncos arbonim esse primigenios, seu regionem dari, ubi tninci pro arboribus nascantur. Talia fìngi possunt, sed non conveniunt legibus naturae et harmoniae rerum, id est, sapientiae divinae" (zit. nach Heinekamp 1976: 538).

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persönlich mit Stockhieben und Peitschenschlägen zu peinigen.7 In den hochfliegenden Plänen eines Leibniz vermochte dieser ungeschlachte Despot, der die Akademie als „Windmacherei" abzutun pflegte, keinerlei Sinn für seine militärischen Expeditionen zu erkennen. So erscheint es nicht verwunderlich, daß er den Niedergang dieser Institution, aus deren Etat er z.B. auch die Hofnarren bezahlen ließ, billigend in Kauf nahm.8 Die Entstehung der 'Académie Royale des sciences et belles-lettres' und ihre besondere Spezifik Unter der Regentschaft Friedrichs Π. (1712-1786) wandelte sich die Szenerie gänzlich. Der militaristischen Borniertheit seines Vaters setzt der vielseitige und feinsinnige Friedrich Π. literarische und künstlerische Ambitionen entgegen, versammelt eine Vielzahl französischer und deutscher Gelehrter und Schöngeister zu seiner Tafelrunde in Sanssouci, darunter Jean-Baptiste de Boyer, marquis d'Argens (1704-1771), den materialistisch-atheistischen Arzt La Mettrie, den eloquenten Francesco Algarotti (1712-1764), den von ihm zum Akademiepräsidenten berufenen Mathematiker und Biologen Maupertuis und natürlich Voltaire (1694-1778), der Maupertuis sein hohes Amt neidete und mit Hilfe boshafter Intrigen usurpieren wollte. Friedrich II. dilettiert selbst im Reich der Kunst, komponiert Flötensonaten, schreibt holprige Poetische Saitensprünge9, pflegt die literarisch-geistreiche Konversation mit Voltaire und läßt sich von seinem Leibarzt La Mettrie vorlesen. All dieser Schöngeisterei zum Trotz bleibt der sich mit dem Nimbus des „aufgeklärten Die Verachtung des Soldatenkönigs für seine Akademiker wird von H.-H. Müller in seinem aufschlußreichen Werk Akademie und Wirtschaft im 18. Jahrhundert eingehend beschrieben (H.-H. Müller 1975: 31). Eine detaillierte, anekdotenreiche Darstellung über zu Hofnarren degradierte Akademiemitglieder und trunkene Professoren findet sich auf der Basis von Harnacks Werk in Herbert Meschkowskis Beschreibung des Berliner Geisteslebens von 1700-1810 (Vgl. Meschkowski 1986: 43-63). Im einleitenden Vorwort seiner Poetischen Saitensprünge, die den Freunden seiner Tafelrunde zugedacht sind, schreibt Friedrich: Meine Muse, ganz teutonisch, Wunderlich und oft ironisch, die ein grob und eigenartig Schandfranzösisch radebrecht, Nennt die Dinge schlecht und recht, Pfeift auf alle Gleichmaßregeln welscher Meistersingerei, Fühlt vom Zwang der Wortewäger, aller Peinlichkeit sich frei, Wenn ihr Wort nur deutlich macht, Was sie will und sich gedacht! (Poetische Saitensprünge. Gedichte von Friedrich II. von Preussen. 1990: 7/8)

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Absolutismus" umgebende König letztendlich ein wahrer Sohn Preußens. Trotz aller aufklärerischen Errungenschaften wie Religionstoleranz, Abschaffung der Folter und Verbesserungen im Justizwesen praktiziert auch Friedrich Π. einen militärischen Despotismus, gerät ihm sein „aufgeklärter Absolutismus" zur Sublimation höchster fürstlicher Macht. Dieser Zwiespalt des zwischen aufklärerischen Grundtendenzen und absolutistischem Machtwillen oszillierenden Königs kommt auch in seiner Neuschöpfung, der von ihm zu neuem Leben erweckten Berliner Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres zum Tragen. Inspiriert durch das Vorbild der Pariser Akademie und der Londoner Royal Society möchte auch Friedrich II. 1744 durch die Restauration der ehemaligen Preußischen Sozietät in seinem Herrschaftsgebiet ein neues Zentrum geistiger Tätigkeit errichten. Unglücklicherweise paart sich jedoch der Wunsch, durch wissenschaftliche Errungenschaften im intellektuellen Kräftemessen der europäischen Nationen und Kleinstaaten zu Ruhm zu gelangen, mit einer tiefen Abneigung gegenüber dem deutschen Geistesleben, die in Friedrichs De la littérature allemande unverhohlen zum Ausdruck kommt. Das Deutsche gilt Friedrich als eine verwirrte und nur schwer zu bearbeitende Sprache, die wenig Wohllaut habe und arm an Metaphern sei, welche jedoch für die Anmut ausgebildeter Sprachen unverzichtbar wären.10 Seine Abneigung gegenüber der deutschen Sprache spiegelt sich auch in der stark französisch geprägten Zusammensetzung seiner Akademie wider, zu deren Präsidenten er Maupertuis ernennt, den er aufgrund von dessen Lungenleiden später am liebsten durch d'Alembert ersetzen wollte. Die gesamte personelle Zusammensetzung der Akademie unterstreicht Friedrichs Frankophilie, da die Akademie zu einem wesentlichen Teil aus Hugenotten, Franzosen und Schweizern bestand. Waren zuvor sowohl das Lateinische als auch das Deutsche neben dem Französischen als Sprachen für die Redaktion der Mémoires und Akademieakten zugelassen worden, so beförderte die Berufung Maupertuis' zum Akademiepräsidenten nunmehr die Orientierung am Modell der Pariser Akademienlandschaft und den Primat des Französischen. Maupertuis war der deutschen Sprache nicht mächtig. So mußte der Sekretär der Akademie, Formey, sämtliche deutschen und lateinischen Arbeiten ins Französische übersetzen (vgl. Harnack 1901: 223/224). Auch die von Friedrich eigenhändig redigierten Statuten der Akademie wurden in französischer Sprache abgefaßt. Darüberhinaus verfügte der König, daß die jährlichen Abhandlungen der Mitglieder der vier verschiedenen Klas-

10

Vgl. H. Steinmetz (Hrsg.): Friedrich II., König von Preußen, und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts. Texte und Dokumente 1985: 73.

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sen der Akademie in Französisch zu redigieren seien,11 wie es überhaupt begrüßt wurde, wenn Vorträge in französischer Sprache gehalten wurden. Bedingt durch die frankophone und frankophile Orientierung wurde der von Leibniz aufgegebene Zweck der Pflege der deutschen Sprache fallengelassen (vgl. Harnack 1901: 231). Harnack lehnt es jedoch ab, Friedrich II. deswegen zu inkulpieren, da die Privilegierung des Französischen als Ausdruck der kosmopolitischen Prägung der Berliner Akademie zu bewerten und von daher eher zu begrüßen sei (vgl. Harnack 1901: 231). In der Tat kann dieser Argumentation ihre Plausibilität nicht abgesprochen werden, da das Französische im 18. Jahrhundert dem Lateinischen seinen Rang als Gelehrtensprache abgelaufen hatte und außerdem zur Sprache der europäischen Königs- und Fürstenhöfe wurde. Das Lateinische als ehemalige Gelehrtensprache mußte an der Berliner Akademie nicht zuletzt deshalb gegenüber dem Französischen zurücktreten, weil der König des Lateinischen nicht mächtig war,12 aber die Abhandlungen seiner Akademie zu lesen wünschte. Mit dem Primat des Französischen ging auch der Sieg der 1743 vom Generalfeldmarschall Samuel Graf von Schmettau (1684-1751) gegründeten Société Littéraire gegenüber den bisher weitgehend unproduktiven Mitgliedern der dahinsiechenden Preußischen Sozietät einher. Die alte Akademie, die Preußische Sozietät, die ja vom Geiste der leibniz-wolffischen Philosophie geprägt war, wurde schließlich mit der literarischen Gesellschaft von Schmettaus zur friderizianischen Akademie verschmolzen, der Friedrich und von Schmettaus Sozietät ein französisches Gepräge verliehen.13 Mit der Berufung Maupertuis' an die Spitze der Akademie sowie einer Vielzahl französischer Mitglieder (z.B. dem Akademiesekretär Formey, Louis Isaac de BeauZwar durften Vorträge in deutscher oder lateinischer Sprache gehalten werden, aber die gedruckten Abhandlungen mußten in Französisch publiziert werden (vgl. Harnack 1901: 237). Meschkowski verweist in seiner zwar eher anekdotischen, aber durchaus informativen Darstellung des Berliner Geisteslebens darauf, daß der väterliche Bildungsplan Friedrichs I. die Erlernung der lateinischen Sprache überhaupt nicht vorsah. So schreibt Friedrich I. darüber lakonisch: „Was die lateinische Sprache anlanget, so soll mein Sohn sie nicht lernen" (Meschkowski 1986: 65). Obwohl sein Vater die lateinische Sprache als unnötigen Ballast für einen preußischen König abqualifiziert hatte, hat Friedrich sich aber gerade im Zuge seiner moralphilosophischen Interessen, welche in seiner zweiten Lebenshälfte sein Denken stark beeinflußten, intensiv mit den antiken Autoren, darunter insbesondere mit den Epikureern und seinem Vorbild Marcus Aurelius (erwähnt 161-180) auseinandergesetzt. Allerdings las er die klassischen Texte in Übersetzung. Auf die näheren Umstände der Vereinigung beider Sozietäten können wir in diesem Rahmen nicht eingehen und verweisen daher auf die ausführliche Darstellung bei Harnack (vgl. Harnack 1901: 197-217).

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sobre (1730-1783), D'Argens und La Mettrie) ergab sich eine innere Spaltung der Akademiemitglieder, die bald für die leibnizsche, bald für die newtonianische Orientierung, wie sie Maupertuis repräsentierte, eintraten. Dieser Gegensatz wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Auswahl philosophischer Preisaufgaben und der sich daran anschließenden Diskussionen um die Preisverleihung deutlich, die auf eine Kritik der Leibnizschen Monadenlehre oder der Theodizee hinausliefen.14 In der Tat erlebte die Philosophie unter der Herrschaft Friedrichs II. einen bemerkenswerten Aufschwung, der sich auch in ihrer, für Europa damals einmaligen institutionellen Verankerung im Rahmen der friderizianischen Akademiegründung niederschlug. Neben den drei verschiedenen Klassen der Mathematik, der Naturwissenschaften und der Philologie, welche die belleslettres und Geschichte vereinte, hatte der König nämlich eigens eine Klasse für spekulative Philosophie einrichten lassen und damit der Berliner Akademie ein Novum geschaffen, das an keiner anderen europäischen Akademie zu dieser Zeit existierte. Harnack verweist darauf, daß über einen Zeitraum von fast fünfzig Jahren nur die Berliner Akademie eine Klasse für spekulative Philosophie besessen hätte und daß die Berliner Akademiker hierin in gewisser Weise Leibnizens Universalitätspostulat verwirklicht sahen, da ihre Institution im Gegensatz etwa zur Pariser Akademie die Grundfragen und Grundprinzipien der Wissenschaft zu ergründen versuchte (vgl. Harnack 1901: 236/237). Zudem sahen sie durch die Errichtung dieser Klasse die Möglichkeit, als freie Denker freimütig über die verschiedensten Themenbereiche der Philosophie sprechen zu dürfen - eine Möglichkeit, die an anderen Akademien offenbar nicht gegeben schien und die die Attraktivität Berlins als Refugium für freidenkerische Intellektuelle wie etwa La Mettrie mitbegründete. Eine eigene Klasse für spekulative Philosophie schuf Freiräume, die zur Zeit Die im Jahr 1747 aufgegebene Preisaufgabe, die auf eine Kritik der Monadenlehre abzielte, wurde von dem Advokaten Johann Heinrich Gottlob von Justi (17201771) aus Sangerhausen erfolgreich beantwortet, der gegen die Konzeption von Leibniz polemisierte. Auch die für das Jahr 1751 aufgegebene Preisfrage nach den Pflichten, die uns die glücklichen und unglücklichen Begebenheiten der Welt auftragen, zielte eindeutig auf die moralphilosophischen Konsequenzen einer deterministischen oder nichtdeterministischen Philosophie ab und verlangte somit eine gesellschaftstheoretische Fundierung von Leibniz' Weltbild (vgl. Buschmann 1989: 186). Die Diskussion um die leibniz-wolffische Philosophie wurde auch anhand der Preisfrage für das Jahr 1755 fortgesetzt, die auf eine Prüfung des Popeschen Systems, das sich in den Worten Alles ist gut ausdrücke, abzielte. Obwohl hier der Name Pope genannt ist, war deutlich, daß hier die Parallele zu Leibniz' Optimismus gezogen werden sollte. Diese Problemstellung sollte bei Lessing und Mendelssohn, die im Jahre der Preisverleihung eine eigene Abhandlung mit dem Titel Pope, ein Metaphysiker veröffentlichten, auf die allerentschiedenste Kritik stoßen.

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eines Leibniz* unter dem verständnislosen Friedrich I. noch undenkbar schienen. Während im Sinne von Leibniz die Philosophie noch von allen vier verschiedenen Klassen zu betreiben war, wünschte Friedrich ihre Konzentration in der classe de philosophie spéculative, die sich ihrerseits in die Disziplinen der Metaphysik, Moral, des Jus naturae sowie die Historie und Critic der Philosophie untergliederte (Harnack 1900: Bd II, 264)15 Der Klasse für spekulative Philosophie gilt unsere besondere Aufmerksamkeit nicht zuletzt deshalb, weil sie es war, die die Frage nach dem Ursprung der Sprache im Jahre 1769 aufgab und nicht etwa die Klasse der Philologie, mit deren Bearbeitungsgebieten Histoire, Antiquités und Alte Sprachen das Thema ja durchaus auch vereinbar gewesen wäre. Angesichts des durch die Arbeiten von Locke und Newton postulierten und im 18. Jahrhundert stetig fortschreitenden Empirismus erscheint es bemerkenswert, daß in Preußen der spekulativen Philosophie an einer derart exponierten Stelle ein solch beträchtliches Entfaltungsspektrum gewährt wurde. Bedenkt man den seit Ende des 17. Jahrhunderts unaufhaltsam voranschreitenden Aufstieg des naturwissenschaftlichen Experiments und der - durch den Geist Bacons fixierten - Konzentration auf die Induktion als Methode des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns im Gegensatz zu den deduktiven Verfahrensweisen cartesianischer a-prioretischer Axiome, so mag eine Akzentuierung der spekulativen Philosophie zunächst vielleicht etwas befremdlich wirken. Das besondere Interesse gerade an der spekulativen Philosophie wird allerdings verständlich, wenn man sich das vor allem im 18. Jahrhundert stark ausgeprägte Bedürfnis nach der Erkenntnis des Wesens des Menschen und die besondere Vorliebe für das Postulat anthropologischer Konstanten vergegenwärtigt. Das Wesen des Menschen soll durch dessen Hineinsetzung in hypothetisch konstruierte Situationen untersucht werden, um auf diese Weise zu anthropologischen Universalien vordringen zu können. Gerade die Preisfrage nach dem Ursprung der Sprache ist ein Paradigma für eine solche hypothetische Rekonstruktion, die versucht, einen historisch nicht mehr einholbaren Nullpunkt der Menschheitsentwicklung zu imaginieren und dabei zu untersuchen, welche universellen anthropologischen Grundcharakteristika dem Menschen als „genetisches Grundprogramm" vorgegeben sind. Von dieser Erkenntnis erhoffte man sich im „pädagogischen Jahrhundert" nicht zuletzt auch neue Einsichten in die Möglichkeiten und Grenzen des Lernens. Ein Widerspruch zwischen einer philosophischen Spekulation dieser Ausprägung einerseits und der streng experimentell und faktologisch orientierten Konzeption des Empirismus andererseits besteht jedoch nur scheinbar: Die argumentative Vorgehensweise, die etwa die verschiedenen Teilnehmer der Sprachursprungsfrage verwenden, läßt sich nämlich als ein hypothetischer EmDie Statuten sind zwar in französischer Sprache von Friedrich II. persönlich abgefaßt worden, aber Harnack zitiert sie in der deutschen Übersetzung.

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pirismus16 charakterisieren, der im Bewußtsein der Unerreichbarkeit eines „prä-historischen" Zustande der Geschichte diesen spekulativen Zustand mit Hilfe des „Gedankenexperimentes" zu erreichen versucht, für welches methodologische Vorgaben gesetzt werden, die sich an der empirischen Vorgehensweise orientieren und dem Erkenntnisstand einer empiristisch orientierten Methodologie durchaus entsprechen. Allerdings verweist Maupertuis in seiner Eigenschaft als Akademiepräsident und Repräsentant der exakten Naturwissenschaften darauf, daß die spekulative Philosophie trotz Anwendung derselben Methode wie die mathematischen Wissenschaften niemals zu einer vergleichbaren Exaktheit und Gewißheit ihrer Aussagen vordringen könne. Zwar gelange die philosophische Spekulation durch Untersuchung unkörperlicher Gegenstände zu interessanten, aber doch keineswegs zu empirisch verifizierbaren und faktisch abgesicherten Ergebnissen. Maupertuis schreibt in diesem Zusammenhang: La classe de philosophie spéculative est la troisième. La philosophie expérimentale avait examiné les corps tels qu'ils sont; revêtus de toutes leurs propriétés sensibles. La mathématique les avait dépouillés de la plus grande partie de ces propriétés. La philosophie spéculative considère des objets qui n'ont plus aucune propriété des corps [fett von C. N.]. L'Etre suprême, l'esprit humain, et tout ce qui appartient à l'esprit est l'objet de cette science. La nature des corps mêmes, en tant que rprésentés [sic] par nos perceptions, si encore ils sont autre chose que ces perceptions, est de son ressort. Mais c'est une remarque fatale, et que nous ne saurions nous empêcher de faire: Que, plus les objets sont intéressants pour nous, plus sont difficiles et incertaines les connaissances que nous pouvons en acquérir! Nous serons exposés à bien des erreurs, et à des erreurs bien dangereuses, si nous n'usons de la plus grande circonspection dans cette science qui considère les esprits. Gardonsnous de croire qu'en y employant la même méthode ou les mêmes mots qu'aux sciences mathématiques, on y parvienne à la même certitude. [...] Tout est permis au philosophe, pourvu qu'il traite tout avec l'esprit philosophique, c'est-à-dire, avec cet esprit qui mesure les différents degrés d'assentiment: qui distingue l'évidence, la probabilité, le doute... [fett von C.N.] (Maupertuis zit. nach Harnack 1901: 235/236) Maupertuis' Stellungnahme bezeugt deutlich, daß er die Möglichkeiten der spekulativen Philosophie im Vergleich zu den exakten Wissenschaften zwar für begrenzt hält, daß er aber dasselbe methodische Instrumentarium auch in 16

Diese Bezeichnung wurde von G. Häßler geprägt (vgl. Häßler „Diversity of human languages and universals of thought: An eighteenth-century debate in the Berlin Academy". History of Linguistics 1996. Vol. 2: From Classical to Contemporary Linguistics. Selected Papers from the Seventh International Conference on the History of the Language Sciences (ICHOLS VII) Oxford, 12-17 September 1996. Hrsg.v. David Cram, Andrew Linn & Elke Nowak. Amsterdam: Benjamins, 163-174.)

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der Philosophie für anwendbar erachtet, wenngleich eine vergleichbare Exaktheit der Aussagen hier unerreichbar bleibt. Ein prominentes Modell für hypothetische Gedankenexperimente konnten die Teilnehmer an der Berliner Sprachursprungsfrage in Rousseaus Discours de l'inégalité vorfinden, in dem die Spekulation keineswegs als purer Selbstzweck oder als artifizielles Gedankenspiel auftritt, sondern als eine Methode der Plausibilisierung gesellschaftlicher Mißstände, indem durch den Vergleich eines hypothetisch gesetzten Naturzustandes mit einer als korrupt empfundenen zivilisatorischen Gegenwart deren Defizite an den Pranger gestellt werden.17 Mit der Einrichtung einer eigenen Klasse für spekulative Philosophie kam Friedrich somit neben seiner persönlichen Vorliebe auch einem durchaus lebhaften Interesse der Gelehrtenwelt entgegen, wie die umfangreiche Anzahl von 31 Einsendungen auf die Preisaufgabe zum Sprachursprung dokumentiert. Während die classe de philosophie spéculative bei Friedrich II. in hohem Ansehen stand18 und auch die schöne Literatur, welche ja als Disziplin in der Klasse der Philologie mitabgedeckt wurde, von ihm besonders geschätzt wurde, führte die Geschichtsforschung in Berlin ein marginales Dasein. Während die Geschichtsforschung an der Münchener Churbayerischen Akademie und an der Kurpfälzischen Akademie zu Mannheim dank rigorosen Quellenstudiums und strengen methodischen Anforderungen aufblühte,19 blieb sie in Berlin und Göttingen der Tradition der Barock-Historiographie treu, da die jeweils zuständigen Klassen bis 1774 bzw. 1768 ausschließlich Preisfragen zur Geschichte des eigenen Staates aufgaben. Es ist bemerkenswert, daß unter den vier zur Zeit Friedrichs II. entstandenen Klassen der Berliner Akademie keine eigene historische Klasse existierte. Geschichte führte

Auf die herausragende Bedeutung dieses zentralen Referenztextes der Berliner Preisfrage werden wir in Kapitel 3.6. noch näher eingehen. In der Amtszeit Friedrichs II. wurde eine Vielzahl philosophischer Preisaufgaben gestellt, von denen der Artikel von Cornelia Buschmann über „Die philosophischen Preisfragen und Preisschriften der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert" insgesamt 16 erwähnt. Vgl. die tabellarische Übersicht am Ende des Artikels (Förster 1989: 228). Die methodische Rigorosität des historischen Quellenstudiums, welches seitens der Mannheimer Akademie auch von den Teilnehmern an historischen Preisfragen eingefordert wurde, wird von Andreas Kraus in seiner aufschlußreichen Monographie Vernunft und Geschichte besonders hervorgehoben (vgl. A. Kraus 1963: 212/213). Im Gegensatz zu den Akademien zu Berlin und Göttingen sei man hier nicht der Mode der Zeit erlegen gewesen, in hagiographischer Manier dem jeweiligen Landesfürsten für dessen politische Verdienste zu huldigen und Elogen und Apologien an die Stelle exakter Materialaushebungen zu setzen.

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hier ein Marginaldasein20 und blieb auf die hagiographische Würdigung der Verdienste des preußischen Monarchen und auf das Lob Brandenburgs beschränkt. Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, daß Friedrich II. es verstand, akademische Interessen und Ambitionen mit absolutistischen und hegemonialen Machtansprüchen geschickt zu verknüpfen. Entgegen der Devise theoria cum praxi, die für Leibniz' universalistische Konzeption der Berliner Akademie so zentral gewesen war, zeigte sich Friedrich II. bemüht, die Arbeit seiner Akademie fernab aller staatlichen Interessen vonstattengehen zu lassen. Politik und Wissenschaft wurden streng voneinander getrennt; die Akademie führte fernab vom politischen Tagesgeschehen ein Elfenbeinturmdasein. Dieser Kontrast zwischen dem hohen Ansehen einerseits, in dem die friderizianische Neugründung stand und ihrer politischen Machtlosigkeit andererseits, ist von Adolf Harnack gebührend herausgestrichen worden in dem Bemühen, die Grenzen der Aufgeklärtheit des preußischen Monarchen zu demonstrieren: Immer wieder machte der König selbst darauf aufmerksam, daß die Aufgaben der Akademie und der Staatsverwaltung streng getrennt gehalten werden müßten, und wachte eifrig darüber, daß sie nicht vermischt wurden. Seine Akademiker sollten sich um die Wissenschaft, nicht um den Staat kümmern. Sie haben die reine Wahrheit zu erforschen und auf allen Linien die Ideale vorzuzeichnen. Sache der Staatsmänner ist es, diese Wahrheit nach und nach in das öffenüiche Leben einzuführen und zu verwirklichen. Niemals sind bei einem Könige die Männer der Wissenschaft so angesehen und zugleich so einflußlos auf die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten gewesen wie unter Friedrich. (Harnack 1900: Bd.l, 307)

Die relative Distanz der Berliner Akademie zum politischen und ökonomischen Alltagsgeschehen wird besonders sinnfällig, wenn man die Preisaufgaben, die in der historisch-philologischen Klasse unter der Regierungszeit Friedrichs gestellt wurden, mit denjenigen der Göttinger Akademie vergleicht. Wir zitieren exemplarisch einige Preisaufgaben der Berliner Akademie:

20

*1752:

In welcher Zeit sind die deutschen Völker wieder in den Besitz der Marken gelangt?

*1758:

Über das Münzrecht im Allgemeinen und über das altbrandenburgische Münzwesen im Besonderen

•1760:

Eine historische Geographie der Mark Brandenburg

•1764:

Wann hat die Oberherrschaft der griechischen Kaiser über Rom vollständig aufgehört?

Andreas Kraus schreibt im Hinblick auf die Rolle der Berliner Akademie für die Geschichtsforschung des 18. Jahrhunderts: „Im 18. Jahrhundert hat die Berliner Akademie die deutsche Geschichtsforschung nicht befruchtet" (Kraus 1963: 240).

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Quelle a été l'influence du Gouvernement sur les lettres chez les Nations où elles ont fleuri? Et quelle a été l'influence des Lettres sur le Gouvernement?2'

Die „Entrücktheit" der Berliner Akademie vom politisch-ökonomischen Alltagsgeschehen wird überdeutlich, wenn man die hier genannten Preisfragen mit den Aufgaben der historischen Klasse in Göttingen vergleicht. In seiner Untersuchung über die Geschichtswissenschaft an den deutschen Akademien hat Andreas Kraus den Hang der Göttingischen historischen Klasse zum Pragmatismus besonders hervorgehoben. Typisch für die Göttinger Sozietät sei ein extremer Utilitarismus, der auch bei Preisfragen zu geisteswissenschaftlichen Problemstellungen deutlich hervortrete.22 Wie sehr die Göttinger Preisfragen auf dem Boden eines „pragmatischen Kausalitätsfanatismus" (Kraus 1963: 245) und eines utilitaristischen Eudämonismus standen, sei anhand einiger Preisaufgaben dokumentiert. Die Spuren des Utilitarismus und Merkantilismus sind hier unverkennbar: •Für 1765: Wie weit läßt sich der Handel der alten und mittleren Zeiten, über das caspische und schwarze Meer, nach Europa erläutern? •Für 1777: Was für Folgen haben die Kreuzzüge für die Fabriken, die Manufakturen und die Handlung in Deutschland gehabt? •Für 1780/83: Wie waren die Bergwerke bey den Alten eigentlich beschaffen und eingerichtet? Und läßt sich nicht nach angestelleter Vergleichung derselben mit den unsrigen, zum Vortheil des Bergbaues und der Hüttenwerke, irgend etwas von den Alten lernen ? •Für 1807: Wie war die Beschaffenheit und der Umfang des Handels von Constantinopel zur Zeit der Kreuzzüge, sowohl vor als nach der Eroberung durch die Franken? (vgl. Andreas Kraus 1963: 243) Mit dem Versuch, Preisaufgaben zu stellen, um Ansätze zur praktischen Lösung von Gegenwartsaufgaben zu erhalten, ist allerdings ein eher mißbräuchlicher Zweck akademischer Preisfragen angesprochen, der an dieser Stelle thematisiert werden mußte, um den starken Pragmatismus der Göttingischen Sozietät im Vergleich zur bewußt von der politisch-ökonomischen Alltagssituation abgeschnittenen Berliner Akademie herauszuarbeiten. Eine wesentlich Eine Auflistung der verschiedenen Preisfragen der Berliner Akademie ist in den Karteien des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften einsehbar sowie in Harnack 1900: Bd 11,1, 305ff. Andreas Kraus schreibt über den starken Hang zum Pragmatismus, der in den Göttinger Preisfragen zum Ausdruck kam: „[...] der 'Grundzug praktischer Nüchternheit' (Smend) an der Akademie war jedenfalls stärker als die Geschichtsbegeisterung, stärker auch als der Humanismus eines Michaelis und Heyne; er überwog bei der Stellung der Preisaufgaben bei weitem...Der Wissenschaftsbegriff war in Göttingen so utilitaristisch wie nur irgendwo in dieser Zeit [fett von C. N.]" (A. Kraus 1963: 242).

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engere Verflechtung zwischen Akademien und staatlichen Interessen läßt sich auch für die Londoner und Pariser Akademien konstatieren, wobei im Falle Frankreichs sicherlich der Merkantilismus eines Jean-Baptiste Colbert (16191683) zur Sicherung der absolutistischen Zentralgewalt Ludwigs XIV. eine entscheidende Rolle für die engere Zusammenarbeit zwischen Akademien und Staat gespielt haben mag.23

2.1.2. Die akademische Preisfrage als Königsweg des Erkenntnisgewinns Nachdem im Zuge unserer Diskussion der institutionellen Spezifik der Berliner Akademie bereits einige Beispiele für historisch orientierte Preisaufgaben angeführt worden sind, ist es nunmehr an der Zeit, nach dem Wesen und Nutzen einer Preisfrage schlechthin zu fragen, bevor die sprachtheoretischen Preisaufgaben der Berliner Akademie selbst besprochen werden sollen. Aus den bisherigen Ausführungen ging hervor, daß sich das 18. Jahrhundert mit Fug und Recht als „das Zeitalter der Akademien" (H.-H. Müller 1975: 8) bezeichnen läßt. Eine Vielzahl europäischer Akademien wurde im 18. Jahrhundert gegründet und erlangte besondere Berühmtheit: Neben der Berliner Akademie wurde 1700 auch die Akademie von Lyon gegründet; es folgten u.a. die Akademien von Bologna (1712), Madrid (1713), Petersburg (1724), Dijon (1725), Göttingen (1751) und München (1759) (vgl. H.-H. Müller 1975: 41). Ein wichtiger Gradmesser für die Bedeutung einer Akademie und ein Ausweis ihrer Vitalität waren zweifelsohne die Preisaufgaben, die im 18. Jahrhundert ebenso wie die Institution der Akademien selbst ihre Blütezeit erlebten. Wie läßt sich überhaupt eine Preisfrage definieren? Welches war der Zweck der Preisaufgaben? Wer schrieb die Preisfragen aus? Wie nahm das gelehrte Publikum von ihnen Kenntnis? Wie lief das Preisschriftenverfahren ab? Und warum sind gerade die Preisfragen ein besonderer Ausweis der Blüte der akademischen Kultur des 18. Jahrhunderts? Dies sind die Fragen, die uns im folgenden interessieren werden. Was ist eine Preisfrage? In der damals überaus verbreiteten und geschätzten Ökonomisch-technischen Encyklopädie von Georg Krünitz wird Preisfrage definiert als eine von einer Akademie, gelehrten Gesellschaft, oder sonst jemand aufgegebene schwer zu lösende, mehrenteils einen wissenschaftlichen Gegenstand betreffende Frage, für deren beste Beantwortung irgendein Preis ausgesetzt wird, um desto mehr Mitbewerber zur Beantwortung aufzumuntern. (Georg Krünitz 1811: Bd. 117, 183f.) Über die stärkere Verwobenheit zwischen Akademien und staatlichen Interessen in England und Frankreich berichtet H.-H. Müller 1975: 33.

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Schon jetzt sei darauf hingewiesen, daß die Bezeichnung Preisfrage „heute in keinem modernen Nachschlagewerk mehr zu finden ist" (H.-H. Müller 1975: 48). Müller sah dieses Faktum 1975 als „ein Zeichen dafür, daß Preisfragen im gesellschaftlichen, ökonomischen und wissenschaftlichen Leben kaum mehr eine Rolle spielen" (H.-H. Müller 1975: 48). Mit einem gewissen zeitlichen Abstand können wir dem inzwischen entgegenhalten, daß in allerjüngster Zeit im Rahmen eines weltweit ausgeschriebenen Preisschriftenwettbewerbes der Versuch einer Wiederbelebung dieser Tradition trotz der Punktualität des Verfahrens in überzeugender Weise gelungen ist. Im November 1997 schrieb die Kulturzeitschrift Lettre International in Kooperation mit Weimar 1999. Kulturstadt Europas in bewußter Anlehnung an die europäische Preisfragentradition einen Essay-Wettbewerb aus. Die Preisfrage Die Zukunft von der Vergangenheit befreien? Die Vergangenheit von der Zukunft befreien? wurde weltweit ausgeschrieben und provozierte eine erstaunliche Resonanz. Es trafen insgesamt 2.481 Essays aus 123 Ländern ein (vgl. Lettre International Heft 47 IV. Vj./99 Editorial). Diese Tatsache zeigt, daß das Verfahren des Preisschriftenwettbewerbs, obgleich fest in der Tradition der europäischen Aufklärung verankert, als solches selbst im Zeitalter der Globalisierung eine breite Anhängerschaft zu finden imstande war, was für die inspiratorische und stimulierende Kraft der Preisfragenidee und für eine Zeiten überdauernde Tragfähigkeit dieser Konzeption spricht. Zu Recht jedoch klassifiziert H.-H. Müller das 18. Jahrhundert als „ein klassisches Jahrhundert der Preisfragen und Preisschriften" (H.-H. Müller 1975: 47). Er untermauert diese Klassifizierung des „preisschriftenschwangeren Jahrhunderts" (H.-H. Müller 1975 : 47) anhand einiger Daten zum Fall der Berliner Akademie: Unter Friedrich II. stellte die Akademie insgesamt 45 Preisfragen, von denen einige aber unbeantwortet blieben. Zwischen 1745 und 1900 schrieb die Berliner Akademie 178 Preisfragen aus, zu denen etwa 700 Preisschriften (d.h. ungedruckte Manuskripte) eingegangen sind, ungerechnet die preisgekrönten gedruckten Schriften. Es war nämlich usus, nur die gekrönte Preisschrift und noch zwei oder drei weitere Schriften, die das sogenannte Accessit erhalten hatten, zu drucken (vgl. H.-H. Müller 1975: 47). Bei der offiziellen Preisverleihung wurden die mit dem Accessit versehenen Schriften lobend erwähnt und meist mit einer silbernen Medaille ausgezeichnet. Wie sehr die Preisaufgaben das Leben der Akademien im 18. Jahrhundert bestimmten, läßt sich eindrucksvoll anhand der Datenlage dokumentieren. Während die Berliner Akademie zwischen 1745 und 1812 insgesamt 608 Manuskripte erhielt, vermochte sie nach 1812 nur noch 106 Preisbewerbungsschriften anzuregen (vgl. H.-H. Müller 1975: 47/48). Alle deutschen Akademien hatten im 18. Jahrhundert die Verpflichtung übernommen, Preisfragen aufzugeben, wobei es üblich war, die Öffentlichkeit über gelehrte Zeitschriften davon in Kenntnis zu setzen. Harnack

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schreibt über die Praxis der Propagierung von Preisfragen in Preußen, daß dem Direktorium der Berliner Akademie vorgeschrieben wurde, „jährlich ein premium von etwa fünfzig Dukaten zur Ausarbeitung einer wichtigen und dem Lande nützlichen Materie aus den Wissenschaften oder der Literatur auszusetzen und das Problem durch die Zeitungen bekannt zu machen" (Harnack 1900: Bd I, 268). Jedoch war das Stellen von Preisfragen keine Prärogative der Akademien. Ökonomische Gesellschaften oder vereinzelt auch Guts- und Standesherren ließen es sich angelegen sein, derlei Aufgaben zu stellen. Die Bedeutung von Preisaufgaben zur Stimulation des ökonomischen und technischen Fortschrittes wurde bereits am Beispiel der Göttinger Sozietät dokumentiert, so daß es nicht verwunderlich erscheint, wenn Privatpersonen - von einem vergleichbaren Pragmatismus getragen - ihrerseits einen akademischen Wettbewerb ins Leben riefen. Während bereits im 17. Jahrhundert die Royal Society oder die Académie des sciences sporadisch Preisfragen gestellt hatten, erlebte die Preisfragentradition ihre Glanzzeit in Deutschland erst mit der friderizianischen Reformierung der Berliner Akademie. In Frankreich läßt sich zweifelsohne um etwa die gleiche Zeit ein Höhepunkt des Preisfragengeschehens erkennen. Die Akademie zu Dijon, die erst im Jahre 1725 gegründet worden war, gelangte mit ihren Preisfragen aus den Jahren 1749 und 1754 zu beispiellosem Ruhm. 1749 hatte sie bekanntlich mit einer polemischen Fragestellung die sich von da an kompromißlos entfaltende Zivilisationskritik eines Jean-Jacques Rousseau entfacht, indem sie untersucht wissen wollte, ob Künste und Wissenschaften zur Verfeinerung der Sitten beigetragen hätten: si le rétablissement des sciences et des arts a contribué à épurer les moeurs. Bekanntlich verneinte der erst siebenundzwanzigjährige Rousseau diese Frage und erklärte Künste und Wissenschaften zu Stifterinnen von Ungleichheit und Eifersucht. 24 Mit seiner eloquenten und polemischen Argumentationsweise gelang es dem damals noch unbekannten Rousseau, der zur Teilnahme an dieser Preisfrage der Ermutigung seines Freundes Diderot bedurfte, den Preis der Akademie davonzutragen. Dies war ihm bei seinem zweiten Versuch jedoch nicht mehr vergönnt. Im Jahre 1754 hatte die Akademie zu Dijon eine Frage gestellt, die bis zur heutigen Zeit als paradigmatische Repräsentantin der Gattung Preisfrage schlechthin wird gelten können: Quelle est l'origine de l'inégalité parmi les hommes, et si elle est autorisée par la loi naturelle. Die Dijoneser

Rousseaus Zivilisationskritik fand in Friedrich II. den allerentschiedensten Widersacher. In einer Sitzung seiner Akademie, die am 27. Januar 1772 in Gegenwart seiner Schwester, der Königin von Schweden, abgehalten wurde, ließ Friedrich seinen Discours de l'utilité des sciences et des arts verlesen, in dem er gegen Rousseau polemisierte (vgl. Harnack 1901: 284). Mit Harnacks Worten sei Rousseau Friedrich II. „unverständlich und antipathisch" gewesen (Harnack 1901: 269).

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Preisfrage nach dem Ursprung der Ungleichheit ist sicherlich das berühmteste Beispiel dieser Textsorte und Rousseaus Antwort der Hauptreferenztext einer Vielzahl von Bewerbern, die sich des Sprachursprungsproblems angenommen haben. Wenngleich Rousseau mit seiner ausführlichen und radikalen Zivilisationskritik diesmal den Beifall der Preisrichter nicht zu erringen vermochte, so erwies sich gerade sein Zweiter Discours als beispielhaftes Stimulans philosophischer Spekulation.25 Anhand des Beispieles Rousseau wird deutlich, daß das Preisfragenverfahren geeignet war, auch junge, unbekannte Gelehrte zur Auseinandersetzung mit einem als groß und bedeutend empfundenen Thema zu motivieren. Dies war deshalb möglich, weil die Preisbewerbungsschrift anonym eingereicht und ihr Autor nur im Falle des Sieges oder der Auszeichnung mit dem Accessit bekannt wurde. Zur Identifizierung des Autors einer Preisbewerbungsschrift war es notwendig, daß die Verfasser ihre Manuskripte mit einer Devise versahen und dem Text einen separaten Briefumschlag beilegten, in welchem sie der Devise ihren Namen zuordneten. Da die Umschläge der Verlierer jedoch verbrannt wurden, ist eine Identifizierung der meisten Autoren heute nur schwer möglich; sie ist auch nicht das Ziel dieser Arbeit, deren primäres Anliegen die Rekonstruktion einer Textserie ist. Ziel ist es, das Sprachdenken der Epoche anhand verschiedener Zeugnisse zu erfassen, die nicht mit dem Nimbus der Genialität eines prominenten Autors versehen sind. Dem personenzentrierten Verfahren wird hier eine serielle Vorgehensweise gegenübergestellt, die das Zeittypische, den intellektuellen Horizont einer bestimmten Epoche, möglichst authentisch zu rekonstruieren versucht. Wir werden die methodologischen Prämissen unserer Untersuchung am Ende dieses Kapitels noch ausführlicher thematisieren, hielten es aber in Anbetracht der Anonymität des Preisschriftenverfahrens bereits jetzt für geboten, darauf hinzuweisen, um keine falschen Erwartungen zu wecken. Außerdem hat sich gerade die Frage nach der Autorschaft der anonymen Manuskripte zum Sprachursprung als eine die Fachöffentlichkeit in besonderem Maße interessierende Problematik herausgestellt. Im Schutze der Anonymität wagte also ein Rousseau die Teilnahme an der Dijoneser Preisfrage für 1750, die ihn mit einem Schlag berühmt werden ließ. An diesem Beispiel wird der pädagogische Charakter der akademischen Preisfragen sinnfällig, den der Göttinger Arzt, Dichter und Universitätspräsident Albrecht von Haller (1708-1777) treffend zum Ausdruck brachte, mit seiner Behauptung, ein wichtiges Ziel der Preisfragen bestünde darin, „auch die Studierenden zur Aemulation zu bringen" (vgl. A. Kraus 1963: 226). Andreas Kraus sieht in diesem pädagogischen Aspekt den Hauptzweck der Preisfragen, die er als quasi zwangsläufiges Resultat eines der Pädagogik Die herausragende Bedeutung von Rousseaus Discours de l'inégalité für die damalige philosophische Spekulation belegen unsere Ausführungen in Kapitel 3.6.

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verpflichteten Jahrhunderts begreift (vgl. Kraus 1963 : 226). Ob nun aber wirklich der pädagogische Zweck das primäre Anliegen der Akademien bei der Stellung von Preisfragen war, scheint nicht ganz gesichert. Eine derartige Interpretation widerspricht in gewisser Weise dem, was Harnack über den potentiellen Adressatenkreis akademischer Preisfragen formuliert: Die Aufforderang richtete sich auch nicht an die Rekruten der Wissenschaft [fett von C. N.], sondern an die Führer, und diese folgten gern dem Rufe zum Wettkampf. Die ersten Denker und Gelehrten, ein Euler, Lagrange, d'Alembert, Condorcet, ein Kant, Rousseau und Herder sind in die Arena gestiegen. (Harnack 1901: 303)

Diese Behauptung Harnacks steht der Idee eines pädagogischen Auftrags mit dem Ziel der „Aemulation" entgegen. Für Harnack sind es a priori die großen Geister, die an den verschiedenen Wettbewerben teilnahmen, die interessieren. Er vergißt dabei aber geflissentlich, daß ein Rousseau oder auch ein Herder zu dem Zeitpunkt, da sie zum ersten Mal „in die Arena stiegen", beide noch „Rekruten" und noch nicht geistige Führer waren. Daher läßt sich gegen Harnack der pädagogische Zweck der Preisfragen mit dem Ziel der Rekrutierung des akademischen Nachwuchses nicht leugnen. Außerdem beweist die Tatsache, daß etwa an der Berliner Sprachursprungsfrage ein Senator aus Schweinfurt oder ein Diakon namens Happach aus Raguhn bei Dessau teilgenommen haben, daß mit dem Preisfragenwettbewerb gerade ein Forum für Unbekannte oder magistri minores geschaffen wurde, die bestrebt waren, diese Plattform zu möglicher Popularität zu nutzen (oder die vielleicht auch der Verlockung der 50 Dukaten erlegen waren). Letztendlich sind damit die Wurzeln einer hagiographischen, an großen Namen orientierten Geschichtsschreibung der Berliner Akademie schon in der Darstellung ihres zweifelsohne höchst verdienstvollen eigenen Historiographen Adolf Harnack angelegt. Freilich muß in diesem Zusammenhang festgehalten werden, daß das Anliegen von Harnacks Geschichtsschreibung ja auch ein elogiöses ist und ihm die Fixierung auf die großen Namen nicht zur Last gelegt werden darf. Sie wurde ihm pflichtgemäß abverlangt. Allerdings liegt darin für den heutigen Historiographen, für den Harnacks Werk zur Berliner Akademiegeschichte immer noch einen unverzichtbaren Standard repräsentiert, die Gefahr, seinerseits die große Bedeutung der Anonymität des Preisfragengeschehens, die einem jeden Interessenten die Mitwirkung ermöglichte, falsch einzuschätzen und die Chancen dieses Verfahrens durch Fixierung auf die großen Geister zu verkennen. Harnack mußte als HausHistoriograph die Apologie der Berliner Akademie schreiben. Seine Sichtweise, die sich nur an den ganz Großen orientiert, verkennt sicherlich die pädagogischen Potenzen des Preisfragenverfahrens. Auf der anderen Seite läßt sich wiederum aus dem Blickwinkel des heutigen Retrospektionshorizontes, was die Einschätzung von Andreas Kraus angeht, eine gewisse Tendenz

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zur Verabsolutierang der pädagogischen Funktion von Preisfragen konstatieren. Dagegen orientieren sich Harnacks Aussagen über den Nutzen akademischer Preisfragen am ganz Großen: an den Namen berühmter Preisträger und an visionären progressistischen Idealen, die dem Fortschrittsoptimismus Condorcets zu folgen scheinen. Ferner sieht er in den Preisfragen den Indikator und Gradmesser für die intellektuelle Leistungsfähigkeit und die geistigen Einsichten der sie aufgebenden Körperschaften. So schreibt er über den Zweck der Preisaufgaben: Als das directe und eigentliche Mittel, den Fortschritt der Wissenschaften im Großen zu befördern und in richtigen Bahnen zu halten, galten die Preisaufgaben, welche die Akademien jährlich stellten. Ihre Bedeutung kann nicht hoch genug geschätzt werden. In einer Zeit, der die Kräfte und die Organisation für große wissenschaftliche Unternehmungen - mit Ausnahme astronomischer noch fehlten, waren die Preisaufgaben, wie sie jährlich von den Akademieen Europas verkündigt wurden, die Ziele des wissenschaftlichen Wetteifers und der Gradmesser für die Haltung und Einsicht der gelehrten Körperschaften. In diesen Aufgaben [...] stellte sich fortschreitend der Gang der Wissenschaften selbst dar. (Harnack 1901: 302)

Die Entwicklung der Wissenschaften werde, so Harnack, entweder im Rahmen enger disziplinärer Gebundenheit befördert durch die Ausschreibung von Themen zu speziellen Problemen von Einzeldisziplinen oder es erfolge eine Auseinandersetzung mit Grundlagenfragen oder „Fundamentalproblemen" (vgl. Harnack 1901: 302/303). Das Interesse an Fundamentalproblemen bezeugen deutlich die Fragen der philosophischen Klasse. Allerdings ist die Beantwortung dieser Fragen teilweise eng an die Kenntnis der philosophischen Systeme, insbesondere derjenigen von Leibniz und Wolff gebunden. Auf die ideologische Spaltung, die innerhalb der Akademie durch die Solidarität mit den leibniz-wolffischen Prinzipien einerseits und newtonianischen Prinzipien andererseits entstanden war, wurde bereits verwiesen.26 Für 1747 war eine kritische Darstellung der Monadenlehre aufgegeben worden. Eine Auseinandersetzung mit dem Leibnizschen Determinismus verlangte die für 1751 aufgegebene Preisfrage Über die Pflichten, die uns die glücklichen und unglücklichen Begebenheiten der Welt auftragen. Hinter der für das Jahr 1755 aufgegebenen Preisfrage nach der Prüfung des Popeschen Systems, das ausgedrückt ist in den Worten: Alles in der Welt ist gut. verbarg sich Leibniz' Der Dissens über die Monadenlehre war offenbar so gewaltig, daß er die Akademie in „zwei feindliche Heerlager" (Harnack 1901) gespalten hatte. Die leibnizwolffische Anschauung wurde von Formey, Johann Philipp Heinius (1688-1775) und Johann Georg Sulzer (1720-1779) vertreten. Diesen standen auf der Gegenseite Maupertuis, Leonhard Euler (1707-1783) und Merian gegenüber (vgl. Harnack 1901: 253).

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Theodizee. Demgegenüber läßt sich das für 1768 aufgegebene Eloge de Leibniz als eindeutiger Sieg der Anhänger der Philosophie Leibniz' um Formey und Johann Bernhard Merian (1723-1807) verbuchen.27 Neben diesen, auf die Philosophie Leibniz' orientierten Preisfragen widmeten sich die Preisfragen der Klasse für spekulative Philosophie im 18. Jahrhundert insbesondere sprachtheoretischen Problemstellungen, auf die gleich näher einzugehen sein wird. Wie bereits deutlich wurde, wurden Preisfragen einerseits gestellt, um an einem ganz bestimmten konkreten Punkt die wissenschaftliche Erkenntnis voranzutreiben und andererseits, um Grundlagenprobleme zu erforschen. Für Harnack ist es auch insbesondere der Aspekt der Außendarstellung der diversen Akademien, dem bei der Preisfragenproblematik eine entscheidende Rolle zukommt. In diesem Sinne betont er auch, daß die Erwartung des gelehrten Publikums sich in wesentlich höherem Maße auf die Preisfrage selbst als auf deren Beantwortung richtete, denn „in der Frage zeigte sich die Meisterschaft" (Harnack 1901: 303). Hinsichtlich der Orientierung auf Grundprinzipien und Fundamentalfragen gibt Harnack zu bedenken, daß der Gelehrte des 18. Jahrhunderts noch ein Universalphilosoph gewesen sei (vgl. Harnack 1901: 303). Es gilt, sich diese Tatsache stets zu vergegenwärtigen, sowohl, wenn man das Interesse an philosophischen Fundamentalfragen berücksichtigt, als auch im Hinblick auf den Beantwortungsmodus, dessen sich die Preisbewerber bedienten. Für die Antworten auf die Sprachursprungsfrage ist nämlich gerade ein ganz im Zeichen des Universalismus stehender Habitus kennzeichnend. Die Preisbewerber sind im allgemeinen bestrebt, neben teilweise rigide anmutenden Postulaten von Naturgesetzen und Axiomen aus dem Bereich der Erkenntnistheorie gleichermaßen eigene empirische Beobachtungen oder Reiseberichte von Missionaren und Entdeckungsreisenden zu setzen. Philosophische, anthropologische, philologische und theologische Einlassungen stehen neben naturwissenschaftlichen, zoologischen, medizinischen und anatomischen Reflexionen. Sie dokumentieren die wirkliche oder nur vorgebliche Universalität ihres Autors ebenso wie dessen Bestreben, dem als leibnizianisch-universalistisch wahrgenommenen Anforderungshorizont der Berliner Akademie zu entsprechen. Allerdings war die Universalität ein Charakteristikum des Gelehrten im

In diesem Rahmen ist es uns nicht möglich, auf die näheren Implikationen der Diskussion um die leibniz-wolffische Philosophie an der Berliner Akademie und deren Manifestierung in den verschiedenen diesbezüglichen Preisschriften einzugehen. Wir verweisen daher auf die Darstellung von Harnack sowie auf den Artikel von Cornelia Buschmann „Die philosophischen Preisfragen und Preisschriften der Berliner Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert" (Förster 1989: 165-228).

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18. Jahrhundert schlechthin und keineswegs auf den Einzugsradius der Berliner Akademie beschränkt. Den Universalismus gilt es nicht zuletzt deshalb im Auge zu behalten, weil er mitverantwortlich ist für die große thematische Vielfalt und damit auch für die stilistische Spezifität der essayistischen Form der Gattung Preisfrage. In ihrem Bedürfnis, eine möglichst originelle und individuelle Beantwortung der gestellten Preisfrage zu liefern, tendieren viele Antworten auf die Sprachursprungsfrage zu einer buntschillernden, kaleidoskopartigen Weise der Betrachtung, die die anekdotische Begebenheit neben das Naturgesetz oder das hypothetische Gedankenexperiment stellt. Es gilt hierbei, einen gelungenen Kompromiß zwischen der Dokumentation eigener Gelehrsamkeit und einem quasi rhapsodischen Schwung bei der Beantwortung einer spekulativen Problemstellung zu erzielen. Aufgrund dieser gegenläufigen Tendenzen finden sich daher neben analytisch vorgetragenen hypothetischen Gedankenexperimenten kuriose Anekdoten, deren exzessiver Exotismus geneigt sein könnte, die Glaubwürdigkeit der zuvor dargebrachten methodisch stringenten hypothetischen Konstruktion in Frage zu stellen. Aufgrund dieses Zwiespalts zwischen wissenschaftlicher Exaktheit und quasi-belletristischer Füllung aporetischer Leerstellen im fiktiven Netz der Spekulation kann leicht der Eindruck argumentativer Inkohärenz der Darstellung oder der Verwendung von Blendwerk zur Bemäntelung argumentativer Insuffizienzen entstehen. Wir werden auf die Besonderheiten der essayistischen Form der Preisfragen am Ende dieses Kapitels nochmals gezielt eingehen, wobei der Zusammenhang zwischen Universalismus und rhapsodischem Stil von entscheidender Bedeutung sein wird.

2.1.3. Die sprachtheoretischen Preisfragen der Berliner Akademie im Kontext der Berliner Sprachursprungsdiskussion Nachdem die Spezifik der Berliner Akademie und die grundsätzlichen Gegebenheiten des Preisbewerbungsgeschehens erörtert worden sind, soll nun näher auf die sprachtheoretischen Preisfragen der classe de philosophie spéculative eingegangen werden. Bei dieser Betrachtung werden wir im Hinblick auf die Preisfrage nach dem Sprachursprung auch auf die diesbezüglich relevanten Akademiediskussionen eingehen. Allerdings wird der Schwerpunkt unserer Betrachtung dieser Diskussion auf den Schlüsseltexten Maupertuis' und Süßmilchs liegen. Wir verzichten daher hier auf eine Betrachtung der für unser Anliegen weniger zentralen Texte von Beausobre, Formey, François Vincent Toussaint (1715-1772) und Sulzer. Für eine ausführliche Darstellung verweisen wir auf den Aufsatz von Hans Aarsleff „The Tradition of Condii-

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lac: The Problem of the Origin of Language in the Eighteenth Century and the Debate in the Berlin Academy before Herder" aus dem Jahre 1974. Die für das Jahr 1771 aufgegebene Preisfrage nach dem Sprachursprung muß im Kontext einer Reihe von insgesamt fünf28 sprachtheoretischen Preisaufgaben gesehen werden, die die Berliner Akademie im 18. Jahrhundert stellte.29 Diese Tatsache beweist eindrucksvoll das besondere Interesse der damaligen Gelehrtenwelt an sprachtheoretischen Diskussionen.30 Ausgangspunkt der Serie sprachtheoretischer Preisfragen war die Frage nach dem Wechselverhältnis zwischen der Sprache und den Meinungen des Volkes, welche die Klasse für spekulative Philosophie für das Jahr 1759 aufgegeben hatte. Sie lautet in der Formulierung der Akademie: Quelle est l'influence réciproque des opinions du peuple sur le langage et du langage sur les opinions? (Après avoir rendu sensible, comment un tour d'esprit produit une Langue, laquelle Langue donne ensuite à l'esprit un tour plus ou moins favorable aux idées vraies, on pourroit rechercher les moyens les plus pratiquables de remédier aux inconvêniens des Langues). (Michaelis 1762: XXVni)

Diese Preisfrage stellt sich in die Tradition des französischen Sensualismus, da sie von einer sprachbedingten Relativität des Denkens ausgeht und diese als Basis der zu erörternden Einflüsse zwischen Sprache und Meinungen des Volkes festsetzt (vgl. Häßler 1997b: 6). Den Preis gewann der Göttinger Orientalist Johann David Michaelis, dessen deutsch verfaßte Preisschrift jedoch in ihrer französischen Fassung Berühmtheit erlangte, die - auf Wunsch der Akademie - auf die Bedürfnisse eines französischsprachigen Publikums zugeschnitten war und einige bedeutsame Zusätze, darunter eine, der Mode der damaligen Zeit folgende Diskussion der Vorzüge und Nachteile einer

Vier dieser Preisfragen wurden von der classe de philosophie spéculative vorgeschlagen. Zu den sprachtheoretischen Preisfragen der Berliner Akademie vgl. den Aufsatz von Gerda Häßler „Sprachtheoretische Preisfragen der Berliner Akademie in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ein Kapitel der Debatte um Universalien und Relativität" (Häßler 1997b). Dieses Beispiel unterstreicht Ulrich Rickens Behauptung, daß „man das 18. Jahrhundert in Frankreich ein Jahrhundert der Sprachdiskussion nennen könnte" (Ricken et al., Sprachtheorie und Weltanschauung 1990: 66), da die Sprachdiskussion an der Berliner Akademie zu ganz wesentlichen Anteilen (und nicht zuletzt durch den Beitrag Maupertuis') unter dem Eindruck der französischen Sprachdiskussion geführt wurde und in dieser Beziehung quasi als „Ableger" der französischen Sprachdiskussion zu würdigen ist. Aarsleff hat die Beziehungen zwischen französischer Sprachtheorie und -philosophie und der Berliner Diskussion bekanntermaßen in seinem Aufsatz „The Tradition of Condillac" nachgewiesen (vgl. Aarsleff 1974).

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Universalsprache enthielt.31 Diese Preisfrage ist für die Sprachursprungsfrage deshalb von besonderer Relevanz, weil verschiedene Einsendungen vordergründig das Sprachursprungsthema anstelle der geforderten Problematik behandeln (vgl. Häßler 1997b: 7) und nicht zuletzt, weü der Preisträger selbst das Problem des Sprachursprungs als reizvolles sujet einer akademischen Preisfrage vorschlägt Ueberhaupt verdienen die Sprachen einen besonderern Theil der Philosophie, zu dem man erst das einzelne entdecken maß, ehe man an ein System gedenkken darf. Es scheint, die Academie lege den Grund dazu, und werde die Ehre und das Verdienst haben, die Gelehrsamkeit damit zu bereichern. Möchte doch die Frage dereinst Ihrer Aufmercksamkeit und Ermunterungen würdig scheinen: wie eine Sprache zuerst unter Menschen, die vorhin keine Sprache gehabt haben, entstehen, und nach und nach zu der jetzigen Vollkommenheit und Ausarbeitung gelangen würde? [fett von C. N.J (Michaelis 1760: 78) Michaelis vermochte mit dieser Anregung eine Diskussion zu schüren, die an der Berliner Akademie insbesondere durch Beiträge von Maupertuis und Süßmilch zu diesem Zeitpunkt bereits im Gange war. Durch Maupertuis* Réflexions philosophiques sur l'origine des langues et la signification des mots von 1748 hatte das Modethema des Sprachursprungs unter dem Einfluß von Condillacs Essai sur l'origine des connaissances humaines auch an der Berliner Akademie Einzug gehalten. In diesem Essay gilt Maupertuis' Interesse jedoch vordergründig der Relation zwischen Sprache und Denken und nicht, wie man vermuten könnte, dem Sprachursprungsthema. Dieses Thema dient ihm vielmehr dazu, die Idee einer Sprachrelativität des Denkens zu postulieren (vgl. Aarsleff 1974: 179, Häßler 1984: 43-47 und Droixhe/Haßler 1989: 313). Unter Anwendung der Philosophie Berkeleys, deren Grundaxiom bekanntlich esse est percipi lautet, versucht Maupertuis in seinen Réflexions, die Rolle der Sprache für den Erkenntnisprozeß zu bestimmen. Aufgrund der konstitutiven Rolle, die der Sprache für den Denkprozeß nach Maupertuis zukommt und der besonderen Betonung der Verschiedenheit der ideellen Ebenen, der plans d'idées, auf denen das menschliche Denken aufbaut, lassen sich bei Maupertuis „deutliche Ansätze der These von der Sprachrelativität des Denkens" (Häßler 1984: 47) erkennen. Spätestens mit Maupertuis' Dissertation sur les différens moyens dont les hommes se sont servis pour exprimer leurs idées, die er im Mai 1756 verlesen ließ, war die französische Sprachursprungsdiskussion nach Deutschland importiert worden (vgl. F. Schneider 1995: 46). Im Oktober desselben Jahres verlas Johann Peter Süßmilch an zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen seinen Versuch eines Beweises, daß die erste Sprache ihren Ursprung nicht vom Menschen, sondern allein vom Schöpfer erhalten habe. Mit seinem Postulat Wir werden auf diese Preisfrage in Kapitel 4.2. noch näher eingehen.

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eines göttlichen Sprachursprungs stellte sich Süßmilch eindeutig gegen Maupertuis' subjektiv-idealistische Position aus den Réflexions, welche ihm aufgrund der als bedenklich empfundenen Nähe zu George Berkeleys esse est percipi und der damit verbundenen Infragestellung der Existenz einer Außenwelt unhaltbar erscheinen mußte. Bei Süßmilchs Vortrag handelt es sich jedoch keineswegs um ein reaktionäres Pamphlet wider den beständig fortschreitenden Säkularisierungsprozeß oder um ein verstocktes, einseitiges Traktat zur Verteidigung kirchlicher Institutionen, sondern um einen klug geführten philosophischen und nicht - wie vielleicht zu erwarten - einen theologischen Beweis.32 In der Vorrede zur publizierten Fassung dieses Akademievortrages benennt Süßmilch ausdrücklich den inzwischen verstorbenen Präsidenten Maupertuis als Anreger des Versuchs.33 Geschickt nutzt Süßmilch das Problem der Anteriorität von Sprache und Denken, um die göttliche Herkunft der Sprache zu vertreten: Die Sprache ist das Mittel zum Gebrauch der Vernunft zu gelangen, ohne Sprache oder andre gleichgültige Zeichen ist keine Vernunft. [...] Die Sprache, oder der Gebrauch der lautbaren Zeichen ist ein Werk des Verstandes und zwar eines sehr grossen und vollkommenen Verstandes, der alle Zwecke übersehen und der das ganze Sprachgebäude nach selbigen einrichten können, welches aus der Vollkommenheit und Ordnung [kursiv von C. N.] unleugbar erhellet. Folglich hat derjenige, welcher die Sprache gebildet hat, sich schon im Gebrauch der Vernunft befinden müssen. (Süßmilch 1766: Vorrede 5/6)

Mit dieser Argumentation begibt sich Süßmilch mitten in den Teufelskreis der Anterioritätsrelation zwischen Sprache und Denken. Einerseits ist Sprache das Mittel, um zum Gebrauch der Vernunft zu gelangen, andererseits ist sie für Süßmilch ein so vollkommenes und geordnetes Phänomen, daß sie nur von einem, mit außerordentlich entwickeltem Verstand versehenen Wesen ersonnen worden sein kann. Die Vollkommenheit und Ordnung der Sprache trägt somit für Süßmilch die Handschrift Gottes. Da vor Süßmilch bereits kein Geringerer als Rousseau vor dem Problem der Anteriorität zwischen Sprache und Denken kapituliert und der Nachweis einer rein menschlichen Süßmilch schreibt in der Vorrede seines Versuchs: „Ich habe mich in die Erklärung der Art und Weise, wie der Schöpfer den Menschen die Sprache und deren Fertigkeit mitgetheilet, nicht einlassen wollen, da mein Beweis blos philosophisch [kursiv von C. N.] ist" (Süßmilch 1766: Versuch·. Vorrede: 4). In der Vorrede zu Süßmilchs Versuch heißt es: „Eine bey der Königlichen Académie der Wissenschaften, von dem verstorbenen Präsidenten derselben, dem Herrn von Maupertuis verlesene Abhandlung über die Entstehung der Sprache gab mir Gelegenheit, meinen ersten Entwurf über dieser Materie auszuarbeiten und die Unmöglichkeit zu beweisen, daß die erste Sprache ihren Ursprung vom Menschen haben könne, woraus sodann folget, daß sie von dem anbetungswürdigen Schöpfer herrühren müsse" (Süßmilch 1766: Vorrede 5/6).

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Spracherfindung ihn vor unlösbare Probleme gestellt hatte (vgl. Kapitel 3.6.), fühlte Süßmilch sich berechtigt, Rousseau im Verein mit sich selbst als Vertreter der Lehre vom göttlichen Sprachursprung auszurufen: Daher ich nach der schärfsten Prüfung annoch bey meinem Satz und Beweis mit dem Herrn Rousseau verbleiben muß, daß nemlich die Sprache ohnmöglich hat vom Menschen entstehen können, ehe und bevor sie eine ordentliche Sprache gehabt haben, und daß sie nothwendig von Gott, als dem ersten Lehrmeister ihren Ursprung bey der Schöpfung habe müssen erhalten haben. (Süßmilch 1766: 124)

Die Vereinnahmung Rousseaus für eine genesisgetreue Interpretation der Sprachentstehung erscheint indes wenig legitim, enthält der Discours doch keinen Rekurs auf den biblischen Schöpfungsbericht, sondern liefert eine säkularisierte Variante der Paradieserzählung (vgl. die Deutung von J. Starobinski in La transparence et l'obstacle). Während Süßmilch in Rousseau einen „Verbündeten" seiner Hypothese des göttlichen Sprachursprungs zu erkennen glaubt, polemisiert er - übrigens im Einklang mit dem Genfer gegen die Sprachursprungstheorie Maupertuis'. Süßmilch behauptet, Maupertuis nähme - ähnlich wie Condillac - einen zweifachen Sprachursprung an, indem er zunächst von einer Gestensprache ausgehe und dann eine Erweiterung dieser doch beschränkten Gestensprache durch eine Konvention annähme.34 Nun kritisiert Süßmilch, daß Maupertuis die Möglichkeiten der allerersten Sprache, also der von ihm angenommenen Gestensprache, überschätzt habe. Zu Unrecht habe Maupertuis behauptet, „[...] daß sie soweit habe kommen können, daß der Mensch dadurch zur Einsicht des schlechten und guten, des bessern und vollkommeneren habe kommen können. Diese Einsicht ist schon eine Handlung der Klugheit und der Vernunft. [...] Dagegen aber wende ich ein, daß Würkung ohnmöglich von der ersten natürlichen Sprache habe können erwartet werden. (Süßmilch 1766: 113)

In seiner etwas eigenwilligen Deutung der Réflexions Maupertuis' kommt Süßmilch zu dem Schluß, Maupertuis habe seinen Wüden mit der Fähigkeit zu moralisch-ethischen Werturteilen ausgestattet - eine Unterstellung, die den Horizont des Textes übersteigt. Gerechtfertigt erscheint jedoch Süßmilchs Vorwurf, Maupertuis habe dem Urmenschen zu große intellektuelle Fähigkeiten zugestanden. Angesichts der von einer Vielzahl von Autoren (darunter etwa Herder, Rousseau oder Condillac) hervorgehobenen Schwierigkeit der Sprachentstehung und Sprachentwicklung erscheint das von Maupertuis angenommene Vermögen des Urmenschen, seine Perzeptionen der Dinge der Maupertuis' Réflexions scheinen uns diese These nicht zu rechtfertigen. Ein doppelter Sprachursprung, zunächst aus Gestik, dann aus Konvention, ist dort nicht explizit genannt.

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Außenwelt more geometrico zu zerlegen,35 als eine illegitime Projektion von Fähigkeiten des zivilisierten Menschen auf den Menschen des Naturzustandes - eine Gefahr, auf die namentlich Rousseau in seinem Discours immer wieder mahnend hingewiesen hat (vgl. Rousseau 1992: 199). Implizit kritisiert übrigens auch Rousseau Maupertuis' Vision des Sprachursprungs im posthum veröffentlichten Essai sur l'origine des langues. Darin schreibt er: On nous fait du langage des premiers hommes des langues de Géomètres, et nous voyons que ce furent des langues de Poetes. (Rousseau, Essai 1968: 41) 36

Die Ursprache - eine Sprache der Geometer und Philosophen avant la lettre? Eine derartige Vision ist für Rousseau undenkbar. Sein Wilder irrt bekanntlich wie ein thumber Tor durch die Ödnis des dumpfen Naturzustandes. Analytische Fähigkeiten, wie sie Maupertuis mit der Zerlegung und Zuordnung von Perzeptionen seinem Wilden zuspricht, sind für Rousseau, der im Essai neben den besoins für die Völker des Nordens die passions als Movens des Sprachursprungs für die südlichen Länder annimmt, undenkbar. Die Erörterung zentraler Aspekte der Sprachursprungstheorien von Maupertuis, Süßmilch und auch Rousseau hat gezeigt, wie sehr das Sprachursprungsthema im 18. Jahrhundert prädestiniert war, eine leidenschaftliche wissenschaftliche Polemik zu entfachen. Die Berliner Akademiediskussion übernimmt mit der Sprachursprungsproblematik ein zu dieser Zeit vor allem in Frankreich populäres Thema der Gelehrten. Den Einfluß Condillacs auf die Berliner Diskussion, auf die Beiträge Maupertuis' und Herders hat Aarsleff (1974) nachgewiesen.37 Im Hinblick auf Süßmilchs Beitrag scheint gerade dessen Positionsnahme zu Rousseau und Maupertuis bedeutsam. Wie sehr auch die deutsche Gelehrtenwelt von der sensualistisch geprägten französiMaupertuis mißt dem noch Sprache entbehrenden Urmenschen die Fähigkeit zu, z.B. die Perzeptionen Je vois un arbre oder Je vois un cheval mit den Ausdrükken A und Β zu bezeichnen und derartige Ausdrücke im Falle der Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung weiter auszubauen. So entsprächen beispielsweise die Perzeptionen Je vois deux lions und Je vois trois corbeaux den Ausdrücken CGH und C K , womit derselbe Buchstabe C der Perzeption Je vois entspräche (vgl. Ronald Grimsley, Sur l'origine du langage. Etude de Ronald Grimsley suivie de trois textes. Genf 1971: 34/35). Den Hinweis auf Maupertuis als Gegenstand dieses Angriffes gibt Charles Porset in dieser, von ihm kommentierten Ausgabe. Porset charakterisiert Maupertuis' Réflexions als „ouvrage dans lequel, more geometrico, il [Maupertuis] explique la formation du langage à l'aide de substitutions et de transformations algébriques" (Porset 1970: 40). Auf den direkten Einfluß Condillacs auf Maupertuis' Dissertation sur les differens moyens dont les hommes se sont servis pour exprimer leurs idées verweist G. Häßler (vgl. Häßler 1997b: 11).

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sehen Sprachursprungsdiskussion beeinflußt wurde, dokumentiert die Fragestellung der Preisaufgabe für 1759, die mit der Konzeption der Sprachrelativität des Denkens an die Theorie Condillacs anknüpft. Es wird im Verlaufe unserer Arbeit noch deutlich werden, wie stark Schlüsseltexte Rousseaus und Condillacs auch die Hypothesen der Teilnehmer an der Berliner Sprachursprungsfrage beeinflußten, der wir uns nun zuwenden wollen. Mit der akademieinternen Diskussion zum Sprachursprung und der Aufforderung des Michaelis, dieses Thema zum Gegenstand einer Preisfrage zu erheben, waren der Anlässe genug gegeben, um schließlich das Problem zum Gegenstand eines wissenschaftlichen Wettstreits auszurufen. Bei der öffentlichen Versammlung der Berliner Akademie am 1. Juni 1769 gab Samuel Formey in seiner Eigenschaft als ständiger Sekretär der Akademie bekannt, daß die Klasse für spekulative Philosophie einen Preis für den besten Aufsatz über den Ursprung der Sprache aussetze. Kurz darauf wurde ein Programm veröffentlicht, das diesen Wettbewerb ankündigte. 38 Die Preisfrage lautete in der exakten Formulierung: En supposant les hommes abandonnés à leurs facultés naturelles, sont-ils en état d'inventer le langage? Et par quels moyens parviendront-ils d'eux-mêmes à cette invention? On demanderait une hypothèse qui expliquât la chose clairement, et qui satisfît à toutes les difficultés, (vgl. Harnack 1900: Bd 11,1: 307) Das Programm gab bekannt, daß dem Gewinner eine Goldmedaille im Werte von 50 Dukaten winke 39 und daß die Abhandlungen bis zum 31. Dezember 1770 der Akademie vorliegen müßten. Die Öffentlichkeit erfuhr allerdings insbesondere über verschiedene, in ganz Europa verbreitete gelehrte Zeitschriften von der Preisfrage. Megill hat Ausschreibungen in folgenden Zeitungen gefunden: im Mercure de France (August 1769: 156), in der Gazette Auf die Existenz des Programmes, welches nicht auffindbar war, läßt das Programm des darauffolgenden Jahres 1772 schließen, welches die interessierenden Informationen enthält und folgenden Titel trägt: Prix proposés par l'Académie Royale des sciences et belles-lettres de Prusse pour l'année 1772. Durch den Direktor des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Herrn Dr. Wolfgang Knobloch, wurde uns freundlicherweise ein eigenhändiges Schreiben Herders vom 21. Juni 1771 (I-XVI-241) zugänglich gemacht, in welchem Herder den Empfang der goldenen Preismedaille für seine Preisschrift Über den Ursprung der Sprache bestätigt. Es handelt sich dabei um die Medaille, die im Jahre 1769 Johann Jakob von Meyen (1731-1797) erhalten hatte, dann aber gegen Barbezahlung von 150 Rt. wieder an die Akademie zurückgegeben hatte. Diesen Hinweis verdanken wir Dr. Knobloch. Eine Fotokopie von Herders Schreiben findet sich am Ende unseres Unterkapitels Präsentation des archivalischen Fundus neben faksimilierten Auszügen von Preisbewerbungsschriften zur Ursprungsfrage und weiteren relevanten Akten aus dem Berliner Akademiearchiv.

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de Berne, welche auch unter dem Namen Nouvelles de Divers Endroits bekannt war (Nr. 57. Mittwoch, 19. Juli 1769) und in den Jenaischen Zeitungen von Gelehrten Sachen (Stück 97. vom 4. Dezember 1769: 807-808).40 Zu Recht unterscheidet Megill zwei Aspekte, die für die Auswahl dieser Preisfrage entscheidend gewesen sein mögen (vgl. Megill 1974: 350/351). Einerseits wollte die Akademie sicherlich die intern bereits über längere Jahre schwelende Debatte über das Sprachursprungsproblem beenden. Andererseits empfand sie, darin offenbar den Bedürfnissen der Gelehrtenwelt entsprechend, das anthropologische Grundproblem der Möglichkeit einer rein menschlichen Spracherfindung als relevant. Es ging um eine Relationierung zwischen menschlichen Fähigkeiten und Sprache. Der Nachweis der menschlichen Spracherfindung war damit an psychologische, erkenntistheoretische und anthropologische Reflexion geknüpft. Diese Preisfrage ist daher nicht als Versuch zur Beendigung einer akademieinternen Diskussion und Querele zu sehen, die Süßmilch als retrograden Repräsentanten einer überholten dogmatischen Auffassung desavouieren wollte41. Der Akademie ging es vielmehr um eine ernsthafte Untersuchung mit wissenschaftlichem Anspruch, die die anthropologischen Grundlagen von Sprache offenlegen sollte (vgl. Megill 1974: 351). Die Resultate, die diese Preisfrage zutage förderte, werden wir im nächsten Unterkapitel, der Präsentation des archivalischen Fundus, genauer vorstellen. Im Gegensatz zur philologischen Verfahrensweise, die die Preisfrage von 1759 gefordert und einen Vergleich verschiedener Sprachen impliziert hatte, fordert die Preisfrage für 1771 zur Auseinandersetzung mit anthropologischen Universalien und Konstanten auf, die nicht mehr einfach durch einen Sprachvergleich ermittelt werden können.42 Die Ernsthaftigkeit und Konstanz des Interesses an sprachtheoretischen Problemkreisen seitens der Akademie bezeugt die Tatsache, daß sie für das Jahr 1784 wieder eine Preisfrage zu diesem Bereich aufgab: die Preisfrage nach der Universalität des Französischen. Mit dieser Problemstellung wird 40

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Vgl. Megill 1974: 350. Überraschenderweise findet sich jedoch keine Ankündigung der Preisfrage in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen. Diesen Vorwurf hat R. T. Clark (1955) zu Unrecht erhoben. Auch Megill weist diese Sichtweise als unzulässig und inadäquat zurück (vgl. Megill 1974: 351). Häßler schreibt hierzu: „Wenn festgestellt werden sollte, ob die Menschen ihren natürlichen Fähigkeiten überlassen, hätten Sprache erfinden können und mit welchen Mitteln sie zu einer solchen Erfindung gekommen wären, so richtet sich der Blick nicht mehr wie in Michaelis' philologischer Perspektive auf ein Abwägen der Vor- und Nachteile der einzelnen Sprachen als Mittel der menschlichen Erkenntnis. Diskussionsgegenstand war vielmehr Sprachlichkeit als grundsätzliche, universelle Eigenschaft des menschlichen Wesens. Einsichten in die Erklärung dieser Eigenschaft sind nach dem Verständnis der Aufklärung nicht durch ein Multiplizieren der sprachlichen Ausgangsdaten, ein Berücksichtigen möglichst vieler Sprachen und deren Unterschiede zu gewinnen (Häßler 1997b: 11/12).

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die anthropologische Dimension, wie sie sich in der Sprachursprungsfrage artikuliert hatte, zugunsten einer kulturpolitischen Debatte verlassen. Es soll geklärt werden, ob das Französische, welches sich offenbar inzwischen nur mit größeren Schwierigkeiten der immer mächtiger aufstrebenden deutschen Sprache zu erwehren weiß, weiterhin als eine universell verwandte Sprache angesehen werden kann. In dieser Preisfrage kommt somit die nahezu prophetische Vision Friedrichs Π. zum Ausdruck, der, bei allem Widerwillen gegenüber dem Deutschen, den Niedergang des Französischen und den Aufstieg einer deutschen Literatursprache bereits vorausgeahnt hatte.43 Der genaue Ausschreibungstext der Preisfrage verrät deutlich die Skepsis gegenüber der Möglichkeit eines weiter andauernden Primates des Französischen: Qu'est-ce qui a fait de la langue françoise la langue universelle de l'Europe? Par où mérite-t-elle cette prérogative? Peut-on présumer qu'elle la conserve? (vgl. Harnack 1900: Bd 11,1: 309)

Der Preis wurde unter dem selbsternannten Comte Antoine de Rivarol (1753-1801) und dem Stuttgarter Philosophen Johann Christoph Schwab (1743-1821) aufgeteilt. Im Falle Rivarols wurde der Preis einem Autoren zuerkannt, der mit brillantem Stil, aber in klischeehafter Manier sämtliche bekannte Gemeinplätze zum génie de la langue française, derer er gedenken konnte, zusammenraffte (vgl. Christmann 1966 und Neis 2001) und genuin rationalistische Vorstellungen wie etwa die Konzeption des ordre naturel mit sensualistischen Credos zu einem unterhaltsamen, aber inkohärenten „Potpourri" zusammenmixte. Bei aller Begeisterung für das Französische weist die dritte Teilfrage der Preisaufgabe jedoch in eine nachdenklich stimmende Richtung. Aus dem Ausschreibungstext geht offenbar ein Zweifel an der Möglichkeit des Französischen, seine Universalität behaupten zu können, hervor. Die Fragestellung als solche erscheint deshalb besonders bemerkenswert, weil mit Friedrichs Π. De la littérature allemande ein apodiktisches Urteil ausgesprochen worden war, das jeglichen Zweifel an der natürlichen Vormachtstellung des Französischen im Keime zu ersticken schien. Es ist Harnack, der in Friedrich II. den Propheten der herannahenden Blütezeit der deutschen Klassik sieht, betont die Bedeutung der fast visionär klingenden Worte des Königs am Ende von De la littérature allemande, die wir hier kurz zitieren wollen: „[...] Toutefois ceux qui viennent les derniers, surpassent quelquefois leurs prédécesseurs; cela pourra nous arriver plus promptement qu'on ne le croit...Nous aurons nos auteurs classiques; chacun, pour en profiter, voudra les lire [...] et il pourra arriver que notre langue polie et perfectionnée s'étende, en faveur de nos bons écrivains, d'un bout de l'Europe à l'autre. Ces beaux jours de notre littérature ne sont pas encore venus; mais ils s'approchent. Je vous les annonce, ils vont paraître; je ne les verrai pas, mon âge m'en interdit l'espérance" (zit. nach Harnack 1901: 358).

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daher erstaunlich, daß der König die skeptische Frage nach der Fortdauer dieser Vormachtstellung tolerierte. Die Fragestellung dokumentiert jedoch eindeutig die tiefe Krise, in die das Französische als Wissenschaftssprache an der Berliner Akademie geraten war. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, wenn man berücksichtigt, daß für 1793 (diesmal nicht von der philosophischen Klasse) eine Preisfrage zur Vervollkommnung der deutschen Sprache gestellt wurde, die von Johann Heinrich Campe (1746-1818) siegreich beantwortet wurde (vgl. Häßler 1997b: 17). Wir können an dieser Stelle auf die Preisfrage nach der Universalität des Französischen nicht weiter eingehen und verweisen dazu auf Jürgen Storosts Langue française - langue universelle? Die Diskussion über die Universalität des Französischen an der Berliner Akademie der Wissenschaften. Zum Geltungsanspruch des Deutschen und Französischen im 18. Jahrhundert.** Die Reihe der sprachtheoretischen Preisfragen der Berliner Akademie im 18. Jahrhundert schließt mit der für 1792 aufgegebenen, aber auf Anraten Formeys für 1794 verlängerten Aufgabe der Vergleichung der Hauptsprachen Europas, deren vollständiger Ausschreibungstext wie folgt lautet: Vergleichung der Hauptsprachen Europas, lebender und todter, in Bezug auf Reichthum, Regelmäßigkeit, Kraft, Harmonie und andere Vorzüge; in welchen Beziehungen ist die eine der anderen überlegen, welche kommen der Vollkommenheit menschlicher Sprache am nächsten? (Vgl. Schlieben-Lange / Weydt 1988: 1)

Den Preis der Akademie gewann der Berliner Hofprediger Daniel Jenisch (1762-1804) mit einer Abhandlung, die im Stile der großen Sprachensammlungen seiner Zeit redigiert ist, aber trotz des Bewußtseins eines Paradigmenwechsels, nämlich des Übergangs von hypothetischer Empirie zu realer Empirie, auf einen Vergleich historisch-vergleichender Art ausdrücklich verzichtet (vgl. Häßler 1997b: 19/20). Jenischs Traktat orientiert sich, entsprechend der Vorgabe der Akademie, am Konzept der Harmonie der Sprachen, welches bereits für die Sprachbetrachtung der Renaissance charakteristisch war. Bedeutsam im Vergleich zu den Beantwortungen vormals gestellter Preisfragen erscheint die Tatsache, daß Jenisch es ablehnt, einer Sprache den Primat gegenüber einer anderen zuzusprechen und zugleich die Existenz einer Universalgrammatik als gemeinsame Basis aller Sprachen negiert (vgl. Häßler 1997b: 20). Diese Tatsache ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sich die Sprachbetrachtung hiermit ebenso von universalistischen Aspekten, wie sie die Sprachursprungsfrage eingefordert hatte, als auch von apologetischen Aspekten, die den Primat einer konkreten Einzelsprache beanspruchen, für eine Sicht freimacht, die sich der Betrachtung der Vielzahl der 44

Desweiteren verweisen wir auf Christmann 1967 & 1978, Häßler 1997b, Pénisson 1995, Schlieben-Lange 1984.

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Sprachen widmet und damit tendenziell in Richtung der historischvergleichenden Sprachwissenschaft zustrebt, ohne schon in diesem Sinne verstanden werden zu können. Unser Abriß der sprachtheoretischen Preisfragen der Berliner Akademie im 18. Jahrhundert hat gezeigt, daß mit der Sprachursprungsfrage ein universalistisch-anthropologisches Interesse in den Mittelpunkt der Sprachbetrachtung rückt, nachdem zuvor eine rein philologische Betrachtungsweise gefragt war, die Michaelis' Vorlieben sehr entgegenkam. An die anthropologisch und universalistisch orientierte Sprachursprungsfrage schließt sich die der individuellen und apologetischen Sprachbetrachtung verpflichtete Fragestellung nach der Universalität des Französischen an. Die Krise des Französischen an der Akademie und seine bevorstehende Ablösung durch das Deutsche dokumentiert ebenso wie die Preisfrage nach der Universalität des Französischen die von Campe siegreich beantwortete Preisfrage für 1793. Freilich gilt es dabei zu bedenken, daß zu diesem Zeitpunkt Friedrich Π. ja bereits verstorben war. Zu seinen Lebzeiten hätte man eine Frage nach der Vervollkommnung des Deutschen wohl kaum zu stellen gewagt, obwohl der König das Herannahen einer im besten Sinne klassischen deutschen Literatur ja bereits vorausahnte. Daniel Jenischs Preisschrift auf die letzte sprachtheoretische Preisfrage der Berliner Akademie im 18. Jahrhundert steht zwar noch auf dem Boden einer hypothetischen Sprachbetrachtung, kündigt aber bereits die bevorstehende Wende zur historisch-vergleichenden Sprachbetrachtung an. Als Paradigma hypothetischer Sprachbetrachtung wird zweifelsohne die Preisfrage nach dem Sprachursprung gelten können. Wir wollen uns deshalb nunmehr dem archivalischen Fundus zu dieser Preisfrage zuwenden und auf einige grundsätzliche Besonderheiten dieser Schriften eingehen. Im Anschluß daran werden wir noch, wie bereits angekündigt, die Spezifik der essayistischen Form der Gattung Preisschrift betrachten und zum Schluß dieses Kapitels das Untersuchungsverfahren vorstellen, welches unserer Analyse und Klassifizierung der Berliner Manuskripte zum Sprachursprung zugrunde liegt.

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2.2. Präsentation des archivalischen Fundus 2.2.1. Beschreibung der Ausgangslage Allgemeine Charakteristika des Berliner Fundus Im Hinblick auf die Berliner Sprachursprungsfrage erweist sich der im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie einsehbare Fundus als ein außerordentlicher Glücksfall. Eine Vielzahl, nämlich 24 von insgesamt 31 eingegangenen Preisbewerbungsschriften, ist erhalten; darüberhinaus haben die Beurteilungen der Preisrichter zu sämtlichen 31 Manuskripten die Jahrhunderte überdauert. Es ist zu vermuten, daß es der Schweizer Johann Bernhard Merian war, der die eingegangenen Preisschriften bewertete (vgl. Megill 1974: 352). Zu diesem Zeitpunkt leitete er gemeinsam mit Johann Georg Sulzer (1720-1779) die Klasse für spekulative Philosophie. Außerdem war es Merian, der am 6. Juni 1771, dem Tag der Preisverleihung, ein von ihm selbst verfaßtes ausführliches Resümee von Herders Preisschrift verlas und die konkurrierenden Manuskripte kommentierte. Dabei verwies er auf die Schwierigkeit, unter einer Vielzahl vorzüglicher Abhandlungen den Sieger küren zu müssen (vgl. Mémoires de l'Académie 1771: 379). In der Tat wurde gleich sechs Manuskripten das Accessit zugesprochen (vgl. Harnack 1900: Bd 11,1: 307)45 - ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, wenn man bedenkt, daß im Normalfall nur ein oder zwei Manuskripten diese Ehre zuteil wurde. Allerdings spricht die hohe Anzahl der Accessits auch dafür, wie schwer die Entscheidung den Preisrichtern gefallen sein muß und wie hochstehend die inhaltliche Qualität einer Vielzahl konkurrierender Manuskripte gewesen sein muß. Wir werden auf die mit dem Accessit ausgezeichneten Manuskripte noch näher eingehen. Zunächst möchten wir aber einige formale Details thematisieren, die es im Zusammenhang mit dem Berliner Preisschriftenfundus zu berücksichtigen gilt. Die 24 Manuskripte der Berlin-Brandenburgischen Akademie sind im Akademie-Archiv unter den Signaturen I-M 663 bis I-M 686 einsehbar. Im Sinne einer ökonomischeren Gestaltung der Verweise werden wir im Verlauf unserer Darstellung die Manuskripte einfach als M 663 oder M 686 kennzeichnen. An dieser Stelle wollen wir auch gleich im Hinblick auf misere Zitierpraxis festhalten, daß wir - im Gegensatz zum Paginierungsverfahren des Berliner Akademiearchivs - bei den Preisschriften, die nicht vom Autor selbst numeriert worden sind, grundsätzlich auch das Deckblatt mitgezählt haben, da sich diesbezüglich auch bei den Preisbewerbern keine einheitliche Orientierung feststellen ließ. Im Hinblick auf die Numerierung der eingeHarnack verweist an dieser Stelle selbst darauf, daß sämtliche Urteile der Preisrichter zur Sprachursprungsfrage die Zeiten überdauert haben.

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sandten Preisbewerbungsschriften haben wir uns ebenfalls entschlossen, im Gegensatz zur neuen Numerierung der Berlin-Brandenburgischen Akademie an der alten Zählung festzuhalten, welche die Preisrichter in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 (Signatur I-VI-10) vorgenommen haben, um Verwirrungen zwischen alter und neuer Zählung vorzubeugen und um mit Hilfe der am Ende des Unterkapitels beigefügten synoptischen Übersicht der Beurteilungen das größtmögliche Maß an Transparenz und Übersichtlichkeit zu erreichen (vgl. Dokumentenanhang 2.2.2.).46 Wir haben die Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 zu Beginn des Dokumentenanhangs 2.2.2. wiedergegeben. Bei Zitierung dieser Quelle verweisen wir auf unsere Transkription und verzichten daher auf die Seitenangabe des Originals. Die Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Berliner Fundus zur Preisfrage für 1771 birgt allein schon deshalb einen besonderen Reiz, weil bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Monographie, die sich diesem Fundus widmet, nicht existierte. 1974 konnte Megill, der sich als einziger im Rahmen einer Dissertation zu Sprachursprungstheorien mit den eingesandten Preisbewerbungsschriften zum Sprachursprung beschäftigt hat, feststellen, daß bis auf Claus Träger, der Herders Handschrift für seine Edition aus dem Jahre 1959 nutzte, seit 1771 niemand mehr die Essays in ihrer Gesamtheit gelesen hatte. Auch nach Megill erfolgte die Beschäftigung mit diesem Material nur in einer sehr punktuellen Weise (vgl. I. Kapitel). Diese Tatsache mag einerseits mit dem außerordentlichen Umfang des Fundus zusammenhängen. Die Abhandlungen umfassen zwischen 3 und 210 Seiten, wobei das dreiseitige Manuskript allerdings eindeutig eine Ausnahme darstellt.47 Eine Vielzahl von Schriften zeichnet sich zudem durch graphologische Besonderheiten und ein bis an die Grenzen der Dechiffrierbarkeit tendierendes Schriftbild aus. Einen Eindruck dieser teilweise extrem schwer leserlichen Handschriften vermitteln die faksimilierten Auszüge, die wir an das Ende unserer Präsentation des archivalischen Fundus angefügt haben. Inhaltlich wiesen wir bereits auf die, in der essayistischen Form begründeten Imponderabilien in Form von anekdotischen Kommentaren, länglichen

Die neue Zählung der Berlin-Brandenburgischen Akademie ist ganz auf die 24 dort vorhandenen Manuskripte abgestimmt. Da wir aber gleichfalls auf Handschriften und Texte eingehen, die offenbar wieder von ihren Autoren zurückgefordert worden sind und außerhalb des Berliner Fundus vorliegen, richten wir uns nach dem Zählverfahren der Berliner Preisrichter, die die Einsendungen nach der Reihenfolge ihres Eintreffens an der Akademie numerierten. Herders Preisschrift umfaßt 107 Oktavseiten in seiner sehr kleinen und exakten Handschrift. Demgegenüber umfaßt die Druckfassung 222 Oktavseiten. Andere Einsendungen umfassen 210, 165, 161 und 157 Oktavseiten, jedoch bei einem wesentlich großzügigeren Schriftbild.

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Explikationen zu modischen Phänomenen von Einzeldisziplinen (z.B. Anspielungen auf das principium indiscernabilium in M 667) oder einer streng schematischen Aneinanderreihung von vorgeblichen Gesetzmäßigkeiten und Axiomen hin. Zur Verteilung der verschiedenen Sprachen in den Manuskripten zur Sprachursprungsfrage Eine nicht unerhebliche Schwierigkeit für die Erschließung dieses Fundus dürfte auch darin begründet liegen, daß die Schriften gemäß Akademiedekret in drei Sprachen abgefaßt werden konnten: dem Französischen als der von Friedrich II. mit allen Prärogativen ausgestatteten „Geschäftssprache" der Akademie, Sprache des Hofes und aufstrebende neue Gelehrtensprache, dem Lateinischen als der immer noch angesehenen traditionellen Gelehrtensprache und schließlich dem Deutschen, da ja auch deutsche Gelehrte, die die beiden anderen Sprachen nicht in der gewünschten Perfektion beherrschten, sich äußern können sollten. Für den Berliner Fundus zur Sprachursprungsfrage ergibt sich nun folgende Sprachenverteilung: insgesamt 10 Manuskripte sind in französischer Sprache abgefaßt, 11 in deutscher und 3 in lateinischer Sprache. Diese Verteilung dokumentiert deutlich den Niedergang des Lateinischen als Gelehrtensprache. Jedoch stand das Lateinische bei den Berliner Preisrichtern ganz offensichtlich immer noch in hohem Ansehen. Immerhin wurden zwei der drei lateinischen Schriften mit dem Accessit ausgezeichnet, nämlich die Manukripte 666 und 674. Was die nahezu paritätische Verteilung zwischen deutschen und französischen Manuskripten betrifft, so muß nachdrücklich darauf verwiesen werden, daß es sich in manchen Fällen bei den französischen Abhandlungen um Texte von Personen handelt, die das Französische nicht richtig oder nur in äußerst rudimentärer Form beherrschten. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesen Autoren um Deutsche oder Schweizer. Allerdings fühlten sie sich aufgrund der frankophilen Aura der Berliner Akademie offensichtlich verpflichtet, in Französisch oder „Pseudo-Französisch" zu schreiben, um überhaupt eine Chance auf den Preis der Akademie in Sicht zu haben. Um einen kleinen Eindruck von der sprachlichen Kompetenz dieser Bewerber zu vermitteln, zitieren wir kurz aus ihren Schriften. Es handelt sich dabei um die Einsendungen Nr. 11 (M 670) und Nr. 26 (M 682). Der Autor der 11. Einsendung war wahrscheinlich Schweizer, da er angibt, von der Berliner Preisfrage durch die Gazette de Berne erfahren zu haben. Hier eine Kostprobe seines „Könnens": Thèorìe des régies de la lécture, constituées sur les princippes de l'ortogrâfe par allusion a l'histoirede la confusion du langage; divizé en plusieurs langues. Relativement au mystère de la confusion du langage; quia opperé la plu-

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ralité des langues. Le langage constitué sur le regime d'un état dramatique (qui est propre a Ihomme;) annonce sa théorie, dans les attributs carracteristiques de cèt état. Il est donc manifeste (par analogie du fondement reconnu au langage) qe toutte présomption d'institut conventionnel, dérogé a sa cathegorie; en agnostic d'aforisme du vrai, qui constitué le dispositif de toutte réalité. (M 670: 1)

Kaum weniger enigmatisch, aber weitaus poetischer als der administrative, knöcherne Stil des Manuskriptes 670 nimmt sich das Französisch des Manuskriptes 682 aus, welches von seinem Verfasser schwülstig als Rêveries sur le langage tituliert wird. Mit traumwandlerischer Sicherheit schreibt er in „Phantasie-Französisch" : Dans le vestibule permetez, Illustre Académie; que j'afermise un principe, qui met un chacun à l'abri de tout contraste de la Logomachie; que j'aprofondisse le fond du raisonnement sur ce qui se presente aux sens, à l'esprit combinant; que je prone la douce manie de l'incorrompue Philosophie par laquelle la société est plutôt à conglutiner qu'à disséquer par quelque férocité de l'usurpation de l'austere domination, c'est une asertion primitive et conforme à toutes les existences, que le mérite du bienfait ne se puisse jamais unir avec la noire vituperaison dont la suite est la fourbe destruction de L'autrui tout à fait apaisé aussi par déference. (M 682: 3/4)

Es versteht sich von selbst, daß beide Manuskripte in „PhantasieFranzösisch" vor den Augen der gestrengen Berliner Preisrichter keine Gnade fanden. In ihrer Beurteilung heißt es über die 11. Einsendung lakonisch: Galimatias épouvantable, dont il suffît de lire la première page pour n'avoir pas envie d'aller plus loin.

Ähnlich schmeichelhaft wird die 26. Einsendung bewertet, wird sie doch disqualifiziert mit der konzisen Bemerkung: „pièce archicomique écrite dans un baragouin françois à mourir de rire". Im Hinblick auf die Sprachenfrage erscheint Folgendes bemerkenswert: Immerhin drei der sechs Manuskripte, die die Akademie mit dem Accessit bedachte, waren in deutscher Sprache verfaßt worden: die Manuskripte 667, 672 und 683. Auch der Preis der Akademie ging mit Herder an einen deutschen Autoren. Aus diesem Grunde läßt sich also keineswegs konstatieren, daß Friedrich II. mit seinem Kult des Französischen eine Parteinahme der Preisrichter zugunsten dieser Sprache begünstigt hätte. Außerdem stellt die Zahl der Manuskripte in „Phantasie-Französisch" mit 2 von 10 ja doch keineswegs die Mehrheit dar, so daß man durchaus eine stattliche Anzahl französischsprachiger Manuskripte zumindest mit dem Accessit hätte auszeichnen können. Bemerkenswerterweise hat aber nur ein einziges französischsprachiges Manuskript das Accessit erhalten: die im Berliner Archiv nicht mehr zugängliche Nr. 9. Demgegenüber gibt es allerdings eine Vielzahl französischer Schriften, die zwar nicht das Accessit, aber den Beifall der Akademie für sich

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verbuchen konnten. Dabei handelt es sich um die Einsendungen Nr. 3, 5, 8 und 14 (vgl. die Bewertungen der Akademie in unserer Übersicht am Ende dieses Unterkapitels). Das Problem der Anonymität Ein weiteres bedeutsames Problem ergibt sich aus der Anonymität des Großteils der Preisbewerbungsschriften. Diese Anonymität liegt, wie bereits erläutert, als ein Grundprinzip dem Preisbewerbungsverfahren zugrunde. Die Aufhebung dieser Anonymität konnte einerseits offiziell durch den Akt der Preisverleihung erfolgen. Neben dem Namen des Siegers wurden unter Umständen auch die Namen derjenigen Autoren bekannt, deren Schriften das Accessit verliehen wurde. Die mit dem Accessit versehenen Schriften wurden nämlich manchmal gemeinsam mit der siegreichen Abhandlung unter Namensnennung ihrer Autoren gedruckt. Im Falle der Berliner Sprachursprungsfrage wurden die mit dem Accessit versehenen Preisbewerbungsschriften jedoch nicht zusammen mit Herders Abhandlung publiziert, was sich wahrscheinlich aus der außergewöhnlich großen Anzahl von 6 Manuskripten ergibt, die man dann hätte veröffentlichen müssen. In der Regel erhielten ja nur ein oder zwei Manuskripte das Accessit. Neben der offiziellen Aufhebung der Anonymität im Zuge der Preisverleihung konnte die Identität der unbekannten Autoren jedoch auch auf anderen, inoffiziellen Wegen ans Licht kommen. So war es z.B. durchaus möglich, daß ein Bewerber seinen Text zurückforderte, um ihn entweder seinerseits zu veröffentlichen oder um ihn einfach bei sich selbst aufzubewahren. Der historiographische Rekonstrukteur müßte also neben dem Berliner Fundus zahlreiche Archive, private Bibliotheken, Nachlässe und Briefwechsel konsultieren, um eventuell weitere Autorschaften nachweisen zu können. Ein nicht zu vernachlässigendes Verfahren zur Identifikation von Autoren stellt in diesem Rahmen zweifelsohne auch der Handschriftenvergleich dar. Hier wäre es z.B. sinnvoll, Handschriften von identifizierten Autoren, die sich oftmals auch wiederholt an Preiswettbewerben beteiligt haben, mit den in Berlin zugänglichen Schriften zu vergleichen. Abgesehen von der Schwierigkeit der Autorenattribution für die Schriften des Berliner Fundus würde eine möglichst lückenlose Rekonstruktion des Fundus zur Sprachursprungsfrage auch die Berücksichtigung einer kaum überschaubar scheinenden Menge von Archiven erfordern, um für die fehlenden sieben Schriften, die sich nicht mehr im Berliner Archiv befinden, Attributionen vornehmen zu können. Im Berliner Archiv nicht mehr zugänglich sind die folgenden Einsendungen: Nr. 1, Nr. 4, Nr. 9, Nr. 15, Nr. 18, Nr. 25 und Nr. 28. Diese Manuskripte wurden offenbar von ihren Autoren

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wieder zurückgefordert.48 Dabei ist allerdings zu bedenken, daß es sich bei der als 18. Einsendung von den Preisrichtern in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 kommentierten Abhandlung um einen Text handelt, der versehentlich diesem Faszikel zugeordnet worden war, wie seine Klassifizierung als „pièce sur les transplantations, mêlée par mégarde à celles-ci" beweist. Somit verblieben noch sechs Schriften, die es aufzuspüren gilt und deren Anonymat zu lüften wäre. Außerdem gilt es, das Augenmerk auf veröffentlichte Texte der damaligen Zeit zu richten, die sich mit dem Sprachursprungsproblem beschäftigen und mit der Preisfrage in Zusammenhang stehen könnten. In bezug auf unsere Preisfrage sind die diesbezüglichen Ergebnisse der Forschung durchaus erfreulich, da in zwei Fällen Attributionen vorgenommen werden konnten, auf die wir noch näher eingehen werden. Auch unsere eigenen Bemühungen um die verlorengegangenen Manuskripte konnten zu neuen Erkenntnissen gelangen, die noch zu thematisieren sein werden. Für eine personengeschichtlich orientierte Recherche, die aber nicht Anliegen unserer Arbeit ist, gälte es also einerseits, die nicht mehr im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie befindlichen und von ihren Autoren zurückgeforderten Schriften durch Recherchen in Archiven zu identifizieren, soweit dies noch nicht erfolgt ist und andererseits die noch ungeklärte Identität der Mehrheit der in Berlin befindlichen Einsendungen aufzudecken. Hinsichtlich der von der Akademie geforderten Anonymität läßt sich allerdings bei einigen Schriften die Tendenz einer leichten Übertretung des Akademiegebotes beobachten, indem der Schreiber durch die Verwendung von Monogrammen einen Hinweis auf seine Identität gibt, wie sich dies etwa für die Manuskripte 677 und 686 konstatieren läßt. Der Verfasser des Manuskripts 677 gibt sich als A.C. zu erkennen, während das zu spät eingetroffene Manuskript 686 mit Z.E.R. unterschrieben ist. Einen weitergehenden und im Grunde dem Preisfragengeschehen zuwiderlaufenden Weg wählt der Autor der 15. Einsendung, welche allerdings nicht mehr im Berliner Fundus einsehbar ist. Den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 ist zu entnehmen, daß es sich bei dem Autor dieser 15. Einsendung um einen gewissen L. P. G. Happach, Diakon zu Raguhn im Dessauischen handelt. Megill hat ermittelt, daß Lorenz Philipp Gottfried Happach (1742-1814) ein reformierter Geistlicher war, der eine Zeitlang den Posten des Direktors am renommierten Casimir-Gymnasium zu Coburg bekleidete (vgl. Megill 1974: 355). Außerdem veröffentlichte er eine Reihe von Büchern, deren bekanntestes sich mit den gesellschaftlichen Problemen des Judentums auseinandersetzt.49 Somit ergäben sich also nur noch fünf Autoren der verschollenen 48 49

Dies vermutet auch Megill (1974: 356). Megill (1974: 355) zitiert den genauen Titel: Archiv fir die Juden. Zur Revision ihrer gegenwärtigen Lage, und Beschafenheit, und zur Beantwortung der Frage: Kami der Jude, und wie kann er, mit andern

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Schriften, die zu ermitteln wären. Die Selbstidentifizierung des Autors führte jedoch dazu, daß seine Schrift von den Preisrichtern disqualifiziert wurde. Diese Disqualifizierung wurde freilich ohne allzu großes Bedauern ausgesprochen, da die Einsendung offenbar weit davon entfernt war, ein Meisterwerk zu sein. In den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 lesen wir darüber: L'auteur se nomme L. P. G. Happach, Diaconus zu Raguhn im Dessauischen; et par là ne peut être admissible à la concurrence, quand même sa pièce seroit un chef d'oeuvre: ce qu'elle n'est pas à beaucoup près. Im Gegensatz zu diesem Beispiel einer Selbstidentifizierung, die nach den Prinzipien des Preiswettbewerbs unweigerlich den Ausschluß des Bewerbers nach sich ziehen mußte, rekurrieren andere Autoren auf die Umschreibung ihrer Identität wie beispielsweise der Autor der allerkürzesten, nur dreiseitigen Einsendung Nr.2 (Manuskript 663), der sich als Senator aus Schweinfurt zu erkennen gibt oder der Autor der 19. Einsendung (Manuskript 676), der sich als taubstummer Baron aus Bratislava in seiner Abhandlung sogar selbst beschreibt. Bevor wir uns weiteren Autorenattributionen zuwenden wollen, die quasi „von außen" erfolgten, da sie nicht durch direkte Hinweise der Autoren in ihren Preisbewerbungsschriften selbst ermöglicht wurden, möchten wir nochmals ausdrücklich darauf verweisen, daß für diese Arbeit die Identifizierung von Autoren zweitrangig ist. Diese Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, die Gesetzmäßigkeiten einer Textserie zu untersuchen, die sich im vorliegenden Fall durch die Preisschriften zur Berliner Sprachursprungsfrage konstituiert. Gegenstand unserer Untersuchung sind zeittypische Anschauungen und Vorstellungen vom Ursprung der Sprache und nicht die individuelle Konzeption einer Einzelperson. Für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist es daher notwendig, sich stets unser Anliegen einer Rekonstruktion des Reflexionshorizontes der damaligen Zeit zu vergegenwärtigen, da die speziellen Überlegungen eines Individuums demgegenüber zurücktreten müssen. Dies schließt allerdings den Rekurs auf die Einsendungen bekannter Autoren keineswegs aus. Methodologisch kommt ihnen allerdings bei dem hier angewandten Verfahren eine gegenüber anonymen Autoren gleichwertige Rolle zu, obwohl ihre inhaltlichen Verdienste unbestritten bleiben, wie das letzte Kapitel unserer Arbeit beweisen wird. Neben der preisgekrönten Schrift Herders wurden folgende sechs Einsendungen mit dem Accessit ausgezeichnet: Nr.6 (M 666), Nr.7 (M 667), Nr. 9 (fehlt), Nr. 13 (M 672), Nr. 16 (M 674) und Nr. 27 (M 683) (vgl. Megül 1974: 457-460). Als erstes wurde die lateinischsprachige 6. Einsendung mit Nationen in einem humanen Staat gleiche Ansprüche machen, gleiche Rechte fordern, und gleiche Ehre, und Glückfinden?(Leipzig 1805)

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dem Accessit versehen. In ihrem Falle ist uns auch der Autor bekannt und zwar durch eine weitgehend deckungsgleiche Übersetzung seiner Preisbewerbungsschrift. Es handelt sich um den italienischen Pater und Philosophen Francesco Soave (1743-1806), der bei der Verbreitung des Sensualismus in Italien eine führende Rolle spielen sollte. Seine leicht modifizierte und ins Italienische übertragene Preisbewerbungsschrift findet sich in seinen Istituzioni di logica, metafisica ed etica unter dem Titel Ricerche intorno all'istituzione naturale di una società e di una lingua (e all'influenza dell'una, e dell'altra su le umane cognizioni), die im Jahre 1791 publiziert wurden. Wir werden diesen Text im IV. Kapitel unserer Arbeit eingehend untersuchen. Einen Problemfall stellt demgegenüber die mit dem Accessit versehene deutschsprachige 7. Einsendung (M 667) dar, heißt es darüber doch in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771\ Cette pièce ne va point au bout. Elle dit que dans tel cas il sera possible d'inventer le langage, et que dans tel autre il ne le sera pas. On demande s'il y a une hypothèse où cela sera possible, où si cela est absolument impossible. Il falloit donc ou prouver cette impossibilité, ou étaler simplement l'hypothèse qui démontre la possibilité.

Trotz der hier kritisierten Defizite wurde die Einsendung mit dem Accessit versehen. Das Manuskript wird wegen der Unsicherheit der dort vertretenen Position hinsichtlich der Möglichkeit menschlicher Spracherfindung kritisiert. In nahezu kasuistischem Stil werden nämlich hier Fälle genannt, in denen die Spracherfindung möglich scheint, demgegenüber aber andere Beispiele konstruiert, die eine derartige Möglichkeit ausschließen. Die Auszeichnung eines Manuskriptes, dessen Unentschiedenheit in der Frage der Spracherfindung bemängelt wird, erscheint uns allerdings problematisch.50 Dieser Tatbestand wirkt umso befremdlicher, wenn man berücksichtigt, daß im Vergleich dazu die 3. Einsendung (M 664), die als „une des meilleures" klassifiziert wird, nicht das Accessit erhielt. Diese Schrift ist auch aus unserer retrospektiven Sichtweise als ein ausgesprochen gelungenes Traktat zu betrachten, welches sich durch eine fundierte, bisweilen polemische Auseinandersetzung mit den Theorien Buffons, Charles de Bonnets (1720-1793), Rousseaus und Diderots auszeichnet, aber gleichermaßen gegen den Cartesianismus zu Felde zieht. Der Autor dieser nicht ausgezeichneten 3. Einsendung wurde übrigens von Jürgen Storost anhand eines Handschriftenvergleiches identifiziert. Dr. Storost hat uns freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, daß es sich bei

Dasselbe Unbehagen angesichts der Auszeichnung dieser Preisbewerbungsschrift mit dem Accessit kommt auch in Georgia Veldres Aufsatz „Rousseau und die Preisfrage der Berliner Akademie zum Sprachursprung im Jahre 1769" zum Ausdruck (vgl. Veldre 1997: 139).

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diesem Schreiber um den aus Lyon stammenden Etienne Mayet (17511824/1825?) handelt. (Der Hinweis auf Mayets Teilnahme an der Berliner Sprachursprungsfrage findet sich auch in Storosts Langue française - langue universelle? Die Diskussion über die Universalität des Französischen an der Berliner Akademie der Wissenschaften. Zum Geltungsanspruch des Deutschen und Französischen im 18. Jahrhundert. 1994: 285). Bei dem damals ja noch sehr jungen Mayet handelt es sich um einen quasi „notorischen" Teilnehmer an Preisfragen der Berliner Akademie. Storost konnte problemlos allein drei Antworten auf Berliner Preisfragen nachweisen. Die Preisbewerbungsschrift des erst neunzehnjährigen Etienne Mayet, der 1769 nach Paris geschickt wurde, um dort das Metier seines Vaters zu erlernen, der als Stoffhändler tätig war, zeugt von einer außerordentlichen Intelligenz und Bildung. Die Textkenntnis unterschiedlichster Werke sensualistischer wie cartesianischer Prägung ist ebenso beeindruckend wie die von großem Interesse an der Materie zeugenden Einlassungen zu anatomischphysiologischen Problemen wie etwa dem Vergleich zwischen Mensch und Orang-Utan. Anhand dieses Beispiels läßt sich nachvollziehen, daß die Prämierungspraxis der Akademie aus unserem retrospektiven Blickwinkel als nicht immer ganz glücklich beurteilt werden kann. Allerdings ist auch zu bedenken, daß Merian ja die große Schwierigkeit, angesichts der Fülle hochkarätiger Einsendungen zu einem gerechten Ergebnis zu kommen, bei der Preisverleihung ausdrücklich hervorgehoben hatte (vgl. Mémoires de Γ Académie 1771: 379). Die in Französisch abgefaßte 9. Einsendung, die von der Berliner Akademie mit dem Accessit ausgezeichnet wurde, hat wahrscheinlich der Autor zurückgefordert. Somit gehört sie zu den im Berliner Archiv fehlenden Manuskripten. Ihr Verlust ist schmerzlich, da sie ausgesprochen wohlwollend beurteilt wird und offenbar drei unterhaltsame Geschichten enthält, die den Sprachursprung in einer sehr anschaulichen Weise darzustellen vermögen. Wir lesen über diese Schrift in der Beurteilung: Mal écrite. Mais pleine de choses excellentes. Trois fables charmantes qui expliquent très nettement l'origine des langues.

Bei der mit dem Accessit ausgezeichneten 13. Einsendung (M 672) handelt es sich um ein sehr umfangreiches Manuskript von insgesamt 157 Seiten im Oktavformat. Die in deutscher Sprache verfaßte Schrift beeindruckt durch eine nähere Auseinandersetzung mit den Grundprämissen des Sensualismus, des Verhältnisses zwischen Sprache und Denken sowie dem Vergleich der menschlichen Sprache mit tierischen Kommunikationsformen. Der Verfasser dokumentiert umfangreiche literarisch-philologische Kenntnisse, wie nicht nur der Bezug auf Aristoteles und Galenus (129-200/210? n. Chr.) als Eingangs- und Schlußdevisen seiner Abhandlung belegt. Daneben interessiert er sich stark für den methodologischen Aspekt der Fragestellung, was anhand

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seiner etwas langatmigen Diskussion des Hypothesenbegriffs (M 672: 1-11) deutlich wird. Das fünfte Accessit wurde abermals einer lateinischsprachigen Einsendung zugesprochen. Die 48 Oktavseiten umfassende Preisbewerbungsschrift beeindruckt durch eingehende Betrachtungen zum Problem der Ursprache, zur Verschiedenheit der Sprachen und zum genius linguae. Neben der ausführlichen Erörterung des Sprachwandels, die ein deutliches Bewußtsein für das Phänomen des Substrats erkennen läßt (vgl. M 674: 4), wird das Problem der Interrelation zwischen Sprache und Denken eingehend diskutiert, wobei der Autor im Gefolge Christian Wolffs, auf dessen Psychologia rationalis er sich beruft, die Sprachabhängigkeit des Denkens postuliert (vgl. M 674: 27). Die Preisschrift läßt insbesondere das Interesse an der epistemologischen Seite der Problemstellung erkennen, wobei der anthropologische Aspekt jedoch keineswegs unberücksichtigt bleibt. Eine exakte Bestimmung der facultates naturales ist hier ebenso wie im Falle Soaves ein zentrales Anliegen. Im Sinne von Leibniz wird z.B. die perceptio als bewußte Vorstellungskraft deutlich von der auch unbewußt möglichen sensatio unterschieden (vgl. M 674: 15). Überhaupt steht diese Preisschrift unverkennbar in der Tradition der leibnizwolffischen Philosophie und konnte zwar zweifelsohne die Sympathien Sulzers, aber keineswegs diejenigen des Newtonianers Merian für sich verbuchen (vgl. unsere Ausführungen in 2.1.). Die deutschsprachige Einsendung Nr. 27 (Manuskript 683) weiß durch exotisierende Elemente zu gefallen. Hauptgegenstand des Interesses ist die Rekonstruktion von Ursprachen auf der Basis bestehender „primitiver" Sprachen. Als Beispiele solcher primitiver Sprachen werden das Chinesische, das Annamnitische, das Koptische und das Galibi angeführt. Diese Sprachen dienen als Basis, um die Entwicklung „zivilisierter" Sprachen und den Prozeß der allmählichen Ausformung des grammatischen Systems nachzuweisen. Über diese Preisschrift heißt es in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771, sie verdiene „une grande attention". In der Tat ist das Bewußtsein für die Erscheinungen des Sprachwandels und die Ausbildung eines grammatischen Systems bemerkenswert und in dieser Form in keiner der konkurrierenden Abhandlungen auffindbar. Eine den grammatischen Aspekt der Spracherfindung betonende Preisbewerbungsschrift ist auch die 14. Einsendung, von der die Preisrichter vermuteten, sie sei von Nicolas Beauzée (1717-1789) verfaßt worden. Die Abhandlung enthalte „une excellente grammaire philosophique", die die Juroren an Beauzées Arbeiten erinnerte. In Wirklichkeit handelt es sich bei der hier vorliegenden 210 Oktavseiten umfassenden Dissertation sur la formation des langues jedoch um einen Text des ansonsten unbekannten Abbé de Copineau. In einer nur leicht modifizierten Form ließ dieser die Abhandlung nämlich im Jahre 1774 unter dem Titel Essai synthétique sur l'origine et la formation des

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langues in Paris erscheinen. Neben der philosophischen Grammatik ist hier vor allem die Stringenz der Darstellung eines hypothetischen Gedankenexperimentes beachtenswert. Unter dem Einfluß Condillacs nimmt Copineau ein isoliertes Kinderpaar beiderlei Geschlechts an, welches er noch in Unkenntnis aller Sprache auf einer einsamen Insel imaginiert. Interessanterweise wird dieses Paar jedoch von einer Gruppe von observateurs, die freilich niemals mit den Kindern kommunizieren dürfen, beobachtet. Die Idee der Beobachtergruppe auf der Insel ist zweifelsohne eine Erweiterung des Condillacschen Gedankenexperimentes und verleiht ihm in noch stärkerer Weise die Note eines realen „Versuchsaufbaus". Preisbewerbungsschriften außerhalb des Berliner Fundus Nachdem der im Berliner Archiv einsehbare Fundus in groben Zügen vorgestellt wurde, erscheint es nunmehr geboten, auf Preisbewerbungsschriften einzugehen, die dort nicht vorliegen, da sie von den Bewerbern zurückgefordert und teilweise auch publiziert wurden. Die Ausgangslage stellt sich nun folgendermaßen dar: 24 der 31 Manuskripte sind im Berliner Archiv zugänglich. Eines der 31 Manuskripte, die Nr. 18, gehört eigentlich nicht zum Thema und wurde nur versehentlich im Faszikel mit den Preisschriften zum Sprachursprung einsortiert. Was die sechs verbleibenden Manuskripte betrifft, so befinden wir uns in der erfreulichen Lage, für drei dieser Schriften Attributionen vornehmen zu können. Copineaus Essai war nämlich keineswegs die einzige Abhandlung, die in den frühen siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum Sprachursprung veröffentlicht wurde. Megill (1974: 357) benennt in seiner Dissertation drei weitere Autoren, die Arbeiten zum Sprachursprung veröffentlichten, welche in den Jahren 1772 und 1773 publiziert wurden und sich in den Kontext der Berliner Preisfrage gut einfügen. Eine dieser drei Schriften ist Georg Christian Füchseis (1722-1773) Entwurf zu der ältesten Erd- und Menschengeschichte, nebst einem Versuch, den Ursprung der Sprache zu finden. Diese Abhandlung erschien in Frankfurt und Leipzig im Jahre 1773. Wie der Titel schon verrät, handelt es sich dabei aber primär um ein geologisches Traktat, welches sich mit der Bildung der verschiedenen Gesteinsschichten, der Entstehung von Erde und Meer, unterschiedlichen Arten von Gebirgsformationen, aber auch mit den verschiedenen Tier- und Pflanzenarten beschäftigt. Im 69. Paragraphen dieser Abhandlung behandelt Füchsel die „Menschenkunde vor sich". An seine biologisch-anthropologischen Überlegungen schließt sich ab Paragraph 100 unter dem Titel „Die Sprachkunde an und vor sich" der „Versuch" über den Sprachursprung an, der die Paragraphen 100-151 umfaßt. Für unseren Zusammenhang erscheint die Tatsache bemerkenswert, daß bei Füchsel trotz der primär geologischen Akzentuierung in seiner Argumentati-

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od zum Sprachursprung eine Vielzahl von als topisch zu klassifizierenden Argumenten auftaucht, die sich ebenfalls bei seinen Mitbewerbern finden. Obwohl der geologische Grundtenor dieser Abhandlung eher eine andere thematische Richtung einschlägt als diejenige, die von der Berliner Akademie gefordert war, fmden sich bei Füchsel jene von uns im dritten Kapitel behandelten Topoi wieder (vgl. die Topoi-Tabellen im III. Kapitel), die die damalige Reflexion zum Sprachursprung kennzeichnen, wie noch zu sehen sein wird. Die Identifizierung Füchseis als eines der fehlenden Autoren läßt sich relativ problemlos nachvollziehen, da die Beschreibung der ersten Abhandlung in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 genau auf Füchseis Text paßt (vgl. unsere Wiedergabe der Mémoires in 2.2.2.). Da Füchsel allerdings die Sprache ebenso wie die Erde für ewig existent hält und damit die Möglichkeit einer menschlichen Spracherfindung negiert, konnte er den Erwartungen der Akademie nicht entsprechen. Da er zudem ein wesentlich stärkeres Gewicht auf geologische Reflexionen als auf den Sprachursprung legt und einen eindeutigen Beweis für die Unmöglichkeit menschlicher Spracherfindung schuldig bleibt, entsprach seine Abhandlung nicht den Erfordernissen des Preis Wettbewerbs. Ähnlich wie im Falle Füchseis läßt sich auch eine zweite Attribution aufgrund einer auf Betreiben des Autors selbst veranlaßten Veröffentlichung vornehmen. Im Jahre 1772 wurde in Bützow eine Abhandlung mit dem Titel Ueber den Ursprung der Sprachen und der Schrift publiziert. Es handelte sich dabei um das Werk des dänisch-deutschen Philosophen Johann Nicolaus Tetens (1736/1738-1807). Tetens war Universitätsprofessor für Philosophie in Bützow und vermochte mit seinen Philosophische[a] Versuche[n] über die menschliche Natur und ihre Entwicklung die Bewunderung Immanuel Kants (1724-1804) zu gewinnen. Ernst Cassirer (1874-1945) erachtet ihn als den originellsten und scharfsinnigsten Denker der analytischen Philosophie der Aufklärung (vgl. Droixhe 1978: 179). Tetens leitet seine Abhandlung unmittelbar mit der Preisfrage der Berliner Akademie ein, was seine direkte Teilnahme am Berliner Wettbewerb naheliegend erscheinen läßt. Wahrscheinlich handelt es sich bei der fehlenden 4. Einsendung um seine Abhandlung. Da das Urteil der Preisrichter im Gegensatz zu dem über die FüchselSchrift sehr allgemein formuliert ist (vgl. unsere Wiedergabe der Mémoires in 2.2.2.) und Tetens bei seiner Publikation auch keine Devise verwendet, kann in diesem Falle nur anhand eines „Exklusionsverfahrens" vermutet werden, daß die als viertes in Berlin eingetroffene Einsendung aus Tetens ' Feder stammt. Bei diesem „Exklusions verfahren" werden die Beschreibungen in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives, die sich auf die im Berliner Archiv nicht mehr zugänglichen Manuskripte beziehen, betrachtet. Die Beschreibung der fehlenden Nr. 1 paßt ganz eindeutig auf Füchsel,

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Nr. 9 ist in Französisch abgefaßt, die Nr. 15 stammt von Happach, Nr. 25 wurde von uns selbst identifiziert und der Beschreibungstext zur Nr. 28 paßt überhaupt nicht auf den Tetens-Text. Aufgrund dieses „Exklusionsverfahrens" verbleibt einzig die als Nr. 4 eingegangene Einsendung als die Abhandlung von Tetens. Da Tetens ja seine Sprachursprungsabhandlung bereits 1772 publizierte und darin auch zu Beginn den Text der Preisfrage zitiert, erscheint es naheliegend, daß er und kein anderer Autor als der Verfasser der verschollenen Nr. 4 anzusehen ist. Diese Nr. 4 wäre dann deshalb „verschollen", weil Tetens seine Abhandlung zum Zwecke der Publikation zurückgefordert hätte. Einerseits legen die Zitierung der Berliner Preisfrage unmittelbar zu Beginn von Tetens' Ueber den Ursprung der Sprachen und der Schrift sowie das Erscheinungsjahr 1772 seine Teilnahme am Berliner Preiswettbewerb nahe, andererseits erscheint die Beurteilung in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 die Tetens-Schrift zu charakterisieren. Der Grundtenor der 4. Einsendung wird nämlich in den Mémoires folgendermaßen charakterisiert: „II est possible que les hommes inventent le langage; mais cela n'arrive pas nécessairement". Diese Beschreibung paßt zu Tetens' Hypothese, der immer wieder auf der Möglichkeit seiner 'Versuchsanordnung' abhebt; die Möglichkeit jedoch strikt von der Wirklichkeit abtrennt (vgl. Tetens 1971: 41). Die Charakterisierung in den Mémoires scheint unmittelbar an den Beschluß von Tetens' Ueber den Ursprung der Sprachen und der Schrift anzuknüpfen. Dort heißt es nämlich: „So viel ist also, wie ich glaube, erwiesen, es sei dem Menschen durch seine natürlichen Fähigkeiten möglich, sich eine Sprache zu verschaffen, und es sei solches auf die erklärte Art und Weise möglich. Es ist nicht erwiesen, daß er notwendig sich selbst überlassen eine erfinden mußte, unter welchen Umständen er sein möge (Tetens 1971: 86). Tetens greift bei seiner Argumentation auf eine Vielzahl von topischen Argumentationsstrukturen zurück, die für den gesamten Berliner Wettbewerb typisch sind (vgl. III. Kapitel). Besonders bemerkenswert erscheinen seine Überlegungen über die Bedeutung des Bewußtseins als eines zentralen Elementes des menschlichen Erkenntnisprozesses. Seine diesbezüglichen Einlassungen weisen gewisse Parallelen zu Herders Konzeption der Besonnenheit auf (vgl. Tetens 1971: 50 und vgl. Kap. 4.3). Das Bewußtsein ist für Tetens die „subjektivische Klarheit und Deutlichkeit" (Tetens 1971: 50), die als eine Vorstufe der „objektivischen Deutlichkeit" erscheint, welche Vernunft und Reflexion ermöglicht. Tetens' Abhandlung berücksichtigt in umfassender Weise sowohl die anthropologischen als auch die epistemologischen Implikationen der Fragestellung, wobei er sich der von uns im III. Kapitel vorgestellten rekurrenten Argumentationsweisen bedient.

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Im gleichen Jahre wie Tetens' Essay erschien eine Abhandlung mit dem Titel Versuch einer Erklärung des Ursprunges der Sprache, welche von dem Philosophiehistoriker Dietrich Tiedemann (1748-1803) verfaßt worden war. Die Abhandlung ist mit 256 gedruckten Oktavseiten ein sehr umfangreiches Werk, in welchem sämtliche charakteristischen Topoi des Berliner Preiswettbewerbs auftreten. Die Fragestellung wird umfassend beantwortet. Tiedemann ist ebenso bemüht, die allmähliche Entstehung grammatischer Strukturen nachzuweisen wie die Möglichkeit eines menschlichen Sprachursprungs. Er betrachtet ausführlich die verschiedenen Funktionen der Sprache, wobei er die kommunikative von der kognitiven unterscheidet und auf dieser Basis die Zusammenhänge zwischen Sprache und Gesellschaft ebenso wie die von Sprache und Denken untersucht (vgl. Tiedemann 1985: 13/14). Im Kielwasser des Sensualismus nimmt er die Sinnesempfindungen als Ursprung der Begriffe an (Tiedemann 1985: 43). Allerdings postuliert er gegen den Sensualismus die Anteriorität des Denkens vor der Sprache (Tiedemann 1985: 167). Sinnliche Vorstellungen sind für Tiedemann sprachunabhängige Phänomene (Tiedemann 1985: 168). Da das Vermögen, Idee und Ton miteinander zu verbinden, sowohl kleinen Kindern als auch Tieren und in tierischer Gesellschaft aufgewachsenen Menschen gegeben sei, könnten sich selbst überlassene Menschen das Zeichensystem Sprache erfinden (vgl. Tiedemann 1985: 171). Obwohl das Erscheinungsjahr 1772 und die Beantwortung der Berliner Preisfrage nahelegen, daß es sich auch bei Tiedemanns Text um eine der fehlenden Einsendungen handeln könnte, muß dies aufgrund der Beschreibungen der fehlenden sechs Manuskripte ausgeschlossen werden. Bei der Nr. 1 handelt es sich um die Abhandlung Füchseis, Nr. 4 ist der Text von Tetens, Nr. 9 ist in Französisch verfaßt, Nr. 15 stammt von Happach, Nr. 25 wurde von uns aufgespürt und die Beschreibung der Nr. 28 in den Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 paßt nicht auf den Text von Tiedemann. Somit läßt sich Tiedemanns Abhandlung als ein Text betrachten, der im unmittelbaren ideologischen Umfeld der Berliner Preisfrage entstand, wahrscheinlich durch sie angeregt, aber nicht eingesandt wurde. Die außerordentliche Länge des Textes läßt vermuten, daß Tiedemann vielleicht mit der Redaktion seiner Abhandlung nicht mehr rechtzeitig fertig wurde, um sie im vorgegebenen Zeitraum nach Berlin zu schicken. Da Tiedemanns Abhandlung zum unmittelbaren Umfeld der Berliner Preisfrage gehört, haben wir sie ebenfalls auf charakteristische Argumentationsstrukturen und Topoi hin untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in den Topoi-Tabellen am Ende am Ende des ΠΙ. Kapitels ersichtlich. Wie bereits angedeutet, ist es uns gelungen, eine weitere der fehlenden Einsendungen zu identifizieren, deren Bedeutung für unseren Zusammenhang bisher noch nicht bekannt war. Es handelt sich um die 25. Einsendung, die

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von den Preisrichtern als „très-bonne" beurteilt wird und die eine überzeugende Widerlegung der Sprachursprungshypothesen von Rousseau und Süßmilch beinhaltet. Diese deutsche Einsendung ist das Werk des Göttinger Professors Johann David Michaelis. Da Michaelis selbst in seiner preisgekrönten Antwort auf die Preisfrage für 1759 die Berliner Sprachursprungsfrage angeregt hatte, ist seine Teilnahme wenig überraschend. Die Devise des in Göttingen aufgespürten Manuskriptes ist identisch mit derjenigen der Berliner Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771, die Beschreibung des Manuskripts Nr. 25 durch die Berliner Preisrichter deckt sich mit dem Inhalt des Michaelis-Manuskripts. Wir liefern eine ausführliche Interpretation dieses Textes in Kapitel 4.2. Durch unseren Göttinger Fund ergibt sich somit eine neue Ausgangskonstellation hinsichtlich der fehlenden Manuskripte zur Berliner Sprachursprungsfrage. Bis auf die Einsendungen 9, 15 und 28 sind nunmehr alle eingesandten Texte (bis auf Nr. 18, die ja nur versehentlich im Rahmen der Sprachursprungsfrage berücksichtigt wurde) vorhanden und interpretierbar. Da die fehlenden Autorenattributionen nicht Gegenstand unserer Arbeit sind, werden wir im Anschluß an die nun folgende Legende zur Verwendung von (Sonder-) Zeichen bei Zitierung aus den Manuskripten zur Berliner Preisfrage und den Dokumentenanhang noch auf die Besonderheiten der essayistischen Form der Preisfrage und auf unseren methodologischen Ansatz eingehen, bevor wir die zentralen Topoi der Textserie zum Sprachursprung untersuchen wollen.

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Legende zur Verwendung von (Sonder-)Zeichen bei Zitierung aus den Manuskripten zur Berliner Preisfrage Symbol *

*

Erklärung Der in Asterisken gesetzte Ausdruck wurde vom Autor des jeweiligen Manuskriptes unterstrichen.

[ ]

Ausdrücke, die in eckige Klammern gesetzt wurden, sind in der Regel Tilgungen, in seltenen Fällen wurden auch Wortwiederholungen in eckige Klammem gesetzt.

[kursiv von C.N.]

besondere Hervorhebung seitens der Autorin

[fett von C.N.]

Hervorhebungen der Autorin, die die markierte Textpassage als besonders wichtig ausweisen.

[Anmerkung von C.N.] [Erklärung von C.N.] [C.M]

Diese drei Markierungen werden bei Eingriffen der Autorin verwendet, die das Textverständnis für den Leser erleichtern sollen.

[...]

Dieses Zeichen steht für das Auslassen eines Wortes, Satzes oder einer gesamten Textpassage.

(

)

Runde Klammern wurden vom jeweiligen Autor des Manuskriptes selbst gesetzt.

[sie]

Obwohl sich in den Einsendungen zur Berliner Preisfrage zahlreiche orthographische und graphologische Besonderheiten finden lassen, werden in verschiedenen Fällen, in denen die Autorin es für geboten hielt, ungewöhnlich oder inkorrekt erscheinende Ausdrücke durch dieses Zeichen markiert. Bei diesem Zeichen handelt es sich um Gedankenstriche der Autoren des jeweiligen Manuskriptes.

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2.2.2. Dokumentenanhang zum archivalischen Fundus Auf den folgenden Seiten liefern wir eine leicht modifizierte Fassung der Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771, also der Beurteilungen der Preisrichter. Die vorgenommene Modifikation betrifft einerseits die optische Darstellung der Mémoires. Das Original ordnet nämlich die Seiten spiegelsymmetrisch an, so daß Beurteilung und Devise alternierend die linke Spalte des Textes ausfüllen. Wir haben im Sinne einer größeren Übersichtlichkeit von dieser spiegelsymmetrischen Darstellung Abstand genommen. Im Dienste der größeren Übersichtlichkeit haben wir auch eine zweite Modifikation vorgenommen. Diese besteht im Hinzufügen der Nummer des Manuskriptes (M...X) direkt hinter der Einsendungsnummer. Für die Interpretation der Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 sei darauf verwiesen, daß die in der schmalen mittleren Spalte auftretenden Abkürzungen „All", „fr." und „Lat" sich auf die jeweilige Sprache beziehen, in der das Manuskript verfaßt ist; also entweder in Deutsch, Französisch oder Lateinisch. Im Anschluß an die Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 haben wir einige faksimilierte Abbildungen von Preisbewerbungsschriften angefügt, um einen Eindruck von den besonderen Schwierigkeiten zu geben, denen man sich bei der Dechiffrierung dieser Texte gegenübersieht. Es folgt die Transkription des Sitzungsprotokolles der Berliner Akademie vom 6. Juni 1771, in dem Herder als Autor der zu krönenden Schrift identifiziert wird. Anschließend fügen wir die bereits angekündigte, bisher noch unveröffentlichte Reproduktion der kurzen Notiz Herders bei, der den Empfang der Preismedaille bestätigt. Für die Autorisation zur Reproduktion dieses Textes danken wir herzlich dem Direktor des Archivs der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Herrn Dr. Wolfgang Knobloch.

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Mémoires pour le prix de la Classe spéculatives de 1771 [Signatur: I-VI-10] I. Cette solution du problème est négative. Selon l'auteur, le monde est éternel, la terre et tous les genre d'êtres qu'elle produit sont éternels. le langage est éternel: toutes les langues mères sont éternelles. La terre et les autres planètes sont de taches du soleil séparées de son corps, qui ont subi divers changemens et dans leur course et dans leur constitution, en conservant cependant toutes les races d'hommes, d'animaux, les langues. Tout cela est concilié avec Moïse, et les anciennes traditions des autres peuples, mais quelque curieuses que soient ces spéculations, elles sont inutiles, où l'auteur devoit se borner à prouver que le langage ne pouvoit pas être une invention humaine.

All.

Π. (M 663) en 2 pages, ne mérite aucune attention. d'un Sénateur de Schweinfurt.

Ail.

m . (M 664) Affirmative, les enfans premiers inventeurs du langages, les mot génériques ont précédé les mots des espèces et des individus: aussi bien que les idées. Les idées générales intellectuelles n'existent point. Pour diviser les objets, les analyser, en abstraire les relations physiques, morales métaphysiques, ébaucher les sciences, & le langage parlé ne suffisoit pas: il falloit le langage écrit, origine et progrès de ce langage. Cette pièce est une des meilleures.

Ein Wort zu meiner Zeit von meiner Art.

Magna stultitia est earum rerum deos facere effectores, causas non quaerere. Cie.

IV. Affirmative. Il est possible que les hommes inventent le langage; mais cela n'arrive pas nécessairement. La preuve de la possibilité suffisoit. la pièce est bonne.

All.

V. (M 665) Elle affirme la question, on y pose 10 principes pour expliquer la formation naturelle du langage, dont les 4 derniers qui roulent sur les changemens que le langage a éprouvés, sont peut-être superflus, on finit par répondre aux objections de M. Sussmilch. Cette pièce est excellente.

fr.

Est quandam prodire tenus, si non datur attr.

nequeat cum sentit. Ον.

dicere,

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VI. (M 666) Affirmative. Elle satisfait pleinement à toute la question: elle épuise la matière, et ne laisse rien à désirer. Elle est d'une excellence supérieure.

Lat.

Utilitas expressit nomina rerum. Lucr.

VII. (M 667) Cette pièce ne va point au bout. Elle dit que dans tel cas il sera possible d'inventer le langage, et que dans tel autre il ne le sera pas. on demande s'il y a une hypothèse où cela sera possible, où si cela est absolument impossible. Il falloit donc où prouver cette impossibilité, ou étaler simplement l'hypothèse qui démontré les possibilité.

Ail.

Possunt quia posse videntur. Virg.

V m . (M 668) Cette pièce est d'un philosophe. Elle affirme la question, on semble d'abord confondrer l'invention des langages avec celle du langage; mais ensuite on saisit le vrai point de la question. J'y désire la solution des difficultés proposée par Rousseau; c'est que sans langage il n'y a point de raison; et que pour inventer le langage il faudroit que la raison préexistât. Il y a cette bonne remarque que les mots qui désignent les choses les plus nécessaires et les plus intéressantes pour l'homme dans son premier état, sont monosyllabes dans toutes les langues. L'auteur, en prenant plus de temps, aurait mieux fait.

fr.

Nemo dat quod non habet.

IX. Mal écrite, mais pleine de choses excellentes. Trois fables charmantes qui expliquent très nettement l'origine des langues.

Unum animal cunetas bellorum possidet artes.

X. (M 669) bavardage.

Felix qui potuit

XI. (M 670) Galimatias épouvantable, dont il suffit de lire la première page pour n'avoir pas envie d'aller plus loin. ΧΠ. (M 671) Pièce qui n'est pas mauvaise mais qui ne fait qu'effleurer la question. X m . (M 672) Affirm, au commencement l'auteur chicane mal à propos sur les termes du problème, et sur le mot d'hypothèse. Il partage ensuite sa Dissertation en 3 parties 1. Les connoissances dont l'homme est capable avant

fr.

Pour célébrer &c.

ail.

εστι γαρ απαιδευσια &c. Arist.

Präsentation des archivalischen Fundus

119

l'invention du langage. 2. L'invention même. 3. Confirmation tirée de l'histoire. Ces trois parties sont supérieurement traitées, et renferment des vues neuves, et des réflexions profondes. X I V . ( M 673) Afñrm. L'auteur suppose une colonie d'enfans dans une île, dirigée et soignée par des philosophes, on pourroit douter s'il n'y a pas dans son hypothèse un saut trop brusque du langage ""analogique* (l'ordre des langages qui naîtront sera 1. le pathétique 2. le mimique. 3. le imitatif. 4. le analogique) à la réflexion qui apprend à ces hommes que les sons peuvent être employés pour exprimer des idées. Cette pièce contient une excellente Grammaire philosophique. Elle me paroît être de Mr Beauzee.

fr.

XV. Pièce Allemande, Commence par le péché originel. L'auteur se nomme L . P. G. Happach Diaconus zu Raguhn im Dessauischen, et par là

[ail.]

au défaut du certain cherchons dumoins le vraisemblable

ne peut être admissible à la concurrence, quand même sa pièce serait un chef d'oeuvre, ce qu'elle n'est pas à beaucoup près. XVI. ( M 674) Affirmative.

Lat.

Equum hinnire &c.

X V Ü . ( M 675) passable.

AU.

Sequor non duco

XIX. ( M 676) Négative. L'auteur date de Breslau. Exemple mémorable d'un baron sourd de naissance, qui avoit 50 ans en 1769 et qui sait tout, sans avoir jamais su parler.

Lat.

Natura quod in uno deficit, in altero resarcitur.

XX. ( M 677) Il n'y a proprement qu'une seule langue: la langue de la nature, qui résulte des organes communs à tous les hommes, et de la formation des lettres par ces organes, lesquelles ont originairement chacune la même signification, qui se retrouvent dans toutes les langues, seulement plus ou moins et différemment modifiée. C'est la these fondementale de l'auteur de cette pièce, qui est ingénieuse.

Ail.

omnia in unum et unum in omnia

X V m . pièce sur les transplantations, mêlée par mégarde à celles-ci.

120

Institutionelle Grundlagen

XXI. (M 678) Bonne.

fir.

Aeris et linguae sum filia.

ΧΧΠ. (M 679) L'auteur traite trois articles. 1. la capacité qu'a l'homme sauvage d'inventer une langue. 2. La nécessité qu'il y a qu'il en existe une. 3. La nature de cette langue. Elle ressemblera pour le fond à toutes nos langues.

Ali.

Sapere aude.

X X m . (M 681) L'auteur croit que nous supposons la possibilité de l'invention naturelle du langage. Il n'a pas bien lu notre programme. Il traite [1. de] 1. de la nature et des parties constituante du langage. 2. Sa naissance chez des hommes abandonnés à leurs capacités naturelles. La pièce est très-bonne.

Ail.

Varios linguae sonitus

AU.

Loquentis ab ore Arripuit pater stupefactus numine pressit.

XXIV. (M 680) Ne mérite aucune attention. XXV. (Cod. Mich. 72) Cette pièce est trèsbonne: elle réfute Rousseau et Susmilch, mais elle n'entre point dans les détails de l'hypothèse désirée. Elle ne fait qu'indiquer les dispositions naturelles de l'homme qui pourroient faciliter l'invention du langage, et cette partie est bien maniée. '"Choses à remarquer'" 1. pp. 4.5. *Nous pouvons pro-noncer toutes les lettres grecques* excepté le zeta et thêta. 2. Familles dans le Tarthassa, avec l'épine du dos prolongée de façon qu'ils ne sauraient monter à cheval. Relation Russe curieuse à ce sujet, pp. 45.46. note. 3. L'auteur souhaite que l'Académie propose cette question: si toutes nos langues dérivent d'une seule langue primitive; et si malgré leur défiguration, elles en conservent des traces, et laquelle des langues dérivées approche le plus de la primitive, pp. 54.55.56. XXVI. (M 682) *Réveries sur le langage*

Chaque passion parle un différent langage.

pièce archicomique écrite dans un baragouin françois à mourir de rire. XXVn. (M 683) Cette pièce mérite une grande attention. L'auteur commence par indiquer des langues originales existantes, c'est à

Ail.

Ex eventu fari fortuito coeperunt. Vitt.

Präsentation des archivalischen Fundus

121

dire qui n'ont ni conjugaison, ni déclinaison ni inflexion, ni composition quelconques, et où les mots sont couches les uns à côté des autres comme à la Mosaïque. Tels sont les Chinois et les autres langues au de là du Gange: tel le Galibien dans l'Amérique méridionale. Tel l'Ancien Cophte, mais qui depuis a un peu changé. Π explique au mieux la transformation de ces langues dans nos formes grammaticales. Ensuite il explique comment des premiers sons et des premières articulations sont nées les langues rudes et originales. XXVm. Cette pièce est un trésor d'érudition étymologique. Il recherche dans toutes les langues les étymologies des trois sortes de langages, Natur Sprache, Schall Sprache, Kunst Sprache. Il joint, en manière de supplément une dissertation pour prouver que la langue Gothique ou Allemande est plus ancienne que la Grecque et la Latine, et que ces deux dernières sont les filles de la première. Sa preuve est tirée des noms des différens pays de l'Europe considérée sous la figure d'une vierge: il prouve ou veut prouver que tous ces noms désignent, dans leur étymologie Gothique, les parties que les pays occupent dans le corps de la vierge. N. Cette pièce mérite attention, parce qu'elle est du même auteur que l'Académie avoit encouragé lors du prix donné à M. Michaelis en 17S9.

Ailemand.

At varios linguae sonitus &c.

Rem. p. 17. il y a une preuve que les Grecs prononcoit le ai, par ae et non par ay, car ovai répond au vae des Latins, au wehe ! des Allemands, et à la *vox doloris* que la nature exprime à tous les hommes. Comment donc l'auteur, dans la suite, suppose-t-il pour différentes étymologies que le ai se prononçoit ay? XXIX. (M 684) Elle est en deux parties conformément à la division du problème. Mais dans la seconde l'auteur ne fait point d'hypothèse qui montre la chose comme possible. Il prétend montrer qu'elle a dû nécessairement arriver, et qu'il étoit impossible qu'elle n'arrivât point. Il veut prouver que la première

All.

Vocabula sunt rerum. Cie.

notae

122

Institutionelle Grundlagen

pensée de l'homme étoit im langage intérieur; mais il me semble qu'il ne fait pas assez voir comment en est né le langage extérieur: il s'arrête davantage au perfectionnement de ce langage. La pièce est supérieurement pensée et écrite. XXX. (M 685) Mr de Keith a rapporté ce Discours de Paris: il est arrivé trop tard, mais il n'a rien d'exquis.

Fr.

Varios linguae sonitus &c.

XXXI. (M 686) Est arrivée trop tard, et selon les lois ne peut plus concourir. Ne mériterait pas le prix, si elle le pouvoit.

Fr.

Difficilia quae pulcra.

Faksimiles von repräsentativen Auszügen aus Einsendungen zur Berliner Preisfrage 1771 (Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Signaturen I-M 663 bis I-M 686)

Institutionelle Grundlagen

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