Die Côte des Allemands: Eine Migrationsgeschichte im Louisiana des 18. Jahrhunderts 9783839440063

Colonial Louisiana abounds with legends. Following the traces of German settlers in the lower Mississippi delta, Andreas

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German Pages 286 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
2. Louisiana im 18. Jahrhundert
3. Karten und Kartieren
4. Zählen und Zensusberichte
5. Kontakte und Konflikte
6. Religion und Glaube
7. Schlussbetrachtungen
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis und Abbildungen
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Die Côte des Allemands: Eine Migrationsgeschichte im Louisiana des 18. Jahrhunderts
 9783839440063

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Andreas Hübner Die Côte des Allemands

Band 8

Die Reihe Amerika: Kultur – Geschichte – Politik wird herausgegeben von Christof Mauch, Michael Hochgeschwender, Anke Ortlepp, Ursula Prutsch und Britta Waldschmidt-Nelson.

Andreas Hübner (Dr. phil.), geb. 1980, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik der Europa-Universität Flensburg. Er hat an der Justus-Liebig-Universität Gießen promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Global- und Kulturgeschichte sowie die Geschichte Louisianas und die Atlantische Geschichte. 2016 war er Dianne Woest Fellow der Historic New Orleans Collection.

Andreas Hübner

Die Côte des Allemands Eine Migrationsgeschichte im Louisiana des 18. Jahrhunderts

Überarbeitete Fassung der Gießener Dissertation im Fachbereich Geschichtsund Kulturwissenschaften, November 2013. Gedruckt mit Unterstützung des Dr.-Herbert-Stolzenberg-Preises der JustusLiebig-Universität Gießen. Gefördert durch ein Promotionsstipendium des International Graduate Centre for the Study of Culture der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »Veue du Camp de la Concession de Monseigneur Law, Au Nouveau Biloxy, Coste de la Louisiane«, 1720. Historic New Orleans Collection, ID Number 1974.25.10.168. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4006-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4006-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7

1. E INLEITUNG | 11 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Problemaufriss | 11 Forschungsstand und -diskussion | 14 Leitfragestellungen und Konzeption | 25 Gliederung | 28 Quellenreflexionen | 30

2. LOUISIANA IM 18. J AHRHUNDERT | 33 2.1 Ereignisgeschichte und historiographische Überlegungen | 33 2.2 Die Côte des Allemands in zeitgenössischen Darstellungen | 44

3. KARTEN UND KARTIEREN | 57 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

Die Grundlagen des Kartierens | 57 Die „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis“ | 63 Die Langstreifenfluren in den Karten des kolonialen Louisiana | 72 Die frühen Karten des kolonialen Louisiana von 1718 bis 1732 | 79 Die späteren Karten des kolonialen und territorialen Louisiana | 86 Die Einführung von Land Surveys und Survey Books | 94 „La Luisiana, este inmenso pais“? Das unermessliche Louisiana | 102

4. ZÄHLEN UND ZENSUSBERICHTE | 105 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Die Grundlagen des Zählens | 105 Der Zensusbericht vom 12. November 1724 | 109 Das Dokumentieren von Name, Herkunft und Religion | 116 Das Zählen und Beschreiben von Fleiß | 126 Die Zensusberichte zur Côte des Allemands zwischen 1724 und 1732 | 140 4.6 Das Zählen in Inventarlisten und Verkaufsprotokollen nach 1732 | 151 4.7 „Inventaire d’Effets et Bestiaux“: Zählen und „Deutschsein“ an der Côte des Allemands | 158

5. KONTAKTE UND KONFLIKTE | 161 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Die Grundlagen der Kontakte | 161 Die indianischen Gruppen und die „Allemands“ | 163 Die afrikanischen Akteure und die „Allemands“ | 175 Die „Grosen“ und die „Armen Deutschen“ | 195 „Kurpfälzer Blut in Louisiana“? Das Vergessen der Deutschen im kolonialen Louisiana | 202

6. RELIGION UND G LAUBE | 205 6.1 Die Grundlagen des Glaubens | 205 6.2 Die Kapuziner an der Côte des Allemands | 207 6.3 Die Taufeinträge in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche | 215 6.4 Die Heiratseinträge in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche | 223 6.5 Die Sterbeeinträge und Abschwörungen in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche | 231 6.6 Kapuziner und Glaube: Katholische Ordnungssysteme im kolonialen Louisiana | 236

7. S CHLUSSBETRACHTUNGEN | 239 Die Côte des Allemands im 18. Jahrhundert | 239

8. Q UELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS | 247 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Quellen | 247 Gedruckte Quellen | 249 Lexika und Nachschlagewerke | 252 Internetressourcen | 253 Sekundärliteratur | 253

Abkürzungsverzeichnis | 279 Abbildungsverzeichnis und Abbildungen | 281

Vorwort

Die Arbeit von Doktoranden vollzieht sich oftmals in der Abgeschiedenheit und Einsamkeit von Bibliotheken, Archiven und Büroräumen. Dennoch wird sie stets durch eine Reihe von Menschen begleitet und unterstützt, denen der Doktorand zu äußerstem Dank verpflichtet ist. An dieser Stelle möchte ich zuvorderst den Betreuern meiner Dissertationsschrift danken, Hubertus Büschel von der Rijksuniversiteit Groningen sowie Jörg Nagler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Hubertus Büschel hat meine Forschungsarbeiten in den vergangenen Jahren in Kolloquien, Forschungsgruppen und Workshops immer wieder hinterfragt, herausgefordert und in Teilen auch dekonstruiert – wie es so schön heißt. Er hatte dadurch einen nicht unwesentlichen Anteil an der Entwicklung des theoretischen und methodischen Konzepts meiner Dissertation. Jörg Nagler begleitet meinen Weg durch die Nordamerikastudien seit nunmehr fast fünfzehn Jahren. Über ihn fand ich zur nordamerikanischen Geschichte, zur Migrationsgeschichte, letztlich auch zur Tulane University von New Orleans und damit zu den »Deutschen« von Louisiana. Beide Betreuer haben mich zu jedem Zeitpunkt des Dissertationsvorhabens tatkräftig unterstützt. Aus den Erfahrungen anderer Doktoranden weiß ich, dass dieser Umstand keine Selbstverständlichkeit ist. Mein Dank gilt Ihnen, lieber Herr Büschel und lieber Herr Nagler, daher von ganzem Herzen! Der Doktorand muss sich in wissenschaftlichen Foren permanent beweisen, seine Ergebisse vorstellen, infrage stellen und gegebenenfalls neu überdenken. Von zaghaften Versuchen an einem ersten Exposé über Vorträge einzelner Kapitelentwürfe auf Konferenzen bis zum fertigen Manuskript habe ich von einer Vielzahl kritischer und konstruktiver RatgeberInnen und FörderInnen profitiert, denen ich ebenfalls zutiefst zu Dank verpflichtet bin: Cecile Vidal, Berndt Ostendorf, Reinhart Kondert, Horst Carl, Trevor Burnard, Hans-Jürgen Grabbe, Martina Kohl, Marcus Gräser, Walter Kamphoefner, Justin Nystrom, Doris BachmannMedick, Uwe Wirth, Wolfgang Hallet, Greta Olson, Ansgar Nünning und Behrooz Moazami.

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Des Weiteren danke ich meinen Mit-Doktoranden, den Postdoktoranden und anderen LeidensgenossInnen am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC), ohne deren wissenschaftliche wie freundschaftliche Unterstützung meine Dissertation wohl kaum einen Abschluss gefunden hätte: Cheers to you, Daniel Holder, Sabrina Kusche, Rayk Einax, Thijs Willaert, Beatrice Michaelis, Alexander Friedrich, Katja Barthel, Michael Bartel, Caroline Rothauge, Andreas Uhr, Julia Faisst, Kai Nowak, Mirjam Bitter, Floris Biskamp, Astrid Matron, Marian Kaiser und Ann Van de Veire! Die vorliegende Monografie ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im November 2013 an der Justus-Liebig-Universität Gießen verteidigt wurde. Den HerausgeberInnen bin ich für die Aufnahme in die Reihe »Amerika: Kultur – Geschichte – Politik« und ihre abschließenden, produktiven Anmerkungen sehr dankbar: Christof Mauch, Michael Hochgeschwender, Ursula Prutsch, Britta Waldschmidt-Nelson und insbesondere Anke Ortlepp. Der Druck war nur durch die Unterstützung der MitarbeiterInnen des transcript Verlages und einen Druckkostenzuschuss im Rahmen des Stolzenberg Awards der Justus-Liebig-Universität Gießen realisierbar. Auch wäre das Dissertationsvorhaben ohne die langjährige finanzielle Unterstützung des GCSC durch ein Promotionsstipendium und ohne die Forschungsstipendien des Deutschen Historischen Instituts in Washington, DC, nie über die Rohfassung hinausgekommen. Ebenso gilt mein Dank den eifrigen KorrekturleserInnen, die trotz erheblicher Belastungen in ihren eigentlichen Betätigungsfeldern mit großer Gründlichkeit über meinen Text gegangen sind: Denise Bachmann, Simone Schwab und Konrad Linke. Ein weiterer, ebenso herzlicher Dank gilt den vielen MitarbeiterInnen der Archive, Bibliotheken und Forschungsinstitutionen, die mir ihre Materialien zugänglich machten und mich mit Archivboxen, Karten und Mikrofilmen „fütterten“. Stellvertretend seien genannt die Archives of the Archdiocese of New Orleans, die Archives nationales d’outre mer, Aix-en-Provence, das Center for Louisiana Studies, Lafayette, LA, die Huntington Library, San Marino, CA, und die Louisiana State University Libraries, Baton Rouge, LA. Der Newberry Library und der Historic New Orleans Collection danke ich herzlich für die Bereitstellung des Kartenmaterials, dass Sie im Innenteil dieser Monografie finden. Die Historic New Orleans Collection ist mir über die Jahre eine Art archivalisches Zuhause geworden: Thank you, Daniel Hammer, Mary Lou Eichhorn, Alfred Lemmon, Heather Green, Robert Ticknor, Rebecca Smith, Jason Wiese, Jennifer Navarre, Eric Seiferth and Amanda McFillen! Last but least danke ich meinen langjährigen Weggefährten, Carrie und Zidek, Will und Jenn, Stefan und Mirko, sowie meinen Eltern, Marlis und Thomas, mei-

V ORWORT | 9

nen Gasteltern, Tom and Angie, meinen Schwestern, Anna und Tarah, – und natürlich meiner Partnerin Taos Julia. Sie alle sind mir und meinen akademischen Eskapaden fortwährend ausgesetzt – und sie haben mich, als die Diskussionen um das »Deutsche« und eine irgendwie geartete »deutsche« Leitkultur in den letzten Jahren erneut entfacht wurde, kontinuierlich dazu aufgefordert, meinen geschichtswissenschaftlichen Beitrag zu den oftmals ahistorisch geführten Debatten zu liefern. »Deutsche« und »Deutschsein« sind soziale und kulturelle Konstrukte, die mit Bedeutungen versetzt und zu Wirklichkeiten erhoben werden, im Diskurs Wirkungsmacht entfalten und der Diskriminierung und Ausgrenzung von »anders« wahrgenommenen Menschen Vorschub leisten. Diesem Prozess tritt die vorliegende Monografie entgegen, wenn sie auf Grundlage von Ansätzen der historischen Migrationsforschung und der Kulturgeschichte das Sprechen über die »Deutschen« sowie die kolonialen Diskurse um das »Deutschsein« im Louisiana des 18. Jahrhunderts entschlüsselt und letztlich auflöst. Ich widme dieses Buch meinem Bruder Jacob Adam Thompson – Dein früher Tod ist mir weiterhin ein großer Ansporn. Die Verantwortung für Form und Inhalt der vorliegenden Monografie liegt allein bei mir. Andreas Hübner Wilhelmsburg im Juli 2017

1.

Einleitung

1.1 P ROBLEMAUFRISS „Diese Deutschen sind im Übrigen sehr tüchtig“, vermerkte der französische Kolonialbeamte Edmé Gatien de Salmon am 27. März 1732 und notierte weiter, „und sie sind die einzigen Bewohner der Kolonie, die keine Sklaven aus erster Hand von der Compagnie erhalten und daher nur wenige davon haben. Dennoch erwirtschaften sie sehr viel; es sind diejenigen, die den Markt von New Orleans mit Gemüse, Kräutern, Butter, Eiern und anderen Nahrungsmitteln beliefern“.1 Für den Kommandanten der Deutschen, Karl Friedrich D’Arensbourg, hielt Salmon fest: „Er hat seinen Mut während des Krieges unter Beweis gestellt und er lebt unter den Deutschen, die sich zehn Lagen flussaufwärts von New Orleans mit einer Zahl von über sechzig Familien angesiedelt haben, er kommandiert und diszipliniert sie tadellos“.2

1

Archives nationales d’outre-mer (ANOM), C, 13A, 15, folio 64verso/65, Salmon au ministre, 27.03.1732: „Ces Allemands sont d’ailleurs très laborieux et ce sont les seuls habitants de la Colonie qui n’ont point eu de negres de la Compagnie de la premiere main, aussy en ont-ils très peu, ce pendant ils travaillent beaucoup, ce sont eux qui fournissent le marché de la Nouvelle Orleans de legumes, herbages, boeurre, œufs et autres denrées“. Bei Quellenzitaten wird die Schreibweise der Quellen beibehalten, auch wenn diese Normverstöße im Sprachgebrauch beinhalten: Es gilt also stets [sic!].

2

ANOM, C, 13A, 15, folio 64verso, Salmon au ministre, 27.03.1732: „Il a donné des preuves de son courage dans la guerre, et il est a la cette des Allemands qui sont etablis a 10 lieux au dessus de la Nouvelle Orleans sur le fleuve au nombre de plus de 60 familles, il les commande et les discipline parfaitement bien“. Ein französisches „lieue“ entsprach etwa drei amerikanischen Meilen. Siehe Jay D. Edwards und Nicolas K. P. du Bellay de Verton (Hrsg.), A Creole Lexicon: Architecture, Landscape, People (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2004), 126: „lieue“. Zum Posten des

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Die Familien, die Salmon hier mit äußerst lobenden Worten bedachte, waren im Jahr 1721 in Louisiana eingetroffen. Daraufhin hatte die französische Kolonialverwaltung sie am Ufer des Mississippis, etwa 26 Meilen flussaufwärts von New Orleans, angesiedelt. Den Aussagen Salmons entsprechend ging ihr Siedlungsraum als Côte des Allemands, als Küste der Deutschen, in die Geschichte Louisianas ein.3 Die Familien selbst, die die Compagnie des Indes als Kontraktarbeiter angeworben hatte, erlangten bald den Status von „habitants“ und hielten als „Germans of Louisiana“ Einzug in die Geschichtsbücher.4 Die Deutschen und die Côte des Allemands bilden den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit, die zu ergründen sucht, warum und wie diese Familien von Kommandanten, siehe ebd., 67, „commandant“. Zur Schreibweise von Personennamen siehe Carl A. Brasseaux (Hrsg.), Louisiana Dictionary of Biography (Lafayette, LA: Louisiana Historical Association, 2008), (Zugriff: 01.11.2011). Das Projekt ist eine webbasierte Fortsetzung der Reihe von Glenn R. Conrad (Hrsg.), A Dictionary of Louisiana Biography, 2 Bde. (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1988). 3

Es ist zwischen der Kolonie Louisiana – unter französischer und spanischer Kontrolle –, dem „Territory of Orleans“ und dessen Nachfolger, dem heutigen Bundesstaat Louisiana, zu unterscheiden. Wenn im Folgenden vom Raum (des kolonialen) Louisiana die Rede ist, liegen die Vorstellungen zum Gebiet der französischen Kolonie zugrunde. Vgl. Paul Mapp, „French Geographic Conceptions of the Unexplored American West and the Louisiana Cession of 1762“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley G. Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 134–174.

4

Die Kontraktarbeiter wurden als „engagés“ bezeichnet. Außer den Deutschen waren nur wenige weitere „engagés“ in der Frühphase der Kolonialisierung zu verzeichnen. Daniel Usner schätzte ihre Anzahl um 1721 auf 178 Personen. Vgl. Daniel H. Usner, Jr., „From African Captivity to American Slavery: The Introduction of Black Laborers to Colonial Louisiana“, Louisiana History 20:1 (1979): 25–48, hier 25. Der Begriff „habitant“ konnte eine Status- und eine Tätigkeitsbeschreibung darstellen. Unter „habitant“ verstand man im französischen Louisiana den Bauern oder Siedler, der einen Raum agrarwirtschaftlich kultivierte, siehe Creole Lexicon, 114: „habitant(e)“. Der Begriff der „Germans of Louisiana“ wurde im Umfeld der deutsch-amerikanischen Geschichtswissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts, meist mit Verweis auf die Arbeiten von J. Hanno Deiler, prominent. Siehe Marion D. Learned (Hrsg.), „Studies and Problems“, German American Annals 1:1 (1903): 129–132. „In far off Louisiana, too, there is great German activity. The historian of the Germans of the Lower Mississippi, Professor J. Hanno Deiler, of Toulane, has issued a number of monographs relating to the Germans of Louisiana“ (132).

E INLEITUNG | 13

französischen und später von spanischen Kolonialbeamten als Deutsche beschrieben wurden und welche Zuschreibungsinteressen damit verknüpft waren. Die Rede ist hier von Zuschreibungen, weil die Aussagen nicht von den deutschen Familien selbst, sondern fast ausnahmslos von Dritten getätigt wurden. Dabei produzierte die Wiederholung und Gleichförmigkeit der Aussagen ein Ordnungsschema, das die Grundlage für die diskursive Konstruktion der Deutschen bildete und sie zugleich in die Machtbeziehungen des kolonialen Louisiana integrierte.5 Die Aussagen von Salmon stellten keine Ausnahme dar. Sie glichen denen anderer französischer und spanischer Kolonialbeamter, -verwalter und -reisender des 18. Jahrhunderts.6 Beschrieben diese Akteure die Côte des Allemands sowie deren Siedler und Kommandanten, waren ihre Worte nahezu identisch. Was Salmon, der französische Commissaire-Ordonnateur für Louisiana, in seinem Bericht an den Minister in Paris niederschrieb, konnte in ähnlichem Wortlaut bereits in den ersten Zensusberichten nachgelesen werden und entsprach einer grundlegenden Erzählung: Die Deutschen der Côte des Allemands leisteten einen substantiellen Beitrag zum Fortbestand der Kolonie Louisiana. Sie seien tüchtig, arbeitsam und versorgten die Stadt New Orleans mit dringend notwendigen Produkten und

5

Vgl. Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse (Frankfurt: Suhrkamp, 2003), 34–35. In diesem Sinne vertraue ich darauf, dass die Lesenden meine Verwendung von Bezeichnungen wie die „Deutschen“ oder die „deutschen“ Familien als Markierung einer Zuschreibung bzw. einer Vorstellung von Ethnizität erkennen und „Deutschsein“ nicht als unveränderbare oder gar biologische Entität missverstehen. Der Migrationshistoriker Klaus Bade spricht ebenfalls von Zuschreibungsinteressen, vgl. Klaus J. Bade (Hrsg.), Migration in der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter: Vorträge auf dem Deutschen Historikertag in Halle a.d. Saale, 11. September 2002 (IMIS-Beiträge, Heft 20) (Osnabrück: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, 2002). Siehe dort von Klaus J. Bade, „Einführung“, 15f, sowie ders., „Historische Migrationsforschung“, 21–24.

6

Mit den Begriffen Kolonialismus, Kolonialakteur sowie koloniale Dinge/Objekte/ Subjekte werden in der Folge, nach Reinhard Wendt, die Beziehungen und Ungleichheiten im Raum der Amerikas erfasst, „die auf politischen, ökonomischen, technologischen, militärischen oder kulturellen Entwicklungsgefällen“ beruhten und auf Basis von Fremdheit und Beherrschungs- sowie Kontrollfunktionen zwischen Kolonisierten und Kolonisatoren unterschieden (17). Die Beschreibung „koloniale Akteure“ wird für Akteure verwendet, die mit den Kolonisatoren verflochten waren, das heißt französische Beamte, Siedler, Missionare, etc., siehe Reinhard Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung: Europa und die Welt seit 1500 (Paderborn: Schöningh, 2007).

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Nahrungsmitteln. Ihr Kommandant Karl Friedrich D’Arensbourg, so der durchgehende Tenor, erweise sich des Ranges eines Capitaine Reformé als würdig.7

1.2 F ORSCHUNGSSTAND UND - DISKUSSION In der Geschichtsschreibung sind die Deutschen wiederholt ins Zentrum des Interesses gerückt. Einschlägig sind die Untersuchungen der deutsch-amerikanischen Filiopietisten sowie die Studien von Gesellschafts- und Sozialhistorikern. Auch der oftmals als „Vater“ der Louisiana-Geschichtsschreibung gefeierte Historiker und Politiker Charles Étienne Arthur Gayarré erwähnte die Deutschen zur Mitte des 19. Jahrhunderts in seiner Histoire de la Louisiana. In dieser ersten Meistererzählung Louisianas verstetigte Gayarré die Idee von einer weißen kreolischen Gesellschaft und erkannte die Deutschen als weiße Kreolen an. Er integrierte sie also in die weißgewaschene Geschichte Louisianas.8

7

Vgl. ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis [...]“, 12.11.1724, sowie ANOM, G1, 465, „Etat des compagnies d’Infantrie qui etoient entretenus par la Compagnie des Indes dans la province de la Louisiane au mois de May 1724 et situation des habitans qui sont dans chaque poste“, 20.12.1724; vgl. auch ANOM, C, 13A, 14, folio 77ff, insbesondere folio 81, Perrier au ministre, 10.10.1731. Editierte Versionen der ersten Zensus bieten Glenn R. Conrad, The First Families of Louisiana, 2 Bde. (Baton Rouge, LA: Claitor’s, 1970), sowie Charles R. Maduell, The Census Tables for the French Colony of Louisiana from 1699 through 1732 (Baltimore, MD: Genealogical Publishing Company, 1972). Zum Rang des Capitaine Reformé, siehe Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences des arts et des métiers par une société de gens de lettres (Stuttgart: Friedrich Frommann Verlag, [1751–1780]1966), 2:629: „capitaine réformé“, und 13:891f: „réformé“. Zum Rang des Commissaire-Ordonnateur, siehe Donald J. Lemieux, „The Office of ‚Commissaire Ordonnateur‘ in French Louisiana, 1731–1763: A Study in French Colonial Administration“, (Dissertation, Louisiana State University, 1972).

8

Nina Möllers, Kreolische Identität, 43.

E INLEITUNG | 15

Die Geschichtsschreibung des deutsch-amerikanischen Filiopietismus und die genealogischen Forschungen zum kolonialen Louisiana Ausgehend von Gayarré sowie ihm nachfolgenden Protagonisten, wie Felix Poché und Alcée Fortier, konzipierte die filiopietistische Geschichtsschreibung deutschamerikanischer Provenienz die Deutschen als weiße Kreolen.9 Ziel war es, die Bedeutung der Deutschen für die Geschichte Louisianas und der Vereinigten Staaten herauszustellen. In diesem Sinne untersuchten die Filiopietisten die Beiträge der Einwanderer und hoben die Leistungen einzelner Deutscher hervor. Die Filiopietisten versuchten so, den Deutsch-Amerikanern neues Selbstvertrauen einzuhauchen und ihrem schwindenden Einfluss sowie den Zweifeln an ihrer „Bedeutung als amerikanische Bürger“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts entgegenzutreten.10 Grundsätzlich strotzten die Arbeiten der Filiopietisten vor Selbstgefälligkeit: Die politischen, moralischen, sozialen und erziehungswissenschaftlichen Dimensionen des deutschen Beitrags wurden stets nachgewiesen und die Frage, „wer ein wahrer Amerikaner sei“, aus deutsch-amerikanischer Perspektive positiv beantwortet.11 Dafür adaptierten die Filiopietisten die Berichte der kolonialen Beamten

9

Vgl. Alcée Fortier, A Few Words about the Creoles of Louisiana: An Address Delivered at the 9th Annual Convention of the Louisiana Educational Association (Baton Rouge, LA: Truth Books, 1892), Charles E. A. Gayarré, The Creoles of History and the Creoles of Romance: A Lecture Delivered in the Hall of the Tulane University New Orleans (New Orleans: Hopkins, 1885), sowie Felix P. Poché, „Speech of the Honorable J. P. Poché on Creole Day at the 1886 American Exposition in New Orleans“, New Orleans Daily Picayune, 08.02.1886.

10 Allan H. Spear, „Marcus Lee Hansen and the Historiography of Immigration“, Wisconsin Magazine of History 44:4 (1961): 258–268, hier 260 (eigene Übersetzung). Prinzipiell ging es der filiopietistischen Einwanderungsforschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts um die Untersuchung des Beitrages der eigenen ethnischen Gruppe am Aufstieg der USA. Der deutsch-amerikanische Filiopietismus war elitenfixiert und beförderte die Bildung von Mythen. Vgl. Jürgen Heideking und Vera Nünning, Einführung in die amerikanische Geschichte (München: Beck, 1998), 123f, sowie Anke Ortlepp, „Auf denn, Ihr Schwestern!“: Deutschamerikanische Frauenvereine in Milwaukee, Wisconsin, 1844–1914 (Stuttgart: Steiner, 2004), 20, Anmerkung 28. 11 Vgl. John Higham, „The Ethnic Historical Society in Changing Times“, Journal of American Ethnic History 13:2 (1994): 30–44, hier 33ff.

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Louisianas, verfestigten die darin verwobenen Erfolgsgeschichten und entwickelten ihre Meistererzählungen über die deutschen Kreolen.12 Insbesondere der Historiker und Germanist John Hanno Deiler stach in diesem Zusammenhang hervor. Deiler, der lange Zeit an der Tulane University in New Orleans lehrte, widmete sein Wirken ganz den Deutschen und Deutsch-Amerikanern von Louisiana. Unter anderem argumentierte er auf Basis der Beschreibungen des Chevaliers Jean Bochart de Champigny, dass die Kolonie Louisiana erst dann zum Erfolgsmodell wurde, „als deutsche Kolonisten an seinen Ufern [des Mississippi] neue und äußerst erfolgreiche Niederlassungen errichteten“.13

12 Der Begriff der deutschen Kreolen bzw. der „German Creoles“ von Louisiana geht auf J. Hanno Deiler zurück. Deiler leitete den Begriff über Jean-Bernard Bossu sowie die Übersetzung der Schriften des Chevalier Guy Soniat Du Fossat von Charles T. Soniat ab. Der Begriff unterliegt kolonialen (Bossu) sowie südstaatlich-rassistischen (Soniat) Denkmodellen und ist entsprechend zu diskutieren. Vgl. Jean-Bernard Bossu, Nouveaux Voyages aux Indes Occidentales, Bd. 1 (Amsterdam: Changuion, 21769), 19f; J. Hanno Deiler, The Settlement of the German Coast of Louisiana and the Creoles of German Descent (Philadelphia: American Germanica Press, 1909), 111–116; Guy Soniat du Fossat, Synopsis of the History of Louisiana: From the Founding of the Colony to the End of the Year 1791, übers. v. Charles T. Soniat (New Orleans: Louisiana Historical Association, 1903), 29. 13 Deiler, Die ersten Deutschen am unteren Mississippi und die Creolen deutscher Abstammung (New Orleans: Selbstverlag, 1904), 12; vgl. auch Jean Chevalier de Champigny, Etat-Present de la Louisiane avec toutes les particularités de cette province d’Amerique (Den Haag: Frederic Staatman, 1776), 17f. Deilers Oeuvre ist ein Spiegelbild des deutsch-amerikanischen Filiopietismus, vgl. J. Hanno Deiler, Zur Geschichte der Deutschen Kirchengemeinden im Staate Louisiana (New Orleans: Selbstverlag, 1894); ders., Geschichte der Deutschen Gesellschaft von New Orleans (New Orleans: Selbstverlag, 1897a); ders., Die europäische Einwanderung nach den Vereinigten Staaten von 1820 bis 1896 (New Orleans: Selbstverlag, 1897b); ders., Eine vergessene deutsche Colonie: Eine Stimme zur Vertheidigung des Grafen de Leon, alias Proli, alias Bernhard Müller (New Orleans: Selbstverlag, 1900); ders., Zur Geschichte der Deutschen am unteren Mississippi: Das Redemptionssystem im Staate Louisiana (New Orleans: Selbstverlag, 1901a); ders., Geschichte der New Orleanser Deutschen Presse. Nebst anderen Denkwürdigkeiten der New Orleanser Deutschen (New Orleans: Selbstverlag, 1901b). Der Höhepunkt des deutsch-amerikanischen Filiopietismus ist in den Arbeiten von Albert B. Faust zu sehen, siehe ders., The German Element in the United States, 2 Bde. (New York: Steuben Society of America, 1928).

E INLEITUNG | 17

Weitere Filiopietisten wie Alexander Franz und, zwanzig Jahre nach ihm, Louis Voss schlossen sich Deilers Ausführungen an. So betonte Franz: „[D]as Gebiet aber, das man ihnen am Mississippi bewilligte, erhielt den Namen Côte des Allemands oder kurz aux Allemands, und hier entstanden die bald blühenden Kirchspiele St. Charles und St. Jean Baptiste“.14 Die Arbeiten von Deiler, Voss und Franz prägten die Forschungen zum kolonialen Louisiana für lange Zeit. Noch im Jahr 1958 überspitzte John Nau den Beitrag der Deutschen mit den Worten: „They build New Orleans“.15 Dass Nau im Vorwort die Vorarbeiten von J. Hanno Deiler würdigend erwähnte, überrascht kaum. Über Nau wirkten die Arbeiten der Filiopietisten bis in gegenwärtige historische Studien nach. Erst vor Kurzem griff Andrea Mehrländer in einer Studie zu den Deutschen der urbanen Zentren des amerikanischen Südens auf Nau zurück.16 Bis heute bestimmen die Erzählungen der Filiopietisten auch die genealogischen Arbeiten zur Côte des Allemands, deren Ursprünge auf das Ende des 19. Jahrhunderts zu datieren sind. Auf dem Gebiet der Forschungen zur Côte des Allemands ist in neuester Zeit die German-Acadian Coast Historical and Genealogical Society federführend, nicht zuletzt, weil die Gesellschaft mit der Zeitschrift Les Voyageurs über ein regelmäßiges Publikationsorgan verfügt. Deren Autoren beschränken sich zumeist darauf, die Herkunft kolonialer Einwanderer und ihrer Familien zu erläutern und die Stammbäume der Familien bis in die Gegenwart nachzuzeichnen.17 14 Alexander Franz, Die Kolonisation des Mississippitales bis zum Ausgange der französischen Herrschaft (New York: G. Wigand, 1906), 157; siehe auch Louis Voss, German Coast of Louisiana (Hoboken, NJ: Triangle Press, 1928). 15 John F. Nau, The German People of New Orleans, 1850–1900 (Hattiesburg, MS: Mississippi Southern College, 1958), xiii. 16 Vgl. Andrea Mehrländer, The Germans of Charleston, Richmond and New Orleans during the Civil War Period, 1850–1870: A Study and Research Compendium (Berlin, New York: de Gruyter, 2011), 6. 17 Siehe Rose Marie S. Perilloux (Hrsg.), Les Voyageurs 1– (1980–). Ergänzt werden die genealogischen Forschungen durch Lokalhistoriker wie Albert Robichaux, Alice Forsyth und Earlene Zeringue sowie Henry Yoes. Vgl. Albert J. Robichaux, Jr., Louisiana Census and Militia Lists, 1770–1789, Volume 1: German Coast, New Orleans, below New Orleans and Lafourche (Harvey, LA: 1973); ders., German Coast Families: European Origins and Settlement in Colonial Louisiana (Rayne, LA: Hébert, 1997), sowie Alice D. Forsyth und Earlene L. Zeringue (Hrsg.), German Pest Ships, 1720–1721 (New Orleans: Genealogical Research Society of New Orleans, 1969), und Henry E. Yoes, III., A History of St. Charles Parish to 1973 (Norco, LA: St. Charles Herald Publishers, 1973); ders., Louisiana’s German Coast: A History of St. Charles Parish (Lake

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Die Arbeiten der Filiopietisten und Genealogen besitzen für die aktuelle Forschung weiterhin Relevanz. Zum einen liefern sie maßgebliche Informationen zu den geographischen Ursprüngen der Migranten an der Côte des Allemands. Sie erlauben es, Migrationsnetzwerke aufzuspüren, Migrationsbewegungen zu untersuchen und so die Beschreibungen der Siedler als deutsch zu hinterfragen. Zum anderen leisten sie einen Beitrag zur historischen Grundlagenforschung, auf den aktuelle Studien aufbauen und teils aufbauen müssen. Denn nicht jeder Quellenbestand, über den die Filiopietisten verfügten, ist für HistorikerInnen heute noch zugänglich. Das Gros der Bestände der Tauf-, Heirats- und Sterberegister der St. Charles Borromeo Kirche an der Côte des Allemands fiel einem Feuer im Jahre 1877 zum Opfer.18 Die Professionalisierung der Geschichtswissenschaften in Louisiana Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erfuhren die Geschichtswissenschaften in Louisiana durch HistorikerInnen wie Verner Crane, Jean Delanglez und Nancy Miller Surrey eine Professionalisierung. Crane, Delanglez und Surrey nutzten systematisch Archivbestände in Louisiana und Mississippi und erschlossen darüber hinaus Bestände in französischen und spanischen Archiven. Mit ihren Arbeiten knüpften sie an erste Projekte von Quelleneditionen an, die bereits ab 1895 durch die Louisiana Historical Society initiiert worden waren. Allerdings wiesen diese Editionen erhebliche Mängel auf: Erstens selektierten die Herausgeber bei der Auswahl der Quellen stark und vermittelten nur eine sehr fragmentarische Spur der Geschichte Louisianas. Zweitens litten die Übersetzungen der Editionen unter etlichen methodischen Unzulänglichkeiten, die wenig transparent gemacht wurden. Teils arbeiteten die Herausgeber mit Auslassungen, teils mit Begriffen und Aussagen, de-

Charles, LA: Racing Pigeon, 22005). Schon Deiler versuchte seine filiopietistischen Thesen mit genealogischen Argumenten und Beispielen zu belegen. Um die Bedeutung der D’Arensbourg-Familie nachzuweisen, erörterte er deren Verbindung zur Familie von Abraham Lincoln: „Honoriné, a daughter of Jos Delhommes and Marguerite Darensbourg married Chas Boyer and a daughter of the latter married Samuel R. Todd of Lexington, Ky., who was a brother in law of Abraham Lincoln“, Monroe Library (ML), J. Hanno Deiler Papers, Box 3, folder 34. 18 Vgl. Henry P. Beers, French and Spanish Records of Louisiana: A Biographical Guide to Archive and Manuscript Sources (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1989), 167.

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nen ahistorische Annahmen zugrunde lagen. Infolgedessen förderten die Editionen Meistererzählungen, die die „großen“ Ereignisse und die „großen“ Männer bevorzugten und deren Biographien in das Zentrum der Geschichte Louisianas setzten.19 Noch in den 1960er und 1970er Jahren stützten sich Historiker wie Edwin Davis und Joe Taylor auf diese Vorarbeiten und (re)produzierten die Vorstellung eines Louisiana-Exzeptionalismus. Die Erfolgsgeschichte der Côte des Allemands wurde in diesen Erzählungen mit der Sonderstellung der kreolen Gesellschaft von Louisiana verwoben. Beispielsweise erklärte Davis in seiner Geschichte Louisianas von 1965, dass die Deutschen die Kolonie vermutlich gerettet hätten. Joe Taylor ernannte sie gar zur „most important contribution that the Company of the Indies made“.20 Möglich war dies, weil die Deutschen, in Anschluss an Gayarré, als weiße Nachkommen europäischer Einwanderer und damit als ein Teil der kreolen Gesellschaft angesehen wurden.21 Die Definition der weißen Kreolen entsprach freilich einem typisch südstaatlichen Rassismus. Dieser war darauf bedacht, die Machtposition der weißen Bevölkerung gegenüber anderen Akteuren nicht nur

19 Vgl. Verner W. Crane, The Southern Frontier 1670–1732 (Durham, NC: Duke University Press, 1929); vgl. auch Jean Delanglez, The French Jesuits in Lower Louisiana (New York: AMS Press, 1935) sowie Nancy M. Surrey, The Commerce of Louisiana during the French Régime, 1699–1763 (New York: Columbia University, 1916) und dies., Calendar of Manuscripts in Paris Archives and Libraries Relating to the History of the Mississippi Valley to 1803 (Washington, DC: Carnegie Institution of Washington, Department of Historical Research, 1926–1928). Siehe auch Louisiana Historical Quarterly (LHQ) (1917–1972). Als Vorläufer, ebenfalls unter Herausgeberschaft der Louisiana Historical Society, firmierten seit 1895 die Publications (Louisiana Historical Society) (1895–1917). Siehe darüber hinaus Robert Farmar und Dunbar Rowland (Hrsg.), Mississippi Provincial Archives, 3 Bde. (Nashville, TN: Press of Brandon Printing Co., 1911–1932), sowie Patricia K. Galloway, Dunbar Rowland und Albert G. Sanders (Hrsg.), Mississippi Provincial Archives, 2 Bde. (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1984), sowie Lawrence Kinnaird (Hrsg.), Spain in the Mississippi Valley, 1764–1794, 3 Bde. (Washington, DC: American Historical Association, 1946–1949); Surrey, Commerce of Louisiana. 20 Joe G. Taylor, Louisiana: A Bicentennial History (New York: Norton, 1976), 10; vgl. Edwin A. Davis, Louisiana: A Narrative History (Baton Rouge, LA: Claitor’s, 1965), 58. 21 Vgl. Gayarré, Creoles, 7: „The descendants of those immigrants, of course, were Creoles. They, in the long run of time, forgot every word of German that they ever knew, and spoke no other language than French – real French – not a hybrid jargon“ (6).

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durch physische Unterdrückung und Gewalt, sondern auch durch rassistische Ideologien zu untermauern.22 Einen substantiellen Schub erhielt die geschichtswissenschaftliche LouisianaForschung ab 1953 mit dem Erscheinen einer fünfbändigen Studie von Marcel Giraud. Lange Zeit hatten die methodischen, theoretischen und konzeptuellen Neuerungen der Annales-Schule sowie der aufkommenden Sozial- und Gesellschaftsgeschichte in den Forschungen zur Geschichte Louisianas keine Rolle gespielt. Nun deutete Girauds Studie das Potenzial einer Geschichtsschreibung an, die abseits der maßgeblichen politischen, ökonomischen und religiösen Akteure auch die „petits habitants“, die afrikanischen Sklaven und die indianischen Gruppen erfasste. Giraud konzentrierte sich auf die Strukturen eines langfristigen sozialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels in Louisiana.23 Etwa zeitgleich formierte sich im Rahmen einer Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln Louisianas an der University of Louisiana in Lafayette eine Gruppe von HistorikerInnen, deren Intention es war, die Geschichte des kolonialen Louisiana neu zu bearbeiten und zu diskutieren. So entstanden vor allem Studien, die sich spezifischen Akteursgruppen, wie den Kreolen, den Acadiens, Cajun und

22 Dieser Aussage liegt die These zugrunde, dass der Rassismus und die verschiedenen Rassismuskonzepte eher eine Folge bzw. eine Legitimation denn die Ursache der Sklaverei waren, siehe Jochen Meissner, Ulrich Mücke und Klaus Weber, Schwarzes Amerika: Eine Geschichte der Sklaverei (Bonn: Bpb, 2008), 78f, sowie Timothy Lockley, „Race and Slavery“, in The Oxford Handbook of Slavery in the Americas, hrsg. v. Robert L. Paquette und Mark M. Smith (Oxford: Oxford University Press, 2010), 336– 356, hier 346–349. 23 Eine erste Ausnahme stellen die Arbeiten von John Clark, Jay Higginbotham und Charles O’Neill dar, die das Potenzial der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte für die Forschungen zu Louisiana andeuteten. Vgl. John G. Clark, New Orleans, 1718–1812: An Economic History (Baton Rouge, LA: Louisiana University Press, 1970); Jay Higginbotham, Old Mobile: Fort Louis de la Louisiane, 1702–1711 (Tuscaloosa, AL: University of Alabama Press, [1977]1991); Charles E. O’Neill, Church and State in French Colonial Louisiana (New Haven, CT: Yale University Press, 1966); siehe auch Marcel Giraud, Histoire de la Louisiane française, 5 Bde. (Paris: Presses Universitaires de France, 1953–1987). Eine historiographische Einführung bietet Daniel H. Usner, Jr., „The Significance of the Gulf South in Early American History“, in Coastal Encounters: The Transformation of the Gulf South in the Eighteenth Century, hrsg. v. Richmond F. Brown (Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 2007), 13–30, hier 22f

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den Canary Islanders, näherten.24 Die Studien erhielten durch ein Projekt Rückenwind, das 1968 einsetzte und die Erstellung vielfältiger Mikrofilmkopien von Archivbeständen aus Frankreich und Spanien vorsah.25 Diese Mikrofilmkopien stellten die Basis für jene Quelleneditionen und Forschungsstudien dar, die in den 1980er und 1990er Jahren unter dem Einfluss der Gesellschafts- und Sozialgeschichte entstanden.26 Insbesondere die Studien von Carl Brasseaux, Patricia Galloway, Paul LaChance, Gwendolyn Midlo Hall, Thomas Ingersoll und Daniel Usner gilt es hier zu erwähnen, die allesamt die Entwicklung der kreolen Gesellschaft hinterfragten und die Themenfelder der Migration, der Sklaverei und der interkulturellen Kontakte in den Vordergrund rückten.27 Für ihre Argumentationen verließen sie den Raum des kolonialen Louisiana und berücksichtigten auch

24 Siehe Gilbert C. Din, Populating the Barrera: Spanish Immigration Efforts in Colonial Louisiana (Lafayette, LA: University of Louisiana at Lafayette Press, 2014). 25 Die Erschließung des Quellenmaterials in Louisiana begann bereits Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre auf Bemühen des Staatsarchivs von Louisiana. Bedeutung haben die Forschungen von Elizabeth B. Gianelloni, vgl, dies., Calendar of Louisiana Colonial Documents: Volume III, St. Charles Parish, Part One, The D’Arensbourg Records, 1734–1769 (Baton Rouge, LA: State Archives and Records Commission, 1965). 26 Zu nennen sind die Mikrofilmkopien der St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803 und der St. John Parish Original Acts, 1770–1803. Auf diesen Mikrofilmkopien basieren die Quelleneditionen zur Côte des Allemands von Glenn Conrad. Siehe Glenn R. Conrad, St. Charles: Abstracts of the Civil Records of St. Charles Parish, 1770–1803 (Lafayette, LA: University of Southwestern Louisiana, 1974); ders., The German Coast: Abstracts of the Civil Records of St. Charles and St. John the Baptist Parishes, 1804–1812 (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1981). Des Weiteren ist die mehrbändige Aufsatzsammlung Louisiana Bicentennial in Louisiana History zu erwähnen, die seit 1995 vom Center for Louisiana Studies publiziert wird. Maßgeblich sind: Glenn R. Conrad (Hrsg.), The French Experience in Louisiana (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1995); Carl A. Brasseaux (Hrsg.), A Refuge for All Ages: Immigration in Louisiana History (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1996); Gilbert C. Din (Hrsg.), The Spanish Presence in Louisiana, 1763–1803 (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1996). 27 Patricia Galloway und Daniel Usner haben wichtige Erkenntnisse zu den Beziehungen zwischen europäischen Migranten und indianischen Gruppen bzw. zwischen europäischen Migranten, afrikanischen Sklaven und indianischen Gruppen für die frühe koloniale Phase geliefert, siehe Patricia Galloway, Choctaw Genesis, 1500–1700 (Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 1995), sowie Daniel H. Usner, Jr., Indians,

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die Forschungen zur Kreolisierung in der Zirkumkaribik.28 In diesem Kontext wurde eine lebhafte Diskussion entfacht, die zu erörtern suchte, inwiefern das koloniale Louisiana einen Raum des Erfolgs und der Ordnung oder aber einen Raum der Unordnung, des Chaos und der Krise repräsentierte.29 Erneut begannen daher

Settlers, and Slaves in a Frontier Exchange Society: The Lower Mississippi Valley before 1803 (Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press, 1992) und ders., American Indians in the Lower Mississippi Valley: Social and Economic Histories (Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 1998); Gwendolyn M. Halls und Thomas Ingersolls Forschungen konzentrieren sich auf die Situation der afrikanischen Sklaven im kolonialen Louisiana, siehe Gwendolyn M. Hall, Africans in Colonial Louisiana: The Development of Afro-Creole Culture in the Eighteenth Century (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1995); dies., Slavery and African Ethnicities in the Americas: Restoring the Links (Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press, 2007); Thomas N. Ingersoll, Mammon and Manon in Early New Orleans: The First Slave Society in the Deep South, 1718–1819 (Knoxville, TN: University of Tennessee Press, 1999); Paul LaChance bietet Einblicke in die Herausbildung der Dreiklassengesellschaft sowie in die Auswirkungen der Haitianischen Revolution für Louisiana, siehe Paul LaChance, „The 1809 Immigration of Saint-Domingue Refugees to New Orleans: Reception, Integration and Impact“, Louisiana History 29:2 (1988): 109–141; ders., „The Formation of a Three-Caste Society: Evidence from Wills in Antebellum New Orleans“, Social Science History 18:2 (1994): 211–242; mit seinen Studien zu den Acadiens oder auch Cajuns hat Carl Brasseaux wesentliche Beiträge zur kulturellen Entwicklung des kolonialen Louisiana geliefert, siehe Carl A. Brasseaux, The Founding of New Acadia: The Beginning of Acadien Life in Louisiana, 1765–1803 (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1987). 28 Ein Sammelband von Robin Cohen und Paola Toninato bietet einen hervorragenden Überblick zu den Konzepten der Kreolisierung, des Kreolischen oder der Creolité. Ebenso beachtenswert sind ein Sammelband von Okwui Enwezor sowie die Überlegungen des Schriftstellers und Philosophen Édouard Glissant. Siehe Robin Cohen und Paola Toninato (Hrsg.), The Creolization Reader: Studies in Mixed Identities and Cultures (London, New York: Routledge, 2010); Okwui Enwezor et al. (Hrsg.), Creolité and Creolization: Documenta 11_Platform 3 (Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 2003); Édouard Glissant, Kultur und Identität – Ansätze zu einer Poetik der Vielheit (Heidelberg: Wunderhorn, 2005). 29 Thomas Ingersoll sieht das koloniale Louisiana in einem Zustand fortwährender Ordnung. Im Gegensatz hierzu steht Marcel Giraud, der den Terminus „désordre“ permanent nutzt, um die politische, finanzielle und moralische Situation des kolonialen Louisiana zu beschreiben. Gwendolyn Midlo Hall analysiert die Misserfolge und Schwächen

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die Diskussionen um einen Louisiana-Exzeptionalismus oder einen „Creole Exceptionalism“, wobei immer wieder debattiert wurde, ob die Geschichte Louisianas und der Kreolen eine Sonderstellung in der Geschichte Nordamerikas einnähme oder gar als „unamerikanisch“ zu bewerten sei.30 Innerhalb dieser Diskussionen positionierte sich auch Ellen C. Merrill, wenn sie in ihren Arbeiten die deutschen Einwanderer als Teil der Kreolen von Louisiana charakterisierte. Laut Merrill stiegen die Einwanderer über die Ehen mit französischen Siedlern in die Eliten der französischen Familien auf und nahmen „bereitwillig“ deren „kreole“ Sprache und Kultur an. Merrill folgte der Argumentation von Reinhart Kondert, der formuliert hatte: „Germans readily married into French families, adopted the French language, and even accepted Gallicized versions of their names“.31 Damit erneuerten Merrill und Kondert jene Erzählungen, die zum einen die Beiträge der deutschen Einwanderer hervorhoben und zum anderen ihre erfolgreiche Assimilation und Akkulturation propagierten.32 Erste Forschungen, deren Fragestellungen über eine Beitragsforschung und klassische Rekonstruktionen des Vergangenen hinausgehen, sind für die Geschichtswissenschaften zum kolonialen Louisiana in neuester Zeit zu konstatieren. Poststrukturalistischen, postkolonialen und kulturwissenschaftlichen Paradigmen folgend haben HistorikerInnen wie Richard Campanella, Shannon Lee Dawdy, Jennifer Spear und Marion Stange in den letzten Jahren maßgebliche Arbeiten verfasst, in deren Zentrum die Überwindung europäischer und nordamerikanischer Forschungshegemonien sowie die Einbindung marginalisierter Akteure und

des Sklavensystems mit Verweis auf das „chaos of French rule“. Jennifer Spear konstatiert, dass die französischen Administratoren die „race mixture“ in der frühen Kolonialzeit als Quelle sozialer Unordnung wahrgenommen hätten. Siehe Giraud, Histoire de la Louisiane (1953–87); G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana; Jennifer M. Spear, „Colonial Intimacies: Legislating Sex in French Louisiana“, William & Mary Quarterly 60:1 (2003): 75–98. 30 Vgl. Daniel H. Usner, Jr., „Between Creoles and Yankees: The Discursive Representation of Colonial Louisiana in American History“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley G. Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 1–21, hier 1f. 31 Kondert, Germans of Colonial Louisiana, 9. 32 Ellen C. Merrill, Germans of Louisiana (Gretna, LA: Pelican, 2005), 42f. Vgl. auch Reinhart Kondert, The Germans of Colonial Louisiana: 1720–1803 (Stuttgart: Verlag Hans-Dieter Heinz, 1990), sowie ders., Charles Frederick D’Arensbourg and the Germans of Colonial Louisiana (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 2008).

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Ereignisse stehen.33 Eine ähnliche Agenda verfolgen die Atlantic History Studies, die zudem eine räumliche Neuperspektivierung vornehmen. Anstatt die Geschichte Louisianas ausschließlich im Rahmen Nordamerikas zu kontextualisieren, binden die Vertreter der Atlantic History Studies zirkumkaribische, südamerikanische und afrikanische Räume und Akteure in ihre Analysen und Argumentationen ein.34 Mit Cécile Vidal, Nathalie Dessens und Jean-Pierre Le Glaunec haben HistorikerInnen aus dem Umfeld der französischen Geschichtswissenschaften grundlegende Beiträge geliefert und historischen Wandel zuvorderst als Produkt von Transfer und Bewegung dargestellt.35 33 Siehe Richard Campanella, Bienville’s Dilemma: A Historical Geography of New Orleans (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 2008); Shannon L. Dawdy, Building the Devil’s Empire: French Colonial New Orleans (Chicago: University of Chicago Press, 2008); Jennifer M. Spear, Race, Sex, and Social Order in Early New Orleans (Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press, 2009); Marion Stange, Vital Negotiations: Protecting Settlers’ Health in Colonial Louisiana and South Carolina, 1720– 1763 (Göttingen: V&R unipress, 2012). Siehe auch Kenneth R. Aslakson, „Making Race: The Role of Free Blacks in the Development of New Orleans’ Three Caste Society, 1791–1812“ (Dissertation, University of Texas, 2007); Guillaume Aubert, „‚Francais, Nègres et Sauvages‘: Constructing Race in Colonial Louisiana“ (Dissertation, Tulane University, 2002); Emily Clark, Masterless Mistresses: The New Orleans Ursulines and the Development of a New World Society, 1727–1834 (Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press, 2007); Mark A. Rees (Hrsg.), Archaeology of Louisiana (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2010); Judith K. Schafer, Brothels, Depravity, and Abandoned Women: Illegal Sex in Antebellum New Orleans (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2009). 34 Vgl. Alison Games, „Atlantic History: Definitions, Challenges, and Opportunities“, American Historical Review 111:3 (2006): 741–757, hier 746. Siehe auch Bernard Bailyn, Atlantic History: Concept and Contours (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2005). 35 Vgl. Nathalie Dessens, From Saint-Domingue to New Orleans: Migration and Influences (Gainesville, FL: University Press of Florida, 2007); Cécile Vidal, „Francité et situation coloniale: Nation, empire et race en Louisiane française (1699–1769)“, Annales 63:5 (2009): 1019–1050; Jean-Pierre Le Glaunec, „Slave Migrations in Spanish and Early American Louisiana: New Sources and New Estimates“, Louisiana History 46:2 (2005): 185–209; ders., „A Directory of Ships with Slave Cargoes, Louisiana, 1772–1808“, Louisiana History 46:2 (2005): 211–230. Zudem erscheint in Kürze die Dissertation von Jean-Pierre Le Glaunec unter dem Titel: „Une histoire presque ordinaire: la fuite d’esclaves aux temps des Révolutions atlantiques“. Siehe darüber hinaus William Boelhower (Hrsg.), New Orleans in the Atlantic World: Between Land and Sea

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1.3 L EITFRAGESTELLUNGEN UND K ONZEPTION Die neuesten Forschungstendenzen haben in die Studien zur Geschichte der Côte des Allemands im 18. Jahrhundert wie auch in die deutsch-amerikanische Historiographie zu Louisiana bisher kaum Einzug erhalten. Kulturwissenschaftliche und postkoloniale Überlegungen sowie Ansätze der Atlantic History Studies sind bisher nicht vertiefend rezipiert worden. Gemeinhin wird die Geschichte der Côte des Allemands auf die Familie des Kommandanten D’Arensbourg und die später erfolgreichen Plantagenbesitzer mit deutschen Vorfahren reduziert. So wurden sowohl die einfachen Kontraktarbeiter als auch die marginalisierten Akteure des kolonialen Louisiana nur in Ausnahmen berücksichtigt. Zudem fragten die betreffenden Studien nie, was der Begriff des „Deutschseins“ in einer französischen Kolonie des 18. Jahrhunderts überhaupt bedeutete und welche Zuschreibungen mit diesem Begriff einhergingen.36 Die folgende Untersuchung widmet sich diesen Forschungsdesideraten und fragen. Ausgangspunkt ist die These, dass die Zuschreibungen des Deutschseins wie auch das Sprechen über die Deutschen als Produkte des französischen Kolonialismus und der kolonialen Beamten des 18. Jahrhunderts zu verstehen sind. Die Zuschreibungen und das Sprechen über das Deutschsein und die Deutschen wurden dabei wesentlich durch die Bewegungen von Ideen, Menschen und Gütern im atlantischen Raum beeinflusst. Die vorliegende Studie kann damit in ihrer Vorgehensweise und in ihrem Erkenntnisinteresse nicht auf den Raum der Côte des Allemands begrenzt bleiben. Sie muss unweigerlich die Praktiken und Diskurse des Kolonialismus in der atlantischen Welt einbeziehen, um differenziert Bedeutungsmuster, Erzählungen und übergeordnetes Wissen herauszufiltern und die Prozesse und den Wandel des Kolonialen zu identifizieren. Jedwede Studien zur Côte des

(London: Routledge, 2010); Peter Bond (Hrsg.), French Colonial Louisiana and the Atlantic World (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005); FrançoisJoseph Ruggiu und Cécile Vidal (Hrsg.), Sociétés, colonisations et esclavages dans le monde atlantique: historiographie des sociétés américaines des XVIe–XIXe siècles (Bécherel: Les Perséides, 2009); Peter J. Kastor und François Weil (Hrsg.), Empires of the Imagination: Transatlantic Histories of the Louisiana Purchase (Charlotteville, VA: University of Virginia Press, 2009); Louis H. Roper und Bertrand Van Ruymbeke (Hrsg.), Constructing Early Modern Empires: Proprietary Ventures in the Atlantic World, 1500–1750 (Leiden: Brill, 2007). 36 Die erfreuliche Ausnahme ist Ibrahima Seck, Bouki Fait Gombo: A History of the Slave Community of Habitation Haydel, Louisiana 1750–1860 (New Orleans: University of New Orleans Press, 2014).

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Allemands sind insofern als Bewegungsgeschichten anzulegen: Die Vorstellungen und Zuschreibungen zu den Deutschen und vom Deutschsein sowie deren Wandel sind nicht nur zu dekonstruieren, sondern auch als Teil einer Transformation von Wissensordnungen im französisch-kolonialen Atlantik zu begreifen.37 Konzeptuell greift die Studie auf die Ansätze der Kulturgeschichte zurück, die nach Ute Daniel praktiziert und mit den Überlegungen zur historischen Diskursanalyse verbunden wird.38 Zwar verneint Daniel in Anschluss an Friedrich Nietzsche jegliche Versuche einer Definition von Kulturgeschichte, jedoch hat sie unter dem Titel „Kulturgeschichte – und was sie nicht ist“ drei Bedingungen formuliert, nach denen kulturgeschichtliches Arbeiten durchführbar scheint: Erstens lassen sich laut Daniel die Objekte der Kulturgeschichtsschreibung nur begreifen, beschreiben und erklären, wenn die Bedeutungen, Wahrnehmungsweisen und Sinnstiftungen der Zeitgenossen in den Prozess der Analyse einbezogen werden.39 Zweitens gilt es zu bedenken, dass die Subjekte der Kulturgeschichtsschreibung wissen, dass „sie nicht jenseits der Beschreibungen und Erklärungen stehen, die sie geben, sondern daß sie ein Teil von ihnen sind“. Das heißt, so Daniel, die Weltwahrnehmungen und Selbstentwürfe derjenigen, die Geschichte schreiben, beeinflussen, wie sie Geschichte schreiben und welche Objekte der historischen Analyse sie identifizieren.40 37 Mit Verweis auf Ottmar Ette ist zum Begriff der „vektoriellen“ Bewegungsgeschichte zu konstatieren, dass Räume durch Bewegungen und spezifische Bewegungsmuster hervorgebracht werden. Ein statischer Raumbegriff wird von Ette aufgelöst und ein neues Verständnis von der Entwicklung des Wissens etabliert: „Der Transfer von Wissen führt[e] folglich zur Transformation aller Wissensordnung“ (15), vgl. Ottmar Ette, TransArea: Eine literarische Globalisierungsgeschichte (Berlin und New York: de Gruyter, 2012), 15 und 38. 38 Siehe Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse (Frankfurt: Campus, 22009); Jürgen Martschukat (Hrsg.), Geschichte schreiben mit Foucault (Frankfurt: Campus, 2002); Sarasin, Diskursanalyse. 39 Vgl. Friedrich Nietzsche, „Zur Genealogie der Moral“, in Nietzsche Werke: Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 6:2 (Berlin: de Gruyter, 1968), 259–430, hier 333: „[…] alle Begriffe, in denen sich ein ganzer Prozess semiotisch zusammenfasst, entziehen sich der Definition; definierbar ist nur Das, was keine Geschichte hat“. In Anschluss an Nietzsche ist für Ute Daniel nur das definierbar, was weder veränderlich noch perspektivenabhängig ist. Da Kulturgeschichte aber sowohl veränderlich als auch perspektivenabhängig ist, kann sie laut Daniel nicht endgültig definiert, sondern nur beschrieben werden. 40 Vgl. Daniel, Kulturgeschichte, 17. Die Rede ist weniger von Wahrnehmungen und Selbstentwürfen, vielmehr stehen Zuschreibungen als Mittel der Macht im Interesse der

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Drittens bedarf es laut Daniel einer Harmonisierung des Verhältnisses von Gegenwart und Vergangenheit in den Geschichtswissenschaften. So sieht sie in jedwedem historischen Interesse und Tun das Bedürfnis, etwas über sich selbst und die Gegenwart wissen zu wollen. Zusammengefasst fordert Daniel mit ihren Bedingungen vor allem Reflexionen: die Reflexion der Objekte, der Subjekte sowie der Gegenwart und Vergangenheit der Kulturgeschichtsschreibung.41 Solche Reflexionen setzen zwangläufig einen Prozess in Gang, an dessen Ende die Trennlinien zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten aufzulösen und die Wechselbeziehungen zwischen den Akteuren des kolonialen Raumes anzuerkennen sind. In der Konsequenz ist eine Geschichtsschreibung abseits der großen Meistererzählungen zu vollziehen und diese in einer prozessualen und praxisorientierten Geschichtswissenschaft aufgehen zu lassen.42 Eine solche Geschichtsschreibung bezieht die gewöhnlichen sowie wenig fabelhaften und heldentümlichen Menschen in die Argumentationen ein; und sie erkennt den Zugriff dieser Akteure auf die Macht an.43 Untersuchung, wie sie auch von Foucault beschrieben wurden: „Die Chronik eines Menschen, die Erzählung seines Lebens, die Geschichtsschreibung seiner Existenz gehört zu den Ritualen der Macht. Die Disziplinarprozeduren nun kehren dieses Verhältnis um, sie setzen die Schwelle der beschreibaren Individualität herab und machen aus der Beschreibung ein Mittel der Kontrolle und eine Methode der Beherrschung“, Michel Foucault, Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses, übers. Walter Seitter (Frankfurt: Suhrkamp, 1977), 246f. 41 Vgl. Daniel, Kulturgeschichte, 19. Mit dem Ansatz der Kulturgeschichte geht die Rückkehr des Akteurs in die Geschichtswissenschaft einher. Richard Evans hat darauf verwiesen, dass das Misstrauen des postmodernen Denkens gegenüber dem „Mainstream“ das Interesse für weniger bekannte Individuen sowie die Interaktion von Individuum und Umständen wieder/geschaffen hat. Vgl. Richard J. Evans, Fakten und Fiktionen: Über die Grundlagen historischer Erkenntnis (Frankfurt: Campus, 1998), 180f. 42 Vgl. Claudia Kraft, Alf Lüdtke und Jürgen Martschukat, „Einleitung“, in Kolonialgeschichten: Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, hrsg. v. dies. (Frankfurt: Campus, 2010), 9–25, hier 10–13. Vergleichbare Ansätze finden sich unter anderem bei Andreas Eckert und Sebastian Konrad, „Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen: Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt“, in Globalgeschichte, Theorien, Ansätze, Themen, hrsg. v. Sebastian Conrad, Andreas Eckert und Ulrike Freitag (Frankfurt, New York: Campus, 2007), 7–49, hier 13ff. 43 Vgl. Foucault, Leben der infamen Menschen, 16–17, 32–36, 43–46. Dabei ist auf Michel Foucaults Überlegungen zur Macht, zum Dispositiv sowie zum Gewöhnlichen und Alltäglichen zurückzugreifen, siehe Michel Foucault, Das Leben der infamen Menschen, übers. v. Walter Seitter (Berlin: Merve, 2001), sowie ders., „Ein Spiel um die

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Macht wird hierbei im Sinne von Machtbeziehungen begriffen, das heißt, „Macht“ als vielfältig, verflochten, verkettet und wandelbar angesehen. Im kolonialen Louisiana gab es demnach kein Zentrum der Macht und keine alleinige Verwaltungsmacht oder -elite. Vielmehr waren die Deutschen wie auch die Siedler anderer Ethnien, die freien und unfreien afrikanischen Akteure und die indianischen Gruppen ein elementarer Teil der kolonialen Machtbeziehungen. Die folgenden Untersuchungen unterscheiden sich damit von traditionellen Vorstellungen, die stets das Moment einer zentralen Macht akzentuieren und Louisiana eine „deep habituation to centralized power“ zusprechen.44

1.4 G LIEDERUNG Mit Beginn der ersten Kolonialisierungsbemühungen in Louisiana setzte der Prozess des Kartierens der Kolonie ein. In diesem Prozess reproduzierten französische Abenteurer, Geistliche, Offiziere und Beamten nicht nur vermeintlich reale Räume, sondern sie dokumentierten mithilfe von Karten, Vermessungsbüchern und Raumbeschreibungen auch die kolonialen Machtbeziehungen und die wirtschaftlichen Potenziale der Kolonie. Die Deutschen waren von diesem Prozess nicht ausgeschlossen, auch die Côte des Allemands wurde durch das Kartieren räumlich erfasst und beschrieben. Dabei wurden die Deutschen in ein System räumlicher Machtbeziehungen eingeordnet, das in den späteren Zensusberichten, Kirchenregistern sowie in den künftigen Beschreibungen von Kontakten und Konflikten der kolonialen Akteure weiter ausdefiniert wurde. Im Prozess des Kartierens der Côte des Allemands fanden sich bereits etliche Zuschreibungen zu den Deutschen, die sich in der Folge verfestigten. Das erste Analysekapitel untersucht

Psychoanalyse“, übers. v. Monika Metzger, in Dispositive der Macht: Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit (Berlin: Merve, 1978), 118–175, ders., Der Wille zum Wissen: Sexualität und Wahrheit 1, übers. v. Ulrich Raulff und Walter Seitter (Frankfurt: Suhrkamp, 1977), ders., Überwachen und Strafen. Unter dem Begriff der Macht werden die diskursiven und nicht-diskursiven, Ordnung produzierenden Beziehungen verstanden. Entscheidend für dieses Verständnis von Macht ist Foucaults Dispositiv-Begriff, das heißt die gesagten und ungesagten, materiellen Elemente, die in einem Netz verknüpft sind und eine strategische Funktion haben, vgl. Foucault, „Ein Spiel um die Psychoanalyse“, 119–127, insbesondere 126f. 44 Lawrence N. Powell, „Why Louisiana Mattered“, Louisiana History 53:4 (2012): 389– 401, hier 400. Vgl. dementgegen Foucault, Wille zum Wissen, 93, sowie ders., Überwachen und Strafen, 250.

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daher die Karten der Côte des Allemands und die Techniken des Kartierens im kolonialen Louisiana. Das sich anschließende Kapitel legt den Schwerpunkt auf das Zählen und die Zensusberichte der Côte des Allemands und führt die Analysen des Kartierens und der Karten fort. Basis hierfür sind neben den erwähnten Zensusberichten unter anderem Passagierlisten sowie Dokumente zu Landverkäufen. Darin beschrieben die Zensus- und Kolonialbeamten die Familien an der Côte des Allemands stets als Deutsche und lieferten Informationen und Bewertungen zu deren Herkunft, Alter, Religion und zu ihrem Besitz. Damit wurden die kolonialen Vorstellungen ausdifferenziert und die Deutschen von anderen Akteuren und Gruppen schrittweise abgegrenzt. Auch im folgenden Kapitel, das die Kontakte und Konflikte der Deutschen untereinander und mit anderen Gruppen untersucht, wird die Konstruktion der Deutschen als Gruppe durch die französischen Beamten herausgearbeitet. Die französischen Beamten beschrieben die Deutschen in Korrespondenzen, in Verkaufsprotokollen von Sklaven und in Inventarlisten von Habitationen. Dabei offenbarten die Ausführungen, dass von Seiten der französisch-kolonialen Verwaltung ein Interesse daran bestand, die Deutschen einerseits von anderen Gruppen zu unterscheiden und sie andererseits zu disziplinieren. Der Widerstand hiergegen verdeutlicht die Agency der Deutschen innerhalb der kolonialen Machtbeziehungen, stellt die Vorstellung von einer homogenen Gruppe infrage und belegt die soziale Vielschichtigkeit der Deutschen, die sich auch in den Wechselbeziehungen zu afrikanischen sowie indianischen Akteuren ausdrückte. Ebenso sichtbar wird die Vielschichtigkeit der Deutschen durch die Glaubenspraktiken an der Côte des Allemands, deren Analyse im Fokus des abschließenden Kapitels steht. Insbesondere die Kirchenregister, die für die Phase zwischen 1739 und 1755 vorliegen, vergegenwärtigten nicht nur die Religiosität der Familien, sondern dokumentierten auch, wie die Deutschen über Tauf-, Heirats- und Sterbeeinträge neue Verwandtschaften und letztlich auch neue Hierarchien produzierten und mithilfe der Kapuziner ihre Machtbeziehungen nach innen und außen definierten. Vorangestellt wird diesen Kapiteln eine ereignisgeschichtliche, historiographische und erinnerungsliterarische Einführung in das koloniale Louisiana. Diese Einführung soll zunächst einen Überblick zur Geschichte Louisianas im 18. Jahrhundert liefern, die Entwicklungen an der Côte des Allemands kontextualisieren und darüber hinaus Lückenhaftes wie Widersprüchliches vergangener Geschichtsschreibungen ergründen. So soll ein Prozess des Hinterfragens gängiger Meistererzählungen und Erinnerungen zur Geschichte Louisianas in Gang gesetzt werden.

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1.5 Q UELLENREFLEXIONEN Quellen, so eine generelle Prämisse, sind die Spuren der Vergangenheit. Sie zeichnen sich nicht nur durch ihre Überlieferungsinhalte, sondern auch durch ihre Materialität, oder besser, durch die historische Materialität ihrer Überlieferungen aus.45 Dabei liefern die Spuren keine Beweise oder reale Zeugnisse über Vergangenes; eher liefern sie Lücken und Selektiertes, Schweigen und Verschwiegenes sowie Zufall und Chance. Ebenso wie der Historiker dem Leser eine Geschichte erzählt, erzählen die Quellen dem Historiker eine oder mehrere Geschichten. In gewisser Weise scheinen die Quellen die Wirklichkeiten, von denen sie erzählen, gar erst zu schaffen: Sie produzieren die Bedeutungsmuster, Erzählungen und das Wissen, von denen sie zu berichten vorgeben. Der Historiker sammelt diese Quellen und fügt sie in seiner Geschichte zusammen – die mehrere Geschichten enthalten kann.46

45 Vgl. Hubertus Büschel, Untertanenliebe: Der Kult um deutsche Monarchen 1770–1830 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 46–49: Hubertus Büschel fasst die wesentlichen Überlegungen zur Begriffsdifferenz von „Quellen“ und „Spuren“ zusammen und plädiert für die Einbeziehung der Materialität von Quellen in die historische Quellenkritik. Büschel greift die Ansätze von Arlette Farge, Greg Dening, Anthony Grafton und Gustaaf Renier auf, siehe Greg Dening, „Writing, Rewriting the Beach: An Essay“, Rethinking History: The Journal of Theory and Practice 2:2 (1998): 143–172, Arlette Farge, Der Geschmack des Archivs, übers. v. Jörn Etzold und Alf Lüdtke (Göttingen: Wallstein [1989]2011), Anthony Grafton, The Footnote: A Curious History (Cambridge, MA: Harvard University Press, 1997), insbesondere 34–93, sowie Gustaaf J. Renier, History, its Purpose and Method (London: Allen & Unwin, 1950). 46 Vgl. Anja Horstmann und Vanina Kopp, „Einleitung“, in Archiv – Macht – Wissen: Organisation und Konstruktion von Wissen und Wirklichkeiten in Archiven, hrsg. v. Anja Horstmann und Vanina Kopp (Frankfurt: Campus, 2010), 9–22. Die Herausgeberinnen des Bandes Archiv – Macht – Wissen, Anja Horstmann und Vanina Kopp, schreiben vielsagend, „das Eigentliche des Archivs ist ‚seine Lücke, sein durchlöchertes Wesen‘“ (11f), und sie sprechen von „den Selektionsprozessen des Archivs“ (18). Siehe auch Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive: Ordnung aus Unordnung (Berlin: Merve, 2002), 25, Arnold Esch, „Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers“, Historische Zeitschrift 240:3 (1985): 529–570, sowie Siegfried Jäger, „Dispositiv“, in Michel Foucault: Eine Einführung in sein Denken, hrsg. v. Marcus S. Kleiner (Frankfurt: Campus, 2001), 72–89, hier 73.

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Grob umrissen werden im Folgenden vier Geschichten erzählt: Eine Geschichte des Kartierens, eine Geschichte des Zählens, eine Geschichte der Kontakte und eine Geschichte des Glaubens. Karten, Zensus und Zensusberichte, Kirchenregister, Parish Records und Family Papers sowie Verkaufs-, Kauf- und Freilassungsprotokolle zu Sklaven stellen die maßgeblichen Quellen für diese Geschichten dar. Ergänzt werden die Geschichten durch Memoiren, Histoires und Journale, durch Korrespondenzen, Reglementierungen und Bekanntmachungen sowie durch Heirats-, Kauf- und Handelsverträge. Jede dieser Geschichten geht also auf eine Spur oder eine Sammlung ähnlicher Spuren von Quellen zurück, die ihrerseits eine Reihe von Geschichten erzählen: Geschichten von Stil und Sprache, Geschichten von Verfasserbiographien und -strategien, Geschichten von Seheund Standpunkten, Geschichten von Institutionen und Situationen sowie Geschichten von Rezeptionen und Selektionen und Geschichten von Traditionen und Überresten.47 Die Spuren all dieser Geschichten liegen in den Archiven, im hiesigen Falle in den Archiven der Newberry Library, Chicago, der Huntington Library, San Marino, den National Archives, Washington, DC, den Archives nationales d’outremer, Aix-en-Provence, sowie in den Archiven des Bundesstaates Louisiana: den Louisiana State Archives, Baton Rouge, dem Louisiana Studies Center, Lafayette, und der Historic New Orleans Collection sowie den New Orleans Notorial Archives, der New Orleans Public Library und der Louisiana Research Collection der Tulane University, New Orleans. Sie fanden sich in öffentlichen Institutionen, wie Universitätsbibliotheken oder Bundesstaatsarchiven, und in privaten Instituten, wie Forschungsarchiven oder -einrichtungen. Es ist kein Geheimnis, dass hinter diesen Institutionen Komponenten der „Macht sowie Deutungshoheiten, Absichten und Kräfte stehen, die mit der Sammlung, Ordnung und Zugänglichmachung von Wissensbeständen zusammenhängen“:48 Archive öffnen ihre Türen und schließen sie, Archive stellen Materialien bereit, verschließen, pflegen und digitalisieren die Materialien. Die vorliegende Studie profitierte von diesen Praktiken

47 Vgl. Birgit Emich, Geschichte der Frühen Neuzeit studieren (Konstanz: UTB basics, 2006), 66–70. 48 Hubertus Büschel, „Das Schweigen der Subalternen: Die Entstehung der Archivkritik im Postkolonialismus“, in Archiv – Macht – Wissen: Organisation und Konstruktion von Wissen und Wirklichkeiten in Archiven, hrsg. v. Anja Horstmann und Vanina Kopp (Frankfurt: Campus, 2010), 73–88, hier 76.

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des Archivs, wenn sie auf editierte und digitalisierte Quellensammlungen zurückgriff. Sie litt unter diesen Praktiken, wenn Beamte und Archivare ihre Dokumente verschlossen hielten.49

49 Siehe zum Beispiel MPA, LHQ oder Gwendolyn M. Hall, „Afro-Louisiana History and Genealogy, 1699–1860“ (Chapel Hill, NC: Center for the Public Domain, 2000), (Zugriff: 03.09.2012). Teils erfolgte der Rückgriff auf Mikrofilmkopien, zum Beispiel auf jene des Centers for Louisiana Studies (CLS), Lafayette, LA, siehe CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, sowie CLS, St. John Parish Original Acts, 1770–1803.

2.

Louisiana im 18. Jahrhundert

2.1 E REIGNISGESCHICHTE HISTORIOGRAPHISCHE

UND

Ü BERLEGUNGEN

In der Vergangenheit verliefen die Geschichtsschreibungen zur Côte des Allemands und zum kolonialen Louisiana entlang einer Linie von Meistererzählungen und Ereignissen: entlang der Ankunft der Franzosen an der Mündung des Mississippis um 1682 und der Inbesitznahme des Louisiana-Territoriums um 1699; entlang der Gründung der Stadt New Orleans im Jahr 1718 und der Vergabe eines Handels- und Verwaltungsmonopols an die Compagnie des Indes im selben Jahr; entlang des Siebenjährigen Krieges von 1756 und der Übernahme der kolonialen Administration durch die spanische Krone ab 1763; entlang der Französischen und Haitianischen Revolutionen und, in der Konsequenz der Ereignisse, des Louisiana Purchase von 1803.1 Dabei wurde stets die Bedeutung einzelner Akteure inszeniert: Die Inbesitznahme der Kolonie Louisiana wurde eng mit den Forschungsexpeditionen von Robert Cavelier de La Salle verknüpft, der die Mündung des Mississippis entdeckt 1

Vgl. Light T. Cummins, „Part 1“, in Louisiana: A History, hrsg. v. Bennett H. Wall (Wheeling, IL: Harlan Davidson, 42002), 1–93, hier 57ff, Nathalie Dessens, „Napoleon and Louisiana: New Atlantic Perspectives“, in Napoleon’s Atlantic: The Impact of Napoleonic Empire in the Atlantic World, hrsg. v. Christophe Belaubre, Jordana Dym und John Savage (Leiden: Brill, 2010), 63–77, Marcel Giraud, A History of French Louisiana: The Reign of Louis XIV, 1698–1715, Bd. 1, übers. und überarb. v. Joseph C. Lambert (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1974), 31–47, sowie Samuel Wilson, Jr., „Bienville’s New Orleans: A French Colonial Capital, 1718–1768, and La Nouvelle Orléans: Le Vieux Carré“, in New Orleans and Urban Louisiana, Part A: Settlement to 1860, hrsg. v. Samuel C. Shepherd, Jr. (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 2005), 40–52.

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hatte. Die Gründung der Stadt New Orleans wurde auf eine Entscheidung des Gouverneurs Bienville zurückgeführt, der so den Sitz der kolonialen Administration festlegte. Der Ausbau der Stadt zum verwaltungstechnischen Zentrum wurde mit den politischen Vorgaben der Gouverneure Étienne Périer, Vaudreuil und Kerlerec erklärt. Für das fehlende wirtschaftliche Wachstum dieses Zentrums wurde die Finanzpolitik des Schotten John Law verantwortlich gemacht.2 Ferner wurden die Turbulenzen der frühen spanischen Kolonialpolitik mit dem Widerstand der französischen Siedler gegen den spanischen Gouverneur Antonio de Ulloa und den spanisch-irischen General Alejandro O’Reilly um 1768 begründet. Das Aufblühen des spanischen Louisiana bis 1803 wurde mit den Politiken der Gouverneure Luis de Unzaga, Bernardo de Gálvez y Madrid, Esteban Rodríguez Miró und Francisco Luis Héctor de Carondelet verwoben. Das Ende des spanischen Louisiana, das der Geheimvertrag von San Ildefonso aus dem Oktober 1800 einleitete, sowie das Ende des französischen Interregnums, das der Louisiana Purchase zum Dezember 1803 besiegelte, wurden anhand der Biografien von Juan Manuel de Salcedo und Pierre Clément de Laussat sowie von William Charles Cole Claiborne und James Wilkinson vertiefend erläutert.3 Diese Ereignisse verflochten die Geschichtsschreibenden mit Aussagen zu den Akteuren an der Côte des Allemands: Mit Beginn der 1720er Jahre beförderten Bienville und John Law die Ankunft der ersten deutschen Familien in Louisiana und erklärten den Offizier Karl Friedrich D’Arensbourg zu deren Kommandanten. Der Bankrott der Compagnie des Indes, so die Erzählungen, verwandelte die Familien bis 1731 von Kontraktarbeitern zu Habitants. Bereits zu dieser Zeit verursachte die Politik der amtierenden Gouverneure um Bienville, Périer und Vaudreuil heftige Konflikte mit den Natchez- und Choctaw-Indianern, deren Auswirkungen um 1729/30 und nochmals um 1748/49 auch an der Côte des Allemands zu spüren waren. In den 1750er Jahren brachten die Bemühungen des Gouverneurs Kerlerec neue Siedler an die Côte des Allemands, unter denen sich Lothringer, Elsässer und die sogenannten Maryland-Deutschen befanden. Von diesen Neuankömmlingen partizipierte eine Reihe auch am Widerstand gegen die spanische 2

Zwar starb John Law bereits 1729, rechtlich betrachtet besaß die Compagnie des Indes, die zu dieser Zeit längst nicht mehr von ihm geführt wurde, aber bis 1731 das Handelsund Verwaltungsmonopol über Louisiana, siehe Marcel Giraud, French Louisiana, Bd. 5, 115–159, siehe auch ders., French Louisiana, Bd. 1, 3–13, sowie Campanella, Bienville’s Dilemma, 111–114, und Cummins, „Part 1“, 44–57.

3

Vgl. Carl A. Brasseaux, „Confusion, Conflict, and Currency: An Introduction to the Rebellion of 1768“, Louisiana History 18:2 (1977): 161–169, Cummins, „Part 1“, 60– 89, sowie Peter J. Kastor, The Nation’s Crucible: The Louisiana Purchase and the Creation of America (New Haven, CT: Yale University Press, 2004), 55f.

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Administration im Oktober 1768.4 Gemäß Anne Baade wirkten selbst die Französische und die Haitianische Revolution an der Côte des Allemands nach. So ging im Frühjahr 1795, nach einem Sklavenaufstand im nahe gelegenen Pointe Coupée, die Angst vor einer Ausweitung des Aufruhrs umher. In den Debatten um den Sklavenaufstand kamen, so Baade, auch die Konflikte unter den Deutschen zum Vorschein, die sich durch begriffliche Abgrenzungen wie „Unsere Grosen“ und „Unsere Armen“ ausdrückten.5 Diese Aussagen deuten auf Lücken und Widersprüchliches hin und werfen eine Reihe von Fragen auf: Wenn im Rahmen des Sklavenaufstandes von 1795 die Konflikte zwischen „Grosen“ und „Armen“ zur Sprache kamen, worin lagen die Ursachen dieser Konflikte? Wenn Kerlerec in den 1750er Jahren neue Siedler an die Côte des Allemands lotste, welche Zuschreibungen gingen mit dem Eintreffen der neuen Deutschen einher? Wenn die Auseinandersetzungen mit den Natchez- und Choctaw-Indianern auf die Côte des Allemands übergriffen, welchen Aufschluss gibt dies über die Beziehungen zwischen Siedlern und indianischen Gruppen? Wenn Bienville und John Law um 1720 europäische Emigranten anwarben und diese später zu vollwertigen Habitants erklärten, was sagt das über den Wandel von sozialen Klassifizierungen im kolonialen Louisiana aus? Nicht zuletzt stellt sich eine grundlegende Frage: Warum wurden die Deutschen stets als einheitliche Gruppe oder gar als Gemeinschaft verstanden? Schon ein erster Blick in die Zensus der 1720er Jahre zeigt, dass die Zensusbeamten mit der Zuschreibung „Allemands“ eine Vielzahl von Individuen versahen, die aus solch unterschiedlichen Gebieten wie der heutigen Schweiz, Ungarn, Kanada, dem Rheinland, Elsass, Lothringen, Schwaben und Sachsen stammten. Sie fassten darüber hinaus Katholiken, Lutheraner und Calvinisten zusammen, die mit ihrem vermeintlichen Unglauben die kapuzinischen Geistlichen erzürnten. Ferner wurden die „Allemands“ weiteren freien wie unfreien Akteuren gegenübergestellt, die im Laufe der französischen und spanischen Kolonialverwaltung aus den Amerikas, den Afrikas und aus Europa an der Côte des Allemands eintrafen. Obschon 4

Vgl. Glenn R. Conrad, „Alsatian Emigration to Louisiana, 1753–1759“, in French Experience in Louisiana, hrsg. v. ders. (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1995), 163–173, sowie René Le Conte, „Germans in Louisiana in the Eighteenth Century“, in A Refuge for All Ages: Immigration in Louisiana History, hrsg. v. Carl A. Brasseaux (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1996), 31–43, hier 40, Giraud, Histoire de la Louisiane, Bd. 4, 154–167, ders., French Louisiana, Bd. 5, 180–192, Reinhart Kondert, „The German Involvement in the Rebellion of 1768“, Louisiana History 26:4 (1985): 385–397, sowie Merrill, Germans of Louisiana, 43f.

5

Vgl. Anne A. Baade, „Slave Indemnities: A German Coast Response, 1795“, Louisiana History 20:1 (1979): 102–109.

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stets als „deutsch“ verklärt, stellte die Côte des Allemands damit von Beginn an einen Raum dar, in welchem sich die Lebenswege verschiedener Akteure kreuzten.6 Auch andere Inhalte der Volkszählungen aus den Jahren 1721, 1724, 1726 und 1732 weisen teils erhebliche Widersprüche auf. Zwar wurden die Familien immer wieder als „Allemands“ und tüchtige „Laboureurs“ beschrieben, jedoch lieferten die Zensus auch gegensätzliche Aussagen: Einzelne Siedler wurden durchaus als Faulenzer und schlechte Untertanen abgetan. Die romantisierte Beschreibung von Dörfern wurde gebrochen, wenn die Rede auf einen Hurrikan im September 1722 kam, der zwei Dörfer zerstörte und etliche Akteure zu Umsiedlungen zwang. Die Zensusbeamten sprachen nicht nur von Ernten, sondern auch von Missernten und forderten den Anbau von Reis, Mais und Gemüse, das Halten von Groß- und Kleinvieh sowie die Produktion von Zypressenholz, Tabak, Indigo und später Zuckerrohr. Zudem fanden sich in den kolonialen Korrespondenzen nicht selten Gesuche einzelner Akteure, die darum baten, die Côte des Allemands verlassen zu dürfen, um ihr Glück an anderen Orten in Louisiana, den Amerikas und Europas zu suchen.7 Die Historiographie verschwieg diese Episoden häufig. Es dominierten hingegen die Erzählungen, die aus einer Art Leidensgeschichte die Erfolgsgeschichte der Deutschen von Louisiana ableiteten und diese wie folgt referierten: Auf Anwerben der Compagnie des Indes machten sich in den Jahren 1720 und 1721 geschätzte 2.600 bis 6.000 deutsche „Kolonisten“ zumeist aus dem heutigen Südwestdeutschland auf den Weg nach Louisiana. Dieser Weg verlief zunächst über die französischen Häfen, vor allem Lorient, von wo aus die potentiellen Siedler nach Louisiana verschifft wurden. In Lorient angekommen, mussten die Siedler,

6

ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, und MPA 2:489f, „Father Raphael to the Abbe Raguet“, 15.05.1725; vgl. auch Merrill, Germans of Louisiana, 30ff, 38–43.

7

ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #37; vgl. auch Helmut Blume, Die Entwicklung der Kulturlandschaft des Mississippideltas in kolonialer Zeit – unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Siedlung (Kiel: Selbstverlag des Geographischen Instituts der Universität Kiel, 1956), 38–60.

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so die Studien, jedoch feststellen, dass die Compagnie ihre Passage nach Louisiana mitnichten vorbereitet hatte. Notdürftig und in provisorischen Camps untergebracht, kämpften die Deutschen mit Typhus und Cholera anstatt mit den Wellen des Atlantiks. Dabei fanden nicht wenige den Tod, andere kehrten in die Heimat zurück oder ließen sich kurz entschlossen in Frankreich nieder. Selbst mit dem Aufbruch der ersten Schiffe in Richtung Louisiana hatte das Leid der Siedler kein Ende. An Bord der Schiffe traten erneut Krankheiten auf, die die Anzahl der Siedler zusätzlich dezimierte.8 Ebenso ernüchternd wurden die Zustände in Louisiana geschildert. Wie in Frankreich hätte die Compagnie für die Ankunft der Siedler in der Neuen Welt keine Sorge getragen. So wurden die verbliebenen, etwa eintausend Deutschen nach Biloxi gebracht, wo Hunger und Klima ihnen zugesetzt hätten und weitere gestorben seien. Nur den indianischen Gruppen, die Nahrung und Wasser bereitstellten, wäre es zu verdanken gewesen, dass die Deutschen nicht komplett „dahinsiechten“.9 Unter der kolonialen Verwaltung hätte keine Klarheit darüber geherrscht, wo die Deutschen anzusiedeln waren. Erst im Frühjahr 1722 habe sich Bienville in Absprache mit dem Conseil Supérieur dazu entschlossen, sie etwa 26 Meilen flussaufwärts von New Orleans zu konzentrieren. Durch den Bankrott der Compagnie des Indes sowie durch Hurrikane, Überflutungen und Vogelplagen hätte sich die Leidensgeschichte der Deutschen in den 1720er Jahren fortgesetzt und in den Konflikten mit den Natchez-Indianern um 1729 einen vorläufigen Höhepunkt erfahren.10 Aus dieser Leidensgeschichte entwickelten die Erzählungen für das weitere 18. Jahrhundert eine Art Erfolgsgeschichte. Zentral waren die Verweise auf die Bedeutung der Deutschen für die Lebensmittelversorgung der Stadt New Orleans: Aussagen, die ihre Gärten als „Versorger der Stadt“11 preisten, die davon berichteten, wie sie mit ihren Booten Gemüse- und Tierprodukte nach New Orleans brachten, und die gar das Überleben der Stadt auf die Tüchtigkeit der Deutschen

8

Vgl. Forsyth/Zeringue, German Pest Ships.

9

HNOC, Mikrofilm 84-70-L, ANOM, C, 13A, 6, folio 189, Bénard de la Harpe à [Bienville], 05.10.1721.

10 Darstellungen, wie die skizzierte, finden sich u.a. bei Ellen Merrill. Merrill entwickelt ihren Erzählstrang dabei zum Beispiel aus den Korrespondenzen von Bénard de la Harpe, vgl. Merill, Germans of Louisiana, 23–28, 43–45, sowie HNOC, Mikrofilm 8470-L, ANOM, C, 13A, 6, folio 189–190, Bénard de la Harpe à [Bienville], 05.10.1721. 11 Vgl. Bossu, Nouveaux Voyages aux Indes Occidentales, Bd. 1, 29, sowie Jean-François Benjamin Dumont de Montigny, Mémoires Historiques sur la Louisiane, Bd. 2 (Paris: Bauche, 1753), 298.

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zurückführten, fanden sich in den Memoiren, Histoires und Journalen zuhauf. Dabei beschränkten sich die Lob- und Erfolgspreisungen nicht nur auf ihre Rolle als Subsistenzwirtschaftler, sondern wurden mit Erzählungen zu ihrer Tapferkeit und Anpassungsfähigkeit verschränkt. Ihre Tapferkeit hatten die Deutschen, vor allem ihr Kommandant D’Arensbourg, in den Konflikten mit den indianischen Gruppen nachgewiesen. Ihre Anpassungsfähigkeit spiegelte sich in den Heiraten mit französischen Siedlern und in ihrer Loyalität gegenüber der französischen Krone wider. Selbst während der O’Reilly Rebellion von 1768, die den Übergang von der französischen zur spanischen Kolonialverwaltung markierte, hätten die Deutschen auf Seiten der rebellierenden französischen Bevölkerung gestanden. Im Laufe der Jahre, so hieß es, wurden aus ihnen nicht nur gute Katholiken, auch hatten sie sich vom Status der Kontraktarbeiter gelöst und zu erfolgreichen Habitants entwickelt. Gegen Ende der spanischen Kolonialzeit waren unter ihnen einige der angesehensten und vermögendsten Pflanzer. In letzter Konsequenz gehörten sie, so Hanno Deiler, zu den Kreolen Louisianas.12 Nicht zuletzt Deiler entwarf in seinen Arbeiten eine Meistererzählung des Erfolgs, deren Ausgang sich bereits im Titel der einschlägigsten Studie andeutete: Die ersten Deutschen am unteren Mississippi und die Creolen deutscher Abstammung. Ihm zufolge hatte es neben den „Creolen“ französischer und spanischer eben auch solche deutscher Herkunft gegeben. Zum einen versuchte Deiler mit dieser Aussage, die Geschichte der Deutschen in den Geschichtsschreibungen zum kolonialen Louisiana zu verankern: „Creolen sind die Nachkommen der vor dem Jahre 1803, also in der Colonialperiode, aus Europa nach Louisiana eingewanderten weißen Bevölkerung“.13 Daran anknüpfend formulierte er: „Folglich giebt es: Creolen französischer Abstammung, Creolen deutscher Abstammung und Creolen spanischer Abstammung“.14 Zum anderen zielte Deiler darauf ab, die Stellung der Deutsch-Amerikaner im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zu verbessern, wobei seine Aussagen stark von rassistischen Denkmustern und Begrifflichkeiten geprägt waren: „Sehr zu betonen ist ‚der weißen Bevölkerung‘, weil es Leute giebt, welche dem Louisiana Creolen eine Mischung von kaukasischem, afrikanischem und indianischem Blut nachsagen“.15 Für Deiler galt „also

12 ANOM, C, 13A, 15, folio 64verso/65, Salmon au ministre, 27.03.1732; vgl. auch Deiler, German Coast sowie Merrill, Germans of Louisiana, 42f. 13 Deiler, Creolen deutscher Abstammung, 23. 14 Ebd., 24. 15 Ebd., 23.

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nur das Blut“,16 wobei er die „Creolen Louisianas“ von europäischen Siedlern in anderen Kolonien abgrenzte, „die ihre Rasse nicht rein bewahrten“.17 Deilers Aussagen entsprachen einem biologistisch-essentialistischen Rassismus, der sich seit den 1820er Jahren in Louisiana durchgesetzt hatte und für das ausgehende 19. Jahrhundert typisch war. Bei genauer Betrachtung konnte er nur von den „Creolen deutscher Abstammung“ sprechen, wenn er die dominierenden und zuvor skizzierten Erzählungen zugrunde legte und alternative Spuren des Vergangenen nicht berücksichtigte. Solch alternative Spuren lassen sich jedoch durchaus entdecken, wie das Beispiel von George August Vanderhek und dessen Familie zeigt.18 Die Geschichte der Familie Vanderhek im kolonialen Louisiana begann um 1730 und fiel damit in die Endphase der Compagnie des Indes.19 In Danzig lebend, hatte George August Vanderhek am 7. November 1730 einen Brief seines Vetters, dem Kommandanten der Côte des Allemands, D’Arensbourg, erhalten. In diesem Brief richtete D’Arensbourg die nachstehenden Worte an Vanderhek: „Ich habe wegen Ihnen mit meinem Vorgesetzten gesprochen. Er hat mir zugesagt, sich vor der Compagnie für Sie einzusetzen, um Sie in dieses Land zu bemühen und in diesem Falle zu veranlassen, dass sie nicht unter den Truppen platziert, sondern zumindest zum Habitant

16 Ebd., 24. 17 Ebd., 23. 18 Deiler berücksichtigte zum Beispiel Inventarlisten von der Côte des Allemands nicht, in denen afrikanische Sklaven als „Kreolen“ bezeichnet wurden, siehe CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 2, 14.11.1775. Zur Entwicklung des Rassismus und von Rassismuskonzepten in Louisiana im 19. Jahrhundert, siehe Nina Möllers, Kreolische Identität: Eine amerikanische ‚Rassengeschichte‘ zwischen Schwarz und Weiß, die Free People of Color in New Orleans (Bielefeld: transcript, 2008), insbesondere 103–189. 19 In den Dokumenten sind mindestens vier verschiedene Schreibweisen zu finden: Vanderhek, Vanderheck, Van der Heck und Wandereck. Vanderhek und dessen Familie werden in der Geschichtsschreibung zum kolonialen Louisiana kaum beachtet – und wenn, dann werden sie in die üblichen Erfolgsgeschichten eingegliedert. So gilt Vanderhek meist als „D’Arensbourg’s brother-in-law, who was of German extraction but had served in the Danish army. He arrived in the colony with his family, and the Company immediately allotted him five blacks. A few years later he had a considerable farm that he managed well, helped by his slaves“, Marcel Giraud (1991, Bd. 5), 183; siehe auch Kondert, D’Arensbourg, 41f.

40 | D IE CÔTE DES A LLEMANDS gemacht und Ihnen Sklaven und weitere Dinge, die für die Ansiedlung notwendig sind, zur Verfügung gestellt werden“.20

Seine Zusicherungen untermauerte D’Arensbourg wie folgt: „Ich persönlich verspreche Ihnen, dass ich nichts unversucht lassen werde, Ihnen meine Hilfe zu erweisen. Ich übertrage Ihnen ebenso ein Flurstück, das an meine Behausung angrenzt, um sie anzusiedeln“.21 Vanderhek schien von den Aussagen seines Vetters beeindruckt. Schon am 19. November 1730 reagierte er auf dessen Schreiben und sprach in einem Brief an den Direktor der Compagnie des Indes davon, – „sans perdre du temps“ – mit Frau und Tochter nach Louisiana aufzubrechen.22 Bereits im Januar 1731 traf die Familie im französischen Atlantikhafen Lorient ein. Hier verzögerte sich die Weiterfahrt nach Louisiana; die Compagnie hatte die nötigen Passagierpapiere nicht ausgestellt. In dem nun folgenden, viermonatigen Briefwechsel mit den Beamten der Compagnie des Indes dürfte Vanderhek zum ersten Mal das Gefühl beschlichen haben, dass sich nicht alle Versprechungen seines Vetters erfüllen würden. Erst im Mai erhielt die Familie ihre Passagierpapiere und erreichte mit einiger Verzögerung im Oktober 1731 Louisiana.23 Die Abreise, so Vanderhek in Briefen vom Januar 1732, verlief ebenfalls nicht reibungslos. Scheinbar hatten die Vanderheks einen Teil ihres Reisegepäcks und Proviants, unter anderem fünf Fässer Wein, in Frankreich zurücklassen müssen. In Louisiana angekommen mangelte es an der versprochenen Hilfe. Nachdrücklich beschwerte sich Vanderhek darüber, dass er mit seiner Familie in einer kleinen, armseligen Hütte leben müsse. Er forderte Land, zehn bis zwölf Arpents de face, sowie Arbeitskräfte, um eine erfolgreiche Habitation aufbauen zu können.24 Zudem verlangte Vanderhek nach zwölf Sklaven und fünf Sklavinnen, wohl auch, 20 ANOM, C, 13B, 1, folio 195, D’Arembourg à Van der Heck, 07.11.1730: „J’ay parle à mon general pour vous monsieur. Il m’a promisse de s’employer auprez de la Compagnie pour vous, de vous faire venir dans ce pays, si en cas vous ne ferez pas placé dans les trouppes au moins vous vous mettre habitant, on vous faira des avances en negres et autres choses necessaires pour vous establir“. 21 ANOM, C, 13B, 1, folio 195, D’Arembourg à Van der Heck, 07.11.1730: „Et moy de mon particulier je vous promette que ie n’espargnerez rien pour vous rendre service, je vous conferre même un terrain joignant mon habitation pour vous placer“. 22 ANOM, C, 13B, 1, folio 195verso, Van der Heck [a Dantzig] au Directeur général de la Compagnie des Indes, 19.11.1730. 23 ANOM, C, 13B, 1, folio 200–202, Van der Heck au ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 06.01.1732. 24 ANOM, C, 13B, 1, folio 200verso/201, Van der Heck au ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 06.01.1732.

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weil die hohen Preise der zu kaufenden Sklaven bei ihm für reichlich Verdruss sorgten. Laut Vanderhek hatten ihn drei Sklaven, zwei Sklavinnen und ein „negrillion“ so viel gekostet, dass er davon einhundert Jahre hätte leben können.25 Ferner hatte sein protestantischer Glaube bisher eine Anstellung im französisch-kolonialen Militärdienst verhindert; ein Hindernis, das er mit seiner kürzlich erfolgten Anleitung im katholischen Glauben und der Abschwörung von häretischem, protestantischem Gedankengut aus dem Weg geräumt hoffte.26 Zufrieden zeigte sich Vanderhek in einem Brief an das Marineministerium vom Sommer 1732. Erfreut berichtete er, der Commissaire-Ordonnateur Salmon habe nach einem Besuch an der Côte des Allemands seiner Bitte stattgegeben und ihm ein Flurstück von zwölf Arpents de face zugesagt. Seinen lobenden Bericht verknüpfte Vanderhek zugleich mit der Forderung nach einem Vorschuss von 600 Livres, von dem er meinte, dass er ihm aufgrund seiner Dienste als Offizier in den Milizen in naher Zukunft ehe zustehen würde. Seine neue Zufriedenheit und sein Selbstvertrauen drückten sich in der Abschlussformel des Briefes aus. Hatte er im Januar noch „de ma cabane“ geendet, schloss Vanderhek nun mit den Worten „à mon habitation“.27 Damit deutete sich für die Familie Vanderhek für den Sommer 1732 eine erste Zäsur an. Trotz aller Missstände in der lokalen, kolonialen und metropolitanen Verwaltung, trotz des desolaten administrativen wie finanziellen Zustands der Compagnie des Indes war die Ankunft in Louisiana vollbracht und eine Habitation bezogen. In den folgenden Jahren fassten Vanderhek und seine Familie langsam Fuß im kolonialen Louisiana. Schon im Zensus „après 1731“ war ein Flurstück von zwölf Arpents de face in Vanderheks Namen „par possession“ vermerkt und bereits im Mai des Jahres 1733 setzte sich der Commissaire-Ordonnateur Salmon auf ein Neues für ihn ein.28 Indem er ihn als „einen Mann versehen mit gutem Wille“ anpries, forderte Salmon für den mittlerweile in Milizdiensten stehenden Vanderhek einen Vorschuss von 500 Livres sowie Versorgungs- und Nahrungsmittel für seine Habitation und Sklaven.29 Die Rede kam wieder auf Vanderhek, 25 ANOM, C, 13B, 1, folio 204, Van der Heck au Ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 07.01.1732. 26 ANOM, C, 13B, 1, folio 205/205verso, Van der Heck au Ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 07.01.1732. 27 ANOM, C, 13B, 1, folio 206–207, Van der Heck au Ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 19.07.1732. 28 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731: „12 Arpents de face Wandereck par possession“. 29 ANOM, C, 13A, 17, folio 91, Salmon au ministre, 04.05.1733.

42 | D IE CÔTE DES A LLEMANDS

als es im Juni 1736 nach Konflikten mit den Chickasaw-Indianern herbe Verluste unter den französisch-kolonialen Truppen zu verzeichnen gab. Der damalige Gouverneur Bienville schlug gegenüber dem Marineministerium vor, Vanderhek zum „Lieutenant reformé“ zu befördern.30 Die vorgeschlagene Beförderung trat mit dem 15. September 1736 in Kraft und Vanderhek fungierte fortan als „Lieutenant reformé en pié“.31 Allerdings geriet der Aufstieg der Vanderheks gegen Ende der 1730er Jahre ins Stocken. Im Dezember 1737 erwähnte der Commissaire-Ordonnateur Salmon den „Lieutenant reformé“ Vanderhek in seiner Korrespondenz mit dem Marineministerium erneut – diesmal jedoch wenig lobend. Unter anderem berichtete Salmon von Entschädigungszahlungen über 300 Livres, die Vanderhek an eine Frau hatte leisten müssen; laut Salmon war es im Rahmen von Konflikten mit indianischen Gruppen zu Plünderungen gekommen. Ferner hatte Vanderhek, so Salmon, seine Stellung als „Lieutenant reformé“ missbraucht und in Balize die Kapitäne zweier Handelsschiffe dazu gezwungen, ihm Handelswaren auf „Kredit“ herauszugeben.32 Vanderhek selbst ließ die Vorwürfe nicht auf sich sitzen und stritt die aus seiner Sicht falschen Anschuldigungen in zwei Briefen an das Marineministerium und Minister Maurepas ab.33 Die Briefe vom 27. und 28. Juni 1740 markierten eine weitere Zäsur für die Familie Vanderhek. Nach dem Bankrott der Compagnie des Indes in den frühen 1730er Jahren war das koloniale Louisiana in eine Phase der Konsolidierung eingetreten. Wie die Vanderheks hatte die Verwaltung an einen schrittweisen Fortschritt geglaubt, wurde in ihrem Glauben aber jäh enttäuscht. Insbesondere die stetig wiederkehrenden und unberechenbaren Konflikte mit den indianischen Gruppen sowie die andauernden Versorgungsengpässe hatten zu einer Desillusionierung geführt, die Vanderhek in seinen Briefen auf den Punkt brachte: „Ich bin ganz und gar ruiniert“.34 Ernüchtert berichtete Vanderhek, er habe im letzten Jahr zwei seiner Töchter und einen Sklaven verloren, während er selbst in den Diensten der Verwaltung gestanden hätte. Seine Frau wäre, auf sich allein gestellt, an der Bewirtschaftung 30 ANOM, C, 13A, 21, folio 183, Bienville au ministre, 29.06.1736. 31 Huntington Library, Vaudreuil Papers, Box 1, LO 16, „Listes des Officiers Majors et des troupes de la Louisianne. Enclosed in: 1742, Oct. 22, Versailles“. 32 ANOM, C, 13A, 22, folio 214–215, Salmon au ministre, 16.12.1737. 33 ANOM, C, 13B, 1, folio 208–209, Van der Heck au Ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 27.06.1740, sowie ANOM, C, 13B, 1, folio 210– 210verso, Van der Heck au Ministre, 28.06.1740. 34 ANOM, C, 13B, 1, folio 210verso, Van der Heck au Ministre, 28.06.1740: „je me trouve entierement ruine“.

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der gemeinsamen Habitation gescheitert. Er habe seine Familie daher nach New Orleans bringen müssen. Nun lebe er vom Verleih seiner beiden übrigen Sklaven und der Verpachtung der Habitation. Für Frust sorgte bei Vanderhek auch, dass er eine Prämie für die Abschwörung vom protestantischen Glauben im Juli und September 1732 noch immer nicht erhalten hatte.35 Diese Prämie forderte er ebenso ein, wie einen weiteren Vorschuss für seine Milizdienste.36 In den Aussagen von Vanderhek kam die desolate Lage der Kolonie Louisiana um 1740 zum Ausdruck. Wiederrum kam ihm Salmon zur Hilfe und forderte, man müsse Vanderhek helfen und eine Summe zum Unterhalt zukommen lassen, „andernfalls werden er und seine Familie immer unglückselig sein“.37 Salmons wohlwollende Worte waren, wie Vanderheks Aussagen, nur im Kontext der Zeit zu verstehen. Denn neben den Konflikten mit den indianischen Gruppen mangelte es im kolonialen Louisiana an Versorgungsgütern und Kapital. Darauf hatte Salmon das Ministerium – mehrfach und verbittert – hingewiesen und die Unterstützung der Siedler vor Ort sowie die Anwerbung neuer Siedler gefordert.38 Während in Frankreich um 1740 langsam die Einsicht reifte, dass die Kolonie Louisiana auf lange Sicht kein profitables Unternehmen darstellte – und sich dies in der permanenten Vernachlässigung kolonialer Belange niederschlug –, entwickelten sich bei den Vanderheks ähnliche Ansichten. Im März 1742 ersuchte Vanderhek den Gouverneur Bienville mit der Bitte, einen Urlaub in Europa antreten zu dürfen. Bienville, der wohl ahnte, dass es nicht bei einem Urlaub bleiben würde, leitete die Bitte an das Marineministerium weiter, verlangte aber seinerseits, der Bitte nicht vor 1744 stattzugeben.39 So begaben sich Vanderhek und seine Frau erst am 13. Januar 1745 an Bord der königlichen Fleute L’Éléphant. Auf ihrer Reise befanden sich die beiden in bester Gesellschaft; neben den Eheleuten Vanderhek notierte die Passagierliste auch den Commissaire-Ordonnateur Salmon und dessen Frau „à la table du capitain“.40

35 ANOM, C, 13B, 1, folio 210–210verso, Van der Heck au Ministre, 28.06.1740. 36 ANOM, C, 13B, 1, folio 209, Van der Heck au Ministre (Comte Maurepas Secretaire d’Etat pour la Marine à Paris), 27.06.1740. 37 ANOM, C, 13A, 26, folio 140, Salmon au ministre, 26.04.1741. 38 Noch unter dem Eindruck der Konflikte mit den Natchez-Indianern schrieb Salmon in seine Memoiren: „If it [Louisiana] is left in this situation without increasing the population, a catastrophe will happen. It is too extensive to be held on to. [...] Little by little, the colony is destroying itself“, zitiert nach G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 8: ANOM, C, 13C, 1, folio 384, [Après 1729, désastre des Natchez]. 39 ANOM, C, 13A, 27, folio 57verso, Bienville au ministre, 27.03.1742. 40 ANOM, C, 13A, 29, folio 111, Le Normant au ministre, 13.01.1745.

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Die Geschichte der Familie Vanderhek im kolonialen Louisiana endete mit diesem Eintrag in der Passagierliste der Éléphant vom 13. Januar 1745. Vanderhek und seine Frau kehrten nicht nach Louisiana und an die Côte des Allemands zurück. Dass ihre Passage nach Europa mit jener des engagierten, aber letztlich erfolglosen Salmon zusammenfiel, erscheint im Nachhinein geradezu paradigmatisch für die Entwicklung der Kolonie: Nach einer ersten Phase der kolonialen Expansion hatte sich ab 1730 eine Phase der Konsolidierung angeschlossen, deren Scheitern um das Jahr 1745 eine Phase der kolonialen Vernachlässigung einleitete. Für die Beteiligten war dieser Wandel seit den späten 1730er Jahren spürbar, in denen Versorgungsengpässe, Kapitalmangel und Konflikte mit den indianischen Gruppen der Verwaltung immer größere Schwierigkeiten bereiteten, Tod und Abwanderungspläne unter den kolonialen Akteuren verursachten und Louisiana nachhaltig schwächten. Das Schicksal der Familie Vanderheck exemplifizierte diesen Wandel, der in den Forschungen zur Côte des Allemands selten thematisiert, sondern eher vernachlässigt wurde.

2.2 D IE C ÔTE

DES ALLEMANDS IN ZEITGENÖSSISCHEN D ARSTELLUNGEN

Der Prozess des Erinnerns an die Côte des Allemands begann – wie auch das Vergessen – bereits im 18. Jahrhundert. Er drückte sich in einer Vielzahl von Memoiren, Histoires und Journalen aus, die retrospektiv als Literaturen der Erinnerung zu begreifen sind.41 Eine Vorreiterfunktion nahmen für das koloniale Louisiana

41 Der Begriff der Erinnerungsliteratur, der von Erinnerungsforschern wie Aleida Assmann und Astrid Erll an jene literarischen Werke gebunden wird, die die „Schlüsselereignisse“ des 20. und 21. Jahrhunderts behandeln, wird hier verwendet, da in den Memoiren, Journalen und Histoires sowie den „Histories“ des 18. und 19. Jahrhunderts zum kolonialen Louisiana „selbst-erlebte und nicht selbst-erlebte Geschichte, individuelles und kulturelles Erinnern“ inszeniert wurde (Erll, 228). Dabei gilt, was Erll für die Erinnerungsliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts festhält: Die Verfasser dieser Literaturen der Erinnerung waren oder mussten sich des Umstands bewusst sein, dass sie mit ihren Texten Vorstellungen von Vergangenheit prägten und diese transgenerationell weitergeben konnten. Die Literaturen der Erinnerung wurden zur Zeit ihrer Entstehung durchaus „als ,wahrhaftiger , ,authentischer oder ,angemessener Ausdruck der Ver,

,

,

gangenheit begriffen“ (Erll, 229f), vgl. Astrid Erll, „‚The social life of texts‘ – Erinnerungsliteratur als Gegenstand der Sozialgeschichte“, Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36:1 (2011): 227–231. Die Historikerin Shannon

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die Schriften des Jesuitenpaters Charlevoix ein, die bereits 1744 erschienen, die Côte des Allemands aber nicht erwähnten. Fest verankert waren die Leidens- und Erfolgsgeschichten der Deutschen hingegen in den Schriften von Jean-François Benjamin Dumont de Montigny, Antoine-Simon Le Page du Pratz und Jean-Bernard Bossu.42 Die Schriften unterlagen sehr spezifischen Produktionsbedingungen, wie die Entstehung der Journale von Jean-Bernard Bossu versinnbildlicht. Bossu war 1751 nach Louisiana gekommen und hatte hier mit Unterbrechungen bis 1762 als Offizier des Militärs gedient. Bei der Abfassung seiner Journale hatte er, dessen Abhandlungen nicht vor 1768 erschienen, auf die Arbeiten von Dumont und du Pratz zurückgegriffen, die zu diesem Zeitpunkt seit etwa zwanzig Jahren vorlagen. Darüber hinaus hatte sich Bossu die Schriften der aufklärerischen französischen Philosophen zum Vorbild genommen. Dies fiel besonders ins Auge, wenn Bossu die indianischen Gruppen charakterisierte. Hier orientierte er sich an Jean-Jacques Rousseau und operierte mit dem Begriff der „noblen Wilden“.43 Abgesehen von diesen literatur- und philosophiehistorischen Anleihen prägte ein weiterer Aspekt die Schriften von Bossu: Sein Verhältnis zum damaligen Gouverneur Kerlerec wurde als äußerst angespannt beschrieben und hatte ihn kurzzeitig gar in die Bastille gebracht.44 Auch du Pratz wurde nicht das beste Verhältnis zum Gouverneur, in seinem Fall Bienville, nachgesagt. Du Pratz hatte im Jahr 1718 als Konzessionär den Weg Lee Dawdy zählt allein für die Zeit der französischen Verwaltung über achtzig Memoiren, Histoires und Journale und vermutet, dass sich in den französischen Archiven weitere Werke finden ließen. Einen Überblick über die gedruckten Werke liefern der Literaturhistoriker Germain J. Bienvenu, vgl. Bienvenu, „Another Literature“, sowie Dawdy, French Colonial New Orleans, 261, Anmerkung 33. 42 Siehe Pierre-François-Xavier de Charlevoix, Histoire et description generale de la Nouvelle France, avec le journal historique d’un voyage fait par ordre du roi dans l’Amérique septentrionnale, 3 Bde. (Paris: Rollin, 1744), sowie Bossu, Nouveaux Voyages aux Indes Occidentales, 2 Bde., Dumont, Mémoires Historiques sur la Louisiane, 2 Bde., sowie Antoine-Simon Le Page du Pratz, Histoire de la Louisiane, 3 Bde. (Paris: de Bure, 1758). 43 Vgl. Germain J. Bienvenu, „The Beginnings of Louisiana Literature: The French Domination of 1682–1763“, in Louisiana Culture from the Colonial Era to Katrina, hrsg. v. John Lowe (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2008), 25–48, hier 37. 44 Vgl. Bienvenu, „The Beginnings of Louisiana Literature“, 34–38. Erste Artikel von du Pratz erschienen bereits von 1751 bis 1753 im Journal Oeconomique, vgl. Shannon L. Dawdy, „Enlightenment from the Ground: Le Page du Pratz’s Histoire de la Louisiane“, French Colonial History 3 (2003): 17–34, hier 18.

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nach Louisiana gefunden und verbrachte dort die nächsten achtzehn Jahre seines Lebens. Sein Verhältnis zu Bienville spiegelte sich in den Schriften zur Stadtentwicklung von New Orleans, zu den Beziehungen mit den indianischen Gruppen sowie in seiner Überzeugung wider, dass es Louisiana nur an einer guten Verwaltung und Führung mangele. Ansonsten waren die Schriften von du Pratz durch eine Leidenschaft für das agrarische Leben und den Stil des französischen Salons geleitet.45 Dem Literarischen waren auch die Schriften von Dumont verschrieben, der sich einleitend in seinen Memoiren mit den Worten vorstellte, er sei „un robinson français“.46 Bekannt für seinen bissigen Humor, sein hitziges Gemüt und seine Probleme mit Autoritäten mäanderten Dumonts Erzählungen von Abenteuer zu Abenteuer. Dumont war im Jahr 1719 von La Rochelle aus nach Louisiana aufgebrochen und dort im Januar des Jahres 1721 eingetroffen. Seine glücklichsten Tage verbrachte er als Offizier am Yazoo Post, wo er auf seiner Plantage ein Laboratorium unterhielt und sich seinen Zeichnungen und Schriften widmete. Diese thematisierten, wie jene von du Pratz und Bossu, die wiederkehrenden Konflikte mit den zuständigen Gouverneuren.47 So berichtete Dumont von der Ankunft der Deutschen an Bord der Durance in Biloxi im Juni 1721 und stellte fest, dass sie aufgrund der mangelnden Vorbereitungen der Compagnie des Indes und des Gouverneurs an starkem Hunger litten. Dies habe dazu geführt, dass einige von ihnen gezwungen waren, giftige Kräuter und Muscheln zu essen, an denen sie bald starben. Hunger, Leid und Tod gehörten fortan zur Gründungs- und Leidensgeschichte der Deutschen in Louisiana.48 Woher die Informationen stammten, legte Dumont nicht offen. Fest steht, dass ihm die Verhältnisse in Biloxi gut bekannt waren. An Bord der Fleute Saone, mit welcher Dumont die Überfahrt vollzogen hatte, waren etwa 270 Auswanderer nach Louisiana verschifft worden. Von diesen 270 sollten nur der Weber Jean George Poch und seine Frau in späteren Quellen des kolonialen Louisiana wieder

45 Vgl. Dawdy, French Colonial New Orleans, 52–54. 46 Jean-François Benjamin Dumont de Montigny, Regards sur le monde atlantique, 1715– 1747, hrsg. v. Shannon L. Dawdy, Gordon M. Sayre und Carla Zecher (Sillery, Québec: Septentrion, 2008), 55: „Vous y verez aussi les peines et les traveaux que j’y ai soufferts, et c’est tout dire a votre Grandeur que c’est un Robinson françois qui vient se prosterner à vos pieds, et vous faire une confession généralle de toutte sa vie, depuis 1715 jusqu’á cette année 1747“. 47 Vgl. Dawdy, French Colonial New Orleans, 51f. 48 Vgl. Dumont, Mémoires Historiques sur la Louisiane, Bd. 2, 42.

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auftauchen. Der Rest hatte entweder den Tod in Louisiana gefunden oder einen Rückweg nach Europa gesucht.49 Dumonts Berichte zur Ankunft der Deutschen an Bord der Durance decken sich mit den Angaben anderer zeitgenössischer Autoren und sind durchaus glaubwürdig. Jedoch bleibt zu bedenken, dass den Aussagen drei Bedingungen zugrunde lagen: Seine eigenen Erfahrungen bei der Ankunft mit der Saone in Biloxi, seine angespannte Beziehung mit Gouverneur Bienville und sein Hang zur abenteuerlichen Erzählung.50 Ähnliche Informationen zu den Umständen in Biloxi im Jahr 1721 lieferte Jean-Baptiste Bénard de la Harpe, ein in Diensten der Compagnie des Indes stehender Beamter und Abenteurer. In seiner Korrespondenz mit Gouverneur Bienville hatte de la Harpe davon gesprochen, dass die Ankunft der Durance zunächst „eine gemeinschaftliche Freude ausgelöst“ habe.51 Diese sei jedoch bald getrübt worden, weil man die Neuankömmlinge nicht auf die ihnen zugedachten Konzessionen transportiert hätte. Stattdessen befänden sie sich weiterhin in der Nähe von Biloxi, „wo sie seit einiger Zeit an einem trockenen Sandabschnitt der Küste dahinsiechen“.52 Wie Dumont, so zeichnete auch de la Harpe eine Gründungsszene der Deutschen, die deren Leid herausstellte. Die Filiopietisten um den bereits erwähnten Hanno Deiler, der Dumont direkt zitierte, sollten diese Leidensgeschichte in ihre Geschichtsschreibungen des 19. Jahrhunderts aufnehmen. Deiler betitelte 49 ANOM, G1, 464, „Liste generale de tous les passagers pour la Louisianne depuis le 4.e janvier 1720 jusqu’ en compris le 24 janvier 1721 fait a Lorient le dt. jour“, 24.01.1721, „La Saone“, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #4. 50 Entsprechende Berichte tauchten im Zusammenhang mit der Ansiedlung der Deutschen an der Côte des Allemands im Journal de Diron [D’Artaguiette] auf. Im Raum der Côte des Allemands reisend schrieb Diron im Dezember 1722: „A half league higher up on the same side and on the bank of the Mississipy, there are three little villages of Germans, commanded by Sr. Darensbourg. They may be about 300 in number, including women and children. They are the remnant of that multitude of Germans whom the company had sent here and who have, for the most part, died of destitution“, Diron D’Artaguiette, „Journal“, in Travels in the American Colonies, hrsg. v. Newton D. Mereness (New York: Macmillan Company, 1916), 17–92, hier 41. Siehe auch ANOM, C, 13C, 2, folio 218verso, „Journal de Diron D’Artaguiette“, 25.12.1722. 51 HNOC, Mikrofilm 84-70-L, ANOM, C, 13A, 6, folio 189, Bénard de la Harpe à [Bienville], 05.10.1721. 52 HNOC, Mikrofilm 84-70-L, ANOM, C, 13A, 6, folio 189, Bénard de la Harpe à [Bienville], 05.10.1721.

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seine Abhandlungen entsprechend: „Empfang und Versorgung der Einwanderer. Schreckliche Zustände“.53 In Dumonts Memoiren fanden sich letztlich nur leicht modifizierte und wiederholende Aussagen, wobei er einen wesentlichen Aspekt der de la Harpe’schen Beschreibungen nicht aufgriff. Auch de la Harpe hatte die desolaten Verhältnisse in Biloxi mit einer Kritik an Gouverneur Bienville und Forderungen nach Versorgungs- und Lebensmitteln für sechs Monate und etwa 150 Personen verknüpft. Seine Forderungen begründete de la Harpe, indem er die strategische Funktion der Deutschen betonte. Sie seien unabkömmlich, um das von Frankreich beanspruchte Louisiana-Territorium gegenüber den spanischen Kolonialbemühungen abzusichern.54 Während diese Aussage bei Dumont fehlte, führte er an anderer Stelle eine der gängigsten Aussagen zu den Deutschen ein, nämlich jene von ihrer Bedeutung für die Versorgung der Stadt New Orleans: „Dieser Ort, den man heute Les Allemands nennt, hatte bis zu meiner Abreise aus Louisiana den Sieur D’Arensbourg zum Kommandanten: die Flächen dort waren durch die Sorgfalt dieser neuen Habitants, die keineswegs arbeitsscheu waren, sehr gut kultiviert; und man kann diesen Ort als Garten der Hauptstadt [New Orleans] betrachten“.55

Dumont fügte hinzu: „Auch kann man sie als Versorger der Hauptstadt betrachten, wohin sie jede Woche Kohlrüben, Salate, Früchte und Kräuter aller Art bringen, ganz zu schweigen von Fisch, Wild und gepökeltem Schweinefleisch“.56 Die Abläufe des Handels beschrieb Dumont ebenfalls: „Sie beladen ihre Boote am Freitagabend während die Sonne untergeht; nachdem sie sich zu zweit in eine Pirogge begeben haben, lassen sie sich von der Strömung des Flusses, ohne rudern zu müssen, treiben und kommen am Samstag zu früher Stunde in New Orleans an,

53 Deiler, Creolen deutscher Abstammung, 14. 54 HNOC, Mikrofilm 84-70-L, ANOM, C, 13A, 6, folio 189verso, Bénard de la Harpe à [Bienville], 05.10.1721. 55 Dumont, Mémoires Historiques sur la Louisiane, Bd. 2, 69: „Ce lieu qu’on nomme aujourd’hui les Allemans, avoit pour Commandant lorsque je quittai la Louisiane, le sieur d’Aringebourg: le terrein y étoit très-bien cultivé par les soins de ces nouveaux habitans, qui n’étoient nullement paresseux; & l’on pouvoir regarder cet endroit comme le jardin de la Capitale“. 56 Ebd., 298: „Aussi peut-on les regarder comme les Pourvoyeurs de la Capitale, où ils portent toutes les semaines des choux, des salades, des fruits & des herbages de toute espéce, sans parler du poisson, du gibier & de la chair de porc salée“.

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wo sie den gesamten Morgen am Ufer des Flusses aushalten, um ihre Lebensmittel zu verkaufen und die Einnahmen zu zählen“.57

Danach, so Dumont, kauften die Deutschen in der Stadt alles, was sie für die Woche benötigten und kehrten bis zum Abend an die Côte des Allemands zurück.58 Mit diesen Aussagen entwarf Dumont nicht nur die Zuschreibungen von einer tüchtigen und für die Kolonie bedeutenden Einwanderergruppe, sondern auch die Vorstellung von einer subsistenzwirtschaftlich geprägten Côte des Allemands. Inwiefern Dumont die Aussagen von de la Harpe, Salmon und anderen kolonialen Beamten vorlagen, ist unklar. In Teilen glichen Dumonts Aussagen wortwörtlich jenen des Commissaire-Ordonnateur Salmon aus dem Jahr 1732. Damals hatte Salmon die Côte des Allemands in seiner Korrespondenz mit dem Marineministerium in Paris erwähnt und, wie einleitend zitiert, die Tüchtigkeit der Deutschen und ihre Bedeutung für die Märkte von New Orleans hervorgehoben.59 Salmons Aussagen waren keineswegs neu, sondern wiederholten oder modifizierten Aussagen, die in den Zensusberichten seit den 1720er Jahren zu finden waren. Vermutlich verbreiteten die Zensusbeamten und Salmon die positiven Aussagen, um die Anwerbung und Ansiedlung weiterer europäischer Migranten durch die französische Krone zu befördern.60 Auch Antoine-Simon Le Page du Pratz widmete in seiner Histoire de la Louisiane eine Passage der Ankunft der Deutschen. Seine Aussagen zu den Umständen in Biloxi um 1721 waren ebenfalls von seinem Verhältnis zum Gouverneur Bienville beeinflusst. Du Pratz versuchte indirekt, die Politiken des Gouverneurs und der Compagnie des Indes zu kritisieren. Diese hätten, so du Pratz, Biloxi nie zum kolonialen Landungszentrum ausbauen dürfen. Der Ort sei für Schiffe schlecht zu erreichen, biete nur salzige Sandböden, dafür aber eine Fülle von Ratten, die sogar

57 Ebd., 298: „Ils chargent leurs voitures le Vendredi au soir vers le Soleil couchant; après quoi se mettant seulement deux ensemble dans chaque pirogue, ils se laissent aller au courant du Fleuve sans être obligé de nager, & arrivent le samedi de bonne heure à la Nouvelle Orléans, où ils tiennent leur marché toute la matinée sur le bord du Fleuve, vendant leurs denrées argent comptant“. 58 Vgl. ebd., 298: „Ils achettent ensuite ce dont ils croyent avoir besoin dans la semaine suivante; & remontant le Fleuve à la nage dans leurs pirogues, ils regagnent le soir leurs habitations chargés de provisions & d'argent qui est le fruit de leurs soins & de leurs peines“. 59 ANOM, C, 13A, 15, folio 64verso/65, Salmon au ministre, 27.03.1732. 60 Seit seiner Ankunft zu Beginn der 1730er Jahre kämpfte Salmon gegen den Rückgang der Siedlerzahlen, siehe G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 8f, 123.

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das Holz der Gewehre anfräßen. Die Ankunft in Biloxi hätte für Hunger und Tod unter den Neuankömmlingen gesorgt.61 An diese Kritik schloss du Pratz an: „Dieser Mangel an Nahrungsmitteln rührte von der Ankunft einiger Konzessionäre her, die alle zusammen angekommen und von einer Stärke gewesen waren, dass sich dort weder genug Nahrungsmittel fanden, um sie zu versorgen, noch genug Boote, um sie an ihre Bestimmungsorte zu transportieren, wie es die Pflicht der Compagnie war“.62

Den Aussagen von Dumont und de la Harpe entsprechend erläuterte du Pratz, dass sich zwar einige der Neuankömmlinge von Austern und Muscheln ernährt hätten, daran aber eine große Anzahl von ihnen erkrankt sei. Die Herkunft der Neuankömmlinge spielte für du Pratz nur eine untergeordnete Rolle. Erst mit einiger Verzögerung notierte er: „Diese Konzessionäre waren jene von Mr. Law, die eine Anzahl von 1.500 gehabt haben sollen, […] bestehend aus Deutschen, Provenzalen und anderen“.63 Zugleich berichtete du Pratz, in Übereinstimmung mit Salmon und Dumont, von der Ansiedlung der Deutschen flussaufwärts von New Orleans und kam auf deren Leidensgeschichte zu sprechen: „Diese Konzession hat fast 1.000 Personen vor ihrer Verschiffung in Lorient und mehr als zweihundert in Biloxi verloren“.64 Auch mit dieser Aussage kritisierte du Pratz die Politiken des 61 Vgl. Du Pratz, Histoire de la Louisiane, Bd. 1, 169f: „Ce qui devoir encore éloigner de faire l’Etablissement au Biloxi, c’est que le terrein est des plus stériles, ce n’est qu’un sable fin, blanc & brillant comme la neige, sur lequel il est impossible de faire croître aucun légume; on y étoit en outre extrêmement incommodé des rats qui y fourmillent, & se logent dans le sable, & dans ce tems ils rongeoient jusqu’au bois de fusils; la disette y avoit été si grande, que plus de cinq cens personnes y étoient mortes de faim“. 62 Ebd., 170: „Cette disette provenoit de l’arrivée des Concessions qui étoient venue toutes ensemble, de forte qu’il ne s’y trouva pas assez de vivres pour les nourrir, ni de bateaux pour les transporter aux lieux de leur destination, comme la Compagnie y étoit obligée. Ce qui en sauva quelques-uns, fut la grande quantité d’huîtres qu’ils trouvoient sur la côte, encore étoient-ils obligés d’être dans l’eau jusqu’à la cuisse à une portée de carabine du bord. Si cet aliment en nourrissoit plusieurs, il en rendoit malade un grand nombre, ce qui étoit encore occasionné par le long tems qu’ils restoient dans l’eau“. 63 Ebd., 170: „Ces Concessions étoient celles de M. Law, qui devoit avoir quinze cens personnes, pour la former, composées d’Allemans, de Provençaux, &c.“. 64 Ebd., 171: „Mais M. Law manqua, la Compagnie s’empara toutes les Marchandises & Effets; les engagés resterent en petit nombre aux Arkansas, puis furent tous dispersés & mis en liberté: presque tous les Allemans s’établirent à huit lieues au-dessus & à l’Ouest de la Capitale. Cette Concession perdit près de mille personnes à l’Orient avant de s’embarquer, & plus de deux cens au Biloxi“.

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Gouverneurs Bienville und der Compagnie des Indes um John Law. Zwei Aspekte, die Salmon und Dumont noch betont hatten, fehlten aber in der Histoire de la Louisiane: Du Pratz hob weder den Fleiß der Deutschen hervor, noch beschwor er deren Bedeutung für die Versorgung von New Orleans. Dieser Umstand überrascht nicht, hätte du Pratz mit solchen Zuschreibungen doch seine eigene Argumentation untergraben. Seine Kritik an Bienville und der Compagnie des Indes erlaubte keine erfolgreichen Siedler. Im Gegensatz zu du Pratz fehlten die Aussagen zu den erfolgreichen deutschen Siedlern bei Jean-Bernard Bossu nicht. In seinem Journal Nouveaux Voyages aux Indes Occidentales von 1768 schrieb er: „Die Deutschen haben sich zehn Lagen oberhalb von New Orleans niedergelassen: diese Menschen sind sehr tüchtig; man betrachtet sie als Versorger der Hauptstadt“.65 Zudem lobte Bossu den Kommandanten der Côte des Allemands, einen schwedischen Offizier, bei dem es sich, so Bossu in einer Fußnote, um den Sieur D’Arensbourg handele, der in der Schlacht bei Poltawa mit Karl XII. gekämpft habe. D’Arensbourg sei das Oberhaupt einer großen und fest etablierten Familie des kolonialen Louisiana.66 Mit diesen Aussagen erinnerte Bossu an Salmon. Wie letzterer betonte Bossu nicht nur die Bedeutung der deutschen Gemeinschaft, sondern sah deren Leistungen in ihrem Kommandanten D’Arensbourg personifiziert. Was ihre Ankunft in Louisiana um 1721 betraf, beschränkte sich Bossu auf die wesentlichen Informationen. Gemäß Bossu seien die Deutschen ursprünglich für die Arkansas-Konzession von John Law bestimmt gewesen, nach dessen Bankrott dort aber nicht angekommen. Inzwischen wären sie auf zwei Dörfer verteilt und im Raum der Côte des Allemands sesshaft geworden. Die Verhältnisse in Biloxi ließ Bossu unerwähnt.67

65 Bossu, Nouveaux Voyages aux Indes Occidentales, Bd. 1, 29: „les Allemands s’établirent à dix lieues au-dessus de la nouvelle Orléans: ces Peuples sont très-laborieux; on les regarde comme les pourvoyeurs de la Capitale“. 66 Vgl. ebd., 29: „Les deux villages sont commandés par un Capitaine Suédois de Nation. (1) C’est le sieur D’Arensbourg, qui étoit à la bataille de Pultova en 1709 avec Charles XII; cet ancien Officier est chef d’une nombreuse famille bien établie à la Colonie de la Louisiane“. 67 Vgl. ebd., 29: „On rencontre d’abord sur la route qu’on, comme je l’ai dit, par eau, deux villages d’Allemands, reste d’une concession qui avoit été faite par le Roi en 1720 à M. Law; cette peuplade devoit être composée d’Allemands & de Provençaux au nombre de 1500 personnes; son terrein étoit désigné chez une Nation Sauvage nommée Akança; il avoit quatre lieues en quarré, & étoit érigé en Duché. On y avoit transporté des équipages pour une Compagnie de Dragons & des marchandises pour plus d’un million;

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Die Memoiren, Histoires und Journale von de la Harpe, Dumont, du Pratz und Bossu verarbeiteten die Ankunft der Deutschen in Biloxi allesamt, wichen in ihren Aussagen zu den Ereignissen aber voneinander ab. Dieser Umstand war vor allem den Produktionsbedingungen der Texte geschuldet. So waren Dumonts Memoiren von seinen Erfahrungen der Verhältnisse in Biloxi, seiner Gegnerschaft zu Gouverneur Bienville und seinem abenteuerlichen Erzählstil bestimmt. Dumont erzählte daher aufbauend auf einer Gründungsszene des Leidens eine Geschichte, die die Siedlung der Deutschen zum „Garten“ und „Versorger“ von New Orleans machte. Siedlungspolitische Überlegungen, wie sie den Schriften von de la Harpe zugrunde lagen, hatten ihn nicht geleitet. Auch du Pratz hatte in seiner Histoire die Ankunft der Deutschen mit einer Kritik an Bienville und am Landungszentrum Biloxi versehen. Mit den Aussagen zu ihrem Leid, die in keinen größeren Erzählstrang integriert waren, illustrierte du Pratz seine Kritik an der kolonialen Verwaltung. Ebenso wenig hatte Bossu seine Aussagen zu einem größeren Erzählstrang verwoben. Im Unterschied zu Dumont und du Pratz hob er jedoch die Bedeutung des Kommandanten D’Arensbourg stärker hervor. Diese Hervorhebung erklärte sich aus einem streitbaren Verhältnis zum amtierenden Gouverneur, in seinem Falle Kerlerec. Denn während Bossu den Kommandanten der Deutschen, D’Arensbourg, als idealtypischen Anführer darstellte, bedachte er Kerlerec nur selten mit lobenden Worten.68 Die Geschichtsschreibungen des 19. Jahrhunderts von Charles Gayarré und Hanno Deiler knüpften an die Aussagen von Dumont, du Pratz und Bossu an und übernahmen die Aussagen zu den Leiden der Deutschen und zu ihrer Bedeutung für die Kolonie Louisiana teils in direkten Zitaten. Da sie die Produktionsbedingungen der jeweiligen Texte nicht reflektierten, transformierten sie in diesem Prozess koloniale Diskurse in die Lebenswelten des 19. Jahrhunderts und verbanden diese mit eigenen Prämissen und Zielsetzungen. Wenn Deiler beispielsweise die Verhältnisse in Biloxi schilderte, dann erweckte er über Anführungszeichen den Eindruck, er zitiere die Aussagen von Dumont wortwörtlich. Er verschaffte dem Leid der Deutschen so eine gewisse Authentizität: „Viele starben auch, sagt Dumont, ‚weil sie in ihrem Hunger Pflanzen aßen, die sie nicht kannten, und die statt

mais Law ayant manqué, la Compagnie des Indes qui avoit dans ce tems la Louisiane, s’empara de tous les effets & des marchandises“. 68 Offenbar war es bei der Ankunft von Kerlerec in Louisiana zu Unstimmigkeiten zwischen Bossu und dem neuen Gouverneur gekommen. Zumindest notierte Bossu zum ersten Treffen der beiden in seinem Journal, er habe sich Kerlerec vorgestellt, „qui me fit essuyer, à cette occasion, toutes sortes de désagrémens“, Bossu, Nouveaux Voyages aux Indes Occidentales, Bd. 1, 136.

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Kräfte zu geben, den Tod herbeiführten, und die meisten, die man zwischen den Haufen von Austerschalen todt fand, waren Deutsche‘“.69 Deiler, der Dumont relativ frei und blumig zitierte, betonte also nicht nur die Bedeutung der Deutschen, sondern löste bewusst Emotionen zum Leid um deren Ankunft aus. Zugleich vermittelte er seiner deutsch-amerikanischen Lesergruppe den Eindruck, in einer Traditionslinie mit den ersten Einwanderern zu stehen: „Wir sind die Nachkommen jener Deutschen, die aus der Wildnis hier ein Paradies geschaffen, wie Louisiana nie ein zweites besaß“.70 Mit diesen Worten offenbarte Deiler die Absichten seiner Schriften: Über das Hervorheben der Bedeutung der Deutschen in der Vergangenheit inszenierte Deiler die Bedeutung der DeutschAmerikaner im Louisiana des ausgehenden 19. Jahrhunderts. In diesem Sinne betrachtete Deiler die Einwanderer des 18. Jahrhunderts als Kreolen und machte sie zum Ausgangspunkt einer Geschichte der Creolen deutscher Abstammung. Deiler folgte damit Charles Gayarré, der als Vertreter jener Akteure zu identifizieren ist, die im 19. Jahrhundert die Traditionen einer weißen kreolen Kultur und Gesellschaft Louisianas propagierten. Gayarré ging es in seinen Schriften weniger darum, eine Geschichtsschreibung des kolonialen Louisiana denn eine der weißen, europäischen Eliten zu initiieren. In den Kreolen glaubte Gayarré die Anfänge dieser Eliten zu erkennen. Im Rahmen seiner Histoire de la Louisiane erwähnte er auch die Deutschen. Sein Bericht begann mit den Ereignissen um den Bankrott von John Law. Ergänzend zu Dumont, du Pratz und Bossu konkretisierte Gayarré, ohne Hinweise auf etwaiges Quellenmaterial, die Deutschen hätten nach dem Scheitern Laws zunächst ihren Rücktransport nach Europa gefordert. Allerdings wäre die Compagnie des Indes weder in der Lage noch Willens gewesen, dieser Forderung stattzugeben und hätte im Gegenzug ihre Ansiedlung im Raum der Côte des Allemands angeordnet. „Diese fleißigen Menschen“, so Gayarré weiter, „widmeten sich dem Anbau aller möglichen Arten von Gemüse, mit denen sie den Markt von New Orleans versorgten“.71 Während Gayarré die Erzählungen zu den Deutschen als Versorger von New Orleans aufgriff, sah er in den Pflanzern des 19. Jahrhunderts nicht deren Nachfolger. Romantisierend schrieb er über die

69 Deiler, Creolen deutscher Abstammung, 14. 70 Ebd., 31. 71 Gayarré, Histoire de la Louisiane, Bd. 1, 194: „Ces hommes laborieux se livrèrent à la culture de toute espèce de légumes, dont ils approvisionnaient le marché de la NouvelleOrléans“.

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kleinbäuerischen Siedler des 18. Jahrhunderts: „Diese bescheidenen Ackersmänner sind seit Langem verschwunden und haben den opulenten Zuckerpflanzern Platz gemacht“.72 Gayarré schrieb also keine Geschichte, die einen Aufstieg der Kontraktarbeiter über Habitants zu Pflanzern erzählte. Wie Dumont, du Pratz und Bossu tätigte er zwar Aussagen zum Fleiß und zur Tüchtigkeit der Deutschen, bettete diese aber nicht in einen größeren Erzählstrang ein. Stattdessen verwendete er die Aussagen, um sie als Teil der ersten Kreolen zu stilisieren. Gayarré ging es darum, eine Geschichte der weißen Kreolen zu schreiben, deren Anfänge er in den Populationsund Kolonialisierungsbemühungen um 1720 sah und als deren integralen Bestandteil er die „Ackersmänner“ betrachtete: „New Orleans war gegründet worden, wichtige Siedlungen waren in Tchoupitoulas, Cannes Brûlées, an der Côte des Allemands, am Bayou Manchac, in Baton Rouge und bei Pointe Coupée errichtet worden“.73 Auf diesen Siedlungen basierte seine Geschichtsschreibung der „weißen Population in Louisiana“.74 Dass es sich bei den Siedlern an der Côte des Allemands um Deutsche handelte, interessierte Gayarré nicht. Wichtiger war für ihn, die Deutschen mit der frühen weißen Population von Louisiana zu verknüpfen. So konnte er an anderer Stelle im Sinne des Kreolen argumentieren: „Noch während das Schicksal in den Händen der Compagnie des Indes lag, sendete der berühmte Financier John Law zu unterschiedlichen Zeiten eine große Anzahl an aufrichtigen, deutschen Landarbeitern in diese Kolonie. […] Die Nachkommen dieser Einwanderer waren, natürlich, Kreolen“.75

72 Ebd., 194: „Ces humbles cultivateurs de la terre ont disparus depuis long-temps et on fait place à l’opulent sucrier“. 73 Ebd., 289: „La Nouvelle-Orléans avait été faits fondée, des établissements importants avaient été faits aux Tchoupitoulas, aux Cannes Brûlées, à la côte des Allemands, au bayou Manchac, à Bâton Rouge et à la Pointe-Coupée. Enfin, l’on doit se rappeler que, lors de la formation de la compagnie, en 1717, la population blanche à la Louisiane n’était que de cinq à six cents ames et que l’on n’y comptait pas plus de vingt nègres“. 74 Ebd., 289. 75 Ders., Creoles, 5f: „Whilst the destinies of Louisiana were in the hands of the Company of the Indies, the famous financier Law sent to that colony, at different times, a very large number of honest German agriculturists. The last of them, numbering two hundred and fifty, came in 1721, under the command of Chevalier d’Arensbourg, a Swede, who had distinguished himself in the service of his king, Charles XII, and to whom that monarch had presented a sword as a testimonial of his esteem. That sword was long

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In den Forschungen sind solche Aussagen, die die Deutschen zum Teil der kreolen Gesellschaft erklären, weiterhin präsent. Es sei nur an Reinhart Kondert erinnert, der argumentierte, die mustergültige Lebensführung von D’Arensbourg hätte dafür gesorgt, dass der Kommandant und seine Familie in die führenden Zirkel der kreolen Gesellschaft Einzug hielten.76 Entsprechende Aussagen als Erfindungen vergangener Geschichtsschreibungen des 18. und 19. Jahrhundert darzustellen, wäre zu kurz gedacht. Vielmehr ist zu reflektieren, welche Produktionsbedingungen des Kolonialen die Aussagen von Dumont, du Pratz und Bossu sowie ihren Nachfolgern Gayarré und Deiler hervorbrachten und wie diese Aussagen die zeitgenössische Geschichtsschreibung weiterhin prägen. Im Falle von Deiler und Gayarré unterlagen die Aussagen rassistisch-essentialistischen wie auch filiopietistischen und elitistischen Konzepten, im Falle von Dumont, du Pratz und Bossu kolonialen und aufklärerischen Denkansätzen. Die Analysen der folgenden Kapitel werden die Lücken und die Widersprüche dieser Erzählungen und Denkansätze freilegen und dabei die Vorstellungen von der deutschen Gemeinschaft an der Côte des Allemands hinterfragen, die seit Gayarré und Deiler sowie Dumont, du Pratz und Bossu die Studien zur Côte des Allemands dominieren.

kept as a relic in his family. The descendants of those immigrants, of course, were creoles. They, in the long run of time, forgot every word of German that they ever knew, and spoke no other language than French – real French – not a hybrid jargon“. 76 Vgl. Kondert, D’Arensbourg, 35.

3.

Karten und Kartieren

3.1 D IE G RUNDLAGEN DES K ARTIERENS Seit Beginn der ersten Kolonialisierungsbemühungen fertigten französische Abenteurer, Geistliche, Offiziere und Beamte eine Vielzahl von Karten, Vermessungsbüchern und Raumbeschreibungen an. Sie schufen damit eine Unmenge an Materialien, die ein „verräumlichtes neuzeitliches Verständnis von Fiktionalität“ widerspiegelten.1 Die Karten, Vermessungsbücher und Raumbeschreibungen bildeten die Grundlage der Repräsentation räumlicher Machtbeziehungen. Sie sind demgemäß als eine Form von Folien zu begreifen, die das Verständnis der Kolonisatoren von den räumlichen Machtbeziehungen im kolonialen Louisiana vermittelten.2

1

Vgl. Jörg Dünne, „Die Karte als imaginierter Ursprung: Zur frühneuzeitlichen Konkurrenz von textueller und kartographischer Raumkonstitution in den America-Reisen Theodor de Brys“, in Topographien der Literatur: Deutsche Literatur im transnationalen Kontext, hrsg. v. Hartmut Böhme (Stuttgart/Weimar: Metzler, 2005), 73–99, hier 74. An anderer Stelle wird in diesem Zusammenhang der Begriff der Möglichkeitsräume als operativer Begriff eingeführt, durch den die Gesamtheit der (räumlichen) Kontingenz von Potenzial, Aktualisierung und Alternativen gedacht werden kann, vgl. Eugen Fink, „Operative Begriffe in Husserls Phänomenologie“, Zeitschrift für philosophische Forschung 11 (1957): 321–337, hier 324f.

2

Grundlage der Analyse von Karten, Vermessungsbüchern und Raumbeschreibungen sind die Ansätze der Cultural Studies und des Topographical Turn. Einen Überblick liefern Sigrid Weigel, „Zum ›topographical turn‹: Kartographie, Topographie und Raumkonzepte in den Kulturwissenschaften“, KulturPoetik 2:2 (2000): 151–165, und Bill Ashcroft, Gareth Griffiths und Helen Tiffin, Key Concepts in Post-Colonial Studies (London: Routledge, 1998), 31–34. Siehe auch John B. Harley, „Deconstructing the Map“, Cartographica 26:2 (1989): 1–20, hier 1, sowie Douglas Turnbull, Maps are

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Zaghafte Versuche, die Côte des Allemands zu kartieren, wurden erstmals in einem Zensusbericht aus dem Jahre 1721 getätigt; eine erste Karte im Jahr 1723 hergestellt. Ab 1734 produzierten französische Beamte Vermessungsbücher sowie Survey Books und Land Surveys. Darin dokumentierten sie nach Art eines Katasters die behördlichen Aufzeichnungen zu Landverkäufen, Landzuteilungen und Landerschließungen.3 Die Karten, Vermessungsbücher und Raumbeschreibungen funktionierten im Sinne einer „triple artillery of map, sketches and journal“, deren Ziel es war, Räume in denkbare Objekte zu übersetzen und diese Raum-Objekte zu kolonialisieren, lange bevor die Kolonisatoren ihre Füße tatsächlich in die entsprechenden Räume gesetzt hatten.4 Sie erweckten einen Eindruck von Vorzeitlichkeit, erzeugten eine Vorstellung von Althergebrachtem und trieben die diskursive Aneignung des Raumes voran: „Hence the appearance […] of ‚historical maps‘, designed to demonstrate, in the new cartographic discourse, the antiquity of specific, tightly bounded territorial units“.5 Auch wenn sie versuchten, physikalische Räume greifbar zu machen, bildeten die Karten, Vermessungsbücher und Raumbeschreibungen keine realen historischen Räume ab. Vielmehr waren sie Teil eines Diskurses, in dem durch die Überhöhung von geographischem Wissen die Aneignung des kolonialen Raumes und eine europäische Deutungshoheit bzw. Definitionsmacht suggeriert wurden.6 Sie verkörperten also eher Modelle einer imaginierten Zu-

Territories – Science is an Atlas: A Portfolio of Exhibits (Geelong: Deakin University, 1989) und Bill Ashcroft, Post-colonial Transformation (London: Routledge, 2001). 3

Siehe ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans et concessionaires de la nouvelle orleans et lieux circonvoisins“, 24.11.1721, sowie Newberry, Ayer MS Map 30, CM #80, „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis dix lieües au dessus et au dessous de la Nouvelle Orleans ou sont marqué les habitations et les térrains concedés à Plusieurs Particuliers au Mississipy“ und CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803. In editierter Form mit Auslassung einzelner Dokumente sowie kleineren Fehlern, siehe Gianelloni, D’Arensbourg Records.

4

Vgl. Paul Carter, The Road to Botany: An Essay in Spatial History (London: Faber and

5

Benedict Anderson, Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of

Faber, 1987), 113. Nationalism (London/New York: Verso, 2006), 174f: Auch wenn sich Anderson auf das 19. Jahrhundert bezieht, scheint seine Argumentation auf das 18. Jahrhundert übertragbar. 6

Vgl. Jörg Mose und Anke Strüver, „Diskursivität von Karten – Karten im Diskurs“, in Handbuch Diskurs und Raum: Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie

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kunft denn Abbildungen einer realen Gegenwart: „A map anticipated a spatial reality, not vice versa. In other words, a map was a model for, rather than a model of, what it purported to represent“.7 Karl Schlögel hat in diesem Zusammenhang die Rolle der Kartographen betont. Seiner Meinung nach schufen sie eine Art politische, territoriale und epistemologische Raumorientierung. Die Kartographen, so Schlögel, erfassten nicht nur erfahrbare, physikalische Räume, sie beherrsch[t]en diese Räume auch kulturell: „Karten bilden nicht nur ab, sondern konstruieren und projektieren Räume und machen so aus Räumen erst Territorien“.8

die sozial- und kulturwissenschaftliche Raumforschung, hrsg. v. Georg Glasze und Annika Mattissek (Bielefeld: transcript, 2009), 315–325, hier 315. In Anlehnung an Michel Foucault, der Diskurse als Redezusammenhänge mit Aussage- und Wahrheitsregeln fasst, die historisch zu situieren sind, wird in der Folge der Begriff des kolonialen Raumdiskurses verwendet, siehe Sarasin, Diskursanalyse, 34. Siehe auch Foucaults Überlegungen zum historischen Dokument und zur reinen Beschreibung der diskursiven Ereignisse in Foucault, Archäologie des Wissens, 13–22, 41–47. Siehe auch Andrew Sluyter, „Colonialism and Landscape in the Americas: Material/Conceptual Transformations and Continuing Consequences“, Annals of the Association of American Geographers 91:2 (2001): 410–429, hier 410, „The explorer who textually or cartographically represented landscapes generated an increment of geographic knowledge at the same time as producing a prospectus and resource for the extension of European power through space. Similarly, the colonial bureaucrat who developed techniques to inventory and analyze landscapes refined geographic method at the same time as consolidating European surveillance and control“; vgl. hierzu Karl W. Butzer, „From Columbus to Acosta: Science, Geography, and the New World“, Annals of the Association of American Geographers 82:3 (1992): 543–565. 7

Winichakul Thongchai, Siam Mapped: A History of the Geo-Body of a Nation (Honolulu, HI: University of Hawai’i Press, 1994), 130; zuerst in: Winichakul Thongchai, „Siam Mapped: A History of the Geo-Body of Siam“ (Dissertation, University of Sydney, 1988), 310, in Anderson, Imagined Communities, 173.

8

Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit: Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik (München/Wien: Hanser, 2003), 13. Siehe auch Karl Schlögel, „Kartenlesen, Augenarbeit: Über die Fälligkeit des spatial turn in den Geschichts- und Kulturwissenschaften“, in Was sind Kulturwissenschaften? 13 Antworten, hrsg. v. Heinz D. Kittsteiner (München/Paderborn: Fink, 2004), 261–283. Schlögel knüpft an Diskussionen an, die im anglo-amerikanischen Raum seit Langem geführt werden. Für Frankreich, NeuFrankreich und Louisiana siehe Elizabeth Baigent und Roger J. P. Kain, The Cadastral Map in the Service of the State: A History of Property Mapping (Chicago: University

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Die Karten des kolonialen Louisiana unterlagen in ihrer Produktion transatlantischen Bedingungen. Zwar beruhten die Aussagen in den Karten auf Informationen, die im kolonialen Louisiana gesammelt worden waren, die Herstellung der Karten übernahmen aber die Werkstätten der Pariser Kartographen, wie Guillaume Delisle oder Jacques-Nicolas Bellin. Spätestens seit Colbert und Louis XIV. reflektierten die Karten die politischen Motivationen und Verhältnisse in Paris und brachten die Aushandlungsprozesse zwischen der Metropole und den Kolonien hervor.9 Die Forschung hat die Produktionsbedingungen der Karten bisher wenig beachtet und sie nur selten als Repräsentationsfolien kolonialer Machtbeziehungen diskutiert. Einzig der Geograph und Historiker Richard Campanella hat in seinen Studien auf die Rolle von Karten bei der kolonialen Aneignung Louisianas verwiesen, das Stummschalten der indianischen Praktiken des Kartographierens erkannt und die Auflösung der indianischen Machträume in den Karten kolonialer Provenienz offengelegt.10 In den weiteren Forschungsarbeiten zu Louisiana wurden die Karten in der Regel als Abbilder realer Räume verstanden. Ein Beispiel hierfür bot Helmut Blume in seiner weiterhin stark rezipierten Arbeit von 1956. Blume sah in einer Karte von Nicolas Broutin aus dem Jahre 1731 das Spiegelbild einer realen Vergangenheit und erläuterte darauf aufbauend, dass die Côte des Allemands bereits in den 1730er Jahren über ein Netzwerk von zusammenhängenden Deichen verfügt und dabei natürliche Uferwälle genutzt habe. Ferner argumentierte Blume, dass der Siedlungsraum nicht das Ergebnis von Umweltbedingungen

of Chicago Press, 1992), 205–235 und 276–285. Baigent und Kain verstehen den modernen, frühneuzeitlichen Kartographen nicht allein als Produzenten von Karten, sondern vielmehr als „explorer, resource appraiser, town planner, delineator of routeways, and the molder of rural cadasters and landscapes“ (329). 9

Vgl. David Buisseret, „Monarchs, Ministers, and Maps in France before the Accession of Louis XIV“, in Monarchs, Ministers and Maps: The Emergence of Cartography as a Tool of Government in Early Europe, hrsg. v. ders. (Chicago: University of Chicago Press, 1992), 99–123, hier 99f, sowie Andreas Hübner, „Vermessen, Ordnen und Kartographieren im kolonialen Louisiana: Raumkonstruktionen und Möglichkeitsräume an der Côte des Allemands“, in Transnational Actors – Crossing Borders, hrsg. Steffi Marung und Matthias Middell (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2015), 155–168, hier 157.

10 Vgl. Campanella, Bienville’s Dilemma, 99ff; vgl. hierzu Winston De Ville, Jack Jackson und Robert S. Weddle, Mapping Texas and the Gulf Coast: The Contributions of Saint-Denis, Oliván, and LeMaire (College Station, TX: Texas A&M University Press, 1990).

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gewesen, sondern auf die „Kultivierungsarbeiten“ der „Kolonisten“ zurückzuführen sei.11 Das Zusammendenken von Karten und realen Räumen äußerte sich vor allem in Fragestellungen zu den Bedingungen im vorkolonialen Louisiana und zum kultivierenden Einfluss der Kolonisatoren. Exemplarisch sei erneut Blume genannt, der ausgehend von den umweltbedingten Schwierigkeiten und Hemmnissen, „die sich aus der Landesnatur ergaben“, für die Côte des Allemands schlussfolgerte, dass „er [der Kolonist] diese zu meistern versuchte und das Landschaftsbild durch seine Kulturarbeit gestaltete“.12 Blume kam zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtige Kulturlandschaft der Côte des Allemands und Louisianas prinzipiell auf die Entwicklungen in der Kolonialzeit und auf den kulturellen Beitrag der Deutschen zurückzuführen seien.13 Carl Ekberg hat in seinen Studien zu Neu-Frankreich und zum Illinois-Territorium die Fragen nach den realen räumlichen Bedingungen im vorkolonialen Louisiana und dem kulturellen Einfluss der kolonialen Akteure gestellt. In seine Argumentationen bezog er die Langstreifenfluren ein, die sich in Louisiana durch ein verzerrtes Breiten-Längen-Verhältnis, meist eins zu zehn, auszeichneten. Über die Breite sollte ein Fluss- und Transportzugang garantiert und über die Länge die zur Bewirtschaftung nötige Größe der Flurstücke gesichert werden. Im kolonialen Louisiana wurden die Langstreifenfluren typischerweise als „habitations“ an Konzessionäre vergeben.14 Ekberg zufolge zeichneten sich diese „habitations“ über 11 Vgl. Blume, Entwicklung der Kulturlandschaft des Mississippideltas, 3–5. 12 Ebd., 5. Vgl. auch Glenn R. Conrad, The Attakapas Domesday Book: Land Grants, Claims and Confirmations in the Attakapas District, 1764–1826 (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1991), 3, Carl J. Ekberg, French Roots in the Illinois Country: The Mississippi Frontier in Colonial Times (Urbana/Chicago, IL: University of Illinois Press, 1998), 28ff, sowie die Dissertationen von John W. Hall, „Louisiana Survey Systems: Their Antecedents, Distribution, and Characteristics“ (Dissertation, Louisiana State University, 1970), 32, und William B. Knipmeyer, „Settlement Succession in Eastern French Louisiana“ (Dissertation, Louisiana State University, 1956), 168; vgl. für Neu-Frankreich Max Derruau, „À l’origine du ‚rang‘ canadien“, Cahiers de Géographie de Québec 1 (1956): 40–47, Richard C. Harris, Seigneurial System in Early Canada: A Geographical Study (Madison, WI: University of Wisconsin Press, 1966), 119, sowie Marcel Trudel, Les Débuts du régime seigneurial au Canada (Montreal: Fides, 1974), 173. 13 Vgl. Blume, Entwicklung der Kulturlandschaft des Mississippideltas, 112. 14 In den Jesuit Relations wurden die Habitationen und deren Bewohner, die „habitants“ wie folgt beschrieben: „A smaller portion of land granted by the Company is called a ‚habitation‘. A man with his wife or his partner clears a little ground, builds himself a

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eine Breite von einem Arpent und eine Länge von vierzig Arpents aus, wobei vierzig Arpents zugleich die „profondeur ordinaire“ bedeuteten.15 Die Maße entsprachen einer Breite von zirka 180 bis 240 Metern und einer Länge von etwa 2400 Metern.16 Auf dieser Grundlage schlussfolgerte Ekberg im Gegensatz zu Blume, dass die Einführung der Langstreifenfluren sowohl auf umweltbedingte als auch auf kulturelle Faktoren zurückzuführen war. Mit diesem Resümee erfasste Ekberg die Karten ausschließlich als Folien realer Räume. Dadurch entgingen ihm die kolonialen Diskurse, in denen sich die Karten bewegten, ebenso wie die narrativen Qualitäten des Kartierens, deren Analyse die „neutrality of maps“ infrage gestellt hätte. Die Aushandlungsprozesse von Kolonisatoren und Kolonisierten, die in den Karten eingeschrieben waren, blieben bei Ekberg unergründet.17

house on four piles, covers it with sheets of bark, and plants corn and rice for his provisions; the next year he raises a little more for food, and has also a field of tobacco; if at last he succeed in having three or four Negroes, then he is out of his difficulties. This is what is called a habitation, a habitant; but how many of them are as nearly beggars as when they began!“, Jesuit Relations and Allied Documents LXVII, hrsg. v. Reuben Gold Thwaites (Cleveland, OH: Burrows Brothers Company, 1900), 281f, http://puf fin.creighton.edu/jesuit/relations/ (Zugriff: 15.06.2012). 15 In den Quellen drückt sich die Vermessungspraxis in den Formulierungen „arpents de face sur la profondeur courante“ und „arpents de face sur la profondeur ordinaire“ aus. Conrad, St. Charles, xi. 16 Für die französisch-kolonialen Akteure stellten Langstreifenfluren die maßgeblichen Katastereinheiten dar. Siehe Creole Lexicon, 128–130: „long lot“. Einen Überblick zur Geschichte der Langstreifenfluren in Louisiana bietet Edward T. Price, Dividing the Land: Early American Beginnings of Our Private Property Mosaic (Chicago: University of Chicago Press, 1995), 289–304. Zu den Ursprüngen der Langstreifenfluren in Frankreich siehe vor allem Marc Bloch, French Rural History: An Essay on its Basic Characteristics (London: Routledge & Paul, 1978). 17 Vgl. Ekberg, French Roots in the Illinois Country, 28ff. Siehe auch Creole Lexicon, xxv: Unter Neu-Frankreich wurden die Gebiete Québec und Arkadien verstanden, siehe ebd., 118: „Illinois country. Colonial toponym: those lands settled by the French in the 18th cent. in present-day Illinois and Missouri“; siehe auch Harley, „Deconstructing the Map“, 8.

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Einen Blick in die Aushandlungsprozesse von Kolonisatoren und Kolonisierten gewährt die „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis“. Die Karte aus dem Jahre 1723 bildete die Côte des Allemands erstmals ab und integrierte sie in jenen Raum, der zehn Lagen flussauf- und flussabwärts von New Orleans entlang des Flusses St. Louis verlief. Für den St. Louis Strom sollte sich später die Bezeichnung Mississippi River durchsetzen. Wie im Kartentitel angekündigt, listet die Karte die am Mississippiufer bewilligten Habitationen und nennt die dazugehörigen Konzessionäre.18 In ihrem Zentrum ist die Stadt New Orleans als Verwaltungssitz der Kolonie Louisiana positioniert. Der koloniale Anspruch über den Raum wird durch diese Positionierung ebenso deutlich wie durch die Begrifflichkeiten „habitation“

18 Siehe Newberry, Ayer MS Map 30, CM #80, „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis dix lieües au dessus et au dessous de la Nouvelle Orleans ou sont marqué les habitations et les térrains concedés à Plusieurs Particuliers au Mississipy“. Übers.: „Gesonderte Karte des Flusses St. Louis, zehn Lagen flussaufwärts und flussabwärts von New Orleans, auf der die Habitationen und Landstücke verzeichnet sind, die einigen Privatpersonen am Mississippi bewilligt wurden“. Anmerkung: Der heute als Mississippi bekannte Fluss wurde in der französischen Kolonialperiode auch als „Fluss St. Louis“ bezeichnet. Beide Bezeichnungen, St. Louis und Mississippi, hatten während der französischen Kolonialperiode parallel Bestand: „Le fleuve de Micissipy autrement dit S’Loüis“, Newberry, Ayer MS 530, Relatione de la Louisianne, 18. Siehe auch die folgenden Karten: Bibliothèque nationale de France (BNF), Département Cartes et Plans, CPL GE DD-2987, 8825, Jacque-Nicolas Bellin, „Embouchures du Fleuve St. Louis ou Mississipi“, 1763; Newberry, Ayer MS Map 30, CM #79, „Carte du fleuve Saint Louis ou Mississipy dix lieues au dessus de la Nouvelle Orleans iusqu’a son embouchure“, sowie Newberry, Ayer MS Map 30, CM #82, „Carte particuliere de l’embouchure du fleuve St. Louis ou sont marqué les passes avec les sondes juste prises à mer basse, ainsy la situation du Fort de l’isle de la Balise, de celle presente de l’islot du S.E. le tout relatif au proces verbal bien circonstancié fait de concert avec Mrs. le commandant general, commissaires du Roy, capitaines de navire, ingenieur et autres officiers nommez à la visite qui en a été faitte“. Die Bezeichnung des Flusses als Mississippi war auch unter den indianischen Gruppen nicht einheitlich, vielmehr existierten unterschiedliche Begrifflichkeiten, siehe zum Beispiel die Korrespondenz des Sieur d’Iberville: „Les sauvages d’en haut nomment le Mississipi de ce nom, qui, comme vous sçavez, en leur langue signifie assemblage de toutes rivières, et ceux d’en bas luy donnent un autre nom qui a eschapé à ma mémoire (meschacébé) qui veut dire grande rivière“, siehe Newberry, Ayer MS 508, Journal d’Iberville, Louisiane, 1699–1723, 06.08.1702.

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und „terrain“. Der Begriff der „habitation“ markierte die Zuteilung einer Langstreifenflur an Konzessionäre. Dabei verband sich mit der „habitation“ die Vorstellung von wohl definierten Vermessungs- und Raumeinheiten. Der Begriff des „terrains“ hingegen wurde verwendet, um Flurstücke von nicht festgelegter oder nicht vermessener Größe zu markieren und unerschlossene oder nicht kultivierte Flurstücke zu kennzeichnen. Die Verwendung beider Begriffe in der „Carte Particuliere“ suggeriert die Aneignung von vermessenen und definierten sowie von nicht vermessenen und unerschlossenen Flurstücken. Gleiches gilt für die Verwendung der Aussage „plusieurs particuliers“, über die einzelne Flurstücke mit Privatpersonen verschränkt wurden.19 Die indianischen Gruppen, die um 1723 ebenfalls in diesem Raum vorzufinden waren, werden in der Karte nur am Rande erwähnt. Sie waren vom Eigentum der „habitations“ und „terrains“ ausgeschlossen. Die „Carte Particuliere“ legt damit eine Grundprämisse des frühen kolonialen Kapitalismus offen: Die Zuweisung von Privateigentum verkörperte einen Weg, um das produktive Potenzial des kolonialen Raumes anzudeuten, dessen Aneignung in Karten zu markieren und indianische Gruppen zu enteignen.20 In der „Carte Particuliere“ fehlten die Siedlungen der Taensa, obschon diese Gruppe in anderen Karten und Raumbeschreibungen verzeichnet oder erwähnt worden war.21 Unter anderem hatte der Schweizer Söldner Kolly den Raum der Côte des Allemands noch im Jahr 1724 unter der Ortsbeschreibung „Aux Tansas“ abgehandelt. Seiner Auflistung der französischen Militärposten am Mississippi hatte Kolly eine Beschreibung der „situation des habitans“ im Umfeld der Militärposten beifügt und die räumliche Nähe der Deutschen zu den Taensa hervorgehoben.22 In der „Carte Particuliere“ wurden Hinweise auf die Taensa unterlassen und der Eindruck eines leeren Raumes erzeugt, der von der französischen Verwaltung und den Deutschen besetzt werden konnte. Die Karte bewegte sich damit in

19 Vgl. auch Creole Lexicon, 68f: „concession“, sowie 194: „terrain“. 20 Vgl. John Brewer und Susan Staves, „Introduction“, in Early Modern Conceptions of Property, hrsg. v. dies. (London: Routledge, 1996), 1–18, hier 18. 21 Siehe Louisiana State University Libraries (LSU Archives), Special Collections, „Carte de la Louisiane, Cours du Mississippi et Pais voisons“, Jacques Nicolas Bellin, 1744. 22 Siehe ANOM, G1, 465, „Etat des compagnies d’Infantrie qui etoient entretenus par la Compagnie des Indes dans la province de la Louisiane au mois de May 1724 et situation des habitans qui sont dans chaque poste“, 20.12.1724.

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einer Tradition des kolonialen Mapping, in der über das Kartieren kolonialer Räume eben diese Räume als leer konstruiert wurden.23 Der postkoloniale Theoretiker Bill Ashcroft sah in dieser Konstruktion den Ausgangspunkt der kolonialen Raumaneignung: „Colonial discourse turns ‚empty‘ space into inhabited ‚place‘ through a discourse of naming and mapping, which must, as a matter of course, either erase previous inscriptions and knowledges or reincorporate them into the privileged discourse of the imperial map“.24 Erst dadurch, dass die indianischen Gruppen in der „Carte Particuliere“ nicht sichtbar waren, konnte der Raum von kolonialen Akteuren wie den „plusieurs particuliers“ besetzt werden. Wenn indianische Gruppen in anderen Karten des kolonialen Louisiana abgebildet und sichtbar wurden, dann war diese Sichtbarkeit stets mit strategischen und politischen Überlegungen verbunden. Laut Cécile Vidal handelte es sich vor allem um kolonisatorische Überlegungen zu Zivilisierungs-, Missionierungs- und Bildungsstrategien, die häufig in Verbindung mit Landaufkäufen und -besetzungen standen. Generell ist im Verlauf der französischen Kolonialphase ein Strategiewechsel von der Inklusion zur Exklusion der indianischen Gruppen aus den Kartierungen des Kolonialen zu diagnostizieren.25 An die Stelle der indianischen Gruppen traten neben den „habitations“ und „terrains“ mit ihren Konzessionären vermehrt koloniale Posten wie die Côte des Allemands, die in der „Carte Particuliere“ am südwestlichen Rand verortet war. Im Zentrum der Karte befanden sich, wie beschrieben, die Stadt New Orleans und das „Terrain a Monsieur Bienville“, das heißt das Flurstück des Gouverneurs von Louisiana. Die Deutschen der Côte des Allemands waren in der „Carte Particuliere“ von diesem Zentrum weit entfernt. Dies durfte durchaus als Ausdruck der lokalen Hierarchie gewertet werden, in der der französische Gouverneur Bienville im Zentrum und die Deutschen am Rand positioniert waren.26 23 Vgl. Matthew Sparke, „Mapped Bodies and Disembodied Maps: (Dis)placing Cartographic Struggle in Colonial Canada“, in Place through the Body, hrsg. v. Heidi J. Nast und Steven Pile (London: Routledge, 1998), 305–336, hier 323f. 24 Ashcroft, Post-colonial Transformation, 132. 25 Siehe Cécile Vidal, „From Incorporation to Exclusion: Indians, Europeans, and Americans in the Mississippi Valley from 1699 to 1830“, in Empires of Imagination: Transatlantic Histories of the Louisiana Purchase, hrsg. v. Peter J. Kastor und François Weil (Charlotteville, VA: University of Virginia Press, 2009), 62–92. 26 Bienville, Jean-Baptiste Le Moyne de Bienville mit vollem Namen, war ein typischer Vertreter der franko-kanadischen Elite in Louisiana. Geboren in Montreal im Jahr 1680 stand Bienville der Kolonie 1713, 1718 bis 1724 und 1733 bis 1743 vor. In der Historiographie wird Bienville für seine strategischen Entscheidungen bei der Entwicklung Louisianas zum Teil als Vater der Kolonie verklärt, allerdings für seine kompromisslose

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Die Deutschen an der Côte des Allemands unterschieden sich nicht nur durch ihre Randlage, sondern auch hinsichtlich der Zuweisung von Land von den weiteren „habitations“. Nur das Flurstück des Kommandanten Karl Friedrich D’Arensbourg war durch den Vermerk „H.on a Monsieur Arensbourg“ als Privateigentum gekennzeichnet. Die weiteren Flurstücke waren durch die Bezeichnung „habitation des allemands“ der Gruppe der Deutschen zugewiesen. Diese schienen zwar im Besitz der Flurstücke zu sein, jedoch wurde der Besitz nur kollektiv vermerkt. Abseits der Côte des Allemands wurden die Flurstücke hingegen stets als das Eigentum einer Privatperson deklariert. Unter anderem wurden die Flurstücke auf der linken Seite des Mississippis, gegenüber dem „Terrain a Monsieur Bienville“, den Sieurs Belgarde, Richaume, Vigé und Paul Barré zugeteilt. Die Praktiken der französischen Verwaltung glichen den britischen Landvermessungspraktiken in Nordamerika. Diese verknüpften die Aneignung des kolonialen Raumes mit der Zuteilung von Landeigentum. Martin Brückner erläutert entsprechend: „as the colonial surveys inscribed the plot of land with personal names, they also linked the survey and the act of taking possession of the land to writing, literacy, and a process of individual literary identification“.27 Die Zuweisung von Land wurde in diesem Prozess nicht nur an Personen gebunden, sondern der Akt der Inbesitznahme mit den Techniken des Schreibens verbunden. Erst das Schreiben und die Schriftlichkeit ermöglichten den privaten Besitz des kolonialen Raumes. Flurstücke wurden den kolonialen Akteuren zugeschrieben, vormalige und alternative Anrechte übergangen und die indianischen Gruppen vom Eigentum des Raumes ausgeschlossen. Die Karten funktionierten in diesem System als eine Form von kolonialer Text- bzw. Zeichenfolie, welche die Repräsentation von Machtbeziehungen auf den Raum übersetzte.28 Die Inbesitznahme des Raumes scheiterte jedoch an einem Punkt: Im Gegensatz zu den großen Konzessionären waren die Deutschen in der Mehrheit Analphabeten. Unzählige Einträge in den lokalen Tauf-, Heirats- und Sterberegistern zeigen, dass sie die Dokumente lediglich mit einem ‚x‘, dem „marque ordinaire“, signierten. Die Namen der jeweiligen Personen wurden von den kolonialen Geistlichen, zumeist den örtlichen Kapuzinerpriestern, klargestellt. Ohne die Hilfe Dritter schienen die Deutschen keine direkten Ansprüche formulieren zu können. Folgerichtig wurden sie in der „Carte Particuliere“ nicht namentlich erwähnt, sondern Politik auch kritisiert, siehe Dictionary of Louisiana Biography, 72: „BIENVILLE“; vgl. auch Philomena Hauck, Bienville: Father of Louisiana (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 22006). 27 Martin Brückner, The Geographic Revolution in Early America: Maps, Literacy, and National Identity (Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press, 2006), 45. 28 Vgl. Mose/Strüver, „Diskursivität von Karten“, 315.

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ihr Besitz von kleinen Flurstücken an der Côte des Allemands nur durch Nennung der gesamten Gruppe gekennzeichnet, denn ausschließlich als Kollektiv konnten sie einen Landanspruch erheben.29 In diesem Sinne entwarf die „Carte Particuliere“ eine Hierarchie der Machtbeziehungen des kolonialen Louisiana. Auf deren unterster Stufe fanden sich die flurstück- und landlosen indianischen Gruppen wieder. Ihnen folgten die Deutschen, deren Besitz in der Karte ausschließlich kollektiv vermerkt war. Über den Deutschen reihten sich all jene Landeigentümer ein, denen Habitationen zugewiesen waren. Auch der Kommandant der Côte des Allemands, Karl Friedrich D’Arensbourg, gehörte dieser Gruppe an. Je nach Lage und Größe der Habitationen konnte unter den Landeigentümern weiter differenziert werden. Beispielsweise lag die Habitation von Karl Friederich D’Arensbourg weit vom Zentrum der Macht entfernt am äußeren Rand der Karte und war, im Vergleich zu Bienvilles Terrain, relativ klein. Darüber hinaus wurden Bienville, wie einigen anderen der „plusieurs particuliers“, etwa dem Inspekteur Diron [D’Artaguiette], mehrere Habitationen oder Terrains zugeschrieben und damit Unterschiede in der Stellung der Akteure hergestellt. Die Repräsentation kolonialer Machtbeziehungen beruhte dabei weniger auf Herkunft oder „Race“, sondern eher auf „Class“ bzw. sozialer Schicht. In der „Carte Particuliere“ kamen diese Distinktionen durch die Kennzeichnung von Eigentum zum Ausdruck.30 Die „Carte Particuliere“ funktionierte nicht nur als Repräsentationsfolie kolonialer Machtbeziehungen, sie funktionierte auch als Zukunftsmodell für das wirtschaftliche Potenzial Louisianas. Hervorgehoben wurde das Potenzial durch Markierungen von Landeigenschaften, von Gebäudestrukturen und von Langstreifenfluren. Die Markierungen von Landeigenschaften, insbesondere von vollständig bewaldeten Flächen, waren für die Gebiete von Bedeutung, die nahe am Mississippi lagen. Denn während die Hoffnungen auf Funde von Gold, Silber und sonstigen Bodenschätzen schnell schwanden und der Anbau von Agrarprodukten, wie Indigo, Tabak und Zucker, sich als äußerst schwierig herausstellte, versprach der Export von Holz, insbesondere von Zypressenhölzern, schon bald ein lukratives 29 Die Wahrnehmung der deutschen Siedler als einheitliche Gruppe hat in die neuere Geschichtsschreibung Einzug erhalten und wurde durch diese verfestigt. In sämtlichen Studien, vor allem in Arbeiten zum Kommandanten D’Arensbourg und in genealogischen Nachforschungen, ist stets die Rede von „les Allemands“ oder „the Germans“. Exemplarisch hierfür Merrill, Germans of Louisiana. 30 Diese Erkenntnis bestätigt jene Historikerinnen und Historiker, die gegenüber von Analysekategorien wie Gender und Race die Bedeutung von Class hervorheben. Siehe Carl A. Brasseaux, French, Cajun, Creole, Houma: A Primer on Francophone Louisiana (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005).

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Geschäft.31 Abnehmer für das Holz fanden sich in den französischen Karibikinseln Saint-Domingue und Martinique. Die Flussnähe der Waldflächen garantierte den schnellen Transport der Hölzer über New Orleans. Der Transport auf dem Landweg hätte unschwer länger gedauert und wäre unter bestimmten Wetterbedingungen nicht möglich gewesen. Die Wasserwege boten daher für lange Zeit das einzig zuverlässige und wirtschaftliche Transportnetzwerk. Ihre Markierung in den Karten verwies dementsprechend auf das wirtschaftliche Potenzial der Kolonie.32 Des Weiteren vermittelten auch die Langstreifenfluren einen Eindruck vom wirtschaftlichen Potenzial der Kolonie. Durch ihre Reihung entlang des Mississippis wurde eine flächendeckende Kolonialisierung des Flussufers impliziert.33 Die Einzeichnung von Grenzlinien über die eigentlichen Flurstücke hinaus verstärkte diesen Eindruck. So deuteten die Grenzlinien der Langstreifenfluren der Sieurs Dartagnan und Diron [D’Artaguiette] Inspecteur einen Landanspruch vom gerodeten Ufer des Mississippis über die bewaldeten und sumpfigen Gebiete im Hinterland bis zum Pontchartrain-See an. Möglich wurde diese Darstellung in der Karte, da in der Regel nur die Breite der Flurstücke am Flussufer vermessen

31 Beispielsweise bauten die Gebrüder Jacques und Joseph Chauvin einen Teil ihres beträchtlichen Vermögens durch die Holzindustrie auf. Sie besaßen relativ frühzeitig eine Sägemühle und konnten schon Mitte der 1720er Jahre Planken, Bretter und Balken für den Verbrauch in Louisiana und den Export herstellen. Gary B. Mills, „The Chauvin Brothers: Early Colonists of Louisiana“, Louisiana History 15:2 (1974): 117–131, hier 127. Eine Einführung in die Holzindustrie des kolonialen Louisiana liefert John H. Moore, „The Cypress Lumber Industry of the Lower Mississippi Valley during the Colonial Period“, Louisiana History 24:1 (1983): 25–47, zur frühen Phase insbesondere 25–33. 32 Vgl. William G. Piston, „Martime Shipbuilding and Related Activities in Louisiana, 1542–1986“, Louisiana History 29:2 (1988): 163–175, hier 163f. Die Holzindustrie und der Bedarf vor Ort führten zur kompletten Abholzung der Zypressenbestände an der Côte des Allemands. Die versäumte Wiederaufforstung machte es nötig, dass die Siedler bereits im frühen 19. Jahrhundert Zypressen und andere Hölzer aus der Region des unteren Mississippideltas importierten. Vgl. John A. Eisterhold, „Lumber and Trade in the Lower Mississippi Valley and New Orleans, 1800–1860“, Louisiana History 13:1 (1972): 71–91, hier 84f. 33 Gwendolyn M. Hall verweist mit Blick auf einen Zensus vom 01.01.1726 darauf, dass zu diesem Zeitpunkt für das gesamte Louisiana-Illinois-Territorium 1.942 europäische Siedler gelistet wurden. Siehe G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 8.

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wurde, während die Länge bzw. Tiefe unvermessen blieb. Der Landanspruch einzelner Eigentümer schien sich in der Karte ins Unendliche zu vergrößern.34 Untermauert wurde dieser Anspruch durch die Einzeichnung von Gebäudestrukturen. Auf fast jeder der Habitationen und Terrains hatte man laut Karte bereits ein oder mehrere Gebäude erbaut. Zum Beispiel waren auf einer Habitation des Sieur Dartagnan zwei Gebäude verzeichnet, auf den benachbarten Habitationen der Sieurs St. Joseph, Pierre und Vacquer jeweils ein Gebäude, auf der Habitation des Sieur Diron D’Artaguiette Inspecteur gar sechs Gebäude. Der leere Raum wurde also nicht nur kolonialisiert, sondern auch bebaut und besiedelt. Der Kultivierung stand nichts mehr im Wege. Die Gebäudestrukturen in der Karte repräsentierten die Vorstellungen von der wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonie. Besonders deutlich wurde dieser Umstand in den Gebäudestrukturen für die Stadt New Orleans. Deren modellhafte, befestigte und Carré-artige Abbildung spiegelt die idealisierten Projektionen der kolonialen Akteure auf den Raum Louisiana wider.35 In der „Carte Particuliere“ wurde New Orleans über die Einzeichnung der Gebäude- und Befestigungsstrukturen zur zentralen Metropole erhoben. Die Karte bediente jene Vorstellungen von New Orleans, die in den Karten des Ingenieurs Adrien de Pauger aus den Jahren 1721 und 1723 angelegt waren. Pauger hatte

34 Vgl. Baigent/Kain, History of Property Mapping, 279. Die unbegrenzten Raumansprüche der europäischen Kolonialmächte kamen auch in den frühen britischen Karten zum Ausdruck, siehe Library of Congress, Maps of North America, 1750–1789, 38, „A map of the British and French dominions in North America, with the roads, distances, limits, and extent of the settlements, humbly inscribed to the Right Honourable the Earl of Halifax, and the other Right Honourable the Lords Commissioners for Trade & Plantations, by their Lordships most obliged and very humble servant“, John Mitchell, 1755. Bernard Diron [d’Iron] D’Artaguiette war Anfang des 18. Jahrhunderts im Alter von vierzehn Jahren mit seinem Bruder Martin nach Louisiana gekommen, um in den französisch-kolonialen Truppen zu dienen. Er stieg im Laufe der Zeit in der kolonialen Hierarchie zum Inspekteur der Compagnie des Indes und zum Großgrundbesitzer auf. Unter anderem wird ihm die Gründung von Baton Rouge beigemessen, siehe Dictionary of Louisiana Biography, 213: „D’ARTAGUIETTE“. 35 Vgl. Dawdy, French Colonial New Orleans, 88. Siehe auch Newberry, Ayer MS Map 30, CM #81, „Plan de la ville de la Nouvelle Orleans ou l’on a marqué l’augmentation des maisons qui sont baties depuis le 3 septembre jusqu’au dernier decembre de la meme année 1722“.

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New Orleans befestigt, bebaut und mit den wesentlichen infrastrukturellen Einrichtungen ausgestattet dargestellt.36 Mit dieser Darstellung konterkarierte er Beschreibungen der Stadt, wie sie sich bei Dumont dit Montigny und Le Page du Pratz fanden. Dumont und du Pratz hatten in ihren Schriften von einer Ansammlung von Backstein- und Holzhütten gesprochen und den idealisierten Vorstellungen des kolonialen Verwaltungssitzes widersprochen. In seinen Mémoires Historiques sur la Louisiane schrieb Dumont: „Als man damit begann, die Fundamente dieser Hauptstadt, die New Orleans genannt wurde, zu legen, waren die Häuser, wie ich bereits sagte, nicht mehr als wahrhaftige Hütten, die aus Holzpfählen gebaut waren“.37 Du Pratz formulierte in seiner Histoire de la Louisiane von 1758 hingegen: „Die große Mehrheit der Häuser ist aus Ziegeln gebaut; die Minderheit aus Gebälk und Ziegeln“.38 Dabei sind die Darlegungen von du Pratz und Dumont nicht mit dem realen Zustand des kolonialen New Orleans gleichzusetzen. Sie basierten eher auf einer Vorstellung von New Orleans als zukünftigem Zentrum des Kontakts und Austausches, das einem florierenden Handel Platz bieten sollte. Die „Carte Particuliere“ griff diese Vision für New Orleans auf und übersetzte sie in das ländliche Louisiana, dessen Kultivierung und Bewirtschaftung die Karte vorwegnahm. Dies zeigte sich in den Markierungen von Gebäudestrukturen an der Côte des Allemands, im Speziellen im Bereich der „H.on a Monsieur Arensbourg“. Die hier lebenden Deutschen hatten ihre kleinen Parzellen laut Karte am Muster der Langstreifenfluren 36 Siehe ANOM images (FR CAOM), 04DFC66C, „Plan de la ville de la Nouvelle Orléans projetté en mars 1721“, Adrien de Pauger; FR CAOM 04DFC69B, „Plan de la ville de la Nouvelle Orléans où est marquée la levée de terre qui la garantit de l’inondation et l’augmentation des maisons faites depuis le 1er septembre 1723“, Adrien de Pauger, 29.05.1724. Spätere Produzenten von Karten zu New Orleans griffen auf Paugers Abbildungen zurück, vgl. zum Beispiel FR CAOM 04DFC89B, „Plan de la Nouvelle Orléans telle qu’elle estoit au mois de decembre 1731 levé par Gonichon“, Gonichon, 1731; FR CAOM 04DFC90A, „Plan de la Nouvelle Orléans telle qu’elle estoit le premier janvier mil sept cent trente deux“, Ignace-François Broutin, 20.01.1732; HNOC, „Plan de la Nouvelle Orleans“, Jacques-Nicolas Bellin, 1764. Adrien de Pauger traf 1720 in Louisiana und 1721 in New Orleans ein. Er diente als stellvertretender Ingenieur und Vermesser der Kolonie unter Pierre Le Blond de La Tour, dessen Nachfolge er im Jahr 1724 antrat, siehe Dictionary of Louisiana Biography, 635: „PAUGER“. 37 Dumont, Mémoires Historiques sur la Louisiane, Bd. 2, 49f: „Lorsque l’on commença à jetter les fondemens de cette Capital qui fut nommée la Nouvelle Orléans, les maisons, comme je viens de le dire, n’étoient que de véritables cabanes bâties de palissades“. 38 Du Pratz, Histoire de la Louisiane, Bd. 2, 266: „Les plus grande partie des maisons sont bâties de briques; les moindres sont des charpente & de briques“.

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ausgerichtet. Die Karte bestätigte damit die Zensusberichte aus den 1720er Jahren. In diesen hatte es geheißen, dass an der Côte des Allemands mindestens sechzig Familien lebten, die in einem Dorf siedelten und deren Hütten entlang einer Straße, ihre Höfe und Gärten dahinter auf einem Gelände lagen.39 Das Dorf hatte sich, so war dem Zensusbericht von 1724 zu entnehmen, entlang der Langstreifenfluren entwickelt. Die „Carte Particuliere“ ergänzte den Zensusbericht, indem sie das Vorhandensein von Langstreifenfluren für die Côte des Allemands bestätigte. Dabei vermittelte die Karte den Eindruck, dass der Zustand der deutschen Parzellen dem der französischen Habitationen in nichts nachstand. Wie die Habitationen wurde auch die Côte des Allemands als vollständig gerodet, kultiviert und wirtschaftlich rentabel abgebildet.40 Eine Ausnahme nahm in der „Carte Particuliere“ allein die „habitation au S.r de Laire“ ein. Zwar waren auch im Bereich dieser Habitation Gebäudestrukturen verzeichnet, ein klar definiertes oder gar gerodetes Flurstück war aber nicht zu erkennen. Im Vergleich zur angrenzenden Côte des Allemands schien das Flurstück unterentwickelt. Den Eindruck bestätigte der Inspekteur der Compagnie des Indes, Diron d’Artaguiette, der die Habitation von Delaire als mit einer kleinen Hütte versehen schilderte und erklärte: „Dieser Delaire war der Direktor einer Konzession, die scheiterte“.41 Das Scheitern der Habitation von Delaire stand im Gegensatz zum wirtschaftlichen Potenzial des restlichen Louisiana, das die Côte des Allemands exemplifizierte. Die „Carte Particuliere“ hob dieses wirtschaftliche

39 Vgl. ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, Beschreibung zwischen #38–39, 12.11.1724. 40 Newberry, Ayer MS Map 30, CM #80, „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis dix lieües au dessus et au dessous de la Nouvelle Orleans ou sont marqué les habitations et les térrains concedés à Plusieurs Particuliers au Mississipy“. Vgl. auch Anderson, Imagined Communities, 174: Anderson geht von einer triangulären Intersektion von Zensus, Karte und Politik aus. Er schlussfolgert: „Conversely, by a sort of demographic triangulation, the census filled in politically the formal topography of the map“. Das obige Beispiel zeigt, dass diese demographische Triangel offenbar Translations- und Verhandlungsprozessen unterlag. 41 Diron D’Artaguiette, „Journal“, 41, übers.: „Am selben Tag nahmen wir das Mittagessen mit den Tensas ein, die dort flussaufwärts auf der linken Seite siedeln, wo Sr. Delaire eine kleine Hütte hat. Dieser Delaire war der Direktor einer Konzession, die scheiterte. Eine Viertelmeile hinter dieser Konzession siedeln die Chaouachous, eine indianische Nation, die dieses Land wegen ihrer Konflikte mit den Colapissas und deren Medizinmann gerade verlässt“.

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Potenzial hervor und verknüpfte es mit der Repräsentation kolonialer Machtbeziehungen.

3.3 D IE L ANGSTREIFENFLUREN IN DEN K ARTEN DES KOLONIALEN L OUISIANA Eine zentrale Rolle für die Aneignung des kolonialen Raumes spielten die Langstreifenfluren, in deren Darstellungen sich drei Funktionen ausdrückten: Erstens konnte über die Fluren privater Besitz und privates Eigentum im kolonialen Raum festgeschrieben werden. Zweitens konnten darüber hinaus, unter anderem mithilfe abweichender Darstellungen in puncto Größe und Zustand, koloniale Machtbeziehungen offengelegt werden. Drittens verwiesen die Langstreifenfluren auf das wirtschaftliche Potenzial des kolonialen Louisiana. Durch ihre Länge schienen der Anbau von Nutzpflanzen sowie die Viehhaltung garantiert. Aufgrund ihrer direkten Uferlage wurde eine stete Zugänglichkeit signalisiert und der Transport von landwirtschaftlichen Erzeugnissen als gesichert angezeigt.42 Ferner wurde die Möglichkeit einer Besteuerung der Landeigentümer angedeutet. In diesem Sinne knüpften die Darstellungen von Langstreifenfluren an die europäischen Katasterkarten und Siedlungspolitiken des 17. und 18. Jahrhunderts an.43 Die Fluren bildeten das Fundament für spätere Erzählungen vom Erfolg der Deutschen. Demnach hatten die nach ihrer Ankunft noch besitzlosen Deutschen im Verlauf des 18. Jahrhunderts Langstreifenfluren per Zuteilung erhalten und waren im Laufe der Jahre zu deren Eigentümern aufgestiegen. In der Folge hatte der unaufhaltsame, sozio-ökonomische und kulturelle Erfolgsweg der Einwanderer von Kontraktarbeitern zu Landeigentümern bis hin zu großen Plantagenbetreibern begonnen. Wie stark die koloniale Darstellung dieser Flurform nachwirkte, zeigt eine Karte der Côte des Allemands von Gertrude C. Taylor und Glenn R. Conrad aus den 1970er Jahren. Die Côte des Allemands für die Zeit zwischen 1804 und 1812 erfassend, erwecken Taylor und Conrad das Bild eines vollends von Langstreifenfluren eingenommenen Raumes. In der Karte verzeichneten sie keine leeren Räume, sondern ausschließlich die Fluren. Die Karte suggerierte damit einen Wandel von der vorkolonialen Wildnis zum terrorialisierten Raum. Taylor und Conrad erklärten diesen Wandel mit einem königlichen Erlass aus dem Jahr 1716. Dieser Erlass hatte die Langstreifenfluren in Louisiana eingeführt und

42 Vgl. Campanella, Bienville’s Dilemma, 131: „The surveying of narrow, long parcels of land thus allocated two scarce resources – accessibility and arability – optimally“. 43 Vgl. Ekberg, French Roots in the Illinois Country, 11.

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die üblichen Ausmaße von zwei bis vier Arpents Breite sowie von vierzig bis sechzig Arpents Tiefe festgelegt.44 Die Fluren waren keine Besonderheit des kolonialen Louisiana. Sie fanden sich auch in den weiteren französischen Kolonialgebieten Nordamerikas, beispielsweise im Illinois-County oder in Neu-Frankreich. Ihr Aufbau folgte dem immer gleichen Muster: Im Vorderteil der jeweiligen Fluren war ein Haupthaus platziert, an das sich ein oder mehrere Schuppen sowie etwaige Gärten anschlossen. Der Hinterteil der Flurstücke war Acker- und Feldflächen, Wiesen- und Weideflächen sowie kleineren Waldflächen vorbehalten.45 Die „Carte Particuliere“ entwarf für das koloniale Louisiana eine ähnliche Aufteilung. Die Markierung der Haupt- und Wohngebäude erfolgte ebenfalls in direkter Nähe zum Mississippi, wo sie aufgrund der fortwährenden Schlamm- und Sedimentablagerungen des Flusses höher platziert waren, als dies im hinteren Bereich der Fall gewesen wäre. Die Ablagerungen bildeten einen natürlichen Schutz vor Überschwemmungen bzw. eine Art natürlichen Deich, der die Acker- und Feldflächen, Wiesen- und Weideflächen sowie die Waldflächen schützte und teils eine kontrollierte Flutung ermöglichte, die für den Reisanbau erforderlich war.46 Verschiedene Zensusaufzeichnungen erweckten zudem den Eindruck, dass auch die innere Aufteilung der Langstreifenfluren in Louisiana denen in NeuFrankreich ähnelte. Zum Beispiel wurde für die Habitation der „associés“ des aus Bordeaux stammenden Jean Pujeau und des Parisers Joseph Karasse in einem Be-

44 „The Edict of Louis XV of October 12, 1716“, übers. v. Henry P. Dart, „The First Law Regulating Land Grants in French Colonial Louisiana“, Louisiana Historical Quarterly 14:3 (1931): 347. Vgl. auch Gertrude C. Taylor und Glenn R. Conrad, „St. Charles Parish, 1804–1812, some Landowners of the Era“, Karte beigelegt in Conrad, St. Charles. Zum Aufstieg der Deutschen siehe Ned Sublette, The World that Made New Orleans: From Spanish Silver to Congo Square (Chicago: Lawrence Hill Books, 2008), 170. 45 Siehe Richard C. Harris (Hrsg.), Historical Atlas of Canada: From the Beginnings to 1800, Bd. 1 (Toronto: University of Toronto Press, 1987), plate 53, siehe die schematische Darstellung „Land Use on Typical Farms“, vgl. auch plate 52. Siehe auch Ekberg, French Roots in the Illinois Country, 9. 46 Newberry Library, Ayer MS Map 30, CM #80, „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis dix lieües au dessus et au dessous de la Nouvelle Orleans ou sont marqué les habitations et les térrains concedés à Plusieurs Particuliers au Mississipy“. Zur Nutzung von Überschwemmungsgebieten in Flussnähe beim Reisanbau im kolonialen Raum siehe Judith Carney, „Rice Milling, Gender and Slave Labour in Colonial South Carolina“, Past & Present 153 (1996): 108–134, hier 113.

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richt vom November 1724 festgehalten, dass sie auf ihrem Flurstück von „six arpens de face defrichés“ 45 „barils de ris“ geerntet und daneben „beaucoup de jardinage“ betrieben hätten.47 Ihr Flurstück war demzufolge mindestens in drei Teile untergliedert: in das obligatorische Wohnhaus, einen Garten sowie eine Reisanbaufläche. Der Vermerk „arpens de face defrichés“ bestätigte die direkte Flusslage des Flurstücks, das von seinen Bewohnern bereits geräumt oder gerodet worden war. Den hinteren Teil der Flurstücke besetzten im kolonialen Louisiana oftmals Zypressenwälder, deren Abholzung in einigen Fällen, wie erwähnt, forstwirtschaftlich betrieben wurde.48 Die Tradition der Langstreifenfluren ließe sich weiter bis in die mesopotamischen Zivilisationen und auf mögliche antike Ursprünge zurückverfolgen; für Louisiana waren jedoch die französischen Vorgänger der Langstreifenfluren von Interesse. Bereits im mittelalterlichen Nordfrankreich hatte sich diese Flurform herausgebildet und unter Bezeichnungen wie „en arête poisson“, „village-route“ und „hameau-allongé“ Bekanntheit erlangt. Die Langstreifenfluren erinnerten dabei an die deutschen Straßen-, Waldhufen- und Flusshufendörfer, die auf lokale Verkehrsadern ausgerichtet waren. Wie in Louisiana folgten dem Wohnhaus im vorderen Teil die Acker-, Garten- und Waldflächen im hinteren Teil. Daneben entwickelten sich in Frankreich die „champs allongé“, bei deren Ausbildung weniger infrastrukturelle Faktoren im Vordergrund standen, sondern die landwirtschaftliche Nutzung, zumeist Getreidewirtschaft, den Charakter der jeweiligen Langstreifenfluren bestimmte. Selten waren die Flurstücke mit Wohnhäusern oder sonstigen Gebäuden bebaut. Stattdessen handelte es sich um agrarisch genutzte Fluren, die in ein System offener und zaunloser Landwirtschaft integriert waren.49 In Louisiana verbanden die Langstreifenfluren infrastrukturelle sowie landwirtschaftliche Gesichtspunkte und garantierten den Zugang der Landeigentümer zum Mississippi, der Verkehrs-, Handels- und Lebensader der Kolonie. Des Weiteren offenbarten die Darstellungen von Langstreifenfluren die Vorteile großer Landstücke. Auf den Fluren konnte eine Vielzahl land- und forstwirtschaftlicher Produkte kultiviert, Acker- und Gartenbau betrieben sowie der Fluss- und Deltafischerei nachgegangen werden. Die langgezogenen Flurstücke schafften durch die Platzierung der Wohngebäude an der Flussfront ferner eine nachbarschaftliche Nähe, deren sicherheitstechnische Implikationen für die frühe Kolonialphase nicht

47 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le Village des Allemands a dix lieues au desous de la d.e Ville a droitte en remontant le fleuve“, #24, 12.11.1724. 48 Siehe Moore, „Cypress Lumber Industry“, 25–47. 49 Vgl. Ekberg, French Roots in the Illinois Country, 6 und 9.

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zu unterschätzen waren. Überdies war die Zuteilung von Langstreifenfluren pragmatischen Aspekten geschuldet. Die Langstreifenfluren waren entlang des Mississippis relativ einfach anzuordnen. Es galt nur, die Arpents de face der jeweiligen Flurstücke zu vermessen und die angrenzenden Nachbarn zu benennen. Die „profondeur ordinaire“ von vierzig Arpents stand fest und wurde nicht vermessen.50 Über diese Vergabepraxis wurde später die „absence of formal, written grants“ erklärt.51 Eine Art grundbuchliche Landerfassung nahm in Louisiana erst die spanische Kolonialadministration in Angriff. Zu einem Abschluss kamen die Bemühungen jedoch nie; ein Umstand, an dem die U.S.-amerikanischen Landvermesser und Beamten schier verzweifelten, als sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach der Integration der Kolonie in die Vereinigten Staaten das Gebiet neu zu kartieren versuchten und diverse Streitigkeiten um Landzuweisungen und -ansprüche zu lösen hatten.52 Vermutlich war eine vormalige Erfassung ausgeblieben, weil die Kolonialmächte den Landbesitz der kolonialen Akteure nie besteuert hatten, obschon die Darstellungen der Langstreifenfluren, wie konstatiert, an die in Europa üblichen Katastereinheiten sowie an bestehende Besteuerungs- und Besiedlungspolitiken erinnerten. Nicht zuletzt steckte hinter den Politiken des Kolonialisierens die Annahme, dass mit der „Peuplierung“ des Raumes, wie es im Falle Preußens unter Friedrich II. hieß, gleichfalls die Kassen des Staates oder eben der Kolonialmacht gefüllt würden.53 Kolonien und Kolonialisierung wurden als rentabel angesehen, auch deswegen gingen mit den kolonialen Herrschaftswechseln in Louisiana immer Bemühungen einher, den neugewonnenen Raum zu kartieren sowie mit weiteren Siedlern fortzuentwickeln. In den Karten dominierten die Langstreifenfluren, während die Vermessungseinheiten und Katastertypen variierten, wie Peter Mires feststellt: „Louisiana has a fascinating variety of cadastral types implanted on the landscape – the legacy of several flags that have flown over the bayou state. These cadastral types include 50 Vgl. Harris, Seigneurial System, 120f, und Sybil Kein, „Louisiana Creole Food Culture: Afro-Carribbean Links“, in Creole: The History and Legacy of Louisiana’s Free People Color, hrsg. v. dies. (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2000), 244– 251, hier 248. 51 Vgl. Kastor, Louisiana Purchase, 84. 52 Vgl. Edward F. Haas, „Odyssey of a Manuscript Collection: Records of the Surveyor General of Antebellum Louisiana“, Louisiana History 27:1 (1986): 5–26; vgl. auch Kastor, Louisiana Purchase, 84f. 53 Vgl. Wilhelm Abel, Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Stuttgart: Eugen Ulmer, 1962), 280.

76 | C ÔTE DES ALLEMANDS French concessions, and arpent system grants, Spanish sitios, British metes and bounds, and the familiar American township and range or rectangular survey system. As rule, a change in colonial administration was accompanied by a recognition of prior land grants“.54

Die Vermessungseinheiten wechselten also stets mit den kolonialen bzw. territorialen Machthabern. Je nach Verwaltungshoheit vermaßen die Beamten im französischen Arpent-System, in spanischen Sitios oder nach britischen und amerikanischen Systemen. Die vormaligen Landzuweisungen und aktuellen Landansprüche blieben davon unberührt. Die Ansprüche wurden von den neuen Verwaltungsbehörden zumeist akzeptiert. Wichtig war, dass die Siedler auf lange Sicht gesehen Steuern zahlten oder über die Ein- und Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten zumindest eine Art Besteuerungspotenzial generierten. Grundsteuern mussten sie jedoch nicht zahlen – auch wenn die „Carte Particuliere“ solche Praktiken andeutete: „They never had to pay property taxes and left no cadastral records“.55 Gleiches galt für die indianischen Gruppen, deren Fehlen in der „Carte Particuliere“ dadurch zu erklären sein könnte, dass sie zu keinem Zeitpunkt Grundsteuern oder andere Steuern zu zahlen hatten und dies von den kolonialen Verwaltungen auch nicht vorgesehen war. Zwar beanspruchte die französische Verwaltung gegenüber den kolonialen Rivalen und den indianischen Gruppen eine absolute Souveränität. Sofern diese Souveränität das Recht beinhaltete, Steuern zu erheben und einzuholen, entzogen sich die indianischen Gruppen aber der kolonialen Verwaltungsmacht.56 Die katastertechnischen Implikationen der Langstreifenfluren blieben damit eher ein die Zukunft antizipierendes Modell und sagten wenig über die steuerpolitischen Realitäten im kolonialen Louisiana aus. Zudem stand das Zukunftsmodell im Widerspruch zu zeitgenössischen Berichten von gescheiterten Siedlungsversuchen. Die Habitation des Sieurs Delaire wurde bereits genannt; noch einschlägiger stellte sich der Fall der angeblichen Arkansas-Konzession von John Law dar. Die Arkansas-Konzession war dem schottischen Ökonomen und Leiter der Compagnie des Indes unter der Voraussetzung übertragen worden, dass er dort 54 Peter B. Mires, „Relationships of Louisiana Colonial Land Claims with Potential Natural Vegetation and Historic Standing Structures: A GIS Approach“, Professional Geographer 45:3 (1993): 342–350, hier 343 (Kursivierung im Text). 55 Ingersoll, Mammon and Manon, xix. 56 Vgl. William J. Eccles, „The Fur Trade and Eighteenth-Century Imperialism“, William & Mary Quarterly 40:3 (1983): 341–362, hier 349. Eccles argumentiert: „The French were certainly not sovereign in the west, for sovereignty implies the right to impose and collect taxes, and to enforce laws – and they were never able to do either“.

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einen Teil der deutschen Migranten ansiedelte. Die Deutschen hatten die Konzession durch die Wirrungen um den Bankrott der Compagnie des Indes jedoch nie erreicht.57 Trotzdem kursierten im Wissen um die französische Landzuweisungspolitik schnell Gerüchte in Frankreich, die eine deutsche Kolonie im Bereich von John Laws Arkansas-Konzession geradezu mythisch verklärten. Obschon ein Zensus um 1726 nur vierzehn Pioniere sowie einen indianischen Sklaven im Bereich der Konzession gezählt hatte, wurde diese als äußerst erfolgreich beschrieben. Erst in jüngster Vergangenheit haben diverse Studien eine solche Arkansas-Konzession der Deutschen ins Reich der Mythen verbannt.58 Kursieren konnten die Mythen auch, weil die Besitzer und Eigentümer der Konzessionen und Habitationen häufig wechselten. Zum Beispiel deuteten die St. Charles Parish Original Acts spätestens ab den 1740er Jahren ein reges Wechselspiel der Eigentums- bzw. Besitzverhältnisse diverser Land- und Flurstücke an. Wiederholt verkauften Siedler wie Jean Villars59 und Sr. Nicolas60 ihre Habitationen, um neue Flurstücke zu erwerben oder weiterzuziehen. Zudem kam es zu vertraglichen Teilverkäufen von Land- und Flurstücken, die nicht die Wohngebäude, sondern ausschließlich die Nutzflächen betrafen. So verkauften ein gewisser Jean Konig und dessen Frau Cathrine Munique im Jahre 1747 mit drei Arpents nur einen Teil ihres Flurstückes an Frederic Toubs.61 Die wechselnden Besitz- und Eigentumsverhältnisse sind in den Dokumenten zum Tausch von Habitationen belegt. Beispielsweise erschienen am 23. Oktober 1747 die Eheleute Guillaume du Buisson und Ursule Trepagnie sowie Henry Cretsman und Marguerite Kistenmacher vor dem Kommandanten D’Arensbourg, um diesem den Tausch zweier Habitationen anzuzeigen: „comme quoy ils ont fait un echange d’habitation pour habitation“.62 Dass es sich bei den getauschten Habitationen um Langstreifenfluren handelte, ließ sich aus der Lagebeschreibung der Habitationen schließen. Denn weder waren für die Habitation der Eheleute 57 Allein bei Dumont heißt es, die Deutschen hätten kurzzeitig im Bereich des „poste des Arcanças“ gesiedelt. Ihm zufolge verließen die Deutschen die Arkansas-Konzession nach dem Bankrott von John Law wieder, vgl. Dumont, Mémoires Historiques sur la Louisiane, Bd. 2, 68, 297. 58 Vgl. Arnold, „The Myth of John Law’s German Colony“, 83–88, siehe ANOM, G1, 465, „Concession Law, Ministre de la Marine et des Colonies, Secrétariat général, Bureau des Archives, Extrait des Cartons contenant divers Recensemens de la Louisianne, déposés aux Archives“, 01.01.1726. 59 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 08.04.1741. 60 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 28.09.1745. 61 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 18.02.1747. 62 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 23.11.1747.

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Guillaume du Buisson und Ursule Trepagnie noch für jene der Gemeinschaft Henry Cretsman und Marguerite Kistenmacher genaue Maße oder gar Koordinaten im Tauschvertrag vermerkt. Lediglich über die Nennung der angrenzenden Habitationen wurden diese verortet: „jene von Sieur Dubuisson ist zwischen George Troutsler und George Roser gelegen […] und jene von Henry Cretsman zwischen Christian und Leonard Pfeffer“.63 Diese Form der Verortung illustrierte, dass die Vermessung sich auf die Arpents de face beschränkte. Für die Länge der Habitationen dürfte die übliche „profondeur ordinaire“ der Langstreifenfluren von 40 Arpents gegolten haben. Vom Besitz oder Eigentum solcher Habitationen waren die Deutschen nun nicht mehr ausgeschlossen: In den Tausch- und Kaufverträgen wurden sie demgemäß als Habitants bezeichnet. Zu Beginn der 1720er Jahre waren diese Entwicklungen nicht abzusehen. Noch im Jahr 1724 hatte der französische Zensusbeamte Perry die örtlichen Einwanderer als Kontraktarbeiter beschrieben, die, wie erwähnt, mit ihren Familien in drei Dörfern lebten. Erst später sollten französische und spanische Kartographen und Beamte die Deutschen als Habitants bezeichnen. Die deutsch-amerikanischen Filiopietisten nahmen den Wandel solcher Beschreibungen zum Anlass, um in ihren zurückblickenden Studien den ökonomischen und hierarchischen Aufstieg der Deutschen zu idealisieren. Zwar war der Wandel von der Dorfsiedlung zum Langstreifensystem mit einem sozial-gesellschaftlichen Aufstieg von Deutschen einhergegangen – in Teilen waren aus abhängigen Kontraktarbeitern aufstrebende Landeigentümer erwachsen –, jedoch überbetonte eine solche Erzählung die Bedeutung der Deutschen für die Geschichte des kolonialen Louisiana. Ferner konzentrierte sich eine solche Argumentation ausschließlich auf die Gewinner der kolonialen Entwicklungen und blendete die Gescheiterten sowie eine Reihe von Gruppen aus, die hier noch zu diskutieren sind: Frauen, arme Deutsche, afrikanische Sklaven und freie afrikanische Akteure sowie die indianischen Gemeinschaften.64

63 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 23.11.1747: „celle du Sr. Dubuisson etait situé entre George Troutsler et George Roser […] et celle de Henry Cretsman est situé entre Christian Vinguert et Leonard Pfeffer“. 64 Vor allem J. Hanno Deiler argumentierte in diesem Sinne, siehe Deiler, German Coast, 62: „In spite of all the hardships which the pioneers had to endure and the difficulties to be encountered, German energy, industry, and perseverance conquered all; [...]“.

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3.4 D IE

FRÜHEN K ARTEN DES KOLONIALEN VON 1718 BIS 1732

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L OUISIANA

Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Pariser Studio von Guillaume Delisle zu einem der bedeutendsten Orte der Kartenproduktion. Delisles Karten wurden im gesamten europäischen Raum rezipiert, im deutschsprachigen Raum insbesondere vom Verleger und Kartographen Christoph Weigel. Auch die frühen Karten des kolonialen Louisiana standen unter dem Einfluss der Werkstatt von Delisle, wenn sie denn nicht direkt aus dieser stammten. In den Karten verschmolzen geographische Informationen mit politischen Motiven, woraus sich das zunächst beliebig wirkende Abbilden bzw. Ausblenden von bestimmten Orten und Gruppen erklärte.65 Die Mehrheit der Karten aus der Zeit des frühen 18. Jahrhunderts bildete die Côte des Allemands und ihre Kontraktarbeiter nicht ab. Die indianischen Gruppen hingegen, die in der „Carte Particuliere“ fast vollständig ausgeblendet worden waren, wurden in die meisten Karten integriert. Beispielhaft geschah dies in der „Carte de la Louisiane et du Cours de Mississipi […]“, einer Karte aus der Werkstatt von Guillaume Delisle von 1718,66 der „Novissima Tabula Regionis Ludouiciana Gallice Dicta La Louisiane“, einer Karte aus der Produktion von Christoph Weigel von 1720,67 sowie der „Carte de la Coste de la Louisiane […]“, einer Karte unbekannter Provenienz aus dem Jahre 1723.68 Mit Blick auf die Produktionsdaten der Karten war ein Verweis auf die Côte des Allemands allein in der „Carte de la Coste“ zu erwarten.69 In dieser wurde die

65 Siehe Nelson-Martin Dawson, L’Atelier Delisle: L’Amérique du Nord sur la table à dessin (Sillery, Québec: Septentrion, 2000), 16, 19–46, 101–116. 66 Library of Congress, Geography and Map Division Washington, G3700 1718.L5 Vault: Low 288, „Carte de la Louisiane et du Cours de Mississipi dressée sur un grand nombre de mémoires entrau.tres sur ceux de Mr. le Maire“, Guillaume Delisle, 1718. 67 HNOC, 1978.211 a, b, „Novissima Tabula Regionis Ludouiciana Gallice Dicta La Louisiane“, Christoph Weigel, 1720. 68 Newberry Library, Ayer MS Map 30, CM #78, „Carte de la Coste de la Louisiane depuis la Baye de St. Bernard jusqu’à celle de Saint Joseph, ou tous les ports, rades, et bons mouillages sont exactement marquez avec les sondes, et la profondeur des terres jusqu’au dessus des Natchez“. 69 Die „Carte de la Coste“ stammt laut Inventarliste der Newberry Library, Chicago, aus dem Jahre 1723. Als Teil der Newberry Library MS Map 30 Collection ist sie heutzutage Bestand einer Serie von Karten, die teils Louisiana als Ganzes, teils einzelne Ausschnitte Louisianas darstellen. Die Karte erfasst einen Raum, der von Galveston, Texas,

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Siedlung über rote Punktierungen im Rahmen von „habitationis“ flussaufwärts von New Orleans verzeichnet. Abgesehen von New Orleans und den „habitationis“ bildete die Karte keine zeitgenössischen kolonialen Siedlungen ab. Die indianischen Gruppen und ihre Siedlungen wurden indes sehr detailliert kartiert. So verortete die „Carte de la Coste“ die Chapitoula im strategisch bedeutenden Raum zwischen dem Pontchartrain-See und der Stadt New Orleans sowie die Taensa in unmittelbarer Nähe zur Côte des Allemands. Die Gruppen der Chaouacha, Houma und Bayagoula, von denen in späteren Journalen, Memoiren und Histoires des Öfteren die Rede war, wurden in der Karte ebenfalls vermerkt. Dabei markierte die kreisförmige Einzeichnung der Siedlungen ihr Leben in Gemeinschaften und Gruppenverbänden.70 Durch die Einpassung der indianischen Gruppen in die Karten wurde Frankreich zur zentralen Kolonialmacht erhoben. Der Abbildung der indianischen Gruppen kam in diesem Kontext eine Doppelfunktion zu. Zum einen wurde die Souveränität der französischen Krone über den kolonialen Raum unterstellt. Zum anderen deutete die Vielzahl der indianischen Gruppen in der Karte an, auf welcher Basis diese Souveränität in Zukunft durchgesetzt werden sollte. Der Jesuit Beaubois fasste passend zusammen: „Louisiana ist eine riesige Provinz, die sich nicht gegen seine Nachbarn behaupten kann, wenn uns nicht die indianischen Nationen treu verbunden sind“.71 Die indianischen Gruppen spielten bei der Sicherung der französischen Kolonie Louisiana eine entscheidende Rolle. In diesem Sinne brach die „Carte de la Coste“ die Bedeutung der Indianer von der Ebene der gesamten Kolonie auf die Ebene des Lokalen hinunter. Die Karte zeigt, wie die strategischen Funktionen der indianischen Gruppen auf den lokalen Raum der Côte des Allemands zu übertragen waren, sich mit französischen Ansprüchen verschränkten und mit spanischen zu konkurrieren schienen. Entscheidend hierfür war die Bindung der Gruppen an bestimmte Orte. Zum Beispiel wurden die Taensa im Bereich der Côte des Allemands, die Chapitoulas in der unmittelbaren Nähe von New Orleans und die im Westen bis Pensacola-Stadt im Osten reicht und sich zirka 125 Meilen nördlich und südlich vom Zentrum New Orleans erstreckt. 70 Newberry Library, Ayer MS Map 30, CM #78, „Carte de la Coste de la Louisiane depuis la Baye de St. Bernard jusqu’à celle de Saint Joseph, ou tous les ports, rades, et bons mouillages sont exactement marquez avec les sondes, et la profondeur des terres jusqu’au dessus des Natchez“. 71 ANOM, C, 13A, 12, folio 259verso, „Mémoire sur les missions de Louisiane adressé à la Compagnie des Indes par le P. de Beaubois“, 12.1729: „[…] la Louisiane est une vaste province qui ne peut se soutenir contre ses voisins qu’autant que les nations sauvages nous seront fidelement attachées“.

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Bayagoula im Gebiet des Bayou Manchac verankert. Die Verortung der Gruppen geschah, obschon die Gruppen nachweislich massiven und kontinuierlichen, teils jahreszeitlichen Wanderungen nachgingen. In der Karte erweckten die Produzenten allerdings den Eindruck von Sesshaftigkeit.72 Gleichzeitig entstand der Eindruck, dass das Land zwischen den indianischen und den wenigen kolonialen Niederlassungen leer oder zumindest ungenutzt war. In diesen Raum konnte später die Côte des Allemands eingezeichnet werden. Der künftige Ausschluss der indianischen Gruppen vom Besitz dieser Räume wurde damit bereits vorbereitet. Endgültig verschwanden die indianischen Gruppen aus den Karten zur Côte des Allemands mit dem Aufstellen von Miliztruppen.73 Bevor es soweit war, lagen die Orte, die den Indianern in der „Carte de la Coste“ zugeteilt wurden, vor allem in Grenzräumen der kolonialen Konkurrenten. Gleichwohl solche Grenzräume in der Karte nicht explizit ausgewiesen wurden, existierten sie nordwestlich der Côte des Allemands bei Natchitoches, wo spanische und französische Ansprüche aufeinander trafen.74 Ein direkter Bezug zu französisch-spanischen Grenzräumen fand sich nur im Westen der Karte und war durch eine Notiz gekennzeichnet: „Man glaubt, dass hier die Bucht ist, die die Spanier Spiritu Sancto nennen“.75 Die Siedlungsgrenzen im Osten hingegen, wo im Bereich des heutigen Pensacola-Gebietes weitere spanische Ansiedlungen zu erwarten waren, berücksichtige die Karte nicht. Allein das „Fort oder der Pfahlbau, den die Spanier im Jahr 1724 begonnen haben“, war südlich der Bucht Pensacola vermerkt.76 72 Vgl. Hiram F. Gregory, Fred B. Kniffen und George A. Stokes, The Historic Indian Tribes of Louisiana: From 1542 to Present (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1987), 71–82. 73 Huntington Library, Vaudreuil Papers, Oversize Box, LO 165, „Etat des Habitants aux Allemands estant existant avec les Remarques de ceux qu’ont quitté leurs habitations. Fait le 8 fevr: 1749“, 08.02.1749. Vgl. auch Baigent/Kain, History of Property Mapping, 335. 74 Darauf deuten archäologische Spuren hin, vgl. George Avery, „The Spanish in Northwest Louisiana, 1721–1773“, in Archaeology of Louisiana, hrsg. v. Mark A. Rees (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2010), 223–234, hier 223; siehe auch Burton/Smith, Colonial Natchitoches, 1–19. 75 Newberry Library, Ayer MS Map 30, CM #78: „On croit que cest icy la Baye que les Espagnols appellent Spiritu Sancto“. 76 Ebd.: „Fort ou cloture de pieux que les Espagnols ont commancé en 1724“. Vgl. auch William B. Griffen, „Spanish Pensacola, 1700–1763“, Florida Historical Quarterly 37:3/4 (1959): 242–262, sowie Robert B. Lloyd, „Development of the Plan of Pensacola during the Colonial Era, 1559–1821“, Florida Historical Quarterly 64:3 (1986): 253– 272.

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Insgesamt verwies die „Carte de la Coste“ in Richtung jener cross-kulturellen Lebenswelten, die der Historiker Daniel Usner mit dem Begriff der „Frontier Exchange Community“ umschrieben hat. In der Karte wurden nicht nur die verschiedenen Kontakt- und Konflikträume der europäischen Konkurrenten angedeutet, sondern auch veranschaulicht, dass jedwede Territorialansprüche europäischer Art in die von indianischen Gruppen besiedelten Gebiete fallen mussten.77 Durch die Karten von Delisle und Weigel wurden die territorialen Ansprüche der französischen Administration auf das gesamte Louisiana übertragen und eine potentielle Populisierung des Raumes evoziert. Zwar sollten die französischen Gebiete in Nordamerika nie zu Siedlerkolonien werden, dennoch erweckten Andeutungen von einer etwaigen Besiedlung Louisianas unter französischen Investoren durchaus die Träume und Wünsche, die sie in die Compagnie des Indes investieren ließen.78 Die „geographische Beschreibung“, welche der Karte von Weigel beilag, brachte die Rolle des schottischen Bankers in französischen Diensten, John Law, zur Sprache. Law hatte die kolonialen Siedlungsbemühungen in Louisiana und das Anwerben der Deutschen über einen regen Aktienhandel finanziert und die wirtschaftliche Entwicklung der Kolonie in den Vordergrund gerückt: „Es besthet aber der ganze Actien-Handel auf dem Credit eines Schottländers/ Namens Laws/ aus der Stadt Edenburg gebürtig/ welcher als ein kluger und verschlagener Kopf anfangs die Banco in Paris aufrichtete/ und hernach die West-Indianische-Missisipische Handels-Compagnie auf das Tapet brachte/ auch durch seine Beredtsamkeit und scheinbare Vorstellungen das Werck bey dem ganzen Volck dermassen zu erheben/ auch so groß und 77 Vgl. Daniel H. Usner, Jr., „The Frontier Exchange Economy of the Lower Mississippi Valley in the Eighteenth Century“, William & Mary Quarterly 44:2 (1987): 165–192, 167. Dass die Siedlungsräume im südlichen Louisiana knapp und entsprechende Kontakte sowie Konflikte kaum zu vermeiden waren, wird aus der „Carte de la Coste“ deutlich. Es sei nur auf die Kennzeichnungen der „Terres Noyeés Impracticables et remplies de Lacs“ und „Terres Noyées et peu Practicables“ verwiesen, die einen Großteil des Raumes als Überschwemmungsgebiete markierten und das von unzähligen kleineren und größeren Seen charakterisierte Gebiet als „nicht“ oder „wenig praktikabel“ einstuften. Der „praktikable“ Siedlungsraum war begrenzt. 78 Vgl. Paul LaChance, „The Growth of the Free and Slave Population of French Colonial Louisiana“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley G. Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 204–243, sowie James Pritchard, „Population in French America, 1670–1730: The Demographic Context of Colonial Louisiana“ in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley G. Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 175– 203.

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profitable vorzumachen wuste/ daß jederman von diesen grossen Profiten participiren wollte“.79

Offenbar war es Law gelungen, potentiellen Investoren zu vermitteln, dass über den Kauf von Aktien der Compagnie des Indes ein jedermann am Erfolg der Kolonie Louisiana teilhaben konnte. In den Augen vieler Pariser erschien Laws Finanzierungsmodell attraktiv und die Preise der Aktien schnellten in die Höhe. Als allerdings die ersten Meldungen von den Zuständen in Louisiana in Paris eintrafen, versuchten viele der Aktienhalter ihre Anteile umgehend zu veräußern. Es folgten ein beispielloser Preisverfall der Aktien und der finanzielle Ruin der Compagnie des Indes. Weitere Anwerbungsversuche von europäischen Siedlern waren zum Scheitern verurteilt.80 Der Misserfolg von John Laws Compagnie des Indes schlug sich in den Zensus der 1720er Jahre nieder. Denn nicht die wenigen mit dem Geld der Aktienhalter angeworbenen Neuankömmlinge, sondern die indianischen Akteure stellten die Bevölkerungsmehrheit im kolonialen Louisiana. Für den Raum des unteren Mississippideltas und die nähere Umgebung von New Orleans, einem Raum, in dem die indianischen Gruppen der Ouachas, Chaouachas, Mongoulachas, Bayogoulas, Chitimachas, Atakapas, Opelousas, Houmas und Acolapissas lebten, kalkulierten die französischen Beamten um das Jahr 1700 mit etwa 10.000 und um 1725 mit zirka 3.000 indianischen Akteuren. Diese Zahlen übertrafen die französisch-koloniale Populationsgröße bei Weitem. So zählte man für New Orleans um 1726 nur 773 Personen, für das gesamte untere Mississippidelta wurde zur gleichen Zeit eine Zahl von 2.404 kolonialen Subjekten angegeben.81 Im Raum der Côte des Allemands vermerkte die „Carte de la Coste“ zwei indianische Gruppen: die Houma und die Taensa. Die Abbildung der beiden Gruppen offenbarte, wie sich in Karten die Machtbeziehungen zwischen indianischen Gruppen und kolonialen Akteuren ausdrücken konnten. Denn wenn die Gruppe der Houma in der Karte als eben solche gekennzeichnet wurde, dann war dies nicht 79 HNOC, F352.G46 1719, „Geographische Beschreibung der Provinz Louisiana/in Canada/von dem Fluß St. Lorenz bis an den Ausfluß des Flusses Mississippi; samt einem kurzen Bericht von dem jetzo florierenden Actien-Handel“, 1719. 80 Vgl. Dawdy, French Colonial New Orleans, 101. 81 Vgl. LaChance, „Free and Slave Population of French Colonial Louisiana“, 206, 211, 220–222: Es ist davon auszugehen, dass der gesamte Abbildungsraum der „Carte de la Coste“ um 1700 von etwa 67.000 und um 1725 noch von etwa 35.000 Akteure indianischer Gruppen besiedelt worden war. Vgl. auch Daniel H. Usner, Jr., American Indians in the Lower Mississippi Valley: Social and Economic Histories (Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 2003), 35.

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als Selbst-, sondern als Fremdzuschreibung der Kartographen zu verstehen. Diese ordneten im Moment der Kartenproduktion den Houma einen Namen sowie einen Raum zu und verfestigten somit eine Art koloniales Wissen über diese Gruppe. Wie instabil und variabel dieses Wissen war, zeigt der Umstand, dass in der Kolonialzeit unterschiedliche Schreibweisen, beispielsweise Oumas oder Ouma, wie auch phonetische Variationen, beispielsweise [✁✂✂✄☎✆✝ ] oder [✁✞✄☎✆✝ ], für diese Gruppe existierten.82 Die Variationen markierten im Kontext der Aushandlung kolonialer Machtbeziehungen die Bedeutung von Sprechakten unter den Houma.83 Denn während unter Europäern über die Techniken des Schreibens und der Schriftlichkeit etwaige Bezeichnungen von Personen, Gruppen und Orten tradiert wurden, griffen indianische Gruppen dazu auf Sprechakte zurück und konnten sich im Rahmen komplexer Übersetzungsvorgänge einer festen Bezeichnung durch die Kolonisatoren entziehen.84 Neben den Houma bildete die „Carte de la Coste“ im Raum der Côte des Allemands die Taensa-Indianer ab. Von den französischen Beamten wurde die Gruppe mit solch mannigfaltigen Bezeichnungen wie Caensa, Tabensa, Tahensa, Taënsas, Takensa, Tinjas oder Tinsas erfasst. Am Beispiel der Taensa konnte das Aushandeln von Bezeichnungen indianischer Gruppen ebenfalls nachvollzogen werden. Auch wenn die Bezeichnungen oftmals auf einfachen Wiederholungen basierten, erfolgten diese keinesfalls einheitlich, schließlich bestanden verschiedene Bezeichnungen alternativ nebeneinander. Durch die Aussagen von französischen und spanischen Beamten sowie von Akteuren der Taensa selbst wandelten 82 Vgl. Fred B. Kniffen, The Indians of Louisiana (Gretna, LA: Pelican, 61998), 15, und Daniel H. Usner, Jr., Indian Work: Language and Livelihood in Native American History (Cambridge, MA: Harvard University Press, 2009), 107. 83 Zur Sprache der Houma und ihren Verschränkungen mit anderen indianischen Sprachen, im Speziellen zu ihren Verknüpfungen mit den westlichen Muskogee-Sprachen, siehe Cecil H. Brown und Heather K. Hardy, „What Is Houma?“, International Journal of American Linguistics 66:4 (2000): 521–548, hier 546. 84 Für die Houma untersuchte der Historiker Daniel D’Oney das Verhältnis von oralen und schriftlichen Traditionen, siehe J. Daniel D’Oney, „The Houma Nation: A Historiographical Overview“, Louisiana History 47:1 (2006): 63–90. Die Benennung der Taensa geht auf René-Robert de la Salle zurück, siehe Louis Hennepin, Description de la Louisiane: Nouvellement Decouverte au Sud’Ouest de la Nouvelle France, par Ordre du Roy. Avec la Carte du Pays: Les Moeurs & la Maniere de Vivre des Sauvages (Paris, 1683), „Les Moeurs des Sauvages“, 106. Siehe auch Karl Kroeber (Hrsg.), Native American Storytelling: A Reader of Myths and Legends (Malden, MA: Blackwell, 2004), 1– 9.

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sich die Bezeichnungen zudem permanent, bis sich letztlich der Begriff „Taensa“ verfestigte. In diesem steten Prozess kamen auch die wechselseitigen Machtbeziehungen der Akteure und Akteursgruppen zum Ausdruck. Schließlich resultierte die endgültige Bezeichnung der Taensa aus langwierigen Aushandlungen.85 Oftmals wurde in den frühen Karten des kolonialen Louisiana versucht, diese Aushandlungsprozesse auszublenden. Stattdessen wurde die europäische Macht zentral gesetzt. Ein Ort der zentralen kolonialen Macht, auf den die „Carte de la Coste“ ebenso ausgerichtet war wie die Karten von Delisle und Weigel, musste in der Stadt New Orleans gesehen werden. Während die „Carte de la Coste“ New Orleans direkt im Zentrum positioniert, vermitteln die Karten von Delisle und Weigel die Zentralität der kolonialen Metropole, indem sie den Anschein erwecken, allein die Stadt New Orleans gewähre den Zugang zum alles erfassenden Netzwerk der Flüsse Nordamerikas. Trichterartig laufen die Flüsse im Mississippi zusammen, um über die Hafenstadt New Orleans in den Atlantik zu fließen. Der Hafen von New Orleans öffnet in den Karten von Delisle und Weigel den Weg nach Europa und Frankreich. Im Gegensatz zu Neu-Frankreich, dessen Häfen stark witterungs- und winterabhängig waren, konnte dieser Hafen ganzjährig angefahren werden. Die Karten von Delisle und Weigel visualisieren diesen Vorteil der Hafenstadt.86 Berichte über die Aktivitäten der Siedler im Raum New Orleans unterstützen solche Überlegungen: Verschiedene Akteure erkannten die Vorteile der Hafen- und Handelsstadt, nutzten diese für sich und traten aus der Subsistenzwirtschaft heraus. Neben den Beteiligungen an der Forstwirtschaft bzw. am Holzhandel engagierten sich die Siedler im Pelzhandel. Die Sieurs Blanpain und LeKintrek waren zum Beispiel in den Handel mit Hirsch- und Rehfellen involviert.87

85 Letztlich verweisen die Aushandlungen auf die diskursiven Verflechtungen der Akteursgruppen, die die Entwicklung des kolonialen Louisiana, hier die Bezeichnung der Taensa, nachhaltig bestimmten. Siehe Bradley G. Bond, „Introduction“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. ders. (Baton Rouge, LA: Louisiana University Press, 2005), ix–xxi. Vgl. auch Frederick W. Hodge, Handbook of American Indians North of Mexico, Bd. 4 (Washington, DC: Smithsonian Institution, [1912]2003), 668f. 86 Vgl. Usner, „Frontier Exchange Economy“, 174; Paul C. Phillips, The Fur Trade, Bd. 1 (Norman, OK: University of Oklahoma Press, 1961), 361–376, 448–483: Der Historiker Paul Chrisler Phillips verweist darauf, dass die Abtretung des Illinois-Country von Neu-Frankreich an Louisiana in diesem Zusammenhang zu verstehen ist (450). 87 Vgl. Daniel H. Usner, Jr., „The Deerskin Trade in Louisiana“, in Proceedings of the Tenth Meeting of the French Colonial Historical Society, April 12–14,1984, hrsg. v. Philip P. Boucher (Lanham, MD: University of America Press, 1985), 75–93, hier 81f.

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Den Karten zufolge hatte New Orleans also eine Ausnahmestellung inne. In der „Carte de la Coste“ wurde diese Ausnahmestellung dadurch hervorgehoben, dass die Stadt einer der wenigen benannten Orte und Räume war, deren Bezeichnung nicht einer indianischen, sondern einer französischen Tradition unterlag. Neben New Orleans fanden sich lediglich für den Mississippi, in der Karte als „Fluss St. Louis“ bezeichnet, und für die Seen Pontchartrain, Maurepas und Borgne französische Namen. Etwaige indianische Bezeichnungen zu diesen Orten und Räumen benannte die Karte nicht. Das Zusammenführen der indianischen und französisch-kolonialen Bezeichnungen drückte erneut die Aushandlungsprozesse aus, die die Fertigung der Karten maßgeblich begleiteten. Denn einerseits perpetuierte die „Carte de la Coste“ die Ansprüche einer Deutungshoheit europäischer Schriftlichkeit über den kolonialen Raum. Andererseits legte die Karte aber die Spuren indianischen Wissens und indianischer Wissenskulturen offen, indem sie zur Bezeichnung der Taensa, Houma oder Bayagoula-Gruppen auf indianische Traditionen zurückgriff.88 In diesem Sinne war die Karte als eine Art von Repräsentationsfolie für die Aushandlungen von Machtbeziehungen zwischen den indianischen Gruppen und französischen Kolonisatoren zu begreifen. In diesen Aushandlungen spielten die Deutschen zu Beginn der 1720er Jahre keine Rolle, was ihr Fehlen in der Karte erklärte. Teil der Aushandlungen und ein fester Bestandteil der Karten wurden die Deutschen erst, nachdem Konflikte mit indianischen Gruppen, insbesondere mit den Natchez-Indianern in den Jahren 1729 und 1730, zu Auseinandersetzungen an der Côte des Allemands geführt hatten. Zu diesem Zeitpunkt war die Côte des Allemands zu einem Kontaktraum aufgestiegen, der das wirtschaftliche Potenzial und die Aneignungsbemühungen der französischen Verwaltung, aber auch die Aushandlungsprozesse zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten repräsentierte.89

3.5 D IE

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Die späteren Karten des kolonialen Louisiana knüpften in wesentlichen Punkten an ihre Vorgänger an. Exemplarisch hierfür steht die „Carte de partie de la Louisiane […]“ aus dem Jahre 1733.90 Der Produzent der Karte, ein gewisser Baron de

88 Vgl. Campanella, Bienville’s Dilemma, 99–101. 89 Vgl. Merrill, Germans of Louisiana, 43–45. 90 FR CAOM 04DFC1A, „Carte de partie de la Louisiane qui comprend le cours du Mississipy depuis son embouchure jusques aux Arcansas, celuy des rivieres de la Mobille

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Crenay, Sieur de Poilvilain, stellte sich als Leutnant des Königs und Kommandant von Mobile vor. Damit war Crenay ein typischer Vertreter jener französischen Noblesse, die über Tätigkeiten in der kolonialen Administration ihre politische Karriere voranbringen wollte. Bereits 1732 kehrte Crenay aus Louisiana nach Frankreich zurück, wo er die Karte anfertigte und vom „Lieutenant Colonel“ zum „Capitaine“ befördert wurde. Auf einer weiteren Karrierestation in den „colonies d’outre-mer“ verstarb er wohl im April 1737 als Kommandant von Cayenne im heutigen Französisch-Guayana.91 Bei der Produktion der Karte griff Crenay auf französisch-koloniale Text- und Zeichensysteme zurück und modifizierte die Vorstellungen von der Côte des Allemands in drei Punkten: Erstens vermerkte Crenay die Côte des Allemands unter der Bezeichnung „Village des Allemands“. Zweitens markierte er im Bereich der Côte des Allemands zwei Kirchen- bzw. Kapellengebäude. Drittens verzeichnete Crenay neben den Taensa nun auch die Bayagoula und Ouchas in unmittelbarer Nähe zur Côte des Allemands. Somit erneuerte Crenay die Vorstellungen vom dörflich gemeinschaftlichen Charakter der Siedlung, verband diese mit den Praktiken des Glaubens und wandelte die Côte des Allemands zu einem Kontaktraum.92 Crenay teilte den indianischen Gruppen nicht nur feste Orte zu, sondern dokumentierte auch die Bezeichnungen, die Größe und den Zustand ihrer Siedlungen kartographisch. Im Raum der Côte des Allemands wurden, wie erwähnt, die Bayagoula, Ouachas und Taensa verortet, wobei die Ansiedlungen in ihrer Größe variierten. Während die Bayagoula-Siedlung mit drei Hütten markiert war, wurden für jene der Ouachas und Taensa jeweils zwei Hütten notiert. Die Markierung von Größenunterschieden bei indianischen Siedlungen war üblich. Spätere Karten, zu nennen wäre die Karte des „Course of the River Mississipi“, vermittelten

depuis la baye jusqu’au fort de Toulouse, des Pascagoula et de la riviere aux Perles, le tout relevé par estime. Fait à la Mobille en mars 1733 par les soins et recherches de Monsieur le Baron de Crenay lieutenant pour le Roy et commandant à la Mobille“, Baron de Crenay, 1733. 91 Siehe MPA 4:76, Anmerkung 5, „Périer to Maurepas“, 25.03.1731, sowie ANOM, C, 8A, 48, folio 86/86verso, „Correspondance Champigny de Noroy“, 28.04.1737. 92 Kontakträume verstehe ich nicht nach Mary L. Pratts als Kontaktzonen oder als Räume kultureller Vermischung, Hybridisierung, Kreolisierung, etc., sondern als Räume, deren Charakter vornehmlich ökonomisch bestimmt war. Allan Greer hat für Neu-Frankreich treffend formuliert: „There is a sense in which French Canada is a creation of European merchant capital“, Allan Greer, Peasant, Lord, and Merchant: Rural Society in Three Quebec Parishes, 1740–1840 (Toronto: University of Toronto Press, 1991), 3.

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die Größe der indianischen Siedlungen im Raum der Côte des Allemands, indem sie die Anzahl der dort ansässigen Krieger angaben.93 Der Begriff der Hütten, im Französischen „cabanes“, der in den Quellen durchweg Verwendung fand, griff indianische Abbildungspraktiken auf, belegte aber zugleich die europäischen Vorstellungen von einer dörflich-provisorischen Siedlungsform der indianischen Gruppen.94 Die Abbildungen unterschieden nicht zwischen vorhandenen, variierenden Gebäudestrukturen der indianischen Gruppen, sondern implizierten stattdessen einheitliche, hüttenähnliche Bauverfahren. Demgemäß unterlegte der französische Architekt Alexandre de Batz seine Abbildung einer „cabane du chef“, einer „Häuptlingshütte“, mit den Worten: „Jedwede indianischen Hütten sind gleich gebaut, allesamt kreisrund, diese hier [gemeint ist die Häuptlingshütte] mit einem Durchmesser von 18 Fuß“.95

93 Library of Congress, Maps of North America, 1750–1789, 780, „Course of the River Mississipi, from the Balise to Fort Chartres“, John Ross, 1775. Ob und inwiefern die Taensa, Bayagoula und Ouachas aus einer Art Schutz- oder Sicherheitsfunktion heraus an der Côte des Allemands siedelten, ist schwer zu klären. Sie gehörten zu den „Petites nations“, für die Richmond F. Brown im Vergleich zu den „großen Nationen“ festhält: „Petites nations (small communities) took advantage of provisioning opportunities and European protection, while larger nations such as the Choctaw furnished corn and deerskins in exchange for trade goods“, Richmond F. Brown, „Introduction“, in Coastal Encounters: The Transformation of the Gulf South in the Eighteenth Century, hrsg. v. ders. (Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 2007), 1–12, hier 7. Prinzipiell auf die Sicherungs- und Schutzfunktion der indianischen Gruppen verweist der Historiker Jean Delanglez am Beispiel der Choctaw-Indianer, die den französisch-kolonialen Akteuren im Kampf gegen die mit den Engländern verbündeten Chickasaw-Indianer zur Seite standen, vgl. Delanglez, French Jesuits in Lower Louisiana, 459. 94 Die Hütten erinnern an Zeichen in hieroglyphischen, indianischen Schrift- und Zeichensystemen Nordamerikas. Vgl. Gordon M. Sayre, Les Sauvages Américains: Representations of Native Americans in French and English Literature (Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press, 1997), 195, figure 8: „Hiéroglyphes des sauvages“, in Nouveaux voyages […] dans l’Amérique Septentrionale, 1703 (National Library of Canada, NL-18987). 95 Alexandre De Batz, „Temple des Sauvages“, 22.06.1732, D. I. Bushnell, Jr., Collection, Peabody Museum Harvard, Abbildung in Samuel Wilson, Jr., „Louisiana Drawings by Alexandre De Batz“, Journal of the Society of Architectural Historians 22:2 (1963): 75–89, hier 84: „Toutes les Cabanes des Sauvages sont de pareille construction, etants toutes ronde, cette cy a 18. pieds de diametre“.

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Ein Gegensatz wurde in der „Carte de partie de la Louisiane“96 für die Côte des Allemands nur zwischen den kolonialen Kapellen- bzw. Kirchengebäuden und den indianischen Hütten suggeriert.97 Während die Darstellung der Hütten auf den dörflich-provisorischen Charakter der Siedlungen abzielte, deuteten die Kapellenbzw. Kirchengebäude einen geordneten und dauerhaften Zustand an. Die Kapellen- bzw. Kirchengebäude dienten, wie unzähligen Missionierungsberichten zu entnehmen ist, nicht ausschließlich der alltäglichen Durchführung christlicher Glaubenspraktiken. Die in Louisiana tätigen Jesuiten und Kapuziner nutzten die Gebäude auch als Stützpunkte, um die indianischen Gruppen im Hinterland leichter zu erreichen und zu missionieren. Die Kapellen- bzw. Kirchengebäude boten zudem allgemeine Anlauf- und Sammlungspunkte für die indianischen Gruppen.98 Mithilfe der Darstellungen in den Karten konnten sich die Geistlichen in ihren Korrespondenzen und Memoiren als Vermittler an den zentralen Orten des Hinterlands inszenieren. Oftmals traten sie nicht nur als Vertreter der Religion, son-

96 Vgl. auch FR CAOM C11B39/47, „Carte d’une partie des Illinois pour idée seullement“, Ignace-François Broutin, 1734. Diese Karte bildet zwei Merkmale der französisch-kolonialen Raumordnung ab: die militärischen Forts und die Langstreifenfluren der Konzessionen und Habitationen. Die Karte von Diron D’Artaguiette und die Memoiren von Nicolas Ignace Beaubois erweiterten diese Merkmale um den Aspekt der An- bzw. Umsiedlung indianischer Gruppen. Beaubois beschrieb in seinen Memoiren aus dem Jahre 1729 die Umsiedlung indianischer Gruppen im Raum des französischen Stützpunktes Kaskaskia, Illinois-County. Er erklärte, dass diese vom dortigen Kommandanten Boisbriant durchgeführt wurde und in enger Absprache mit den Jesuiten erfolgt sei: „Le Commandant [Boisbriant] de ce canton lorsquil fit le demembrement du village des Cascakias assigna aux Nechigamias une prairie d’une demie lieue de front qui est au dessus du fort de chartres“, ANOM, C, 13A, 12, folio 265verso, „Mémoire sur les missions de Louisiane adressé à la Compagnie des Indes par le P. de Beaubois“, 12.1729. 97 Vgl. Samuel Wilson, Jr., „Religious Architecture in French Colonial Louisiana“, Winterthur Portfolio 8 (1973): 63–106, 65ff. Am Beispiel der Bayagoulas, mit Verweis auf den Jesuitenpriesters du Ru und dem Architekten du Batz, zeigt Wilson, dass die Hütten indianischer Siedlungen den festen, architektonischen Strukturen der kolonialen Akteure durchaus ähnlich waren. Zu nennen wären die „Temples des Sauvages“. 98

Prinzipiell gilt, dass die jesuitischen Missionare die indianischen Gruppen aufsuchten. Nur in Einzelfällen und durch geschickte Siedlungsraum- und Ortswahl gingen indianischen Ansiedlungen jesuitische voraus, vgl. Richard White, The Middle Ground: Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650–1815 (New York: Cambridge University Press, [1991] 2011), 23.

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dern auch als Diplomaten und Repräsentanten von Händlern und kolonialer Verwaltung auf.99 Sie vollzogen keine klare Trennung zwischen religiösen und säkularen Bereichen und übten wirtschaftliche wie politische Funktionen aus. Beispielhaft verkörperte der Jesuit Beaubois diesen Typus des Geistlichen. In seinen Memoiren stellte Beaubois intensive Überlegungen zur Bindung der indianischen Gruppen an die französische Kolonialverwaltung an und sprach sich gegen die Ausgabe von Geschenken und für die Einbeziehung religiöser Praktiken aus. Während gemeinhin die Ausgabe von jährlichen Geschenken praktiziert würde, argumentierte Beaubois, sei die größtmögliche Bindung der indianischen Gruppen nur über die christliche Religion und Missionierung zu leisten.100 Allerdings verschwieg Beaubois, dass die christlichen Missionare stets mit indianischen Religionsformen und -akteuren konkurrierten. Vor Ort fiel dies ins Auge, wenn christliche Kapellen- oder Kirchengebäude in den Dörfern indianischen Tempeln gegenüberstanden, die in den Karten nicht verzeichnet waren. Nicht selten wurde daher versucht, die Überlegenheit der christlichen Religion durch architektonische Maßnahmen, wie übergroße Kreuzbauten, zu untermauern: „In this village [village of the Houmas] they know nothing of all the yells that are usually uttered among the Natches when they pass before the temple – opposite which is a Chapel 50 feet long that Father du Ru caused to be built last spring; also a great Cross 35 or 40 feet high, that he caused to be erected in the public place of the village. Father de Limoges had arrived there three days before, in order to settle there and to labor for the Conversion of the houmas, who seemed to me to be very docile“.101

99

Vgl. James D. Hardy, Jr., „Church and State in French Colonial Louisiana: An Essay Review“, Louisiana History 8:1 (1967): 85–95, hier 90.

100 ANOM, C, 13A, 12, folio 259verso, „Mémoire sur les missions de Louisiane adressé à la Compagnie des Indes par le P. de Beaubois“, 12.1729: „[...] nous ne pouvons pas les attacher aux partis francais par des liens plus forts que ceux de la religion, […]“. Vgl. auch Usner, „Frontier Exchange Economy“, 171f. Usner verweist auf den zeremoniellen Charakter des Schenkens und Austauschens materieller Waren zwischen indianischen und französisch-kolonialen Gruppen, der bei indianischen Gruppen wohl als Ausdruck politischer Reziprozität verstanden wurde. In diesem Kontext beachtenswert: Marcel Mauss, Die Gabe: Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften (Frankfurt: Suhrkamp, 1968), sowie Khalil Saadani, „Gift Exchange between the French and Native Americans in Louisiana“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley G. Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 43–64. 101 Jesuit Relations and Allied Documents LXV, 147.

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Wenn Beaubois von der „größtmöglichen Bindung“ durch die christliche Religion sprach, dann drückten sich in dieser Aussage die wechselseitigen Machtbeziehungen aus, die aus der „Carte de partie de la Louisiane“ ebenfalls abzuleiten waren. Denn nicht die indianischen Gruppen, sondern die Kolonisatoren suchten die Nähe und anerkannten so die schutz- und sicherheitsfunktionelle Bedeutung der indianischen Siedlungsstrukturen. Die Côte des Allemands beispielsweise schien durch die Bayagoula, Ouachas und Taensa geradezu von allen Seiten flankiert und geschützt zu sein. Mit Blick auf die Kartierungen indianischer Gruppen fallen erneut Unregelmäßigkeiten bei der Bezeichnung der Côte des Allemands in den 1720er und 1730er Jahren ins Auge. Wie festgehalten, hatte der Offizier Crenay die Côte des Allemands in der „Carte de partie de la Louisiane“ unter der Bezeichnung „Village des Allemands“ erfasst. In der „Carte Particuliere“ war hingegen noch die Rede von der „Habitation des Allemands“. Die etwa aus dem Jahr 1730 stammende „Carte du Missicipy ou Louissiane“ hatte den Raum schlichtweg mit „Les Allemans“ bezeichnet.102 Im Zensus von 1724 hatte der Beamte Perry über eben diesen Raum als „communauté du village Allemans Hoffen“ berichtet. Daneben nannte er in direkter Nachbarschaft zwei weitere, alte Dörfer, deren Namen er aber nicht preisgab und die er eine Viertel- bzw. eine halbe Meile vom Mississippiufer entfernt lokalisierte.103 Der Filiopietist Hanno Deiler legte, ohne Angabe von Quellen, die Namen der Dörfer später auf Augsburg und Mariental fest.104 Alternative Bezeichnungen des Raumes, die nicht auf die dortigen Deutschen verwiesen, wurden von Deiler nicht berücksichtigt – und das, obschon sie seit den frühen 1720er Jahren vorlagen. Es sei nur an den Schweizer Kolly erinnert, der die Côte des Allemands unter dem Namen „aux Tansas“ erfasst und so einen Bezug zu den

102 FR CAOM 04DFC62B, „Carte du Missicipy ou Louissiane depuis la Baye de lascension jusqua la pointe de la Mobille. Dedie a Monseigneur. Monseigneur le Duc d’Estrées, Pair, Maréchal, et Vice-Amiral de France, Commendeur des ordres du Roy, Grand d’Espagne, Vice-Roy de l’Amérique, Gouverneur de la Ville et Chasteau de Nantes et Comté Nantois, Lieutenant Général et Commendant en chef en la province de Bretagne“, Decercelier, zirka 1730. 103 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, Beschreibungen zwischen #19–20 sowie #34–35, 12.11.1724. Die weiteren Dörfer waren im Französischen wie folgt bezeichnet: „Ancien village allemand a un quart de lieue au bord du fleuve“ sowie „Ancien village a demy lieue du Mississipy et voisin du premier“. 104 Deiler, German Coast, 90.

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örtlichen indianischen Gruppen hergestellt hatte.105 Kollys Bezeichnung aus dem Mai 1724 war kaum sechs Monate vor den Zählungen des Beamten Perry entstanden, der denselben Raum unter dem Titel „communauté du village Allemans Hoffen“ abgehandelt hatte. Mit ihren Bezeichnungen verwiesen Kolly und Perry auf das Nebeneinander von konkurrierenden Aussagen, das die wechselseitigen Machtbeziehungen an der Côte des Allemands widerspiegelte. Nicht zuletzt drückte sich in dem Bezeichnen von Ort und Räumen ein Akt der Souveränität und Kontrolle aus: „The process of discovery is reinforced by the construction of maps, whose existence is a means of […] naming or, in almost all cases, renaming spaces in a symbolic and literal act of mastery and control“.106 Eine alternative Bezeichnung des Raumes, die später in den Karten des kolonialen Louisiana wiederholt auftreten sollte, versteckte sich ebenfalls im Zensusbericht von 1724. Ein kaum lesbarer Vermerk auf der ersten Seite des Berichts gab dessen Entstehungsort mit Charlebourg an und erläuterte: „Charlebourg benannt nach Sieur Darensbourg, der sich Charles nennt“.107 Gemeint war der Kommandant Karl Friedrich D’Arensbourg, dessen Habitation sowohl in der „Carte Particuliere“ als auch in Perrys Zensusbericht eine zentrale Stellung innehatte. Historische Karten sollten im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf die Bezeichnung „Charle[s]bourg“ beständig zurückgreifen. Ein Beispiel hierfür fand sich in der Karte „Course of the River Mississipi“ aus dem Jahr 1775, die die Übersetzung „Karlstein“ verwendete. Einen Mittelweg wählte im Jahr 1732 der französische

105 ANOM, G1 465, Etat des compagnies d’Infantrie qui etoient entretenus par la Compagnie des Indes dans la province de la Louisiane au mois de May 1724 et situation des habitans qui sont dans chaque poste, 20.12.1724. 106 Ashcroft/Griffiths/Tiffin, Post-Colonial Studies, 31f. Auch Ashcroft, Griffiths und Tiffin betonen die Bedeutung der Techniken des Schreibens und der Schriftlichkeit in der neuzeitlichen Kartographie. Die Verbindungen von kolonialer Aneignung, dem Herstellen von Karten und der Bezeichnung von Orten und Räumen fassen die Postcolonial Studies Theoretiker wie folgt zusammen: „Colonization itself is often consequent on a voyage of ‚discovery‘, a bringing into being of ‚undiscovered‘ lands. The process of discovery is reinforced by the construction of maps, whose existence is a means of textualizing the spatial reality of the other, naming or, in almost all cases, renaming spaces in a symbolic and literal act of mastery and control“. 107 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724: „Charlesbourg du nom du S. darensbourg qui s’apelle Charles“.

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Beamte Jean Baptiste Bourguignon d’Anville. D’Anville kennzeichnete den Raum mit „les Allemands ou Carlstain“.108 Während die Bezeichnungen der Côte des Allemands unter den Handelnden der kolonialen Verwaltung variierten, verwendeten die Akteure der katholischen Kirche einheitliche Begrifflichkeiten. In den Tauf-, Sterbe- und Heiratsregistern der St. Charles Borromeo Kirche titulierten die katholischen Geistlichen den Raum bis 1748 durchgehend mit den Worten „poste des allemands“. Der letzte Eintrag dieser Form stammte vom 21. Mai 1748.109 In der Folgezeit wurde der Raum in den Kirchenregistern stets mit den Worten „paroisse St. Charles“ erfasst.110 Mit dieser Bezeichnung gaben die katholischen Geistlichen zu verstehen, dass die Côte des Allemands spätestens mit Ende der 1740er Jahre in ein Netz von Pfarrgemeinden eingebunden war, das aus einer Vielzahl von „Paroisses“ bestand. In den säkularen Karten des 18. und 19. Jahrhunderts wurde die kirchliche Bezeichnung teils übernommen. Zum Beispiel notierte eine Karte von 1810 den Raum der Côte des Allemands ebenfalls mit „S. Charles“.111 Darüber hinaus wirkt die Bezeichnung bis in die Gegenwart nach: Noch heute werden sämtliche Bezirke des Bundesstaates Louisiana in Anlehnung an die kolonialen katholischen „Paro-

108 Library of Congress, Geography and Map Division, G3860 1732.A5 Vault, „Carte de la Louisiane. Par le Sr. d’Anville. Dressee en Mai 1732“, Jean Baptiste Bourguignon d’Anville, 1732. Dieser Mittelweg ließe sich für die gesamte französische Kolonialzeit nachweisen. Jacque Nicolas Bellin wählte noch 1763 die Bezeichnung „Carlstain/Vill. des Allemans“, vgl. HNOC, 1975.24, „Cours de Fleuve Saint Louis depuis ses Embouchures jusqu’a la Riviere d’Iberville et Coftes Voisines“, Jacques Nicolas Bellin, 1763. Die variierenden Bezeichnungen waren ein Ausdruck der komplexen Produktionsbedingungen der Karten. Schließlich lebten die Kartenproduzenten, wie Jacques Nicolas Bellin, nicht in den Kolonien, sondern fertigten die Karten auf Basis der Beschreibungen von kolonialen Beamten, Abenteurern und Reisenden in Frankreich, insbesondere in Paris, an. Vgl. Jean-Marc Garant, „JacquesNicolas Bellin et son Œuvre en Amérique“, in Proceedings of the Eleventh Meeting of the French Colonial Historical Society, Quebec, May 1985, hrsg. v. Serge Courville und Philip P. Boucher (Lanham, MD: University of America Press, 1987), 60–66. 109 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 21.05.1748. 110 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 06.04.1749ff. 111 Bancroft Library, Bancroft Case XB, G4295 1810.M3 1956, [Untitled map of Northern Mexico, Texas, Louisiana, the southern United States, and the territory to the sources of the Platte, Colorado, and Rio Grande], 1810.

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isses“ als Parishes bezeichnet. Große Teile des Raumes, der historisch unter „Village des Allemands“, „Habitation des Allemands“ oder „Karlstein“ verhandelt wurde, liegen gegenwärtig in den Bereichen der St. Charles und St. John the Baptist Parishes. Die variierenden Bezeichnungen der Côte des Allemands waren das Resultat von Aushandlungen zwischen indianischen Gruppen, französischen Beamten, katholischen Geistlichen und Siedlern. Über die realen Verhältnisse vor Ort sagten sie wenig aus. Tatsächlich war die Aneignung des Raumes längst nicht so weit vorangeschritten, wie es die Karten zu suggerieren versuchten. Ein maßgeblicher Wandel könnte allerdings mit der Neubezeichnung des „poste des allemands“ als „paroisse St. Charles“ einhergegangen sein. Vielleicht sollte so, wie oben festgestellt, der Wandel vom katholischen Posten zum katholischen Parish angedeutet werden. Dabei bestanden parallel zur Vorstellung von der Côte des Allemands als katholischer Raum weitere, meist säkulare Vorstellungen. Unter anderem dominierte die Vorstellung von der Côte des Allemands als dörflicher Gemeinschaft. Bis in die Gegenwart halten sich auch jene Vorstellungen, die den Ort mit Karl Friedrich D’Arensbourg verbinden. Noch heute verlautet die Inschrift eines „Historical Markers“ an der Côte des Allemands: „Les Allemands: Deutsche Einwanderer unter der Führung von Karl D’Arensbourg schlossen sich mit anderen Deutschen zusammen und ließen sich hier 1722 [sic!] nieder“.112

3.6 D IE E INFÜHRUNG VON L AND S URVEYS UND S URVEY B OOKS Im ausgehenden 18. Jahrhundert waren die Vorstellungen von der Côte des Allemands und Louisiana noch vage. So setzte eine Schrift an den spanischen König, deren Anfertigung mit der Übernahme der Kolonie Louisiana durch die Spanier zusammenfiel, mit den Worten ein: „La Luisiana, este inmenso pais“, „Louisiana, dieses unüberschaubare Land“.113 Mit dieser Formulierung drückte der Text ein wesentliches Problem der spanischen Administration aus. Zwar hatten die Spanier die Kolonie Louisiana infolge des Siebenjährigen Krieges hinzugewonnen, Größe

112 Übersetzung nach Christian Tenbrock, „Raubbau am Mississippi“, Die Zeit, 23.04. 1993: 1, (Zugriff: 29.01. 2013). 113 HNOC, Microfilm 83-77-L, Museo Naval, Madrid, Louisiana Records, Doc. 126, „Memoria historica y politica sobre la Luisiana“.

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und Gestalt von Louisiana waren aber unklar geblieben. Die Aneignung der Kolonie begann für die spanische Administration daher auch mit dessen Kartierung. Dies traf dezidiert für die Côte des Allemands zu, die nun erstmals systematisch vermessen wurde. Dabei wurde nicht nur der Raum, sondern auch die Kolonisten und deren Eigentum erfasst. Der „Plan Del Local De las tierras que Rodean la Ciudad de Nueva Orleans“ aus dem Jahre 1803 verdeutlichte dies, indem er den alt eingesessenen Labranche, Haydel, Darinsbourg und Rixner feste Habitationen zuordnete.114 Um den Zustrom von Neulingen und den Landhandel unter Alteingesessenen besser zu erfassen, hatte die spanische Administration im Juli 1799 zudem ein 38-Punkte-Dekret erlassen, das den Neuerwerb und den Verkauf von Land in Louisiana reglementierte.115 Bei ihren Vermessungen knüpften die spanischen Beamten an vorherige Praktiken an. Sie griffen das System der französischen Langstreifenfluren auf und schafften mit ihren Land Surveys und Survey Books jene Dokumentenbasis, die während der territorialen und frühen bundesstaatlichen Phase Louisianas die Grundlage für private Landansprüche der Bevölkerung gegenüber der neuen amerikanischen Verwaltung darstellten.116 Die Leitung der Vermessungen fiel dem in Louisiana geborenen Charles Laveau Trudeau zu, der in spanischen Dokumenten als Don Carlos Trudeau geführt wurde. Er übernahm die Rolle des königlich spanischen Landvermessers. Trudeau sollte diesen Beamtenposten über die gesamte spanische Kolonialperiode bis in die amerikanische Territorialphase Louisianas innehaben. Er verkörperte die Kontinuität der lokalen Beamten und Eliten, die den

114 HNOC, 1940.2, „Plan Del Local De las tierras que Rodean la Ciudad de Nueva Orleans“, Carlos Laveau Trudeau, 1803. 115 HNOC, Mss. 306, Spanish Louisiana Collection, 1769–1803, folio 6. Das Dekret wurde in spanischer und französischer Sprache veröffentlicht. 116 Zu den Vermessungen der Langstreifenfluren an der Côte des Allemands, siehe HNOC, Mikrofilm 84–23–L, Mapas y Planos de la Flordia y la Luisiana sowie HNOC, MF 1 Louisiana Land Surveys. Zu den Entscheidungen der amerikanischen Behörden gegenüber Landansprüchen von Privatpersonen, siehe HNOC, Mss. 408 Barthélémy Lafon Survey Books und National Archives (NA), M1382, Reel 3, Bound Records of the General Land Office Regulating to Private Land Claims in Louisiana, 1767–1892, Decisions of the Board of Commissioners of the Eastern District of the Territory of Orleans on Land Claims registered in the Books of Achille Trouard, Deputy Register for the County of German Coast und Rejected Claims from the Register of A. Trouard, Deputy Register for the County of German Coast.

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Übergang von der französischen zur spanischen und amerikanischen Administration generell kennzeichnete.117 Trudeaus Vermessungen an der Côte des Allemands begannen in den späten 1770er Jahren und bestätigten die Landansprüche der Eigentümer rückwirkend. So wurde das Flurstück eines gewissen Jacobo Rixner am 6. April 1781 mit Verweis auf Vermessungen des Jahres 1779 eben diesem garantiert.118 Formal erhielt die Bestätigung des Landanspruches erst 1782 Gültigkeit. Ein Vorfahre von Jacobo Rixner, den die Dokumente als Sieur Rexner führten, hatte das Flurstück bereits in den 1730er Jahren von einem Konzessionär namens Delachaise gepachtet und ein Wohnhaus errichtet. Trudeau bestätigte den Landanspruch von Rixner und unterstützte damit die Bemühungen von Siedlern, die ihre Ansprüche auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage zu legitimieren suchten. Rixner hatte, wie andere auch, im Verlauf des Verfahrens auf die vergangene Besiedlung des Flurstücks durch seine Familie verwiesen.119 Anspruchsteller wie Rixner nutzten die Bestrebungen der spanischen Verwaltung, Louisiana zu vermessen, und sie forderten diese Bestrebungen durchaus ein, wie aus Briefen an die spanischen Gouverneure hervorging.120 Zum Beispiel verlangte im Jahre 1793 ein gewisser Josef Dusan, ein Bewohner von New Orleans, Trudeau solle sein neu erworbenes und am Mississippiufer gelegenes Land vermessen.121 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts bezogen die Landansprüche sich immer öfter auf Konzessionen. Die Côte des Allemands war nicht mehr nur die Heimat von subsistenzwirtschaftenden Kleinbauern, sondern von großen Konzessionären; die Vermessungen von 1779 bestärkten diesen Eindruck. Das Flurstück von Rixner wurde als typische Langstreifenflur dargestellt, neben seinem Wohnhaus in Ufernähe zum Mississippi wurden auch die Sklavenbehausungen im hinteren Teil des 117 Vgl. Edward F. Haas, „Odyssey of a Manuscript Collection: Records of the Surveyor General of Antebellum Louisiana“, Louisiana History 27:1 (1986): 5–26, hier 6. Laut Haas diente Trudeau zwischen 1786 und dem 13. Dezember 1805 als Landvermesser. Die Dokumente zur Côte des Allemands legen allerdings nahe, dass Trudeau seine Arbeiten bereits vorher, das heißt Ende der 1770er Jahre, aufgenommen hatte. 118 Mississippi Archives, MA/98.0137(a), „Luisiana ano de 1782 costa de los alemanes distrito de la paroquia Sn. Carlos Sabre la margen derecha de rio, Carlos Trudeau“, 1782. 119 Louisiana State Museum (LSM), Records of the French Superior Council, 1714–1769, and the Spanish Judiciary Records, 1769–1803, folder #1730072201, „Succession of Sr. Delachaise, Senior Councilor of the Superior Council“, 22.07.1730. 120 Vgl. Campanella, Bienville’s Dilemma, 132. 121 HNOC, Mss. 306, Spanish Louisiana Collection, 1769–1803, folder 4

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Grundstückes vermerkt.122 Weitere Aufzeichnungen des Vermessers Trudeau vom Oktober 1801 bestätigten den ersten Eindruck. Rixners Flurstück, das zu diesem Zeitpunkt in das Eigentum seiner Witwe übergegangen war, wurde in einer Reihe von Langstreifenfluren dargestellt. Gleiches galt für die unzähligen weiteren Flurstücke an der Côte des Allemands, die von Trudeau ausschließlich in dieser Form erfasst wurden.123 Durch das Kartieren von Langstreifenfluren löste sich die Vorstellung von einer dörflichen Gemeinschaft an der Côte des Allemands nicht gänzlich auf. Die Wohngebäude wurden in den Kartierungen, wie erläutert, stets in Ufernähe markiert. Dadurch ergab sich mithilfe der Land Surveys und Survey Books das Bild einer langgezogenen, sich am Mississippiufer erstreckenden Siedlung, die durch die nachbarschaftliche Lage der Wohnhäuser eine Art von dörflich gemeinschaftlichem Charakter hatte. Die Enteignung der indianischen Gruppen in dieser „Nachbarschaft“ wurde unter der spanischen Administration weiter vorangetrieben, wie eine Reihe von Kauf- und Verkaufsverträgen zeigt. Dabei ging der Landtransfer von indianischen Gruppen an koloniale Siedler häufig mit dem Transfer von gemeinschaftlichem Besitz in privates Eigentum einher. Beispielsweise erwarb Antoine Lanclos, ein Habitant des Bayou Lafourche, von einer Gruppe der Chitimacha-Indianer im Juni 1803 ein Flurstück, dessen Flussufer im Kaufvertrag mit einer Größe von 35 Arpents de face angegeben wurde.124 Das Landvermessen der spanischen Verwaltung teilte den kolonialen Raum nicht nur einzelnen Personen zu; gleichzeitig wurde eine Vergrößerung der Parzellen suggeriert. Deren durchschnittliche Größe stieg in den 1780er und 1790er Jahren auf etwa fünf bis zehn Arpents de face an. An der Côte des Allemands war zwar weiterhin eine Vielzahl kleinerer Flurstücke zu verzeichnen, aber auch hier wuchs die Breite der Langstreifenfluren in Arpents de face stetig, während die „profondeur ordinaire“ größtenteils unverändert und unvermessen blieb.125 122 HNOC, Mss. 79, Spanish Colonial Land Grant Papers, 1767–1834, folder 14. 123 HNOC, MF 1, Louisiana Land Surveys Collection, A–65. 124 HNOC, Mss. 79, Spanish Colonial Land Grant Papers, 1767–1834, folder 11. 125 Siehe HNOC, MF 1, Louisiana Land Surveys Collection, A–65; HNOC, Mikrofilm 84–23–L, Mapas y Planos de la Flordia y la Luisiana, Doc #88, #111 und #112: Laut Trudeau hatten die Flurstücke der Witwe Rixner sowie der benachbarten Alfonze Frederic und Juan Berger, der zwei Flurstücke besaß, insgesamt eine Breite von „40 arpanes de fondo ordinario“. Im April 1781 hatte Trudeau die Uferbreite des Flurstücks von Jacobo Rixner mit „dies arpanes veinte y dos tuesas“ bemessen. Bei weiteren Vermessungen und Abbildungen im April 1787 legte Trudeau die Größe der angrenzenden Flurstücke von Iago Larche und Miguel Larche auf jeweils fünf Arpents de face fest. Die beiden Flurstücke waren ursprünglich Teil eines Flurstückes von

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Der Prozess des Kartierens war mit den Vermessungen durch die spanischen Beamten keineswegs abgeschlossen, sondern lediglich in einigen Punkten vorangeschritten, eben durch die Einführung von Land Surveys und Survey Books. Auch bezeugten die Survey Books nicht zwangsläufig einen Wandel der realen Raumbedingungen. Eher deuteten sie einen Wandel der Praktiken und Techniken des Vermessens an. Die Land Surveys und Survey Books unterschieden sich von den historischen Karten wesentlich, indem sie die Aneignung des kolonialen Raumes noch konsequenter an die Zuteilung von Privateigentum rückbanden. Zwar schärfte die spanische Verwaltung damit die Vorstellungen vom kolonialen Louisiana, welch „unüberschaubares Land“ die Unterhändler James Monroe und Robert Livingstone mit dem Louisiana Purchase am 2. Mai 1803 in Paris vom napoleonischen Frankreich erstanden hatten, war der amerikanischen Verwaltung jedoch nicht bewusst.126 Während der Louisiana Purchase von 1803 die Vereinigten Staaten um Präsident Jefferson auf bundesstaatlicher Ebene veranlasste, die Erkundungsexpeditionen von Meriwether Lewis und William Clark sowie Zebulon Pike zu initiieren, führte der Kauf auf lokaler Ebene zu einer weiteren Intensivierung des Landvermessens.127 Allerdings ging die Initiative für die Landvermessungen auch nach 1803 nicht ausschließlich von der Verwaltung aus. Wiederum waren es die Eigentümer der Flurstücke, die nach Bestätigungen verlangten und Landansprüche stellten. Ihre Ansprüche machten die Siedler immer stärker auf der Grundlage von Gewohnheitsansprüchen geltend. In diesem Sinne forderten sie nicht nur mithilfe von Verkaufs- und Kaufprotokollen oder sonstigen beurkundeten Eigentumsnachweisen zehn Arpents de face in Besitz von Joseph Larche gewesen. In den 1720er Jahren hatte die durchschnittliche Größe der Flurstücke der deutschen Siedler noch bei drei bis vier Arpents de face gelegen. Die französischen oder franko-kanadischen Habitants (nicht die Konzessionäre), zum Beispiel Joseph Larche, besaßen zu diesem Zeitpunkt bereits Flurstücke um zehn Arpents de face. 126 Spanien hatte die Kolonie Louisiana im Rahmen der Napoleonischen Kriege und des Geheimvertrags von Ildefonso am 1. Oktober 1800 an Frankreich zurücktransferiert. Allerdings überließ Frankreich die Administration Louisianas zunächst den Spaniern und übernahm diese mit Pierre Clément Laussat an der Spitze erst im März 1803, nachdem der Vertrag bekannt geworden war. Zeitgleich begannen die USA im Frühjahr 1803, sich um den Kauf der Stadt New Orleans sowie der Westflorida-Territorien zu bemühen. Die französische Administration und Laussat konzentrierten ihre Kräfte in der Folge auf den Transfer von Louisiana an die USA, siehe Kastor, Louisiana Purchase, 35–41. 127 Vgl. Kastor, Louisiana Purchase, 68. Laut Kastor waren die Expeditionen im Kontext von Gebiets- und Grenzstreitigkeiten mit Spanien zu verstehen.

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einen Raum für sich. Vielmehr leiteten sie ihre Ansprüche daraus ab, dass sie bereits seit langen Zeiten auf den Langstreifenfluren gelebt und diese bewirtschaftet hatten. Eine gewichtige Rolle kam in diesem Zusammenhang dem Vermesser Barthélémy Lafon und seinem Stellvertreter Alexandre Trouard zu, denen an der Côte des Allemands die Bestätigung der Landansprüche oblag.128 In Einzelfällen griffen Lafon und Trouard auf die Vermessungen von Trudeau zurück. Den Anspruch von Jaques Lische bewertete Trouard etwa wie folgt positiv: „Dieses Land wurde im Jahr 1785 von Don Carlos Trudeau für den Anspruchsteller, der seitdem, bis zum und nach dem 20. Dezember 1803 fortwährend auf diesem gewohnt und gewirtschaftet hat, vermessen“.129 In anderen Fällen erkannte Trouard die Ansprüche aufgrund vergangener Landzuweisungspolitiken der spanischen Verwaltung an. So bestätigte er den Anspruch von Leonard Perillon mit Verweis darauf, dass Perillon einen Teil seines Landes im Jahre 1785 rechtlich erworben und einen weiteren Teil über eine Landzuweisung des spanischen Gouverneurs Estaban Miró im Jahr 1787 erlangt hatte.130 Fehlten offizielle Landtitel, konnten diese, wie im Falle von André Hymel, durch einen Nachweis des fortwährenden Bewohnens und Bewirtschaftens ersetzt werden. Den Anspruch von Hymel bestätigte Trouard mit der Begründung, dieser hätte zum Zeitpunkt des Louisiana Purchase auf dem beanspruchten Land gelebt sowie gewirtschaftet und dies dem Anschein nach auch in den zehn Jahren zuvor 128 Barthélémy Lafon wird in den verschiedenen Dokumenten als „arpenteur juré pour le Territoire d’Orléans“, das heißt als vereidigter Vermesser für das Orleans Territorium, bezeichnet, Alexandre Trouard als dessen „arpenteur commissaire“, das heißt als dessen stellvertretender Vermesser. Geboren in Frankreich erreichte Barthélémy Lafon New Orleans im Jahr 1789 oder 1790. Der Architekt entwarf verschiedene Gebäude für die Stadt und diente von 1806 bis 1809 unter der amerikanischen Administration als Deputy Surveyor of Orleans County, siehe HNOC, Mss. 408 Barthélémy Lafon Survey Books, Vol. 2, N° 170, sowie Dictionary of Louisiana Biography, 476: „LAFON“. 129 NA, M1382, Reel 3, Bound Records of the General Land Office Regulating to Private Land Claims in Louisiana, 1767–1892, #9: „The land was surveyed by Don Carlos Trudeau in the 1785 for the claimant who has continued to inhabit and cultivate the same ever since that period until on and after the 20th Dec. 1803“. 130 NA, M1382, Reel 3, Bound Records of the General Land Office Regulating to Private Land Claims in Louisiana, 1767–1892, #1: „It appears that the first forty arpents of said land were purchased at a Judicial sale made of it in the year 1785, and that for the second depth the claimant obtained from Governor Estevan Miro a complete grant, date 8th June 1787“.

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getan.131 Mit der gleichen Begründung bestätigte Trouard den Siedlern Labranche, Michel Veber, der Witwe Staire und unzähligen anderen ihr Eigentum. Die neue amerikanische Verwaltung gab damit einer Vielzahl von Siedlern die Möglichkeit, ihre Eigentumsansprüche rechtlich zu verbriefen und gegenüber Dritten abzusichern.132 Neben den zahlreichen Bestätigungen von Ansprüchen fanden sich einige Ablehnungen. Trouard lehnte eine Reihe von Forderungen ab, die auf die Zuteilung einer „second depth“ der Flurstücke zielten. Unter der „second depth“ wurde im territorialen Louisiana die Verdoppelung der „profondeur ordinaire“ von 40 auf 80 Arpents verstanden. Eine Verdoppelung wies Trouard meist mit der Begründung zurück, dass zwar ein Titel, ein Kaufvertrag oder ein sonstiger Anspruch für das Flurstück bestehe, dieser jedoch kein Anrecht auf eine „second depth“ beinhalte.133 Die Forderungen der Anspruchsteller resultierten größtenteils aus den unklaren Flurstücksgrößen, deren Länge, wie dargelegt, nur über die Angabe der „profondeur ordinaire“ definiert, jedoch nicht exakt festgelegt war. Im Verlauf der territorialen amerikanischen Verwaltung versuchten die zuständigen Beamten und Vermesser, diese Unklarheiten langsam zu beseitigen. Insbesondere Graphometer, Grenzmarker und Kompasse sollten das Vermessen der Côte des Allemands präzisieren.134 Dabei wurde der Einsatz dieser technischen Hilfsmittel mit den tradi-

131 NA, M1382, Reel 3, Bound Records of the General Land Office Regulating to Private Land Claims in Louisiana, 1767–1892, #16: „It appears that the claimant did actually inhabit & cultivate the land now claimed on the 20th Dec. 1803 & that the same was continually inhabited and cultivated by him or those under whom he claims for more than ten consecutive years“. 132 Siehe Bound Records, NA, M1382, Reel 3, Bound Records of the General Land Office Regulating to Private Land Claims in Louisiana, 1767–1892, #1–104. 133 Die abgelehnten Landansprüche sind auf dem gleichen Reel unter der Rubrik „Rejected Claims from the Register of A. Trouard, Deputy Register for the County of German Coast“ versammelt, siehe NA, M1382, Bound Records of the General Land Office Regulating to Private Land Claims in Louisiana, 1767–1892, #79, Mathias Ory: „The claimant purchased this second depth together with the front and first depth in the year 1791 from Jean Treguer, but he shows no evidence of title in Treguer to the second depth.–We are of the opinion that this claim to a second depth ought to be rejected“. 134 Siehe HNOC, Mss. 408 Barthélémy Lafon Survey Books, Vol. 2, N° 110: „arrive au point M j’ai dirigé mon Graphomètre au S 60° O par N 8° 30’ et mesurant 60 toises, j’ai planté une borne en N; de ce point, mesurant 30 toises j’ai planté une autre borne

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tionellen Angaben und Abbildungen verknüpft. So nahmen der Vermesser Trouard und der örtliche Richter Pierre Bouchet St. Martin beim Transfer eines Flurstückes von François Pochet an Madame Jacques Nicolas Matherne die jeweiligen Nachbarn in das Vermessungsprotokoll mit auf, die als Zeugen für den Landverkauf assistierten.135 Ihre Flurstücke stellten ferner die Fixpunkte für das Vermessen des Raumes dar. Das Protokoll zum Landverkauf zwischen Pochet und Madame Matherne schloß dementsprechend mit den Worten, es handele sich um ein Flurstück, das im „Süden von Jn Pierre Folse, im Norden vom Mississippi, im Osten von Francois Pochet und im Westen von Jn Pierre Folse“ begrenzt sei. Zudem erläuterte das Protokoll die Flurstückslänge und -beschaffenheit: Die Parzelle habe eine Länge von 41 Arpents und 300 Klaftern, von denen fünfzehn kultiviert und der Rest mit Zypressenwald und nicht von Gräsern oder Sumpf bedeckt seien.136 Damit vermittelte das Vermessen der amerikanischen Verwaltung ein in dieser Präzision unbekanntes Wissen zur Verteilung von Landeigentum an der Côte des Allemands. Es verband die traditionellen Techniken der kolonialen Raumaneignung mit neueren Techniken der Landvermessung. In den Protokollen fanden sich zwar weiterhin die klassischen Abbildungen von Langstreifenfluren, deren Abgrenzungen in der Breite, das heißt zum Flussufer hin, durch die benachbarten Flurstücke definiert wurden. Ihre Angaben konkretisierten die amerikanischen Beamten mit detaillierten Messungen, die die Länge der Flurstücke festhielten und diese über Grenzmarker physisch kennzeichneten. Wie für die spanische Verwaltung konstatiert, war auch unter der territorialen amerikanischen Verwaltung weniger ein Wandel der realen Raumbedingungen, denn ein Wandel der Praktiken

en O; mesurant 1130 toises j’ai arrêté mes mesures. La ligne ayant en longueur 40 arpents ou 1200 toises. De la j’ai mesuré 208t sur la ligne EF courant N. de ma boussole“. 135 Deutlich wurde diese Funktion durch die Bezeichnung der Nachbarn als „témoins d’assistance“ in den Verkaufsprotokollen, siehe HNOC, Mss. 408 Barthélémy Lafon Survey Books, Vol. 2, N° 171: „Alors étant présents, les voisins limitrophes, Jn Pierre Folse, voisin inférieur, Jacques Matherne, représentant sa femme, propriétaire, Pierre Bouchet St Martin, Juge de la Paroisse St. Charles, André Pochet, Antoine Sanchez, Mathieu fils, témoins d’assistance, […]“. 136 HNOC, Mss. 408 Barthélémy Lafon Survey Books, Vol. 2, N° 171: „De telle sorte qu’il résulte en faveur de Mme. Jacques Matherne un lot de terre borné au Sud par Jn Pierre Folse, au Nord par le Mississipi, à l’Est par Francois Pochet et à l’Ouest par Jn Pierre Folse, ayant en surface quarente un arpens 300 toises dont quinze de terre à culture, le reste de Cipière, point de Prairie haute, ou de Marais“.

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des Vermessens festzustellen; und – mit Blick auf die neuen Gerätschaften – ein Wandel der Techniken des Vermessens.

3.7 „L A L UISIANA, ESTE INMENSO PAIS “? D AS UNERMESSLICHE L OUISIANA Das Vermessen des Raumes begann mit der Fertigung von Karten und wurde durch mannigfaltige Journale, Histoires und Memoiren ergänzt. Über diese konnten erste Aussagen zum Raum des kolonialen Louisiana getroffen werden, die im Laufe der Jahre durch unzählige weitere Karten, Land Surveys und Survey Books den Prozessen der Verfestigung, Modifikation und des Wandels unterlagen. Dadurch entwickelten sich, teils nebeneinander, verschiedene Vorstellungen des kolonialen Louisiana, das trotz aller Bemühungen ein „unüberschaubares“ bzw. unermessliches Land blieb. Sowohl die Karten als auch die Survey Books stellten weiterhin weniger reale Verhältnisse, denn Repräsentationsfolien lokaler und globaler Machtbeziehungen dar. Die Pariser Kartographen nahmen hierbei eine besondere Position ein. Einerseits sammelten sie die Informationen der kolonialen Beamten, Geistlichen und Abenteurer und fügten in ihren Werkstätten die kartographischen Puzzleteile zusammen. Andererseits produzierten sie im Prozess dieses Zusammenfügens neues räumliches Wissen, das durch die Verhältnisse in Frankreich und die Aushandlungsprozesse zwischen Metropole und Kolonie bestimmt war. Die Darstellung der Côte des Allemands in den Karten war entsprechend als ein Teil dieser Aushandlungsprozesse zu begreifen, die Karten generell waren demnach als Repräsentationsfolien dieses Aushandlungsprozesses zu verstehen. In diese Repräsentationsfolien wurden die Deutschen eingepasst. Deutschsein bedeutete hier zunächst, besitzlos zu sein – wie aus der Zuweisung von Privateigentum in Form von Terrains, Flurstücken und Langstreifenfluren an die Konzessionäre hervorging. Mit Ausnahme des Kommandanten D’Arensbourg wurden die Deutschen in den frühen Karten des kolonialen Louisiana von diesen Zuweisungen ebenso ausgeschlossen wie die indianischen Gruppen. Die Deutschen hatten, wie die St. Charles Parish Original Acts für die 1740er Jahre dokumentierten, nur eine Art von Besitzrecht inne, das zum Kauf, Verkauf und Tausch von Habitationen berechtigte, aber nicht einem Eigentumsrecht per se entsprach. Erst durch die Survey Books der spanischen und amerikanischen Verwaltung wurde den Deutschen die Zuweisung von Land bestätigt. Die Survey Books signalisierten den Übergang der Flurstücke vom Besitz in das Eigentum der Deutschen; ihre Einführung markierte für die Geschichte der Côte des Allemands eine Zäsur.

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Eine solche Zäsur zeugte weniger von einem Wandel der realen Raumbedingungen, sondern eher von einem Wandel der Praktiken und Techniken des Vermessens. Sie begann mit der aktiven Aufnahme der Vermessungsbemühungen unter der spanischen Verwaltung und wurde durch die Bemühungen der amerikanischen Verwaltung fortgesetzt. Deutlich wurde dies in der Darstellung der Langstreifenfluren. Über sie konnten Unterschiede von Gemeinschaftlichkeit und Privatem, von Besitz und Eigentum sowie von Wirtschaftlichkeit und Kultivierung ausgedrückt werden. Dabei wurden die Deutschen an der Côte des Allemands, auch wenn ihr Eigentum nun individualisiert dargestellt wurde, weiterhin als Gemeinschaft abgebildet. Berücksichtigt man die Bezeichnungen der Côte des Allemands als „paroisse St. Charles“ müsste gar folgende Schlussfolgerung getroffen werden: Deutschsein bedeutete zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Teil einer katholischen Gemeinschaft zu sein. Die Aneignung des kolonialen Raumes, oder besser, der Versuch eine solche Aneignung zu suggerieren und sie gegen die Widerstände der Kolonisierten und anderer Gruppen, wie den Deutschen, durchzusetzen, endete keinesfalls mit dem Kartieren. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelten die kolonialen Beamten weitere Praktiken, um die Aneignung der Côte des Allemands zu kodifizieren.

4.

Zählen und Zensusberichte

4.1 D IE G RUNDLAGEN DES Z ÄHLENS Die Reise der Deutschen nach Louisiana vorbereitend, begleitend und dokumentierend, verfassten die französischen Beamten eine Vielzahl von Passagierlisten, Zensusberichten und Inventarlisten, in denen sie die Migranten zählten und die Umstände ihrer Passage beschrieben. Die Beamten erschufen damit ein System, in dem, analog zu den Karten des kolonialen Louisiana, die Vorstellungen von den Deutschen produziert, teils ergänzt und modifiziert wurden. Die Karten und Zensusberichte waren Teil eines neuen Raumverständnisses. Dieses entwickelte sich, wie Lars Behrisch feststellt, mit Beginn des 18. Jahrhunderts und ging von geographisch abgeschlossenen, politischen Territorien aus, die durch das Zählen und Kartieren räumlich geordnet wurden.1 Für die Deutschen begann der Prozess des Gezähltwerdens mit ihrer Reise von Frankreich nach Louisiana, zumeist in der bretonischen Hafenstadt Lorient, wo sie von französischen Beamten in Passagierlisten registriert wurden. Dabei führten die Beamten den Begriff der Deutschen ein und vermerkten, dass die Deutschen für die Kontraktarbeit auf einer Konzession des Bankiers und Compagnie-Direktors John Law vorgesehen waren. An der Côte des Allemands im kolonialen Louisiana eingetroffen, wurden die Neuankömmlinge zuerst im Zensus von 1721 gezählt. Weitere Zensuserhebungen folgten in den Jahren zwischen 1721 und 1732

1

Lars Behrisch fasst „Maß und Zahl als zentrale politische Wahrnehmungs- und Steuerungskategorien“ zusammen und versteht Vermessen und Zählen als Techniken der politischen Ordnung des Raumes, vgl. Lars Behrisch, „Vermessen, Zählen, Berechnen des Raums im 18. Jahrhundert“, in Vermessen, Zählen, Berechnen: Die politische Ordnung des Raums im 18. Jahrhundert, hrsg. v. ders. (Frankfurt: Campus, 2006), 7–25, hier 7 und 16.

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sowie, obgleich sehr sporadisch, während der gesamten französischen Kolonialzeit.2 Durch die Zählungen versuchte die Verwaltung eine Form von Kontrolle über den kolonialen Raum zu suggerieren. So entwarfen die Beamten ein totalisierendes und klassifizierendes Raster, dessen endlose Flexibilität und Variabilität es erlaubte, Personen, Regionen, Religionen, Sprachen und Waren unter die administrative Ordnung des Staates zu stellen. Ziel war es, Dinge und Subjekte in zählbare und beschreibbare Einheiten zu verwandeln, Distinktionskategorien zu schaffen und vorgestellte Gemeinschaften und Nationen zu entwickeln, die Benedict Anderson unter dem Begriff der „imagined communities“ diskutiert hat.3 Auch die Deutschen und ihre Dörfer wurden als eine solche Gemeinschaft vorgestellt und als begrenzt und souverän imaginiert. Die Deutschen konstituierten eine „communauté“, wie es im Zensus von 1724 hieß, „weil sie, unabhängig von realer Ungleichheit und Ausbeutung, als ‚kameradschaftlicher‘ Verbund von Gleichen“ verstanden wurden.4 Geographisch in ihrer Ausdehnung beschränkt und politisch in die Kolonie Louisiana eingegliedert, unterstanden die Dörfer dem Kommandanten Karl Friedrich D’Arensbourg, der die französische Administration vor Ort repräsentierte.5 Die Deutschen an der Côte des Allemands bildeten also eine imaginierte Gemeinschaft. Als solche wurden sie in den Prozess der Aneignung des kolonialen Raumes integriert und Teil der französischen Kolonialgesellschaft. Der Ethnologe Arjun Appadurai hat diesen Prozess der Einpassung kolonialer Akteure mit der Aneignung des kolonialen Raumes durch Karten verglichen. Die Körper der Deutschen wurden demnach über die Zensusberichte ebenso in das koloniale Louisiana

2

Vor allem ANOM, G1, 464, „Liste generale de tous les passagers pour la Louisianne depuis le 4.e janvier 1720 jusqu’ en compris le 24 janvier 1721 fait a Lorient le dt. jour“, 24.01.1721, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724.

3

Vgl. Dominique Arel und David I. Kertzer, „Censuses, Identity Formation, and the Struggle for Political Power“, in Census and Identity, hrsg. v. dies. (Cambridge: Cambridge University Press, 2002), 1–42, hier 5f., sowie Anderson, Imagined Communities, 6 und 184; siehe auch die deutsche Übersetzung von Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation: Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts, übers. v. Benedikt Burkard (Frankfurt: Campus, 1988), 15.

4

Anderson, Erfindung der Nation, 17.

5

Vgl. Anderson, Imagined Communities, 7.

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eingebettet wie das Gebiet der Côte des Allemands über die Karten: „statistics are to bodies and social types what maps are to territories: they flatten and enclose“.6 Allerdings stellten die Zensusberichte lediglich eines von vielen Werkzeugen des Zählens dar. Auch in Korrespondenzen, Heiratsverträgen und Inventarlisten sowie in Dokumenten zu Landverkäufen und Landzuteilungen wurden die Deutschen permanent gezählt. Eine besondere Rolle fiel in diesem Geflecht des Zählens den kolonialen Beamten zu. Sie, so argumentiert Peter Becker, waren keine „ent-subjektivierten Aufzeichnungsmaschinen“, „die in ihrer Arbeit nur den aufgeklärten und überlegenen Blick […] reproduzierten“; vielmehr schufen die Beamten mit ihrem Zählen das Wissen, das sie ursprünglich nur dokumentieren sollten.7 Die kolonialen Beamten nahmen Fremdzuschreibungen vor und erstellten eine Serie von Texten, in denen die Aussagen zu den Deutschen sowie die Zuschreibungsgrenzen geordnet wurden.8 Auch an der Côte des Allemands traten die kolonialen Beamten also als Produzenten von Wissen auf. Folglich waren sie eher als Autoren der Gruppierung und Ordnung von Aussagen, denn als sprechende Individuen zu begreifen: „Was es schreibt und was es nicht schreibt, was es entwirft, und sei es nur eine flüchtige Skizze, was es an banalen Äußerungen fallen läßt – dieses ganze differenzierte Spiel ist von der Autor-Funktion vorgeschrieben, die es von seiner Epoche übernimmt und die es seinerseits modifiziert. Und wenn es das traditionelle Bild, das man sich vom Autor macht, umstößt, so schafft es eine neue Autor-Position, von der aus es in allem, was es je sagt, seinem Werk ein neues, noch verschwommenes Profil verleiht“.9

HistorikerInnen wie Helmut Blume, Reinhart Kondert und Ellen Merrill haben in der Vergangenheit weder Autor-Funktion noch Autor-Position hinterfragt. Die Kennzeichnungen der Familien als deutsch wurden von den französischen Beamten schlicht übernommen und dadurch koloniale Zuschreibungen wie jene vom

6

Arjun Appadurai, „Number in Colonial Imagination“, in Orientalism and the Postcolonial Predicament: Perspectives on South Asia, hrsg. v. Carol A. Breckenridge und Peter van der Veer (Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press, 1993), 314–340, hier 334.

7

Peter Becker, „Beschreiben, Klassifizieren, Verarbeiten“, 416.

8

Vgl. Sarasin, Diskursanalyse, 34f.

9

Vgl. Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses (Mit einem Essay von Ralf Konersmann), übers. v. Walter Seitter (Frankfurt: Fischer, 112010), 21f.

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Fleiß der Deutschen reproduziert.10 Die so generierten Meistererzählungen zu den Siedlern drückten die Sehnsucht nach einer kollektiven oder kulturellen Identität der Deutsch-Amerikaner im 19. und 20. Jahrhundert aus. Nicht zuletzt der Historiker Jörn Rüsen hat auf diese Verbindung von kultureller Identität und Meistererzählung hingewiesen: „Diese weiteste und zugleich tiefste Prägung von Identität, die wir mit dem Ausdruck ‚Zivilisation‘ oder eben ‚Kultur‘ versehen, drückt sich in einer ganz spezifischen Weise aus: Durch Meistererzählungen (master narratives). Meistererzählungen sind Antworten auf die Frage nach der kulturellen Identität“.11 Die Sehnsucht nach einer kulturellen Identität führte zur leichtfertigen Übernahme von kolonialen Narrativen bzw. von Meistererzählungen. Dabei wurde übersehen, dass die Deutschen nur im Verhältnis zu einem Anderen gezählt und beschrieben werden konnten. Dieses Andere wurde aber oftmals verschwiegen; stattdessen wurden die gemeinschaftlichen Züge der Deutschen hervorgehoben.12 Dass die Deutschen überhaupt in den kolonialen Narrativen und den Meistererzählungen Erwähnung fanden, ist mit einem Wandel der Diskursbeziehungen

10 Exemplarisch sind die nahezu unkommentierten Abdrucke der kolonialen Zensusberichte sowie die genealogischen Bemühungen, siehe William Beer, „Early Census Tables of Louisiana“, Publications of the Louisiana Historical Society 5 (1911): 79–103; Maduell, Census Tables; Jacqueline K. Voorhies, Some Late 18th Century Louisianans: Census Records 1758–1796 (Lafayette, LA: University of Southwestern Louisiana, 1973); Albert J. Robichaux, Jr., Louisiana Census and Militia Lists, 1770–1789 (Harvey, LA: 1973); ders., German Coast Families. Siehe auch Vgl. Blume, Entwicklung der Kulturlandschaft des Mississippideltas; Kondert, Germans of Colonial Louisiana; ders., D’Arensbourg; Merrill, Germans of Louisiana. 11 Jörn Rüsen, „Einleitung: Für eine interkulturelle Kommunikation in der Geschichte: Die Herausforderung des Ethnozentrismus in der Moderne und die Antwort der Kulturwissenschaften“, in Die Vielfalt der Kulturen: Erinnerung, Geschichte, Identität, hrsg. Michael Gottlob, Achim Mittag und Jörn Rüsen (Frankfurt: Suhrkamp, 1998), 12–36, hier 23. 12 Vgl. Ernesto Laclau und Lilian Zac, „Minding the Gap: The Subject of Politics“, in The Making of Political Identities, hrsg. v. Ernesto Laclau (London: Verso, 1994), 11–39; Sarasin, Diskursanalyse, 49. Die Meistererzählungen stellen eine vom historischen Kontext abhängige Konstruktionsleistung dar und bieten den Blick in die institutionellen Produktionsbedingungen, die Hierarchien und Machtbeziehungen sowie die Ordnungsprinzipien der Gesellschaften. Methodisch knüpft diese Perspektive an die Überlegungen von Monika Gibas, Frank Hadler und Matthias Middell an, „Historisches Erzählen“, 21.

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im Europa des 18. Jahrhunderts zu erklären. Lange Zeit hatte dort das Leben nur dann in den Diskurs Eingang gefunden, wenn es vom Fabelhaften und Heldentümlichen durchdrungen war. Nur die Gesten der Großen, so Michel Foucault, waren würdig gesagt zu werden: „[A]llein das Blut, die Geburt und die Heldentat gaben ein Recht auf Geschichte“.13 Mit dem Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert löste sich diese Diskursbedingung sukzessive auf. Es begann ein Prozess, den Foucault mit dem Zugriff der Macht auf das Gewöhnliche und mit der Diskursivierung des Alltäglichen beschrieben hat. Die Migration der Deutschen nach Louisiana fiel in diesen Zeitraum des Wandels. Das Zählen in Zensusberichten, Korrespondenzen, Heiratsverträgen sowie in Landverkäufen, Landzuteilungen und Landerschließungen war an einem Knotenpunkt situiert, an dem zum einen das Fabelhafte und Heldentümliche und zum anderen das Gewöhnliche und Gemeinschaftliche im Diskurs des Alltäglichen nebeneinander bestanden.14

4.2 D ER Z ENSUSBERICHT

VOM

12. N OVEMBER 1724

Als richtungsweisendes Dokument für die soziale und politische Ordnung der Côte des Allemands erwies sich der Zensusbericht des französischen Beamten Perry vom 12. November 1724.15 Für die deutsch-amerikanischen Filiopietisten war der Bericht der entscheidende Nachweis dafür, dass es sich bei den Siedlern der Côte des Allemands um Deutsche handelte. Schließlich, so die Begründung, war der Bericht mit den Worten „Zensus der Gemeinschaft des Dorfes der Deutschen Hoffen“ überschrieben und habe die Herkunft der Siedler in deutschsprachigen Räumen verortet. Ein ergänzender Zensusbericht, der den Raum zwischen New Orleans und der Côte des Allemands erfasste, bestätigte diese Argumentation mit dem Titel „Zensus der Bewohner von der Stadt New Orleans bis Ouacha oder dem Dorf der Deutschen“.16

13 Foucault, Leben der infamen Menschen, 36. 14 Vgl. ebd., 16–17, 32–36, 43–46. 15 Perry fügte den Zensusbericht in einem Brief an die koloniale Verwaltung in New Orleans bei, wie ein Vermerk auf der letzten Seite des Berichtes verriet: „Recue avec la lettre de Mr. Perry du 20. Nbre 1724“, ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724. 16 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724.

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Solche Argumentationen historisierten den Begriff der ‚Allemands‘ nicht, obschon bereits die Encyclopédie der Philosophen und Aufklärer Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert darauf verwiesen hatte, dass im Frankreich des 18. Jahrhunderts verschiedene Bedeutungen parallel zirkulierten. Es dominierten jene Bedeutungen, die den Begriff der ‚Allemands‘ weniger mit Kriterien wie Sprache oder Ethnie, sondern mit einem geographischen Raum verbanden. Die Encyclopédie orientierte sich bei ihren Zuschreibungen an den Flüssen Rhein, Donau, Elbe sowie Oder.17 Ferner wurden die Deutschen über die geographische Nachbarschaft zu Frankreich definiert. Mit ihrem Zählen knüpften die kolonialen Beamten an diese Vorbedingungen an und verorteten die Deutschen stets im Vergleich zu Frankreich, den Franzosen und der französischen Heimat.18 In Frankreich existierten seit Längerem unterschiedliche, teils gegensätzliche Deutschlandbilder und -stereotype. Bei aller Widersprüchlichkeit hoben diese vornehmlich die Schwerfälligkeit, den mangelnden Esprit sowie die Streitsucht und Trinksitten der Deutschen hervor. Im Prozess der Ausformung eines französischen Nationalbewusstseins entwickelten die Stereotype eine integrierende Wirkung nach innen bei gleichzeitiger Abgrenzung nach außen. Parallel wurden die Stereotype von der französischen Literatur seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hinterfragt und Simplifizierungen zurückgestellt. Es kam zu einem Umschwung, der eine positive Bewertung deutscher Leistungen möglich machte.19

17 Siehe Encyclopédie, 1:282: „ALLEMANDS, s. m. ce peuple a d’abord habité le long des rives du Danube, du Rhin, de l’Elbe, & de l’Oder“, sowie Dictionnaire Universel Francois et Latin (Paris: 1743): 1:326f. Stets wurden die „Allemands“ als die Bevölkerung beschrieben, „qui a occupé la vieille Germanie, qui habite le long des rives du Rhin, du Danube, de l’Elbe, & de l’Oder“. 18 Laclau und Mouffe erläuterten die wechselseitigen Bedingungen von identitären Zuschreibungen wie folgt: „Nur durch den Gegensatz zu einem ihre Einheit postulierenden Diskurs erscheint ein Ensemble von [identitären] Elementen“ als anders, als fragmentiert und als verstreut. Außerhalb der diskursiven Struktur ist es unmöglich, von Fragmentierung zu sprechen, noch lassen sich Elemente spezifizieren, vgl. Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Hegemonie und radikale Demokratie: Zur Dekonstruktion des Marxismus (Wien: Passagen, 1991), 143. 19 Mit Blick auf das Heilige Römische Reich (deutscher Nation) bzw. das „Alte Reich“ wurde ein deutsches Territorium vorgestellt, für das unter anderem die Begriffe „Empire“, „Corps Germanique“, „l’Allemagne“, „Empire d’Allemagne“ oder „Empire Romano-Germanique“ kursierten, vgl. Martin Wrede, „Frankreich, das Reich und die deutsche Nation“, in Die deutsche Nation im frühneuzeitlichen Europa: Politische Ordnung und kulturelle Identität?, hrsg. v. Georg Schmidt (München: Oldenbourg, 2010),

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Der koloniale Beamte Perry griff diese Tendenzen in seinen Zählungen und Beschreibungen auf. Im Zensusbericht aus dem Jahre 1724 hob er die dörfliche Struktur der Côte des Allemands hervor und vermittelte das Bild eines idealtypischen französischen Dorfes am Mississippiufer: „Dieses Dorf erscheint wie ein französisches Dorf. Die Hütten stehen entlang einer Straße, ihre Höfe und Gärten dahinter auf ihrem Gelände. Wenn man sich an diesen Orten befindet, vergisst man zunächst, dass man in Louisiana ist, weil es scheint, als sei man in einem französischen Dorf“.20 Der Begriff „village“ klassifizierte die Siedler als Dorfbewohner, weckte Assoziationen von kleinen, aneinander gereihten Flurstücken und trennte diesen Raum von den angrenzenden Konzessionen und deren Eigentümern ab. Mit der Erwähnung der Höfe und Gärten begründete Perry die Vorstellungen von einer land- und subsistenzwirtschaftlich geprägten Siedlung. In diesem Sinne ordnete Perry jedes der Flurstücke einem Siedler zu, dokumentierte die Familienmitglieder und vermerkte deren Alter, Herkunft, Religion und Beruf. Des Weiteren beschrieb Perry den Zustand der einzelnen Flurstücke. Der Leser konnte sich anhand des Zählens und Beschreibens von Perry die Côte des Allemands bildlich vor Augen führen. Referenzpunkt blieb das koloniale Machtzentrum Frankreich.21

157–177, hier 164–169. Siehe auch Sven Externbrink, Friedrich der Große, Maria Theresia und das Alte Reich: Deutschlandbild und Diplomatie Frankreichs im Siebenjährigen Krieg (Berlin: Akademie Verlag, 2006), 27ff, sowie Thomas Höpel, „Deutschlandbilder – Frankreichbilder, 1700–1850, Einleitung“, in Deutschlandbilder – Frankreichbilder 1700–1850: Rezeption und Abgrenzung zweier Kulturen, hrsg. v. ders. (Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2001), 7–19, hier 12. 20 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, Beschreibung zwischen #38–39: „Ce village parrait un village français. Les Barragues sont le long d’une rue, leur cours et jardins derriere et ensuitte leur terraines, quand on se trouve sur ces lieux on oublie d’abord quon soit a la Louisianne parcequil parrait quon est dans un village français“. 21 Frankreich, das koloniale Machtzentrum, wird hier nach Sarasin verstanden. Das heißt, das koloniale Machtzentrum war jener Ort des Aussagens, der historisch, sozial und kulturell bestimmte Ausgangspunkt, den „ein Subjekt einnehmen muss, wenn es im Rahmen eines Diskurses etwas sagen will, das als wahr gelten soll“, Sarasin, Diskursanalyse, 34. Zum Begriff „village“, siehe Encyclopédie, 17:276: „VILLAGE, s. m. (Gramm. & Hist. mod.) assemblage de maisons situées à la campagne, qui pour la plupart sont occupées par des fermiers & paysans, & où se trouve ordinairement une paroisse, & point de marché“.

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Im Zensus lieferte Perry für jedes Flurstück die Informationen zu einer Person, zumeist zum ansässigen Mann. Informationen zu Frauen bot er nur dann, wenn diese verwitwet oder von ihren Männern getrennt lebend ein Flurstück kultivierten. Dies war für Catherine Wellerin, Anne Cohn, Madelaine Fronberger, Marguerite Reynard und Catherine Hencke der Fall.22 Grundsätzlich listete Perry die Namen der Männer auf, weitere Personen wurden lediglich anonym gezählt. Für das Flurstück des erstgenannten Siedlers, Simon Lambert, dokumentierte Perry „sa femme“, seine Frau, und „son fils“, seinen Sohn, für den zweitgenannten Conrad Frederic ebenso „sa femme“ und „cinq enfans“, seine Frau und fünf Kinder.23 Zusätzlich machte Perry Angaben zum Alter der Siedler. Über Neugeborene, die „enfant a la mamelle“, bis hin zum 64-jährigen Maurice Kobel waren in Perrys Zensusbericht alle Altersgruppen vertreten. Insgesamt zählte der französische Beamte 59 Kinder, 57 Frauen und 53 Männer, erfasste also 169 Personen auf sechzig Flurstücken.24 Perry zeichnete das Bild einer Gemeinschaft, deren demographische Voraussetzungen vielversprechend schienen, auch wenn die Alters- und Geschlechterverhältnisse an der Côte des Allemands um 1724 noch nicht auf ein natürliches Wachstum der Population hindeuteten. Zudem führte Perry die Familie als die dominierende Sozialform ein. Erzählungen, die später von eifrigen deutschen Hausfrauen und Müttern sprachen, fanden in Perrys Zensusbericht einen willkommenen Anknüpfungspunkt.25 Perrys Beschreibungen der Familien standen in auffälligem Kontrast zu den Verlautbarungen, die koloniale Beamte sonst mit Blick auf Einwanderer von sich gaben. Charles le Gac, ein Generaldirektor der Compagnie des Indes, hatte zum

22 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #27–31. 23 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #1 und #2. 24 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #4, #8, #10–#12, #37 und #39. 25 Siehe die Überlegungen des Historikers Paul LaChance zum Wachstum der Population in den Kolonien: „[…] females must give birth on average to two children who survive to marry and reproduce in turn for a population to grow through natural increase“ – diese Voraussetzung war an der Côte des Allemands um 1724 nicht gegeben. Vgl. LaChance, „Free and Slave Population of French Colonial Louisiana“, 229.

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Beispiel von „Verbrechern“ und „Ungeeigneten“ gesprochen, Gouverneur Bienville wiederholt Beschwerden über die in Louisiana ankommenden Migranten nach Paris versandt.26 Nicht selten war bei solchen Beschwerden die Rede von „Schmugglern“, „Vagabunden“, „Bettlern“, „Lüstlingen“, „Dieben“, „Mördern“ und „Prostituierten“.27 Der französische König hatte in einer Erklärung vom März 1719 diesem Diskurs Vorschub geleistet, indem er dem Transport von sogenannten Kriminellen in die Kolonien zugestimmt und veranlasst hatte, „dass unsere Gerichte […] anordnen können, die Männer in unsere Kolonien zu transportieren, damit sie dort als Kontraktarbeiter tätig sind“.28

26 Vgl. Charles Le Gac, Immigration and War, Louisiana, 1718–1721: From the Memoir of Charles Le Gac, hrsg. u. übers. Glenn R. Conrad (Lafayette, LA: University of Southwestern Louisiana, 1970), xi. Le Gac formulierte: „there were no knowledgeable workers among them, for the majority were bootlacks from Paris“ (7) und „the group numbered sixty-six people, all of whom were unsuitable colonists“ (8), sowie MPA 3:25, „Bienville to Pontchartrain“, 06.09.1704: „It would be difficult for this country to be able to subsist by itself so soon unless you send at once a large number of settlers here who will be able to support themselves by themselves against the enemies“. 27 Vgl. Mathé Allain, ‚Not Worth a Straw‘: French Colonial Policy and the Early Years of Louisiana (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1988), 68. ANOM, C, 13A, 6, folio 297/297verso, Chassin, 01.07.1722: Die nach Louisiana transportierten Frauen wurden von den dortigen Männern aufgrund ihres zweifelhaften Rufes sogar zurückgewiesen; ANOM, C, 13C, 1, folio 329–331, „Mémoire sur l’état actuel où est la colonie de la Louisiane pour juger de ce que l’on peut en espérer ([Après 1721])“. Jean Buvat, Journal de la Régence, 1715–1723, Bd. 1 (Paris: Henri Plon, 1865), 441: „Le 8 [Okt. 1719], on fit partir trente charrettes remplies de demoiselles de la moyenne vertu, qui avaient toutes la tête ornée de fontanges de rubans de couleur jonquille, et un pareil nombre de garçons qui avaient des cocardes de pareille couleur à leurs chapeaux, et qui allaient à pied. Les donzelles en traversant Paris chantaient comme des gens sans souci, et appelaient par leur nom ceux qu’elles remarquaient pour avoir eu commerce ensemble, sans épargner les petits-collets, en les invitant de les accompagner dans leur voyage au Mississipi“. 28 HNOC, Mss. 606 John Law Collection, Series 2, folder 151, Declaration du Roy, Donnée à Paris le 12. Mars 1719: Concernant les Vagabonds & Gens sans aveu. Registrée en Parlement (Grenoble: Gaspard Giroud, [1719]), 4: „Et cependant voulons que nos Cours & autres Juges de nôtre Royaume, Pa✁s, Terres & Seigneuries de nôtre obéissance dans le cas où lesdites Ordonnances, Edits & Declarations prononcent la peine des Galeres contre lesdits Vagabonds, puissent ordonner que les hommes seront transportés dans nos Colonies pour y travailler comme engagés“.

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Die Personen, die in der Folge auf die französischen Transportschiffe verschleppt und Teil der „émigration forcée“, der Zwangsmigration, wurden, entsprachen keineswegs den modernen Vorstellungen des Kriminellen. Unter den Kriminellen, aber auch unter den Landstreichern und Prostituierten, fanden sich etliche Personen, die aus den Straßen von Paris verschwunden waren, weil sie dort als „unerwünscht“ oder „nicht wohlgesehen“ betrachtet wurden. Arlette Farge und Jacques Revel haben gar von einer „Liste der Unerwünschten“ gesprochen und beispielhaft auf die Kinderdeportationen des Jahres 1720 verwiesen. Diese Deportationen waren „nie wohlgesehen, aber man kannte zumindest die Gründe dieser Maßnahmen, die Jungen und Mädchen bedroh[t]en: Zur ständigen Sorge um die öffentliche Ruhe und Ordnung kam die Absicht, gewaltsam Siedler für die Inseln und für Louisiana zu rekrutieren“.29 In einigen Fällen denunzierten Bürger soziale Konkurrenten als kriminell, um deren Deportation nach Louisiana zu erreichen und von ihrer Abwesenheit zu profitieren. Ein Honorarsystem, das die Besoldung nach der Anzahl von Festnahmen vorsah, spornte spezielle Polizeieinheiten an, systematisch Personen für den Transport nach Louisiana zu inhaftieren. In Paris traf es zum Teil auswärtige Geschäftsleute, die als Schmuggler oder Schwarzhändler verhaftet wurden. Wie der Begriff „Allemands“ stellten die Begriffe der Kriminellen und Landstreichenden Zuschreibungen dar, die wenig über die jeweilige Person aussagten. Nicht zuletzt Arlette Farge bemerkte, es verbiete sich, „von einem grundlegend kriminellen oder marginalen Verhalten zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine fast natürliche Integration strafbarer Handlungen, die im Rahmen des alltäglichen Lebens von gewöhnlichen Leuten begangen werden“.30 In den Berichten aus Louisiana wurde weiterhin bemängelt, dass es in der Kolonie an Familien fehlte bzw. Familiengründungen nur selten möglich waren, weil es an Frauen mangelte.31 Die französisch-kolonialen Akteure, gerade die Coureurs

29 Arlette Farge und Jacques Revel, Logik des Aufruhrs: Die Kinderdeportationen in Paris 1750, übers. Wolfgang Kaiser (Frankfurt: Fischer, 1989), 86. Vgl. auch ebd., 32. 30 Arlette Farge, Lauffeuer in Paris: Die Stimme des Volkes im 18. Jahrhundert, übers. Grete Osterwald (Stuttgart: Klett-Cotta, 1993), 151. Vgl. auch Glenn R. Conrad, „Émigration Forcée: A French Attempt to Populate Louisiana, 1716–1720“, in Proceedings of the Fourth Meeting of the French Colonial Historical Society, April 6–8, 1978, hrsg. v. James J. Cooke und Alf A. Heggoy (Washington, DC: University Press of America, 1979), 57–66, hier 63. 31 Siehe Pierre Margry, Mémoires et Documents pour servir à l’histoire origines françaises des pays d’outre-mer, Bd. 4 (Paris, 1881): Iberville an Pontchartrain, 02.07.1701, „Si vous souhaitez faire quelque chose de ce pays, il est absolument nécessaire d’y faire

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de Bois, würden daher, so hieß es, zu Verbindungen mit indianischen Frauen neigen, was den Aufbau einer europäischen Kolonialgesellschaft verhindere.32 Im Gegensatz dazu weckte Perrys Zählen an der Côte des Allemands die Hoffnungen auf eine Gemeinschaft von Familien, die eine Entwicklung der Kolonie garantieren konnten. Die Familien kultivierten die Flurstücke; Kinder versprachen

passer cette année des familles et quelques filles, qui se trouvent parentes de celles qui y veulent passer, que l’on mariera peu de jours après leur arrivée en ce pays-là“ (479); ebd., Mémoire Iberville, 20.07.1701, „Pour establir utilement ce pays, il seroit nécessaire d’y passer quelques familles; mais, comme ce seront de pauvres gens, il faudra, que Sa Majesté leur fasse quelque avances“ (484); Mémoire Iberville, n.d., „Il seroit nécessaire d’envoyer dans ces pays incessamment des familles, surtout de laboureurs, afin que l’on ne soit plus obligé d’y envoyer des vivres“ (603). 32 Vgl. Carl A. Brasseaux, „The Image of Louisiana and the Failure of Voluntary French Emigration, 1683–1731“, in Proceedings of the Fourth Meeting of the French Colonial Historical Society, April 6–8, 1978, hrsg. v. James J. Cooke und Alf A. Heggoy (Washington, DC: University Press of America, 1979), 47–56, hier 49; Kathleen DuVal, „Indian Intermarriage and Métissage in Colonial Louisiana“, William & Mary Quarterly 65:2 (2008): 267–304; Mathé Allain, „French Emigration Policies: Louisiana, 1699– 1715“, in Proceedings of the Fourth Meeting of the French Colonial Historical Society, April 6–8, 1978, hrsg. v. James J. Cooke und Alf A. Heggoy (Washington, DC: University Press of America, 1979), 39–46, hier 41. Die Historikerin Jennifer Spear hat in einem Aufsatz nachvollzogen, warum und wie französisch-koloniale Beamte und Geistliche „Métissage“-Beziehungen als hinderlich für die Entwicklung des kolonialen Louisiana deklarierten. Sie schlussfolgert: „In their efforts to establish Louisiana as a French colony, French and Canadian administrators in Louisiana, both secular and religious, saw families and farms as the necessary foundation for the re-creation of a European society. They quickly realized that Louisiana’s economy could not survive based on resource extraction since its furs and skins did not match the quantity and quality of those coming from New France, and Louisiana’s oft-sought-after mines proved elusive to find. The shift in focus to agriculture brought about a particular political and economic stage that, in the eyes of Louisianian officials, necessitated the calls for European brides. Euro-Louisianian constructions of Indian sexuality and its perceived effects on marriage practices as well as racial, cultural, and property-based concerns over the children of such relationships made marriages between Indian women and Euro-Louisianian men an unsuitable path to the twin goals of families and farms“, Jennifer M. Spear, „‚They Need Wives‘: Métissage and the Regulation of Sexuality in French Louisiana, 1699–1730“, in Love, Sex, Race: Crossing Boundaries in North America, hrsg. v. Martha Hodes (New York: New York University Press, 1999), 35–59, hier 51.

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die Entwicklung des Raumes über Generationen hinaus. Das Zählen der Deutschen erlangte dadurch eine besondere Bedeutung. Erst durch sie wurde die Familie im französischen Louisiana, mit Foucaults Worten, sagbar. In gewissem Maße stellte Perrys Zählen gar die Geburt der Familie im kolonialen Louisiana dar – und zwar nicht als Lebensgemeinschaft, sondern als Bedeutungsmuster, Narrativ und Wissensgeschichte.33

4.3 D AS D OKUMENTIEREN UND R ELIGION

VON

N AME , H ERKUNFT

Perry machte mit dem Zählen der Siedlerfamilien nicht halt, auch der Name und die Herkunft der Siedler wurden im Zensusbericht registriert. Der französische Beamte griff in diesem Prozess naturgemäß auf seine Muttersprache zurück; er zählte und beschrieb in Französisch und befeuerte so in späteren Zeiten die Fantasien der Genealogen und Filiopietisten. Unter diesen führte die Verwendung der französischen Sprache zu Ansätzen, die in den Zensusberichten der kolonialen Beamten die ursprünglich deutschen Namen zu identifizieren suchten. Federführend war erneut Hanno Deiler, der für sämtliche, im Zensus von 1724 gelisteten Siedler die deutschsprachigen Nomenklaturen herzuleiten gedachte. Laut Deiler beruhten die Schreibweisen von Siedlern wie Joseph Waguepak oder Jean Adam Edelmayer auf den deutschen Namen Joseph Wagensbach und Jan Adam Edelmeier.34 Explizit sprach er davon, dass die Namen der Deutschen unter den Händen der französischen Beamten gelitten hätten.35 Indem Deiler vom „Leid“ sprach, rückte er die Namensänderung in eine Reihe mit dem Leid, das die Deutschen nach ihrer Ankunft in Biloxi erfahren hatten. Allerdings, so Deiler weiter, seien die dortigen Ereignisse durch Schreibakte nicht zu fassen gewesen: „No pen can describe, nor human fancy imagine the hardships which the German pioneers of Louisiana suffered“.36 Während Deiler die französischen Nomenklaturen auf deutsche Ursprünge untersuchte, fiel ihm die Bestimmung der geographischen Herkunft einzelner Siedler

33 Vgl. Foucault, Leben der infamen Menschen, 44. 34 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #55 und #57. 35 Vgl. Deiler, German Coast, 77: „suffered at the hands of the French officials“. Siehe auch ebd., 119–127. 36 Ebd., 56.

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und Familien schwer. Perry hatte die Mehrzahl im heutigen südwestdeutschen Raum verortet. Als Herkunftsgebiete notierte er die Kurpfalz, Württemberg, Baden und Schwaben sowie die Bistümer Limburg, Speyer und Mainz. Beispielsweise stammte der erstgenannte Simon Lambert aus Oberebesheim im Bistum Speyer.37 Ein weiteres Gros der Familien, Perry nannte zehn, hatte die Reise nach Louisiana vom Elsass aus angetreten. Die Herkunft des erwähnten Joseph Waguepak wurde von Perry mit „gebürtig aus Schwobse im oberen Elsass“ angegeben.38 Daneben führte er die Siedler Jean Georges Trousler, Jean Georges Poch, Jean Adam Materne, Sebastian Funck, Jean Jacob Bebloquel, Jacob Oberle, Matthieu Frederic, Antoin Distelzue und André Strimphle als Elsässer ein.39 Politisch gehörte ihre Herkunftsregion seit dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges und dem Rastatter Frieden von 1714 zu Frankreich. Über die Elsässer hinaus vermerkte Perry Siedler aus Sachsen, Brandenburg, Schlesien, Ungarn, Frankreich und der Schweiz.40 Den Kommandanten Karl Friedrich D’Arensbourg bezeichnete Perry als Schweden. Allesamt wurden sie von Perry zu ‚Allemands‘ erklärt.41 Perrys Angaben zur Herkunft der Siedler versinnbildlichen das Verständnis von Herkunft im 18. Jahrhundert. Die geographischen Herkunftszuschreibungen

37 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #1: „Natif d’Oberebesheim, eveché de Espire“. 38 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #55: „Schwobse dans la haute Alsace“. 39 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #3, #4, #12, #17, #22, #34, #42, #48 und #55. 40 Die Schweizer, unter ihnen Gaspard Toubs, Jean Crizman, Maurice Kobel und Jean Adam Riel, hatte der Militärdienst nach Louisiana geführt. Nach dessen Ende hatten sie sich, trotz der Hoffnung und der Forderung in baldiger Zukunft in die Heimat zurückzukehren, vorläufig an der Côte des Allemands niedergelassen. ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #13, #23, #37 und #53. Zu Zuschreibungen von Identität an Elsässer, siehe Marc Lienhard, Identität im Wandel: Die Elsässer (Stuttgart: Franz Steiner, 2010), 8f, 13–20. 41 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #38: „suedois“.

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betonten zunächst das Lokale und das Regionale. Die Siedler wurden von den Beamten zuvorderst als Bewohner eines Dorfes oder einer Region, dann in Bezug auf einen Landesherrn identifiziert.42 In seinem Zensusbericht ging Perry nun einen Schritt weiter. Aus dem Zählen von Schweizern, Ungarn, Schlesiern, Württembergern, Elsässern und Rheinländern erschuf er die Vorstellung einer Côte des Allemands. Während Perry im Zensusbericht also durchaus zwischen Herkunftsregionen und -orten differenzierte, schien er zugleich davon auszugehen, dass die Siedler einer „deutschen“ Nation angehörten. Zu den Merkmalen dieser Nation gehörten für Perry die Deutschsprachigkeit bzw. das Sprechen deutscher Dialekte und der gemeinsame Kommandant der Deutschen, D’Arensbourg. Perry nahm damit französische Vorstellungen zum Nationenbegriff vorweg, die Jean-Jacques Rousseau in den 1760er Jahren entwickeln sollte, der davon ausging, dass es einen „charactère nationale“ zu formen, zu bilden und zu erziehen galt.43 Parallel hierzu entwickelte sich, wie Cècile Vidal gezeigt hat, im kolonialen Louisiana seit Beginn des 18. Jahrhunderts ein alternatives Verständnis des Nationenbegriffs. Dieses betonte ein „Wesen des Französischen“ und grenzte das Französische zu(m) Anderen bzw. zu anderen Gruppen ab.44 Die Deutschen wurden in diesem Zusammenhang ebenso vom Französischen unterschieden wie die

42 Der Heidelberger Archivar Hermann Weisert sieht eine Vorstellung von den Deutschen im 17. Jahrhundert angelegt: „Die Menschen bezeichneten sich als Franken, Alamannen, Baiern, Lothringer, Sachsen usw. und erhielten von anderen ähnliche Namen; sie dürften sich auch nach ihren Herren genannt haben, aber es kann kaum gesagt werden, daß schon damals ‚Deutschland‘ so betrachtet wurde, wie dies um 1600/1700 aufkam“ (151); und auch für die Zeit um 1600/1700 konstatiert Weisert: „Ebenso sollte man im Reich nicht nur von Deutschen reden, denn die Bevölkerung hielt noch immer an ihren Territorialherren fest“ (167), siehe Hermann Weisert, „Seit wann spricht man von Deutschen?“, Blätter für deutsche Landesgeschichte 133 (1997): 131–168. 43 Hermann Weisert formuliert wie folgt: „Geistliche, später auch Gelehrte, zogen ein ‚Gesamtvolk‘ vor, das von der Sprache her entstanden war“, siehe Weisert, „Seit wann spricht man von Deutschen?“, 167. Vgl. auch Elisa Fehrenbach, „Nation“, in Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich, 1680–1820: Honnêteté, Honnêtes gens, Nation, hrsg. v. Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt (München: Oldenbourg, 1986), 75–107, hier 80. 44 Siehe Vidal, „Francité et situation coloniale“, 1021, sowie: „L’article cherchera ainsi à démonter que la formation de sociétés coloniales nouvelles aux Amériques, reposant sur l’esclavage ou le travail forcé, la constitution d’empires multiethniques et multiraciaux et les rivalités impériales qui ont accompagné ces phénomènes, ont contribué à faire de la nation un problème et une question. D’une part, le nombre de personnes pour

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indianischen Gruppen. Das Beispiel einer solchen Abgrenzung fand sich in den Aufzeichnungen des Schweizer Söldners Kolly aus dem Mai 1724.45 In seiner Auflistung der französischen Truppen hatte Kolly die Côte des Allemands als Raum „unterhalb der Bayagoulas“ beschrieben und dessen Nähe zur gleichnamigen indianischen Gruppe angedeutet.46 Dabei berichtete Kolly von den „allemands“ sowie den „familles allemandes“ und sprach zugleich von „cette nation“. Damit verwendete Kolly jenen Begriff, der im kolonialen Louisiana eigentlich den indianischen Gruppen vorbehalten war. So hatte der Bruder des Gouverneurs Bienville, Pierre Le Moyne d’Iberville, eine Bayagoulas-Siedlung betreffend im Jahr 1699 festgehalten: „Zwei verschiedene Nationen leben in diesem Dorf, dies sind die Mougoulachas und die Bayougoulas, die die gleiche Sprache sprechen, jedoch zwei Häuptlinge haben, von denen jener der Mougoulachas der Obere zu sein scheint“.47 Ibervilles Verwendung des Nationenbegriffs fußte auf den Kriterien der Sprache und der politischen Führung. Mougoulachas und Bayagoulas sprachen zwar dieselbe Sprache, hatten aber unterschiedliche Anführer. Die Deutschen an der Côte des Allemands hingegen, die Kolly als „nation“ beschrieben hatte, kannten

lesquelles le fait d’avoir une identité nationale est devenu significatif a augmenté. D’autre part, la définition donnée à la nation française, en opposition aux autres nations et en relation avec les différents groupes la composant, en a été modifiée. En analysant les concepts d’empire colonial, de nation et d’identité et les significations particulières que la francité a pris dans le contexte louisianais, il s’agira de suggérer qu’il paraît difficile de continuer à penser la nation au XVIIIe siècle sans tenir compte des rapports complexes entre nation, empire et race“. Vidal nennt Louisiana gar „l’un des laboratoires de la francité“ (1050). 45 ANOM, G1, 465, „Etat des compagnies d’Infantrie qui etoient entretenus par la Compagnie des Indes dans la province de la Louisiane au mois de May 1724 et situation des habitans qui sont dans chaque poste“, 20.12.1724. 46 Vgl. Gregory/Kniffen/Stokes, Historic Indian Tribes of Louisiana, 78; die Bayagoula gehörten zu jenen indianischen Gruppen, die, so Kniffen, Stokes und Gregory, bald nach Ankunft der Franzosen in der Gruppe der Houma aufgingen. Als solche siedelten und bewegten sie sich stetig am Mississippi und weiteren Flussläufen in der näheren Umgebung von New Orleans. 47 Newberry, Ayer MS 508, Journal d’Iberville, Louisiane, 1699–1723, „Journal du Voyage fait par deux frégates du Rois“, 15.03.1699: „Deux nations différentes habitent ce village, ce sont les Mougoulachas et les Bayougoulas, qui parlent la même langue mais ils ont deux chefs dont ce lui des Mougoulachas parait être le premier“.

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einen gemeinsamen Anführer, den Kommandanten D’Arensbourg, und sie kommunizierten, obschon sie diverse Dialekte verwendeten, in einer gemeinsamen Sprache. Sie stellten für Kolly daher die Mitglieder einer „nation“ dar. Die Deutschen, wie auch die ‚Sauvages‘, wurden also nach sprachlichen und politischen Aspekten von den französischen Akteuren abgegrenzt.48 Der Begriff der Nation half, jene Akteure im kolonialen Raum zu ordnen, die sich durch ihre Mobilität auszeichneten. Seine Verwendung in Louisiana erinnert an eine Aussage, die Michel Foucault in seinen Vorlesungen am Collége de France zum Begriff der Nation geäußert hat. Foucault verwies mit Blick auf das Frankreich des frühen 18. Jahrhunderts auf zwei konkurrierende Nationenbegriffe: einen staatlich-gouvernmentalen sowie dementgegen einen vagen, inkonstanten bzw. prozessualen Begriff. Ersterer, der sich bereits in der zeitgenössischen Encyclopédie fand, definierte die Nation nach vier Gesichtspunkten: Zunächst, so Foucault, ginge diese Form der Verwendung von einer Vielzahl von Individuen aus, die zweitens ein definiertes Territorium bevölkerte, dessen Grenzen drittens definiert seien, wobei sich die Vielzahl der Individuen innerhalb dieser Grenzen viertens einer Gesetzlich- und Staatlichkeit unterwerfen würde. Allerdings verstand Foucault diesen Nationenbegriff eher als Normierungsversuch, der darauf abzielte, die andere Form des Begriffs zu verdrängen. Diese Form, die im Zeitkontext dominiert habe, begriff die Nation als Idee, „that does not stop at the frontiers but which, on the contrary, is a sort of mass of individuals who move from one frontier to another, through States, beneath States, and at an infra-State level“.49 Mit letzterer Definition ließen sich im kolonialen Kontext auch die indianischen Gruppen greifen und als Nation erfassen. Schließlich befanden sie sich zum Großteil in permanenter Bewegung und waren, trotz ihrer Fixierung in den Karten, nicht an bestimmte Orte oder Räume gebunden. Auch die Deutschen hatten sich nach der Ankunft an der Côte des Allemands stetig innerhalb des Kolonialgebiets bewegt, wozu insbesondere Naturkatastrophen wie der Hurrikan von 1722 sowie die jährlichen Überschwemmungen und Ernteausfälle beigetragen hatten.50 Beide

48 Es ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass mit dem Begriff „nation“ die Vorstellung einer Sprachgemeinschaft verbunden war, siehe zum Beispiel Andreas Gardt, „Nation und Volk: Zur Begriffs- und Diskursgeschichte im 17. und 18. Jahrhundert“, Zeitsprünge: Forschungen zur Frühen Neuzeit 11:3/4 (2007): 467–490, hier 470. Vgl. auch Fehrenbach, „Nation“, 76. 49 Michel Foucault, Society Must be Defended (Lectures at the Collége de France, 1975– 76), hrsg. v. François Ewald (London: Penguin, 2004), 142. 50 Erst für die spanische Kolonialphase wurden die Bewegungen der Siedler nachvollziehbar. So bezeugten die Landvermessungen und -abbildungen von Trudeau, dass sich

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Gruppen waren schwer über territoriale Abgrenzungen in den kolonialen Raum einzupassen. Der Begriff der Nation lieferte hierzu nunmehr eine Chance.51 Neben der Herkunft erfasste Perry in seinem Zensus auch die konfessionelle Bindung der Siedler. Versah Perry eine Person mit der Zuschreibung „katholisch“, wurde damit nicht nur die Konfession der Person kommuniziert, sondern auch die Religionspolitik der französisch-kolonialen Verwaltung.52 Grundlage dieser Politik waren das Edikt von Fontainebleau aus dem Jahre 1685 sowie die Neufassung des Code Noir von 1724. Mit dem Edikt von Fontainebleau, das de jure den Widerruf des Toleranzedikts von Nantes darstellte, hatte Louis XIV. – mit den bekannten Folgen für die Hugenotten – den Katholizismus zur Staatsreligion Frankreichs erhoben und dafür durchaus kritische Stimmen geerntet.53 So griff Pierre

Nachkommen der Deutschen in den Gebieten um Baton Rouge, zum Beispiel Miguel Mayes, und um Opelousas, zum Beispiel Jean Luis Zeringue, niedergelassen hatten, ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, Beschreibung zwischen #38 und #39 sowie HNOC, MF 1, Louisiana Land Surveys Collection, F–13 und F–71. 51 Eine weitere Möglichkeit der Einpassung des Anderen in die koloniale Gesellschaft deutete Iberville in seinem Journal ebenfalls an. Iberville notierte mit Verweis auf die Mougoulachas und die Bayougoulas, dass diese ein Dorf, „leur village“, bewohnen würden. Auch die Deutschen wurden als Dorfbewohner beschrieben. Wie der Begriff „nation“ schien der Begriff des Dorfes Anknüpfungs- und Vergleichspunkte zu liefern, die Einpassung und Ordnung der entsprechenden Individuen zu garantieren und damit die Aneignung des kolonialen Raumes voranzutreiben; des Weiteren bot der Begriff des Dorfes eine Chance, die Deutschen und die ‚Sauvages‘ von den französisch-kolonialen Akteuren und ihren Siedlungen, das heißt von den Habitationen, Konzessionen und Städten, abzugrenzen. Siehe Newberry, Ayer MS 508, Journal d’Iberville, Louisiane, 1699–1723, „Journal du Voyage fait par deux frégates du Rois“, 15.03.1699. 52 Vgl. Anderson, Imagined Communities, 164f. Die Kategorie und Klassifikation nach Religionszugehörigkeiten sollte aus den Zensus, wie Anderson für Südostasien im 19. Jahrhundert konstatiert, sukzessive verschwinden. 53 Der Louisiana- und Architekturhistoriker Samuel Wilson hat darauf verwiesen, dass bereits das königliche Edikt, auf dessen Basis die Compagnie des Indes gegründet wurde, den katholischen Weg Louisianas vorgab, vgl. Wilson, „Religious Architecture“, 63. Die Historikerin Anna Bernard argumentiert, dass Ludwig XIV. mit der Revokation des Edikts von Nantes in Kontinuität mit seinen Vorgängern gehandelt habe, siehe Anna Bernard, Die Revokation des Edikts von Nantes und die Protestanten in

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Bayle, der französische Aufklärer, Schriftsteller und Philosoph, in einer Schrift mit dem Titel Ce que c’est que la France toute catholique, sous le régne de Louis le Grand, die Politik von Louis XIV. scharf an. Bayle kritisierte die religiöse Intoleranz und die Verflechtung von Staat und Kirche, die sich in dem Edikt manifestierten.54 Auch der Code Noir von 1724 musste sich diese Kritik gefallen lassen. Hierin verfügte der französische König die religiöse Gewalt der katholischen Kirche über das koloniale Louisiana: „Wir verbieten die öffentliche Ausübung jedweder anderer Religionen als der Katholischen, apostolisch und romanisch“.55 Inwiefern die katholische Kirche und ihre Akteure darüber hinaus politischen Einfluss in der Kolonie zu nehmen gedachten, ist umstritten. Während der Historiker O’Neill die Verflechtungen von Religion und Politik später zu relativieren suchte, schienen die Aktivitäten der Kapuziner, Jesuiten und Ursulinen durchaus darauf ausgerichtet, den kolonialen Raum nicht nur religiös zu dominieren, sondern auch politisch zu kontrollieren. In New Orleans manifestierte sich dieses Ziel im Bau der ersten Kirche um 1718 sowie der Gründung einer katholischen Mädchenschule durch die Ursulinenschwestern um 1727. Auch abseits der Metropole New Orleans fanden sich in vielen Siedlungen kleinere Kirchen- oder Kapellengebäude. Indianische Gemeinschaften sahen sich mit jesuitischen und kapuzinischen Missionaren konfrontiert, die neben religiösen auch wirtschaftliche und politische Kontakte aufzubauen suchten. Koloniale Beamte und religiöse Akteure waren dabei oftmals zusammen aufgetreten, wie bereits Iberville in seinem Journal zu berichten wusste. Sein Aufenthalt unter den Mougoulachas und Bayagoulas hatte mit der Errichtung eines Holzkreuzes geendet, das die Verschränkung von Staat und Kirche auf eindrucksvolle Weise repräsentierte: „Gegen Abend fertigten

Südostfrankreich (Provence und Dauphiné) 1685–1730 (München: Oldenbourg, 2003), 22–28. 54 Siehe Pierre Bayle, Ce que c’est que la France toute catholique, sous le régne de Louis le Grand (Somer: Jean Pierre, L’ami Marchand Libraire, 1686). 55 Robert Chesnais, L’esclavage à la française: Le Code Noir (1685 et 1724) (Paris: Nautilus, 2005), 56, Artikel 3: „Interdisons tout exercice public d’autre religion que de la catholique, apostolique et romaine; voulons que les contrevenants soient punis comme rebelles et désobéissants à nos commandements. Défendons toutes assemblées pour cet effet, lesquelles nous déclarons conventicules, illicites et séditieuses, sujettes à la même peine, qui aura lieu même contre les maîtres qui les permettront ou souffriront à l'égard de leurs esclaves“.

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wir ein großes Kreuz an, an welchem man die Zeichen Frankreichs befestigte. Am Montag den 16. zwischen fünf und sechs morgens stellten wir dieses Kreuz auf“.56 Wenn Perry, der im unberechtigten Verdacht stand, ein Hugenotte zu sein, die Religionszugehörigkeiten der Siedler an der Côte des Allemands verzeichnete, knüpfte er an diesen politischen wie religiösen Kontext an. Insgesamt listete Perry 43 Siedler und deren Familien als katholisch, neun als lutherisch und drei als calvinistisch. Einen Siedler und seine Familie kennzeichnete Perry als Protestanten. Bei zwei Siedlern verzichtete Perry darauf die Religionszugehörigkeit zu dokumentieren. Demzufolge wurde die Côte des Allemands um 1724 vorrangig von katholischen Siedlern bevölkert. Die nicht-katholischen Siedler identifizierte Perry als Schweizer sowie aus dem südwestdeutschen Raum, aus Sachsen, Schlesien und dem Elsass stammend.57 Was die Religionszugehörigkeit der Siedler betraf, entsprach die Côte des Allemands grundsätzlich den Vorstellungen der kolonialen Verwaltung. Jedoch stand die Existenz von calvinistischen, lutherischen und protestantischen Siedlern im Widerspruch zu den Festlegungen des Edikts von Fontainebleau und zum Code Noir von 1724. Die Schweizer der Côte des Allemands waren vermutlich aus den Söldnerregimentern rekrutiert worden. Zusätzlich zum Regiment von Kolly operierte eine weitere Einheit unter David-François de Merveilleux im Raum des unteren Mississippideltas. Hatten die Söldner dieser Regimenter ihren Militärdienst abgeleistet, so ließen sie sich des Öfteren an der Côte des Allemands nieder. Hinter der Rekrutierung und Ansiedlung von Nicht-Katholiken verbarg sich eine strategische Überlegung. Schließlich befand sich die Côte des Allemands nicht allzu weit entfernt von den Territorien, die die spanische Krone für sich beanspruchte. Die Ansiedlung von Protestanten in direkter Nähe zu katholischen Gebieten geschah nicht ohne Grund: „In agreeing to the emigration of Protestant and Catholic Swiss and German settlers, the somewhat Machiavellian intention of the

56 Newberry, Ayer MS 508, Journal d’Iberville, Lousiane, 1699–1723, „Journal du Voyage fait par deux frégates du Rois“, 15.03.1699: „Vers le soir nous finies une grande croix sur la quelle on mit les armes de France. Le Lundi 16 entre 5 et 6 h du matin nous plantâmes cette croix“. Vgl. auch O’Neill, Church and State, 287. 57 Vgl. Albert J. Robichaux, Jr., „Religion and the German Coast: History of the Parish of St. Charles Borromeo Caholic Church“, in Religion in Louisiana, hrsg. v. Charles E. Nolan (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 2004), 86–102, 97: Robichaux spricht von 43 Katholiken, zehn Lutheranern, vier Calvinisten und einem „Unbekannten“. Vermutlich integrierte er D’Arensbourg als Lutheraner in seine Zählungen und erfasste Gaspard Toubs, der im Zensus als Protestant und Schweizer beschrieben wurde, als Calvinisten.

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French colonial officials was to strategically place ‚the Protestants toward the Spanish and the Catholics toward the English‘“.58 Schon bei der Anwerbung der Deutschen hatten die Compagnie des Indes auf die Dienste einen Protestanten, den Schweizer Jean-Pierre Purry, zurückgegriffen. Purry konzipierte ein Anwerbungspamphlet, mithilfe dessen er versuchte, ohne Berücksichtigung regionaler und konfessioneller Aspekte, Siedler zu gewinnen.59 Gegenüber potentiellen Interessenten wurde der Umstand, dass diese in Louisiana offiziell nur die katholische Religion uneingeschränkt praktizieren konnten, nicht bekannt gemacht. Auch seinen Auftraggebern, John Law und der Compagnie des Indes sowie der französischen Kolonialverwaltung, kommunizierte Purry nicht, Siedler welcher Konfessionen er mit dem Pamphlet anzusprechen plante. Jedoch waren Compagnie des Indes und französische Kolonialverwaltung nicht abgeneigt, Nicht-Katholiken anzuwerben, wussten sie doch um deren strategische Funktion: „The Company intends to fortify [Louisiana’s] frontiers, in placing Protestants toward the Spanish [in the west], and the Catholics toward the English [in the east]“.60 Einer dieser Protestanten war der Kommandant der Côte des Allemands, Karl Friedrich D’Arensbourg, über den sich die Kapuziner um den Superior Raphael verbittert beschwerten: „Das Dorf der Deutschen hat einen lutherischen Kommandanten, der mit einer Geliebten zusammen lebt, von der er schon zwei oder drei

58 Bertrand van Ruymbeke, „‚A Dominion of True Believers Not a Republic for Heretics‘: French Colonial Religious Policy and the Settlement of Early Louisiana, 1699–1730“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 83–94, hier 90f. Vgl. auch Marcel Giraud, French Louisiana, Bd. 5, 231f. 59 Vgl. Gottfried Zenner [Erm. Verf.], Ausführliche Historische und Geographische Beschreibung des an dem grossen Flusse Missispi in Nord-Amerika gelegenen herrlichen Landes Louisiana (Leipzig: Gleditsch, 1720). Zur Person und Familie Pur[r]y siehe Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, hrsg. v. Heinrich Türler (Neuenburg: Administration des historisch-biographischen Lexikons der Schweiz, 1921–1934), 499–501, hier 500. Bekanntheit erlangte Purry durch sein Siedlungsprojekt in South Carolina, siehe Arlin C. Migliazzo, „A Tarnished Legacy Revisited: Jean Pierre Purry and the Settlement of the Southern Frontier, 1718–1736“, South Carolina Historical Magazine 92:4 (1991): 232–252. 60 Vgl. O’Neill, Church and State, 266, O’Neill zitiert nach: Archives des Colonies (heute ANOM), DFC, Nos. 9, 21, Bureau of the Company of the Indies [1720]. Vgl. auch Heiko Diekmann, Lockruf der Neuen Welt (Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 2005), 93, 97.

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Kinder hat“.61 Der Zensusbeamte Perry, der D’Arensbourgs konfessionelle Präferenzen und etwaige weitere Familienmitglieder gekannt haben muss, verschwieg dessen Religionszugehörigkeit im Zensus. Neben dem Kommandanten listete er nur einen Waisenjungen, eine Frau nannte er nicht.62 Abgesehen von einer weiteren Ausnahme machte Perry die restlichen NichtKatholiken im Zensusbericht kenntlich. Vielleicht wurden die konfessionellen Ausnahmen unter den einfachen Siedlern von der kolonialen Verwaltung akzeptiert und waren nach außen sagbar gewesen. Die Ausnahme eines Capitaine Reformé, das heißt eines führenden lokalen Beamten, schien jedoch nicht akzeptabel.63 Bei der weiteren Ausnahme handelte es sich um den Siedler Jean Senek. Senek lebte „getrennt von seiner Frau, die im Dorf unter den Witwen wohnt[e]“.64 Anstatt mit seiner Frau und der siebenjährigen Tochter zusammenzuleben, hatten sich die Wege der Familie getrennt. Senek hatte sein Land verlassen, um nach Natchez zu gehen, war aber nach einiger Zeit auf sein Flurstück zurückgekehrt. Perry beschrieb Senek als Faulenzer und schlechten Untertanen, mit dem seine Frau nicht leben könnte, weil er „alles esse“ und ansonsten „nichts mache“.65 Senek entsprach wenig dem Typus vom fleißigen Siedler und Katholiken, der mit seiner Familie ein Flurstück kultivierte und der Entwicklung der Kolonie diente. Seine

61 MPA 2:489f, „Father Raphael to the Abbe Raguet“, 15.05.1725: „At the village of the Germans there is a Lutheran commandant who maintains a concubine by whom he has already had two or three children“. 62 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #38: „un garçon orphelin agé de 10 a 12 ans“. 63 Der Zensusbericht aus dem Jahr 1726 listete auf D’Arensbourgs Flurstück neben dem Kommandanten, (s)eine Frau und (s)ein Kind, ANOM, G1, 464, „Recensement general des habitations et habitans de la Colonnie de La Loüisianne ainsy qui la se sont trouvés au Premier Janvier 1726“, 01.01.1726, folio 5. 64 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #40: „separé de sa femme qui demeure au village dans les veuves“. 65 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #40: „Il avait abandonné son terrain pour aller aux Natchez mais il est de retour. Cest un faineant et tres mauvais sujet avec lequel sa femme ne peut pas habiter parcequil luy mange tout et ne fait rien“.

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Frau hingegen bearbeitete, auf sich allein gestellt, ein kleines Flurstück und hatte eine geringe Menge an Mais geerntet. Perry kennzeichnete sie im Zensusbericht als Katholikin.66

4.4 D AS Z ÄHLEN UND B ESCHREIBEN VON F LEISS Neben Namen, Alter, Herkunft, Konfession und Familienmitgliedern erfasste Perry auch die Berufe der Siedler und skizzierte den Zustand ihrer Flurstücke. Perry vermerkte, ob diese gerodet waren, landwirtschaftlich genutzt wurden und machte, wenn vorhanden, Angaben zu Ernteerträgen. Auf der Basis dieser Informationen nahm Perry Bewertungen zur Arbeitsmoral der Siedler vor. Mit seinen Bewertungen versuchte Perry, die Côte des Allemands weiter zu ordnen – so wie er dies über das Zählen und Beschreiben von Namen, Alter, Familienmitgliedern, Herkunft und Religionszugehörigkeiten versucht hatte. Das Zählen, Beschreiben und Bewerten der Siedler und des Zustands ihrer Flurstücke diente letztlich dem Verwalten und Regieren des Raumes: „Das heißt, die Bevölkerung [war] das Objekt, das die Regierung in ihren Beobachtungen und in ihrem Wissen berücksichtigen muss[te], um tatsächlich auf rationelle und durchdachte Weise regieren zu können“.67 Einen ersten Indikator für die Bewertungen lieferten die Berufsbezeichnungen der Siedler. Die Mehrzahl klassifizierte Perry mit dem Begriff „laboureur“.68 Demnach waren die Siedler einfache Kleinbauern oder sprichwörtlich „Pflügler“. Des Weiteren signalisierte der Begriff den Status der Siedler und grenzte sie von den „habitants“ und „concessionaires“ ab, ohne ihre Abhängigkeit von der Compagnie des Indes oder ihre ursprüngliche Stellung als Kontraktarbeiter zu problematisieren. In der Tat verwendete Perry im Zensus vom November 1724 die Beschreibung „engagé“ kein einziges Mal. Stattdessen zeichnete er das Bild von unabhängigen „laboureurs“, die im Durchschnitt Flurstücke von eineinhalb bis drei, in Ausnahmefällen bis zu fünf Arpents beackerten und Reis, Mais sowie Saubohnen anbauten. Eine solche Ausnahme stellte der Siedler Sebastian Funck dar, für

66 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #30. 67 Michel Foucault, Sicherheit, Territorium, Bevölkerung: Geschichte der Gouvernementalität I, Vorlesung am Collège de France, 1977–1978, übers. v. Claudia Brede-Konersmann und Jürgen Schröder (Frankfurt: Suhrkamp, 2004), 159. 68 Creole Lexicon, 122: „laboureur“.

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den Perry sogleich eine Erklärung anbot. Offensichtlich hatte Funck zusätzlich zu dem ihm zugewiesenen Flurstück, weiteres angrenzendes Land von Siedlern erworben, die die Côte des Allemands in Richtung Natchez oder in Richtung der Konzession von Gouverneur Bienville verlassen hatten.69 Der Begriff „laboureur“ definierte nicht nur Status und Beruf der Siedler, sondern beinhaltete, berücksichtigt man die Verwendung des Begriffs im Frankreich des Ancien Régime, bereits eine Wertung. Nur für die erfolgreichsten Kleinbauern, so betont Carl Brasseaux, wäre die Bezeichnung verwendet worden. Generell hätte der Begriff des „laboureur“ den Fleiß der Personen angezeigt, wie weitere Beispiele aus Neufrankreich und Akadien belegen: „Laboureurs, who were noted for their industriousness, were a vital cog in late ancien régime agriculture, and they constituted the keystone of Acadia’s economic development“.70 Kennzeichnete Perry die Siedler an der Côte des Allemands mit dem Begriff „laboureur“, übertrug er die Konnotationen des Fleißes auf die Deutschen. Damit legte er den Grundstein dafür, die Deutschen von anderen kolonialen Akteuren zu unterscheiden. Auch mit den weiteren Berufskennzeichnungen wurden die Siedler an der Côte des Allemands von den berufslosen „Kriminellen“ und „Landstreichenden“, von den Söldnern und Coureurs de Bois abgegrenzt. So befanden sich unter den Deutschen neben den „laboureurs“ auch Bäcker, Böttcher, Jäger, Maurer, Metzger, Müller, Schmiede, Schneider, Schuster, Weber und Zimmermänner. Perry zufolge verkörperten die Siedler eine in höchstem Maße diversifizierte und qualifizierte Gemeinschaft. Im Vergleich zu anderen kolonialen Akteuren war ihre Bedeutung, glaubt man Perrys Zählungen, für die Entwicklung der Kolonie enorm.71

69 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #17: „Cinq arpents quil a achetté de deux allemandes, l’un monté aux Natchez, et l’autre est etably sur le terrain de Mr. de Bienville proche la N.lle Orleans sur lequel il est depuis deux ans“. 70 Die „Acadiens“ trafen zwischen 1764 und 1790 aus Nova Scotia in Louisiana ein, wo ihre Nachfahren heutzutage als „Cajuns“ bekannt sind, siehe Creole Lexicon, 2: „Acadien(ne)“. Maßgeblich dazu Brasseaux, Founding of New Acadia, sowie ders., Acadian to Cajun: Transformation of a People, 1803–1877 (Jackson, MS: University of Mississippi Press, 1992).Vgl. auch Brasseaux, Primer on Francophone Louisiana, 46. 71 Die Rede ist von „boulanger“, „tonnel[l]ier“, „chasseur“, „macon“, „boucher“, „meunier“, „cloutier“, „tailleur“, „cordonnier“, „tixerand“ und „charpentier“.

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Perry registrierte minutiös, welche Siedler und Familien wie viele landwirtschaftliche Erzeugnisse nachweisen konnten. Etwaigen Erträgen fügte er Bemerkungen und Bewertungen an. Beispielsweise ließ Perry verlauten, der Siedler Guillaume Ziriac, der mit seiner Frau ein Flurstück von zweieinhalb Arpents beackere, habe im zurückliegenden Jahr ungefähr 30 Fässer Korn geerntet, davon fünf oder sechs Fässer Mais. Sein Flurstück sei generell in einem guten Zustand; im hinteren Teil habe Ziriac viele Bäume angepflanzt. Ziriac sei einer der am besten eingerichteten Siedler der Gemeinschaft und ein guter Arbeiter.72 Im Falle des Siedlers Simon Lambert vermerkte Perry keine Erträge, weil dieser aufgrund der Überschwemmung seines ursprünglichen Flurstückes auf ein neues gewechselt und noch im Begriff war, sich dort niederzulassen.73 Auch sein Nachbar Conrad Frederic hatte mit den Überschwemmungen zu kämpfen, sein Flurstück jedoch gerodet und eine erste Ernte an Mais und Reis eingefahren. Diese reichte immerhin für den Unterhalt seiner Familie. Perry kommentierte den Ertrag mit den Worten „bon travailleur“.74 Frederics Nachbarn, den Maurer Jean Georges Trousler, beschrieb er gar mit der Aussage „fort bon travailleur“. Trousler und seine Frau waren, wie Lambert, mit Jahresbeginn auf ihr Flurstück gewechselt und hatten bereits sechs bis sieben Quarts Reis geerntet.75 Perry dokumentierte so auch die dominierenden Anbauprodukte, Reis und Mais, nannte die Erträge und erläuterte diese im Zusammenhang mit Überschwemmungen und Krankheiten. Bei einigen Bewertungen ging Perry über Aussagen wie „guter Arbeiter“ und „äußerst guter Arbeiter“ hinaus. Den Siedler André Schanz bezeichnete Perry mit „bon sujet“,

72 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #5: „Deux arpents et demy de terrain sur lequel il est depuis deux ans. Il a recueilli cette anneé environ 30 bariles de grains dont 5 a 6 de [ma✁s]. Son terrain est bien en etat, il a mis beaucoup d’arbres a bas. Cest un des plus aisez de la communauté, bon travailleur“. 73 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #1: „Trois arpents de terrain sur lequel il va se mettre. Estant forcé d’abandonner celuy quil a pris dans le meme Village parcequil est noyé“. 74 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #2. 75 Die Maßeinheit „Quarts“ entsprach gewöhnlich 194,4 englischen Pfund und spiegelte den Transport der Produkte in Schiffstonnen bzw. -fässern wider, Creole Lexicon, 171: „quart“.

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die Witwe und Siedlerin Sibille Heile mit „bonne travailleuse“ und für Jean Adam Edelmayer hielt er fest: „Das ist ein äußerst guter Arbeiter, der Aufmerksamkeit verdient“.76 Für den Siedler Jean Adam Materne konkretisierte Perry, welche Form von „Aufmerksamkeit“ er sich vorstellen könnte: „Guter Arbeiter, der Sklaven verdient“.77 Im weiteren Verlauf des Zensus ergänzte Perry, soweit vorhanden, Bestände von Geflügel, Schweinen und Rindvieh sowie alternative Anbauprodukte wie Saubohnen. Seine Beschreibungen glichen denen des französischen Konzessionärs Dumont. Dumont hatte mit Blick auf die Kleinbauern festgehalten, dass diese Reis, Mais, Kürbisse, Bohnen und Erbsen ernteten. Damit orientierten sich die Siedler an den Gewohnheiten der indianischen Gruppen, die sich vornehmlich von Mais, Kürbis und Bohnen ernährten. Im Falle des Siedlers Leonard Magdolff lobte Perry ausdrücklich dessen Garten und erinnerte so an Diskurse um koloniale Gärten und Gartenarbeit: „Er macht eine äußerst schöne Gartenarbeit“.78 Europäische Gärten und Gartenarbeit verdrängten ältere Ernährungs- und Anbautraditionen von indianischen Gruppen langsam und ersetzten diese im kolonialen Diskurs. In den mannigfaltigen Beschreibungen des kolonialen Louisiana fehlte der Verweis auf einen „jardin“, einen „Garten“, daher nie. Gartenanbau und Ernte deuteten auf den Fleiß und die Unabhängigkeit der Produzenten hin. Gartenarbeit garantierte Selbständigkeit und Souveränität – und zwar nicht nur gegen-

76 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #10, #56 und #57; siehe zu Jean Adam Edelmayer: „Cest un fort bon travailleur qui merite attention“. 77 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #12: „Bon Travailleur qui merite des negres“. Der französische Begriff „negre“ wurde im Zensusbericht von 1724 und in anderen zeitgenössischen Dokumenten synonym mit dem Begriff ‚Sklave‘ verwendet. 78 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #15: „Il a un fort beau jardinage, […]“. Vgl. auch Dumont, Regards sur le monde atlantique, 393, sowie Daniel H. Usner, Jr., „Food Marketing and Interethnic Exchange in the 18th-Century Lower Mississippi Valley“, Food and Foodways 1 (1986): 279–310.

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über der indianischen Umwelt, sondern auch gegenüber der kolonialen Verwaltung.79 Zudem repräsentierten die Gärten das Laboratorium des Kolonialen und verschränkten Alltag und Ästhetik miteinander: „[W]hile one represents the reality of gardens in daily life, the other depicts fantasy and suggests the capacity colonial gardens had to convey the visual impression of civilization and urban sophistication. Both were vital to the survival and growth of the colonial community“.80 Der Diskurs des Fleißes beschränkte sich nicht auf die Deutschen, sondern wurde auch auf weitere Akteure, wie indianische Gruppen oder französisch-stämmige Migranten, ausgeweitet. Stets bediente sich Perry der Begriffe und Aussagen, die andere koloniale Beamte bereits vor ihm verwendet hatten. Begriffe wie „bon sujet“, „bon travailleur“ oder „fort bon travailleur“ sowie Aussagen zu Personen, „qui merite[nt] des negres“, fanden sich in einer Vielzahl von Zensusberichten.81 Perry selbst lieferte mit den sogenannten Bienville-Deutschen eine Vergleichsgruppe, die er in einem weiteren Zensusbericht von 1724 erfasst hatte. Dem Zensus zufolge lebten die Bienville-Deutschen auf einem Terrain des Gouverneurs Bienville entlang des Mississippis zwischen New Orleans und der Côte des Allemands. Bei ihnen handelte es sich um eine Gruppe von deutschen und schweizerischen Familien, die nach dem Hurrikan im September 1722 zusammen mit franko-kanadischen und französischen Familien umgesiedelt worden waren.82

79 Vgl. Maurice Aymard, „Lebensräume“, 129: „Ein Garten: ein Ort, wo man für sich arbeitet und nicht für einen Brotherrn, also ein gewisses Maß an Selbständigkeit hat“. 80 Lake Douglas, Public Spaces, Private Gardens: A History of Designed Landscapes in New Orleans (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2011), 101. Siehe auch die Beschreibungen von Dumont, Newberry, MS 257, Dumont dit Montigny, Maps and Drawings, #6, #8, #13 und #21, sowie die Vielzahl von Mémoires und Histoires, die stets Beschreibungen von Gärten enthielten, siehe Le Gac, Memoir, 1: „Each householder cultivates his own garden“. Vgl. auch Dawdy, French Colonial New Orleans, 83f. Dumont dit Montigny erklärte: „Chacun en outre y avoit des morceaux de terre labourée qu’il cultivoit à sa fantaisie; il y venoit de tout. J’avois toujours la direction du grand jardin“, Dumont, Regards sur le monde atlantique, 192. 81 Vgl. Rudolf Schenda, „Fleissige Deutsche, fleissige Schweizer: Bemerkungen zur Produktion eines Tugendsyndroms seit der Aufklärung“, in Ethische Perspektiven: „Wandel der Tugenden“, hrsg. v. Hans-Jörg Braun (Zürich: Verlag der Fachvereine Zürich, 1989), 189–209. 82 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a

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Bienville hatte die Familien mit Lebensmitteln für ein Jahr sowie mit Gerätschaften und kleineren Geflügel- und Viehbeständen ausgestattet.83 Abgesehen von den vormaligen Siedlern der Côte des Allemands auf dem Terrain von Bienville listete der Zensus weitere Frankfurter, Kölner und Rheinländer. Diese lebten hier unter Franko-Kanadiern und Franzosen aus Savoyen, der Provence und der Bretagne. Dazu zählten unter anderem die Familien von Pierre Pommier aus dem Elsass, Pierre Smith aus dem Rheinland, Barthelemy Hyens aus Köln, Joseph Ritter aus dem Gebiet um Durlach, Joseph Baillis aus dem deutschsprachigen Lothringen, Nicolas Smitz aus Frankfurt, Pierre Bayer aus Philippsburg und Jean Foux aus Bern sowie der alleinstehende Laurent Ritter.84 Perry machte wie gewohnt Angaben zur Herkunft der Siedler und ergänzte diese um Angaben zu Familienmitgliedern sowie zu den Flurstücken und Ernteerträgen. Hieran schlossen sich die Bewertungen an, die den Zustand der Flurstücke beurteilten und mit Forderungen nach Sklaven verbunden waren. Für den Siedler Jacque Larche, einen dreißigjährigen Franko-Kanadier, hielt Perry fest: „Er ist ein sehr tüchtiger Mann, der Sklaven verdient, sowohl für seine Versorgung als auch für seine Habitation“.85 Diese Bewertungen erfolgten unabhängig von der geographischen Herkunft der Akteure. Es stellte also keine Besonderheit dar, wenn Perry seine Darstellungen zum Flurstück des 45-jährigen Augsburgers André Krestman mit der Aussage

droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724. Vgl. auch Andreas Hübner, „A Search for Bienville’s Germans: After the Hurricane of September 1722“, Les Voyageurs (2012): 13–17. 83 Siehe Louisiana Historical Quarterly (LHQ) 10 (1927): 13: „The Sieur de Bienville has the honor to state to you, Gentlemen, that the Company has granted him a concession of nearly three leagues above New Orleans which he cannot render productive for want of hands. He would wish to take, if agreeable to the Council, twelve or fifteen German families, among those who have entirely lost their provisions through the storm and who from this are obliged to try to hire themselves to support their families. The Sieur de Bienville would cede to each of them a portion of his concession with provisions for a year, tools to turn up the ground and to build, and advance cows, hogs and poultry“. 84 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #32, #37, #38, #48, #50, #51, #52, #53 und #54. 85 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #1.

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abschloss, dieser verdiene einen Sklaven.86 Es sei jedoch darauf verwiesen, dass Perry abermals auf den Begriff der „engagés“ verzichtete, der den Status der deutschen Siedler ursprünglich gekennzeichnet hatte. Für die Bienville-Deutschen verwendete Perry, wie für alle anderen Siedler, den Begriff der „habitants“: „hier [endet] das Land von Monsieur Bienville, der dort alle genannten Habitants platziert hat“.87 In einem Detail wichen die Beschreibungen der deutschen Siedler von denen ihrer Nachbarn ab. Die französischen und franko-kanadischen Siedler planten häufiger als deutsche Siedler den kolonialen Raum wieder zu verlassen. Für Monsieur Pellarin, einen Angestellten der Compagnie des Indes, vermerkte Perry, er sei ein „allein stehender Mann, der gerade [sein Flurstück] verlässt“.88 Ähnliches notierte Perry für den Siedler André Czepe; dieser sei ein guter, aber unglücklicher Arbeiter, der ebenfalls plane sein Land aufzugeben, weil er mit den Folgen von Überschwemmungen und Vogelschäden sowie mit der Abhängigkeit von der Compagnie des Indes zu kämpfen habe.89 Insgesamt erwähnte Perry im Zensus vom 12. November 1724 acht französische und franko-kanadische Siedler, die ihr Flurstück zu verlassen beabsichtigten. Überschwemmungen, Vogelschäden und Ernteausfälle spielten bei den Entscheidungen eine wesentliche Rolle. Für die Siedler Henry Pelegrin und Guillaume Vaquis vermeldete Perry, die beiden wür-

86 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #5. Siehe auch die Bewertungen zu den Geschäftspartnern Jean Pujeau und Joseph Karasse, die aus Bordeaux und Paris stammten, zu Pierre Brout aus Tours sowie zum Franko-Kanadier Joseph Larche, ebd. #24, #31, #58. 87 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #9: „Icy finit le terrain de Monsieur de Bienville qui y a placé tous les habitans“. 88 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #181: „un homme seul qui vient de quitter“. 89 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #182: „l’eau et les etourneaux luy ont detruit sa recolte, la Comp.e luy a avancé 100.ll l’eté passé, bon travailleur, mais miserable, il a dessein d’abandonner“.

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den ihre jeweiligen Flurstücke aufgeben, da diese ihren Lebensunterhalt nicht sichern könnten. Vaquis hatte zur Rodung und Nutzbarmachung seines Flurstückes Tagelöhner anheuern müssen; Pelegrin war zur Sicherung seines Lebensunterhaltes auf Vorauszahlungen der Compagnie des Indes angewiesen.90 Mit dem Verlassen der Flurstücke begann für die Siedler die Suche nach einer neuen Heimat, wobei in den Zensusberichten drei Alternativen benannt wurden: Erstens die Rückreise nach Frankreich, die sich oftmals in Forderungen zum Rücktransport gegenüber den kolonialen Behörden ausdrückte; zweitens die erneute Ansiedlung entlang des Mississippis, zumeist flussaufwärts in den Gebieten um Natchez; drittens der Versuch sich in New Orleans zu etablieren. Perry vermerkte nur selten, welche Alternativen die Habitants anstrebten. Den Siedler Claude Merand und dessen Frau zog es nach New Orleans. Dort hoffte Merand, in seinem Beruf als Schuster eine Anstellung finden und seinen Lebensunterhalt sichern zu können. Gleiches dokumentierte Perry für Pierre Piquery und dessen Familie, die es nach erheblichen Vogelschäden auf ihrem Flurstück ebenfalls nach New Orleans zog. Andere Siedler, wie Maurice Kobel, forderten ihren Rücktransport nach Europa.91 Die europäischen Siedler waren nicht die einzige Gruppe, die von französischen Beamten gezählt wurde. Bis in die frühen 1720er Jahre entstanden weitere Berichte, in denen vor allem die indianischen Gruppen und ihr Fleiß in den Fokus rückten. Der französische König hatte dieses Zählen selbst begünstigt, indem er in einer Anordnung von „guten“, „fügsamen“, „geschickten“ und „arbeitsamen“

90 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #17: „Il a dessein d’abandonner nayant pas de quoy subsister sur sa terre“, sowie #20: „Il va quitter, nayant pas de quoy subsister sur son terrain“. 91 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans depuis la Ville de la N.lle Orleans jusqu’aux Ouacha ou le village des allemands a dix lieues au de sous de la d. ville, a droitte en remontant le fleuve“, 12.11.1724, #25, „Il n’a plus rien, est sorty de la Concession d’Artagnan et se retire a la Nouvelle Orleans“, sowie #44: „Les etourneaux luy ayant fait un grand tort. Il quitte pour se retirer a la Nouvelle Orleans n’ayant pas dequoy subsister“, und ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #37: „Il demande a repassee en France“.

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indianischen Nationen in Louisiana gesprochen hatte, die den Franzosen „freundschaftlich“ gesonnen seien.92 Damit hatte er ein Anforderungsprofil für künftige Siedler entwickelt. Gut, fügsam, geschickt, arbeitsam, freundschaftlich und – im besten Falle – katholisch sollten diese sein. Einigen indianischen Gruppen, zum Beispiel den Apalaches-Indianern, wurden diese Attribute bereits um 1722 zugeschrieben. Dem Beamten Jean Béranger zufolge, einem Lotsen in Diensten der Compagnie des Indes, handelte es sich bei den Apalaches-Indianern um zirka einhundert „gute katholische“ Männer, die recht zivilisiert und arbeitsam seien.93 Die indianischen Gruppen wurden zum Modell für künftige Siedler erklärt. Dass sie selbst nicht die Zukunft der Kolonie Louisiana darstellten, offenbarten die Dokumente ebenso. Schließlich bezeugte das Zählen den Rückgang der indianischen Populationen, der nicht selten mit gewaltsamen Akten und Konflikten einherging.94 Einen Bruch bildete der Natchez-Krieg von 1729 bis 1731, häufig als Massaker beschrieben, in dessen Konsequenz die feder- und fehdeführenden Natchez-Indianer zu einer „nation barbare“ umgedeutet wurden. Danach verstummten die Berichte von arbeitsamen und freundschaftlichen indianischen Gruppen.95 Der Wandel in den Bewertungen von indianischen Gruppen brachte deren nachlassende Bedeutung zum Ausdruck. Immer seltener musste die koloniale Verwaltung auf indianische Gruppen zurückgreifen, um Versorgungsengpässe zu überbrücken. In den Dokumenten fanden sich ihre Spuren im Verlauf des 18. Jahr-

92 Huntington Library, Rare Books, #9617, Arrest Du Conseil D’Estat Du Roy, Qui Ordonne qu’il ne sera plus envoyé de Vagabonds, Gens sans aveû, Fraudeurs & Criminels à la Loüisianne; que les ordres que Sa Majesté auroit pû donner à ce sujet seront changez, Et la destination desdits Vagabonds faite pour les autres Colonies Françoises. Du 9. May 1720 (Paris: De l’Imprimerie Royale, 1720), 2: „les naturels du Pays qui sont une Nation douce, docile, industrieuse, laborieuse & amie des François“. 93 Newberry Library, Ayer MS 293, France. Colonies. 1702–1750, Band 2, Memoires de Mr. Beranger de la Louisianne donné en 1722, après y avoir demeuré six ans, 122– 123: „100 hommes bons catholiques assez civilisés laborieux […]“. 94 Vgl. LaChance, „Free and Slave Population of French Colonial Louisiana“, 224f (Tabelle 10.8), 232. 95 Newberry Library, Ayer MS 293, France. Colonies. 1702–1750, Band 4, Relation sur la massacre, que la nation Sauvages du Natchez a faite de la Garrison du Poste, 1729– 1730, 386: „le massacre, que la nation sauvages des Natchez à fait de la Garnison du Poste et des habitans de l’Etablissement, que la Compagnie des des Indes avoit formée au près de la dte. nation pour la culture de tabac“.

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hunderts, abgesehen von Handelskontakten und Konflikten, eher in den Auflistungen von Sklaven. So sprach ein Zensus aus dem Jahre 1721 erstmals von den „esclaves sauvages“.96 Ein Zensus von 1726 erwähnte die „esclaves sauvages“ in direktem Zusammenhang mit der Côte des Allemands.97 Die Kirchenregister der St. Charles Borromeo Kirche übernahmen diese Formulierung. Ein Vermerk aus dem Jahr 1739 verwies auf eine Indianerin, die dem Taufeintrag ihres Sohnes nach „Monsr. D’Arensbourg gehörte“.98 Bis 1755 folgten zahlreiche weitere Kirchenregistereinträge, die stets – und ausschließlich – die Namen der indianischen Sklaven und deren Halter angaben. Sie gebrauchten den Begriff „sauvage[sse] esclave“. Unter anderem hieß es am 26.04.1744: „Marie Anne, indianische Sklavin, die Sieur Dupard gehört“.99 Die Siedler an der Côte des Allemands wurden nicht nur in Abgrenzung zu indianischen Gruppen, sondern auch im Rahmen eines transatlantischen Diskurses des Fleißes beschrieben und bewertet. Spätestens mit Beginn der Aufklärung hatte der Begriff des Fleißes eine alternative Wertbesetzung erhalten, die die Qualitäten der Arbeit neu definierte. Fleiß wurde nicht mehr im Sinne von Aufmerksamkeit, Geschick, Sorgsamkeit oder Eifer verstanden, sondern mit Planung, Ausdauer und Zielgerichtetheit verbunden. Die Kontrolle dieser Faktoren oblag der Gemeinschaft, wodurch Fleiß und Disziplinierung von nun an miteinander korrelierten.100 In diesem Diskurs des Fleißes nahmen die Deutschen die Rolle der kleinbäuerlichen Siedler ein. Perry betonte: „Alle Deutschen, die im gegenwärtigen Zensus genannt sind, haben sehr viele Bohnen, Kürbisse und große Gärten, die ihnen viele Lebensmittel bereitstellen und ihr Vieh und Schwein versorgen, von denen sie eine Menge züchten“.101 Laut Perry hätten die Lebensmittel nicht nur zur Selbstversorgung der Côte des Allemands dienen müssen, sondern die Märkte in New

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ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans et concessionnaires de la Nouvelle Orléans et lieux circonvoisins avec les nombre des femmes, enfans, domestiques blancs, hommes et femmes de forces, esclaves negres, esclaves sauvages, bestes a cornes et chevaux“, 24.11.1721.

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ANOM, G1, 464, „Recensement general des habitations et habitans de la Colonnie de

98

AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755,

99

AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755,

La Loüisianne ainsy qui la se sont trouvés au Premier Janvier 1726“, 01.01.1726. 06.02.1739. 26.04.1774: „Marie Anne sauvagesse esclave apartenant au Sr. Dupard“. 100 Vgl. Schenda, „Fleissige Deutsche, fleissige Schweizer“, 191f. 101 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en

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Orleans und die großen Habitationen bereichern können, „wenn all diese Kleinbauern näher an New Orleans angesiedelt worden wären“.102 Prinzipiell wäre es von Vorteil für die gesamte Kolonie, wenn sich die Kleinbauern auf die Produktion von Lebensmitteln konzentrierten und diese an die großen Habitationen verkauften. Die großen Habitationen könnten sich so ganz der Produktion von Tabak, Indigo und Holz widmen und ihre Erzeugnisse nach Frankreich und auf die karibischen Inseln verschiffen.103 Innerhalb des kolonialen Wirtschaftssystems sah Perry die Siedler als Lieferanten von Lebensmitteln wie Reis, Mais und Gemüse. Der Beamte kennzeichnete die Kleinbauern entsprechend als „laboureurs“ und „petits habitants“.104 Damit trennte Perry die Deutschen von der Gruppe der „gros habitants“, der Habitants und Konzessionäre, sowie von den nicht fleißigen „Gegen-Bildern, die, weil sie ‚den andern auch zu Last fallen‘, angeprangert w[u]rden: die Faulenzer, Bettler und Vagabunden“.105 Die Forderung, einige von ihnen mit Sklaven zu versorgen, sollte den Deutschen helfen, ihre Rolle als Lebensmittellieferanten auszufüllen, beschränkte sie aber in ihren Chancen, über Lebensmittel hinaus arbeitsintensive Produkte anzubauen. Mit der Zuteilung von Sklaven löste Perry zudem das klassische Verhältnis zwischen Halter und Sklave auf: „Zu diesem Zweck ist es notwendig, sie jedes

descendant“, 12.11.1724: „Tous les allemandes denommez dans le present recensement ont tous beaucoup de feves et de giraumonts et beaucoup de Jardinage, cequi leur donne beaucoup de douceur pour vivre et pour engraisser leur bestiaux et cochons dont ils elevent quantité“. 102 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724: „Sy tous ces petits habitans avoint eté etablir aupres de la N.le Orleans, ils y procureraient l’abondance des legumes et autres douceurs“. 103 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724: „Ils ne s’attacheront que faire des vivres pour rendre aux gros habitans qui assurés d’en trouver occuperions la plus grande partie de leurs forces a faire de l’indigo, des bois de charpente et autre marchandises propres pour les retours en France pour le cap français“. 104 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #61ff. 105 Schenda, „Fleissige Deutsche, fleissige Schweizer“, 190.

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Jahr ein- oder zweimal zu besuchen, um zu sehen, ob sie ihre Sklaven gut oder schlecht nutzen“.106 Die Zuteilung von Sklaven bot in Perrys Augen also eine Möglichkeit, die Sklavenhalter zu kontrollieren. Anscheinend befürchtete er, dass die Deutschen ohne die Hilfe von Sklaven nicht erfolgreich sein könnten. Er prophezeite gar: „Wenn diese deutschen Familien, die Überreste einer großen Zahl, die hierhergekommen sind, nicht mit Sklaven versorgt werden, werden sie nach und nach verschwinden“.107 Perry traute es den Siedlern nicht zu, ohne Hilfe von Dritten oder von Sklaven zu überdauern. Vermutlich knüpfte er an Erfahrungen aus anderen französischen Kolonien, zum Beispiel aus Saint-Domingue, an. Auch hier war die Entwicklung mit dem Einsatz von afrikanischen Sklaven verbunden.108 Dass sich die Aussagen zu den fleißigen deutschen Siedlern durchsetzten, war auch auf die gängigen Sprachbilder und Formeln zurückzuführen, die Perry und andere Beamte nutzten. Erst sie verfestigten jenen Diskurs, in dem deutsche Siedler sich als fleißige Siedler verselbständigen konnten. Rudolf Schenda hat diesen Prozess der Verselbständigung an anderer Stelle erfasst: „Zu den Techniken der Fleiss-Belehrung gehörte schliesslich die Anwendung von eingängigen Sprachbildern und Formeln, die durch ständige Repetition ihre Wirkung nicht verfehlten“.109 In den Zensusberichten fanden sich die Sprachbilder und Formeln ab dem November des Jahres 1721. Zu diesem Zeitpunkt hielt ein französischer Berichterstatter fest, es handele sich bei den Deutschen der Côte des Allemands um sehr fleißige Menschen. Ihr Land sei bisher von Überschwemmungen verschont geblieben, daher gäbe ihr Fleiß Anlass zu der Hoffnung, dass sie eine gute Ernte einfahren könnten.110

106 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724: „Il faudrait pour cet effet aller toutes les années faire une ou deux visittes chez eux pour voir le bon ou mauvais usage qu’ils feraient des negres“. 107 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724: „Sy ces familles allemandes reste d’un grand nombre qui ont passé icy ne sont secourues des negres elles periront peu a peu“. 108 Vgl. Laurent Dubois, Avengers of the New World: The Story of the Haitian Revolution (Cambridge, MA: Belknap Press of the Havard University Press, 2004), 39–41. 109 Schenda, „Fleissige Deutsche, fleissige Schweizer“, 201. 110 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitans et concessionnaires de la Nouvelle Orléans et lieux circonvoisins avec les nombre des femmes, enfans, domestiques blancs,

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Der Umfang der Ernte machte den Fleiß der Siedler mess- und bewertbar; nur über Planung, Ausdauer und Zielgerichtetheit war eine erfolgreiche Ernte zu erzielen. Im Zensusbericht von 1724 wurden diese Sprachbilder und Formeln wiederholt und teils über die Forderung nach Sklaven modifiziert. Insgesamt zählte Perry achtzehn Siedler auf, die er als „bon travailleur“ oder „bonne travailleuse“ sowie „fort bon travailleur“ und „bon sujet“ charakterisierte.111 Für die Siedler Jean Adam Materne und Jean Adam Edelmayer konkretisierte er, dass diese aufgrund ihres Fleißes Sklaven verdienten. Noch konkreter wurde Perry im Nachwort zu seinem Zensus. Hier tat er die Auffassung kund, jedem der Siedler sollten, unter dem Vorbehalt steter Kontrolle, ein bis zwei Sklaven zur Verfügung gestellt werden. Diese Anzahl könnten die Siedler „sehr gut ernähren, weil sie große Mengen an Gemüse und Kürbissen ernten“.112 Ihrer Rolle als Versorger der „gros habitants“ würden sie, schlussfolgerte Perry, ebenfalls nachkommen.113 Im Jahr 1726 schrieben sich die deutschen Siedler in den Diskurs des Fleißes ein. Anstatt auf die Zuweisung von Sklaven zu warten, richteten sie selbst Forderungen an die koloniale Verwaltung. Der Conseil Supérieur reagierte auf die Forderungen, indem er die Siedler nochmals bewerten und auf dieser Grundlage Zuteilungen von Sklaven vornehmen ließ. Die kolonialen Beamten rechtfertigten die Zuteilungen mit den bekannten Sprachbildern und Formeln. Dem „bon ouvrier“ Schmit wurden ebenso zwei Sklaven zugesprochen wie dem „bon habitant“

hommes et femmes de forces, esclaves negres, esclaves sauvages, bestes a cornes et chevaux“, 24.11.1721: „Les allemands y sont partages en trois bourgs donc le terrain qui est d’une très grande etendue na jamais inondé, comme ces gens la sont bon laborieux il y a lieu d’esperer qu’ils feront cette année une recolte abondante“. 111 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #2, #3, #5, #9, #10, #12, #14, #20, #21, #22, #24, #39, #42, #48, #50, #56, #57 und #60. 112 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #61ff: „Ils nourriront fort bien leurs negres par la grande quantité de legumes et giraumonts qu’ils receuillent“. 113 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #61ff: „ils ne s’attacheront que faire des vivres pour rendre aux gros habitans“.

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Herque.114 Zwar hatten die beiden Siedler jeweils sechs Sklaven gefordert, wegen des chronischen Mangels an Arbeitskräften in der Kolonie erschien die Zuteilung von zwei Sklaven aber bereits als Erfolg.115 Nicht selten wurden die Forderungen von Siedlern ganz abgelehnt. Zum Beispiel gingen die französischen „traiteurs“116 Douvé, Harace und La Coste leer aus: Ein Vermerk zu ihnen registrierte knapp, sie verdienten keine Sklaven.117 Dass dieser Vermerk im Kontext positiver Bewertungen für deutsche Siedler zu finden war, erweckt den Eindruck, es hätte den gelisteten „traiteurs“ an Fleiß gemangelt. Der Ruf nicht fleißig zu sein, haftete den „traiteurs“ und ihren Pendants in Kanada, den Coureurs de Bois, jedoch nicht an. Eher galten sie als wenig kontrollierbar oder, wie es der Historiker Richard White ausdrückte, als „men beyond the control of legitimate authority“.118 Die Deutschen an der Côte des Allemands hingegen waren in den Augen der kolonialen Beamten kontrollierbar. Sie waren zählbar, lebten in Familien und galten als fleißig. Über die Zuteilung von Sklaven konnten sie weiter kontrolliert werden. Durch die Akzentuierung der Familie grenzten die französischen Beamten die deutschen Siedler ferner von den restlichen Gruppen des kolonialen Louisiana ab. Ob indianische Gruppen, afrikanische Sklaven, Konzessionäre, Schweizer Söldner oder französische „Landstreicher“, „Kriminelle“ und „Prostituierte“, wenn sie beschrieben wurden, spielte die Familie keine Rolle.

114 ANOM, G1, 464, „Etat des habitans qui ont fait au greffe du conseil leurs soumissions pour avoir des negres, et du nombre qu’ils en demandent payables aux termes regles par la Compagnie“, 30.10.1726, folio 4verso und 5verso. 115 Vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 35 (Abbildung 2). 116 Der Begriff „traiteurs“ bezeichnete im kolonialen Louisiana jene Franzosen, die wirtschaftliche Kontakte mit den indianischen Gruppen pflegten, zum Beispiel um den Handel mit Tierfellen und -häuten zu betreiben, siehe Encyclopédie, 16:536: „TRAITEUR, (Comm.) on appelle ainsi à la Louisiane, les habitans françois qui vont faire la traite avec les Sauvages, & leur porter jusque dans leurs habitations, des marchandises qu’ils échangent contre des pelleteries. On les nomme en Canada coureurs de bois“. 117 ANOM, G1, 464, „Etat des habitans qui ont fait au greffe du conseil leurs soumissions pour avoir des negres, et du nombre qu’ils en demandent payables aux termes regles par la Compagnie“, 30.10.1726, folio 4verso. 118 R. White, Middle Ground, 58.

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4.5 D IE Z ENSUSBERICHTE ZUR C ÔTE ZWISCHEN 1724 UND 1732

DES

ALLEMANDS

Die Bemühungen der kolonialen Verwaltung, die Bevölkerung Louisianas zu zählen, waren in den 1720er Jahren besonders ausgeprägt. Die Zensusberichte von 1721 und 1724 verdeutlichten dies ebenso wie die Zensusberichte, die in den Jahren 1726, 1731 und 1732 folgen sollten. Innerhalb einer Dekade zählte die französische Administration die Bevölkerung von Louisiana fünfmal. Jene Siedler, die in dieser Zeit nicht an einem Ort verblieben, sondern sich zwischen New Orleans und dem Hinterland Louisianas bewegten, wurden vermutlich sogar noch häufiger gezählt und beschrieben.119 Die Dichte des Zählens in den 1720er Jahren war der Verantwortung der Compagnie des Indes geschuldet. Diese hatte im Jahr 1717 das Handelsmonopol und die Verwaltung über Louisiana zugesprochen bekommen und sich verpflichtet, den Raum zu besiedeln und wirtschaftlich zu erschließen. Die Ankunft der deutschen Siedler und der französischen Zwangsmigranten seit Beginn der 1720er Jahre drückte die Bemühungen der Compagnie des Indes aus, den Verpflichtungen nachzukommen. Allerdings behinderte die prekäre finanzielle Situation der Compagnie des Indes den Transport weiterer potentieller Siedler und verhinderte, dass diese die in Louisiana vorgesehenen Konzessionen erreichten. Das Scheitern der Arkansas-Konzession von John Law stand hierfür ebenso exemplarisch wie eine Order aus dem Mai 1721, die vorsah, alle noch im französischen Hafen Lorient befindlichen Deutschen nicht nach Louisiana, sondern in ihre Heimat zurückzusenden.120 In Louisiana erfolgte die Kolonialisierung des Raumes selten nach den Vorstellungen der Compagnie des Indes, stattdessen entschieden zumeist lokale Akteure und Handlungsträger. Diese wirkten den Interessen der Compagnie des Indes

119 Für New Orleans liegen weitere Zensusberichte aus diesem Zeitraum vor, ANOM, G1, 464, „Rencensem.t General des Habitans, Negres, Esclaves, Sauvages et Bestieaux du Departement de la Nouvelle Orleans qui s’y sont trouve au j.er Juillet 1727“, 01.07.1727. 120 ANOM, G1, 465, Concession Law, „Ministre de la Marine et des Colonies, Secrétariat général, Bureau des Archives Extrait des Cartons Compagnie des Indes = N° 2“, 20.05.1721. Ein erster Zensusbericht zur Arkansas-Konzession von John Law stammte aus dem Februar 1723. Wie der spätere Zensus von 1726 gab er die Anzahl der dortigen Siedler mit vierzehn wieder, ANOM, G1, 464, „Recensement par Diron des habitants de la concession de Law aux Sotehouy Arkansas“, 18.02.1723.

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in einigen Fällen entgegen, obwohl sie offiziell in deren Diensten standen. So entschied Gouverneur Bienville nach einer Expedition von Bénard de la Harpe ins Gebiet um den Arkansas-Posten, diesen nicht weiter zu unterstützen. Er begründete den Schritt damit, dass die Deutschen von der Golf-Küste ins Innere von Louisiana transportiert werden müssten. Später wurde diese Entscheidung zusätzlich mit dem Verweis gerechtfertigt, der Conseil Supérieur, dem auch Bienville angehörte, hätte nicht gewusst, dass die Deutschen ursprünglich für John Laws Arkansas-Konzession vorgesehen waren.121 Bevor das Zählinteresse der Compagnie des Indes nach 1732 aufgrund der Rückgabe des Handelsmonopols über Louisiana erlosch, verdeutlichte die Compagnie mit den Zensuszählungen in den Jahren 1726, 1731 und 1732 ihren Willen, den kolonialen Raum zu kontrollieren. Seit dem Zensus von 1726 setzte die Compagnie vermehrt auf klassifizierende Zensusformen; Anmerkungen und Beschreibungen fehlten nun weitestgehend.122 Tabellarisch wurden die Namen der Habitants, ihre etwaigen Frauen und Kinder, die kultivierten Flurstücke sowie Vieh und Pferde erfasst. Auch die unfreien Arbeiter listete der Zensus von 1726 und unterschied zwischen drei Typen unfreier Arbeiter: „engagés ou domestiques“, „esclaves negres“ und „esclaves sauvages“. Die Deutschen wurden unter dem Begriff „maitres“ zusammengefasst und ihre Zahl auf 152 festgelegt. Insgesamt bearbeiteten sie eine Fläche von 224 Arpents de face, auf der sie vierzehn Stück Vieh hielten. „Esclaves negres“ oder „esclaves sauvages“ waren dem Zensus zufolge an der Côte des Allemands nicht zu verzeichnen.123 Die Zahlen zeigten, dass zirka acht Prozent der freien europäischen Bevölkerung von Louisiana an der Côte des Allemands lebten. Sie beackerten knapp drei

121 MPA 3:314, „Bienville to the Navy Council“, 15.12.1721: „On this report and on the orders that received from France a few days after the return of the said Sieur de La Harpe we abandoned the project of this establishment, the more so as we are not in a position to maintain a post so distant that one which would have occupied a part of our vessels and of our sailors of whom we have a very pressing need in order to transport on the Mississippi the rest of the holders of concessions and of their goods and the German families“, sowie MPA 2:465, „De la Chaise and the four Councillors of Louisiana to the Council of the Company of the Indies“, 26.04.1725: „The Council did not know that the German families formed a part of Mr. Law’s concessions“. 122 ANOM, G1, 464, „Recensement general des habitations et habitans de la Colonnie de La Loüisianne ainsy qui la se sont trouvés au Premier Janvier 1726“, 01.01.1726. 123 ANOM, G1, 464, „Recensement general des habitations et habitans de la Colonnie de La Loüisianne ainsy qui la se sont trouvés au Premier Janvier 1726“, 01.01.1726, folio 38.

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Prozent der kultivierten Fläche. Ihr Dasein als Kleinbauern drückte sich in diesem Verhältnis deutlich aus. Von den 229 indianischen und den 1.540 afrikanischen in Louisiana dokumentierten Sklaven war keiner an der Côte des Allemands registriert. Die einzigen unfreien Arbeiter hier waren drei „engagés ou domestiques“. Sie verteilten sich auf die Habitationen des Kommandanten D’Arensbourg sowie auf jene von Bernard Antoine und Jean Georges.124 Während der Zensus von 1726 offenkundig nur zählte, definierte die Zählung die Deutschen im Stillen als „petits habitants“ und situierte sie innerhalb der Machtbeziehungen des kolonialen Louisiana. Die Deutschen wurden von den „gros habitants“ abgegrenzt, deren Siedlungsraum laut „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis“ in direkter Nachbarschaft zur Côte des Allemands lag.125 Bei einer Anzahl von 133 Personen bewirtschafteten die „gros habitants“ eine Fläche von 2.763 Arpents. Dafür standen ihnen 30 Kontraktarbeiter, 31 indianische sowie 437 afrikanische Sklaven zur Verfügung. Sklaven- und Landeigentum begründeten ihren Status.126 Die Machtbeziehungen im kolonialen Louisiana wurden in den Zensusberichten bis zum Jahr 1732 weiter ausdifferenziert, obschon die Kategorien des Differenzierens selten einheitlich waren. So unterschied ein Zensus, der im Januar 1732 die Bevölkerung der Stadt New Orleans erfasste, erstmals zwischen „Waffen tragenden“ Männern, Frauen sowie Kindern. Weiterhin präzisierte der Zensus den Status der männlichen Akteure, indem sie als „proprietaires des maisons“, als Eigentümer von Häusern, bezeichnet wurden. Laut Zensus besaßen sie Eigentum, zu dem neben den „maisons“ auch die afrikanischen Sklaven gehörten.127 Zudem differenzierte der Zensus zwischen afrikanischen und indianischen Sklaven. So war die Rede von den Gruppen der „negres“, der „negresses“, der

124 ANOM, G1, 464, „Recensement general des habitations et habitans de la Colonnie de La Loüisianne ainsy qui la se sont trouvés au Premier Janvier 1726“, 01.01.1726, folio 39. 125 Newberry, Ayer MS Map 30, CM #80, „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis dix lieües au dessus et au dessous de la Nouvelle Orleans ou sont marqué les habitations et les térrains concedés à Plusieurs Particuliers au Mississsipy“. 126 ANOM, G1, 464, „Recensement general des habitations et habitans de la Colonnie de La Loüisianne ainsy qui la se sont trouvés au Premier Janvier 1726“, 01.01.1726, folio 39. 127 ANOM, G1, 464, „Recensement General de la Ville de la N.lle Orleans tant des hommes portant armes, femmes, enfans, negres, negresses, negrillons ou negrittes, sauvages, sauvagesses, mulatres, mulatresses, que des chevaux, boeufs, vaches, ecroys et armes fait au mois de Janvier 1732“.

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„negrillons ou negrittes“, der „sauvages“ und „sauvagesses“ sowie der „mulatres“ und „mulatresses“, wobei letztere Begriffe ein Bewusstsein für „métissage“, für Beziehungen zwischen Europäern und Sklaven ausdrückten.128 Zusätzlich klassifizierten die Zensusbeamten die afrikanischen Sklaven nach Alter. Die Begriffe „negrillons ou negrittes“ kennzeichneten die Kinder afrikanischer Sklaven, Kinder von Sklaven und Europäern wurden ebenfalls gesondert markiert.129 Der Zensus vom Januar 1732 offenbarte einen Wandel, der mit dem NatchezKrieg sowie mit der Rückgabe des Handelsmonopols durch die Compagnie des Indes an die französische Krone eingesetzt hatte. Beide Ereignisse hatten die koloniale Verwaltung dazu veranlasst, die Abhängigkeit von indianischen Gruppen zu reduzieren und lokale Akteure und deren Handlungsfreiheiten zu stärken. Dieser Wandel wurde in den Zensusberichten der 1730er Jahre immer greifbarer. So vermerkte der Zensus von 1731 die deutschen Siedler unter der Kategorie „habitations et concessions“ und nicht unter den ebenfalls aufgeführten „engages et ouvriers“.130 Neben den Frauen und Kindern dokumentierte die Zählung die indianischen und afrikanischen Sklaven auf den Flurstücken. Dabei differenzierte sie zwischen „negres et negresses“, „negrillons et negritte“ sowie „esclaves sauvages“. Die fehlende Unterteilung der indianischen Sklaven spiegelte deren geringe Bedeutung wider. Denn obgleich die indianische Sklaverei bis in die Zeit der spanischen Administration überdauerte, schienen die lokalen Beamten spätestens seit den 1730er Jahren der Meinung zu sein, dass die Zukunft der Sklaverei in Louisiana auf afrikanischen Sklaven basierte.131 Der Zensus von 1731 führte diesen Umstand in besonderem Maße vor Augen. Der Zensus zeigte, dass die afrikanische Sklaverei künftig nicht mehr nur auf den Konzessionen und Habitationen der Großgrundbesitzer, sondern auch unter den

128 ANOM, G1, 464, „Recensement General de la Ville de la N.lle Orleans tant des hommes portant armes, femmes, enfans, negres, negresses, negrillons ou negrittes, sauvages, sauvagesses, mulatres, mulatresses, que des chevaux, boeufs, vaches, ecroys et armes fait au mois de Janvier 1732“. 129 Jennifer Spear hat zurecht bemerkt, dass Zuschreibungen, sie spricht von „Labels“, wie „mulatres“ und „mulatresses“ allein noch keinen Nachweis für „racially exogamous relationships“ darstellten. Die Einführung solcher Begriffe in den Zensus hätte jedoch auf eine „awareness of métissage“ hingewiesen, vgl. Jennifer M. Spear, „Colonial Intimacies“, 93f, sowie dies., Race, Sex, and Social Order, 15. 130 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731. 131 Vgl. Stephen Webre, „The Problem of Indian Slavery in Spanish Louisiana, 1769– 1803“, Louisiana History 25:2 (1984): 117–135, hier 118f.

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„petits habitants“ dominieren sollte. Entsprechend wurden an der Côte des Allemands unzählige afrikanische Sklaven auf den Flurstücken vermerkt. Zwar bestritten einige wenige deutsche Siedler ihren Alltag weiterhin ohne Sklaven, in der Regel arbeiteten jedoch ein bis drei Sklaven auf den kleinen Flurstücken. Ausnahmen stellten der Kommandant D’Arensbourg und dessen Vetter Vanderhek dar. Sie besaßen jeweils sechs Sklaven.132 Repräsentativer war der Fall Gaspard Toups. Auf dessen Flurstück listete der Zensus neben seiner Frau und zwei erwachsenen Enkeln insgesamt drei afrikanische Sklaven. Für die Flurstücke anderer Siedler, wie Jacque Reither oder Simon Berling, wurden jeweils einzelne Sklaven protokolliert.133 Im Vergleich zu 1724 verfestigte der Zensus von 1731 die Rolle der Deutschen als Kleinbauern. Zur Sicherung dieser Rolle reichte die Zuteilung von ein bis drei Sklaven pro Flurstück. Ihren Status konnten die Siedler mit dieser Anzahl von Sklaven nicht verbessern; sie blieben „petits habitants“. Abgesehen von Subsistenzprodukten wie Reis, Kürbissen und Gemüse war ein Anbau von Exportprodukten, wie Indigo oder Tabak, mit dieser Anzahl von Sklaven nicht vorgesehen. Dafür bedurfte es einer größeren Anzahl, wie sie auf den Konzessionen der „gros habitants“ von La Garde, Dubreuil und Lery zu finden waren. Deren Wirtschaftlichkeit beruhte auf einer extensiven Nutzung von Sklavenarbeit; nicht selten wurden die Konzessionen von 100 Sklaven oder mehr bewirtschaftet.134 Die Zuteilungen von Sklaven an die deutschen Siedler standen kaum in Verbindung zu den Bewertungen des Zensus von 1724. Für Adam Materne, dessen Eintrag 1724 mit dem Zusatz „guter Arbeiter, der Sklaven verdient“ versehen war, verzeichnete der Zensus von 1731 drei Sklaven.135 Ebenso hatte George Troucheler, der 1724 mit dem Vermerk „fort bon travailleur“ bedacht wurde, zwei Sklaven

132 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. Vgl. auch Kondert, D’Arensbourg, 41f. 133 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 8 und 16. 134 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 8 und 14. 135 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #12: „Bon Travailleur qui merite des negres“, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16.

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erhalten.136 Andere „bon travailleurs“, wie Bernard Antoine, hatten in der Zwischenzeit hingegen keine Sklaven erhalten.137 Vermerke wie „bon travailleur“ garantierten also die Zuteilung von Sklaven nicht. Teils fanden sich im Jahr 1731 gar Sklaven auf Flurstücken von Siedlern, die vorher nicht lobend erwähnt worden waren.138 Darüber hinaus rückten mit dem Zensus von 1731 erneut die Schreibweisen der deutschen Siedler in den Fokus, die von früheren erheblich abwichen. In Einzelfällen waren Namen kaum wiederzuerkennen. Joseph Vaquesbac hatte der Beamte Perry im Zensus von 1724 noch als Joseph Waguepak aufgeführt.139 Auch die Schreibweise von Etienne Quistenmaher wies nur einen geringen Wiedererkennungswert auf. Perry hatte den Siedler unter Kistenmach registriert.140 Nicht nur die Schreibweisen unterlagen einem steten Wandel, auch die Siedler selbst befanden sich in einem steten Wandel und in steter Bewegung. Insgesamt lebten dem Zensus von 1731 nach noch 37 Siedler mit ihren Familien an der Côte des Allemands.141 Unter ihnen waren neben den „alten Bekannten“ eine Reihe von Neuankömmlingen. Zu den alten Bekannten gehörten Siedler wie Mikel Fouquel, Mikel Horn und Leonard Mackdolf, aber auch der Kommandant der Côte des Allemands, D’Arensbourg.142 Nicht mehr aufgezählt wurden hingegen Maurice Kobel, der 1724 seinen Rücktransport eingefordert hatte und um 1731 mit 71 Jahren

136 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #3, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. 137 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. 138 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 14. 139 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #55, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. 140 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #7, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 14. 141 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731. 142 Im Zensus von 1724 waren die Siedler mit den Namen Michel Vogel, Michel Horn und Leonard Magdolff gelistet worden, ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #9, #16 und #18.

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bereits ein stattliches Alter erreicht hätte. Auch Jean Senek, der Ehebrecher, fehlte im Zensus von 1731. Andere Siedler, zum Beispiel Gaspard Toubs und seine Enkel sowie Ambroise Heild hatten die Dorfgemeinschaft verlassen, siedelten aber weiterhin im Umkreis der Côte des Allemands.143 Unter den Neuankömmlingen stachen der Priester Philippe, der als „capucin curé“ vorgestellt wurde, der Sieur Venderhek, der Vetter des Kommandanten D’Arensbourg, sowie ein französischer Siedler namens Lionnais hervor.144 Der Zensus erlaubte einen flüchtigen Blick in das Alltagsleben an der Côte des Allemands. Die Ankunft des Priesters Philippe bezeugte den anhaltenden, katholischen Missionseifer und ging einher mit Vorstellungen zu religiösen Praktiken. Nun da hier ein Priester permanent siedelte, war davon auszugehen, dass die aktive Ausübung des katholischen Glaubens befördert, in der Kapelle regelmäßige Gottesdienste abgehalten sowie Tauf-, Heirats- und Sterberegister geführt wurden. Die Ankunft des Sieurs Venderhek verwies auf die Ausbildung der Machtbeziehungen unter den Siedlern. So nahm Vanderhek, begünstigt durch die Empfehlungen seines Vetters D’Arensbourg, bis spätestens 1736 den Rang eines „lieutenant reformé“ ein.145 Seine exponierte Stellung zeigte sich im Zensusbericht von 1731, in dem für ihn die außergewöhnlich hohe Anzahl von sechs Sklaven notiert wurde. Der schnelle Aufstieg von Vanderhek veranschaulichte die Bedeutung von Familiennetzwerken im kolonialen Louisiana. Gleiches konnte für Lionnais festgehalten werden, der zwar im Zensus von 1724 erwähnt, jedoch nicht als Siedler ausgewiesen, sondern im Zuge der Nennung von Jean Adam Edelmayer erwähnt worden war. Laut Perry hatte der wortwörtlich aus Lyon stammende Lionnais die Tochter von Edelmayer geheiratet.146 Dem Zensus von 1731 zufolge lebten die beiden nun an der Côte des Allemands. Das Paar Lionnais bestätigte die Erzählungen von Ehen zwischen französischen und deutschen Siedlern, entkräftete aber auch die Vorstellungen von einer deutschen Côte des Allemands. Im Detail erwies sich der Raum als Heimat unterschiedlicher Ethnien. Dabei zeigten die Beispiele Lionnais und Vanderhek, dass die Aneignung des kolonialen Raumes weniger auf

143 Im Zensus von 1724 als Ambroise Hesdel geführt, ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #14, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 8–10. 144 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. 145 ANOM, C, 13A, 21, folio 183, Bienville au ministre, 29.06.1736. 146 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, #57.

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ethnischen Gesichtspunkten, denn auf der Ausbildung von Familiennetzwerken beruhte.147 Der letzte Zensus, der unter Leitung der Compagnie des Indes durchgeführt wurde, stammte aus dem Jahr 1732. Vermutlich war er mit der Übergabe der kolonialen Verwaltung von der Compagnie des Indes an die französische Krone in Auftrag gegeben worden.148 Er erfasste den kolonialen Raum um das Zentrum New Orleans. Im Gegensatz zu den bereits genannten Zählungen dokumentierte der Zensus „après 1731“ nur die männlichen Siedler, ansonsten lieferte er kaum Informationen über die Familien und Sklaven. Allein Angaben zur Größe der Flurstücke in Arpents de face sowie zu Besitz- und Eigentumsverhältnissen der Flurstücke wurden ergänzend gemacht, wobei die Zensusbeamten grundsätzlich zwischen den Status „par requette“ und „par possession“ unterschieden. In einigen Fällen wurde konkretisiert, wie die Flurstücke in den Besitz oder in das Eigentum bestimmter Personen übergegangen waren: durch Vertrag, Kauf, Erbe, Eheschließung oder mündlichen Erlass.149 Für die Deutschen hielt der Zensus größtenteils fest, dass diese sich auf ihren Flurstücken „par possession“ befänden. Folglich waren sie die Besitzer, jedoch nicht die Eigentümer dieser Flurstücke. Das französische Recht, genauer gesagt das Coutume de Paris, differenzierte in diesem Punkt sehr präzise.150 So bemerkte Jean Domat, einer der bedeutendsten Rechtskommentatoren seiner Zeit, dass mit der „possession“ einer Sache sowohl die Möglichkeit verbunden war, diese in Eigentum zu verwandeln, als auch den Besitz komplett zu verlieren.151 Die deut-

147 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. Zudem wurde für die beiden Eheleute ein Kind gelistet. 148 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731. 149 Im Falle des Konzessionärs D’asfeld vermerkte der Zensus gar „sans titre“. Das heißt, die Konzession befand sich offenbar ohne legalen Titel im Besitz von D’asfeld. 150 Vgl. Jerah Johnson, „La Coutume de Paris: Louisiana‘s First Law“, Louisiana History 30:2 (1989): 145–155. 151 Vgl. Vgl. Jean Domat, Les Loix Civiles dans Leur Ordre Naturel, Suivies du Droit Public, &c., Bd. 1 (Paris: Adrian Moetjens, 1703), 283–288: „De la liaison entre la possession & la proprieté, & comment on peut acquerir ou perdre la possession“. Der Status der „possession“ veränderte sich über die gesamte Phase der französischen Administration nicht. Selbige Unterscheidung fand sich weiterhin in der Encyclopédie; vgl. ebd. 1:165: POSSESSION.

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schen Siedler genossen also einerseits eine gewisse Rechtssicherheit, mussten andererseits aber damit rechnen, ihren Besitz wieder zu verlieren, ohne dass dies die Möglichkeit ausschloss, die eigenen Flurstücke zu veräußern und neue Flurstücke zu erwerben. Am Status des Besitzes – und nicht des Eigentums – änderten die Ver- und Zukäufe nichts. Ebenfalls unverändert blieb der Status der Deutschen; sie wurden weiterhin als „petits habitants“ gekennzeichnet. Ihr Besitz unterschied sie von den besitzund eigentumslosen Kontraktarbeitern, zu denen sie selbst einst gehört hatten, und trennte sie von den „gros habitants“, das heißt von den Eigentümern der Konzessionen, die diese fast ausnahmslos „par requette“ erhalten hatten. Unter den deutschen Siedlern konnte diesen Vermerk allein der Kommandant D’Arensbourg für sich verbuchen. Sein Flurstück stach mit zwölf Arpents de face gegenüber den Flurstücken der anderen Siedler heraus.152 Diese besaßen im Durchschnitt Flurstücke von etwa vier bis sechs Arpents de face, wobei einige Siedler, wie Adam Materne oder George Roeser, es gar auf acht Arpents de face brachten. In den letzten acht Jahren hatten die beiden ihren Besitz beträchtlich erweitert. Der Zensus von 1724 hatte für sie noch Flurstücke von zwei bzw. zweieinhalb Arpents notiert.153 Generell vermerkte der Zensus „après 1731“ die Flurstückgrößen ausschließlich in Arpents de face und bestätigte damit, dass sich die Langstreifenfluren um 1732 an der Côte des Allemands durchgesetzt hatten. Zudem waren die Besitzer von Kleinstflächen in der Größe von einem, eineinhalb oder zwei Arpents, die der Zensus von 1724 vielfach gelistet hatte, nun so gut wie verschwunden. Nur zwei Siedler, Adam Schmitte und Jean George Poque, bearbeiteten noch Flurstücke von dieser Größe. Im Falle von Adam Schmitte lieferte der Zensus von 1724 eine Er-

152 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731: „12 Arpents de face, D’arransbourg par requette“. 153 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731: „8 Arpents de face, George Roeser [par] possession“ sowie „8 Arpents de face, Adam Materne par possession“, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, #12 und #21.

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klärung für dessen geringen Flurstückbesitz. In einem Vermerk hieß es, der Witwer Schmitte arbeite „in seinem Beruf als Holzschuhmacher“ und bewirtschafte sein Flurstück nicht.154 Der Zensus „après 1731“ erklärte den zahlenmäßigen Rückgang der Familien an der Côte des Allemands damit, dass größere Flurstückflächen ohne eine Reduzierung der Siedlerzahlen nicht zu realisieren waren – zumindest dann nicht, wenn die Siedler und ihre Familien Flurstücke mit Zugang zum Mississippi beanspruchten, wie es die Angaben in Arpents de face andeuteten. Die erwähnten Gaspard Toubs und Ambroise Hesdel könnten sich aus eben diesen Gründen von der Côte des Allemands zurückgezogen haben.155 Beide lebten nun zwischen New Orleans und der Côte des Allemands. Für Toubs registrierte der Zensus ein Flurstück von acht Arpents de face, für einen seiner Söhne, Louis Toubs, weitere acht Arpents de face. Ihr Nachbar, Ambroise Hesdel, kam laut Zensus sogar auf fünfzehn Arpents de face. Offensichtlich hatte er der Fläche von zehn Arpents de face, die er bereits „par possession“ besaß, durch Kauf fünf weitere Arpents de face hinzugefügt.156 Für Louis und Gaspart Toubs sowie Ambroise Heydel hatte sich abseits der Côte des Allemands die Möglichkeit geboten, ihren Landbesitz zu vergrößern und

154 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731: „1 ½ Arpents de face, Adam Schmitte par possession“ sowie „2 Arpents de face Jean George Poque par possession“, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, #46: „Travaille de son métier en galoche“. 155 Bei ihrer Entscheidung hatten „Toubs“ und „Hesdel“ von einem königlichen Edikt aus dem Jahr 1728 profitiert, das alte Konzessionen oder Teile davon für ungültig erklärt hatte und die entsprechenden Konzessionen neuen Siedlern zur Verfügung gestellt hatte. Um die Räume und Flurstücke in Anspruch zu nehmen und langfristig zu besitzen, mussten die Siedler die Kultivierung der Flächen nachweisen. Zur Erläuterung des königlichen Edikts siehe Blume, Entwicklung der Kulturlandschaft des Mississippideltas, 27–29. 156 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731: „8 Arpents de face, Louis Toubs par possession“, „8 Arpents de face, Gaspart Toubs par acha[t] du Sr. Gaullas“ sowie „15 Arpents de face, Ambroise Heydel 5 [par] acha[t] de Gaullas et 10 par possession“.

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die Produktivität zu erhöhen. Aus der Perspektive der kolonialen Verwaltung bedeutete der vergrößerte, individuelle Landbesitz vor allem eines: Die Entwicklung des Raumes Louisiana schritt peu à peu voran, auch weil sie Gruppen und Akteure einschloss, die zunächst vom Landbesitz ausgeschlossen worden waren. Dies galt für die ehemaligen deutschen Kontraktarbeiter ebenso wie für freigelassene, emanzipierte Afrikaner und die Nachkommen aus Beziehungen zwischen afrikanischen Sklaven und Europäern, vorausgesetzt, diese hatten den Status eines „mulatre libre“ oder „negre libre“. Unter anderem fand sich im Zensus „après 1731“ unter den Siedlern ein Eintrag für einen Akteur namens „Simon Mulatre“. Simon besaß ein Flurstück von sechs Arpents de face. Vier Arpents davon gehörten ihm „par possession“, zwei weitere Arpents hatte er nachträglich von einem gewissen Scipion erstanden, der seines Zeichens als „freier Schwarzer“ bezeichnet wurde.157 Simon und Scipion waren Teil einer kleinen Gemeinschaft freier, ehemaliger Sklaven des kolonialen Louisiana, die sich bereits in den 1720er Jahren herausgebildet und in den Kämpfen gegen die Natchez verdient gemacht hatte. Mit „Simon Mulatre“ könnte der berüchtigte Simon Calfat gemeint sein, der in den 1730er Jahren Expeditionen der freien afrikanischen Milizen gegen die Chickasaw-Indianer anführen sollte.158 Erst um 1750 verließ er den Umkreis der Côte des Allemands und siedelte im Bereich des English Turn, der als Gebiet der freien Afrikaner bekannt war.159 Zuvor hatte Simon mindestens zwanzig Jahre im Umkreis der Côte des Allemands verbracht. Die Vermutung lag nahe, dass Simon, der freie Afrikaner, mit den von ihren Kontrakten befreiten Deutschen nicht nur einen Raum, sondern auch deren Status teilte, nämlich jenen eines „petit habitant“. Dass

157 ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731: „6 Arpents de face, Simon mulatre 4 par possession et 2 achepte de Scipion negre libre“. 158 Vgl. Ingersoll, Mammon and Manon, 77. 159 Siehe hierzu ein Paper von Cécile Vidal, gehalten in den Jahren 2011 und 2012 an der Duke, der Brown und der Stanford University, Cécile Vidal, „The 1769 Oath of Fidelity and Allegiance to the Spanish Crown of the French ‚Company of the Free Mulattoes and Negroes of This Colony of Louisiana‘: Dual Genealogy of a Social Event“; siehe auch ANOM, F3, 243, folio 75, 76 und 79, 15.01.1751. Dumont [dit Montigny] stellte Simon im Übrigen mit den Worten „un Negre libre nommé Simon, Capitaine de la Compagnie de Negres“ vor und offenbarte damit die Konstruktivität und geringe Verlässlichkeit solcher Begriffe und Aussagen für das koloniale Louisiana, siehe Dumont, Mémoires Historiques sur la Louisiane, Bd. 2, 225–226.

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Simon ein Flurstück von sechs Arpents de face bewirtschaftete, untermauerte diesen Eindruck und verwies auf einen Umstand, den Carl Brasseaux wie folgt kommentiert: „Status meant everything in colonial Louisiana“.160 Die Siedlungsnähe zwischen Simon und den Kleinbauern an der Côte des Allemands bestätigte diese These. Schließlich war die Landvergabe hier mit Vorstellungen zum Status der „petits habitants“ verknüpft; gleichzeitig signalisierte Simons Abschied einen Wandel. Ab 1750 sollten Klassifizierungen nach Ethnizität und Race eine immer größere Rolle einnehmen, wenn es darum ging, die koloniale Gesellschaft zu differenzieren. Davor, gerade in den 1720er und 1730er Jahren, hatten die Differenzierungen auf dem Status einer Person oder Gruppe beruht und waren mit konkreten Vorstellungen zum Landbesitz und -eigentum verbunden gewesen. Während die Konzessionäre oder „gros habitants“, wie La Garde, Dubreuil und de Lery, mit großen Plantagen in Verbindung gebracht wurden, waren für die „petits habitants“ kleine, von Subsistenzwirtschaft geprägte Flurstücke vorgesehen. Die Vergabe von Besitz an freie Afrikaner war in diesem Zusammenhang zu verstehen. In dem Moment, in dem vormalige afrikanische Sklaven eigene Flurstücke besaßen, Ackerbau betrieben und Milizaufgaben übernahmen, wuchsen sie zu Konkurrenten der „petits habitants“ heran. Als solche hielten sie den europäischen Siedlern ihre Ersetzbarkeit vor Augen. Der ehemalige Sklave Simon stand hierfür exemplarisch. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts hatte er an der Côte des Allemands keine Besonderheit dargestellt, sondern den „petit habitant“ par excellence repräsentiert: Wie seine Nachbarn hatte Simon auf einer Langstreifenflur vom subsistenzwirtschaftlichen Anbau von Agrarprodukten gelebt.

4.6 D AS Z ÄHLEN IN I NVENTARLISTEN UND V ERKAUFSPROTOKOLLEN NACH 1732 Die Zensus, die von der kolonialen Verwaltung in den Jahren nach 1732 durchgeführt wurden, hatten mit den detailreichen Berichten der Jahre 1721 bis 1732 nur noch wenig gemeinsam. Vielmehr erinnerten sie in Form und Inhalt an die Passagierlisten, in denen die künftigen Siedler vor ihrer Abreise nach Louisiana erfasst worden waren. Wie die frühen Passagierlisten gaben auch die Zensusberichte nach

160 Brasseaux, Primer on Francophone Louisiana, 95. Mit Blick auf die koloniale Erfahrung vermerkt Brasseaux weiterhin: „Because of modern America’s preoccupation with race, it is easy to forget that religion and class have constituted humanity’s most profound and enduring agents of social division“. (40)

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1732 kaum Informationen über die Akteure preis. Neben den Namen der männlichen Siedler vermerkten die Passagierlisten nur die Anzahl der Ehefrauen und Kinder. Reisten oder lebten Frauen oder Kinder allein, wurden ihre Namen in den Listen angegeben.161 Aus diesem Zählen wurde deutlich, dass die Deutschen ihre Heimat in Gemeinschaften und Familienverbänden verlassen hatten. Ihre Bemühungen erinnerten dadurch an die Migrationsbewegungen in die englischen Kolonien Nordamerikas des 18. Jahrhunderts.162 So hatte sich im Jahr 1720 auf der Garonne ein Verbund des Dorfes „Friderichsorth“ eingefunden, der insgesamt 64 Personen umfasste und unter Leitung des Bürgermeisters, eines gewissen André Traeger, die Fahrt in Richtung Louisiana angetreten hatte.163 Eine der größten Gemeinschaften war aus der Gemeinde „Hoffen“ auf die Reise gegangen. Angeführt von ihrem Vogt gingen 73 Personen an Bord der Deux Freres. Ihre Ankunft an der Côte des Allemands sollte sich später in der Gründung des gleichnamigen Dorfes „Hoffen“ niederschlagen.164 Maßgeblich für das Zählen in den Passagierlisten war eine Generalliste von 1721, die vorgab, jedwede Passagiere erfasst zu haben, die zwischen dem 4. Januar 1720 und dem 24. Januar 1721 in Richtung Louisiana in See gestochen waren.165 Laut der Generalliste hatten auf den Schiffen Deux Freres, Saone, Charente, Garonne, Durance und St. André insgesamt 1.259 Passagiere die französische Küste verlassen. Wie viele von ihnen tatsächlich in Louisiana angekommen waren, blieb jedoch unklar. Die Dokumente zur Fleute Garonne deuteten darauf hin, dass die Mortalitätsraten an Bord nicht unerheblich waren. Das Schiff hatte auf

161 ANOM, G1, 464, „Le St. André, Noms et Surnoms des Passagers allemandes qui ont eté embarqué sur la pinasse le St. André le 13e avril 1721 pour passer a la Louisiane“, 13.04.1721, sowie G1, 464, „Etat des familles allemandes qui sont embarqué sur le V.au de la Compagnie des Indes La Durance pour passer a la Louisianne“, 03.06.1721. 162 Siehe Bernd Brunner, Nach Amerika: Die Geschichte der deutschen Auswanderung (München: Beck, 2009), 19–37. 163 ANOM, G1, 464, „Liste generale de tous les Passagers pour la Louisiane depuis le 4e Janvier 1720 jusque et compris le 24 Janvier 1721 fait a L’orient le d.t jour“, 24.01.1721, „La Garonne, Capitaine Mr. Burat“. 164 ANOM, G1, 464, „Liste generale de tous les Passagers pour la Louisiane depuis le 4e Janvier 1720 jusque et compris le 24 Janvier 1721 fait a L’orient le d.t jour“, 24.01.1721, „Les Deux Freres, Cap.ne M. Chenau“. 165 ANOM, G1, 464, „Liste generale de tous les Passagers pour la Louisiane depuis le 4e Janvier 1720 jusque et compris le 24 Janvier 1721 fait a L’orient le d.t jour“, 24.01.1721.

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seiner Reise nach Louisiana in Brest halt machen müssen, um fünfzehn auf See verstorbene Passagiere an Land zu bringen.166 Zudem berichteten ergänzende Dokumente von einem zusätzlichen Stopp, in dessen Folge weitere 79 erkrankte Passagiere die Garonne verlassen hatten. Noch bevor der offene Atlantik erreicht war, hatte sich die Passagierzahl an Bord also fast halbiert. 167 Die Aufzeichnungen zu diesen Ereignissen glichen eher Notizzetteln und Kritzeleien denn offiziellen Berichten oder amtlichen Niederschriften. Ihre Beschaffenheit unterschied sich stark von der voluminösen, prachtvoll gestalteten Generalliste. Papierqualität, Schriftform und Inhalt hatten wenig mit den Aufzeichnungen des Garonne-Dramas gemein. Während die Generalliste die erfolgreiche Anwerbung von Auswanderern und deren Verschiffung nach Louisiana durch die Compagnie des Indes zelebrierte, deuteten die Notizzettel ein Scheitern der Mission an. Die Sterberaten und Verluste auf der Überfahrt waren zwar zu dokumentieren, jedoch aus dem Migrationsdiskurs selbst zu verdrängen. Nicht zuletzt lag der Erfolg der Verschiffungen im Interesse der Investoren. Unzählige französische Bürger hatten ihr Vermögen in die Compagnie des Indes investiert, die als Aktiengesellschaft firmierte und seit geraumer Zeit mit dem drohenden Bankrott kämpfte. Die besorgten Anleger lechzten daher nach Informationen, die durch die offiziellen Dokumente nicht geliefert wurden. Notizzettel und Kritzeleien verwandelten sich schnell in Gerüchte und verbreiteten die Nachrichten von den sterbenden Auswanderern. Niederschlag fanden die Gerüchte, teils zeitverzögert, in den Journalen, Histoires und Memoiren, die von den Dramen zu See und in Louisiana berichteten. So vermerkte Dumont, er sei in Lorient an Bord der Charente mit einer „force allemands“ in See gestochen. Im Laufe der Überfahrt sei unter den Deutschen eine ansteckende Krankheit ausgebrochen, die sich auf die Matrosen und Offiziere übertragen sowie eine Vielzahl der Personen an Bord „dahingerafft“ hatte.168 Die Hoffnungen, die mit den offiziellen Passagierlisten und der Verschiffung der Deutschen verbunden waren, wurden durch solche

166 ANOM, G1, 464, „Noms des allemens que la flutte la garonne a debarqué et laissé malade a Brest chez le Sieur Morrel costé de Recouvrance et du depuis mort“. 167 ANOM, G1, 464, „Noms des allemens qui sont a lanninon actuellement ce jour fevburier 1721“. 168 Dumont, Regards sur le monde atlantique, 128: „Une maladie contagieuse prit aux passagers allemands d’abord, ensuitte elle gagna aux matelots et de là aux officiers. Les premiers ainsi que les seconds tomboient tout d’un coup roides morts, et des femmes qui etoient enceintes accouchoient avant terme et perdoient leur fruit et leur vies en même temps que celles de ces pauvres innocents. Cette maladie, ou plustost cet air empestiféré, saisit les plus robustes comme les plus foibles, et des matelots qui

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Erzählungen und Gerüchte jäh gedämpft. Vor allem die systematische Besiedlung der Kolonie Louisiana, für die die deutschen Siedler und ihr Schicksal exemplarisch standen, schien gefährdet. Die Aktienkurse der Compagnie des Indes stürzten ab; der Bankrott war nicht mehr zu vermeiden. Die Zensus der Jahre 1732 bis 1762 ähnelten in Form und Inhalt, wie bemerkt, den General- und Passagierlisten von 1720 und 1721. Für den Raum um New Orleans und das untere Mississippidelta traf dies im Speziellen für einen Bericht zu, der im Jahr 1737 angefertigt wurde.169 Ohne größere Details zu liefern, gab der Zensus eine Population von 4.666 Individuen an. Einzig die Anteile der verschiedenen Bevölkerungsgruppen legte der Bericht offen und sprach von 1.504 Europäern, 3.121 Afrikanern und 41 Indianern.170 Damit bestätigten sich die Tendenzen der Vorjahre. Den indianischen Gruppen, deren Zahlen verschwindend gering beziffert wurden, kam keine Bedeutung mehr zu. Die Entwicklung des kolonialen Raumes schritt ohne sie voran. Hingegen wurde den afrikanischen Sklaven sowie den wenigen freien Afrikanern schon durch ihre schiere Anzahl eine entscheidende Rolle zugeschrieben. Um 1737 stellten sie zwei von drei Bewohnern der Kolonie. Ob als Arbeitskräfte auf den Konzessionen der „gros habitants“ oder zur Ergänzung der „petits habitants“, die afrikanischen Sklaven und freien Afrikaner wirkten unverzichtbar. Zugleich verlangte die hohe Anzahl der freien und unfreien afrikanischen Akteure aus der Sicht der kolonialen Beamten nach deren Kontrolle. Eine Antwort, wie die Verwaltung afrikanische Akteure zu kontrollieren plante, hatte bereits der Zensus von 1732 angedeutet: „des hommes portant armes“. „Waffen tragende“ europäische Männer galt es zu zählen und den Ausbau der Milizen und eines Milizsystems zu initiieren.171 Aus der Perspektive der kolonialen Verwaltung boten

montoient aux cordages des hautbands s’en trouvoient saisis et tomboient à la mer sans force ni sans vie“. 169 Im Zensusbericht wurden weder Datum noch Ort der Herstellung vermerkt, ANOM, C, 13C, 4, folio 197, „État récapitulatif du recensement général de la Louisiane“. Die Datierung auf 1737 erfolgt nach Paul LaChance, „Growth of the Free and Slave Population of French Colonial Louisiana“, 219–226. 170 Vgl. LaChance, „Growth of the Free and Slave Population of French Colonial Louisiana“, 222. 171 ANOM, G1, 464, „Recensement General de la Ville de la N.lle Orleans tant des hommes portant armes, femmes, enfans, negres, negresses, negrillons ou negrittes, sauvages, sauvagesses, mulatres, mulatresses, que des chevaux, boeufs, vaches, ecroys et armes fait au mois de Janvier 1732“. Albert Robichaux konnte in seiner

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die Milizen eine Möglichkeit der Kontrolle. Überdies konnten die Milizen in den Konflikten mit indianischen Gruppen eingesetzt werden. Ein Zensus aus dem Februar 1749 belegte dies eindrücklich. Damals hatte die koloniale Verwaltung den Kommandanten der Côte des Allemands, D’Arensbourg, exakt an jenem Punkt dazu veranlasst, eine Zählung durchzuführen, an dem man sich einer Reihe von Konflikten mit indianischen Gruppen gegenübersah.172 D’Arensbourgs Erhebung lieferte nur wenige Details über die Siedler an der Côte des Allemands. Dokumentiert wurden ausschließlich die männlichen Akteure der kleinen Habitationen. Untergliedert wurde schlicht zwischen Jungen und Alten. Des Weiteren gab die Zählung Auskunft über etwaige Söhne oder andere, auf den betreffenden Habitationen sesshafte, männliche Personen. Insgesamt zählte D’Arensbourg 96 Siedler, von denen er 30 als „jeunes gens“ einstufte.173 Sowohl die „jeunes gens“ als auch die alten Siedler verkörperten potentielle Mitglieder der Miliztruppen. Vermindert wurde die Leistungskraft der Miliz durch jene Siedler, die die Côte des Allemands in der jüngsten Vergangenheit verlassen hatten. D’Arensbourg bezifferte ihre Anzahl auf zwölf, wobei er die Witwen Cheval, Boucherant und Rousseau mitzählte, die es nach New Orleans gezogen hatte und die nicht für die Miliztruppen vorgesehen waren. Die Abwanderungen von Siedlern, gerade jene nach New Orleans, mussten in den Augen der kolonialen Verwaltung unbedingt vermieden werden. Insbesondere infolge von Konflikten mit den indianischen Gruppen hatten Kleinbauern die Côte des Allemands verlassen und „kultiviertes Land“ sowie umherstreifendes Vieh zurückgelassen.174 Die Kontrolle über den Raum war, zumindest kurzfristig, verloren gegangen; wirtschaftliches Potenzial war ungenutzt geblieben. Nur die Aufstellung von Miliztruppen konnte solche Situationen in Zukunft verhindern.175

Aufstellung der Milizen die Integration der deutschen Siedler in ein solches Milizsystem nachweisen, siehe Robichaux, Louisiana Census and Militia Lists. Siehe auch Kimberly S. Hanger, „A Privilege and Honor to Serve: The Free Black Militia of Spanish New Orleans“, in The African American Experience in Louisiana, Part A: From Africa to the Civil War, hrsg. v. Charles Vincent (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1999), 224–246. 172 Die Rede ist von der „Choctaw Revolt“, vgl. Usner, American Indians, 60f. 173 Huntington Library, Vaudreuil Papers, Oversize Box, LO 165, folio 4, „Etat des Habitants aux Allemands estant existant avec les Remarques de ceux qu’ont quitté leurs habitations. Fait le 8 fevr: 1749“, 08.02.1749. 174 ANOM, C, 13A, 32, folio 83verso/84, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. 175 Der Aufbau eines Milizsystems war notwendig geworden, da es an regulären französischen (und später spanischen) Truppen stets mangelte. Zwischen 1721 und 1728

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Die Daten vom Februar 1749 bestätigten, was sich bereits in den anonymen Memoiren eines französischen Beamten aus dem Jahr 1746 angedeutet hatte: Die Anzahl der männlichen Siedler stagnierte. Auch hatte sich an ihrem Status als „petits habitants“ nichts geändert. Die Memoiren von 1746 setzten die Anzahl der männlichen „habitants“ grob auf einhundert fest und stellten diesen zweihundert „negres, negresses ou negrillons“ gegenüber.176 Den subsistenzwirtschaftlichen Charakter des Raumes untermauerte der Verfasser der Memoiren wie folgt: „Flussaufwärtsfahrend findet man auf der linken Seite des Flusses zirka 10 Lagen von New Orleans entfernt eine Siedlung, die sich Les Allemans nennt und aus ungefähr 100 Habitants und 200 Sklaven zusammensetzt. Ihre wesentliche Beschäftigung besteht in der Gartenarbeit, dem Anbau von Reis sowie der Zucht und Mast von Vieh“.177

Damit schrieben die Berichte und Zählungen der Jahre 1732 bis 1762 grundlegende Aspekte früherer Zensus fort. Die Siedler wurden weiterhin als „petits habitants“ dargestellt. Noch immer galten sie als jene Deutschen, die sich vom Garten- und Ackerbau ernährten. Ergänzend ordneten die Zensusberichte ihnen im Verlauf der 1740er Jahre eine neue Rolle zu: Organisiert in Milizen verteidigten sie den kolonialen Raum. Ab Mitte der 1740er Jahre ergänzten die Inventarlisten und Verkaufsprotokolle in begrenztem Maße die Zensuszählungen, indem sie Aspekte erfassten, die vormals in den Zensusberichten dokumentiert worden waren: Die Namen der Siedler, die Größe der Flurstücke, die Lage der Flurstücke und den Zustand der Kultivierung. Beispielhaft geschah dies in einem Verkaufsprotokoll der Siedler Gille Giottay dit La Chenaÿe und Jacques Veis Kramer dit Baÿer vom 3. März 1748. Im Protokoll vermerkte der zuständige Kommandant D’Arensbourg die Verkäufer und den Käufer des Flurstückes, stellte eine Fläche von acht bis neun Arpents de face bei einer üblichen Tiefe von 40 Arpents fest und situierte das

befanden sich zwischen acht und sechszehn Kompanien in der Kolonie, in der Zeit nach 1732 legte die Krone die reguläre Truppenstärke auf 800 Mann fest, vgl. Havard/Vidal, Histoire de l’Amerique française, 184f. 176 ANOM, C, 13A, 30, folio 256, „Mémoire sur l’état de la Louisiane en 1746 [anonyme]“, nach 1746. 177 ANOM, C, 13A, 30, folio 248, „Mémoire sur l’état de la Louisiane en 1746 [anonyme]“, nach 1746: „En remontant le fleuve on trouve sur la rive gauche a 10 lieues de la nouvelle orléans un établissement appelé les allemans qui est composé d’environ 100 habitans et 200 negres. Leur occupation principale est le jardinage, la culture du Ris, et d’élever et engraisser les bestiaux“.

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Flurstück über die Angabe des benachbarten Siedlers George Schantze und eines angrenzenden Waldstücks. Ferner notierte D’Arensbourg, dass La Chenaÿe das Flurstück bewohne, dieses bearbeite und kultiviere.178 In anderen Fällen lieferten die Protokolle weitere Details. So wurde zur Lage des Flurstücks von Louis Wils vermerkt, dass sich dieses etwa zwei Lagen oberhalb des „presbitaire“179 der Côte des Allemands befand.180 Relevante Informationen beinhalteten auch die Heiratsverträge, denen ein „Inventaire d’Effets et Bestiaux“ beilag.181 Prinzipiell unterlag das Heirats- und Erbrecht im kolonialen Louisiana den Bestimmungen des Coutume de Paris. Dem Coutume zufolge traten Mann und Frau mit der Heirat in eine Gemeinschaft ein, in der sie ihren Besitz teilten, auch wenn der Ehemann als Verwalter des Besitzes auftrat.182 Die Besitzverhältnisse der Ehepartner waren daher mit dem Eintritt in die Ehe festzustellen. Starb einer der Eheleute erhielt der andere die Hälfte des Besitzes; der Rest wurde unter den Kindern des Paares geteilt. Besitz von Kindern aus vormaligen Beziehungen blieb hiervon unberührt und war vor dem Eheschluss zu dokumentieren. Durch die hohen Sterblichkeitsraten im kolonialen Louisiana gingen Witwen und Witwer nicht selten neue Ehen ein. Die Kinder aus vorherigen Beziehungen waren für solche Fälle materiell abzusichern.183 Der Heiratsvertrag für Jean Jaques Mayer und Mariane Bourgeois von 1749 veranschaulichte diese Praxis. Dem Vertrag war eine Inventarliste angehängt, die den Besitz der Braut aufführte. Der Besitz von Mariane wurde auf 783 livres taxiert; in den Heiratsvertrag wurde er „pour la sureté des leurs Enfants“ aufgenommen. Im Detail beschrieb die Inventarliste den Viehbesitz der Braut, genannt wurden Kühe, Schweine und Geflügel. Neben den Bargeldrücklagen von 184 livres in spanischer und französischer Währung wurden auch der Hausrat, das heißt Töpfe und Kessel, Beile und Hacken, sowie die Kleidungsstücke der Braut erfasst.184 Besaßen die zukünftigen Ehepartner keine Kinder aus vormaligen Beziehungen wurde dies im Ehevertrag vermerkt und die Aufteilung des Besitzes im Falle des Ablebens eines der Partner geklärt. Diesem Muster folgend legte der

178 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 5. 179 Creole Lexicon, 170: „presbytère“. Mit den Begriffen „presbitaire“ oder auch „presbytère“ und „probitaire“ wurden im kolonialen Louisiana die Wohnsitze der katholischen Priester beschrieben. 180 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 4. 181 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 6. 182 Vgl. Johnson, „Coutume de Paris“, 152f. 183 Vgl. J. M. Spear, Race, Sex, and Social Order, 31. 184 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 6.

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Heiratsvertrag zwischen Jean Babtiste Buteau und der Witwe Helene Gilbert fest, dass die beiden bisher kinderlosen Eheleute im Todesfalle den Besitz des jeweils anderen übernehmen sollten. Gingen aus ihrer Ehe Kinder hervor, stände diesen aus dem gemeinsamen Besitz, so der Heiratsvertrag, die Summe von jeweils 300 livres zu.185 Besitz wurde nicht nur im Heiratsfalle, sondern auch im Falle der Verwitwung schriftlich protokolliert. Eine entsprechende Inventarliste fertigten Beamte für die Witwe Porliée an. Die Liste bestätigte der Witwe nach dem Tod ihres Mannes den Besitz eines Flurstückes samt Wohnhaus sowie kleinere Vieh- und Haushaltsbestände im Wert von 400 livres.186 Auch den Besitz von Verstorbenen dokumentierten die Beamten in der Regel. Als im Januar 1759 der Siedler Jean Jaques Mayer starb, setzten die Verantwortlichen an der Côte des Allemands eine Inventarliste auf, die Mayers Besitz genauestens verzeichnete.187 Mayer war seit dem Februar 1749 mit Mariane Bourgeois verheiratet gewesen. Nun stellte die Liste die Grundlage für den Verkauf des Teils seines Besitzes dar, der nicht seiner Frau zustand.188 Während die Inventarlisten den Siedler besitztechnisch Rechtssicherheit verschafften und den Ehefrauen eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit garantierten, gewann die koloniale Verwaltung durch die Listen einen detaillierten Einblick in die Verhältnisse an der Côte des Allemands. Wie die Heiratsverträge ergänzten die Inventarlisten die Erkenntnisse aus den Zensusberichten: Sie gingen über das Zählen von Siedlern, Flurstücken und Ernteerträgen hinaus und erfassten Gegenstände und Dinge des Alltäglichen exakt. Auf diese Weise modifizierte und verfestigte sich das Bild von der Gemeinschaft der „petits habitants“ an der Côte des Allemands.

4.7 „I NVENTAIRE D ’E FFETS ET B ESTIAUX “: Z ÄHLEN UND „D EUTSCHSEIN “ AN DER C ÔTE DES ALLEMANDS Das fortwährende Zählen verfestigte und modifizierte die Vorstellungen von den Deutschen an der Côte des Allemands. Dabei beruhten die Vorstellungen stets auf den Darstellungen kolonialer Beamter, die beim Zählen jene Rolle einnahmen, die den Pariser Kartographen im Prozess des Kartierens vorbehalten war. Ähnlich den

185 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 32. 186 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 17. 187 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 22. 188 LaRC, 600 Kuntz Collection, Box 20, folder 24.

Z ÄHLEN

UND

Z ENSUSBERICHTE | 159

Kartographen war das Zählen der Deutschen Teil eines Diskurses. In diesem Diskurs verhandelten die Beamten ihr Verständnis der Begriffe der Nation und der „Francité“; und sie grenzten die Deutschen von den indianischen, afrikanischen und „unerwünschten“ französischen Akteuren ab. Entgegen diesen Akteuren wurden die Deutschen nicht nur gezählt, sondern auch als fleißig beschrieben. In den entsprechenden Beschreibungen entwickelten die kolonialen Beamten ein neues Verständnis des Fleißes: Planung, Ausdauer und Zielgerichtetheit stellten nunmehr die relevanten Indikatoren dar. Die Resultate des Fleißes ließen sich in der Kultivierung von Flurstücken und in der Generierung von Ernteerträgen ablesen; die Produktivität der Deutschen in diesen Bereichen wurde von den Beamten immer wieder hervorgehoben. In der Konsequenz bedeutete „Deutschsein“ im kolonialen Louisiana fortan „fleißig“ zu sein. Mit dieser Entwicklung ging ein Wandel des Status der Deutschen einher. Auf den Passagierlisten der Schiffe noch als Kontraktarbeiter vermerkt, wurden die Deutschen mit den ersten Zählungen in Louisiana zu „laboureurs“ und „petits habitants“ erhoben. Im Gegensatz zu Kontraktarbeitern besaßen sie die kleinen Flurstücke, auf denen sie lebten, sie konnten diese aber, und hierdurch unterschieden sie sich von den Konzessionären, nicht ihr Eigentum nennen. Von den Konzessionären unterschieden sich die Deutschen zudem durch ihren geringen Besitz von Sklaven. Zwar stieg die Anzahl der Sklaven auf den deutschen Flurstücken im Verlauf der französischen Kolonialzeit kontinuierlich, mit der Menge an Sklaven auf den Konzessionen konnten sie aber nie konkurrieren. Eher belegten die wenigen Sklaven der Deutschen ihren Status als Kleinbauern bzw. „petits habitants“, als dass sie den Aufstieg der Deutschen zu erfolgreichen Plantagenbesitzern anzeigten. Für das Überleben auf den Flurstücken waren die Deutschen, und dies hatte so mancher Beamte ernüchtert festgestellt, schlichtweg auf die Arbeitskraft von Sklaven angewiesen. Während die Vorstellungen vom Deutschsein mit Blick auf den Status der Gruppe im Laufe der Jahre also leicht modifiziert wurden, blieben sie einem Punkt unverändert: Sprachen die Beamten von den Deutschen wurden diese stets als „communauté“ vorgestellt und das gemeinschaftliche Leben der Deutschen in Familienverbänden betont. In den Zensus und Zählungen kam dieser Aspekt des „Deutschseins“ dadurch zum Ausdruck, dass neben den Männern eben immer auch deren Frauen und Kinder gelistet wurden. Mit dem Rückgang der Zensus nach 1732 und dem Ausscheiden der Compagnie des Indes aus dem Louisiana-Projekt wandelten sich die Vorstellungen zu den Deutschen langsam. Das Zählen der Beamten, das nun von der Rückkehr der französischen Krone an die Spitze der kolonialen Verwaltung geprägt war, wurde auf die Sicherung und Kontrolle Louisianas ausgerichtet. Besonders die Erfassung

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von „Waffen tragenden“ Männern versinnbildlichte diesen Wandel. Die Funktionen der früheren Zensus wurden von Heiratsverträgen und den „Inventaire d’Effets et Bestiaux“ übernommen und teils sogar verfeinert: Neben den Siedlern erfassten diese auch Sklaven, Flurstücke, Viehbestände, Hausrat, Kleidung, Bargeldreserven, usw. Damit setzten die Heiratsverträge und Inventarlisten dort an, wo der Einfluss der Zensusberichte vormals aufgehört hatte: mit der Kontrolle des Alltäglichen.189 Das Zählen stellte aber keinen einseitigen Zugriff der Macht auf die Siedler dar, wie es Andersons Behauptung von einem totalisierenden und klassifizierenden Netz des Zählens hätte vermuten lassen. Vielmehr boten Heiratsverträge und Inventarlisten den Akteuren auch eine Chance, sich in die Machtbeziehungen des kolonialen Louisiana einzuschreiben. Insbesondere die Frauen der Côte des Allemands nutzten ihren Handlungsspielraum, sicherten sich, wie sie es von den Praktiken der Inventuren und Teilungen in ihrer südwestdeutschen Heimat gewohnt waren, Besitz und stiegen zu maßgeblichen lokalen Akteuren auf.190 Trotzdem wurden sie in der Historiographie häufig auf ihre Stellung als folgsame Hausfrauen reduziert. Ihre Rolle als Akteure wurde ebenso verkannt, wie jene der afrikanischen Sklaven, deren Ankunft an der Côte des Allemands eben nicht nur dem Fleiß der Siedler geschuldet war, sondern auch einen Kontrollversuch der kolonialen Verwaltung bedeutet hatte.

189 Vgl. Anderson, Imagined Communities, 188. 190 Siehe Rolf Bidlingmeier, „Inventuren und Teilungen“, in Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven, hrsg. von Christian Keitel und Regina Keyler, (Stuttgart: Kohlhammer, 2005), 1–27.

5.

Kontakte und Konflikte

5.1 D IE G RUNDLAGEN DER K ONTAKTE „[E]r ist ihr Kommandant und diszipliniert sie tadellos“,1 hatte der CommissaireOrdonnateur Edmé Gatien de Salmon im März 1732 in seiner Korrespondenz mit dem Marineministerium verlautbaren lassen. Mit diesem Lob gestand Salmon nicht nur dem Kommandanten Karl Friedrich D’Arensbourg eine entscheidende Rolle an der Côte des Allemands zu, sondern er schärfte auch die Vorstellungen von den dortigen Deutschen: Ihr Deutschsein wurde mit Disziplin verbunden. „Die Disziplin ist eine politische Anatomie des Details“, bemerkte Michel Foucault und erkannte die Spuren dieser Details weniger in Institutionen und Apparaten als vielmehr in den Modalitäten ihrer Ausübung.2 Im kolonialen Louisiana waren diese Modalitäten der Ausübung in den Kontakten der Akteure aufzuspüren und manifestierten sich in den Korrespondenzen der Verwaltung und den Fragmenten von materiellen Handlungsweisen. Ob Keramikreste und Scherben, legale Reglementierungen, mannigfaltige Handels- und Dienstleistungsverträge oder Berichte zu Konflikten zwischen französisch-europäischen, indianischen und afrikanischen Akteuren, sie alle führten zu den Spuren der Disziplin – und sie alle verwiesen auf ein Ensemble des Alltäglichen.3 Dieses Ensemble entfaltete sich

1

ANOM, C, 13A, 15, folio 64verso, Salmon au ministre, 27.03.1732: „Il a donné des preuves de son courage dans la guerre, et il est a la cette des Allemands qui sont etablis a 10 lieux au dessus de la Nouvelle Orleans sur le fleuve au nombre de plus de 60 familles, il les commande et les discipline parfaitement bien“. Ein französisches „lieue“ entsprach etwa drei amerikanischen Meilen. Siehe Creole Lexicon, 126: „lieue“.

2

Foucault, Überwachen und Strafen, 178, siehe ebd., 276f.

3

Vgl. Gilbert C. Din, „Carondelet, the Cabildo, and Slaves: Louisiana in 1795“, Louisiana History 38:1 (1997): 5–28, hier 22f, sowie Jack D. L. Holmes, „The Abortive Slave Revolt at Pointe Coupée, Louisiana, 1795“, Louisiana History 11:4 (1970): 341–404,

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nicht von einem Ort, es entwickelte vielmehr aus einem koordinierten Bündel von Beziehungen, dem ein Wechselspiel von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken zugrunde lag.4 Im kolonialen Louisiana wurden die Praktiken des Disziplinierens in einem Kräftefeld verhandelt, in dem sich die Akteure bei Kontakten und Konflikten gegenübertraten.5 Materielle Kultur und gebaute Umgebung sowie Spuren von Flora und Fauna stellen einen Nachlass dieser Kontakte und Konflikte dar und belegen die Verflechtungen von europäisch-französischen Siedlern, afrikanischen Sklaven und indianischen Gruppen bis heute. Dabei dokumentieren die Überreste von Keramik- und Tonwaren unterschiedlicher Provenienz ein Netzwerk transatlantischer Kontakte. Die Côte des Allemands war ein Teil dieses Netzwerkes, dessen Interaktionsdynamiken die kolonialen Beamten durch die Disziplinierung der Akteure zu steuern versuchten. Wenn Salmon die Deutschen als diszipliniert lobte, dann verband er damit die Vorstellung, die Deutschen in das transatlantische Netzwerk aus Kontakten und Konflikten integrieren zu können.6

hier 352f, sowie Hunter et al., Whitney Plantation. Sowie ANOM, C, 13A, 6, folio 238– 246verso, „Règlement des commissaires députés pour la régie de la Compagnie des Indes sur divers sujet concernant les habitants“, 02.09.1721, und ANOM, C, 13A, 32, folio 81–87verso, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. 4

Vgl. Foucault, „Ein Spiel um die Psychoanalyse“, 126. Grundlage für diese Annahmen sind die Überlegungen von Siegfried Jäger und dessen Dispositivbegriff: „Da Wissen die Grundlage für Handeln und die Gestaltung von Wirklichkeit ist, bietet es sich an, nicht nur diskursive Praxen zu analysieren, sondern auch nichtdiskursive Praxen und sogenannte Sichtbarkeiten/Vergegenständlichungen sowie das Verhältnis dieser Elemente zueinander. Dieses Zusammenspiel nenne ich mit Foucault ‚Dispositiv‘“ (87), siehe Jäger, „Dispositiv“, 82, 87–96.

5

Vgl. Jäger, „Dispositiv“, 72f. Basis für dieses Vorgehen ist die Prämisse, „daß wir Menschen der Wirklichkeit Bedeutung zuweisen“ und damit Wirklichkeit erst erschaffen (73); siehe auch Lüdtke, „Herrschaft als soziale Praxis“, 13.

6

Siehe Paul Farnsworth und Laurie A. Wilkie, „Excavations at the Sugar Mill of Whitney Plantation, St. John the Baptist Parish, Louisiana“, in Vorbereitung; Jason A. Emery, „What Do Tin-Enameled Ceramics Tell Us? Explorations of Socio-Economic Status through the Archaeological Record in Eighteenth-Century Louisiana: 1700–1790“ (Master Thesis, Louisiana State University, 2004); Hunter et al., Whitney Plantation, 631–6-46, 7-10–7-34, sowie Erika S. Roberts, „Digging Through Discarded Identity: Archaeological Investigations around the Kitchen and the Overseer’s House at Whitney Plantation, Louisiana“ (Master Thesis, Louisiana State University, 2005). Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaften und Archäologie siehe Robert Mazrim, Rezension

K ONTAKTE UND K ONFLIKTE | 163

5.2 D IE

INDIANISCHEN

G RUPPEN UND DIE „ALLEMANDS “

Zwischen Siedlern und indianischen Gruppen bestanden zwei grundsätzliche Formen des Kontakts: Einerseits traten Deutsche und indianische Gruppen als gleichberechtigte Akteure miteinander in Kontakt. In diesem Zusammenhang wurden indianische Gruppen entweder als Freunde oder als Feinde der Deutschen beschrieben. In den Korrespondenzen fanden sich dementsprechend Spuren, die sowohl die Konflikte als auch die friedlichen Beziehungen bezeugten. Andererseits hielten die Siedler, wenn auch nur in geringem Ausmaße, indianische Akteure seit Beginn der 1720er Jahre als Sklaven. So beanspruchte im Jahre 1739 der Kommandant D’Arensbourg den Besitz zweier indianischer Sklaven für sich, namentlich den Jungen Pierre Louis und dessen Mutter Manon.7 Auch andere Kolonisten, wie der Sieur Dupard oder ein gewisser Sieur Noyan, besaßen den Registern der St. Charles Borromeo Kirche zufolge indianische Sklaven.8 An der Côte des Allemands stellten die Sklaven allerdings nie die Mehrheit unter den indianischen Akteuren, wohl auch, weil die Ankunft der Deutschen von Anfang an durch die Kontakte mit freien indianischen Gruppen gekennzeichnet gewesen war. Diese wussten sich durchaus in die Alltagswelten der Deutschen einzupassen, wie ein Taufeintrag aus dem Jahre 1749 belegte. Der Eintrag dokumentierte die Taufe einer „sauvagesse adulte“ namens „Margueritte Angelique“. Hinweise, dass es sich bei dem Akt um eine Zwangstaufe oder bei besagter indianischer Akteurin um eine Sklavin handelte, hielt der Eintrag nicht bereit. Stattdessen hieß es lediglich, dass eine „sauvagesse adulte“ getauft worden wäre, der der

zu: Kenneth G. Kelly und Meredith D. Hardy (Hrsg.), French Colonial Archaeology in the Southeast and Caribbean (Gainesville, FL: University Press of Florida, 2011), in H-France Review 12 (2012): 2, (Zugriff: 03.09.2012), sowie Mark A. Rees, „Introduction“, in Archaeology of Louisiana, hrsg. v. ders. (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2010), 1–18, und Rob Mann, „French Colonial Archaeology“, in Archaeology of Louisiana, hrsg. v. Mark A. Rees (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2010), 235–257. 7

AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755,

8

AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755,

06.02.1739. 26.05.1744, 18.08.1747 oder 01.10.1747.

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ausführende Kapuziner Prosper den Namen Margueritte Angelique gegeben hatte.9 Eine weitere Spur freier indianischer Akteure legte der Taufeintrag einer gewissen Catherine Rene offen. Deren Eltern, Rene und Emanuel, wurden mit dem Vermerk „métis“ versehen. Der Begriff „métis“, der vorwiegend im kolonialen Neu-Frankreich gebraucht wurde, signalisierte, dass Rene und Emanuel aus Beziehungen zwischen französisch-kolonialen und indianischen Akteuren stammten.10 Analog zu den Siedlern fassten die kolonialen Beamten die indianischen Akteure und Gruppen über den Begriff der Nation. Demgemäß verlautete ein Taufeintrag des Kapuziners Prosper: „Ich [...] habe Andre, der Nation nach ‚Sauvage‘, einen Sklaven von Leveillé, nach den gemeinen Zeremonien der Kirche getauft“.11 Entgegen der üblichen Gepflogenheiten spezifizierte der Kapuziner Prosper die „nation“ des indianischen Akteurs Andre nicht, sondern beließ es bei der Angabe „sauvage de nation“. Derartig unpräzise Angaben erfolgten ansonsten nur, wenn es den Geistlichen oder Beamten darum ging, verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Diese waren dann zu verzeichnen, wenn Siedler verbotenerweise dem Handel mit Alkohol, mit dem „eau de vie“, wie es in den Quellen hieß, unter indianischen Gruppen nachgingen. Der Handel mit Alkohol wurde als ordnungsgefährdend empfunden, verursachte er doch, so die kolonialen Beamten, „ärgerliche Folgen“: Die indianischen Akteure würden vom Alkohol schnell süchtig und seien „zu allem imstande, wenn sie zu viel getrunken hätten“.12 Der Handel mit Alkohol zwischen indianischen und europäisch-kolonialen Akteuren war daher aus Sicht der kolonialen Verwaltung zwingend zu unterbinden. Unter anderem schilderte

9

AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 18.08.1749: „Une sauvagesse adulte a la quelle on a donné le nome Margueritte Angelique“.

10 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 03.03.1747. Unter dem Begriff der „métis“ wurden die Nachkommen aus Beziehungen von indianischen Frauen und französisch-kolonialen Akteuren zusammengefasst. Die „métis“ stellten laut dem Historiker Richard White eine Art „separate people“, eine eigene Statusgruppe, dar, vgl. R. White, Middle Ground, 74. 11 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.01.1755: „L’an mil sept cent cinquante cinq le douze janvier je pretre Capucin missre. apostolique curé de la paroisse de St. Charles province de la Louisiane, ai baptisé avec les ceremonies ordinaire de l’eglise Andre sauvage de nation esclave a la Leveillé“. 12 ANOM, C, 13A, 25, folio 229, „Loubouey au ministre“, 23.05.1740.

K ONTAKTE UND K ONFLIKTE | 165

der französische Beamte Chevalier de Loubouey im Mai 1740 die Bestrafung einiger Deutscher, die eine Gruppe der „sauvages“ mit Alkohol versorgt hatten.13 Die Beamten verwendeten den Begriff „sauvages“ auch, wenn es darum ging, amtliche Formeln oder Rechtsverhalte zu erläutern So galt es beim Aus- und Verleih von afrikanischen Sklaven zu regeln, wer zu haften hatte, sollten die verliehenen Sklaven einem Konflikt mit indianischen Akteuren zum Opfer fallen. Im August 1737 regelte ein Vertrag zwischen einem gewissen Sieur Louis Tixerant und dem Sieur René Bouché de Monbrun den Verleih von afrikanischen Sklaven. Monbrun wollte die Sklaven als Ruderer für eine Reise ins Illinois-Gebiet anstellen und musste dafür zustimmen, im Falle eines etwaigen Todes der Sklaven durch Angriffe von „sauvages“ für diese zu haften. Bewusst wurde hier der Begriff „sauvages“ gesetzt, um jegliche indianischen Gruppen in die Haftungsklausel einzuschließen.14 Ab den 1740er Jahren kam es vermehrt zu Konflikten zwischen Siedlern und Untergruppen der Choctaw-Indianer.15 Die Ursachen und Auslöser der Konflikte waren in einem komplexen Bündel von Faktoren zu sehen. Neben populationstechnischen Verschiebungen sowie ökonomischen und politischen Rivalitäten unter den kolonialen Mächten England und Frankreich führten auch klimatische Veränderungen und deren Konsequenzen zu den Konflikten. Wiederholt wurde von Dürre- und Regenperioden und den permanenten Gefahren durch Hurrikane berichtet.16 Die koloniale Verwaltung beschrieb die Konflikte in ihren Korrespondenzen ausgiebig und versuchte dabei, eine Art von disziplinierender Funktion der vor

13 ANOM, C, 13A, 25, folio 228verso/229, „Loubouey au ministre“, 23.05.1740. 14 LHQ 9 (1926): 319, „Lease of Two Negroes“, 15.08.1737. 15 Die Choctaw-Indianer waren keine homogene Gruppe, sondern eher einen Bund bzw. eine Konföderation autonomer Gruppen und Dörfer. Noch für das Jahr 1765 hielt die Historikerin Patricia Galloway in Bezug auf Verhandlungen zwischen Briten und Choctaw-Indianern fest: „[O]ne hundred years of European contact had not made the Choctaw into what the Europeans wanted them to be – a single entity with which they could deal as such. Instead, the congress reflects the persistence and adaptability of the heterarchical, multiethnic confederacy of autonomous towns that constituted the Choctaw ‚nation‘ in the eighteenth century“, Patricia Galloway, „‚So Many Little Republics‘: British Negotiations with the Choctaw Confederacy, 1765“, Ethnohistory 41:4 (1994): 513–537, 513f. 16 Vgl. Hunter et al., Whitney Plantation, 3-33, sowie Nancy M. Surrey, The Commerce of Louisiana during the French Régime, 1699–1763 (New York: Columbia University, 1916), 193ff.

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Ort handelnden lokalen Beamten zu suggerieren. Für die Côte des Allemands war in den 1740er Jahren weiterhin der Kommandant D’Arensbourg verantwortlich. Noch im März 1732 hatte der damalige Commissaire-Ordonnateur, Edmé Gatien de Salmon, D’Arensbourg für dessen Mut in den Konflikten mit den NatchezIndianern gelobt.17 Im April 1748 wurde D’Arensbourg vor eine weitere Probe gestellt: Die seit Längerem schwellenden Konflikte zwischen der kolonialen Verwaltung und den zerstrittenen und sich gegenseitig bekämpfenden Choctaw-Indianern eskalierten nun.18 Verbittert konstatierte der damalige Gouverneur, Pierre de Rigaud Vaudreuil de Cavagnial, kurz Vaudreuil, in seiner Korrespondenz mit dem Marineministerium in Paris, man habe ihn von den Konflikten in jenem Moment unterrichtet, in dem er für Verhandlungen mit einem anderen Teil der Choctaw-Indianer, laut Vaudreuil den „Chactas de la partie de l’est“, im Raum des kolonialen Mobile unterwegs gewesen sei.19 Laut Vaudreuil ging der Konflikt auf neun Krieger zurück. Diese seien den „Chactas de la partie du ouest“ zuzurechnen und stammten aus dem Umfeld der Dörfer Coentchito und Apeka. Die neun Krieger hätten ausgereicht, um die Deutschen in die Flucht zu schlagen.20 Denn, so Vaudreuil etwas fassungslos, anstatt sich zu sammeln und den „Feinden“ entgegenzutreten, waren die Deutschen von ihren Habitationen geflohen und nach New Orleans gekommen. Dort hatte man ihnen drohen und ein Begleitkommando versprechen müssen, um sie zur Rückkehr zu bewegen.21 Zu allem Überfluss hatte das Begleitkommando bei seiner Ankunft an der Côte des Allemands festgestellt, dass die hier Verbliebenen in der Zwischenzeit nicht etwa zu ihren Habitationen zurückgekehrt, sondern auf die der Attacke gegenüberliegenden Flussseite des Mississippis ausgewichen waren. Ihre

17 ANOM, C, 13A, 15, folio 64verso/65, Salmon au ministre, 27.03.1732. 18 Unter Berücksichtigung der Ereignisse des Choctaw-Chickasaw Krieges und des King George‘s War spricht die Forschung vom Choctaw Civil War, der, so die Argumentation, von den europäischen Mächten England und Frankreich durch zwiespältige Politiken entfacht wurde, vgl. Jeffrey D. Bass, „Choctaw-Chickasaw War“, sowie Christopher Howell, „Choctaw Civil War“, in The Encyclopedia of the North American Indian Wars, 1607–1890: A Political, Social, and Military History, Volume 1, A–L, hrsg. v. Spencer C. Tucker (Santa Barbara, CA: ABC-Clio, 2011), 171–173. 19 ANOM, C, 13A, 32, folio 82verso, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. Laut Vaudreuil ging es bei den Verhandlungen darum, die zerstrittenen Choctaw-Indianer zu vereinen und nach dem durch die Franzosen initiierten Tod des Häuptlings Soulier Rouge, im Englischen als Red Shoes bekannt, die Choctaw endgültig an die Franzosen zu binden. 20 ANOM, C, 13A, 32, folio 83verso, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. 21 ANOM, C, 13A, 32, folio 83verso/84, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748.

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gut kultivierten Habitationen würden, so die Berichte, derweil „nach den Belieben“ ihres umherstreifenden Viehs verkommen. Die Deutschen hatten jedwede Disziplin vermissen lassen.22 Auf dieser Darstellung ließ es Vaudreuil nicht beruhen. Er war umso mehr über die Deutschen erzürnt, als diese vor Übergriffen von einzelnen Choctaw-Indianern hätten gewarnt sein müssen. Bereits vor fünf bis sechs Monaten sei ein vagabundierender Choctaw-Indianer, unter dem Vorwand jagen zu wollen, in mehrere Habitationen eingedrungen und hatte die Verhältnisse sorgfältig ausgespäht. Zwar habe der Choctaw-Indianer die letzten sieben oder acht Jahre in diesem Raum gejagt, dennoch hätte den Deutschen sein Verhalten in diesem Jahr äußerst verdächtig vorkommen und Konsequenzen haben müssen. Er selbst, so Vaudreuil, hatte die Deutschen angewiesen, Wachen aufzustellen und in den sumpfigen Rückzugsorten der Bayous zu patrouillieren. Die Siedler hatten diesen Vorschlag wie andere Vorkehrungen aber abgelehnt und als nutzlos abgetan; das Resultat sehe man nun. Wären seine Befehle befolgt worden, hätte man die Pläne der Choctaw-Indianer vorab entdecken und zunichtemachen können.23 „Voila“, setzte Vaudreuil an die Beamten im Ministerium gerichtet fort, da sehen sie „die Auswirkungen, die die kleinsten Attacken der ‚Sauvages‘ in dieser Kolonie verursachen“.24 Zurückzuführen waren die Auswirkungen, laut Vaudreuil, auf die Abwesenheit des Kommandanten D’Arensbourg zum Zeitpunkt der Attacke. Zwar lag die Côte des Allemands in dessen Verantwortung, eine Präsenzpflicht des Kommandanten war damit aber nicht verbunden. Teils wurde D’Arensbourg für spezielle Aufträge durch die koloniale Verwaltung gar abgezogen und gesondert entlohnt.25 Dies schien vor den Konflikten der Fall gewesen zu sein. Offenbar hatte Vaudreuil D’Arensbourg zu einer Expedition gegen weitere Choctaw-Indianer an anderer Stelle beordert. Zumindest forderte er, die Leistungen D’Arensbourgs hervorhebend, im folgenden November aus diesem Grunde gegenüber dem Marineminister Maurepas eine Prämie für den Kommandanten ein.26

22 ANOM, C, 13A, 32, folio 84, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. 23 ANOM, C, 13A, 32, folio 82, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. 24 ANOM, C, 13A, 32, folio 82, Vaudreuil au ministre, 04.06.1748. 25 Schon in den 1730er Jahren nahm D’Arensbourg an Expeditionen gegen indianische Gruppen teil. Seine sprachlichen Fertigkeiten befähigten ihn, Kompanien zu befehligen, die sich aus Franzosen und Schweizer Söldnern zusammensetzten, ANOM, C, 13A, 22, folio 116/116verso, Bienville au ministre, 20.12.1737. 26 Huntington Library, Vaudreuil Papers, Box 3, LO 144, Maurepas au Vaudreuil et Michel, 04.11.1748.

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Dennoch konnte Vaudreuil mit D’Arensbourg kaum zufrieden sein. Als im November des Jahres 1748 einzelne Gruppen von Choctaw-Indianern erneut an der Côte des Allemands auftauchten, war der Kommandant immer noch nicht vor Ort. Während, Vaudreuil zufolge, ein Großteil der Siedler erneut die Habitationen verließ und wiederum Zuflucht am gegenüberliegenden Mississippiufer suchte, nahmen allein Boucheron und „Rousseau fils“ mit zwei ihrer afrikanischen Sklaven die Verfolgung der Choctaw-Indianer auf und fanden den Tod. D’Arensbourg weilte unterdessen in New Orleans. Erst auf Befehl von Vaudreuil reiste er zur Côte des Allemands, um dort die Verteidigung zu organisieren.27 Nachdem D’Arensbourg mit seinem Begleitkommando angekommen war, ließ er den Gouverneur Vaudreuil wissen, dass er und seine Milizen aufgrund fehlender Boote nicht auf die andere Seite des Mississippis übergesetzt hätten, auf welche sich die Choctaw-Indianer zurückgezogen hatten. Diese, so D’Arensbourg weiter, nutzten die Gelegenheit, um Habitationen zu plündern und verbliebene Siedler zu töten. Erst zwei Tage nach seiner Ankunft sei es ihm gelungen, die Gruppe der ChoctawIndianer zu stellen, zwei von ihnen zu töten und mehrere zu verletzen. Der Großteil der Gruppe wäre in unwegsames, sumpfiges Gelände geflohen, wo man sie nicht hatte verfolgen können.28 Gouverneur Vaudreuil reagierte überrascht und brachte sein Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass die Attacke der Choctaw-Indianer überhaupt von Erfolg gekrönt gewesen war. Schließlich hatte er infolge der Ereignisse vom April 1748 präzise Befehle zur Verteidigung der Côte des Allemands erteilt. Vaudreuil war davon ausgegangen, dass 120 bis 130 bewaffnete Deutsche hätten genügen müssen, um indianische Angriffe zurückzuschlagen. Stattdessen hatte D’Arensbourg eine Verstärkung angefordert.29 Die Angelegenheit war für den Gouverneur umso unverständlicher, als dass eine Sklavin, die von den Choctaw-Indianern entführt und später befreit worden war, berichtet hatte, dass die gesamte Gruppe der Angreifer nur aus dreizehn Kriegern bestanden hätte.30 Ferner, so Vaudreuil, habe sich bei der Verfolgung durch

27 Huntington Library, Vaudreuil Papers, Box 3, LO 153, Vaudreuil au Maurepas, 16.11.1748, sowie ANOM, C, 13A, 32, folio 138verso/139, Vaudreuil au ministre, 16.11.1748. 28 ANOM, C, 13A, 32, folio 140/140verso sowie 141/141verso, Vaudreuil au ministre, 16.11.1748. 29 ANOM, C, 13A, 32, folio 140verso, 141 und 141verso, Vaudreuil au ministre, 16.11.1748. 30 ANOM, C, 13A, 32, folio 141verso/142, Vaudreuil au ministre, 16.11.1748.

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verbündete indianische Gruppen sowie französische Coureurs de Bois herausgestellt, dass die Angreifer nicht mehr als zwei Gewehre bei sich getragen hatten.31 Nur wenige Männer hätten die ganze Aufregung verursacht und nicht etwa 200 der furchtlosesten Krieger der Choctaw-Indianer, wie es geheißen hatte. Vaudreuil resümierte, sich selbst lobend, er sei von Anfang an überzeugt davon gewesen, dass nur eine kleine Gruppe, vielleicht zwölf oder fünfzehn umherziehende Choctaw-Indianer, die Angriffe durchgeführt hatte. Da die Ängstlichkeit der Deutschen hinreichend bekannt sei, hätten die Choctaw wohl versucht, auf einfache Weise Sklaven zu erbeuten und diese an die Engländer zu verkaufen. Vaudreuil kündigte an, die Côte des Allemands in Kürze zu besuchen, um sich mit den Begebenheiten vor Ort vertraut zu machen und die Siedler zu beruhigen.32 Mit diesen Darstellungen vom April und November 1748 widersprach Vaudreuil früheren Charakterisierungen der Deutschen. Anstatt deren Tüchtigkeit und Produktivität und damit die Brisanz des Angriffs für das koloniale Louisiana hervorzuheben, prangerte er die Ängstlichkeit der Siedler an. Diese verbände sich mit einer gehörigen Portion Sorglosigkeit und zwänge die koloniale Verwaltung dazu, bei Konflikten mit indianischen Gruppen einzugreifen. Auch der stets gelobte Kommandant D’Arensbourg änderte in Vaudreuils Augen wenig an der Situation. Die Beendigung des Konfliktes war nicht seinem Einsatz, sondern dem Eingreifen der Coureurs de Bois sowie verbündeter indianischer Gruppen zu verdanken gewesen. Hatte Edmé Gatien de Salmon den Kommandanten D’Arensbourg zu Beginn der 1730er Jahren noch für dessen Fähigkeiten zur Disziplinierung der Siedler gelobt, bemängelte Vaudreuil nun dessen Versagen in dieser Hinsicht. Die Deutschen hatten im Angesicht des Konflikts und der Gefahr jegliche Disziplin vermissen lassen.33 Vaudreuils Worte drückten eine Skepsis gegenüber den Deutschen und ihrer Siedlung aus, die in der Ankündigung kulminierte, die Côte des Allemands besuchen zu wollen. In der Forschung sind sie als Ausnahme oder „rare rebuke leveled against the German commandant and his people“ aufgefasst worden.34 Dabei bot die Dichte der Beschwerden im Rahmen der Choctaw-Konflikte der Jahre 1748 bis 1751 durchaus das Material, um die Disziplin der Deutschen generell zu hinterfragen. Bereits in den Wintermonaten der Jahre 1748 und 1749 machte Vaudreuil seine Ankündigung wahr und suchte die Côte des Allemands auf. Zweck seiner Reise, vermerkte er nüchtern, sei es gewesen, die Deutschen zur Rückkehr

31 ANOM, C, 13A, 32, folio 142verso, Vaudreuil au ministre, 16.11.1748. 32 ANOM, C, 13A, 32, folio 143verso/144, Vaudreuil au ministre, 16.11.1748. 33 ANOM, C, 13A, 15, folio 64verso/65, Salmon au ministre, 27.03.1732. 34 Kondert, D’Arensbourg, 58.

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auf ihre Flurstücke und Habitationen zu bewegen. Noch immer war eine Vielzahl nicht zurückgekehrt; und noch immer befand sich die Côte des Allemands in einer Art Ausnahmezustand. Um diesen Zustand zu beenden, hatte er zusagen müssen, einen permanenten Militärposten in diesem Gebiet zu errichten. Im Gegenzug sei ihm von Seiten der Siedler eine zügige Rückkehr auf die Habitationen und eine schnelle Wiederaufnahme der Kultivierung von brachliegenden Flurstücken versprochen worden.35 Bis September 1749 erwirkte Vaudreuil eine Solderhöhung für D’Arensbourg, mit der er konkrete Erwartungen verknüpfte: „Ich bin überzeugt, dass er [D’Arensbourg] nichts versäumen wird, um neue Nachweise seines Eifers und seiner Verbundenheit zum Dienste zu liefern“.36 Offenbar bezweckte Vaudreuil die Motivation von D’Arensbourg zu steigern. In Anbetracht seiner Darstellungen vom November 1748 wirkten Vaudreuils Maßnahmen im Jahr 1749 durchaus verwunderlich. Er ging auf die Forderungen der Deutschen ein, ohne sofortige Gegenleistungen zu erwarten. Weder die Erhöhung des Soldes von D’Arensbourg noch das Versprechen, einen Militärposten einzurichten, waren an Leistungen der Siedler gebunden; Vaudreuil ging stets in Vorleistung. Dabei waren seine Maßnahmen eher von pragmatischer Natur und beruhten weniger auf einem plötzlichen Sinneswandel. Einerseits hatte er in seinen Korrespondenzen mit dem Marineministerium wiederholt eingestehen müssen, dass die Deutschen deswegen zu unterstützen seien, weil sie die besten Böden besetzten, ihr Raum die wirtschaftlichsten Habitationen beheimatete und die Stadt New Orleans ihre Erzeugnisse aus Gartenund Viehhaltung nur schwerlich missen könnte.37 Andererseits musste er einräumen, dass umherziehende Choctaw-Gruppen in verschiedenen Räumen des kolonialen Louisiana ein Problem für die französische Verwaltung darstellten. Die Choctaw-Gruppen hatten nicht nur D’Arensbourg zu schaffen gemacht, sondern auch andere französische Offiziere und Kommandanten bei der Ausführung ihrer Dienste schlecht aussehen lassen. Unter anderem wehrte sich der Offizier Tixerant

35 ANOM, C, 13A, 33, folio 26, Vaudreuil au ministre, 08.03.1749. 36 ANOM, C, 13A, 33, folio 68verso, Vaudreuil au ministre, 16.09.1749: „je suis persuadé qu’il ne negligera rien pour donner de nouvelles preuves de son zele et de son attachement pour le service“. 37 Huntington Library, Vaudreuil Papers, Box 3, LO 265: „Cest le plus beaux terres quon puisse voir et tous propre a y faire les plus superbe habitations“, sowie ANOM, C, 13A, 34, folio 16, Vaudreuil et Michel au ministre, 27.07.1749: „la ville se trouve privée des douceurs que ces habitans luy procureraient par leur industrie et leur menagerie“.

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verärgert gegen Vorwürfe, die ihm ein Versagen beim Zurückschlagen der Choctaw-Indianer anzuhängen versuchten.38 Die Lösung der Probleme sah Vaudreuil nicht nur darin, Soldaten an der Côte des Allemands zu stationieren und einen Militärposten zu errichten. Ferner plante er, indianische Gruppen in die Sicherung des Raumes einzubinden. In einem Brief an das Marineministerium vom Juni 1750 berichtete Vaudreuil, er habe ein Dorf von indianischen Verbündeten dazu bewegen können, sich im Raum der Côte des Allemands niederzulassen und diesen zu sichern. Die Deutschen seien durch die Maßnahme beruhigt worden.39 Den Plan, verbündete indianische Gruppen davon zu überzeugen, an der Côte des Allemands zu siedeln, hatte Vaudreuil nach den Konflikten mit den ChoctawIndianern entwickelt. In Zusammenarbeit mit D’Arensbourg garantierten die Gruppen am ehesten eine gewisse Sicherheit, auch weil die indianischen Akteure die Wege im Hinterland, die feindliche Angreifer nutzen würden, am besten kannten und verteidigen konnten.40 Zugleich setzte der Gouverneur die Politik fort, erfolgreichen Offizieren und Kommandanten spezielle Prämien, Solderhöhungen und Beförderungen durch das Marineministerium zuzusichern. Zu diesem Zwecke lobte Vaudreuil einen gewissen Chevalier Grenier, weil dieser sich bei der Führung eines Kommandos gegen feindliche Choctaw-Gruppen ausgezeichnet hatte.41 Selbst für den Kommandanten D’Arensbourg war Vaudreuil im Januar 1752 wieder voll des Lobes. In einem Bericht an das Marineministerium hob er dessen herausragende Kenntnisse der Siedler hervor sowie seine Fähigkeit, zwischen diesen zu vermitteln.42 Auch gegenüber den Siedlern schien der Gouverneur eine veränderte Politik zu verfolgen und zeigte wenig von der Geringschätzung, die er ihnen im Nachgang der Konflikte mit den feindlichen Choctaw-Gruppen entgegengebracht hatte. Stattdessen konnten einige nun sogar Regressansprüche stellen. Einen Anspruch auf Entschädigungen bescheinigte D’Arensbourg etwa Ambroise Heydle und

38 ANOM, C, 13A, 34 Folio 226, Tixerant, officier, au ministre, 01.10.1749. 39 ANOM, C, 13A, 34, folio 267verso, Vaudreuil au ministre, 24.06.1750: „J’ai mis une garnison aux allemands et j’ai engagé un village sauvage a s’y establir, ce qui tranquilise fort les habitants de cette Coste“. 40 ANOM, C, 13A, 34, folio 298/298verso, Michel au ministre, 22.01.1750. 41 ANOM, C, 13A, 36, folio 140verso, Vaudreuil au ministre, 01.10.1751. 42 ANOM, C, 13A, 36, folio 33, Vaudreuil au ministre, 28.01.1752.

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Gaspar Toubse. Heydle und Toubse hatten vor den Angriffen der Choctaw-Indianer im Bereich des Bustard Creek gewohnt und diesen nur gegen ihren Willen verlassen.43 Möglicherweise waren die Zugeständnisse an Siedler, Kommandanten und Offiziere ein Ausdruck der sich wandelnden Politiken im kolonialen Louisiana. Schon zu lange hatten die Konflikte mit den Choctaw die Verwaltung beschäftigt. Zunehmend wurde die Lage in den Dokumenten mit betrüblichen Worten geschildert. Besonders die Jahre 1752 und 1753, in denen das Gouverneursamt von Vaudreuil an Louis Belcourt Chevalier de Kerlerec, kurz Kerlerec,44 übergehen sollte, stellten einen Tiefpunkt dar. Schon aus den ersten Korrespondenzen des neuen Gouverneurs sprachen die Sorgen, die die Vielzahl der Choctaw-Gruppen und ihr Gefahrenpotenzial der kolonialen Verwaltung bereiteten. Kerlerec zählte im Juli und August 1753 nicht weniger als 31 autonome Choctaw-Dörfer, die von 51 Häuptlingen kontrolliert wurden.45 Gegen dieses Wirrwarr verbündeter und feindlicher indianischer Gruppen war die Kolonie nicht gewappnet. Eine Lösung sah Kerlerec in der Anwerbung neuer Einwanderer für Louisiana, die ein Gegengewicht zu den Choctaw bilden sollten. Als im Januar 1752 tatsächlich eine kleine Gruppe von Migranten aus Frankreich eintraf, veranlasste der zuständige Commissaire-Ordonnateur Michel, dass diejenigen von ihnen, die Deutsche seien oder deutsche Frauen hätten, mit den „anciens allemans“ zusammengeführt und im Bereich der Côte des Allemands angesiedelt würden.46 Die Situation hatte sich seit den Konflikten von 1748 nicht verbessert. Noch 1753, ein Jahr nach der Ansiedlung der zugewanderten Deutschen, stellte Gouverneur Kerlerec in seiner Korrespondenz mit dem Marineministerium in Paris fest: „Ich muss sie informieren, Monseigneur, dass sich die Siedlung der Deutschen

43 Vgl. LHQ 21:3 (1938): 1219, „Certification by Darensbourg“, 04.10.1752. Es handelte sich bei Ambroise Heydle und Gaspar Toubse um die bereits erwähnten Ambroise Heild und Gaspard Toubs. 44 Louis Belcourt Chevalier de Kerlerec, ein erfahrener Marineoffizier, der bereits in den 1730er Jahren Erfahrungen in Louisiana gesammelt hatte, verwaltete die Kolonie bis 1763. In der Historiographie haben insbesonders seine Auseinandersetzungen mit dem Commissaire-Ordonnateur Vincent de Rochemore Beachtung gefunden, die ihn in die Bastille führten, vgl. Dictionary of Louisiana Biography, 1:461: „KERLEREC“. 45 ANOM, C, 13A, 37, folio 66, N° 14, Kerlerec au ministre, 20.08.1753. 46 ANOM, C, 13A, 36, 227/227verso, Michel au ministre, 18.01.1752. Es handelte sich vorwiegend um Familien aus dem Elsass und Lothringen, vgl. Conrad, „Alsatian Emigration to Louisiana“, 163–173.

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seit dem unglücklichen Coup, den die Choctaw dort 1748 geschlagen haben, nicht erholt hat“.47 In der Tat würden die Deutschen täglich schwächer. Sie verlangten schon ihre Umsiedlung, sollten sie nicht in naher Zukunft durch eine größere Präsenz kolonialer Truppen geschützt werden. So hätten die Deutschen den Wunsch geäußert, von Schweizer Söldnern abgesichert zu werden. Kerlerec selbst sei diesem Wunsch nachgekommen und habe fünfzehn Schweizer aus den Truppen des Kommandanten Voland an die Côte des Allemands beordert. Zwischen Deutschen und Schweizer Söldnern bestände eine besondere Bindung, die sich darin ausdrückte, dass die Schweizer den Deutschen bei ihren Arbeiten zur Seite ständen; weiterhin hätten die Schweizer deutsche Frauen geheiratet.48 Die Wünsche nach Umsiedlung und nach Schweizer Soldaten sowie der desolate Zustand der Habitationen widersprachen früheren Beschreibungen einer prosperierenden Côte des Allemands. Zudem verdeutlichten sie, dass die Korrespondenzen kolonialer Beamter vor allem von lokalen Ereignissen und Politiken beeinflusst waren. Zweifelsohne wollte Kerlerec mit seinen ausführlichen Berichten sein Engagement als frisch berufener Gouverneur unter Beweis stellen. Nicht zuletzt wurden unter Kerlerec die Anwerbungsbemühungen von Siedlern wiederbelebt. Bereits im Dezember 1753 erwähnte Kerlerec das Eintreffen einer Reihe von lothringischen Familien. Deren Ankunft war dem Versuch geschuldet, die Côte des Allemands vor dem endgültigen Niedergang zu retten und, wie es Reinhart Kondert formulierte, eine schrittweise Rückkehr in die Normalität anzustreben. Kerlerec selbst nutzte die Ankunft der Familien, um sich gegenüber dem Marineministerium in Frankreich weiter zu profilieren.49 Er ließ verlauten, er habe die Familien D’Arensbourg anvertraut und sich von dessen Eifer und Sorge um die Neuankömmlinge vor Ort überzeugt. Zudem, versicherte Kerlerec, unterstütze man die Familien nach besten Kräften.50

47 ANOM, C, 13A, 37, folio 75, N° 14, Kerlerec au ministre, 20.08.1753: „Je dois vous informer, Monseigneur, que l’etablissement des allemands ne s’est point refait depuis le malheureux coup que les Tchaktas y ont frapé en 1748“. 48 ANOM, C, 13A, 37, folio 75verso, N° 14, Kerlerec au ministre, 20.08.1753. 49 Vgl. Kondert, D’Arensbourg, 61. In den Jahren 1753/54 durfte es schon als Erfolg gewertet werden, wenn Kerlerec mit seinen Berichten die Aufmerksamkeit des Marineministeriums erreichte, schließlich vernachlässigte Frankreich seine Kolonie Louisiana, gängigen Meinungen der Forschung zufolge, in den 1750er Jahren zunehmend, vgl. Miriam G. Reeves, The Governors of Louisiana (Gretna, LA: Pelican, 62004), 16–18. 50 ANOM, C, 13A, 37, folio 26verso/27, N° 16, Kerlerec et D’Auberville au ministre, 08.12.1753.

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Welche Überlegungen der Ansiedlung zugrunde lagen, erläuterte Kerlerec nicht. Erst im Juli 1754 kamen er und der ebenfalls neue Commissaire-Ordonnateur D’Auberville wieder auf die Familien zu sprechen. Bei einem Besuch an der Côte des Allemands im Februar desselben Jahres hatten die beiden Beamten voll des Lobes festgestellt, dass die Einwanderer beherzt und mit Ehrgeiz begonnen hatten, sich niederzulassen und ihre Flurstücke zu kultivieren. Es hätte sich gelohnt, so Kerlerec und D’Auberville, sie im Winter unterstützt zu haben: „Und wir haben täglich die Freude, zu sehen, wie sie die Stadt mithilfe von Geflügel, Eiern und Gemüse versorgen“.51 Sie seien von jenem Typus, den die Kolonie Louisiana dringend benötige: Gewöhnt an landwirtschaftliche Arbeit und das harte Leben würden sie sich mit aller Kraft ihren neuen Aufgaben hingeben.52 Bei allem Lob für die lothringischen Familien rückte ein Aspekt etwas in den Hintergrund. Indem Kerlerec und D’Auberville die Familien für ihre Leistungen lobten, lobten die kolonialen Beamten auch sich selbst. Schließlich hatten sie die Ansiedlung der Familien organisiert und koordiniert. Die lothringischen Familien boten den beiden eine Chance, ihre Leistungen, in Abgrenzung zu ihren Vorgängern Vaudreuil und Michel, hervorzuheben. Insbesondere Kerlerec schien sich dessen bewusst zu sein. Selbstbewusst behauptete er, er trage dafür Sorge und habe die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet, dass zukünftige Übergriffe auf die Familien durch feindliche indianische Gruppen verhindert würden. Unter Kerlerec war die Disziplin zurückgekehrt.53 In den Korrespondenzen von Kerlerec und D’Auberville ging es vorrangig nicht darum, authentische Abbildungen des Kolonialen zu liefern; vielmehr spielten machtpolitische Aspekte eine entscheidende Rolle. Sie profilierten und bekräftigten ihre Position und verknüpften damit Forderungen. Im Falle der lothringischen Familien schloss sich den Worten des Lobes über ihren Fortschritt eine Passage an, in der Kerlerec und D’Auberville forderten, die Familien mit afrikanischen Sklaven zu versorgen. Auf diese Weise, so argumentierten die beiden, könnte der Tabakanbau in der Kolonie gesteigert werden.54

51 ANOM, C, 13A, 38, folio 13, Kerlerec et D’Auberville au ministre, 04.07.1754: „Et nous avons journellement la satisfaction de les voir fournir des secours de volailles, œufs, et legumes, à la ville“. 52 ANOM, C, 13A, 38, folio 13/13verso, Kerlerec et D’Auberville au ministre, 04.07.1754. 53 ANOM, C, 13A, 38, folio 14/14verso, Kerlerec et D’Auberville au ministre, 04.07.1754. 54 ANOM, C, 13A, 38, folio 14, Kerlerec et D’Auberville au ministre, 04.07.1754: „Il serait à souhaiter pour le prompt etablissement de pareilles familles et pour pousser la

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5.3 D IE

AFRIKANISCHEN A KTEURE UND DIE „ALLEMANDS “

Die Forderungen von Kerlerec und D’Auberville, die lothringischen Familien alsbald mit afrikanischen Sklaven zu versorgen, veranschaulichten, dass die Kontakte von Siedlern und indianischen Gruppen immer auch mit den Kontakten der Siedler zu freien und unfreien afrikanischen Akteuren verflochten waren. Der Beginn dieser Verflechtungen war bereits in den Zensusberichten des Jahres 1724 erkennbar gewesen, in denen der Zensusbeamte Perry für arbeitsame Siedler die Zuteilung von Sklaven eingefordert hatte.55 In der Folge enthielten die Zensusberichte stets die Auflistungen der freien und unfreien afrikanischen Akteure. Als nach dem Rückzug der Compagnie des Indes keine neuen Zensusberichte mehr entstanden, erlaubten die Inventarlisten, Verkaufs- und Kaufverträge sowie testamentarische Dokumente weiterhin Einblicke in die Kontakte von Siedlern und unfreien sowie freien afrikanischen Akteuren. Spätestens ab den 1740er Jahren waren die Kontakte vom System der Sklaverei geprägt. Dies galt für das koloniale Louisiana im Ganzen ebenso wie für die Côte des Allemands, wo Inventarlisten, Testamente sowie die Verkaufs- und Kaufverträge in den sogenannten Parish Records gesammelt wurden. Abseits der metropolitan gesteuerten, kolonialen Politiken zur Sklaverei, wie sie sich im Code Noir von 1724 manifestierten, machten die Parish Records die Beziehungen zwischen Deutschen und afrikanischen Sklaven greifbar.56 Die Beurkundung der Parish Records oblag bis 1770 Karl Friedrich D’Arensbourg. Unter den Parish Records fand sich eine Vielzahl von Dokumenten, die den Kauf und Verkauf sowie den Tausch von Sklaven protokollierte. Zwar ließen die seltenen Erwähnungen von Sklaven in den 1730er Jahren dies nicht unbedingt vermuten, beginnend mit dem Januar 1741 verbriefte jedoch eine Vielzahl von Einträgen in den Parish Records die massive Einführung der Sklaverei und des

culture du tabac avantageusement, qui ferait pour la colonie une branche de commerce, que sa majesté voulut bien leur avancer un negre et une negresse à chacun qu’ils seroient bientôt en etat de payer par le moyen du tabac“. 55 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724. 56 Jeder Akteur dieser Gesellschaft „was shaped by his or her color, class, and gender“, vgl. Ingersoll, Mammon and Manon, xv.

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Sklavenhandels.57 Erstmals dokumentierte im Januar 1741 ein Eintrag den Verkauf eines afrikanischen Sklaven. Die Eheleute Joseph André und Magdelene Schmit hatten diesen an einen gewissen Sieur François Cheval veräußert. Das Verkaufsdokument vermerkte den Namen des Sklaven nicht; nur die Namen der Verkaufspartner wurden im Dokument angegeben. Den Sklaven betreffend hieß es lediglich: „vente d’un negre“.58 Das Verschweigen von afrikanischen Namen hatte im kolonialen Louisiana System und zielte darauf ab, afrikanische Traditionen zu verbergen und den Akt der Umbenennung afrikanischer Sklaven zu verschleiern. Die Umbenennungen wurden von den Haltern zumeist am Anfang der Versklavung in den Amerikas initiiert, auch um den Prozess der Verdinglichung von Sklaven zu beschleunigen und die Herrschaft über die Sklaven zu suggerieren.59 Dabei markierte der Zusatz „nègre“ die Sklaven als eben solche. Das heißt, der Begriff „nègre“ wurde im kolonialen Louisiana synonym für Sklaven verwendet, afrikanische Akteure grundsätzlich wie Sklaven behandelt. Im Dictionnaire de L’Académie Française hieß es entsprechend: „Traiter quelqu’un comme un nègre, pour dire, traiter quelqu’un comme un esclave“.60

57 Dem Kommandanten Karl Friedrich D’Arensbourg folgten nach 1770 François Bellile (1770–1782), Jacques Masicot (1783–1794) und Antoine Daspit St. Amand (1795– 1805), vgl. Gianelloni, D’Arensbourg Records, x. Vgl. Blume, Entwicklung der Kulturlandschaft des Mississippideltas, 36f. 58 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 10.01.1741. 59 Vgl. Ira Berlin, „From Creole to African: Atlantic Creoles and the Origins of AfricanAmerican Society in Mainland North America“, William & Mary Quarterly 53:2 (1996): 251–288, hier 251f. Die afrikanischen Sklaven entwickelten schnell Techniken, um diese Machtpolitiken zu konterkarieren. So war es üblich, dass afrikanische Sklaven sich mit multiplen Namen identifierten, vgl. John W. Blassingame, The Slave Community: Plantation Life in the Antebellum South (New York: Oxford University Press, 2

1979), 183; die Historiker Jerome S. Handler und JoAnn Jacoby erläutern: „In multiple

names, both African-born and creole slaves found a means of maintaining self-esteem and establishing an identity that transcended enslavement“, Jerome S. Handler und JoAnn Jacoby, „Slave Names and Naming in Barbados, 1650–1830“, William & Mary Quarterly 53:4 (1996): 685–728, hier 711; zur Problematik, die afrikanischen Spuren in den Namen afrikanischer Sklaven offenzulegen, siehe John Thornton, „Central African Names and African-American Naming Patterns“, William & Mary Quarterly 50:4 (1993): 727–742. 60 Siehe Dictionnaire de L’Académie Française (41762), 205: „NÈGRE, ESSE. s. Ce mot ne se met point ici comme un nom de Nation, mais seulement parce qu’il entre dans

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Von den afrikanischen Sklaven wurden diese Herrschaftspraktiken allerdings unterlaufen. Viele Sklaven, die in den kolonialen Dokumenten mit französischen Namen „gerufen“ wurden, nutzten innerhalb der afrikanischen Gemeinschaft afrikanische Namen.61 In den verwaltungstechnischen und kirchlichen Dokumenten spiegelte sich diese Praxis nicht wider. Sie gaben lediglich die Namen an, die den Sklaven durch ihre Halter zugewiesen wurden. In den Parish Records überwogen Einträge afrikanischer Sklaven mit französischen oder mit französifizierten Namen. Ein Dokument, welches den Tausch zweier Sklaven zwischen einem gewissen Sieur Blanpain und einem Jean Barre dit Lionnais regelte, vermerkte den Namen eines Sklaven mit Monmourou und jenen einer Sklavin mit Jeanneton. Während der Name Jeanneton französische Spuren aufwies, deutete Monmourou eine Verbindung französischer und arabisch-afrikanischer Traditionen an.62 Zusätzlich zu den Namen notierte man den Gesundheitszustand und die Arbeitskraft der Sklaven. Versehen wurden der Vertrag mit einer Klausel, die im Falle einer plötzlichen Krankheit eines der beiden Sklaven festlegte, dass der Tausch annulliert werden könne und die Sklaven dann zurückzutauschen seien. Vertragsrechtlich stellten die beiden Sklaven aus Sicht der Halter bewegliche Waren dar, die gemäß den Vertragsinhalten zu behandeln waren. Eine solche Sichtweise hatten die Sklavenhalter wohl aus der englischen Karibik übernommen, von wo aus sie sich im 18. Jahrhundert langsam in Louisiana ausgebreitet hatte und mit den Regelungen des Code Noir vereinbart wurde.63 Für die bewegliche Ware ‚Sklave‘ bestand, wie für jegliche anderen Waren, Eigentumsschutz. Wurde ein Sklave von Dritten verletzt, war dies zu entschädigen. In den Parish Records schlug sich die Verdinglichung afrikanischer Akteure unter anderem im Mai 1773 nieder. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein gewisser Sieur Vincent dazu verurteilt, der Dame LaFleur eine Entschädigung von 300 Piastres oder 1500 Livres zu zahlen. Vincent hatte ohne Absicht – „tuer sans le vouloir“ – einen Sklaven der Dame LaFleur getötet.64 Das Tötungsdelikt wurde mit den Beschädigungen an materiellen Dingen gleichgesetzt, der Fall erinnerte damit in Darstellung und Verhandlung

cette façon de parler. Traiter quelqu’un comme un nègre, pour dire, traiter quelqu’un comme un esclave“. 61 Vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 166. 62 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 24.12.1743. Vgl. auch G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 166. 63 Zur Kontextualisierung und Historisierung des Konzepts der „chattel slavery“ und von Sklaven als „movable property“ siehe Jane Landers, „Slavery in the Lower South“, OAH Magazine of History 17:3 (2003): 23–27, insbesondere 25f. 64 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 2, 24.05.1773.

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an jene Fälle, in denen Halter von Vieh dazu verpflichtet worden waren, für die Schäden aufzukommen, die ihre entflohenen Tiere an benachbarten Zäunen verursacht hatten. Ob Zaun oder Sklave, stets wurde der Schaden festgestellt und eine Entschädigungssumme festgelegt.65 Die bewegliche Ware ‚Sklave‘ war daher genauestens zu beschreiben. Dies führte im Laufe der Jahre dazu, dass die Vertragsinhalte von ver- und gekauften Sklaven präzisiert und um Angaben zu Alter, Herkunft und in Teilen zum Verkaufsort ergänzt wurden. Daneben enthielten die Dokumente stets die Zahlungsmodalitäten. Als im März des Jahres 1773 der Sklave Francois den Halter wechselte, vermerkte der Kommandant Bellile dessen Alter mit 22 Jahren und fügte an, der Verkäufer habe eingewilligt, den Verkaufspreis von 1200 Livres vom Käufer in zwei Raten zu erhalten.66 Es gehörte zu den Eigenheiten der Sklaverei, dass die Verdinglichung der Sklaven als bewegliche Waren nicht mit einer Entmenschlichung der Sklaven per se gleichzusetzen war. Wenngleich die Sklaverei auf Diskriminierung und Entwürdigung beruhte und aus legaler Perspektive eine Form der „chattel slavery“ sowie des „Warenhandels“ etabliert wurde, verweisen Historiker darauf, dass die Sklaverei letztlich ein System der Organisation menschlicher Beziehungen dargestellt hätte: „Slavery was an organized pattern of human relationships. No matter what the law might say, it was of different character than cattle ownership. No matter how degrading slavery involved human beings. No one seriously pretended otherwise. Slavery was not an isolated economic or institutional phenomenon“.67 Das System der Sklaverei war in die alltäglichen Mechanismen des Disziplinierens integriert. An der Côte des Allemands wurde dieser Umstand am Phänomen des Sklavenhandels deutlich, der sich in Teilen – wie der Kauf und Verkauf von Habitationen – um den Ort der Kirche organisierte. Unter anderem vermerkte der Kommandant Bellile in einem Protokoll vom August 1774, der Verkauf des Sklaven „nomée Pierre créole“ habe sich vor den Türen der Kirche abgespielt.

65 Vgl. LHQ 6 (1923): 494, „Petition in Remonstrance“, 10.04.1739; es ist bezeichnend, dass die Editoren des LHQ für die Darstellung von Tötungsdelikten an Sklaven und die folgenden Regressansprüche ihrer Halter den Ausdruck „claims of damage“ verwendeten, siehe zum Beispiel LHQ 24 (1941): 1223, „Petition to the Superior Council by Joseph Zeringue“, 24.05.1763. 66 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 30.03.1773. 67 Winthrop D. Jordan, „The Mutual Causation of Racism and Slavery“, in Major Problems in African-American History: From Slavery to Freedom, 1619–1877, hrsg. v. Elsa B. Brown und Thomas C. Holt (Boston: Houghton Mifflin, 2000), 92–98, hier 98.

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Durch diese Praxis wurden die Siedler dazu diszipliniert, ihre Geschäftstätigkeiten in einen öffentlichen und durch die Kirche legitimierten Raum zu verlagern.68 Diese Praktiken änderten sich mit dem Übergang von der französischen zur spanischen Administration wenig. Jedoch wandelten sich nun die Kategorien, nach denen die afrikanischen Akteure differenziert wurden, wie der Vermerk für den Sklaven „nomée Pierre créole“ zeigt. Zwar war die Verwendung des Begriffes „créole“ seit dem frühen 18. Jahrhundert in Louisiana etabliert und mit der Aussage „in den Kolonien geboren“ assoziiert, an der Côte des Allemands hatte der Begriff jedoch unter der französischen Verwaltung keine Verwendung erfahren.69 Mit der Verwendung des Begriffes „créole“ markierte Bellile den Sklaven Pierre als in Louisiana gebürtig und grenzte ihn von in Afrika geborenen Sklaven ab. Diese Beschreibung einer Art von Herkunft setzte sich in den 1770er Jahren Stück für Stück durch. So wählte der Kommandant Bellile im April 1778 erneut den Begriff „créole“, um einen 35-jährigen Sklaven zu identifizieren, der durch eine freie afrikanische Akteurin, der „Margueritte negresse libre“, von einer Witwe namens Sabourdin erworben worden war. Ob „Margueritte negresse libre“ den Sklaven gekauft hatte, um ihn in der Folge zu emanzipieren oder in ihrem Besitz zu belassen, verrieten die Parish Records nicht. Im kolonialen Louisiana des 18. Jahrhunderts stellte es keine Ausnahme dar, wenn freie AfrikanerInnen Sklaven besaßen und diese auf ihren Habitationen wirtschaften ließen.70 Mit dem Begriff „créole“ verbanden die Sklavenhalter verschiedene Vorstellungen, die die Kontrolle und Disziplinierung der Sklaven betrafen. Gemeinhin kursierten unter den Sklavenhaltern Überlegungen, nach denen sorgfältig zwischen Sklaven aus Afrika, der Karibik und Westindien sowie in Louisiana geborenen Sklaven zu unterscheiden war. So präferierten die Sklavenhalter für lange

68 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, N° 43, 15.11.1765, sowie Reel 1, 15.08.1774. 69 In der Forschung wird auf Robert Talon verwiesen, den ein Sterbebucheintrag vom 23. Mai 1745 als ersten Kreolen der Kolonie auszeichnete. Talons Geburtsort kann aufgrund seiner Erwähnung als Taufpate in einem Taufregister aus Mobile, MS, vom 15. Juni 1717 rekonstruiert werden. So argumentiert Virginia R. Domínguez, Talon sei um die Jahrhundertwende als Sohn europäischer Einwanderer in Louisiana geboren, vgl. Domínguez, White by Definition, 96. 70 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 3, 03.04.1778. Zu nennen wäre die Forschungsliteratur zur 1742 geborenen und 1816 verstorbenen Marie Thérèse Coincoin, vgl. Elizabeth S. Mills, „Marie Thérèse Coincoin: Cane River Slave, Slave Owner, and Paradox“, in Louisiana Women: Their Lives and Times, hrsg. v. Janet Allured und Judith F. Gentry (Athens, GA: University of Georgia Press, 2009), 10–29.

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Zeit afrikanische Sklaven, weil sie diese für am besten zu disziplinieren und zu kontrollieren hielten; in den Augen der Sklavenhalter Louisianas neigten afrikanische Sklaven zudem selten zum gewalttätigen Widerstand. Sklaven aus der Karibik und von den westindischen Inseln hing hingegen der Ruf der Lasterhaftigkeit und der Unkontrollierbarkeit an, teils galten sie als Kriminelle. In Louisiana geborene Sklaven wurden dafür geschätzt, dass sie sich bereits an die Bedingungen in der Kolonie angepasst hatten, die Arbeitsprozesse kannten und sich neue Fähigkeiten schneller aneigneten. Ferner glaubten viele Sklavenhalter das Familiennetzwerke und kleinere Besitzverhältnisse in Louisiana geborene Sklaven davon abhielten, zu flüchten oder zu rebellieren. Spätestens seit der spanischen Administration bevorzugten die Sklavenhalter auf ihren Plantagen daher in Louisiana geborene Sklaven. Durch die Unterscheidung von kreolen und nicht-kreolen, von afrikanischen, karibischen, westindischen und in Louisiana geborenen Sklaven hofften die Sklavenhalter also, die Risiken eines Widerstandes zu minimieren und die Produktivität auf ihren Plantagen zu steigern.71 Nicht nur die Unterscheidung zwischen in Louisiana und Afrika geborenen Sklaven wurde unter der spanischen Verwaltung in den 1770er Jahren weiter ausdefiniert. Prinzipiell bemühten sich die spanischen Beamten, die Sklaven stärker zu differenzieren. Darunter fielen auch die Bestrebungen, Nachkommen aus Beziehungen von europäischen Siedlern und afrikanischen Sklaven zu kennzeichnen. Im April 1778 verkaufte die schon erwähnte Witwe Sabourdin nicht nur einen 35jährigen kreolen Sklaven, sondern ebenso den 30-jährigen „Batiste créolle“. Dessen Käufer wurde im Vertrag als „Jean Paquet mulatre libre“ ausgegeben.72 Der Vertrag implizierte, dass „Jean Paquet“ aus einer interracial relationship hervorgegangen war. Jedoch konnte allein der Umstand, dass es sich bei Jean Paquet um einen freien Akteur handelte, die Wahrnehmung der kolonialen Beamten beeinflusst haben. Schließlich waren die Wahrnehmungen von Sklaven, die mit Begriffen wie „mulatre“ oder „mulatresse“ umschrieben wurden, mit den Kategorien des Freiheitsstatus und der Klasse verbunden.73 Da Jean Paquet ein freier Akteur war, konnte ihn allein diese Tatsache in den Augen der kolonialen Beamten „weißer“ erscheinen lassen.74

71 Vgl. Din, „Carondelet, the Cabildo, and Slaves“, 25. 72 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 3, 03.04.1778. 73 Vgl. Martha Hodes, „The Mercurial Nature and Abiding Power of Race: A Transnational Family Story“, American Historical Review 108:1 (2003): 84–118, hier 89. 74 Die Historikerin Martha Hodes argumentiert (im Sinne von Intersektionalität) dafür zu beachten, inwiefern sich die verschiedenen, diskriminierenden Kategorien gegenseitig

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Die kolonialen Beamten versahen nicht nur freie afrikanische Akteure mit Zuschreibungen wie „mulatre“ oder „mulatresse“, auch afrikanische Sklaven erhielten die entsprechenden Markierungen. Im November 1774 verkaufte die Habitantin Francoise Bellile mit der Sklavin Margueritte auch deren Tochter und Sohn an einen gewissen Sieur Boré. Während Tochter und Sohn im Verkaufsprotokoll als „mulatre“ und „mulatresse“ ausgewiesen wurden, hieß es für Margueritte, sie sei eine „negresse“.75 Die Begriffe „mulatre“ und „mulatresse“ kennzeichneten in diesem Falle die Kinder einer Sklavin. Unmissverständlich deutete der Protokollführer und Kommandant Bellile auf einen Unterschied zwischen der Mutter, der „negresse“, und ihren Kindern, den „mulatres“, hin. Diese Unterscheidung konnte einerseits darauf beruhen, dass Tochter und Sohn aus einer Beziehung ihrer versklavten Mutter mit einem europäischen Mann stammten; andererseits konnte die Unterscheidung aber auch einer Gesamtwahrnehmung von „ancestry, color and appearance, class status, gender, and behavior“ geschuldet sein. Grundsätzlich korrelierten die Wahrnehmungen von „color“ mit anderen Wahrnehmungsaspekten, die vor allem sozial und kulturell bedingt waren. Das heißt, sozialer Status, äußerliche Erscheinung und öffentliche Verhaltensformen konnten die Wahrnehmung von „color“ beeinflussen. Dementsprechend spiegelten die Begriffe „mulatre“ und „mulatresse“ daher allein die Wahrnehmung des protokollierenden Kommandanten Bellile wider.76 Der Vater der Kinder wurde im Verkaufskontrakt nicht erwähnt und gehörte nicht zum Geschäft. Trotzdem – oder gerade deswegen – erweckte der Kontrakt den Eindruck, dass hier eine kleine Sklavenfamilie die Halter wechselte. Die Vereinbarung erinnerte an die Vorgaben des Code Noir von 1724, der in Artikel 8 eine Trennung von Sklavenfamilien untersagte.77 Die Habitantin Francoise Bellile und der Siedler Boré hielten sich mit ihrem Sklavengeschäft an die Vorgaben. Auch die weiteren Aufzeichnungen des Kaufs und Verkaufs von Sklaven schienen die Artikel des Code Noir zu befolgen. Typischerweise wurde der Sklavenhandel hier im Rahmen von Transfers ganzer Habitationen abgewickelt. So beinhaltete der Transfer einer Habitation im November 1779 den Verkauf von insgesamt 42

beeinflussten, bzw. inwiefern sie in ihrer Wahrnehmung untereinander verschränkt waren: „Ancestry, color and appearance, class status, gender, and behavior: all of these perceptions and assessments intertwined in the lives“, Hodes, „Transnational Family Story“, 88. 75 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 2, 07.11.1774. 76 Hodes, „Transnational Family Story“, 88. 77 Code Noir, 58, Artikel 8.

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Sklaven und Sklavinnen.78 Als exemplarisch konnte diese hohe Anzahl von Sklaven und ihr Verkauf nicht angesehen werden. Meist war die Zahl der mit den Habitationen verkauften Sklaven eher gering. D’Arensbourg vermerkte in einem Verkaufsprotokoll aus dem September 1748, dass der Transfer einer Habitation der Eheleute „Sieur Nicolas Rousseau et son epouse Cahtrine“ den Verkauf eines Sklaven und einer Sklavin sowie deren Tochter beinhaltete. Ohne den Begriff der Familie zu verwenden, signalisierte er mit seiner Wortwahl – „un negre, un negresse et leurs fille“ –, dass es sich bei den Sklaven um eine Familie handelte.79 Mit der französischen Vorgabe, die Sklavenfamilien zusammen zu belassen, brachen die Sklavenhalter unter der spanischen Administration nicht. Der Verkauf der Eheleute Francois und Madelaine an einen gewissen Jacque Lepine im Juni 1774 stellte hierfür nur ein Beispiel dar.80 Oftmals vermittelten die Verkaufsprotokolle aus den 1770er Jahren den Eindruck, die Kernfamilie der Sklaven bestehe lediglich aus der Mutter und ihren Kindern. Im Februar 1773 verkaufte die „veuve Daigle“ nur die Sklavin Perine sowie deren Töchter Madelaine und Marie-Jeane.81 Im Januar 1774 erstand ein gewisser Henri Aidlemaire eine Sklavin namens Angélique. Zum „Verkaufspaket“ gehörten deren Kinder, Jean-Louis und Marie. Die Väter wurden in den jeweiligen Dokumenten nicht benannt. Vielleicht hatten sie die Mütter ihrer Kinder offiziell nicht geheiratet, vielleicht legten die Sklavenhalter für ihr Verständnis der Sklavenfamilie aber auch eine Definition zugrunde, die die Väter obsolet machte.82 In den Augen der Sklavenhalter repräsentierten die Sklaven immer auch Kapital. Ersichtlich wurde dieser Umstand in den Inventarlisten, die man im Falle von Hochzeiten und nach dem Tode von Siedlern zum Zwecke von Ehe- und Erbregelungen erstellte. Die Inventarlisten erfassten die Sklavenfamilien zwar stets zusammen, ließen jedoch den Eindruck entstehen, dies vor allem aus wirtschaftlichen Aspekten so zu handhaben. Der Wert der jeweiligen Familienmitglieder ließ sich nicht nur in ihrem Einzel-, sondern in ihrem Gesamtwert abschätzen. In diesem Sinne nannte eine Inventarliste aus dem Dezember 1776 erst die Mitglieder einer Sklavenfamilie, den Vater Lisardain, dessen Frau Francoise sowie

78 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 3, 03.11.1779. 79 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 28.09.1745. 80 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 2, 28.06.1774. 81 Conrad, St. Charles, 19, #66, „Slave Sale“, 16.02.1773. 82 Conrad, St. Charles, 25, #103, „Slave Sale“, 09.01.1774.

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die Söhne Jean-Louis und Noel-Louis, und fügte an, die Familie hätte einen Gesamtwert von 1501 Piastres. Die Einzelwerte der Familienmitglieder fehlten in der Inventarliste.83 Die Sklavenfamilien erfuhren in den Inventarlisten keine andere Behandlung, als jene Sklaven und Sklavinnen, die ihren Familien entwachsen waren und bisher keine eigenen Familien gegründet hatten. Familien wurden, wie einzelne Sklaven, ihrem Wert nach aufgewogen. Ihre Auflistung folgte stets nach einem einführenden „item“. Die Sklaven verkörperten also einen weiteren Gegenstand, der in den Listen abzuarbeiten war. Nach dem „item une habitation“ schloss sich das „item un negre creole“ an. Alter, Name, Herkunft und Wert in Livres oder Piastres, mehr gab es aus Sicht der Verfasser selten zu vermerken. Exemplarisch für diese Vorgehensweise ist eine Inventarliste vom November 1775, die den Verkauf einer Habitation des verstorbenen Jean Baptiste Rome dokumentierte. In Bezug auf die Sklaven hieß es dort „item ein ‚kreoler‘ Sklave von 23 Jahren mit Namen Francois für 610 Piastres“ sowie „item ein ‚kreoler‘ Sklave von 18 Jahren mit Namen Jean für 665 Piastres“.84 Der Begriff „item“ verdeutlichte die Verdinglichung der Sklaven, wobei der Effekt durch den Aufbau der Inventarlisten verstärkt wurde. So handelte eine Liste aus dem Januar 1785, die das Eigentum eines gewissen François Dupont inventarisierte, erst die „items“ des Haushaltes ab, wie Heizkessel, Öfen, Kerzenleuchter und Tische, um danach die „items“ der landwirtschaftlichen Arbeit, wie Beile, Hacken, Ketten und Karren, zu listen. Es folgten die „items“ der Nutztiere, wie Schweine und Pferde, die für Mühlen benötigt wurden, sowie die „items“ der Masttiere, wie Rinder, die zum Verkauf oder Verzehr gehalten wurden. Erst nach all diesen „items“ begann auf der zwölften von vierzehn Seiten des Verkaufsprotokolls die Auflistung der „items negres“.85 Insgesamt verzeichnete das Verkaufsprotokoll sechs Sklaven und Sklavinnen, die sich im Besitz von Dupont befunden hatten. Sie erfuhren, wie die übrigen „items“, eine genaue Beschreibung. Neben der Angabe des Alters und des Geschlechts versuchte der Verfasser des Protokolls, ein gewisser Maurice O’Conor, für einige der Sklaven und Sklavinnen deren Herkunft zu bestimmen. Im Protokoll verband er dazu Kategorien wie Nation und Abstammung zu einer Art von Herkunftsbeschreibung. Der Sklave Thomas wurde als „créole de la Dominique“ ausgewiesen. Er stammte damit ebenso aus der Karibik wie der Sklave Richard, dessen Eintrag den Vermerk „creole de la Jamaique“ trug. Den Sklaven Bamba rechnete O’Conor der „nation Bambara“ zu, wodurch

83 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 2, 20.12.1776. 84 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 2, 14.11.1775. 85 CLS, St. John Parish Original Acts, 1770–1803, Reel 3, N°1, 14.01.1785.

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er signalisierte, dass es sich bei „Bamba“ um einen Sklaven handelte, der über den transatlantischen Sklavenhandel direkt nach Louisiana gekommen war. Gleiches galt für die „negresse nommée Jeannette“, die laut O’Conor der „nation congo“ angehörte.86 Mit diesen Herkunftsbeschreibungen legte O’Conor eine äußerst differenzierte Wahrnehmung an den Tag. Schließlich unterschied er nicht nur zwischen in den Kolonien und in Afrika geborenen Sklaven, sondern er versuchte darüber hinaus, die Sklaven und Sklavinnen innerhalb von Afrika zu verorten. Aus heutiger Perspektive stießen seine Ausdifferenzierungen freilich an Grenzen. Der Fall der Sklavin Jeanette, die nach O’Conor zur „nation congo“ gehörte, veranschaulicht dies. Mit der Zuschreibung „nation congo“ konnten vier unterschiedliche Bedeutungen zum Ausdruck gebracht werden: Erstens konnte O’Conor die Sklavin auf das Königreich der „Congo“ verortet haben.87 Zweitens konnte die Aussage von O’Conor mit der Vorstellung von einer geographischen Region namens „Congo“ verbunden sein, die nicht als deckungsgleich mit dem Königreich verstanden werden durfte. Drittens konnte O’Conor mit seiner Aussage auf die Ethnizität der „Congo“ verwiesen haben, was zugleich ein Hinweis, jedoch kein Nachweis für die geographische Herkunft sein musste.88 Viertens war es möglich, dass O’Conor auf die Muttersprache der Sklavin anspielte, die aus seiner Sicht der „Congo“Sprachfamilie entstammte. Ob Königreich, Region, Ethnizität oder Sprache, O’Conor deutete mit seinen Aussagen zur „negresse nommée Jeannette“ vieles an, lieferte aber kaum konkrete Informationen. Wahrscheinlich ist, dass O’Conor mit dem Begriff „Congo“ Aspekte von Staatlichkeit, Region, Ethnizität und Sprache miteinander verband.89 In einem Punkt war O’Conor in der Inventarliste sehr konkret: Neben den Sklaven und Sklavinnen protokollierte O’Conor deren Käufer und enthüllte dadurch ein interessantes Detail. Für den Sklaven Richard hielt er fest, dieser sei

86 CLS, St. John Parish Original Acts, 1770–1803, Reel 3, N°1, 14.01.1785. 87 Vgl. John Thornton, The Kingdom of Kongo: Civil War and Transition, 1641–1718 (Madison, WI: University of Wisconsin Press, 1983); ders., „‚I Am the Subject of the King of Congo‘: African Political Ideology and the Haitian Revolution“, Journal of World History 4:2 (1993): 181–214. 88 Vgl. G. M. Hall, African Ethnicities, 34f. 89 Vgl. Christopher Ehret, „Writing African History from Linguistic Evidence“, in Writing African History, hrsg. v. John E. Philips (Rochester, NY: University of Rochester Press, 2006), 86–111, der Linguist Ehret spricht von der Niger-Congo-Sprachfamilie. Zu den (Be-)Deutungen des Begriffes „Congo“ oder „Kongo“ unter Europäern im kolonialen Louisiana, siehe auch G. M. Hall, African Ethnicities, 65.

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von einem gewissen „Joseph negre libre“ erworben worden. Wie „Margueritte negresse libre“ und „Jean Paquet mulatre libre“ schien „Joseph negre libre“ aktiv am Sklavenhandel zu partizipieren.90 Mit den Verweisen auf „Margueritte negresse libre“, „Jean Paquet mulatre libre“ und „Joseph negre libre“ ließen die Verkaufsprotokolle und Inventarlisten erahnen, dass im Recht des kolonialen Louisiana legale Wege zur Freilassung und Freiheit von afrikanischen Akteuren angelegt sein mussten. Grundlage hierfür stellte der Code Noir von 1724 dar, der zwischen frei geborenen und frei gelassenen afrikanischen Akteuren differenzierte. Während die „nègres libres“ von Geburt an frei waren, steckte der Code Noir im Rahmen der Artikel 50 bis 54 die Eckpunkte für Manumissionen von Sklaven und Sklavinnen ab. Unter dem Begriff der Manumission wurde der Akt der Freilassung verstanden: „the act of freeing individual slaves while the institution of slavery continues“.91 Einzelne Sklaven und Sklavinnen konnten freigelassen werden. Mit einer Diskussion um eine generelle Emanzipation oder Abschaffung der Sklaverei waren die Handlungen aber nicht verbunden. Im Code Noir wurde der Akt der Freilassung mit dem Begriff „affranchissement“, die freigelassenen Personen in Abgrenzung zu den „nègres libres“ als „affranchis“ beschrieben.92 Laut Artikel 50 des Code Noir hatte jeder Sklavenhalter im Alter von mindestens 25 Jahren das Recht, seine Sklaven testamentarisch oder inter vivos freizulassen. Die Manumissionen waren vom Conseil Supérieur der Kolonie zu bestätigen.93 Bewilligte der Conseil die Freilassungen, wurden die Sklaven mit ihrer Manumission naturalisiert und besaßen die gleichen Rechte, Privilegien und Immunitäten wie die „sujets naturels“.94 Lediglich zwei Einschränkungen gingen mit der Manumission einher: Den freigelassenen Sklaven war es verboten, entlaufene Sklaven bei sich aufzunehmen und zu beherbergen. Ferner verlangte der Code Noir von freigelassenen Sklaven, dass sie gegenüber ihren vormaligen Haltern den höchsten Respekt zeigten und diese in keiner Weise beleidigten.95

90 CLS, St. John Parish Original Acts, 1770–1803, Reel 3, N°1, 14.01.1785. 91 Rosemary Brana-Shute und Randy J. Sparks, „Editors‘ Note“, in Paths to Freedom: Manumission in the Atlantic World, hrsg. v. Rosemary Brana-Shute und Randy J. Sparks (Columbia, SC: University of South Carolina Press, 2009), vii–viii, hier vii. Siehe auch Code Noir, 67f, Artikel 50–54 92 Code Noir, 67, Artikel 50. 93 Ebd., 67, Artikel 50. 94 Ebd., 68, Artikel 52 und 54. 95 Ebd., 68, Artikel 34 und 53

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Mit Beginn der spanischen Verwaltung im Jahr 1768 veränderten sich die legalen Bedingungen der Sklaverei und der Freilassung von Sklaven. Anstatt des Code Noir, der die nachfolgenden spanischen Bestimmungen weiterhin beeinflusste, basierten die Regelungen zur Sklaverei nun auf den Siete Partidas und der Recopilación de leyes de los reinos de las Indias.96 Durch diese Schriften wurde den Sklaven das Recht eingeräumt, eine „Carta de libertad“ zu ersuchen und sich die Freiheit zu erkaufen. Der Kaufpreis wurde vorab vom Sklavenhalter oder einem Gericht festgesetzt. Dabei erlaubten es die spanischen Bestimmungen, dass Sklaven und Sklavinnen den Prozess ihrer Manumission selbst und ohne das Einvernehmen der Halter initiieren konnten.97 Kimberly Hanger zufolge wurden die Sklaven in ihren Bestrebungen, die Freiheit zu gewinnen, von den spanischen Beamten teils sogar unterstützt. Aus Sicht der Beamten konnte eine Schicht freier afrikanischer Akteure die Geschlossenheit der afrikanischen Gemeinschaft aufbrechen und deren Gefahrenpotenzial für die koloniale Gesellschaft mindern. Der Einsatz freier afrikanischer Milizen gegen entflohene Sklaven und im Falle von Sklavenaufständen stand in diesem Zusammenhang, wie in späteren Jahren die Vorgehensweise während der German Coast Rebellion von 1811 zeigte. Allerdings lieferten die freien afrikanischen Milizen nicht immer die gewünschten Ergebnisse. Wiederholt kam es zu Beschwerden, die den Einsatz der Milizen aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen mit den afrikanischen Sklaven als nutzlos und die Milizen als von den Sklaven erpressbar ansahen. Immer wieder tauchten zudem Gerüchte auf, nach denen freie afrikanische Akteure mit konspirierenden Sklaven oder feindlichen Gruppen, wie dem kolonialen Rivalen England, zusammenarbeiteten.98

96 Vgl. Din, Spaniards, Planters, and Slaves, 43. 97 Vgl. Kimberly S. Hanger, „Avenues to Freedom Open to New Orleans’ Black Population, 1769–1779“, Louisiana History 31:3 (1990): 237–264, hier 240. Das Recht der Sklaven, sich selbst freizukaufen, wurde mit dem Begriff „coartación“ umschrieben. 98 Vgl. Hanger, „Avenues to Freedom“, 244, sowie Thomas N. Ingersoll, „Free Blacks in a Slave Society: New Orleans, 1718–1812“, William & Mary Quarterly 48:2 (1991): 173–200, hier 181, 189. Siehe auch New Orleans Public Library (NOPL), Digest of the Acts or Records of the Cabildo, 1769–1803, Cabildo, Book 2, Page 224, 04.06.1784, sowie HNOC, Mss. 14 Villeré (Jacques Philippe) Papers, folder 1. Einen Forschungseinblick zum Milizsystem der freien afrikanischen Akteure lieferte die Historikerin Kimberly Hanger in ihrer Darstellung der freien afrikanischen Gemeinschaft von New Orleans, siehe Kimberly S. Hanger, Bounded Lives, Bounded Places: Free Black Society in Colonial New Orleans, 1769–1803 (Durham, NC: Duke University Press, 1997), 109–135.

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Oftmals erlangten die Sklaven und Sklavinnen ohne Kompensationen ihres Halters und auf dessen ausdrücklichen Wunsch die Freiheit. Nutznießer dieses Weges, den der Begriff „graciosa“ umschrieb, waren vor allem Sklavinnen, deren loyale Dienste honoriert wurden. Hinweise auf informelle, teils sexuelle Beziehungen zwischen Sklavinnen und Halter als Ursache für die Freilassungen fehlen in den Dokumenten, können aber nicht ausgeschlossen werden.99 Häufig handelte es sich bei den Freigelassenen um ältere Sklaven und Sklavinnen, von deren Manumissionen die Besitzer im Grunde wirtschaftlich profitierten. Schließlich endete mit der Freilassung die Sorgfaltspflicht. Von nun an waren die Halter nicht mehr für den Lebensunterhalt der Sklaven verantwortlich. Folglich kamen die Manumissionen für die Besitzer einer finanziellen Entlastung gleich. Hanger formulierte daher: „Slaveholders made few economic sacrifices by freeing any slave over fifty years of age“.100 Aus ökonomischer Perspektive lieferten die Freilassungen von Sklaven zudem eine Antwort auf den chronischen Mangel an Arbeitskräften in den urbanen Zentren des kolonialen Louisiana. Die „nègres libres“ und „affranchis“ konnten in Städten wie New Orleans in Arbeitsfeldern tätig werden, die von europäischen Akteuren gemieden und afrikanischen Sklaven nicht anvertraut wurden. Mit der Freilassung der Sklaven wurde ein wirtschaftliches Potenzial aktiviert, das es unbedingt zu nutzen galt, ob nun mit oder ohne Einverständnis der Sklavenhalter. Denn immerhin erkaufte sich ein Viertel aller Sklaven unter Anrufung eines Gerichtes und gegen den Willen der Halter die Freiheit.101 An der Côte des Allemands wurden die Manumissionen unter der spanischen Verwaltung ebenfalls zur Gewohnheit, während in der französisch-kolonialen Phase kaum solche Praktiken dokumentiert worden waren, obschon die Register der St. Charles Borromeo Kirche mit Vermerken zu freien afrikanischen Akteuren entsprechende Andeutungen gemacht hatten.102 Im ausgehenden 18. Jahrhundert wandelte sich nun die Situation und die Manumissionen nahmen stetig zu. Bei-

99

Kimberly Hanger listet fünf Formen der Manumission auf: per Graciosa, per Graciosa unter weiteren Bedingungen, per Selbstkauf, durch Kauf von Dritten und über Gerichtsanhörungen, vgl. Hanger, Bounded Lives, 26–33. Zu den Ursachen und Umständen von Manumissionen im kolonialen Louisiana unter spanischer Verwaltung siehe Everett, „Free Persons of Color in Colonial Louisiana“, 43–47.

100 Hanger, „Avenues to Freedom“, 252. 101 Vgl. Hanger, „Avenues to Freedom“, 241–244. 102 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 21.05.1748.

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spielsweise erlangte die Sklavin „nomée Manon creolle“ im April 1778 auf Betreiben ihrer Halterin, der Witwe Jeanne Antoinette de Villemont, die Freiheit.103 Mit ihren 60 Jahren passte Manon in das von Kimberly Hanger skizzierte Schema von Freilassungen. Weiblich und betagt musste Manon ab sofort für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen. Die Witwe de Villemont hatte sich von dieser Pflicht entbunden. Ebenso wie die Witwe entließen die Kapuziner ihre Sklaven im hohen Alter in eine ungewisse Freiheit. Am letzten Tag des Jahres 1880 sicherte der Kapuziner Barnabé einem Sklaven namens Raphael die Freiheit zu. Raphael hatte über 30 Jahre in Diensten des Kapuziners gestanden und musste also betagten Alters sein.104 Zwar wurde immer wieder von Haltern berichtet, die nach der Manumission der Sklaven und Sklavinnen weiterhin für diese einstanden. In der Regel blieb aber gerade den betagten Freigelassenen, wie Manon und Raphael, wenig übrig, als auf die Hilfe von Verwandten und Freunden zu vertrauen oder zu betteln und zu stehlen.105 Wie Manon und Raphael wurden in den 1770er und 1780er Jahren weitere Sklaven und Sklavinnen freigelassen, die teils auch jünger waren. Ein Eintrag vom 2. April 1883 verwies auf die Freilassung des 23-jährigen Sklaven Raphaël und des 20-jährigen Barnabé durch den Kapuziner Barnabé.106 Im Juni 1778 entließ ein gewisser François Cheval eine Sklavin in die Freiheit, die ebenfalls den Namen Manon trug. Im Gegensatz zu ihrer betagten Namensvetterin war sie nur vierzig Jahre alt.107 Im Mai des Jahres 1779 erlangte die aus Guinea stammende Sklavin Moriblé die Freiheit. Am Tag ihrer Freilassung konnte sie bereits auf siebzig Lebensjahre zurückblicken.108 Ihre Halterin war, wie im Falle der „Manon creolle“, die Witwe Françoise Trépagnier gewesen. Auch in weiteren Dokumenten, die Freilassungen von Sklaven und Sklavinnen protokollierten, tauchten unter den Haltern des Öfteren Witwen auf. Im November 1881 entließ die Witwe Françoise Pugole eine 30-jährige Sklavin namens Magdelaine und deren Töchter Marguerite und Thérèse in die Freiheit.109 Während die meisten Freilassungen ohne Kompensationen der Sklavenhalter vonstattengingen, musste der Sklave Catin seine Freiheit im Dezember 1780 zum

103 CLS, St. John Parish Original Acts, 1770–1803, Reel 3, 20.04.1778. 104 Conrad, St. Charles, 87, #449, „Manumission“, 31.12.1780. 105 Vgl. Hanger, Bounded Lives, 39. 106 Conrad, St. Charles, 105, #547, „Manumission“, 02.04.1783. 107 Conrad, St. Charles, 55, #282, „Manumission“, 06.05.1778. 108 Conrad, St. Charles, 65, #334, „Manumission“, 23.05.1779. 109 Conrad, St. Charles, 85, #438, „Manumission“, 16.11.1781.

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Preis von 500 Piastres erkaufen.110 Der Preis entsprach den üblichen Verkaufswerten für männliche Sklaven in den Zwanzigern, wobei die Kompensationen je nach Herkunft, Qualifikation und Geschlecht der Sklaven erheblich variierten. Catin kam mit seinen 500 Piastres günstiger davon als eine kreole Sklavin namens Rose. Die 35-jährige Rose hatte ihren vormaligen Halter, einen gewissen Christophe de Glapion, mit der Summe von 600 Piastres entschädigt.111 Einen noch höheren Preis, nämlich 1095 Piastres, hatte der Sklave Jacques aufbringen müssen, um sich von seinem ehemaligen Halter Etienne Deslonde auszulösen.112 Nicht immer kauften sich die Sklaven und Sklavinnen selbst frei. Vielfach beglichen Dritte den Kaufpreis für die Freilassungen. Der freie afrikanische Akteur Jacob streckte im Mai 1788 die Summe von 200 Piastres vor, um die Freiheit einer zehnjährigen Sklavin namens Madelaine zu erwirken.113 Inwiefern die genannten Summen einer „fair market value“, einem gerechten Marktpreis, entsprachen oder aber der Wucherei unterlagen, ist im Nachhinein nur schwer festzustellen. Im Allgemeinen bezahlten die Sklaven und Sklavinnen in Zeiten der spanischen Verwaltung für ihre Freilassungen einen Preis, der im Vergleich mit den handelsüblichen Preisen einer „fair market value“ entsprach. Nur für die Freikäufe während der späteren amerikanisch-territorialen Verwaltung, die die Rechte des Freikaufs einzuschränken und abzuschaffen versuchte, lagen die Kompensationen im Durchschnitt zirka 19 Prozent über der „fair market value“ für Sklaven.114 Anstatt durch bare Münze konnten die Sklaven die Manumissionen auch in Form von Diensten und Verpflichtungen begleichen. Beispielsweise garantierten die Erben eines gewissen Deslonde einer Sklavin namens Anne-Barbe nur unter der Bedingung die Freiheit, dass diese in den kommenden vier Jahren dem Erben Etienne Deslonde diente.115 Ein Sklave namens Batiste hatte indes, laut seinem Halter Alexis Bertrand, die 300 Piastres für seinen Freikauf dadurch verdient, dass er in seiner freien Zeit zusätzliche Erntedienste durchgeführt hatte.116 In anderen Fällen war es üblich, die Freilassung eines Sklaven oder einer Sklavin mit einer

110 Conrad, St. Charles, 78, #388, „Manumission“, 13.12.1780. 111 Conrad, St. Charles, 93, #476, „Manumission“, 24.03.1782. 112 Conrad, St. Charles, 114, #583, „Manumission“, 20.03.1784. 113 Conrad, St. Charles, 167, #836, „Manumission“, 04.05.1788. 114 Vgl. Shawn A. Cole, „Capitalism and Freedom: Manumissions and the Slave Market in Louisiana, 1725–1820“, Journal of Economic History 65:4 (2005): 1008–1027, insbesondere 1013, 1022 und 1025. 115 Conrad, St. Charles, 88, #452, „Manumission“, 04.01.1782. 116 Conrad, St. Charles, 199, #981, „Manumission“, 14.01.1790.

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Frist zu versehen. So erklärte der pensionierte Offizier Joseph Dusieau, die Freilassung seiner Sklavin Marie und deren Tochter Adelaide sollte in zwei Jahren vom Tage der Veranlassung an oder im Falle seines Todes direkt in Kraft treten.117 Der bereits erwähnte Christophe de Glapion bestimmte, seine Sklavin MarieLouise solle dann die Freiheit erhalten, wenn er nach Frankreich zurückkehren müsse.118 Gleichfalls erklärte die freie afrikanische Akteurin Marie Paquet, dass ihre 36-jährige Tochter Nanette mit ihrem Tode freizulassen wäre.119 Ein gewisser Jean Girardin hatte testamentarisch sogar über die Zeit seines Todes hinaus Bestimmungen hinterlassen und veranlasst, dass der Sklave Antoine mit seinem zwanzigsten Lebensjahr in die Freiheit zu entlassen sei.120 Die Fristen für Freilassungen, die nicht selten mit testamentarischen Veranlassungen verknüpft waren, lieferte eine Erklärung dafür, warum unter jenen Haltern, die ihre Sklaven freiließen, vielfach Witwen anzutreffen waren. Oftmals kamen die Witwen mit den Manumissionen den testamentarischen Veranlassungen ihrer verstorbenen Ehemänner nach. Bekannt wurden die Inhalte der Veranlassungen immer dann, wenn sich die Witwen sträubten, dem letzten Willen ihrer Ehemänner zu folgen und die betroffenen Sklaven daraufhin die Freilassung gegen den Willen der hinterbliebenen Witwen durchsetzten. Gelegentlich wurden auf diese Weise die Beziehungen von Sklavenhaltern und Sklavinnen ans Licht gebracht. Exemplarisch hierfür stand die Freilassung der Sklavin Genevieve nach dem Tod des Sklavenhalters Simon Macour. In seinem Testament hatte Macour die Kinder von Genevieve als die seinen anerkannt und gegen den heftigen Protest seiner Frau und seiner ehelichen Kinder ihre Freilassung angeordnet.121 Hatten die afrikanischen Sklaven und Sklavinnen ihre Freilassung erwirkt, wurden sie Teil der freien afrikanischen Gemeinschaft, deren Größe nach 1768 durch die Politiken der Kolonialverwaltung beachtlich anwuchs. Die nun in Louisiana regierenden Spanier hatten mit ihrer Ankunft den Sklavenhandel belebt, auch weil vor allem die größeren Konzessionäre ein verstärktes Interesse an Sklaven in der Kolonie zeigten, seitdem sie ihre plantagenwirtschaftliche Produktion in den 1790er Jahren auf das arbeitsintensive Zuckerrohr ausgerichtet hatten. Mit der Anzahl der Sklaven war aber auch die Anzahl derjenigen Akteure angestiegen, die potentiell freigelassen werden oder ihre Freilassung erkaufen konnten.122

117 Conrad, St. Charles, 121f, #627, „Manumission“, 03.11.1784. 118 Conrad, St. Charles, 140, #714, „Manumission“, 03.01.1786. 119 Conrad, St. Charles, 124, #635, „Manumission“, 08.11.1784. 120 Conrad, St. Charles, 130, #664, „Manumission“, 25.02.1785. 121 Vgl. Cole, „Manumissions and the Slave Market in Louisiana“, 1016. 122 Vgl. Ingersoll, Mammon and Manon, 211.

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Mit der Freilassung erlangten die afrikanischen Akteure einerseits die Bürgerrechte; andererseits schienen die spanischen Beamten genaue Vorstellungen davon zu haben, welche Funktion die afrikanischen Neu-Bürger in Zukunft in der kolonialen Gesellschaft einzunehmen hatten. Ein Beispiel hierfür lieferten die „negros libres“ Nicolas und Francisco Rixner.123 Bei ihnen handelte es sich, zog man ihren Nachnamen in Betracht, um freie afrikanische Akteure, die selbst oder deren Vorfahren einst zum Besitz der Rixner-Familie gehört hatten.124 Im Laufe des 18. Jahrhunderts war die Rixner-Familie, deren erste Erwähnung aus einem Zensus von 1731 stammte, zu Vermögen und einer bedeutenden Anzahl von Sklaven gekommen. In der Folge hatte die Familie ihren Einfluss nach New Orleans ausgeweitet, wo sie zeitweilig mehrere Flurstücke und Habitationen bewirtschaftete.125 In New Orleans traten auch die „negros libres“ Nicolas und Francisco Rixner in Erscheinung. Im März 1788 machten die beiden ausstehende Zahlungen für von ihnen geleistete Arbeiten am Haus eines gewissen Mauricio Dopeine vor Gericht geltend. Mauricio Dopeine, der mit den Worten „pardo libro“126 gekennzeichnet wurde, war vor Abschluss der Arbeiten verstorben. Dennoch hatten Nicolas und Francisco Rixner diese fortgesetzt und vollendet. Nun forderten sie vom testamentarischen Nachlassverwalter des Verstorbenen ihre Entlohnung. Der Forderung wurde entsprochen: Der Justizbeamte Pedro Pedesclaux gestand Nicolas und Francisco Rixner die Entlohnung zu.127

123 LSM, Records of the French Superior Council, 1714–1769, and the Spanish Judiciary Records, 1769–1803, folder 1788031402, 14.03.1788. 124 Erstmalig tauchte der Name Rixner in den 1730er Jahren in den kolonialen Dokumenten auf. Zu diesem Zeitpunkt lebte die Familie auf einer Flurfläche von zehn Arpents de face, ANOM, G1, 464, „Louisianne, Estat des habitants establie sur le fleuve, au dessous de la Nouvelle Orleans, et au dessus jusque et compris le quartier des allemands a 10 lieues de cette ville“, après 1731. 125 New Orleans Notorial Archives (NONA), French Colonial Records, 1733–1767, FC 536–543, „Sale of Property, Rixner, George to Petit“, 21.04.1762. Laut der Louisiana Slave Database gehörte die Familie Rixner im ausgehenden 18. Jahrhundert zu den großen Sklavenhaltern an der Côte des Allemands. 126 Die spanische Verwaltung unterschied bei ihren Beschreibungen von afrikanischen Akteuren auf Basis der äußerst ambivalenten Zuschreibungen „pardo“, „lightskinned“ und „moreno“ sowie „dark-skinned“, siehe Hanger, „Avenues to Freedom“, 242. 127 LSM, Records of the French Superior Council, 1714–1769, and the Spanish Judiciary Records, 1769–1803, folder 1788031402, 14.03.1788.

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Die Forderung von Nicolas und Francisco Rixner verwies darauf, dass freie afrikanische Akteure jenen Mangel an Fachkräften ausgleichen konnten, der durch das Fehlen von Handwerkern in urbanen Zentren wie New Orleans allgegenwärtig war.128 Ihr Gang vor Gericht verdeutlichte, dass die beiden in der Ausübung einer Profession ihre Rechte wahrzunehmen wussten und diese, genau wie andere Bürger, einfordern konnten und einforderten. Allerdings machte es im Verlaufe solcher Verhandlungen einen Unterschied, welche Parteien sich gegenüberstanden. Mit Mauricio Dopeine waren Nicolas und Francisco Rixner von einem Akteur angeheuert worden, der als „pardo libre“ ebenfalls der Gemeinschaft der freien afrikanischen Akteure zuzurechnen war. Die Ansprüche von Nicolas und Francisco Rixner beschränkten sich somit auf den Personenkreis der freien afrikanischen Gemeinschaft. Übertraten die Ansprüche von freien afrikanischen Akteuren diesen Personenkreis, konnten Forderungen schnell im Sande verlaufen, Ansprüche zurückgewiesen oder Verfahren ohne Ergebnis eingestellt werden.129 Ob in New Orleans oder an der Côte des Allemands, der spanischen Verwaltung war die Konzentration von freien afrikanischen Akteuren schon bald unheimlich. Im Nachgang zum gescheiterten Sklavenaufstand von Pointe Coupée im Frühjahr 1795 schränkte der spanische Gouverneur, Luis Hector Baron de Carondelet, die Lebenswelten freier afrikanischer Akteure erheblich ein und sorgte für ihre Überwachung durch lokale Verwalter, die „Syndics“, die den Kommandanten zur Seite standen.130 Die spanische Administration befürchtete, dass die Ereignisse und Folgen der Französischen und Haitianischen Revolutionen den Weg nach

128 Vgl. Hanger, „Avenues to Freedom“, 241. In der Forschung wird die Bedeutung freier afrikanischer Akteure auf den Bereichen Dienstleistung und Handwerk vor dem Bürgerkrieg seit Längerem diskutiert, siehe Juliet E. K. Walker, „Racism, Slavery, and Free Enterprise: Black Entrepreneurship in the United States before the Civil War“, Business History Review 60:3 (1986): 343–382. Laut Hanger verdingten sich über sechzig Prozent der freien afrikanischen Akteure von New Orleans um 1795 als Dienstleister oder Handwerker, vgl. Hanger, Bounded Lives, 58f. 129 Vgl. Everett, „Free Persons of Color in Colonial Louisiana“, 47f. 130 Siehe Holmes, „The Abortive Slave Revolt at Pointe Coupée“, 341–362, sowie G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 344–374. Gemeint waren amtliche Verwalter, die eine Art Polizeistatus inne hatten und den Kommandanten als Assistenten zur Seite standen, vgl. Din, Spaniards, Planters, and Slaves, 177, sowie 304, Anmerkung 1.

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Louisiana finden und dort von der Gemeinschaft freier afrikanischer Akteure aufgegriffen werden könnten.131 Mit dieser Befürchtung lag die Verwaltung nicht falsch. Wie die Akten des Prozesses im Anschluss an den Aufstand von Pointe Coupée offenbarten, hatten die angeklagten Sklaven und freien afrikanischen Akteure mit ihrem Aufstand an die Ideen der Haitianischen Revolution angeknüpft.132 Darüber hinaus zeigten die Prozessakten, dass neben den freien und unfreien afrikanischen Akteuren europäische Akteure eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des Aufstandes gespielt haben mussten. Gezielt waren im Raum Pointe Coupée Informationen von der Emanzipation der Sklaven in Frankreich verbreitet und Fehlinformationen gestreut worden, die, als Folge der europäischen Koalitionskriege, von Freilassungen afrikanischer Sklaven im kolonialen Louisiana berichteten. Auch hatten Siedler die Planung und Durchführung des Aufstandes tatkräftig unterstützt; für die spanische Verwaltung war daher ein Punkt klar geworden: „The Pointe Coupee conspiracy was widely supported by lower-class whites in Louisiana. It was directed, not against whites, but against slavery“.133 Afrikanische Sklaven und freie afrikanische Akteure stellten keine isolierten Gemeinschaften dar, sondern kooperierten mit anderen Gruppen, wie den „lower-class whites“ und weiteren Siedlern. Trotzdem richtete sich die Politik der Verwaltung zunächst ausschließlich gegen die freien afrikanischen Akteure, die sie im Mittelpunkt der Unruhen sahen.134 In einer von Gouverneur Carondelet im Juni 1795 verfassten Regelung hieß es: „The syndics shall also observe that all free people of color labor either in the field, or at some trade within their district, and shall send the indolent and vagabonds to the commandant of the post, who shall fix them at the capital, where they shall be employed upon the king’s buildings, and other public

131 Vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 348: „The Spanish authorities were concerned that the free people of African descent and the slaves of Louisiana and of the Caribbean would follow the Haitian example“. 132 Vgl. ebd., 349. 133 Ebd., 348. Siehe auch ebd., 351. 134 Die Vermutungen der spanischen Verwaltung waren jedoch haltlos. Vielmehr unterstützte die freie afrikanische Gemeinschaft die Sklaverei zumindest in Teilen: „As the Caribbean movement became increasingly radical, many free people of color in Louisiana remained steadfast in their support of slavery, whether because they did not want to lose their own human property, because they feared a violent revolt, or because they recognized that condemning insurrectionary slaves provided an ideal means to reinforce linkages with white Louisianians“, Kastor, Louisiana Purchase, 32.

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works“.135 Mit dieser Regelung wurde die Orts- und Berufswahl der freien afrikanischen Akteure erheblich eingeschränkt. Von nun an waren sie zur Feldarbeit oder Tätigkeit im Handwerk gezwungen. Es war ihnen verboten, kommerzielle Dienste außerhalb ihrer Distrikte anzubieten. Die Folgen dieser arbeits- und lebensweltlichen Einschränkungen für die Gemeinschaft der freien afrikanischen Akteure traten in einem Zensus zur Côte des Allemands aus dem Jahre 1804 zutage.136 Initiiert von Gouverneur Claiborne und durchgeführt nach dem Louisiana Purchase unter der amerikanisch-territorialen Verwaltung listete der Zensus eine Reihe von freien afrikanischen Akteuren auf, die nach ihrer Freilassung auf den Habitationen ihrer vormaligen Halter verblieben waren. Die freien afrikanischen Akteure zeichneten sich durch ihr hohes Alter aus und lebten, wie im Falle der Habitation einer Witwe namens Masicot und eines gewissen Silvain St.-Amand, Seite an Seite mit versklavten afrikanischen Akteuren.137 Zudem dokumentierte der Zensus eine Reihe freier afrikanischer Akteure, die eigene Flurstücke, häufig kleine Parzellen von ein bis zwei Arpents de face, bewirtschafteten. In der Regel siedelten sie in direkter Nachbarschaft zueinander. Im Zensus von 1804 wurden zum Beispiel die Habitationen der freien afrikanischen Akteure Augustin, Thérèse, Henry, Claude Borne und ihrer Familien in einer Reihe vermerkt.138 Unterbrochen wurde diese Reihe nur von einem gewissen Pierre Risquetout, der eine Kleinstparzelle von einem halben Arpents de face kultivierte und den ärmeren europäischen Siedlern zuzurechnen war. In unmittelbarer Nähe befand sich die Habitation des Verwalters und „Syndics“ Michel Frilloux, der für die Kontrolle der freien afrikanischen Gemeinschaft verantwortlich war.

135 Baron de Carondelet, „Regulation concerning the general police, the repair of bridges, roads, and mounds, and the police of slaves; for the use of the commanders of posts and of coasts, and the syndics of the province of Louisiana“, 01.06.1795, zitiert nach American State Papers, Documents, Legislative and Executive of the Congress of the United States, From the First Session of the First to the Second Session of the Tenth Congress, Inclusive; Commencing March 3, 1789, and Ending March 3, 1809, Class X, Miscellaneous Volume 1, hrsg. v. Walter S. Franklin und Walter Lowrie (Washington, DC: Gales and Seaton, 1834), 377–381, hier 381. 136 Conrad, St. Charles, 389–407, „General Census of St. Charles Parish, 1804“, 01.05.1804. 137 Conrad, St. Charles, 390, „General Census of St. Charles Parish, 1804“, 01.05.1804. 138 Conrad, St. Charles, 397, „General Census of St. Charles Parish, 1804“, 01.05.1804.

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Die freie afrikanische Gemeinschaft und ihr Kontrolleur standen sich direkt gegenüber.139 Seit Ende des 18. Jahrhunderts war es der spanischen Verwaltung gelungen, die freien afrikanischen Akteure räumlich einzuschränken und wirtschaftlich lokal rückzubinden. Allerdings, und dies verdeutlichte die Anwesenheit des Siedlers Pierre Risquetout, war es ihr nicht gelungen, die freien afrikanischen Akteure als Gemeinschaft zu isolieren. Noch immer schienen sie eng mit Teilen der europäisch-kolonialen Gesellschaft verbunden. Der Prozess des Disziplinierens dieser beiden Gruppen war also noch nicht abgeschlossen.

5.4 D IE „G ROSEN “

UND DIE

„ARMEN D EUTSCHEN “

Die „gros habitants“ misstrauten den Kontakten von freien afrikanischen Akteuren und ärmeren europäischen Siedlern und reagierten, indem sie das Bewusstsein bildeten, eine gemeinsame Elite zu stellen. An der Côte des Allemands drückte sich dieses Bewusstsein vor allem infolge der Ereignisse von Pointe Coupée aus: Im Nachgang des Aufstandes war es zu Sympathie- und Solidaritätsbekundungen von Sklavenhaltern für ihresgleichen in Pointe Coupée gekommen. Die Sklavenhalter verliehen ihren Bekundungen dadurch Nachdruck, dass die „Syndics“ gemeinschaftlich ihre Bereitschaft erklärten, sich an Entschädigungszahlungen für die Sklavenhalter von Pointe Coupée zu beteiligen. Mit den Zahlungen sollten die finanziellen Verluste kompensiert werden, die die Halter bei der Niederschlagung des Aufstandes und durch die Todesurteile gegen Sklaven im anschließenden Prozess erlitten hatten. Zugleich reagierten die Sklavenhalter der Côte des Allemands mit ihren Bemühungen auf ein Dekret, in welchem der Gouverneur Carondelet die Kompensationen pro Sklaven auf 200 Piastres festgelegt hatte.140 Darüber hinaus bereiteten die Sklavenhalter die Einrichtung eines Entschädigungsfonds und den Bau eines Gefängnisses im Raum der Côte des Allemands vor. Aus den Mitteln des Fonds sollten in Zukunft jene Halter entschädigt werden, deren Sklaven aufgrund von Strafverfolgungen zum Tode verurteilt wurden. Das Gefängnis sollte zur Verwahrung freier und unfreier afrikanischer Straftäter genutzt werden.141 Scheinbar befürchteten die Sklavenhalter infolge des Aufstandes von Pointe Coupée und der Ereignisse in Haiti und Frankreich weitere Unruhen

139 Conrad, St. Charles, 397, „General Census of St. Charles Parish, 1804“, 01.05.1804. 140 Conrad, St. Charles, 257, #1282, „Compensation for Condemned Slaves“, 23.06.1795, sowie Baade, „Slave Indemnities“, 103. 141 Conrad, St. Charles, 257, #1284, „Establishment of a Prison“, 14.06.1795.

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im kolonialen Louisiana. Entsprechend bereiteten sie sich vor. Bis zum Sklavenaufstand von 1811 bestätigten sich die Befürchtungen nicht. Gerüchte von Aufständen erwiesen sich stets als falscher Alarm.142 Offenen Widerstand gegen ihre Bemühungen erfuhren die Sklavenhalter nach dem Aufstand von Pointe Coupée nicht von den freien und unfreien afrikanischen Akteuren, sondern von den Kleinbauern. Die Planungen um den Entschädigungsfonds und den Gefängnisbau schienen den Kleinbauern in solchen Maßen zu missfallen, dass sie sich noch im Juni 1795 mit einer Petition an den spanischen Gouverneur wandten. Die Petition war in deutscher Sprache abgefasst und ging auf jene Siedler zurück, die die Côte des Allemands mit Beginn der 1750er Jahre unter Gouverneur Kerlerec aus dem Elsass und aus Lothringen erreicht hatten. Daneben trug die Petition in der Mehrzahl die Unterschriften jener Siedler, die um 1774 aus Maryland nach Louisiana migriert waren. Angehörige beider Gruppen fanden sich zuhauf unter den Unterzeichnern der Petition, wie die Unterschriften der „Maryland-Deutschen“ Matthias und Anton Ory sowie jene der Elsass-Lothringer Philip, Jacob und Andreas Conrat oder Johan Hölt zeigten.143 Die „Armen Deutschen“, wie sie sich in der Petition selbst bezeichneten, forderten sowohl den Verzicht auf die Einrichtung des Fonds als auch auf den Bau des Gefängnisses. Beides entsprach in ihren Augen den Bedürfnissen „unserer Grosen“ – „aber unsere Arme[n] Deutschen wollen Dieses nicht eingehen“.144 Mit solchen Aussagen wurde vor allem die Kluft zwischen Arm und Reich in den Vordergrund gerückt. Die Liste der Petitionäre ließ noch einen anderen Schluss zu: Nicht die „Armen“ widersetzten sich hier den Bedürfnissen der „Grosen“, sondern die Neuankömmlinge der 1750er Jahre den etablierten Siedlern, die seit den 1720er Jahren an der Côte des Allemands ansässig waren. Im Verlauf der Petition grenzten sich die selbst erklärten „Armen Deutschen“ diskursiv weiter von den „Grosen“ ab. Die „Armen Deutschen“ erinnerten an die Illoyalität der „Grosen“ gegenüber dem spanischen Gouverneur Ulloa und schürten damit alte Ängste der spanischen Verwaltung. Die „Armen Deutschen“ hingegen beschworen ihre Treue zum spanischen König und befürworteten dessen Ge-

142 Vgl. Din, „Carondelet, the Cabildo, and Slaves“, 23. 143 Vgl. Conrad, „Alsatian Emigration to Louisiana“, 167, und Gilbert C. Din, „Spain’s Immigration Policy and Efforts in Louisiana during the American Revolution“, in A Refuge for all Ages: Immigration in Louisiana History, hrsg. v. Carl A. Brasseaux (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1996), 183–197, hier 184. Siehe Deiler, German Coast, 106–111. 144 Vgl. Baade, „Slave Indemnities“, 104.

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setze und Regelungen. Nachdrücklich formulierten sie: „wir wollen keine Französische[n] Regeln haben und wollen Ihro Excellence die Justitia überlassen“.145 Ohne es direkt zu sagen, unterstellten die Petitionäre den „Grosen“ mit diesen Worten, die Rückkehr zu den Verhältnissen der französischen Administration anzustreben. Sie erinnerten an die O’Reilly Revolte von 1768, in der die „Grosen“ den Widerstand gegen die spanische Verwaltung geprobt hatten. Gleichzeitig kritisierten die Petitionäre die Klüngelei der „Grosen“, die jegliche Entscheidungen im Rahmen der sonntäglichen Kirchgänge untereinander absprechen und beschließen würden: „So bleiben die grossen Herren im Pfarhaus sitzen und beschlissen ihro Aferen damit alles woll verschwiegen bleibt“. Dies geschehe vor allem, „[d]amit keinem getreuen unterthanen nichts in die Hände komt“.146 Den Sklavenaufstand von Pointe Coupée erwähnten die „Armen Deutschen“ in der Petition mit keinem Wort, obwohl der Aufstand als Auslöser der Ungereimtheiten mit den „Grosen“ angesehen werden musste. Schließlich hatten die Ereignisse in Pointe Coupée einen Prozess in Gang gebracht, in dessen Verlauf sich die selbst ernannten „Armen Deutschen“ als eben solche inszenierten, formierten und von den „Grosen“ distanzierten. Dieser Prozess war zweifelsohne von den revolutionären Umständen und Ideen in Frankreich und Haiti beeinflusst und unmittelbar durch die Planungen der „Grosen“ um den Entschädigungsfonds und den Gefängnisbau ausgelöst worden. Bereits zu Zeiten der O’Reilly Revolte von 1768 waren verschiedene Fraktionen zu Tage getreten. Eine Gruppe von vermögenden Siedlern um den Kommandanten D’Arensbourg und den Milizführer Joseph Villeré hatte von Beginn an die konspirierenden Kräfte in New Orleans gegen die neue spanische Verwaltung mit Gouverneur Ulloa an der Spitze unterstützt. Hinter dem Engagement standen so-

145 Vgl. ebd., 105, sowie Hanger, Bounded Lives, 21: „Spanish administrators faced French merchants and planters who professed questionable loyalty and at times outright hostility toward Spain’s rule in the colony“. Es sei an die Revolte von 1768 erinnert, in der die ehemals französisch-kolonialen Akteure offen den Widerstand gegen die spanische Verwaltung geprobt hatten. Auch die amerikanisch-territoriale Verwaltung plagte sich, ihrer Wahrnehmung nach, mit der Illoyalität der Bürger Louisianas herum, vgl. Paul D. Gelpi, Jr., „Mr. Jefferson’s Creoles: The Battalion d’Orléans and the Americanization of Creole Louisiana, 1803–1815“, Louisiana History 48:3 (2007): 295–316, hier 300, sowie John P. Moore, Revolt in Louisiana: The Spanish Occupation, 1766–1770 (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 1976). 146 Baade, „Slave Indemnities“, 105. Siehe auch Reinhart Kondert, „The German Involvement in the Rebellion of 1768“, Louisiana History 26:4 (1985): 385–397.

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wohl Verwandtschaftsbeziehungen als auch gemeinsame wirtschaftliche Interessen. Im Gegensatz zu den „petits habitants“, die sich auf den Anbau von Mais, Reis, Bohnen sowie Gemüse zur Selbstversorgung und zum Verkauf der Überschüsse in New Orleans konzentrierten, basierte der Reichtum der besser gestellten Habitants auf Exportprodukten wie Indigo, Tabak, Baumwolle und Holz. Den Exporthandel mit diesen Cash Crops sahen die „gros habitants“ unter der spanischen Kolonialverwaltung gefährdet. Folgerichtig suchten sie den Kontakt zu Gleichgesinnten in New Orleans und begehrten mit diesen auf.147 Um dem Widerstand gegen die spanische Verwaltung das nötige Momentum zu verschaffen, bedurften die „gros habitants“ der Unterstützung der „petits habitants“. Diese sicherten sie, indem sie die „petits habitants“, so Charles Gayarré, für ihre Zwecke einspannten und sich das angespannte Verhältnis von spanischer Verwaltung und „petits habitants“ zu Nutze machten. Kurz nach seinem Eintreffen in der Kolonie im Jahr 1768 hatte der neue spanische Gouverneur Ulloa Lebensmittelabgaben von der Côte des Allemands an andere, unterversorgte Räume angeordnet. Die Kleinbauern waren für die Bereitstellung der Lebensmittel nicht sofort entlohnt oder entschädigt worden. Erst nach einiger Zeit beauftragte Ulloa den Beamten Antoine Gilbert de St. Maxent, die Côte des Allemands aufzusuchen und den dortigen Siedlern eine Entschädigung von 1.500 Pesos anzubieten und zu übergeben.148 Allerdings war den „gros habitants“ um D’Arensbourg, mit denen St. Maxent zu verhandeln gedachte, wenig an Entschädigungszahlungen gelegen. Anstatt auf seine Angebote einzugehen, wiesen sie jegliche Vorschläge zurück und inhaftierten St. Maxent schlussendlich sogar. Die „petits habitants“ wurden über die Hintergründe dieser Vorgehensweise nicht in Kenntnis gesetzt. Ihnen erklärte man, dass in naher Zukunft keine Entschädigungen durch die spanische Verwaltung zu erwarten seien. Daraufhin, so Charles Gayarré, hatte man die Milizen mobilisiert und diese davon überzeugt, nach New Orleans zu ziehen und dort die Entschädigungen vom Gouverneur einzufordern.149

147 Vgl. Kondert, „German Involvement in the Rebellion of 1768“, 389ff. 148 Vgl. Charles E. A. Gayarré, The History of Louisiana: The French Domination, Bd. 2 (New Orleans, LA: Armand Hawkins 31885), 235. 149 Vgl. Gayarré, History of Louisiana, 236. Siehe auch SMV 1:78, „Ulloa to Grimaldi“, 26.10.1768: „The conspirators will ask, according to what has been learned, that the council intimate to me that I [Ulloa] should depart from the province with all the Spaniards, leaving the colony under dominion of France, as it was formerly. In order to make it appear that they are forcing the council to accede this decision, they have drawn up a memorial and have been gathering the signatures of the citizens here, and the outsiders, of whom there are a large number, as well as the Germans and Acadians,

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In New Orleans trugen die Milizen maßgeblich zum kurzfristigen Erfolg der Revolte gegen die spanische Verwaltung bei. Die Spanier gewannen die Kontrolle erst zurück, als Alejandro O’Reilly im August 1769 mit einer Schar von 2.000 Soldaten in Louisiana eintraf. O’Reilly, ein erfahrener irischer Militär in Diensten des spanischen Königs, setzte dem Spuk schnell ein relativ unblutiges Ende und offenbarte den „petits habitants“, dass sie einer Intrige der „Grosen“ aufgesessen waren: „The Germans were misled by their being made to believe, that they were threatened with tyranny, and by other false assertions, as well as by calumnies“.150 Die Strafen der spanischen Verwaltung trafen vor allem die Anführer des Aufstandes. Der Milizführer Villeré starb im Gefänginis, noch bevor ihm der Prozess gemacht wurde. Er kam mit seinem Ableben wohl der Todesstrafe zuvor. Schließlich hatte er St. Maxent gefangen genommen und das Geld für die Entschädigungszahlungen unterschlagen, um danach mit etwa 400 Deutschen unter seiner Führung nach New Orleans zu marschieren. Fünf weitere Anführer wurden zum Tod durch Erschießen verurteilt. Nur D’Arensbourg und der mit ihm verwandte Lafrénière blieben von Bestrafungen verschont. D’Arensbourg betrachtete man für zu alt; Lafrénière konnte sich wohl aufgrund seines Verhandlungsgeschickes einer harten Bestrafung entziehen, obgleich er mehrfach als einer der Hauptagitatoren aufgefallen war.151

whom they have won by pointing out to them the injuries which are being done to them by me and the Spanish government. They vary their talk according to the calls and situation of each kind of people, and do many other things which even the people who have given me this information cannot explain“. 150 Ebd., 236. 151 Vgl. Kondert, „German Involvement in the Rebellion of 1768“, 396f. Siehe auch HNOC, Mss. 57, Villeré Family Papers, 1752–1906, folder 23, sowie ANOM, C, 13A, 49, folio 26/26verso, „Aubry au ministre“, 23.05.1769. Zur Rolle und Bestrafung von D’Arensbourg und seiner Familie, siehe auch SMV 1:128, „O’Reilly to Arriaga“, 10.12.1769: „This Arensbourg did nothing to restrain the Germans. He permitted Villeret to operate, pretending to be unaware of what he was doing, so that in any event he would be safe from law. He succeeded in doing so, but in all respects was very guilty. It is nowise advisable to permit him to live on that coast, because there the bad effects of his great influence over the minds of those people has been evidenced. I have ordered him to sell his property there at once, and have permitted his two sons to settle at Opelousas, 92 leagues from here, a place where their settlement cannot cause the slightest inconvenience. I have permitted the father, who is 77 years of age, to live in this city as requested. All his relatives, who are good people, have made themselves guarantors of the conduct of the sons, who, like their father, show great

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Für die spanische Verwaltung war der Konflikt zwischen den „Armen Deutschen“ und den „Grosen“ ein Problem. Schließlich beruhten Ordnung und Disziplin in der Kolonie unter anderem darauf, dass die europäisch-koloniale Gesellschaft ihre Interessen gegenüber anderen Gruppen gemeinsam vertrat. Zwar blieb der spanischen Verwaltung die Zerrissenheit und Heterogenität der kolonialen Gesellschaft nicht verborgen, dennoch versuchte sie, unter den Akteuren ein gemeinschaftliches Bewusstsein zu entwickeln.152 Missstände und Unstimmigkeiten unter europäisch-kolonialen Akteuren sollten überdeckt werden. Denn eines hatte der Fall Haiti gezeigt: Wurde das Gemeinschaftsbewusstsein der europäisch-kolonialen Gesellschaft aufgebrochen, drohten Chaos und Revolution, deren Ursache freilich die Ausbeutung der afrikanischen Sklaven waren.153 Während die spanische Verwaltung gegen die freien und unfreien afrikanischen Akteure mit Restriktionen und Kontrollverschärfungen vorging, mussten die Gräben zwischen den „Armen Deutschen“ und den „Grosen“ also auf andere Weise überwunden werden. Beide Gruppen sollten als Gemeinschaft und Untertanen der spanischen Krone loyal dienen.154 Die Lösung des Problems sah die spanische Verwaltung in einer Verfeinerung rassistischer Kategorisierungen, wie zwei Zensus der Stadt New Orleans aus den Jahren 1791 und 1804 belegten. So benannte der Zensus von 1791 für jeden Haushalt die Familienoberhäupter und listete zusätzlich die Anzahl der Haushaltsmitglieder auf. Dabei kategorisierte der Zensus nach weißen Männern und Frauen, nach freien „schwarzen“ Männern und Frauen, nach freien „mulato“ Männern und Frauen sowie nach „schwarzen“ und „mulato“ Sklaven und Sklavinnen. Zudem erfasste der Zensus die Berufe der Akteure.155 Im Zensus von 1804 wurden diese rassistischen Kategorisierungen weiter verfeinert. Zwar war der Zensus von der nunmehr amerikanisch-territorialen Verwaltung in Auftrag gegeben worden, die

penitence for their guilt, and the greatest gratitude for this benign treatment which, nevertheless, embodies exemplary punishment in the sale of their property“. 152 Vgl. Gilbert C. Din, „Spanish Control over a Multiethnic Society: Louisiana, 1763– 1803“, in Choice, Persuasion, and Coercion: Social Control on Spain’s North American Frontiers, hrsg. v. Ross Frank und Jesús de la Teja (Albuquerque, NM: University of New Mexico Press, 2005), 49–76, hier 50. 153 Siehe Dubois, Haitian Revolution, 3: „The Revolution began as a challenge to French imperial authority by colonial whites, but it soon became a battle over racial inequality, and then over the existence of slavery itself“. 154 Vgl. Din, „Spanish Control over a Multiethnic Society“, 67. 155 NOPL, AZA 840, 1791, „Census of New Orleans, 1791“, 06.11.1791.

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Kategorisierungen beruhten jedoch nach wie vor auf den spanischen Wahrnehmungen von race.156 Bei der Zählung der Akteure wurde einem dreigliedrigen System folgend zwischen „blancs“, „gens de couleur libres“ und „esclaves“ unterschieden.157 Der Zensus gab damit dem Louisiana typischen Drei-Kasten-System eine Form, die zwischen Weißen, freien Afrikanern sowie afrikanischen Sklaven trennte. Der Beginn dieses Systems konnte in den Jahren ab 1770 gesehen werden, in denen die Zunahme von Manumissionen den Aufstieg der freien afrikanischen Gemeinschaft in Louisiana bewirkte. Drei-Kasten-System, Rassismus und rassistische Kategorien bedingten sich von nun an in der Bildung von Distinktionen und Diskriminierungen unter Weißen, freien Afrikanern sowie Sklaven gegenseitig.158 Die Ereignisse in Pointe Coupée von 1795 beschleunigten diesen Prozess und trieben die Etablierung rassistischer Ideologien und Kategorien im Alltäglichen zusätzlich voran, und zwar bevor der Raum der Côte des Allemands mit dem Eintritt in das 19. Jahrhundert einem massiven Wandel unterlag: Vor der Etablierung des monokulturellen Anbaus von Zuckerrohr, vor Ankunft der Flüchtlinge aus Haiti um 1809 und vor der „German Coast Slave Insurrection“ von 1811.159

156 Erst die spanische Administration hatte begonnen, in Zensus zwischen „libres and slaves, pardos (light-skinned) and morenos (dark-skinned)“ zu unterscheiden (12) und entsprechende Zuschreibungen in Zensus vorzunehmen: „When the Spanish took over, residents were now white, free pardo or moreno, and slave pardo or moreno“, Hanger, Bounded Lives, 15. 157 NOPL, TK 840, 1804, „Census of New Orleans, 1804“, 01.06.1804. 158 Vgl. LaChance, „Three-Caste Society“, 222, sowie Guillaume Aubert, „‚The Blood of France‘: Race and Purity of Blood in the French Atlantic World“, William & Mary Quarterly 61:3 (2004): 439–478, insbesondere 441f sowie 477f. 159 Vgl. Helmut Blume, Zuckerrohranbau am unteren Mississippi (Louisiana’s Sugar Bowl) (Regensburg: Verlag Michael Lassleben Kallmünz, 1954) sowie Glenn R. Conrad und Ray F. Lucas, White Gold: A Brief History of the Louisiana Sugar Industry, 1795–1995 (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1995). Vgl. auch Nathan Buman, „To Kill Whites: The 1811 Louisiana Slave Insurrection“ (Master Thesis, Louisiana State University, 2008) sowie ders., „Historiographical Examinations of the 1811 Slave Insurrection“, Louisiana History 53:3 (2012): 318–337, sowie Nathalie Dessens, From Saint-Domingue to New Orleans, und Carl A. Brasseaux und Glenn R. Conrad (Hrsg.), The Road to Louisiana: The Saint-Domingue Refugees, 1792–1809 (Lafayette, LA: Center for Louisiana Studies, 1992).

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5.5 „K URPFÄLZER B LUT IN L OUISIANA“? D AS V ERGESSEN DER D EUTSCHEN IM KOLONIALEN L OUISIANA Rassismus entwickelte sich, dies zeigten die Ereignisse in Pointe Coupée und ihre Auswirkungen an der Côte des Allemands, auch aus der Schwäche von kolonialer Verwaltung und „gros habitants“ heraus. Rassistische Distinktionskategorien wurden eingeführt, um Siedler zu disziplinieren und um Bündnisse von „Armen Deutschen“ und afrikanischen Akteuren zu verhindern. In Pointe Coupée hatten Sklaven, freie Afrikaner und „petits habitants“ ihre Kräfte vereint und aufbegehrt. An der Côte des Allemands hatten im Nachgang der Ereignisse die „Armen Deutschen“ gegen die Handlungsallmacht der „Grosen“ Einspruch erhoben. Die spanische Verwaltung reagierte auf die Ereignisse mit den Politiken des Rassismus. Manumissionen galt es künftig einzuschränken, Zensusberichte sollten das Bild einer disziplinierten Gesellschaft vermitteln. Dabei offenbarten die Politiken einen Widerspruch im System der Sklaverei: Obschon die Sklaven als bewegliche Waren verstanden wurden, dokumentierten die Modi des Zählens, dass die menschlichen Beziehungen zwischen Sklaven, freien Afrikanern und kolonialen Akteuren die Basis dieses Systems bildeten. Zwar wurden die Sklaven in den Parish Records als „items“ verdinglicht, jedoch machten die Beschreibungen dieser „items“ deutlich, dass Sklaven als Menschen – zweiter oder dritter Klasse wohlgemerkt – zu betrachten waren. Der Umstand, dass Sklaven nicht nur als bewegliche Waren, sondern auch als unfreie Menschen behandelt wurden und dass dieses Vorgehen über rassistische Argumentationen legitimiert wurde, hat in der Forschung immer wieder zu Diskussionen zum Verhältnis von Sklaverei und Rassismus geführt. An der Côte des Allemands setzten rassistische Distinktionskategorien und das System der Sklaverei gemeinsam ein und bedingten sich gegenseitig. Je höher die Zahl der Sklaven und freien afrikanischen Akteure anstieg, desto ausgefeilter wurden die rassistischen Distinktionskategorien. Winthrop Jordan hat diesen Zusammenhang von Sklaverei und rassistischer Degradierung an anderer Stelle wie folgt auf den Punkt gebracht: „One is confronted, then, with the fact that the first evidences of enslavement and of other forms of debasement appeared at about the same time“.160 Allerdings entzogen sich die Sklaven ihrer Verdinglichung permanent. Sie unterliefen die Zuschreibungen von Namen und ergänzten diese im Alltag, indem sie alternative (arabisch-)afrikanische Nomenklaturen verwendeten. Bedeutungen von Herkunft und Nation mäanderten in einem Wirrwarr von geographischen,

160 Jordan, „Racism and Slavery“, 98.

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sprachlichen und ethnischen Referenzpunkten. Zuschreibungen von Hautfarbe mündeten statt in präzisen Differenzierungen in einem Knäuel aus „[a]ncestry, color and appearance, class status, gender, and behavior“.161 Die Sklaven leisteten damit eine Form des Widerstands, wie ihn Alf Lüdtke in seinem Konzept der „Herrschaft als soziale Praxis“ mit den Worten des Hinnehmens, Ausweichens und Ausnutzens von Machtbeziehungen definiert hat.162 Die Deutschen hingegen verschwanden in den Diskursen um Sklaverei und Rassismen mit Ausgang des 18. Jahrhunderts als Bedeutungsträger. Fortan wurden sie als Teil einer europäisch-kolonialen Gesellschaft wahrgenommen, in der das Wesen des Deutschen, wie es vormals in den Zuschreibungen von Fleiß und Disziplin konstruiert worden war, keine Rolle mehr spielte. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gerieten die „Kurpfälzer“, deren Bedeutung die Filiopietisten etwa einhundert Jahre später beschwören sollten, langsam in Vergessenheit.163 Die Beschreibungen ihrer Kontakte und Konflikte im kolonialen Louisiana hatten dieser Entwicklung Vorschub geleistet und die Vorstellungen vom Deutschsein und von den Deutschen schrittweise dekonstruiert: Zunächst war den Vorstellungen von ihrer Disziplin ein Ende gesetzt worden. Zu disziplinlos hatten die Siedler in den Auseinandersetzungen mit indianischen Gruppen agiert. Bald entsprachen sie auch den Vorstellungen von den Kleinbauern kaum mehr. Stattdessen repräsentierten die Deutschen als Sklavenhalter jenen Teil der freien europäischen Akteure, deren Status nicht nur durch den Besitz von Land, sondern darüber hinaus durch den Besitz von Sklaven gekennzeichnet war. Und auch die Vorstellung von der Gemeinschaft hatte ein Ende gefunden: Ob „Arme“ und „Grose“ oder Neuankömmlinge und Etablierte, zwischen den Deutschen war künftig zu unterscheiden; als eine homogene Gemeinschaft waren sie nunmehr schwerlich vorzustellen. Exemplarisch für diese Entwicklung stand Karl Friedrich D’Arensbourg. In frühen Korrespondenzen stets gelobt dafür, die Deutschen zu disziplinieren, kam ihm diese Fähigkeit im Laufe der Jahre offenkundig abhanden. Bereits früh war er zum Sklavenhalter aufgestiegen und ein Teil der „Grosen“ und Etablierten geworden, deren Fixpunkt weniger die Gemeinschaft denn die kolonialen Eliten bildeten. Seine Bindung zur Gemeinschaft der Deutschen war ebenso verloren gegangen wie sein Deutschsein.

161 Hodes, „Transnational Family Story“, 88. 162 Vgl. Lüdtke, „Herrschaft als soziale Praxis“, 13f. 163 HNOC, German Study File, Box 13, Folder 20, Don Jacob Heinz, Kurpfälzer Blut in Louisiana.

6.

Religion und Glaube

6.1 D IE G RUNDLAGEN DES G LAUBENS Die Vorstellungen zu den Deutschen und zum Deutschsein wurden auch in den Praktiken des Religiösen verhandelt und manifestierten sich in den Sakramenten des Taufens, Heiratens, Sterbens und Abschwörens. Eine zentrale Funktion nahmen in diesem Rahmen die Kapuzinerpriester ein, die die Sakramente spendeten und dokumentierten. Ihre Bemühungen erfuhren im Jahr 1739 mit dem Bau einer Kirche an der Côte des Allemands und der Einführung eines Kirchenregisters eine Institutionalisierung. Fortan wurden die Geburten, Eheschließungen und Todesfälle von den Geistlichen vor Ort begleitet und registriert. Mit den Kirchenregistern knüpften die Kapuziner an die Gewohnheiten der katholischen Kurie und eine lange Tradition des feudalen Systems an.1 Während die Geistlichen somit grundlegende Disziplinierungsprozeduren der Feudalgesellschaft fortsetzten und ausführten, partizipierten die Gläubigen an diesen Gewohnheiten und Traditionen nach einer eigenen Logik. Denn, obschon die Kirchenregister von den Kapuzinern verfasst wurden, vereinnahmten sie die Disziplinierungsprozeduren des Religiösen für sich. Die Register boten also keinen einseitigen Zugriff der Kirchenmacht

1

Vgl. Foucault, Überwachen und Strafen, 248. Foucault verbindet den Aspekt der vergleichenden Messung mit den Aspekten der Individualisierung und des Disziplinarregimes, wie auch die katholische Kirche eines darstellte: „In einem Disziplinarregime hingegen ist die Individualisierung ‚absteigend‘: je anonymer und funktioneller die Macht wird, um so mehr werden die dieser Macht Unterworfenen individualisiert: […] nicht durch Genealogien, die auf Ahnen verweisen, sondern durch vergleichende Messungen, die sich auf die ‚Norm‘ beziehen […]“.

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auf die Gläubigen, sondern erlaubten es zugleich, die Machtbeziehungen im Religiösen zu verhandeln, neu herzustellen und alternative Wirklichkeiten zu schaffen.2 Eine Wirklichkeit, die die Deutschen mithilfe der Kirchenregister schufen, war jene der familialen Netzwerke, aus denen sich in der Zukunft die Vorstellungen von einer Gemeinschaft entwickeln sollten. Die Register der St. Charles Borromeo Kirche brachten in diesem Sinne nicht nur die Religiosität der Familien, sondern auch die neu entstehenden Beziehungen der kolonialen Gemeinschaft zum Ausdruck. Über die Kirchenregister konnten familiale Netzwerke produziert und inszeniert werden. Die Register funktionierten dabei als textuelle Basis und Repräsentationsfolien der Netzwerke. Taufen, Heiraten und selbst Beerdigungen wurden so zu nicht-christlichen, säkularen Praktiken umgedeutet.3

2

Vgl. Siegfried Jäger, „Diskurs und Wissen: Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse“, in Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, Band 1: Theorien und Methoden, hrsg. v. Reiner Keller und andere (Opladen: Leske und Budrich, 2001), 81–112, hier 73. Zum Verständnis von „Macht“: Mit anderen Worten: Macht wird nicht besessen, sie ist nicht Teil eines Akteurs, einer Institution, eines Gesetzes, o.ä.; Foucault argumentiert: „sie wirkt in der ganzen Dicke und auf der ganzen Oberfläche des sozialen Feldes gemäß einem System von Relais, Konnexionen, Transmissionen, Distributionen etc. Die Macht wirkt durch kleinste Elemente: die Familie, die sexuellen Beziehungen, aber auch: Wohnverhältnisse, Nachbarschaft, etc. So weit man auch geht im sozialen Netz, immer findet man die Macht als etwas, das ‚durchläuft‘, das wirkt, das bewirkt“ (114), vgl. Michel Foucault, „Die Macht und die Norm“, in Mikrophysik der Macht: Michel Foucault über Strafjustiz, Psychatrie und Medizin, übers. v. Walter Seitter (Berlin: Merve, 1976), 114–123.

3

In den Forschungen zum kolonialen Louisiana hat dieser Umstand in der Vergangenheit wenig Beachtung gefunden. Stattdessen dominieren institutionelle Religions- und Kirchengeschichten, wie jene der Historiker Roger Baudier und Charles O’Neill, siehe Roger Baudier, The Catholic Church in Louisiana (New Orleans, LA: 1939) und O’Neill, Church and State; siehe auch Claude L. Vogel, The Capuchins in French Louisiana, 1722–1766 (New York: Wagner, 1928). Ähnliches ist für die Vielzahl von Aufsätzen festzuhalten, die im Jahr 2004 als Teil der Louisiana Purchase Bicentennial Series in Louisiana History aufgelegt wurden und den Schwerpunkten Kirche, Staat, Macht und Moral gewidmet sind, siehe die Beiträge unter dem Schwerpunkt „French Law, Religion, and Morality“ in French Experience, hrsg. v. Conrad, 460–537, sowie Nolan, Religion in Louisiana. Die Bearbeitung der Kirchenregister der Côte des Allemands durch Albert Robichaux diente neben religionshistoriographischen vor allem genealogischen Interessen, vgl. Robichaux, „Religion and the German Coast“, 86–102.

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Die Siedler konstruierten durch die Register also Beziehungen von Verwandtschaften und Familiennetzwerke.4 So entstand, wie es der Historiker Maurice Aymard ausdrückte, eine „Hierarchie des Zusammengehörigkeitsgefühls“, „die den Platz eines jeden innerhalb der Gruppe bestimmt, das, was seine Schuldigkeit ist und was ihm zusteht“.5 Diese Hierarchie des Zusammengehörigkeitsgefühls blieb in den Kirchenregistern erhalten, wobei in den Aufzeichnungen ein entscheidender Aspekt mit der Zeit verschwand: Das Gefühl der Zusammengehörigkeit sollte kaum noch über eine gemeinsame deutsche Herkunft generiert werden.

6.2 D IE K APUZINER

AN DER

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Als Produzenten der Kirchenregister zeichneten sich kapuzinische Ordensbrüder verantwortlich. Sie agierten am Knotenpunkt von Verwandtschaften und Familiennetzwerken. Ein Dekret der Compagnie des Indes hatte im September 1722 den Anstoß für ihren Einsatz in Louisiana gegeben und die Entsendung von vier Priestern in die Kolonie bewirkt. Drei Kapuzinern, Bruno, Christophe und Esuebe, war die Leitung der Gemeinde von New Orleans zugetragen worden. Die Betreuung der Côte des Allemands sowie der umliegenden Konzessionen und Posten übernahm der Priester Philibert de Vianden. Ihm schlossen sich im Verlauf der 1720er in schneller Abfolge die Ordensbrüder Matthias de Sedan und Hyacinthe an, ehe Philippe de Luxembourg die Aufgabe zufiel, unter dessen Aufsicht die Côte des Allemands bis 1733/34 stehen sollte. Während Philippe für die nächsten Jahre als Oberster Kapuziner und Generalvikar an die Spitze der katholischen Kirche in Louisiana berufen wurde, übernahm eine Reihe unterschiedlicher Priester und Missionare die Seelsorge an der Côte des Allemands.6 Personelle Kontinuität kehrte erst ein, nachdem der plötzliche Tod von Philippe de Luxembourg im Jahre 1739 das Ende kapuzinischer Generalvikare eingeläutet hatte und die Position an einen Jesuiten, Pierre Vitry, übergegangen war.7 Im selben Jahr nahm der Kapuziner Prosper seine Arbeit auf. Seine Unterschrift sollte die Mehrzahl der Kirchenregistereinträge von 1739 bis 1742 sowie von 1748 bis 1755 zeichnen. In den Jahren von 1742 bis 1748 führte der Kapuziner Pierre

4

Emily Clark hat diese Strategie für die Ursulinenschwestern in New Orleans untersucht,

5

Vgl. Aymard, „Lebensräume“, 138.

6

Vgl. Baudier, Catholic Church in Louisiana, 69, 118, 130 und 134.

7

Vgl. Beers, Records of Louisiana, 152–154.

siehe E. Clark, Masterless Mistresses.

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zwischenzeitlich Prospers Verpflichtungen fort. Schon vorher hatte Pierre sporadisch die Sakramente an der Côte des Allemands gespendet.8 Inwiefern Prosper oder Pierre über das Jahr 1755 hinaus die Verantwortung trugen, kann leider nicht rekonstruiert werden: Ein Brand im Jahre 1877 zerstörte, wie eingangs erwähnt, alle weiteren Kirchenregister✁ Der Historiker Roger Baudier, der selbst den Kapuzinern angehörte, hat bereits in den 1930er Jahren versucht, die Bedeutung der Kapuziner zu beurteilen. Für Philibert de Vianden hielt er nicht unerwartet fest, dieser hätte „sich sehr nützlich unter den Deutschen“ gemacht.10 Auch für Philiberts Ordensbrüder fand Baudier nur lobende Worte: „Certainly nothing but good can be said of this first little band of Capuchins who laid the foundation for the long Capuchin administration in Louisiana“.11 Baudiers Bewertungen der Priester beruhten auf zwei Gesichtspunkten: Zum einen erfüllten die Kapuziner mit der Begleitung und Dokumentation von Eheschließungen, Taufen und Beerdigungen ihre sakramentalen Pflichten und boten den Deutschen des Weiteren regelmäßig katholische Messen. Sie bedienten damit die grundlegenden religiösen Bedürfnisse der Gläubigen. Zum anderen war es den Kapuzinern gelungen, über die Einträge in den Kirchenregistern ihre zentrale Rolle beim Entstehen und Ausbau der Verwandtschaften und Familiennetzwerke zu verfestigen. Auf diesem Wege hatten sie ihren Orden unverzichtbar gemacht und dessen Stellung gegenüber den ebenfalls in Louisiana aktiven Jesuiten, Karmeliten und Ursulinen gestärkt. Wenn Baudier den Beitrag des Kapuziners Philibert lobte, dann durfte dieses Lob durchaus als Versuch gesehen werden, die Leistungen der Kapuziner im Vergleich mit den Jesuiten, Karmeliten und Ursulinen hervorzuheben.12

8

Die Einträge in den Kirchenregistern wiesen in der Mehrheit den Kapuziner Prosper als anwesenden Geistlichen aus, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755.

9

Vgl. Beers 1989, 167.

10 Baudier, Catholic Church in Louisiana, 69 (eigene Übersetzung). 11 Vgl. ebd., 72. 12 Zu den Aktivitäten der verschiedenen Orden siehe u.a. Ingersoll 2009, S. 108f; Miceli 1995. Zu den Rivalitäten dieser Orden untereinander ist seit jeher viel geschrieben worden. Neben den genannten Baudier, Catholic Church in Louisiana, O’Neill, Church and State, und Vogel, Capuchins in French Louisiana, sind auch die Studien des Historikers und Jesuiten Jean Delanglez zu beachten, French Jesuits in Lower Louisiana, sowie von Henry C. Semple (Hrsg.), The Ursulines in New Orleans and Our Lady of Prompt Succor: A Record of Two Centuries, 1727–1925 (New York: Kennedy and Sons, 1925).

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Dabei verdeckte Baudiers Lob einen Aspekt: Der Kapuziner Philibert weilte nicht permanent unter den Deutschen. Zwar hatte der Zensus von 1724 ein Flurstück vermerkt, auf dem sich eine Kapelle samt Wohnhaus, Küche und Garten befand. Ob und seit wann Philibert das Flurstück bewohnte, verriet der Zensus aber nicht, zumal die Beschreibung auf den desaströsen Zustand der Anlage verwies.13 Erst der Zensus von 1731 benannte einen Kapuziner als Anwohner der Côte des Allemands, führte ihn als „capucin curé“ ein und notierte auch sein Pfarrhaus, „le presbittaire“.14 In den 1720er Jahren betreute Philibert mehrere Siedlungen zwischen New Orleans und Pointe Coupée, bewegte sich stetig in diesem Raum und versorgte eine Vielzahl von Gläubigen, wie aus den Berichten der Compagnie des Indes in den Jahren 1722 und 1723 hervorging. In einem der Berichte, in dem er sich als „capucin missionnaire“ zwischen Chapitoulas und Pointe Coupée auswies, listete Philibert neben den verstorbenen Siedlern der Côte des Allemands auch die Toten anderer Konzessionen und Posten auf. Unter anderem nannte er einen Sohn des Deutschen Conrad Frederic. Zusätzlich vermerkte er einen Jean Baptiste Tordeur, einen gebürtigen Flamen, der, laut Philibert, auf der Konzession von Sainte Reyne in der Nähe der Côte des Allemands ansässig gewesen war.15 Offensichtlich fehlte es den Kapuzinern an Personal, um die verstreuten französischen Posten individuell zu versorgen. Zudem deuteten die Korrespondenzen zwischen dem Conseil Supérieur und der Compagnie des Indes darauf hin, dass es den dortigen Bewohnern selbst an Ressourcen mangelte, um die Geistlichen zu unterstützen.16 Diesen Eindruck bestätigte der Kapuziner Raphael, der im Jahr 1725 einen Brief an seinen Vorgesetzten, den Abt Raguet, verfasst hatte. In seinem Brief beklagte er, dass die Compagnie des Indes zwar Pläne entworfen hatte, um

13 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #45. 14 ANOM, G1, 464, „Recensement des habitations le long du fleuve“, 1731, folio 16. 15 ANOM, G1, 412, folio 4, „Extrait des registres du père Philibert de Vianden, Capucin, depuis les Chapitoulas jusqu’à la Pointe-Coupée“, 31.10.1722; vgl. auch ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #2. 16 Vgl. MPA 2:414, „The Superior Council of Louisiana to the General Directors of the Company of the Indies“, 27.02.1725: „It is not possible for the missionaries to be able to provide themselves with wine for masses on the six hundred livres in the posts where there are no surplice fees“.

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New Orleans, die Côte des Allemands, Natchez, Natchitoches, Mobile, Balize, Apalachees und Alabamas mit Ordensbrüdern zu versorgen, de facto seien aber keine Maßnahmen zur Unterstützung der Kapuziner ergriffen worden. Ernüchtert stellte Raphael fest: „Those sir, are the posts at which the Company has decided that it would maintain missionaries. It has not yet been possible to fill them all both because two of our priests have died within a year and because there are several of these posts at which it is impossible for a priest to live with what the Company gives him. Such are the posts of the Natchitoches, the Germans, the Balize, and the Alabamas where there are no altar fees to be expected both because of the fewness and because of the poverty of the inhabitants“.17

Raphael legte mit diesen Worten die Kluft zwischen geplantem und tatsächlichem Zustand der katholischen Kirche im ländlichen Louisiana offen und zeigte die weitläufigen Gebiete auf, die einzelne Geistliche zu betreuen hatten. Auch widersprach er den Beschreibungen von einer prosperierenden Côte des Allemands, indem er in seiner Argumentation die Armut der Siedler anführte.18 Noch im Jahr 1727 klagte er darüber, das Kapellengebäude sei einem „miserable shed standing in a hole“ gleich, und verlangte von der Compagnie des Indes den Bau einer standesgemäßen Kirche. Eine Veränderung führte seine Beschwerde nicht herbei. Der Gouverneur Bienville und der Commissaire-Ordonnateur Salmon berichteten auch um 1734 nur von einer „little hut in ruin“, „which serves as a chapel, but the habitants are too poor to have a permanent one constructed“.19 Eine Kirche wurde erst um 1740 errichtet.20 Die Bedeutung eines solchen Kirchengebäudes war nicht allein auf das Religiöse begrenzt. Vermerke in Kaufverträgen von Flurstücken und Habitationen aus späteren Jahren zeigten, dass die Kirchengebäude für das alltägliche Leben eine gewichtige Rolle spielten. Beispielsweise wurde der Verkauf von Land und sonstigem Besitz vorab und unter Einhaltung bestimmter Fristen durch öffentliche Anschläge an den Türen von Kirchen bekannt gemacht. Etwaige Einsprüche gegen den Kauf oder Verkauf konnten von Dritten innerhalb einer vorgegebenen Zeit-

17 MPA 2:483, „Father Raphael to Abbé Raguet“, 15.05.1725. 18 MPA 2:482, „Father Raphael to Abbé Raguet“, 15.05.1725: „From the Germans to New Orleans there are ten leagues. This community is quite populous and a single priest could not be adequate for it“. 19 Robichaux, German Coast Families, 64f. 20 Vgl. Baudier, Catholic Church in Louisiana, 71 und 143.

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spanne eingelegt werden. Das Aufsuchen der Kirchentüren konnte so völlig losgelöst vom Ausführen religiöser Praktiken vonstattengehen. In diesem Sinne enthielt ein Verkaufskontrakt vom November des Jahres 1765 einen Passus, in dem berichtet wurde, dass der Verkauf der Habitation des verstorbenen Baptiste Fortie an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen an der Kirchentür angekündigt worden war. Das Kirchengebäude als Ort der religiösen Macht erfuhr auf diesem Wege eine ergänzende, alltägliche Bedeutung.21 Mit dem Bau der St. Charles Borromeo Kirche um 1740 entstanden die ersten Kirchenregister, die an der Côte des Allemands geführt und aufbewahrt wurden. Zuvor hatte man die Tauf-, Heirats- und Sterbeeinträge in den Registern der St. Louis Kirche von New Orleans archiviert. Für den 1. Februar 1723 war in diesen Registern die Ehe zwischen Pierre Bayer und Margueritte Pellerine vermerkt worden, die laut Eintrag von der Côte des Allemands stammten.22 In den kommenden Monaten und Jahren folgten etliche Tauf-, Heirats- und Sterbeeinträge, die deutsche Siedler betrafen.23 Unterzeichnet wurden diese von den Kapuzinern ob ihrer Zuständigkeit stets mit den Worten „Cap. Miss. aux Allemands“ oder „Cap. Miss. au poste des Allemands“.24 Die Einträge in den Registern der St. Louis Kirche beschränkten sich nicht auf deutsche oder europäisch-koloniale Siedler, auch freie und unfreie afrikanische sowie indianische Akteure wurden verzeichnet. Zumeist handelte es sich um Taufeinträge. So notierte der Kapuziner Philippe im Januar 1731 die Taufe des Sklaven

21 CLS, St. John Parish Original Acts, 1770–1803, Reel 1, N° 43, 15.11.1765. 22 Vgl. Charles E. Nolan und Earl C. Woods (Hrsg.), Sacramental records of the Roman Catholic Church of the Archdiocese of New Orleans, Bd. 1, 1718–1750 (New Orleans, LA: Archdiocese of New Orleans, 1987–2003), Marriage Book 1, 60, Eintrag 145, zitiert nach Robichaux, German Coast Families, 61f, sowie AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755. 23 Siehe den Heiratseintrag für Gaspart Thilly und Elizabeth Stozle vom 15. Februar 1723, Nolan/Woods, Sacramental records, Marriage Book 1, 60, Eintrag 147, zitiert nach Robichaux, German Coast Families, 61f. 24 Siehe die Taufeinträge für Marie Josephe (11.01.1733), Tochter von Jacque Cantrelle und Margueritt Larmusiaux, sowie für Marie Thérèse (14.01.1733), Tochter von Nicolas Charles Bourgeois und Marie Josephe Tarras, siehe AANO, St. Louis Cathedral Baptisms, 1731–1733, SLC, B1, 11.01.1733 und 14.01.1733.

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„Pierre negrillion“, der laut Eintrag zum Besitz des Habitants Mr. La Liberté gehörte.25 Ein ähnlicher Eintrag erfasste die Taufe von „Gabrielle Francisse sauvragesse“, einer indianischen Sklavin, deren Besitz ein gewisser D’artaguet für sich verbuchte.26 Die Praxis, alle Mitglieder der kolonialen Gesellschaft gemeinsam aufzulisten, sollte in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche über lange Zeit beibehalten werden. Erst mit Beginn der spanischen Verwaltung wurden die Einträge zu europäischen Siedlern, afrikanischen Sklaven und freien Afrikanern systematisch getrennt. Trotzdem wussten auch die Kapuziner die Unterschiede zwischen diesen Gruppen zu verdeutlichen. Im Falle von „Pierre negrillion“ und „Gabrielle Francisse sauvragesse“ hatte man das Verhältnis von Haltern und Sklaven über die Begriffswahl „appartenant“ definiert. „Pierre negrillion“ und „Gabrielle Francisse sauvragesse“ gehörten Mr. La Liberté und D’artaguet.27 Die Ausbildung von Verwandtschaften und Familiennetzwerken beschleunigte sich mit dem Bau des Kirchengebäudes an der Côte des Allemands. Nach etwa zwanzig Jahren wurden nun jene Strukturen entwickelt, die die Praktiken des Religiösen vor Ort verankerten. Ähnliche Entwicklungen konnten in dieser Zeit in anderen Räumen des kolonialen Louisiana, unter anderem in Natchitoches, beobachtet werden. Auch hier errichtete man um 1738 ein neues Kirchengebäude und teilte den dortigen Siedlern mit dem Kapuziner Jean Francois einen neuen Priester zu.28 Dabei gelang es den Kapuzinern Philippe, Pierre und Prosper, sich langsam in die lokalen Machtbeziehungen einzuflechten – und zwar nicht nur, in-

25 AANO, St. Louis Cathedral Baptisms, 1731–1733, SLC, B1, 28.01.1731: „L’an 1731 le vingt huitieme janvier je soussigné Pre. Cap. Miss. apostolique a la Nouvelle Orleans ay baptisé avec les ceremonies ordinaires de l’eglise Pierre appartenant a Mr. La Liberté habitant sur la bas du fleuve“. 26 AANO, St. Louis Cathedral Baptisms, 1731–1733, SLC, B1, 20.11.1731: „L’an 1731 vingtieme novembre je soussigné pretre Capucin Missionaire apostolique a Nouvelle Orleans, ay baptisé avec les ceremonies ordinaires de l’eglise Gabrielle Francisse sauvragesse appartenant a Mr. D’artaguet major dans les trouppes de cette colonie“. 27 Siehe die Taufeinträge zu „Pierre Louis Sauvage“ (06.02.1739), dessen Halter der Kommandant D’Arensbourg war, oder zu „Reine negritte“ (08.02.1739), die wohl Ambroise Heidel gehörte, AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 06.02.1739 und 08.02.1739. Beispielhaft für die spanische Kolonialphase waren die Taufregister für die Sklaven und „Free People of Color“ der Erzdiözese von New Orleans, siehe AANO, Slave and Free People of Color Baptismal Records, 1777–1812. 28 Vgl. Baudier, Catholic Church in Louisiana, 128f und 131f.

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dem sie die Akte des Taufens, Heiratens und Sterbens sanktionierten, sondern indem sie in die örtliche Gemeinschaft eintauchten und begannen, deren Alltagspraktiken zu teilen. Dazu zählte auch der Besitz von Sklaven. Unter anderem vermerkten die Register der St. Charles Borromeo Kirche für den 20. Januar 1743 die Taufe des „Gabriel Negrillon“, der der „Mission der ehrwürdigen Kapuzinerväter gehörte“.29 Der Sklave Gabriel stellte keine Besonderheit dar. Die Register der St. Charles Borromeo Kirche berichteten von weiteren Sklaven in Kapuzinerbesitz, wie zum Beispiel „Seraphin negrillion“.30 Mit den Einträgen in den Kirchenregistern schützten die Kapuziner ihren eigenen Sklavenbesitz und folgten den Mustern ihrer Glaubens- und Ordensbrüder in der atlantischen Welt. Auch die Jesuiten und Ursulinen besaßen Sklaven. Auf einer Jesuitenplantage nördlich von New Orleans, im Bereich des heutigen Gentilly, sollte in den 1750er Jahren von afrikanischen Sklaven sogar das erste Zuckerrohr im kolonialen Louisiana angebaut werden. Bereits zuvor kultivierten die Jesuiten, teils in Kooperation mit den Kapuzinern, Indigo mithilfe von Sklavenarbeit.31 Jesuiten und Kapuziner sanktionierten mit ihren Kirchenregistern gleichermaßen den Besitz von afrikanischen und indianischen Sklaven. Zugleich beanspruchten sie über die Einträge auch die Kontrolle über die Beziehungen zwischen Sklaven und Sklavenhaltern. Dieser Anspruch war auf die Reglementierungen des Code Noir von 1724 zurückführen. Den Artikeln 2 und 4 des Code Noir folgend hatten die Sklavenhalter im kolonialen Louisiana katholischen Glaubens zu sein,

29 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 20.01.1743. Der komplette Eintrag liest sich wie folgt: „L’an mil sept cent quarante trois le vingt du mois de janvier je pretre Capucin miss.re apostolique curé aux allemans ay baptisé avec les ceremonies ordinaires de l’eglise Gabriel negrillon apartenant a la mission des Reverends peres Capucins. Le parain a été monsieur Guillaume Lange et la maraine a été mademoiselle Eleonore Darensbourg les quels ont signe avec moy le jour et an que dessus“. 30 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 27.03.1744. 31 Vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 139, sowie Baudier, Catholic Church in Louisiana, 131f. Zum Beispiel partizipierten die Ursulinen, wie die anderen Orden, von Beginn der 1740er an für einige Dekaden am Sklavenhandel, vgl. Emily Clark, „Patrimony without Pater: The New Orleans Ursuline Community and the Creation of Material Culture“, in French Colonial Louisiana and the Atlantic World, hrsg. v. Bradley G. Bond (Baton Rouge, LA: Louisiana State University Press, 2005), 95–110, hier 102.

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ihre Sklaven nach den Regeln des katholischen Glaubens anzuleiten und die Sklaven „in angemessener Zeit“ nach ihrem Erwerb zu taufen. Kamen die Halter diesen Reglementierungen nicht nach, drohte ihnen die Konfiszierung der Sklaven.32 Den Sklaven hingegen konnte die Taufe, formal gesehen, einen Weg eröffnen, die Macht der Sklavenhalter einzuschränken.33 Offiziell konnten die Sklaven von nun an eine Reihe von festgelegten Rechten für sich beanspruchen, die die Härte der Bestrafung regulierten und Sklavenfamilien schützten.34 Tatsächlich war den Haltern in der frühen Kolonialphase wenig an einer Katholisierung ihrer Sklaven gelegen, vor allem auch, weil sie keine ernsthaften Sanktionen befürchten mussten. Bitter beschwerte sich der Kapuziner Raphael im Jahr 1725: „[E]ven in the most populated places the instruction of the negro and Indian slaves is entirely neglected since the masters think only of deriving profit from the work of these poor wretches without being touched by concern for their salvation. The majority die without baptism and without any knowledge of the true God although the negroes ask for nothing better than to be instructed and baptized“.35

32 Vgl. Code Noir, 56f, Artikel 2 und 4: „Article 2. – Tous les esclaves qui seront dans notre dite province seront instruits dans la religion catholique, apostolique et romaine, et baptisés. Ordonnons aux habitants qui achèteront des nègres nouvellement arrivées de les faire instruire et baptiser dans le temps convenable, à peine d’amende arbitraire. Enjoignons aux directeurs généraux de ladite Compagnie et à tous nos officiers d’y tenir exactement la main. […] Article 4. – Ne seront préposés aucuns commandeurs à la direction des nègres, qui ne fassent profession de la religion catholique, apostolique et romaine, à peine de confiscation desdits nègres contre les maîtres qui les auront préposés et de punition arbitraire contre les commandeurs qui auront accepté ladite direction“. 33 Der Historiker Frank Tannenbaum, dessen Thesen umstritten und in Teilen revidiert sind, idealisierte diesen Aspekt, wenn er schrieb: „Whatever the formal relations between slave and master, they must both recognize their relationship to each other as moral human beings and as brothers in Christ. The master had the obligation to protect the spiritual integrity of the slave, to teach him the Christian religion, to help him achieve the privileges of the sacraments, to guide him into a living a good life, and to protect him from mortal sin. The slave had a right to become a Christian, to be baptized, and to be considered a member of the Christian community. Baptism was considered his entrance into the community“, Frank Tannenbaum, Slave and Citizen: The Negro in the Americas (New York: Knopf, 1947), 63. 34 Siehe Code Noir, 58, 60–61, 64–65, Artikel 8, 20, 21, 38, 39. 35 MPA 2:482, „Father Raphael to Abbé Raguet“, 15.05.1725.

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Die Mehrzahl der Sklaven im kolonialen Louisiana blieb laut Raphael in den 1720er Jahren ungetauft. Für die Halter stand vornehmlich der profitorientierte Einsatz ihrer Sklaven im Vordergrund. Ihr Seelenheil kam den Haltern, so Raphael, selten in den Sinn.

6.3 D IE T AUFEINTRÄGE IN DEN R EGISTERN DER S T . C HARLES B ORROMEO K IRCHE Nach dem Zusammenbruch des transatlantischen Sklavenhandels im kolonialen Louisiana zum Ende der 1720er Jahre beförderten die Sklavenhalter vermehrt Partnerschaften unter Sklaven und begannen die Kinder, die aus diesen Beziehungen hervorgingen, taufen zu lassen. Für die Sklaven erschienen sich aus diesen Taufen keine Vorteile zu ergeben. Dementgegen hatte die Erfahrung die Sklavenhalter gelehrt, dass ihre Verstöße gegen den Code Noir und katholische Normierungen kaum geahndet wurden und die Reglementierungen im Zweifelsfall in ihrem Sinne interpretiert wurden.36 In der Logik der Halter hatten sich die Sklaven mit der Taufe damit nicht nur einer weltlichen Macht, sondern auch der katholischen Kirche unterzuordnen. Die Sklavenhalter erkannten in dieser religiösen Unterordnung eine Chance der Disziplinierung, die sie gerne nutzten. In den Registern der St. Charles Borromeo Kirche häuften sich im Verlauf der 1740er Jahre die Einträge, in denen die Taufen von Sklaven sanktioniert wurden. Neben den Namen der Sklaven, der Kapuziner und der Sklavenhalter wurden in den Registereinträgen stets die Namen der Patinnen und Paten genannt. An der Côte des Allemands stammten diese zumeist aus dem Umfeld der Sklavenhalter.37 Paten wie auch Kapuziner nahmen bei den Taufen von neugeborenen Sklaven eine besondere Rolle ein. Als Zeugen bestätigten sie den Besitz von Sklaven, für die deren Halter keine Kaufverträge oder sonstigen Dokumente vorweisen konn-

36 Vgl. Ingersoll, Mammon and Manon, 80 und 135. 37 Bei sämtlichen Taufen an der Côte des Allemands, sowohl von Sklaven als auch von freien Siedlern, standen immer eine Patin und ein Pate zur Seite, siehe zum Beispiel die Taufe der Sklavin „Marie negritte“ vom 08. November 1739, AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 08.11.1739: „L’an 1739 le huitieme Novembre je prêtre Capucin missionaire apostolique ay baptisé avec les ceremonies ordinaires de l’eglise Marie naigrite de Claus Mayr de la quelle le père est inconnus. Le parain a eté Simon Berlinger et la maraine Marie Besank les quels ont signes avec moy le jour et ans que dessus“.

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ten. Die entsprechenden Täuflinge wurden als „negrillion“ und „negritte“ gekennzeichnet. Diese Begriffe waren für jene Sklaven üblich, die ein Alter von zehn Jahren nicht überschritten hatten.38 Über das tatsächliche Alter der getauften Sklaven gaben die Registereinträge selten Auskunft. Im Falle von „Genevieve negritte“, die kurz nach ihrer Geburt verstorben war, ließ der Sterbeeintrag im Kirchenregister das Alter erahnen. Laut Vermerk hatte ihr Leben am 6. Juni 1744 nach sieben Tagen geendet. Ihre Taufe hatte, einem weiteren Vermerk zufolge, am 31. Mai stattgefunden. „Genevieve negritte“ war demnach am Tag nach ihrer Geburt getauft worden.39 Inwiefern diese Vorgehensweise der Regel entsprach, enthüllten die übrigen Taufeinträge nicht. Ihre eigenen Kinder ließen die Siedler stets unmittelbar nach der Geburt taufen. Diese Vorgehensweise sollte garantieren, dass die Kinder im Falle eines vorschnellen Todes als Teil der katholischen Gemeinschaft wahrgenommen wurden. Bei der Taufe von Sklavenkindern verfuhren die Halter vermutlich ähnlich.40 Die Taufen der „negrillion“ oder „negritte“ drückten nicht nur den Kontrollanspruch der katholischen Kirche aus, sie dokumentierten also auch die weltliche Inbesitznahme von Sklaven. Dies galt für die Taufen kindlicher Sklaven ebenso wie für die „baptême d’adulte“, die Taufe erwachsener Sklaven. Zwar stellten Erwachsenentaufen Einzelfälle dar, dennoch bezeugten sie ein unverkennbares Interesse der Sklavenhalter, ihren Besitz, abgesehen von etwaigen Kaufverträgen, in einer weiteren Form zu belegen.41 Dieses Interesse war nicht mit einem etwaigen Interesse an „Nähe und Intimität“ zu verwechseln, das einige Historiker zwischen afrikanischen Sklaven und europäischen Siedlern erkennen wollen. Grundsätzlich bestätigte der Akt der Taufe nur die Katholisierung der Sklaven und garantierte

38 Vgl. Encyclopédie, 11:85: „NEGRILLON, s. m. (Commerce d’Afrique.) on nomme negrillons dans le commerce des esclaves, les petits negres de l’un ou de l’autre sexe qui n’ont pas encore passé dix ans: trois enfans de dix ans sont deux pieces d’Inde, & l’on compte deux enfans de cinq ans pour une piece“. 39 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 31.05.1744 und 06.06.1744. 40 Zum Beispiel wurde die Taufe eines gewissen Pierre Paul Pfeffer in den Kirchenregistern für den 24. September 1743 vermerkt. Nur sechs Tage später folgte ein Sterbeeintrag für denselben. Sein Alter wurde mit „ungefähr acht Tagen“ angegeben, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 24.09.1743 und 30.09.1743. 41 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 01.06.1754 und 29.03.1755.

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die Besitzansprüche der Sklavenhalter. Über Nähe und Intimität zwischen Sklaven und Haltern sagten die Kirchenregister wenig aus.42 Die Spekulationen zu Nähe und Intimität befeuerten vor allem jene Einträge, in denen die Täuflinge als „mulatre“, „mulatresse“ oder „metize“ notiert wurden. Diese Einträge schienen die gemeinsamen Nachkommen von europäischen, afrikanischen oder indianischen Akteuren zu markieren. An der Côte des Allemands datierten die ersten Einträge dieser Art aus dem Jahr 1744. In einem Taufeintrag vermerkte der Kapuziner Pierre eine „Anne Marie“ mit den Worten „Mulatresse und Sklavin, zu Sieur Blanpain gehörend“.43 Ungefähr neun Jahre später ließ eben dieser „Sieur Blanpain“ einen Sklaven namens „Dominique“ taufen, der im Kirchenregister mit der Aussage „ein erwachsener Mestize, der sich Dominique nennt“ beschrieben wurde.44 Die Einträge sind mit Vorsicht zu genießen. Nicht zu Unrecht hat die Historikerin Jennifer Spear darauf verwiesen, dass Einträge dieser Art allein keine „mixed ancestry“, das heißt keine gemeinsame Elternschaft von Afrikanern und Europäern, bezeugten, sondern eher ein Bewusstsein für solche Elternschaften unter den französischen Geistlichen belegten. So dürfen Einträge, wie jene zu Anne Marie und Dominique, nur als ein Indiz dafür gesehen werden, dass (sexuelle) Beziehungen zwischen europäischen Siedlern und afrikanischen Sklaven oder indianischen Akteuren existierten und den Kapuzinern nicht verborgen blieben. Entsprechend ließ der Kapuziner Raphael in einem Brief vom Mai 1726 an den Abt Raguet verlauten: „although the number of those who maintain young Indian women and negresses to satisfy their intemperance is considerably diminished, there still remain enough to scandalize the church and to require an effective remedy“.45

42 Siehe G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 248, sowie, etwas zurückhaltender, Ingersoll, Mammon and Manon, 113: „The registers of St. Louis Church indicate that this wove together the lives of whites and blacks in the early period, at least formally“. Ausdruck fanden die Besitzansprüche dadurch, dass die Sklavenhalter in den Registern stets genannt wurden – selbst in Sterbeeinträgen, wie bei „Margueritte negritte“ vom 26. August 1745, die „Sr. Boucherant“ zugeschrieben wurde, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 26.08.1745. 43 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 27.07.1744: „mulatresse esclave appartenant au Sieur Blanpain“. 44 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 09.06.1753: „un adult metize a Mr. Blanpain que se nomme Dominique“. 45 MPA 2:521, „Father Raphael to the Abbe Raguet“, 18.05.1726. Vgl. auch J. M. Spear, „Colonial Intimacies“, 94.

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Die Einträge, in denen Akteure wie Anne Marie und Dominique aufgelistet wurden, gliederten die Nachkommen solcher Beziehungen in die bestehenden familialen Netzwerke ein. Dazu war es notwendig, mit der Gewohnheit zu brechen, die Beziehungen zwischen Europäern und afrikanischen Sklaven in den Registern unerwähnt zu lassen. Ferner führten die Kapuziner über Begriffe wie „mulatre“, „mulatresse“ oder „metize“ Ordnungskategorien ein und markierten Akteure wie Anne Marie und Dominique gegebenenfalls als Sklaven und Besitz. Die Aufnahme der „mulatre“, „mulatresse“ und „metize“ in die Kirchenregister veranschaulichte daher, wie illegitime Praktiken verhandelt und die Entwicklungen neuer Beziehungen befördert werden konnten.46 Auch die Beziehungen unter den Siedlern wurden in den Registern stetig verhandelt und entwickelt, wobei die Organisation der Taufeinträge die Ausbildung von Verwandtschaften und Familiennetzwerken begünstigte. Schließlich dokumentierten die kapuzinischen Ordensbrüder stets die Eltern und Paten der Täuflinge. Nur bei den „negrillions“ oder „negrittes“ verzichteten die Kapuziner auf diese Angaben, obschon ihnen die Eltern in der Regel bekannt waren, wie ein Taufeintrag vom November 1739 erkennen ließ. In dem Eintrag für eine gewisse „Marie negritte“ hieß es, dass ihr Vater unbekannt sei. Da ansonsten jegliche Verweise auf die Eltern der zu taufenden Sklaven fehlten, deutete der Vermerk im Umkehrschluss darauf hin, dass, wenn die Eltern der zu taufenden Sklaven bekannt waren, der Umstand keiner Bemerkung bedurfte oder bewusst verschwiegen wurde.47 Bei den Taufen von Siedlerkindern protokollierten die Kapuziner die leiblichen Eltern hingegen stets. Auf diese Weise vermittelte ein Taufeintrag zu Louise Margueritte de la Chaise vom 12. Januar 1745, dass sie in eine bedeutende Familie hineingeboren worden war, indem Jacques de La Chaise und Margueritte Darensbourg als ihre Eltern identifiziert wurden.48 Väterlicherseits stammte Louise Margueritte damit aus einer Familie, die einst einen Generaldirektor der Compagnie

46 Vgl. J. M. Spear, „Colonial Intimacies“, 93: „In contrast to the vocal and public debate engendered by Indian-European relationships, those between Africans and Europeans, whether exploitive or consensual, were generally greeted with resounding silence, at least in the written record“. 47 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 08.11.1739. 48 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.01.1745.

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des Indes gestellt hatte.49 Mütterlicherseits konnte sie sich auf die Familie der D’Arensbourgs berufen, die mit Karl Friedrich D’Arensbourg an der Spitze die lokale Politik an der Côte des Allemands über die französische Kolonialzeit hinweg bestimmte.50 Sichtbar wurde das familiale Netzwerk von Louise Margueritte de la Chaise dadurch, dass die Mutter der zu Taufenden auch nach der Eheschließung weiterhin ihren Geburtsnamen beibehalten hatte. Im kolonialen Louisiana war dies eine gängige Praxis.51 Für die Ausbildung der Verwandtschaften und Netzwerke spielte die Herkunft der Siedler keine Rolle. Zwar fanden sich in den Registern immer wieder Angaben, die geographische Verortungen in deutschsprachige Gebiete zuließen, für die Ausbildung der familialen Netzwerke hatten diese Angaben aber keine Bedeutung. Vielmehr entwickelten sich über die Kirchenregister Verwandtschaftsbeziehungen, die auf den Raum des kolonialen Louisiana begrenzt waren und eine Tradition der ersten Familien in diesem Raum andeuteten. In den Studien des 19. Jahrhunderts von Hanno Deiler und seinen filiopietistischen Mitstreitern wirkten diese Traditionen bis in die Kapitelüberschriften nach: In Deilers Gesamtdarstellung zur Geschichte der Deutschen im kolonialen Louisiana folgte dem Kapitel „The First German on the Lower Mississippi“ eine Schilderung des „First French Settlement on the Gulf Coast“. Die Kapitel zum „Arrival of the First Immigration en Masse“ und zu den „First Villages on the German Coast“ schlossen sich an.52 Die Ausbildung der Verwandtschaftsbeziehungen wurde überdies durch die Nennung der Paten und Patinnen befördert, durch die die Täuflinge in weitläufige familiale Netzwerke integriert wurden. Im Allgemeinen waren Pate und Patin nicht verheiratet, sondern, wie es Thomas Ingersoll ausgedrückt hat, „hailed from different families, which would tend to maximize their perspective by giving a

49 Vgl. Dictionary of Louisiana Biography, 2:661f: „PRADEL, Alexandrine de la Chaise“. 50 Vgl. Reinhart Kondert, D’Arensbourg, vii-ix. 51 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.01.1745. 52 Siehe Deiler, German Coast, „Contents“ (eigene Hervorhebung). Diesen Aspekt betont bis heute die „Louisiana Genealogical & Historical Society“, die auf ihrer Website mit einem „First Families of Louisiana Certificate Program“ wirbt und dazu aufruft: „If you have a qualifying ancestor, we invite you to apply“! Anknüpfungspunkte für etwaige Bewerber sind die Kirchenregister, siehe „Louisiana Genealogical & Historical Society“ (Baton Rouge, LA: ATTN: First Families of Louisiana Program, 2010), (Zugriff: 27.11.2012).

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child a choice between two quite different appellant mediators in case of need“.53 Die Paten stammten also aus verschiedenen Familien und erweiterten im Notfall die Optionen zur Unterstützung der Kinder. So wurde der Sorge Rechnung getragen, dass die Kinder im Todesfall der Eltern abgesichert waren. Demgemäß verzeichneten die lokalen Testamente, Verwaltungsakten und Verkaufsverträge immer wieder Einträge, in denen die Versorgung und Absicherung von Patenkindern oder verwaisten Kindern durch Paten und Patinnen geregelt wurde. Zum Beispiel wurde der Pate Jacque Houbert im Rahmen des Verkaufs einer Habitation am 8. April 1741 beauftragt, von den Gewinnen des Verkaufs für seine Patenkinder eine Kuh zu erwerben. Von den Erträgen aus den Geschäften mit der Kuh sollten die Kinder abermals profitieren.54 Um etwaige Unsicherheiten zu vermeiden, wurden schon mit der Eheschließung die Erb- und Besitzverhältnisse der Kinder für den Fall des Ablebens eines der Ehepartner festgelegt. Demgemäß wurde im Heiratsvertrag zwischen dem Witwer Christophle Houbert und der Witwe Cathrine Bunique fixiert, dass die vier Kinder der Witwe Bunique den erblichen Anspruch auf die Habitation ihres verstorbenen Vaters Jaques Foltz behielten.55 Den Paten und Patinnen kamen in diesen Fällen zwei Aufgaben zu: Erstens galt es das Vermögen der verwaisten Patenkinder zu verwalten und zweitens den Patenkindern eine neue Heimat zu geben. Folglich hieß es in einem Eintrag zu Leonard Magdolff, bei ihm wohne „ein kleiner Junge von zwölf Jahren, ein Waisenkind, das er aufgenommen hat“.56 Dadurch, dass die Paten stets aus verschiedenen Familien stammten, konnten die Täuflinge zudem in umfangreiche familiale Netzwerke eingepasst werden. Die Taufgewohnheiten der Familie D’Arensbourg verdeutlichten dies. Unter anderem wählte man mit Louise Darensbourg eine Schwester von Margueritte Darensbourg zur Patin für die Taufe ihrer Nichte, der bereits erwähnten Louise Margueritte de la Chaise.57 Ebenso begleiteten der Kommandant Karl Friedrich D’Arensbourg und dessen Tochter, Margueritte Darensbourg, die Taufe ihres Enkels bzw. Neffen Charles Pierre Delatour, der aus der Beziehung von Pierre Maret de la Tour und

53 Ingersoll, Mammon and Manon, 57. 54 Vgl. Gianelloni, D’Arensbourg Records, StC: 1741–8, Apr. 8. 55 CLS, St. Charles Parish Original Acts, 1740–1803, Reel 1, 29.01.1747. 56 ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #9. 57 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.01.1745; siehe auch LaRC, 504 (4), D’Arensbourg Family.

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Pelagie Darensbourg hervorgegangen war. Die Herkunft der Familie D’Arensbourg war für die Verwandtschaftsbeziehungen unerheblich, im Vordergrund stand die Vernetzung der kolonialen Eliten.58 Die weiteren Siedler folgten dem Vorbild der Familie ihres Kommandanten und vertieften bestehende Verwandtschaftsbeziehungen durch die Wahl von Taufpaten. Zum Beispiel wählten die Eltern des Täuflings Jean Louis Toups, Louis Toups und Catherine Horme, mit Jean Friderich Toups im Februar 1741 einen Verwandten zum Paten.59 In anderen Fällen waren etwaige Verwandtschaftsbeziehungen weniger deutlich. So erkoren Jacob Mayer und Marie Catherine Friderick für die Taufe ihrer Tochter, Marie Agnes Mayer, Henrie George Schantz und Catherine Merqueler zu Taufpaten.60 Ob Paten und Patinnen vor der Taufe verwandt waren, verrieten die Kirchenregister nicht. Davon unabhängig beförderten die Register die Entwicklung einer alternativen Form von Verwandtschaftsbeziehungen, die David Wheat wie folgt erläutert hat: „[P]eople ostensibly received a Catholic baptism for spiritual purposes. Yet for many, membership in the Catholic Church constituted an important social resource as well. Whether free or enslaved, people used this system to form fictive kinship networks in which godchildren and biological parents possibly could turn to godparents for financial and material support as well as for spiritual guidance“.61

Die Wahl der Paten und Patinnen erschuf und vervielfältigte also familiale Netzwerke. Die Wahl des Kommandanten Karl Friedrich D’Arensbourg zum Paten für Charles Pierre Delatour folgte diesem Muster. Gleichfalls war es unter den einfachen Siedlern nicht unüblich, durch die Wahl von Taufpaten, die den lokalen Eliten, wie der D’Arensbourg-Familie, angehörten, die eigenen Kinder mit eben diesen Familien zu verbinden. Sowohl den lokalen Eliten als auch den Siedlern muss-

58 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 02.01.1745. 59 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 20.02.1741. 60 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 23.02.1741. 61 David Wheat, „My Friend Nicolas Mongoula: Africans, Indians, and Cultural Exchange in Eighteenth-Century Mobile“, in Coastal Encounters: The Transformation of the Gulf South in the Eighteenth Century, hrsg. v. Richmond F. Brown (Lincoln, NE: University of Nebraska Press, 2007), 117–131, hier 126.

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ten die Implikationen ihrer Patenwahlen bewusst gewesen sein. Letztlich beeinflussten die Paten nicht nur den künftigen Status der Täuflinge, sondern auch den Status der Familien.62 Der Status der Familie wurde durch die kapuzinischen Geistlichen bestätigt, die die Taufen vor Ort durchführten. Für die Jahre von 1739 bis 1755 kam diese Funktion, wie erwähnt, den Kapuzinern Prosper und Pierre zu; ihre Unterschriften standen unter den Tauf-, Heirats- und Sterbeeinträgen. Dabei dokumentierten die Kapuziner nicht nur die Taufen, Eheschließungen und Todesfälle, sondern sie identifizierten auch die weiteren Anwesenden, die als Zeugen der Zeremonien auftraten. Die Beteiligten selbst machten ihre Zeugenschaft häufig nur durch ein „marque ordinaire“ erkenntlich, das nicht mehr als ein Kreuz oder einen Haken darstellte und sie als Analphabeten entlarvte.63 In seltenen Fällen unterschrieben die Eltern oder Paten die Einträge. Oftmals wiesen die kaum lesbaren Signaturen dann auf die Ungeübtheit oder Unsicherheit der Unterzeichner hin. Exemplarisch hierfür stand die zittrige Unterschrift von Daniel Bopf, der damit die Taufe von Marie Catherine Foltz am 15. November 1739 bestätigte. Seine Unterschrift unterschied sich von der wohl definierten und geübten Handschrift des Kapuziners Prosper deutlich.64 Während die Zeremonien und Einträge für einfache Siedler von den Kapuzinern vor Ort, das heißt von den Priestern Prosper und Pierre, vorgenommen wurden, reisten in Ausnahmefällen hochrangige Kapuzinerbrüder an. Für die Taufe von Charles Pierre hatte sich etwa der Kapuziner Dagobert von New Orleans auf den Weg an die Côte des Allemands gemacht.65 Dagobert, der in Vertretung des Kapuziners Pierre handelte, zeichnete sich eigentlich für die Gemeinde der St. Louis Kirche verantwortlich. In der Taufzeremonie von Charles Pierre verbanden sich in symbolischer Weise die lokalen Eliten, an deren Spitze die Familie

62 Vgl. Wheat, „Nicolas Mongoula“, 127. Den Eheleuten Francois le Bœuf und Magdelaine Schmidt gelang es für die Taufe ihres Sohnes Charles le Bœuf, den Kommandanten D’Arensbourg sowie die Frau des Milizoffiziers Monsieur Lange zu gewinnen, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739– 1755, 13.10.1754. 63 Exemplarisch hierfür waren die Unterschriften der Eltern und Taufpaten im Falle der Taufe von David Marx, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 13.06.1739. 64 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 15.11.1739. 65 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 02.01.1745.

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D’Arensbourg um 1745 stand, mit den Oberen der katholischen Kirche. So wie sich im Taufeintrag die Signaturen der lokalen Eliten versammelten, hatte auch die Taufzeremonie eine Versammlung der geistlichen und weltlichen Führungsschicht bedeutet. Unmissverständlich waren durch die Taufe von Charles Pierre die Machtbeziehungen zum Ausdruck gebracht worden.

6.4 D IE H EIRATSEINTRÄGE IN DEN R EGISTERN DER S T . C HARLES B ORROMEO K IRCHE Analog zu den Taufeinträgen verwiesen die Einträge zu Hochzeiten zunächst auf eine religiös-sakramentale Zeremonie. Darüber hinaus beförderten sie die Ausbildung von Verwandtschaften und familialen Netzwerken. Die Organisation der Einträge in den Registern folgte jener der Taufen: Nach dem Datum der Hochzeit und dem Namen des federführenden Kapuziners wurden die künftigen Eheleute, deren Eltern, die Trauzeugen sowie die weiteren Zeugen der Zeremonie aufgelistet. Sämtliche Beteiligten unterzeichneten die Einträge oder setzten ihr „marque ordinaire“. Die Signatur der Kapuziner schloss die Einträge ab und sanktionierte die Ehen. Exemplarisch repräsentierte dieses Vorgehen der Heiratseintrag von Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg, der schon durch seine Darstellungsform implizierte, dass es sich hier um die Eheschließung lokaler Eliten handeln musste.66 Während im Normalfall drei oder gar vier Tauf-, Heirats-, oder Sterbeeinträge auf einer Seite im Kirchenregister Platz fanden, beanspruchte der Heiratseintrag von Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg eine gesamte Seite für sich. Die Wörter und Lettern waren geschwungen, wirkten geradezu festlich und bestärkten den gewichtigen Inhalt des Eintrages. Neben den Eltern der Eheleute, Charles Mariot und Marie Juteau sowie Charles Friderich Darensbourg67 und Margueritte Metzerinne, erwähnte der Eintrag die Trauzeugen und Freunde des Paares wie Jean Marest de Latour und Nicolas Chauvin Boiclaire. Sie alle zählten zur Oberschicht des kolonialen Louisiana. In der Forschung sind vergleichbare Einträge als Nachweis dafür angesehen worden, dass weiße oder weiß-kreolische Eliten untereinander heirateten und ihre

66 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 03.02.1742. 67 Gemeint war der Kommandant Karl Friedrich D’Arensbourg.

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Verwandtschaften in Abgrenzung zu anderen freien und unfreien Akteuren ausbauten und absicherten.68 Dabei wurde jedoch vernachlässigt, dass die Verwandtschaftsbeziehungen in Teilen nur mithilfe der Einträge hergestellt, verfestigt und sichtbar gemacht wurden. Die lokalen Eliten konnten sich, mit anderen Worten, erst durch die Heiratseinträge als Oberschicht inszenieren. In diesem Sinne stellte der Heiratseintrag für Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg eher eine Repräsentationsfolie denn ein Spiegelbild der Verwandtschaftsbeziehungen dar. Ergänzt wurde diese Folie dadurch, dass zusätzlich zu Familienangehörigen weitere Mitglieder der Oberschicht den Zeremonien beiwohnten, deren Anwesenheit mittels ihrer Signaturen unter dem Eintrag belegt war. Bei der Eheschließung von Darensbourg und de Latour handelte es sich um den Notar Fleuriau und um einen gewissen Bellile, dessen Nachkommen unter spanischer Administration einen Kommandanten der Côte des Allemands stellen sollten.69 Um dieses Netz von weltlichen Beziehungen spannten die Kapuziner ein religiöses Netz. Anstatt die Eheschließung durch einen Geistlichen eintragen und beurkunden zu lassen, waren bei der Trauzeremonie von Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg drei Kapuziner vor Ort anwesend. Außer dem Kapuziner Prosper unterzeichneten der Kapuziner Pierre, der zu diesem Zeitpunkt in New Orleans ansässig war, sowie ein Kapuziner aus Natchitoches den Heiratseintrag. Weltliche und geistliche Eliten hatten sich zur Heirat von Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg also versammelt und die Bedeutung der Eheschließung hervorgehoben. Die Herkunft von Pelagie Darensbourg hatte für diese Bedeutungszuschreibung keine Rolle gespielt.70 Inwiefern die einfachen Siedler die Heiratseinträge und Hochzeiten als bedeutende Inszenierungen von Machtbeziehungen verstanden und akzeptierten, lässt

68 Die Historikerin Sophie White hat für eine Witwe namens Gervais nachgewiesen, wie diese anhand von Heiratspolitik/en den sozialen Status ihrer Familie in New Orleans verbesserte, vgl. Sophie White, „‚A Baser Commerce‘: Retailing, Class, and Gender in French Colonial New Orleans“, William & Mary Quarterly 63:3 (2006): 517–550, insbesondere 524f. Die Historiker H. Sophie Burton und F. Todd Smith gehen in ihrer Analyse über die Einträge in den Kirchenregistern hinaus und halten für das koloniale Natchitoches fest, dass hier Heiratsverträge weniger dazu dienten, Vermögensverhältnisse zu erfassen, sondern dass „the majority of Natchitoches marriage contracts, however, served to reinforce social bonds or strengthen ties within the free community“, Burton/Smith, Colonial Natchitoches, 42. 69 Vgl. Gianelloni, D’Arensbourg Records, x. 70 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 03.02.1742.

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sich nicht rekonstruieren. Etwaige Reaktionen auf den Heiratseintrag für Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg liegen nicht vor. Den Siedlern dürfte der besondere Charakter der Ehe aber bewusst gewesen sein. Schließlich stand die Inszenierung der Hochzeit im Kontrast zu den konventionalisierten Schreibakten sonstiger Eheschließungen. Zwar sahen auch diese die Dokumentation der Eltern sowie der Trauzeugen und Freunde vor, signiert und sanktioniert wurden die Einträge jedoch stets nur von einem Geistlichen, zumeist dem Kapuziner Prosper. Die Hochzeiten von Jean Jacque Touteheck und Barbe Ackerman sowie von Thomas Beeknel und Catherine Bro, die einen Monat vor bzw. zwei Monate nach der Eheschließung von Pierre Marist de Latour und Pelagie Darensbourg stattgefunden hatten, spiegelten diese Konventionen wider. Allein der Kapuziner Prosper hatte die Heiratseinträge unterzeichnet und beurkundet. Alle anderen Beteiligten hatten die Einträge lediglich mit ihrem „marque ordinaire“ gegengezeichnet.71 Dennoch verstanden es die Siedler, im Rahmen dieser Rituale eigene Verwandtschaftsbeziehungen und familiale Netzwerke herzustellen und zu verfestigen. Dabei eigneten sich die Siedler die Praktiken der lokalen Eliten an. Von den Kapuzinern wurden sie in diesem Bestreben unterstützt, schließlich fungierten die Ordensbrüder aufgrund der hohen Analphabetenraten unter den Siedlern oftmals als „Chronisten“ der Eheschließungen. Die Kapuziner leiteten die Zeremonien, dokumentierten und sanktionierten diese mit ihren Signaturen; mit ihrer Hilfe entstanden Verwandtschaften und Familiennetzwerke, welche nicht nur den sozialen Status und die Position der einfachen Siedler gegenüber den lokalen Eliten differenzierten, sondern die Gemeinschaft als solche ausdefinierten.72 Durch die Ehen verflochten sich die Akteure gleichen sozialen Status miteinander. Zudem leiteten die Siedler aus den Heiraten eine gemeinsame Abstammung ab, durch die sie sich von den lokalen Eliten abgrenzen konnten. Die Anthropologin Virginia Domínguez stellte diesbezüglich fest, dass durch Hochzeiten im kolonialen Louisiana die Idee einer gemeinsamen Konsanguinität entstanden wäre: „consanguinity, which implies common ancestry, which implies equal status“.73 Die Idee der Konsanguinität, das heißt der Blutsverwandtschaft, wurde später in rassistischen Diskursen instrumentalisiert. So versuchten selbst ernannte

71 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 09.01.1742 sowie 04.04.1742. 72 Die Anthropologin Virginia R. Domínguez hat diesen Prozess mit Blick auf die Heiratspraktiken im kolonialen Louisiana als „relationship by filiation“ definiert, vgl. Virginia R. Domínguez, „Social Classification in Creole Louisiana“, American Ethnologist 4:4 (1977): 589–602, hier 590, 596. 73 Ebd., 596. Domínguez versteht „Consanguinity“ im Sinne von Blutsverwandtschaft.

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„Weiße“ über die Tauf-, Heirats- und Sterbeeinträge sowie über den Einbezug von Zeugen nachträglich ihre Abstammung festzuschreiben. Beispielhaft war der Fall der Witwe Dona Margarita Vils, die auf die Einträge zurückgriff, um ihre „Limpieza de Sangre“ nachzuweisen und ihre Hochzeit mit einem spanischen Offizier abzusichern. Zusätzlich zum entsprechenden Nachweis bekundete sie ferner, „that it is convenient for her to have information given on the purity of her blood and good habits ad perpetuam, rey memoriam“.74 Auch die Hochzeiten von afrikanischen Sklaven wurden in den Kirchenregistern der St. Charles Borromeo Kirche erfasst. Ehen unter afrikanischen Sklaven waren im kolonialen Louisiana keine Seltenheit. Jedoch legten Geistliche und Sklavenhalter lange Zeit eine gewisse Zurückhaltung an den Tag, was die Beurkundung dieser vom Code Noir legitimierten Form des Zusammenlebens anging.75 Dem Rechtshistoriker Vernon Palmer zufolge war die Rarität von beurkundeten, kirchlichen Heiraten unter Sklaven auf das französisch-koloniale „profamily“Konzept zurückzuführen, nach dem die Rechte verheirateter Sklaven durch französische Beamte und Sklavenhalter auf formell nicht verheiratete Paare ausgeweitet wurden.76 Formelle Eheschließungen von Sklaven waren somit nicht unbedingt

74 LHQ 11 (1928): 330–332, hier 330, „Information for the legitimacy and purity of blood vita et moribus given for Dona Margarita Vils (Wiltz)“, 07.02.1776. Siehe auch Julia C. Frederick, „A Blood Test before Marriage: Limpieza de Sangre in Spanish Louisiana“, Louisiana History 43:1 (2002): 75–85, hier 75. 75 Vgl. Thomas N. Ingersoll, „Slave Codes and Judicial Practice in New Orleans, 1718– 1807“, Law and History Review 13:1 (1995): 23–62, hier 33. Die Historikerin Emily Clark hebt hervor, dass derzeit keine fundierten Studien zur Einstellung der katholischen Kirche gegenüber den Eheschließungen unter Sklaven vorliegen. Sie argumentiert: „sacramental marriage between slaves, which appears in some instances to have influenced internal slave trading, was actively promoted by Catholic religious in New Orleans through the antebellum period“, Emily Clark, „‚By All the Conduct of Their Lives‘: A Laywomen’s Confraternity in New Orleans, 1730–1744“, William & Mary Quarterly 54:4 (1997): 769–794, hier 792. 76 Der Rechtshistoriker Vernon V. Palmer bemerkt mit Bezug auf das französisch-koloniale „profamily“-Konzept: „[A]ll depended upon the interpretation of the words ‚husband‘ and ‚wife‘. It had been the practice of French officials and owners to extend the protection to couples not formally married in the church. […] The old French parish registers [thus] confirm that relatively few slave marriages took place en face de l’église“, Vernon V. Palmer „The Customs of Slavery: The War without Arms“, American Journal of Legal History 48:2 (2006): 177–218, hier 216. Gwendolyn Midlo Hall betont darüber hinaus die Bedeutung von „nuclear families“ und „kinship networks“,

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erforderlich. Ferner erschien es aus der Perspektive der afrikanischen Sklaven unklar, inwiefern sie wirklich davon profitieren würden, wenn sie ihre Ehen gegenüber den kolonialen Akteuren sichtbar machten und diese zu legitimieren suchten. Schon eher waren die Sklavenhalter an Eheschließungen und Familiengründungen unter Sklaven interessiert. In einer Sklavengesellschaft, die von außen nicht mit neuen Sklaven gespeist wurde, nährten Familiengründungen die Hoffnungen auf konstante Geburtenraten unter Sklaven.77 Prinzipiell wiesen die Eheschließungen von Sklaven sowohl auf die emanzipatorischen als auch auf die repressiven Potenziale des Heiratens im kolonialen Raum hin. Die Einträge entsprachen denen von Siedlern und begannen stets mit der Nennung der Eheleute. Die Sklavenhalter sowie eine Klausel, die Hindernisse oder Einsprüche gegen die Ehen ausschloss, folgten. Den Abschluss der Einträge bildete die Beurkundung der Zeremonien durch die Geistlichen.78 Nach diesem Schema baute der Kapuziner Prosper auch jenen Heiratseintrag auf, mit dem er am 29. März 1755 die Eheschließung zwischen dem Sklaven Jean Baptiste und der Sklavin Elisabeth dokumentierte. Als Halterin der beiden Sklaven gab er eine gewisse Madame Bopierre an.79 Prosper sanktionierte die Eheschließung abschließend mit seiner Signatur. Das gleiche Schema wandte Prosper bei der Heirat des Sklaven Vincent und der Sklavin Marthe an. Im Gegensatz zur Eheschließung zwischen Jean Baptiste und Elisabeth vermerkte der Heiratseintrag für Vincent und Marthe zwei Halter, eine gewisse Madame Volant und einen weiteren Sklavenhalter, der durch die Beschädigung des Heiratseintrages nicht mehr identifizierbar ist.80 Die Ehe zwischen den Sklaven Vincent und Marthe bestätigte die Mehrdeutigkeiten des Heiratens im kolonialen Louisiana: Laut Code Noir konnten besitzrechtlich separierte Sklaven heiraten bzw. verheiratet werden; gleichzeitig war es den Sklavenhaltern verboten, bereits verheiratete Sklaven zu trennen.81 Eheschließungen, wie jene zwischen Vincent und Marthe, konnten jedoch auch von den Sklavenhaltern arrangiert werden. Diese Arrangements waren eine übliche Praxis,

die von den Sklavenhaltern aus ökonomischen und sicherheitstechnischen Überlegungen heraus gefördert wurden, vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 166–171. 77 Vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 168f. 78 Vgl. Code Noir, 58, Artikel 7. 79 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 29.03.1755. 80 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755. 22.03.1755. 81 Vgl. Code Noir, 58, Artikel 8.

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weil die Ehen und Familien als Formen des Zusammenlebens von Sklaven als eine Art der Disziplinierung angesehen wurden. Dennoch standen die Sklavenhalter den Eheschließungen von Sklaven skeptisch gegenüber, da sie die darin enthaltenen emanzipatorischen Potenziale erkannten. Unter anderem schränkten beurkundete Ehen den Handel mit Sklaven ein.82 Wohl auch deswegen strebten Sklaven in einigen Fällen offizielle Eheschließungen an. Diese bedurften zwar der Zustimmung der Sklavenhalter, boten den Sklaven aber eine Chance, ihre besitztechnische Gebundenheit an bestimmte koloniale Akteure zu lockern oder gar zu überwinden.83 Indem die Kapuziner von Zeit zu Zeit Einsprüche gegen Eheschließungen geltend machten, signalisierten sie, dass sie mit den Einträgen in den Kirchenregistern eine Handlungsmacht verbanden. So stellten sie vor Eheschließungen sicher, dass die künftigen Eheleute getauft und Teil der katholischen Gemeinschaft waren. In der Praxis führte dies zu einer Reihe von Taufen, die oftmals kurz vor den Eheschließungen stattfanden. Den Registern zufolge wurden beispielsweise der Sklave Jean Baptiste und die Sklavin Elisabeth erst am Tage ihrer Eheschließung getauft, wie ein entsprechender Eintrag vom Datum der Eheschließung, dem 22. März 1755, vermittelte. Der Eintrag protokollierte die Taufe von insgesamt fünf Sklaven und war in der chronologischen Niederschrift des Kirchenregisters direkt vor der Eheschließung von Jean Baptiste und Elisabeth angesiedelt.84 Die kapuzinischen Geistlichen hatten hier den katholischen Konventionen entsprechend gehandelt: Erst die Taufe ermöglichte die christliche Ehe. Dadurch, dass Taufe und Heirat annähernd in einer Prozedur erfolgt waren, entstand der Eindruck, dass es

82 Insbesondere für die spanische Kolonialphase siehe Gilbert C. Din, Spaniards, Planters, and Slaves: The Spanish Regulation of Slavery in Louisiana, 1763–1803 (College Station, TX: Texas A&M University Press, 1999), 127: „Masters frowned upon slave marriages because they preferred to buy and sell their black male laborers individually, not in families“. 83 Siehe Palmer, „Customs of Slavery“, 188f. Mit Verweis auf das Missverhältnis zwischen den Tauf- und Heiratseinträgen für afrikanische Sklaven in den Kirchenregistern des kolonialen Louisiana ist argumentiert worden, dass das Heiraten für afrikanische Sklavinnen nur „another type of bondage“, nämlich jene zu einem afrikanischen Mann, dargestellt hätten und daher womöglich vermieden wurden, vgl. Donald E. Everett, „Free Persons of Color in Colonial Louisiana“, Louisiana History 7:1 (1966): 21–50, hier 38. 84 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 22.03.1755.

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sich bei den Taufen um formelle Akte und nicht um glaubensbekennende Rituale gehandelt hatte. Des Weiteren wurden in den Kirchenregistern alternative Verwandtschaftsbeziehungen und Familiennetzwerke verschwiegen, die auf „African kinship systems“ basierten.85 Wurden einzelne Familienmitglieder verkauft, erlaubten es diese alternativen Netzwerke den Sklaven, Verwandtschaftsbeziehungen aufrechtzuerhalten oder über „fiktive“ Adoptionen sogar zu erweitern. Da die Netzwerke auf mündlichen und performativen Praktiken beruhten, waren sie in den Einträgen der Kirchenregister nicht zu finden. Erhalten blieben sie durch die Wiederholungen und Modifizierungen von Aussagen, das heißt durch die Kommunikation von afrikanischen Sklaven untereinander.86 Nur spärliche Auskünfte geben die Kirchenregister zu den Verwandtschaftsbeziehungen, die nach Artikel 6 des Code Noir nicht hätten existieren dürfen: Die Beziehungen von europäischen Siedlern und freien oder unfreien Akteuren afrikanischer Herkunft, die im angloamerikanischen Forschungskontext unter dem Begriff der interracial relationships diskutiert werden.87 Die über vierhundert Einträge in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche berichteten nur in einem Fall von einer solchen Beziehung. Am 21. Mai 1748 sanktionierte der Kapuziner Prosper die Eheschließung zwischen Jean la France und „Christine Cha[u]vin mulatresse“.88 Während beide Elternteile des in New Orleans geborenen Jean de la France aus den französischen Gebieten in Nordamerika stammten, stellten sich die

85 Vgl. John Thornton, Africa and Africans in the Making of the Atlantic World, 1400– 1800 (Cambridge: Cambridge University Press, 21998), 78f. 86 Gwendolyn Midlo Hall spricht von „fictive kinship network[s]“, vgl. G. M. Hall, Africans in Colonial Louisiana, 298. 87 Der Begriff der interracial relationsships schließt die Akteure indianischer Gruppen von diesen Beziehungen nicht aus. Bei der Verwendung des Begriffes ist Vorsicht geboten, schließlich drückt er, wie mit Verweis auf die Historikerin Jennifer Spear bereits festgestellt wurde, in hohem Maße Zuschreibungen kolonialer Akteure aus. Spear bevorzugt daher den Begriff „racially exogamous relationships“: „I do occasionally use ‚interracial‘, as an adjective modifying sex and families, but I prefer ‚racially exogamous‘ because it stresses that social rules defined appropriate marriage and sexual partners and at the same time provides a shorthand way to refer to sexual relationships that took place between people who were perceived to belong to different racially defined social groups“, J. M. Spear, Race, Sex, and Social Order, 15. 88 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 21.05.1748.

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Verwandtschaftsbeziehungen von Christine Cha[u]vin komplizierter dar. Cha[u]vin, die Witwe des verstorbenen Guillaume Denes, wurde als Tochter des ebenfalls verstorbenen Chauvin dit Delery und einer Sklavin namens Francoise, die sich im Besitz eines gewissen Mr. Chavois befunden hatte, identifiziert.89 Die Witwe Cha[u]vin war damit die Nachkommin einer Beziehung eines französischen Konzessionärs und einer afrikanischen Sklavin. Cha[u]vin stammte also aus einer rechtlich illegitimen Beziehung.90 In der kolonialen Praxis waren die Beziehungen von europäischen Akteuren und afrikanischen Sklaven, wie Diana DiPaolo Loren erläutert, eine Alltäglichkeit: „Through historical documents we learn of the commonplace nature of interracial and interethnic sexual relations in the colony“.91 Nicht zuletzt über den Code Noir von 1724 hatte die französische Administration versucht, solche Beziehungen zu unterbinden. Indirekt hatte man damit ihr Vorhandensein eingestanden. In den Augen der französischen Verwaltung verkörperten die Nachkommen dieser Beziehungen, die in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche mit den Zuschreibungen „mulatre“ oder „mulatresse“ bedacht wurden, die koloniale Unordnung per se. In diesem Sinne argumentiert Jennifer Spear: „it was through the regulation of sexual relationships that officials and elites envisioned creating order out of disorder“.92 Mit der Regulierung der Beziehungen zwischen afrikanischen Sklaven und europäischen Akteuren verband die Verwaltung also das Ziel, die Ordnung in der Kolonie Louisiana zu bewahren bzw. herzustellen. Im Hinterkopf hatten die französischen Behörden bei ihren Regulierungen wahrscheinlich die Verhältnisse in Saint-Domingue, dem späteren Haiti. Hier waren entsprechende

89 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 21.05.1748. 90 Code Noir, 57, Artikel 6. Der Vater von „Christine Cha[u]vin“ war einer der Gebrüder Chauvin, nämlich Joseph Chauvin. Die Gebrüder Chauvin hatten, wie erwähnt, im Holzhandel ein Vermögen verdient, siehe MPA 3:81, „Abstract of Testimony against Bienville“, 24.02.1708, sowie Grace King, Creole Families of New Orleans (New York: Macmillan, 1921), 169ff. 91 Diana DiPaolo Loren, „Fear, Desire, and Material Strategies in Colonial Louisiana“, in The Archaeology of Colonialism: Intimate Encounters and Sexual Effects, hrsg. v. Eleanor C. Casella und Barbara L. Voss (New York: Cambridge University Press, 2012), 105–121, hier 105. 92 J. M. Spear, Race, Sex, and Social Order, 7. Siehe auch den Taufeintrag für „Anne Marie mulatresse esclave appartenant au Sieur Blanpain“, AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 27.07.1744.

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Beziehungen, wenn auch ungern gesehen, längst etabliert und durch den Status der gens de couleur libres institutionalisiert.93 An der Côte des Allemands lag mit der Eheschließung zwischen Jean la France und der Witwe „Christine Cha[u]vin mulatresse“ insofern eine Besonderheit vor, als dass für diesen Raum erst- und einmalig die Beziehung einer freien „mulatresse“ mit einem französisch-kolonialen Akteur dokumentiert und legitimiert worden war. Der Eintrag zeigte einen Weg der Emanzipation für afrikanische Sklavinnen und Sklaven. Zuvor hatten entsprechende Einträge stets das Gegenteil bewirkt. Alle Personen, die mit den Begriffen „mulatre“ oder „mulatresse“ beschrieben wurden, erhielten den Zusatz „esclavage“. Dies galt auch für einen Eintrag vom 19. März 1753, in dem die Eheschließung zwischen „Philiphe mulatre“ und „Angelique mulatresse“ bekannt gegeben worden war. Mit der Besitzklausel „esclave à“ hatten die Zuschreibungen „mulatre“ oder „mulatresse“ den Status der Sklaverei verbunden und die Emanzipation der Eheleute vorerst ausgeschlossen.94

6.5 D IE S TERBEEINTRÄGE UND ABSCHWÖRUNGEN IN DEN R EGISTERN DER S T . C HARLES B ORROMEO K IRCHE Auch die Todesfälle wurden in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche protokolliert. Gleich den Einträgen zu Taufen und Ehen fertigten die Kapuziner die Sterbeeinträge nach einem festen Schema an. Die Einträge beinhalteten die Namen der Verstorbenen und, wenn bekannt, Informationen zu deren Herkunft und Eltern.95 Für die erste Generation der Siedler bedeutete diese Praxis, dass ihre

93 Vgl. Malick W. Ghachem, The Old Regime and the Haitian Revolution (Cambridge: Cambridge University Press, 2012) 80f. Der Rechtshistoriker Malick Ghachem versteht den Begriff gens de couleur libres als Zuschreibung: „racial categories ought not to be taken at face value. There were significant divisions within all three groups, and the terms used to describe these communities were mutable artifacts of colonial law that masked complexities not always captured in either eighteenth-century or contemporary usage“. (13) 94 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 19.03.1753. 95 Handelte es sich bei den Verstorbenen um Kinder, gaben die Kapuziner häufig deren Alter an. Der Sterbeeintrag zu Francois Konig vermerkte zum Beispiel, dass dieser im Alter von neun Monaten verstorben war, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 18.08.1743. Andere, wie den Jungen

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Herkunft erwähnt und eine Tradition der deutschen Familien in den Registern sichtbar blieb. So dokumentierte das Kirchenregister für den 12. Juni 1740 den Tod von Louis Toubs, identifizierte ihn als Sohn von Gaspard Toubs und verortete seine Herkunft auf das Bistum Speyer.96 Im Laufe der Jahre, spätestens mit der zweiten und dritten Generation, wurden derartige Spuren der Deutschen indes allmählich verwischt. Denn nachdem die Einwanderer der ersten Generation verstorben waren, verwiesen die Sterbeeinträge unter Herkunft stets auf das koloniale Louisiana. Die Einträge zu Todesfällen kündeten demnach weniger von einer deutschen Tradition, sondern vielmehr von einem „Aussterben“ der Deutschen und des Deutschseins. Neben den verstorbenen Siedlern erfassten die Register der St. Charles Borromeo Kirche auch die verstorbenen afrikanischen Sklaven. Informationen zu Eltern und Herkunft fehlten bei ihnen jedoch, dafür nannten die Geistlichen grundsätzlich die Sklavenhalter. Als am 6. Juni 1744 eine „Genevieve negritte“ sieben Tage nach ihrer Geburt verstarb, hieß es im Sterbeeintrag, sie sei die Sklavin des Sieur Boucherant gewesen. Zusätzliche Informationen zu Genevieve enthielt der Eintrag nicht und war damit mit den weiteren Sterbeeinträgen zu Sklaven vergleichbar, die nur selten mit detaillierten Auskünften aufwarteten.97 Die Sklavenhalter in den Sterbeeinträgen der afrikanischen Sklaven anzuführen, bedeutete einen entscheidenden Unterschied gegenüber den Einträgen zu europäischen Akteuren. Schließlich gestalteten die Kapuziner auf diese Weise die Verwandtschaftsbeziehungen der Sklaven neu. Anstelle von leiblichen Verwandten wurden die Sklavenhalter zu familiären Bezugspersonen erhoben. Was im ersten Moment als eine Festschreibung der Versklavung funktionierte, wurde später von Sklaven und freien afrikanischen Akteuren zu einer Strategie der Emanzipation umgewandelt:

Pierre Paul Pfeffer, traf es noch früher; er hatte bereits nach acht Tagen den Tod gefunden, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 30.09.1743. Teils mussten die Kapuziner gar die Nottaufe praktizieren, wie im Falle des Jungen Christopher Houwer. Für diesen hielt der Kapuziner Remy mit den Worten „ondoyé et decedé“ die Gleichzeitigkeit von Taufe und Tod fest, siehe AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 16.01.1745. 96 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.06.1740. 97 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 06.06.1744.

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Die freien afrikanischen Akteure begannen die Nachnamen ihrer ehemaligen Halter zu verwenden und sich in deren Familientraditionen einzugliedern.98 Eine andere Form der Emanzipation, eine der posthumen Art, erfuhr ein als Paul identifizierter Sklave, der am 28. Mai 1745 verstorben war. Seinem Sterbeeintrag zufolge war Paul, für den ein gewisser Nicolas Wichener den Besitz beansprucht hatte, auf dem Friedhof der Côte des Allemands bestattet.99 Sein Körper war damit in einem Raum, dem „cimetiere de notre paroisse“, mit den freien weißen Siedlern beigesetzt und diesen gleichgestellt. In den Kirchenregistern kommentierten die kapuzinischen Priester diese Beisetzungspraktik nicht.100 Wenig tolerant zeigten sich die Kapuziner, wenn, wie eine Reihe von Einträgen des Juni 1752 andeutete, konfessionelle Zugehörigkeiten von der katholischen Norm abwichen. Zunächst ließ ein Eintrag vom 14. Juni 1752 nichts Außerordentliches vermuten: Im Kirchenregister hatte der Priester Prosper den Tod des Siedlers Jacque Weis festgehalten und vermerkt, dass dieser nach Erhalt der Sakramente auf dem lokalen Friedhof beigesetzt wurde.101 Jedoch war eben jener Jacque Weis zwei Tage zuvor, am 12. Juni 1752, schon einmal in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche aufgetaucht. Unter dem Vermerk „abjuration“, Abschwörung, hatte es geheißen, dass die Exkommunikation von Jacque Weis und seiner Frau Magdelaine Matt unter der Zeugenschaft von Jacque Mayer, Andre Dreger und einigen anderen Siedlern aufgehoben worden sei. Jacque Weis wurde demzufolge nur zwei Tage vor seinem Tod (wieder) in die katholische Gemeinschaft aufgenommen. Über die Gründe seiner Exkommunikation und die seiner Frau sowie ihrer „abjuration“ schwieg sich der Eintrag aus.102

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Ein Beispiel hierfür sind die freien afrikanischen Akteure Nicolas und Francisco Rixner, siehe LSM, Records of the French Superior Council, 1714–1769, and the Spanish Judiciary Records, 1769–1803, folder 1788031402, 14.03.1788.

99

AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 28.05.1745.

100 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 28.05.1745: „L’an 1745 le 28e. may je pretre Capucin missre. apostolique curé au poste des allemands ay inhumé dans le cimetiere de notre paroisse avec les ceremonies ordinaires de l’eglise le corps de Paul negre esclave a Nicolas Wichener lequel est decedé le meme jour que dessus apres avoir eté confessé en foy du quoy j’ay signé, f. Pierre“. 101 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 14.06.1752. 102 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.06.1752.

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Für gewöhnlich bezeichnete der Begriff der „abjuration“ die Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person in die katholische Gemeinschaft, die mit der Abschwörung von häretischem Denken verbunden war. An der Côte des Allemands konnte dies die Abschwörung von lutherischem, calvinistischem und anderem protestantischen Gedankengut umfasst haben. Pragmatisch gesehen hatte Jacque Weis durch die Abschwörung kurz vor seinem Tode das Recht erwirkt, nach christlichen Bräuchen bestattet zu werden. Wahrscheinlich hatte dieser Umstand seine Entscheidung beeinflusst.103 Oftmals traten Abschwörungen im Kontext der Durchführung von christlichen Sakramenten auf. Im Falle von Jacque Weis wurde die Abschwörung angesichts des nahenden Todes durchgeführt. Prinzipiell konnten sie aber auch andere Ereignisse begleiten. Zum Beispiel dokumentierten die Register der St. Charles Borromeo Kirche im Vorfeld der Trauung von Jean George Stally, einem Schweizer Söldner, und Christine Edelmayer, einer Siedlerin der Côte des Allemands, eine wahre Flut an Abschwörungen.104 Den Anfang machte am 10. Mai 1743 Jean Adam Edelmeyer, der Vater der Braut, der im Zensus von 1724 noch als Calvinist eingetragen war.105 Im Jahre 1743 entsagte er diesem Gedankengut mit seiner Abschwörung zumindest de jure. Ihm folgte seine Frau, Anne Catherine Keime, am 8. Juni 1743.106 Vermutlich schwur auch sie dem Calvinismus ab. Bemerkenswert ist, dass die vormals calvinistischen Eheleute bei der Heirat einer weiteren Tochter, Marie Anne Edelmeyer, am 22. November 1740 der katholischen Zeremonie beigewohnt hatten, ohne zuvor den Prozess der Abschwörung durchlaufen zu haben.107 Dass sie die Abschwörung vor der Hochzeit ihrer Tochter Christine nun durchführten, könnte einerseits einem Bedürfnis nach Glaubenssicherheit, andererseits aber der gestärkten Machtposition der katholischen Geistlichen ab Mitte

103 Vgl. Heribert Heinemann und Bruno Kleinheyer, „Abschwörung“, in Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Bd. 1, hrsg. v. Walter Kasper (Freiburg: Herder, 31993), Spalte 77f. 104 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 09.07.1743. 105 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 10.05.1743, sowie ANOM, G1, 464, „Recensement de la communauté du village des Allemans Hoffen à dix lieues au dessus de La Nouvelle Orléans sur le fleuve St-Louis et a droite en descendant“, 12.11.1724, #57. 106 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 08.06.1743. 107 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 22.11.1740.

R ELIGION

UND

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der 1740er Jahre geschuldet gewesen sein. Vielleicht hatten sich die Kapuziner um 1740 nicht in der Position befunden, die Abschwörung der Eltern einzufordern. Um 1743 hatte sich die Lage gewandelt. Die Kapuziner konnten zur Trauung von Christine Edelmayer die Abschwörung ihrer Eltern verlangen.108 Den Eltern der Braut folgte am 7. Juli 1743, zwei Tage vor der Eheschließung, die Abschwörung des Bräutigams, Jean George Stally, der unter Leitung des Schweizer Offiziers Karrer und in dessen Regiment einen Militärdienst ableistete.109 Da er im Heiratseintrag als gebürtiger Schweizer beschrieben wurde, lag die Annahme nahe, dass auch Stally dem calvinistischen Glauben abschwur. Allein für die Braut, Christine Edelmayer, waren in den Registern keine Angaben zu einer Abschwörung vermerkt. Ebenso lieferten die Register keine Informationen zu ihrer Geburt oder Taufe.110 Offensichtlich nutzten die Kapuziner die Eheschließungen und das Bedürfnis der Siedler sich kirchlich trauen zu lassen, um eben diese Siedler formell an den katholischen Glauben zu binden. Dabei sagten die Einträge wenig über die religiösen Praktiken der Konvertierten im Alltag aus. In der Öffentlichkeit könnten sich die Familien von Edelmayer und Stally den Konventionen des Katholischen gebeugt haben, im Privaten aber weiterhin calvinistischen Glaubensüberzeugungen nachgegangen sein. Generell waren sich die Kapuziner der Bedeutung der religiösen Praktiken und der Einhaltung katholischer Grundsätze im öffentlichen Raum bewusst. In diesem

108 Es sei nochmals auf den Machtwechsel an der Spitze der katholischen Kirche in Louisiana verwiesen. Mit diesem Wechsel von Kapuzinern zu Jesuiten könnten sich die lokalen Techniken, Praktiken (und Politiken) des Religiösen gewandelt haben und das Katholisieren der Siedler verstärkt betrieben worden sein, vgl. Beers, Records of Louisiana, 152–154. 109 Das Karrer-Regiment operierte ab 1722 in Neufrankreich und Louisiana und genoss weitgehende Unabhängigkeit von den restlichen französischen Truppen. Das um 1741 zirka 150 Mann starke Söldnerregiment bestand aus Schweizern und Deutschen. Der Historiker Andrew Johnston konstatierte mit Blick auf die Konfessionsgebundenheit der Söldner, dass diese zumeist protestantischen und calvinistischen Männer im Angesicht von Krankheiten und Tod aus „fear for their own souls, or for what would happen to their bodily remains“ (191) des Öfteren zum katholischen Glauben konvertierten, vgl. Andrew J. B. Johnston, Control and Order in French Colonial Louisbourg, 1713–1758 (East Lansing, MI: Michigan State University Press, 2001), 176ff. 110 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 07.07.1743.

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Sinne bestanden die Priester seit den 1740er Jahren stets auf das Taufen der Kinder. Für Jean George, einen Sohn von Jean George Stally und Christine Edelmayer, fand sich zum Beispiel am 12. Juni 1746 ein Taufeintrag.111 Im Privaten dagegen konnten die Kapuziner die katholischen Sakramente nicht unbedingt durchsetzen. Dafür sprachen Gerüchte, die den wenigen alphabetisierten Siedlern den Besitz von häretischen, calvinistischen, lutherischen und protestantischen Büchern nachsagten und die von nicht-katholischen Religionspraktiken berichteten. Jesuitische und kapuzinische Priester fragten sogar mehrfach bei der Leitung ihrer Orden an, die Bücher lesen zu dürfen, um auf Gespräche mit „Ungläubigen“ besser vorbereitet zu sein. In den Quellen ließen sich solch häretische Bücher aber nicht nachweisen. In den Inventarlisten und Testamenten blieben sie unerwähnt.112

6.6 K APUZINER UND G LAUBE : K ATHOLISCHE O RDNUNGSSYSTEME IM KOLONIALEN L OUISIANA Artikel 3 des Code Noir ließ keinen Spielraum für Interpretationen: Die öffentliche Ausübung jedweder anderer Religionen als der Katholischen war im kolonialen Louisiana verboten.113 Die Existenz der Register der St. Louis und später der St. Charles Borromeo Kirche schien die Durchsetzung des katholischen Glaubens zu bestätigen. Jedoch wurde der Eindruck durch die vielen Beschwerden der kapuzinischen Geistlichen geschmälert. Auch sagten die Einträge zu Taufen, Ehen und Todesfällen kaum etwas über die Verankerung des Katholizismus im alltäglichen Leben der Siedler aus. Nicht zuletzt die Abschwörungen im Rahmen der Eheschließung von Stally und Edelmayer zeigten, dass die Konventionen des Heiratens und Abschwörens weniger als religiöse Praktiken zu verstehen waren, denn

111 AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739–1755, 12.06.1746. 112 Charles E. O’Neill schrieb hierzu: „The Jesuit mission superior in the mid-thirties had the impression that there was a sizable proportion of non-Catholics in the colony. The better to deal with them in conversation, he made application for himself and for all of the missionaries to have the complete, general permission for the Index of Forbidden Books. ‚It often happens‘, he wrote his general superior, ‚that we have reason to read these books here in the colony where we deal with Lutherans, Calvinists, Jansenists, and – more numerous still – man who have no religion at all‘“, O’Neill, Church and State, 280. 113 Vgl. Chesnais, Code Noir, 56.

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UND

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als Versuche der kapuzinischen Priester, den Katholizismus im kolonialen Louisiana über ein schriftliches Ordnungssystem zu etablieren. Dabei legten die Einträge offen, dass dieses Ordnungssystem sowohl von den lokalen Eliten als auch von den sogenannten einfachen Siedlern vereinnahmt wurde. Selbst Analphabeten vermochten es, über die Kirchenregister Verwandtschaften zu schaffen, familiale Netzwerke zu entwickeln und diese in Teilen mit denen der lokalen Eliten zu verbinden. Damit verkörperten die Kirchenregister für die Praktiken des Religiösen das, was Karten, Zensus und Verwaltungsdokumente für die Praktiken des Vermessens, Zählens und Disziplinierens bedeutet hatten: Sie entwarfen eher ein Modell für die Zukunft, als dass sie ein Modell des Gegenwärtigen abbildeten. Indem die Register die mannigfaltigen Verwandtschaften und familialen Netzwerke festhielten, reflektierten sie auch die Machtbeziehungen in diesem Raum und begleiteten deren Aushandlung. Eine tragende Rolle spielten hierbei die Kapuziner. Mit den Registern hatten sie das schriftbasierte Ordnungssystem eingeführt, durch das die Verwandtschaften und Netzwerke dokumentiert und archiviert werden konnten; die Kapuziner traten gewissermaßen als Chronisten der Verwandtschaften und familialen Netzwerke auf und wurden so ein substantieller Teil der lokalen Machtbeziehungen. In diese Machtbeziehungen wurden auch die afrikanischen und indianischen Akteure eingepasst. Prinzipiell sollte das Entstehen von afrikanischen und indianischen Familientraditionen unterdrückt und alternative Verwandtschaften ausgeblendet werden. Schriftlich dokumentierte Referenzpersonen blieben einzig die Sklavenhalter, wodurch die strategische Funktion der Kirchenregister zum Vorschein kam. Das Verschweigen der leiblichen Eltern in den Einträgen zu Taufen stand hierfür exemplarisch. Mit Hilfe der Kirchenregister wurde europäischen Akteuren Macht zugeschrieben und diese Macht auch inszeniert – allerdings wussten die afrikanischen Sklaven sich dieser Inszenierung zu entziehen. Sie erschufen abseits der Kirchenregister alternative familiale Netzwerke.114 Keine Bedeutung spielte in diesem Prozess eine etwaige deutsche Herkunft der Gläubigen. Zwar wurden die Verwandtschaften und Familiennetzwerke der Deutschen über die Register festgehalten, jedoch waren diese an lokale Traditionen und nicht an eine gemeinsame Vergangenheit gebunden. Die Integration aller europäisch-kolonialen Akteure in die Familiennetzwerke wurde so befördert. Nur bei der ersten Generation von Siedlern war die geographische Heimat noch vermerkt worden. Derartige Spuren sollten in den kolonialen Familiennetzwerken aber keine Rolle mehr spielen. Die Kirchenregister dokumentierten daher, überspitzt formuliert, das Aussterben der Deutschen und des Deutschseins. Erst die

114 Vgl. Jäger, „Dispositiv“, 73.

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Filiopietisten, die sich in ihren Nachforschungen im späteren 19. Jahrhundert auf die Kirchenregister stützten, begannen eine Tradition der Deutschen wiederzubeleben. Sie verstanden die Kirchenregister als Beleg für eine Art von deutscher Konsanguinität und Blutsverwandtschaft. In diesem Sinne suchten und fanden sie in ihren Studien das deutsche „Element“ oder, wie ein Verfasser formulierte, gar das „Kurpfälzer Blut in Louisiana“.115 Mit der Vision eines deutschen Louisiana vor Augen rekonstruierten die Filiopietisten die Verwandtschaften und Netzwerke der deutschen Familien des kolonialen Louisiana. Danach stellte die Geschichte der Deutschen am unteren Mississippi eine Entwicklung dar, die mit der Masseneinwanderung des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erleben sollte.116

115 HNOC, German Study File, Box 13, Folder 20, Don Jacob Heinz, Kurpfälzer Blut in Louisiana. 116 Vgl. Deiler, Geschichte der Deutschen am unteren Mississippi.

7.

Schlussbetrachtungen

D IE C ÔTE

DES

ALLEMANDS

IM

18. J AHRHUNDERT

Im Jahr 1719 zirkulierte ein Pamphlet mit dem Titel „Geographische Beschreibung der Provinz Louisiana“ im deutschsprachigen Raum. Darin warb die französische Compagnie des Indes um Investoren und Auswanderer für die Kolonie Louisiana.1 Als der Herzog von Württemberg, Eberhard Ludwig, erfuhr, dass das Pamphlet auch auf seinem Territorium kursierte, wandte er sich mit einem hochfürstlichen Befehl an die „Liebe[n] Getreue[n]“. In diesem warnte er die „angeseßenen unterthanen“ nicht nur davor, „sich bereden“ zu lassen, „nach der in nord America liegend Insul Missisippi zu ziehen“, sondern erklärte aus „landsvätter[licher] Vorsorg“ auch, „dergleichen einfältigen Leute von solchen unbesonnenen und schädlichen Vorhaben in Zeiten abzuhalten“. Der Herzog richtete sich freilich weniger an die „Getreuen“ selbst, denn an seine Vögte und „Stabsbeamten zu Cannstatt, Waibling[en], Winnend[en], Backnang, [und] Murrhard“. Von denen verlangte er, „uns aber jedesmal davon underthänigst [zu] benachrichtigen“, wenn die „Missisippischen Emigranten“ das Land verlassen würden.2 Die Passagierlisten der Compagnie des Indes deuten darauf hin, dass die Vögte und Stabsbeamten nicht umhinkamen, ihrem Landessouverän in den Jahren 1719 und 1720 des Öfteren Bericht zu erstatten. Neben den Elsässern und Lothringern stellten Familien aus dem Südwesten das Gros der Passagiere auf den französischen Fleuten. Auf der transatlantischen Überseereise wurden aus den „Getreuen“ und „Unterthanen“ eines Herzogs die kolonialen Akteure einer aufstrebenden

1

HNOC, F352.G46 1719, „Geographische Beschreibung der Provinz Louisiana, in Canada, von dem Fluss St. Lorenz bis an den Ausfluss des Flusses Missisipi: samt einem kurtzen Bericht von dem jetzo florirenden Actien-Handel“, Leipzig 1719.

2

HNOC, German Study File, Box 9, Folder 24, „Ducal Decree preventing immigration to Louisiana, dated May 18, 1720“, Stuttgart.

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französischen Nation. Die Könige des Ancien Régime, die Offiziere des Pariser Marineministeriums und die Agenten der Compagnie des Indes ersetzten in der neuen Heimat die Herzöge, Vögte und Stabsbeamten der württembergischen Provinz. Die Warnung vor der „Insul Missisippi“ und vor Louisiana stand am Anfang jener Erfahrungen, zu deren Verständnis die vorliegende Studie beitragen möchte: zu den Erfahrungen der Migration im 18. Jahrhundert. Die herzoglichen Worte exemplifizierten, warum Deutsche und Deutschsein hier als migrationsbedingte Konstruktionen und Produkte des französischen Kolonialismus begriffen wurden: Allein um seine württembergischen „Getreuen“ und „Untertanen“ zeigte sich Eberhard Ludwig besorgt. Deutsche und Deutschsein spielten in seiner „hochfürstlichen“ Order keine Rolle. Solche Vorstellungen entwickelten sich erst als Partikel der französisch-kolonialen Diskurse um die Begriffe von Nation und „Francité“ und gingen nicht auf eine gemeinsame Herkunft, Tradition und Ethnizität der Migranten zurück. Diese Diskurse waren mit den Bewegungen von Wissensordnungen zwischen der kolonialen und metropolitanen Welt verflochten und grenzten die Deutschen und das Deutschsein von den Vorstellungen um die Franzosen und das Französische ebenso ab wie von anderen Akteuren des kolonialen Louisiana.3 In den Schriften der französischen – und später der spanischen – Kolonialbeamten wurden die Migranten zu einer homogenen kulturellen und sozialen Einheit verdichtet, den Deutschen. Tüchtig, arbeitsam, diszipliniert und in Familiengemeinschaften lebend, so beschrieben die Beamten die Siedler an der Côte des Allemands in ihren Journals und Korrespondenzen, stilisierten sie zu Mustermigranten der Kolonie Louisiana und betonten ihre Leistungen gegenüber indianischen Akteuren, profitorientierten Konzessionären, Schweizer Söldnern sowie den oftmals als Landstreicher, Kriminelle und Prostituierte gebrandmarkten französischen Neuankömmlinge. Mit Ausnahme der afrikanischen Sklaven, deren Verbleib auf den Plantagen der Konzessionäre man erzwungen hatte, war der Posten an der Côte des Allemands das einzig dauerhaft erfolgreiche Siedlungsprojekt. Sollte Louisiana nach 1730 nicht endgültig scheitern, mussten sich die Politiken der Verwaltung und des Marineministeriums demnach den dortigen Siedlern zuwenden und, im besten Falle, die Einwanderung weiterer Familien befördern. In diesem Rahmen sind die kolonialen Praktiken des Kartierens, Zählens und Glaubens sowie die Diskurse um Kontakte und Konflikte zu verstehen, die seit Beginn der 1720er Jahre den administrativen Briefverkehr prägten. Dabei erwies sich das Sprechen über die Deutschen bei genauer Betrachtung als inkohärent,

3

Vgl. Vidal, „Francité et situation coloniale“, 1021.

S CHLUSSBETRACHTUNGEN | 241

brüchig und oftmals gar als widersprüchlich. Die französischen Beamten und Kommandanten, wie auch die kapuzinischen Geistlichen, modifizierten ihre Aussagen kontinuierlich: Über wen unter der Zuschreibung des Deutschen gesprochen, welche Zuschreibungen gemacht, aber vor allem wie sich das Deutschsein vorgestellt wurde, wandelte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts permanent und war Bestandteil andauernder Aushandlungsprozesse zwischen Siedlern und Kolonialbeamten. Erste Vorstellungen zu den Deutschen wurden durch das Kartieren der Kolonie produziert. Zwar blieb Louisiana trotz aller Kartierungsversuche ein „unermessliches“ Land, dennoch gelang es den französischen Beamten mithilfe von Karten eine räumliche Vorstellung der Kolonie herzustellen, in die sie auch die Deutschen einpassten. In der Anfangsphase bedeutete Deutschsein, einstweilen vom Landbesitz ausgeschlossen zu sein. Bei der Kartierung des kolonialen Louisiana kam nicht nur den Beamten, Abenteurern und Kapuzinern vor Ort eine entscheidende Rolle zu, sondern auch den Pariser Kartographen. In ihren Werkstätten entlang des Quai de l’Horloge wurden die Produktionen der Karten abgeschlossen und die Informationen aus Louisiana zu einer visuellen Repräsentationsfolie des kolonialen Raumes zusammengefügt. Die Karten reflektierten die Verhältnisse in Frankreich und brachten die Aushandlungsprozesse zwischen Metropole und Kolonie zum Vorschein. Eine Zäsur trat mit den Vermessungen der spanischen und amerikanischen Beamten im späten 18. und beginnenden 19. Jahrhundert ein. Die Beamten garantierten den Siedlern an der Côte des Allemands nunmehr ihr Eigentum. Auf den Flurstücken, die sie seit Langem kultivierten, lebten sie fortan als rechtmäßige Eigentümer. Während die Protokolle den Siedlern ihren Grund und Boden bestätigten, erneuerten die Beamten die Vorstellungen von einem deutschen Raum im unteren Mississippidelta, indem sie ihre Vermessungen stets an der Côte des Allemands, der Costa de los Alemanes bzw. der German Coast verorteten. Im Zählen der Zensusberichtete entfalteten sich die Vorstellungen von den Deutschen und vom Deutschsein ebenso. Die französischen Beamten koordinierten und übernahmen das Zählen vor Ort, hernach dokumentierten und kommentierten sie ihre Tätigkeiten in den Berichten. In diesen wurden die Siedler wiederum in Abgrenzung zu einer „Francité“ sowie zu lokalen indianischen, afrikanischen und französischen Akteuren erfasst. Dabei erhoben die Beamten die Familie zur normativen Zähleinheit und schufen das Bild von einer Gemeinschaft an der Côte des Allemands, die im Gegensatz zu den oftmals familienlosen französischen Kolonisten der Metropole New Orleans stand. Die Beamten machten die Deutschen mit ihren Kommentaren zu fleißigen und arbeitsamen Kolonisten. Damit

242 | C ÔTE DES ALLEMANDS

beurteilten sie die vermeintliche Arbeitsmoral der Siedler und begründeten zugleich einen neuen Idealtypus des Fleißes. Dieser beruhte auf den Kriterien der Planung, Ausdauer, Disziplin und Zielgerichtetheit und war von einem vormaligen Typus zu unterscheiden, der Attribute wie Aufmerksamkeit, Geschick, Sorgsamkeit und Eifer in den Vordergrund gerückt hatte. Über die Zensus transportierten die Beamten ihre Vorstellungen vom Idealtypus der Kolonisten von Louisiana nach Frankreich. Widersprüche zu den idealtypischen Vorstellungen von den Deutschen tauchten bereits in den frühen Zensusberichten auf. Nicht selten vermerkten die Beamten den Wankelmut und die Faulheit einzelner Siedler. Aber auch die Ausweisung ausgewählter Akteure als „bon travailleur“ oder „bon laboureur“ wirkte wenig vertrauensvoll. Anstatt den Fleiß und die familiäre Gemeinschaftsromantik zu bestätigen, dokumentierten die Zensuseinträge den Mangel an Arbeitskräften und die desaströse Situation an der Côte des Allemands. Das Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen betonten die Beamten dagegen nicht – obschon eine Reihe von Flurstücken, die allein von Frauen und Kindern kultiviert wurden, einen solchen Wandel sichtbar gemacht hatte. Auch das spätere Zählen durch die „Inventaire d’Effets et Bestiaux“ belegte, wie Frauen im ständigen Kreislauf von Hochzeiten und Verwitwungen traditionelle Geschlechterrollen neu definierten, von den kolonialen Praktiken der Inventuren und Teilungen zu profitieren wussten, kaum dem Bild der „folgsamen Hausfrauen“ entsprachen und stattdessen zu Akteuren aufstiegen, die die Entwicklungen maßgeblich beeinflussten.4 Frauen wie Männer der Côte des Allemands gehörten seit dem Bankrott der Compagnie des Indes von John Law zur Gruppe der „petits habitants“, das heißt, zu den Kleinbauern der Kolonie. Mit dem Deutschsein verband sich ein Dasein, das auf die subsistenzwirtschaftliche Kultivierung kleiner Flurstücke begrenzt war und den Besitz einer großen Anzahl an Sklaven ausschloss. Mit Beginn der 1730er Jahre hatten die französischen Beamten hiernach ein Bild vom Deutschsein entworfen, das die Deutschen zu fleißigen, disziplinierten und familialen Kleinbauern stilisierte. Jedoch wurde dieses Bild durch die fortlaufenden Berichte über die Konflikte mit den Choctaw und Chickasaw untergraben. Von indianischen Angreifern in die Defensive gedrängt, ergriffen die Deutschen die Flucht, ließen ihre produktiven Habitationen zurück und bestanden auf die Unterstützung aus New Orleans. Ihr Verhalten reflektierte die fortwährende Krise, die Louisiana in den 1730er, 1740er und 1750er Jahren erfasst hatte und in den Korrespondenzen der Gouverneure Vaudreuil und Kerlerec allgegenwärtig war. Die wenigen Akteure an der Côte des Allemands, denen noch der Weg in den Wohlstand beschieden

4

Vgl. Merrill, Germans of Louisiana, 42.

S CHLUSSBETRACHTUNGEN | 243

war, bildeten eine Schicht von „Grosen“ heraus, die von der Schicht der „Armen Deutschen“ zu unterschieden war. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der kolonialen Gesellschaft und die Loyalität der „Armen“ zu den „Grosen“ wurden in der Folge durch die Verdinglichung, Kontrolle und Einschränkung afrikanischer Akteure sowie die Anlage rassistischer Distinktionsprozesse in Gang gesetzt. Ihren Anfang nahmen diese Prozesse zum Ende der französischen Kolonialperiode, sie intensivierten sich in Zeiten der spanischen Administration. Die Deutschen wurden nun zunehmend auf ihr Weißsein reduziert.5 Auch in den Registern der St. Charles Borromeo Kirche verloren sich die Vorstellungen vom Deutschsein sukzessive. Zwar verorteten die frühen Einträge zu Taufen, Eheschließungen, Todesfällen und Abschwörungen die geographische Herkunft der Gläubigen auf deutschsprachige Räume, spätestens mit der zweiten und dritten Generation verliefen sich diese Spuren aber. Die Täuflinge, Ehepartner und Verstorbenen wurden künftig an lokale Traditionen gebunden und als Kinder der Côte des Allemands identifiziert. Die kapuzinischen Ordensbrüder, in deren Verantwortung die Einträge lagen, inszenierten so die Verstetigung des katholischen Glaubens. Diesem Ansinnen nach änderten sie im Mai 1748 die Ortsangabe in ihren Registern von „poste des allemands“ zu „paroisse St. Charles“.6 Deutsche und Deutschsein verschwanden aus den Kirchenbüchern. Gleichwohl kursierten im Alltag weiterhin vage Vorstellungen von den Deutschen und vom Deutschsein, die freilich permanent ergänzt, modifiziert und denen unablässig widersprochen wurde. Die Deutschen und das Deutschsein entpuppten sich als soziale und kulturelle Konstrukte, durch die prononcierte Identitäten vorgegeben, mit Bedeutungen versetzt und zu Wirklichkeiten erhoben wurden. Das heißt, das Wissen, das die kolonialen Beamten, Geistlichen und Abenteurer im 18. Jahrhundert über die Migranten an der Côte des Allemands produzierten, entsprach keiner historischen Wirklichkeit, so schön die Mär von den tüchtigen und disziplinierten Familien auch klingen mag. Wissen und Diskurse waren, mit anderen Worten, im Kontext der kolonialen Welt entstanden. Dessen ungeachtet verwies das Sprechen von kolonialen Beamten über die Deutschen und das Deutschsein auf reale Machtverhältnisse. Schließlich verbargen sich hinter diesen Vorstellungen kategorisierende und hierarchisierende Zuschreibungsinteressen, auf deren Grundlage die Beamten soziale und kulturelle

5

Vgl. Paul Spickard, Almost All Aliens: Immigration, Race, and Colonialism in American History and Identity (New York: Routledge, 2007), 17f. Spickard beschreibt diesen Prozess als „panethnic formation“.

6

Vgl. AANO, St. Charles Borromeo, Baptism, Marriages, and Funerals, Vol. 1: 1739– 1755, 21.05.1748.

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Ordnungskategorien etablierten. Neben den „Deutschen“ der Côte des Allemands wurden auch die „Franzosen“, die „Afrikaner“, die „Indianer“ und die „Kreolen“ in diese Ordnungen eingepasst und in Louisiana so eine Gesellschaftsstruktur erschaffen, in der systematisch nach Klasse, Geschlecht und Race differenziert und diskriminiert werden sollte. Zugleich waren die Aussagen um Nation, Ethnizität und Herkunft der Migranten Teil der kolonialen Elitendiskurse und zeigten deren Wechselwirkungen mit lokalen, regionalen und atlantischen Begebenheiten. Den Migranten an der Côte des Allemands boten die Aussagen ein Identifikationsangebot, in dessen Stränge sie sich in den nachfolgenden Generationen einflochten, sich diese aneigneten und neu interpretierten. Nicht zuletzt auf diesem Wege wurden die Diskurse um Fleiß, Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit in späteren Jahren, wie in anderen kolonialen Rahmungen auch, zu einem zentralen Bestandteil weißen Selbstverständnisses erhoben.7 Der Migrationsprozess der Familien an die Côte des Allemands nahm damit viele der zukünftigen Diskurse, Vorstellungen und Zuschreibungen um idealtypische wie unerwünschte Migranten vorweg. Die Aussagen zu den Deutschen und zum Deutschsein artikulierten weniger die spezifischen Tugenden und Wesensmerkmale einer bestimmten ethnischen Gruppe, sondern dokumentierten generell die Mechanismen, in deren Rahmen das Sprechen über Migranten und Migration produziert, ausgehandelt und tradiert wurde. Eberhard Ludwig, der Herzog von Württemberg, blieb nicht der einzige Landesfürst, der sich mit den Abwerbungsversuchen von Agenten der Compagnie des Indes konfrontiert sah. Das Berner Mandatenbuch und das Ratsmanual berichteten von vergleichbaren Aktivitäten im eidgenössischen Raum und warnten davor, dass die „Ahnungslosen“ mit leeren Versprechungen gelockt würden. Unter anderem bezweifelten die Beamten in den Amtsbüchern, dass die Agenten eine sichere Passage nach Louisiana garantieren könnten. Zudem blieb ungeklärt, ob die Migranten in der Kolonie ihre reformierten Glaubenspraktiken ausüben dürften. In ihren Niederschriften verlangten die Beamten hohe Belohnungen für die Anzeige von „illegalen“ Abwerbern und Pamphleten und drohten mit erheblichen Konsequenzen für Migrationswillige.8

7

Vgl. Frederik Schulze, Auswanderung als nationalistisches Projekt: ‚Deutschtum‘ und Kolonialdiskurse im südlichen Brasilien (1824–1941) (Köln: Böhlau, 2016), 171. Siehe auch Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich (München: Beck, 2006), 251–253.

8

HNOC, German Study File, Item 01, Bern Mandatenbuch No. 12, S. 574, Bern Archive, Item 02, Bern Mandatenbuch No. 11, S. 585–586, Bern Archive, sowie Item 05, Bern Ratsmanual No. 84 (1720), S. 378, Bern Archive.

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Für Eberhard Ludwig stellte das Treiben der Agenten in Württemberg keine neue Erfahrung dar. Bereits für Siedlungsprojekte in den Carolinas und Pennsylvania hatten so genannte „Comissarios“ erfolgreich unter seiner Bevölkerung geworben. Im Jahr 1709 war der Herzog mit einem Erlass gegen die Kommissäre vorgegangen und hatte schon damals geboten, Auswanderungswillige „von solchen unbesonnenen und ihnen sehr schädlichen Vorhaben abwarnen zu lassen“.9 Der württembergische Herzog betrachtete nicht nur die vielfältigen Verheißungen misstrauisch, mit denen die Agenten potentielle Auswanderer zu ködern suchten, er sah mit den Migrierenden auch die ökonomischen und politischen Grundlagen seiner Macht schwinden. Damit lieferte er zugleich eine Lesart der Zuschreibungen und Diskurse um die Deutschen und das Deutschsein im kolonialen Louisiana: Für die Compagnie des Indes, das Pariser Marineministerium und die Souveränen des Ancien Régimes repräsentierten die Migranten an der Côte des Allemands eine wertvolle und unverzichtbare Ressource, deren Bedeutung für die Entwicklung und Ausgestaltung territorialer Herrschaft im 18. Jahrhundert außer Frage stand.

9

HNOC, German Study File, Box 9, Folder 25, „Ducal decree preventing immigration to America, dated June 25, 1709, Stuttgart“.

8.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

AANO

Archives of the Archdiocese of New Orleans, New Orleans, LA.

ANOM

Archives nationales d’outre-mer, Aix-en-Provence.

Bancroft Library

Bancroft Library, Berkeley, CA.

BNF

Bibliothèque nationale de France, Paris.

CLS

Center for Louisiana Studies, Lafayette, LA.

FR CAOM

ANOM images, Archives nationales d’outre-mer, Aix-enProvence.

HNOC

The Historic New Orleans Collection, New Orleans, LA.

Huntington Library

Huntington Library, San Marino, CA.

LaRC

Howard Tilton Library, Louisiana Research Collection, New Orleans, LA.

LHQ

Louisiana Historical Quarterly.

Library of Congress Library of Congress, Washington, DC. LSM

Louisiana State Museum, New Orleans, LA.

LSU Archives

Louisiana State University Libraries, Baton Rouge, LA.

280 | C ÔTE DES ALLEMANDS

ML

Monroe Library, Loyola University, New Orleans, LA.

MPA

Mississippi Provincial Archives, 5 Bde.

Mississippi Archives Mississippi Archives, Jackson, MS. NA

National Archives, Washington, DC.

Newberry

Newberry Library, Chicago, IL.

NONA

New Orleans Notorial Archives, New Orleans, LA.

NOPL

New Orleans Public Library, New Orleans, LA.

SMV

Spain in the Mississippi Valley, 3 Bde.

Abbildungsverzeichnis und Abbildungen

Abb. 1

The Historic New Orleans Collection, „Novissima Tabula Regionis Ludouiciana Gallice Dicta La Louisiane“, Christoph Weigel, 1720.

Abb. 2

Newberry Library, Ayer MS Map 30, CM #78, „Carte de la Coste de la Louisiane depuis la Baye de St. Bernard jusqu’à celle de Saint Joseph, ou tous les ports, rades, et bons mouillages sont exactement marquez avec les sondes, et la profondeur des terres jusqu’au dessus des Natchez“, Valentin Devin, [ca. 1723–26].

Abb. 3

Newberry Library, Ayer MS Map 30, CM #80, „Carte Particuliere du Fleuve St. Louis dix lieües au dessus et au dessous de la Nouvelle Orleans ou sont marqué les habitations et les térrains concedés à Plusieurs Particuliers au Mississipy“, [ca. 1723].

282 | C ÔTE DES ALLEMANDS

Abbildung 1: Novissima Tabula Regionis Ludouiciana Gallice Dicta La Louisiane

A BBILDUNGEN | 283

Abbildung 2: Carte de la Coste de la Louisiane

284 | C ÔTE DES ALLEMANDS

Abbildung 3: Carte Particuliere du Fleuve St. Louis

Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)

Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.)

Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie 2016, 296 S., kart. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3021-3 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3021-7

Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.)

Das Personal der Postmoderne Inventur einer Epoche 2015, 272 S., kart. 19,99 E (DE), 978-3-8376-3303-0 E-Book PDF: 17,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3303-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Geschichtswissenschaft Manfred E.A. Schmutzer

Die Wiedergeburt der Wissenschaften im Islam Konsens und Widerspruch (idschma wa khilaf) 2015, 544 S., Hardcover 49,99 E (DE), 978-3-8376-3196-8 E-Book PDF: 49,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3196-2

Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)

Zeitgeschichte des Selbst Therapeutisierung — Politisierung — Emotionalisierung 2015, 394 S., kart. 34,99 E (DE), 978-3-8376-3084-8 E-Book PDF: 34,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3084-2

Thomas Etzemüller

Auf der Suche nach dem Nordischen Menschen Die deutsche Rassenanthropologie in der modernen Welt 2015, 294 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 E (DE), 978-3-8376-3183-8 E-Book PDF: 26,99 E (DE), ISBN 978-3-8394-3183-2

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