Angst in den Zeiten der Cholera: Seuchen-Cordon 9783050081557, 9783050037790

Die Grundthese der Arbeit ist zu wiederholen: Kochs Bakteriologie und Pasteurs Mikrobiologie gewannen so umfassende Über

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Table of contents :
Prolog in der Gegenwart
Angstabwehr und Wissenschaft
Zwiegestalt der Bedrohung
Bakteriologische Synthese
Wissensgeschichte und Wissenschaftsgeschichte
Historiographisches Dilemma
1. Die Fratze der Feindin
1.1. Das Mysterium der Namen
Misere der Namenlosigkeit
Menetekel der Namensgebung
Magie der Medizin
1.2. Ein Mensch wie du und ich
Ontologischer Krankheitsbegriff
Metaphorischer Zwang
Verleiblichung der Seuche
Das weibliche Geschlecht der Krankheit
1.3. Bedrohungen aus dem Tierreich
Das Tier der Apokalypse
Katzenmassaker, Hundemassaker, Fuchsmassaker
Contagium animatum
Die große Sperlings-Passion
1.4. Mensch-Tier-Kopula: Die Präsenz des Monsters
2. Die Wirren der Wissenschaft
2.1. Das unerwartete Desaster
Ätiologie: Sitz, Wesen und Formen
Therapie: „Anarchie“, „Folter“ und „Vampyrismus“
Fazit: Tun - oder Lassen
2.2. Epidemiologie: Das rettende Mystérium Natur
Entlastende Miasmen
Siderisch, tellurisch, elektrisch
Dämonie der Luft
Tabu: Sakrales Wasser
2.3. Kunstgriffe der Aufklärung
3. Das Antlitz der Schuldigen
3.1. Das Volk, der böse Lümmel
Konservative Plebejer und Proletairs
Wider die Ärzte - Gerüchte und Verschwörungsthesen
Regime der Körperpolitik
Exkurs zu Bestattungsriten
3.2. Der fragile Pakt von Adel und Bürgern
Bürger gegen Adel: Miasmenmodell
Adel gegen Bürger: Kontagien- modell
Neue Bündnisse: Die Gefahr von unten
3.3. Symbolisches Wettrennen um Macht
Metaphorische Scharmützel
Die üblichen Verdächtigen
Rhetorik der Integration
3.4. Politische Religionen
Säkularisierte Religion oder säkulare Religion?
Die neuen Gläubigen
Apokalypsen: politisch
4. Die Pose der Sieger
4.1. Der Aufstieg des Militärs
Am Anfang war Napoleon
Das Schwungrad der Moderne
Pest und Feuerwaffen
4.2. Die Militarisierung der Seuchenabwehr
Kordons und Grenzsperren
Schüsse auf Pest und Cholera
Europäisches Bollwerk
Wiederkehr des Jahres 1813
4.3. Hier spricht die Polizei
Aufstieg der Polizei und Medizinalpolizei
Preußen: Militärstaat versus Polizeistaat
Ad Cholera: Triumph des Militärs
Blauer Dunst? Kämpfe um den Tabak
4.4. Ärztliche Aufrüstung
Angriff der Krankheit
Medizinischer Gegenschlag
4.5. Bakteriologische Einheitsfront
Wohltäter der leidenden Menschheit?
Feind im eigenen Land
Trauma von 1866
Kochs Schlieffen-Plan
5. Das Janusgesicht des Bakteriums
5.1. Wissenschaftliche Revolution
Nachholender Triumph
Erfolgsbedingungen: Kausalität, Artkonstanz, Repräsentation
Makrooptik. Die verspätete Karriere des Mikroskops
5.2. Reform oder Revolution?
Institutionelles stop and go
Allmähliche bakteriologische Synthese
Der Koch-Kultus
5.3. Epilog: Keine einfache Wissenschaft
Anhang
1. Quellen- und Literaturverzeichnis
Archivalien und Nachlässe (Bd. I-IV)
Auswahl von Gesetzen und Verordnungen
Zeitungen und Zeitschriften (bis 1910)
Literatur bis 1850
Literatur 1851-1910
Literatur ab 1911
2. Personenregister
Einleitung
1. Heilsökonomie
2. Dramaturgie
3. Geburt der Tragödie
4. Das große Welttheater
5. Die Schlachtbank der Geschichte
Dokumente
1. Exposition: Nachrichten aus der Ferne
2. Steigerung: „Cholera ad portas“
3. Höhepunkt: Cholera in der Stadt
4. Katastrophe und Läuterung: Hegels Tod
5. Ausklang und Versöhnung
6. Nachklänge
Einleitung
1. Ein Berg-Drama von 1866
2. Der asiatische Gast
3. Briefwelt
a) Monolog
b) Dialog
c) Ensemble
4. Schweigen
Briefe
Anhang: Ein Berg-Drama von 1866
Quellen
Einleitung
1. Praktisches Überleben
2. Rhetorisches Überleben
3. Überleben per Gedicht
4. Kapitulation
Gedichte
1. Asiatische Hydra
2. Tod und Leben
3. Gottes Strafe und Hilfe
4. Sieg im Glauben
5. Moralische Bewährung
6. Politik und Krieg
7. Herrscherlob
8. Ärztliche Kunst
9. Lob der Cholera
Quellen und Erläuterungen
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Angst in den Zeiten der Cholera: Seuchen-Cordon
 9783050081557, 9783050037790

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Olaf Briese Angst in den Zeiten der Cholera I

OLAF

BRIESE

Angst in den Zeiten der Cholera Über kulturelle Ursprünge des Bakteriums Seuchen-Cordon I

Akademie Verlag

Die Arbeit an diesem Projekt wurde gefördert von der Volkswagen-Stiftung

Als Habilitationsschrift gedruckt auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät III der Humboldt-Universität zu Berlin

Abbildung auf d e m Einband: Gustave Doré, Illustration zu Ariost, „Roland Furieux", Hachette, Paris 1879

ISBN 3 - 0 5 - 0 0 3 7 7 9 - 2

© A k a d e m i e Verlag G m b H , Berlin 2 0 0 3

D a s eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706.

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf o h n e G e n e h m i g u n g des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, M i k r o v e r f i l m u n g oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von M a s c h i n e n , insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache Ubertragen oder übersetzt werden.

Einbandgestaltung: Hans Baltzer, milchhof : atelier 24, Berlin Druck und Bindung: D r u c k h a u s „ T h o m a s M ü n t z e r " , Bad Langensalza

Gedruckt in Deutschland

Inhalt

Prolog in der Gegenwart

11

Angstabwehr und Wissenschaft (13) Zwiegestalt der Bedrohung (16) Bakteriologische Synthese (19) Wissensgeschichte und Wissenschaftsgeschichte (23) Historiographisches Dilemma (26)

1. Die Fratze der Feindin 1.1. Das Mysterium der Namen Misere der Namenlosigkeit (30) Menetekel der Namensgebung (31) Magie der Medizin (35) 1.2. Ein Mensch wie du und ich Ontologischer Krankheitsbegriff (48) Metaphorischer Zwang (53) Verleiblichung der Seuche (57) Das weibliche Geschlecht der Krankheit (61)

29 30

48

1.3. Bedrohungen aus dem Tierreich Das Tier der Apokalypse (69) Katzenmassaker, Hundemassaker, Fuchsmassaker (73) Contagium animatum (80) Die große Sperlings-Passion (85)

69

1.4. Mensch-Tier-Kopula: Die Präsenz des Monsters

89

2. Die Wirren der Wissenschaft 2.1. Das unerwartete Desaster Ätiologie: Sitz, Wesen und Formen (93) Therapie: „Anarchie", „Folter" und „Vampyrismus" (99) Fazit: Tun - oder Lassen (129)

92 93

2.2. Epidemiologie: Das rettende Mysterium Natur Entlastende Miasmen (131) Siderisch, tellurisch, elektrisch (134) Dämonie der Luft (143) Tabu: Sakrales Wasser (154)

131

2.3. Kunstgriffe der Aufklärung

159

3. Das Antlitz der Schuldigen

163

3.1. Das Volk, der böse Lümmel Konservative Plebejer und Proletairs (164) Wider die Ärzte - Gerüchte und Verschwörungsthesen (168) Regime der Körperpolitik (172) Exkurs zu Bestattungsriten (178)

164

3.2. Der fragile Pakt von Adel und Bürgern Bürger gegen Adel: Miasmenmodell (187) Adel gegen Bürger: Kontagienmodell (194) Neue Bündnisse: Die Gefahr von unten (198)

187

3.3. Symbolisches Wettrennen um Macht Metaphorische Scharmützel (204) Die üblichen Verdächtigen (209) Rhetorik der Integration (214)

204

3.4. Politische Religionen Säkularisierte Religion oder säkulare Religion? (219) Die neuen Gläubigen (223) Apokalypsen: politisch (226)

219

4. Die Pose der Sieger

233

4.1. Der Aufstieg des Militärs Am Anfang war Napoleon (235) Pest und Feuerwaffen (239)

235 Das Schwungrad der Moderne (236)

4.2. Die Militarisierung der Seuchenabwehr Kordons und Grenzsperren (242) Schüsse auf Pest und Cholera (249) Europäisches Bollwerk (255) Wiederkehr des Jahres 1813 (258)

242

4.3. Hier spricht die Polizei 260 Aufstieg der Polizei und Medizinalpolizei (260) Preußen: Militärstaat versus Polizeistaat (265) Ad Cholera: Triumph des Militärs (268) Blauer Dunst? Kämpfe um den Tabak (274) 4.4. Ärztliche Aufrüstung Angriff der Krankheit (281)

281 Medizinischer Gegenschlag (283)

4.5. Bakteriologische Einheitsfront Wohltäter der leidenden Menschheit? (286) Feind im eigenen Land (288) Trauma von 1866 (294) Kochs Schlieffen-Plan (298)

286

5. Das Janusgesicht des Bakteriums

311

5.1. Wissenschaftliche Revolution 312 Nachholender Triumph (312) Erfolgsbedingungen: Kausalität, Artkonstanz, Repräsentation (316) Makrooptik. Die verspätete Karriere des Mikroskops (348) 5.2. Reform oder Revolution? Institutionelles stop and go (358) Allmähliche bakteriologische Synthese (366) Der Koch-Kultus (377)

358

5.3. Epilog: Keine einfache Wissenschaft (383)

Anhang

388

1.

Quellen- und Literaturverzeichnis 388 Archivalien und Nachlässe (Bd. I-IV) (388) Auswahl von Gesetzen und Verordnungen (389) Zeitungen und Zeitschriften (bis 1910) (390) Literatur bis 1850 (392) Literatur 1851-1910 (407) Literatur ab 1911 (412)

2.

Personenregister

450

Danksagung

Ich möchte denen danken, die zur Verwirklichung dieses Projekts beigetragen haben, an erster Stelle Hartmut Böhme. Weiterhin danke ich für kritische Hinweise Lorraine Daston, Renate Schlesier, Dietrich von Engelhardt, Alfons Labisch und Thomas Macho. Hervorzuheben ist die Hilfe von Dorothea Dornhof, Elisabeth Neswald und Peter Schwinning, der mir von ihm aufgearbeitete Archivmaterialien Carl Heinrich Ebermaiers zur Verfügung gestellt hat. Das Wellcome Institute for the History of Medicine in London gewährte mir ein Jahr lang einen Forschungsaufenthalt. Stellvertretend dafür danke ich Vivian Nutton. Dank schulde ich Philipp Sarasin in Zürich, vor dessen Forschungsgruppe „Unsichtbare Feinde" ich im Sommer 2002 Ergebnisse meiner Arbeit vorstellen konnte. Herrn Karras vom Akademie Verlag bin ich sehr verbunden für sein umsichtiges Engagement. Verwirklicht werden konnte dieses Projekt nur durch ein vierjähriges Stipendium der VW-Stiftung. Diese großzügige Unterstützung enthob mich nicht nur der Sorgen um Essen, Trinken und Wohnung. Couragiert wie sie war, bestärkte sie die Arbeit an dieser Tetralogie in jeder Hinsicht.

Prolog in der Gegenwart

Angesagt. Anachronistisch. Absonderlich. Ein Brief des Berliner Hals- und Ohrenarztes Karl Adolf Passow warnt in der Choleragefahr 1892 seine Verwandten: „Ich bin sehr vorsichtig. Alles wird abgekocht, mühsam, aber ich sehe darauf. Brot wird kochend abgewaschen und in der Röhre getrocknet. Die Fußböden mit Carbol gewaschen, ebenso Thürklinken, überall desinficiert"1. Mühsam beherrschte Angst spricht aus diesem Brief. Die neuen bakteriologischen Erkenntnisse hatten sie nicht gedämpft, nur hochgetrieben. Trotz der Entdeckung des Choleraerregers durch Robert Koch war die Macht der Cholera, die fast das ganze 19. Jahrhundert in Atem hielt, nicht gebrochen. Im Gegenteil. Vor allem Gebildete lebten in einer epidemischen Hysterie. Sie nährte sich aus beängstigenden kulturellen Erinnerungen, aber auch aus Erfahrungen der jüngeren Gegenwart. Waren nicht während der ersten gesamteuropäischen Epidemie 1831/32 im Königreich Preußen offiziell 40.417 Tote zu beklagen gewesen, in Paris gar innerhalb weniger Wochen rund 18.000 Tote?2 Überzog die Cholera nicht danach in mehreren Pandemien Europa wieder und wieder, und hatte die für Preußen schwerste Epidemie 1866 nicht 120.000 Opfer zur Folge 3 ? Das große Rätsel des Jahrhunderts, das der Cholera, war seit 1884 zwar gelöst. Man kannte, wenn nicht ihren Ursprung, so doch ihre Übertragungswege. Wem aber war damit gedient? Denen, die dennoch an ihr erkrankten und nicht geheilt werden konnten? Denen, die elend starben? Die Seuche war enträtselt. Aber wirksame Heilmethoden für Erkrankte oder gar eine zuverlässige Prävention gab es

1 Karl Adolf Passow an Marie Passow, ca. 1892 [unveröffentlicht], in: Miriam Charbel Issa, Karl Adolf Passow (1859-1926) und die Berliner Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Med. Diss. Berlin 1999, S. 12. Zu ähnlichen Panikreaktionen anläßlich der Hamburger Cholera vgl.: Dr. C. Flügge, Die Verbreitungsweise und Verhütung der Cholera auf Grund der neueren epidemiologischen Erfahrungen und experimentellen Forschungen, in: Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, 14 (1893), S. 122-202, hier: S. 123f. 2 Vgl.: E. Engel, Die Cholera-Epidemie des Jahres 1866 mit einem Rückblick auf die früheren Epidemien, in: Zeitschrift des Königl. Preuß. Statistischen Bureaus, 9 (1869), S. 70-98; hier: S. 76; François Delaporte, Disease and Civilization. The Cholera in Paris, 1832, Cambridge, London 1986, S. 5. 3 Vgl.: Heinrich Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medicin und der epidemischen Krankheiten. Bd. 3: Geschichte der epidemischen Krankheiten, 3. Aufl. Jena 1882, S. 892.

12

Angst in den Zeiten der Cholera

nicht. Wahllos konnte sie nach wie vor diesen oder jenen ergreifen. Man hatte dem unsichtbaren Feind, wie es erleichtert hieß, zwar die Maske vom Gesicht gerissen. Endlich war er namhaft gemacht. Man hatte nicht mehr gegen ein unsichtbares Phantom zu kämpfen. Aber was nützte es, den Attacken des jetzt sichtbaren Angreifers nur hilflos zusehen zu müssen? Ein Sprung einhundert Jahre weiter, ins Jahr 1980. Mit großem publizistischen Aufwand wurde der Sieg über die Pocken begangen, ihre Eradikation gefeiert. Eine berechtigte Emphase, glaubte man doch, nach dem Erfolg des zwanzigjährigen, generalstabsmäßigen Plans, den ersten Schritt zur gänzlichen Abschaffung epidemischer Krankheiten gegangen zu sein. Den Erreger erkennen, ihm den Lebensraum nehmen, ihn ausrotten - eine Pionierleistung, der weitere folgen würden. Das Ende der Epidemien schien besiegelt. Die geplante Ausrottung weiterer Epidemien, nunmehr bis zum Jahr 2000, bliebe nur eine Frage der Zeit4. Dieser Sieg, man weiß es heute, war ein Pyrrhussieg. Die sich auf ihn gründenden Versprechen haben sich nicht erfüllt. Es gibt nicht nur die alten epidemischen Krankheiten, sondern eine Vielzahl von neuen, unter anderem die Immunschwächekrankheit AIDS. Sie soll, Fortschreibung des Diskurses mit anderen Mitteln, gerade durch die großflächige Anwendung verunreinigter Polio-Impfstoffe Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre massenhaft verbreitet worden sein5. Natürlich hat diese unabgesicherte These Kritik erfahren. Abgesehen davon: Jenes Programm der umfassenden sogenannten Ausrottung erhielt, wie inzwischen eingeräumt wurde, wegen der kurzsichtigen Vernachlässigung sozialer Gesundheitsfürsorge schwere Rückschläge6. Es waren aber keinesfalls nur gravierende soziale Rückschläge, die diesen Anspruch scheitern ließen. Wie selbst Epidemiologen einräumen, sind auch auf ihrem Feld Handlungsresultate grundsätzlich unverfügbar. Moderne Seuchenbekämpfung hat Effekte zur Folge, die nicht nur Kollateralschäden sind, sondern in ihrer Wirkung die Ausgangslage möglicherweise verschlimmern7. Abgesehen davon - jede Zeit hat ihre eigenen Seuchen. Erreger mutieren, suchen sich andere Felder. Oder neue entstehen unter neuen natürlichen und kulturellen Bedingungen. Wo Kultur, da - essentielles Fatal - immer Epidemie. Von daher ist die Rede von der viel beschworenen „Rückkehr" oder „Wiederkehr der Seuchen"8

4 Vgl.: Smallpox and its Eradication. World Health Organization, Genf 1988; Hans R. Gelderblom, Die Ausrottung der Pocken, in: Spektrum der Wissenschaft, H. 3/1997, S. 14-20; Hervé Bazin, The eradication of smallpox. Edward Jenner and the first and only eradication of a human infectious disease, San Diego, London 2000. 5 Vgl.: Edward Hooper, The R i v e r - a journey back to the source of HIV and AIDS, Boston 1999. 6 Vgl.: Hans Jochen Diesfeld, Die Entwicklung der WHO. Von der Seuchenbekämpfung zum „Primary-Health-Care"-Konzept, in: Meilensteine der Medizin, hrsg. v. Heinz Schott, Dortmund 1996, S. 571-584, hier: S. 574. 7 Vgl.: Jürgen Knob loch, Wird es in Zukunft noch Katastrophen durch Epidemien und gefährliche Krankheitserreger geben?, in: Katastrophe. Trauma oder Erneuerung?, hrsg. v. Horst Dieter Becker/Bernd Domres/Diana von Finck, Tübingen 2001, S. 121-136, hier: S. 128f. 8 Vgl.: Die Rückkehr der Seuchen. Ist die Medizin machtlos?, hrsg. v. Hans Schadewaldt, Köln 1994; Peter Sichrovsky/Peter Scheer, Resistent. Die Wiederkehr der Seuchen, Berlin 1995. Zur Anpassung und Weiterentwicklung von Erregern: Paul W. Ewald, Evolution of Infectious Disease, Oxford 1993.

Prolog in der Gegenwart

13

eher irreführend. Als ob sie jemals im Rückzug gewesen oder in einem Biwakquartier überdauert hätten. Eine freiwillige oder erzwungene Retraite hat es nicht gegeben. Permanentes Inperfekt: Menschen lebten und leben mit Epidemien und in einem entsprechenden epidemischen Ausnahmezustand. Daran hat sich nie etwas geändert. Epidemische Krankheiten sind ein unabdingbares geschichtliches Integral. Nur nehmen sie immer wieder einen anderen Charakter an. Proteusartig wandeln sie sich. So werden sie gegenwärtig nicht zuletzt durch einen erstrebten hygienischen Standard - Mutigere würden vom hygienischen Terror sprechen - verursacht. Legionellen zum Beispiel entstehen und verbreiten sich bevorzugt in Belüftungsanlagen moderner Hotels und Appartementhäuser. Wird die Klimaanlage zur Brutstätte, der Schutzraum Kultur zur Erregerfalle?

1. Angstabwehr und Wissenschaft Die Mahnung zu desinfiziertem Brot war 1892 keine Novität. Schon 1831, zur Zeit des ersten überraschenden, geradezu schockierenden Kommens der Cholera, ist dazu geraten worden 9 . Zuvor, und das war das extreme Gegenteil, stand fest: Nie würde die Seuche nach Mitteleuropa gelangen. Selbstsicher wurde von Medizinern verkündet: „Daß aber diese orientalische Krankheitsform in das Herz von Deutschland dringen sollte", sei „sehr unwahrscheinlich, j a fast undenkbar" 10 . Nur sumpfige oder steppenartige Regionen wie in Rußland, Polen oder Asien würden von der Seuche betroffen. Überdies seien die Fortschritte der Hygiene und Gesundheitsvorsorge ein völlig ausreichender und beruhigender Schutz. Es bestehe, so das übereinstimmende Fazit in Wissenschaft und Öffentlichkeit, für die zivilisierten Länder Europas absolut keine Gefahr. Dennoch nahte die Cholera unerbittlich. Preußen und seine Metropolen mußten sich wappnen. Das Unvermeidliche mußte akzeptiert werden. Es gab kein Verdrängen mehr. Erschrocken wurde eingestanden: „Diese ganze Berechnung ist durch die asiatische Cholera in ihrer Nichtigkeit erwiesen worden". Nunmehr, Klimax plötzlicher Bedrohung, galt: „Unter allen Krankheiten, die die Welt bisher heimsuchten, hat sich die Cholera den fürchterlichsten Ruf erworben und am meisten Schrecken verbreitet". Es wurde sogar erwogen, ob sie das Menschengeschlecht nicht „gar ganz von der Erde vertilgte" 11 .

9

Vgl.: J. Ch. v. Loder, Ueber die Cholera-Krankheit. Ein Sendschreiben, Königsberg 1831, S. 17. Als Satire vgl.: [Anonym], Berliner Chronik, in: Der Freimüthige, oder Berliner ConversationsBlatt, Nr. 180, 15. September 1831, S. 719f. 10 H. W. Buek, Die bisherige Verbreitung der jetzt besonders in Rußland herrschenden Cholera, erläutert durch eine Karte und eine dieselbe erklärende kurze Geschichte der Epidemie, Hamburg 1831, S. 30. 11 Dr. J. R. Lichtenstädt, Die asiatische Cholera in Russland in den Jahren 1830 und 1831. Nach russischen Aktenstücken und Berichten, Berlin 1832, S. 236f.; Dr. Adolph Schnitzer, Die Cholera contagiosa beobachtet in einer in Folge höheren Auftrages in Galizien [...] gemachten Reise,

14

Angst in den Zeiten der Cholera

Die Cholera war eine neue, eine schlimmere Pest. Hysterische Angst regierte die Bürgerund Adelskreise. Panisch wurde zu den scheinbar aberwitzigsten Rettungsmitteln gegriffen. So rieten die, die daran glaubten, die Cholera verbreite sich als flüchtiger Ansteckungsstoff, als Miasma durch die Luft, zu künstlich unterhaltenen Feuern in den Wohnungen, in die Knoblauch hineinzustreuen sei12. Vor allem sei das „Einströmen des Miasmas durch die Haare" zu verhindern. Die besten Chancen hätten beispielsweise Glatzköpfe, auch Blondoder Rotschöpfe. Dunkelhaarige seien besonders anfällig. Die Haare seien so oft wie möglich zu waschen, einzusalben und zu kämmen, um die Miasmen herauszustreichen 13 , oder, in noch komplizierterer Prozedur: Das Haar muß an manchen Stellen dicht vom Kopfe, jedoch nur so groß wie ein Dreykreuzerstück abgeschnitten und jeden Morgen mit frischem kalten Wasser, mittelst einem recht engen Kamm, und zwar von Jedem selbst, damit die Arme und Schulterblätter zugleich recht in Bewegung kommen, recht fleißig bis auf die Haut gekämmt und eingerieben werden, jedoch nur so naß gemacht, wie bey einem Segen ertheilt wird, damit an jedem Tag die Haare ein wenig abgewaschen, und kein Choleragift sich da festsetzen kann, das stärket die Pori und befördert zugleich die Ausdünstung am Kopf. Von Polizeywegen sollte den Männern ein anderes Zeichen ihres Grußes bewilliget werden, als auf offener Straße ihre Hüte und Mützen abzuziehen, weil das Choleragift sehr leicht dem Haare sich mittheilet [...].14 Andere, die annahmen, korpuskelähnliche Krankheitsstoffe, sogenannte Kontagien, würden über die Berührung mit Gegenständen oder durch den Kontakt mit Personen übertragen, schworen auf weitgehende persönliche Isolation in den eigenen vier Wänden mit all den daraus erwachsenden Konsequenzen. Man hätte sich radikal abzusondern: „Es giebt Leute, die sich völlig isoliren; in ihre Wohnungen verschließen, nicht ausgehen, Eßwaaren an Bindfäden durch die Fenster ziehen, in Chlor- und Essigdämpfen leben" 15 .

12

13

14

15

Breslau 1831, S. 29; J. C. Röttger, Kritik der Cholera nach physikalischen Gründen [...]. Ferner: Ueber die trügerischen Umtriebe der Cholera im Reiche der Luft, Halle 1832, S. 10. Vgl.: Korrespondenz aus Berlin, 20. September 1831, in: Der Volksfreund in den Sudeten, vereinigt mit dem Schlesischen Beobachter. Eine Wochenschrift zum Nutzen, zur Belehrung und zur Unterhaltung aller Stände, Nr. 41, 12. Oktober 1831, S. 421f„ hier: S. 422. J. N. Edler von Meyer, Einige Beobachtungen über das Wesen der Cholera Morbus aus der Erfahrung geschöpft in besonderer Beziehung auf die Haare als Leiter des Contagiums, Wien 1831, S. 12, 30f. [Caroline von Meiern], Entdeckung des Geheimnisses die Cholera-Krankheit im Keime zu erstikken [...]. Allen Regierungen und Medicinalcollegien und der gesammten Menschheit zur Beherzigung, München 1831, S. 47. Zur magischen Bedeutung von Haaren als disponibelstem menschlichen Körperteil vgl.: Edmund R. Leach, Magical hair, in: Myth and Cosmos. Readings in Mythology and Symbolism, ed. by John Middleton, New York 1967, S. 77-108; Elisabeth G. Gitter, The Power of Woman's Hair in the Victorian Imagination, in: Publications of the Modern Language Association, 99 (1984), S. 936-954; Claudia Naacke, Art. „Haar", in: Metzler-Lexikon Religion. Alltag - Gegenwart - Medien, hrsg. ν. Christoph Auffarth u.a., Stuttgart, Weimar 1999ff„ Bd. 2, S. 1-3. [Anonym], Wochen-Chronik der Cholera, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 187, 24. September 1831, S. 748.

Prolog in der Gegenwart

15

Eine dritte Gruppe glaubte schließlich, egal wovon die Krankheit herrühre, ob von Miasmen oder von Kontagien, eine individuelle Disposition und eine gesunde Lebensführung würden ausreichend immunisieren. Es gehe vor allem um die Einhaltung strenger Diätvorschriften und eine ständige Selbstüberwachung: Behutsam beim An- und Ausziehen, keine Sorte Schweiß unterdrückt: sich verhalten, als wäre man krank: möglichst für seine Leute eben so sorgen, ihnen Essen zumessen; sich bei Gott alles von ihnen schwören lassen; ihnen Flanell auf den ganzen Vorderleib, Löschpapier auf Rücken und Fußsohlen geben. [...] nicht in Abend- und Morgenthau nüchtern ausgehen lassen. Tuch mit Essig vor Nase und Mund. [...] Nicht Schauern erlauben; ein Mädchen starb eine Stunde drauf.16 Abgesehen von solchen individuellen Schutzmaßregeln - alle Kulturpraktiken, die das beginnende 19. Jahrhundert aufzubieten hatte, wurden gegen die Cholera ins Feld geführt: militärische, politische, religiös-magische, alltagskulturelle. Unter ihnen spielten Wissenschaften eine besondere Rolle. Sie waren der seit den Aufklärungszeiten bewährte Schutzschild gegen alle Anfeindungen der Natur. Er würde auch bei der Cholera helfen. Die Menschen waren angesichts von Seuchen nicht mehr hilflos. Unnötig darauf hinzuweisen, es existierten nicht die Wissenschaften. Allein bezogen auf die Medizin ergibt sich ein differenziertes Bild: Sie war geprägt von Universitätsgelehrten, die einen bestimmten Theoriekanon etablierten, von staatlichen Amtsärzten, die innerhalb des Rahmens medizinalpolitischer Vorgaben arbeiteten, von Medizinalpolitikern, die diesen Rahmen vorgaben bzw. ihn veränderten, von Lazarett- bzw. Spitalärzten mit wissenschaftlichem Anspruch und schließlich von der großen Zahl meist promovierter Ärzte, die über Pressepublikationen, Aufklärungsbroschüren und ihre Präsenz im Alltagsleben das Profil der Medizin mitgestalteten. All diese an sich heterogenen Gruppen arbeiteten am Projekt Medizin als Wissenschaft bzw. als Theorie. Auf sie gründete sich die angestrengte Hoffnung, die Zivilisation könne die Seuche von Mitteleuropa fernhalten. Doch Seuchenursprünge und Übertragungswege konnten nicht erklärt werden. Um so mehr zerfiel die Wissenschaft in Gruppen und Grüppchen. Die Unmenge der Choleraliteratur zeigt, daß am Ende ein jeder bestrebt war, seine Art Privattheorie aufzustellen. Die Seuche war und war nicht erklärt, und nach dem Gesetz der großen Zahl wurde Theorie auf Theorie gehäuft. Je absonderlicher sie scheinen mochten, desto größer die Möglichkeit, dem unbekannten Phänomen vielleicht doch endlich Herr zu werden. Durch diese vielgestaltigen Theorieentwürfe waren die oben beschriebenen persönlichen Abwehrmaßnahmen, so absurd sie auch schienen, gedeckt. Angst treibt Blüten. Ausdrücklich wurden wissenschaftlicherseits solche obskuren Praktiken empfohlen: der Haarpflege bzw. der möglichst weitgehenden persönlichen Isolierung, auch, das Scheuern von Fußböden zu unterlassen. Entsprechende Empfehlungen gingen sogar in staatliche Anordnungen

16 Rahel Varnhagen an Ludwig und Friederike Robert, 8. September 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, hrsg. v. Konrad Feilchenfeldt/Uwe Schweikert/Rahel E. Steiner, München 1983, Bd. 3, S. 520.

16

Angst in den Zeiten der Cholera

ein17. Diese Koinzidenz ruft natürlich Fragen auf den Plan: Richtete sich Alltagswissen nach Wissenschaft? Oder richtete sich Wissenschaft nach Vorgaben der Alltagspraxis? Welche Vermittlungsebenen gab es?

2. Zwiegestalt der Bedrohung Vor über zehn Jahren, 1989, hat der Soziologe Karl Georg Zinn eindringlich kritisiert, daß die Sozialwissenschaften dem Problem von Seuchen geringen Stellenwert beimessen. Zwei Gründe dafür führte er an: erstens ein ideologisches Fortschrittspathos, das sich von unberechenbaren katastrophalen Einbrüchen abwende, weil sie sich keinem Gesetz fügen würden. Zweitens kritisierte er ein Pathos der Machbarkeit und die utopische Vorstellung, die Menschen seien die planvollen Gestalter ihrer Geschichte, weswegen solche natürlichen Eingriffe, wie Seuchen sie ausüben, lieber verleugnet würden. Klimaeinflüsse, Seuchen, Naturkatastrophen passen nicht in das edle Bild einer Menschheitsgeschichte, die sich, von gelegentlichen Krisen abgesehen, auf die Höhen der Zivilisation schwingt 18 . Sind Seuchen aber tatsächlich naturhafte Einflüsse? Sind sie eine rein äußere Bedrohung, der Einbruch des

17 Belehrung über die Asiatische Cholera für Nichtärzte. Mit allerhöchstem Befehl in dem Königreich Sachsen bekannt gemacht, 3. Aufl. Dresden 1831, S. 12: Nach einer Begegnung mit Kranken müßte man sich „die Haare kämmen, und mit Chlorkalkwasser waschen". Bekanntmachung des Central-Gesundheits-Comités von Warschau, 23. April 1831, in: Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau 1831, S. 122f.: Man müsse „so viel als möglich vermeiden, Wasser auf den Fussboden und den Estrich zu vergiessen"; Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comité für Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin. Berlin, 23. August 1831, S. 9: „Ohne die zur Erhaltung der Gesundheit nöthige tagtägliche Bewegung in freier Luft [...] aufzugeben, suche man doch sich und die Seinigen möglichst zu isoliren". Für Berlin bzw. Preußen wurde anfangs sogar ein Tag und Nacht geltendes Ausgehverbot dekretiert: „Sollte dessen ungeachtet die Krankheit fortwährend weiter um sich greifen, und eine immer grössere und allgemeinere Gefahr der Ansteckung entstehen, so könnte es erforderlich werden, eine allgemeine Haus-Contumaz einzuführen. Hierbei würde Niemandem, ohne besondere von der SanitätsKommission mittels einer Karte ertheilte Erlaubniss, gestattet sein, seine Wohnung zu verlassen, und müssten, um dies zu verhüten, auf sämmtlichen Strassen des Ortes Wachen aufgestellt werden", in: Frh. v. Altenstein. Ministerium des Innern und der Polizei. Frh. v. Brenn, Instruction über das bei der Annäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. Berlin, 5. April 1831, in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde, 15 (1831), H. 2, S. 312-332, hier: S. 326. 18 Vgl.: Karl Georg Zinn, Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989, S. 24.

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Natürlichen in die wohlorganisierte Sphäre von Kultur? In der Zeit der ersten Ankunft der Cholera in Europa 1831/32 schien das nicht wenige Anhänger zu finden: In großen Seuchen offenbart sich die allwaltende Macht, welche den Erdball mit all seinen Geschöpfen zu einem lebendigen Ganzen gestaltet hat. Die Kräfte der Schöpfung treten in gewaltsamen Widerstreit: die trockene Schwüle des Luftkreises, die unterirdischen Donner, die Nebel der übertretenden Wasser verkünden Zerstörung, der Natur genügt nicht der gewöhnliche Wechsel von Leben und Tod, und über Menschen und Thiere schwingt der Würgeengel sein flammendes Schwert.19 Die Natur ist eine feindliche Dominante, eine Instanz, die mit Tod und Vernichtung droht. Hier die Macht der Natur, da die Ohnmacht des Menschen. Die natürlichen Kräfte wollen seine mühsam errichteten Werke auslöschen. Damit stand Justus Friedrich Carl Hecker, Professor für Medizingeschichte an der Berliner Universität, nicht allein. Ein preußischer Kollege stimmte ihm uneingeschränkt bei: Die Erde ist fortwährend Veränderungen unterworfen; zu gewissen Perioden treten dieselben rascher und gewaltiger hervor und mit ihnen Einwirkungen, welche dieselben auf die Organismen ausüben. Veränderungen der Erde haben sich von jeher durch Ueberschwemmungen, Erdbeben, vulkanische Ausbrüche, durch Hervorhebungen und Versenkungen, endlich durch Seuchen kund gethan.20 Die Elemente bringen den Tod. Das Wasser wütet mit verheerenden Sturmfluten, die Erde mit Beben und feurigen Vulkanen. Die dabei ausgestoßenen Gase verderben die Luft. Luft, so hieß es weiterhin in der antiken A^totoSH-Tradition eines Hippokrates oder Galen, war das Medium, das die Seuchen bringe. An ihr hänge alles Wohl und Wehe. Mit ihr kämen die pestilenzartigen Ausdünstungen, die Miasmen, die Mensch und Tier bedrohen21. Aber spätestens seit der Renaissance gab es, konkurrierend zu dem antiken Ansatz, ein weiteres, ein neueres und moderneres Modell. Erstmals von Girolamo Fracastoro 1546 mit Rückgriff auf einige sporadisch-hypothetische und äußerst fragmentarische antike Überlieferungen formuliert, war es dezidiert soziomorph angelegt22. Es führte Seuchen auf Übertra-

19 Dr. J. F. C. Hecker, Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert. Nach den Quellen für Aerzte und Nichtaerzte bearbeitet, Berlin 1832, S. lf. 20 C. Stucke, Beitrag zur Erkenntniß der Natur und Heilung der Cholera. Nach eigenen Erfahrungen, Cöln 1832, S. 16f. 21 Vgl.: Owsei Temkin, An Historical Analysis of the Concept of Infection (1953), in: ders., The Double Face of Janus and Other Essays in the History of Medicine, Baltimore, London 1977, S. 456-471; Karl-Heinz Leven, Miasma und Metadosis - antike Vorstellungen von Ansteckung, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 11 (1992), S. 43-73; Jacques Jouanna, Air, miasme et contagion à l'époque d'Hippocrate, in: Air, miasmes et contagion. Les épidémies dans l'Antiquité et au Moyen Âge, hrsg. ν. Sylvie Bazin-Tacchella/Évelyne Samama, Langres 2001, S. 11-28. 22 Vgl.: Vivian Nutton, The Seeds of Disease: An Explanation of Contagion and Infection from the Greeks to the Renaissance, in: Medical History, 27 (1983), S. 1-34; ders., The Reception of Fracastoro's Theory of Contagion. The Seed That Fell among Thorns?, in: Osiris, 6 (1990), S. 196-234.

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gung der Krankheitsstoffe, sogenannter Kontagien, durch Menschen oder durch menschliche Artefakte zurück. Ansteckung ging damit nicht mehr zu Lasten diffuser miasmatischer Bewegungen in der Luft. Sie war eindeutiges Menschenwerk. Krieg, Handel und Verkehr würden die gefährlichen Kontagien aus nichteuropäischen Regionen „einschleppen" und durch die Lande tragen. Dieses Interpretament gewann seit der Aufklärung beständig an Attraktivität. Epidemien seien allein den Risiken menschlicher Aktivität überstellt und trügen ausschließlich sozialen Charakter. Natürliche Einflüsse rückten nur noch in die Rolle eines auszumerzenden Anlasses. Epidemien avancierten ausschließlich zu Koordinaten sozialer Verursachung und Verhütung. Sie wurden als reines Geschichtsintegral gedeutet. Das spannt sich bis zur aktuellen These eines nur durch soziale und hygienische Mißstände verursachten epidemischen Notstandes in der sogenannten „Dritten Welt" bzw. einer generellen Schwächung des menschlichen Immunsystems durch zivilisatorische Folgeschäden. Der allgemeine Fehlschluß moderner Katastrophenforschung, es gebe gar keine Afaiurkatastrophen, bloß ungenügende soziale Verhütungsprogramme 23 , findet dadurch für das Seuchenproblem nur seine Spezifikation. Sog des Sozialen: Es gibt neuerdings einen entgegengesetzten Trend. Ebenso, wie um 1830 verschiedene Deutungsmuster konkurrierten, existieren auch gegenwärtig ernstzunehmende Alternativen. Nunmehr, nach Jahrzehnten soziomorpher Dominanz und einer generellen Politisierung aller kulturellen Phänomene, gewinnen naturhaft-biologische Ansätze der Seuchenerklärung wieder an Einfluß. Als frühes Beispiel dafür ist die Abhandlung des englischen Historikers William McNeill „Seuchen machen Geschichte" von 1976 anzusehen24. Inmitten der Blütezeit politisierter Diskurse zeigte er auf umfassender Basis, wie einflußreich biologische Faktoren für soziale Veränderungen sind, weil relativ stabile Fließgleichgewichte von Menschen und Mikroben sich plötzlich in instabile verwandeln können. Das erst rufe verheerende epidemische Krankheiten mit all ihren sozialen Folgen hervor. Mittlerweile gewinnt in den Sozialwissenschaften, der Trägerinstanz jenes einstigen politisierten Diskurses, eine solche naturalistische Ausrichtung deutlich an Kraft. Der Tendenz nach läßt sich, nicht zuletzt mit Blick auf die Erfolge von Neuro- und Genphysiologie, eine allgemeine Naturalisierung der Weltbilder konstatieren. Angesichts dieser konkurrierenden Argumentationsfiguren muß, und das ist als einleitende Hauptthese anzusehen, vorerst betont werden: Jede Seuche ist Natur und Geschichte, Wechselwirkung von naturhaften und kulturellen Faktoren. Sie besitzt sui generis Doppel-

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Vgl.: Lars Clausen, Übergang und Untergang. Skizze eines makrosoziologischen Prozeßmodells der Katastrophe, in: Lars Clausen/Wolf R. Dombrowsky, Einführung in die Soziologie der Katastrophen, Bonn 1983, S. 41-79, hier: S. 43f.; Anders Wijkmann/Lloyd Timberlake, Die Rache der Schöpfung. Naturkatastrophen: Verhängnis oder Menschenwerk?, München 1986; Wolf R. Dombrowsky, Zum Teufel mit dem Bindestrich, in: Wissenschaft, Literatur, Katastrophe. Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Lars Clausen, hrsg. v. Wolf R. Dombrowsky/Ursula Pasero, Opladen 1995, S. 108-122, hier: S. 117f. Vgl.: William H. McNeill, Seuchen machen Geschichte. Geißeln der Völker (1976), München 1978.

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gestalt. Zwar gibt es größere und kleinere Epidemien auch im Tierreich. Aber soweit sie Menschen betreffen, werden sie zu einer Frage natürlicher Entstehung und kultureller Begünstigung. Diese Doppelgestalt ließ sich erstmals mit dem Bakterienmodell relativ plausibel erfassen. Natürliche Verursachung und soziale Verbreitung überkreuzten sich im Bakterium und wurden von der Bakteriologie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gleichzeitig thematisiert. Das sagt noch nichts über Richtigkeit oder Unrichtigkeit aus. Vorerst besagt es nur, daß die Bakteriologie es vermochte, die im 19. Jahrhundert parallellaufenden Linien naturhafter bzw. soziomorpher Seuchendeutung zusammenzuführen. Damit vollzog sie - so meine These - eine Fusion von bis dahin heterogenen Deutungsansätzen. Sie schuf eine beeindruckende Synthese zweier wirkmächtiger Muster, und damit erlangte sie jenen Status einer Wissenschaftsreligion, der ihre ersten Jahrzehnte so folgenreich prägte.

3. Bakteriologische Synthese Problemlösungen zeichnen sich durch ihre Plausibilität aus, geniale Lösungen durch ihre Radikalität. Sie kennzeichnet weniger der Nachdruck, mit der latent Bekanntes schließlich ans Licht gebracht wird. Statt dessen begehen sie raffinierte Regelverstöße, bringen scheinbar Unzusammenhängendes miteinander in Verbindung. Ex negativo zeigt das sich zum Beispiel darin, wie Tycho Brahe den geschlossenen aristotelischen Kosmos sprengte, in positivem Sinn etwa in der ausgeklügelten Simplizität, mit der Darwin Mensch und Tier in eine Evolutionskette stellte. Auch Robert Koch leistete eine solche Synthese von scheinbar nicht Zusammenhängendem oder sich gar Ausschließendem. Wie Louis de Broglies Wellenmechanik von 1924 bisher disparate Strömungen transformierend zusammenführte und damit eine umfassende historische Verschmelzung erbrachte, die - wie Gaston Bachelard sicher nicht ohne Überschwang konstatierte - eine Vereinigung mehrerer Jahrhunderte der Kultur implizierte 25 , war auch Kochs Bakteriologie eine solche Pioniertat. Den naturhaften Charakter von Epidemien, übergreifend stand dafür das Modell der Miasmen, und die soziale Determinante von Epidemien, ebenso übergreifend stand dafür das Modell der Kontagion, führte er in seiner Theorie der Bakterien zusammen. In seiner Lösung der Frage nach den Übertragungswegen von Epidemien trafen sich damit zwei Ströme, die im 19. Jahrhundert und in den Jahrhunderten zuvor weitgehend getrennt voneinander bestanden hatten. Von einem genialen Coup oder einer Genialität Kochs sollte man dennoch nicht sprechen. Mikrobische Krankheitserreger waren schon vor seiner Ära in einer Vielzahl gefunden, und in Frankreich hatte sich beispielsweise Louis Pasteur um sie verdient gemacht. Die Entdeckung des Choleraerregers war nur der krönende Höhepunkt einer Entwicklung, die seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts eingesetzt und mittlerweile viele Ergebnisse

25

Vgl.: Gaston Bachelard, Epistemologie (1971), Frankfurt/M. 1993, S. 217f.

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erbracht hatte 26 . Sie war kein Novum. So enthusiastisch begrüßt wurde sie aber, weil die Cholera die Krankheit war, die real wie symbolisch die Lebens- und Imaginationswelten im 19. Jahrhundert dominierte. Sie kehrte, um allein in jenem Jahrhundert zu bleiben, nach der ersten Welle 1830/32 in sechs pandemischen Wellen bis 1899 immer wieder 27 . Sie war eine reale und imaginative Leitkrankheit. Mit Blick auf Statistiken und Todeszahlen mag die praktische Relevanz der Seuche zwar geringer als allgemein vermutet gewesen sein. Aber kulturelle Gewichtungen ergeben sich jenseits statistischer Faktizität. In der kollektiven Imagination, sowohl der Öffentlichkeit als auch der Wissenschaft, avancierte die Cholera zu der zivilisatorischen Bedrohung schlechthin. In besonders intensiver Weise absorbierte sie die Aufmerksamkeit und wurde, nachdem ihr Rätsel gelöst worden war, von der Leitkrankheit Tuberkulose abgelöst. Allein von daher stand der Bazillentöter Koch plötzlich im Zentrum einer Apotheose, deren Intensität jener symbolischen Aufladung entsprach. Seine Lösung des Cholerarätsels, Synthese von naturhafter Miasmentheorie und sozial konnotierter Kontagionstheorie, verdankt sich aber keiner Ursprungsidee, keiner Initialzündung. Koch hat nicht nach ihr gesucht, sie war nicht das Ergebnis eines unerschütterlichen Vorsatzes. Sie schrieb sich der Bakterientheorie eher ein, als daß Koch sie ihr bewußt eingeschrieben hätte. Interessanterweise war es, wie heute immer noch weitgehend unbekannt ist, gar nicht Koch, der das Cholerabakterium entdeckte und damit endgültig den stürmischen öffentlichen Durchbruch der Bakteriologie veranlaßte. Bereits dreißig Jahre vor Koch kam es dazu. Als diese Entdeckung erfolgte, wurde sie ignoriert. So geschah es 1854 dem Florentiner Arzt und Anatom Filippo Pacini. In dem Jahr entdeckte, beschrieb und erklärte er nachweislich den Choleraerreger. Es handelt sich aber nicht um eine medizingeschichtliche Marginalie, um einen vergessenen Außenseiter, dem eine Zufallsentdeckung gelang oder der sich auf dem Parkett der Wissenschaften nicht nachdrücklich genug zu präsentieren vermochte. Es muß etwas anderes geschehen sein, daß Pacini, der in einer Reihe von Schriften bis Ende der siebziger Jahre sein Konzept unablässig verfocht, derart ignoriert wurde 28 .

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Vgl.: Friedrich Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien. Für Aerzte und Studirende. Erster Theil. Bis zum Jahre 1878, Leipzig 1887; Erwin H. Ackerknecht, Geschichte der Medizin, 7. überarbeitete und ergänzte Aufl. Stuttgart 1992, S. 123ff.; Roy Porter, The Greatest Benefit to Mankind. A Medical History of Humanity from Antiquity to the Past, London 1997, S. 428ff. Vgl.: R. Pollitzer, Cholera-Studies: 1. History of the Disease, in: Bulletin of the World Health Organisation, 10 (1954), S. 421-461; Patrice Bourdelais/Jean-Yves Raulot, Une Peur Bleue: Histoire du Choléra en France, Paris 1987, S. 9-37; Richard J. Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910 (1987), Reinbek 1991, S. 294ff.; Barbara Dettke, Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin, New York 1995, S. Iff. Vgl.: Norman Howard-Jones, The scientific background of the International Sanitary Conferences 1851-1938, Geneva 1975, S. 17ff.; Michael Stolberg, Die Cholera im Großherzogtum Toskana. Ängste, Deutungen und Reaktionen im Angesicht einer tödlichen Seuche, Landsberg 1995, S. 45ff.

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Warum bestand vorerst kein Bedarf nach dem bakteriologischen Modell, warum stieß es im System der Episteme auf Unverständnis? Welche anderen Modelle hatten Konjunktur und warum? Weshalb waren sie so dominant, und wieso setzte sich schließlich doch das bakterielle Modell an ihre Stelle? Das zu beantworten heißt, den kulturellen Ursprüngen der Bakteriologie, ihren Hemmnissen und Fördernissen, nachzugehen. Damit ist der Titel dieser Arbeit näher umrissen: Ursprung meint nicht den Akt der Kreation der Bakterientheorie, die nicht urplötzlich, zeitlich und örtlich lokalisierbar, entstand. Sie entwickelte sich seit den 40er Jahren allmählich und erlangte in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts eine universale Deutungsmacht. Eine Initialzündung im Sinne einer Urkreation hat es nicht gegeben. Zwar existiert, um einen Topos Mircea Eliades aufzugreifen, auch wissenschaftsgeschichtlich eine beständige „Sehnsucht nach dem Ursprung" 29 . Ein solches Verständnis von Entstehung entspringt aber nur schöpfungstheologischen Vorbildern: Parthenogenese. Hier meint Ursprung vielmehr das zeitliche Vorfeld der Karriere der Bakteriologie, die Irrungen und Wirrungen eines halben Jahrhunderts. Darüber hinaus bedeutet Ursprung den Bezug von Wissenschaftsgeschichte auf Misensgeschichte - auf eine Ebene, aus der Wissenschaft ihre Fragen und sogar das Spektrum möglicher Antworten bezieht, auf eine Ebene, von der sie geprägt oder gar geleitet wird. Das heißt: Wissenschaftsgeschichte wird hier gelesen als Form von M j s e n j g e s c h i c h t e . Damit soll versucht werden, den Ursprung wissenschaftlicher Theorien nicht aus Theorien zu erklären. Das ist der Punkt, in dem sich diese Arbeit von denen, wie sie Wissenschaftshistoriker mit ausgewiesener Kompetenz vorlegen, unterscheidet. Hier geht es nicht um Analyse des Bakterienkonzepts qua Theoriegeschichte. Vielmehr interessieren die Rahmenbezüge, die vorbereitend zu ihm hinführten. „Ursprung" meint den kulturellen Rahmen naturwissenschaftlicher Erklärungen, der nichtsdestoweniger, und zwar in entscheidender Weise, dazugehört, - ohne daß eine betreffende Kausalkette im einzelnen ausdrücklich zu rekonstruieren wäre oder rekonstruiert werden muß. Gerade davon, im Absehen von einer Wissenschaftsgeschichte im engeren Sinn, können wissenschaftsgeschichtliche Impulse ausgehen. Umrisse eines solchen Wegs scheinen sich inzwischen abzuzeichnen. Bakteriologie, Mikrobiologie und Immunologie kommen allmählich in eine Perspektive, die die Hagiographie, die bis in die sechziger und siebziger Jahre die Wissenschaftsgeschichte bestimmte, hinter sich läßt. Hervorzuheben sind einerseits institutionengeschichtliche Ansätze, wie der von Bruno Latour oder Gerald L. Geison, die zeigten, wie Louis Pasteur qua Wissenschaftspolitik seiner Theorie und seiner Schule in

29

Vgl.: Mircea Eliade, Die Sehnsucht nach dem Ursprung. Von den Quellen der Humanität (1969), Wien 1973, S. 61ff., vgl. auch: Emil Angehrn, Ursprungsmythos und Geschichtsdenken, in: Der Sinn des Historischen. Geschichtsphilosophische Debatten, hrsg. v. Herta Nagl-Docekal, Frankfurt/M. 1996, S. 305-332, bes. S. 314ff.; Johannes Bilstein, Ursprung, in: Paragrana. Zeitschrift für Historische Anthropologie, 9 (2000), H. 1, S. 46-62. Zum aufklärerischen Kontext vgl.: Hans Robert Jauss, Mythen des Anfangs. Die geheime Sehnsucht der Aufklärung, in: Macht des Mythos - Ohnmacht der Vernunft?, hrsg. v. Peter Kemper, Frankfurt/M. 1989, S. 53-77. Gegen diese „Schimäre der Ursprünge" auch: Roger Chartier, Die kulturellen Ursprünge der Französischen Revolution (1991), Frankfurt/M., New York 1995, S. 14ff.

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Frankreich zu A n s e h e n verhalf 3 0 , oder Steven Turners und Timothy Lenoirs Untersuchungen zur Geschichte des Labors im 19. Jahrhundert in Deutschland 3 1 . Andererseits zählen dazu Arbeiten, die zeigen, daß der erstaunliche Sturmlauf der Bakteriologie auf neuen Visualisierungs- und Popularisierungsstrategien beruhte. S i e sprachen g e z i e l t w i s s e n s c h a f t s p o l i t i s c h e Institutionen und die Öffentlichkeit an und begründeten damit das R e n o m m e e der Bakteriologie 3 2 . A u c h das vereinfachende Kausalitätskonzept, das die Bakteriologie bis 1 9 0 0 bzw. 1 9 1 5 / 2 0 vertrat, beförderte ihren bahnbrechenden Erfolg 3 3 . Schließlich sind durch John Andrew Mendelsohn erstmals die Wandlungen des Bakterien-

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Vgl.: Bruno Latour, The Pasteurization of France (1984), Cambridge and London 1993; Gerald L. Geison, The private science of Louis Pasteur, Princeton 1995; Wolfgang U. Eckart, Friedrich Althoff und die Medizin, in: Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System A l t h o f f ' in historischer Perspektive, hrsg. v. Bernhard vom Brocke, Hildesheim 1991, S. 3 7 5 ^ 0 4 , hier: S. 388ff.;Ilana Löwy, On Hybridizations, Networks and New Disciplines: the Pasteur Institute and the Development of Microbiology in France, in: Studies in the History and Philosophy of Science, 25 (1994), S. 655-688.

31

Vgl.: Steven Turner, The growth of professional research in Prussia, 1818 to 1848 - causes and context, in: Historical Studies in the Physical Sciences, 3 (1973), S. 137-156; ders., The Prussian Universities and the Concept of Research, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 5 (1980), S. 68-93; ders., Justus Liebig versus Prussian chemistry: Reflections on early institute-building in Germany, in: Historical Studies in Physical Sciences, 13 (1982), S. 29-162; Timothy Lenoir, Politik im Tempel der Wissenschaft. Forschung und Machtausübung im deutschen Kaiserreich, Frankfurt/M., New York 1992; ders., Laboratories, medicine and public life in Germany, 1830-1849: ideological roots of the institutional revolution, in: The laboratory revolution in Medicine, ed. by Andrew Cunningham/Perry Williams, Cambridge 1992, S. 14-71.

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Vgl.: Christoph Gradmann, „Auf Collegen, zum fröhlichen Krieg". Popularisierte Bakteriologie im Wilhelminischen Zeitalter, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 13 (1995), S. 35-51; ders., Bazillen, Krankheit und Krieg. Bakteriologie und politische Sprache im deutschen Kaiserreich, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 19 (1996), S. 81-94; Thomas Schlich, „Wichtiger als der Gegenstand selbst" - Die Bedeutung des fotografischen Bildes in der bakteriologischen Krankheitsauffassung durch Robert Koch, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, hrsg. v. Martin Dinges/Thomas Schlich, Stuttgart 1995, S. 143-174; ders., Repräsentationen von Krankheitserregern. Wie Robert Koch Bakterien als Krankheitserreger dargestellt hat, in: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, hrsg. v. Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner/ Bettina Wahrig-Schmidt, Berlin 1997, S. 165-190; vgl. auch: Bettina Wahrig-Schmidt, Das „geistige Auge" des Beobachters und die Bewegungen der vorherrschenden Gedankendinge. Beobachtungen an Beobachtungen von Zellen in Bewegung zwischen 1860 und 1885, in: Objekte, Differenzen und Konjunkturen. Experimentalanalyse im historischen Kontext, hrsg. v. HansJörg Rheinberger/Bettina Wahrig-Schmidt, Berlin 1994, S. 23^47.

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Vgl.: Thomas Schlich, Die Konstruktion der notwendigen Krankheitsursache: Wie die Medizin Krankheit beherrschen will, in: Anatomien medizinischen Wissens. Medizin, Macht, Moleküle, hrsg. v. Cornelius Borck, Frankfurt/M. 1996, S. 201-229; Strategien der Kausalität. Konzepte der Krankheitsverursachung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Christoph Gradmann/Thomas Schlich, Pfaffenweiler 1999.

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konzepts bei Koch selbst untersucht worden, wobei vor allem am Beispiel der Theorie sogenannter „Keimträger" der Hintergrund politischer und militärischer Verflechtungen aufgehellt wurde?4. Der „Bakteriozismus", wie ich es hier als Phänomen von Theorie-, Geltungsund Wirkungsgeschichte nennen möchte, kommt in die Diskussion. Das fordert dazu heraus, sich genauer seinem Vorfeld und seinen Ursprüngen zuzuwenden.

4. Wissensgeschichte und Wissenschaftsgeschichte Die Grundthese der Arbeit ist zu wiederholen: Kochs Bakteriologie und Pasteurs Mikrobiologie gewannen so umfassende Überzeugungskraft und hatten so folgenreiche Wirkungen, weil im Bakterienmodell naturale und soziale Determinanten, die vorher in der Regel nebeneinanderliefen oder einander ausschlossen, synthetisiert wurden. Sie wurden plausibel zusammengeführt. Das jedoch war kein rein wissenschaftsinterner Vorgang. Diese Synthese ist nicht losgelöst von kulturellen Rahmenbedingungen zu verstehen: Wissenschaftsgeschichte ist Mrcensgeschichte. Was aber wäre Wissen? Allein der Streit um den Status von „Wissenschaft" ist bekanntlich kompliziert genug. Verschiedene Definitionen und Konzepte ringen miteinander. Auch die Frage nach dem Status von Wissen definitiv beantworten zu wollen, wäre vermessen. Ein Versuch einer ersten orientierenden Eingrenzung ist dennoch erforderlich. Vorab: Wissen meint keine Ansammlung von Kenntnissen, kein fixes, abrufbereites Arsenal für Problemlösungen. Es bedeutet, allgemein gesagt, das Geflecht von religiösen, weltanschaulichen, politischen oder technischen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern, das das Leben und Uberleben von Menschen gewährt. Wissen ist ein Sinnintegral. Es umschließt einen jeweils historischspezifischen Komplex von Leitlinien und Orientierungen - und das relativ verbindlich. Wissen ist zwar so komplex und differenziert, wie menschliche Gesellschaften es sind. Insofern ist es unangebracht, von Wissen im Singular zu reden. Aber so, wie Gesellschaften ihre zentralisierenden Institutionen aufweisen, gibt es, wie mit Bezug auf mittlerweile klassische wissenssoziologische Arbeiten etwa Alfred Schütz' und Thomas Luckmanns unterstellt werden kann, auch im Wissen bestimmte, für bestimmte Phasen oder Epochen gültige, und damit historisch-veränderliche, Zentralbestände 35 . Man könnte sie einerseits mit der Kennmarke „Diskurs" bezeichnen, wenn das nicht gerade als Einheit unterstellen würde, was hier geschieden werden soll: nämlich Wissenschaft und Wissen. Im Sinne Michel Foucaults wäre Diskurs gerade die Einheit, die beiden als

34 Vgl.: John Andrew Mendelsohn, Cultures of Bacteriology. Formation and Transformation of a Science in France and Germany, 1870-1914, Phil. Diss. Princeton 1996, S. 557ff.; vgl. auch: Friedhelm Hollatz, Die Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands (1903-1918) im Spiegel dreier medizinischer Wochenschriften, Med. Diss. Berlin 1969. 35 Vgl.: Peter L. Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt/M. 1969; Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, 2 Bde., Frankfurt/M. 1975.

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Bedingung ihrer Möglichkeit vorhergeht und sich nicht analytisch zerlegen läßt36. Andererseits könnte man die Phänomene von Wissen, wie ich sie verstehe, in mancher Hinsicht mit dem Begriff von „Mentalitäten" kennzeichnen. Jedoch möchte ich angesichts der Attraktivität und der damit verbundenen inhaltlichen Ausweitung, die dieser nutzbringende Begriff in den letzten Jahren gewonnen hat, mit einer möglichst präzisen Fassung arbeiten. Im Einklang mit anderen Autoren gehe ich davon aus, daß Mentalitätenforschung vorrangig das Hervorgehen der nachchristlichen, modernen Welt aus der Sphäre des Mittelalters untersucht. Sie widmet sich der Frage, in welcher Weise die moderne Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kunst - kurzum das, was man als „moderne Kultur" bezeichnet - in bestimmter Hinsicht vormodernen Praktiken und Mentalitäten verpflichtet sind37. Die grundsätzliche Wertbezogenheit von Wissensbeständen ließe sich mentalitätengeschichtlich also angemessen erfassen. Aber sie allein auf christliche Bezüge zurückzuführen, läßt, zumal wenn man den Horizont des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart überschreitet, wesentliche Konstellationen außer acht. Deshalb „Wissensgeschichte". Die Konzentration auf Wissensgeschichte zeigt: Das, was Wissenschaftsgeschichte früher vorrangig als Einfluß von Religion, Ideologie und Weltanschauungen analysierte und im Sinne äußerer, störender Faktoren und Einflüsse zu bannen versuchte, wird hier gerade als Bedingung bzw. integraler Bestandteil von Wissenschaft selbst verstanden. Wissenschaft ist nur eine besondere Filiation von Wissen, nicht einmal eine autonome. Natürlich widersprechen dem die Bekundungen der Akteure des späten 18. und vor allem des 19. Jahrhunderts, die auf das fragwürdige Ideal von Objektivität pochten. Auf ihm ruht das Gebäude von Wissenschaftsgeschichtsschreibung im wesentlichen noch heute. Vielleicht läßt sich aber gerade hier das Mißverständnis ausmachen, und die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und anderen vorhandenen Wissensformen erschiene dann in verändertem Licht. So wäre zu fragen, ob sich die ganze langanhaltende internalexternal-Debatte der Wissenschaftstheorie nicht um das irreführende proklamierte Selbstverständnis der neuzeitlichen Wissenschaft als autonomer und autarker Instanz rankte und somit auf mißverständlichen Prämissen fußt 38 . Tatsächlich - Wissenschaften lösten sich aus dem klerikal-christlich fundierten Universitätsbetrieb, aber nur, um in höfischen Akademien den ökonomischen und militärischen Interessen absolutistischen Machtausbaus zu dienen. Ein Herrenwechsel könnte man meinen - von der Dienerin der Kirche und Theologie zur Dienerin absolutistischer Macht. Das Bild eines Herrenwechsels ließe sich aufrechterhalten, wenn es eine Trennung von Wissenschaft

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Vgl.: Michel Foucault, Archäologie des Wissens (1969), Frankfurt/M. 1973. Zu Foucaults Diskurs-Begriff vgl. die ausgezeichnete Analyse in: Dietrich Busse, Historische Semantik. Analyse eines Programms, Stuttgart 1987, S. 221ff. Vgl.: Olaf Briese, Die Macht der Metaphern, S. 14f.; Ulrich Raulff, Vorwort, in: MentalitätenGeschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse, hrsg. v. Ulrich Raulff, Berlin 1987, S. 7-17, hier: S. 14. Vgl. zu dieser Debatte: Steven Shapin, Discipline and bounding: The history and sociology of science as seen through the externalism-internalism debate, in: History of Science, 30 (1992), S. 333-369.

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und den Institutionen ihrer Verwirklichung überhaupt gäbe. Wissenschaft war nie etwas anderes als die Art und Weise, wie sie sich institutionell realisierte und so zu Entwürfen und Erkenntnissen kam. Insofern hat es eine wertfreie, den reinen überzeitlichen Prinzipen der Vernunft verpflichtete Wissenschaft in der Neuzeit nicht gegeben. Das Vernunftideal selbst war Ausdruck von gesellschaftlichen Interessen, nämlich von Wissenschaften selbst, und Wissenschaft damit nicht zuletzt die „Institutionalisierung einer sozialen Rolle" 39 . Vernunft, reine Vernunft, gerne den Befleckungen jedweder Art historischer Limitation entrückt, ist keine überzeitliche Kategorie. Auch Wahrheit, so ließe sich die Problemlage zuspitzen, ist keine Kategorie reiner und autonomer Erkenntnis. Sie ist ein dezidiert soziales Phänomen: „Social History of Truth" (Shapin 40 ). Der Begriff Vernunft und das Projekt, für das er steht, sind selbst in der Geste, ihre Autonomie zu proklamieren, genuin in Interessegeflechten verwurzelt. Von daher erweist sich das, was als äußere - als religiöse, ideologische, institutionelle, kurzum kulturelle - Beeinträchtigung erscheint, nicht als störender Rahmen. Sie ist treibende Kraft von Erkenntniserwerb. Wissenschaft ist nicht lediglich kulturellen Einflüssen ausgesetzt, sondern ist selbst Kultur. Unumgänglich stellt sich die Frage, ob kulturelle Deutungsmuster und Wissenstypen nicht nur nicht wissenschaftliche Entwürfe prägen, sondern umgekehrt von ihnen geprägt sind. Ist das, was in Wissenformationen als Leitbild dient, nicht Ergebnis wissenschaftlichen Herangehens? Die Antwort läßt sich an einem Beispielfall nicht finden. Eher wären grundsätzliche Aussagen über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft überhaupt zu treffen: Die Rolle von Wissenschaft für den neuzeitlichen Innovationsschwung ist grundsätzlich überschätzt worden. Nicht die Wissenschaften an sich, sondern Staat und Militär waren die treibenden und entscheidenden Modernisierungsinstanzen (das wird nur der nicht verstehen, der Modernisierung unzulässig mit Liberalisierung gleichsetzt). Der absolutistische Staat begann sich von den christlichen Instanzen zu emanzipieren bzw. sie zu instrumentalisieren, und er bediente sich der Wissenschaften geradezu als Speerspitze. Hatte Max Weber in seinen Arbeiten um die Jahrhundertwende noch den Urprung des Kapitalismus aus dem protestantischen Christentum, seinen Askese- und Disziplinvorstellungen nachzuweisen versucht, so setzte beispielsweise Robert Merton 1938 diese Debatte auf bemerkenswerte Weise fort: Das puritanische Milieu schuf den Rahmen, in dem der Staat für ökonomische und militärische Zwecke Wissenschaft und Technologie entscheidend förderte 41 . Allein die Beispiele absolutistischer Gönner sind Legende: Friedrich II. von Dänemark für Tycho Brahe, Rudolf II. von Habsburg für Johannes Kepler, die Florentiner

39 Wolfgang van den Daele, Die soziale Konstruktion der Wissenschaft. Institutionalisierung und Definition der positiven Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Gernot Böhme/Wolfgang van den Daele/Gerhard Krohn, Experimentelle Philosophie. Ursprünge autonomer Wissenschaftsentwicklung, Frankfurt/M. 1977, S. 129-182, hier: S. 133. 40 Vgl.: Steven Shapin, A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth-Century England, Chicago 1994. 41 Robert K. Merton, Science, Technology and Society in Seventeenth Century England (1938), New York 1970.

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Medici für Galileo Galilei, Christine von Schweden für René Descartes, Katharina II. von Rußland für Denis Diderot, Friedrich II. von Preußen für Jean Lerond d'Alembert. Francis Bacon schließlich war Berater am Elisabethanischen Hof und wirkte selbst als Lordkanzler. Seine Macht- und Wissenschaftsutopie hatte er in „Neu-Atlantis" von 1627 niedergelegt. Die am „Haus Salomons" angestellten Wissenschaftler sind ausdrücklich den machtpolitischen Betrebungen der Inselmonarchie Bensalem dienstbar. In die Tat umgesetzt wurde sein emanzipatives Programm alsbald durch zahlreiche Akademiegründungen (London 1662, Paris 1666, Berlin 1700). Sie lebten von staatlicher Förderung und standen den kirchlich beeinflußten Universitäten entgegen bzw. entzogen sich ihnen, ehe mit dem Ende des Absolutismus das der Akademien eingeläutet wurde42. Nicht die Wissenschaften an sich blühten auf und prägten dadurch den Weg der Moderne. Sie gediehen unter staatlich-absolutistischer Obhut. Keineswegs waren sie nur einem abstrakten Vernunftideal verpflichtet. Ob sie es wollten oder nicht, sie dienten einer konkreten Handlungsvernunft: „theoria cum praxis", das Motto, mit dem Leibniz seine vielfältigen Akademieprojekte vorantrieb.

5. Historiographisches Dilemma Was war? Diese Hauptfrage historischer Arbeiten scheint unter der Hand immer mehr zu verschwinden. Der naive Realismus, der, gestützt auf einen naiven Erkenntnis- wie Wirklichkeitsbegriff, solche Frage überhaupt zu stellen vermochte, kommt allmählich abhanden. Historische Wahrheit ist zu einer zweifelhaften Größe geworden. Die Suche nach dem „tatsächlich Geschehenen" arbeitet sich hermeneutisch durch symbolische Präsentationen hindurch, kämpft sich rezeptionsgeschichtlich an Überlieferungsschichten ab und steht sich, mit Reflexion der Standort- und Perspektivgebundenheit der eigenen Wahrnehmungen und Deutungen, relativistisch selbst im Weg. Epidemien - naturhaft oder sozial? Es besteht, wenn nicht das Dilemma, so doch die komplizierte Alternativsituation, Präferenzen zu setzen. Nur dann sind in historischer Arbeit die Präferenzen der Zeitvertreter zu dechiffrieren. Damit überkreuzen sich die unsicheren Gegenwartsdeutungen und die ebenso unsicheren der betreffenden Epoche. Einen unmittelbaren Zugang zur Historie - man denke nur an die grundsätzliche, mittlerweile klassische Verabschiedung Michel de Certeaus in „Das Schreiben der Geschichte"43 - gibt es nicht. Soziale Konstruktion von Wirklichkeit führt, konsequent gedacht, in eine ausweglose Aporie. Sogenannter objektiver Erkenntnis stellen sich Hindernisse um Hindernisse in den

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Vgl.: Karl-Georg Faber, Zum Verhältnis von Absolutismus und Wissenschaft, Wiesbaden 1983; John Gascoigne, The Royal Society and the emergence of science as an instrument of state policy, in: British Journal for the History of Science, 32 (1999), S. 171-184. Vgl.: Michel de Certeau, Das Schreiben der Geschichte (1975), Frankfurt/M., New York 1991, vgl. jetzt: Auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit. Zum Grundlagenstreit in der Geschichtswissenschaft, hrsg. v. Rainer Maria Kiesow/Dieter Simon, Frankfurt/M., New York 2000.

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Weg. Was können wir wissen, und wie können wir wissen, was wir wissen? Als ausweglos muß diese Aporie aber nur erscheinen, wenn das Ideal objektiver Erkenntnis nicht endlich aufgegeben wird. Es ist Teil des Problems, das es zu lösen vorgibt. Erkenntnis, auch ihre historische Analyse und kritische Metaanalyse, bewegt sich immer in konstruktiven Zirkeln. Sie können dennoch immer fundierte Erkenntnisse und Wahrheiten sein. Deren Gehalt oder Wahrheitsgehalt liegt gerade in ihrer nachvollziehbaren, konventionalen, an bestimmte Praktiken gebundenen Konstruktivität. Wissenschaftliche Objektivität ist eine Proklamation des 19. Jahrhunderts 44 . Und Wahrheit, das wäre anzufügen, ist den substantialistischen Hypertrophierungen zu entkleiden, die ihr immer noch anhaften: Irren wir uns voran. Das mag paradox klingen. Paradox? Mit der Überzeugung, dem Kern der Angelegenheit damit vielleicht näher zu kommen, soll deshalb hier leicht enerviert bekräftigt werden: Hoffentlich ist es das. Mit offenbar gar nicht mehr selbstverständlichem Mut zu Positionierung sei deshalb behauptet: Wissenschaft ist immer eine Filiation von gesellschaftlichem Wissen. In bezug auf die Bakteriologie, mit besonderer Berücksichtigung der Cholera, zeigt sich: In ihr trafen sich zwei einflußreiche Wissens- bzw. Wissenschaftsstränge des 19. Jahrhunderts. Sie brachte zwei kulturell verankerte, an sich getrennte Deutungsmuster zusammen. Von daher ihre szientifische Karriere, und von daher ihr bahnbrechender Erfolg weit über den Kreis wissenschaftlicher Debatten hinaus. Hic Rhodus: Die Gliederung der Arbeit trägt beiden Strömen und ihrer schließlichen Synthese Rechnung. Das einleitende Kapitel nähert sich der sozial-naturhaften Zwiegestalt der Seuche im Rahmen einer Metapherngeschichte: Mensch- oder Tierwesen. Geknüpft an diese Amphibolie, zeigt es ein breites Spektrum von Deutungs- und Wahrnehmungsweisen, desgleichen das zweite Kapitel. Analog zur Vielzahl medizinischer Erklärungsmuster der Cholera behandelt es in einem ersten, panoramaartigen Teil grundlegende, oftmals einander widersprechende Therapieansätze. Daran anschließend verdeutlicht es, wie im seit der Renaissance aufgekommenen Kampf zwischen traditionsbezogenen Miasmatikern und neuerungsbereiten Kontagionisten letztere um 1830 vorübergehend schon die Oberhand gewonnen hatten. Ihr „modernes" Modell der Seuchenenausbreitung konzentrierte sich auf soziale Verursachung und Übertragung. Handel, Verkehr und eine gewachsene Mobilität seien der Motor von Epidemien. Hier habe die Prävention mittels effektiver Gesetzgebung und Sozialkontrolle, mittels eines drakonischen Grenzregimes und wirkungsvoller Restriktionen des Sozialorganismus anzusetzen. Mit dem Blick vor allem auf Preußen wird gezeigt, wie dieses Modell anläßlich der Cholera 1831/32 scheiterte. Das bewirkte die letztmalige Karriere „vormoderner" und naturaler, d.h. miasmatischer, Seuchenmodelle. Sie waren im

44 Zum Unterschied von Wahrheit und Objektivität vgl.: Lorraine Daston, Objektivität und die Flucht aus der Perspektive (1992), in: dies., Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität, Frankfurt/M. 2001, S. 127-155; dies., Die Kultur der wissenschaftlichen Objektivität, in: Naturwissenschaft, Geisteswissenschaft, Kulturwissenschaft: Einheit - Gegensatz - Komplementarität, hrsg. v. Otto Gerhard Oexle, Göttingen 1998, S. 11-39; dies., Objectivity versus Truth, in: Wissenschaft als kulturelle Praxis, 1750-1900, hrsg. v. Hans Erich Bödeker/Peter Hanns Reill/Jürgen Schlumbohm, Göttingen 1999, S. 17-32.

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Angst in den Zeiten der Cholera

Grunde nur noch ein Anachronismus. Der Zug der Zeit bestand darin, auch das Seuchengeschehen in soziomorphe Deutungs- und Handlungsschemata zu integrieren. Kapitel drei und vier behandeln diesen neuen wirkmächtigen soziomorphen Trend am Beispiel von Politik und Militär. Seit der frühen Neuzeit übten politische und militärische Insitutionen zunehmend Macht im Feld der Epidemieerklärung und Prävention aus. Sie schufen einen neuen, sozialzentrierten Wissenstyp. Die Medizin, in diesem institutionellen Konkurrenzkampf lange Zeit der Statthalter „naturaler" Seuchenmodelle, beugte sich ihm nur widerstrebend. Da ihr miasmatisch-naturales Programm nach 1831/32 sogar vorübergehend wieder erstarkte, kam es im Verlauf der nächsten Jahrzehnte zu wechselnden Konstellationen, die mitunter einer Art von Patt glichen. Hier alter „naturaler" Wissenstyp, dort neuer „sozialer" Wissenstyp, die mitunter gar nicht scharf voneinander zu scheiden waren und sogar verschiedene vorübergehende Synthesen eingingen - eine Pattsituation, die durch die Bakteriologie Ende des 19. Jahrhunderts beseitigt wurde. Wie das fünfte Kapitel zeigt, vereinte das, was ich bakteriologische Synthese nenne, medizinische Ambitionen und die Suche nach naturalen Seuchenursachen bzw. -transmissionen mit den sozialen Kontroll-, Regulierungs- und Disziplinierungsansprüchen kolonialer und kapitalistischer Imperialstaaten. Dem Gegensatz Miasmatiker versus Kontagionisten mit seinen wechselnden Konturen und Kooperationsversuchen wurde der Boden entzogen. Naturale und soziale Deutungs- und Handlungshorizonte wurden in einer tragfähigen und beweglichen Synthese vereint. Das war die - in dieser Hinsicht revolutionäre - Leistung Robert Kochs. Er offerierte in seiner Art der Bakteriologie ein unitares Seuchenmodell, das zwei im 19. Jahrhundert getrennte Wissensströme zusammenführte. Es avancierte unter den Bedingungen des Kaiserreichs als „Bakteriozismus" vorübergehend und trotz aller Widerstände sogar zu einer integrierenden Wissenschafts- bzw. Sozialreligion. In ihrer Art der Präsentation versucht diese Abhandlung, jener vereinheitlichenden Lösung Rechnung zu tragen. Die anfänglich nötige facettenhafte Berücksichtigung extrem heterogener Ansätze wird nach und nach aufgegeben zugunsten einer zunehmenden homogenen Fokussierung: Koch führte in seiner Art der Bakteriologie zwei bislang widerstreitende Wissenstypen zusammen. Er, so schien es, hatte das das ganze Jahrhundert bedrängende Cholerarätsel gelöst. Er avancierte zum Apostel des neuen, weltweit missionierenden Evangeliums der Bakterien. Er war der Statthalter eines neuen allumfassenden flexiblen Seuchenmodells, das Schutz in allen elementaren Bedrängnissen des Lebens versprach.

1. Die Fratze der Feindin

Es ist hinlänglich bekannt, wie ein Dichter, der schon damals als unübertroffener Klassiker galt, sich Krankheiten und Tod zu entziehen wußte - wie Johann Wolfgang von Goethe sich Beerdigungen und Kondolenzen entwandt, Friedhöfe mied, wie er ungeschminkte Ausdrükke wie Sterben und Tod ungern benutzte. Noch die ästhetischen Verklärungen, die seinen Tod umrankten, waren dieser Strategie verpflichtet 1 . Auch in der Zeit, als die Cholera erstmals in ganz Europa auftrat, hielt Goethe sich daran. Er hatte zum Beispiel beschlossen, Pressenachrichten nicht zur Kenntnis zu nehmen 2 . Seine Verehrer sahen sich gehalten, Gespräche nicht lange bei traurigen und trübseligen Ereignissen verweilen zu lassen. Man vermied wohlweislich, ihn mit Unheilsnachrichten über politische Unruhen, Cholera und Tod zu belästigen 3 . Diese Abwehrstrategie fruchtete nicht. Zu groß war die Angst, die die Seuche auslöste. Ohne, daß sie Weimar überhaupt erreichte, war die Stadt von Hysterie angesteckt: „bey Gelegenheit der Choleraanstalten aufgeregte Widerwärtigkeiten überwältigten fast das ganze Tischgespräch" 4 . Goethe reagierte auf seine Weise. Einerseits ließ er sich von medizinischen und wissenschaftlichen Autoritäten, die er für glaubhaft ansah, ausführlich über das Wesen der Epidemie unterrichten. Er schlüpfte in die Rolle des lernenden Wissenden, gar die des Wissenschaftlers, übte sich in einem Ritus der Distanzierung. Andererseits versuchte er, das Gespräch, zumindest das briefliche, zu lenken. Hinweise auf die Cholera nahm er auf, lancierte sie, gab sie weiter und versuchte, den Kodex zu bestimmen, wie mit dem Übel

1 Vgl.: Carl Schüddekopf, Goethes Tod. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen, Leipzig 1907; Max Hecker, Goethes Tod und Bestattung. Neue Urkunden, in: Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft, 14 (1928), S. 208-229; Franz Rademacher, Goethes letztes Bildnis. Mit einem Faksimile in Lichtdruck und 12 Kunstdrucktafeln, Krefeld 1949. 2 Johann Wolfgang von Goethe an Karl Friedrich Zelter, 5. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1796 bis 1832, hrsg. v. Friedrich Wilhelm Riemer, Bd. 6, Berlin 1834, S. 307. 3 Vgl.: Frédéric Soret, Notice sur Goethe, in: Zehn Jahre bei Goethe. Erinnerungen an Weimars klassische Zeit. Aus Sorets handschriftlichem Nachlaß, seinen Tagebüchern und seinem Briefwechsel [...], hrsg. v. H. H. Houben, Leipzig 1929, S. 578. 4 Johann Wolfgang von Goethe, Tagebucheintrag, 4. Februar 1832, in: Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Weimar 1887ff., Abt. III, Bd. 13, S. 215.

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Die Fratze der Feindin

umzugehen sei. Er schuf bestimmte Sprachregelungen, bediente sich im rhetorischen Arsenal mittelalterlicher Legenden, dem von Märchen, Spuk- und Schauergeschichten - als ob der Zauber plötzlich, wie im Märchen, bald ein Ende habe. Er schrieb vom „hereindringenden unsichtbaren Ungeheuer" 5 , sah ein „unsichtbares, ungeheures Gespenst" 6 . Seine Briefpartner schienen diese Diktion gewissenhaft aufzunehmen und geradezu einen rhetorischen Pakt zu schmieden. Adele Schopenhauer, der Goethe eine „asiatische Hyäne" annoncierte, erkannte eine „Hydra", Karl Friedrich Zelter einen ,,Drache[n]" 7 . Auch wenn das nicht gerade Euphemismen waren, trugen sie, als gleichnishafte Wendungen, dennoch einen bannenden Charakter. Sie waren eine Art rhetorische Figur der concessitr. Anspruch in Form des Zurückweichens. Das Nahen der bedrohlichen Macht diente Goethe unter der Hand dazu, einen Selbsterhaltungsanspruch zu befestigen. Concessio war simulado: Das Eingeständnis täuschte Realitätsbewußtsein vor, erkannte die Gefahr an. Es mündete jedoch in die unausgesprochene conclusio, sich sicher zu wähnen. Die Bedrohung wurde namhaft gemacht, aber in das Märchenland der Mythen, Fabeln und Monstren verwiesen. Für Goethe und seine Kreise war das eine Angstbannungsstrategie. Ungeheuer, Gespenster und Monstren mögen die ungebildeten Massen verwirren und ängstigen. Für ihn aber waren sie erdichtete Fabelwesen, Zitate aus dem klassischen Bildungsschatz antiker Mythen, germanischer Epen und mittelalterlicher Heiligenlegenden.

1.1. Das Mysterium der Namen a) Misere der Namenlosigkeit Der Topos des „namenlosen Entsetzens" enthält einen bemerkenswerten Kern. Entsetzen, dessen Anlaß sich nicht benennen läßt, ist die höchste Form von Bedrohung. Es wird dadurch geschürt, etwas, das nicht einmal ein Etwas ist, nicht benennen zu können. Kein Ziel, das ausgemacht werden kann, keine Energie, die zu aktivieren wäre. Fassungslos sieht man sich umstellt, ohne eigentlich zu wissen, wovon: „Misere der Namenlosigkeit" 8 . Sich in der

5 Johann Wolfgang von Goethe an Felix Mendelssohn Bartholdy, 9. September 1831, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 68. 6 Johann Wolfgang von Goethe an Johann Friedrich Rochlitz, 11. September 1831, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 71. Vgl. auch: Johann Wolfgang von Goethe an Kaspar von Sternberg, 15. März 1832, in: Ausgewählte Werke des Grafen Kaspar von Sternberg, Bd. 1, hrsg. v. August Sauer, Prag 1902, S. 231. 7 Johann Wolfgang von Goethe an Adele Schopenhauer, 19. September 1831, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 87; Adele Schopenhauer an Johann Wolfgang von Goethe, 22. November 1831, in: Anna Brandes, Adele Schopenhauer in den geistigen Beziehungen zu ihrer Zeit. Inauguraldissertation, Frankfurt/M. 1930, S. 93; Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 29. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 331. 8 Hans Blumenberg, Die Welt hat keinen Namen, in: ders., Ein mögliches Selbstverständnis. Aus dem Nachlaß, Stuttgart 1997, S. 46-58, hier: S. 46.

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Welt zu orientieren, heißt, sich in begriffsähnlichen Mustern, Symbolen und Zeichen zu orientieren: „Einbrechen des Namens in das Chaos des Unbenannten"9. Erkennen zu können, bedeutet Namen zu geben. Phänomene werden geordnet, elementare Strukturen geschaffen, Menschen können Position beziehen. Das Benennen erlaubt minimale Selbstbehauptung. Es gewährt einerseits defensive Abwehr, andererseits eröffnet es einen offensiven Zugriff. Namen üben Macht über das Bezeichnete aus10. Ihre magischen Qualitäten liegen scheinbar auf der Hand. Was aber sind magische Qualitäten? Sie schreiben sich von einer archaischen Weltanschauung her, in der Dinge und Benennungen noch nicht voneinander geschieden sind. Objekte und ihre Namen sind nicht ausdifferenziert, sie gehören anscheinend zwingend zusammen. Namen erscheinen als ihre ureigenen Wesensmerkmale. Sie sind ihnen zu eigen. Deswegen können Menschen über Namen an ihnen selbst teilhaben, über sie verfügen. Noch nach der kulturellen Karriere des Schriftalphabets in der griechischen Antike dienten Schriftzeichen nur als Folie eines grundsätzlich lauten Lesens. Schrift war damit vorerst passiver Bote. Sie war Medium - nicht etwa der skriptorischen Fähigkeiten des Subjekts, vielmehr sogenannter sprechender Objekte, die sich in Sprache, Namen, Worten und schließlich in Schrift artikulierten bzw. inkarnierten und darin ihr Medium fanden". Namen sind Sachen, und Sachen sind Namen. Insofern sind Namen ein Mysterium, ebenso wie Dinge, ebenso wie ihre Einheit12. Das ist für die, die von dieser Korrespondenz ausgeschlossen sind, zweifellos Magie - eine Form von Teilhabe, die einen Kosmos regieren kann, indem sie Namen gebietet. Für diejenigen, die innerhalb dieses Entsprechungszusammenhangs stehen, ist das keinesfalls Magie, sondern schlichtweg selbstverständlich: Am Anfang war das Wort.

b) Menetekel der Namensgebung Gibt es nicht nur, wie oben erwähnt, eine Misere der Namenlosigkeit, vielmehr auch eine Misere der Namensäußerung? Wie verhält es sich mit dem Phänomen des Namensverbots? Der Bereich magischer Bedeutung wird mit ihm keineswegs überschritten. Es verkehren

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Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt/M. 1979, S. 40ff. Vgl.: Wolfgang Lauer, Der Name. Beiträge zur allgemeinen Namenskunde und ihrer Grundlegung, Heidelberg 1989, S. 150f.; Rainer Wimmer, Eigennamen im Rahmen einer allgemeinen Sprach- und Zeichentheorie, in: Namensforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, hrsg. v. Ernst Eichler u.a., Bd. 1, Berlin, New York 1995, S. 372-379, hier: S. 373; Tilo Schabert, Einführung, in: Die Macht des Wortes, hrsg. v. Tilo Schabert/Rémi Brague, München 1996, S. 13-22. Vgl.: Jesper Svenbro, Archaisches und klassisches Griechenland: Die Erfindung des stillen Lesens, in: Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm, hrsg. v. Roger Chartier/ Guglielmo Cavallo, Frankfurt/M., New York, Paris 1999, S. 59-96. Vgl.: Kurt Goldammer, Die Formenwelt des Religiösen. Grundriss der systematischen Religionswissenschaft, Stuttgart 1960, S. 233; Ernst Cassirer, Sprache und Mythos. Ein Beitrag zum Problem der Götternamen (1925), in: ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1959, S. 71-167; Bronislaw Malinowski, Eine ethnographische Theorie des magischen Worts (1935), in: ders., Schriften in vier Bänden, Bd. 4/2, Frankfurt/M. 1986, S. 169-182.

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Die Fratze der Feindin

sich nur die Prämissen: Negative Magie. Der Topos mag ungewöhnlich erscheinen. Aber immerhin gibt es auch innerhalb des Judentums und des Christentums negative Theologien, die Namensgebungen ausdrücklich ablehnen: Namensverbotn. Es ist die entschiedene Kehrseite des Namensgeèois. Eine provisorische Mangelerscheinung, ein optimistischer Überschuß oder ein pessimistischer? Im Grunde ist es beides zugleich. Einerseits begibt sich der Mensch rhetorisch auf die Stufe der Demut. Im Modus negativer Theologie erkennt er die Macht, Einzigartigkeit und Überweltlichkeit Gottes an, der die menschliche Sprache in keinem Fall einen Ausdruck zu geben vermag. Andererseits gibt diese abgezwungene Erniedrigung aber auch zu erkennen, daß es sehr wohl möglich schiene, das unbegreifliche Ein und Alles mit Namen anzurufen und zu umfassen. Warum sonst sollte es ausdrücklich verboten werden? Negative Theologie bedeutet einen abgezwungenen oder einen freiwilligen Verzicht. In jedem Fall ist es eine Geste menschlicher Souveränität. Gleiches gilt für negative Magie und für das magische Namensverbot: Tabu. Es ist ein ebenso vielsagendes Als-ob: Rhetorik des Schweigens14. Frühneuzeitliche Pestverordnungen bevorzugten umschreibende Periphrasen und mieden den Namen Pest auffällig15. Zwar wiesen Namen im neuzeitlichen Europa möglicherweise nicht mehr die Qualitäten auf wie in archaischen Gesellschaften. Von säkularisierten magischen Momenten läßt sich dennoch sprechen. Sie schreiben sich nicht zuletzt von der volksmedizinischen Praxis her, mit dem Namen das bedrohliche Benannte selbst anzurufen16. Sie erlebte, wie viele andere volksmedizinisch-magische Praktiken auch - Pulver, Amulette, Nahrungsvorschriften, Wundertropfen - gerade in den Cholera-Wirren eine Renaissance. Wo die offiziell sanktionierten Strategien und Taktiken versagten, gewannen bewährte Traditionsbestände wieder an Einfluß. Vor diesem Hintergrund wird der krampfhafte Verweigerungszwang - „ich nenne nie den Krankheitsnahmen", „ich wagte nicht den Namen auszusprechen", „das Wort Cholera wagte

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Vgl.: Hella Theill-Wunder, Die archaische Verborgenheit. Die philosophischen Wurzeln der negativen Theologie, München 1970; Willi Oelmiiller, Negative Theologie heute. Die Lage der Menschen vor Gott, München 1999, S. 127ff. Zur poetischen Praxis der negativen Theologie von Goethe bis Celan vgl.: Reimar Zons, Beredtes Schweigen, in: Ruinen des Denkens, hrsg. v. Norbert Bolz/Wilhelm van Reijen, Frankfurt/M. 1996, S. 147-173. Zu vielfältigen Facetten des Schweigens, einschließlich Redeverboten und Schweigegeboten, vgl.: Christiaan L. Hart Nibbrig, Rhetorik des Schweigens. Versuch über den Schatten literarischer Rede, Frankfurt/M. 1981; Christoph Wulf, Präsenz des Schweigens, in: Schweigen. Grenze und Unterbrechung der menschlichen Wirklichkeit, hrsg. v. Christoph Wulf/Dietmar Kamper, Berlin 1992, S. 7 - 1 6 ; „... wortlos der Sprache mächtig". Schweigen und Sprechen in der Literatur und sprachlicher Kommunikation, hrsg. v. Hartmut Eggert/Janusz Golee, Stuttgart 1999. Vgl.: Walter G. Rödel, Die Obrigkeiten und die Pest. Abwehrmaßnahmen in der frühen Neuzeit dargestellt an Beispielen aus dem süddeutschen und Schweizer Raum, in: Maladies et société ( X ü e - X V I I I e siècles), édités parNeithard Bulst/Robert Delort, Paris 1989, S. 187-205, hier: S. 189f„ 191, 196. Vgl.: [Anonym], Art. „Name", in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hrsg. v. Hanns Bächtold-Stäubli, Berlin und Leipzig 1927ff„ Bd. 6, Sp. 950-961, hier: Sp. 960f.

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keiner auszusprechen"17 - verständlicher. Der Name steht für das Phänomen selbst. Es kann mit ihm geradezu geschaffen werden. Er ist deshalb, nomen est omen, um jeden Preis zu meiden. Das erwies sich nicht als kuriose Absonderlichkeit. Hier geht es nicht um kulturgeschichtliche Marginalien. Was individuell therapierte, sollte auch ganzen Gruppen und geselligen Zirkeln dienen. Sprache ist ein Medium, das sich interpersonell konstituiert. Erst mit Rücksicht auf ihre überindividuelle Potenz haben Namensverbote überhaupt einen Sinn. So kam es zu den - natürlich stets fehlschlagenden - Versuchen, auch die gemeinsame Konversation zu steuern und so die Gefahr, wenn nicht zu bannen, dann doch wenigstens nicht gezielt heraufzubeschwören: „In Pillnitz ist ein Gesetz passirt sie bei Tafel nicht mehr zu nennen"18. Das war ein Beispiel aus sächsischen Hofkreisen. Auch in bürgerlichen Zirkeln gab es analoge Arrangements: „Das Wort .Cholera' zu nennen, war zwischen unseren Wänden bei Strafe verboten"19. Ein weiterer Chronist berichtet von einem in gar nicht wenigen Gesellschaften erlassenen „Interdikt, die Conversation auf sie zu leiten oder sie auch nur gelegentlich zu erwähnen"20. Öffentliche Kolportagen beförderten solche Namensverbote. Beglaubigte Zeugnisse oder Gerücht? Welchen Status trug die Versicherung, daß „unter den Tausenden, die bis jetzt als Opfer der Seuche gefallen sind, mehr als Ein Tausend an dem fremdartigen, gleich einem Dämon erschreckenden Worte: Cholera gestorben sind"21? Immerhin stammte dieses Zeugnis nicht von irgendwem, sondern von einem angesehenen Mediziner und Zoologen, dem Stammvater der Embryologie, Karl Ernst von Baer. Daß Baer einem Gerücht auflag, und daß auch seine Leser ihm auflagen, stellt eben dessen Faktizität als Gerücht nicht außer Kraft. Baer wollte diese Kolportage glauben, egal ob er selbst sie erdacht hatte oder sich auf andere Quellen bezog. Folglich wollte er sie andere ebenfalls glauben machen. Das fiel nicht schwer. In Zeiten unseliger Unsicherheit haben Gerüchte - das werden die folgenden Kapitel noch ausführlicher begründen - unwiderstehliche Evidenz.

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Rahel Varnhagen an Wilhelmine von Zielinski, 25. September 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, hrsg. v. Konrad Feilchenfeldt/Uwe Schweikert/Rahel E. Steiner, München 1983, Bd. 9, S. 872; Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, 14. November 1831, in: Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 4, Halle/ Saale 1910, S. 522; Aus Pesth, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 109, 10. September 1831, S. 444.

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Prinz Johann von Sachsen an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, Mitte August 1831, in: Briefwechsel zwischen Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. von Preußen, hrsg. v. Johann Georg, Herzog zu Sachsen, Leipzig 1911, S. 116. Heinrich Stieglitz. Eine Selbstbiographie. Vollendet und mit Anmerkungen herausgegeben von L. Curtze, Gotha 1865, S. 132. Zur historischen Entwicklung der Konversationskultur und zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten aristokratischer und bürgerlicher Konversation vgl.: Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie, hrsg. v. Claudia Schmölders (1979), 2. Aufl. München 1986, S. 29-67 (Einleitung).

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Berlin, Anfang August, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 203, 25. August 1831, S. 812. Prof. Dr. v. Baer, Geschichte der Cholera-Epidemie zu Königsberg i. J. 1831, in: Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Königsberg über die Cholera. Erster Band, Königsberg 1832, S. 315-423, hier: S. 399.

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Die Fratze der Feindin

Schließlich und nicht verwunderlich beinhaltete ein internes habsburgisches Edikt von 1831 die Anweisung, vor Kranken „die Krankheit mit einer anderen schicklichen Benennung" zu versehen. 1836 wies eine bayerische Medizinalanordnung an, beim Auftreten der Cholera „diese nur mit dem Namen Brechruhr in Berichten und öffentlichen Blättern zu bezeichnen" 22 . Ein Mediziner, Extrem negativer Magie, plädierte sogar vehement für ein offizielles polizeiliches Namensverbot. Das war keine ironische Hinterlist - wie in literarischen Grotesken, die empfahlen, das schreckliche Ereignis mit Periphrasen wie die gewisse Krankheit, die Epidemie, die Morbus zu verharmlosen23. Es war das ernstgemeinte Anliegen eines Arztes, der sich von einer medizinisch-polizeilichen Allianz auch in dieser Frage eine effektive Wirkung versprach. Immerhin war schon vier Jahre zuvor, in den Debatten um eine sogenannte medizinische Volksaufklärung, von einem anderen Arzt ein „gänzliches Verbot von Seiten des Staats über Aufnahme pathologischer, und noch viel weniger therapeutischer Notizen in öffentlichen, nicht streng den Wissenschaften gewidmeten Blättern" gefordert worden24. Die Essenz des Vorgehens bestand darin, Probleme nicht zu lösen, sondern sie per Dekret öffentlich nicht wahrhaben zu wollen. Die polizeiliche Ausdehnung auf das Gebiet von Name und Benennung war geradezu seine Konsequenz. Die Extreme der Namensdebatte in der Cholera kamen dem entgegen. Sie hatte sich so verselbständigt, daß dieser Vorschlag innerhalb ihrer Logik Plausibilität besaß. Wenn allein die Namensnennung angeblich tausendfach tötete, mußte dagegen eingegriffen werden. Per Verbot ließ sich glücklicherweise reagieren. Tausende wären - im Grunde eine medizinalpolizeiliche Formalität - so vor der Seuche zu retten: Vor allem müsste sie [die Polizei] zuvörderst dahin wirken, dass das Wort Cholera nirgend gehört und geschrieben werden dürfte, weil schon der blosse Name der Krankheit bei vielen Menschen Schreck, Angst, plötzliches Unwohlsein, selbst die Krankheit und den Tod veranlasst hat.25

22 Vgl.: I. Fischer, Der erste Choleraeinbruch in Österreich. Nach Akten der Wiener medizinischen Fakultät aus den Jahren 1831 und 1832, in: Historische Studien und Skizzen zu Natur- und Heilwissenschaft. Festgabe Georg Sticker zum siebzigsten Geburtstage dargeboten, Berlin 1930, S. 134-142, hier: S. 138; Bayrische Medizinalverordnung von 1836, zit. nach: Elisabeth Mühlauer, Welch' ein unheimlicher Gast. Die Cholera-Epidemie 1854 in München, Münster, New York, München 1996, S. 115. 23 Vgl.: F. J. Singer, Tobias Hagelbrenner's Flucht vor der Cholera. Komische Erlebnisse und Abentheuer von ihm selbst beschrieben, Wien 1854, S. 4. 24 Dr. Michael Mayer, Vom Nachtheil der Volksbelehrung über Krankheiten und deren Heilung, Berlin 1828. Zum aufklärerischen Vorfeld vgl.: Holger Bönig, Medizinische Volksaufklärung und Öffentlichkeit. [Mit einer Bibliograpie medizinischer Volksschriften], in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 15 (1990), S. 1-92; Peter Weber, „Ist der Volksbetrug von Nutzen?" Zur politischen Konstellation der deutschen Spätaufklärung, in: Ethik und Ästhetik. Werke und Werte in der Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Festschrift für Wolfgang Wittkowski, hrsg. v. Richard Fisher, Frankfurt/M., Berlin, Bern 1995, S. 134-146. 25 Dr. Baltz, Ueber die Nicht-Existenz eines Cholera-Contagium, Berlin o. J., [S. 3], vgl. auch: ders., Meinungen über die Entstehung, das Wesen und die Möglichkeit einer Verhütung der sogenannten Cholera aus der Natur und Erfahrung entnommen [...], Berlin 1832, S. 74.

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Der Tendenz nach befestigte sich so der Eindruck, sich mit dem Namen gleich des durch ihn bezeichneten Phänomens zu entledigen. Am Ende war der Name selbst die Krankheit und diese mit jenem auszumerzen. Spätestens der Staat war die Instanz, die über ihn verfügte. Die alltägliche Praxis bestätigte tagtäglich das kirchlich-staatliche Monopol über Personennamen bzw. Namen überhaupt und die dabei wirksame magische Macht: Im Namen Gottes, im Namen des Souveräns, im Namen des Volkes. Das war nichts anderes als Konsequenz eines strikten seuchenpolizeilichen Reglements. All das ließe sich als Reaktion im Angesicht bedrängender Angst ansehen, als eine Art gebildeter Hysterie, die neben den verschiedenen vorgeschriebenen oder empfohlenen Abwehrmitteln auch die scheinbar absurdesten gebot. Dann wären selbst die mit erster Distanz gegebenen ¿w/o/gínachrichten, den Namen nicht zu nennen, von Hysterie geprägt: „Weil in den höhern und höchsten Kreisen des geselligen Lebens das Wort gar nicht erwähnt würde, davon meinen Einige, rühre es her, daß aus diesen Kreisen noch kein Opfer in Berlin gefallen!?" 26 . Hypertrophie und Hysterie? Hier handelt es sich nicht um hysterische Ausfälle, auch nicht um archaische Relikte. Ein solches vermeintlich überlebtes Verhalten war und ist so normal, wie es die jederzeit magische Macht der Namen ist. Sie schreibt sich nicht von fernen archaischen Ursprüngen her, sie folgt nicht irgendwelchen unnütz mitgeschleppten Traditionsbeständen. Vielmehr: Sie gründet sich auf ihre allgegenwärtigen Wirkungen, auf ihre jederzeit erfahrbare Präsenz. Was bei oberflächlicher Betrachtung als überkommenes Relikt erscheint, ist Teil einer alltäglichen Praxis, die nach wie vor magisch strukturiert ist. Hic et nunc. Die Entzauberung der Welt hat gar nicht stattgefunden. Jeder Alltag erzeugt seine eigene Magie. Die ehrenwerten Bemühungen, neuerdings die Rationalität von Mythen und Magie zu entdecken oder ihnen nunmehr wieder eine legitime Existenz in den raunenden Refugien der Kunst zuzugestehen, erweisen sich von daher als grandioser Trugschluß kultureller Adoption. Mythos und Magie waren immer schon rational. Und eine Vernunftpraxis, die sich, in Verlegenheit geraten, mittlerweile sogar die Rationalität der Prähistorien vindiziert, war und ist so magisch strukturiert, wie sie es sein muß, um überhaupt einen Funken dessen zu schlagen, was Erkenntnis genannt wird.

c) Magie der Medizin Es ist zu wiederholen: Moderner Namenszauber ist mehr als bloßes magisches Relikt. Er prägte und prägt Alltags- und Öffentlichkeitssprache, selbstverständlich auch das Feld der Wissenschaften, insbesondere der Medizin. Welcher Name war für das Seuchenphänomen zu finden? Welche Bedeutung hätte er zwingend zu umschließen? Daß ein Name für die Seuche gefunden werden müßte, stand außer Zweifel. Damit war ja gerade jene imaginäre Macht über sie gegeben, die durch die ärztliche Kunst nicht begründet zu werden vermochte. Erst der Name erlaube, so eine damalige Schrift über die Cholera, „sie in Reih und Glied

26

[Anonym], Wochen-Chronik der Cholera, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 187, 24. September 1831, S. 748.

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zu stellen". Deshalb „möchte es doch gar nicht rathsam sein, von der alten Sitte abzugehen, denn es ist nur allzu wichtig zu wissen, wohin man eine Erscheinung zu bringen hat" 27 . Einen Namen zu geben heißt, Phänomene zu klassifizieren. Das setzt ihre vergleichende Bestimmung voraus. Klassische Krankheitsfälle werden von spezifischen und devianten gesondert. Der typische Krankheitsverlauf wird sondiert. Insgesamt ergibt sich so - und der Name eines Phänomens ist die erste und entscheidende Kennmarke - eine Art Verfügungsmöglichkeit. Das ist im Grunde ein geschlossener und gerade deshalb evidenter Kreislauf: Phänomene werden nach Symptomen benannt. Aber erst der Name und die damit verbundene Klassifikation lassen die schemenhaften Symptome in den Rang unfehlbarer semiotischer Anzeichen kommen. Untypisches wird zu Typischem, Diffuses zu Stringentem. Ein schwindelerregender salto mortale auf dem schwankenden Grund der Realität: Der Name schafft das Symptom. Auf diese Weise erzeugt er, gestützt auf tatsächlich-wahrnehmbare Phänomene, erst das, was er begrifflich benennt 28 . Allein so werden Namen zu magischen Schöpfern. Sie sind zwar menschliche Artefakte. Sie spiegeln und widerspiegeln ja bedingt Realität. Aber sie gewinnen - Überschuß des Produkts über seinen Produzenten - ein Eigenleben. Ihr Gehalt erlischt nicht im pragmatischen Aspekt der Benennung. Sie spiegeln nicht, sie schöpfen. Sie strukturieren allein durch ihre Qualität als Namen die Umwelt so, wie es das sinnliche Wahrnehmen oder das abstrakte Erkennen niemals vermögen. Noch dazu waren ihnen damals besondere magische Qualitäten zu eigen. Eine menschliche Sinnesleistung wie beispielsweise das Sehen ließ sich mittels Kulturtechniken aufzeichnen und verobjektivieren, das Hören jedoch nicht. Abgesehen von Schriftalphabeten und Tonleitersystemen, kam es erst im 18. Jahrhundert zu solchen technischen Operationen. Auch Klänge und das gesprochene bzw. gehörte Wort - so das Credo von Ernst Florens Friedrich Chladni und seiner Vorläufer - müßten visualisierbar, speicherbar und abrufbar sein 29 . Der Erfolg dieses Projekts im 19. Jahrhundert nahm Wort und Namen jene magisch-ätherischen Eigenschaften, zu denen uns, weil wir in der Ära jener gelungenen aktiv-technischen Aufzeichnung und Speicherung stehen, heute teilweise der Zugang verschlossen ist. Namen organisieren in magischer Weise Gegebenes, versetzen es hierhin und dorthin, verleihen ihm diese oder jene Gestalt. Sie strukturieren nicht irgendwelche Phänomene,

27

28 29

[Anonym], Bemerkungen über die Furcht vor der herrschenden Brechruhr, zugleich enthaltend eine wissenschaftlich begründete Vorstellung an die oberpolizeilichen und Gesundheitsbehörden zur Beruhigung des Publikums, Leipzig 1831, S. V. Vgl.: Michel Foucault, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (1963), Frankfurt/M. 1988, S. 19ff. Joachim Gessinger, Sprachlaut-Seher. Physiologie und Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert, in: Physiologie und industrielle Gesellschaft. Studien zur Verwissenschaftlichung des Körpers im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Philipp Sarasin/Jakob Tanner, Frankfurt/M. 1998, S. 204-244; Bettine Menke, Töne - Hören, in: Poetologien des Wissens um 1800, hrsg. v. Joseph Vogl, München 1999, S. 69-96; Brigitte Felderer, Stimm-Maschinen. Zur Konstruktion und Sichtbarmachung der menschlichen Sprache im 18. Jahrhundert, in: Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, hrsg. v. Friedrich Kittler/Thomas Macho/Sigrid Weigel, Berlin 2002, S. 257-287.

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sondern die, die sie selbst geschaffen haben. Im Endeffekt scheinen sie über das Universum zu gebieten. Sie vermögen es, über Raum und Zeit zu verfügen. Erst durch sie wird Anfang und Ende, Licht und Dunkel. Natürlich ist zu ergänzen, daß wissenschaftliche Namensgebungen sich unter bestimmten historischen Leitkonstellationen vollziehen. Sie können beispielsweise Bestandteil einer platonischen dreigliedrigen pyramidalen Entsprechung von Dingen, Ideen und Bezeichnungen sein. Oder sie können von einer scholastischen Universalientheorie getragen sein, derzufolge Sprache, göttlich sanktioniert, in den Dingen selbst verankert ist und von daher ihre Verallgemeinerungen bezieht (also die Konzeptualisierung der adamitischen Ursprache, nach welcher Zeichen und Bezeichnetes uneingeschränkt identisch sind): universalia sunt in re. Solche Konzepte hatten wissenschaftlich Gültigkeit allenfalls bis in die Zeit der Spätrenaissance. Sie erlebten in Kabbala, Neuplatonismus und mystisch-hermetischen Strömungen aller Spielart einen Aufschwung30. Die Dinge sprachen für sich. Demnach war die Welt ein überdimensionales Weltenbuch voller Signaturen. Sie waren nicht nur kongruenter Ausdruck, sie waren außer-innerliche Wesenheit selbst. Allenfalls bedurften sie der exegetischen Autorität eines Adepten - desjenigen, der das liber naturae zu lesen und zu deuten vermochte31. Aber das war im neuzeitlichen Kontext eine Nebenlinie. Als verbindlich erwiesen sich die neuen, empirisch ausgerichteten Wissenschaften des 17. und 18. Jahrhunderts, die immer diffizilere konventionalistische Zeichensysteme entwarfen. Die theologisch-metaphysische Entsprechung von Welt und Sprache war darin aufgegeben, Sachen und Begriffe, ehemals homogen, drifteten auseinander. Gott war nicht mehr Bürge einer Adäquation von Sache und Name. Die primordiale Identität brach auseinander32. Wie sich Hans Blumenberg zufolge eine generelle neuzeitliche Wendung von Theozentrik zu Anthropozentrik ergab, vollzog sich auch im Gebiet von Sprache eine Wende, die den Menschen in die anstrengende Rolle eines selbstbestimmten Dirigenten verwies. Den Menschen war es nunmehr auferlegt, die Relation von Zeichen und Bezeichnetem herzustellen. Ihnen war es aufgegeben, sich ihre Orientierungssysteme zu schaffen. Ein immer subtileres Netz arbiträrer Begriffssysteme, Nomenklaturen und Taxonomien spannte die Wirklichkeit ein. Die Bindung von Dingen an Zeichen und schließlich, was ebenso wichtig war, die Vernetzung der Zeichen untereinander lag in des Menschen Hand. Das mündete letztlich darin, das Mittel selbst zum Zweck werden zu lassen. Immer ausgefeiltere, immer tiefer gestaffelte und immer stärker vernetzte Klassifikationen überführten das unentschiedene Spannungsgefüge von res und nomen in ein einlineares Verfügungsverhältnis, das auf der scheinbaren Selbstevidenz der doch gerade erst errungenen Klassifikationen beruhte.

30

Vgl.: Wolf Peter Klein, Am Anfang war das Wort. Theorie- und wissenschaftsgeschichtliche Elemente frühneuzeitlichen Sprachbewußtseins, Berlin 1992; Thomas Leinkauf, Mundus combinatus. Studie zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602-1680), Berlin 1993; Umberto Eco, Die Suche nach der vollkommenen Sprache (1993), München 1994; Andreas Kilcher, Die Sprachtheorie der Kabbala als ästhetisches Paradigma. Die Konstruktion einer ästhetischen Kabbala seit der Frühen Neuzeit, Stuttgart, Weimar 1998.

31 32

Vgl.: Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt/M. 1986. Vgl.: Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1966), Frankfurt/M. 1974, S. 67ff.

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Das Phänomen, so schien es, war dem Namen zugehörig. Es war von ihm abhängig, letztlich sogar von ihm erst in die Welt gesetzt worden und ihm damit kausal nachgeordnet - die platonische Methexis, mit der die Sinnendinge an den Ideen teilhaben. Der neuzeitliche Empirismus, auch wenn er verbal sein Terrain gegen alle Angriffe verteidigen wollte, mündete der Tendenz nach immer in die rationalistische Kehre der Deduktion. Insofern vollzogen auch die neuzeitlichen Wissenschaften - Schritt von Theozentrik zu Anthropozentrik in nuce - qua Benennungen eine Schöpfung aus dem Nichts. In der Medizin war es vor allem der englische Arzt und Theoretiker Thomas Sydenham (1624-1689) gewesen - der, wie noch zu sehen ist, auch für die Seuchenfrage mit seiner Lehre der epidemischen Konstitution ein wichtiger Innovator war - , der die Frage der Klassifizierung bereits Mitte des 17. Jahrhunderts neu aufgeworfen hatte. In bezug auf die Notwendigkeit einer klassifikatorischen Einordnung plädierte der „englische Hippokrates", wie er auch genannt wurde, für ein empirisches und praxisorientiertes Herangehen. Das bedeutete für Sydenham keinesfalls, die gezielte Einordnung von Krankheiten und Epidemien nach Gruppen und Untergruppen aufzugeben. Im Gegenteil, sie sei erst durch empirisch gewonnene Tatsachen möglich. Sie habe sich gerade auf nachvollziehbare Erfahrungen zu gründen. Empirie ermöglicht Theorie, nicht letztere erste33. Dieses Programm mit seinem Zug zur Empirie einerseits und seinem mitunter platonisch bzw. neuplatonisch anmutenden Systemzwang andererseits erwies sich als weitgehend konsensfähig. Es konnte, was medizinische Phänomene und deren Klassifikation betraf, mit wechselnden Modifikationen als aufklärerische Leitlinie dienen. So ließ sich angelehnt an Sydenham in geradezu deduktiver Überspitzung fordern, den jeweils „ordentlichen Lauf der Krankheit" prognostisch herauszupräparieren, so daß „eine gewisse einzelne Krankheit mit den Regeln ihrer Art richtig übereinstimme" 34 . Nicht die Regel richtet sich nach der Krankheit, sondern diese nach jener. Ein solches Diktum hätte auch aus der Feder Johann Georg Zimmermanns stammen können, einem der Hauptvertreter der deduktiv-nosologischen Doktrin Mitte des 18. Jahrhunderts. Auch er vollzieht, was das Verhältnis von Wesen und Erscheinung betrifft, eine geradezu kopernikanische Wende: Der Urheber der Natur hat den Lauf der meisten Krankheiten durch ewige und unveränderliche Gesetze festgestellt; wir entd[c]ken bald diesen Lauf, wenn er durch den Kranken oder die Umstehenden nicht unterbrochen wird.35 Die präexistente Krank/ieii ergreift den Kranken. Kranksein mit all den individuellen Erscheinungsformen wäre, Konsequenz des ontologischen Krankheitskonzepts, die bloße Abweichung davon. Dieses Programm fand, um hier in die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu springen, im klassifikatorischen Tableau des französischen Klinikers Philip-

33 Vgl.: Patrick Romanell, Locke and Sydenham. A Fragment of Smallpox (1670), in: Bulletin of the History of Medicine, 32 (1958), S. 293-321. 34 [Anonym], Unterschiedene zur Arzneykunst gehörige Anmerkungen, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, aus der Naturforschung und den angenehmen Wissenschaften überhaupt, 9 (1752), S. 309-325, hier: S. 314. 35 Johann Georg Zimmermann, Von der Erfahrung in der Arzneykunst, 1. Theil, Zürich 1763, S. 269.

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pe Pinel seine Aktualisierung. Pinel, der sich durch die Liberalisierung des sogenannten Irrenwesens große Verdienste erwarb, entwarf zu jener Zeit noch einmal jenen umfassenden Systematisierungsversuch von Krankheiten, der seine Nosographie zum Höhe- und Endpunkt semiotischer Medizin überhaupt machte36. Auch wenn seit etwa 1815 und verstärkt seit 1830 sogenannte Eklektiker und Skeptiker an Einfluß gewannen und sich in direkter Opposition zu Pinel zeitlich-evolutionäre Klassifikationsversuche allmählich durchzusetzen begannen37 - , für jede Krankheit war eine möglichst präzise Benennung zu finden. Selbst wenn klassifizierende Systeme schwanden und deduktive Begriffshierarchien rapide an Kredit verloren, galt: Wo schon, wie zum Beispiel bei der Cholera, kein praktisches Einwirken möglich war, blieb ein Name erforderlich. Vom Namen zur Krankheit - das war der unumstrittene medizinische Königsweg. Erst recht in der sogenannten „naturhistorischen Schule", die in den dreißiger Jahren in Deutschland dominierte. Ihr naturgeschichtlich-entwicklungstheoretischer Krankheitsbegriff führte, wie unten noch näher zu sehen ist, zu einer ontischen Substantialisierung von Krankheit. Die Bedeutung des Namens war dadurch nur aufgewertet. Die Vertreter der nachrückenden, ausdrücklich physiologisch orientierten Medizin nahmen an diesem Verfahren, bei dem es gelte, „nur einen Namen zu finden", um, eben wie bei einem Zauber, eine „Curirformel bei der Hand zu haben", zwar Anstoß38. Aber es setzte eben die mitunter magischen Implikationen frei, die die oben dargestellte Fixierung auf die Überschußqualitäten von Namen zwangsläufig mit sich bringt. Als vorläufiges Fazit: Der Name bewirkt Macht. Er hat geradezu magische Qualitäten. Nur welcher Name es sei, der das Wesen der Krankheit adäquat erfaßte, stand, wie die Unzahl der Cholera-Schriften belegt, energisch zur Debatte. Welcher Name und mit welcher Bedeutung? Wie war er im gegebenen Tableau der Benennungen zu situieren? Die Namensdiskussion war geradezu ein Pflichtteil eines jeden medizinischen Erklärungsversuchs. Kaum eine Schrift zur Cholera, die sich nicht einleitend dem Problem zuwandte und Stellung bezog. Alle medizinisch ungeklärten und umstrittenen Punkte - Herkunft, Verbreitung, Charakter und Heilmöglichkeiten der Epidemie - wurden auf die Namensgebung projiziert. Der Name erschien als Fokus möglicher Problemlösungen. Dabei zeigen sich vier Haupttendenzen: Erstens wurde die Bezeichnung Cholera favorisiert, die seit langem in Europa für ruhrartige, aber weniger schwerwiegende Krankheiten

36 Vgl.: Volker Hess, Von der semiotischen zur diagnostischen Medizin. Die Entstehung der diagnostischen Methode zwischen 1750-1850, Husum 1993, S. 292; vgl. auch: Wolfgang Eich, Medizinische Semiotik (1750-1850). Ein Beitrag zur Geschichte des Zeichenbegriffs in der Medizin, Freiburg i. Br. 1986, S. 292; speziell für Deutschland: Wolfgang U. Eckart, „Und setzet eure Worte nicht auf Schrauben". Medizinische Semiotik vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts - Gegenstand und Forschung, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 19 (1996), S. 1-18. 37 Vgl.: Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München, Wien 1976, S. 81ff. 38 Roser/Wunderlich: Ueber die Mängel der heutigen deutschen Medicin und ueber die N o t wendigkeit einer entschiedenen wissenschaftlichen Richtung in derselben, in: Archiv für physiologische Heilkunde, 1 (1842), S. I-XXX, hier: S. VII.

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eingebürgert war39. Das schrieb sich offenbar von den europäischen Ärzten her, die zum ersten Mal mit der Epidemie zu tun hatten - den englischen Militärärzten in Indien. Zweitens wurde darum gerungen, was einst, in der Antike, mit dem Begriff überhaupt gemeint war. Drittens gab es Mediziner, die einen anderen Namen verfochten. Viertens schließlich gab es jene kleine Gruppe von Ärzten, die, stark nominalistisch orientiert, den Erwartungen an Namen direkt entgegentraten bzw. sich der Diskussion stillschweigend entzogen. Den Nutzen einer vereinheitlichten Benennung stritten sie nicht ab. Jedoch legten sie stärker Wert auf rein individuelle Diagnosen. Sie versuchten, das Augenmerk vor allem auf praktisch-therapeutische Aspekte zu lenken. Im bewußten Gegensatz zu Sydenham, Zimmermann oder Pinel wiesen sie auf lokale und zeitliche Differenzen im Krankheitsgeschehen hin. Ad 1 ): Name Cholera. Den Terminus Cholera zu verwenden, lag für viele auf der Hand. Er war für eine in Europa eingebürgerte Krankheit, für ruhrähnliche Erkrankungen mit Durchfall und Erbrechen, längst allgemein akzeptiert. Mit ihm war es möglich, von Bekanntem auf Unbekanntes zu schließen. Die meist gebräuchlichen Attribute asiatisch, orientalisch oder indisch hoben dann den fremdartigen, neuartigen Charakter der Seuche hervor. Wurden die Zusätze akzeptiert und die Bezeichnung „asiatische Cholera" als verbindlich anerkannt, war der Streitfragen aber kein Ende. Was hieße asiatisch oder orientalisch? Die Brechruhr wegen einiger zufälliger Gemeinsamkeiten, die sie mit der im Orient habe, orientalische zu nennen, würde nicht schaden. Hieße das aber, die Krankheit sei durch ein Kontagium aus dem Orient gekommen, so verleite dieser Name zu einem höchst schädlichen Begriff 40 . Das war aber nur einer der Streitfälle unter den Kontrahenten, die sich sogar auf den Begriff orientalische Cholera einigen konnten. Ging es um andere attributive Zusätze, wurde es komplizierter. Es war nicht nur um die Frage der Verbreitung zu tun, durch Kontagion oder durch Miasmen, sondern um Wandlungen des Krankheitsbildes: Ich habe die jetzt herrschende Cholera die pandemische genannt, weil mir der Begriff epidemisch, wenn er auch das Zeitliche und Oertliche in sich faßt, doch zu eng ist, und selbst nicht einmal den eigentlichen Gegensatz von sporadisch bildet, und auch das Pandemische das Epidemische mit sich begreift. Den Ausdruck orientalisch oder asiatisch fand ich deshalb nicht für passend genug, weil die Cholera keine dem Oriente oder Asien eigenthümliche Krankheit ist, sondern in allen Welttheilen und unter allen Zonen nicht allein sporadisch und endemisch, sondern auch epidemisch beobachtet wurde, und auf ihrem Zuge von Indien aus durch Asien und einen großen Theil von Europa ihren ursprünglichen Charakter nicht behalten, sondern wesentlich verändert hat.41

Asiatisch, orientalisch, pandemisch, epidemisch, endemisch, ansteckend? Welches Attribut sollte dem akzeptierten Kernnamen Cholera bzw. Brechruhr vorangestellt werden? Krampf-

39 40 41

Vgl.: Dr. M. Höfler, Deutsches Krankheitsnamen-Buch, München 1899, S. 87ff. Vgl.: Dr. Roman Weiss, Ein Beitrag zur nähern Begründung der Natur der Cholera, 2. Aufl. München 1831, S. 5. C. G. Lincke, Versuch, das Wesen der pandemischen Cholera zu erklären, Halle 1833, S. VII.

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artig, fiebrig, ostindisch, wandernd - wie schon in Titeln von Choleraschriften? 42 Oder eine Kombination verschiedener Präzisierungen: indisch-epidemische, epidemisch-ansteckende, epidemisch-asiatische, pandemisch-contagiöse, ansteckende weiße Cholera 43 ? All das waren keine Haarspaltereien, war keine unnütze Kasuistik. Wenn der Name sich auf wesentliche Qualitäten der Krankheit gründete, bedeutete die Definitionsmacht über ihn letztlich Verfügung über sie. Von daher auch der Streit über den Zusatz „morbus", der dem Namen Cholera in der Regel in medizinischen Abhandlungen nachgefügt war. War er begründet, unbegründet oder schlichtweg ein eingebürgertes Versehen? Ein Kritiker räumte immerhin ein, eine gewisse Logik stecke hinter dem Beinamen, um Verwechslungen mit der aus der antiken Säftelehre stammenden Gemütsart, die als gallig, das heißt „cholerisch", bekannt war, auszuschließen44. Ein anderer betrachtete ihn deshalb als legitim, weil sie den ungemein bedrohlichen Charakter der Epidemie hervorhebe: „So hat man ihr durchgehends den Beisatz Morbus gegeben, was Krankheit bedeutet; gleichsam als sey sie jetzt die Krankheit aller Krankheiten"45. Ein weiterer Kritiker hob ebenfalls die Tautologie hervor, konnte aber keine Vorzüge erkennen: „Am allerwenigsten aber dürfte der Zusatz morbus bei der Cholera passen, wie schon andere mit Recht gerügt haben, da ja keine Cholera, ohne nicht ein morbus, eine Krankheit zu sein, existiren kann"46.

42 Vgl.: Dr. W. G. Tilesius, Neueste ableitende Behandlungsart der krampfartigen Cholera Asiatica. Mit Abbildungen der Instrumenta discussoria der Orientalischen Nationen, Leipzig 1831; Martin Wilhelm Plagge, Das Cholera-Fieber gewöhnlich epidemische oder asiatische Cholera-Morbus genannt, Hannover 1833; [Anonym], Die Cholera morbus oder ostindische Brechruhr. Eine für Jedermann faßliche Zusammenstellung des Wichtigsten aus den vorzüglichsten, bisher über diese Krankheit erschienenen Schriften, Tübingen 1831; Dr. G. Ludwig Dieterich, Beobachtung und Behandlung des wandernden Brechdurchfalles in München, Nürnberg 1837. 43 Vgl.: [Anonym], Die Cholera morbus oder kurze Geschichte des Ursprungs und Verlaufes der indischen epidemischen Brechruhr [...] für gebildete Stände dargestellt von einem praktischen Arzte, Leipzig 1831; Dr. J. J. Sachs, Allgemeine Lehren von den epidemischen und ansteckenden Krankheiten, insbesondere der Cholera, und den zu ihrer Hemmung oder Minderung geeigneten Maaßregeln, Berlin 1831; Dr. A. P. Wilhelmi, Die bewährtesten und auf Autoritäten gegründeten Heilmethoden [...] der Cholera, oder das Wissenswürdigste über die sogenannte epidemische asiatische Brechruhr [...], Leipzig 1831; I. S. Borchardt, Anweisung zur Behandlung und Abwehrung der pandemisch-contagiösen Cholera, worin der Ursprung des Namens „Cholera", die Gelegenheitsursache, der Sitz etc. derselben nachgewiesen wird, Berlin 1831; Dr. Frhr. v. Wedekind, Ueber die Maassregeln zur Verhütung des Fortschreitens der ansteckenden weissen Cholera, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, III. Heft, Nr. 55 (1832), S. 871 f. 44

[Anonym], Die Cholera morbus, oder ostindische Brechruhr. Eine für Jedermann faßliche Zusammenstellung des Wichtigsten aus den vorzüglichsten, bisher über diese Krankheit erschienenen Schriften, Tübingen 1831, S. 1. 45 [Anonym], Gründliche und faßliche Anweisung für den Bürger und Landmann zur Verhütung der Ansteckung durch die Cholera [...], Dresden 1831, S. 5. 46 Lincke, Versuch, das Wesen der pandemischen Cholera zu erklären, S. VII.

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Zur Not tat es ein eklektisches Amalgam von lateinischen und deutschen Benennungen. Sie waren um so attraktiver, da bei behandelnden Ärzten Anfang des 19. Jahrhunderts generell ein Umschlag von der Landessprache hin zu lateinischen Fachtermini, zu einem abgrenzenden, geheimnisvollen Jargon, erfolgte 47 . Christoph Wilhelm Hufeland, ein selbsterklärter pragmatischer Eklektiker, hielt auch in der Cholerafrage auf eine Position, die sich durch wortreiche Ubiquität auszeichnete: Wir sollten, wenn auch über das Wesen noch verschiedener Meinung, doch wenigstens über den Namen einer Krankheit uns vereinigen, die uns jetzt so sehr beschäftigt. Der Name spasmodische (den die Engländer häufig brauchen) Cholera ist ganz unpassend, denn jede Cholera ist ihrer natürlichen Ursache nach, eine spasmodische, eine krampfhaft erhöhte Thätigkeit eines Darmkanals. Der Name epidemische ist eben so wenig passend, denn auch die einheimische kann epidemisch herrschen, wie Beispiele genug gezeigt haben, und dagegen kann die orientalische Cholera auch an einzelnen, besonders kleinen, Orten, sporadisch vorkommen. Eben so wenig paßt der Name Cholera morbus, da ja jede Krankheit, auch die einheimische, ein Morbus, eine Krankheit ist. Also das Beste bleibt wohl, sie mit dem Namen orientalische oder asiatische zu bezeichnen, und die bei uns gewöhnliche durch den Namen indigena, einheimische, oder occidentalis oder europaea zu unterscheiden, da der Karakter des Exotischen, bei uns ganz fremdartigen und mit dem asiatischen übereinstimmenden, das einzige ist, was sie auszeichnet.48 Ad 2): Ursprung des Namens Cholera. All das waren Kontroversen unter denen, die für „Cholera" plädierten. Darüber hinaus war, wie erwähnt, die Herkunft des Worts selbst umstritten. Das hatte in jedem Fall Einfluß auf die semantische Aufladung und damit auf die Krankheitskonzepte selbst. Angeblich hatte Hippokrates seinen Namen der Cholera der griechischen Bezeichnung für Galle entlehnt und die heftigen schleim- und kotartigen Ausleerungen als Gallenfluß bezeichnet. Sein Nachfahre Galen sah die Krankheit als Magen- und Darmbeeinträchtigung an und führte von daher, mit anderem etymologischen Ursprung, den Namen Cholera ein. Der griechisch-byzantinische Arzt Alexander von Tralles schließlich

47

Vgl.: Jan Brügelmann, Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779-1850. Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Gesundheitswesens, Phil. Diss. Berlin 1982, S. 124f.; Roy Porter, „Perplex't with Tough Names": The Use of Medical Jargon, in: Languages and Jargons. Contributions to a Social History of Language, ed. by Peter Burke/Roy Porter, Cambridge 1995, S. 42-63. 48 H[ufeland], Nicht spasmodische, nicht epidemische Cholera [...], in: Journal der practischen Heilkunde, I. St., Juli 1832, S. 116f. Zu Hufelands taktisch-abwartendem Lavieren in der CholeraFrage vgl.: Α. Berg, Hufeland und die Cholera-Epidemie in Berlin 1831, in: Berliner Medizin, 14 (1963), S. 454—460. Zu Hufeland als selbsterklärtem Eklektiker überhaupt vgl.: Urban Wiesing, Kunst oder Wissenschaft? Konzeptionen der Medizin in der deutschen Romantik, StuttgartBad Cannstatt 1995, S. 72ff. Anzumerken ist, daß Alexander Bergs jüngst herausgestellte äußerst zwielichtige Rolle in der Nazizeit keinesfalls übergangen werden kann, vgl.: Christoph Mörgeli/ Anke Jobmann, Erwin H. Ackerknecht und die Affäre Berg/Rath von 1964. Zur Vergangenheitsbewältigung deutscher Medizinhistoriker, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 16 (1997), S. 63-124.

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soll den Brechdurchfall mit dem Geräusch des durch ein Fallrohr rauschenden Regenwassers verglichen haben. Von daher hätte er den Namen Cholera etabliert: Allein schon diese etymologische Meinungsverschiedenheit zeigt ganz deutlich an, daß selbst die erfahrensten und denkendsten Ärzte der Vorzeit, in bezug auf das Eigenthümliche des Brechdurchfalls, keine in seiner wahren Natur begründete Ansicht besaßen.49

Etymologische Differenzen gab es also bereits bei den Alten. Verschiedene Alternativen hätten sich ergeben. Der Name Cholera bedeutete, je nach Krankheitsverständnis, damit etwas völlig anderes. Das an sich war schon schwierig genug. Aber die Debatte verkomplizierte sich noch. Die Mediziner überboten sich mit einander widersprechenden Versionen, wie die antiken Autoritäten zu dem Namen gekommen waren. Wer von ihnen war von Galle, Magen bzw. Dachrinne ausgegangen? So kam es auch zu folgender alternativer Version: Hippokrates' Benennung stehe für Galle, Galens für Eingeweide. Soweit war Einigkeit vorhanden. Alexander Tralles hingegen - ein erster Differenzpunkt - habe Cholera ebenfalls von Eingeweide her abgeleitet. Der Vergleich mit einer Dachrinne jedoch - eine weitere Korrektur - sei viel früher aufgekommen und stamme von den Römern her, von Celsus und Caelius Aurelianus. Er hätte bei ihnen - eine dritte Berichtigung - allerdings eine völlig andere Bedeutung. Mit Dachrinne sei kein Fallrohr und dessen Geräusche gemeint. Er hätte sich auf horizontale Rinnen bezogen, aus deren beider Enden Wasser herausstürze, und das in Analogie zu den beiden oralen und analen Wasserausscheidungen bei der Cholera gesetzt50. Unklarheiten über Unklarheiten, allein bei der offenbar so wichtigen Suche nach der Herkunft des Namens. Sie beschränkte sich nicht auf philologische Ausflüge ins Altgriechische. Sie führte bis zu Exkursen ins Sanskrit, Malayische, Portugiesische oder ins Persische. Die Krankheitsbezeichnungen der Cholera auch dieser Sprachen wurden vorgestellt und kritisch erörtert51. Es konnte sogar zu ausgesprochenen Novitäten kommen, wenn, entgegen der allgemein verbreiteten und gültigen Ansicht, der Ursprung des Namens Cholera dem Griechischen ab- und anderen alten Kultursprachen zugesprochen wurde: Der Ursprung des Namens .Cholera' ist aus dem Hebräischen und Chaldäischen herzuleiten; das Wort selbst aber aus dem Substantivum ,Chole', Krankheit, und dem Adjektivum ,ra' bösartig zusammengesetzt. 52

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G. J. Uffer, Versuch einer Darstellung der Cholera Morbus im Allgemeinen, 2. Aufl. Pesth 1832, S. 12f. Vgl.: Dr. Johann Truckenbrod, Die Entstehung der neuern Form der Cholera nebst kurzgefasster Verbreitung bis nach Deutschland. Inaugural-Abhandlung, [München] 1837, S. I. Vgl.: William Scot's amtlicher Bericht über die epidemische Cholera. Deutsch bearbeitet von Dr. J. F. Behrend. Bevorwortet und mit Anmerkungen begleitet von Dr. Moritz Heinrich Romberg, Berlin 1832, S. lf.; Dr. Tilesius, Ueber die Cholera und die kräftigsten Mittel dagegen, nebst Vorschlag eines großen Ableitungsmittels um die Krankheit in der Geburt zu ersticken. Zweite Abtheilung [...], Nürnberg 1831, S. 1 lf. I. S. Borchardt, Kurze Darstellung der Cholera und unfehlbare Heilmethode derselben. Nach den Grundsätzen des Talmud, Berlin 1831, S. 11.

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Die Fratze der Feindin

Die medizinische Kompetenz drohte auch hier zu schwinden. Der angestrengte Wille zur Macht, soweit er wenigstens die Namen betraf, schien die Rat- und Machtlosigkeit der Ärzte nur zu beweisen. Wie die Realität der Seuche sie desavouierte, so auch der Namensstreit. Es war geradezu ein finaler Rettungsversuch, dafür zu plädieren, der umstrittene Name, für den immer wieder verschiedene antike Autoritäten ins Feld geführt wurden, sei ein ursprünglich volkstümlicher. Er sei nicht gestiftet worden, er habe sich eingestellt. Seine Herkunft, so viel Mühe auch darauf verwendet würde, sei gar nicht aufzuklären53. Bezüglich der Ursprünge des Krankheitsnamens war damit nichts gewonnen. Nicht allein das Phänomen Cholera, selbst sein Name gab Rätsel auf. Die so plausible Strategie, über den Namen Macht über die Krankheit zu erlangen, schlug fehl. Sie scheiterte im Konkurrenzgefecht der Ärzte untereinander. Denn Konkurrenz- und Prestigekämpfe waren es - wie im nächsten, medizinhistorischen Kapitel noch amplifiziert wird - , die zu dieser Kaskade permanenter Selbstüberbietung führten. In der Cholera gab es keine Verbindlichkeiten. Die Autoritäten waren theoretisch und praktisch hilflos. Das heißt, sie waren hilflos auch gegenüber alternativen und konkurrierenden Angeboten. Es gab keine faktische Definitionsgewalt mehr. Die alten Rangordnungen der institutionalisierten Hierarchien, der Wissenschaftsschulen und der öffentlichen Reputation waren, der Tendenz nach, außer Kraft gesetzt. Der Unterschied von wissenschaftlichem Zentrum und Peripherie, die abgezirkelte medizinische Standesgliederung und öffentlich sanktioniertes Ansehen verloren ihre Bedeutung. Je hilfloser die Autoritäten, desto mehr stand das Diskussionsfeld für Mediziner jeden Rangs offen. Einem jedem war es möglich, erfolgreich gegen die Krankheit zu kämpfen vom angesehenen Medizinprofessor oder arrivierten Hofarzt bis hin zum kleinsten Winkelchirurgus. Nicht nur Mediziner stellten sich der Aufgabe. Geologen, Astronomen, Statistiker und Meteorologen arbeiteten ebenso unermüdlich daran, auf ihre Weise Antworten zu finden und die Reputation ihrer Disziplinen unter Beweis zu stellen. Allen schien es möglich, die Cholerafrage zu lösen - konzeptionellen Empirikern, angesehenen Theoretikern, auf-

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Vgl.: [Anonym], Die Cholera morbus oder die orientalische Brechruhr. Von einem praktischen Arzte, Stuttgart 1831, S. 2f. Außerhalb der Medizin gab es für diese Debatten Spott, vgl.: Cholerische Belehr-, Bethör- und Erklärungen, auch Wortklaub- Schraub- und Zaubereien, in: [Anonym], Die cholerische Aster. Eine humoristische Herbstblume in ungebundenen Sträußchen für Jedermann. Der zwanglosen Hefte: Erstes, Darmstadt 1832, S. 46-54. Dennoch wurde auch versucht, an ihnen zu partizipieren, zumindest wurde gestritten, wie der Name korrekt auszusprechen sei. Hieß es nun, wie ironische Beobachter überlieferten, „Scholera" oder „Kollera" ([Anonym], Der zweite Junius, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 160, 14. Juli 1831, S. 649-651, hier: S. 650)? Oder „Kohlera" bzw. „Kullera" (Bei Stralsund, den 25. Oktober 1831, in: Sundine, Nr. 45, 10. November 1831, S. 359)? Ärzte, die in Verruf gekommenen Urheber der Namensdebatte, spielten den Ball zurück: „Es ist ein wahrer Jammer, Alles das vernehmen zu müssen, was man wirklich vernimmt. Hier quält man sich ab, den Namen Cholera richtig auszusprechen; die Einen sprechen unaufhörlich Choléra, mit langem e, wahrscheinlich weil sie an das Wort cholerisch gewöhnt sind; die Anderen sagen gar Choiera, mit offenem o, so daß es wie Kollera klingt und man versucht ist, wenn dabei die Frage aufgestellt wird, ob auch Thiere die Krankheit bekommen, an den Koller zu denken." (Dr. Fr. J. Behrend, Ueber die jetzt herrschende Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 151, 2. Juni 1831, S. 1002).

Das Mysterium der Namen

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merksamen Praktikern, genial spekulierenden Phantasten oder zufälligen Glücksrittern. Die Seuche blieb ein Mysterium. Theorie häufte sich auf Theorie, Tote auf Tote. Die Zeit drängte. Je hilfloser die Autoritäten, desto mehr mußte sich das Diskursfeld öffnen, selbst für Laien. Von den als verläßlich angesehenen Autoritäten allein gelassen, kämpfte jeder den Kampf gegen die Cholera für sich. Und jeder gewann ihn scheinbar auf seine Weise mit seiner Benennung, seinem Namen, seinem Begriff. Ad 3): Andere Krankheitsnamen. So überrascht nicht, und das war die nächste grundlegende Position im Namensstreit, daß alternativ auch andere Krankheitsnamen ins Spiel gebracht wurden. Schriften zur Cholera versuchten schon im Titel, andere passende Erklärungsmodelle zu offerieren, etwa „Gangetische Pest" bzw. „bengalische Brechruhrpest oder Hindupest" 54 . Wenn nicht im Titel, so konnte es doch im Verlauf von medizinischen Abhandlungen zu neuen originellen Namensprägungen kommen. Akute Blausucht55, russischer Brechdurchfall 56 , Bauchmasern 57 , Blutstockung (Haemostasis) 58 . Weitere waren hypothetisch in die Diskussion gebracht worden: blaue Krankheit, schwarze Krankheit, schweres kaltes Fiebei 59 . Ein Autor, der kritisch den hitzigen Debatten begegnete, will folgende Vorschläge vernommen haben: Cholera morbus, Cholerrhoea, Cholerahagia, Passio cholenca, Passio felliflua, Febris intermittens cholenca, Febris cholenca, Trousse galantga, The Gali floux of Cholera, Gal-braken, boord, bord, buikwee, Mal de terre, Mort de chien undMerdechi; Gallenruhr, Gallenkrankheit, Gallenfluss, Brechkolik, Sommerkrankheit, April-May-Krankheit, Brechdurchfall, Brechruhr, asiatische Cholera60. Andere verwahrten sich sogar ausdrücklich und polemisch gegen die Namen Cholera und Brechruhr - mit der äußerst ungewöhnlichen Diagnose, daß „in den gewöhnlichsten Fällen der Kranke bei dieser Krankheit ohne Brechen und ohne Durchfall stirbt" 61 . Mit ähnlicher Tendenz, um den Namen und das Erscheinungsbild der Cholera zu problematisieren, wurde

54 Vgl.: [Dr. Georg Karl Heinrich Sander], Beiträge zur Poleoprophylaxis gegen die Gangetische Pest, gewöhnlich Cholera genannt, 2 Bde., Braunschweig 1831/32; Dr. Ferdinand Robert, Cholerabuch oder das Buch über die ursprüngliche und fernere Entstehung, die Beschaffenheit, Heilung und Abwehrung der bengalischen Brechruhr oder Hindupest, Bd. 1, Gießen 1832. 55 Vgl. : Dr. J. M. Prchal, Die Cholera beobachtet in Galizien im Jahre 1831, Prag 1831, S. 70. 56 Vgl.: Dr. Paulus, Allgemein verständlicher guter Rath, wie man sich zur Vermeidung der Cholera Morbus zu verhalten habe [...], Stuttgart 1831, S. 1. 57 Vgl.: Dieterich, Beobachtung und Behandlung des wandernden Brechdurchfalles, S. 1. 58 Vgl.: Dr. H. Blumenthal, Flüchtiger Schattenriß der sogenannten Cholera Indica, wie sie im Jahre 1830 in der östlichen Hälfte des Europäischen Rußlandes epidemisch herrschte, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Beziehung auf das Sanitäts-Wesen im Königl. Preussischen Staate, 33 (1831), S. 554-581, hier: S. 563. 59 Vgl.: Dr. Fabre, Die Cholera in Paris, oder Leitfaden für praktische Aerzte zur Erkenntniss und Behandlung dieser Krankheit. Aus dem Französischen und mit einer Vorrede begleitet von Dr. Jos. Schuler, Mannheim 1832, S. 1. 60 Dr. Fr. M. Kubyss, Die Cholera oder Brechruhr in allen ihren Formen, Berlin 1835, S. 3f. 61 [Anonym], Sicherste Heilung und Ausrottung der asiatischen Cholera, Dritte Aufl. Leipzig 1831, S. 5.

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Die Fratze der Feindin

auf eine Verwandtschaft mit bekannten Krankheiten verwiesen: „Die gegenwärtige Cholera eine scorbutische Krankheit", „Verwandtschaft der Cholera und des epidemischen Frieselfiebers", „Cholera und Influenza, in ihrem Wesen identisch", „Cholera als Wechselfieber", „Analogien der asiatischen Cholera mit der blauen Krankheit"62. Ad 4): Skeptischer Nominalismus. Als wäre die Streitlage nicht schon kompliziert genug, gab es - und das war die vierte grundlegende Position im Namensstreit - empiristische Skeptiker, die sich gegen jede Verallgemeinerung überhaupt wandten. Mit nominalistischem Ansatz wurde auf denkbare geographische Modifikationen und zeitliche Wandlungen des Krankheitsbildes hingewiesen und darauf, daß verschiedene Patienten verschiedenartige Symptome zeigten. Mit dem Fall des Konzepts einer einheitlichen Krankheit fiel das des vereinheitlichenden Namens: „Wir kennen die verborgenen Wirkungen der Natur viel zu wenig, um sie dünkelhaft in die engen Spalten der Terminologien zu klemmen. Am Ende entscheidet der Grad und die Modalität" bzw. etwas pragmatischer: „Bald wird hoffentlich Niemand, der ein Arzt heißen will, mehr existiren, der etwa meinte: Cholera ist Cholera!"63. Zusammengefaßt: Ein Name - und diesem Dilemma entgingen nicht einmal extreme Nominalisten - mußte sein, ob bei Cholera, Typhus oder anderen Krankheiten64. Er gehöre zur Basiskondition einer Wissenschaft, die, wie jede andere, auch über Namen Gegenstandsbereiche erschließt. Sie werden eingegrenzt, isoliert, definiert. Sie werden namhaft gemacht. Dadurch sind sie potentiell verfügbar, und erst dadurch sind andere Verfügungsschritte möglich. Mit Roland Barthes gilt: Eigentlich heißt eine Krankheit lesen, ihr einen Namen zu verleihen. Bedeutet das, wie Barthes fortführt, auch die Medizin der Moderne sei nach wie vor animistischen Typs? Sind Mediziner weiterhin Magier, Mantiker und Seher?65 Das ist heftig umstritten. Einerseits wird geltend gemacht, die religiös-magischen Gehalte der medizinischen Sprache hätten sich verloren, eine grundlegende Entmythisierung habe sich durchge-

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[Anonym], Die gegenwärtige Cholera eine scorbutische Krankheit, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), Bd. 5, Nr. 101, 22. August 1832, Sp. 79f.; Dr. Steudel, Die Verwandtschaft der Cholera und des epidemischen Frieselfiebers, in: Cholera orientalis, I. Heft, Nr. 15 (1832), S. 231-234; [Anonym], Wechselverhältnis der Cholera und Influenza, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 37, 4. Februar 1832, S. 291-296, hier: S. 294; Dr. A. Hinze, Die Cholera als Wechselfieber, in: Cholera orientalis, II. Heft, Nr. 32 (1832), S. 503f.; Dr. Anton Friedrich Hohl, Analogien der asiatischen Cholera mit der blauen Krankheit, Halle 1831. [Anonym], Die Hauperfahrungen über die Cholera in Rußland, in: Cholera orientalis, V. Heft, Nr. 61 (1831), S. 87-91, hier: S. 87; Dr. Ernst Daniel August Bartels, Grundzüge einer speciellen Pathologie und Therapie der orientalischen Cholera; als Leitfaden für praktische Aerzte zu einer den Verschiedenheit des Ganges, Grades und übrigen Verhaltens der Krankheit angemessenen Behandlung, Berlin, Potsdam und Bromberg 1832, S. VII. Zur Vielheit verschiedener CholeraBegriffe für völlig verschiedene Krankheitsformen vgl. die Übersicht in: Höfler, Deutsches Krankheitsnamen-Buch, S. 87ff. Vgl.: Ulrich Lindemann, Die Geschichte der Krankheitsbezeichnung .Typhus' und der Wandel der Typhuslehre im 19. Jahrhundert in Deutschland, Med. Diss. Berlin 1986. Vgl.: Roland Barthes, Semiologie und Medizin, in: ders., Das semiologische Abenteuer, Frankfurt/M. 1988, S. 210-220, hier: S. 217, 220.

Das Mysterium der Namen

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setzt66. Andererseits wird Medizin, weil Sicherheitsversprechen und emotionales Engagement eng beieinanderliegen, zumindest als funktionales Äquivalent magischer Praktiken angesehen67. Gar wird sie, unter anderem wegen ihrer direkten und indirekten Heilsverheißungen und des fetischisierenden Kults von Apparaturen, uneingeschränkt als Figuration von Magie verstanden68. Schließlich wird ihr ein universalistischer und sich auf soziale Irrationalitäten gründender Geltungsanspruch unterstellt, der in die vorwurfsvolle Formel einer „Theologie der Medizin" mündet69. Theologie der Medizin, Magie der Medizin? Diese Feststellung umschließt verschiedene Aspekte und richtet sich auf Formales wie Inhaltliches. Sie wird weiter umstritten bleiben. Allein jedoch auf Sprache und Qualitäten bezogen gilt: Kultur, einschließlich Wissenschaften, lebt auch durch die und mit der Praxis, natürliche und selbstgeschaffene Realitäten qua Namensgebung gefügig zu machen. Insofern sind Macht und Name komplex miteinander verwoben. Worte und Namen mögen sich bestimmter magischer Gehalte entledigt haben. Aber erst, sollten Worte bar jeden magischen Gehalts sein, wäre das „animistische Hindernis", das Gaston Bachelard resigniert nicht nur den Wissenschaften des 18. Jahrhunderts, sondern bisher jeder Wissenschaft attestierte70, überwunden. Es ließe sich überwinden, gehörte es nicht zum Phänomen Wissenschaft selbst.

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Vgl.: Helmut Gipper, Zur Problematik der Fachsprachen. Ein Beitrag aus sprachwissenschaftlicher Sicht, in: Festschrift für Hugo Moser zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Ulrich Engel/Paul Grebe/ Heinz Rupp, Düsseldorf 1969, S. 66-81. Vgl.: Talcott Parsons, Struktur und Funktion der modernen Medizin, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderband 3 (1958), S. 10-57, hier: S. 45. Vgl.: Zygmunt Bauman, Moderne oder die Dekonstruktion der Sterblichkeit, in: ders., Tod, Unsterblichkeit und andere Lebenstrategien, Frankfurt/M. 1994, S. 197-244, hier: S. 215. Vgl.: Thomas S. Szasz, Theologie der Medizin (1977), Wien, München, Zürich 1980. Gaston Bachelard, Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes. Beiträge einer Psychoanalyse der objektiven Erkenntnis (1938), Frankfurt/M. 1987, S. 225ff., 305.

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1.2. Ein Mensch wie du und ich a) Ontologisches Krankheitskonzept Mit Recht wurde vor einiger Zeit darauf hingewiesen, daß Katastrophen sich durch ihre Subjektlosigkeit auszeichnen, das heißt, durch vom Betroffenen nicht wahrnehmbare und lokalisierbare Ursachen und eine Vielzahl von Wirkungen71. Was und wo sind gar nicht auszumachen. Sie werden zu Rätseln, zu Phänomenen, die nicht greifbar sind. Auf diese generelle Unsicherheit gibt es konstante Reaktionsmuster. Prinzipien oder Instanzen werden namhaft gemacht, um ein Mindestmaß von Verständnis und von Akzeptanz zu gewähren. Sie konturieren das Bedrohliche und machen das Unerklärliche erklärbar. Dadurch wird es möglich, die Mächte des ganz Anderen in einen vorgängigen Verständnishorizont zu integrieren und minimale Vertrautheit zu schaffen. Drohende Gefahren können konkretisiert werden, und gegebenenfalls scheint sogar eine Gegenwehr möglich. Was sich auf der Ebene alltäglichen Bewußtseins abspielt, findet in der Medizin Widerhall. Das spiegelt sich zum Beispiel in einem Krankheitskonzept, das die Annahme, die Bedrohungen des Körpers seien erstens rein äußere und zweitens prinzipiell lokalisierbar, nicht etwa verdeckt transportiert. Es macht sie sich ausdrücklich und konzeptionell zu eigen: ontologisches Krankheitskonzept. Sinnfällig wird es 1833 in einer Ballade eines damals bekannten Literaten und Publizisten gestaltet: Über dem Kranken- bzw. Sterbebett eines Patienten geraten angreifende Pest und Doktor in einen unerbittlichen Kampf. Personifizierte, bewaffnete Pest gegen den mit Rezepten und Arzneien bewehrten und bewaffneten Arzt. Angriffswelle auf Angriffswelle, Gegenangriff auf Gegenangriff. Nachzugeben wäre unmöglich. Es geht auf Leben und Tod72. Der Text schildert einerseits den Kampf der fluchbeladenen Pest mit den Errungenschaften der modernen Medizin. Andererseits belegt er, gleichsam unter der Hand, die moderne, sich vor allem im 19. Jahrhundert intensivierende Tendenz, den erkrankten Patienten zunehmend nur als Medium ärztlichen Handelns zu begreifen. Kranke galten als Durchgangsstation von Krankheit. Sie wurden geradezu zum marginalen Vehikel, wurden im Kampf für ökonomische, wissenschaftliche oder für Standesinteressen schlichtweg funktionalisiert73. Insofern waren das aktuelle Bezüge. Abgesehen davon rekurrierte diese Groteske auf ein geradezu archaisches Modell bzw. setzte es auf zeitgemäße Weise neu: Krankheit und Tod als substanzhafte Wesen aufzufassen. Sie haben einen existenzhaft-ontischen Status, den

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Vgl.: Peter Sloterdijk, Wieviel Katastrophe braucht der Mensch?, in: Psychologie Heute, H. 10 (1986), S. 30-37. Vgl.: Eduard Duller, Der Arzt, in: ders., Freund Hein. Grotesken und Phantasmagorieen. Mit Holzschnitten von Moritz v. Schwind, 2 Bde., Stuttgart 1833, Bd. 1, S. 107-112. Vgl.: Ivan Waddington, The role of the hospital in the development of modern medicine. A sociological analysis, in: Sociology. The Journal of the British Sociological Association, 7 (1973), S. 211-224; N. D. Jewson, The Disappearance of the Sick-man from Medical Cosmology, 1770-1870, in: ebenda, 10 (1976), S. 225-244; Claudine Herzlich/Janine Pierrot, Kranke gestern, Kranke heute. Gesellschaft und das Leiden (1984), München 1991, S. 29ff.

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Rang einer klar auszumachenden Entität. Damit spielte diese Groteske nicht bloß mit verblichenen Elementen des kulturellen Gedächtnisses, dem archaische Krankheitsmodelle eingelagert waren. Sie war, ob Autorenabsicht oder nicht, ein getreuer Spiegel der aktuellen medizinischen Seuchendebatten. Zwei Eckpunkte bestimmten das Diskussionsfeld. Erstens, gibt es tatsächlich Krankheiten als Krankheiten? Zweitens, und entgegengesetzt, gibt es nicht ausschließlich kranke Menschen? Das erste zu bejahen, hieße vom ontologischen Krankheitskonzept auszugehen, wie es für einen Teil der Romantiker und der seit Mitte der zwanziger Jahre auflebenden „naturhistorischen Schule" kennzeichnend war74. Für das zweite einzutreten, hieße, für eine extreme Individualisierung von Krankheiten zu optieren, wie für Teile der modernen Physiologie typisch war. Die geschichtliche Entwicklung beider Konzeptionen verlief widerspruchsvoll. Ihr Ursprung, wie der der meisten europäischen medizinischen Leitideen, läßt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Und ihre Weiterentwicklung wäre nach zwei differierenden Mustern zu beschreiben: einem, das die fortwährenden Modifizierungen eines jeden Konzepts bis in die Gegenwart beschreibt, und einem anderen, das von einem fortschreitenden Schwinden ontologischer Annahmen und ihrer Transformation in individualisierte Krankheitsmodelle ausgeht. Kurzum, um die beiden Positionen pointiert zusammenzufassen: gnostisch und teleologisch. Die ontologische Konzeptualisierung von Krankheiten unterstellt einen äußeren Zugriff auf die Physis und Psyche des Gesunden. Hier der Mensch, da ein äußerliches und fremdes Etwas, das ihn bedroht. Dessen Urheber mögen vielfältig sein, Götter, Dämonen, Geister oder animistische Prinzipien. Aber auf dreierlei Art versuchen sie, vom menschlichen Körper und Geist Besitz zu ergreifen: durch materiell-unbeseelte Objekte (das ließe sich Korpuskularkonzept nennen), durch materiell-belebte Wesen (das könnte Parasitenkonzept bezeichnet werden) und durch rein immaterielle Wesenheiten (im Sinne einer Dämonologie)75. Die drei Zugriffswege waren in der Regel gar nicht klar voneinander geschieden, ebenso wie im magischen Denken der Urheber und die unterstellten Krankheitsträger selbst gar nicht immer scharf separiert waren. Letztlich sind in magischen Praktiken sogar die Subjekt-Objekt-Differenzierungen habituell noch gar nicht voll ausgebildet, die Äußeres und Inneres überhaupt erst unterscheiden lassen. Im allgemeinen aber, und das ist den vorgestellten Mustern gemeinsam, wird Krankheit als etwas Seiendes aufgefaßt, das sich dem

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Vgl.: Walter Pagel, Paracelsus, Van Helmont, Virchow und die Wandlungen im ontologischen Krankheitsbegriff, in: Virchows Archiv A, Nr. 363 (1974), S. 183-211, hier: S. 203f.; Hess, Von der semi otischen zur diagnostischen Medizin, S. 265ff. Im Gegensatz dazu wurde dafür plädiert, die Rolle des ontologischen Krankheitskonzepts innerhalb der „naturhistorischen" Schule nicht zu überschätzen, vgl.: Johanna Bleker, Die Naturhistorische Schule 1825-1845. Ein Beitrag zur Geschichte der klinischen Medizin in Deutschland, Stuttgart 1981, S. lOlf., 134f„ 140.

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Vgl.: Charles Lichtenthaeler, Der magische Hintergrund der hippokratischen Materia peccans in den Epidemiebüchern III und I, in: Die Hippokratischen Epidemien. Theorie - Praxis - Tradition, hrsg. v. Gerhard Baader/Rolf Winau, Stuttgart 1989, S. 109-116; Mirko D. Grmek, Das Krankheitskonzept, in: Die Geschichte des medizinischen Denkens. Antike und Mittelalter, hrsg. v. Mirko D. Grmek, München 1996, S. 260-277, hier: S. 262.

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Körper hinzugesellt, in ihn eindringt, ihn unterwirft (abgesehen von den besonderen Fällen, wo die Krankheitsentität dem Körper oder der Seele etwas Unabdingbares entreißt). Dieses Krankheitsverständnis unterlag allmählichen Wandlungen. Im Zug des Entstehens von neuen, „rationalen" Wissenstypen waren Krankheiten als Störenfriede natürlichen Gleichgewichts, als Teil der Natur anzusehen. Die naturalistische Interpretation der Krankheiten faßte Fuß. Jedoch vollzog sie sich im Rahmen der magisch-religiösen, vorwissenschaftlichen Konzeptualisierung, nicht neben ihr. Sie war keine ausgebildete Alternative, sondern bildete sich auf jener Basis erst heraus. So waren natürliche Krankheitserklärungen, selbst wenn sie inhaltlich archaische Erklärungsmuster abzustreifen suchten, ihnen strukturell weiterhin verpflichtet. Krankheit war, selbst im Gewand natürlicher Agenzien, nach wie vor etwas Äußerliches, eine für sich bestehende Entität. Dennoch ergaben sich im Verlauf des 6. und des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, wenn man sich auf die mediterrane griechische Welt beschränkt, die Voraussetzungen für ein Krankheitsbild, das die Gewichtung von Außen und Innen grundsätzlich veränderte. Ein möglicherweise neuer Typ von Kausaldenken war dafür ebenso leitend wie eine soziale Praxis, die erstmals das konstituierte, was wir heutigentags mit den Schlüsselworten „Subjektivität" und „Individualität" bezeichnen. Das wies den Weg zum individuell Kranken. So war der Arzt und Philosoph Alkmaion von Kroton einer der ersten, der Gleichgewichtskonzepte für die menschliche Physis entwarf, zum Beispiel zwischen feucht und trocken, kalt und warm, bitter und süß usw. Das war das Konzept, welches schließlich durch Hippokrates ausführlich humoralpathologisch ausgeformt wurde und Anwendung für jeweils individuelle Krankheitsfälle fand. Durch Galen sanktioniert und modifiziert, galt es kanonisch bis in die Neuzeit. Das ontologische Konzept mit seiner Dialektik von Außen und Innen, von Angriff und Verteidigung war damit bei Hippokrates erstmals überwunden und in ein physiologisches übersetzt. Es verlagerte Spannungsverhältnisse ins Körperinnere. Äußere, vor allem geographische oder klimatische Faktoren, waren als Anlässe nicht übergangen. Die innere Ausgewogenheit der Säfte war eingebettet in ein umfassendes Gleichgewichtsverhältnis von Mensch und Umwelt. Als Resultat ergab sich jedoch ein starker Zug zur Individualisierung von Krankheiten. Körpergleichgewichte sind - durch welche äußeren Einwirkungen auch immer - auf spezifische Weise gestört. Ein komplexes Ursachengefüge führt zu einer inneren Instabilität, Dyskrasie. Sie ist nur durch ebenso komplexe, auf den Einzelfall zugeschnittene Beobachtungs- und Behandlungsmethoden zu beheben. Von einer magisch fundierten Ontologisierung von Krankheiten hin zu ihrer Individualisierung, von platonischen zu hippokratisehen Krankheitskonzepten76 - diesen scheinbaren geradlinigen Weg, den ich oben als teleologischen bezeichnet habe, hat es so nicht gegeben. Bereits innerhalb der Hippokratischen Schule und auch bei Galen tauchte das Problem der vergleichbaren Maßstäbe auf. Wenn eine individuelle Störung auftritt, woran ist sie zu messen? Nur an ihrer Abweichung vom Normalzustand? Dann war, zur Kennzeichnung der Krankheit wenig gewonnen. Einer ausschließlich therapeutisch orientierten Medizin, die

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Vgl.: Henry Cohen, The Evolution of the Concept of Disease, in: Concepts of Health and Disease, ed. by Arthur L. Caplan/H. Tristam Engelhardt/James J. McCartney, Reading, MA 1981, S. 209-219, hier: S. 210.

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sich auf ein enges persönliches Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient gründete, mochte ein solcher Ansatz vielleicht dienlich sein. Aus erfahrungsmäßigem persönlichen Umgang weiß der Arzt, oder glaubt es zu wissen, was dem speziellen Patienten fehlt, und er leitet entsprechende Maßnahmen ein. Aber zur Klärung der Qualität von Krankheit über den jeweiligen Einzelfall hinaus hatte das keine besondere Aussagekraft - außer des Allgemeinplatzes, daß Kranksein eben bedeutete, nicht gesund zu sein. Das hieße, Krankheit fortan allein ex negativo bestimmen zu können. Das mochte für die Heilung im individuellen Fall, die der Arzt aus persönlichem Umgang einleitete, genügen. Aber eine Medizin als Theorie und Wissenschaft, die sich nicht Einzelfällen, sondern der Allgemeinheit widmet, war darauf nicht zu gründen. Allein innertheoretisch war der Ausgangspunkt dadurch unbefriedigend. Auch die soziale Dynamik sprengte dieses aristokratisch-intime Verhältnis. Sie machte allgemeinverbindliche Orientierungen zum Beispiel für die Stadt, die ganze Region, für das Kriegsheer erforderlich. Insofern stand Medizin vor dem Dilemma - und bereits Galen war sich dessen ausdrücklich bewußt 77 - praktisch nur individuell behandeln und heilen zu können, aber theoretisch Allgemein-Verbindliches postulieren zu wollen. Womit haben es Mediziner nun zu tun, mit Kranken oder mit ¥iiankheiten? Dem Erkrankungsgeschehen oder dem Krankheitsgeschehen? Ist es das Kranksein, das sie beschäftigt und Schlüsse auf seine Ursache zuläßt, oder ist es die Krankheit, von der aus das Erkranken erklärbar und heilbar wird? Das Dilemma, so scheint es, hat sich innerhalb der weiteren Entwicklung der Medizin bis heute nie auflösen lassen. Auf der einen Seite Ontologisierung, auf der anderen Individualisierung - eine Lage, die sich, wie oben genannt, als gnostische kennzeichnen ließe. Und in der Tat dürfte diese Kennzeichnung treffend sein. Es fand, übrigens aus guten und triftigen Gründen, in der Medizin kein grundlegender Wandel des ontologischen Krankheitsverständnisses hin zu einer ausgewogenen Individualisierung statt. Im Gegenteil, das Konzept lebte durch die anti-hippokratischen Krankheitslehren Paracelsus', van Helmonts und Sydenhams wieder auf, wurde in der Aufklärung durch Morgagni fundiert und kam in Romantik und naturhistorischer Schule zu Ehren. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte es mit Virchows Zellularpathologie - Virchow erklärte, er sei „ausgemachter Ontologe" 78 - sogar einen entscheidenden Aufschwung. Eine Abkehr, noch dazu im Sinne eines wissenschaftlichen Fortschritts, hat es also nicht gegeben. Beide Konzepte existieren in immer neuen Spielarten parallel nebeneinander. Gegenwärtig leben Ontologiekonzepte allein durch die ökonomische und technische

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Vgl.: Owsei Temkin, The Scientific Approach to Disease: Specific Entity and Individual Sickness, in: Scientific Change. Historical Studies in the intellectual, social and technical condition for scientific discoveries, ed. by A. C. Crombie, London 1963, S. 629-659, hier: S. 635. Rudolf Virchow, Hundert Jahre allgemeiner Pathologie (1895), zit. nach: Pagel, Paracelsus, Van Helmont, Virchow und die Wandlungen im ontologischen Krankheitsbegriff, hier: S. 205. Zu Sydenhams ontologischem Krankheitsbegriff, mit dem der „englische Hippokrates" seinem Vorbild teilweise entgegentrat, vgl.: Fritz Hartmann, Thomas Sydenham (1624-1689), in: Klassiker der Medizin, hrsg. v. Dietrich v. Engelhardt/Fritz Hartmann, Bd. 1, München 1991, S. 154-172, hier: S. 167ff.; W. F. Bynum, Nosology, in: Companion Encyclopedia of the History of Medicine, ed. by W. F. Bynum/Roy Porter, London, New York 1993, Bd. 1, S. 335-356, hier: S. 341.

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Versachlichung der medizinischen Beziehungen wieder auf, in denen Kranke objektiv in die Rolle von Trägern bzw. von Durchgangsstationen von Krankheiten geraten. Aber selbst diese Charakteristik wäre zu grobkörnig. Noch die Zweiteilung der medizinischen Krankheitsbilder erweist sich angesichts der komplizierten Theoriegeflechte als unzureichend. Scheint es doch völlig verschiedene individuelle und transindividuelle, nichtübertragbare und ansteckende Krankheiten in verschiedenen Kombinationen zu geben. Scheinen sich doch individuelle Krankheiten auf allgemein verbreitete Ursachen zu gründen und gewinnen ansteckende Krankheiten eine individuell so ausgeprägte Form, daß es schwer fällt, den Schluß vom Kranksein auf eine bestimmbare Krankheit zu ziehen. Man mochte, wie zum Beispiel in der Cholerazeit 1831, noch so nachdrücklich dafür plädieren, das Kranksein zu generalisieren und die Krank/iezi zu individualisieren79 (François-JosephVictor Broussais dürfte zu jener Zeit die für dieses Herangehen einflußreichste Autorität gewesen sein80). Oder man konnte auf umgekehrtem Weg versuchen, die Cholera zu generalisieren und den Kranken zu individualisieren81 (als Vorbild wirkte noch immer das quasi ontologische Tableau Philippe Pinels82). In beiden Fällen war keine andere Rede möglich als die von der Epidemie, der Cholera, oder welchen Namen man auch immer bevorzugte. Sprache, das zeigt sich gerade auch am Beispiel von Krankheit und Kranksein, ist per se ontologisierend. Durch ihre Struktur und Funktion reproduziert sie vermeintlich ontologische Relikte beständig neu. Selbst wenn ein medizinisches Konzept inhaltlich gegen eine Ontologisierung von Krankheit argumentierte - die sprachliche Form liefe seinem Inhalt zuwider. Eine jede Beschreibung schreibt fest, ein jeder sprachlicher Hauch zementiert. Selbst wenn man, den Streit zwischen Ontologisierung und Individualisierung hinter sich lassend, sich darauf verständigte, daß Krankheiten Modelle sind, die Wirklichkeitsphänomene beschreiben und demzufolge nicht durch sie konstituiert werden, dann wären es eben diese Modelle, die auf diese Weise einen ontologischen Status gewinnen. Unvermeidliche Ontologisierung? Natürlich erfolgte auch damals Kritik daran. Insbesondere im Zug der Herausbildung der Physiologie als „exakter" Wissenschaft gab es Versuche, solchen substanzhaften Ontologisierungen zu begegnen. Mit dem für die Philosophie

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Vgl. z.B.: Dr. Sinogowitz, Andeutungen über die ärztliche Behandlung der Cholera-Kranken in dem Königl. Militär-Cholera-Lazarethe zu Danzig, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologisch-therapeutischen, gesundheitspolizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, Nr. 5,19. September 1831, S. 18f. Zu Broussais vgl.: Erwin H. Ackerknecht, Medicine at the Paris Hospital 1794-1848, Baltimore 1967, S. 61ff.; Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte, S. 175ff. Speziell zu Broussais' Versuch der Lokalisierung von Krankheiten: Jan François Braunstein, Broussais et le matérialisme. Médicine et philosophie au XIXe siècle, Paris 1986, S. 36ff. Zu seiner Spezifizierung von Behandlungsmethoden vgl. auch: Broussais Vorlesungen über die Cholera. Am 18. u. 19. April, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 4, Nr. 81, 23. Mai 1832, Sp. 137-144, hier: Sp. 143. Vgl. z.B.: Dr. Heinrich Schäfer, Ueber die Cholera, in: Königlichpriviligirte Zeitung von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 211, 8. September 1831 [Beilage]. Zu Pinel vgl.: Hess, Von der semiotischen zur diagnostischen Medizin, S. 105ff.; Ackerknecht: Medicine at the Paris Hospital, S. 47ff.; Fritz Hartmann, Philippe Pinel (1745-1826), in: Klassiker der Medizin, hrsg. v. Dietrich v. Engelhardt/Fritz Hartmann, München 1991, Bd. 2, S. 7-23.

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und Naturwissenschaften der fünfziger Jahre typischen nominalistischen Akzent wurde angestrebt, jene medizinischen Kollektivworte zu verbannen, „die zu einer Art Verkörperung der damit verknüpften Begriffe und Vorstellungen zu einem Ding, einem Etwas für sich" führten83. Nur ein sorgfältiger Sprachgebrauch könne solche Fallstricke umgehen, erst recht eine konzeptionelle Ausrichtung der Medizin, die nicht nach Entitäten, sondern nach Fakten und Relationen sucht. Nur das sei zeitgemäß. Dieser Appell war eigentlich paradox. Auch er trug all die Züge an sich, die einer vermeintlich antispekulativen positivistischen Sprachbereinigung immer zu eigen sind. Er täuscht nur über den Umstand hinweg, daß jedes Wort an sich schon ein Kollektivwort ist. Allein durch seinen Status als Wort ist es generativ. Mit jedem Wort werden Welten geschaffen, mit jedem Satz Universen.

b) Metaphorischer Zwang Metaphern - was wurde nicht alles über sie geschrieben. Kaum eine These, zu der es keinen Widerspruch gab. Diskrepanz über Diskrepanz - wahrnehmungstheoretisch, rhetorikgeschichtlich, linguistisch84. Allein eines scheint heute unumstritten: Nichtmetaphorisches Sprechen gibt es nicht. Die vernunftbewährte, im 19. Jahrhundert kulminierende Annahme, Metaphern als bloßen rhetorischen Zierat zu verstehen, dürfte endgültig gegenstandslos sein. Was leistet Sprache, was leisten Metaphern? Sie sind das Medium, mit denen Realität angeeignet wird. Sie übersetzen sie, formen sie um, greifen auf sie zu. Das ist kein Akt bloßen Widerspiegeins. In bestimmter Weise erzeugen sie Realität. Sprache und Metaphern formieren sich ihre Gegenstände. Realität wird gefügig. Man muß sprachstrukturalistische Ansätze nicht völlig teilen, um anzuerkennen, daß Sprache ein Medium ist, „das von aller menschlichen Ewigkeit her Macht enthält"85. Berücksichtigt man ferner die Feststellung Max Blacks, des Wegbereiters der modernen Metaphernforschung, mit Metaphern werden die Merkmale des jeweiligen Gegenstandes „betont, unterdrückt und organisiert"86, so wird deutlich: Sprache und Metaphern schaffen unablässig Welten - menschliche Welten. Metaphern sind menschliche Usurpationsmuster. Sie bringen die stumme Welt zum Sprechen. Sie übersetzen deren schweigende Präsenz und erlauben eine sprachliche Bestimmung, einen Zugriff auf eigentlich Unverfügbares. Zwar gibt es den nicht unbegründeten Hinweis Hans Blumenbergs, Metaphern seien angesichts einer „genuin tödlichen Wirklichkeit" wichtige Mittel, um sich von der Welt zu distanzieren87. Durch die These Jürgen Links, Metaphern und Kollektivsymbole seien wich-

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Dr. Fr. Oesterlen, Medicinische Logik, Tübingen 1852, S. 375, vgl. auch S. 459. Vgl.: Elisabeth Neswald, Und noch mehr über Metaphern? Zur Metaphernforschung der 90er Jahre, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie, 23 (1998), S. 259-277. Roland Barthes, Leçon/Lektion, Antrittsvorlesung im Collège de France (1977), Frankfurt/M. 1980, S. 17. Max Black, Mehr über die Metapher (1977), in: Theorie der Metapher, hrsg. v. Anselm Haverkamp, Darmstadt 1983, S. 379-413, hier: S. 393. Hans Blumenberg, Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik (1971), in: ders., Wirklichkeiten in denen wir leben, Stuttgart 1986, S. 104-136, hier: S. 116.

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tige Elemente einer Identitätsstiftung, und sie würden die Fiktion einer gattungshaften Einheit erhalten, gewinnt diese Annahme noch an Plausibilität88. Aber ebenso wirken Metaphern in umgekehrte Richtung: Sie schlagen Brücken, vermitteln und vereinen scheinbar Getrenntes. Mittels Metaphern läßt sich Distanz zur Welt überwinden und eine latente Verfügung über das an sich unverfügbar Natürliche imaginieren. Sie sind kein Spiegel der Realität, sondern der menschlichen Konstitution. Menschen projizieren die Bedingungen ihrer selbst metaphorisch auf das, was sie betrifft. Gerade in Krisenzeiten tritt der antropomorphe Grund deutlich hervor: Macht der Metaphern89. Sie gründet sich darauf, menschliche Wesensmerkmale nach außen zu projizieren und so dem Anderen des menschlichen Selbst zu begegnen. Die fremde natürliche Welt wird zum Spiegel der eigenen. Bedrohungen, eigentlich unlokalisierbar und diffus, erhalten eine Gestalt, ein menschliches Antlitz. Das macht die vielfältigen Vermenschlichungen, Personifizierungen und schließlich sogar gezielte Verkörperungen der Cholera verständlicher. Sie erschien gleichsam als handelnde dramatis personae. Personifizierungen wie „Pestteufel", „Satanas", „Würgeengel"90, um briefliche Belege des Publizisten Ernst Moritz Arndt anzuführen, assoziieren zwar religiös-christliche Deutungsmuster. Aber im 19. Jahrhundert waren das mehr oder weniger rhetorische Versatzstücke ohne den einstigen religiösen Tiefengehalt. Sie reihen sich, um nur bei Arndt zu bleiben, ein in eine ganze Kette von einprägsamen Hypostasen, wie zum Beispiel „Gesindel" oder „Gespenst"91. Die Cholera war zu personifizieren. Das war entscheidend. So finden sich diese Vergleiche in den rhetorisch abgezirkelten Verlautbarungen der Höfe und Ministerien ebenso wie in den eher schmucklosen Bekanntmachungen von Verwaltungsorganen oder der Sprache der Journalberichte. Kulturell verdichteten sie sich in allegorischen Deutungen: Zum Andenken an die Heimsuchung und Befreiung der Stadt Berlin von der Cholera beabsichtigt die Berliner Medaillen-Münze des Herrn G. Loos eine Denkmünze herauszugeben [...]. Auf der ersten Seite der Denkmünze ist der Engel der Vernichtung vorgestellt. Er hat sich von Osten her der Stadt genahet, welche, persönlich vorgestellt, den Entsetzlichen mit der Hand abzuwehren strebt, der schon das verderbende Flammenschwerdt in seiner rechten Hand aufgehoben hat und in der linken die Schale der Trübsal, wenn auch noch zurück, doch schon bereit hält. [...] Die andere Seite zeigt, als Gegenbild, dieerlösete Stadt, ebenfalls personifiziert. Sie ist knieend dargestellt, und hat die Hände dankend zum Himmel emporgehoben, an

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Vgl.: Jürgen Link, Die Revolution im System der Kollektivsymbolik. Elemente einer Grammatik interdiskursiver Ereignisse, in: Aufklärung, 1 (1986), H. 2, S. 5-23; Frank Becker/Ute Gerhard/ Jürgen Link, Moderne Kollektivsymbolik. Ein diskurstheoretisch orientierter Forschungsbericht mit Auswahlbibliographie, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 22 (1997), S. 70-154. Vgl.: Olaf Briese, Die Macht der Metaphern. Blitz, Erdbeben und Kometen im Gefüge der Aufklärung, Stuttgart 1998. Ernst Moritz Arndt an Friedrich Schleiermacher, 26. Juli 1831, in: Ernst Moritz Arndt, Briefe, hrsg. v. Albrecht Dühr, Bd. 2, Darmstadt 1973, S. 427; ders. an Charlotte Dorothea Rassow, 6. August 1831, in: Briefe, Bd. 2, S. 430; ders. an Charlotte von Kathen, 5. Dezember 1831, in: Briefe, Bd. 2, S. 445. Ernst Moritz Arndt an Christian Burchardi, 26. März 1832, im Emst Moritz Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 452; ders. an Charlotte Dorothea Rassow, 9. Juli 1832, in: Briefe, Bd. 2, S. 458.

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welchem sich der Friedensbogen, dieses ewige Zeichen der wiederkehrenden göttlichen Huld, wölbet. 92

Selbst der medizinischen Sprache waren solche Personifizierungen inhärent. Es handelt sich um solche zahllosen Euphemismen wie orientalischer bzw. schauerlicher Gast, Unhold, gefiirchteter Besucher aus dem Morgenland oder um solche stets wiederkehrenden Personifizierungen wie Wüterich, Würgeengel oder orientalisches Gespenst. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Unter ihnen sollen gar nicht diejenigen interessieren, die sich durch die unhintergehbar anthropomorphisierende Tendenz von Sprache geradezu von selbst ergeben. Im folgenden interessieren aussagekräftige Belege von direkt gewollten, weit ausgreifenden Personifizierungen. Sie scheinen weitaus bezeichnender für Angstbewältigung zu sein als jener allem menschlichen Reden und Denken wohl immer zugrundeliegende anthropomorphisierende Zug. Das war keine Sache des persönlichen Beliebens. Es war ein kollektives Werk. Das verdeutlichen vier direkt aufeinander verweisende Belege aus der Zeit des Beginns, der Mitte und des Abklingens der Epidemie. Sie zeigen, wie die Cholera in ein metaphorisches Netz verwoben wurde, das von Fall zu Fall, von Autor zu Autor, fortgeknüpft werden konnte. Dem Einbruch des Unverständlichen korrespondieren verständnisbildende Maßnahmen. Weit ausgreifende Personifizierungen machen, zumal wenn sich damit ein vor- und rückverweisender, selbstbezüglicher Diskurs entfaltet, das kollektiv Unfaßbare faßbar: Es ist zu fürchten, daß die Cholera ihren furchtbaren Tour de l'Europe machen werde, langsamen Fußes einherschreitend, wie bisher, gleich einem Geharnischten mit geschloßenem Visir, vor ihr Schrecken, mit ihr Verderben und Entsetzen, hinter ihr Wehklage und Trauer.93

Stammt dieses Zitat aus der Zeit, wo die Cholera erst die östlichen Grenzen Europas bedrohte, so hofften Mediziner einige Monate später, während der Warschauer und Berliner Epidemie, es werde gelingen, „dem Gespenste, welches bis jetzt ganz Europa in Schrecken erhält, die Larve abzureissen" bzw. „dem asiatischen Ungethüm seine Maske ab[zu] nehmen" 94 . Das war zu der Zeit, als die Cholera sich den schlesischen Regierungsbezirken näherte. Dort lautete die entsprechende Prognose gleich zweier Abhandlungen, wobei die eine sich wortwörtlich auf die andere stützte, gewollt optimistisch: Mit geschlossenem Visir, einem Geharnischten gleich, langsamen Fusses einherschreitend, fährt, wie Eisner in seiner Schrift über die Cholera sagt, dieses Uebel fort, seinen furchtbaren

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Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königl. Residenz, (gez.) Büsching, Bekanntmachung, in: Beilage zur Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 43, 20. Februar 1832, [S. 2]. Prof. Christoph Johann Heinrich Eisner, Ueber die Cholera. Ein Versuch dieselbe zu deuten, Königsberg 1831, S. 24. Dr. Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau 1831, S. 71; Dr. [Georg Philipp] Holscher [Sendschreiben an Johann Nepomuk Rust], in: Berliner CholeraZeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 2, 27. September 1831, S. 16.

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Die Fratze der Feindin Tour de l'Europe zu machen. Noch Niemand hat dem geharnischten Riesen das Visir geöffnet, aber gelüftet ist es worden!95

All das waren Versprechen auf die Zukunft. Aber auch die medizinischen Koryphäen Preußens vermochten es nicht, den Riesen zu stoppen oder gar zu Fall zu bringen. Als die Epidemie in Berlin und Schlesien abgeklungen war und bei ihrer Verbreitung in Deutschland wenigstens an Kraft verlor, registrierte ein weiterer Mediziner schließlich, es sei nun zwar doch nicht erreicht, dem verkappten feindlichen Ritter sein hermetisch verschlossenes Visir zu lüften, und auf das verhängnisvolle ,Woher kommst du' von dem überwundenen selbst die alleinrichtige geneaologische Antwort zu vernehmen: so haben sie doch mindestens sein Portrait mit allen den kenntlich machenden Pockengruben und starkmarkirten Auswüchsen auf dem Schlachtfelde, mitten unter seinen Todesopfern, und nicht selten selbst schwer verwundet, naturgetreu litographirt, die eigenthümliche Art und Weise seines Auftrittes, Angriffs, Sieges, und durch welche Mittel letzterer ihm entrissen wurde, mit schwarzer und weisser Kreide aufgezeichnet, und post festum einige nicht unerbauliche Leichenreden gehalten.96

Metaphern scheinen, um die Eingangsthese nochmals aufzunehmen, unabdingbar zur Konstitution und Bewältigung von Wirklichkeit. Das gilt nicht nur für die Cholera, sondern für den medizinischen Diskurs generell. Metaphern sind eben nicht nur veranschaulichend relevant. Sie sind sind theoriekonstitutiv97. Das hat immer wieder Kritik erfahren. Zum Beispiel plädierte Susan Sontags Essay „Krankheit als Metapher" von 1977 - um nur einen der streithaften Entwürfe dieser Richtung vorzustellen - angesichts überbordender metaphorischer Konnotierungen für einen Verzicht auf diesen sprachlichen Irrweg. Ihr Anliegen ist verständlich: Die Forderung, unnötigen sprachlichen Ballast abzuwerfen, ist die, ein religiöses bzw. säkulares Krankheitsverständnis hinter sich zu lassen, nach dem der Kranke selbst durch fahrlässigen Lebenswandel oder durch psychische Disposition für die Folgen verantwortlich ist. Eine entscheidende metaphorische Reduktion, die alle überkommenen sprachlichen Konventionen abstreift und Krankheit als reine körperliche Störung und als nichts weiter begreift, würde diese unzumutbare Schuldzuweisung kassieren. Ein rein physiologisches Krankheitsbild mache jeglichen Vorwurf und Selbstvorwurf gegenstandslos98. Dem wurde entgegnet - um damit eine Position entgegengesetzter Richtung anzuführen - , daß diese Sprachkritik eine Medizin befördere, die das Leiden entmenschliche und das Elend medikalisiere. Die metaphernfreie Sprache sei das Ideal einer inhumanen aseptischen Praxis, die Krankheit, Leiden und Tod endgültig in die technokratischen, büro-

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Dr. Friedrich August von Ammon, Die Erkenntnis und die Behandlung der asiatischen Cholera. [...] Nach den besten Quellen für Civil- und Militairärzte und Wundärzte und für Pharmaceuten, 3. umgearb. Aufl. Dresden 1831, S. I; [Anonym], Die Erkenntnis und Behandlung der nach Deutschland verschleppten asiatischen Cholera, Dresden 1831, S. 3. Dr. Sobernheim, Zur Cholera-Literatur dieses Jahres, in: Berliner Medizinische Zeitung, Nr. 3, 21. Januar 1832, Sp. 39-44, hier: Sp. 39. Vgl.: Geraldine W. van Rijn-van Tongeren, Metaphors in Medical Texts, Amsterdam, Atlanta 1997, S. 120. Vgl. : Susan Sontag, Krankheit als Metapher ( 1977), Frankfurt/M. 1981.

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kratischen und sterilen Sphären von Operationssaal und Labor verbanne und glaube, ihnen dort und nur dort beizukommen. Krankheit werde, befreit vom metaphorischen Doppelgänger, damit endgültig zu einem Ding an sich. Die Alternative dazu könne nur in einer entschiedenen Sozialisierung von Krankheit bestehen. Sie sei kein Kampf der Natur mit sich selbst, vielmehr eine soziale Kommunikationsform. Noch der individuelle Körper sei das unmittelbare, nächstliegende Terrain, auf dem individuelle und soziale Wahrheiten und Widersprüche sich über Sprache darstellen und ausgefochten werden. Die Kranken hätten ihre Befindlichkeit zuallererst über Sprache und Metaphern zu thematisieren". Dieser patientenorientierte Ansatz ist allerdings ebenso normativ wie der, den Patienten von metaphorischen Verteufelungen zu entlasten. Er postuliert kein Metaphernverèof, sondern ein Metapherngebot. In ihrer Appellstruktur erliegen beide Vorschläge der Verführung, ein nichtmetaphorischer Zugang zu Krankheit sei überhaupt möglich. Doch wie ließe sich nichtmetaphorisch reden? Wenn man unter Denken die beständige Verknüpfung von Symbolen, Chiffren und Namen, die Platzhalter von Begriffen sind, versteht, - als innere Rede eben - , ließe sich nicht einmal metaphernfrei verstummen. Metaphern mögen als Verzerrung oder als Verheißung erscheinen. Aber sie sind immer schon da.

c) Verleiblichung der Seuche Immer mehr setzt sich die Auffassung durch, nichtmetaphorisches Denken und Sprechen gibt es nicht, gleichfalls die, daß Metaphern in letzter Instanz anthropomorph angelegt sind. Es gibt keinen Weg heraus aus den Bedingungen, die Menschen zu Menschen machen, keinen Weg heraus aus ihrer anthropomorphen Konstitution. Das bedeutet letztlich, daß nicht der Mensch an sich, sondern der menschliche Leib als Maß aller Dinge zu gelten habe. Für seine Leibstrukturen und nach ihnen organisiert er die Welt, angefangen von einfachen Wahrnehmungen, über Sprachfiguren bis hin zu komplizierten Kultursystemen. Körperhafte Dimensionen sind auch für den sprachlichen, genauer: den metaphorischen Ausdruck von Belang. Metaphern sind von ihrem essentiellen Grund her als Verkörperungsschemata anzusehen100. Erkenntnis geschieht nicht via Metaphern oder mit Hilfe von ihnen.

99 Vgl.: Nancy Scheper-Hughes/Margaret M. Lock, The Mindful Body: A Prolegomenon to Future Work in Medical Anthropology, in: Medical Anthropology Quarterly. New Series, 1 (1987), S. 6^-1, hier: S. 31. Zu dieser Position und dieser Kontroverse vgl.: Susan M. DiGiacomo, Metapher als Krankheit. Postmoderne Dilemmata in der Repräsentation von Körper, Geist und Krankheit, in: Anatomien medizinischen Wissens. Medizin, Macht, Moleküle, hrsg. v. Cornelius Borck, Frankfurt/M. 1996, S. 125-153, hier: S. 142ff.; Barbara Clow, Who's Afraid of Susan Sontag? or, the Myths and Metaphors of Cancer Reconsidered, in: Social History of Medicine, 14(2001), S. 293-312. 100 Vgl.: Zdravko Radmann, Künstliche Intelligenz und natürlicher Leib. Über die Grenzen der Abstraktion am Beispiel der Metapher, in: Metapher, Kognition, künstliche Intelligenz, hrsg. v. Hans Julius Schneider, München 1996, S. 165-184, hier: S. 182; Jürgen Trabant, Artikulationen. Historische Anthropologie der Sprache, Frankfurt/M. 1998, S. 177ff.; Gunter Gebauer, Die Sprachmäßigkeit des Körpers, in: Sprache und Sprachen in den Wissenschaften. Geschichte und

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Sie geschieht durch sie. Dafür sind, wie Mark Johnson und George Lakoff in ihren wegweisenden Untersuchungen herausgearbeitet haben, Physis und Leiblichkeit primär entscheidend. Sie prägen einerseits den „Input" von Reizen, Sinneseindrücken und Erfahrungen eine Annahme, die erkenntnistheoretisch längst erwiesen ist. Andererseits trägt auch der metaphorisch-sprachliche „Output" ihr Siegel. Metaphern sind eben nicht bloß sprachliche Einkleidungen, kein überflüssiger bzw. unerläßlicher Ornat. Sie sind Weisen des Verstehens selbst101. Sie sind nicht mimetisch, sondern generativ. Das heißt: Menschen verstehen die Welt als Menschen - ausgehend von ihrem biologisch-leiblichen Mobiliar. Dieses Mobiliar unterliegt selbstverständlich bestimmten Veränderungen. Es formt sich im Brennglas sozialer Konstituenten. Körperhafte metaphorische Aneignungsstrukturen bedeuten nicht, einem einmal, noch dazu einem biologisch gegebenen Modus unausweichlich verhaftet zu sein. Leib ist nicht gleich Leib. Die Crux jeder starren Anthropologie, soweit sie sich dezidiert auf soziales oder kulturelles Terrain begibt, besteht eben darin, Variablen zu Konstanten zu erklären. Deshalb ist auch der Versuch einer anthropologischen Verankerung von Metaphern stets historisch zu konkretisieren102. Körper bzw. Leib haben ihre Geschichte. Sie umfaßt eine Evolution, die sich nicht nur auf biologische Faktoren zurückführen läßt: historische Anthropologie. Dennoch sind leib- und körpergeprägte Verstehensweisen als primordiale unhintergehbare Basis anzusehen, die jeder sozialen oder kulturellen Prägung vorhergeht. Welt ist transformierte Körperweit. Provokativ ist das jüngst unter anderem von Peter Sloterdijk herausgestellt worden. Ausgehend von einer prinzipiellen menschlichen Urerfahrung - des Wachsens in der schützenden mütterlichen Leibhöhle - , versucht er zu zeigen, wie dieses biologische Urphänomen sich in immer neue kulturelle Deutungen und Praktiken transformiert. Nicht die ersten nac/igeburtlichen Lebensregungen prägen das Bild von der Welt. Im Grunde sind es pränatale Konstituenten, mit denen sie sich verstehen und bewältigen läßt. Die Blase wird zur Kugel, zur universalen mikro-makrokosmischen Form, mit der die Welt in immer wieder neuen Figurationen strukturiert und gemeistert wird103. Um solche Programme wird mit Recht weiter gestritten werden, und besonders wird die nicht nur von Sloterdijk primär veranschlagte uterine Prägung weiter in der Diskussion bleiben. Zumindest ist aber festzuhalten: Leiblich-körperliche Konstituenten sind es, die den ersten und grundlegenden Zugang zur Welt gewähren. Sie geben Sicherheit, in einer Welt bestehen zu können, die dem Menschen gemäß ist. In zeitlicher wie kausaler Hinsicht gilt: Am Anfang war der Leib. Eine nichteinholbare Kondition. Er ist das unvertrauteste und vertrauteste Ferment des Menschen. Zu denken und zu handeln, heißt aus und mit dem Leib zu denken und zu handeln.

Gegenwart. Festschrift für Walter de Gruyter & Co. anläßlich einer 250jährigen Verlagstradition, hrsg. v. Herbert Emst Wiegand, Berlin, New York 1999, S. 3-26. 101 Mark Johnson/George Lakoff, The Body in the Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason, Chicago, London 1987, S. XIVf., XX, vgl. auch: dies., Philosophy in the flesh. The embodied mind and its challenge to western thought, New York 1999. 102 Bernhard Debatin, Die Rationalität der Metapher. Eine sprachphilosophische und kommunikationstheoretische Untersuchung, Berlin, New York 1995, S. 248ff. 103 Vgl.: Peter Sloterdijk, Sphären. Bd. 1 : Mikrosphärologie. Blasen, Frankfurt/M. 1998, S. 62, 68.

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Metaphern, als Kristalle kultureller Konfigurationen, spiegeln das gedrängt und verdichtet wider. Sie gehen, wie menschliche Weltbilder überhaupt, zum Leib, weil sie letztlich von daher kommen. In sprachlichen Mikrobestandteilen wie Metaphern verdichtet sich das besonders augenfällig. Medizin, der Tendenz nach eine körpernahe Disziplin, weist eine besondere Affinität für Körpermetaphoriken auf. Dabei handelt es sich nicht nur um gelegentliche metaphorische Verweise, sondern um den Ausdruck anerkannter Theoriekomplexe. Der Seuche beispielsweise ein individuelles Leben, sogar ein „sexuelles Leben" zuzumessen104, war keine Obskurität. Dieser Vertreter der naturhistorischen Schule spezifizierte nur die generelle aufklärerische Scheidung zwischen Urzeugung, Generatio spontanea sive aequivoca, und einer direkten bipolaren geschlechtlichen Zeugung, Generatio sexualis. Galt die Cholera als Frucht der „Schwangerschaft der gemeinschaftlichen Mutter des Menschengeschlechts", der Erde105, lag das konsequent auf letzterer Linie. Sie stellte die neuzeitliche, aufklärerische Alternative zur aristotelischen Urzeugung aus leblosem, zersetzungsfähigem Material dar. Eine weitere Herkunftsthese trieb solche Vorlagen voran. Die ausgebildete tellurische Krankheitskonstitution gebe „den mütterlichen Leib" zur Zeugung des männlichen Krankheitssamens ab106. Damit war ein komplexes Determinationsfeld von Befruchtung, Schwangerschaft, Zeugung und erneuter Befruchtung auf neuem qualitativen Niveau eröffnet. Andere Genealogien griffen romantisch-spekulativ noch weiter aus, wenn sie die anerkannte Differenz von Krankheitsanlage (Causae praediponentes) und Gelegenheitsursachen (Causae occasionales) gleichfalls ins Sexuelle übersetzten: Die Tellus denke ich mir als den weiblichen (gebärenden), die Atmosphäre als den männlichen (erzeugenden) Faktor. Da, wo sich die Effluvien oder bewirkenden Qualitäten der Erde und der obern Atmosphäre berühren, da erzeugt sich das dritte, die Luftkonstitution.101

Mit dem triadischen Muster von Mutter, Vater, Kind war der ontische Ursprung der Seuche rekonstruiert. Darüber hinaus erklärte es, wie die infizierte Atmosphäre schließlich den menschlichen Körper ergreift. Das war gleichfalls ein sexuell aktiver Vorgang, der, innerhalb dieser Logik, die Kette der kosmischen Zeugungs- und Geburtsprozesse ins Mikrokosmische übersetzte: Auch bei miasmatischen Krankheiten, besonders der Cholera, finden sich ein die Krankheit erzeugender Agent, man mag ihn wie immer bezeichnen als Vater, - der menschliche Leib als Boden, der ihn empfängt, aufnimmt und behält, oder wieder ausscheidet, somit die Mutter darstellt, - und als Frucht dieser Begattung (Kind) die Krankheit.108

1W Dr. Jos. Herrn. Schmidt, Physiologie der Cholera, Berlin 1832, S. 87. 105 Dr. Jähnichen, Die Cholera in Moskau, mit kritischen Bemerkungen zu einem Aufsatz vom Herrn Leibmedicus Dr. v. Loder über diese Epidemie, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 19 (1831), S. 385-450, hier: S. 385. 106 Dieterich, Beobachtung und Behandlung des wandernden Brechdurchfalles in München, S. 47. 107 Dr. A. Fr. Spring, Ueber Ursprung, Wesen und Verbreitung der wandernden Cholera. Mit Beziehungen auf die Epidemie in München 1836/37, München 1837, S. 74. 108 Dr. Anselm Martin, Die Mittel, die Luft bei miasmatischen Krankheiten, insbesondere der Cholera, ganzen Städten und bewohnten Räumen zu verbessern, München 1854, S. 3.

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Schließlich, die Konsequenz, war Krankheit selbst genuin ein Körper: „Jede Krankheit ist ein ganzer Mensch, und hat einen unsichtigen Leib, und ist selbst Microcosmos, so daß in dem kranken Leibe der Mensch selbander vorhanden ist, und zwei Leiber ineinander geschlossen sind." Krankheit, insbesondere die Cholera, stelle sich als eigener körperlicher Organismus dar, der mit einem ihm innewohnenden Lebensprozeß nach Erhaltung strebe: Gleich jedem Organismus durchläuft die Krankheit ihre Stadien, sie keimt, entsteht, wächst, ist auf ihrer Höhe, decrescirt und erlöscht, sie hat ihr Fötusleben, ihre Geburt, ihr Knaben-, Jünglings- und Mannesalter, ihr Greisenalter und ihren Tod. 109

Nochmals, das ist zu bekräftigen: Hier handelt es sich nicht um schwärmerische und haltlose Metaphoriken. Es sind fundierte Krankheitskonzepte, die auf einer generellen Parallelisierung und Identifizierung von Infectio und Zeugung beruhten. Um einen der heute nach wie vor bekannten romantischen Naturphilosophen mit seiner epidemiologischen Grundthese anzuführen: „Die Ansteckung muß man als einen Begattungsprozeß [...] betrachten" (Ritter)110. Insbesondere seit den aufklärerischen Thesen der Generatio spontanea bzw. Generation sexualis und den romantischen Modellen Friedrich Wilhelm Joseph Schellings und Lorenz Okens hatten sie Eingang in die Medizin gefunden: „Die Natur ist eine ewige Begattung" (Oken) 111 . Mit diesen Analogien ließ sich das Skandalon bannen, das im Zug der öffentlichen Irrungen und Wirrungen und der wissenschaftlichen Ratlosigkeit immer wieder direkt benannt worden war: nämlich das, es mit einem „körperlosen Feind" zu tun zu haben 112 . Gegen einen solchen Feind oder gar gegen ein „Gespenst", wie die Cholera folgerichtig genannt wurde 113 , ließ sich nichts ausrichten. Wie sollte man gegen einen verwunschenen „unsichtbaren Dämon" auch kämpfen 114 ? Wie war eine Gegenwehr gegen ein Nichts möglich? Erst die körperliche Konturierung konnte das Mysterium Cholera bewältigen. Erst dieser Zugriff

109 Dr. P. Philippson, Beiträge zu den Untersuchungen über die Cholera morbus, Magdeburg 1831, S. 55f. 110 Johann Wilhelm Ritter, Fragmente aus dem Nachlaß eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur (1810), hrsg. v. Birgit u. Steffen Dietzsch, Leipzig und Weimar 1984, S. 197. 111 Zit. nach: Dieter Wagner, Zur Geschichte der Epidemiologie im Vorfeld der naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung (1760-1850), Dissertation Β [Habilitation], Berlin 1980, S. 46, vgl. auch: S. 45ff., 49, 51f., 69f. Zur Identifizierung von Ansteckung und Begattung vgl.: Hans-Uwe Lammel, Zur Auffassung der Seuchen in der romantischen Medizin, in: NTM. Schriftenreihe für Geschichte der Naturwissenschaften, Technik und Medizin, 27 (1990), S. 81-91, hier: S. 88. Zu Okens Sexualontologie: Dietmar Schmidt, Klimazonen des Geschlechts. Zeugung um 1800, in: metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung, 9 (2000), H. 17, S. 8-29. 112 [Anonym], Stralsunds Bürgern, in: Sundine, Nr. 38, 22. September 1831, S. 297. 113 Moritz Schlesinger, Ueber die specifische Behandlung der Cholera. Eine auf die Natur der Krankheit gegründete in der Erfahrung sich vorzüglich bestätigende Heilmethode, Berlin 1831, S. 3. 114 Eduard Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der CholeraEpidemie in Danzig miteinander getheilet haben, Danzig 1832, S. 95.

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übersetzte ihre diffuse Körperlosigkeit in vertraute Wahrnehmungsmuster: anthropomorph statt amorph. Das erfolgt nicht qua bewußter Sinnproduktion, als ob es sich hier um gezielte Orientierungsstrategien handelte. Eher läßt sich sagen, die Sprache selbst, im Sinne nichtbewußter oder unbewußter Orientierungsweisen, führt hier das Wort. Sie wurden nicht vorsätzlich ausgebildet. Sie bildeten sich aus.

d) Das weibliche Geschlecht der Krankheit In archaischer Zeit erlangten Natur bzw. Erde vorrangig feminine Qualitäten. Sie wurden geschlechtsspezifisch begriffen und in der Regel weiblich bzw. mütterlich konnotiert. Das Bild der mütterlichen Natur trug die Ansicht einer den Menschen zuträglichen Schöpfung. Da mittlerweile Studien vorliegen, die diese verklärenden Bilder umfassend aufgearbeitet haben, braucht hier darauf nicht näher eingegangen zu werden 115 . Nur soviel: In dem Maß, in dem Gesellschaften seßhaft wurden und von Ackerbau lebten, entwarfen sie auch das Bild einer mütterlichen gebärenden Natur. Während die himmlischen Mächte zunehmend in den Rang männlicher Qualitäten gerieten, die von oben herab Energie und Wohltat spenden, bewahrt die irdische Natur ihre Weiblichkeit und hütet den Menschen von innen und unten heraus. Noch die antiken Mythen gaben Zeugnis von dieser archaischen Sicht. Positive Bilder der weiblichen Natur waren auch im Christentum und im Mittelalter nie völlig unterdrückt 116 . Beeinflußt durch arabische Autoren, kabbalistische Texte und neuplatonische Mystik erlebten sie in der Renaissance, zumindest bei Gebildeten, sogar einen Aufschwung. Alchimistische Theorie und Praxis, gleichfalls der Bergbau trugen zum Amalgam archaischer Bilder mit christlichem Gedankengut bei. Bergbau war eine kultische Praxis mit dem Leitmythos des Erdenschoßes, in dem die Metalle reifen 117 . Ein anderer Topos war, aus welchen Gründen auch immer, längst dominierend: Im christlichen Diskurs war das Bild weiblicher Natur allmählich mit dem der zu bezwingenden Natur verknüpft worden. Sie erschien als wilde, sündige Natur, galt als gärend, unbezähmt. Die vergeschlechtlichende Deutung von Natur konnte beibehalten werden. Nur kehrte sie sich um: sündige, gefallene Natur, natura lapsa. Aufklärerisch wurde das, trotz allen Natur-

115 Vgl.: Albrecht Dieterich, Mutter Erde. Ein Versuch über Volksreligion, 2. Aufl. Leipzig, Berlin 1913; Erich Neumann, Die Grosse Mutter. Eine Phänomenologie der weiblichen Gestaltungen des Unbewussten (1956), 5. Aufl. Olten/Freiburg i.B. 1981; Monica Sjöö/Barbara Mor, Wiederkehr der Göttin. Die Religion der großen kosmischen Mutter und ihre Vertreibung durch den Vatergott, Braunschweig 1985; Manfred Kurt Ehmer, Göttin Erde. Kult und Mythos der göttlichen Mutter Erde. Ein Beitrag zur Ökosophie der Zukunft, Berlin 1994. 116 Vgl.: Mechthild Modersohn, Natura als Göttin im Mittelalter. Ikonographische Studien zu Darstellungen der personifizierten Natur, Berlin 1997. 117 Vgl.: Hartmut Böhme, Geheime Macht im Schoß der Erde. Das Symbolfeld des Bergbaus zwischen Sozialgeschichte und Psychohistorie, in: ders., Natur und Subjekt, Frankfurt/M. 1988, S. 67-144; Sabine Mödersheim, Mater et Matrix. Michael Maiers alchimistische Sinnbilder der Mutter, in: Mutter und Mütterlichkeit. Wandel und Wirksamkeit einer Phantasie in der deutschen Literatur. Festschrift für Verena Ehrich-Haefeli, hrsg. v. Irmgard Roebling/Wolfram Mauser, Würzburg 1996, S. 31-56.

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kults - Kulte sind Riten der Distanzierung - reformuliert118. Insofern überrascht die feminine Konnotierung der Cholera nicht. Amazonen und Pestjungfrauen, gefährlich und sexuell herausfordernd, bedrohen die patriarchalische Häuslichkeit. Wenn sich der Familienvater diesen Furien heroisch opfert, dann um des Familien- oder Allgemeinwohls willen 119 . Die Femme fatale, seit der sogenannten schwarzen Romantik ein Standardtopos literarischer Frauenbilder, stand als Leitmotiv hinter dieser Stilisierung 120 . Es war noch in den detailliertsardonischen Berichten spürbar, die Hindus verehrten und fürchteten die Cholera als halbbekleidete, vielarmige Göttin121. Abgesehen von Metaphoriken und Bildern - welche Diskurselemente konstituierten den Topos der krankheitsanfälligen bzw. krankheitsverbreitenden Entität Frau? Ad 1 ): Physio-psychisch. Erst die frühneuzeitliche Medizin wagte den physiologischen Schritt, den Schnitt ins Körperinnere. Christliche wie islamische Gebote hatten ihn bislang nicht zugelassen. Es gab lediglich eine prophylaktische und therapeutische Medizin. Deshalb war es geradezu eine Revolution des Menschenbildes, und zwar eine nach wie vor bedenkliche, kleine und größere Operationen am geöffneten Körper und schließlich ganze Sektionen des Leibs durchzuführen122. Diese medizinische Revolution stand von ihrer Bedeutung her jener der astronomischen Wissenschaften um nichts nach. Sogar zeitlich läßt sich eine Art Gleichklang feststellen: Im Jahr 1543 erschienen ebenso Nikolaus Kopernikus'

118 Vgl.: Carolyn Merchant, Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft (1980), München 1987; Elvira Scheich, Naturbeherrschung und Weiblichkeit. Denkformen und Phantasmen der modernen Naturwissenschaften, Pfaffenweiler 1993. 119 Eduard Duller, Die Braut aus Hindostán, in: ders., Freund Hein, Bd. 2, S. 19-34; Franz Freiherr von Gaudy, Die Pestjungfrau [undatiert, ca. 1831], in: Gedichte des Freiherrn von Gaudy, herausgegeben von Arthur Mueller, Berlin 1847, S. 411-418. Zum seit der Antike verbreiteten Motiv von Pestfrauen und -jungfrauen vgl.: Jakob Grimm, Deutsche Mythologie (1835), Nachdruck der 4. Auflage, Wiesbaden 1992, Bd. 2, S. 99Iff. 120 Vgl.: Carola Hilmes, Die Femme fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur, Stuttgart 1990; Claudia Bork, Femme fatale und Don Juan. Ein Beitrag zur Motivgeschichte der literarischen Verführergestalt, Hamburg 1992; Don Juan und Femme fatale, hrsg. v. Helmut Kreuzer, München 1994; Bram Dijkstra, Das Böse ist eine Frau. Männliche Gewaltphantasien und die Angst vor der weiblichen Sexualität (1996), Reinbek 1999. 121 Böttiger, Über die indische Personification der Cholera, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 109/110, 4./5. Juni 1832, Sp. 865-878, Bild: Sp. 865; [Anonym], Die Göttin Cholera, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 177, 26. Juni 1831, S. 776. Zum Hintergrund der mythologischen Verklärung der Cholera im damaligen Indien: David Arnold, Cholera and Colonialism in British India, in: Past & Present, Nr. 113 (1986), S. 118-151, hier: S. 131ff. 122 Vgl.: Markwart Herzog, Scharfrichterliche Medizin. Zu den Beziehungen zwischen Henker und Arzt, Schafott und Medizin, in: Medizinhistorisches Journal, 29 (1994), S. 309-331; Anna Bergmann, Menschenopfer und Heilsversprechen in der Geschichte der modernen Medizin, in: Körper/Schmerz. Intertheoretische Zugänge, hrsg. v. Maria Wolf/Hans Jörg Walter/Bernhard Rathmayr, Innsbruck 1998, S. 175-198; dies., Wissenschaftliche Authentizität und das verdeckte Opfer im medizinischen Erkenntnisprozeß, in: Die Inszenierung von Authentizität, hrsg. v. Erika Fischer-Lichte, Stuttgart 2000, S. 285-311. Zum oftmals vernachlässigtem antiken Vorfeld vgl.: Heinrich von Staden, The Discovery of the Body: Human Dissection and its Cultural Contexts in Ancient Greece, in: The Yale Journal of Biology and Medicine, 65 (1992), S. 223-241.

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„De Revolutionibus Orbium Coelestium" wie Andreas Vesalius' „De Humani Corporis Fabrica". Für die Konstitution von Geschlechterverhältnissen war der physiologische Ausbau der Medizin höchst folgenreich. Frauen waren endgültig Mängelwesen. Unter dem Skalpell trat es untrüglich zutage123. Zwar verlor das aristotelische bzw. arabische physiologische Paradigma der Frau als eines „verunglückten Mannes" Ende des 16. Jahrhunderts an Gültigkeit124. Aber die physische Eigenständigkeit der Entität Frau anzuerkennen, hieß nun, sie als Mängelwesen anzuerkennen. Wie inzwischen speziell für die Zeit von 1750 bis 1850 herausgearbeitet wurde, liefen die neuen Wissenschaften vom Menschen darauf hinaus, sein Wesen aufzuwerten - und geschlechtlich zweizuteilen. Die aus theozentrischen Verlusten erwachsende Aufwertung des „Menschen an sich" war eine verkappte. Der nunmehr akzeptierte qualitative biologische Geschlechterunterschied wurde zum Anlaß qualitativer Gradmessungen genommen. Das Resultat war eindeutig: Es bewies die physische, psychische und moralische Unterlegenheit der Frau. Es blieb bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts von Bestand. Erst dann verebbte es im Zuge universaler Evolutionstheorien, ohne jemals ganz zu schwinden125. Mit Paul Julius Möbius „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes" (1901) und Otto Weiningers „Geschlecht und Charakter" (1903) erlebte es nochmals einen Höhepunkt. Ein Beispiel für die physiologische Fundierung der Geschlechterdifferenz aus der Zeit der ersten Cholera-Welle war Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften" von 1830. Darin nutzte er die Ergebnisse des Anatomen Jakob Fidelis Ackermann, der 1788 eine Studie über die körperliche Verschiedenheit des Mannes vom Weibe vorgelegt hatte126. Spekulationen über die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane aufgreifend, verstand Hegel den Mann als das höher entwickelte Lebewesen. Die ursprünglich identische Anlage seiner Fortpflanzungsorgane habe sich in männliche und weibliche ausdifferenziert. Die männ-

123 Vgl.: Londa Schiebinger, Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft (1989), Stuttgart 1993, S. 262ff„ 268ff. 124 Vgl.: Manuel Simon, Heilige - Hexe - Mutter. Der Wandel des Frauenbildes durch die Medizin im 16. Jahrhundert, Berlin 1993, S. 79ff. Zum Vorfeld vgl.: Nancy Tuana, Der schwächere Samen. Androzentrismus in der Aristotelischen Zeugungstheorie und der Galenischen Anatomie, in: Das Geschlecht der Natur, hrsg. v. Barbara Orland/Elvira Scheich, Frankfurt/M. 1995, S. 203-223; Nausikaa Schirilla, Die Frau, das Andere der Vernunft. Frauenbilder in der arabischislamischen und europäischen Philosophie, Frankfurt/M. 1996. 125 Vgl.: Edith Stolzenberg-Bader, Weibliche Schwäche. Männliche Stärke. Das Kulturbild der Frau in medizinischen und anatomischen Abhandlungen um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, in: Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V., Bd. 5.2.: Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann, Freiburg, München 1989, S. 751-818; Claudia Honegger, Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750-1850, München 1996; Ute Planert, Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität, Göttingen 1998, S. 79ff. 126 Zu Ackermann vgl.: Honegger, Die Ordnung der Geschlechter, S. 170ff.

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liehen Genitalien verkörperten das rationale Prinzip des Gehirns und der Aktivität. Der weibliche Kitzler hingegen zeige das mindere sinnliche der Inaktivität127. Diesem Diskursmuster zufolge war die Insuffizienz des weiblichen Körpers Disposition genug, Krankheiten auf sich zu ziehen. In der Cholerazeit bewährte sich das, wenn aus Spekulationen über die männliche und weibliche Körperelektrizität geschlossen wurde, Frauen seien während der monatlichen Blutung negativ-elektrisch aufgeladen: „Elektrogamie". Das führe, beim ebenfalls negativen Aufladungsgrad der Luft während der Cholera, zu einer nachhaltigen Gleichgewichtsstörung, die die Seuche in besonderer Weise begünstige. Der Kontakt von Mann und Frau sei deshalb strikt zu unterbinden128. Hier zeigt sich versteckt ein mittelalterliches Erbe, etwa des berühmten Pariser Universitätsgutachtens von 1348, das auf humoralpathologischer Grundlage unter anderem dekretierte: „Umgang mit Weibern ist tödlich; man soll sie weder begatten noch in einem Bette mit ihnen schlafen"129. Das Gemeinwesen, von der Seuche bedroht, ist sui generis maskulin. Ihm gebührt der Schutz „Krankheit Frau", wie dieser bis ins 19. Jahrhundert verbreitete Topos medizinhistorisch treffend bezeichnet wurde130. Ad 2): Moralisch. Nicht allein ein physiologischer, auch ein moralischer Diskurs okkupierte die Fragen von Gesundheit und Krankheit. Das war nicht verwunderlich. Avancierten doch Moral und Sittlichkeit zu den Kampfworten der deutschen Aufklärung schlechthin. Eine Unzahl aufklärerischer Diätetiken - Hufelands „Makrobiotik, oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern" von 1796 war nur die Spitze einer ganzen Phalanx solcher Abhandlungen - versuchte zu begründen, warum der beste Schutz des Körpers in moralischem Lebenswandel liege. Tugend, Moral und Sittlichkeit seien die besten Mittel, ihn gesund zu erhalten und gegen alle schädlichen Einflüsse zu wappnen. Unmoral bewirkt

127 Vgl.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), in: Werke in zwanzig Bänden, hrsg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1969ff., Bd. 9, S. 517f. Zur langen Vorgeschichte dieses eingeschlechtlichen Modells und den entsprechenden Mann-Frau-Hierarchien vgl.: Thomas Laqueur, Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud (1990), München 1996. Speziell für die deutsche Aufklärung untersuchte dieses Muster: Corinna Wernz, Sexualität als Krankheit. Der medizinische Diskurs der Sexualität um 1800, Stuttgart 1993, S. 132ff. Zu Hegels Geschlechteranthropologie vgl.: Heidemarie Bennent, Galanterie und Verachtung. Eine philosophiegeschichtliche Untersuchung zur Stellung der Frau in Gesellschaft und Kultur, Frankfurt/M., New York 1985, S. 160ff. 128 Vgl.: Dr. Paul Ernst Streicher, Die Entlarvung der asiatischen Cholera. Eine auf Theorie und Erfahrung gegründete Systematik, Magdeburg 1832, S. 82. 129 Vgl. den Abdruck in: Georg Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 1.1: Die Geschichte der Pest, Gießen 1908, S. 60-62, hier: S. 62. Sticker gibt hier eine der Varianten dieses Gutachtens wieder, die früheste erhaltene Variante findet sich jetzt in: Andrea Birgit Schwalb, Das Pariser Pestgutachten von 1348. Eine Textedition und Interpretation der ersten Summe, Med. Diss. Tübingen 1990. Zu diesem Gutachten weiterhin: Rudolf Sies, Das „Pariser Pestgutachten" von 1348 in altfranzösischer Fassung, Pattensen 1977; Volker Zimmermann, Krankheit und Gesellschaft: Die Pest, in: Sudhoffs Archiv, 72 (1988), S. 1-13. 130 Vgl.: Esther Fischer-Homberger, Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen, Darmstadt und Neuwied 1984.

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Krankheit. Letztlich, und auch diese Konsequenz wurde im aufklärerischen Diskurs gezogen - moralische Vergehen selbst sind Krankheit131. Dieser aufklärerischen Leitidee zufolge waren Frauen beständigen körperlichen Anfeindungen ausgesetzt. Waren sie doch definitiv das „moralische Geschlecht". Sie waren für den familiären, und nicht nur familiären, Gefühlshaushalt verantwortlich. Männer agierten in Ökonomie und Politik. Frauen wurde, generöses Zugeständnis und Abwehr gleichermaßen, die Sphäre von Tugend bzw. Moral zugewiesen 132 . Diese moralphilosophische Ökonomie überlebte die Aufklärung. In der Cholera-Zeit um 1830 waren anthropologische wie moralische Argumente für einen per se anfälligen weiblichen Organismus nach wie vor aktuell. Die stärkere Disposition, Designation und Destination für Krankheiten und eben auch für Seuchen war weiterhin festgeschrieben. Schwächliche Frauen, namentlich der „höheren Stände", galten bei Seuchen als besonders gefährdet133. Medizinischen Ratgebern für das sogenannte schöne Geschlecht zufolge würden Krankheiten vor allem Frauen bedrohen - nicht irgendwelche, sondern Städterinnen, und noch genauer: Bürgerinnen134. Direkt auf die Cholera bezogen hieß es in einem Lehrtext, der sich in mehreren der offiziellen Cholera-Zeitungen fand: Euch vor allem, ihr Frauen, und Euch, Ihr rosigen Jungfrau'n, Warnet ein ärztlicher Mund heute so freundlich, als ernst: Bannet den modigen Tand aus luftigem Spinnegewebe, Meidet die rauschende Lust, flieht den bachantischen Tanz! Vielen zwar red' ich umsonst; wer könnt' ihn tilgen, den Leichtsinn?135 Solche Erregung ergreife aber auch eine andere Klasse von Frauen: „besonders weibliche Domestiken, einzeln wohnende, bei Familien einliegende Frauenzimmer"136. Sie waren eben

131 Vgl.: Olaf Briese, Zwangsjacke - Brenneisen - Skalpell. Zur Onanie-Prävention im 19. Jahrhundert, in: Forum Vormärz Forschung, 5 (1999): „Emanzipation des Fleisches". Erotik und Sexualität im Vormärz, hrsg. v. Gustav Frank/Detlev Kopp, S. 155-184. 132 Vgl.: Liselotte Steinbrügge, Das moralische Geschlecht. Theorien und literarische Entwürfe über die Natur der Frau in der französischen Aufklärung, Weinheim, Basel 1987, S. 40ff. 133 [Anonym], Die Cholera, in: Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, 1 (1848), S. 669-713, hier: S. 682. 134 Vgl.: Dr. Leopold Fleckles, Die herrschenden Krankheiten des schönen Geschlechtes in der Blüthe des Lebens in großen Städten, Wien 1832, S. 13. 135 Hr. Med. Rath Dr. Koeler, Bewährte Vorschrift wider die Furcht vor der Cholera, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologisch-therapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 43, 3. November 1831, S. 173f„ hier: S. 174. Ein weiterer Abdruck findet sich z.B. in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 21, 10. Dezember 1831, S. 166-168. 136 Dr. »»*y*», Aufforderung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 27, 5. Oktober 1831, S. 105f., hier: S. 106. Letztere Ansicht deckt sich direkt mit den Thesen von Johann Lukas Schönlein, die er in den Jahren 1819-1829 bei der Behandlung weiblicher Unterschichtenpatientinnen entwickelt hatte, vgl.: Johanna Bleker, Hysterie - Dysmenorrhoe Chlorose. Diagnosen bei Frauen der Unterschicht im frühen 19. Jahrhundert, in: Medizinhistorisches Journal, 28 (1993), S. 345-374.

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nicht nur physisch, sondern auch moralisch-psychisch anfällig. Körperlich und geistig labil, seien sie permanent gefährdet, aber, weitaus schlimmer, dem Allgemeinwohl auch permanent gefährlich. Ad 3): Ideologisch-politisch. Waren Frauen physio-psychisch und moralisch als besonders choleraanfällig ausgewiesen, kamen andere, ideologisch-politische Argumente hinzu. Deutschland war ein Bündel halbfeudaler Kleinstaaten: patrimoniale Gesellschaft. Darin galt der Herrscherfürst als absolute politische Zentralperson. Das prägte alle kulturellen Sphären. Gerade nach den Befreiungskriegen ging diese feudal-patriarchalische Struktur mit einem Kult des Maskulin-Militärischen einher137. So waren im vormärzlichen Preußen alle Voraussetzungen gegeben, den Angriff der Cholera als einen auf das patriarchalisch zentrierte Gemeinwesen zu verstehen. Naturgemäß gewann sie damit feminine Züge: Verbrecherin, Menschenwürgerin, gierige Feindin, so der Standardtopos medizinischer Abhandlungen. Oder wie ein liberaler Publizist es pointiert zusammenfaßte: „Madame Cholera", „Madame Revolution", „Madame Freiheit"138. Ihre Attacken waren aber um so aussichtsloser, als ihr mit „Allerhöchst landesväterlicher Fürsorge" gewehrt werde. Auch die „väterliche Vorsorge" der preußischen Regierung sei verbürgt. Schließlich würden, steigt man die Kompetenzleiter weiter herab, vor allem Gutsbesitzer ihre sogenannte „patriarchalische Sorgsamkeit" beweisen. Nicht zuletzt würde jeder „Familienvater, Lehnherr, Hauswirth" seine Angehörigen beaufsichtigen 139 . Aber auch im städtisch-kommunalen Bereich wurden Männlichkeitstugenden angesichts der Epidemie aufgerufen:

137 Vgl.: Daniel A. McMillan, „...die höchste und heiligste Pflicht...". Das Männlichkeitsideal der deutschen Turnbewegung 1811-1871, in: Männergeschichte - Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, hrsg. v. Thomas Kühne, Frankfurt/M., New York 1996, S. 88-100; Karen Hagemann, Der „Bürger" als Nationalkrieger. Entwürfe von Militär, Nation und Männlichkeit in der Zeit der Freiheitskriege, in: Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger, hrsg. v. Karen Hagemann/Ralf Pröve, Frankfurt/M. 1998, S. 74-102; Ralf Pröve, „Civile" Ordnungsformationen, Staatsbürgerschaft und Männlichkeit im Vormärz, in: ebenda, S. 103-120; Karen Hagemann, Tod für das Vaterland: Der patriotisch-nationale Heldenkult zur Zeit der Befreiungskriege, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, 60 (2001), S. 307-342. Zu Assimilierungstendenzen vgl.: Dirk Alexander Reder, Frauenbewegung und Nation. Patriotische Frauenvereine in Deutschland im frühen 19. Jahrhundert (1813-1830), Köln 1998. 138 Adolph Glassbrenner, Meine Reise nach dem Harz, in: Aus den Papieren eines Hingerichteten, herausgegeben von Adolph Glassbrenner, Leipzig 1834, S. 1-61, hier: S. 46f. 139 Bekanntmachung. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, von Altenstein. Der Minister des Innern und der Polizei, von Brenn. Berlin, den 17. Mai 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 138, 19. Mai 1831, S. 945; Staatsrath Hufeland, Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Contumazen bei der Cholera, nebst einigen commentirenden Bemerkungen des Redakteurs, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 49, 10. November 1831, S. 195-197, hier: S. 196; v. Baer, Folgen der Furcht aus dem flachen Lande, in: Cholera-Zeitung, herausgegeben von den Aerzten Königsbergs, S. 103f., hier: S. 103; Präsident der Provinz Schlesien von Merkel, [Bekanntmachung vom 9. Oktober 1831], in: Schlesische Cholera-Zeitung, herausgegeben von dem ärztlichen Comité für Schlesien, Nr. 2, 12. Oktober 1831, S. 13.

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Die Gefahr ist der Probirstein der Männlichkeit, des Bürgersinns und der Vaterlandsliebe; bei ihrer Annäherung erwachen die angeerbten schlummernden Tugenden würdiger Enkel glorreicher Altvordern. So bei Euch. Ihr habt, eingedenk der Festigkeit Eurer Väter in Drangsalen, Euch männlich vereint zur Schutzwehr gegen die drohende Seuche.140 Wie einst in den Befreiungskriegen dem Okkupant Napoleon, so würde man auch der neuen B e d r o h u n g erfolgreich entgegentreten. A u c h dieser „gemeinschaftlichen Todfeindin" 1 4 1 würde eine Niederlage bereitet. Das, wie auch die Kennzeichnung der Cholera als böswilliger Jüdin bzw. giftmischender Hexe, womit Vergiftungsphantasien der mittelalterlichen Pest aufgerufen wurden 1 4 2 , untermauerte den patrimonialen Status quo. Konkrete Gestalt gewann dieser Diskurs in einer sozialen Klassifikation der biologischen Entität Frau, dem Bild einer zügellosen Prostituierten. Sie repräsentierte auch in Cholera-Abhandlungen den Prototyp einer ökonomisch autarken, das Gemeinwesen unterwandernden Frau: Dies ist die Folge von der bei uns eingerissenen Unmoralität, besonders bei so vielen Fabrikarbeiterinnen, welche sich freilich auf schändlichem, lasterhaften Wege mehr als mit der Scheibtruhe verdienen möchten, und die durch ihr rohes Betragen, durch ihre übermüthigen Reden und Lieder nur beweisen, daß sie die verabscheuungswürdigsten Auswürflinge eines gebildeten Volkes sind.143

140 [Magistrat von Stralsund], Adresse an Stralsunds Bürger, in: Sundine, Nr. 38, 22. September 1831, S.297f„ hier: S. 297. 141 [Anonym], Ein Wort zur Beherzigung beim Nahen der Cholera, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeine Zeitung. Nr. 366, 23. September 1831, S. 1461. 142 Vgl.: Eduard Maria Oettinger, Buch der Lügen, in: ders., Panaché. Bunte Blätter aus dem Leben, Bd. 2, Hamburg 1832, S. 221-244, hier: S. 227f.; Karl August Glaser, Gegen die Cholera, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 126, 20. Oktober 1831, S. 509; Ferd. M-ia W., Die neuesten Stimmen aus England über die Cholera morbus, in: ebenda, Nr. 85, S. 16. Juli 1831, S. 345f. In der Regel wird in der Forschung ein Zusammenhang von Seuchen und Hexenjagd verneint, vgl.: Manfred Vasold, Pest, Not und Schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, S. 133ff., als Ausnahme: Franz Irsigler, Aspekte von Angst und Massenhysterie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier, H. 21 (1993), S. 37-46, hier: S. 43ff.; William G. Naphy, Plague-spreading and a magisterially controlled fear, in: Fear in early modern society, ed. by William G. Naphy/Penny Roberts, Manchester, New York 1997, S. 2 8 ^ 3 . 143 [Anonym], Freymüthige Gespräche zwischen einem sich weise dünkenden und einem schlichten redlichen Bürger in Wien, über die Cholera-Seuche, Wien 1831, S. 14. Zum Typus der gefährdeten und gefährlichen unverheirateten Frau aus Unterschichten in Preußen vgl.: Wolfgang Radtke, Armut in Berlin. Die sozialpolitischen Ansätze Christian von Rothers und der Königlichen Seehandlung im vormärzlichen Preußen, Berlin 1993, S. 218ff. Zum Geschlechterdiskurs in der Cholera vgl. auch: Dietlind Hüchtker, „Elende Mütter" und „liederliche Weibspersonen". Geschlechterverhältnisse und Armenpolitik 1770-1850 in Berlin, Münster 1998, S. 144ff.

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In literarischen Zeugnissen tritt die Cholera tatsächlich als todbringendes weibliches Wesen auf, als freizügige Aktrice oder als umherziehende Prostituierte, die polizeilichem Reglement zu unterwerfen sei 144 .Von daher folgender Steckbrief: Die p.p. Cholera, weltbekannt durch ihre Mordthaten, ist in der Nacht, die auf die vorhergehende folgte, entsprungen, und hat sich auf die Socken gemacht, um gen Gomorrha zu fliehen. Jedermann wird daher aufgefordert, auf diese schwere und leichtsinnige Verbrecherin, die bereits in Indien an drittehalb Millionen binnen Jahresfrist abgemurkst und jetzt auch in Europa ihr schreckliches Handwerk zu treiben anfängt, ein wachsames Auge zu haben.145 Trotz aller Wachsamkeit, so wurde dieser Sexualdiskurs der Cholera perpetuiert, sei diese „leichtgeschürzte Dirne", dieses „lüsterne Frauenzimmer", diese „Schlange der Verführung" bzw. „gottvergessene junge Dirne" mit ihrer „zudringlichen Unverschämtheit" 146 - um hier Passagen ganz unterschiedlicher textlicher Herkunft anzuführen - nicht ohne leichtsinnige Freier geblieben. Der eine erwartete sie noch mit der „Glut eines Bräutigams", der andere rühmte sich schon: „Ich habe sie gehabt. Vier und fünfzig Sous hat sie mich gekostet" 147 . Kurzum: Einst habe Eva den Menschen Fluch gebracht. Heutigentags schleiche sich die Dirne Cholera sittenlos durch die Häuser, wo sie „das Volk der Männer lichtet" 148 . Ein solcher Topos reicht, um einen größeren Sprung zu machen, hin bis zu Joseph Delteils surrealistischem Roman „Choléra" von 1923, in dem die Züge einer Geliebten und der Cholera sich beständig durchdringen, und Alban Bergs Oper „Lulu" (1929-1935), die ebenfalls mythisierend, und nun nicht mehr gewollt christlich, mit dem Motiv einer Ausbreitung der Cholera durch feminin-sexuelle Emanzipation spielte149.

144 Vgl.: August Traxel, Briefe aus Frankreich oder das neue Frankreich und das neue Belgien. Ein Zeit- und Sittengemälde. Erster Theil, Köln 1833, S. 94ff. 145 [Anonym], Rede der Cholera an die deutschen Aerzte, in: Till Eulenspiegel. Berliner, Wiener Hamburger Courier. Redigirt von Eduard Maria Oettinger, Nr. 136, 16. Juni 1831, S. 545f., hier: S. 546. 146 [Wilhelm Schumacher], Die Cholera morbus. Zweiter Theil. Oder: Nachwehen und Neuigkeiten aus 14 Cholera-Tagen. Ein historisch-dramatisches Gedicht in zwei Abtheilungen, [Danzig 1831], S. 5; Bangßel, Erinnerungsbuch, S. 64; J. G. Trautschold, Die Schlange des Orients, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 188, 8. August 1831, S. 749f„ hier: S. 750; Dr. Mises [d.i. Gustav Theodor Fechner], Schutzmittel für die Cholera, nebst einem Anhange [...], Leipzig 1832, S. 87; Dr. Johann August Hegar, Vademecum für die Behandlung der asiatischen Cholera, oder Materia Medica und Handbuch [...], Darmstadt 1831, S. 141. 147 [Anonym], Der Künstler nach dem Tode. Posse in einem Aufzuge, in: Berliner Modenspiegel. Eine Zeitschrift für die elegante Welt, Nr. 48-50, 1.-15. Dezember 1832, S. 377-397, hier: S. 380; August Traxel, Briefe aus Frankreich [...]. Zweiter Theil, Köln 1833, S. 29. 148 Karl August Glaser, Gegen die Cholera, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 126, 20. Oktober 1831, S. 509. Zum Kontext vgl.: John A. Phillips, Eva. Von der Göttin zur Dämonin, Stuttgart 1987. 149 Vgl.: Joseph Delteil, Choléra, Paris 1923; Linda Hutcheon/Michael Hutcheon, Opera: Desire, Disease, Death, Lincoln, London 1996, S. 130ff. Zum Surrealismus vgl.: Jeremy Stubbs, Les Epidémies de l'esprit: convulsionnaires et hystériques dans l'imaginaire surréaliste, in: Epidemics and Sickness in French Literature and Culture, ed. by Christopher Lloyd, Durham 1995, S. 114—123.

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Spielfiguren? Unverbindliche literarische oder rhetorische Versatzstücke? Wie Klaus Theweleit in seinen mittlerweile klassischen Untersuchungen über die geschlechtsspezifischen politischen Rhetoriken und Metaphoriken der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, war das weitaus mehr als inhaltsleere Konvention. Es war prinzipieller Ausdruck einer politischen Imaginationskraft, die sich vorrangig aus Geschlechtsverhältnissen nährte und auf sie reagierte: Sexus ist Politik, Politik ist Sexus. Beide begegnen sich in einem Weltzustand, dessen degenerative Klimax Allgewalt legitimiert. Noch deutlicher: sie legitimiert sie nicht nur, im Sinne eines notwendigen, unvermeidlichen Übels. Sie beschwört sie definitiv herauf. Und wie die Weltgeschichte schon immer die von natürlichen und politischen Bedrohungen war, treibt sie einer Homogenität entgegen, wo reine Macht und bereinigte Sexualität in einer unheiligen Allianz zusammentreffen: „Männerphantasien"150.

1.3. Bedrohungen aus dem Tierreich a) Das Tier der Apokalypse In Naturkatastrophen, das ist zurecht festgestellt worden, wird die gesamte kulturelle Registratur von magischen wie wissenschaftlichen, religiösen wie abergläubischen, rationalen wie irrationalen psychischen Dispositionen unter plötzlichem Druck aktiviert. Was sonst auf unterschiedliche Institutionen verteilt ist, was in soziale Schichten und kulturelle Deutungsebenen ausdifferenziert ist, was in den Personen selbst als Innen- und Oberflächenstrukturen, als unterschiedliche Rollensegmente auseinanderfällt, erfährt bei großen ElementarKatastrophen eine instantielle und kollektive Mobilisierung. Nicht zuletzt dadurch entsteht kulturelle Katharsis. Sie wird durch den Abruf historischer Tiefenschichten und ihrer psychisch-symbolischen Sedimente bewirkt151. Dabei zeigen sich Ängste, die ansonsten konserviert und eingelagert sind. In solchen Situationen kommen sie zum Ausbruch: vor dem Tier, dem Biest, der Bestie. In traumatischen Situationen oder auch im Traum - es werden Bedrohungen akut, die kulturell weggeregelt scheinen. Eine Untersuchung unter amerikanischen Stadtkindern zum Beispiel ergab 1965, daß ihre Angstträume nicht imaginäre Bedrohungen wie Verkehrsunfälle oder Atomkriege beinhalten, sondern daß sie sich von wilden Tieren, vor allem Schlangen, Tigern und Bären, oder von hybriden Tier-Mensch-Monstern heimgesucht sehen, daß es ein ganzes Arsenal kulturell verfestigter Ängste vor Animalischem gibt152.

150 Klaus Theweleit, Männerphantasien. Bd. 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, Bd. 2: Männerkörper - Zur Psychoanalyse des weißen Terrors, Reinbek 1980. 151 Vgl.: Hartmut Böhme, Elemente - Feuer Wasser Erde Luft, in: Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, hrsg. v. Christoph Wulf, Weinheim und Basel 1997, S. 17-46, hier: S. 43. 152 Vgl.: Barbara Ehrenreich, Blutrituale. Ursprung und Geschichte der Lust am Krieg, München 1997, S. 65.

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Was machte animalische Topoi interessant für den politischen Diskurs? Bildhaft gesprochen: Die Vervielfältigung von Einzelkörpern zu Massenkörpern, das Entstehen mehr oder weniger gegliederter politischer Gesamtkörper erzwang die Assoziation planmäßig verschweißter Meuten. In der Politik agierten nicht Einzel-, sondern Massensubjekte. Sie entstanden auf der Straße durch körperliche Präsenz. Massen waren ein Bündel von Massenleibern. Der politische Gegner, Polizei und Militär auf der einen, der ekstatische Mob auf der anderen Seite formierten sich zu bedrohlichen kollektiven Gruppen. Je mehr Politik über regionale, ethnische und selbst soziale Besonderheiten hinwegschritt, je mehr schwand diejenige Atomisierung, die die vorkapitalistischen bzw. kapitalistischen Zwänge des Marktes bedingten. Destinierte der ökonomische Markt die ihm unterworfenen Einzelsubjekte zu konkurrierenden Tieren, konstituierten sie sich in der Sphäre der Politik zu machtvollen Gruppensubjekten und Kollektivleibern. Horden, Meuten und Rudeln gleich, verschrieben sie ihre individuelle einer gemeinschaftlichen Identität153. Politische Apokalypsen der Zeit um und nach 1830 griffen diesen Doppelbezug auf. Den Zukunftsaposteln galt, mit Verweis auf entsprechende Vorlagen Hegels, die Sphäre des kapitalistischen ökonomischen Erwerbs nicht selten als die des überlebten sogenannten geistigen Tierreichs, des dumpfen Kampfs ums Überleben, des Fressens und Gefressenwerdens: „Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische", wie Karl Marx 1844 diese Depravation verstand154. Den Aposteln des Status quo hingegen galten die revolutionären Ausbrüche zumeist als die einer bestialischen Regression, einer animalischen Wildheit, die durch staatliche Machtwerkzeuge - Polizei, Militär, Justiz - niederzuzwingen sei. Sie diagnostizierten die animalische Degeneration all derer, die an Ruhe und Ordnung rüttelten. So wurde die Abrechnung des Mediziners und Romanciers Hermann Klencke mit dem Schlesischen Weberaufstand von 1844 vom Bild eines „entsetzlichen Raubthier[s], Feinde und Freunde erwürgend", getragen155. Gleichfalls in der Cholerafrage. Die spontanen Rebellionen die sich u.a. in Königsberg und Stettin gegen die einschneidenden staatlichen Restriktionen kehrten, ließen sich einer-

153 Vgl.: Wolfgang Kaschuba, Von der „Rotte" zum „Block". Zur kulturellen Ikonographie der Demonstration im 19. Jahrhundert, in: Massenmedium Straße. Zur Kulturgeschichte der Demonstration, hrsg. v. Bernd Jürgen Warneken, Frankfurt/M., New York, Paris 1991, S. 68-96. 154 Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Berlin 1956ff„ Bd. 40, S. 465-588, hier: S. 515. Zu Hegels Supposition eines geistigen Tierreichs vgl.: Claus-Artur Scheier, Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Architektonik des erscheinenden Wissens, Freiburg, München 1980, S. 260ff.; Walter Euchner, Politische Tiere - tierische Politik. Tradition und Wiederkehr der Zoologisierung des Politischen als biopolitics, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 29 (2001), S. 371^110, hier: S. 375f. 155 [Dr. Hermann] Klencke, Das deutsche Gespenst, Bd. 1, Leipzig 1846, S. 10. Zum belegbaren Konnex von Aufstand und Exzess vgl.: Alain Corbin, Die Massaker von Paris. Ein Beispiel für Gewalt und ihre Darstellung, in: „Das zivilisierte Tier". Zur Historischen Anthropologie von Gewalt, hrsg. v. Michael Wimmer/Christoph Wulf/Bernhard Dieckmann, Frankfurt/M. 1996, S. 181-194. Zur politischen Raubtiermetaphorik verschiedener Provenienz zwischen 1830 und 1848 in Deutschland vgl.: Hans-Wolf Jäger, Politische Metaphorik im Jakobinismus und im Vormärz, Stuttgart 1971, S. 41ff.

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seits, im Zuge radikal-demokratischer Ansprüche, zum heroischen Kampf gegen die „Tyrannen-Hyder" umstilisieren 156 . Sie evozierten andererseits aber auch das Bild eines animalisch rasenden Mobs: Was ich aber vorher beschrieb, das sind die rohen Erregungen der unvernehmlichen und erkenntnißlosen Masse, die oft auch gegen das, was alle Verständigen aus der Sorge für das gemeinsame Wohl hervorgegangen ehren und sich ihm fügen, mit thierischer Rohheit anstürmt, wenn es ihr nur irgend Besorgniß erregt für die eingewurzelten Gewöhnungen ihres Lebens. [...] Aber von den thörichsten Einbildungen aufgeregt gerieth die Masse in Wuth, und in wildem Ungehorsam, in unbändiger Gewaltthat zeigte sich das losgebundene Thier!157 Ganz in der Diktion dieses Predigttextes Friedrich Schleiermachers trafen sich auch in einem Brief des Kronprinzen und späteren preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., der ausführlich die Cholera thematisierte, 1832 politische und apokalyptische Ahnungen im Menetekel der entsetzlichen Bestie: So im Schreiben gefalle ich mir in der apocalyptischen Rolle und decretire nunmehr, daß das Thier die Revoluzion ist und die Hure die Weisheit des 100s Jahrs, die immer vollauf frißt und säuft und den andern giebt in großen Haufen zu kosten und doch nimmer satt wird noch satt macht. Gewiß ist das Ding, was Revoluzion jetzt heißt, Etwas, was seit Erschaffung der Welt kein Mensche geträumt hatte bis 89. Es ist ganz etwas apart Behendes, Kluges und Gottloses darin, wie in Nichts Ähnlichem bis Daher, und den Reitz der Originalität kann Niemand ihm absprechen bey seinem Auftreten. Daß es nach 43 Jahren, nach soviel Blut und Thränen und nach so abgenutzten Kunst Griffen und Verführungen noch immer verführt, ist wahrlich kein Compliment für unser Geschlecht.158 Nochmals: Warum war es gerade dieses Bildreservoir, das des Tierischen, warum nicht ein anderes? Warum galt die Seuche als asiatische Bestie, als verderbenschnaubendes Raubthier, das seine drohenden Krallen zeigt, als düstre Löwin oder grimmige Hyäne, mit bedrohlichem Wolfsgebiß159? Vorstellungswelten, denen in Mitteleuropa nach wie vor Äng-

156 Harro Harring, Die Völker. Ein dramatisches Gedicht, Straßburg 1832, S. 3, vgl.: Walter Grab, Harro Harring. Revolutionsdichter und Odysseus der Freiheit, in: Demokratisch-revolutionäre Literatur in Deutschland: Vormärz (Literatur im historischen Prozeß, Bd. 3/2), Kronberg/Ts. 1975, S. 9-84. 157 Friedrich Schleiermacher, Am 10. Sonntage nach Trinitatis 1831 [7. August], in: Dr. F. Schleiermacher, Predigten [Berlin o. J.], S. 7ff., 1 lf. 158 Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Prinz Johann von Sachsen, 31. Mai 1832, in: Briefwechsel zwischen Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. von Preußen, hrsg. v. Johann Georg, Herzog zu Sachsen, Leipzig 1911, S. 127. 159 Correspondenz, in: Literarischer Zodiacus. Journal für Zeit und Leben, Wissenschaft und Kunst, 1 (1835), H. 7, S. 86-89, hier: S. 87; Braun v. Braunthal, [Korrespondenz aus Wien], in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 155, 28. September 1831, Sp. 1239f., hier: Sp. 1239; L. Reilstab, [Korrespondenz aus Berlin], in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 198, 10. Oktober 1831, Sp. 1574-1576, hier: Sp. 1575; Ph. H. Welcker, Die furchtbare Fremde, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 260 und 261, 31. Oktober u. 1. November 1831, S. 1037f., 1041f., hier: S. 1041; Wilhelm Schumacher, Verständlichste und bewährteste Belehrungen über die mit Gefahr bedrohende pestartige Krankheit Cholera morbus. Erster Theil. Vier-

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ste vor Tieren und Raubtieren eingelagert waren, formten dieses Dispositiv160. Somit stand es für konkret drohende Gefahren. Und es stand für mehr. Der Mensch wird von den diffusen, aber übermächtigen Kräften der Natur bedrängt. Sie inkarnieren sich im Tier. Das, was Menschen elementar bedroht, ist das definitiv Nichtmenschliche, das schon immer den abgesteckten Schutzraum der Kultur zu usurpieren trachtete. Die Seuche wird ein bedrohlich agierendes Subjekt, das die menschlichen Bezirke umschleicht, in sie eindringt, seine Opfer reißt. Sie wird zum böswilligen Tier, zum Agent und Synonym drohender Natur. Option für die Zukunft: am Ende würde der Alptraum Cholera besiegt werden. Dem Gleichnis von Jäger und Wild folgend 161 , wurde die Seuche tatsächlich zur Strecke gebracht. Jäger und Gejagtes, Mensch und Wild - der triumphierende Gewinner stand, wie jede geschichtliche Logik lehrte, unumstößlich fest. Auch bei der Cholera würde sie sich bewähren. Folgerichtig avancierte in der Ära des Bakteriozismus Koch, der Bazillenentdecker, zum Bazillenjäger, zum Großwildjäger. Wie seine Zeitgenossen exotische Trophäen präsentierten und damit das Trauma einstiger animalischer Bedrohung exterminierten, hatte er die Cholera geduldig-planvoll gestellt. Nicht irgendwo. Es nützte nichts, ihr in Hamburg, München oder in anderen Metropolen des neu entstandenen Kaiserreichs das Handwerk zu legen. Sie war an ihren Ursprungsregionen aufzubringen. Fast wäre Koch ihr in Ägypten auf die Spur gekommen. Vorerst ein Fehlertrag. Doch er war in der Logik der Lösung fast vorhergesehen. Er war nicht mehr als ein dramatischer Aufschub. Unermüdlich zog Koch mit seinem martialischen Feldlager weiter, setzte seine Expedition in Indien fort. Hier, am Ursprungsort der Seuche, mußte er das widerspenstige Wild zur Strecke bringen. Und er erlegte es in Kalkutta: Bazillenentdecker, Bazillenjäger, Bazillentöter. Ein Heros, der weder Krankheit, Tod noch Teufel scheute, germanischer Großwildjäger, Herrscher über Bakterienkolonien, Abziehbild im Album kolonialer Kultfiguren: Er verfolgte den „Gegner bis in seine äußersten ostindischen Schlupfwinkel"162, er erlangte „die Trophäe in Gestalt des

te Auflage, Danzig 1831, S. 5; Matthias L. Schleifer, An die Unbekannte [Januar 1832], in: Gedichte. Gesammt-Ausgabe, hrsg. ν. Κ. A. Kaltenbrunner, Wien 1847, S. 187f„ hier: S. 188. 160 Vgl.: Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts (1978), 2. Aufl. Reinbek 1989, S. 92ff.; Daniel Bernard, Wolf und Mensch, Saarbrücken 1983, S. 133ff. 161 Hohl, Analogien der asiatischen Cholera mit der blauen Krankheit, S. 18; S-nn, Ueber die asiatische Cholera, ein Programm, Berlin 1832, S. 36; [Anonym], Unentbehrlicher Rathgeber für Alle, welche sich durch zweckmäßige Diät in Bezug auf Speisen und Getränke vor der asiatischen Cholera schützen wollen. Von einem praktischen Arzte, Berlin, Stettin, Elbing 1831, S. 1; Dr. Ludwig Wilhelm Sachs, Die Cholera. Nach eigenen Beobachtungen in der Epidemie zu Königsberg im Jahre 1831 nosologisch und therapeutisch dargestellt, Königsberg 1832, S. 2; [Anonym], Hypothese über die Cholera-Morbus. Nach Ansichten des allgemeinen Natur-Lebens, Stettin 1832, S. 45. 162 [Anonym], Willkommen, Ihr Sieger!, in: Berliner Tageblatt. Morgen-Ausgabe, Nr. 207, 3. Mai 1884, [S. 1],

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bisher unbekannten Cholerakeims"163, er „fand den Feind und führte ihn gefangen in den Banden der Nährgelatine im Triumph nach Deutschland"164.

b) Katzenmassaker, Hundemassaker, Fuchsmassaker Mit Knüppeln und Stangen waren sie losgezogen, mit Messern und Spaten. Sie gingen auf Hätz. Auf Katzenhatz. Und jedes Tier des Quartiers, dessen sie habhaft werden konnten, wurde gepiesackt, gequält, gefoltert, bis es sein jämmerliches Ende fand. Was Pariser Druckerlehrlinge um 1740 veranstalteten, war mehr als ein bloßes Spektakel, die Meister und Meisterinnen zu ärgern, denen das leibliche Wohl ihrer Haustiere höher stand als das ihrer hungrigen und geschlagenen Untergebenen. Vorerst war das sadistische Massaker ein Racheakt. Geknechtete Kreaturen, Lehrjungen in menschenunwürdigen Lebensverhältnissen, schlugen zurück. Die grausige Inszenierung strafte die Brotherren. Nicht nur, indem sie sie ihres Plaisirs beraubte. Mit den Katzen wurde symbolisch die Herrschaft massakriert, eine Lynchjustiz, die, wie üblich, sich an Stellvertretern exekutierte. Aber auch das reicht, wie Robert Darnton in seinem mittlerweile berühmten Essay über dieses Pariser Katzenmassaker herausstellte, nicht hin, die bestialische Energie zu erklären, die sich in Mordbrennerei entlud. Viele Summanden addierten sich im Progrom: Rache für leibliche und ökonomische Pression, karnevaleskes Charivari, dem Tierquälerei schon immer zur Katzenmusik verhalf165, symbolische Hexenverbrennung, in der sich Magie und magische Antimagie überkreuzten, latente sexuelle Initiation. Katzenmassaker, beispielsweise auch die Hundemassaker des 17. und 18. Jahrhunderts, die Mark S. R. Jenner jüngst vortrefflich

163 Dr. F., Der Entdecker des Cholerapilzes, in: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, 32 (1884), Nr. 26, S. 433. 164 Friedrich Löffler, Ueber die Fortschritte in der Bekämpfung der Infektionskrankheiten in den letzten 25 Jahren. Rede zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers und Königs am 27. Januar 1896 bei dem Festaktus der Universität Greifswald, Greifswald 1896, S. 25. Zu Kochs manischem Jagdeifer in Kolonialgebieten vgl. u.a. Kochs Tagebuchbericht von 1906, in: Robert Koch. II. Teil: 1882-1908. Nach Fragmenten von Bruno Heymann, hrsg. v. Georg Henneberg u.a., Berlin 1997, S. 166ff. 165 Vgl.: Edward P. Thompson, „Rough Music" oder englische Katzenmusik, in: ders., Plebejische Kultur und moralische Ökonomie. Aufsätze zur englischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M., Wien, Berlin 1980, S. 131-168; Le charivari. Actes delà table ronde organisée à Paris (25-27 avril 1977), ed. Jacques Le Goff/Jean-Claude Schmitt, Paris 1981; Carola Lipp, Katzenmusiken, Krawalle und „Weiberrevolution". Frauen im politischen Protest der Revolutionsjahre, in: Schimpfende Weiber und patriotische Jungfrauen. Frauen im Vormärz und in der Revolution 1848/49, hrsg. v. Carola Lipp, Moos und Baden-Baden 1986, S. 112-130; Natalie Zenon Davis, Narrenherrschaft, in: dies., Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen Frankreich, Frankfurt/M. 1987, S. 106-135.

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analysierte, waren ein ganzes Patchwork kultureller Praktiken, ein Geflecht, das sich innerhalb einer zweckrationalen Erklärung allein nicht auflösen läßt166. Katzenmassaker, Hundemassaker - Belustigungen des gemeinen Volkes, wie sie beispielsweise William Hogarth in seinem Zyklus „Die vier Stufen der Grausamkeit" von 1751 trefflich bezeugte. Hier handelte es sich jedoch nicht nur ausschließlich um pöbelhafte Regression. Barbarische Unterschichten und kultivierte Aristokratie begegneten sich: das große Fuchsmassaker. Genau diese Zeit des 17. Jahrhunderts war die hohe Zeit einer grausamen Jagdtheatralik, bei der es nicht um den Akt des Jagens, sondern um ostentative öffentliche Folterungen und Schlächtereien ging. Parforcejagden und Bilbaudieren, Tierkämpfe und Fuchsprellen wurden als aristokratisch-höfisches Schauspiel inszeniert. Es entsprach der aufklärerischen Vernunftgewißheit, dem Menschen stehe die Herrschaft über die Natur legitimerweise zu. Absolutistische Fürsten - aber auch die geistliche Superiorität167 - ließen es sich, nach Vorbild römischer Imperatoren, Löwen, Bären und Wisente kosten. Kleinere begnügten sich mit dem auf ihren Territorien verfügbaren Getier. Bei einem Fest am Dresdener Hof im Jahre 1747 wurden beispielsweise 414 Füchse, 281 Hasen, 32 Dachse und sechs Wildkatzen zum Plaisir des adligen Publikums zum Tod geprellt, bei einem Fest vier Jahre später waren es 687 Füchse 168 . Das waren Belustigungen des Adels. Die Bürgerkultur zog nach. Im 17. und 18. Jahrhundert gehörten besonders in freien Reichs- und wohlhabenden Hansestädten kommerziell betriebene öffentliche Tier-Hatzen zum gängigen Unterhaltungsrepertoire169. Gelegentlich fielen Pöbel-, Adels- und Bürgerbelustigungen sogar zusammen:

166 Vgl.: Robert Darnton, Arbeiter proben den Aufstand: Das große Katzenmassaker in der Rue Saint-Séverin (1984), in: ders., Das große Katzenmassaker. Streifzüge durch die französische Kultur vor der Revolution, München, Wien 1989, S. 91-124; Mark S. R. Jenner, The Great Dog Massacre, in: Fear in Early Modern Society, ed. by William G. Naphy/Penny Roberts, Manchester, New York 1997, S. 44-61. Zu diesen Patchworks, die sich durch eine kulturwissenschaftliche Erweiterung von sozialgeschichtlichen Ansätzen erfassen lassen, vgl. u.a.: Robert Jütte, Die Frau, die Kröte und der Spitalmeister. Zur Bedeutung der ethnographischen Methode für eine Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin, in: Historische Anthropologie. Kultur Gesellschaft - Alltag, 4 (1996), S. 193-215. 167 Vgl.: Karl Sälzle, Kulturgeschichte der Jagd, in: José Ortega y Gasset, Über die Jagd, Reinbek 1957, S. 91-133, hier: S. 128ff. 168 Vgl.: Erich Hobusch, Von der edlen Kunst des Jagens, Innsbruck, Frankfurt/M. 1978, S. 152; sowie: Herbert Wotte, Jagd im Zwielicht. Von Jagdherren, Jägern und Wilderern, Berlin 1983, S. 85ff.; W. Eckehart Spengler, Jagdgeschichte und Jagdausübung in landesherrlicher Zeit, in: Die Jägerey im 18. Jahrhundert. Colloquium der Arbeitsstelle 18. Jahrhundert Bergische Universität/Gesamthochschule Wuppertal, Heidelberg 1991, S. 13-38; Rainer E. Wiedenmann, Protestantische Sekten, Höfische Gesellschaft und Tierschutz. Eine vergleichende Untersuchung zu tierethischen Aspekten des Zivilisationsprozesses, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 48 (1996), S. 34-65, hier: S. 41ff. 169 Vgl.: Rolf von Ende, Circenses. Spiele auf Leben und Tod, 2. erw. Aufl. Berlin 1984, S. 156ff.; für Wien: Monika J. Knofler, Das theresianische Wien. Der Alltag in den Bildern Canalettos, Wien 1979, S. 71f.; für Paris: Maurice Agulhon, Das Blut der Tiere. Das Problem des Tierschutzes im Frankreich des 19. Jahrhunderts (1988), in: ders., Der vagabundierende Blick. Für ein

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In Paris gehörte es während des 16. Jahrhunderts zur Festesfreude des Johannistages, ein oder zwei Dutzend Katzen lebendig zu verbrennen. Diese Feier war sehr berühmt. Das Volk versammelte sich. Festliche Musik spielte auf. Unter einer Art von Gerüst wurde ein mächtiger Scheiterhaufen errichtet. Dann hing man an dem Gerüst einen Sack oder einen Korb mit Katzen auf. Sack oder Korb fingen an zu glimmen. Die Katzen fielen in den Scheiterhaufen und verbrannten, während sich die Menge an ihrem Schreien und Miauen erfreute. Gewöhnlich waren König und Hof anwesend. Zuweilen ließ man dem König oder dem Dauphin die Ehre, den Scheiterhaufen anzuzünden.170 Pöbel-, Adels- und Bürgerpraxis - die wohl einflußreichste, natürlich mittelbare, Legitimation erfuhr sie in der rationalistischen Metaphysik René Descartes'. Der Philosoph und Naturwissenschaftler, der ebenfalls das Diktum vom Menschen als „Herrn und Eigentümer der Natur" vertrat171, begründete, warum Tiere in der Schöpfung einen subalternen Platz einnahmen. Die Welt, so sein Erklärungsmodell, bestünde aus zwei Substanzen, einer ausgedehnten und einer denkenden: res extenso und res cogito. Die Sphäre des Körperlichen, Synonym für alle natürlichen Dinge der Welt, und die des Geistigen seien streng geschieden. Den Menschen mache erst die geistige Substanz zum Menschen. Tieren jedoch - so zum Beispiel seine „Abhandlung über die Methode" (1637) - seien ausschließlich körperliche, ausgedehnte Geschöpfe. Mehr nicht. Tote Natur, bloßes körperliches Regelwerk, vom Menschen graduell so weit entfernt wie ein Eisbrocken oder ein Stück Kalk. Sie seien, wie Descartes der aristotelisch-thomistischen Lehre von einer Tierseele entgegensetzt, bloße mechanische Apparaturen, seelenlose Maschinen 172 . Gestützt darauf nahmen, wie zeitgenössische Kritiker es sahen, Descartes' Anhänger unbedenklich unterhaltsame physiologische Eingriffe an Kleintieren vor: „Gnadenlos traten sie auf ihre Hunde ein und sezierten ihre Katzen, verlachten jedes Mitgefühl mit ihnen und nannten ihre Schreie das Kreischen kaputtgehender Maschinen" 173 . Bernard de Fontenelle, einer der ersten, die sich dagegen verwahrten, berichtete beispielsweise, wie Nicolas de Malebranche, einer der Cartesianer, bedenkenlos seine schwangere Hündin trat, weil sie,

neues Verständnis politischer Geschichtsschreibung, Frankfurt/M. 1995, S. 114-153, hier: S. 116f. 170 Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen (1939), Frankfurt/M. 1997, Bd. 1, S. 374. 171 René Descartes, Von der Methode (1637), hrsg. v. Lüder Gäbe, Hamburg 1960, S. 50. 172 Vgl.: John Cottingham, "A Brute to the Brutes?". Descartes' Treatment of Animals, in: Philosophy, 53 (1978), S. 551-559; Alex Sutter, Göttliche Maschinen. Die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, LaMettrie und Kant, Frankfurt/M. 1988, S. 64ff.; Andreas-Holger Maehle, Kritik und Verteidigung des Tierversuchs. Die Anfänge der Diskussion im 17. und 18. Jahrhundert, Stuttgart 1992, S. 112ff.; Paul Münch, Die Differenz zwischen Mensch und Tier. Ein Grundlagenproblem neuzeitlicher Anthropologie und Zoologie, in: Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, hrsg. v. Paul Münch/Rainer Walz, Paderborn, München, Wien 1998, S. 323-347, hier: S. 328ff.; Gábor Boros, Fictum Brutum? Über die ambivalente Tierseelenlehre des Descartes, in: Die Seele der Tiere, hrsg. v. Friedrich Niewöhner/Jean-Loup Seban, Wolfenbüttel 2001, S. 181-202. 173 Mahaffy, Descartes (1901), zit. nach: Matt Cartmill, Tod im Morgengrauen. Das Verhältnis des Menschen zu Natur und Jagd, München 1993, S. 121, vgl. auch S. 130.

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trotz ihrer Schmerzenslaute, nichts empfände. Fontenelle, der sich dagegen wandte, Katzen magische Hexereien zuzuschreiben und sie deshalb zu massakrieren, erntete aber dafür nur Spott. Auch einer seiner Anhänger, François-Augustin Paradis de Moncrifs, der 1727 mit einem Buch hervorgetreten war, das Grausamkeiten gegen Tiere anprangerte, wurde bei öffentlichen Auftritten von den immer noch einflußreichen Cartesianern mit böswilligem Miauen empfangen. Jean Meslier, dessen revolutionäres philosophisches „Testament" erst nach seinem Tod, erst nach 1729 bekannt wurde, machte ausdrücklich die Cartesianer und ihre Theorien dafür verantwortlich, daß Katzen immer noch ob des Verdachts der Hexerei scheußlich gefoltert würden174. Ob diese Vorwürfe berechtigt sind, sei dahingestellt. Man muß keinen Kausalzusammenhang zwischen Descartes' Ansatz, den Tieren jeglichen Subjektstatus abzusprechen, und konzeptionellen Tierquälereien konstruieren, um einen Entprechungszusammenhang zu erkennen. Nach Descartes war die Minderwertigkeit der Kreatur erwiesen. Alle Mängel der menschlichen Kultur ließen sich auf sie projizieren. Eine effektive geschichtsphilosophische Entlastungsfigur: Das Zeitalter der Vernunft wies die barbarischen Bedrohungen, die es sich selbst bereitete - auch Descartes war beispielsweise in den schmutzigen Dreißigjährigen Krieg gezogen - den animalischen Vorfahren bzw. Konkurrenten zu. Diese Entlastungsfigur bewährte sich auch in der Seuchenfrage. Egal, was die Ursachen epidemischer Krankheiten waren, ob naturhaft oder sozial: dem tierischen Widerpart waren sie anzulasten. Tiere wären die Überträger von Epidemien. Sie würden sie in sich oder an sich tragen, würden, ungebunden, unberechenbar und keiner Kontrolle ausgesetzt, sie von Ort zu Ort verschleppen. Das war einer der Hintergründe der seit dem 15. Jahrhundert aufkommenden medizinpolizeilich-staatlichen Edikte, für eine gnadenlose Ausrottung von Katzen und Hunden zu sorgen. Schutz vor tierischer Ansteckung, berechtigt oder nicht175, war aber nicht der alleinige Grund von Tötungsgeboten, sondern allenfalls zweckrationale Verbrämung einer Praxis, die ganz andere Wurzeln hat: Logik des Opfers. Die gefährdete soziale Stabilität wurde auf Kosten der natürlichen Begleiter des Menschen restituiert. Der Versuch, den sozialen Organismus in Seuchenzeiten über die gewaltsame Eliminierung von Sündenböcken zu festigen, kehrte sich nicht nur, wie René Girard in seinen wegweisenden Studien über diese Logik des Opfers zeigte, gegen Menschen . Sie richtete sich, Logik des Tieropfers, analog dazu

174 Vgl.: Werner Krauss, Zur Tierseelentheorie im 18. Jahrhundert, in: ders., Zur Anthropologie des 18. Jahrhunderts. Die Frühgeschichte der Menschheit im Blickpunkt der Aufklärung, Frankfurt/M., Berlin 1987, S. 136-176, hier: S. 139, 146, 154. Zum Konnex Katzen und Hexerei vgl.: Richard Kieckhefer, Magie im Mittelalter (1990), München 1995, S. 185, 190, 216, 220; Gertrud Blaschitz, Die Katze, in: Symbole des Alltags - Alltag der Symbole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Gertrud Blaschitz/Helmut Hundsbichler/Gerhard Jaritz, Graz 1992, S. 589-616. 175 Vgl.: Robert Delort, Natürliche Umwelt und Seuchen. Die Tiere und die Menschen, in: Maladies et société, S. 49-56; ders., Art. „Katze", in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München und Zürich 1991, Sp. 1078-1080. 176 Vgl.: René Girard, Das Heilige und die Gewalt (1972), Frankfurt/M. 1992; ders., Ausstoßung und Verfolgung. Eine historische Theorie des Sündenbocks (1982), Frankfurt/M. 1992;

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gegen animalische Wesen. In einer Umkehrpraxis betraf sie genau die, denen in den einstigen heidnischen Volkskulten unantastbare Verehrung zukam. Die Bedrohung der humankulturellen Errungenschaften wurde qua Exekution der natürlichen Vorfahren und Begleiter der Menschen gebannt. In der gewaltsam vollzogenen Trennung vom Reich der Natur wurde das des Menschen symbolisch aufrechterhalten177. Die Katzen- und Hundemassaker, die Belustigungen des rohen Pöbels mit ihrem vielschichtigen Bedeutungsgehalt fanden sich damit auf instrumentell-staatlicher Ebene wieder. Sie gehörten zur conditio sine qua non kultureller Selbstidentität, die den Menschen zum Menschen machten, weil Tiere Tiere waren und Natur Natur. Ein elementarer Grenzstrich war zu ziehen, gerade hier. Deshalb, um diesen Contrat social zu bestärken, sollen zum Beispiel während der Londoner Pest von 1665 etwa 40.000 Hunde und fünfmal soviel Katzen, etwa 200.000, getötet worden sein178. Das war offenbar kein Sonderfall. Auch in Deutschland dekretierten eine Reihe von PestPatenten von Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts, Katzen und Hunde zu erschlagen. In der Cholerazeit wurden solche Regelungen erneut getroffen. Beispielsweise schrieb eine preußische Instruktion vom 1. Juni 1831 fest: „Hunde, Katzen und andere Thiere der Art müssen getödtet und dem Federvieh, welches zunächst den Hausbewohnern zur Nahrung dienen muß, die Flügel kurz abgestutzt werden"179. Das war nicht einer ersten, panischen Verwirrung bei der unmittelbaren Ankunft der Seuche geschuldet, einer Hysterie, die sich, wie der allgemeine Angstdruck, vielleicht allmählich legte. Monat um Monat blieb es in Preußen bei diesem Diktat. Obwohl seine Unausführbarkeit auf der Hand lag, und obwohl andere scheinbare Absurditäten Schritt um Schritt zurückgenommen wurden, war das diesbezüglich nicht der Fall. Noch die Verordnung vom 23. August 1831 - die letzte Forderung dieser Art in Preußen - insistierte: Alle entbehrlichen Hausthiere, wie z.B. Hunde, Katzen u. dgl., durch welche der Ansteckungsstoff verschleppt werden könnte, sind zu tödten, (die Hunde wenigstens an die Kette zu legen, so, daß sie durchaus nicht davon loskommen können), dem Federvieh aber aus gleichen Ursachen die Flügel kurz abzustutzen.180

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Zur Theorie des Opfers. Ein interdisziplinäres Gespräch, hrsg. v. Richard Schenk, StuttgartBad Cannstatt 1995; Gunnar Heinsohn, Die Erschaffung der Götter. Das Opfer als Ursprung der Religion, Reinbek 1997. Vgl.: Georges Bataille, Hegel, Death and Sacrifice (1955), in: Yale French Studies, No. 78 (1990), S. 9-28; Klaus Eder, Die Vergesellschaftung der Natur. Studien zur sozialen Evolution der praktischen Vernunft, Frankfurt/M. 1988, S. 219ff. Vgl.: Daniel Defoe, Ein Bericht vom Pest-Jahr (1722), hrsg. v. Christiane Keim, Marburg 1987, S. 116. Instruction Uber das bei der Annnäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preußischen Staaten zu beobachtende Verfahren, 2. Ausgabe. Berlin, 1. Juni 1831, S. 5. Dieses Werk wurde in Pestzeiten von Privatpersonen wie auch von bezahlten Tier- und Hundefängern verübt, die Tötungsprämien erhielten, vgl.: Walter George Bell, The Great Plague in London in 1665 (1924), London 1994, S. 51, 104. Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comité für Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin, Berlin 23. August 1831, S. 33f.

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Medizinischerseits wurde dem nicht etwa widersprochen. Ihm wurde assistiert. Es gab plausible Gründe dafür. Galten Tiere doch als Träger der anorganischen oder organischen Krankheitsstoffe, konnten sie doch selbst an der Seuche erkranken. Daraus folgte, gerade für die Klasse der Tiere, die dem Menschen am nächsten standen, fast unmiß verständlich: Es scheint aus mehr[er]en Erfahrungen mit Sicherheit hervorzugehen, daß Haustiere, welche häufig in der Nähe der Menschen sich aufhalten, den Ansteckungsstoff der Cholera verbreiten, ja sogar von demselben ergriffen werden können. Dieser Umstand ist bei einem Cholerakordon wichtig und erfordert ganz besondere Rücksichten [...]: Pferde, Rindvieh, Esel, Schweine, Ziegen und Schafe werden gar nicht zugelassen; Hunde und Katzen werden innerhalb des ganzen Controlebezirkes getödtet. [...] Daß gegen Hunde und Katzen, da diese für die Uebertragung der Seuche gefährlich sein können, kein anderes Mittel als Tödtung angewendet werden kann, bedarf keiner Erklärung.181

Medizinisch besaß dieses Verfahren Evidenz. In den Fellen von Lebewesen nisteten anstekkende Stoffe oder Substanzen, die sich einer Desinfektion hartnäckig entzogen. Um aber auch ihnen beizukommen, wurde mit beflissenem Ernst, der heute nur noch wie Ironie anmuten kann, unter anderem gefordert: Das Todtschlagen der Hunde, Katzen, Tauben wird kein Unheil bringen, aber sollten die Flöhe, die von Leib zu Leib übergehen, nicht noch mehr als obige Thiere die Krankheit verschleppen? Eine allgemeine Flöhejagd wäre daher eine in jedem Betracht wohlthätige Anordnung.182

Das war eine mögliche Auffassung. So selbstverständlich, wie hier versichert, galt es gar nicht, daß Tiere Krankheitsstoffe übertragen. Es war ja, wie im nächsten Kapitel genauer untersucht wird, der medizinische Streitpunkt schlechthin, ob sich die Cholera als Kontagion durch Menschen, Tiere sowie Gegenstände oder, die Gegenthese, als Miasma durch die Luft verbreite. Bereits Mitte 1831, zur Zeit des ersten Eindringens der Cholera, gewannen die Miasmatiker im ärztlichen Diskurs immer mehr an Einfluß, bis, hier sehr grob skizziert, Ende 1831 eine Art Gleichgewicht erzielt war und die folgenden Jahrzehnte als die der siegreichen Miasmatiker anzusehen sind. Vom miasmatischen Standpunkt aus waren Tiertötungen, wie all die anderen restriktiven Sperrmaßnahmen überhaupt, völlig nutzlos. Allenfalls galten sie als legitim, weil nichts unversucht gelassen werden durfte, Staat und Bevölkerung zu schützen. Spätestens aber mit dem Eindringen der Cholera auch in Preußen wäre ihre völlige Wirkungslosigkeit bewiesen. Nunmehr sei es nur noch Verstocktheit, an ihnen festzuhalten. Nur böswillige Arroganz sei es, weiterhin Cholerakammerjäger auf die Tierwelt, zur Ausrottung von Katzen, Hunden, Fliegen, Mücken oder Holzwürmern loszulassen183. Verdikte gegen die gewollten oder ungewollten tierischen Begleiter des Menschen

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[Anonym], Ueber die Schutzmaßregeln gegen die Verbreitung der Cholera, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 42, 2. Januar 1832, Sp. 272-285, hier: Sp. 282. 182 Wedekind, Ueber die Maassregeln zur Verhütung des Fortschreitens der ansteckenden weissen Cholera, S. 872. 183 Vgl.: [Dr. Albert Sachs], Ueber die Nothwendigkeit der Vorsichtsmaaßregeln gegen Choleraleichen, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 75, 10. Dezember

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waren - Fazit der miasmatischen Doktrin - schlichtweg unsinnig. Dennoch besaßen sie, wie sich mit heutigem Nachwissen über die Macht der Bakterien zeigt, ihre Handlungsrationalität und sogar Effektivität. Sie entsprangen einem gesunden Menschenverstand. Gesunder Menschenverstand? Wie auch bei jenen eingangs geschilderten Katzen- und Hundemassakern umschließen die Verdikte gegen Katze und Hund ein ganzes Bedeutungsgeflecht: Magie im Kleid des Rationalen, Rationales im Kleid von Magie und im Ganzen ein Amalgam von Handlungslogiken religiöser, politischer, geschlechtlich-sexueller und medizinischer Herkunft. Nachfragen aus heutiger Sicht würden wohl weniger den gesunden Menschenverstand eines eventuell prä-bakteriellen Ansatzes zu würdigen haben. Sie würden problematisieren, warum in Seuchengefahr nur zu Massakern an domestizierten ehemaligen Raubtieren, an Katzen und Hunden, ermuntert wurde. Schweine, Ziegen und Kaninchen, die den menschlichen Lebensraum teilten, waren ebenso ausgenommen wie kleine und große Nager - Maus, Ratte, Marder. Füchse und anderes Wild (die dem hart verteidigten patrimonialen Jagdrecht unterstanden) blieben gleichfalls von allen Exekutiven verschont. Die Tötungsedikte bei Seuchengefahr besaßen nicht die Zweckrationalität, die sie zu vollstrecken glaubten. Verschiedene Motive, für sich allein Selbstzweck, trafen und überschnitten sich in einer mehrschichtigen Gesetzgebung. Nicht zuletzt: Staatliche Gewalt gegen Tiere richtete sich auch gegen Menschen. Wie der sogenannte rohe Pöbel in seinen sadistischen Blutorgien ostentativ die Herrschaft erschlug, so malträtierte sie ihn bei sogenannten figurierten Jagden, wo menschlich kostümierte Tiere möglichst langsam zu Tode geschunden wurden. Seuchenedikte richteten sich nicht nur gegen animalische Kreaturen, sondern direkt oder indirekt gegen die Untertanen. Die Sanktion, Katzen und Hunde zu töten, ging auch in der Zeit der Cholera mit der Forderung einher, Zuwiderhandlungen gegen die Sperren und Kordons durch Schmuggler, Hausierer, Vagabunden, Eindringlinge aller Art - so die Synonyme für die Bedrohung des Staatsgefüges - schärfstens zu ahnden. Rücksichtslos, so ein preußisches Edikt vom 15. Juni 1831, sei von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Und tatsächlich wurden, wie durch verantwortliche Militärs bezeugt, an der Grenze Preußens zu Polen eine Reihe von Eindringlingen erschossen184. Legislative vollendete sich tödlich in Exekutive. Paradoxerweise war das aber nicht mehr als ein Ausnahmefall. Es war die nicht intendierte bedauerliche Konsequenz eines Regelwerks, das hauptsächlich und weitaus wirkungsvoller auf eine symbolische Exekution animalischer oder menschlicher Widersacher zielte. Das schien das Hauptmovens dieser geradezu absurden Gesetzgebung zu sein. Sie demonstrierte Aktivität um jeden Preis, stellte unter Beweis, daß die Matrix menschlicher Reaktionsmuster, auch wenn sie de facto außer Kraft gesetzt war, symbolisch noch funktionierte. Eine jede Gesetzgebung, je restriktiver

1831, S. 299-302, hier: S. 300. Ähnlich argumentiert: [Wilhelm Schumacher], Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831 [Danzig 1831], S. 27. 184 Vgl.: Gesetz wegen Bestrafung derjenigen Vergehungen, welche die Uebertretung der - zur Abwendung der Cholera - erlassenen Verordnungen betreffen. Friedrich Wilhelm. Berlin, den 15. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 170, 21. Juni 1831, S. 1080; Neidhardt von Gneisenau an von Carl von Canitz und Dallwitz, [Anfang Juni 1831], in: Gernot Dallinger, Karl von Canitz und Dallwitz. Ein preußischer Minister des Vormärz. Darstellung und Quellen, Köln und Berlin 1969, S. 115.

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desto besser, war und ist die menschliche Selbstversicherung, angestrengt um die Errungenschaften der Kultur zu kämpfen, ihr Terrain zu behaupten, es kompromißlos gegen die Seuche zu stemmen. Vorrangig organisierte sie keine Praktiken, sondern kulturelle Imaginations- und Identifikationspotentiale. Verwirklichen - das gilt für die Mehrzahl aller entsprechenden Verbote und Gebote - ließen sie sich nicht. Kein einziger Gendarm ist während der Cholerazeit auf Katzen- und Hundehatz gegangen, kein Bürgermeister, Rat oder Offiziant hat lokal eine Vollstreckung befohlen und anschließend kontrolliert. Die Edikte bedeuteten nichts anderes als ein rhetorisches Aufbäumen. Aber der Status quo kultureller Selbstbehauptung war formell gestärkt. Geschah das darüber hinaus noch durch wissenschaftliche Extermination der tierischen Ahnen und Konkurrenten, waren damit die animalischen Potenzen des Kulturwesens Mensch symbolisch getilgt.

c) Contagium animatum In der Linie naturhafter Deutung war es möglich, Tiere als Überträger von Seuchen anzusehen. Eine weitere Variante bestand darin, Seuchen selbst als tierische, als animalische Wesen zu verstehen: Contagium animatum, contagium vivum. Die Anfänge dieser Theorie in Europa reichen bis in die Antike zurück. Zwar gab es eine überwältigende Vorherrschaft miasmatischer Modelle. Am Rand des Spektrums existierten jedoch auch sporadisch stoffliche Erklärungsversuche. Unter ihnen war es dann wiederum ein Sonderfall, von tierischen, organischen Erregern, sogenannten Pestsamen, auszugehen. Von ihnen sprach offenbar schon der griechisch-römische Arzt Galen, der, ansonsten seinem Vorbild Hippokrates verpflichtet, als treuer Miasmatiker auftrat. Aber bei ihm findet sich gelegentlich die Rede von sogenannten „Krankheitssamen", wobei heute nach wie vor umstritten ist, ob es sich um eine Art inhaltsleerer Metaphorik oder um mehr handelt 185 . Mit diesem Konzept, wenn es denn überhaupt ein Konzept und nicht eine Gelegenheitsmetaphorik war, konnte Galen sich auf philosophische Vorlagen stützen, beispielsweise ionischer Naturphilosophen wie Anaxagoras, deren Anstöße von griechischen und römischen Autoren aufgenommen worden waren. So sprachen der römische Naturphilosoph Lucretius und der Geschichtsschreiber Plutarch von Krankheitssamen (sperma nosoorì), der römische Universalgelehrte Varrò sogar explizit von kleinen Tierchen, die durch die Nase in den Körper eindringen würden 186 . Insbesondere drei Eigenschaften hob der Vergleich hervor: Krankheitserreger oder Überträger waren erstens sehr klein, zweitens galten sie als lebende Entitäten, und drittens war ihnen ein Wachstumspotential zu eigen. Nachweisbar als Eindringlinge waren sie jedoch nicht. All diese Hypothesen basierten auf Analogieschlüssen. Wie besonders Vivian Nutton herausgearbeitet hat, war eine fragile Theorielinie - bei Galen selbst hatte es sich eben immer nur um wenige marginale Äußerungen gehandelt - nie

185 Karl-Heinz Leven, Miasma und Metadosis - antike Vorstellungen von Ansteckung, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 11 (1992), S. 43-73, hier: S. 56. 186 Vgl.: Antoinette Stettier, Die Vorstellungen von Ansteckung und Abwehr. Zur Geschichte der Immunitätslehre bis zur Zeit von Louis Pasteur, in: Gesnerus 29 (1972), S. 255-272, hier: S. 255.

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völlig abgebrochen, bevor sie in der Renaissance eine erste Blüte erlebte187. Frühchristliche Autoritäten wie Isidor von Sevilla, Clemens von Alexandrien und andere hatten sie bewahrt. Schließlich erfuhr sie 1546 durch den Veroneser Mediziner und Dichter Girolamo Fracastoro ihre erste geschlossene Konzeptualisierung. Fracastoro, hauptsächlich mit Syphilis beschäftigt, entwickelte in seiner mehrbändigen Abhandlung „De contagione" erstmals ein ausführliches Kontagienmodell, d.h. das einer Übertragung von Krankheitsstoffen durch Mensch, Tier oder Dinge. Innerhalb seines Ansatzes kam er auch zu Überlegungen, ob neben toten giftartigen Stoffen auch andere Erreger für Ansteckungsvorgänge verantwortlich sind. Das jedoch blieb bloße Hypothese. An einen empirischen Nachweis mittels Mikroskop war nicht zu denken. Ungeachtet dessen wurde Fracastoro, nicht zuletzt durch spätere medizinhistorische Arbeiten, die auf bakteriologische Ahnensuche gingen, innerhalb der Geschichte der neuzeitlichen Medizin ein hervorragender Platz zugewiesen. Sein Kontagionsmodell galt geradezu als Ursprung der modernen Bakteriologie und Fracastoro als Heros, der, allen miasmatischen Anfeindungen zum Trotz, entschlossen eine stofflichtierische Ansteckung verteidigte. Dieses Bild ist inzwischen korrigiert worden. Die Kontagien, für die Fracastoro stand, waren Stoffe und Substanzen, seminaria, die erstens durch direkten Kontakt, per contactum, zweitens per indirektem Kontakt durch bei ihm nur unpräzise umrissene Zwischenträger, perfomitem, und drittens durch magische Fernwirkung, ad distans, Krankheiten übertrügen. Der Blick, wenn auch nicht ausdrücklich der böse, bewirke ebenfalls Ansteckung. Diese Partikel gewannen bei Fracastoro den Rang übernatürlicher mythischer Tierchen, die beispielsweise, sollten die astrologischen Konstellationen günstig sein, besondere Verbreitung erlangen. Verhütung und Heilung erfolge nicht zuletzt durch spirituelle Antipathie, die allen drei Fällen der Einwirkung wehren würde188. Überhaupt ist fraglich, inwieweit die semina-

187 Vgl.: Vivian Nutton, The Seeds of Disease: An Explanation of Contagion and Infection from the Greeks to the Renaissance, in: Medical History, 27 (1983), S. 1-34, hier: S. 20f.; ders., Did the Greeks have a Word for it?, in: Contagion. Perspectives from Pre-Modern Societies, ed. by. Lawrence I. Conrad/Dominik Wujastyk, Aldershot, Burlington, Singapore 2000, S. 137-162, S. 146ff. Vgl. auch: Dr. J. Grober, Die Entdeckung der Krankheitserreger (Voigtländers Quellenbücher, Bd. 30), Leipzig [ca. 1914], S. 9ff. 188

Vgl.: Norman Howard-Jones, Fracastoro and Henle: A re-appraisal of their contribution to the concept of communicable diseases, in: Medical History, 21 (1977), S. 61-68, hier: S. 62f.; Vivian Nutton, The Reception of Fracastoro's Theory of Contagion. The Seed that fell among Thorns?, in: Osiris, 6 (1990), S. 196-234, hier: S. 199ff. Zum Phänomen von Sympathie/Antipathie und der halb magisch, halb rational verstandenen Fernwirkung von Ansteckung vgl.: Jörn Henning Wolf, Girolamo Fracastoro, in: Klassiker der Medizin, Bd. 1, S. 69-94, hier: S. 83ff.; Leven, Miasma und Metadosis, S. 50ff.; Johann Werfring, Der Ursprung der Pestilenz. Zur Ätiologie der Pest im loimographischen Diskurs der frühen Neuzeit (1998), 2. verb. Aufl. Wien 1999, S. 169ff. In der Cholerazeit erlebte diese Theorie einer visuellen Ansteckung vereinzelt eine modifizierte Renaissance, wenn erklärt wurde, die Seuche würde allein durch den furchterregenden Anblick Choleratoter übertragen, vgl.: Nikolaus Theodor Mühlibach, Fragmente aus meinem Tagebuche der Jahre 1831 und 1832 als Beitrag zur Epidemiographie, Wien 1835, S. 30f. Zum Vorfeld insgesamt: Thomas Hauschild, Der böse Blick. Ideengeschichtliche und sozialpsychologische Untersuchungen (1979), 2. überarb. Aufl. Berlin 1982; Thomas Rakoczy, Böser Blick,

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ria als Körper anzusehen sind oder, im Schnittpunkt von Aristotelismus und Neuplatonismus, nicht eher bestimmte Prinzipien darstellen. Sie seien, wie inzwischen herausgearbeitet wurde, eher als „Muster" eines krankhaften Zustands anzusehen, die das Prinzip von krankhafter Fäulnis vermitteln. Sie sind übertragbare „Abbilder" von Zuständen und noch dazu selbst etwas Krankes, keinesfalls aber lebende bzw. organische Wesen189. Durch diese Korrekturen fällt auch auf die immer wieder unternommenen Versuche, andere Gründungsväter der Bakterientheorie ausfindig zu machen, etwa aus der Zeit Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts190, ein relativierendes Licht. Bereits der Koch-Schüler Friedrich Löffler versuchte in seinen „Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien" von 1887 eine entsprechende Traditionslinie von Athanasius Kircher, Antoni van Leeuwenhoek, Carl von Linné und vielen anderen bis zur Bakteriologie zu ziehen. Dabei mußte er jedoch grundlegende wissenschaftsgeschichtliche Prämissen, nämlich die Verknüpfung magisch-dämonischer mit kausal-natürlichen Deutungskomplexen, übergehen. Interessanterweise ließ Löffler in seiner Ahnengalerie Fracastoro jedoch aus, sei es, daß es nicht opportun erschien, dessen ambivalenten Spekulationen einen wichtigen Stellenwert einzuräumen, sei es, daß Löffler den Beginn der bakteriologischen Traditionslinie auf die nachweisliche Benutzung des Mikroskops gründen wollte. Selbst sein Kronzeuge Linné, dem er immerhin attestierte, nur aus reiner Begeisterung für die Idee lebender Erreger sei seine Phantasie von lebhaften Vorstellungen erfüllt gewesen191, gibt ein Beispiel, wie magische und zweckrationale Deutung miteinander vereint werden konnten. Linné zufolge seien es kleine Insekten, Würmchen, Samen, animalcula, die eine Reihe bisher nicht genügend untersuchter Vorgänge bewirken würden: Krankheiten wie Syphilis oder Fieber, aber auch Fäulnis- und Gärungsprozesse. Er selbst sah sich, wie er in seinen späteren Berichten und Schriften berichtete, auf botanischen Expeditionen 1728 von einer Furia infernalis, einem böswilligen höllischen Luftwesen heimgesucht. Heimtückisch stellte es ihm nach, fiel ihn an und warf ihn schließlich fiebrig aufs Krankenlager. Das waren mehr als metaphernreich ausgeschmückte Erinnerungen. Linné, geradezu eine aufkläre-

Macht des Auges und Neid der Götter. Eine Untersuchung zur Kraft des Blickes in der griechischen Literatur, Tübingen 1996. 189 Gerhard Emil Weidmann, Einführung zu: „De Sympathia et Antipathia liber unus" von Girolamo Fracastoro. Einführung und Übersetzung, Zürich 1979, S. 6-124, hier: S. 109ff. 190 Vgl.: Erwin H. Ackerknecht, Anticontagionism between 1821 and 1867, in: Bulletin of the History of Medicine, 22 (1948), S. 562-593, hier: S. 564; Raymond Williams, The Germ Theory of Disease. Neglected Precursors of Louis Pasteur, in: Annals of Science, 11 (1955), S. 44-57; J. Ehrard, Opinions Médicales en France au XVIIIe siècle. La peste et l'idée de contagion, in: Annales. Économies, Sociétés, Civilisations, 12 (1957), S. 46-59, hier: S. 51f.; RichardHarrison Shryock, Germ theories in medicine prior to 1870: further comments on continuity in science, in: Clio Medica, 7 (1972), S. 81-109. Sticker, ein Kritiker der Bakteriologie, gibt eine Übersicht der betreffenden Diskussionen und eine Bibliographie von Schriften zwischen 1626-1722, vgl.: Georg Sticker, Zur Parasitologic um das Jahr 1700, in: Archiv für Geschichte der Medizin, 18 (1926), S. 72-92; weiters Material in: Catherine Wilson, The Invisible World. Early Modern Philosophy and the Invention of the Microscope, Princeton, New Jersey 1995, S. 140ff. 191

Vgl.: Friedrich Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien. Für Aerzte und Studirende. Erster Theil. Bis zum Jahre 1878, Leipzig 1887, S. 9.

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rische Institution, integrierte diese Privatdämonologie seinem theoretischen Werk und versuchte, den taxonomischen Ort jener ominösen Furie zu bestimmen 192 . Diese Art magischer Intensität mochte zu Ende des 18. Jahrhunderts zwar allmählich Ausnahme geworden sein (es gab sogar vereinzelte Stimmen, die Linnes Annahme bestritten). Aber inzwischen hatte sich eine andere Debatte um die neu erschlossene Welt der Mikroorganismen zugespitzt, in der neue epistemische Gehalte zutage traten. Entstanden sie durch eine Urzeugung aus zersetzungsfähigem leblosen Material, generatio aequivoca oder spontanea in der Nachfolge Aristoteles' und Athanasius Kirchers? Oder verdankten sie, so die Linie Charles Bonnets und Lazzaro Spallanzanis, ihr Dasein etwa stets präexistenten Keimen? 193 All das bewirkte in der Cholerazeit 1831 Distanz gegenüber vermeintlich abergläubischen Ideen eines contagium animatum: Auf die Aehnlichkeit der Pest- und Cholera-Ansteckung bezieht sich auch die neulich wieder in den Zeitungen zur Sprache gebrachte und alte und veraltete Idee von kleinen unsichtbaren Insekten, welche durch ihren Reiz, Gift u.s.w. sie hervorbringen und durch ihre Vermehrung und Wanderung sie fortpflanzen sollen. Bei verschiedenen Völkern sind ähnliche Sagen uralt und einheimisch, wie die Geschichte vom giftigen Blick mancher Menschen, vom Drachen und von dem sonst so ernsten, jetzt so lächerlichen Hexen, Zaubern und Aussaugen der Seele.194 Diese Polemik war berechtigt. Die Annahme einer Übertragung der Cholera durch Kleinstlebewesen ließ keine grundsätzliche Abkehr von magischen Implikationen erkennen. Selbst

192 Vgl.: Felix Bryk, Linnés fürchterliche Furia infernalis und Musca leprae, in: Entomologisk Tidskrift, 75 (1954), S. 95-103; ders., Linnés Höllenfurie in Phantasie und Wirklichkeit, in: ebd., 76 (1955), S. 11-15; Lauri Honko, Krankheitsprojektile. Untersuchung über eine urtümliche Krankheitserklärung, Helsinki 1959, S. 161 ff.; M. E. DeLacy/A. J. Cain, A Linnnean Thesis concerning „Contagium Vivum": The „Exanthemata Viva" of John Nyander and its Place in Contemporary Thought, in: Medical History, 39 (1995), S. 159-185. Zum Konnex von Dämonenglauben, Tiergestalt und Krankheit vgl.: Max Bartels, Über Krankheits-Beschwörungen, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 5 (1895), S. 1-40; K. Beth., Art. „Krankheitsdämonen", in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 2, Sp. 153-168. 193 Josef Tomcsik, Pasteur und die Generatio spontanea. Aus den Werken von Pasteur, Bern, Stuttgart 1964, S. 9-14 (Einleitung); William G. Vandervliet, Microbiology and the Spontaneous Generation Debate during the 1870s, Lawrence 1971; John Farley, The spontaneous Generation Controversy from Descartes to Oparin, Baltimore 1977; Bruno Latour, Pasteur und Pouchet. Die Heterogenese der Wissenschaftsgeschichte, in: Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, hrsg. v. Michel Serres (1989), Frankfurt/M. 1998, S. 749-790. 194 Dr. C. G. Ehrenberg, Ein Wort zur Zeit. Erfahrungen über die Pest im Orient und über verständige Vorkehrungen bei Pest-Ansteckung zur Nutzanwendung bei der Cholera, Berlin, Posen und Bromberg 1831, S. 27f. Zu Ehrenberg vgl.: Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwikkelung der Lehre von den Bacterien, S. 30ff.; Max von Laue, Christian Gottfried Ehrenberg. Ein Vertreter deutscher Naturforschung im 19. Jahrhundert, 1795-1876, Berlin 1895; Frederic B. Churchill, The Guts of the Matter. Infusoria from Ehrenberg to Bütschli: 1838-1876, in: Journal of the History of Biology, 22 (1989), S. 189-214; Ilse Jahn, Mikroskopiertechnik und vergleichende Methode: Ein Forschungsproblem in der Biologie des 19. Jahrhunderts, in: Instrument Experiment. Historische Studien, hrsg. v. Christoph Meinel, Berlin 2000, S. 235-241.

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wenn sie keine diffus-dämonischen Miasmen waren, sondern deutlicher konturierte Partikel, trugen sie all die Eigenschaften an sich, die luftartige, dämonenartigen Geschöpfen zu eigen waren. Wurde beispielsweise die Existenz von bedrohlichen „Choleraiden" oder „Luftinfusorien" bzw. „Zuginsecten" erwogen, war der Weg nicht weit zu ,,kleine[n] feindselige[n] Geschöpfe[n]" mit Segeln oder Flügeln195. Die Cholera war von „fliegenden Wesen" verursacht196, von einem „unsern Sinnen entfliehenden lebenden Wesen menschenmörderischer Art"197. Ein Autor, der ebenfalls von sogenannten „Imponderabilien" ausging, hob die unsichtbaren Tierchen fast in die Region des Wunderbaren. Er sah in ihnen ein luftartiges „eigenthümliches Etwas", vermutete „etwas eigenthümliches, etwas aussergewöhnliches". Für andere lag es nicht fern, sie ausdrücklich und unumwunden als „Wundergeschöpfe" anzusehen198. In dieser Linie stand Jakob Henle, dem später, ob mit Recht oder nicht, ein Ehrenplatz in der Geschichte der Bakteriologie eingeräumt wurde. 1840, als er erneut die These belebte, es müsse eine infizierende Materie im Sinne eines contagium animatum geben, war er jedoch ein Außenseiter, obwohl er ausdrücklich ausgleichende Kompromisse unterbreitete. Mit dem von ihm vorgeschlagenen Modell einer infizierenden Materie versuchte er, die strikten Alternativen Miasmen und Kontagien zu umschiffen. Er plädierte dafür, beide als identische Stoffe zu fassen. In der Tat war damit die bakteriologische Synthese, die Koch für die Cholera leistete, bereits vorweggenommen. Nur daß bei Kochs Göttinger Lehrer Henle die Identität in einer Art allgemeinen Grundeinheit bestand, die sich noch in ihrer genetischzeitlichen Weiterentwicklung - vom Miasma zu Kontagium - bewahrheitete. Die zugrundegelegte infizierende Materie wandelt sich bei jeder menschlichen Ansteckung vom Miasma zum Kontagion. So blieb weiterhin die miasmatische Ansteckung durch die Luft bestehen.

195 J. F. Greser, Hypothese von der Natur der Cholera morbus, Nürnberg 1831, S. 9; Dr. Carl Jos. Heidler, Ueber die Schutzmittel gegen die Cholera, und darunter insbesondere über das kohlensaure Gas zum äußerlichen und innerlichen Gebrauche, Prag 1831, S. 10; Dr. Carl Barrie's, Die Cholera morbus. Ueber ihre Entstehung, Ausbildung, Zeugung und Ansteckungsfähigkeit, mit Bezug auf alle übrigen ansteckenden Krankheiten, Hamburg 1831, S. 179; Burchardt, Die Cholerathiere, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 175, 8. September 1831, S. 697f. 196 Dr. Fr. Sertürner, Dringende Aufforderung an das Deutsche Vaterland, in Beziehung der asiatischen Brechruhr, Göttingen 1831, S. 10. 197 H[ufeland], Anmerkung zu: Prof. Dr. Mile, Ansichten über die Verbreitung der Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde, V. St., November 1831, S. 3f. Zu Hufeland vgl.: D. Wagner, Die Epidemiologie von Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836). Ein Beitrag zur Geschichte der vorbakteriologischen Epidemiologie, in: Zeitschrift für die gesamte Hygiene, 33 (1987), S. 477-479. 198 Anton Jankovich, Die Epidemische Cholera in den Jahren 1817-1832, ihr Wesen, Ursache und rationelle Behandlung, Ofen [1832], S. 26; Burchardt, Die Cholerathiere, S. 698. Als Parodie vgl.: Dr. Joh. Chr. Mikau, Authentische Nachricht vom leibhaftigen Daseyn der dem geistigen Auge einiger Gelehrten schon lange sichtbar gewesenen Cholera-Thierchen (1832), in: ders., Kinder meiner Laune, ältere und jüngere, emste und scherzhafte, Prag 1833, S. 321-338.

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Aber es kommen die von den Kranken ausgeschiedenen kontagiösen Stoffe, als Miasmen zweiter Generation, hinzu. Beide jedoch sind Ableger einer identischen Substanz199. Keinesfalls war er mit seinem Ansatz so originell, wie gern überliefert wird. Seit Hufelands Schriften Ende des 18. Jahrhunderts war es ein gängiger Topos, daß sich Miasmen animalisieren können und damit zu Kontagien mutieren200. Auch in den Choleradebatten um 1831 wurde erwogen, daß ein luftartiger miasmatischer Krankheitsstoff sich im Lauf der Zeit „animalisirt" oder daß Erdausdünstungen einer anschließenden „Animalisation" unterliegen201. Aber immer, das bleibt festzuhalten, waren es luft- oder miasmenartige animalische Wesen, die die Cholera verkörperten - Beleg für jene Negativmagie der Luft und Positivmagie des Wassers, die im nächsten Kapitel noch ausführlich behandeln werden.

d) Die große Sperlings-Passion Die Vögel fielen vom Himmel - ein in der frühneuzeitlichen Prodigienliteratur und in Berichten über Seuchen ein verbreiteter Standard, ein naturhaftes und wundersames Zeichen zugleich 202 . Rational erklärbar: Die Übel, wenn sie nahten, kamen durch die Luft. Die war voller schwefliger Dünste, giftiger Miasmen, voll von schädlichen Ausdünstungen aus der Tiefe des Erdreichs. Die fragilen Sperlinge - um 1830, seit fast einhundert Jahren, waren sie in Preußen nicht mehr Gegenstand gezielter staatlicher Ausrottungskampagnen 203 - nahmen

199 Jakob Henle, Von den Miasmen und Kontagien und von den miasmatisch-kontagiösen Krankheiten (1840), hrsg. v. Felix Marchand, Leipzig 1910. Zu Henle vgl.: Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien, S. 5Iff.; Howard-Jones, Fracastoro and Henle; K. Codell Carter, Jacob Henle's Views on Disease Causation, in: NTMSchriftenreihe für Geschichte der Naturwissenschaften, Technik und Medizin, 28 (1991/92), S. 259-264; Arleen Marcia Tuchman, Science, Medicine, and the State in Germany. The case of Baden, 1815-1871, New York, Oxford 1993, S. 55ff. 200 Vgl.: Wagner, Zur Geschichte der Epidemiologie, S. 38ff., 53f. 201 [Anonym], Die Cholera Morbus oder die orientalische Brechruhr. Von einem praktischen Arzte, Stuttgart 1831, S. 35; Barrie's, Die Cholera morbus, S. 159. 202 Vgl. die Beispiele in: Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 1.2: Die Pest als Seuche und Plage, Gießen 1910, S. 169ff. Schon Ende des 17. Jahrhunderts jedoch, wie dort ebenfalls zu sehen, hat es Kritiker gegeben, die das Vogelsterben als bloßes Gerücht entlarvten. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde das Flüchten der Vögel dann von aufgeklärten Wunderkritikern aus dem übermäßigen Gebrauch von Straßen- und Zimmerräucherungen erklärt, vgl.: Johannes Nohl, Der schwarze Tod. Eine Chronik der Pest 1348 bis 1720, Potsdam 1924, S. 112. 203 Vgl.: [Preußisches] Renovirtes und verschärftes Edict, wegen Ausrottung der Sperlinge und Krähen (1744), in: Repertorium der Polizeyordnungen der frühen Neuzeit, hrsg. v. Karl Härter/ Michael Stolleis, Bd. 2.1, Frankfurt/M. 1998, S. 447. Für Preußen scheint das das letzte betreffende Gesetz gewesen zu sein. In anderen deutschen Staaten kam es gerade in der Aufklärungszeit, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, zum Höhepunkt der Kampagnen gegen Sperlinge, z.T. zu einem Zwangsablieferungssoll, das in bestimmten Regionen ca. 10 getötete Vögel pro Jahr festlegte, vgl.: Christoph Graser, Vogelschutz zwischen Ökonomie und Ökologie. Das Bei-

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damit nur das große, massenhafte Sterben der Menschen vorweg. In der Montanpraxis war es seit langem erfahrbar. Untertage waren die unabdingbaren Gefiederten stets die ersten, die das Gefieder spreizten, wenn Luftmangel oder giftige Gase drohten. Das war eine rationale Deutung. Andere deuteten die Zeichen nicht nur nach ihrer materiellen Natur, sondern nach ihrer magisch-göttlichen, nach erkennbaren Warnungen und Mahnungen: Prodigiis, ohne eine semantische Referenz als die, Ausdruck des unberechenbaren göttlichen Willens zu sein. Dafür standen Wunderzeichen. Vögel nahmen unter ihnen einen bevorzugten Platz ein, waren sie doch in antiken bzw. heindnischen Religionen in besonderer Weise mythisch-magisch besetzt. Spuren davon finden sich in der christlichen Angeologie, der Lehre von den geflügelten Engeln204. Die Intellektuellendiskurse zur Zeit der Cholera, so sollte man denken, hätten supernaturalistische Relikte längst abgetan. Die aufklärerische Handlungsvernunft, ihrer Errungenschaften gewiß, würde sich den Prinzipien von Ursache und Wirkung verschreiben, der Suche nach Kausalkomplexen, der nichts ferner lag, als mittelalterliche Legenden fortzuschreiben. Dem Bild gelungener Aufklärung wollen sich die Debatten um den Tod der Sperlinge, Dohlen und Stare jedoch nicht fügen. Die Behauptung, die Sperlinge würden die Cholera verbreiten und seien als wahre „Pestconductoren" anzusehen, ließe sich noch als zweckrational ansehen. Zumal, wenn ergänzt wurde, in Pestzeiten in Scharen vom Himmel gefallene Raben hätten sich eben an der Luft vergiftet205. Ein natürlicher Vorgang, weiter nichts. Wie aber war erklärbar, was schon Thukydides von der Athener Pest überlieferte: diese oder jene Vögel hätten vor oder in der Gefahr die Städte verlassen206? Oder, in neuzeitlicher Version, daß dort, wo die Cholera am heftigsten wüte, „alle Sperlinge und Dohlen verschwinden und sich überhaupt die Vögel sehr unruhig zeigen, hoch fliegen und sich sehr vermindern; dieselbe Erfahrung hat in Wien und Berlin stattgefunden"207? Das waren rhetorische Fragen. Die Antwort wurde auf der Stelle nachgereicht: Diese Phänomene zeigten nichts anderes, als daß die Krankheit ausschließlich miasmatisch sei. Die schädlichen Lüfte hätten eben die Sperlinge - nach einer Quelle von 1833 Sinnbild der Furchtsamkeit und

204 205 206 207

spiel der Sperlingsverfolgungen, in: Mensch und Tier. Kulturwissenschaftliche Aspekte einer Sozialbeziehung, hrsg. v. Siegfried Becker/Andreas C. Bimmer, Marburg 1991, S. 41-60; Reinhard Johler, Vogelmord und Vogelliebe. Zur Ethnographie konträrer Leidenschaften, in: Historische Anthropologie. Kultur - Gesellschaft - Alltag, 5 (1997), S. 1-35; Jutta Nowosadtko, Die policierte Fauna in Theorie und Praxis. Frühneuzeitliche Tierhaltung, Seuchen- und Schädlingsbekämpfung im Spiegel der Policeyvorschriften, in: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, hrsg. v. Karl Härter, Frankfurt/M. 2000, S. 297-340, hier: S. 330ff. Vgl.: Thomas Macho, Himmlisches Geflügel - Betrachtungen zu einer Motivgeschichte der Engel, in: :Engel :Engel, hrsg. v. Cathrin Pichler, Wien, New York 1997, S. 83-100. Enrico di Wolmar, Abhandlung über die Pest nach vierzehnjährigen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen, Berlin 1827, S. 347. Vgl.: Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, hrsg. v. Georg Peter Landmann, München 1993, Bd. 1, S. 255. Oberlehrer K. an Johann Christian August Heinroth, 25. Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 18, 2. November, Sp. 144.

Bedrohungen aus dem Tierreich

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Klugheit zugleich 208 - vertrieben. Die Antwort auf eine existentielle Frage war gefunden. Nur, woher war eigentlich die Frage gekommen? Warum besaß sie Relevanz genug, in einem angesehenen medizinischen Periodikum überhaupt aufgeworfen zu werden? Hier handelt es sich offenbar allein um Gerüchte. Indem generös Kausalerklärungen dafür erdacht wurden, erfuhren sie nur öffentliche Sanktion. Eine self-fulfilling prophecy. Die rationale Antwort adelte die irrationale Frage. Präziser: Hier schuf sich die Antwort die Frage. Wer hatte überhaupt das Sterben oder Schwinden der Spatzen bemerkt? Der Direktor des anatomischen Museums der Berliner Universität und der erste Professor für Anatomie und Physiologie der Universität, Karl Asmund Rudolphi, gewiß nicht. Dennoch nahm er das Gerücht entschlossen auf. Er formulierte ein Problem, um daraufhin des Rätsels Lösung anzumahnen: hier sind auf dem Universitäts-Hofe vierzig bis fünfzig todte Schwalben gefunden worden; von mehreren Orten ist mir eine größere Sterblichkeit unter dem zahmen Geflügel gemeldet. In der großherzogl. Fasanerie zu Baden sollen, nach der Aussage eines sich hier aufhaltenden und von dort herkommenden, Arztes, an hundert Fasanen gefallen seyn.209 Waren aber tatsächlich Vögel tot oder geflüchtet? Wer hatte ihr rätselhaftes Sterben oder Schwinden registriert, wer konnte es bezeugen? Der eben genannte Autor nicht; er erbat sich allerdings anatomisches Belegmaterial. Auch die anderen Autoritäten, die das Phänomen ernsthaft aufzuklären unternahmen, interessierte gar nicht sein möglicher Referenzgehalt. Sie unterstellten es unumwunden als Folie einer kausalen Entzauberung, die in ihrer Ernsthaftigkeit rhetorisch die Tatsachen erst schuf, die sie wegerklären wollten: Entstehung der Magie aus dem Geist der Entzauberung. Die Wissenschaft beschwor den abwegigen Fall erst herauf. Ihre Antworten bedurften der Frage. Vernunft bedurfte der Unvernunft, die Aufklärer des unaufgeklärten Rests von Angst. Sie supponierten ihn, um ihn auszutreiben, setzten ihn damit aber de facto erst in eine entzauberte Welt. Wissenschaft brauchte das Wunder. Sie folgte einer Logik, die das, was es exekutierte, erst schuf. Bereits ein Laie konnte auf dem ersten Blick die Berichte vom Vogelsterben als bloßes Gerücht entlarven, als „Ammengeschichten, die schon den Stempel der Unglaublichkeit an der Stirn trugen" 210 . Es gab keine Sperlings-Passion. Niemand, der Veränderungen der Vogelwelt tatsächlich wahrgenommen hatte. Dennoch wurden sie ernsthaft diskutiert. Wissenschaft adelte die Präsumptionen der Unvernunft. Erklärungen konnten gefunden werden, die dem gemeinen Volk die Ängste nahmen, die diskursiv erst erzeugt worden waren. Man fühlt sich in die belehrenden Diskurse des 18. Jahrhunderts versetzt, nur daß das pädagogische

208 Vgl.: [Anonym], Art. „Sperling", in: Dr. Johann Georg Krünitz's ökonomisch-technologische Encyklopädie [...], Bd. 157, Berlin 1833, S. 199-241, hier: S. 232. 209 Dr. Κ. A. Rudolphi, Bitte, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 19, 3. Dezember 1831, S. 149f„ hier: S. 150. Zu Rudolphi vgl.: Anton Waldeyer, Carl Asmund Rudolphi und Johannes Müller, in: Forschen und Wirken. Festschrift zur 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin, Bd. 1, Berlin 1960, S. 97-116; Peter Schneck, Zum Wirken und Schaffen Rudolphis in Berlin, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschaftswissenschaftliche Reihe, 34 (1985), S. 72-75. 210 Caroline Pichler, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Bd. 4: 1832 bis 1843, Wien 1844, S. 132f.

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Objekt, der vermeintliche abergläubische Pöbelwahn, mittlerweile fast abhanden gekommen war. So wurde er herbeiprojiziert. Rudolphi war kein Einzelfall211. Andere Akademiker kaprizierten sich auf andere Fragen, die nach heutigen Maßstäben, wie im nächsten Kapitel noch genauer zu sehen, nicht weniger widersinnig anmuten. Eine Handlungslogik lag diesen Aktivitäten zugrunde: gewollte Angstaustreibung. Nur deshalb, um die angeblich so geängsteten Gemüter zu beruhigen, versuchte schließlich ein Landpfarrer, aufklärerisches Urgestein, in bester pädagogischer Manier, die Sperlings-Passion vollends einer rationalistischen Deutung zuzuführen: Die Sperlinge und Dohlen und der Cholera-Duft von Wien und Berlin haben nichts miteinander zu schaffen. Diese und andere Vögel verlassen die Wohnungen der Menschen, so oft der Landmann säet, emdtet, pflügt, egget und überhaupt die Erde rühret, der Sämereien und noch mehr des Gewürmes wegen, das sie dann auf Äckern und in Gärten überaus reichlich finden. Die unschuldigen Vögel werden nach Wien und Berlin wiederkehren der Cholera zum Trotz. Warum doch die Luft noch cholerischer machen, als sie ist und schon geängstete Gemüther noch mehr ängstigen?

So relevant war diese Richtigstellung, daß sie Eingang in die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen", in eine staats-offiziöse Tageszeitung, fand. Auch die wissenschaftlich achtbare „Aachener Cholera-Zeitung" des Medizinalrats Zitterland machte sie bekannt212. Damit war ein irrationales Phänomen vor einer großen Öffentlichkeit erstens textual generiert, aber zweitens, der Vernunft sei Dank, einer rationalen Auflösung anheimgestellt. Es war endgültig dem wissenschaftlichen Deutungsanspruch unterworfen. Eine untrügliche Beweiskette, Sieg der Aufklärung durch sich selbst, ein emanzipatives looping, ein durch sich selbst evidenter Zirkelschluß: Quod erat demonstrandum. Die Welt war wieder in den Fugen. Die glorreiche Vernunft erkämpfte auch über die sie narrende Cholera den Sieg. Sieg blieb Sieg, auch wenn er, Scheinsieg, über eine Scheinfrage erkämpft war.

211 Vgl.: Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 2, S. 183ff. 212 Prediger B. in Sch... bei Berlin, [Korrespondenz], in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 258, 3. November 1831, [S. 1]; Der Prediger B. in Sch... bei Berlin, Miszelle, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 12, 8. November 1831, S. 95f., hier: S. 95. Zur phobischen Beobachtung des Verhaltens von Dohlen und Schwalben in den Münchener Epidemien 1836/37 bzw. 1854 vgl.: Mühlauer, Welch' ein unheimlicher Gast, S. 43ff.

Mensch-Tier-Kopula: Die Präsenz des Monsters

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1.4. Mensch-Tier-Kopula: Die Präsenz des Monsters Menschlich und animalisch - beide deutungsmächtige Bilder der Cholera bestanden nicht getrennt voneinander. In dem des Monsters überschnitten sie sich. Entsetzliche, monströse Bastarde versprachen Metaphern für Metaphernloses, Bilder für Bildloses, Begriffe für Begriffloses. Das völlig Unverständliche, das ominöse Kommen und Gehen der Seuche, war in Verständliches übersetzt. Das relative Entsetzen vor dem monströsen Mischling aus Mensch und Tier war dem absoluten Entsetzen der Fassungslosigkeit immer noch vorzuziehen. Von daher galt die Cholera - wie beispielsweise schon die Pest 213 - als tausendköpfiges, polypengleiches, dolchzüngiges Ungeheuer114, oder, um nur beim medizinischen Diskurs zu bleiben, als vielköpfige Hydra, furchtbare Hydra, polypenartiges Ungeheuer215. Diese Metaphorik hatte eine bezeichnende Vorgeschichte. Seit der Antike waren Monster, d.h. Tier-Mensch-Bastarde, unheimliche Wesen vornehmlich aus dem Osten des bekannten Erdraums. Mythen und Legenden zufolge waren es diejenigen, die an den Rändern der Kultur ihr Dasein fristeten. Die Grenze der bekannten Welt war die des Menschlichen. Das seinem Zugriff Entzogene war das exemplarisch Unmenschliche - Plinius systematisierte in seiner Naturalis historia diese Vorstellung. Sie wurde im christlichen Kontext ausgeformt und warf anthropologisch ganz verschiedenartige Fragen auf: Waren tierischmenschliche Monster nun Nachfahren mißglückter Schöpfungsversuche, also ungewollte Mängel der gegenwärtigen Schöpfung, eines ihrer sich verselbständigenden Abfallprodukte oder gar die Kreaturen eines Gegengottes? 216 Waren diese Wesen, vor allem die Indier Asiens, aber auch die Skythen im Norden Europas und Asiens bzw. die Äthiopier Afrikas, nun verfluchte Nachfahren Kains, Zwischenwesen aus Affe und Mensch oder durch Klimaeinflüsse deformierte Urvölker? 217 Ob in den von den Kirchenvätern bis in die frühe Neuzeit reichenden Diskussionen nun um solche und andere Gründe für Monstrositäten gestritten wurde, ob sie in Reisezeugnissen, literarischen Texten oder im volkstümlichen Bildgut be-

213 Vgl.: Peregrine Horden, Disease, dragons and saints: the management of epidemics in the Dark ages, in: Epidemics and ideas. Essays on historical perceptions of pestilence, ed. by Terence Ranger/Paul Slack, Cambridge 1992, S. 45-76. 214 Braun von Braunthal, Das Ende der Welt, Wien 1851, S. 169. 215 Prof. Dr. Wolfart, Bruchstücke über die Indische Seuche [Vortrag vor der Berliner medicinischchirurgischen Gesellschaft vom 7. September 1831], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 55, 17. November 1831, S. 221f„ hier: S. 221; Dr. J. J. Sachs, Ueber die Cholera auf deutschem Boden, und ihre bisher bewährtesten Präservative und Heilmethoden, Berlin 1831, S. 6; Dr. K. F. H. Marx, Die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, Carlsruhe und Baden 1831, S. V. 216 Vgl.: Klaus E. Müller, Der Krüppel. Ethnologia passionis humanae, München 1996, S. 185ff. 217 Vgl.: Alexander Perrig, Erdrandsiedler oder die schrecklichen Nachkommen Chams. Aspekte der mittelalterlichen Völkerkunde, in: Die andere Welt. Studien zum Exotismus, hrsg. v. Thomas Koeber/Gerhart Pickerodt, Frankfurt/M. 1987, S. 31-87, hier: S. 45ff.; Rudolf Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Kolumbus, München 1992, S. 1 lOff.

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ängstigende Gestalt gewannen 218 - die Existenz von Monstern stand außer Frage219. Erst allmählich ergab sich eine Linie der Säkularisierung. Monstrositäten verloren ihre rein numinöse Rolle, galten als naturale Wunder, bis sie schließlich im Kontext der Aufklärung als Mißbildungen ihren Platz in den natürlichen Tableaus von Anatomie und Physiologie bekamen220. Die drei Tendenzen können allerdings zeitlich gar nicht scharf voneinander geschieden werden221. Diesen Wissensbestand mit dem Seuchengeschehen zu analogisieren, lag auf der Hand. Kam doch die Cholera, wie die Erfahrung bestätigte, ebenfalls von Osten. Schon der Name, Cholera asiatica, indische Cholera, Cholera orientalis, schrieb das fest. Jedoch indizierte die Kennzeichnung der Cholera als östliches Monster Monstrositäten spezifischer Art. Die oben genannten Belege zeigen: Sie galt vornehmlich als dolchzüngiges Ungeheuer, als Hydra, als Drachen usw. Sie war ein Drachenbiest. Das hat, bei der vielfältigen Bedeutung von Drachensymbolen 222 , einen allgemein-verbindlichen Hintergrund: Die verunstalteten Menschen, die Menschentiere und Tiermenschen der romanischen Kathedralen, des gothischen Chorgestühls und der christlichenGlyptik haben in den polytheistischen Mythologien der alteuropäischen und vorderasiatischen Kulturen ihre ikonologische Grundlage, gehen auf Sagen und genealogische Mythen zurück. Alle diese sagenhaften Formen, die von der Schöpfung der Welt oder ihrer Besiedlung erzählen, kennen ein Tier am Anfang der Zeiten: den Drachen. Er ist ein ungeschlachtes, synkretistisches Wesen, das in seiner chimä-

218 Vgl.: Werner Röcke, Erdrandbewohner und Wunderzeichen. Deutungsmuster von Alterität in der Literatur des Mittelalters, in: Der fremdgewordene Text. Festschrift für Helmut Brackert zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Silvia Bovenschen u.a., Berlin, New York 1997, S. 265-284; Marina Münkler/Werner Röcke, Der ordo-Gedanke und die Hermeneutik der Fremde im Mittelalter: Die Auseinandersetzung mit den monströsen Völkern des Erdrandes, in: Die Herausforderung durch das Fremde, hrsg. v. Herfried Münkler, Berlin 1998, S. 701-777; Marina Münkler, Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 2000, S. 214ff. Zu bildlichen Zeugnissen vgl.: Rudolf Wittkower, Die Wunder des Ostens: Ein Beitrag zur Geschichte der Ungeheuer (1942), in: ders., Allegorie und der Wandel der Symbole in Antike und Renaissance, Köln 1977, S. 87-150, hier: S. 140ff.; Irene Ewinkel, De monstris. Deutung und Funktion von Wundergeburten auf Flugblättern im Deutschland des 16. Jahrhunderts, Tübingen 1995. 219 Vgl.: John Block Friedmann, The Monstrous Races in Medieval Art and Thought, Cambridge, London 1981; David Williams, Deformed Discourse. The Functionof the Monster in Mediaeval Thought and Literature, Exeter 1996; Dämonen, Monster, Fabelwesen, hrsg. v. Ulrich Müller/ Werner Wunderlich, St. Gallen 1999. 220 Vgl.: Michael Hagner, Enlightenment Monsters, in: The Sciences in Enlightenment Europe, ed. by William Clarke/Jan Golinski/Simon Schaffer, Chicago, London 1999, S. 175-217. 221 Vgl.: Lorraine Daston/Katharine Park, Wonders and the order of nature, 1150-1750, New York 1998, S. 176, vgl. auch: Josef Ν. Neumann, Der mißgebildete Mensch. Gesellschaftliche Verhaltensweisen und moralische Bewertungen von der Antike bis zur frühen Neuzeit, in: Der falsche Körper. Beiträge zur Geschichte der Monstrositäten, hrsg. v. Michael Hagner, Göttingen 1995, S. 2 1 ^ 4 , hier: S. 39f. 222 Vgl. die umfassenden Literaturangaben in: Lutz Röhrich, Art. „Drache, Drachenkampf, Drachentöter", in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Eizählforschung, hrsg. v. Kurt Ranke, Bd. 3, Berlin, New York 1981, Sp. 787-820.

Mensch-Tier-Kopula: Die Präsenz des Monsters

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rischen Gestalt die .coincidentia oppositorum' des Göttlichen beinhaltet [...]. Dieser Drache ist das Urtier am Beginn allen Lebens, Ahnherr auch des Menschen, der sich mit dem Evolutionsbruch von den Tieren verabschiedet hat.223

Monster und Drachen, animalisch-humane Zwitterwesen - sie rütteln am Evolutionsbruch, am evolutionären Sprung, mit dem sich Menschen imaginär und tatsächlich dem Reich des Animalischen entwunden haben. Sie scheinen ihn rückgängig zu machen bzw. ihn zu nivellieren. Sie versinnbildlichen die Urangst der Bastardisierung, Animalisierung und des monströsen Einswerdens, die schon immer dem Basisgesetz der menschlichen Selbsterhaltung dem Sodomieverbot - zugrunde liegt. Ein exemplarischer kultureller Wissensbestand, ein von Generation zu Generation dem kollektiven Gedächtnis eingeschriebener Horror spiegelt sich darin: Es ist die entsetzliche Erinnerung an die Tier-Mensch-Kopulation, an die eigene hybride, naturhaft-soziale Gestalt, durch die auch die Cholera zum monströsen Schreckgespenst wird. Es ist, als holte den Menschen seine eigene biologische Vergangenheit ein224. Andererseits haben monströse Zwitterbilder und Metaphern ihren Ursprung sehr wohl auch direkt in Epidemien. In ihnen kommt die bereits in der Einleitung thematisierte Doppelgestalt, die für Menschen jede Seuche zur Seuche macht, ahnungsvoll zum Ausdruck. Das Menetekel mythischer Mischwesen verdankt sich nicht nur der Cholera, aber auch der Cholera. Es spiegelt ihre enigmatische Zwiestruktur - Natur und Geschichte, Geschichte und Natur, die später im Bakterium so eindrucksvoll vereint werden sollten.

223

Hans Richard Brittnacher, Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur, Frankfurt/M. 1994, S. 187, vgl. weiterhin: Heinz Mode, Fabeltiere und Dämonen in der Kunst. Die fantastische Welt der Mischwesen, Stuttgart, Berlin, Köln 1974, S. 127ff. 224 Vgl.: Thomas Macho, Ursprünge des Monströsen. Zur Wahrnehmung verunstalteter Menschen, in: Wie ein Monster entsteht. Zur Konstruktion des anderen in Rassismus und Antisemitismus, hrsg. v. Kirstin Breitenfellner/Charlotte Kohn-Ley, Bodenheim 1998, S. 1 1 ^ 2 , hier: S. 32ff., vgl.: insgesamt: Werwölfe und andere Tiermenschen. Dichtungen und Dokumente, hrsg. v. Klaus Völker, Frankfurt/M. 1994.

2. Die Wirren der Wissenschaft

Weihevolle Worte wurden Dr. Ernst Barchewitz, der als praktischer Arzt dem notleidenden Danzig in der Cholerazeit zu Hilfe geeilt war, anläßlich seiner Abreise Ende 1831 überbracht: Das Dunkel sei geschwunden, wo er als Retter auftrat und das Licht des Heils gebracht. Tausende von Freudentränen seien ihm entgegengeflossen. Unsterblich lebe er in den Bürgerherzen fort1. Ein selbstloser Arzt, ein wissender Arzt, ein weiser Arzt - was wäre mehr? Solche und andere Elogen waren lediglich verklärende Zukunftsversprechen. Das Rätsel Cholera wurde nicht gelöst, nicht 1831, nicht 1832, nicht in den Pandemien der folgenden Jahre und Jahrzehnte. Es gab keine Erklärung für das Entstehen der Seuche, keine für ihre Übertragungsweise, keine aussichtsreiche Kur am Krankenbett. Die mühsam aufgebaute Reputation des medizinischen Standes stand auf dem Spiel. Die Cholera war zum unerbittlichen Maßstab geworden, nicht nur der medizinischen, sogar der naturwissenschaftlichen Potenzen: das „grossartigste Problem der medicinischen und nicht medicinischen Naturwissenschaften der Gegenwart", wie man 1848 bekräftigte2. Vor diesem Problem versagten die Mediziner. Die, die wie Barchewitz 1830 der Cholera entgegenreisten. Die, die sie beim ersten Ausbruch in Deutschland behandelten. Die, die ihr in den folgenden Jahrzehnten auf der Spur waren - es gelang und gelang nicht, der Seuche beizukommen. Ein einziger Ausweg blieb: das Scheitern in das Resultat einer vorausschauenden Kapitulation umzudeuten. Die Epidemie wurde zum Naturereignis, durch kein ärztliches Erklären und Handeln zu bezwingen. Sie entspringe siderischen oder tellurischen Einflüssen, atmosphärischen Wandlungen, den Metamorphosen des rastlosen Genius epidemica, kurzum: naturhaften Miasmen, die sich keinem ärztlichen Ratschluß beugten.

1 Vgl.: [Anonym], [Für Dr. Barchewitz], in: [Wilhelm Schumacher], Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831, [Danzig, 1831], S. 28. 2 Dr. Carl Jos. Heidler, Die epidemische Cholera; ein neuer Versuch über ihre Ursache, Natur und Behandlung, ihre Schutzmittel und die Furcht vor derselben, Leipzig 1848, S. 41.

Das unerwartete Desaster

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2.1. Das unerwartete Desaster a) Ätiologie: Sitz, Wesen und Formen Ein Mediziner, einer bestimmten Spielart der sogenannten „naturhistorischen Schule" zuzurechnen, konstatierte 1840, zehn Jahre nach der ersten Cholerawelle, eine folgenschwere Verwerfung des Fachs. Er beklagte eine Zersplitterung der medizinischen Schulen, ein Chaos der theoretischen Paradigmen und der praktischen Heilmethoden: Jatromechaniker, Jatrochemiker, experimentalphysiologische Ärzte, Naturphilosophen, Mystiker, Magnetisieurs, Exorcisten, Galenisten, moderne paracelsische homunculi, Stahlianer, Humoralpathologen, Gastriker, Infarctenmänner, Broussaisten, Contrastimulisten, naturhistorische Ärzte, Physiatriker, Idealpathologen, germanisch christliche Theosophen, Schönleinianer, Homöopathen, die den Meister aller Orten rühmen, aber selbst keine Meister sind, Pseudo-Schönleinianer, Homöobiotiker, Homöopathen, Isopathen, homöopathische Allopathen, Psoristen und Skoristen, Hydropathen, Elektricitätsmänner, Physiologen nach Hambergers Schlage, Heinrothianer, Sachsianer, Kieserianer, Hegelianer, Morisonianer, Phrenologen, Jatrostatiker [...]. Die Medizin gleiche einem Tollhaus. Eitle verblendete Narren würden, an den Schweif des Rosses Aberglauben gebunden, die Vernunft auf einen verschlingenden Abgrund zutreiben 3 . Das war ein vernichtendes Fazit. Mit dieser harschen Bestandsaufnahme traf der Autor, übrigens zehn Jahre zuvor gleichfalls mit einer Schrift zur Cholera hervorgetreten, den Nagel auf den Kopf. Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts war die Medizin als Theorie und Praxis zersplittert wie nie zuvor. Grundansatz häufte sich auf Grundansatz, Therapieart auf Therapieart. Aufklärungsmodelle trafen auf romantische, positivistisch-experimentelle auf spekulative, chemische auf biologische, mechanische auf organische, elektrische auf humoralpathologische, homöopathische auf allopathische, ungeachtet eklektischer Synthesen. Und alle beriefen sich in dieser oder jener Weise auf verschiedene oder auf gleiche Autoritäten aus Antike, Mittelalter oder Renaissance. Ohne Zweifel gab es in den deutschen Staaten tonangebende Zentren: romantische Schule, naturhistorische Schule, Wiener Schule4. Aber bringt man die sogenannte „Biedermeiermedizin" auf einen Nenner, läßt sich das Urteil bisheriger Forschungsarbeiten nur zuspitzen 5 : nicht Suche, nicht Eklektik, nicht Divergenz und Heterogenität, sondern Anarchie. Für und Wider hat es in der Medizin schon immer gegeben. Es liegt im Wesen auch dieses Projekts, ein Überbietungs- bzw. Konkurrenzunternehmen zu sein. Von jeher war das so.

3 Ferdinand Jahn, Sydenham. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Medicin, Eisenach 1840, S. Iff. 4 Urban Wiesing, „Kunst oder Wissenschaft?" Konzeptionen der Medizin in der deutschen Romantik, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995; Johanna Bleker, Die Naturhistorische Schule, 1825-1845. Ein Beitrag zur Geschichte der klinischen Medizin in Deutschland, Stuttgart 1981; Erna Lesky, Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert, Graz, Köln 1965. 5 Vgl.: Κ. E. Rothschuh, Deutsche Biedermeiermedizin, Epoche zwischen Romantik und Naturalismus (1830-1850), in: Gesnerus, 25 (1968), S. 167-187; Johanna Bleker, Biedermeiermedizin Medizin der Biedermeier?, in: Medizinhistorisches Journal, 23 (1988), S. 5-22.

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Nur war neu, Gegensätze nicht mehr stillschweigend auszutragen. Mit dem Entstehen bzw. mit dem Expandieren einer publizistischen Öffentlichkeit wurden medizinische Kontroversen demonstrativ öffentlich. Das neue Forum Öffentlichkeit, getragen von aufklärerischen Bildungsidealen, liberalen politischen Ansprüchen und ökonomisch kalkulierenden Medien, stimulierte die Akteure dazu, direkt gegeneinander anzutreten. Medizin war zunehmend den Regeln eines immer unerbittlicher regierenden Markts unterworfen. Praktizierende Ärzte, theoretisierende Kliniker, Hofärzte, Medizinalpolitiker usw. rangen schlichtweg um ökonomisches und symbolisches Kapital (Bourdieu). Es war ein Konkurrenzkampf um ökonomische Ressourcen wie etwa staatliche Approbation, Patienten, Höhe von Taxen, Honorare für Beratertätigkeiten oder Publikationen, um Berufung in staatliche Ämter usw. Aber auch um symbolisches Kapital wurde gekämpft, um Ansehen und Ehre, um Einfluß und Macht, also darum, bestimmte wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Tendenzen zu dirigieren. Deutschlands gravierende territorial-politische Zerstückelung begünstigte diesen Kampf. Denn eine Universitätsmedizin, von der, staatlich sanktioniert, Impulse für konzeptionelle Verbindlichkeiten hätten ausgehen können, existierte nur im Plural. Fast jeder deutsche Staat hatte seine Universitäten und seine medizinischen Prestigeprojekte. Eine mangelnde Zentralisierung behinderte einen verbindlichen medizinischen Kanon und beförderte ein anhaltendes Ringen um Hegemonie im medizinisch-theoretischen Feld. Mediziner bekämpften einander. Um in effige zu bleiben: Sie kämpften nicht nur, wie sie sich immer wieder rhetorisch ertüchtigten, gegen Krankheiten wie etwa die Cholera, sondern lagen im Krieg gegeneinander. Es kam zu „zerfleischenden Hahnenkämpfen der Heilkundigen"6, zu einem Kampf omnium contra omnes. Die Medizin befand sich in einer bemerkenswerten Lage. Es war ein Umbruch, der einer Auflösung gleichkam. Theoretische Verbindlichkeiten waren im Schwinden. Neue stellten sich nur zögerlich ein. Sie hatten noch nicht die Autorität, die Defizite in Theorie und Praxis abzufangen, wie das später etwa Physiologie und Zelltheorie vermochten. Das Kommen der Cholera spitzte die Konfusion dramatisch zu. Und ein sich allmählich entfaltender kapitalistischer Markt, auf dem qua Werbung unzählige Spezifika, Präservativmittel und Heilapparate in überregionalem Maßstab kursierten, begünstigte die Richtungslosigkeit. Natürlich gab es bestimmte Leitinstanzen: romantische Medizin, naturhistorische Schule, Wiener medizinische Schule. Deren Autoritäten nahmen in der Regel prestigeträchtige Schlüsselstellungen an Universitäten ein. Aber selbst im Inneren der Schulen gab es ein ständiges Rochieren, gab es Kompetenz- und Einflußkämpfe und beständige Versuche theoretischer und praktischer Überbietung. Abgesehen von den Schulen, die wenigstens nach außen hin den Eindruck einer bestimmten Geschlossenheit vermittelten: unterhalb dieser Ebene waltete theoretisches und praktisches Chaos. Die Disziplin war aus den Fugen. Eine Medizingeschichtsschreibung, die sich lediglich am sogenannten Höhenkamm der Historie orientiert, sich an kanonisierten Protagonisten wie etwa Christoph Wilhelm Hufeland, Albrecht von Graefe, Johann Friedrich Dieffenbach oder Samuel Hahnemann abarbeitet (um hier Mediziner zu nennen, die sich ausführlich der Cholera zugewandt haben), umgeht dieses Chaos wohlweislich.

6 [Ludwig Reilstab], Reisescenen aus den neuesten Tagen, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 281,24. November 1831, S. 1121f., hier: S. 1121.

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Verläßt man jedoch die Warte medizinhistorischen Heldenkults und wendet sich der medizinischen lingua franca zu, wird deutlich, daß die Heroen, die auf bestimmten Gebieten zweifellos ihre Verdienste hatten, in der Cholerazeit genauso orientierungslos waren wie alle anderen. Viele Mediziner besaßen gar nicht die Autorität, die eine kanonisierende Medizingeschichtsschreibung nachträglich fingiert. Sie waren Akteure unter anderen und hatten sich im Geflecht von Institutionen, Theorien und Praktiken zu bewähren. Es zeichnete sich vor allem durch eines aus: einen hohen Grad von Ordnungsschwund. Die Hunderte von Broschüren und Büchern und die Tausende von Artikeln, die gegen die Seuche anrannten, zeigten vor allem eines: gereizte Dysfunktionalität. Die Cholera war nicht der Grund dafür. Sie war allenfalls der Anlaß. Medizinischer Streit bezog sich auf alle denkbaren Phänomene: auf Vorboten, Gelegenheitsursachen, Diätetik, auf Übertragungswege und Heilungsmethoden der Seuche, sogar darauf, ob und wie Leichen zu sezieren seien oder wie ihre Bestattung zu erledigen sei. Um unter Auslassung des großen epidemiologischen Streits von Kontagionisten und Miasmatikern allein bei den pathologischen Kontroversen um Sitz, Wesen und Einheit der Seuche zu bleiben: Selbst hier trafen die Ansichten von Universitätsmedizinern, Klinikern, zugelassenen Ärzten und sonstigen Medizinern aufeinander, darunter viele, die Nachrichten über die Cholera nur vom Hörensagen hatten. Ad 1 ): Sitz der Krankheit. Ein Mediziner, der auf eine eigene Theorie keineswegs verzichten wollte, zählte folgende irrige Hypothesen über den Sitz der Cholera auf: 1) Ein Theil der Aerzte behauptet, daß der Sitz der genannten Krankheit im ganzen Nervensysteme sich befinde. 2) Andere hingegen nehmen an, daß derselbe einzig und allein in den Unterleibs-Nerven (Ganglien-System) zu finden sey. 3) Eine noch größere Anzahl der Aerzte behauptet wiederum, daß der Sitz der Cholera nur in dem Blutadersysteme angetroffen werde. 4) Noch andere sind der Meinung, daß derselbe bloß im Magen, als Unreinlichkeit der ersten Wege zu finden sey. 5) Nach einer isolirten Ansicht soll der Sitz der Cholera im ganzen Körper seyn können, und die Krankheit durch das Ansetzen kleiner menschenmörderischer Thierchen an die Haare, Haut und Kleidung herbeigeführt werden. 6) Nach einer andern, ebenfalls isolirten Ansicht soll dieser Sitz in den Unterleibs-Eingeweiden des Rheumatismus sich begründen. Meine Ansicht über den eigentlichen Sitz der Cholera ist dagegen die, welche auf den Talmud begründet ist, und durch die Natur bestätigt wird, daß nämlich derselbe in der Schleimhaut der sämmtlichen inneren Theile des menschlichen Körpers sich befindet. Der Anfang des Sitzes beginnt daher nur im Munde, und endigt sich beim After.7

Kurzum: „Man hat schon alle Organe des Körpers nach und nach für den Sitz der Krankheit erklärt"8. Warum aber war die Frage nach dem vermeintlichen Sitz, nach der Stelle, wo sie gewissermaßen greifbar war, so wichtig? Warum der kunstreiche Streit? Die Medizin war um eine Antwort nicht verlegen: „Aus dem Sitz der Krankheit im Organismus erkennen wir

7 I. S. Borchardt, Kurze Darstellung der Cholera und unfehlbare Heilmittel derselben. Nach den Grundsätzen des Talmud, Berlin 1831, S. 13f. 8 Schnurrer, Die Cholera Morbus im Jahre 1831, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 395 u. 396,12. Oktober 1831, S. 1580f., hier: S. 1580.

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das jedesmalige Uebel" 9. Mit dem Schritt von einer Ebene, die gewissermaßen noch Phänomenen verpflichtet war, zu der, die weitaus weniger dem forschenden Blick zugänglich sei, wäre das Wesen der Krankheit zu entschlüsseln. Vom Sitz zum Wesen, von der niveauvollen Empirie zur Theorie - das sei der Königsweg der Medizin, der die Krankheit entschleiere und zur Heilung führe. Das wirkte schlüssig und entsprach der neuzeitlichen Verklammerung von Empirie mit Theorie. Es folgte einem Weltbild, nach dem Erscheinungen auf ein verborgenes Wesen verwiesen und es fortschreitender menschlicher Erkenntnis anstehe, zu ihm vorzudringen. Nur, daß die ganze Debatte um den „Sitz" einer Prämisse verpflichtet war, die selbst als fragwürdig anzusehen ist. Die Frage nach dem Sitz von Krankheit unterstellt nämlich ein substantielles Wesen, ein ontisches Etwas, das den Körper befällt, sich gewissermaßen darin einnistet, allmählich breitmacht und nach und nach seine Operationen ausschaltet. Dieses Konzept und sein ontologischer Krankheitsbegriff wurden im ersten Kapitel bereits behandelt. Dort ist von einer Art gnostischen Parallele ausgegangen worden, von zwei seit der Antike fortlaufenden Linien. Immer schon habe es den Widerstreit zwischen ontologischem Krankheitsbegriff und Konzepten, die individuell Kranke in den Mittelpunkt stellten, gegeben. Das ist nun zu präzisieren: Der neuzeitliche Ontologismus war nicht nur archaischen Relikten verpflichtet, schrieb nicht nur die magische Dichotomie von angreifender Krankheit und körperlicher Verteidigung fort. Er reproduzierte sie auf neue, zeitgemäße Weise. Allein die ökonomische und technische Versachlichung der medizinischen Beziehungen, in denen Kranke objektiv in die Rolle von Trägern bzw. von Durchgangsstationen von Krankheiten gerieten, hatte dieses Projekt stimuliert. Als Pionier ist Giovanni Battista Morgagni anzusehen, der sogenannte Vater der Pathologie, der 1761 sein Werk „Über die Sitze und die Ursachen der Krankheiten" veröffentlichte. Anhand der Sektionen von über 700 Leichen hatte er dargelegt, daß Ursache und Sitz von Krankheiten in den einzelnen Organen zu suchen seien. Gerade die Abkehr von der in gewisser Hinsicht individuellfunktionalen Krankheitsauffassung der Humoralpathologie führte ihn auf einen solchen Ontologismus. Nicht mehr Störungen des Säftegleichgewichts, sondern der Befall von Organen sei Ursache und Sitz von Krankheiten. Die Ansicht prägte die Debatten der nächsten Jahrzehnte, bis die Zellpathologie, übrigens teilweise gestützt auf Morgagni, wiederum ein anderes Modell etablierte - vom Organ über das Gewebe zur Zelle10. Ad 2): Wesen der Krankheit. Ausgehend vom Sitz der Krankheit, stellte sich die Frage nach ihrem Wesen. Allerdings war nicht jede Debatte über ein solches Wesen ontologistisch

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Dr. Carl Barrie's, Die Cholera morbus. Ueber ihre Entstehung, Ausbildung, Zeugung und Anstekkungsfähigkeit [...], Hamburg 1831, S. 126. Vgl.: Martin Lindner, Die Zelltheorie in ihrer Bedeutung für die biomedizinische Paradigmenbildung, in: Die gesellschaftliche Konstruktion von Befindlichkeit. Ein Sammelband zur Medizinethnologie, hrsg. v. Angelika Wolf/Michael Stürzer, Berlin 1996, S. 141-151, hier: S. 141. Zu Morgagni vgl.: Loris Premuda, Giovanni Battista Morgagni (1682-1771), in: Klassiker der Medizin, hrsg. v. Dietrich v. Engelhardt/Fritz Hartmann, München 1991, Bd. 2, S. 231-244; Andrew Cunningham, Pathology and the case-history in Giambattista Morgagnis "on the seats and causes of diseases investigated through anatomy" (1761), in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 14 (1995), S. 37-62.

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fundiert. In den Choleradebatten der dreißiger Jahre war der Wesensbegriff breiter gefächert. In seinem Fokus standen, als kleinster gemeinsamer Nenner, Aussagen über Kausalitätsverhältnisse. Vom Wesen einer Krankheit zu sprechen, bedeutete, Ursachen und entsprechenden Folgen nachzugehen. Auch da trafen, ob ontologisch oder humoralpathologisch, all die medizinischen Gegensätze aufeinander, die oben bereits skizziert worden sind. Dabei gab es zwei dominierende Grundmuster. Die englischen Ärzte, die in Indien erstmals mit der Epidemie Kontakt hatten, verstanden sie einigermaßen einhellig - obwohl es auch hier die zu erwartenden Differenzen gab - als Störung von Organabsonderungen bzw. des Blutumlaufs. Russische Ärzte, so etwa im exemplarischen Orenburger Gutachten, erkannten eine Entzündung des Unterleibs bzw. des Darmkanals. Das ermunterte zu vielfältigen Variationen. So plädierte eine Reihe von Medizinern, orientiert an den englischen Vorgaben, für eine gravierende Beeinträchtigung des Blutumlaufs bzw. der Blutqualität: fehlende Blutoxidation, Überladung mit Kohlenstoff, Hyperkarbonisation und daraus folgende Vergiftung durch Kohlendampf, Erkalten und Gerinnen des Bluts". Andere, und das war die Mehrheit, optierten, orientiert an russischen Hypothesen, für eine Nervenerkrankung. All das waren Modifikationen der anfänglichen englischen bzw. russischen Ansätze. Es kam aber, fehlende Plausibilität der Modelle einerseits und Logik der Überbietung andererseits, zu Alternativangeboten. So rückte bei der Cholera auch die Haut in den Bereich medizinischen Interesses. Sorgsam mußte über Gleichgewicht von Aufnahme und Ausscheidung durch Körperoberfläche und Haut gewacht werden. Störungen hätten verhängnisvolle Folgen. Demzufolge war die Cholera eine gehemmte Hauttätigkeit bzw. Hautausdünstung12. Andere diagnostizierten Leberkrämpfe oder ein Verschließen des Lebergangs, d.h. eine gestörte Säftezirkulation. Auch das Herz kam mit der These einer Paralyse zum Zug13. Noch ausgefallener war die Annahme, es handele sich um eine grippeoder schnupfenähnliche Krankheit, wofür freilich allenfalls eine Analogie von Schleim-

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Vgl.: Graf Franz v. Szápáry, Flugschrift eines Oekonomen über einige höchst bedeutende Ursachen der seit mehreren Jahren unter unseren Augen so sichtbar zunehmenden Krankheiten, vorzüglich der Fieber und der so gefürchteten Cholera, sammt Angebung der gewiß wohlthätig dagegen wirkenden Mittel, Pesth 1831, S. 27; Dr. J. M. Prchál, Supplement-Heft zu den Beobachtungen über die Cholera, Prag 1832, S. 66; [Schreiben eines praktischen Arztes], in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 20, 6. Dezember 1831, S. 153-156, hier: S. 156; Dr. H. J. Brünnighausen, Von der Heilung der asiatischen Cholera durch ein bekanntes, einfaches, naturgemäßes Mittel, Würzburg 1832, S. 6.

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Vgl.: Dr. A. Krauß, Die Cholera-Epidemie nach eigenen in Wien und in Mähren aus Auftrag der Königl. Würtembergischen Regierung angestellten Beobachtungen, Stuttgart 1832, S. 178; Karl Sundelin, Darstellung einer gründlichen Ansicht von dem Wesen oder der eigentlichen Ursache der Cholera [...], Berlin 1831, S. 27. Vgl.: Dr. Moritz Schlesinger, Ueber die specifische Behandlung der Cholera, Berlin 1831, S. 55; Ludolph von Beckedorff, Die Cholera, ihre Ursachen, ihre Verbreitung, ihre Abwehr und ihre Heilung. Vermuthungen nicht blos für Aerzte geschrieben (1831), Berlin 1848, S. 12; Dr. Albers, Ueber die Cholera, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, 34 (1831), S. 382-400, hier: S. 387.

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absonderung beim Schnupfen und plötzlichen Ausscheidungen bei der Cholera sprechen konnte14. Die Medizin stand, ohne es zu wissen, vor einem Dilemma. Das Wesen ließ sich nicht ergründen. Es hätte eines vollkommen neuen medizinischen Paradigmas bedurft, es plausibel zu machen. Und wäre es tatsächlich gelungen, wäre das im Strom der Alternativen untergegangen oder gar gezielt bekämpft worden. Mit der zunehmenden Lawine vorgelegter Entwürfen wurde dieses Dilemma allmählich bewußt. Deswegen der Griff zu kühnen Analogien. Es war ein medizinischer Letztbehelf, der sich an die Evidenz von Erscheinungen klammerte, um auf diese Art ein Wesen zu statuieren: „Alle Analogieen, welche die Cholera mit irgend einer Krankheit nur immer haben kann, wurden erschöpft. Bald war sie Apoplexie, bald ein bösartiges kaltes Fieber, bald eine Vergiftung des Blutes, bald eine Nervenkrankheit, bald Blausucht etc."15. Die Multidiversität von Angeboten spiegelte sich, wie schon das erste Kapitel zeigte, allein in den phantasieträchtigen Namen, die die Seuche kennzeichneten: bengalische Brechruhrpest oder Hindupest, akute Blausucht, Bauchmasern, Blutstockung, schweres kaltes Fieber, scorbutische Krankheit, epidemisches Frieselfieber, Wechselfieber. Phänomene waren der letzte medizinische Anhaltspunkt in einer schwankenden Welt. Im Namen gerannen sie zum Wesen, zum rettenden Anker, der Grund gab. Ad 3): Einheit der Krankheit. Ein weiterer geradezu aussichtsloser ärztlicher Kompetenzkampf drehte sich um die Einheit oder Differenz der Krankheitsbilder. War sie eine Krankheit, die ohne Wenn und Aber in immer gleicher Weise auftrat? Gab es individuell verschiedene Krankheitsfälle? Oder unterlag die Epidemie gar selbst einem zeitlichen, räumlichen oder anderweitigen Evolutionsprozeß? Auch dieser Streit war nicht herbeigeholt. Er gründete sich auf verschiedene theoretische Paradigmen. Die einen, Konsequenz eines ontologischen Krankheitskonzepts, sahen eine, im Wesen identische Krankheit. Andere attestierten zumindest allmähliche Modifikationen der Entität Cholera und ein Abebben. Eine weitere Gruppe beobachtete unterschiedliche Formen, Übergangsformen bzw. gewisse Variationen. Eine letzte Gruppe schließlich, Folge eines entschieden empirischen Ansatzes, erklärte sich gegen einen jeden monolithischen, in ihren Augen deduktiven Krankheitsbegriff. Sie wies alle Einteilungen als willkürlich ab und anerkannte nur individuell Kranke und spezifische Krankengeschichten: „Was man beobachtet, sind bestimmte Krankheitsfalle

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Vgl.: Prof. Andreas Wawruch, Versuch, die Natur der ostindischen Cholera pathologisch zu enträthseln, in: Medicinische Jahrbücher des k.k. österreichischen Staates, NF. III, 12 (1832), S. 260-275, hier: S. 261f.; [Anonym], Wechselverhältnis der Cholera und Influenza, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 37, 4. Februar 1832, S. 291-296. H-l, Elsässers Werk, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), Bd. 4, Nr. 95, 25. Juli 1832, Sp. 360-366, hier: Sp. 361. Als Parodien auf diese babylonische Verwirrung: Dr. Mises [d.i. Gustav Theodor Fechner], Schutzmittel für die Cholera, nebst einem Anhange [...], Leipzig 1832, S. 96f„ 140ff.; [Dr. Eucharius Ferdinand Christian Oertel], Medicinische Böcke von Aerzten, welche sich für infallible Herren über Leben und Tod halten, in der Cholera geschossen, Bocksdorf und Schußbach [1832]; Dr. J. J. Sachs, Ueber die schwankende Aetiologie der Cholera, in: Berliner Medicinische Zeitung, Nr. 5, 3. Februar 1832, Sp. 65-68.

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[...]. Bald wird hoffentlich Niemand, der ein Arzt heissen will, mehr existiren, der etwa meinte: Cholera ist Cholera!"16. Auch hier stießen Mediziner direkt aufeinander und wetteiferten, mehr oder weniger polemisch geübt, das Rätsel Cholera zu lösen. Ob Sitz, Wesen oder Einheit, - zu jeder Überlegung gab es Widerspruch, zu jedem Konzept ein Gegenkonzept. Auch in der Frage nach der Einheit der Krankheit trat die Krise der Disziplin zutage. Es ließ sich kein kleinster gemeinsamer Nenner finden. Die anerkannten Autoritäten waren so hilflos wie der letzte Winkelchirurgus. Ein Konzept versuchte, das andere öffentlich auszustechen. Mit zunehmender Dauer der Seuche verschärfte sich der Streit. Er war in gewisser Weise eine kollektive Übersprungshandlung. Die Positivenergie, die der zunehmend vergebliche Kampf gegen die Epidemie verzehrte, entlud sich negativ in einer gereizten und bissiger werdenden Polemik. Hier war ein Gegner, sichtbar und erfolgreich niederzuzwingen. Es gab Konkurrenten, die zu besiegen möglich schien. Die Mißerfolge im Kampf gegen die Cholera wurden kompensiert durch Scheinerfolge im Kampf gegen medizinische Widersacher. Hier saß der eigentliche Feind. Die Umbesetzung verselbständigte sich geradezu und führte zu einer gravierenden Wahrnehmungsverschiebung. Sie hatte schließlich die Suggestion zum Ergebnis, mit der verbalen Selbstbehauptung gegen den medizinischen Gegner sich gegen die Cholera selbst behauptet zu haben.

b) Therapie: „Anarchie", „Folter" und „Vampyrismus" In seinem Erfolgsroman „Der ewige Jude" von 1844/45, der in der Seuchenzeit 1831/32 angesiedelt ist, schildert Eugène Sue die Therapie eines Cholerakranken: Vier Mediziner treten an sein Bett, mit Metallzylindern, in denen Watte zum Brennen gebracht war. Sie preßten sie glühend auf die Brust des Kranken und bliesen den Zunder unnachgiebig an. Der Patient wand sich unter Schmerzen, die Behandlung wurde jedoch fortgesetzt. Nachdem der letzte Watterest verbrannt war, konnte der Erfolg bereits verbucht werden. Herz und Atem hatten sich beschleunigt. Einige Nebenfolgen mußten freilich ertragen werden: Für die Behandelnden der ekelerregende Brandgeruch, für den Patienten die Wunde des unter der verkohlten und noch rauchenden Haut zuckenden lebendigen Fleischs17. Hier wurde kein modernes Gruselmärchen erzählt, das etwa Marquis de Sades Phantasien in den Bereich des Medizinischen trug. Die Schilderung war ungeschminkt realistisch. In damaligen Therapien und insbesondere denen der Cholera war es keine Seltenheit, mit glühenden Instrumenten den Körper zu malträtieren, ihn Elektroschocks auszusetzen, künst-

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Dr. Ernst Daniel August Bartels, Grundzüge einer speciellen Pathologie und Therapie der orientalischen Cholera; als Leitfaden für praktische Aerzte zu einer der Verschiedenheit des Ganges, Grades und übrigen Verhaltens der Krankheit angemessenen Behandlung, Berlin, Potsdam und Bromberg 1832, S. Vif. Vgl.: Eugen[e] Sue, Der ewige Jude [1844/45], Deutsche Originalausgabe, Bd. 8, Leipzig 1845, S. 200ff. Zu diesem Roman vgl.: Hans-Jörg Neuschäfer/Dorothee Fritz-ElAhmad/Klaus-Peter Walter, Der französische Feuilletonroman. Die Entstehung der Serienliteratur im Medium der Tageszeitung, Darmstadt 1986, S. 132ff.

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liehe Wunden, sogenannte Fontanellen, anzulegen und durch ständiges Reizen nicht heilen zu lassen. All das folgte einer bestimmten Art von Rationalität und gehörte zum Repertoire einer „heroischen" Medizin. Das war aber nur eine Art der Behandlung. Zahllose Mittel und Maßnahmen wurden erprobt. Eine Abhandlung von 1831 wartete in einer Revue mit nicht weniger als 283 der bewährtesten, auf Autoritäten und rationelle Heilmethoden gegründeten Rezepturen auf18. Hunderte andere kamen im Lauf der nächsten Monate noch hinzu. Das waren nur Rezepturen. Aderlässe an den verschiedensten Stellen, Blutegel, Fontanellen, kalte bzw. heiße Bäder und viele, viele andere Therapiearten, einschließlich Infusionen oder Impfungen, waren dabei noch gar nicht erfaßt. Die Multidiversität von Heilmitteln und Methoden bezog sich nicht nur auf die neue Krankheit Cholera. Die Jahrzehnte um die Mitte des 19. Jahrhunderts sind als die der hochgradigen therapeutischen Wirrnis anzusehen, oder, um mit den Worten Carl Reinhold August Wunderlichs von 1851 zu sprechen: Früher existierten wohl verschiedene ärztliche Schulen und Sekten nebeneinander und nacheinander. Sie bekämpften sich mit ihren theoretischen Anschauungen und therapeutischen Grundsätzen; aber innerhalb der Schulen waren feste Regeln vorgeschrieben, war die Wahl des Kurverfahrens nicht in die Willkür des einzelnen gelegt. Anstatt der doktrinären Starrheit begegnen wir heute der vollendetsten therapeutischen Anarchie.19

Über den zerfahrenen Zustand der Therapie herrscht in der Forschungsliteratur kaum Zweifel. Er spiegelte auf seine Weise die Inflation der medizinischen Modelle. Wie Jahn - siehe oben - einen eitlen Wahn der Theorien konstatierte, so anspruchsvoll und vielgestaltig waren auch die Therapien. Die Cholera brachte das Dilemma nur ans Licht. Sie beschleunigte den medizinischen Wettstreit. Es müsse doch gelingen, die Krankheit, wenn sie schon nicht ätiologisch erklärbar war, wenigstens zu heilen. Damit war das Feld geöffnet für Theoretiker, Praktiker und Laien aller Art. Versuch folgte auf Versuch, Behandlung auf Behandlung: „Wir sehen ganz voneinander abweichende Methoden nicht allein von einem und demselben Arzte, sondern sogar zu einer Zeit und bei demselben Kranken angewendet"20. Alle Bemühungen gingen fehl, kein Mittel schlug an. Zwar trat das ein, was sich bei Genesungen von Patienten immer einstellt: das Gesunden als Therapieerfolg zu verbuchen. Folgerichtig kam es dazu, daß diese oder jene medizinische Schule beanspruchte, am erfolgreichsten gegen die Cholera „gekämpft und gesiegt" zu haben21. Aber das war nur die Pro-

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Vgl.: Dr. A. P. Wilhelmi, Pharmacopoea anticolerica oder vollständiger Apparatus Medicamentorum gegen die verschiedenen Hauptformen der Cholera. Ein Handbuch für praktische Aerzte und Chirurgen, enthaltend 283 der bewährtesten, auf Autoritäten und rationelle Heilmethoden gegründeten Arzneivorschriften, Leipzig 1831. Carl Reinhold August Wunderlich, Antrittsvorlesung 1851, zit. nach: Erwin H. Ackerknecht, Therapie von den Primitiven bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 1970, S. 121. Zu diesem therapeutischen Chaos bzw. dieser Anarchie vgl.: Marcel H. Bickel, Die Entwicklung zur experimentellen Pharmakologie 1790-1850. Wegbereiter von Rudolf Buchheim, Basel 2000, S. 52ff. [Anonym], Die Cholera, in: Die Gegenwart. Eine encyklopädische Revue der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, 1 (1848), S. 669-713, hier: S. 697. [Anonym], Die Cholera mit dem besten Erfolg bekämpft durch die homöopathische Curart [...]. Dargestellt von einem Freund des öffenlichen Wohls, Bremen 1835, S. 3.

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longierung von Spiegelfechtereien, die um so eifriger wurden, als keine wirkliche Heilung erreicht werden konnte. Die Medizin als ganze erlebte eine Niederlage. Am Ende mußte gar als beste Heilungschance gelten, nicht den ambitionierten Therapieversuchen ausgesetzt zu sein: „Ohne ärztliche Hülfe kommen die Leute oft leichter davon"22. Ein Vorzug war, gar nicht erst in den Machtkreis von Ärzten zu gelangen. Glücklich waren die, die den komplizierten Kuren, Prozeduren und Tinkturen entgingen: Zuerst hat in der Therapie das rastlose Versuchen und die blinde Nachahmung auf eine Weise überhand genommen, die im neunzehnten Jahrhundert fast beispiellos ist, und in der Folge ohne Zweifel als die verderblichste verworfen werden wird, wenn unsere Nachkommen erfahren werden, wie hartnäckig viele tausend Kranke in Europa mit Blutentziehungen und übermäßigen Gaben von Quecksilber und Opium [... ] behandelt worden sind [...]. Jene Landleute in Polen, die ohne Arzt durch einfache Schwitzmittel sich von der Cholera befreiten, können den blinden Empirikern zu nützlichen Führern dienen, und Alle beschämen, die in der Cur dieser Krankheit ein Asyl für die Charlatanerie gefunden haben.23

Diese Philippika galt praktisch allen Medizinern und Ärzten. Ihr Berufsbild verlangte, extensiv wie intensiv zu behandeln, wo immer Krankheit sich zeigte. Sie geboten den Kräften der Natur, indem sie ihnen ihr Geheimnis ablauschten. Sie extrahierten sie und führten die Extrakte den Kranken zu. Je elaborierter ihr Vorgehen, desto größer ihr Ruf und desto größer die vermeintlichen Heilungschancen. Sie waren Heiler mit der Aura des Arkanwissens. Das war schlichtweg Folge einer arbeitsteiligen und beruflichen Ausdifferenzierung. Mit immer aufwendigeren Rezepturen, Tinkturen und Apparaturen galt es eine Standesreputation zu sichern, die im 19. Jahrhundert nachhaltig im Steigen begriffen war. Medizin befand sich in einem instrumentellen looping. Das fatale Ärgernis Cholera mußte mit den Mitteln zu bannen sein, die so augenfällig und erfolgreich den medizinischen Statusgewinn versinnbildlichten. Auf die Therapie bezogen hieß das: Sie überbot sich mit immer ausgefeilteren Kurverfahren. Ein jedes Procedere hatte die bisherigen auszustechen. Jeder Fehlschlag mündete in vergrößerten Aufwand. Nach heutigen Auffassungen allerdings wäre die einfachste Therapie die beste gewesen: nämlich nachhaltige Wasserzufuhr, um der bedrohlichen Dehydrierung zu begegnen, versetzt mit Kochsalz, um den gestörten Elektrolythaushalt zu stabilisieren. Und die einfachste Methode, die Cholera überhaupt von Anfang an zu verhindern, wäre gewesen, Trinkwasser abzukochen und sonst nichts. Die Logik der ärztlichen Inszenierung ganz abgesehen von pekuniären Erfordernissen - , gebot es hingegen, auch Naheliegendes zu vernebeln und Einfaches zu verkomplizieren. Das ist einer, aber selbstredend auch nur einer der Gründe dafür, daß die genial einfache Lösung, die Koch dem Cholerarätsel gab, sogar die Lösung von Seuchenrätseln überhaupt, sich so gravierend verzögerte. Um diese Verspätung, die auf einem ganzen Komplex von Gründen zurückzuführen ist, geht es im abschließenden Kapitel. Hier interessieren vorerst die Therapieangebote um 1830. Und da sind, bei aller Anarchie, bestimmte Typen auszumachen, die in der Regel

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[Oertel], Medicinische Böcke, S. 21. C. I. Lorinser, [Sammelrezension über Cholera-Schriften], in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Nr. 55, September 1831, Sp. 434-W2, hier: Sp. 435.

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traditionell verankert waren. Abgesehen von solchen ausgefallenen Vorschlägen, den Kranken den Anus mit einem Pfropfen zu versiegeln, Luft via Anus in den Darm zu pumpen oder sich in Pferdemist zu baden bzw. Kuhmistextrakt einzunehmen24 - es handelt sich hier nicht um Vorschläge von Laien, sondern promovierten Medizinern - , lassen sich hauptsächlich sechs allgemeine Grundmuster feststellen. Sie sollen hier panoramaartig vorgestellt werden, um das kontroverse Ringen um Lösungen zu verdeutlichen. Ad 1) Äußere Reize Wie Philipp Sarasin in seiner Studie „Reizbare Maschinen" herausgearbeitet hat, war die Medizin der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, selbst wo sie die Errungenschaften der Reizphysiologie aufnahm, die sich mit elektrischen, galvanischen und magnetischen Einflüssen in unübersichtlicher Weise kreuzte, überraschend stark mechanistisch eingestellt25. Die Organismuskonzepte der romantischen Medizin hatten wenig daran geändert. Pharmazie und Alchimie bzw. Chemie, die traditionellen Säulen der Medizin, waren ebenfalls mechanistisch orientiert: Ging es doch darum, Gifte durch Gegengifte auszutreiben. Im Rahmen eines ontologischen Krankheitskonzepts kam es darauf an, sie auszuschwitzen, im Stuhl auszuscheiden oder mit dem Blut abzuführen, sie auszubrechen oder herauszueitern. Da sich bei Cholerakranken meist ein Kältegefühl einstellte, oftmals ein Erkalten der Haut auch tatsächlich feststellbar war, machten gerade Schwitzkuren Sinn. Patienten mußten erwärmt werden (wenn nicht, was selbstverständlich auch vorkam, dem Leitspruch similia similibus curantur gemäß und dem aufklärerischen Badekult folgend, umgekehrt eine Kältebehandlung mit Eis bzw. Kaltwasserbädern vorgenommen wurde26). Das war zuallererst innerlich, durch heiße Getränke, durch Tee, Kaffee oder Punsch möglich. Da aber eine der ärztlichen Maximen war, daß die für die Cholera so typischen Ausscheidungen selbstreinigende Giftabscheidungen waren, sollte eine Flüssigkeitszufuhr gerade verhindert werden. Erwärmung mußte somit in der Regel von außen erreicht werden. Dazu dienten Frottierungen, Bäder oder Sturzbäder mit heißem Wasser, auch das Einwickeln in wärmende Hüllen nach Abschluß jeder Therapie. Das waren recht simple Behandlungsmethoden, die jedem Laien offenstanden. Einen betreffenden Kompetenzgewinn erzielten Ärzte, wenn sie

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Vgl.: Norman Howard-Jones, Cholera Therapy in the Nineteenth Century, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 27 (1972), S. 373-395, hier: S. 384; Dr. Gieseler, Ein neues Erwärmungsmittel. Vorschlag für die Bewohner des platten Landes, in: Berliner CholeraZeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 13, 22. Oktober 1831, S. l l l f . ; Dr. H. L. v. Guttzeit, Die Cholera in Orel im Jahre 1847. Ein Beitrag zur Kenntnis dieser Krankheit, Leipzig 1848, S. l l l f .

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Vgl.: Philipp Sarasin, Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt/M. 2001. Vgl.: Prof. Dr. Oertel, Indische Cholera einzig und allein durch kaltes Wasser vertilgbar. Allen Regierungen, Ärzten und Nichtärzten zur Beherzigung, Nürnberg 1831; ders., Victoria! Kaltwasser hat die Cholera besiegt. Ein thatsächlicher Bericht, Nürnberg 1831; Dr. Johann Ludwig Casper, Die Behandlung der asiatischen Cholera durch Anwendung der Kälte; physiologisch begründet, und am Krankenbette, Berlin 1832; Friedrich Müller, Die Cholera und die Anwendung der Kälte als einfaches Schutz- und Haupt-Heilmittel derselben, Wien 1832.

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sich mit der ebenfalls aufstrebenden Ingenieurskunst verbanden und - abgesehen von den unzähligen Desinfektionsapparaten - komplizierte Dampfbäder und Heißluftheilapparate entwarfen bzw. empfahlen. Das war auch ökonomisch ein Gewinn für die betreffenden Erfinder, Produzenten und Vertreiber. So wurde eine unübersehbare Zahl von aufwendigen Geräten offeriert, die, obwohl gekauft, wohl eher selten in Gebrauch kamen27. Das Geschäft gedieh nicht zuletzt aufgrund staatlicher Choleraedikte, die diese oder jene Gerätschaft favorisierten 28 . Solche modischen Apparate zu nutzen, war nur Sache von Begüterten - höheres Bürgertum, Beamte oder Adel. Dort hatten sie ihren florierenden Markt (was unter anderem auch literarische Satiren einer ebenso multifunktionalen wie absurden „Choleraheilungsmaschine" auf den Plan rief 29 ). Es war jedoch nicht nur so, daß Ärzte die Öffentlichkeit gleichsam demagogisch narrten. Sie besaßen Reputation und genossen Vertrauen. Vor allem bestand Bedarf nach ihnen und nach ihrer Kompetenz. Man kann geradezu von einem öffentlich ratifizierten Pakt von Begüterten und Medizinern ausgehen. Die Rolle, die sie spielten, wurde ihnen, Komplex vieler Komponenten, nicht zuletzt auch aufgedrängt. Der bürgerliche Kult um die Ressource Gesundheit und die Zwänge einer arbeitsteiligen Gesellschaft schufen genauso den ärztlichen Stand, wie er von Medizinern geschaffen wurde. Sie waren die

27 Vgl.: F. A. Schneider, Nachricht von der Einrichtung des patentierten Staubbad-Apparats in Form eines Schrankes, vermittelst dessen man mit 8 Quart Wasser 15 Minuten baden kann [...], Berlin 1831; John Isaac Hawkins, Das Amerikanische arzneihaltige Dampfbad als Schutzmittel gegen die Ansteckung und als das schnellste, kräftigste und sicherste Heilmittel der Cholera [...]. Nebst 3 Abbildungen, Berlin 1831; S. E. Hoffmann, Entwurf zur Einrichtung eines Cholera-Hospitals. Mit einer genauen Angabe eines, für die Behandlungsart der Cholera-Kranken in Vorschlag gebrachten, bequemen Krankenlagers, Berlin 1831; Dr. F. M. Ascherson, Beschreibung tragbarer Dampf-Apparate. Im Auftrage der Königl. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. Mit zwei Steindrücken, Berlin 1831; Dr. Friedrich Hempel, Das weingeistige Dampfbad ganz besonders in Beziehung auf die Cholera, dem Städter und Landmann empfohlen, Berlin 1831; Gebrauchs-Anweisung zu dem von Gebrüder Aston in Magdeburg erfundenen CholeraSchwitzbad, nebst einem Steindruck, Magdeburg 1831; Dr. Kaufmann, Ueber die indische Brechruhr in praktisch-therapeuthischer Beziehung, Hamm 1831; J. Porsue, Schweißerregungs-Apparat zum Gebrauch beim Ausbruch der Cholera, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 12, 8. November 1831, S. 96; E. W. Günz, Das Schwebebett, eine Vorrichtung am gewöhnlichen Bette zur Anwendung trockner und feuchter Dampfbäder, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, I. Heft, Nr. 13 (1831), S. 193-200; ders., Die Grad-Lampe. Ein Nachtrag zum „Schwebebett", in: ebd., 1 (1831), Nr. 20, S. 305-307. Weitere Apparate sind angeführt in einer Sammelrezension: [Anonym], Dampfbetten, Dampfstühle, Dampfzelte, Dampfwannen, Dampfpanzer, Dampfsärge, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 60, 7. März 1832, Sp. 181-188. 28 Vgl.: Belehrung über die Asiatische Cholera für Nichtärzte. Auf allerhöchsten Befehl des Königreichs Sachsen bekannt gemacht, Dresden 1831 [Anhang]; [Bekanntmachung], Königl. Regierung. Abtheilung des Innern. Potsdam, den 20. Juli 1831, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 31. St., 5. August 1831, S. 162. 29 Vgl.: Ludwig Rellstab, Die Cholera im Fürstenthume Scheerau (Fortsetzung), in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 252, 24. Dezember 1831, Sp. 2011-2013, hier: Sp. 2011f.

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Erfüllungsgehilfen ihrer eigenen Interessen - und eines sozialen Bedarfs, der nach Spezialistentum in Medizin, Technik und Wissenschaft zunehmend rief. Ad 2)

Präparate

Die in Berlin vielgelesene Broschüre eines gewissenhaften Arztes, die eine Hausapotheke für den Fall der Cholera empfahl, drang unter anderem auf folgendes: ein Schrankbad, einen Dampfapparat, einen galvanischen Apparat, eine Elektrisiermaschine. Neben solchen Selbstverständlichkeiten wie Klistierspritze und Blutegel ermutigte sie zu einer Unzahl von Flanellen, Bürsten, Ölen, Weinen, Essigen, Alkoholika, Säuren, Salzen, Gewürzen, Kräutern und Tropfen. Für den medikamentösen Gebrauch, den jedoch allein der herbeigerufene Arzt verordnen könne, seien schließlich vorrätig zu halten: aaa. ein Brechmittel, bestehend aus 8 Pulvern, wovon ein jedes 10 Gr. Ipecacuanha, eben so viel Arrow-Root-Mehl und Zucker enthält, und mit der gehörigen Signatur: „Brechpulver aus 10 Gran Ipecacuanha" versehen ist; bbb. Brechwein 6 Loth; ccc. acht Pulver, ein jedes aus Ipecacuanha 1/8 Gr. Kampher 1 Gr. Zucker 10 Gr. bestehend; ddd. mit Safran bereitete Opium-Tinktur 1/2 Quentchen; eee. ätherisches Chamillen-Oel 1/2 Quent.; fff. Cajeput-Oel 1/2 Quent.; ggg. Phosphoräther 1 Quent.; hhh. Hofmanns-Tropfen 1 Quent.; iii. Russischen Rharbarber (gepulvert) 1 Quent.; kkk. 8 Stück von dem Dr. Leoschen Pulver, von denen ein jedes 3 Gr. Magisterium bismuthi und 10 gr. Zucker enthält.30

Das - Molièrsche Realkomödie - gibt einen Einblick in die damals gängigen Pharmazeutica. Unter anderem waren hier mit Opium, Kampher und Wismut die wichtigsten drei Spezifika genannt, die der Cholera zu wehren hatten. Einzig Kalomel, also Quecksilbernitrat, das vor allem von englischen Ärzten bevorzugt wurde, fehlte hier. Zu welchem Zweck aber all die Pharmaka? Warum solche Substrate, die noch in der Ära der Bakteriologie, während der schweren Hamburger Epidemie von 1892, in großem Maßstab eingesetzt wurden und nach wie vor dazu führten, daß rund die Hälfte der in Krankenhäusern behandelten Cholerakranken starb31?

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Dr. L. G. Mangold's guter Rath für seine lieben Freunde und Bekannten wegen der asiatischen Cholera-Krankheit, Berlin 1831, S. 6ff. Vgl.: Richard J. Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910 (1987), Reinbek 1991, S. 425ff.; Ursula Weisser, Die Cholera in Hamburg 1892: Nachbetrachtungen zur Diagnose der ersten Erkrankungen und zu den Therapieansätzen in den Krankenhäusern, in: Schlaglichter der Forschung. Zum 75. Jahrestag der Universität Hamburg, hrsg. v. Rainer Ansorge, Berlin, Hamburg 1994, S. 85-109, hier: S. lOOff.

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Diese Art von Therapie stützte sich, oftmals einem ontologischen Krankheitsbegriff verpflichtet, auf eine lange Linie von spezifischen Mitteln gegen Krankheiten32. Opium war dabei noch das unbedenklichste. Die jahrtausendealte Arznei, die schon bei den Griechen hoch im Kurs stand, war wegen ihrer schmerzlindernden und narkotisierenden Wirkung beliebt. Von den Indern übernommen, wo die Cholera seit Jahrhunderten endemisch auftrat, nutzten englische Ärzte das Opium in hohen Dosen. Da sein Gebrauch nicht nur schmerzund krampfstillend wirkte, sondern auch zur Lähmung oder zum Verlangsamen der Darmbewegung führte und Ausscheidungen minimierte, schien es ein geeignetes Sedativ: Es verschaffe, so einer seiner Befürworter, „der daniederliegenden Maschine Ruhe und Erholung"33. Für sich allein genommen genügte Opium der ärztlichen Kunstfertigkeit jedoch nicht. Gekoppelt war sein Gebrauch mit ebenfalls hochdosierten erregenden Mitteln. So ergab sich bestenfalls ein pathogenes Gleichgewicht auf neuem Krankheitsniveau. Wozu nun aber Erregungsmittel wie Kalomel? Entsprechend der ärztlichen Doktrin galt die Cholera als eine Störung des Blutumlaufs, verursacht durch Schwächung des Nervensystems. Hier half das aufreizende Kalomel, sollte den Kreislauf antreiben, Herzschlag und Atmung beschleunigen. Zumal wurde Quecksilber - allerdings ebenso vergeblich - großflächig zur Behandlung der Syphilis eingesetzt. Auf Kalomel hielten insbesondere die englischen und russischen Ärzte, und zwar in hohen Dosen: „Mein Kreischirurg, ein guter ehrlicher Russe, welcher mein Begleiter und Adjutant war, bekam in der Nacht, wo ich etwas dirilirte, Angst, zapfte mir eine reichliche Portion Blut ab, und gab mir 10 gr. Kalomel. Er dachte: viel hilft viel"34. Gegen die Brachialphilosophie des „viel hilft viel" regte sich zwar Widerspruch. Insbesondere in Deutschland war eine gewisse Mäßigung zu beobachten. Bezeichnenderweise fehlte Kalomel in der oben genannten umfangreichen Mangoldschen „Hausapotheke". Aber selbst hier kam es in nicht wenigen Fällen zu ausgeprägten akuten Quecksilbervergiftungen als Folge der Therapie. Ein Gegner hielt dem Ansatz vor, es falle schwer, sich bei solchen ungeheuren Dosen des Gedankens zu erwehren, „ob nicht durch diese Gewalt-Mittel beabsichtiget gewesen sey, eines Menschen Untergang absichtlich zu bereiten"35. Das Kalomel der englischen und russischen Ärzte hatte nicht anschlagen wollen. Dennoch besaß ihre Behandlungsmethode Autorität genug, sie nicht vorschnell abzuweisen. Der

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Vgl.: Georg Sticker, Entwickelungsgeschichte der spezifischen Therapie, in: Janus, 33 (1929), 5. 133-155, 245-270; Adriane Jorek, Das Pulver als Arzneiform. Ein Überblick über seine Entwicklung vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 1998. Dr. Johann Heineken, Beobachtungen und Erfahrungen, gesammelt auf dem Felde der praktischen Heilkunde, nebst Bemerkungen über die asiatische Cholera, Bremen 1832, S. 343; vgl. insgesamt: Dr. Krüger-Hansen, Opium als Heilmittel in der Cholera, Güstrow und Rostock 1832. Dr. Abendroth an Dr. Kneschke, 17. August 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 20, 6. Dezember 1831, S. 156. Zum Kalomel vgl.: Guenter B. Risse, Calomel and the American Medical Sects during the Nineteenth Century, in: Mayo Clinic Proceedings, 48 (1973), S. 57-64; Howard-Jones, Cholera Therapy in the Nineteenth Century, S. 380ff.; Dietlinde Goltz, „Das ist eine fatale Geschichte für unsern medizinischen Verstand". Pathogenese und Therapie der Cholera um 1830, in: Medizinhistorisches Journal, 33 (1998), S. 211-244, hier: S. 231ff. Dr. Krüger-Hansen, Curbilder, mit Bezug auf Cholera, Rostock und Güstrow 1831, S. 40.

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mangelnde Erfolg war ja - Logik der Therapie - auf die Stärke der Krankheit zurückzuführen oder darauf, daß man Ärzte zu spät zu Kranken rufen ließ. Umgekehrt wurde jeder Genesungsfall dann geglückter Therapie zugerechnet: Post hoc ergo propter hoc. Mißerfolge sprachen niemals gegen die betreffenden Kurarten. Empirisch war das kaum zu widerlegen. So wurde, um andere Behandlungsarten zu legitimieren, die These entwickelt, daß die Krankheit in ihrem Lauf von Asien über Rußland nach Europa sich wandle. Entweder habe sie ihren Charakter genuin geändert oder zeige unter den mitteleuropäischen klimatischen Bedingungen ein anderes Erscheinungsbild. Sie besäße ein neues Wesen oder neue Formen. Demzufolge seien auch neue Mittel erforderlich36. Das war ein Zwischenstand, im April 1831, wenige Wochen, bevor die Cholera Preußen erreichte. Rechtzeitig im Juni präsentierte Hufeland, der Doyen der preußischen Medizinerund Ärzteschaft, in seinem „Journal der practischen Heilkunde" dann das Mittel, mit dem die deutschen Ärzte, Wunder göttlicher Inspiration, ihre unermüdlich bekundete theoretische und praktische Hoheit beweisen wollten: Es war im Monat Januar dieses Jahres, als mir ein Freund schrieb, ein Bekannter von ihm habe folgenden Traum gehabt: Der Traum fand in der Nacht vom 8ten auf den 9ten Novbr. 1830 und der darauf folgenden Nacht statt: [...] So verschmachtend und hinsterbend, öffne ich die schon geschloßnen Augen noch einmal, und sehe neben mir ein verdecktes kelchähnliches Gefäß von heller Farbe, und einer mir unbekannten Masse. In der Hoffnung, es enthalte irgend etwas zu trinken, richte ich mich mühsam empor, werfe den Deckel herab, und entdecke zum meinem Schrecken nichts Flüssiges, wohl aber auf dem Boden ein weißes feines Pulver, etwa wie eine weiße zerstoßene Kreide. [...] Nach etwa drei Stunden Schlafes, ohne mir bewußten, oder nachher erinnerlichen Traumes, fahre ich plötzlich, im Gefühle einer sehr heftigen Erschütterung, auf, und rufe laut zu wiederholten Malen: Magisterium! Magisterium war es! 37

Damit war durch Hufeland im Juni offiziellerseits „geadelt", was schon im Maiheft seines „Journals" von einem in Warschau tätigen deutschen Arzt gegen die Cholera vorgeschlagen worden war: ein Präparat aus Wismut. Es soll dort unter Dr. Leopold Leo sagenhafte Erfolge gemacht haben: „Ich kann Sie übrigens, bei allem was mir heilig ist, versichern, daß mir bis jetzt kein einziger Cholerakranker, der von mir mit Wismuth behandelt worden ist, ohne vorher andere Medikamente genommen zu haben, gestorben ist"38. Nachrichten davon zogen schnell Kreise. Sie wurden spätestens durch Hufelands Unterstützungspolitik sanktioniert. Auf ihn geht wahrscheinlich auch der Nachdruck eines LeoArtikels in der staatsoffiziellen „Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung" vom 20. Juni 1831 zurück. Der hatte sogar das Gerücht zur Folge, der König persönlich wolle den Arzt -

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Dr. Fr. Sertürner, Blicke in die Gegenwart und Zukunft, mit Beziehung auf die orientalische Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde, IV. St., April 1831, S. 71-82, hier: S. 71f. H[ufeland], Wunderbare Einführung des Magisterium Bismuti in die Praxis der Cholera contagiosa, in: Journal der practischen Heilkunde, VI. St., Juni 1831, S. 107-113, hier: S. 107ff. Leopold Leo an seine Eltern, 23. Juni 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 29, 2. Dezember 1831, Sp. 69.

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„von Geburt her preußischer Unterthan" - nach Berlin rufen lassen39. Die Wismuttherapie erlangte anfangs in Preußen geradezu kanonische Verbindlichkeit. (Daß sie nicht in eine der offiziellen Verordnungen einging, kam nur, weil sie sich, wie sich allzuschnell zeigte, ebenfalls nicht bewährte.) Sie zu kanonisieren hieß aber nur, eine Metallverbindung durch die andere ersetzt zu haben. Die Ärzte vertrauten zwar darauf, Wismut werde in viel nachhaltigerer Weise die stillenden und beruhigenderen Effekte wie Opium bewirken. Vielleicht mag es wegen seiner eiweißfallenden Wirkung tatsächlich in diesem oder jenem Einzelfall helfend gewesen sein. Aber im Ganzen gilt von allen wundersamen Heilungen, was bis dahin schon immer gegolten hatte: Sie erfolgten immer trotz der Therapie. Nicht wegen, sondern statt der Roßkuren kamen Genesungen zustande. Überlebten die Kranken erst einmal die Therapieversuche, bestand die größte Aussicht, auch die Cholera zu überstehen. Das war viel zu selten der Fall. Wismut dennoch zu verabreichen, hatte sich eine bemerkenswert gleichgültige Maxime eingebürgert: „Hilft er nichts, so schadet er doch auch nichts"40. Ähnliches galt auch von dem Mittel, das die Homöopathie als hauptsächliches Spezifikum auserkoren hatte: Kampher. Diese organisch-chemische Verbindung, aus bestimmten Bäumen oder Ölen gewonnen, sollte nicht sedieren. Sie sollte, analog zu den englischen Kuren mittels Kalomel, anregend und aufreizend wirken. Das gründete sich wiederum auf verschiedene Erregungslehren, die durch den schottischen Arzt John Brown an Aufschwung gewonnen hatten. In ihnen wurde Kampher als anregendes Kreislaufaneleptikum geschätzt. Auch preußische Ärzte nutzten bei der Cholera dieses Mittel. Unter ihnen hatte vor allem der Kreisphysikus Dr. Julius Leviseur aus der Provinz Posen spektakuläre Erfolge zu verzeichnen. Mit staatlichem Edikt vom 21. August 1831 - Leos Wismut hatte innerhalb weniger Wochen seinen Kredit bereits eingebüßt - machte der Chef der preußischen ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera diesen Kampher als möglicherweise abhelfendes Spezifikum bekannt: Unter den vielen zu Versuchen bei der Behandlung der Cholera in Antrag gebrachten Mitteln scheint vorzüglich der von mehrern Aerzten empfohlene Kampher die Aufmerksamkeit zu verdienen. [...] Die Immédiat-Commission beeilt sich, die Aerzte hiervon in Kenntniß zu setzen, und sie aufzufordern, sich bei ihnen darbietender Gelegenheit weitere Versuche mit diesem Mittel zu machen, und über den Erfolg zu berichten.41

Paradoxerweise propagierte Ludwig Gustav von Thile staatlicherseits damit das Spezifikum, das eigentlich auch der von den preußischen Behörden befehdeten homöopathischen Schule als Allheilmittel galt. Auch Samuel Hahnemann, der Gründungsvater der Homöopathie, die

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Berlin. Juli. Cholera ad portas (Fortsetzung), in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 188, 8. August 1831, S. 752. Ebenda. Zur sprunghaften Karriere des Wismuts als Therapeutikum in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl.: Alfred Reckenfelderbäumer, Medizin und Wissenschaftstheorie. Die Geschichte der Wismuttherapie als wissenschaftshistorische Fallstudie, Husum 1995. [Mitteilung.] Der Chef der Immédiat-Commission zur Abwehrung der Cholera, v. Thile, Berlin, 21. August 1831, in: Die Königlich Preußische Medicinal Verfassung, oder vollständige Darstellung aller, das Medicinalwesen und die medicinische Polizei in den Königlich Preußischen Staaten betreffenden Gesetze, Verordnungen und Einrichtungen, hrsg. v. F. L. Augustin, Bd. 5, Potsdam 1833, S. 188f.

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es so schwer hatte, sich durchzusetzen, suchte nach einem spezifischen Heilmittel. Erstens sollte es ein Gegengift sein. Zweitens, getreu der homöopathischen Doktrin, ein rein natürliches. Das war der Kampher. Überraschenderweise war auch er bei der Vergabe seiner Antidote nicht gerade zimperlich. Selbst Schüler zeigten sich überrascht, in welch hohen Dosen Hahnemann auf Kampher hielt: Was Ihren Vorschlag anlangt, den Campher gegen Cholera anzuwenden, so stößt sich das Publikum daran, daß Sie - anscheinend gar nicht im Geiste der Homöopathik - dieses Specifikum in so starken Dosen, noch stärkeren als die Allöopathen geben, angewendet wissen wollen, und glaubt, daß das Mittel, wenn es homöopathisch paßte, den Kranken vollends töten müßte. 42

Befürchtungen angesichts ungewöhnlicher Dosierung sollten sich nur bewahrheiten. Zwar gelang es angeblich, durch Verabreichung von Kampher die Cholera zu heilen. Aber Operation gelungen, Patient tot - erlagen nicht wenige der derart Geheilten den Nebenwirkungen: „In Berlin hat sich zwar bisher der Kampher als Hauptmittel zur Unterdrückung eines stärkeren Cholera-Anfalles bewährt, aber leider erlagen die meisten dadurch Geheilten in kurzem einem typhösen Fieber mit bedeutender Hirn-Affection" 43 . Den Befund präzisiert ein weiterer ärztlicher Zeugenbericht, allerdings nicht frei von der Häme der Konkurrenz: Drei Cholerakranke, welche zur Behandlung im St. Magdalenenspitale dem hiesigen Homöopathiker übergeben wurden, starben insgesammt, nachdem sie sich über den erstickenden Dampf der Kampherräucherungen, und über das heftige Brennen im Magen von dem inneren Gebrauche der allzugroßen Gaben des Kamphers, sehr und bitter beklagten. Der traurige Erfolg dieser Methode ließ es nicht zu, Mehre[re] dergleichen Behandlung oder vielmehr Mißhandlung auszusetzen. 44

Hahnemann suchte nach einem Spezifikum, das heißt nach einem unfehlbaren Universalmittel, das die Cholera unter allen Umständen und in jedem Fall unschädlich mache. Am anderen Ende der Skala standen die Mediziner, die ein Spezifikum ablehnten. Sie kurierten individuelle Fälle jeweils individuell. Das war, im langen geschichtlichen Auf und Ab beider Muster, vorerst die grundlegende ärztliche Überlebensstrategie ab Herbst 1831. Ein immer und überall helfendes Spezifikum hatte sich nicht finden lassen. Die vorschnelle Ankündigung eines solchen hatte immer wieder zu herben Rückschlägen geführt. Die Mediziner hielten nun in der Regel auf die risikoarme Taktik der Individualtherapie. Diese oder jene Umstände erforderten dieses oder jenes Heilverfahren. Sie versprachen nicht viel, mußten aber auch nicht viel einlösen. Ein solcher Schritt zur Individualtherapie war eine

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Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, 17. Juli 1831, in: Richard Haehl, Samuel Hahnemann. Sein Leben und Schaffen. Auf Grund neu aufgefundener Akten, Urkunden, Briefe [...], Bd. 2, Leipzig 1922, S. 247. Zu dieser Debatte insgesamt: Ursula Isabelle Jacobi, Der Hochpotenzstreit. Von Hahnemann bis heute, Stuttgart 1995. Privatschreiben aus Berlin, Anfang Oktober 1831, in: Mittheilungen über die ostindische Cholera zunächst für Aerzte und Wundärzte Kurhessens. Herausgegeben von den ärztlichen Mitgliedern der obersten Sanitäts-Kommission, Nr. 2,15. Oktober 1831, S. 3 lf. Dr. J. Rappaport an Justus Radius, 28. März 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 71, 14. April 1832, Sp. 367.

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vorausschauende Verzichtserklärung. Für den medizinischen Stand bzw. den Einzelarzt erwies sich das taktisch erfolgversprechender als eine nicht abbrechende Folge uneingelöster Versprechen. Im Herbst 1831 zeigte sich also allmählich ein Abgehen von Spezifika, begleitet von zunehmenden medizinischen Attacken dagegen. Bestimmte Mediziner ließen dennoch nicht von ihnen ab - diejenigen, die nichts zu verlieren, und alles zu gewinnen hatten. Das waren hauptsächlich Spitalsärzte. Sie regierten das Reich derjenigen, die zu arm waren, sich einen Hausarzt und eine häusliche Pflege zu leisten, und in die eilig errichteten Spitäler eingewiesen wurden. Die Reputation, die solche Ärzte gegenüber der zahlungskräftigen Klientel des Bürgertums oder des Adels auszuweisen versuchten, war durch Mißerfolge in Spitalsmauern nicht beeinträchtigt. Das heißt: Die, die keine ökonomische oder politische Lobby aufzuweisen hatten, waren damit viel eher das Objekt risikoreicher Therapieversuche 45 . Das bestätigt ein Blick in die betreffenden Rechenschaftsberichte von Berliner Spitalsärzten, die in den beiden Cholerazeitungen der Stadt, im „Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin" und im „Cholera-Archiv mit Benutzung amtlicher Quellen", erschienen. Im Spital wurde weitaus risikoreicher gearbeitet, ungewöhnlicher therapiert und zunehmend offensiver experimentiert (eine Tendenz, die sich auch in der Anfangsphase der Bakteriologie zeigt). Solche fehlschlagenden Versuche zur Bluttransfusion, wie sie Johann Friedrich Dieffenbach an Cholerakranken vornahm, waren nur und ausschließlich im Spital möglich. Das war einerseits technischen Umständen geschuldet, den besseren Einsatzmöglichkeiten der nötigen Apparate. Vor allem aber stellten sie dort, im Spital, weit weniger ein Skandalon dar, als entsprechende Versuche an bürgerlichen oder adligen Honoratioren, die in der Regel äußerst zurückhaltend behandelt wurden. Spitalsärzte, die alles zu gewinnen hatten, waren weitaus stärker auf der Suche nach Spezifika als die üblichen praktischen Ärzte. Einerseits standen sie unter sozial geringerer Kontrolle. Andererseits waren sie in einer sozial eher benachteiligten Position, aus der sie durch durchschlagende therapeutische Erfolge herauskommen konnten. Ärzte, die eine vorwiegend ländliche Klientel zu versorgen hatten - der Kreisarzt Leviseur etwa zählte dazu - , bevorzugten ebenfalls diesen Weg. Sie waren geringerer öffentlicher Kontrolle ausgesetzt und hatten nur zu gewinnen. Ob spezifisches oder unspezifisches - unermüdlich suchten die Ärzte nach einem Mittel gegen die Cholera. Präparate nahmen dabei einen herausgehobenen Platz ein. Gerade sie repräsentierten auf symbolische Weise die medizinische Kompetenz. Aderlasse, der Einsatz von Brechmitteln sowie von ätzenden und glühenden Hautreizungen hatten sich schon in der Antike bewährt. Erst die neuzeitliche Medizin hatte die Errungenschaft von Tinkturen und Präparaten im großen Maßstab hinzugefügt. Letztere wiederum waren so symbolträchtig, weil sie die ärztliche Kompetenz en miniature manifestierten. Hier, in wenigen geheimnisvollen Partikeln und Substanzen, konzentrierte sich die medizinische Kunst. Wenige Gramm Pulver, vom Apotheker auf geheimnisvolle Weise gewonnen,

45 Vgl.: Christoph Fischer, Zur Theorie des Arzneimittelversuchs am Menschen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Med. Diss. Mainz 1977; Barbara Elkeles, Der Patient und das Krankenhaus, in: „Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett". Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Alfons Labisch/Reinhard Spree, Frankfurt/M., Stuttgart 1996, S. 357-373, hier: S. 364ff.

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vom Arzt ebenso geheimnisvoll aufbereitet und angewandt, demonstrierten die Macht über Leben und Tod. Ad 3) Aderlaß Nachdem Anfang des 19. Jahrhunderts eine neue Welle von literarischen Vampirmotiven das Bildungsbürgertum fasziniert hatte, wurde Vampirismus in ganz anderer Weise eine existentielle Konfrontation, und zwar nicht nur für Oberschichten und Gebildete: als Aderlaß. Er stellte geradezu eine Universaltherapie dar, passend für jede Krankheit, für jeden Patienten. Aderlaß half gegen Alles und Jedes. Im Sinne eines Lebensfazits gab beispielsweise Hufeland 1836 die Devise aus, bei hohem Grad von Krankheit sei Blutentzug „das einzige, durch nichts zu ersetzende, Rettungsmittel"46. Aderlässe waren eines der wichtigsten Mittel schon der antiken Humoralpathologie gewesen und über Galen und arabische Mediziner auch zum kanonisierten Bestandteil der mittelalterlichen Medizin geworden47. Sie hatten, oftmals im Einklang mit der magischen Kraft astrologischer Konstellationen, den bei der Krankheit gestörten Säftehaushalt des Menschen auszugleichen. Die geistige Essenz des Menschen, verkörpert im Blut, mußte im Gleichklang sein. Gesund war der, dessen Säfte - Phlegma, gelbe Galle, schwarze Galle und Blut - miteinander harmonierten. Krankheit war ein Ungleichgewicht, war Dyskrasie, bewirkt durch eine schädliche Krankheitsmaterie, materia peccans. Diese ebenso transzendente wie innerweltliche funktionale Störung war es, die durch die ärztliche Kunst behoben werden mußte. Das bedeutete Ableitung des schädlichen, von außen eingedrungenen oder innerlich gebildeten Stoffs, bedeutete Reinigung. Sie geschah durch Schweißbildung, Brechmittel, Abführmittel, durch den Eiter künstlich angelegter Fontanellen oder durch Blutentzug - eine medizinische Praxis, die unter dem Namen „revulsorische Heilung" bis ins 18. Jahrhundert hinein verbreitet war. Nach der Entdeckung des Blutkreislaufs und nach dem beginnenden Schwinden humoralpathologischer Konzepte im 18. Jahrhundert hätten solche Blutentziehungen eigentlich gegenstandslos werden können. Sie wurden jedoch problemlos in die neuen reizphysiologischen Konzepte integriert. Nunmehr dienten sie dazu, die mangelnde Körpererregung zu steigern. Deshalb ihre Attraktivität auch bei der Cholera. Es gab eine Universaltherapie, die durch Tradition und Neuerungen gleichermaßen legitimiert war. Eine zweieinhalb Jahrtausende alte medizinische Erfahrung konnte nicht irren. War die Cholera etwas Neues, so mußte ihr mit bewährten und über alle Kritik erhabenen Praktiken beizukommen sein. So berichtete ein Arzt, der von ihr befallen wurde, Mitte Juli 1831 einem Kollegen von folgender ge-

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C. W. Hufeland, Enchiridion medicum oder Anleitung zur medizinischen Praxis. Vermächtniß einer fünfzigjährigen Erfahrung, Berlin 1836, S. 81. Zum Komplex Hufeland und Aderlaß vgl.: Josef Bauer, Geschichte der Aderlässe, München 1870, S. 212ff. Vgl.: Peter Brain, Galen on bloodletting. A Study of the Origins, Development and Validity of his Opinions, Cambridge 1986; Ortrun Riha, Der Aderlaß in der mittelalterlichen Medizin, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 8 (1989), S. 93-118; Ingo Wilhelm Müller, Humoralmedizin. Physiologische, pathologische und therapeutische Grundlagen der galenistischen Heilkunst, Heidelberg 1993, S. 118ff.

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gliickter Selbstheilung: Am ersten Tag ließ er sich drei Pfund Blut entnehmen, nahm stündlich 5 Gramm Kalomel, setzte achtzig Blutegel auf Brust und Bauch, ließ tags darauf nochmals einen halben Liter Blut und war bald geheilt 48 . Das war aber kein außergewöhnliches Selbstexperiment. Es war übliche und weitverbreitete therapeutische Praxis: Sowohl allgemeine als örtliche Blutentziehungen [...] sind bei dieser Krankheit sehr häufig anzuwenden. Der Grad der Krankheit, die Leibesbeschaffenheit, die Lebensart, Gewohnheit, und besonders die sichtbare Erleichterung der wesentlichen Symptome der Cholera, die während dem Fließen des Blutes eintritt, bestimmen die Menge des abzulassenden Blutes. [...] Eine reichlichere Blutentziehung ist bei weitem wirksamer als wiederholte kleinere; sie macht überdies ein Schutzmittel gegen die Folgen der Cholera aus.49 Drei Gründe gab es, dieses Vorgehen zu legitimieren: Den Einen diente es, wie bereits erwähnt, dazu, im Sinne der aufklärerischen Reizphysiologien die Körpererregung antreiben50. Diesem Ziel dienten auch sogenannte Skarifikationen, die Methode, mittels Skalpell und anderer sogenannter „Ramassirinstrumente" Hautritzungen vorzunehmen, um Blutungen zu erreichen; bei der Cholera sollen sie bei der Cholera „oft Erstaunen erregende Wirkungen" gezeitigt haben". Andere, die, wie schon gesehen, in der Epidemie eine Art Blutverkohlung mangels Sauerstoff erkannten, wollten mit dem vergifteten Blut gleich die Krankheitsursache dem Körper entziehen - purgieren zum Zwecke der Purifikation52. Eine dritte Gruppe, und das schien die zahlreichste zu sein, nahm an, das mechanische Blutgleichgewicht mittels Aderlaß stabilisieren zu können. Der Augenschein sprach dafür. An der Peripherie, d.h. in den Venen und Arterien, befand sich sichtlich weniger Blut bzw. nur noch in stark verdickter Masse. Da seine Gesamtmenge offensichtlich unverändert sei, müsse es sich aus irgendwelchen Gründen im Inneren sammeln. Dort, vor allem im Herz und in der Lunge, seien gefährliche Stauungen zu befürchten, sogenannte Congestionen, die

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Dr. Johann Gottfried Macarius von Rein an Dr. Dietrich Georg Kieser, 19. Juli 1831, in: Dr. M. v. Rein's zu Warschau Briefliche Mittheilung über die orientalische Cholera an und durch Dr. Dietrich Georg Kieser, Leipzig [1831], S. 14f. Dr. Paul von Kildjuschewski, Kurzgefaßte Beschreibung der Cholera und Methode, sie zu heilen. Uebersetzt und bevorwortet von Dr. Stucke, Berlin 1831, S. 16. Dr. Karl Searle, Ueber die Natur, die Ursachen und die Behandlung der Cholera. Aus dem Englischen. Herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet von Dr. C. F. von Graefe, Berlin 1831, S. 70. Dr. W. G. Tilesius, Neueste ableitende Behandlungsart der krampfartigen Cholera asiatica. Mit Abbildungen der Instrumenta discussoria der Orientalischen Nationen, Leipzig 1831, S. 162, 80. Zur Skarifikation generell: Michael Fischer, Über den Aderlaß im 19. Jahrhundert, Med. Diss. Tübingen 1995, S. 26ff. Vgl.: Dr. Karl Christian Hille, Beobachtungen über die asiatische Cholera, gesammelt auf einer nach Warschau im Auftrage der K. S. Landesregierung unternommenen Reise, Leipzig 1831, S. 111.

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die betreffenden Organe lähmen würden. Solche Ansammlungen müßten durch Blutentzug unbedingt vermindert werden53. Natürlich gab es im Konkurrenzgefüge der Medizin auch Widerstand. Den gab es mittlerweile gegen jede der angewandten Kuren. Er hatte nicht wenige Argumente auf seiner Seite. So demaskierten Autoren, die ihre Art der Choleratherapie vertraten, diesen „Vampirismus" als Popanz?4. Sie wiesen darauf hin, daß bei der Seuche mitunter schon ein kleinerer Aderlaß nicht nur gefährlich, sondern sogar tödlich enden könne55. Fälle von Tod durch solchen exzessiven Blutentzug hatten Gegner schon vorher zu berichten gewußt56. Der prominenteste war sicher der Tod des einstigen Präsidenten der Vereinigten Staaten George Washington im Jahr 1799, der zu heftigen medizinischen Kontroversen geführt hatte. Dessen ungeachtet waren solche Aderlässe, vor allem in Amerika, England und Rußland, und nicht nur bei der Cholera, weiterhin verbreitet. Sie wurden ohne Bedenken angelegt. Die französischen Ärzte hingegen hielten auf Blutegel. Venäsektion, Arterionomie, das Setzen von Blutegeln oder mechanischer Schröpfköpfe, selbst durch Skarifikationen - alle Verfahren besaßen für sich genommen ihre Art von Rationalität. Und ihre praktischen Effekte - Rückgang von analer und oraler Ausscheidung (aufgrund weiteren Flüssigkeitsentzugs) und sich mindernde Schmerzen und Krämpfe (wegen fortschreitender Ermattung und Erschöpfung) - bestätigten die Hypothese. Ein von Blutentziehungen apathischer Patient zeigte keinen Schmerz, keine Krämpfe. Er war geschwächt bis zur Regungslosigkeit. Aber genau das galt als Zeichen von überwundener Krisis. Deshalb ließ sich abschließend feststellen, der „Aderlaß in der indischen Cholera sey der Triumph der Medicin"57. Theorie und Praxis, konstruktiver Zirkel, stützen sich gegenseitig - eine hermetisch geschlossene Referenzschleife von Wissenschaft. Was aber noch wichtiger war: Ärzte verfügten über den Saft, der schon immer ein besonderer war58.

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Vgl.: Dr. Christian Friedrich Harleß, Die Indische Cholera nach allen ihren Beziehungen, geschichtlich, pathologisch-diagnostisch, therapeutisch und als Gegenstand der Staats- und Sanitäts-Polizei dargestellt, Braunschweig 1831, S. 456. Krüger-Hansen, Opium als Heilmittel in der Cholera, S. X. Vgl.: J. Ch. ν. Loder, Ueber die Cholera-Krankheit. Ein Sendschreiben, Königsberg 1831, S. 26. Dr. Friedrich Alexander Simon jun., Der Vampirismus im 19. Jahrhundert, oder über wahre und falsche Indication zur Blutentziehung, nicht mit Beziehung auf Ernst von Grossi's tragischen Tod nach neunmaligen Aderlässen innerhalb von sechs Tagen, Hamburg 1830. Vgl. auch die umfassende Rezension: Ideler, Der Vampirismus [...], in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 19 (1831), S. 212-225. Zur Konjunktur des Aderlasses und der schließlichen Abkehr seit Mitte des 19. Jahrhunderts vgl. insgesamt: Leon S. Bryan Jr., Bloodletting in American Medicine, 1830-1892, in: Bulletin of the History of Medicine, 38 (1964), S. 516-529; Κ. Codell Carter, On the decline of bloodletting in nineteenth-century medicine, in: Journal of Psychoanalytical Anthropology, 5 (1982), S. 219-234; Elke Α. Maibaum, Der therapeutische Aderlaß von der Entdekkung des Kreislaufs bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Versuch einer kritischen Neubewertung, Herzogenrath 1983. Dr. G. Ludwig Dieterich, Beobachtung und Behandlung des wandernden Brechdurchfalles in München, Nürnberg 1837, S. 75. Vgl.: Christina von Braun, Art. „Blut", in: Metzler-Lexikon Religion. Alltag - Gegenwart Medien, hrsg. v. Christoph Auffarth u.a., Stuttgart, Weimar 1999ff„ Bd. 1, S. 169-172; Le sang

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Ad 4) Heroische

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Kuren

Ein liberaler Rechtshistoriker konnte 1837 in einer Überblicksdarstellung nur erleichtert die Erfolge aufklärerischer Vernunft registrieren, mit denen Daumenschrauben, spanische Stiefel, Halskrausen, Streckböcke, Feuerfolter und dergleichen Barbarismen nunmehr ins Reich der Vergangenheit verwiesen waren59. Was er allerdings nicht thematisierte: daß Ärzte mutatis mutandis das Erbe der Feuerfolter am Leben hielten. Sie waren die neuen Herren über die glühenden Metalle, mit denen sie den Kranken und der Krankheit qua Kauterisation zu Leibe rückten. Ein drastischer Zeugenbericht: Alles nur Mögliche ist mit dem größten Eifer versucht worden; von milden Versuchen schritt man natürlich zu gewagtem fort, wir sahen einmal die Acupunctur in das Herz. Jetzt wird in der Choleraabteilung des Alexanderhospitals das glühende Eisen auf den Kopf angewendet. 60

Dieses Kauterisieren hatte eine lange Vorgeschichte. Seit der antiken Medizin war es theoretisch legitimiert. Es hatte den geschwächten Organismus anzustacheln und das gestörte Säftegleichgewicht zu stabilisieren. Darüber hinaus wurde der aus den Wunden austretende Eiter als Krankheitsursache angesehen. Durch mechanischen Kunstgriff ließ er sich nach außen ableiten. Schon innerhalb der antiken Medizin verlor dieses Modell - das übrigens schon damals auf scharfe Kritik von Nichtmedizinern gestoßen war61 - an Bedeutung. Hippokrates' Nachfolger sahen das nur noch als ultima ratio an, als letztes Mittel, wenn keine anderen anschlügen. Die Kauterisation wurde einer Praxis untergeordnet, die vorrangig mit reizenden Salben und Teigen operierte. Das direkte Brennen der Haut wurde, wenn man es als nötig erachtete, in erster Linie nicht mehr mit glühenden Eisen vorgenommen. Bevorzugt wurde zunehmend die sogenannte Moxibustion mit brennenden Lampendochten bzw. Baumwollknäulen auf den Körperpartien, in denen der Sitz der Krankheit vermutet wurde62. Im Mittelalter lebten Kauterisationen auf diese oder jene Weise fort. Ihre Weihe als heroische Kurart und ihre wahre Legitimation hatten sie jedoch erst in der Aufklärungsmedizin gefunden. Die Phase von 1780 bis etwa 1850 - ob heroisches Körpermodell, Klimax mechanischer Determinismen oder auf Leib bzw. Körper fokussierte medizinische Machtambitionen - wird als das eigentliche Zeitalter der sogenannten heroischen Therapien

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au Moyen Âge. Actes du quatrième colloque international de Montpellier 1997, Montpellier 1999; Gudrun Schury, Lebensflut. Eine Kulturgeschichte des Blutes, Leipzig 2001; Blut. Kunst - Macht - Politik - Pathologie, hrsg. v. James M. Bradbume, München, London, New York 2001. Vgl.: Pfizer, Art. „Folter", in: Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, hrsg. v. Carl v. Rotteck/Carl Welcker, Altona 1834ff„ Bd. 5, S. 592-600, hier: S. 593. Privatschreiben aus Warschau, 3. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 7,21. September 1831, Sp. 56. Vgl.: Günther Lorenz, Antike Krankenbehandlung in historisch vergleichender Sicht. Studien zum konkret-anschaulichen Denken, Heidelberg 1990, S. 18f., 174. Zur Geschichte des Kauterisierens vgl.: Dr. Karl Friedrich Heinrich Marx, Über die bisherige Beurtheilungs- und Anwendungsweise der ableitenden Methode, in: Abhandlung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 4, Göttingen 1850, S. 3-99, hier: S. 18ff. Vgl.: Lorenz, Antike Krankenbehandlung, S. 177f., 332.

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angesehen63. In extremer Weise richteten sie sich gegen „Geisteskranke". Insbesondere sie waren torturartigen Techniken ausgesetzt. Dabei ging es nicht nur darum, physischpsychischen Defekten mit schockwirkenden Mitteln entgegenzutreten. Geisteskranke, verstockte, undisziplinierte Subjekte, die in der Regel durch sexuelle Ausschweifung in Verfall geraten waren, wären durch ein wohlkalkuliertes System von Drohungen und tatsächlichen Strafen wieder auf den Weg der Vernunft zu bringen. Schulbildend dafür sind die „Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen" des Hallenser Medizinprofessors Johann Christian Reil von 1803 anzusehen. Sie beriefen sich zwar fortwährend auf den französischen philanthropischen Reformer Philippe Pinel, scheuten aber gerade mit dem Ziel, den Kranken oder Verstockten zum Guten zu führen, nicht vor physischen Strafmitteln zurück. Folterartige Behandlungsarten hatte es von Fall zu Fall schon vorher gegeben. Hier aber wurden sie - klassische „Dialektik der Aufklärung" - aufklärerisch reformuliert und systematisiert. Sie fundierten die Begründung der Psychiatrie als eigenständiger Wissenschaft in Deutschland: Züchtigungen und Schläge, Peitschen mit Brennesseln, Zwangshängen an Flaschenzügen, Untertauchen bis kurz vor den Erstickungstod, glühende Eisen in die Nackengegend und die Injektion von Krätze, Frieseln oder Pokken waren Mittel, mit denen Geisteskranke ebenso gestraft wie gebessert werden sollten64. Mit solchen Torturen tat sich der ärztliche Direktor der Berliner Charité, Dr. Ernst Horn, später auch ein Akteur der Choleradebatte, in den ersten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts besonders hervor. Er schien aber das Moment des reinen Strafens zurückzustellen. Horn begründete sein Vorgehen hauptsächlich medizinisch. Psychische Störungen rühren von physischen her. Hier müsse angesetzt werden. Am Körper müsse der Geist gesunden. Komplizierte Fesselungsbetten, Fesselungsapparate, Zwangssitz- und Zwangsstehgeräte und Drehschaukeln gehörten deshalb zu seinem Repertoire. Höhepunkt seiner Erfindungen war ein Drehbett, das allein mit dem Eindruck seiner riesigen, zimmerfüllenden Pfeiler, Balken und Zahnräder die Patienten psychisch überwältigte und das durch die physische Tortur von immerhin 120 Umdrehungen pro Minute störrische Personen zu kurieren vermochte65. Zwar brachten die Torturen Horns im Jahr 1811 eine Patientin zu Tode und führten zu öffenlichen Kontroversen. Aber Reil, inzwischen hoher preußischer Medizinalbeamter, stellte sich schützend vor Horn und attestierte dessen Verfahren Unbedenklichkeit66.

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Vgl.: Robert J. Sullivan, Sanguine Practices: A Historical and Historiographie Reconsideration of Heroic Therapy in the Age of Rush, in: Bulletin of the History of Medicine, 68 (1994), S. 211-234. Vgl.: J. Ch. Reil, Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, Halle 1803, S. 189ff. Dr. Ernst Horn, Oeffentliche Rechenschaft über meine zwölfj ährige Dienstführung als zweiter Arzt des Königl. Charité-Krankenhauses zu Berlin, nebst Erfahrungen über Krankenhäuser und Irrenanstalten, Berlin 1818. Zu Horn vgl.: Hans Schneider, Ernst Horn (1774-1848). Leben und Werk. Ein ärztlicher Direktor der Berliner Charité an der Wende zur naturwissenschaftlichen Medizin, Med. Diss. Berlin 1986. Ein äußerst umfangreiches Vademekum der damaligen Strafund Bändigungstechniken bietet: C. F. W. Roller, Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen, Karlsruhe 1831, S. 21 Iff. Vgl.: Doris Kaufmann, Schmerz zur Heilung der Seele. Heroische Kuren in der Psychiatrie des frühen 19. Jahrhunderts, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 15 (1997), S. 101-117, hier:

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Reil hatte für ätzende Ausschläge durch Brennesseln und künstliche Geschwüre plädiert; Mediziner praktizierten in der Cholera Hautreizungen durch Brennessel, Fontanellen oder kochendes Wasser 67 , etwa das „Brühen der Arme und Füsse mittelst Auflegen von wollenen Lappen, die in fast kochendes Wasser oder Essig getaucht worden sind"68. Reils Irrentherapie befürwortete glühende Eisen in die Nackengegend; bei der Cholera - wie auch bei anderen physischen Beschwerden 69 - war es nicht selten, zum Brenneisen zu greifen. Diese Brachialtherapie schrieb sich zeitlich gesehen von den englischen Ärzten her. Als erste Europäer trafen sie in Indien auf die Krankheit. Bereits 1828 wurde in Deutschland über entsprechende Kuren berichtet, etwa darüber, „die Oberhaut des Rückgrats seiner ganzen Länge nach, mittelst siedenden Wassers oder einer Mineralsäure" zu entfernen", um sowohl durch Schock als auch durch Folgewirkungen den Kreislauf der Patienten anzutreiben70. Im selben Jahr empfahlen deutsche Autoren gegen die Cholera glühende Nägel in den Fußsohlen, des weiteren Moxibustion auf der Herzgegend 71 . Das war freilich, wie oftmals betont wurde, nur das letzte Mittel, wenn alle anderen versagt hätten. Das Brennen der Fußsohlen mittels eines glühenden Eisens usw. sei nur in den höheren Graden der Krankheit empfehlenswert 72 . Sie mußte schon weit fortgeschritten sein, um starke Gegenmittel nötig zu machen. Beziehungsweise: Die Lage mußte schon so aussichtslos sein, um nichts, aber auch nichts unversucht zu lassen. Es kam aber auch zu umgekehrten Vorschlägen. Das Brenneisen müßte gleich und als erstes angewandt werden, und zwar direkt auf den Sitz des Schmerzes, nämlich die Herzgrube:

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S. 104; dies., Aufklärung, bürgerliche Selbsterfahrung und die „Erfindung" der Psychiatrie in Deutschland, 1770-1850, Göttingen 1995; George Windholz, Psychiatric treatment and the condition of the mentally disturbed at Berlin's Charité in the early decades of the nineteenth century, in: History of Psychiatry, 6 (1995), S. 157-176. Vgl.: Mangold's guter Rath, S. 13; Dr. C. Ebel, Ein Präservativ gegen die Cholera, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 14, 25. Oktober 1831, S. 116; Dr. Carl Friedrich Trautzsch, Die Fontanelle als Schutzmittel gegen die ansteckende epidemische Krankheiten, namentlich die Cholera, betrachtet, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 110, 6. Oktober 1832, Sp. 209-216; Mayor, Ueber die Cauterisation mit kochendem Wasser, in: Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, Nr. 678, September 1831, Sp. 285-287. Dr. Johann August Hegar, Vademecum für die Behandlung der asiatischen Cholera, oder Materia Medica und Handbuch [...], Darmstadt 1831, S. 4. Vgl.: Dr. Sinogowitz, Ueber die Anwendung des Glüheisens bei Gelenkuebeln und Knochenkrankheiten, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde, 16 (1831), S. 201-226. Dr. W. E. E. Conwell, Über die Brechruhr, wie sie in Indien beobachtet ist, in: Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde, 15 (1828), S. 430-460, hier: S. 454. Vgl.: Schnurrer, Art. „Cholera", in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, hrsg. v. J. S. Ersch/J. G. Gruber, Bd. 17, Leipzig 1828, S. 42-48, hier: S. 48. Zur Kauterisation bei englischen Medizinern vgl.: Howard-Jones, Cholera Therapy in the Nineteenth Century, S. 382ff. Vgl.: [Anonym], Neue specifische Heilmethode der epidemischen Cholera oder (richtiger) des Cholera-Fiebers, mittelst des fiebervertreibenden Principe der Chinarinde, Hannover 1831, S. 19.

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Man könnte fragen: im Beginne des Uebels, dessen Grösse sich nicht vorhersehen lässt, schon das kräftigste Mittel? - Allerdings, eben jetzt, wo die Kräfte solchem Eingriffe noch gewachsen sind und das Uebel sich noch nicht völlig fixirt hat. Denn was verliert der Kranke? Er leidet etwas mehr Schmerz, als vielleicht nöthig gewesen wäre; gewinnt aber alles [...]. Hat der Kranke sich von dieser Procedur erholt, - bei Schwächlingen kann man starke Riechmittel, Waschungen und dergleichen anwenden, - so folgen nun, wo es noch nöthig, die mildern Mittel. 73 Eine Kauterisation bringe zwar mehr Schmerz als eigentlich erforderlich. A b e r die F o l g e n würden für alle ausgestandenen Qualen entlohnen. Überhaupt seien die Schmerzen, w i e eine A p o l o g i e des Brennens hervorhob, viel geringer als angenommen: Gerade das, was am meisten bei diesem Heilapparate gefürchtet wird, stellt sich bei näherer Prüfung lange nicht so bedrohlich heraus. Die Qualen, welche angeblich dadurch entstehen, sind so arg nicht. [...] Wer mit Einsicht in alle zu berücksichtigenden Umstände Vorsicht, Theilnahme und Charakterfestigkeit verbindet, und seine Zuflucht zu diesen Mitteln stets zur rechten Zeit und im rechten Maaße nimmt; wer sich weder durch irrige Vorstellungen bestimmen noch durch nichtige Einsprache abhalten läßt; wer es unter der Würde der Kunst hält, Gewalt zu üben, und unter der des Menschen, ohne die dringendste Noth wehe zu tun, der wird jene meistens zum augenblicklichen und dauernden Heile der Kranken gebrauchen. 74 Ähnliches galt von Hautreizungen, die durch ätzende T e i g e oder Tinkturen, b e i s p i e l s w e i s e Sinapismen, also Senfteige, bewirkt wurden. A u c h da habe der Arzt sich nicht beirren zu lassen. Z u m Besten des Patienten wären die Torturen, da w o sie nötig seien, konsequent bis zum Ende zu bringen: „Da darf uns auch das Klagen des Kranken über die dadurch hervorgebrachten Schmerzen nicht kümmern" 7 5 . E s käme darauf an, auch hier z u m W o h l e des Leidenden unerbittlich zu bleiben: Selbst wenn der Kranke die Anwendung dieser Mittel nicht aushalten mag, muß man sie dennoch anwenden, und ihn durch Zureden, und im Nothfall mit Strenge dazu veranlassen, sie auszuhalten, weil er in dieser Krankheit selten beurtheilen kann, daß er durch diese Mittel vom Tode gerettet werden kann. 76 Aber was genau sollte damit bezweckt werden? W i e wäre eine Rettung durch solche Mittel m ö g l i c h ? S i e hatten, w i e ein anderer Autor hervorhob, z w e i Ergebnisse: „Durch die A n w e n d u n g des rothglühenden Eisens leiten wir die e x z e s s i v e Thätigkeit der innern Gebilde auf die Oberfläche, w o sich eine Entzündung, ein Schorf und eine Eiterung bildet". D a s bedeute erstens A u f r e i z u n g der erschlafften Physis, ein Aufputschen. Z w e i t e n s hieße das, den Krankheitsstoff abzuleiten 7 7 . M a n c h e n M e d i z i n e r n g e n ü g t e ein „ m ä s s i g erhitztes

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Dr. Hertz, Vorschlag zu einer Heilmethode der Cholera, Königsberg 1831, S. 9, 11. Marx, Über die bisherige Beurtheilungs- und Anwendungsweise der ableitenden Methode, S. 98. Dr. P. DeGreck, Ueber die asiatische Cholera in Berlin. Reisebericht an die Hochlöbliche Regierung zu Köln, als Resultat seiner Beobachtungen, Köln 1832, S. 39. [Anonym], Für die Bewohner der Cämmerei-Dörfer und Colonien der Stadt Berlin. Belehrung über die Maaßregeln gegen die ansteckende Cholera [Flugblatt 1831], Heinrich Löwenhayn, Beobachtungen über die Cholera-Asphixie in England und Schottland, Glessen 1833, S. 77f.

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Brenneisen", anderen zufolge sei ein glühendes erforderlich 78 . Zur Not, wenn kein solches Eisen zur Hand war, taten es auch brennende Zigarren, auf die Leiber gedrückt, bzw. Schießpulver, das auf der Haut abzubrennen sei 79 . Umstritten war allenfalls, an welchem Körperteil kauterisiert werden sollte: Fußsohle, Oberschenkel oder Waden, Rückgrat, Bauchnabel bzw. Herzgegend 80 . In jedem Fall duften aber, wie immer wieder hervorgehoben wurde, Patienten bei so einer ,,grausame[n] Behandlung" nicht geschont werden, auch wenn sie vor Schmerzen schrieen 81 . Selbst wenn ein physischer Heilerfolg ausbleibe, sancta simplicitas mag man heute denken, sei zumindest die Angst vor der Cholera im Sinne einer psychischen Ableitung gebannt: Ein doppelt zusammengelegter linnener Lappen, von der Größe der Handfläche, wird in Weingeist getaucht auf die Brust oder auf den Bauch gelegt und angezündet. Die Action des Feuers hat man in seiner Gewalt, denn durch Herüberziehen und Aufdrücken der Bettdecke läßt sich die Flamme augenblicklich ersticken. Die Wirkung ist überraschend, besonders bei Kindern, die beim Anblick der auflodernden Flamme schreien und wach gehalten werden; bei Erwachsenen sah ich öfters die Pericordialangst danach bedeutend nachlassen.82 Hervorzuheben ist, nur unter bestimmten Bedingungen wurde zu solchen Mitteln gegriffen. In der Regel setzten es nur Spitalsärzte innerhalb geschlossener Mauern ein, in dem Reich, in dem sie unangefochten herrschten. Sie wandten es dort an sozial Deklassierten an, an denen, die wehrlos waren (bürgerliche Patienten verblieben auch in der Cholera weitgehend im eigenen Haus). Das stieß auch unter zeitgenössischen Medizinern auf Kritik. In diesen

78 Dr. Johann Christian Jörg, Vier Hauptfragen über das Wesen und die Behandlung der ostindischen Cholera, Leipzig 1832, S. 152; Prof. Christoph Johann Heinrich Eisner, Ueber die Cholera. Ein Versuch dieselbe zu deuten, Königsberg 1831, S. 67. 79 Vgl.: Dr. Karl Christian Anton, Die bewährtesten Heilformeln für die epidemische Cholera. Nebst einer ausführlichen pathologisch-therapeutischen Einleitung, Leipzig 1849, S. 158; Dr. H. L. v. Guttceit, Die Cholera in Orel im Jahre 1847. Ein Beitrag zur Kenntnis dieser Krankheit, Leipzig 1848, S. 124. 80 Vgl.: Die Cholera in Brüssel. Ein Schreiben des Hrn. Dr. Franz Arnold aus Dresden an Hrn. Prof. Fr. v. Ammon ebendaselbst, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 113, 20. Oktober 1832, Sp. 257-264, hier: Sp. 257 (Fußsohlen); Harleß, Die Indische Cholera nach allen ihren Beziehungen, S. 425 (Oberschenkel bzw. Waden); Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau 1831, S. 76 (Rückgrat bzw. Nabel oder Herzgegend). 81 Joseph Pólya/J. Carl Grünhut, Beobachtungen über die Orientalische Cholera angestellt und gesammelt in den Spitälern der Stadt Pesth in Ungarn, vom 23sten Juli bis zum 20sten September 1831, Meißen 1832, S. 42, 50. 82 Dr. Romberg, Erfahrungen über die orientalische Brechruhr. Ein Bericht über das CholeraHospital Nr. 1 zu Berlin, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., Februar 1832, S. 3-64, hier: S. 51.

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„unnützen Experimenten", so wurde harsch argumentiert, würden Menschen nicht anders behandelt als ein „zu Vivisektionen gebrauchtes Thier"83. Solche Einwände hinderten nicht, dieser Methode weiter praktisch nachzugehen bzw. sie rhetorisch zu verfechten. Mitunter entsteht sogar der Eindruck, letzteres war das eigentliche Ziel. Vor allem rhetorisch wurde so gewaltsam verfahren. Der Hauptteil der Auslassungen bestand aus Vorschlägen und Überlieferungen angeblich geglückter Therapien. Teilweise haben sie so gar nicht stattgefunden. Die Unterschichten kurierte man, wenn es dazu kam, in praxi und intra muros mit glühenden Eisen. Die gebildete alphabetisierte Öffentlichkeit malträtierte man mit wahrhaften oder fiktiven Berichten davon. Das Glüheisen war eine permanente Drohung. Praktische Gewalt vollendete sich in rhetorisch beschworener und vollzogener Gewalt. Ad 5) Transfusionen

und

Infusionen

Die bisher dargestellten Kurarten (Emetika und Laxativa, d.h. Brech- und Abführmittel, konnten hier gar nicht berücksichtigt werden) hatten, bei all ihren grundlegenden Differenzen, eines gemeinsam: Sie verwiesen auf eine lange Geschichte. Die Behandlung mit Infusionen bzw. Transfusionen war hingegen grundlegend neu. Mehrere Faktoren hatten den neuen medizinischen Schritt zu Infusion und Transfusion begünstigt. Das ungelöste Rätsel Cholera trieb zu immer neuen Experimenten. Die geradezu einmalige Gelegenheit, unter dem Diktat der Quarantäne über Patienten in abgeschlossenen Spitälern zu verfügen, forderte dazu regelrecht heraus. Schließlich war auch die Ehrfurcht vor der Integrität des Körpers und seinem magischen Saft, dem Blut, soweit gewichen, daß solche Eingriffe möglich wurden. Speziell: Es bedurfte des Abschieds vom physiologischmedizinischen Paradigma einer vis Vitalis, einer transzendenten Lebenskraft. Ausgesprochen oder unausgesprochen hatte es bisher Transfusionen immer wieder verwehrt. In den zwanziger Jahren wurde dieses Diktum, das in Reaktion auf die mechanistischen Körpermodelle Descartes' und LaMettries entstanden war, endgültig hinfällig. Ihre Vertreter waren eindeutig in der Minderheit. Andere, die Lebenskraft als einen internen physischen Vorgang begriffen, wie der Inaugurator der Bluttransfusion, James Blundell, gewannen die Oberhand84. Erst damit - und mit dem Abgehen von dem Glauben an die Universaltherapie mittels Aderlaß, der ja das Gegenteil von Blutzufuhr darstellte - konnte es zu ersten Versuchen mit Bluttransfusionen von Mensch zu Mensch kommen. Bis dahin gab es lediglich eine spärliche Tradition der Übertragung von Tier zu Tier oder von Tierblut auf Menschen. Es muß etwas

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Die Asiatische Cholera in Breslau während der Monate October, November, December 1831, beschrieben von den in den öffentlichen Cholera-Hospitälern zu Breslau angestellt gewesenen Ober-Ärzten, Breslau 1831, S. XV. Vgl.: Kim Pelis, Blood Clots: the Nineteenth-Century Debate over the Substance and Means of Transfusion in Britain, in: Annals of Science, 54 (1997), S. 331-360; dies., Blood Standards and Failed Fluids: Clinic, Lab, and Transfusion Solutions in London, 1868-1916, in: History of Science, 39 (2001), S. 185-213; dies., Transfusion, mit Zähnen, in: Blut. Kunst - Macht - Politik -Pathologie, S. 175-190, hier: S. 187ff.

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besonderes um das Lebenselexier Blut gewesen sein, daß bis dahin nur die abwegige Praxis der Transfusion von Tier auf Mensch erprobt worden war. Die sich teilweise widersprechenden, teilweise ergänzenden Forschungen zur Geschichte von Transfusionen ergeben folgendes Bild85: Nachdem schon in der Antike die Idee einer Verjüngung durch Übertragen des Bluts von einen Menschen auf den anderen mythischpoetisch erwogen worden war (Ovids Mythe von Medea und Iason), kam es erstmals in der Renaissance wieder zu entsprechenden Thesen. So empfahl beispielsweise der neuplatonische Philosoph Marsilio Ficino 1489 die Übertragung von Jünglingsblut auf Greise. Ein Rostocker Naturforscher und Mediziner, der Paracelsist Magnus Pegel, will eine solche, so bekannte er 1604 geheimnisvoll, auch tatsächlich vorgenommen haben. Desgleichen hat, was aber umstritten bleibt, auch der englische Provinzpfarrer Francis Potter zwischen 1639/49 an Übertragungsversuchen gearbeitet86. Die Zeit schien jedenfalls reif für solche Experimente. William Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs von 1628 beflügelte sie nur. Es bedurfte offensichtlich aber erst einer institutionellen Absicherung, wie sie die um 1660 gegründete „Royal Society" darstellte. In den Gründungsjahren der Akademie kam es zu einer Vielzahl von Versuchen, auch zu solchen mit Blutübertragung. Nach Transfusionen von Tier zu Tier, die 1665 erfolgreich ausgingen, wurde auch Menschen das Blut von Lämmern eingespritzt (Richard Lower, 1667). Das schlug fehl, wie auch die im gleichen Jahr wenige Monate zuvor in Paris vorgenommene Übertragung von Schafs- bzw. Kalbsblut auf Menschen (Jean Baptiste Denis87). Damit war die Idee vorerst diskreditiert. Sie blieb Episode. Ihre Gegner fühlten sich bestätigt, wiesen sie als Grausamkeit, gar als Verbrechen ab, in Frankreich wurden Transfusionen gesetzlich verboten. Daß die Blutgruppen noch nicht bekannt waren, dürfte nicht der Grund des Scheiterns dieser frühen Enthusiasten gewesen sein. Warum ausschließlich Übertragungen von Tier auf Mensch? Welcher magische oder religiöse Vorbehalt verbot es, Menschenblut zu transfusionieren? Erst 1818 und erneut 1824 wurde es vom englischen Mediziner James Blundell gewagt. Nachdem seine Versuche von Tier zu Tier erfolgreich gewesen waren, wandte er sich auch Menschen zu - , das erste bezeugte Experiment einer Transfusion von Mensch zu Mensch

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Vgl.: Heinrich Buess, Die historischen Grundlagen der intravenösen Injektion, Aarau 1946; N.S.R. Maluf, History of Blood Tranfusion, in: Journal of the History of Medicine, 9 (1954), S. 59-107; Heinrich Buess, Die Bluttransfusion, in: Ciba-Zeitschrift, 7 (1956), S. 2610-2644; Louis K. Diamond, A History of Blood Transfusion, in: Blood, Pure and Eloquent. A Story of Discovery, of People, and of Ideas, ed. by Maxwell M. Wintrobe, New York, St. Louis, San Francisco 1980, S. 659-688. Charles Webster, The Origins of Blood Transfusion: A Reassessment, in: Medical History, 15 (1971), S. 387-392. Eine umfangreiche Bibliographie von Schriften zur Transfusion bis 1803 findet sich in: Franz Gesellius, Die Transfusion des Blutes. Eine historische, kritische und physiologische Studie, St. Petersburg, Leipzig 1873, S. 161-175. Vgl.: A. D. Farr, The first human blood transfusion, in: Medical History, 24 (1980), S. 143-162; A. Rupert Hall/Marie Boas Hall, The first human blood transfusion: priory disputs, in: ebenda, S. 461-465. Zum Prioritäts-Disput auch: Simon Schaffer, Regeneration. The Body of Natural Philosophers in Restoration England, in: Science Incarnate. Historical Embodiments of Natural Knowledge, ed. by Christopher Lawrence/Steven Shapin, Chicago, London 1998, S. 83-120, hier: S. 94ff.

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überhaupt! Blundell scheiterte jedoch bei mehreren Patienten, was natürlich wieder Kritiker auf den Plan rief. Unter ihnen befand sich 1828 auch der Kliniker Dieffenbach. Das hinderte ihn aber nicht, ungefähr zwei Jahre später selbst eine Übertragung vorzunehmen - ebenfalls ein Fehlschlag 88 . In der Cholerazeit in Berlin ging Dieffenbach, bekanntlich sehr experimentier· und risikofreudig, erneut daran. Die Not gebot und rechtfertigte es, nichts unversucht zu lassen, zumal an Patienten, die offenbar am Ende waren. So kam es am 10. bzw. 15. Oktober 1831 zu seinen denkwürdigen drei Versuchen der Bluttransfusion: Nachdem ich nun in die Wunde eine kleine messingene Röhre eingebracht hatt, injicirte ich der Kranken Blut, welches der Hr. Dr. Phöbus dem Hrn. Dr. Wedding, Assistenzarzt des Hospitals abließ. In Zwischenräumen von 6-8 Minuten wiederholte ich die Einspritzung, so daß die Kranke ungefähr binnen 20 Minuten zwei und eine halbe bis drei Unzen Blut erhielt. Außer einer geringen wechselnden Zusammenziehung und Erweiterung der Pupillen veränderte sich anfangs nichts an der Kranken, bald darauf kehrte der Puls abwechselnd an der Arteria aviliaris und dem oberen Theile der brachialis wieder. Nach der zweiten Injection zählte man 55 bis 60 Schläge in der Minute; bald fühlte man ihn auch am linken Arme bis in die Gegend des Ellenbogengelenks. Nach fünf bis sechs Minuten hörten diese gleichmäßigen Schläge wieder auf, und es wurden nun bald an dieser, bald an jener größeren Arterie einzelne Schläge als leiser Nachhall bemerkt. Die Kranke starb zwei Stunden nach der letzten Einspritzung ganz sanft ohne Krämpfe.89 Alle drei Behandlungen waren erfolglos. Sein Pionierversuch der Transfusion ging fehl. Auch die Infusion einer Arnikalösung bei einer vierten Patientin endete mit dem Tod, gleichfalls ein Rückschlag. Mit diesem Infusionsversuch konnte Dieffenbach sich jedoch schützend in die Reihe anderer Mediziner stellen, die in Moskau und Warschau, später auch in England, gegen die Cholera Wasser- bzw. Salzinfusionen unternommen hatten. In Moskau war der Spitalsarzt Friedrich Jähnichen, nach vorherigen Empfehlungen des Chemikers Rudolf Hermann, 1830 an Wasserinfusionen mit geringen Gehalt von Salzsäure gegangen. In Warschau folgten französische Ärzte seinem Beispiel. Da auch einige englische Ärzte Salzinfusionen diskutierten - teilweise, um die Farbe des Bluts aufzuhellen, teilweise aber auch, weil sie die Ursache der Cholera errieten - , fühlte sich offenbar auch Dieffenbach bestärkt. In England fand die Debatte ihren Höhepunkt jedoch erst 1832, und entsprechende Versuche mit Infusionen bei Tieren und auch Menschen wurden wohl erst dann vorgenommen 90 .

88 Zur Kritik an Blundell vgl.: Dr. J. F. Dieffenbach, Die Transfusion des Blutes und die Infusion der Arzneien in die Blutgefässe. Erster Theil, Berlin 1828, S. 223f., 234; ders., Physiologische Untersuchungen über die Transfusion des Blutes, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, 30 (1830), S. 3-81; hier: S. 81. Zu seiner ersten fehlgeschlagenen Transfusion, die offenbar um 1830 stattfand: Johann Friedrich Dieffenbach, Die Operative Chirurgie, Bd. 1, Leipzig 1845, S. 115. 89 Dr. J. F. Dieffenbach, Versuche über die Transfusion des Blutes in der Cholera, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 22 (1832), S. 129-141, hier: S. 139; vgl. die ähnliche Schilderung eines direkten Zeugen: Anton, Die bewährtesten Heilmittel für die epidemische Cholera, S. 163. 90 Vgl.: Howard-Jones, Cholera Therapy in the Nineteenth Century, S. 385ff.; Goltz, „Das ist eine fatale Geschichte für unsern medizinischen Verstand", S. 234ff.; Pelis, Blood Clots, S. 351f.

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Nachrichten davon kamen wiederum nach Deutschland. Die Arbeiten eines an sich unbekannten Hamburger Mediziners aus dem Jahre 1832 bezeugten sogar einen Heilerfolg durch das Einspritzen einer geringen Menge Salzlösung. Diese Erfolgsnachrichten gingen aber im nicht abreißenden Strom der Meldungen über angeblich geglückte Therapien völlig unter und wurden nicht weiter zur Kenntnis genommen. Zumal konnte, wie Diskussionen im Hamburger Ärztlichen Verein 1832 zeigten, auch diese Infusionstherapie den Tod in der Regel nicht aufhalten 91 . Das bestätigten auch anschließende Versuche in Berlin. Der angesehene Berliner Mediziner Dr. Johann Ludwig Casper, der sich bei der Cholera bisher vor allem durch Kälte-Therapie einen Namen gemacht hatte, ging im Herbst 1832 auch an die Injektion von Salzlösung. Alle drei behandelten Patienten starben92. Der Ansatz hatte sich endgültig diskreditiert. Es war nur ein weiterer von vielen Versuchen der Choleratherapie, die fehlgeschlagen wären und deshalb nicht weiter beachtet werden müßten. Die gelegentlich geäußerten Vorschläge zu Impfversuchen mittels an Kühen gewonnener Abwehrstoffe die Analogie zu den Pocken lag auf der Hand - blieben ebenfalls Marginalie93. Im Monopoly der Theorien und Methoden waren sie nur eine Facette. Warum nicht auch die Infusion von Wasser, die Transfusion von Blut oder das Impfen? Selbst die Lösung des Cholerarätsels, die der Italiener Filippo Pacini rund dreißig Jahre vor Koch leistete und der sogar auch an therapeutische Infusionen mit Salzwasser ging94, blieb völlig unbeachtet oder wurde verworfen. Dieffenbach mußte sich angesichts seines Mißerfolgs sogar rechtfertigen. Im Vorwort einer Broschüre, in der er die Nachricht über seine Experimente gesondert veröffentlichte, hatte er sich des Vorwurfs zu erwehren, „die unglücklichen Cholera-Kranken [seien] mitunter nur Gegenstand eines Experiments gewesen". Er habe keine unsinnigen und waghalsigen Versuche gewagt, und zu seiner Rechtfertigung stellte er sich in die Reihe derer, die

91

Vgl.: Dr. Zimmermann, Glücklicher Erfolg der Einspritzung einer Salzauflösung in die Vene einer Cholera-Kranken, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., August 1832, S. 101-107; Dr. K. G. Zimmermann, Bemerkungen in Bezug auf die Therapeutik der Cholera, in: Wöchentliche Beiträge zur Medicinischen und Chirurgischen Klinik mit vorzüglicher Berücksichtigung epidemischer, endemischer und epizootischer Krankheiten, 1 (1832), Nr. 5, 29. Dezember 1832, Sp. 65-80, hier: Sp. 77. Zum Vorfeld dieser Therapieart unter englischen Ärzten vgl.: HowardJones, Cholera Therapy in the Nineteenth Century, S. 386ff.; Michael Durey, The Return of the Plague. British Society and the Cholera 1831-2, Dublin 1979, S. 128ff. Zu den Debatten im Hamburger ärztlichen Verein und zu Zimmermann vgl.: Dr. J. Michael, Geschichte des ärztlichen Vereins und seiner Mitglieder, Hamburg 1896, S. 128, 31 lf.

92

Vgl.: Dr. Casper, Drei Fälle von Salz-Injectionen in die Venen bei Cholera-Kranken, in: Wochenschrift für die gesammte Heilkunde, Nr. 1 u. 2, 4. u. 11. Januar 1833, S. 4-32. Vgl.: Dr. Fritsch, Impfversuche mit dem Cholera-Contagium, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 27, 26. November 1831, S. 221. Zu den späteren Immunisierungsversuchen durch Waldemar Mordechai Wolff Haffkine - grundlegende Erfolge stehen bei der Cholera noch heute aus - , vgl.: llana Löwy, From Guinea Pigs to Man: The Development of Haffkine's Anticholera Vaccine, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 47 (1992), S. 270-309.

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Vgl.: Norman Howard-Jones, The scientific background of the International Sanitary Conferences 1851-1938, Geneva 1975, S. 35.

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bei der Cholera „in ihrem Eifer Neues und immer Neues" ersannen, um „dem Tode seine Opfer zu entreißen"95. Ein solcher Eifer war zweifellos legitim. Legitim waren aber auch die Einwände dagegen - religiös motiviert, ethisch oder rein medizinisch. Ob ein Mediziner nun apodiktisch feststellte, daß Infusion und Transfusion die ungewissesten, zwecklosesten und mörderischsten medizinischen Operationen seien oder ein anderer, der an Jähnichens Wasserinfusionen teilgenommen hatte, seine ethischen Vorbehalte erklärte, weil sein Gewissen ihm solche Experimente an Lebenden verbot96 - Dieffenbach war auf dem richtigen Weg. Er war auf dem Weg, den die moderne Medizin nehmen mußte und nahm. Richtig war dieser Weg allerdings nicht nur, weil bestimmte Erfolge schließlich für ihn sprachen. Er war es, weil Medizin als Theorie und Praxis, wie jede andere Wissenschaft auch, keine Vorbehalte kennt, sich zu verwirklichen. Wie jede andere zeichnet sie sich, das zeigt allein ein Blick auf ihre Siegesgeschichte, gerade durch Vorbthahlosigkeit aus - Sektion, Transfusion, Implantation, Genmanipulation. Experimentelle Skandale, die auch die spätere Geschichte der Immunologie und Bakteriologie kennzeichneten - bis hin zu den Seuchenexperimenten in Heilanstalten und Konzentrationslagern der Nationalsozialisten - waren nicht lediglich Betriebsunfälle. Die ebenso risikoreichen wie erfolglosen Experimente an Prostituierten, Geisteskranken oder an Strafgefangenen schon um die Jahrhundertwende waren Integral einer Bedürfnisdynamik, die, welche Einwände auch immer gegen sie vorzubringen sind, sich unbekümmert darum vorantreibt. Ad 6) Galvanismus,

Magnetismus,

Mesmerismus

Ein Vademecum der aktuellen Literatur bezüglich des Irrenwesens von 1831, das übrigens auf über vierzig Seiten ausführlich die gängigen Meinungen über die physische Tortur an Irren und die entsprechenden Instrumente darstellte, erklärte, auch Galvanismus und Elektrizität seien dazu geeignet. Sie würden „zur Erregung des Schreckens, der Furcht und des Schmerzens" dienen97. Zur Therapie der Cholera wurden Galvanismus und Elektrizität gleichfalls benutzt. Unter anderem empfahl eine in Berlin kursierende Broschüre über die zu Hause treffenden Vorkehrungen gegen die Seuche, einen galvanischen Apparat und eine Elektrisiermaschine bereitzuhalten98. Natürlich ging es nicht darum, verstockten Cholerakranken die Seuche auszutreiben. Worauf genau zielten die neuartigen Therapien?

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Dr. J. F. Dieffenbach, Physiologisch-chirurgische Beobachtungen bei Cholera-Kranken. Eine vom Institut de France gekrönte Preisschrift, 2. vermehrte Auflage, Güstrow 1834, S. IV, 32. Zu späteren Vorwürfen gegen ihn, beispielsweise 1839, vgl.: Barbara Elkeles, Moralische Erwägungen bei der Wiedereinführung der Bluttransfusion im 19. Jahrhundert, in: Gesnerus, 48 (1991), S. 29-41, hier: S. 34f. Vgl.: Dr. Florian Sentimer, Die Cholera heilbar! Oder Beleuchtung aller bisher erschienenen Heilarten dieser Krankheit, nebst Angabe einer eigenen [...] ganz einfachen und sehr leicht allgemein ausführbaren Heilmethode. Für Aerzte und Nichtärzte, Quedlinburg und Leipzig 1836, S. 109; Dr. Ernst Barchewitz, Ueber die Cholera. Nach eigener Beobachtung in Rußland und Preußen, Danzig 1832, S. 12. C. F. W. Roller, Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen, Karlsruhe 1831, S. 257. Vgl.: Mangold's guter Rath, S. 13.

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Galvanismus, Magnetismus und Mesmerismus (die Theorie eines sogenannten animalischen Magnetismus) fußten auf Modellen, die nicht bei der Infektionsart ansetzten, sondern bei den Faktoren, die die Seuche ursächlich hervorriefen. Unter ihnen nahmen Veränderungen des elektrischen bzw. magnetischen Fluidums einen wichtigen Platz ein. Sie schienen das Klima, die Atmosphäre oder das Spannungsfeld der Erde gravierend verändert zu haben: Einige haben eine eigne elektrische Spannung der Luft, einen gestörten Zustand der Luftelektricität und dadurch verminderte Energie des Nervensystems, eine Verminderung des galvanoelektrischen Einflusses auf die Luft, eine stillstehende, feuchtwarme, nicht elektrische Luft, veränderten Druck derselben u.s.w. beschuldigt."

Solche Deutungsversuche waren erst im Zuge der Errungenschaften des „electrischen Seculo" - wie ein früher Elektrizitätsenthusiast das 18. Jahrhundert nannte100 - möglich geworden. Durch die spektakulären Phänomene, in denen sich bisher unbekannte Geheimnisse der Natur offenbarten, war die Elektrizität etwa ab 1730 in den Mittelpunkt öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses gerückt. Durch die sogenannten Kleistschen oder Leidener Flaschen war die Speicherung von Reibungselektrizität möglich geworden. Das erlaubte Schaueffekte in aristokratischen Salons ebenso wie auf Jahrmärkten. Schlag auf Schlag wurden, oftmals von Laien, die nicht den traditionellen akademischen Milieus angehörten, neue Entdeckungen gemacht. Wie Rudolf Stichweh überzeugend herausgearbeitet hat, war Elektrizität der Paradefall einer Aufsteigerdisziplin, die es, ohne vorerst allzuviele materielle Ressourcen zu erfordern, Laien bzw. Außenseitern ermöglichte, das angestammte wissenschaftliche Gefüge nachhaltig zu verändern101. - Kleistsche und Leidener Flasche. Die Grundlagen der medizinischen Elektrotherapie wurden schon in den vierziger Jahren durch die Hallenser Johann Gottlob Krüger und Christian Gottlieb Kratzenstein erarbeitet102. Ihnen diente die Übertragung der gewonnenen Reibungselektrizität durch die Kleistsche bzw. Leidener Flasche auf den Körper vorerst noch dazu, die Kreislauftätigkeit und den Blutumlauf zu beschleunigen. Den Stauungen der Körpersäfte, vor allem des Bluts, sei abzuhelfen, indem Schwefel und Salzpartikel durch

99 Dr. Ferdinand Robert, Cholerabuch oder das Buch über die ursprüngliche und fernere Entstehung, die Beschaffenheit, Heilung und Abwehrung der bengalischen Brechruhr oder Hindupest, Bd. 1, Gießen 1832, S. 87. 100 Johann Gottlieb Schäffer, Die Electrische Medicin oder die Kraft und Wirkung der Electricität in dem menschlichen Körper [...] aus Vernunftgründen erläutert und durch Erfahrungen bestätiget, Vorrede zur 1. Aufl. 1752, in: 2. Aufl. Regensburg 1766 [unpaginiert], 101 Vgl.: Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen. Physik in Deutschland 1740-1890, Frankfurt/M. 1984, S. 252ff.; Oliver Hochadel, Wo der Funke übersprang. Die soziokulturellen Milieus der Elektrisiermaschine in der deutschen Aufklärung, in: Instrument - Experiment, hrsg. v. Christoph Meinel, Berlin 2000, S. 295-306. 102 Vgl.: Ursula Schäfer, Physikalische Heilmethoden in der ersten Wiener medizinischen Schule, Wien 1967, S. 22ff.; W. Kaiser, Johann Gottlob Krüger (1715-1759) und Christian Gottlieb Kratzenstein (1723-1795) als Begründer der modernen Elektrotherapie, in: Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, 65 (1977), S. 539-554. Zum Vorfeld: Peter Kellaway, The part played by the electrical fish in the early history of electricity and electrotherapy, in: Bulletin of the History of Medicine, 20 (1946), S. 112-137.

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elektrische Vibrationen aus dem Körper herausgetrieben würden. Eine „Electrification" wäre bei Kreislaufschwäche und Kongestionen aller Art (Kopfschmerz, Schnupfen, Brustbeschwerden) nutzbringend. Es kam aber auch schon zu eher reizphysiologischen Überlegungen: Würde die Nervenflüssigkeit die Muskeln bewegen, dann wäre das, was sie natürlich hervorriefe, durch Elektrizität künstlich zu bewirken103. - Galvanismus. Später kamen neuere Apparaturen hinzu. Zu erwähnen sind hier vor allem galvanische Vorrichtungen, die sich auf die Entdeckung einer sogenannten tierischen Elektrizität durch Luigi Galvani stützten. 1786 fand er heraus, daß Froschschenkel bei der Verkoppelung mit zwei metallischen Leitern Elektrizität zeigen. Den theoretischen Schluß daraus zog ca. fünfzehn Jahre später Alessandro Volta: Kontaktelektrizität zeige sich immer bei der Koppelung zweier verschiedener Metalle. Die Voltasche Säule, ein Vorläufer der heutigen energieerzeugenden Batterien, war die praktische Konsequenz104. Apparaturen für Elektrizität aus Reibung oder aus Voltascher Säule wurden auch zur Therapie der Cholera genutzt. Einfache Geräte kamen hinzu, wie etwa eine eiserne Stange, die auf den Nabel zu „appliciren" sei. Ein „Abieiter" könnte, analog dem Blitzableiter, den magnetartigen Cholerastoff dem Körper entziehen105. Galt doch die Cholera den Verfechtern des Elektrizitätsmodells nicht selten als „Gewitter im menschlichen Leibe" 106 . Galvanische Geräte erhielten jedoch weitgehend den Vorzug. Die Absicht war im Prinzip die gleiche wie im 18. Jahrhundert: Intensivierung der Körpertätigkeit, ob auf humoralpathologischer oder reizphysiologischer Grundlage. Die Heilart war recht aufwendig, aber, Logik der medizinischen Überbietung, je aufwendiger, desto besser: Um einen Kranken zu galvanisiren, lege man ihn entkleidet auf ein neues Wachstuch, um ihn zu isoliren. Man bringe dann den Zinkpol eines kräftigen galvanischen Apparats, wohl am besten, mit dem obern Theil des Rückens des Kranken in Berührung, während der Kupferpol mit der Erde in Berührung gebracht wird.107

Die Wirkungen waren vielfältig, halfen aber der Cholera nicht ab. Erwiesenermaßen haben sich die Symptome - Durst, Durchfall und Schwächung des Organismus - nur verstärkt.

103 Vgl.: Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, S. 276; Heinz Schott, Heilkräfte aus der Maschine - Elektrische und magnetische Kuren im 18. Jahrhundert, in: Gesnerus, 44 (1987), S. 55-66, hier: S. 56f.; ders., Der Sympathetische Arzt. Texte zur Medizin im 18. Jahrhundert, München 1998, S. 98ff„ 219ff. 104 Vgl.: Karl E. Rothschuh, Physiologie. Der Wandel ihrer Konzepte, Probleme und Methoden vom 16. bis 19. Jahrhundert, Freiburg, München 1968, S. 178ff.; Francesco Mosi, Magnetismus, Elektrizität, Galvanismus, in: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Historisch-kritische Ausgabe. Ergänzungsband zu Werke Band 5 bis 9. Wissenschaftshistorischer Bericht zu Schellings naturphilosophischen Schriften 1797-1800, hrsg. v. Hans Michael Baumgartner/Wilhelm G. Jacobs/ Hermann Krings, Stuttgart 1994, S. 165-374, hier: S. 320ff.; Unter Strom. Zur Geschichte der Elektrotherapie. Katalog, hrsg. v. Rainer Gernet/Christa Habrich, Ingolstadt 2000, S. 19ff. 105 J. G. Siegmeyer, Betrachtungen über die Natur der Cholera. Mit Hinweisung auf die möglichen Heilmitteln nach physischen und chemischen Gründen, Berlin 1831, S. 26. 106 Dr. Pruner-Bey, Die Weltseuche Cholera oder Die Polizei der Natur, Erlangen 1851, S. 78. 107 Guttceit, Die Cholera in Orel, S. 116.

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Kritiker sprachen gar von einem „galvanischen Todtschlag"108. Selbst Anhänger der Therapie räumten bedauerliche Kollateralschäden ein: Der positive Pol der Säule bewirkte ein Brennen, der negative einen stechenden Schmerz, und nachher gleichfalls Brennen. Wurde der positive Pol an dem obern Theil des Kopfes, oder an der Seite des Halses, und der negative unter der Herzgrube angebracht, so entstand Hitze und Geräusch im Kopfe, Ohrenbrausen, und ein Gefühl von Brennen unter der Herzgrube; der Athem wurde beengt, die Pupille erweitert, die Wärme verbreitete sich unter Schweißerzeugung über den ganzen Körper, der Puls wurde schnell, - es trat Durst, häufiges Verlangen zu Stuhlausleerungen und eine unwiderstehliche Neigung zum Schlafe ein.109 Nicht nur die Therapie, auch die Prävention war dem Modell zufolge möglich. Mitunter wurden Metallamulette oder gar ganze galvanische Metallgürtel empfohlen, um bestimmten ungünstigen Veränderungen der Luftelektrizität zu begegnen 110 . Der Gebrauch solcher Amulette mußte sich freilich nicht immer auf das Elektrizitätsparadigma stützen. Auch innerhalb der Homöopathie ist dem Kupfer große Heilkraft zugeschrieben worden, und neben dem innerlichen Gebrauch wurde von Hahnemann und seinen Schülern auch ein äußerlicher, mittels solcher Amulette, angeraten111. - Magnetismus. Eine weitere Kurart, die im Zeitalter der Elektrizität an Aufschwung gewann, war die magnetische. Sie hatte bereits eine lange Vorgeschichte, lebte nunmehr aber erst richtig auf. Schon in der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Medizin wurde aus den verschiedensten Gründen zu magnetischen Mineralien gegriffen: um Blutungen zu stoppen (Hippokrates), dicke Säfte zu verflüssigen (Galen), Krankheiten dem Körper zu entziehen und in die Erde zu leiten (Paracelsus) 112 . Gerade unter Paracelsisten waren Magnete Objekt vielfältiger Spekulationen, wobei therapeutische Zwecke gar nicht immer im Vordergrund standen 113 . Als Mitte des 18. Jahrhunderts künstliche Magnete produziert werden konnten, begann ihre Karriere in der Therapie, vor allem in England 114 . Auch das Erfolgsphänomen Elektrizität gab dem Magnetismus als weiterer Imponderabilie einen erhöhten Stellenwert. Mit einer Phasenverschiebung von ca. zwanzig Jahren gegenüber den

108 Constantin Hering, Gelegentliche Betrachtungen über Hypothese und Experiment, Miasma und Contagium [...] (1832, Manuskript), in: Herings Medizinische Schriften in drei Bänden, hrsg. v. Klaus-Henning Gysper, Bd. 1, Göttingen 1988, S. 332-335, hier: S. 333. 109 Dr. Sir James Wylie, Bemerkungen über die epidemische Brechruhr (Schluß), in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologischtherapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, Nr. 33, 22. Oktober 1831, S. 129-131, hier: S. 130. 110 Vgl.: Anton, Die bewährtesten Heilformeln für die epidemische Cholera, S. 130. 111 Vgl. : Karl-Friedrich Scheible, Hahnemann und die Cholera, Heidelberg 1994, S. 87. 112 Vgl.: Urs Häfeli, The History of Magnetism in Medicine, in: Magnetism in Medicine. A Handbook, ed. by Wilfried Andrä/Hannes Nowak, Weinheim, New York 1998, S. 15-84, hier: S. 15ff. 113 Vgl.: Anneliese Ego, „Animalischer Magnetismus" oder „Aufklärung". Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zum Konflikt um ein Heilkonzept im 18. Jahrhundert, Würzburg 1991, S. 47ff. 114 Vgl.: Patricia Fara, Sympathetic attractions. Magnetic practices, beliefs, and symbolism in eighteenth-century England, Princeton 1996.

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elektrischen Kuren kamen so die magnetischen um 1775 in Deutschland in Mode. Ihre Wirkung war j e d o c h entgegengesetzt: Während Elektrizität aufreizte, sollte Magnetismus beruhigen, während erstere Schmerzen bereitete, sollte letzterer sie stillen. Auch auf Krämpfe, Muskelverspannungen, Hysterie, Blindheit und Taubheit sollte er wirken. Auf Prävention wurde hier gleichfalls geachtet, beispielsweise mit magnetischen Armreifen, Amuletten und Gürteln 115 . Der magnetische Diskurs brach nicht ab. Wurden 1829 die Kräfte von mineralischen Magneten in der Heilkunst erneut ausführlich thematisiert 116 , kamen sie auch in der Cholera, hauptsächlich als Linderungsmittel, zum Zuge: Gegen die Krämpfe der Krankheit ist, nach Becker in Mühlhausen, nichts so wirksam, als ein starker Magnet, zwischen die Füße gelegt, soll er bald Erleichterung herbeiführen. Auch in Magdeburg wurden schmerzhafte Krämpfe durch den mineralischen Magnetismus schnell beseitigt.117. Hier wurden die Potenzen des mineralischen Magnetismus erprobt. Sie standen jedoch im Schatten einer anderen einflußreichen Therapiemethode: des animalischen Magnetismus. Die barocke bzw. aufklärerische Konjunktur von Elektrizität und Magnet hatte viele Facetten. Eine davon war die Hypothese eines sogenannten tierischen oder animalischen Magnetismus, der nach Franz Anton Mesmer die gesamte Welt, auch die nichtorganische, durchzog. - Animalischer Magnetismus. Mesmer, ein waschechter Aufklärer, der ungewollt in den Ruf eines Obskuranten geriet, hatte schon während seines Medizinstudiums in W i e n wegweisende Einblicke in die zeitgenössische Elektrotherapie erhalten 118 . Er praktizierte entsprechend und Schloß auch Bekanntschaft mit der Magnettherapie. Schon bald, 1775, stellte er seine eigene Spielart des Magnetismus vor. Es gebe ein universelles Fluidum, eine sogenannte Allflut, auch tierischer oder Lebensmagnetismus, eine viel feinere Substanz als Elektrizität oder Magnetismus. Die universal gegebene, heilsame Imponderabilie wirke in der gesamten Natur, ob irdisch oder kosmisch, organisch oder unorganisch. Krankheit sei auf ein betreffendes Ungleichgewicht im menschlichen Körper zurückzuführen. Für den Arzt komme es darauf an, die Schwankungen im Organismus wieder auszugleichen. Das geschah auf zweierlei Weise: einerseits mittels eines bottichähnlichen metergroßen Geräts aus Glas, Mineralien, elektrischen und magnetischen Implementen, eines sogenannten „Baquet", das M e s m e r öffentlichkeitswirksam für Séancen und spektakuläre Heilungen nutzte. Anderseits helfe das Bestreichen mit Magneten oder ein bloßes Auflegen der Hände. Eine dritte Variante war unter seinen Anhängern - inauguriert 1784 - ebenfalls verbreitet: Patienten zu hypnotisieren und in eine sogenannte somnambule Trance zu versetzen, um die

115 Vgl.: Schott, Heilkräfte aus der Maschine - Elektrische und magnetische Kuren im 18. Jahrhundert, S. 58f.; ders., Der Sympathetische Arzt, S. 210ff. 116 Vgl.: Christian August Becker, Der mineralische Magnetismus und seine Anwendung in der Heilkunst, Mühlhausen 1829. 117 Anton, Die bewährtesten Heilformeln für die epidemische Cholera, S. 164. 118 Vgl.: Schäfer, Physikalische Heilmethoden in der Ersten Wiener Medizinischen Schule, S. 22ff., 57ff., 168ff„ 185ff.

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Heilung voranzutreiben. Eine spektakuläre Spezifikation ging dahin, die hypnotisierten Patienten selbst Auskunft über die für sie angemessene Therapieart geben zu lassen119. Nachhaltigen Einfluß erlangte der Mesmerismus insbesondere in Frankreich - „Mesmerismus als radikale politische Theorie" (Darnton)120. Aus Mesmers universaler Naturtheorie ließen sich universal verbindliche demokratische Gesellschaftsprinzipien ableiten. Mesmer war wenigstens teilweise diesen Weg gegangen und hatte die Französische Revolution ausdrücklich begrüßt. Er verkehrte im Kreis der Wiener Jakobiner, wurde 1793 verhaftet und Österreichs verwiesen121. Mit seiner Emigration in die Schweiz war sein öffentliches Auftreten dann mehr oder weniger beendet. Aber überraschenderweise ergab sich eine mesmerismische Renaissance in Preußen ab etwa 1810. Das hatte eine Vielzahl von Gründen. Einerseits hatte sich der königliche Leibarzt Hufeland, eine öffentliche Instanz in Preußen, plötzlich aufgeschlossen gegenüber dem Mesmerismus gezeigt. Zweitens hatte die romantische Medizin ihren Siegeszug vorerst fortgesetzt und auch auf Preußen ausgedehnt. Drittens schien die Gründung der Berliner Universität 1810 Impulse für die Suche nach einem eigenständigen medizinischen Profil der neuen Alma Mater zu geben. Der König setzte 1812 eine Kommission zur Prüfung des animalischen Magnetismus ein, die Akademie der Wissenschaften stellte eine Preisfrage, Mesmeranhänger wie David Ferdinand Koreff und Karl Christian Wolfart erhielten Professuren an der Berliner Universität. Magnetische Zeitschriften und magnetische Praxen wurden gegründet, das Innenministerium hielt die Amtsärzte zu regelmäßiger Berichterstattung über die Erfolge des tierischen Magnetismus an. Minister Wilhelm von Humboldt war Sympathisant, Staatskanzler von Hardenberg entschiedener Anhänger der Lehre122. Anfang und Mitte der zwanziger Jahre, veranlaßt durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819, war der entsprechende Enthusiasmus unter dem gezielten Druck der Reaktion zwar abgeflaut. Humboldt war gezwungen, sein Ministeramt niederzulegen; Koreff hatte Preußen enttäuscht verlassen; der politisch mehr und mehr ausgeschaltete Hardenberg war gestorben,

119 Vgl.: Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, hrsg. v. Heinz Schott, Stuttgart 1985; Peter Sloterdijk, Der Zauberbaum. Die Entstehung der Psychoanalyse im Jahr 1785. Ein epischer Versuch zur Philosophie der Psychologie, Frankfurt/M. 1987; Franz Anton Mesmer und der Mesmerismus. Wissenschaft, Scharlatanerie, Poesie, hrsg. v. Gereon Wolters, Konstanz 1988; Adam Crabtree, Animal magnetism, early hypnotism, and psychical research, 1766-1925. An annotated bibliography, White Plains 1988; Frank A. Pattie, Mesmer and animal magnetism. A chapter in the history of medicine, Hamilton 1994. 120 Robert Darnton, Der Mesmerismus und das Ende der Aufklärung in Frankreich (1968). Mit einem Essay von Martin Blankenburg, München 1983, S. 95ff., vgl. auch: Anneliese Ego, Die Revolutionierung eines Heilkonzepts: politische Implikationen des Mesmerismus, in: Aufklärung und Esoterik, hrsg. v. Monika Neugebauer-Wölk, Hamburg 1999, S. 442-454. 121 Ernst Florey, Ars Magnetica. Franz Anton Mesmer 1734-1815. Magier vom Bodensee, Konstanz 1995, S. 161 ff. 122 Walter Artelt, Der Mesmerismus in Berlin, Mainz 1965; Martin Blankenburg, Der „thierische Magnetismus" in Deutschland. Nachrichten aus dem Zwischenreich, in: Damton, Der Mesmerismus und das Ende der Aufklärung, S. 191-228, hier: S. 208ff.; Nils Freytag, Praxis zwischen „Wissenschaft" und „Aberglauben". Animalischer Magnetismus in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 15 (1996), S. 141-166.

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Die Wirren der Wissenschaft

Wolfart war durch die dubiose Schwängerung einer Patientin diskreditiert. Der animalische Magnetismus, eine merkwürdige Begleiterscheinung der adelsliberalen preußischen Reformbewegung, verschwand mehr oder weniger in der Versenkung. In der Cholerazeit zeigte sich jedoch, daß Mesmers Gedankengut in Preußen noch lebendig war: „Den LebensMagnetismus wendete Prof. Wolfart in Berlin mit gutem Erfolg an. - Dr. Breyer ebendaselbst berührte in den meisten Krankheitsfällen die Magengegend andauernd, und sah stets, neben Anwendung von brech- und andern kräftigen Mitteln, günstige Wirkungen"123. Tatsächlich hatte Wolfart, einer der entschiedensten Jünger Mesmers, der den Meister kurz vor dessen Tode im Auftrag der damals eingesetzten Kommission in der Schweiz besuchte und einiger seiner Schriften ins Deutsche übersetzte, noch vor Ankunft der Cholera empfohlen, zur Linderung der Krämpfe die Getränke und Bäder der Erkrankten zu magnetisieren. Als dann die Cholera in Berlin ausbrach, hatte er eines der Choleraspitäler übernommen. Dort erprobte er auch die magnetische Behandlung: „Magnetisiren, von mir sowohl als meinem treuen, eben so in seinem Beruf eifrigen als einsichtsvollen Assistenzarzt, Dr. Prausnitz, hat einigemal unmittelbar den tumulturischen Krampfzustand beseitigt. Zeit gewonnen, Alles gewonnen!"124. Wolfart war ein anerkannter Mediziner. Er hielt sich, nachdem der Mesmerismus in Preußen mehr oder weniger offiziell verfemt worden war, zurück. Andere romantische Mediziner, allerdings eher Außenseiter des universitären bzw. akademischen Wissenschaftsbetriebs, bestanden auch in der Cholera ungebrochen auf Mesmerismus bzw. Somnambulismus125: Einer vernahm aus dem Munde einer Somnambulen eine Theorie zur miasmatischen Verbreitung der Seuche, ein anderer die einer kontagiösen. Ein dritter bekam schließlich von einem somnambulen Medium Aufschlüsse über die Therapieart: Haare von lebenden vier- bis achtjährigen Pferden auf den Kopf zu legen, da von ihnen eine helfende magnetisierende Wirkung ausgehen werde126.

123 Anton, Die bewährtesten Heilformeln für die epidemische Cholera, S. 164. 124 Prof. Dr. Wolfart, Bruchstücke über die indische Seuche, aus eigner Beobachtung und Erfahrung (Schluß), in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 60, 23. November 1831, S. 241f„ hier: S. 242; vgl. insgesamt: Edith Heischkel-Artelt, Karl Christian Wolfart und die Arzneimittellehre im Zeichen des Mesmerismus, in: Medizinhistorisches Journal, 1 (1966), S. 209-216. 125 Vgl.: Said Hammoud, Mesmérisme et romantisme allemand (1766-1829), Paris 1994. Zum komplexen Phänomen des Somnambulismus zwischen 1750 und 1850, also der Unterscheidung von Schlafwandlerei, spontanem Somnambulismus (plötzlichen hypnoseähnlichen Zuständen) und künstlichem Somnambulismus (durch Hypnose bzw. Mesmerismus) vgl.: Dietlinde Goltz, Nachtwanderei, Mondsucht und Somnambulismus - Eine Nachtseite der Medizingeschichte, in: Medizinhistorisches Journal, 28 (1993), S. 321-343, zum Somnambulismus: Heike Scheuerbrand, Die Stimme der Natur. Dietrich Kiesers Auffassung vom tierischen Magnetismus, in: Athenäum. Jahrbuch der Romantik, 9 (1999), S. 227-250. 126 Vgl.: Dr. Johann Romich, Die vorzüglichsten Behandlungsarten der Cholera nebst der höchst merkwürdigen Aeußerung einer Somnambulen über die Entstehungs- und Verbreitungsweise, Nichtcontagiosität, Behandlung der Cholera, Wien 1850, S. 23; Joh. Evang. Wetzler, Meine wunderbare Heilung von beispielloser Hautschwäche und Geneigtheit zu Erkältungen durch eine Somnambule. Nebst [...] Anhang welcher die Aeußerungen derselben Somnambule über die

Das unerwartete Desaster

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Eine solche Therapie mag wenigstens nicht geschadet haben. Das gilt ebenso vom Bestreichen mit Magneten. Nützte es nichts, so stiftete es wenigstens kein Unheil. Es war neben der Erwärmung die wohl harmloseste und damit, abgesehen von den ungesicherten Infusionen, ebenso beste Heilart. Nur richteten sich die Angriffe der Fachmedizin gerade dagegen. Der Fachmedizin, die traditionellerweise auf komplizierte Medikamente, auf Brennen, Brechmittel und Aderlaß hielt, war diese Heilart ein Dorn im Auge. Sie war eine unliebsame Konkurrenz. Schon Mesmer, der sich kämpferisch als Aufklärer verstand, hatte sich einer Vielzahl von Angriffen und des Vorwurfs des Obskurantismus zu erwehren . Gleiches gilt von seinen Schülern, die jedoch durch spekulative Freizügigkeiten solchen Vorwürfen mitunter Raum gaben 128 . Fakt jedoch ist: Bestreichen mit Magneten, schonendes Erwärmen oder die lindernde Gabe von Getränken waren bei der Cholera weniger schädlich als die Unzahl aller äußerlichen und innerlichen Therapiemittel, die sich in Menge bzw. Intensität gegenseitig zu übertrumpfen suchten. Letztere behaupteten jedoch ihr Terrain. Ärzte hatten zu handeln und wollten handeln. Auch sie folgten einer Logik kultureller Überbietung, die sich offenbar nur in Ausnahmefällen außer Kraft setzen läßt.

c) Fazit: Tun - oder Lassen War diese Handlungsdynamik unaufhaltsam? Gab es keine Alternativen? Bereits im Jahr 1818/1819 umriß Johann Lukas Schönlein, der Vorreiter der naturhistorischen Schule, besorgt das Bild einer Medizin, die sich, beispielsweise bei Keuchhusten oder Typhus, auf selbstvergessenen Aktionismus warf: Die entgegengesetztesten, die heterogensten Mittel begegnen uns hier, und jedes mit den schmeichelhaftesten Attesten, den ausgezeichnetsten Zeugnissen seines Urhebers ausgerüstet. Ein ähnliches Schauspiel, wahrlich halb traurig, halb lustig, hat uns die kaum an uns vorübergegangene Typhusepidemie dargeboten. Die entgegengesetztesten Heilverfahren, die widersprechendsten Mittel, alle angeblich mit herrlichem Erfolg, bis endlich eine genaue Kritik das Minimum von Mortalität bey den der Natur überlassenen, das Maximum bey jenen von Aerz-

Asiatische Cholera [...] enthält, Augsburg 1833, S. 175; [Anonym], Entdeckung und Beleuchtung des bisher unbekannt gebliebenen Wesens und eigentlichen Sitzes der Cholera Morbus nebst der Darstellung der Behandlungsart und die Schutzmittel gegen dieselbe für Gesunde, Für Jedermann faßlich dargestellt von einem erfahrnen praktischen Arzte, Hamburg [um 1831], S. 15f., 26f. 127 Vgl.: Blankenburg, Der „thierische Magnetismus" in Deutschland, S. 193ff.; Gereon Wolters, Mesmer und sein Problem: Wissenschaftliche Rationalität, in: Franz Anton Mesmer und der Mesmerismus, S. 121-137. 128 Vgl.: Dietrich v. Engelhardt, Mesmer in der Naturforschung und Medizin der Romantik, in: Franz Anton Mesmer und die Geschichte des Mesmerismus, S. 88-107; Freytag, Praxis zwischen „Wissenschaft" und „Aberglauben", S. 154ff.; Hammoud, Mesmérisme et romantisme allemand (1766-1829); Karl Wilhelm Schmitz, Der Tierische Magnetismus als Teilaspekt der Romantischen Naturphilosophie des frühen 19. Jahrhunderts im Lebenswerk des Tirolers Joseph Ennemoser, Bonn 1995.

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Die Wirren der Wissenschaft ten behandelten Typhösen nachwies. [...] Je mehr Mittel, je mehr Arzneyen, und obendrein spezifische, wir gegen eine Krankheit besitzen, desto tiefer steht unser Wissen und unsere Erkenntnis dieser Krankheitsform.129

Die Logik des ärztlichen Handels um jeden Preis habe mehr Opfer gekostet, als das bloße Unterlassen. Sie gründete sich aber nicht, wie Schönlein vermutete, auf die Basis von Wissen oder Nichtwissen. Vielmehr war sie Ausdruck einer docta ignorantia, einer belehrten Unwissenheit, die sehr wohl weiß, was sie tut, auch wenn sie die Folgen ihres Tuns nicht abschätzen kann und gar nicht abzuschätzen braucht. Handeln an sich hat jede Legitimation auf seiner Seite. Die Beweislast liegt noch immer auf der Ebene des Unterlassens. Nichts zu tun ist im Kodex ärztlichen Verhaltens nicht vorgesehen. Demzufolge deklarierten Mediziner angesichts der Cholera wortwörtlich, es sei wichtiger zu „tun", als zu „lassen". Beziehungsweise: Man hätte in jedem Falle zu behandeln, „der Geist des Kranken wird dadurch beruhigt und das Gewissen des Arztes befriedigt". Kurzum, man solle probieren und probieren: „es ist denkbar, es ist möglich, ja sogar nach vernünftigen ärztlichen Gründen als wahrscheinlich vorstellbar, daß unter den angeführten Medicamenten sich wirklich in der Cholera brauchbare und heilsame finden dürften"130. Denkbar - möglich - wahrscheinlich. Man habe nicht zu zögern. Trial and error - ersteres war ein Muß, letzteres eben nicht zu umgehen. Der angestrengte Aktionismus war aber nicht nur pharmazeutischem oder ärztlichem Gewinnstreben geschuldet, obwohl das wie selbstverständlich in der Cholerazeit gemutmaßt wurde. Auch war er nicht nur das Signum eines aufstrebenden Standes, der seine Potenzen zwanghaft unter Beweis stellen mußte. Er war kein genuines Produkt des 19. Jahrhunderts, sondern gehört zur Signatur von Kultur, zu ihrem Überbietungsmechanismus schlechthin. Tätigkeit ist ritueller Imperativ, ist kulturelles Apriori: Handlungszwang. Zwar gab es, um auf das Feld der Choleratherapie 1831/32 zurückzukommen, durchaus Stimmen, die eine Mäßigung anmahnten. Je einfacher die Heilmethoden, desto besser. Oder: Lassen wäre oft besser als Tun. Beziehungsweise: Die Heilkraft der Natur selbst wäre weitaus wirksamer als wüstes Kurieren131. Konzeptionell gebündelt wurde das Verfahren des

129 Günter Klemmt, Johann Lukas Schönleins unveröffentlichtes Vorlesungsmanuskript über den „Keichhusten" [1818/19], Husum 1986, S. 69. 130 [Dr. Albert Sachs], Ueber die Darreichung der nach oben und unten ausleerenden Mittel während der Dauer der Choleraepidemie, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera, Nr. 24, 12. Oktober 1831, S. 93f., hier: S. 94; Professor Magendie, Vorlesungen über die epidemische Cholera, deren Verlauf, anatomisch-pathologische Erscheinungen und Behandlungen, gehalten am Collège de France, Leipzig 1839, S. 149; Dr. A. W. Henschel, Fortgesetzte Erörterung indischer Volksarzneimittel gegen die Cholera, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, 36 (1832), S. 448-507, hier: S. 507. 131 Vgl.: Auszug eines Schreibens des Dr. Carl Jäger in Wien an Prof. Jäger in Stuttgart, in: Medicinisches Correspondenzblatt des Württembergischen Ärztlichen Vereins, Nr. 25,11. August 1832, S. 145-147, hier: S. 147; [Dr. Albert Sachs], Betrachtungen über das Desinfectionsverfahren in den öffentlichen Büreaux, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera, Nr. 43, 3. November 1831, S. 171f., hier: S. 172; Dr. Carl Cannstatt, Die specielle Pathologie und Therapie vom klinischen Standpunkte aus bearbeitet, Bd. 2, Erlangen 1847, S. 424.

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primum non nocere zwischen 1830 und 1850 in der Wiener Schule des sogenannten therapeutischen Nihilismus. In der Pariser Schule kam es zumindest zu skeptischen Tendenzen132. Das war jedoch nur ein vorübergehender Trend unter anderen, eine Strategie unter vielen, um im medizinischen Konkurrenzkampf neue Akzente zu setzen. Als Haupttendenz setzte sich geradezu zwangsläufig durch, was die Medizin als Theorie und Praxis bestimmte und im wesentlichen weiter unaufhaltsam bestimmt: Science in action.

2.2. Epidemiologie: Das rettende Mysterium Natur a) Entlastende Miasmen Am Krankenbett wurde experimentiert und experimentiert. Es gab keinen Grund, davon abzugehen. Das Genesen von Cholerapatienten konnte folgerichtig dieser oder jener Therapie zugerechnet werden. Damit war das Verfahren legitimiert. Anders verhielt es sich mit dem großen Staatsexperiment der Kordons. Allzu offensichtlich war, daß es definitiv nichts vermocht hatte. Aller kultureller Aufwand war verpufft. Kordons bedeuteten einen Fehlschlag auf der ganzen Linie. Die Cholera kam in mehreren pandemischen Wellen wieder und wieder. Es bedurfte eines gravierenden Perspektivwechsels, um die kulturelle Niederlage zu verarbeiten. Wie wäre sie wettzumachen? Durch neue und neue übersteigerte Aktivitäten? Oder dadurch, daß man den Gegner Seuche hypostasierte und jeden Widerstand für zwecklos erklärte? Genau das war die kulturelle Interimslösung der nächsten Jahrzehnte. Die Seuche galt als Produkt unheilvoller naturhafter Konstellationen. Eine Gegenwehr sei zwecklos. Man hätte die Seuche, ihre unfaßliche Gestalt und ihren ungreifbaren Charakter schlichtweg hinzunehmen. Für mehrere Jahrzehnte, vorerst zum letzten Mal in Europa, erlebte das eigentlich archaische Modell unbekannter, unergründlicher Miasmen nochmals eine notgedrungene Konjunktur. Der essentielle Umschlag zeigte sich bereits in den Krisenmonaten von Herbst 1831. Allgemein galt die Seuche bis dahin als kontagiös. Adel und Teile des Bürgertums forderten einschneidende Sperrmaßnahmen, Landgemeinden griffen zur Selbsthilfe und sperrten sich mitunter auf eigene Faust hermetisch ab. Stets war das so bis zu dem Zeitpunkt, wo lokal der jeweilige Ausbruch erfolgte. Nach Scheitern aller Sperrmaßnahmen setzte regelmäßig ein geradezu wunderbarer Gesinnungswandel ein, eine obligatorische Inversion. Die Cholera war nunmehr eine notwendige Schickung der Natur. So berichtet ein Brief von Mitte November 1831, wenige Tage nach Ausbruch der Epidemie in Wien: „tröstend für die ganze Menschheit ist die bereits gemachte Erfahrung, daß diese an sich fürchterliche Krankheit durchaus nicht individuell ansteckend ist, sondern der Stoff derselben

132 Vgl.: Erwin H. Ackerknecht, Die Therapie der Pariser Kliniker zwischen 1795 und 1840, in: Gesnerus, 15 (1958), S. 151-163; Claudia Wiesemann, Josef Dietl und der therapeutische Nihilismus. Zum historischen und politischen Hintergrund einer medizinischen These, Frankfurt/M., Bern, New York 1991; Elkeles, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment im 19. Jahrhundert, S. 24ff.

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ganz gewiß in der Luft liegt"133. Beruhigend - die Cholera verbreite sich rein miasmatisch. Die Seuche war durch keine militärische oder politische Praxis zu bezwingen. So blieb zumindest tröstlich, daß sie gar nicht bezwungen werden könne. Eine atemberaubende Volte: ein Desaster, das nachträglich in eine vorausschauende Kapitulation umgemünzt wurde, ein kulturelles Cannae, das sich im Ritus der Unterwerfung bannen ließ. Ein solcher Bedarf an Entlastung, der sich durch unzählige Zeugnisse belegen läßt, leitete nicht nur die öffentliche Meinung, sondern auch medizinische Theorien. Auch sie vollzogen im Spätsommer und Herbst 1831 unter ausdrücklicher Berufung auf nötigen Trost jenen entschiedenen Umschlag von sozial übertragbaren Kontagien zu diffusen und nicht zu beherrschenden naturhaften Miasmen, der die nächsten „miasmatischen" Jahrzehnte so folgenreich prägte. Für den psychischen Haushalt sei das, um hier nur zwei Mediziner zu zitieren, „beruhigender und tröstlicher", es befördere die „Seelenruhe"134. Aus der Erfahrung des Scheiterns heraus folgte der sedative Umschlag zu rein naturalen Erklärungen. Parallel dazu lockerte die preußische Regierung ab Spätsommer 1831 bzw. mit den Edikten von Anfang 1832 die strengen Sperrbestimmungen. Österreich liberalisierte sie Ende 1831 für einige Jahre gravierend135 Bayern setzte sie 1836 gar nicht erst in Kraft136. Der voraufklärerische, miasmatische Status quo wurde so noch einmal befestigt. Die Medizin, die sich seit Ende des 18. Jahrhunderts langsam davon zu lösen begonnen hatte, kehrte wieder zu ihm zurück. Der Neuaufschwung medizinischer Topographien verdeutlicht diese Unterwerfungskehre. Sie waren dem im nächsten Abschnitt noch näher erläuterten Konzept einer „epidemischen Konstitution" verpflichtet. Es umfaßte die primäre Wirkung klimatischgeographischer Einflüsse auf das Krankheits- und Seuchengeschehen und beinhaltete ein dynamisches Wechselspiel variabler klimatischer, d.h. miasmatischer, sowie stabiler geographischer Faktoren. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte es allmählich an Einfluß verloren. Die letzten flächendeckenden und detaillierten Umfragen nach klimatischen Lokalfaktoren in allen Gegenden des Landes hatte beispielsweise die französische Société Royale

133 Privatschreiben an ein befreundetes Handelshaus, Mitte November 1831, in: [Aachener] CholeraZeitung, Nr. 18, 29. November 1831, S. 143f. 134 Dr. Koch, Die Cholera und die Quarantainen (Schluß), in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera, Nr. 17, 4. Oktober 1831, S. 65f., hier: S. 66; Dr. A. Sachs, Betrachtungen über die unter dem 31. Januar 1832 erlassenen Instructionen über das gegen die Cholera in den preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. 1. Nachtrag zu dem Tagebuch über die Cholera in Berlin, Berlin [1832], S. 6. 135 Vgl.: I. Fischer, Der erste Choleraeinbruch in Österreich. Nach Akten der Wiener medizinischen Fakultät aus den Jahren 1831 und 1832, in: Historische Studien und Skizzen zu Natur- und Heil Wissenschaft. Festgabe Georg Sticker zum siebzigsten Geburtstage dargeboten, Berlin 1930, S. 134-142; Johann Alexander Bozyk, Geschichte der Cholera-Epidemie von 1831/32 in Wien. In Wort und Bild, Med. Diss. Wien 1944; Wolfgang Pircher/Andreas Pribersky, Die Gesundheit, die Polizei und die Cholera, in: Wien im Vormärz, hrsg. v. R. Banik-Schweitzer/A. Barly/J. Ehmer, Wien 1980, S. 202-214; Raimund Triml, Die erste Cholera-Epidemie in Wien in den Jahren 1831 und 1832, Phil. Diss. Wien 1992, S. 162ff. 136 Vgl.: Elisabeth Mühlauer, Welch' ein unheimlicher Gast. Die Cholera-Epidemie 1854 in München, Münster, New York, München 1996, S. 38f.; Peter Baldwin, Contagion and the State in Europe, 1830-1930, Cambridge 1999, S. 131f.

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de Médicine Ende des 18. Jahrhunderts allmählich im Sande verlaufen lassen137. 1833, nach der Cholera, wurden sie in großem Maßstab wieder aufgenommen138. In Deutschland hatte es seit Ende des 18. Jahrhunderts ebenfalls Befürworter solcher Großprojekte gegeben. Vorerst erschien eine nicht zu unterschätzende Zahl medizinischer Lokal-Topographien. Um und nach 1830 erlangten sie eine neue Qualität. Bezeichnend war der Versuch, die Vielzahl von Einzeltopographien 1831 in eine übergreifende „medicinische Geographie" aufgehen zu lassen139. Bislang war, wie James C. Riley vorbildlich herausgearbeitet hat, in Deutschland, im Unterschied etwa zu England oder Frankreich, das Beschränken auf lokale Topographien typisch gewesen. Das erklärt Riley aus der territorial-politischen Zersplitterung Deutschlands140. Gestützt wird sein Befund durch eine neuere Arbeit Richard H. Groves. Sie belegt, wie die umfassenden Klimadebatten Englands und Frankreichs direkt aus Problemen kolonialer Expansion herrührten141. Teilströmungen der deutschen Medizin suchten in den ersten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Anschluß an solche auswärtigen Vorlagen, versuchten eine Art nachholender Rezeption. Erst veranlaßt durch die Cholera erhielten die Projekte universeller medizinischer Geographien ersichtlichen Auftrieb. Augenfällig beispielsweise war die Umbenennung einer von Leipziger Ärzten redigierten Fachzeitschrift: Aus den „Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine CholeraZeitung)" wurden 1832/34 „Wöchentliche Beiträge zur Medicinischen und Chirurgischen Klinik mit vorzüglicher Berücksichtigung epidemischer, endemischer und epizootischer Krankheiten". Im Jahr 1834 erfolgte eine endgültige Akzentverschiebung: Bis zu seinem Ende 1837 erschien das Blatt unter dem programmatischen Titel „Beiträge zur praktischen

137 Vgl.: Jean-Paul Desaive/Jean Pierre Goubert/Emmanuel Le Roy Ladurie, Médicins, Climat et Épidemies a la Fin du XVIIIe Siècle, Paris, Mouton, La Haye 1972; Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München, Wien 1976, S. 90ff.; Jean Meyer, Eine Untersuchung der Medizinischen Akademie über die Epidemien (1774-1794), in: Biologie des Menschen in der Geschichte. Beiträge zur Sozialgeschichte der Neuzeit aus Frankreich und Skandinavien, hrsg. v. Arthur E. Imhof, Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, S. 327-359. 138 Vgl.: E. A. Heaman, The Rise and Fall of Anticontagionism in France, in: Canadian Bulletin of Medical History, 12 (1995), S. 3-25, hier: S. 14. 139 Dr. Ferd. Wil. Becker, Ueber medicinische Geographie, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 19 (1831), S. 129-141. 140 Vgl.: James C. Riley, The Medicine of the Environment in Eighteenth-century Germany, in: Clio Medica, 18 (1983), S. 167-178; ders., The eighteenth-century campain to avoid disease, Houndmills, London 1987, S. 3Iff. Zu den medizinischen Topographien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ihren Bezügen zu Meteorologie, Klimatologie und Geographie vgl. auch: Dieter Wagner, Zur Geschichte der Epidemiologie im Vorfeld der naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung (1760-1850), Dissertation Β [Habilitation], Berlin 1980, S. 92ff„ 99ff.; Jan Brügelmann, Der Blick des Arztes auf die Krankheit im Alltag 1779-1850. Medizinische Topographien als Quelle für die Sozialgeschichte des Gesundheitswesens, Phil. Diss. Berlin 1982. 141 Vgl.: Richard H. Grove, Green imperialism. Colonial expansion, tropical island Edens and the origins of environmentalism, 1600-1860, Cambridge, New York 1995.

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Heilkunde mit vorzüglicher Berücksichtigung der medicinischen Geographie, Topographie und Epidemiologie". Damit war die Prävalenz geographischer Faktoren, des Klimas bzw. der Witterung für die Belange von Krankheit und Gesundheit nochmals festgeschrieben. Spezifiziert für die Seuchendebatte: Das Konzept einer epidemischen Konstitution bzw. eines Genius epidemicus, das schon von Hippokrates stammte und durch Thomas Sydenham Ende des 17. Jahrhunderts erneuert wurde, lebte machtvoll wieder auf. Ein weiteres Beispiel: Bezeichnenderweise revidierte auch Hufeland, nicht nur in dieser Frage unübertrefflicher Meister anschmiegsamer eklektischer Diplomatie, seit Spätsommer und Herbst 1831 seine Position. Ursprünglich Kontagionist, räumte er wenigstens die Möglichkeit einer doppelten Ansteckung, kontagiös und miasmatisch, ein142. Selbst Rust, der unermüdliche Verfechter der kontagionistischen preußischen Staatsdoktrin, wollte auf einmal das Mitwirken klimatischer Determinanten nicht mehr ausschließen (ohne in seinem Behauptungsgefecht von kontagionistischen Positionen grundsätzlich abzurücken143). Zwar war dieses Konzept epidemischer Konstitution relativ verschwommen und offen für verschiedene Implemente. Es umschloß jedoch einen festen Grundbestand. Es gründete sich auf lokal relativ konstante naturhafte Determinanten, die im Ernstfall für die relativ fixen Miasmen einen begünstigenden Nährboden abgaben.

b) Siderisch, tellurisch, elektrisch Unter den Bedingungen der Vormoderne, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, war es selbstverständlich, die Macht von Witterung, Klima und anderer Naturereignisse über den Alltag in Rechnung zu stellen. In einer vorwiegend agrarischen Gesellschaft, in der die übergroße Bevölkerungsmehrheit Landbewohner war, entsprach das täglichen Erfahrungen. Religiös verbrämt wurde das mit der These von der Allmacht Gottes. Er sei der Herr der Elemente. Er regiere sie zu unbekanntem Zweck. Aufklärerisch wurde das in den Thesen eines geographischen bzw. Klimadeterminismus vorerst reformuliert144.

142 Vgl. u.a.: C. W. Hufeland, Ueber die Kontagiosität der Cholera, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 388 u. 389, 7. Oktober 1831, S. 1549; C. W. Hufeland, Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Kontumazen bei der Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 307, 5. November 1831, S. 1647f. Vgl. insgesamt: D. Wagner, Die Epidemiologie von Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836). Ein Beitrag zur Geschichte der vorbakteriologischen Epidemiologie, in: Zeitschrift für die gesamte Hygiene, 33 (1987),

S. ΑΊΊ-Α19.

143 Vgl.: Einiges über die Cholera. Ein Sendschreiben des Präsidenten Dr. Rust an Se. Excellenz den Königl. Preußischen wirklichen Geheimen Rath und Kammerherrn, Freyh. Alex. v. Humboldt in Paris, Berlin 1832, S. 24. 144 Vgl.: Clarence J. Glacken, Traces on the Rhodian Shore. Nature and Culture in the Western Thought from Ancient Times to the End of the Eighteenth Century (1967), Berkeley, Los Angeles, London 1973, S. 551 ff.; Manfred Büttner, Protestantische Theologie und Klimatologie im 18. Jahrhundert, in: Zur Entwicklung der Geographie vom Mittelalter bis zu Carl Ritter, hrsg. v. Manfred Büttner, Paderborn, München, Wien 1982, S. 183-218; Gonthier-Louis Fink, Von

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Erst allmählich regten sich die aufklärerischen Verfügungsansprüche, die dezidiert vom Menschen als Herrn der Schöpfung ausgingen. Philosophisch waren sie schon längst in Umlauf. Aber erst Ende des 18. Jahrhunderts wurden sie aufklärerisches Allgemeingut. Schicksal wurde zu Machsal. Wie Blitze abzuleiten seien, so würde es auch in Kürze Erdbebenableiter, Kometen-, Donner-, oder Hagelableiter geben145. Seuchen boten eine Probe auf dieses Exempel. Nun, in der Cholera, schien das Terrain eröffnet, die Macht des Menschen über die Natur unter Beweis zu stellen. Das Scheitern dieses Anspruchs gerade in der Cholera hatte einen vorübergehenden Rückfall zur Folge, den, die Naturkräfte gezwungenermaßen zu hypertrophieren. Im Zuge dieser Kehre wurde das oben schon erwähnte Konzept, das Paradigma einer epidemischen Konstitution neu aktualisiert. In Vergessenheit geraten war es nie. Es verkörperte einen Gegentrend zu aufklärerischen Verfügungsansprüchen. Medizinhistorisch schrieb es sich, wie erwähnt, von Hippokrates her und erlebte durch den Einfluß des englischen Arztes und Theoretikers Thomas Sydenham (1624-1689) eine Renaissance. Es konzeptualisierte den vorrangigen Einfluß klimatisch-geographischer Bedingungen auf das Epidemiegeschehen. Was besagten Constitutio epidemica bzw. Genius epidemicus in ihrer klassischen, von Sydenham ausgehenden Formulierung? Allgemein folgendes: 1. Regionale Einflüsse aus der Umwelt bzw. Umgebung der dort lebenden Menschen, die dazu führen, daß sie bevorzugt bestimmten Leiden ausgesetzt sind oder daß Krankheiten typischen Verlaufsformen folgen (Constitutio endemica, Genius endemicus, Genius loci); 2. Rhythmus des Erkrankens, der sich in der Regel nach den Jahreszeiten richtet. Ursachen dafür waren klimatische Bedingungen oder die von ihnen abhängenden Folgen (Constitutio annua); 3. weitreichende Veränderungen in der Umwelt von Menschen (Constitutio stationara). Sie besitzen ein Übergewicht über beide andere Faktoren und weisen über rein lokale Konstituenten hinaus. Mit ihnen werden tiefgreifende Veränderungen der natürlichen Umwelt thematisiert. Krankheiten sind naturhaft objektive Gegebenheiten, die auf ebenso objektive gegebene anthrosoziale Gefüge treffen. So kommt es zu Verschiebungen innerhalb des Gefüges akuter, nervöser, entzündlicher Krankheiten usw. Die Constitutio stationara ist, pars pro toto, auch für das Entstehen von Epidemien verantwortlich. Synonym und abkürzend wurde dafür in der Regel Constitutio epidemica oder Genius epidemicus gebraucht 146 .

Winckelmann bis Herder. Die deutsche Klimatheorie in europäischer Perspektive, in: Johann Gottfried Herder 1744-1803, hrsg. v. Gerhard Sauder, Hamburg 1987, S. 156-176. 145 Olaf Briese, Die Macht der Metaphern. Blitz, Erdbeben und Kometen im Gefüge der Aufklärung, Stuttgart 1998. 146 Vgl.: Wagner, Zur Geschichte der Epidemiologie im Vorfeld der naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung, S. 23f.; Johanna Bleker, Die historische Pathologie, Nosologie und Epidemiologie im 19. Jahrhundert, in: Medizinhistorisches Journal, 19 (1984), S. 33-52, hier: S. 35ff. Zu Hippokrates' Rezeptionsgeschichte: Genevieve Miller, „Airs, Waters, Places" in History, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 17 (1962), S. 129-140; Frederick Sargent II, Hippocratic Heritage. A History of Ideas about Weather and Health, New York, Oxford 1982; Caroline Hannaway, Environment and Miasmata, in: Companion Encyclopedia of the History of Medicine, ed. by W. F. Bynum/Roy Porter, London, New York 1993, Bd. 1, S. 292-308.

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Was war an diesem klassischen Modell so faszinierend? Es war multivektoriell, universell und leistete in hervorragender Weise das, was Theorie zu leisten hat: nämlich vieles zu erklären und wenig offen zu lassen. Es führte Epidemien auf das beeindruckende Wechselspiel konstanter und variabler Einflüsse zurück und erlaubte vielfältige Interferenzen. Im Rahmen der Gesamtkonzepte klimatischer Determination wurde es aufklärerisches Allgemeingut. Zwei weitere Umstände waren dafür ausschlaggebend. Es entsprach einerseits den Erfahrungen einer ständisch-absolutistischen Gesellschaft mit limitierter Mobilität. Variables und Konstantes ließen sich vermitteln, in stabilen Einklang bringen. Andererseits war es das Dispositiv einer weitgehend agrarischen Kultur. Das Wirken klimatischer Faktoren war nicht nur beständig erfahrbar. Es entschied oftmals über Wohl und Wehe von Familien, Kommunen usw. In Deutschland erfreute sich das Konzept besonderer Beliebtheit. Der politisch-regionalen Zersplitterung und der damit verbundenen Ausdifferenzierung medizinpolizeilicher Kompetenzen kam es besonders entgegen: Jeder Kleinststaat hatte seine eigene lokale Art epidemischer Konstitution, jeder Flecken seine eigene spezifische Gesundheitspolitik. Das Schema einer epidemischen Konstitution wies das auf, was erfolgreichen Wissenschaftsmodellen stets zu eigen ist: es war so universell, daß sich Erweiterungen bzw. Neuerungen relativ problemlos integrieren ließen. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert kam der Historisierung der Natur (Lepenies) ein immer größerer Stellenwert zu. Natur war keine unveränderliche Größe. Sie wandelte sich evolutionär. Die Wurzeln lagen im späten 17. und 18. Jahrhundert; im Jahrhundert darauf gewann der Trend noch an Dynamik. Alles Natürliche hatte Geschichte. Damit erweiterte sich das Konzept einer epidemischen Konstitution. Aspekte historischer Epidemiologie kamen hinzu. Wegweisend dafür waren u.a. Christoph Wilhelm Hufelands „Geschichte der Gesundheit des Menschengeschlechts nebst einer physischen Karakteristik des jetzigen Zeitalters im Vergleich zur Vorwelt" (1812) oder Friedrich Schnurrers „Materialien zu einer allgemeinen Naturlehre der Epidemieen und Contagien" (1810). In den dreißiger und vierziger Jahren bekam dieses Projekt, nicht zuletzt in Reaktion auf die Cholera, einen weiteren nachhaltigen Schub. Die schon erwähnte „medizinhistorische Schule", aber auch andere, arbeiteten an einer umfassenden historischgeographischen Verortung von Krankheiten und Epidemien. Ziel war eine historischgeographische Pathologie bzw. Epidemiologie. Nicht mehr im eng begrenzten, lokalen Rahmen einer Region würden schädliche Faktoren wirken. Das ganze Erdklima bzw. das ganze Geogleichgewicht wären gravierend verändert. Die Erdrinde oder gar ihr Kern sei zerrüttet, das Magnetfeld gestört, die Atmosphäre erkrankt. Spätestens seit 1811 hätten sich eine Reihe ungewöhnlicher Witterungsphänomene und Erdrevolutionen ereignet. Jahre danach sei eine nochmalige Verschärfung eingetreten: Ueberschauen wir alle diese, seit 1828 vorgekommenen und vorstehend kurz beschriebenen Ereignisse, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß sowohl die vorübergehenden als die bleibenden Abwechslungen der Jahreszeiten und der Witterungs-Beschaffenheiten außerordentlich wandelbar und von der bisherigen Norm abweichend waren. Es liegt ferner am Tage, daß auch in unserer Provinz lange Zeit hindurch eine vorwaltende Thätigkeit der kosmisch-

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atmosphärischen Elektrizität herrschte, während auf der anderen Seite manche Erscheinungen auch bei uns auf ein abnormes Wirken im Innern des Erdkörpers hindeuten.147

Nachdem die Cholera nicht aufgehalten werden konnte, wurde an Mißernten der letzten Jahre erinnert, an verregnete Sommer oder übergroße Hitze, an merkwürdige Nebelphänomene oder Überschwemmungen. Außerhalb Europas wären gehäuft Erdbeben und Vulkanausbrüche aufgetreten - Verweise, die in gegenwärtigen Klimahistorien bestätigt werden148. Denn welche Ursache gab es für all die katastrophalen Erscheinungen? Es existierte eine verbindliche Antwort: „Stimmt man doch allgemein darin überein, daß der Krankheitsgenius einer Zeitperiode rein nur von dem Zusammentreffen tellurischer, kosmischer und siderischer Verhältnisse abhänge"149. Zu siderischen Faktoren zählten beispielsweise unglückliche Planetenkonstellationen, durch die das kosmische Gleichgewicht gestört worden sei. Gleichfalls kam es zum Verweis auf verstärkten oder verminderten Sonneneinfluß oder auf eine veränderte Gravitation des Mondes. Ein Wechsel kosmischer Elektrizität bzw. der Magnetwirkungen im All wurde ebenfalls für den Ausbruch und den Siegeszug der Cholera verantwortlich gemacht. Bei all den Argumenten blieb vieles im Vagen, und nicht selten kamen sie von Außenseitern der Diskurse, die durch spekulative Thesen auf sich aufmerksam machten. Handfester und nachvollziehbarer hingegen war der Hinweis auf Kometen. Diskussion darüber gab es nicht erst anläßlich der Cholera. Tycho Brahes endgültiger Beweis von 1577, daß Kometen extraterristische Gebilde sind, und nicht, wie es seit Aristoteles kanonisch überliefert wurde, atmosphärische Erscheinungen, hatte sie überhaupt erst zu einem Gegenstand der Astronomie gemacht. Das bewirkte einen bemerkenswerten Aufschwung von Kometentheorien. Infolgedessen wurde immer mehr nach schädlichen Kometeneinflüssen gefragt. Würden sie die Atmosphäre aufheizen? Druckverhältnisse ändern? Gar die Luft vergiften? Einflüsse auf Erdbeben, Vulkanausbrüche und Sturmfluten haben?150 Etablierte

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Die epidemische Cholera in Stettin. Im Jahre 1831. Von einem Vereine praktischer Aerzte, Stettin 1832, S. 9. 148 So ist vor einiger Zeit vermutet worden, daß der gewaltige Ausbruch des Vulkans Tambora im Gebiet von Indonesien 1815 durch Staubauswurf das Erdklima für Jahre veränderte und Ernten verschlechterte, Hungersnöte verursachte und sogar die folgenreiche Ausweitung der Cholera in Indien bewirkt haben soll, vgl.: H. H. Lamb, Klima und Kulturgeschichte. Der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte (1982), Reinbek 1994, S. 273f., 330f.; Henry Stommel/ Elizabeth Stommel, 1816: Das Jahr ohne Sommer, in: Vulkanismus. Naturgewalt, Klimafaktor und kosmische Formkraft (1985), hrsg. v. Hans Pichler, Heidelberg 1988, S. 128-135. Zur nur bedingt verifizierten Hypothese, die Justinianische Pest sei auf einen überdimensionalen Vulkanausbruch im Jahr 535 zurückzuführen, vgl.: David Keys, Als die Sonne erlosch. 535 n.Chr.: Eine Naturkatastrophe verändert die Welt, München 1999. 149 Dr. Leonard Singer, Auch ein Wort über Cholera als Inaugural-Abhandlung, München 1837, S. 8. Zum mittelalterlich-renaissancehaften Vorfeld vgl.: Johann Werfring, Der Ursprung der Pestilenz. Zur Ätiologie der Pest im loimographischen Diskurs der frühen Neuzeit (1998), 2. verb. Aufl. Wien 1999, S. 83ff. 150 Vgl.: Briese, Die Macht der Metaphern, S. 179ff. Zur älteren, noch rein wundergläubigen Annahme, Kometen würden Epidemien prophezeien, vgl.: Elisabeth Heitzer, Kometen, Kreuze und die Pest in Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Fördern und Bewahren. Studien zur

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Naturwissenschaftler und Astronomen hatten das insbesondere mit Blick auf den zu erwartenden Bielaschen Kometen von 1832 und den Halleyschen Kometen von 1835 debattiert. Mediziner schalteten sich nunmehr ein. Wie die generelle Klimaverschlechterung seit 1811 auf den großen Kometen jenes Jahres zurückzuführen sei151, wäre auch die Cholera durch Kometeneinflüsse verursacht: „Sollten nicht schon die veränderte Stellung und Bewegung der Himmelskörper, das Herannahen bedeutender Cometen, die Ausströmungen, die Anziehungen und die Abstoßungen derselben, auf die Erde und ihre Bewohner einigen Einfluß haben?"152. Neben siderischen galten tellurische Einflüsse als wichtiger, die Cholera auslösender Faktor. Diese Argumentation vereinte mittelalterlich-renaissancehafte bzw. aufklärerische Muster mit romantischen. Die Annahme prägender Einflüsse des Klimas auf verschiedene Kulturen - geoklimatische Milieutheorien - hatte in der Romantik einen naturphilosophischen Unterbau erhalten. Ein universeller Klimadeterminismus wurde ausgebaut zu einem universellen Geo-Determinismus. Schon vor der Cholera, anläßlich der verheerenden Typhus-Epidemie der Jahre 1813/14, vermutete ein romantisch geprägter Mediziner wie Friedrich Schnurrer, das Menschengeschlecht befinde sich im Einklang mit der Erde in ununterbrochener Fortbildung, was, im Sinne von Entwicklungsstörungen, zu Epidemien führe. 1823/25 zog er ein ähnliches Fazit, nochmals in der Cholerazeit 1831153. Solche und ähnliche Vorstellungen blieben nicht unbeeinflußt von den politischen Großwetterlagen. Aus Evolution wurde nicht selten Revolution. In Reaktion nicht nur auf die Cholera gehörten Hypothesen von „Umwälzungen" im Erdorganismus und „tellurischen Aufruhrs" (Hecker) zum wissenschaftlichen common sense154. Romantisch geprägte Auto-

europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit, hrsg. v. Helwig Schmidt-Glintzer, Wiesbaden 1996, S. 231-248. 151 Vgl.: Dr. Ernst Nolte, Die großen und merkwürdigen kosmisch-tellurischen Erscheinungen im Luftkreise unserer Erde in Folge zwanzigjähriger Beobachtungen auch in Beziehung zu der im Laufe der neuern Zeit herrschenden orientalischen Cholera dargestellt und beurtheilt, Hannover 1831, S. 66ff.; Dr. J. Ennemoser, Was ist die Cholera und wie kann man sich vor ihr sicher verwahren? Bonn 1831, S. 9f.; Die epidemische Cholera in Stettin, S. 3. 152 Dr. K. G. Zimmermann, Die Cholera-Epidemie in Hamburg während des Herbstes 1831. Historisch nach ihrer Entwickelung und Verbreitung so wie in ihrem pathologischen und therapeutischen Verhalten, Hamburg 1831, S. 29f. 153 Vgl.: Friedrich Schnurrer, GeographischeNosologie oder die Lehre von den Veränderungen der Krankheiten in den verschiedenen Gegenden der Erde, in Verbindung mit physischer Geographie und Naturgeschichte des Menschen, Stuttgart 1814; Dr. Friedrich Schnurrer, Chronik der Seuchen. In Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgängen in der physischen Welt und in der Geschichte der Menschen, 2 Bde., Tübingen 1823/25; ders., Die Cholera morbus, ihre Verbreitung, ihre Zufälle, die versuchten Heilmethoden, ihre Eigentümlichkeiten und die im Großen dagegen anzuwendenden Mittel, Stuttgart und Tübingen 1831. Zu Schnurrer: Rainer Brömer, The first Global Map of the Distribution of Human Diseases: Friedrich Schnurrer's .Charte über die geographische Ausbreitung der Krankheiten', 1827, in: Medical Geography in Historical Perspective, ed. by Nicolaas A. Rupke, London 2000, S. 176-185. 154 Dr. J. F. C. Hecker, Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert. Nach den Quellen für Aerzte und Nichtaerzte bearbeitet, Berlin 1832, S. 15, 17.

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ren wie Friedrich Schnurrer oder Justus Friedrich Carl Hecker, Pioniere einer historischen Epidemiologie, waren die anerkannten Wortführer. Weniger bekannte Mediziner wie Dietrich Georg Kieser oder Karl Wilhelm Stark waren dem Diskurs gleichfalls zuzurechnen, auch ihr Schüler Heinrich Haeser 155 . Selbst Heroen wie Justus Christian von Loder, die ihren Zenit längst hinter sich hatten, versuchten in einem nichtssagenden, eher pflichtschuldigen Rundumschlag „das Zusammenwirken siderischer und tellurischer Ursachen, (zu welchen vielleicht noch ein electromagnetisches oder galvanisches Princip hinzukommen mag)", zu postulieren 156 . Der unaufhaltsame Einbruch der Cholera beförderte den Bruch mit wissenschaftlichen Leitmodellen. Jedoch fiel er Medizinern, selbst denen, die in romantischen Analogiebildungen eine gewisse Übung erlangt hatten, nicht leicht. Hier zeigt sich nochmals, wie sehr das Modell naturhafter Determinanten eine abgezwungene Verlegenheitslösung war. Die Not das offensichtliche Scheitern soziomorpher Erklärungs- und Abwehrversuche - gebot das Gegenteil. Die Umstände riefen nach natur-kausalen Mustern. Nur waren Mediziner in der Regel gar nicht in Fragen der Geognosie bewandert. Sie konnten dem Gebot der Stunde, das sie selbst ausgerufen hatten, nicht genügen. Dieses strukturelle Dilemma führte dazu, daß der Einfluß naturhafter, d.h. geologischer Faktoren zumeist nur behauptet, nur verbal proklamiert und selten ausführlich entwickelt werden konnte. Die medizinische Elite war in Verlegenheit. Es schlug die Stunde von Außenseitern. Sie waren, für eine gewisse Zeit, respektierte Wortführer. Respekt bedeutet nicht, daß Universitätsprofessoren, die nach wie vor versuchten, an vorderster Stelle für das Prestige des Standes einzustehen, solchen Emporkömmlingen Reverenz erwiesen. Nur stellte sich über die Öffentlichkeit, über Cholera-Zeitschriften und andere, noch publikumswirksamere Journale eine Statusumverteilung ein. Autoren, die medizinisch bisher nie sonderlich in Erscheinung getreten waren, genossen plötzlich Aufmerksamkeit, wenn nicht gar Reputation. Sie vermochten zu begründen, was traditionellen bzw. etablierten Medizinern nicht möglich war. Natürlich, das anerkannte Hierarchiegefüge verfiel nicht völlig. Nach wie vor galten bestimmte Verbindlichkeiten, d.h. die Vorgaben etwa von Schnurrers und Heckers historischer Epidemiologie. Eine Theorie, den Cholera-Ursprung aus vulkanischen Bewegungen zu belegen, d.h. die Wanderung der Cholera auf eine Wanderung vulkanischer Aktivität von Ost nach West ursächlich zurückzuführen, wurde zwar recht häufig referiert 157 . Sie verbuchte aber nur eine Art Sensationsbonus. Auf Skepsis stieß sie allein schon deshalb, weil als Autor ein mecklenburgischer Pfarrer erkennbar war - , definitiv ein Sonderling. Solche Außenseiter waren für kurze Zeit jedoch Speerspitzen in einer Periode wissenschaftlicher Verunsicherung. Sie wurden referiert, zitiert, diskutiert. Sie übernahmen eine kulturelle bzw. wissenschaftliche Last. Eine eigenartige Konstellation: Medizinische Autoritäten waren ratlos; das Kontagienmodell hatte sich vorerst erledigt. Der Schritt zur Alternative, zu

155 Vgl.: Wagner, Zur Geschichte der Epidemiologie im Vorfeld der naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagenforschung, S. 19ff., 81ff., 85ff.; Bleker, Die historische Pathologie, Nosologie und Epidemiologie im 19. Jahrhundert, S. 37f., 41ff. 156 J. Ch. v. Loder's Zusätze zu seiner Schrift über die Cholera-Krankheit, Königsberg 1831, S. 16. 157 J. L. Piper, Ideen über den Ursprung der Cholera aus vulkanischen Bewegungen. Mit einer Charte, Greifswald 1833.

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Miasmen, lag allein von daher auf der Hand. Das aber war nicht mehr als eine Negativausflucht. Wie sollte sie sich faktisch begründen? Wie war das sogenannte Miasmenmodell positiv zu legitimieren? Militärisch gesprochen: per Stoßtruppbildung. Verwegene Außenseiter wurden in die Rolle von Diskursstellvertretern gedrängt. Sie hatten das alte, inzwischen erledigte naturale Terrain neu zu erschließen, sie hatten sich hinauszuwagen in ein vermintes Gebiet, waren aber unverzichtbar, es neu zu erschließen und zu vermessen. Die anerkannten Autoritäten hielten sich vorsichtshalber zurück, blieben in Deckung. Sie warteten ab. Statt dessen etablierten sich Emporkömmlinge aller Art. Mit mehr oder weniger Erfolg piazierten sie sich im medizinisch-wissenschaftlichen Feld. Sie hatten nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Das Gesetz aller Umbrüche lautet, zuunterst wird zuoberst. Wie aus den Umwälzungen der Französischen Revolution schließlich ein namenloser Korse als Kaiser der Franzosen erstand, eröffneten auch die Cholerawirren Raum für alle und jeden. „Frisch gewagt und halb gewonnen" war die Devise für all die, die an den Rändern bisheriger Diskurse spärlich ihr Sein fristeten. Deshalb avancierte ein praktischer Arzt wie Dr. Ernst Nolte aus Hannover zur kurzzeitigen, und nicht nur kurzzeitigen, Berühmtheit. Die Not rief nach antikontagionistischen Modellen. Etablierte Wissenschaftsgrößen, je anerkannter, desto näher der bisher staatlich herrschenden Kontagionsdoktrin, konnten nicht umstandslos umschwenken. Sie gaben allenfalls nach, übten sich in rhetorischen Konzessionen, leisteten verbale Zugeständnisse. Ein Neuling wie Nolte hingegen begab sich in die vorderste Linie. Seine an sich unbedeutende Schrift - es wäre auch eine Reihe anderer zu nennen - kam dem neuen naturhaften Bedarf entgegen. Er behandelte ausführlich, warum die Cholera tellurischen Umwälzungen geschuldet sei. Grundthese war, daß kosmische, hauptsächlich jedoch tellurisch-atmosphärische Kräfte in bezug auf Natur- und Menschenleben eine höchst wichtige Rolle spielen. Die Begründung war ein Gemisch aus nachvollziehbarer Empirie und ungebundener Spekulation. Erstere deckte, suggestiv aufgeladen, die Defizite der letzteren. Der Verweis auf die lange Kette von katastrophalen Umwälzungen, die sich insbesondere seit dem Erscheinen des Kometen von 1811 ergeben hätte, sprach nachvollziehbar das Alltagsempfinden vieler Menschen an. Mißernten, Überschwemmungen, Sturmfluten, gesteigerte Vulkan- und Erdbebenaktivität in ganz Europa hätten sich gehäuft. Wer konnte dem widersprechen? Schließlich sind Krisen- und Katastrophenerfahrung immer und überall unhintergehbare kulturelle Normalität. War der mentale Pakt geschlossen, konnten nachgereichte Hypothesen für die Phänomene nur einleuchten, auch wenn sie vage blieben. Nolte machte keinen Hehl aus der ihm entstandenen Verlegenheit. Mit der einleitenden Rückversicherung, bei all den die Cholera auslösenden Prozessen keine Genauigkeit erzielen zu können, da es sich bei Kosmos, Atmosphäre und Erde nicht um tote Mechanismen, sondern lebendige Organismen handle, konnte er Hypothesen und Spekulationen freien Lauf gewähren. Ihm genügte eine emotional aufgeladene Indizienkette naturhaften Katastrophenwachstums, ausgegangen vom Komet des Jahrs 1811 und gipfelnd in der Cholera von 1831. Das verlieh seiner Konklusio, wie fragil und hypothetisch sie auch sein mochte, einen starken Grund: So ist wohl im Allgemeinen mehr als zu wahrscheinlich anzunehmen, daß gewisse, in Dunkel gehüllte atmosphärische Beziehungen und Einflüsse es seyn möchten, die hier zunächst zu

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berücksichtigen sind, um die äußern ursächlichen Momente dieses großen, merkwürdigen, zugleich aber auch verderblichen Ereignisses der Zeit möglichst zu erspähen zu suchen, und dieserhalb liegt dieser Gegenstand, als auf Natur- und Menschenleben höchst einflußreich, ganz besonders im Kreise meiner vorangegangenen Darstellung der merkwürdig tellurischatmosphärischen Phänomene des Eigenlebens unserer Erde, wobei indes gewisse kosmische Relationen nicht ganz ausgeschlossen und unberücksichtigt bleiben möchten.158 Damit war viel gemutmaßt und wenig gesagt. Nolte erlangte dennoch gewissen Ruhm. Nicht wenige der anerkannten Autoritäten griffen auf ihn zurück, wenn sie ihrerseits eine naturhafte Seuchenverbreitung zu belegen versuchten. Das hieß, eine Hypothesenkette lediglich diskursiv fortzuschreiben. Es hatte jedoch den Effekt, die Hypothese, derart perpetuierlich legitimiert, in den Rang eines Theorems zu rücken. Plausibler ließ sich die Cholera auf Elektrizität zurückführen. Auch Nolte spielte auf dieser Klaviatur. Ein bereits etablierter, mittlerweile schon vergessener romantischer Diskurs lebte neu auf. Elektrizität war eine der wichtigsten naturphilosophischen Kategorien der Romantik gewesen. Aufklärungserrungenschaften waren in sie eingegangen. In der Romantik erlangte sie aber eine Schlüsselrolle. Die neue Generation formierte sich um einen neuen Topos. Elektrizität ist das Paradebeispiel der Konstruktion eines wissenschaftlichen Gegenstands aus Gründen, die nicht allein in Wissenschaftsdynamik selbst zu suchen sind. Es sei denn - und die Position wäre zu bestärken - , man schließt solche gruppendynamischen Faktoren in Wissenschaftsdynamik ein und betrachtet sie gar nicht erst als Äußerlichkeit. Eine neue Gruppe romantischer Naturphilosophen etablierte ein neues theoretisches Paradigma. Das war einer der Gründe für die Karriere der Elektrizität um 1800. Hinzu kam, daß das empirisch nach wie vor unzureichend erschlossene Naturphänomen vielfältige Optionen eröffnete. Romantische Organismuskonzepte ließen sich in dem Rahmen ebensosehr entfalten wie religiös geleitete Mikro-Makrokosmosvorstellungen oder sexuell konnotierte Diskurse über universelle Duplizität und Anziehung. Elektrizität, das neu entdeckte vierte bzw. fünfte Element, rückte in den Rang einer Universalie. Sie versprach, all die naturhaften Rätsel zu lösen, die bisher nicht gelöst werden konnten. Erfolge empirischer Experimentalwissenschaft hatten dazu nur beigetragen: Entdeckung atmosphärischer Elektrizität (Le Monier, Beccaria), tierischer Elektrizität (Galvani), der Kontaktelektrizität (Volta). Der Prestige-Niedergang romantischer Naturphilosophie in den zwanziger Jahren hatte zwar den Kult um Elektrizität abklingen lassen. Aber mit dem Bedarf an naturhaften Deutungen der Cholera erlebte er im medizinischen Diskurs um 1830 eine zweite Blütezeit. Auch hier taten sich, ähnlich wie in der Tellurismus-Debatte, Autoren hervor, die nicht der Elite der Universitätsprofessoren angehörten, sondern eher dem Rand des Spektrums zugerechnet werden mußten. Einer der Autoren, dessen Werk es zu gewisser Bekanntheit brachte, war der Militärarzt Dr. Paul Ernst Streicher aus Magdeburg. Pars pro toto soll es hier für ähnliche stehen. Ausführlich entwickelte Streicher ein Elektrizitätsmodell, um den Ursprüngen der Cholera auf den Grund zu kommen. Ein rhetorisches „Muß" war übrigens, sich in einem Rundumschlag gegen bisherige Erklärungsansätze zu verwahren: Lächerlichster Scharlatanismus, überlebtester Obskurantismus und gröbster Empirismus hätten in der

158 Nolte, Die großen und merkwürdigen kosmisch-tellurischen Erscheinungen im Luftkreise unserer Erde, S. 86.

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Regel bisherigen Untersuchungen Pate gestanden. Durch diese Polemik war Boden für einen eigenen Ansatz bereitet. Dessen Radikalität wurde aber - Anschmiegsamkeit an dominierende Diskursmuster - vorsorglich herabgestimmt. Das Elektrizitätsmodell wäre universell gültig. Es würde die meisten Rätsel auch der Cholera lösen. Bei aller Radikalität fege es jedoch bisherige Diskursmuster nicht hinweg. Es untermauere sie nur: „Uebrigens glaube ich die Solidar-, wie Humoralpathologen, die Contagionisten wie Miasmatiker zu befriedigen"159. Ausgangspunkt war die nicht minder konzessionsreiche holistische These des Verwobenseins siderischer, atmosphärischer und tellurischer Faktoren im Modus der Elektrizität. All das wirke auf die Konstitution von Menschen, auf ihre Körperelektrizität. Störungen im Großen würden das elektrische Körpergleichgewicht der Menschen beeinträchtigen. Sei das von anhaltender Dauer und im großen Maßstab der Fall, komme es zur Cholera. Direkte Ursache wäre eine Übersäuerung, d.h. ein zu hoher Sauerstoffgehalt des Bluts. Sie rühre von einer Verschiebung der atmosphärischen Elektrizität her. Schon in der Atmosphäre habe sich ein Mangel an Luftelektrizität ergeben. Folge sei die Maximierung von Sauerstoff und die Minimierung von Stickstoff. Wäre das auf Erdumwälzungen zurückzuführen? Streicher verneint eine solche Kausalität. Das tellurische Diktum verwechsle Ursachen mit Wirkungen. Geänderte Erdelektrizität war nämlich nicht Grund der Cholera. Sie sei Folge siderischer Einflüsse. Der Elektrohaushalt der Erde sei variierend, Wasser etwa binde bzw. verschlucke Elektrizität. Im Krisenfall würde das sich steigern. Das rühre aber nicht genuin aus irdischen Revolutionen her. Die Ursache der Cholera sei im Siderischen zu suchen. Mond, Planeten und Kometen ziehen die atmosphärische bzw. Erdelektrizität ab. Die Sonne hingegen übt keine Zugwirkung aus, sondern Druck. Sie drängt Elektrizität von der Erde ab. Beides sei gleichermaßen verderblich. Selbst Sozialphänomene waren in das Modell integrierbar. In Städten seien Sterblichkeitsraten höher, da hier die elektrischen Ressourcen der Atmosphäre durch hohen Verbrauch besonders knapp seien. Auch war erklärbar, warum nur bestimmte Individuen von der Cholera befallen würden. Es seien die, die berufshalber, durch soziale Not oder durch Absehen von gesunder Lebensweise an Elektrizitätsarmut litten. An sich klang all das plausibel. Die „zauberhafte Electricität", die somit von Streicher zu einem kosmischen Universalprinzip erhoben wurde160, schien auch das mysteriöse Kommen der Cholera zu erklären. Handelte es sich dabei aber nicht, so ließe sich kritisch fragen, um ein semantisches double? Wurde nicht ein Mysterium durch ein anderes ersetzt? Genau das war mit Elektromodellen der Cholera bis in die achtziger Jahre immer wieder der Fall161.

159 Dr. Paul Ernst Streicher, Die Entlarvung der orientalischen Cholera. Eine auf Theorie und Erfahrung gegründete Systematik, Magdeburg 1832, S. 4. 160 Streicher, Die Entlarvung der orientalischen Cholera, S. 85. 161 Vgl. u.a.: Dr. Marquard Wintrich, Die Cholera, beobachtet in der Neuzeit in Berlin, Leipzig und nordwärts. Nebst einem Anhang über galvanische Bäder in der Epidemie, Augsburg 1850; Pruner-Bey, Die Weltseuche Cholera; Dr. Caspar Friedrich Fuchs, Die epidemischen Krankheiten in Europa in ihrem Zusammenhange mit den Erscheinungen des Erdmagnetismus [...], Weimar 1860; W. Schrattholz, „Choleracontra" ein neuentdecktes, einfaches Hausmittel zur

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Und nicht nur mit diesem Elektromodell, sondern mit allen naturalen Konzepten, die nach dem Kommen der Cholera so sichtlich Konjunktur gewannen - siderische, tellurische usw. Einerseits entzogen sie in nachträglicher Kapitulation Seuchen dem menschlichen Zugriff. Andererseits, und das war ein weiterer Entlastungsschritt, der den ersten verschleierte, dienten sie einer niveauvollen Mystifikation. Natur war ein rettendes Mysterium, ein Amalgam aus Unerklärbarkeiten mit numinosem Charakter, nicht minder zauberhaft als Streichers Elektrizität. Konnte die Cholera schon nicht erklärt werden, erklärte Wissenschaft zumindest, warum das so zu sein hatte.

c) Dämonie der Luft Der „Ewige Jude" war ein um 1830 verbreiteter literarischer Topos. Wiedergängerisch, dämonisch, in neuer Gestalt immer wiederkehrend, verkörperte er vor allem die Bedrohungen einer sich allmählich entfaltenden Moderne. In Eugène Sues schon erwähntem Erfolgsroman „Der ewige Jude" brachte er sogar die Cholera nach Europa. Auch die Geschichte des Miasmenkonzepts, das in den 30er Jahren in Verbindung mit der Cholera eine neue Blüte erlebte, ist die Geschichte eines solchen Wiedergängertums. In stets neuer Gestalt war dieses Konzept in Europa seit der Antike immer wiedergekehrt, hatte Säkularisierung bzw. scheinbare Säkularisierung erfahren. Etwas Dämonisches mußte ihm jedoch nach wie vor innewohnen. Warum etwa zur Cholerazeit die Empfehlung, Wohnungen luftdicht abzuschließen und sich so vor bedrohlichen Lüften zu verbarrikadieren?162 Warum die Annahme einer vergifteten Luft, die, so ein weitsichtiger Autor schon 1709, nichts mehr als eine „altvettelsche Fabel" war?163 Warum schließlich eine Reihe scheinbar absurder Abwehrvorschläge gegen die Cholera, die von individueller Verpanzerung bis zu schützenden und reinigenden großflächigen Feuern reichte, d.h. dem Anzünden ganzer Landstriche, was ironische Vorhaltungen auf den Plan rief, man wollte damit nur böse Geister und Dämonen vertreiben?164 Hypothesen einer Ansteckung durch Luft hatten eine lange Geschichte. Man kann von einem medizinischen Meta-Paradigma sprechen, das sich bis auf orientalische Hochkulturen zurückführen läßt. Luft bzw. Atmosphäre, so hieß es daran anschließend in der antiken Katastasis-Traàiûon Hippokrates' oder Galens, wären die Medien, mit denen Epidemien kämen. Sie trügen die pestilenzartigen Ausdünstungen, die Miasmen, die Mensch und Tier

radicalen und sichern Heilung der Cholera-Morbus [...], Bonn 1855; L. Mann, Die Entstehung der Epidemien, besonders der Pest und Cholera, Berlin 1883. 162 Vgl.: [Anonym], Entdeckung und Beleuchtung des bisher unbekannt gebliebenen Wesens und eigentlichen Sitzes der Cholera Morbus, S. 18. 163 [Anonym], Vorschlag/Eines unfehlbaren und handgreifflich/Richtigen Mittels/Der befürchteten und einreissenden CONTAGION [...] zu begegnen, Leipzig 1709, S. A 2. 164 Vgl.: S-nn, Ueber die asiatische Cholera, ein Programm, Berlin 1832, S. 63; Sentimer, Die Cholera heilbar!, S. 13; Dr. J. A. Pitschaft, Noch einige rhapsodische Bemerkungen über Cholera, in: Wöchentliche Beiträge zur Medicinischen und Chirurgischen Klinik, 1 (1832), Nr. 1, 5. Dezember 1832, Sp. 7f„ hier: Sp. 8.

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bedrohen165. Insbesondere in seiner Schrift „Ueber Luft, Wasser und Oertlichkeit", aber auch in der ihm zugeschriebenen Schrift „Die Winde" hatte Hippokrates das aeristische Paradigma begründet, die epidemische Konstitution wäre durch lokale klimatisch-geographische Konstituenten bestimmt. Luft bzw. Atmosphäre nahmen dabei einen bestimmenden Rang ein. Sie hätte gravierenden Einfluß auf das geo-klimatische Milieu einerseits und die psychisch-physische Befindlichkeit von Individuen andererseits: Dass alle Lebewesen an der Luft eine starke Anteilnahme haben, ist gesagt worden, demnächst ist sofort zu bemerken, dass die Krankheiten insbesondere unmöglich irgendwo anders herrühren können als daher, dass das Pneuma bald in reichlicherer, bald in geringerer Menge bald in dichtgedrängter Masse, bald durch Krankheit verursachende Miasmen verunreinigt in den Körper gelangt. [...] Wenn also die Luft durch solche Miasmen, welche der menschlichen Natur feindlich sind, verunreinigt ist, dann werden die Menschen krank, wenn aber die Luft für irgend eine andere Gattung von Lebewesen ungeeignet wird, dann erkranken jene. [...] Es zeigt sich also, dass die Winde an allen Krankheiten in erster Linie beteiligt sind. 166

Das läßt das kausal-deterministische Herangehen erkennen, das die ionische Naturphilosophie jener Zeit insgesamt auszeichnete; nach Anaximenes war Luft der universale Urstoff; Anaxagoras erweiterte das Konzept zu dem des alles umfassenden Äthers. Bei der Suche nach Anfängen solchen Kausaldenkens darf jedoch nicht vernachlässigt werden, daß die im Nachhinein in den Rang wissenschaftlicher Ursprungskonzepte erhobenen Modelle nach wie vor in magischen Prämissen verwurzelt waren. Die epidemische Konstitution eines Orts war säkularer Ausdruck eines dämonischen Genius loci; Miasmata und Effluvia waren verweltlichte Varianten dämonischer Winde, Dünste und Hauche. Noch der Name Miasma Befleckung bzw. Besudelung durch Sünde - trug dem Rechnung167. All das war kein medizinischer Mißgriff oder unstatthaftes Relikt. Das miasmatische Paradigma reiht sich ein in ein Gesamtkonzept von Medizin, das magisch-animistischen Annahmen nach wie vor verpflichtet war, sie jedoch in einem anderen kausalen Rahmen präzisierte168. In der griechischen Antike, auch in der hellenischen Welt war es geradezu ein Gemeinplatz, die meisten Übel für Menschen würden aus der Luft stammen. Geister, unsichtbare Gestalten oder Prinzipien, würden sich des luziden Mediums Luft bedienen, um Menschen zu plagen, zu schädigen oder mit Krankheiten zu strafen, konzeptualisiert etwa in Hesiods Mythos der Pandora. Das war keine originäre Annahme der europäischen Antike. Sie war

165 Karl-Heinz Leven, Miasma und Metadosis - antike Vorstellungen von Ansteckung, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 11 (1992), S. 43-73; Jacques Jouanna, Air, miasme et contagion à l'époque d' Hippocrate, in: Air, miasmes et contagion. Les épidémies dans l'Antiquité et au Moyen Âge, hrsg. ν. Sylvie Bazin-Tacchella/Évelyne Samama, Langres 2001, S. 11-28. 166 Hippokrates, Die Winde, in: Sämmtliche Werke, hrsg. v. Robert Fuchs, München 1895, S. 441-450, hier: S. 443f., 450; vgl.: Die Hippokratischen Epidemien. Theorie - Praxis Tradition, hrsg. ν. Gerhard Baader/Rolf Winau, Stuttgart 1989. 167 Vgl.: Robert Parker, Miasma. Pollution and purification in early Greek religion, Oxford 1983, S. 3ff. 168 Vgl.: Dr. F. G. Welcker, Einfluß der Luft und der Winde [bei den Alten], in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 23 (1832), S. 146-154; Lorenz, Antike Krankenbehandlung in historisch vergleichender Sicht.

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elementarer Bestandteil jüdischer, ägyptischer und anderer Kulturen. Der Luftraum war von bösen Dämonen bevölkert. Sie würden über Körperöffnungen, Mund, After, Auge oder Genitalien die Menschen befallen, sie dämonisieren. Das ging ohne große Umwandlungen in den Horizont des Christentums ein. Gestützt auf Paulus (Ep.2,2) war es ein Grundaxiom der sogenannten Kirchenväter, daß flüchtige, ungreifbare Geister, böse Dämonen, Teufel, Incubi, Succubi aller Art in der Luft ihr Wesen treiben: „dem Leibe nach luftartig", weil sie „in den Lüften [...] wohnen" (Augustin)169. Es bedurfte nicht einmal einer besonderen Verschleierung des antiken Erbteils. Geister, die derart synkretistisch aus antiken Religionen extrahiert ihr Unwesen trieben, waren - heidnisch-antike Geister! Die Dämonensucht und -furcht der Gnostiker und Neuplatoniker übertraf die der Kirchenväter, weitergeführt in Renaissance und Barock. Die Luft war, in christlicher Traditionslinie gesehen, ein definitiv unheimlicher Ort - , allerdings durchwirkt vom Walten einer göttlichen Gegenkraft, des Pneumas170. Wie Owsei Temkin betonte, unterlag dieses magische Konzept in der Antike einer ersten Säkularisierung171. Die naturalen Instanzen Erde bzw. Atmosphäre waren es, die verderbliche und krankheitsbringende Winde und Dünste erzeugten. Sümpfe, Moräste, faulige Gewässer galten als verantwortlich für Epidemien und Krankheiten. Vulkane stießen schädliche Lüfte aus, Erdbeben setzten schädigende Dünste frei, feuchte Landstriche würden für bestimmte Erkrankungen prädisponieren - eine Linie, die über das Mittelalter bis in die frühe Neuzeit reichte172. In Aufklärungszeiten erhielt dieses Modell neue Nahrung. Eine zweite Art der Säkularisierung setzte ein, der Problemgehalt jedoch potenzierte sich. Zu atmosphärischen Gefährdungen kamen nämlich sozial verursachte hinzu. Nach wie vor wirkten Besorgnisse vor atmosphärischer bzw. tellurischer Imprägnation. Ergänzt wurden sie durch neu begründete olfaktorische Sorgen vor städtischem Schmutz, vor gehäuftem Unrat, Fäkalien und Abfall, gesteigert durch die neu aufgekommene Apprehension vor unkontrollierbaren mephitischen Friedhofsausdünstungen173. Allmählich kam die atmosphä-

169 Vgl.: Aurelius Augustinus, Der Gottesstaat, hrsg. v. Carl Johann Perl, Paderborn, München, Wien 1979, Bd. 1,S. 527, 525. 170 Vgl.: Karl Markus Michel, Zwischen Himmel und Erde. Ein Geisterzug, in: Kursbuch, Nr. 96 (1989): Elemente II: Luft, S. 153-172; Franz Dünzl, Pneuma. Funktionen des Begriffs in frühchristlicher Literatur, Münster 2000. 171 Vgl.: Owsei Temkin, An Historical Analysis of the Concept of Infection (1953), in: ders., The Double Face of Janus and Other Essays in the History of Medicine, Baltimore, London 1977, S. 456-471. 172 Vgl. : Werfring, Der Ursprung der Pestilenz, S. 1 OOff. 173 Vgl.: Philippe Ariès, Geschichte des Todes (1978), München 1982, S. 603ff.; Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs (1982), Frankfurt/M. 1992, S. 35ff.; John McManners, Death and Enlightenment. Changing Attitudes to Death among Christians and Unbelievers in Eighteenth-century France, Oxford, New York 1985, S. 303ff.; Annick Le Guérer, Die Macht der Gerüche (1988), Stuttgart 1994, S. 135ff.; Barbara Happe, Gottesäcker gegen Mitnacht und freyer Durchzug der Winde. Hygiene auf dem Friedhof des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 7 (1988), S. 205-231; dies., Die Entwicklung der deutschen Friedhöfe von der Reformation bis 1870, Tübingen 1991, S. 17ff.; Johannes Wimmer, Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung. Fallstudien aus

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rische Verschmutzung durch Gewerbe hinzu174. Man kann umstandslos von einer aufklärerischen Phobie sprechen, einer aufgeklärten Luftangst. Bezeichnenderweise wurde 1764 der Name Windpocken geprägt. Diese Angst speiste sich nicht nur aus kausal-äußerlichen Bedingungen. Die derart mystifizierte Luft hatte die Last einer metonymischen Verschiebung zu tragen. Sie war Synonym des Bedrohlichen schlechthin, dem das aufgeklärte Subjekt von der Fußsohle bis zu den Haarspitzen unaufhörlich ausgesetzt war. Im Modus des Phlogistons avancierte die ungreifbare, unfaßliche Luft zum Projektionsraum aller Abgriinde der aufgeklärten Vernunft. Nur so erklären sich Klagen wie die von 1794: Die Luft auf Bergen sei schlecht, in Tälern ebenso, die Waldluft sei schlecht, Seeluft desgleichen, selbstverständlich auch die Moderluft bei Sümpfen und Flüssen, erst recht die Luft in menschlichen Ansiedlungen. Kurzum, überall sei sie verdorben. Wo nur ließe es sich ungefährdet atmen? Die Antwort war Ausdruck von Hypochondrie. Nur der Rückzug in die eigenen vier Wände und das weitgehende Abdichten von Türen und Fenstern gewähre Schutz: „Das Allgemeine ist und bleibt: Unsere Wohnungen sind Schutz und Bewahrung, so wie für stinkende neblichte Luft, so auch für jede rauhe, scharfe beklommen machende Luft und für jede schnell abwechselnde oder veränderliche Witterung"175. Zusammengefaßt: Das Element Luft, magisch-dämonisch aufgeladen, unterlag im Rahmen medizinischer Theorien seit der Antike mehrfachen Säkularisierungen bzw. Umbesetzungen. Das hippokratische Postulat determinierender Winde und die aufklärerische Option für Umwelthygiene waren zwei Stationen auf dem Weg. Auf ihm bestanden im Rahmen des Vorgangs, den ich „doppelte Buchführung" nennen möchte, rationale und magische Gehalte parallel zueinander. Beide bestärkten die Luftangst. Luft war, selbst in modernem Kausalgewand, ein dämonischer Wiedergänger, dem alle möglichen bedrohlichen Übel angelastet

den habsburgischen Erbländern, Wien, Köln 1991, S. 169ff.; Peter Payer, Der Gestank von Wien. Über Kanalgase, Totendünste und andere üble Geruchskulissen, Wien 1997. 174 Vgl.: Ilja Mieck, ,Aerem corrumpere non licet". Luftverunreinigung und Immissionsschutz in Preußen bis zur Gewerbeordnung 1869, in: Technikgeschichte, 34 (1967), S. 36-78; ders., Luftverunreinigung und Immissionsschutz in Frankreich und Preußen zur Zeit der frühen Industrialisierung, in: Technikgeschichte, 48 (1981), S. 239-251; Michael Stolberg, Ein Recht auf saubere Luft? Umweltkonflikte am Beginn des Industriezeitalters, Erlangen 1994; ders., Gewerblichindustrielle Luftverschmutzung und Stadthygiene im 19. Jahrhundert, in: Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen GesundheitsVerhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), hrsg. v. Jörg Vögele/Wolfgang Woelk, Berlin 2000, S. 275-290. 175 Gottfried Albert Kohlreif, Abhandlung von der Beschaffenheit und dem Einfluß der Luft, sowohl der freyen atmosphärischen Luft als auch der Stubenluft auf Leben und Gesundheit der Menschen, Weißenfels und Leipzig 1794, S. 122f., vgl. auch S. 38ff„ 127. Vgl. auch: Dr. Johann Friedrich Zückert's Abhandlung von der Luft und Witterung und der davon ausgehenden Gesundheit des Menschen, Berlin 1770, S. 80, 201 f. Übergreifend: Cornelius Steckner, Über die Luftangst. Chemische Anmerkungen zum Tod, in: Wie die Alten den Tod gebildet. Wandlungen der Sepulkralkultur 1750-1850, hrsg. v. Hans-Kurt Boehlke, Mainz 1979, S. 147-150, hier: S. 148 f.

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werden konnten. Von daher die apodiktische Prämisse, mit der ein Mediziner 1831 seine Choleraabhandlung einleitete: Werfen wir einen Blick auf die große Reihe von Naturerscheinungen, die das laufende Jahr auszeichnen, so läßt sich daraus mit Gewißheit auf bedeutende Veränderungen unseres Luftkreises schließen, deren Wechselwirkung nothwendig Krankheits-Erscheinungen hervorbringen mußten, die aus der Reihe der gewöhnlichen heraustraten.176 Folge sei das Auftreten schädlicher Miasmen. Sie würden in Luft, durch Luft, über Luft die Cholera bringen. Was genau aber waren jene verderblichen Miasmen? Im Grunde war das Miasmenkonzept auch um 1830 äußerst diffus. Es stand für Unbekanntes, Un verfügbares, war Chiffre für Unverständliches, war okkulte tota substantia, die, von Galen für all das eingeführt, was medizinisch-wissenschaftlich unerklärbar blieb, in der Renaissance eine neue Karriere erfahren hatte177. Miasma war ein metaphorisch-semantisches Konstrukt, das sich vor allem durch eines auszeichnete: Unschärfe. Das war kein Unglücksfall. Es war der eminente Vorzug dieses Konzepts, den es vor dem entgegengesetzten Kontagionsmodell aufwies. Denn was genau waren Miasmen? Amorphe Partikel oder Relationen der Luft, der Winde bzw. der Atmosphäre? Wind, Luft oder gar Wasserdampf, stoffliches oder animalisches Implement oder von allem etwas? Zumindest waren sie genau das Gegenteil von klar zu definierenden Partikeln, Gasen oder Relationen: Wir kennen die Miasmen also von Angesicht zu Angesicht gar nicht, und nur durch ihre Wirkungen erfahren wir ihr Vorhandenseyn. So können wir denn nur indirekt auf ihre Natur schließen, und nur mit einiger Wahrscheinlichkeit sie einer Körperreihe zuweisen, deren Beschaffenheit annähernd erforscht ist. Es ist demnach aus mannigfachen Ursachen anzunehmen, daß die Miasmen, ungeachtet ihrer atmosphärischen Vertheilungen, nicht zu den wirklichen Gasarten gehören, sondern wahrscheinlich den ätherisch-öligen Körpern zuzuzählen sind. Nicht aber sind sie den wirklich ausgebildeten ätherischen Oelen gleich. So mäandert der Artikel weiter. Teils Öl, teils Fett, teils Säure, teils animalische Substanz, teils organisch synthetisiert, teils mechanisch nur vermengt. Nichts könne aus dem Bereich des Möglichen ausgeschlossen werden: Ob diese Substanzen in Gemeinschaft das miasmatische Gift bilden, oder ob dies nur einzelnen derselben angehört, ist unbekannt. Wahrscheinlich aber ist es, daß es wenigstens einige, wenn auch nicht unbedingt, zu seiner Zusammensetzung gehörend, zur Verbreitung oder zur Auflöslichkeit erforderlich sind.178 Alles und Nichts: Miasma war eine Imponderabilie, ein leeres Signifikat, mit beliebigen, frei flottierenden Semantiken zu beleben. Es war universale Projektionsfläche. Daraus bezogen Miasmen ihre anhaltende Attraktivität. Sie hatten mit Luft, Wind, Atmosphäre zu tun,

176 Dr. Heilbronn, Mittheilungen über die Cholera-Epidemie in Berlin, Minden 1831, S. 5. 177 Vgl.: Linda Deer Richardson, The Generation of Disease: Occult Causes and Diseases of the Total Substance, in: The Medical Renaissance of the Sixteenth Century, ed. by Andrew Wear/ Roger K. French/Ian M. Lonie, Cambridge 1985, S. 175-194. 178 F. L„ Ueber Miasmen und deren Zerstörung, in: Beilage zu Berlinische Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 189, 15. August 1831, [S. 6f.], hier: [S. 6].

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mit Sonne, Mond und Sternen, mit Vulkanen und Erdbeben, mit Magnetismus und Elektrizität, mit Klima und Wetter, mit sumpfiger Fäulnis, mit städtischen Gerüchen und Ausdünstungen usw. Sie entsprangen einer nachträglichen Kapitulation, waren ein genial umfunktionierter Notbehelf, ein theoretisches non plus ultra, beliebig verfügbar, durch nichts zu ersetzen, weil sie alles ersetzen konnten. Das Miasma bildete eine medizinische Universalie ersten Ranges. Es konnte angemessen unpräzise erklären, was nicht erklärbar schien, vergleichbar dem analogen physikalischen Universalkonzepts eines Äthers. Docta ignorantia? Aufgeklärtes Narrentum? So mystisch die Miasmen und ihre Gefahr, so mystifiziert waren die empfohlenen Schutzmaßnahmen. Mediziner, promovierte Mediziner, profilierten sich während der Cholera als Wunderheiler. Die von ihnen angeratenen Schutzpflaster ließen sich zwar kausal begründen. Sie sollten den Säfte- bzw. Erregungshaushalt des Körpers stabilisieren. Dennoch wirkten sie unausgesprochen defixiv oder apotropäisch, Dämonen bannend oder abwendend, beispielsweise die homöopathischen amulettartigen Kupferplättchen Hahnemanns 119 . Zur Not schützten Lagen von Packpapier unter der Kleidung gegen Miasmen 180 . Im Haus helfe scharfer Bocksgestank, für unterwegs wären mitgeführte Fläschchen mit Essigwasser oder Kalkbeutelchen auf jeden Fall nützlich181. Hilfreich waren Gesichtsmasken, und zwar fleischfarben und nicht schwarz. Als Miniaturausführung reichten abgedichtete Schutzbrillen für die Augen. Mindestempfehlung war, beim Weg an die frische Luft das Schnupftuch vor Mund und Nase zu halten182. Ebenso nahe lag das Gebot, bei Krankenpflege oder in frischer Luft regelmäßig auszuspucken

179 Vgl.: Correspondenznachrichten und kurze Notizen, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 1, 26. August 1831, S. 7f., hier: S. 8; Scheible, Hahnemann und die Cholera, S. 87. Zum Gebrauch von Pflastern im 19. Jahrhundert und ihrer langen Vorgeschichte vgl.: Ulrike Zeber, Die Geschichte des Pflasters. Von der traditionellen Arzneiform zum Heftpflaster, Stuttgart 2001. Zur Geschichte von Amuletten in Renaissance bzw. Aufklärung: Wolf-Dieter Müller-Jahncke, Astrologisch-magische Theorie und Praxis in der Heilkunde der frühen Neuzeit, Stuttgart 1985, S. 51 ff.; Gaston Bachelard, Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes. Beiträge einer Psychoanalyse der objektiven Erkenntnis (1938), Frankfurt/M. 1987, S. 201ff. Als grundlegende systematische und historische Einführung: Liselotte Hansmann/Lenz Kriss-Rettenbeck, Amulett und Talisman. Erscheinungsform und Geschichte, München 1977. 180 Vgl.: J. F. Castelli, Wohlgemeinte Worte an Oesterreichs Landvolk über die jetzt allgemein herrschende Seuche Cholera morbus [...], Wien 1831, S. 13f. 181 Vgl.: Dr. Joseph Bernt, Ueber die Pestansteckung und deren Verhütung, Wien 1832, S. 80; [Anonym], Belehrung Uber die Kennzeichen der asiatischen Cholera (Cholera morbus), die dagegen anzuwendenden Vorbeugungsmittel und das vorläufige Heilverfahren [...], Wiesbaden 1831, S. 86f.; Nachricht über die Cholera, bekannt gemacht von dem Collegium Medikum des Königreichs Polen, hrsg. v. Dr. Sinogowitz, 2. Aufl. Danzig 1831, S. 17; Dr. Martin Wilhelm Plagge, Das Cholera-Fieber gewöhnlich epidemische oder asiatische Cholera auch CholeraMorbus genannt, Hannover 1833, S. 287. 182 Vgl.: Dr. Gutsmuths, Andeutung der Mittel, um sich vor der morgenländischen Brechruhr (Cholera orientalis) möglichst zu bewahren und ihre Verbreitung zu verhindern [...], Stendal 1831, S. 17; Dr. Kretschmar, Die asiatische Cholera in Europa, ihr Wesen und ihre Kur, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde, 16 (1831), S. 608-638, hier: S. 636, 634f.

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bzw. sich recht oft zu schneuzen 183 . Günstiger freilich wäre, beim Kontakt mit Kranken den Atem ganz anzuhalten oder bei Patientenbesuchen die Mundhöhle voll Öl zu nehmen, die Nasenflügel damit zu benetzen und die Ohren mit ölgetränkten Baum wollpfropfen zu verstopfen 184 . Der Haarpflege galt besondere Aufmerksamkeit. Das Haar kurz zu halten, regelmäßig zu kämmen und zu waschen, war ein wichtiges Gebot beim Versuch, den Miasmen zu entgehen. Sei jedoch die Epidemie erst einmal ausgebrochen, wäre ein plötzliches Schneiden durchaus schädlich. Auch seien sie einzuölen, da das Miasmen die Angriffsfläche nehme 185 . Wie die Öffentlichkeit solche Empfehlungen aufnahm und die Überbietungsspirale weitertrieb, ist in der Einleitung bereits angeführt worden: Die besten Chancen hätten Glatzköpfe, das Lüften des Hutes zum Gruß sei polizeilicherseits zu verbieten usw. All das belegt eine überraschend starke Nähe von Volkskultur zur Gelehrtenkultur - und umgekehrt. Beide waren und sind gar nicht so stark voneinander zu trennen, wie die aufklärerische Wissenschaft und die ihr getreu folgende Wissenschaftsgeschichtsschreibung fingiert. Sie spielten ineinander, gaben sich gegenseitig den Ton vor. Wer letztendlich den Taktstock schwang, ist mitunter gar nicht leicht zu bestimmen. Individueller Schutz umfaßte nicht nur die magisch-zweckrationale Verpanzerung des Körpers. Miasmen könne man sich ganz gezielt entziehen. Relativ sicher wären, medizinischem Ratschlag zufolge, hauptsächlich Wohnungen oberer Stockwerke 186 . Nur konsequent war der Vorschlag, die Bevölkerung von Dörfern und Städten aus Tälern bzw. Niederungen nach höher gelegenen Regionen zu evakuieren 187 . In die Richtung planvoller Sozialpräven-

183 Vgl.: Bernt, Ueber die Pestansteckung und deren Verhütung, S. 80; [Anonym], Belehrung über die Kennzeichen der asiatischen Cholera, S. 21; [Anonym], Die sichersten Vorbauungsmittel gegen die Brech-Ruhr (Cholera). Ein Hülfsbüchlein für Jedermann, von einem praktischen Arzte, Elberfeld 1831, S. 18; Ansprache ans Publicum, zunächst über die epidemische Cholera vom Königl. Schleswig-Holsteinischen Sanitätscollegium zu Kiel, Kiel 1831, S. 6. 184 Vgl.: K. F. Burdach, Belehrung für Nichtärzte über die Verhütung der Cholera. Im Auftrage der Sanitätskommission zu Königsberg verfaßt, Königsberg 1831, S. 17; Wetzler, Meine wunderbare Heilung von beispielloser Hautschwäche und Geneigtheit zu Erkältungen, S. 176f. 185 Vgl.: Gutsmuths, Andeutung der Mittel, um sich vor der morgenländischen Brechruhr (Cholera orientalis) möglichst zu bewahren, S. 17; Belehrung über die Asiatische Cholera für Nichtärzte. Mit allerhöchstem Befehl in dem Königreich Sachsen bekannt gemacht, 3. Aufl. Dresden 1831, S. 12; [Anonym], Gründliche und faßliche Anweisung für den Bürger und Landmann zur Verhütung der Ansteckung durch die Cholera [...], Dresden 1831, S. 35f.; Ennemoser, Was ist die Cholera und wie kann man sich vor ihr sicher verwahren?, S. 39ff. 186 Dr. Carl Barrie's, Zusätze über die von mir herausgegebene Schrift „Winke über die Natur der Cholera morbus", nebst einem Anhange über die Erzeugung der Malaria (Miasma), Hamburg 1831, S. XXIII; [Dr. Franz Hermann Hegewisch], Vorläufige Nachricht von des Herrn Dr. Leviseur, Kreisphysicus im Regierungsbezirk Bromberg, glücklicher Methode gegen die Cholera. Angehängt ein Gutachten des Dr. Housselle über die Häusersperre, Kiel 1831, S. 16; Dr. Kaufmann, Ueber die indische Brechruhr in praktisch-therapeutischer Beziehung, Hamm 1831, S. 76f. 187 Vgl.: Dr. Moritz Hasper, Die epidemische Cholera oder die Brechruhr. Ein Vortrag gehalten in der naturforschenden Gesellschaft zu Leipzig am 14. December 1830, Leipzig 1831, S. 30f.;

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tion gingen auch Vorschläge, ganze Landstriche dem schädlichen miasmatischen Einfluß zu entziehen. Üblich waren Forderungen nach Drainage von Weilern, Tümpeln oder Sümpfen. Ob die Idee, einen drei Meilen langen Tunnel zu graben, um Gibraltar mit frischem Nordwind zu versorgen, bloßer Spott auf die medizinischen Wirren war, muß dahingestellt bleiben188. Friedhöfe nicht mit miasmenfangenden Pflanzen zu versehen, sondern freien Luftzug zu gewähren, schien schon praktikabler. Hügel um bedrohte Gegenden abzutragen und großdimensionale Blasebälge, Windräder bzw. Windmühlen zwecks besserer Luftzirkulation zu errichten, ermangelte gleichfalls nicht der Evidenz189. Der eigentliche Abwehrelan entfaltete sich jedoch bei Stuben- bzw. Straßenräucherung. Im Kleinen wie im Großen diente sie der Luftdesinfektion. Das war so zweckrational und magisch zugleich wie zu Zeiten der Antike, auf die sich diese Praxis in Europa zurückführen läßt. Die antike Räucherung im Krankheitsfall, das ist in der Forschung mittlerweile unumstritten, diente der Dämonenabwehr190. Rauchopfer waren Teil jeder kultischen Götterbeschwörung. Lustrativ dienten sie der weihevollen Feier, defixiv oder apotropäisch dazu, gefährliche Luftdämonen zu bannen bzw. abzuwehren. In der antiken Medizin wurden sie lediglich umfiguriert. Der Duft von Kräutern, Blumen, edlen Hölzern usw. reinigte die Luft von verderblichen Bestandteilen. Ambra, Myrrhe, Theriak oder Weihrauch halfen bei einer Vielzahl von Krankheiten191. Insbesondere bei Epidemien bewährten sich ihre Potenzen. So soll Hippokrates bei Epidemien Feuer auf öffentlichen Plätzen und Straßen empfohlen haben. Sie wären am ehesten geeignet, reinigend zu wirken, und die Krankheitsstoffe der Luft, die unsichtbaren Miasmen, abzuwehren bzw. zu neutralisieren. Der christliche Kultus adaptierte heidnische Praktiken. Das geschah anfangs eher widerwillig. Christliche Kulte sollten sich von heidnischen so weit wie möglich unterscheiden. Rauchopfer fanden in die christliche Liturgie erst im 5. Jahrhundert n. Ch. Eingang. Johannisfeuer, ursprünglich heidnische Sonnenwendfeuer, wurden nur allmählich in den Kreis

ders., Ueber die Natur und die Behandlung der Krankheiten der Tropenländer durch die medizinische Topographie jener Länder erläutert nebst der in den Tropenländern zur Verhütung derselben zu beobachtenden Diätetik, Bd. 1, Leipzig 1831, S. 304; Dr. Woldemar Nissen, Ueber die Cholera, nebst Vorschlägen zur Bekämpfung derselben, Altona 1831, S. 24. 188 Vgl.: Zeitungs-Glossen, in: Der Berlinische Zuschauer, Nr. 9, 3. März 1832, S. 72. 189 Vgl.: Dr. Fr. Dornblüth, Ursachen und Verbreitungsweisen der Cholera und Schutzmaaßregeln gegen dieselbe, Rostock 1860, S. 47f.; Dr. Anselm Martin, Die Mittel, die Luft bei epidemischen miasmatischen Krankheiten, insbesondere der Cholera, in ganzen Städten und bewohnten Räumen zu verbessern, München 1854, S. 8. Als Parodie: Johann von Plötz, Die Choleramanen, in: ders., Lustspiele, München 1835, S. 1-72, hier S. 43: „Es werden Windmühlen errichtet, um miasmatische Luftzüge abzuhalten, auch Räuberessig wird mit Feuerspritzen über die Dächer gegossen, und die Straßenlaternen und Pechpfannen werden Kräuteressig verdampfen". 190 Vgl.: Lorenz, Antike Krankenbehandlung, S. 246ff.; Herwarth Hom/Dietmar Kolle, Feuer und Rauch in der Seuchenbekämpfung. Teil I: Zur Geschichte der Luft- und Raumdesinfektion von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, Erfurt 1994, S. 20ff. (Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Bd. 23). 191 Vgl.: Dietlinde Goltz, Studien zur altorientalischen und griechischen Heilkunde. Therapie Arzneibereitung - Rezeptstruktur, Wiesbaden 1974, S. 231 ff. ; Hans Fischbach, Untersuchungen zur therapeutischen Räucherung in primitiver und archaischer Medizin, Med. Diss. Kiel 1981.

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christlicher Kulthandlungen integriert. Erst im 12. Jahrhundert erfolgte die Geburt des reinigenden Fegefeuers (Le Goff). Feuer bzw. Rauch entfalteten nunmehr im Rahmen des Christentums ihre vollen Qualitäten: kathartisch, apotropäisch, exorzistisch. In diesem Kontext riet 1348 das alsbald kanonisch gewordene Pestgutachten der Pariser Universität öffentliche Feuer aus Lorbeer, Weinreben oder grünem Holz gegen Miasmen anzulegen192. In dieser Form, Amalgam aus magisch-religiösem und zweckrationalem Handeln, wurden Räucherungen in den großen Pestepidemien des Mittelalters üblich. Sie schwanden mit der frühen Neuzeit in Westeuropa nicht. Noch bei der verheerenden Londoner Pest von 1665 kamen Räucherungen großflächig zum Einsatz193, gleichfalls 1709 in Danzig, 1720 in Marseille und 1771 in Moskau194, auch während des Typhus 1813/14 in Thüringen bzw. in der Oberlausitz oder bei der Cholera 1834/35 in Toulon195. In der Cholerazeit waren solche Feuer wie in Toulon mittlerweile extreme Ausnahme, ebenso das Abfeuern von Geschützen und Kanonen, das im Militärkapitel noch genauer behandelt wird. Die staatlichen Organe hielten in der Regel auf ihre Logik des Kontagionismus bzw. gaben solchen archaischen Praktiken keinen Raum mehr. Miasmatisch eingestellte Mediziner jedoch ließen nichts unversucht. Es kam zu einer atemberaubenden Kaskade von Abwehrempfehlungen. Deutsche Ärzte schlugen zum Beispiel riesige Feuer entlang der Karpaten vor, um Europa zu schützen, oder wenigstens - so ein Mitglied des Königlich Schleswig-Holsteinischen Sanitäts-Collegiums - das Anzünden von Steppen-, Heide- oder einzelnen Waldflächen196. Zweitens wurde die regional wirksame Entzündung von Bergbauhalden in Erwägung gezogen197. In die Richtung gingen auch Vorschläge der Cholera-Schutzkommission in Frei-

192 Vgl. den Abdruck in: Georg Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 1.1: Die Geschichte der Pest, Gießen 1908, S. 60-62. 193 Vgl.: Daniel Defoe, A Journal of the Plague Year (1722), hrsg. ν. Christiane Keim, Marburg 1987, S. 160; Walter George Bell, The Great Plague in London in 1665 (1924), London 1994, S. 236ff.; Stephen Porter, The Great Plague, Gloucestershire 1999, S. 51 ff.; Andrew Wear, Knowledge and Practice in English Medicine, 1550-1680, Cambridge 2000, S. 320ff. 194 Vgl.: [Anonym], Das Pestjahr 1709-10 in Preußen. Ein Gegenstück zum Cholerajahr, in: Altpreussische Monatsschrift, 21 (1884), S. 485-507, hier: S. 503; Le Guérer, Die Macht der Gerüche, S. 135. 195 Vgl.: Johann Franz Wenzel Krimer, Erinnerungen eines alten Lützower Jägers, in: ÄrzteMemoiren aus vier Jahrhunderten, hrsg. v. Erich Ebstein, Berlin 1923, S. 202-212, hier: S. 210; Carl Gottlob Kühn, Briefe über die Mittel, die atmosphärische Luft besonders bei allgemein verbreiteten ansteckenden Krankheiten zu reinigen, Leipzig 1813, S. 24; C. Hergt, Geschichte der beiden Cholera-Epidemien des südlichen Frankreichs in den Jahren 1834 und 1835, Coblenz 1838, S. 73. 196 Vgl.: Dr. Karl Preu, Was haben wir von der Cholera Morbus zu fürchten? Ein Versuch, die aufgeschreckten Völker zu beruhigen, Nürnberg 1831, S. 93f.; Dr. A. F. Lüders, Ueber die Cholera, in: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unparteiischen Correspondenten, Nr. 227, 20. November 1830, [S. 6f.]. 197 Vgl.: Dr. J. E. Hedenus, Notizen zur Topographie und gegenwärtigen epidemischen Constitution der Stadt Freiberg, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 38, 28. Dezember 1831, Sp. 213-218, hier: Sp. 215.

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berg/Sachsen, Innenstädte mit einer Reihe brennender Schwefelkieshaufen zu versehen 198 . Drittens wurden Feuer zwischen gefährlichen Sümpfen und Städten bzw. vor Hafenstädten auf bei Ebbe freigelegten Flächen angeraten199. Viertens gab es von seriöser Seite - etwa auch vom anerkannten Arzt und Medizinpolitiker Christoph Wilhelm Hufeland - Vorschläge, mit Feuern auf Straßen und Plätzen wenigstens einzelne Orte zu räuchern200. Fünftens schien es möglich, solche Feuer auf öffentlichen Plätzen für die individuelle Desinfektion, etwa nach Krankenbesuchen, zu nutzen201. Sechstens wurde häufig erklärt, daß solche Räucherungen nur für kleine Räumlichkeiten nutzbringend wären - , und das wurde dann auch in großem Maßstab praktiziert. So räucherte man mit Essig-, Salpeter-, Chlor-, Schwefel- und Kampherdämpfen ganze Gebäude und einzelne Zimmer, selbstredend auch die Quarantäneeinrichtungen oder Warensendungen und Briefpost 202 . Selbst das gezielte Rösten von Kaffeebohnen bzw. das Verbrennen von gemahlenem Kaffee wurde zu diesem Zweck vorgeschlagen 203 . Schließlich wurde angeraten, in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel Tabak zu rauchen. Unter anderem wurde debattiert, ob das Pfeiferauchen den Zigarren oder dem Schnupftabak vorzuziehen sei, welche Sorten anzuwenden seien usw.,

198 Vgl.: Prof. Dr. Breithaupt in Freiberg vom 10. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 14, 15. November 1831, S. 111; ders., Vorschlag zu einer Strassenräucherung gegen die Cholera, in: Cholera orientalis, II. Heft, Nr. 22(1831), S. 346f. 199 Vgl.: Plagge, Das Cholera-Fieber, S. 272f. 200 Vgl.: Dr. C. W. Hufeland, Atmosphärische Krankheiten und atmosphärische Ansteckung, Unterschied von Epidemie, Contagion und Infection. Ein Beitrag über die Contagiosität des gelben Fiebers, Berlin 1823, S. 45; Michael Mayer, Ist die Cholera epidemisch oder contagios? Ist die Quarantaine ein hinlänglicher Schutz?, Berlin 1831, S. 5ff.; Dr. B. Hofrichter, Einige Bemerkungen über die asiatische Cholera und besonders die Ursachen ihrer progressiven Verbreitung, in: Allgemeine Medizinische Zeitung mit Berücksichtigung des Neuesten und Interessantesten der allgemeinen Naturkunde, Nr. 53, 2. Juli 1831, Sp. 833-836, hier: Sp. 834; Dr. L. Grünberg, Versuch einer Theorie über das Wesen des Pestcontagiums und seine Behandlung nach elektrischchemischen Grundsätzen und eigenen Beobachtungen bearbeitet, St. Petersburg, Leipzig 1833, S. 106. 201 Vgl.: Dr. Johann Christian Gottfried Jörg, Diätetisch-medicinischer Rath für Nichtärzte, die ostindische Cholera betreffend, Leipzig 1831, S. 26. 202 Vgl.: Josef Lentner, Das Briefräuchern in Bayern bei Seuchengefahr, in: Archiv für Postgeschichte in Bayern, 11 (1961), S. 265-308; 12 (1962) S. 57-81; K. F. Meyer, Disinfected Mail. Historical Review and tentative listing of cachets, handstamp markings, way seals, water seals and manuscript certifications [...], Holton, Kansas 1962; Klaus Meyer, Die Desinfektion von Briefen. Ein Teil der Abwehrmaßnahmen gegen Seuchen, in: Beiträge zur Geschichte der Pharmazie, 40 (1988), S. 18-30. 203 Vgl.: Dr. Christian Konrad Weiß, Coffea arabica, nach seiner zerstörenden Wirkung auf animalische Dünste, als Schutzmittel gegen Contagion, Freiberg 1832; Carl Brockmüller, Worte zur Beruhigung und Belehrung an die Bewohner des Kreises Jülich, in Beziehung auf die Asiatische Cholera-Krankheit, Jülich 1832, S. 34.

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ganz abgesehen vom therapeutischen Gebrauch durch Tabakklistiere, Aufgüsse oder Infu204

sionen . Zusammengefaßt: Luft war das Medium der todbringenden Cholera. Das war das geradezu erdrückende Fazit der Mediziner, die miasmatisch ausgerichtet waren und deren Zahl nach den Mißschlägen bei Grenzkordons, Quarantäne und Häusersperren beständig wuchs. Für die überwiegende Mehrheit galt: Die Cholera ist ein undefinierbares Etwas aus der Luft und war mit Räucherungen abzuhalten: „das Unterhalten großer Feuer kann [...] die unteren Luftschichten am Erdboden von schlechten und decomponirten Luftarten [...] reinigen"205, oder, sakral noch unverhüllter: Das Feuer ist das reinigende Element, einigend Licht und Wärme, die beiden belebenden Principien, welche im Gegensatz zur Kälte und Finstemiss, zum Tode der Schöpfung, erhalten und erwärmen. So wurde von den ältesten Zeiten her das Feuer als ein Bild der Läuterung angesehen, ging in den Cultus der alten Völker Asiens und selbst Amerika's über, und wurde als ein Purgatorium auch in die christliche Religion aufgenommen. Selbst bei den schrecklichen Ausgeburten eines fanatischen Gottesdienstes, bei den Auto-da-fés hatte der Holzstoss diese Bedeutung. So wie wir nun in den vielen Gebräuchen der alten Welt einen bedeutsamen Sinn, lange uns verborgene Wahrheiten immer mehr erblicken, so ist auch der Feuerdienst der Parsen, die Sonnen-Anbetung der Incas, die Verbrennung der Leichname u.s.w. aus einer tiefen Naturanschauung hervorgegangen, gleichsam andeutend, dass das irdische wie das geistige Böse im Feuer seine vollkommene Vernichtung finde. Vorausgesetzt demnach, dass die schreckliche Weltseuche unserer Zeit in der Atmosphäre ihren Sitz habe, dass in ihr das tödtende Princip liegt, werden wir gewiss auch hier durch das allen andern feindlichste Element die kräftigste Reinigung hervorbringen.206

Reinigung - hier war unchiffriert das Stichwort gefallen, das für diesen ganzen Räucherungsdiskurs bezeichnend war. Er zielte auf Reinlichkeit und Reinheit. Sie sind als essentielle Gebote anzusehen, denen jede Kultur im Wechselspiel von Selbst- und Fremdbild bedarf. Sie umschließen weitaus mehr als den profanen Aspekt von Sauberkeit, von Körperpflege und soziale Hygiene. Reinheitsgebote sind sakral aufgeladen, selbst unter der Chiffre der Zweckrationalität. Sie folgen auf ihre Weise den jeweils veränderlichen Vorstellungen von „reinlich" und „unreinlich", die nach Mary Douglas' mittlerweile klassischen Studie „Reinheit und Gefährdung" (1966) zum Grundbestand jeder kulturellen Grammatik gehören. Ihre Sogkraft beziehen sie aus dem, was doppelte Buchführung zu leisten imstande ist: Magisches in kausale Kontexte zu betten und kausale in magische. Dafür bieten die aufklärerische Fassung des Phänomens Luft und die Maßnahmen zur Luftabwehr Exempel ersten Ranges. Luft hatte etwas von dem Faszinosum und Tremendum an sich, das unverfügbaren Mächten immer zu eigen ist. Magische und kausal-begründbare Bedrohung überschnitten sich. Magisch gesehen war Luft okkult, kausal gesehen ominös. Sie war ein unfaßbares Etwas, das eine unfaßbare Seuche brachte, mit reinigenden Mitteln

204 Vgl.: Martina Christine Enke, Über die Bedeutung des Tabaks in der europäischen Medizin vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 331ff. 205 Barrie's, Die Cholera morbus, S. 9, 32f. 206 Dr. M. Mayer, Ueber die Anwendung des Feuers gegen die Cholera, in: Medicinisches Conversationsblatt, Nr. 49, 8. Dezember 1832, Sp. 387-390, hier: Sp. 389.

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aber abzuwehren wäre. Mystifikationen wirkten noch in der Ära Max von Pettenkofers. Welcher Seite, okkult oder ominös, mag man wohl die Forderungen eines Münchener Universitätsprofessors zuschlagen, die er 1854 zur Abwehr der Cholera vorbrachte: Abtragen von Hügeln, von Wäldern oder großen Gebäuden, um frischen Luftzug zu gewähren; Installation von Windmühlen, Windrädern und Blasebälgen, um das zu beschleunigen; das Abfeuern von Kanonen, das Abbrennen von Wacholdersträuchern und Steinkohlehaufen207?!

d) Tabu: Sakrales Wasser Ein Phänomen verdeutlicht den dämonischen Status von Luft in den Cholera-Debatten auf besondere Weise: Wasser kam in fast ausschließlicher Weise nicht als Übertragungsmedium in Betracht. Luft wurde hingegen fast immer ins Spiel gebracht. Elektrizität, Magnetismus und tellurische Kräfte, oftmals miteinander verquickt, nahmen einen Zwischenrang ein oder beeinflußten die atmosphärische Luft. Wasser rangierte als Krankheitsträger an letzter Stelle. Es war die Naturkraft, die bis in die Ära Pettenkofers in auffälliger Weise bei der Cholera eine nur verschwindende Rolle spielte. Die Instanz, die nach heutigen Auffassungen fast ausschließlicherweise die Verbreitung der Cholerabakterien übernimmt, wurde damals fast durchgehend ausgeschlossen. Umgekehrt, Wasser diente, so ein Autor von 1786, eher dazu, Miasmen per „Anziehungskraft" an sich zu binden, ihre Bestandteile aufzusaugen und unschädlich zu machen208. Welche kulturelle Optik bewirkte, daß die Wissenschaftsoptik sich so sehr verengte? Welcher kulturelle Stellenwert war dem Wasser zu eigen? Sozialanthropologisch gesehen ist Wasser Grundbedingung von Kultur. Nutzpflanzenanbau, Bewässerung und Schutz vor Überschwemmungen sind unabdingbare Faktoren kultureller Evolution. Wachstum und Ernte, ebenso Verkehr und Handel hängen vom Wasser ab. Schließlich ist es auch unerschöpfliches Nahrungsmittelreservoir. Kurzum: Alle Kulturen sind Hydrokulturen. Wasser ist entscheidender Kultgegenstand. In Weltursprungswie Untergangsmythen spielt es im Sinn einer prima materia eine entscheidende Rolle, es bezeichnet heilige Grenzregionen, verbindet die Menschenwelt mit der der Toten bzw. der Götter. Taufe, Weihe, Reinigung und Waschung sind rituelle Akte, in denen seine Potenzen sich dem Körper und anderen Objekten übertragen209, - von daher bei drohenden Pest-

207

Vgl.: Martin, Die Mittel, die Luft bei epidemischen miasmatischen Krankheiten, insbesondere der Cholera, in ganzen Städten und bewohnten Räumen zu verbessern, S. 8f. 208 Zit. nach: Georges Vigarello, Wasser und Seife, Puder und Parfüm. Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter (1985), Frankfurt/M., New York 1992, S. 185. 209 Vgl.: Hartmut Böhme, Einleitung, in: Kulturgeschichte des Wassers, Frankfurt/M. 1988, S. 7-42, hier: S. 28ff.; Sibylle Selbmann, Mythos Wasser. Symbolik und Kulturgeschichte, Karlsruhe 1995; Simon Schama, Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination, München 1996, S. 269ff.; Meinolf Schuhmacher, Sündenschmutz und Herzensreinheit. Studien zur Metaphorik der Sünde in lateinischer und deutscher Literatur des Mittelalters, München 1996.

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epidemien, wie etwa 1566, der Rat, Häuser und Gemächer präventiv mit frischem Brunnenwasser zu besprengen 210 . In der Aufklärung scheinbar zweckrational reformuliert, bedeutete das: Kult um den reinlichen Körper und Badekult, Apotheose des Waschens und der Diätetik. Dieser Kult war nichts weniger als sakral aufgeladen. Ein Sprung in die Zeit der ersten Cholerawellen zeigt, wie selbst einer der bedeutendsten Religionskritiker des 19. Jahrhunderts eine Melange aus alter Sakral-Magie und neuem Sozial-Kultus vertrat: Ludwig Feuerbach. Er bündelte in seiner antichristlichen Programmschrift „Das Wesen des Christentums" von 1841 jene halbmagische, halb-kausale Apotheose des Wassers, die zu jener Zeit kulturelles Allgemeingut war und die nach wie vor den Blick auf das Wasser als ursächlichen Krankheitsträger für epidemische Krankheiten verstellte: Das Wasser hat in der Tat nicht nur physische, sondern ebendeswegen auch moralische und intellektuelle Wirkungen auf den Menschen. Das Wasser reinigt den Menschen nicht nur vom Schmutze des Leibes, sondern im Wasser fallen ihm auch die Schuppen von den Augen: Er sieht, er denkt klarer; er fühlt sich freier; das Wasser löscht die Glut unreiner Begierden. [...] Das Wasser gehört nicht nur in die Diätetik, sondern auch in die Pädagogik. Sich zu reinigen, sich zu baden ist selbst die erste, obwohl unterste Tugend. Im Schauer des Wassers erlischt die Brunst der Selbstsucht. Das Wasser ist das nächste und erste Mittel, sich mit der Natur zu befreunden. Das Wasserbad ist gleichsam ein chemischer Prozeß, in welchem sich unsre Ichheit auflöst. Der aus dem Wasser emportauchende Mensch ist ein neuer, wiedergeborner Mensch. [...] das Wasser ist der Stoff der natürlichen Gleichheit und Freiheit, der Spiegel des goldenen Zeitalters.211

Physisch, diätetisch, pädagogisch, moralisch, politisch - Wasser war ein positives Universalelement. Sollten darin die schädlichen Ansteckungsstoffe lauern, die beispielsweise auch Feuerbachs Bruder Friedrich 1832 an den Rand des Choleratodes brachten?! Die Prävalenz von Wasser als Positivelement war geradezu übermächtig. Daran zu rütteln war Tabu, war ein ressentimentgeladenes Denkverbot. Noch in der Milieu- bzw. Lokaltheorie von Epidemien, die Pettenkofer seit den dreißiger Jahren entwickelte und die bis zur Ära Kochs in Deutschland tonangebend war, wurde der Seuchenfaktor Trinkwasser völlig ausgeblendet. Dem vorherrschenden miasmatischen Paradigma folgend, lieferte Pettenkofer sogar, idée fixe, schlagende empirische Belege dafür. Seinen Experimenten zufolge hätte Trinkwasser bei den Münchener Choleraepidemien nicht die geringste Rolle gespielt. Er glaubte nicht an seine ursächliche Beteiligung. Wasser spielte allenfalls als Grundwasser eine Rolle. Das konzedierte Pettenkofer verstärkt seit den sechziger Jahren, als er seine Bodentheorie zu einer umfassenden Boden-Grundwassertheorie erweiterte. Es war das feuchte Medium, das die Erde wässere und den Boden nährte. Der war, als Größe Y, ursächlich verantwortlich für das Keimen des ursprünglichen Stoffes X, des aus menschlichem Kot stammenden Cholerakeims, der dann, beim Sinken des Grundwasserspiegels

210 Vgl.: Eine Erinnerung: was die Oberkeit zur Pestilentz zeit bestellen/und wie sich menniglich fur solcher grausamer Seuch presemirn/auch rechten grund der Ertzney curirn soll [...], zu nutz gestellt/Durch Mattheum Flaccum Cycneum, Wittenberg 1566 [unpaginiert, Kap. VIII], 211 Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums (1841), in: Gesammelte Werke, hrsg. v. Werner Schuffenhauer, Berlin 1967ff„ Bd. 5, S. 451 f.

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durch Verdunstung zum Miasma gewandelt, zu Z, die Menschen befällt 212 . Miasmen, ausdrücklich ein giftiger „Pesthauch", hätten die Cholera ausgelöst. Die schon damals in die Diskussion gebrachte These einer Verursachung durch Trinkwasser fegte Pettenkofer hinweg. Er versuchte, sie als neuerliche Auflage des Wahns zu geißeln, der bereits zu Zeiten des Mittelalters zur Jagd auf Brunnenvergifter geführt hätte213. Konsequent blieb er dieser Linie treu. Noch 1888 bestritt er jede ursächliche Beteiligung von Trinkwasser an der Choleraverbreitung und lehnte das Abkochen von Wasser demzufolge als völlig unnütz ab. 1891 hielt er die Einleitung gewisser Mengen ungeklärten Wassers in Flüsse mit einer bestimmten Fließgeschwindigkeit für unbedenklich, da es sich durch eine Art von Regeneration selbst reinige 214 . In den Prozessen um die durch Einspeisung ungeklärten Trinkwassers verursachte Gelsenkirchener Typhusepidemie von 1901 beriefen sich seine im Prozeß auftretenden Anhänger genau auf dieses Argument215. Zwar hatten staatliche bzw. städtische Organe seit Mitte des Jahrhunderts inzwischen das Augenmerk auf das Phänomen Wasser gelenkt und arbeiteten an umfassenden Kanalisationsmaßnahmen und Abwasserentsorgungssystemen216. Es gelang Pettenkofer jedoch, den Prozeß unter seine Deutungshoheit zu bringen

212 Vgl.: Michael Pfeifer, Übertragungsweisen bei den Choleraepidemien der vorbakteriellen Ära vor 1883 im Lichte neuer Erkenntnisse, Med. Diss. Düsseldorf 1980, S. 17f.; Karl Wieninger, Max von Pettenkofer, Das Leben eines Wohltäters, München 1987, S. 150ff.; Wolfgang Locher, Pettenkofer and Epidemiology. Erroneous Concepts - Beneficial Results, in: History of Epidemiology, ed. by Yosio Kawakita/Shizu Sakai/Yasuo Otsuka, Tokyo 1993, S. 93-120; Ellen Jahn, Die Cholera in Medizin und Pharmazie im Zeitalter des Hygienikers Max von Pettenkofer, Stuttgart 1994, S. 37ff.; Michael Stolberg, Theorie und Praxis der Cholerabekämpfung im 19. Jahrhundert. Deutschland und Italien im Vergleich, in: Das europäische Gesundheitssystem. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in historischer Perspektive, hrsg. v. Wolfgang U. Eckart/ Robert Jütte, Stuttgart 1994, S. 53-106, hier: S. 69ff. 213 Dr. Max Pettenkofer, Untersuchungen und Beobachtungen über die Verbreitungsart der Cholera, nebst Betrachtungen über Maßregeln derselben Einhalt zu thun, München 1855, S. 18, V; vgl. auch: ders., Beziehung der Luft zu Kleidung, Wohnung und Boden. Drei populäre Vorlesungen [...], Braunschweig 1872; Albert Jung, Ueber Pettenkofers Verdienste um die Untersuchung und Beurteilung der Luft, Med. Diss Würzburg 1921. 214 Vgl.: Max v. Pettenkofer, Der epidemiologische Teil des Berichtes über die Thätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Aegypten und Indien entsandten deutschen Commission, München und Leipzig 1888, S. 113; ders., Zur Selbstreinigung der Flüsse, in: Archiv für Hygiene, 12 (1891), S. 269-274; vgl. auch: ders., Choleraexplosionen und Trinkwasser, München 1894 (Münchener medicinische Abhandlungen, V. Reihe, 5. Heft). 215 Vgl.: Martin Weyer-von Schoultz, Die Gelsenkirchener Typhusepidemie und ihr gerichtliches Nachspiel, in: Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), hrsg. v. Jörg Vögele/Wolfgang Woelk, Berlin 2000, S. 317-335. 216 Vgl.: John von Simson, Kanalisation und Städtehygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983; Marianne Rodenstein, „Mehr Licht, mehr Luft". Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750, Frankfurt/M., New York 1988, S. 84ff.; Klaus Mönkemeyer, Sauberkeit, Schmutz und Körper. Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Sauberkeit zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg, Phil. Diss. Marburg 1988, S. 301ff.; Peter Münch, Stadthygiene im 19. und 20. Jahrhundert. Die Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallbeseitigung unter besonderer Berücksich-

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und ihn damit sogar voranzutreiben. Es gehe um das Beseitigen von Abwasser, damit sich keine lokalen Miasmen bilden. Wenn, selten genug, 1831/32 eine punktuelle Verbreitung über Wasser konstatiert wurde, ließ sich das ebenfalls mit dem Hinweis auf faulige, miasmenverseuchte Brunnen erklären. Kam es zur ahnungsvollen, an sich aber völlig gegen den wissenschaftlichen Mainstream gerichteten Vermutung, die Cholera verbreite sich qua Exkremente durch Flußläufe und anschließend durch Trinkwassei 217 , dann fuhren Miasmatiker jedoch alle Geschütze subtiler Argumentation auf: Um das Maas verrückter Ideen vollzumachen, hat man sogar das Contagion in den Flüssen und, daß sich die Krankheit von Fluß zu Fluß verbreite, angenommen. Nicht genug, daß man sich auf eine lächerliche Art bemühte, es darzuthun, was einen jeden Befangenen bis zu Thränen, nemlich Lachthränen, rühren mußte, nein man citirte selbst einmal als Gewährsmann für dieses übergelehrte Heureka den alten Lucretius.218 Aberwitz, Scharlatanerie, Verrücktheit - die Hypothesen einer Übertragung durch Wasser wurde gezielt zurückgewiesen. So erging es noch dem Briten John Snow, der sie 1849 bzw. 1855 unzweifelhaft empirisch nachgewiesen hatte219. Offenbar gab es keine Möglichkeit eines epistemischen Tabubruchs, keine Möglichkeit, an eine Übertragung von Keimen ausschließlich durch Wasser zu denken. Die Medizin war zwar gespalten in die Minderheit der Kontagionisten, die eine soziale Übertragung durch Menschen favorisierte, und in die Mehrheit der Miasmatiker. Seitens der letzteren stand fest, nur der ungebildete Pöbel neigte der Übertragung durch Wasser zu: „Das Volksgefühl erkannte [...] in den Gewässern die Leiter der Seuche" 220 . Unerleuchtet von den Segnungen der Aufklärung, würde er mit radikalem Hang zur Vereinfachung dem alten mittelalterlichen Wahn der Brunnen- und Wasserver-

217

218

219

220

tigung Münchens, Göttingen 1993; Ragnhild Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Berliner Beispiel, Berlin 1995, S. 214ff.; Michael Haverkamp, „... herrscht hier ab heute die Cholera." Lebensverhältnisse, Krankheit und Tod. Sozialhygienische Probleme der städtischen Daseinsvorsorge im 19. Jahrhundert am Beispiel der Stadt Osnabrück, Osnabrück 1996, S. 57ff., 196ff. ; Jürgen Büschenfeld, Flüsse und Kloaken. Umweltfragen im Zeitalter der Industrialisierung (1870-1918), Stuttgart 1997. Vgl.: Graf Franz v. Szápáry, Flugschrift eines Oekonomen über einige höchst bedeutende Ursachen der seit mehreren Jahren unter unsern Augen so sichtbar zunehmenden Krankheiten, vorzüglich der Fieber und der so gefürchteten Cholera, sammt Angebung der gewiß wohltätig dagegen wirksamen Mittel, Pesth 1831, S. 20f., 63; F. v. Suckow, Schutzmittel gegen die Cholerapest, in: Sundine, Nr. 41,13. Oktober 1831, S. 323-327, hier: S. 326. Dr. Ferdinand Robert, Cholerabuch oder das Buch über die ursprüngliche und fernere Entstehung, die Beschaffenheit, Heilung und Abwehrung der bengalischen Brechruhr oder Hindupest, Bd. 1, Gießen 1832, S. 106f. Vgl.: Howard-Jones, The scientific background of the International Sanitary Conferences, S. 17ff.; Christopher Hamlin, A Science of Impurity. Water Analysis in Nineteenth Century Britain, Bristol 1990; ders., Public Health and Social Justice in the Age of Chadwick. Britain, 1800-1854, Cambridge 1998. [Anonym], Der schwarze Tod, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 268, 9. November 1831, S. 1069f., hier: S. 1070.

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Die Wirren der Wissenschaft

giftung anhängen. Die aufgeklärte Medizin hegte jedoch ihre eigene eigenwillige Form des Traditionsbezugs. Luft erzeuge und übertrage die Cholera. Niemals das Wasser, stets die Luft. Deren Wirkungen waren so komplex, daß ein Verweis auf Wasser wie naive Simplifizierung anmutete. Das war der entscheidende Vorzug, den das Miasmenmodell in soziologischer Hinsicht aufwies: Aus ihm heraus entfaltete sich ein nachdrückliches medizinisches Status- und Kompetenzgebaren. Medizin produzierte aus der Verweigerung klarer Problemlösungen die statusmäßigen Voraussetzungen ihrer selbst. Sie bedurfte der Diffusität der Seuche, unterstellte gezielt hochkomplexe Kausalitäten, wo es, im Fall von Wasser, einfache gegeben hätte. Miasmen galten, wie zu sehen war, geradezu als Imponderabilie - ätherisch, ölig, fettig, Säure usw. Sie waren gestaltgewordenes Mysterium, unzähligen Einflüssen ausgesetzt und auf unzählige Weise selbst einflußreich. Medizin arbeitete an einer Determinationsmultiplikation. Nur so ist das demonstrative Verweigern in bezug auf Wasser gänzlich zu erklären. Es war eine Lösungssuspension. In taktischer Hinsicht gab es Konkurrenzkämpfe, die Cholera zu enträtseln. Aber im Ganzen und strategisch war Medizin davon getragen, Einfaches zu verkomplizieren. Das ließe sich nicht nur am Miasmenkonzept belegen, auch an einer diffizilen Pathologie, derzufolge Menschen beständig im Schnittpunkt von auslösenden, verursachenden, bedingenden äußeren oder inneren Vektoren ständen usw. Sie waren einer Multidiversität von Beeinträchtigungen ausgesetzt, weshalb sie niemals richtig gesund sein konnten. Es gehört zu den Kulturpathologien nicht nur der Moderne, daß sich Problemlösungsexperten qua Etablierung von Problemen statuieren. In toto: Mediziner bedurften des beständigen Rätsels Cholera, nicht seiner Lösung. Je gewaltiger das Problem, desto gewaltiger Prestige und Ressourcen, sich daran abzuarbeiten. Es ging sowohl um Anhäufung symbolischen Kapitals als auch um handfeste materiell-ökonomische Interessen.

Kunstgriffe der Aufklärung

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2.3. Kunstgriffe der Aufklärung Um das Bisherige zusammenzufassen: Nach dem Scheitern des „modernen", soziomorphen Kontagionskonzepts bei der Cholera von 1831/32 ging die Medizin nochmals und letztmalig auf „naturale", miasmatische Positionen über. Dabei trafen sich drei Tendenzen. Die Gewichtung ist nicht immer klar zu bestimmen. Gemeinsam war ihnen jedoch, auf die neue unerklärliche und unaufhaltsame Gefahr Cholera zu reagieren. Erstens war das miasmatische Paradigma die Basis einer Statusstabilisierung. Die Cholera war durch so vielfältige Faktoren bewirkt, daß eine monokausale Erklärung versagte, wie sie beispielsweise das simplifizierende Kontagionsmodell gab. Nur ausgewiesenem medizinischen Expertentum oblag es, das subtile Determinationsgefüge zu entschlüsseln. Die Cholera mußte so hochgradig komplex sein wie die Kunstfertigkeit der Mediziner, ihr auf die Spur zu kommen. Zweitens stellte sich das miasmatische Paradigma in die Tradition halb magischer, halb kausaler Theorie und Praxis. Gefahr der Luft und Abwehr bzw. Reinigung durch Feuer und Räucherung war ein Amalgam, dessen Wurzeln in die Anfänge des antiken Europa bzw. anderer Hochkulturen zurückreichten: Dämonie der Luft. Drittens schließlich war der Rekurs auf das „vormoderne" Miasmenmodell schlichtweg ein Rückzugsgefecht. Es war eine Entlastungsfigur, eine vorausschauende bzw. nachträgliche Kapitulation. Die Seuche war naturgegeben. Es sei vergebens, gegen sie anzurennen. Das war der Restbezirk medizinischer Selbstbehauptung. Letztlich erlebten Mediziner ein Desaster. In der Cholera erfuhren sie eine Niederlage auf der ganzen Linie. Medizin stand vor einem Scherbenhaufen. Ihre Potenzen hatten in Prävention, Ätiologie wie Therapie versagt. Was blieb, war die Retraite hinter das Miasmenkonzept und das Abwarten auf bessere Tage, vielleicht sogar auf das endgültige Abklingen der Seuche von selbst. Damit rechnete 1844 vorschnell ein Mediziner, der aus einer Periode einiger cholerafreier Jahre auf ein gänzliches Ende der Seuche in Europa Schloß. Die besondere Pointe bestand darin, dieses Ende in einen Triumph der Medizin umzumünzen: „Kunst und Erfahrung" der Ärzte sei es gelungen, die Seuche „Ort für Ort zu bewältigen und wieder aus Europa zu verdrängen"221. So optimistisch äußerten sich nur wenige. Aber das mußte nicht bedeuten, unumwunden eine Niederlage einzugestehen. Das vermeintliche Desaster konnte als Bedingung zukünftiger Siege figurieren. Es ließ sich positivieren. Die Cholera galt als Auslöser umfassender sozialhygienischer Maßnahmen. Sie revolutionierte das sozialhygienische Gefüge. Sauberkeit und Reinlichkeit wären ihre Folgen. Die Epidemie hätte, neben anderen nützlichen Effekten, die Individual- und Sozialhygiene entscheidend vorangetrieben. Als unabdingbare „Polizei der Natur" bzw. als „grosses Verbesserungsmittel" habe sie für hygienische Reformen gesorgt222: Die Geschichte der Epidemien ist nicht nur für die Krankheitslehre nützlich geworden, sondern sie hat auch als Material und Grundfeste der öffentlichen Gesundheitspflege gedient, sie

221 222

Dr. K. F. H. Marx, Ueber die Abnahme der Krankheiten durch die Zunahme der Civilisation, Göttingen 1844, S. 52. Dr. Pruner-Bey, Die Weltseuche Cholera oder die Polizei der Natur, Erlangen 1851, S. 113f.; Hegar, Vademecum für die Behandlung der asiatischen Cholera, S. VI.

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Die Wirren der Wissenschaft ist nicht blos für diese, sondern auch zur Reinigung der Wissenschaft von unnützen theoretischen Spitzfindigkeiten, einer größeren Aufmerksamkeit gewürdigt worden, und zwar besonders seit dem 16. und 17. Jahrhundert, wo ein reger Beobachtungsgeist jenes Haschen nach Spitzfindigkeit bekämpfte, und dies hat offenbar einen großartigen Geist in unserer Wissenschaft erweckt. 223

Öffentliche Gesundheitspflege und die Karriere der medizinischen Wissenschaft, eminente neuzeitliche Errungenschaften, verdankten sich den Seuchen. Die Cholera selbst hätte weitere heilsame Folgen gezeitigt. Sie habe die Organisation und Institutionalisierung des Medizinalwesens vorangetrieben, die Potenzen des ärztlichen Standes unterstrichen oder die Überlegenheit ärztlicher Hilfe gegenüber Laienkuren bewiesen. Überhaupt habe sie Gelegenheit gegeben, intensiver die vielfältigen Phänomene von Gesundheit und Krankheit zu studieren. Ex negativo wären medizinische Fortschritte erzielt worden, weil „fehlgeschlagene Versuche ebenfalls zur Ermittlung des Wahren gehören"224. Irrtumsakkumulation vorweggenommene Problemlösung - realisiertes Prinzip Hoffnung. Die Seuche wurde zum fortschreitenden Motor ihrer eigenen Eindämmung. Sie verwandelte das medizinische Desaster in einen potentiellen Sieg. Ursache und Wirkung tauschten dabei ihren Platz. Das Projekt Medizin, als Defensivsystem gegen Krankheiten und Seuchen entstanden, war in den Augen medizinischer Akteure das Offensivsystem, das gerade Krankheiten und Seuchen seine Karriere verdanke. Allein von daher seien Epidemien verdienstvoll. Was wie Sozial-Infantilismus aussieht, war statusbewußter Sozial-Egoismus in fortgeschrittener Form, der gerade darum, weil er so verbreitet war, Plausibilität für sich verbuchte. Dahinter stand nach wie vor der medizinische Anspruch, die Cholera zu entschlüsseln. Sie bringe die Mittel zu ihrer Erkenntnis und zum Sieg über sie allmählich, aber stetig, hervor: Per aspera ad astra. Diese Art der Positivierung war eine der neuzeitlichen Selbstbehauptungsstrategien der Medizin, aber nicht nur der Medizin. Die Umdeutung von Scheitern in kommenden Sieg war ein verbreitetes Diskursmuster, einer der folgenreichsten Kunstgriffe der Aufklärung (Starobinski). Entstanden war der Diskurs in Konkurrenz zu religiösen Weltdeutungen. Sein erster Ausdruck waren physiko-theologische Erklärungen von Natur, die besagten, Natur sei für den Menschen geschaffen. Die Cholera war jedoch kein göttliches Strafgericht mehr. Die christliche Religion befand sich in der Defensive, und im nächsten und übernächsten Kapitel wird gezeigt werden, wie staatliche Institutionen kirchliche Instanzen gezielt ausschalteten und die Cholera in ihr eigenes Hoheitsgebiet integrierten. Im Sog der Moderne des frühen 19. Jahrhunderts waren Seuchen nur noch ein soziales bzw. naturhaftes Desaster. Entsprechend modern mußte es bewältigt werden: In einer Belehrung für die wißbegierige Jugend hieß es nunmehr repräsentativ, die Cholera habe Fortschritte zur Veredlung der Herzen veranlaßt, moralischen Nutzen gezeitigt und die Menschen geselliger, wohltätiger,

223

Dr. Tilesius, Ueber die Cholera und die kräftigsten Mittel dagegen, nebst Vorschlag eines großen Ableitungsmittels um die Krankheit in der Geburt zu ersticken. Zweite Abtheilung [...], Nürnberg 1830, S. 185. 224 Dr. Zitterland, An die Leser der Cholera-Zeitung, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 52, 28. März 1832, S. 4 1 5 ^ 1 8 , hier: S. 415.

Kunstgriffe der Aufklärung

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versöhnlicher gemacht225. Ein kalenderähnliches Journal für die Bedürfnisse des gemeinen Lesers soufflierte ähnliches unter der Überschrift „Ueber die sittlichen Wirkungen der Cholera"; eine rührige Menschenfreundin goß das, im Zug einer langen poetischen Tradition, in beeindruckendes lyrisches Gewand: „Loblied der Cholera"226. Selbst Theologen schwenkten auf diese Deutungslinie um. Als Beispiel dafür wäre Friedrich Schleiermacher zu nennen. Bei allen Mahnungen zu Buße und Einkehr kam er in einem Predigttext nicht umhin - die Reihenfolge war bezeichnend - , alle bürgerlichen und christlichen Tugenden aufzurufen, der Seuche zu trotzen, als da wären Gemeingeist, Rechtschaffenheit, Solidarität227. Ein nächstes, geradezu sozial-perverses Loblied der Cholera kam wiederum von der Medizin. Seuchen räumen, als unbestechliche „Polizei der Natur", die überflüssige Überbevölkerung, den schädlichen Menschenabfall beiseite. Sie schaffen Platz für die Starken und Kräftigen. Eine solche gefährliche Überbevölkerung war in den zwanziger und dreißiger Jahren vor allem mit Blick auf den schottischen Sozialreformer Robert Malthus diskutiert worden. Malthus hatte 1798 das Schreckgespenst einer wachsenden Bevölkerung entworfen, deren Nahrungsbedarf bald nicht mehr gedeckt werden könne. Die pessimistische Diagnose beeinflußte auch die medizinischen Diskurse. Sie intensivierte aufs Neue die Diskussion über das Verhältnis von Epidemien und Bevölkerungshaushalt, die es seit Beginn des 18. Jahrhunderts gegeben hatte. Physiko-theologisch war damals begründet worden, daß auch Seuchen die Weisheit der Schöpfung bestätigen. Sie regelten das unkontrollierte Bevölkerungswachstum und glichen seine Schwankungen aus. Die neu entstehenden Disziplinen Statistik und Nationalökonomie bestätigten dieses Gleichgewichtsmodell. In Deutschland machte sich vor allem Johann Peter Süßmilch mit seiner mehrbändigen Abhandlung

225

Vgl.: Gespräch für die Jugend, in: Der Jugendfreund. Ein Wochenblatt zur angenehmen Belehrung, Bildung und Erziehung der Jugend beiderlei Geschlechts, Nr. 2, 12. Oktober 1831, S. 40-47, hier: S. 43ff. 226 Vgl.: [Anonym], Ueber die sittlichen Wirkungen der Cholera, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, Nr. 40-43, 8.-29. Oktober 1831, S. 625-678; Elwine Alifeld, Loblied der Cholera, in: dies., Gedichte, Berlin 1835, S. 124ff., vgl. auch: Johann Langer, Lob der Cholera, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 141, 24. November 1831, S. 569f.; Alexander Sergejewitsch Puschkin, [Lob der Pest, 1832], in: ders., Gesammelte Werke in sechs Bänden, hrsg. v. Harald Raab, Bd. 3, 4. veränd. Aufl. Berlin 1985, S. 323f. Diese poetische Positivierung von Seuchen findet sich wohl erstmals in der enkomiastischen Renaissance-Literatur. Bereits 1532 verfaßte Francesco Berni ein Lobgedicht auf die Pest, vgl.: Ulrich Schulz-Buschhaus, Vom Lob der Pest und vom Lob der Perfidie: Burleske und politische Paradoxographie in der italienischen Renaissance-Literatur, in: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, hrsg. v. Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt 1991, S. 259-273, hier: S. 264ff.; Heiner Boehncke, Die Pest. Sprachspiel und Sünde, in: Das Paradoxe. Literatur zwischen Logik und Rhetorik. Festschrift für Ralph-Rainer Wuthenow zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Carolina Romahn/Gerold Schipper-Hönicke, Würzburg 1999, S. 152-172, hier: S. 164ff.

227

Vgl.: Dr. Fr. Schleiermacher, Predigt am Sonntage Septuagesimae 1832 als am Dankfest der Befreiung von der Cholera in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen, Berlin 1833, S. 6f.

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Die Wirren der Wissenschaft

„Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben" (1741) darum verdient228. Malthus gab dem alten Bevölkerungsdiskurs neue Impulse. Er verabschiedete aber den göttlichen Heilsplan. Er sah keinen Schöpfer am Werk, sondern einen naturhaften Selbstlauf des Bevölkerungswachstums, der sich als Irrlauf erweise. Dieser Pessimismus rief auch medizinische Widersacher auf den Plan229. Sub specie epidemicae stellten sie seiner düsteren Prognose entgegen, die Cholera sei Ausdruck einer universalen Selbstregulation. Sie diene dazu, die wachsende Bevölkerung sinnvoll auszubalancieren und „die Ueberzahl derselben zu verhüten"230. Das menschliche Geschlecht bleibt durch die Seuche im Gleichgewicht. Aber nicht nur seine Quantität wird geregelt. Auch qualitativ stehen die Humanpotenzen auf dem Prüfstand. Und da galt, im Sinn von aufklärerischen Mutmaßungen einer Degeneration durch Zivilisation: die Schwachen und Schlaffen würden durch naturhaften Selbstlauf hinweggeschafft. Die „Polizei der Natur" (Prusser-Bey) räumt auf. Eine natürliche Auslese finde statt. Die Cholera sei ein wirksamer Reinigungsprozeß, ein heilsamer, naturhafter Selektionsvorgang: Der Bach kann vertrocknen oder überströmen, und dadurch sich verlieren, das Weltmeer kann stürmen und ruhen, aber nicht vergehen; jenen regulirt menschliche Kunst, dieses erhält das ewige Naturgesetz. Hierin liegt der Schlüssel sowohl zu den einzelnen Krankheiten, als zu den in der Geschichte nicht selten vorkommenden Seuchen, zu welchen die jetzt herrschende Cholera gehört, die gleichsam als Reinigungskrankheit anzusehen ist, welche in Asien das quantitative Uebermaaß der Menschen verringert, in Europa die durch naturwidrige Lebensweise geschwächte Generation heimsucht, um einer neuen gesunderen Platz zu machen. 231

Das war, vorgebracht an den Rändern der Diskurse und einer extremen Ohnmacht geschuldet, eine machtvolle Positivierung. Mögen einzelne schwächliche Glieder wie durch Naturkraft und Naturgesetz hinweggerissen werden, so gehen doch die folgenden Generationen und die Gattung gestärkt aus diesen Operationen hervor. Die Gattung sei das alles entscheidende, bewahrenswerte Gut, dem die Teile geopfert werden müßten. Diese Position vertrat aufklärerischen Standard sans phrase. Sie stand für die Art von Anthropodizee, die dem aufklärerischen Fortschrittsglauben zwingend entsprang. Sie beinhaltete zwei Verzichtfiguren: das Primat des biologischen Gattungsganzen vor seinen einzelnen Teilen und das Primat der Zukunft über die Gegenwart. Beide Figuren, wissenschaftliche Standards des 19. Jahrhunderts generell, waren nichts anderes als eine vorauseilende Unterwerfung Unterwerfung unter die vermeintlich naturale Logik der Geschichte. Bannung der Gewalt, indem sie ihr voranflieht. Vorauseilende Gewalt, die sie, im Akt ihrer Vorauskehr, generiert.

228

Vgl.: Ramón Reichert, Der Diskurs der Seuche. Sozialpathologien 1700-1900, München 1997, S. 155ff., 333ff. 229 Vgl.: Malthus, Medicine, & Morality. „Malthusianism" after 1798, ed. by Brian Dolan, Amsterdam 2000. 230 Krüger-Hansen, Curbilder, mit Bezug auf Cholera, S. 63. 231 Dr. M. Kaiisch, Zur Lösung der Ansteckungs- und Heilbarkeitsfrage der Cholera. Der Beruhigung des Publikums und dem Fond für die durch diese Seuche Verwaisten gewidmet, Berlin 1831, S. 8.

3. Das Antlitz der Schuldigen

Im Januar 1831 prophezeite Wilhelm Grimm seinem Philologenkollegen Friedrich Karl von Savigny: „Ach Gott, wie nahe stehen wir an dem Abgrund, der alles verschlingen kann, was uns auf der Welt lieb ist." 1 Ein halbes Jahr später klagte Friedrich von Gentz seiner einstigen Jugendliebe Rahel Varnhagen: „Es wird immer wilder und finstrer auf Erden. Niemand kann mehr das Schicksal seines Landes, seiner nächsten Umgebungen, sein eignes, auf vier Wochen hinaus mit Sicherheit berechnen. Niemand weiß mehr recht, zu welcher Parthei er gehört; die Meinungen, die Wünsche, die Bedürfnisse durchkreuzen sich so sonderbar, und begegnen sich auch wieder in dem allgemeinen Getümmel, daß man kaum mehr Freund und Feind mehr unterscheidet; es ist ein Krieg Aller wider Alle" 2 . Ein Drei Vierteljahr später, im März 1832, zog Johann Wolfgang von Goethe in einem Brief an Wilhelm von Humboldt kurz vor seinem Tod eine ausführliche Lebensbilanz. Der Tag sei absurd und konfus, redliche Bemühungen würden in Trümmer gehen: „Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über der Welt" 3 . Desaster, Krise, Katastrophe. Die Welt war aus den Fugen, die Zeiten neigten sich dem Ende. Das waren nicht nur private Diagnosen, rein für den brieflichen Austausch gedacht. Barthold Georg Niebuhr, dessen Briefe aus seinen letzten Lebensmonaten 1830 ebenfalls unermüdlich geschichtlichen Zerfall, gar das Ende der Zivilisation attestierten, gab seinen Befürchtungen öffentlich Ausdruck: je[t]zt blicken wir vor uns in eine, wenn Gott nicht wunderbar hilft, bevorstehende Zerstörung, wie die römische Welt sie um die Mitte des drittens Jahrhunderts unserer Zeitrechnung erfuhr: auf Vernichtung des Wohlstands, der Freyheit, der Bildung, der Wissenschaft.4

1 Wilhelm Grimm an Friedrich Karl von Savigny, 25. Januar 1831, in: Briefe der Brüder Grimm an Savigny, hrsg. v. Wilhelm Schoof, Berlin 1953, S. 364. 2 Friedrich vom Gentz an Rahel Varnhagen, 8. Juli 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, hrsg. v. Konrad Feilchenfeldt/Uwe Schweikert/Rahel E. Steiner, München 1983, Bd. 9, S. 861ff. 3 Johann Wolfgang von Goethe an Wilhelm von Humboldt, 17. März 1832, in: Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abt. IV, Bd. 49, Weimar 1909, S. 283. 4 Vgl.: Barthold Georg Niebuhr, Briefe. Neue Folge. 1816-1830, hrsg. v. Eduard Vischer, Bd. 4: Briefe aus Bonn (Juli bis Dezember 1830), Bern, München 1984; ders., Vorrede, in: Römische Geschichte. Zweyter Theil. Zweyte, völlig umgearbeitete, Ausgabe, Berlin 1830, S. III—VI, hier: S. V.

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Das Antlitz der Schuldigen

Was waren das? Melancholische Attitüden? Wehleidige Tiraden alter Männer, die mit ihrem Lebensende das der Zivilisation verbanden? Oder ahnungsvolle Abgesänge auf das Leben in geschützten Bezirken und die halkyonischen Tage der absolutistischen Kleinstaaterei? Jene Geistespotentaten, deren Tage sich langsam neigten, hatten nicht das Format zu sozialpolitischer Analyse. Treffender brachte die Widersprüche der Zeit die neue Generation auf den Punkt. Im vielgelesenen „Morgenblatt für gebildete Stände" erklärte Immanuel Hermann Fichte, der Sohn des einst berühmten Philosophen, Anfang 1832 über die neue Zeit: „Aber der Zwiespalt im Schooße der Gesellschaft selbst, der immer unverhohlener sich ankündigende politisch-religiöse Vernichtungskampf - dieß ist das seltsam Neue und Eigenthümliche derselben"5.

3.1. Das Volk, der böse Lümmel a) Konservative Plebejer und Proletairs Die Schrecken der Zeit hatten einen Namen: politisch-religiöser Vernichtungskampf, kulminierend in der Juli-Revolution von 18306. Oder, wie es der designierte preußische Außenminister, Johann Peter Ancillon, einige Tage nach dem Lyoner Seidenweberaufstand Ende 1831 ahnungsvoll zusammenfaßte: „proletarischer Kampf gegen die Besitzenden, mit welchem das Ende der Zivilisation beginnen wird"7. Die Tumulte, die sich direkt im Gefolge der Cholera 1830 bis 1832 in ganz Europa ereigneten, trugen jedoch, heute geradezu überraschend, einen vor- und unpolitischen Charakter. Sie folgten keiner politischen Logik. Es handelte sich, wie beispielsweise bei den Pariser Choleraunruhen im Frühjahr 1832, nicht um rudimentäre Klassenkämpfe, nicht einmal um Sozialprotest. Das zeigt ein Vergleich mit tatsächlichen Sozialprotesten der Cholerazeit. Zwei Begebenheiten aus Berlin sind dafür hervorhebenswert: Erstens die Sozialrebellion von Mietern eines Elendsquartiers, zweitens die Bittprozession von arbeitslosen Bauarbeitern zum Charlottenburger Schloß, der Residenz des Königs.

5 Immanuel Hermann Fichte, Psychologische Briefe, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 9, 11. Januar 1832, S. 33f„ hier: S. 33. 6 Zur Julirevolution, überhaupt zum Umbruchjahr 1830, vgl.: Juillet 1830. Il y a cent cinquante ans ... Catalogue, réd. par Marie-Jeanne Archaix, Rais 1980; Helmut Bock, Die Illusion der Freiheit. Deutsche Klassenkämpfe zur Zeit der französischen Julirevolution 1830 bis 1831, Berlin 1980; Clive Church, Europe in 1830. Revolution and Political Change, London 1983; Die Französische Julirevolution von 1830 und Europa, hrsg. v. Manfred Kossok/Werner Loch, Berlin 1985; Kurt Holzapfel, Julirevolution 1830 in Frankreich. Französische Klassenkämpfe und die Krise der Heiligen Allianz (1830-1832), Berlin 1990. 7 Johann Peter Ancillon an Freiherrn von Werther, 3. Dezember 1831, zit. nach: Thomas StammKuhlmann, König in Preussens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III., der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 529. Zu Lyon vgl.: Die Lyoner Arbeiteraufstände von 1831 und 1834, hrsg. v. Kurt Holzapfel, Berlin 1984.

Das Volk, der böse Lümmel

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Zum Zusammenstoß in den damaligen „von Wiilcknitzschen Familienhäusern": Sie standen im sogenannten Voigtland in Berlin, dem Wohnviertel nördlich der ehemaligen Stadtmauer vor dem Hamburger und Rosenthaler Tor, wo sich die ersten neuzeitlichen Berliner Elendsviertel befanden. Hier wohnten die auf Initiative Friedrichs II. nach Berlin angeworbenen erzgebirgischen, d.h. voigtländischen Weber. Die planmäßig angelegte Siedlung wurde in den 1820er Jahren mit dem Bau von fünf sogenannten Familienhäusern für mehrere tausend Personen erweitert 8 . Die teilweise sechsgeschossigen Häuser sind als erste Berliner Mietskasernen anzusehen, und sie erlangten spätestens mit den betreffenden Abschnitten aus Bettine von Arnims sogenanntem „Königsbuch" von 1843 traurige Berühmtheit 9 . Die sozialen Mißstände in den Häusern, in denen sich z.T. mehrere Familien mit bis zu zwanzig Personen ein Zimmer zu teilen hatten, erregten, als die Cholera erstmals die preußische Hauptstadt bedrohte, die Aufmerksamkeit der Behörden. Der Hauskomplex mußte als bedrohlicher Herd hygienischer Mißstände gelten. Diesen Umstand machte sich der Besitzer zunutze und versuchte mehrmals, vom Magistrat bedeutende Geldsummen zu erpressen. Dieser Spekulant war Ziel des ersten belegbaren Mieteraufstands im Voigtland am 27. Juli 1831: Einem Königlichen Hochlöblichen Polizei-Präsidio mache ich ganz ergebenst Anzeige: daß heute in den sogenannten von Wiilcknitzschen Familienhäusern ein höchst tumultarischer Aufstand stattgefunden, welchem zu einem förmlichen Aufstand wenig fehlte. Der Hergang der Sache ist folgender: Seit geraumer Zeit ist ein großer Teil der bei mir einwohnenden Familien im Rückstand mit der Mietsrechnung geblieben. Ich habe darauf den gesetzlichen Vorschriften gemäß diese Schulden verklagt und nach erfolgtem Erkenntnis auf Exmission derselben angetragen, welche auch von Rechtens wegen verfügt worden ist. [...] Heute gegen Mittag begab ich mich selbst in Begleitung des Gerichts-Executors Reimann und meiner Hausofficianten in die Wohnungen der zu exmittierenden Einwohner. [...] Man rottirte sich auf dem Hofe in großen Haufen zusammen, insultirte meine Hausofficianten und wurde immer unverschämter und herausfordernder. Unter diesen Umständen mußte der Executor den Beistand der Wache auf neue fordern, und da diese nur aus vier Mann bestand, so verstärkte sie sich von der Hauptwache und aus der Artillerie-Caserne, so daß in kurzem 30 Mann und ein reitender Gensdarm auf dem Hofe erschienen. [...] Der Arbeitsmangel und der ganz unverhältnißmäßig geringe Fabriklohn sind wohl hauptsächlich als nähere und entferntere Ursachen des allgemeinen Unmuts anzunehmen [...]. Schon fielen heute vielfache schlimme Äußerungen darüber: Man sprach von allgemeiner Rebellion, daß man in die Stadt ziehn und alle Gewerke aufbieten müsse, man beschwerte sich über die Härte der Fabrikherrn, welche den Verdienst allein in die Tasche steckten, den Lohn stets schmälerten und die Arbeiter verhungern ließen, man rief: es

8 Anfang der dreißiger Jahre wohnten in diesen fünf Häuserkomplexen ca. 2.300 Menschen, die Zahl stieg auf fast 3.000 in den vierziger Jahren an, vgl. die leicht differierenden Angaben von Zeitgenossen in: Rudolf Skoda, Die Rosenthaler Vorstadt. Wohnverhältnisse der Stadtarmut 1750-1850, Berlin 1985, S. 64. 9 Bettine von Arnim, Dies Buch gehört dem König (1843), in: Bettine von Arnim, Werke und Briefe in vier Bänden, hrsg. v. Walter Schmitz/Sibylle von Steinsdorff, Bd. 3, Frankfurt/M. 1995, S. 9-368, bes. S. 329ff.

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Das Antlitz der Schuldigen sei kein Gesetz mehr zu respektiren, denn umkommen müßte man doch, und der Hunger sei es auch, von dem die Cholera entstände.10

Zweifellos trägt der Bericht tendenziösen Charakter. Ein Spekulant gibt seinen erpresserischen Bitten um öffentliche Zuschüsse Nachdruck, indem er das Gespenst einer proletarischen Revolte bei der anstehenden Cholera beschwört. Hauptschuldige hat er parat, die bürgerlichen Fabrikherren, die es so jedoch in Berlin in dem Umfang noch gar nicht gegeben hat. Darüber hinaus waren die Einwohner der Familienhäuser, wie Sozialrecherchen ergaben, auf die sich Bettine von Arnim in ihrem schon erwähnten „Königsbuch" stützte, meist keine Fabrikarbeiter, sondern Tagelöhner und ärmliche Kleingewerbetreibende. Trotz der dramatischen Aufbauschung zeigt der Bericht an, wie soziale Probleme in der Cholerazeit zu spontanem Sozialprotest führen konnten. Die zweite hervorhebenswerte Begebenheit trägt viel weniger spontanen Charakter. Sie verlief disziplinierter. Von „Fortschritten" oder „Rückschritten" läßt sich jedoch nicht sprechen. Der spontane Unwille von Deklassierten, der sich in radikalerer, aber relativ schnell verpuffender Weise äußert, und der stärker zweckorientierte Protest, der die Form einer den Monarchen verklärenden Bittprozession annimmt, können nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Auf jeweils eigene Weise geben sie ihren Sozialforderungen Ausdruck: Nach der königlichen Bestimmung sollten nur in Berlin wohnhafte Arbeiter bei den neuen Bauten beschäftigt werden, es gingen deshalb viele hundert auf das Polizeibureau, wo ihnen deshalb Atteste ausgefertigt wurden. Da indessen eine große Anzahl bei dem Bau zurückgewiesen werden mußte, weil die Tagelöhner vollzählig, so zogen von ihnen etwas über einhundert vorgestern nach Charlottenburg, um dem Könige selbst ihre Beschwerde vorzutragen. Sie standen am Schloßthore versammelt, das erregte im Schlosse Aufsehen, und der Monarch sendete seinen Adjutanten, sie um ihre Absicht zu befragen. Nachdem sie ihre Beschwerde geäußert, ward ihnen der Bescheid, sie sollten ihre Bitte schriftlich einreichen; zu dem Ende wurden sechs derselben in ein Zimmer eingelassen, wo sie zu Protokoll vernommen wurden. Nachdem jedem der Menge ein kleines Geldgeschenk gemacht - es waren ganz arme Leute und zum Theil Familienväter - gingen sie ruhig nach Berlin zurü[c]k. Gestern forderte der deshalb beauftragte Polizeioffiziant die sechs Unterschriebenen auf, vor ihm zu erscheinen, es kamen sämtliche 100 des vorigen Tages, und nachdem man sie abermals vernommen, ward ihnen für die nächste Woche Arbeit zugesichert.11 Ein merkwürdiges Ereignis - ein Sozialprotest, der rein sozialen, nicht politischen Charakter trug. Konservativer Sozialprotest bestätigte den politischen Status quo der gottgegebenen Monarchenmacht. Er bezeugte nicht mehr eine Allianz von deklassiertem Mob, Thron und Altar - wie nicht wenige Rebellionen noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa12.

10 Vgl.: Heinrich Ferdinand Wiesecke an das Polizeipräsidium, Berlin, 27. Juli 1831, zit. nach: Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1740-1862. Eine dokumentarische Geschichte der „von Wülcknitzschen Familienhäuser", München 1980, S. 154f. 11 Berlin, den 17. Sept., in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 364 u. 365, 22. September 1831, S. 1456f. 12 Vgl.: Eric J. Hobsbawm, Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert (1959), Glessen 1979. Hobsbawms Begriff des spontanen und sprunghaften „Thron- und Altar-Mobs" unterscheidet sich deutlich von der Auffassung, dieser Unterschichtenmenge eine

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Hier äußerte sich ein disziplinierter Sozialkonservatismus, der Tagelöhner und Hochadel aneinanderbinden wollte, wie etwa noch beim Schlesischen Weberaufstand von 184413. Der gottgleiche König würde seine Landeskinder verstehen, ihnen zu Diensten sein und die angewachsenen Sozialspannungen lindern. Er war die sakral legitimierte und allmächtige Integrationsfigur, die alle anstehenden Konflikte löste. So wie er das Land vor dem Übergriff fremder Eroberer oder der Seuche schütze, werde er der Brotlosigkeit wehren. Er werde der durch die Cholera bewirkten und durch Handelssperren veranlaßten Arbeitslosigkeit, verbunden mit plötzlicher Teuerung, abhelfen. Nach wie vor war er der Regent, der der sozialen Ausdifferenzierung und politischen Fraktionsbildung entgegensteuerte, die das vermeintlich homogene Staatsgebilde partiell untergruben. In seiner Hand liefen die Fäden der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Prozesse zusammen. Der Glaube an die Macht des Monarchen war einige Monate zuvor deutlich zutage getreten, in der sogenannten Berliner „Schneiderrevolution" von September 1830. Darin überschnitten sich die untergründige Allianz von lumpenproletarischem Mob und Adel mit der von Arbeitern und Adel. Bei diesen mehrtägigen Aufläufen von Hunderten bis Tausenden Demonstranten wurde gefordert, öffentlich rauchen zu dürfen, es ging um schützende Zunftrechte, Abschaffung der Hundesteuer, Verbot von Maschinen bzw. Zerstörung der Maschinen in England. Hochrufe auf den beliebten Militärkommandanten Berlins und auf den verehrten preußischen König mischten sich mit Haßausbrüchen gegen die Polizei, die auch in diesem Fall die unliebsame Aufgabe hatte, an vorderster Front obrigkeitliche Macht zu demonstrieren14. Von rudimentären Klassenauseinandersetzungen bei solchen Ereignissen wie der Berliner „Schneiderrevolution" von 1830, der „Feuerwerksrevolution" von 183515 oder den Cholerarevolten - auch in Königsberg wurden von den Tumultanten Hochrufe auf den König ausgebracht16 - ist also keineswegs auszugehen. Sie reagierten auf soziale Probleme, die sich durch die Choleramaßnahmen selbstredend verschärften. Von der aufkommenden industriellen Revolution waren sie noch nicht gezeichnet. Es gab in Preußen, bis auf vereinzelte industrielle Zentren, noch gar nicht das Frühproletariat, das sich industriell-kapitalistischer Verhältnisse erwehrte. Soziale Nöte waren einer vorindustriellen Pauperisierung erwachsen und betrafen um 1830 hauptsächlich die durch Bevölkerungszuwachs und Effektivierung

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klar konturierte, politisch-konservative Weltsicht zu unterstellen, wie Manfred Gailus es in der Linie Edward P. Thompsons unternimmt: vgl.: ders., Strasse und Brot. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berücksichtigung Preußens, 1847-1849, Göttingen 1990, S. 431 ff. Vgl.: Christina von Hodenberg, Aufstand der Weber. Die Revolte von 1844 und ihr Aufstieg zum Mythos, Bonn 1997, S. 27f. Vgl.: Olaf Briese, „Jleechgültigkeit und rochen im Thierjarten". Tabak und Ekstase in den Rebellionen 1830 und 1848, in: Forum Vormärz Forschung, 3 (1997), S. 27-42. Vgl.: Manfred Gailus, Pöbelexzesse und Volkstumulte im Berliner Vormärz, in: Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin (1830-1980). Zur Sozialgeschichte der Straße, hrsg. v. Manfred Gailus u.a., Berlin 1984, S. 1-41. Vgl.: Dr. Karl Faber, Die Haupt- und Residenz-Stadt Königsberg in Preußen. Das Merkwürdigste aus der Geschichte, Beschreibung und Chronik der Stadt, Königsberg 1840, S. 275.

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der Landwirtschaft freigesetzten ländlichen Produzenten, die in die Städte drängten, sowie in zweiter Linie eigenständige Handwerker und selbständige Kleingewerbetreibende, die den herandringenden, vor allem englischen Produkten, keine Konkurrenz bieten konnten17. Allenfalls im Rheinland und in Sachsen gab es Ansätze einer Frühindustrialisierung. Bezeichnenderweise waren es auch der Aachener Maschinenstürmeraufstand von 1830, mit Einschränkungen die Maschinenstürmereien in Eupen und Solingen 1821/26 sowie die Aufstände Sachsens 1830, die bereits Züge einer solchen Klassenkonfrontation trugen18. Nach den eingangs erwähnten Königsberger Choleraunruhen wurde hingegen erleichtert konstatiert, sie hätten keinen sozialen bzw. politischen Beweggrund gezeigt. Individuen aus der „Klasse der ordentlichen Arbeitsleute" wären ihnen völlig ferngeblieben19. Der bereits genannte gerichtliche Rapport vermeldete mit sichtlicher Erleichterung, die Königsberger Ereignisse würden mit den in Aachen verübten in keinem Vergleich stehen. Dort hatte der Aufruhr gewissermaßen eine politische Tendenz, wohingegen in Königsberg nur die sogenannte Hefe des Volks, der durch Gerüchte mobilisierte Pöbel, tumultiert habe20. Weder Sozialprotest noch politische Auseinandersetzung - wogegen aber rebellierten diese konservativen Rebellen in der Cholerazeit?

b) Wider die Ärzte - Gerüchte und Verschwörungsthesen Einem Brief Rahel Varnhagens aus Berlin vom 3. August 1831 zufolge wurden bei der Cholera altberüchtigte Legenden von jüdischen Brunnenvergiftern aktualisiert: „Denk dir, daß Einem hier die Domestiken erzählen, 2 Juden hätten hierl die Brunnen vergiftet." 21 Schon seit Jahrhunderten, seit den mittelalterlichen Pestwellen, waren bekanntlich Juden das bevorzugte Ziel derartiger Verdächtigungen gewesen. In Seuchenkatastrophen hatte der christliche Judenhaß einen dramatischen Aufschwung erfahren. Antijudaistischer religiöser Fanatismus, ökonomisches Kalkül der Kirchenoberen und die instinktive Abwehr von Fremden, verbunden mit der Suche nach Sündenböcken und Opfern, mündeten in anhaltende massive Verfolgungen, Exzesse und Massaker.

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Vgl.: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformara bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution" 1815-1845/49, München 1987, S. 40ff., 282ff.; Wolfgang Hardtwig, Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum (1985), 3. Aufl. 1993, S. 67ff.; Wolfgang J. Mommsen, 1848: Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1849, Frankfurt/M. 1998, S. 32ff. Vgl. zu Aachen: Bock, Die Illusion der Freiheit, S. 54ff.; zu Sachsen: ebenda, S. 76ff.; Michael Hammer, Volksbewegung und Obrigkeiten. Revolution in Sachsen 1830/31, Weimar, Köln, Wien 1997. Zu Eupen und Solingen: Martin Henkel/Rolf Taubert, Maschinenstürmer. Ein Kapitel aus der Sozialgeschichte des technischen Fortschritts, Frankfurt/M. 1979. Faber, Die Haupt- und Residenz-Stadt Königsberg, S. 277. Kriminalrichter Richter, Der Volks-Auflauf in Königsberg am 28. Juli 1831, in: Preussische Provinzial-Blätter, 7 (1832), S. 158-170, 263-278, hier: S. 278. Rahel Varnhagen an Luwig Robert, Berlin, 3. August 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 9, S. 865.

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Solche Phantasmen waren in der Cholerazeit relativ selten. Nur vereinzelt ereigneten sich in Europa, etwa 1831 in der Slowakei oder in Ungarn, Mitte 1832 im Elsaß oder 1835 in Livorno, veranlaßt durch die Epidemie, antisemitische Ausschreitungen22. In Deutschland kamen solche Exzesse offenbar gar nicht vor. Nur in Straßenkirchen, einer Stadt in Bayern, das von der ersten Cholerawelle gar nicht betroffen wurde, gab es im Oktober 1831 Anschuldigungen gegen jüdische Brunnenvergifter. Es kam zu Arretierungen, die Anklage wurde jedoch schnell fallengelassen23. Die sogenannten Hep-Hep-Krawalle von 1819 und die zahlreichen antijüdischen Sozialproteste von 1830 setzten sich in der Cholerazeit in Deutschland nicht fort24. Betreffende Wahrnehmungsmuster waren zwar nicht völlig geschwunden. Zusätzlich geschürt wurden sie durch die offiziellen Edikte, man habe sich vor allem vor Wanderjuden zu schützen, die den Ansteckungsstoff verbreiten würden. Aber sie spielten handlungspraktisch kaum eine Rolle. Sie traten zurück hinter viel wirksameren Gerüchten: Ärzte wären die neuen Volksvergifter. Gezielt würden sie das Volk dezimieren. Solche Gerüchte mündeten dann in Preußen in gelegentliche Tumulte, in Königsberg sogar in Exzesse. Sie trugen nach dem Krisenjahr 1830, das in Deutschland zu kleinen Erhebungen, in Aachen sogar mit direktem politischen Zuschnitt geführt hatte, überraschenderweise aber keinen politischen Charakter. Wie gestalteten sich der Königsberger Aufstand, die bedeutsamste Rebellion der Cholerazeit in Deutschland? Sie richteten sich in erster Linie gegen Ärzte und in zweiter gegen die Polizei. Selbst dadurch hätten sie nicht unmittelbar politischen Charakter tragen müssen. Ob Ärzte oder Polizei - sie waren Exponenten einer Ordnungsmacht, die anschaulichkonkret für Maßnahmen standen, die plötzlich in die Lebenswelt der sogenannten Unterschichten eingriffen. Die Konsequenz: Nicht die Cholera bedrängte die Menschen. Vielerorts wurde ihre Existenz von Unterschichten sogar bestritten. Klimax soziomorpher Schuldzuweisung: Ärzte würden gezielt die Armen töten, nicht die Cholera. Die Fiktion schuf alsbald die Fakten. Ein Tischler war erkrankt und hätte vom herbeigerufenen Arzt Phosphor-Aether verschrieben bekommen. „Man hatte das Medicament leuchten gesehen.

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Vgl.: Barbara Dettke, Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin, New York 1995, S. 295f.; Werner Giesselmann, „Die Manie der Revolte". Protest unter der Französischen Julimonarchie (1830-1848), München 1993, S. 544f.; Michael Stolberg, Die Cholera im Großherzogtum Toskana. Ängste, Deutungen und Reaktionen im Angesicht einer tödlichen Seuche, Landsberg/Lech 1995, S. 65.

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Vgl.: Rainer Erb/Werner Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation. Der Widerstand gegen die Integration der Juden in Deutschland 1780-1860, Berlin 1989, S. 242f. Vgl. zu diesen Krawallen: Dietmar Preißler, Frühantisemitismus in der Freien Stadt Frankfurt und im Großherzogtum Hessen (1810-1860), Heidelberg 1989, S. 349ff.; Peter Dittmar, Die Darstellung der Juden in der populären Kunst zur Zeit der Emanzipation, München, London, New York 1992, S. 73ff. sowie Abb. 39,422; Stefan Rohrbacher, Gewalt im Biedermeier. Antijüdische Ausschreitungen in Vormärz und Revolution (1815-1848/49), Frankfurt/M., New York 1993; Jacob Katz, Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994; Rainer Wirtz, Widersetzlichkeiten, Excesse, Crawalle, Tumulte und Skandale. Soziale Bewegung und gewalthafter sozialer Protest in Baden 1815-1848 (1981), 2. Aufl. 1998, S. 60ff.; Stefan Rohrbacher, Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49), in: Die Konstitution der Nation gegen die Juden, hrsg. v. Peter Alter/Claus-Ekkehard Bärsch/Peter Berghoff, München 1999, S. 2 9 ^ 8 .

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Leuchten und Brennen ist natürlich beim Volk einerlei. Ein Gerücht, daß der Tischler durch brennende Materialien getödtet sey, durchlief schnell die ganze Stadt." 2 5 A m Vormittag des 28. Juli versammelten sich Volksgruppen, Ärzte wurden beleidigt und verprügelt, die W o h nung eines Doktor Voigt, eine Apotheke und ein Polizeigebäude verwüstet, auch das Haus eines Maurermeisters, der Kalk für ein Choleraspital geliefert hatte 26 . Gegen die Ärzte richtete sich der Volkszorn. Sie verhängten nicht nur die unliebsamen Quarantäne- und Spitalaufenthalte und rissen in dieser Notperiode Familien auseinander. Sie hätten gar in eigenem Interesse die Cholera erfunden und wären gezielt als Volksvergifter tätig. Deshalb die Jagd auf Ärzte bei den meisten anderen Zusammenstößen in Rußland und Habsburg, in abgeschwächter Weise in Preußen, etwa in Memel, Posen, Breslau, Stettin oder Berlin 27 . In Königsberg erlag sogar ein Angehöriger der Bürgerwehr seinen Verletzungen - eine Meute hatte mit Knüppeln Jagd auf ihn gemacht. Dieser Ausgang war noch relativ glimpflich. In anderen Ländern mündeten Exzesse in Totschlag und Massaker 2 8 . Dazu ein Beispiel aus St. Petersburg vom 22. Juli 1831, eine Woche vor den Königsberger Unruhen, das an Drastik nichts zu wünschen übrig läßt: Man reagirte also, und anfangs mit einigem Erfolge, das heißt, man prügelte die Polizei, machte Jagd auf die Aerzte und erstürmte die Hospitäler, die halbtodten Kranken wurden auf die Straße geschleppt, wo man ihnen Milch eingoß, um ihnen das vermeintliche Gift aus dem Leibe zu treiben, hierauf trug man sie in Triumph wieder in ihre Behausungen zurück (aus

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Prof. Dr. v. Baer, Geschichte der Cholera-Epidemie zu Königsberg i. J. 1831, in: Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Königsberg über die Cholera. Erster Band, Königsberg 1832, S. 3 1 5 ^ 2 3 , hier: S. 342. Vgl.: e., Bericht über die Unruhen in Königsberg. Den 29. Juli 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 121, 11. August 1831, Sp. 1021-1024, hier: Sp. 1021f. Zu Memel: König Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Alexandra Feodorowna, 4. August 1831, in: Paul Bailleu, Aus dem letzten Jahrzehnt Friedrich-Wilhelms III. Briefe des Königs an seine Tochter Charlotte, Kaiserin von Rußland, in: Hohenzollern-Jahrbuch, 20 (1916), S. 147-173, hier: S. 158; zu Posen: Joseph Samter, Die Geschichte der Cholera-Epidemien in der Stadt Posen (1831-1873), in: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, 2 (1886), S. 283-312, hier: S. 285f.; zu Breslau: Präsident der Provinz Schlesien, von Merkel, [Bekanntmachung], in: Schlesische Cholera-Zeitung, herausgegeben von dem ärztlichen Comité für Schlesien, Nr. 2, 12. Oktober 1831, S. 13; zu Stettin: Inland. Berlin, 5. Sept., in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 247, 6. September 1831, S. 1399; zu Berlin: Berlin, 3. Sept., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 253, 10. September 1831, S. 1011; Berlin, 10. Sept., in: ebenda, Nr. 260, 17. September 1831, S. 1039f. Vgl.: Michael Durey, The Return of the Plague. British Society and the Cholera 1831-2, Dublin 1979, S. 158ff.; Richard J. Evans, Epidemics and revolutions: cholera in nineteenth-century Europe, in: Epidemics and ideas. Essays on the historical perception of pestilence, ed. by Terence Ranger/Paul Slack, Cambridge 1992, S. 149-174, hier: S. 163ff.; Michael Stolberg, Gottesstrafe oder Diätsünde. Zur Mentalitätsgeschichte der Cholera, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 8 (1989), S. 9-25, hier: S. 1 lf.; ders., Die Cholera im 19. Jahrhundert - zum Umgang mit einer neuen Krankheit, in: Medizin, Romantik und Naturforschung. Bonn im Spiegel des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Heinz Schott, Bonn 1993, S. 87-109, hier: S. 94ff.

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denen sie gewaltsam ins Hospital gebracht worden waren). Bei der Erstürmung des Heumarkthospitals hätte es bald dem armen W. Fuss das Leben gekostet, nachdem man ihn nämlich im Hause selbst arg zerprügelt hatte, schleifte ihn der untenstehende Menschenhaufe noch einige Zeit auf dem Pflaster herum, trat ihn mit Füßen etc., so daß es ein halbes Wunder ist, daß er mit dem Leben zugleich noch seine gesunden Glieder erhalten hat. Sein College, der Dr. Seemann, wurde an seiner Seite erschlagen und aus einem Fenster des dritten Stockwerks herabgestürzt.29 Warum nur ein solcher Haß auf Ärzte, die Wohltäter der leidenden Menschheit? Er folgte einer schlüssigen Logik. Ob es hieß, die Ärzte wollten die Überbevölkerung dezimieren, die iiberhandnehmenden Armen überhaupt ausrotten oder durch Kordons und Quarantäne eine allgemeine Teuerung bewirken, ob es hieß, es gehe den Ärzten darum, Geld zu verdienen, Material für medizinische Experimente an Lebenden oder Leichen für Sektionen zu gewinnen, ob umlief, sie seien als Agenten fremder Mächte am Werk oder ob sich schließlich gerüchteweise verbreitete, es ginge ihnen schlichtweg nur darum, die ersten Kranken zu beseitigen, um eine eventuelle massenhafte Ansteckung zu verhindern - immer hatten Gerüchte den Augenschein für sich. Sie interpretierten die säkulare Welt auf säkulare Weise. Die unfaßbare, unsichtbare Seuche wurde zum Menschenwerk. Katastrophen, menschlich veranlaßt, können vermieden werden. Ärzte, nicht mehr Juden, verrichteten das Vergiftungswerk. Sie hantierten mit den verderblich-magischen Pulvern, derer sich einst die Brunnenvergifter und sogar Totengräber bedient hatten. Jene taten es zwar des Schutzes wegen und im Sinne einer weißen Magie. Deshalb waren sie oft genug der verderbenbringenden schwarzen Magie bezichtigt worden30. Nunmehr aber waren es Ärzte, die mittels Pulvern das Volk heimtückisch dezimierten. Ärzte waren die erfahrbaren und sichtbaren Gegner des Volks, die scheinbar allmächtigen Einfluß ausübten. Sie hatten mittels Quarantäneedikten und Beerdigungsvorschriften unermeßlichen Zugriff auf die Lebenswelt, auf Familienleben und religiöse Alltagspraxis. Bei Gerüchten blieb es nicht. Sie mündeten nicht selten in regelrechte Verschwörungsthesen. Sie fokussierten Gerüchte auf die Potenzen eines handlungsrelevanten Kerns. Verschwörungsthesen wie die, der preußische König würde den Ärzten für jeden Cholera-

29 Tilesius jun. an Wilhelm Gottlieb Tilesius, St. Petersburg, Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), Bd. 1, Nr. 20, 7. November 1831, Sp. 159. Zu diesen Petersburger Unruhen vgl.: Theodor Schiemann, Geschichte Russlands unter Kaiser Nikolaus I., Bd. 3, Berlin 1913, S. 144ff.; Roderick E. McGrew, Russia and the Cholera, 1823-1832, Madison 1965, S. 109ff.; Dettke, Die asiatische Hydra, S. 119ff. 30 Vgl.: Karen Lambrecht, .Jagdhunde des Teufels". Die Verfolgung von Totengräbern im Gefolge frühneuzeitlicher Pestwellen, in: Mit den Waffen der Justiz. Zur Kriminalitätsgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Andreas Blauert/Gerd Schwerhoff, Frankfurt/M. 1993, S. 137-157, hier: S. 148ff.; Boris Steinegger, Salbenschmierer und Giftstreuer. Totengräber in Pestwellen des 16. und 17. Jahrhunderts. Der Fall des Brosius Leutolden im Kontext seiner Zeit, Magisterarbeit Universität Kiel 1998; Johann Werfring, Der Ursprung der Pestilenz. Zur Ätiologie der Pest im loimographischen Diskurs der frühen Neuzeit (1998), 2. verb. Aufl. Wien 1999, S. 153ff. Zu Totengräbern als „Unehrlichen" und „Unreinen" vgl.: Werner Danckert, Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe (1963), 2. Aufl. Bern 1979, S. 50ff.

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toten zwei bis drei Taler zahlen 31 , vereinfachten Kompliziertes in viel radikalerer Weise. Die Eigenschaften, durch die sich Gerüchte als kulturell orientierend erwiesen und deshalb in revolutionären Krisenzeiten wie 1789, 1830 oder 1848 unabdingbar waren32, traten in ihnen auf gesteigerte und idealtypische Weise hervor. Um einen weiteren Unterschied hervorzuheben: Verschwörungsthesen sind weitgehend ein Kulturprodukt der Moderne. Nur in einem der Tendenz nach säkularen Zeitalter können sie ihre Wirksamkeit entfalten. Es bedarf des Schwindens religiös-christlicher Horizonte und des sich vollziehenden Abschieds von einem teuflisch-göttlich strukturierten Unheils- bzw. Heilsplans. Verschwörungen versinnbildlichen ein neues geschichtliches Paradigma: Machsal statt Schicksal. Gerüchte sind ein zeitloses geschichtliches Integral. Verschwörungs- und Komplotthesen hingegen haben ihren Platz in den Annalen der Neuzeit. Erst in den aufklärerischen und gegenaufklärerischen Debatten um Jesuiten, Freidenker oder Philosophen konnten sie ureigene Kontur als Verschwörungskonstrukte gewinnen 33 .

c) Regime der Körperpolitik Gerüchte und Verschwörungsthesen müssen nicht zwangsläufig zu Exzessen führen. Wo aber Exzesse stattfinden, gingen sie ihnen zwangsläufig voraus. Exzesse gab es in Seuchenzeiten vom Mittelalter bis zum letzten Jahrhundert in genügender Weise, im 19. und Anfang

31 Vgl.: Durey, The Return of the Plague, S. 18. Durey bezieht sich auf britische geheimdienstähnliche Nachrichten aus Preußen. 32 Vgl.: Michel Vovelle, Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten (1979), Frankfurt/M. 1993, S. 88ff.; John M. Merriman, The Norman Fires of 1830: Incendiaries and Fear in Rural France, in: French Historical Studies, 9 (1976), S. 452-466; Joachim Eibach, Gerüchte im Vormärz und März 1848 in Baden, in: Historische Anthropologie. Kultur - Gesellschaft - Alltag, 2 (1994), S. 245-264. Eine bemerkenswerte neue Deutung der „great fear" von 1789, die erstmals Georges Lefebvre 1932 thematisierte, erklärt sie weitgehend zum Resultat einer umfassenden Mutterkorn-, also Getreidevergiftung in vielen französischen Regionen, vgl.: Mary Kilbourne Matossian,Poisons of the Past. Molds, Epidemics, and History, New Haven, London 1989. Zur These einer umfassenden periodischen Klimaveränderung und der dadurch verursachten Hungersnot als Ursache der Französischen Revolution: El Niño: History and Crisis, ed. by Richard H. Grove/John Chappell, Knapwell 2000. 33 Vgl.: Johannes Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung 1776-1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale, Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung, Frankfurt/M. 1976; Changing conceptions of conspiracy, ed. by. Carl F. Graumann/Serge Moscovici, New York, Berlin, Heidelberg 1987; Dieter Groh, Die verschwörungstheoretische Versuchung oder Why do bad things happen to good people (1987), in: ders., Anthropologische Dimensionen der Geschichte, Frankfurt/M. 1992, S. 267-304; Torsten Hahn/Christina Bartz, Homo conspirans. Zur Evolution ,der Paranoia' und ,des Menschen' in Zeiten seiner Exkommunikation, in: Mediale Anatomien. Menschenbilder als Medienprojektionen, hrsg. v. Annette Keck/Nicolas Pethes, Bielefeld 2001, S. 373-400.

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des 20. Jahrhunderts vor allem und immer wieder bei der Cholera34. Sie gelten, bis in die jüngere Gegenwart hinein, als klassisches Beispiel einer mentalitätengeschichtlich rekonstruierbaren „longue durée"35. Ob in dieser Traditionslinie oder nicht - die Königsberger Unruhen von 1831 zeigen alle Merkmale eines Exzesses36: Zwei voneinander unabhängige Aktionen trafen zusammen, um den angesammelten Volkszorn in rebellische Energie münden zu lassen. Offenbar hatte eine Frau die ihrem Mann, einem Zimmergesellen, verschriebenen Medikamente gegen die Cholera vertauscht. Qualvoll starb er an der Einnahme von Spiritus, und seine Witwe verbreitete, er sei vom behandelnden Arzt vergiftet worden. Eine Reihe von Zimmergesellen verhinderte nunmehr die Beisetzung auf dem Cholerakirchhof. Eine vorschriftswidrige Beerdigung auf einem der üblichen Kirchhöfe wurde, um weitere Konflikte zu vermeiden, offiziell gestattet. Der rückkehrende Trauerzug traf, offenbar immer noch erregt, am Schloß auf einen Zug von Brauhelfern und hunderten Sympathisanten. Der hatte sich gebildet, um zwei zum Verhör geladene Arbeiter zu begleiten, die sich tags zuvor dem Transport einer Cholerakranken in ein Hospital widersetzt hatten. Das Zusammentreffen beider Demonstrationszüge setzte am Morgen des 28. Juli 1831 die Rebellionsenergie frei, die sich durch die Choleradrohung einerseits sowie die staatlichen Restriktionsmaßnahmen andererseits allmählich angestaut hatte. Ein Volkshaufe zog zur Polizeiwache in der Stadt und vertrieb die Besatzung. Herbeigerufenes Militär wurde nicht Herr der Lage und zog sich zurück. Die Polizeiwache wurde zerstört und geplündert. Weitere Tumultanten zogen durch die Stadt, plünderten Geschäfte, befreiten Häuser von Quarantäne und machten Jagd auf Ärzte oder Angehörige der Bürgerwehr, die inzwischen zusammengetreten war. Erst herbeieilender Kavallerie gelang es im Verein mit bewaffneten Bürgern und Studenten, die Ruhe am frühen Abend wiederherzustellen. Ergebnis des Tags: Ein Bürger wurde vom sogenannten Pöbel fast erschlagen und erlag wenige Tage später seinen Verletzungen, sechs Tumultanten wurden erschossen, ein weiterer starb an einer Schußverletzung wenige Tage darauf. An nachfolgenden Tagen ereigneten sich weitere bedrohliche Zusammenrottungen, zu nennenswerten Unruhen kam es jedoch nicht. Soweit der Rapport eines Untersuchungsrichters. Er bringt die hauptsächlichen Motive der Delinquenten zur Sprache: Vergiftungsängste, Widerstand gegen Quarantänen und gegen die seelenlos-technokratische Bestattungspraxis in anonymem Grab bei Nacht und Nebel. Gewaltsame Unruhen waren somit Reaktion auf eine neue restriktive Körperpolitik, auf eine bürokratisch-medizinische Verfügung über Menschen. Mediziner hatten, Anfänge

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Vgl.: Aug. Löwenstimm, Aberglaube und Strafrecht, Berlin 1897, S. 180ff.; Frank M. Snowden, Cholera in Barletta 1910, in: Past & Present, Nr. 123 (1991), S. 67-103; ders., Naples in the time of Cholera, 1884-1911, Cambridge 1995, S. 147, 145, 293; Howard Markel, „Knocking out the Cholera": Cholera, Class, and Quarantines in New York City, 1892, in: Bulletin of the History of Medicine, 69 (1995), S. 420-457; ders., Quarantine! East European Jewish Immigrants and the New York City Epidemics of 1892, Baltimore, London 1997.

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Vgl.: René Baehrel, La haine de classe en temps d'épidemie, in: Annales. Économies. Sociétés. Civilisations, 7 (1956) H. 3, S. 351-360. Vgl.: Richter, Der Volks-Auflauf in Königsberg. Auf eine unveröffentlichte, etwas abgewandelte Version stützt sich: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 134ff.

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moderner Medikalisierung, unmittelbaren massenhaften Zugriff auf sie. Bislang waren Ärzte ein Privileg der Bemittelten gewesen. Unterschichten hatten mit ihnen wenig zu tun. Erst das aufklärerisch-absolutistische Projekt einer Staats- und Volksgesundheit band sie in neue Medikalisierungspraktiken. Nach und nach erfahrbar war das etwa in den Werbekampagnen zur Pockenimpfung. Mit der Cholera kam ein exemplarischer, epochaler Einschnitt. Ärzte traten als direkte Bevollmächtigte des Körpers, als Sachwalter über Tod und Leben auf. Ihre Tätigkeit entfaltete sich an angeblich eigens von ihnen vergifteten Opfern, und sie agierten in einem eigens dafür geschaffenen hermetischen Bezirk - dem Choleraspital 37 . Hier, so die Logik der Verschwörung, vollzog sich massenhaft, was bisher gelegentlich nur an Leichen von Selbstmördern, von Hingerichteten oder an von Begräbnisplätzen geraubten Körpern vollstreckt wurde - das medizinische Experiment. In den Augen von Unterschichten waren Spitäler nichts anderes als riesige Experimentieranstalten. Spätestens hier war der Punkt, wo Gerüchte, Verschwörungsthesen und begründete Mutmaßungen sich trafen. Sektionen von Selbstmördern, Hingerichteten und anderen Randständigen waren eine gefürchtete neuzeitliche medizinische Praktik. Der diesbezüglich Eifer von Ärzten im Barock- und Aufklärungszeitalter fand seine Korrespondenz in entsprechenden Abwehrhaltungen breiter Schichten 38 . Das volkstümliche Mißtrauen bei der Cholera war somit nicht unbegründet. Zwar stellt jeder medizinische Therapiefall auf seine

37 Vgl.: Hans-Jürgen Richter, Untersuchungen zum Cholera-Hospital der Jahre 1830-1850 im deutschsprachigen Raum. Ein Beitrag zur Geschichte des Seuchenhospitals des 19. Jahrhundert, Med. Diss. Frankfurt/M. 1973; Manfred Vasold, Nürnbergs Blatternhäuser und Choleranotspitäler im 19. Jahrhundert, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, 12 (1994), S. 225-240; ders., Cholera und Choleranotspitäler in Nürnberg im 19. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg, 82 (1995), S. 249-274. Zum Vorfeld: Otto Ulbricht, Pesthospitäler in deutschsprachigen Gebieten in der Frühen Neuzeit: Gründung, Wirkung und Wahrnehmung, in: Die leidige Seuche. Pestfälle in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Otto Ulbricht, Köln, Weimar, Wien 2002 [im Druck], 38 Vgl.: Anna Bergmann, Menschenopfer und Heilsversprechen in der Geschichte der modernen Medizin, in: Körper/Schmerz. Intertheoretische Zugänge, hrsg. v. Maria Wolf/Hans Jörg Walter/ Bernhard Rathmayr, Innsbruck 1998, S. 175-198; dies., Wissenschaftliche Authentizität und das verdeckte Opfer im medizinischen Erkenntnisprozeß, in: Die Inszenierung von Authentizität, hrsg. v. Erika Fischer-Lichte, Stuttgart 2000, S. 285-311; Karin Stuckenbrock, „Der zerstückte Cörper". Zur Sozialgeschichte der anatomischen Sektionen in der frühen Neuzeit, Stuttgart 2001. Zum oft vernachlässigten antiken Vorfeld vgl.: Heinrich von Staden, The Discovery of the Body: Human Dissection and its Cultural Contexts in Ancient Greece, in: The Yale Journal of Biology and Medicine, 65 (1992), S. 223-241. Anzumerken ist, daß es zwar verbreitete Ängste vor einer möglichen Sektion des eigenen Körpers gab, daß präparierte Leichenteile dennoch oftmals magisch-heilenden Status besaßen und Henker wegen ihres Heilwissens auch Prestige erlangten, vgl.: Markwart Herzog, Scharfrichterliche Medizin. Zu den Beziehungen zwischen Henker und Arzt, Schafott und Medizin, in: Medizinhistorisches Journal, 29 (1994), S. 309-331; Jutta Nowosadtko, Wer Leben nimmt, kann auch Leben geben - Scharfrichter und Wasenmeister in der frühen Neuzeit, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 12 (1993), S. 43-74; Kathy Stuart, Des Scharfrichters heilende Hand - Medizin und Ehre in der Frühen Neuzeit, in: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, hrsg. v. Sibylle Backmann u.a., Berlin 1998, S. 316-348.

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Weise ein Experiment an Lebenden dar, wo der Arzt am Kranken Versuche „machen will, ja machen muß"39, wie in der Cholerazeit bekräftigt wurde. Spitäler und Lazarette sind demnach immer Experimentierstätten. Doch nicht daraus speisten sich die dermaßen verständlichen Ressentiments. Problematisch wurde die Beziehung von Ärzten und Kranken, weil Medizin einen Status erlangte, in dem Patienten der Tendenz nach nur noch als Träger von Krankheiten galten. Sie verkörperten hauptsächlich nichts anderes als das bloße passive Medium der Arbeit von Ärzten. Das war die Konsequenz des aufklärerischen Projekts der Medikalisierung, in dem sich die Interessen eines staatlich-bürokratischen Zugriffs auf den Körper mit denen des aufstrebenden ärztlichen Standes verquickten. Das mündete, wie ein Mediziner schon 1767 euphorisch erklärte, in eine neue, unausgesprochene bürokratischmedizinische Leibeigenschaft: „hingegen kann in einem Lazareth der Arzt befehlen, da ist er ein Despot"40. Dieser Medikalisierungstrend zeigte sich um 1830 sowohl in Experimenten an Militärangehörigen und Insassen von Irrenhäusern, als auch an der medizinischen Verwertung von Verstorbenen zu Sektions- und Experimentalzwecken 41 . Hier schrumpfte der ehemals Kranke zum bloßen materiellen Substrat. In Deutschland, zumindest in Preußen, war die zwangsweise Sektion von verstorbenen Armen geradezu eingebürgert. Im Spital Verstorbene wurden ihr ebenfalls wie selbstverständlich überantwortet, wobei es mitunter zu bizarrem Ressourcengezerre um zu verwertende Leichen kam (so in Berlin um 1830 zwischen Charité, dem Anatomischen Theater der Pépinère sowie Gerichtsanatomen, wobei innerhalb der Charité wiederum Universitätsmediziner und praktische Ärzte um den Zugriff auf Tote kämpften 42 ). Der betreffende Leichenhunger wird dadurch verdeutlicht, daß schon 1829,

39 Dr. Leviseur, Praktische Bemerkungen über die Cholera-Epidemie [...], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologischtherapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, Nr. 25, 13. Oktober 1831, S. 98-100, hier: S. 99. 40 Johann Georg Zimmermann, Von der Ruhr unter dem Volke im Jahr 1765, und denen mit derselben eingedrungenen Vorurtheilen, nebst einigen allgemeinen Ansichten in die Heilung dieser Vorurtheile, Zürich 1767, S. 207. Instruktiv zu diesem Text, einem Paradebeispiel medizinischer Hegemonieansprüche unter aufklärerischem Vorzeichen: Martin Dinges, Medizinische Aufklärung bei Johann Georg Zimmermann. Zum Verhältnis von Macht und Wissen bei einem Arzt der Aufklärung, in: Schweizer im Berlin des 18. Jahrhunderts, hrsg. v. Martin Fontius/Helmut Holzhey, Berlin 1996, S. 137-150. 41 Vgl. zu allen drei Phänomenen (mit zeitgeschichtlichen Belegen): Alfons Glück, Der Menschenversuch: Die Rolle der Wissenschaft in Georg Büchners Woyzeck, in: Georg Büchner Jahrbuch, 5 (1985), S. 139-183; Udo Roth, Georg Büchners Woyzeck als medizinhistorisches Dokument, in: ebenda, 9 (1995/99), S. 503-519. 42 Vgl.: Cay-Rüdiger Prüll, Zwischen Krankenversorgung und Forschungsprimat: Die Pathologie an der Berliner Charité im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, 3 (2000), S. 87-109, vgl. auch: „Leichen-Reglement des Königlichen Charité-Krankenhauses" (1857), ebenda, S. 209-214. Weiterführende Quellen in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion, A Rep. 003-01, Nr. 994: Akten betreffend die Requisitionen wegen Ablieferung von Leichen zur Anatomie, 1820-1896; sowie: ebenda, Nr. 993: Acta betreffend die Benutzung des Obduktionshauses auf dem Koppenschen Armen-Kirchhofe zum chirurgischen Unterricht, 1828-1847. Zum

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zwei Jahre, bevor die Cholera die preußische Hauptstadt überhaupt erreichte, an der Berliner Charité mit geradezu erwartungsvoller Weitsicht eine weitere Personalstelle für die effiziente Sektion der zu erwartenden Seuchenopfer eingefordert wurde43. Dennoch gab es in Deutschland keinen öffentlich formierten Widerstand wie in England. Dort hatte der systematische illegale Leichenraub von Friedhöfen bzw. die gesetzmäßig legalisierte Nutzung der Leichen von Armen zu heftigen Reaktionen geführt. Um 1830, und insbesondere in der Cholerazeit 1832, artikulierte eine demokratisch mobilisierte Öffentlichkeit gezielt ihren Protest. Der Kampf war nicht nur parlamentarische Angelegenheit. Er gab Anlaß zu einer umfassenden Petitionsbewegung, zu Demonstrationen und Tumulten44. Aber in Preußen, einem Land ohne eine nennenswert kritische Öffentlichkeit - allein in der Literatur wurde die Sektion an vermeintlich Scheintoten kritisch thematisiert 45 und nur gelegentlich kam es, wie beispielsweise Ende September 1831 in Berlin, zu gewalttätigen Angriffen auf Leichentransporte von Armen zur Obduktion46 - währte diese Praxis unbehelligt fort. Die Cholera schuf nur einen Präzedenzfall in einem ansonsten unklaren juristischen Feld. Sie rechtfertigte den durch das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 nicht außer Kraft gesetzten Zugriff auf die Leichen Armer vollends47:

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Kampf um Leichen von Unterschichten zwischen der Berliner Charité, der Anatomie der Pépinère sowie Gerichtsanatomen um 1830 vgl.: Ursula Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod. Die Geschichte des Suizids vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Weimar 2001, S. 165ff. Vgl.: Peter Krietsch/Manfred Dietel, Pathologisch-Anatomisches Cabinet. Vom VirchowMuseum zum Berliner Medizinhistorischen Museum in der Charité, Berlin, Wien 1996, S. 18. Vgl.: Robert John Morris, Cholera 1832: The Social Response to an Epidemie, London 1976, S. 96; Durey, The Return of the Plague, S. 168ff.; Ruth Robinson, Death, Dissection and the Destitute, London, New York 1988, bes. S. 223ff. Vgl.: Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829), in: Goethe. Berliner Ausgabe, Bd. 11, Berlin, Weimar 1976, S. 342ff.; [Anonym], Empfindungen eines Scheintoten, in: Der Beobachter an der Spree, 39. St., 27. September 1830, S. 615-620; Carl Herloßsohn, Anatomische Leiden. Novelle, Leipzig 1833. Zu Berichten über versehentliche Sektionen an Scheintoten aus der Aufklärungszeit vgl.: Der sympathetische Arzt. Texte zur Medizin im 18. Jahrhundert, hrsg. v. Heinz Schott, München 1998, S. 288f. Vgl.: Schreiben an die Armendirektion vom 3. Oktober 1831, in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion, A Rep. 003-01, Nr. 993: Acta betreffend die Benutzung des Obduktionshauses auf dem Koppenschen Armen-Kirchhofe zum chirurgischen Unterricht. Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 machte diesbezüglich wohlweislich keine Aussagen; es blieb in Preußen also weitgehend bei der bisherigen legislativen Praxis, Leichen von Armen, Inhaftierten oder Hingerichteten der Anatomie zuzuführen, vgl.: Verordnung, daß die Cörper deijenigen, so in denen hießigen Armen-Häusern verstorbenen etc. zur Anatomie gelieffert werden sollen (1722), in: Repertorium der Polizeyordnungen der frühen Neuzeit, hrsg. v. Karl Härter/Michael Stolleis, Bd. 2.1, Frankfurt/M. 1998, S. 336. Zur unübersichtlichen Rechtspraxis im neuzeitlichen Europa vgl.: Claudia Maria Brugger/Hermann Kühn, Sektion der menschlichen Leiche. Zur Entwicklung des Obduktionswesens aus medizinischer und rechtlicher Sicht, Stuttgart 1979, S. 66ff. Zur unklaren Rechtslage im 18. und 19. Jahrhundert in Preußen, wo Landrecht, Kriminalrecht und Lokalverordnungen ein Geflecht einander widersprechender Verordnungen schufen, vgl.: Werner Piechocki, Zur Leichenversorgung der Halleschen Anatomie im 18. und 19. Jahrhundert, in: Acta Histórica Leopoldina, Nr. 2 (1965), S. 67-105; Ulrich Grolik, Leichen-

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Es ist bekanntermaaßen kein geringer Grund zur Abneigung, welche die ärmere Klasse gegen manche öffentliche Heilanstalten hegt, daß sie weiß, die Leichname der nicht für die Cur zahlenden Kranken werden secirt und der Anatomie überantwortet. Sehr wohlthätig in diesem Bezüge wirkt daher gewiß jede Anordnung, welche den möglichsten Anstand bei der Behandlung dieser Cadaver bezweckt. - Ganz abstehen von solchem Verfahren kann man nicht, denn es ist nothwendig. Der Staat braucht Aerzte, und die Aerzte müssen Anatomie studiren; die hie[r]zu nöthigen Cadaver können auf keinem andern Wege beschafft werden, und wenn man so viele Kranke auf öffentliche Kosten geheilt und verpflegt, so kann es auch von denen, deren Rettung nicht gelingt, gefordert werden, von dieser letzten Ehre etwas nachzugeben. (Bekanntermaaßen folgt nämlich auf die anatomische Benutzung ein ordentliches Begräbniß.) - Diese Verfahrensweise ist recht, denn sie ist nothwendig, und England, wo dieß nicht gebräuchlich ist, und man die Cadaver lieber stiehlt, und selbst Mordthaten gegangen wurden, um dergleichen zu beschaffen, ist in diesem Bezüge noch weit zurück.48

Cadaver und Benutzung - allein die Terminologie bezeugt, wie Medizin gewollt oder wider Willen in den Rang einer Verwertungsinstitution gerückt war. Strukturell gesehen, war das nicht neu. Es gehört zur Kontoführung einer jeden Kultur, sich auf Kosten der Toten zu salvieren - von ihrer tatsächlichen Einverleibung über die symbolische im Leichenschmaus bzw. Abendmahl bis hin zur erlösenden Geschlechterfolge bzw. Generationsheilslinie. Medizin bildete hier, unter strukturellen Gesichtspunkten, keine Ausnahme. Inhaltlich neu jedoch war, daß Medizin mit ihrem Kausalkosmos diese Kontinuität von Toten zu Lebenden sicherte und diese Stellung sich zu monopolisieren begann. Die kirchliche Oberhoheit über den Tod und die Toten schwand. Das zeigt der nächste Abschnitt zu Bestattungspraktiken während der Cholera noch genauer. Staat und Medizin regelten nunmehr die Kette des Überlebens. Sie regierten, ein Komplex verschiedener wissenschaftlicher, ökonomischer, politischer und kultureller Determinanten, zunehmend die Ressourcen Leib und Leben: Körperpolitik. Der Widerstand gegen diese bürokratisch-medizinische Form der Leibeigenschaft im Leben wie im Tod nahm noch keine organisierte Form an, wie etwa in England. Er beschränkte sich auf Unruhen und Exzesse. Dennoch hatte er seine Logik. Er war nicht irrational, selbst wenn er sich fatal vereinfachender Vergiftungsphantasmen bediente. Darin überschnitten sich die magisch kodierte Furcht vor Pulver, vor unehrenhaftem Tod und Zerstückelung mit modernen Ängsten vor Sozialkontrolle und dem Verlust der Souveränität über den eigenen Körper.

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schau und Leichenöffnung in rechts vergleichender Sicht im deutschen Sprachraum, Aachen 1996, S. 2Iff. [Dr. Albert Sachs], Betrachtungen über das Einsenken der an der Cholera Verstorbenen auf besondren Begräbnißplätzen, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 45,5. November 1831, S. 179-181, hier: S. 179.

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d) Exkurs zu Bestattungsriten Tod ist für jedes Gemeinwesen die existentielle Grenze, bedroht ihren Bestand real wie symbolisch. Kulturpraktiken sind darauf angelegt, ihn real wie symbolisch zu bannen. Aus dieser Perspektive sind die aufklärerischen Bemühungen um Reform des Friedhofsbzw. Bestattungswesens zu verstehen. Sie hatten das sanitätspolizeiliche Ziel, die innerstädtischen Begräbnisplätze vor die Tore der Stadt zu verlagern. Aus Kirchhöfen wurden Friedhöfe. Frankreich spielte dabei seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine Vorreiterrolle. Begründet wurde die Auslagerung in der Regel mit zwei Argumenten: Einerseits würden die Kirchhöfe - an entsprechend lancierten Horrorgeschichten mangelte es nicht - regelrecht überquellen, andererseits seien die von ihnen ausgehenden wäßrigen Ausscheidungen und pestilenzartigen Dünste eine ernste Bedrohung der städtischen Gesundheit49. Das war nicht der alleinige Grund für staatlich-medizinische Zugriffe auf Bestattungsangelegenheiten. Der Kirche, der bisherigen Sachwalterin von Leben und Tod, wurde eine wichtige Kompetenz entzogen. Sie wurde unter der Hand entmachtet. Das Bestattungswesen gelangte zunehmend in staatliches Regime50. Der neuen, aufklärerischen Elite ging es darum, im staatlich-absolutistischen Gefüge auch die Phänomene von Leben und Tod reglementieren zu können. Der Staat gebot über die Toten und übte das symbolische Regiment über den Tod aus. Innerhalb dieser Grenzverschiebung markierte die Cholerazeit einen wichtigen Einschnitt. Bemühungen zur staatlichen Regelung von Bestattungspraktiken hat es zwar schon zu Pestzeiten gegeben. Die allmählich entstehenden Pest-Reglements hatten diesbezügliche Weisungen gegeben. So wurde dem sozialen Trauma begegnet, daß, wie bei der Athener Pest oder der ersten mittelalterlichen Pest, die Toten auf den Straßen verwesten. Die Epidemie hatte nicht nur real Menschen verschlungen. Sie hätten sich symbolisch beinahe selbst aufgegeben. Zur Demarkation einer jeden Kultur gehört schließlich, daß Tod und Bestattung bestimmten Riten unterliegen und nicht dem natürlichen Selbstlauf überlassen bleiben. In einer Krisenzeit wie der Pest war diese Selbstverständlichkeit fast außer Kraft gesetzt. Mit Macht mußten die Bestattungen aufrechterhalten werden. Das war ein erster Eingriff in

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Vgl.: Philippe Ariès, Geschichte des Todes (1978), München 1982, S. 603ff.; John McManners, Death and the Enlightenment. Changing Attitudes to Death among Christians and Unbelievers in Eighteenth-century France, Oxford, New York 1985, S. 303ff.; Barbara Happe, Gottesäcker gegen Mitnacht und freyer Durchzug der Winde. Hygiene auf dem Friedhof des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 7 (1988), S. 205-231; dies., Die Entwicklung der deutschen Friedhöfe von der Reformation bis 1870, Tübingen 1991, S. 17ff.; Johannes Wimmer, Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung. Fallstudien aus den habsburgischen Erbländern, Wien, Köln 1991, S. 169ff. Vgl.: Eberhard Sperling, Der Rechtsstatus der kommunalen und kirchlichen Friedhöfe, in: Wie die Alten den Tod gebildet. Wandlungen der Sepulkralkultur 1750-1850, hrsg. v. Hans-Kurt Boehlke, Mainz 1979, S. 37-44; Christian Pietsch, Der Einfluß staatlicher Verordnungen auf die Entwicklung des neuzeitlichen Begräbniswesens in Berlin und Brandenburg-Preußen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: „O ewich is so lanck". Die Historischen Friedhöfe in BerlinKreuzberg. Ein Werkstattbericht, hrsg. v. Christoph Fischer/Renate Schein, Berlin 1987, S. 143-166; Norbert Fischer, Vom Gottesacker zum Krematorium. Eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 1996, S. 16ff.

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Belange, die eigentlich kirchliche waren. Durch die aufklärerisch-sanitärpolizeilichen Maßnahmen, vor allem durch die Anlage von Kirchhöfen statt Friedhöfen, wurden sie dann nur weiter beschnitten. Die Cholera beförderte eine weitere Grenzverschiebung. Dem Postulat gemäß: „Die Beerdigung der Todten bleibt bei der Cholera ein wesentlicher Gegenstand der medicinalpolizeilichen Fürsorge"51, wurden in Preußen kirchliche Instanzen geradezu ausgeschaltet. In den Cholerakommissionen, die sich auf verschiedenen Ebenen konstituierten, waren sie anfangs durchweg nicht vertreten. Das für die Abwehr der Cholera zuständige „Gesundheits-Comité für Berlin", das vorwiegend aus Militärs und Polizeivertretern, auch Abgesandten der Bürgerschaft und aus Medizinern bestand, zog den evangelischen Bischof Daniel Amadeus Neander bezeichnenderweise erst nach einigen Wochen zu seinen Beratungen hinzu52. Auf den ersten Blick war das vielleicht eine unbedeutende Leerstelle. Der unverhohlen gegenkirchliche Trend manifestierte sich jedoch auch in Dekreten, die anfangs alle öffentlichen Zusammenkünfte verbaten. Nicht nur Wirtshäuser, Theater und Schulen sollten definitiv geschlossen werden, sondern - so die preußische Instruktion vom 5. April 1831 — gegebenenfalls selbst Kirchen53. Das Verbot trat zwar nur bedingt in Kraft. In Posen beispielsweise wurden Theater und Schulen geschlossen, Kirchen blieben aber, auf eine persönliche Intervention des Königs hin, weiterhin geöffnet 54 . Christliche Bestattungspraktiken wurden jedoch gezielt umgangen. So waren staatliche Verfügungsorgane anfangs bei der Anlage von separaten Begräbnisplätzen derart eilfertig, daß sie eine kirchliche Weihe nicht für nötig erachteten und sie übergingen55. Das war das geradezu logische Resultat eines bürokratisch geregelten Zugriffs auch auf Bestattungspraktiken. Sie wurden durch einen umfangreichen Komplex detaillierter Maßnahmen geregelt. Dazu gehörten die Anlage von separaten Seuchenfriedhöfen vor den Toren der Stadt, Anordnungen über das Wie des Transports und über die Art und Weise der Grablegung selbst. Für sich genommen waren all diese Anordnungen rational und schienen den Erfordernissen bürokratisch sanktionierter Hygiene und Seuchenschutzes zu genügen. Wenn sie unter anderem in Preußen dekretierten, die Choleraleichen nicht zu berühren, sondern mit „stumpfen eisernen Haken" ins Grab zu befördern, und zwar auf Friedhöfen, die mit

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Dr. Johann Wendt, Ueber die asiatische Cholera bei ihrem Uebertritte in Schlesiens südöstliche Gränzen. Ein Sendschreiben an seine Amtsgenossen, Breslau 1831, S. 40. Vgl.: E., Was ist in und für Berlin gegen die Cholera geschehen, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 11, 18. Oktober 1831, S. 91-93, hier: S. 91. Vgl.: Frh. v. Altenstein. Frh. v. Brenn, Instruction über das bei der Annäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. Berlin, 5. April 1831, in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde, 15 (1831), H. 2, S. 312-332, hier: S. 325. Vgl.: Roscislaw Stasch, Epidemja cholery azjatyckiej w Poznaniu w 1831 roku, Med. Diss. Posen 1933, S. 10 (für Hilfe bei der Übersetzung danke ich Frau Gabriela Mikolajczyk). Vgl.: Aus Danzig, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 247 u. 248, 7. Juli 1831, S. 987.

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einem Graben und einer sicheren Umzäunung umgeben seien 56 , trieben sie eine moderne Entzauberung der Welt offenbar nur rücksichtslos voran. Desgleichen, wenn sie in der Cholerazeit das bei Bestattungen ansonsten übliche Glockengeläut untersagten57. Diese Körperpolitik war allerdings mehr als Ausdruck kalt-technokratischer Rationalität, mehr als nur Resultat einer ihrem eigenen Kalkül gehorchenden Technik der Macht. Sie manifestierte auf ihre Weise den vergleichsweise magischen Impetus, der sich auch hier im Umgang mit Tod und Toten, dem kulturell nur sehr bedingt Verfügbaren, zeigt. Bedeutete es nicht eine vielsagende Inszenierung, die Bestattungen von Choleratoten, so die preußischen Edikte58, grundsätzlich nur nachts und unter Ausschluß der Öffentlichkeit vorzunehmen? Hatte die Form separater und für die Öffentlichkeit nicht zugänglicher Begräbnisstätten nicht eine Exterritorialisierung zum Ergebnis? Trug nicht jeder Tote den Dämon Krankheit in sich? Das, was in Katastrophen in separate Segmente zerfallen kann, erstens in nachweisbare Ursache-Wirkungs-Verhältnisse und zweitens in überwirkliche Einflüsse, fiel hier der Tendenz nach zusammen. Die aufklärerisch-bürokratische Ratio entzauberte die Welt. Gleichzeitig schuf sie ihren eigenen Schutzzauber: Die Leichen an der Cholera verstorbenen Personen müssen nicht abgewaschen, sondern sogleich in derselben Wäsche die sie während der Krankheit getragen haben, in den Sarg gelegt werden. Nach dem Einlegen in den Sarg muß die Wäsche mit einer Auflösung von Salpeter, Salz und Schwefelsäure begossen werden, das Gesicht und der Kopf muß mit dicker in dieser Auflösung getauchter Leinwand bedeckt werden. [...] In Ermangelung des Salpeters oder der Schwefelsäure kann man eine Auflösung von Allaun oder Eisenvitriol von einem derselben ein Theil mit 3 Theile Wasser gemischt, anwenden. Die Leiche wird hernach mit gewöhnlichen Kohlen bis zur Oberfläche des Sarges überschüttet, worauf der Deckel aufgelegt, vernagelt und der Sarg so tief wie möglich in die Erde eingelassen wird, alsdann wird der Sarg 1/2 Fuß mit Kohlen und in Ermangelung derer mit ungelöschtem Kalk oder Asche einen halben Fuß hoch bedeckt, und der Rest des Grabes mit Erde gefüllt.59 In sich war dieses Vorgehen schlüssig. Es beruhte auf der Radikalisierung des hygienischen Dispositivs, mit dem die Gemeinschaft vor sich selbst und ihren Toten zu schützen war.

56 Instruction über das bei der Annäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. Berlin, 5. April 1831, S. 331. 57 Vgl.: Alain Corbin, Die Sprache der Glocken (1994), Frankfurt/M. 1995, S. 404f.; Elisabeth Mühlauer, Welch' ein unheimlicher Gast. Die Cholera-Epidemie 1854 in München, Münster, New York, München 1996, S. 11 lf. 58 Vgl.: Der Chef zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten Immediat-Kommission, v. Thile, Publicandum. Berlin, 22sten August 1831, in: Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 208, 31. August 1831, S. 5973-5977, hier: S. 5977; Friedrich Wilhelm, Allerhöchste Cabinetsordre vom 5ten Februar 1832, enthaltend die Bestätigung der Instruction über das in Betreff der asiatischen Cholera in allen Provinzen des Preußischen Staates zu beobachtende Verfahren, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Rücksicht auf das allgemeine Sanitäts-Wesen im Königl. Preußischen Staate, 37 (1832), S. 344-368, hier: S. 360. 59 Vgl.: Nachricht über die Cholera, bekannt gemacht von dem Collegium Medikum des Königreichs Polen, hrsg. v. Dr. Sinogowitz, 2. Aufl. Danzig 1831, S. 26f.

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Dennoch entging es nicht der vergleichsweise magischen Exterritorialisierung, der Tote, und noch dazu an einer ansteckenden Krankheit gestorbene, stets und zu jeder Zeit unterliegen: „Die Begräbnisse geschehen ganz still zur Nachtzeit, und die Leichen werden ohne Sarg tief in die Erde gelegt, wodurch sie am sichersten bald ihre etwaige Schädlichkeit verlieren"60. Sie waren nicht, kulturelles Skandalon genug, lediglich tot. Sie waren an Ansteckung gestorben und nach wie vor potentiell ansteckend. So war Abwehr - Zweckrationalität als Schutzzauber - das oberste Gebot. Hieß es darüber hinaus in staatlichen Anweisungen, Choleratote in Dreifachsärgen beizusetzen bzw. die Erde über solcherart Bestatteten mit Schlägen durch Handrammen zusätzlich festzustampfen61, schien das magische Implikationen noch deutlicher zu evozieren und weckte fast zwangsläufig Erinnerung an die Vampirhistorien, die das Zeitalter der Aufklärung so nachhaltig beschäftigt hatten62. Die Vernunftrituale glänzten mit Schutzzauber. Die betroffenen Bürger und Unterschichten hielten hingegen an ihrer bisherigen kulturellen Praxis fest. Sie bestanden auf ihre Rituale. Zwar gelang es Bürgern in der Regel, eine unwürdige Bestattung zu umgehen. Schnell nämlich hatte sich in Preußen eingebürgert - die mangelnde Kapazität der Choleraspitäler gab ursprünglich den Anlaß dazu - , daß sie zu Hause von Angehörigen gepflegt und gegebenenfalls auf den üblichen Friedhöfen mit nur geringen Einschränkungen des Rituals beigesetzt werden konnten63. Bei ihnen grassierte aber noch eine andere Angst: die vor dem Scheintod, vor einer Bestattung bei lebendigem Leib. Das war eine kollektive Hysterie oder Manie, die fast ausschließlich bürgerliche Schichten betraf. Sie erfüllte, so ein Zeitzeuge, „nicht zuerst das Volk, sondern einen großen Theil der Gebildeten" 64 . Rahel Varnhagen etwa - der dritte Band dieser Tetralogie führt eine Reihe ihrer phobischen Cholera-Briefe aus den Jahren 1831/32 an - hatte 1816 testamentarisch einen mit Glasscheiben versehenen Sarg verfügt; in einem solchen ruhte sie ungefähr zwei Wochen nach ihrem Tod 1833 sichtbar in den Ge-

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D. A. Gebel, Aphorismen über die Brechruhr, nebst Angabe ihrer Heilung, Vorbeugung und sonstigen polizeilichen Maasregeln, Liegnitz 1831, S. 37. Zur Debatte um die Beisetzung in Dreifachsärgen in Florenz 1854 vgl.: Stolberg, Die Cholera im Großherzogtum Toskana, S. 115. Zum Feststampfen mit Handrammen vgl.: Minister des Innern an Civil-Gouverneur, 5. Oktober 1830, in: Sammlung Kaiserlich Russischer Verordnungen zur Verhütung und Unterdrückung der Cholera. Nebst einer Vorrede von J. Ch. Α. Claras, Leipzig 1831, S. 45. Zum übergreifenden Komplex der modern-magischen Totenabwehr durch Bestattungsriten vgl.: Werner Fuchs, Todesbilder in der modernen Gesellschaft (1969), 2. Aufl. 1979, S. 136ff. Vgl.: Philippe Ariès, Der „schmätzende" Tod (1974), in: ders., Studien zur Geschichte des Todes, München, Wien 1976, S. 117-125; Gábor Klaniczay, Heilige, Hexen, Vampire. Vom Nutzen des Übernatürlichen, Berlin 1991, S. 73ff.; Klaus Hamberger, Mortuus non mordet. Kommentierte Dokumentation zum Vampirismus 1689-1791, Wien 1992; Peter Mario Kreuter, Der Vampirglaube in Südosteuropa. Studien zur Genese, Bedeutung und Funktion [...], Berlin 2001. Vgl.: Richter, Untersuchungen zum Cholera-Spital, S. 201. Dr. Justus Radius, Ueber das frühzeitige Beerdigen der an Cholera Gestorbenen, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissens würdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 4, 10. September 1831, S. 25-26, hier: S. 25.

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wölben der Berliner Dreifaltigkeitskirche 65 . Die Cholera steigerte Ängste vor dem Scheintod. Bezogen auf die Seuche galt: Man habe den Scheintod „mehr als bei den meisten andern zu fürchten". Beziehungsweise: „Wir kennen kaum eine Krankheit, welche dem Scheintod so innig verwandt wäre, als die Cholera". Oder: „Die Cholera-Leichen sind den Cholera-Kranken so ähnlich, daß man jene für lebende Tote, diese für todte Lebende halten sollte"66. Diese Ängste waren auf ihre Weise modern. Die zunehmende Säkularisierung hatte zu einer Aufwertung der bürgerlichen Ressource Leben geführt. Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts löste das eine kollektive Manie aus. Bei lebendigem Leibe begraben zu werden, wurde zu einem gravierenden Trauma der neuen Bürgerkultur. Medizin 67 , Literatur68 und Medizinalgesetzgebung 69 stellten sich dem Phänomen: Beziehungsweise, sie erzeugten es auf ihre Weise diskursiv. Geschichten und Gerüchte über das Lebendigbegrabenwerden wurden aus Anlaß der Cholera zur Genüge lanciert. Manchmal schrieben sie sich

65 Rahel Varnhagen, Verfügungen vom 23. April 1816, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 2, S. 389-393, hier: S. 389f., vgl.: Carl-Peter Steinmann, Die Angst der Rahel Varnhagen, in: ders., Von wegen letzte Ruhe! Berliner Ausgrabungen, Berlin 2001, S. 73-77. 66 Dr. C. A. W. Richter, Die asiatische Brechruhr. Inaugural-Schrift, Leipzig 1832, S. 38; [Dr. Albert Sachs], Ueber die Nothwendigkeit der Vorsichtsmaaßregeln gegen Choleraleichen (Fortsetzung), in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 71, 6. Dezember 1831, S. 283-285, hier: S. 284; Auszug aus einem Berichte des Hrn. Dr. Härtung, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 11, 5. November 1831, S. 81-85, hier: S. 85. 67 Vgl.: Martin Patak, Die Angst vor dem Scheintod in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Med. Diss. Zürich 1967; Ariès, Geschichte des Todes, S. 504ff.; Elisabeth Vogel, Der Scheintod. Eine medizingeschichtliche Studie, Med. Diss. München 1986; Vorwort, in: Christoph Wilhelm Hufeland, Der Scheintod oder Sammlung der wichtigen Thatsachen und Bemerkungen darüber, in alphabetischer Ordnung, (1808), hrsg. v. Gerhard Köpf, Bern, Frankfurt/M., New York 1986, S. 5-19. 68 Vgl.: Ingrid Stoessel, Scheintod und Todesangst. Äußerungsformen der Angst in ihren geschichtlichen Wandlungen (17.-20. Jahrhundert), Köln 1983. In dieser Arbeit werden u.a. auch bekannte literarische Variationen des Scheintod-Komplexes, nicht nur aus Deutschland oder Europa, angesprochen. Die Relevanz des Themas wird jedoch vorrangig in einer Art Literatur deutlich, die nicht zum sog. literarischen „Höhenkamm" zählt. Allein zum Spezialthema „Scheintod und sexuelle Versuchung" in der Zeit nach 1830 vgl.: Der Sarg im Wirthshause, in: Aus dem Leben eines Gespenstes. Von Brennglass [Adolph Glassbrenner], Leipzig 1838, S. 185-210; M. G. Saphir: Der Leichenmaler. Eine Novelle, in: Der deutsche Horizont. Humoristische Aufsätze, Erzählungen und Novellen für Zeit, Geist und Sitte, hrsg. v. M. G. Saphir, München 1838, S. 15-26; Otto Ludwig, Maria (1843), in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. v. Paul Merker, Bd. 1, München, Leipzig 1912, S. 175-264. 69 Erna Lesky, Österreichisches Gesundheitswesen im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Wien 1959, S. 174ff.; Hans-Kurt Boehlke, Über das Aufkommen der Leichenhäuser, in: Wie die Alten den Tod gebildet, S. 135-155; Dominik Groß, Die Behandlung des Scheintods in der Medizinalgesetzgebung des Königreichs Württemberg (1806-1918), in: Würzburger Medizinhistorische Studien, 16 (1997), S. 15-34.

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vom liberalen Widerstand gegen staatliche Sperrpraktiken her70, manchmal vom journalistisch-literarischen Zwang zum Skandal71. Vor allem entsprangen sie einem zur Schau gestellten ärztlichen Verantwortungsbewußtsein, das alle Eventualitäten des Lebens und Todes in Betracht ziehen wollte und die Bürgerängste nur nährte. Bürger behüteten ängstlich ihre Ressource Leben. Ärzte standen ihnen beflissen zur Seite. Durch sie wurde die Unzahl der öffentlich lancierten Gerüchte wissenschaftlich geweiht. Sie waren die Sachwalter der neuen Bürgerangst. Erstens wäre die Gefahr eines Scheintods auch bei der Cholera gegeben. Zweitens wäre er aufgrund des Krankheitsverlaufs gerade bei der Cholera gegeben. Drittens schaffe die schnellstmögliche Beseitigung der Opfer die nötige Karenzzeit ab. Scheintod trete also hauptsächlich bei der Cholera auf. Er war eine beständige Gefahr. Dementierten staatliche Stellen solche angeblichen Scheintodvorkommnisse, dann nur, so erwiderte ein Mediziner, weil sie sie sorgfältig zu verheimlichen strebten72. Die Lage war ernst, Abhilfe jedoch parat. Mediziner verfügten über probate Mittel: zuallererst über ihre fachliche Erfahrung, daß „ein Zweifel über den erfolgten Tod nicht leicht obwalten kann"73. Darüber hinaus geboten sie über ein berufsspezifisches Instrumentarium. Dazu zählten Glüheisen, die eventuelle Scheintote aus ihrem Zustand erwecken würden 74 , des weiteren reizende Kältemittel75, zudem komplizierte Rettungssärge und ähnliche Apparaturen76. Vor allem aber kam es von ihrer Seite zu eindringlichen Forderungen an die

70 Vgl.: Radius, Ueber das frühzeitige Beerdigen der an der Cholera Gestorben; [Sachs], Ueber die Nothwendigkeit der Vorsichtsmaaßregeln gegen Choleraleichen; Z., Über den bei der Cholera vorkommenden Scheintod, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 2,4. Oktober 1831, S. l l f . 71 Vgl.: [Anonym], Medizinische Schriften, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 235, 10. Oktober 1831, S. 950; Christian Gottlob Hirt, Bulletin der Neuigkeiten, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 22, 7. Februar 1832, S. 175; [Anonym], Der Scheintod, eine Folge der Cholera, in: Erinnerungsblätter für gebildete Leser aus allen Ständen, 1 (1832), Nr. 25, S. 396f.; Georg Döring, Die Geißelfahrt. Eine Erzählung aus dem vierzehnten Jahrhundert, Bd. 3, Frankfurt/M. 1833, S. 164ff. 72 Vgl.: v. Vegesack, v. Weickhmann, [Instruction], in: Eduard Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der Cholera-Epidemie in Danzig miteinander getheilet haben, Danzig 1832, S. 46; [Sachs], Ueber die Nothwendigkeit der Vorsichtsmaaßregeln gegen Choleraleichen (Fortsetzung). 73 Dr. Ebers, Ueber die Beerdigung der an der Cholera gestorbenen Personen, in: Schlesische Cholera-Zeitung, Nr. 4, 30. November 1831, S. 124-127, hier: S. 126. 74 Vgl.: Anton Jankovich, Die Epidemische Cholera in den Jahren 1817-1832, ihr Wesen, Ursache und rationelle Behandlung, Ofen [1832], S. 107; Dr. Theodor Zschokke, Moskau und Petersburg beim Ausbruch der Cholera Morbus. Mit Bemerkungen über die bisher gemachten Erfahrungen von dieser Krankheit, Aarau 1832, S. 96; Dr. Reiter, Beobachtungen über die orientalische Cholera. Gesammelt in Wien, Paßau 1832, [S. 22], 75 Vgl.: [Dr. Justus Radius], Scheintod und Anwendung der Kälte bei Cholerakranken, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 4, Nr. 74, 25. April 1832, Sp. 27f. 76 Vgl.: Prof. J. V. Krombholz,General-Rapport über die Asiatische Cholera zu Prag im Jahre 1831 und 1832, Leitmeritz [1836], S. 20. Zur generellen Konjunktur von Rettungssärgen vgl.: Steffen

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staatlich Verantwortlichen, Choleraleichen so lange wie möglich unbestattet zu lassen und sie nicht unverzüglich zu Grabe zu tragen. Die Bestattungsreglements seien zu überarbeiten. Die schnellstmögliche Beseitigung der Leichen sei zwar ein Gebot des Seuchenschutzes. Aber der Schutz der Lebenden dürfe nicht auf Kosten zusätzlich verschuldeter Todesfälle erfolgen. Die Bürger hatten ihre Ängste und ihre Forderungen. Unterschichten hingegen hatten, obwohl auch hier, wie in Danzig oder Berlin, Gerüchte von begrabenen Scheintoten kursierten77, ganz andere Ansprüche. Sie waren an die Gewohnheiten der Lebenswelt gebunden: Erstens Beisetzung im individuellen Grab und nicht aufeinandergeschichtet in Massengräbern, wie etwa anfangs noch in Danzig78, zweitens Bestattung in geweihter Erde, drittens im Kreis der Ahnen aus Familie bzw. der Gemeinde sowie viertens mit dem gewöhnlichen Zeremoniell und am heilichten Tag. (Die kurzzeitige barocke Praxis der nächtlichen Begräbnisse hatte nur für Adlige und Bürger gegolten und kam Ende des 18. Jahrhunderts aus der Mode79.) Unterschichten bestanden auf ein „ehrliches" Begräbnis in christlichem Sinn. Nicht, weil es um die Verteidigung des Christentums ging, sondern eher darum, gewohnte Riten und Bräuche aufrechtzuerhalten. Der Staat hingegen beharrte auf seiner Logik, d.h. auf das schnellstmögliche Beseitigen der Toten ohne jeglichen Aufwand, auf ihre geräuschlose Exklusion: Man verbiete die öffentlichen Erinnerungen an Sterbefälle, also das Läuten mit den Todesglocken, die Todtenmusik; ebenso die öffentlichen oder gar die feierlichen Begräbnisse. Die Leichen werden am füglichsten bei Nacht oder früh Morgens in aller Stille zur Erde bestattet.80

Staatliche Körperpolitik gegen Lebenswelt, Logik des Staats gegen Alltagslogik - eine gewaltsame Zuspitzung des Konflikts war geradezu vorprogrammiert. Schon im Zuge der absolutistischen Friedhofsreformen um 1770/80 in Habsburg, vor allem aber in Frankreich, war es zu gewaltsamen Unterschichtenprotesten gekommen81. Es war nur eine Frage der

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Schäfer, Scheintod. Auf den Spuren alter Ängste, Berlin 1994, S. 69ff.; Tankred Koch, Lebendig begraben. Geschichte und Geschichten vom Scheintod (1990), 2. Aufl. Augsburg 1995, S. 102ff. Vgl.: [Wilhelm Schumacher], Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831 [Danzig 1831], S. 15f.; Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der CholeraEpidemie in Danzig miteinander getheilet haben, S. 47f.; Berlin, 24. Sept., in: [Augsburger] Allgemeine Zeitung, Nr. 383, 3. Oktober 1831, S. 1530f„ hier: S. 1530. Vgl.: [Schumacher], Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831, S. 15. Vgl.: Craig M. Koslofsky, Von der Schande zur Ehre. Nächtliche Begräbnisse im lutherischen Deutschland (1659-1700), in: Historische Anthropologie. Kultur - Gesellschaft - Alltag, 5 (1997), S. 350-369, hier: S. 368f.; ders., The Reformation of the Dead. Death and Ritual in Early Modern Germany, 1450-1700, Basingstoke, New York 2000, S. 133ff. Dr. K. F. H. Marx, Die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, Carlsruhe und Baden 1831, S. 299. Vgl.: Wimmer, Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, S. 183f.; McManners, Death and Enlightenment, S. 313; Charles A. Tomason, From Mortuary to Cemetery. Funeral Riots and Funeral Demonstrations in Lille, 1779-1870, in: Social Science History, 4(1980), S. 15-31.

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Zeit, wann und wo sie in der Cholerazeit ausbrechen mußten. In fast jedem Ort, in dem die Seuche auftrat, kam es zu Unzufriedenheit. Von da bis hin zu Krawallen und Tumulten war es oft nur ein kleiner Schritt. Es bedurfte nur des Zusammentreffens von mehreren voneinander unabhängigen Protestgruppen, um den Funken der Rebellion springen zu lassen. So beispielsweise in Königsberg: „Am heftigsten regte das von Berlin aus vorgeschriebene schimpfliche Begräbnis auf 8 2 . Ähnliches, aber weitaus schwächer in den Folgen, geschah in anderen Orten: Mitte Juli in Posen, wo eine Menge die Beisetzung einer Choleratoten auf einem Seuchenfriedhof verhindern wollte und erst durch zwei Kompanien Soldaten zerstreut werden konnte, kurz darauf in Memel, wo ebenfalls eine Beisetzung auf einem Cholerafriedhof verhindert werden sollte, die jedoch schließlich unter dem Schutz von ca. 150 Soldaten durchgeführt wurde. Zwei Tage darauf versuchte erneut eine Menge, auf den Friedhof zu dringen und den befreffenden Leichnam auszugraben. Vom herbeikommandierten Militär daran gehindert, attackierte man nun ein Choleraspital. Das war lediglich die Spitze eines Eisbergs. In kleineren, offenbar weniger eskalierenden Zusammenstößen - auf dem flachen Land war das Militär weit weniger präsent - hatten vor allem dörfliche Gemeinden es erreicht, Choleratote auf die gewohnte Weise beizusetzen83. Die Unterschichten bzw. die Landbevölkerung setzte sich zur Wehr. Das alarmierte die verantwortlichen Behörden, die in ihrem selbstvergessenen Elan mit solchen Reaktionen kaum gerechnet hatten. Noch dazu wurden sie von kirchlicher Seite gemahnt, die betreffenden Gefühle vor allem der sogenannten Unterschichten nicht leichtfertig zu ignorieren. So warnte bereits in den ersten Cholerawochen der Erzbischof von Posen und Gnesen in einem Brief an den Oberpräsidenten von Posen, man dürfe die Toten nicht „gleich den unverständigen Thieren" begraben84. Möglicherweise bezog sich diese Kritik auch auf das in Posen angewandte Verfahren, die in Kirchenkrypten vorhandenen Särge zu entleeren und die neu gewonnenen schützenden Behältnisse zum Begräbnis von Choleraleichen zu verwenden85. Durch diesen Einspruch ergab sich eine eigenartige Allianz von Kirche und Unterschichten. Die Cholerabehörden merkten auf. Nunmehr kam es darauf an, unter Wahrung der administrativen Ansprüche und ohne institutionellen Gesichtsverlust gewisse Einlenkungsmanöver zu unternehmen. So holte man einerseits in den östlichen Gebieten Preußens die ausstehenden Weihungen der angelegten Seuchenfriedhöfe eilfertig nach. Andererseits wurde, wie dann etwa in Breslau oder in Berlin, vorsorglich öffentlich angekündigt, betreffende

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Theodor von Schön an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, 28. August 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, Berlin 1881, S. 321. Vgl.: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 288f. Zu den Bestattungsriten im ostpreußischen Raum vgl. insgesamt: Erwin Rudolf Lange, Sterben und Begräbnis im Volksglauben zwischen Weichsel und Memel, Würzburg 1955. Marcin von Dunin an Eduard Heinrich Flottwell, 5. Juli 1831, zit. nach: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 289. Vgl.: Stasch, Epidemja cholery azjatyckiej w Poznaniu w 1831 roku, S. 16.

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Bestattungsplätze seien notwendigerweise angelegt, sie wären aber selbstverständlich und würdevoll kirchlich gesegnet worden86. Nächste Maßnahmen gingen dahin, die restriktiven Begräbnisvorkehrungen selbst zu lockern. Das vollzog sich, wie der zweite Band dieser Tetralogie vor allem am Beispiel der internen staatlichen Debatten im Anschluß an Hegels Tod zeigt, eher auf versteckte Weise87. Dafür mußte die Cholera erst die preußische Hauptstadt erreicht haben. Erst die sichtbaren Konflikte in der Residenz vermochten die offiziell Verantwortlichen zu einer Linderung der Reglements zu bestimmen. So verfügte ein Edikt vom 5. Februar 1832 - die Epidemie war de facto bereits abgeklungen - nunmehr für ganz Preußen: Jede Cholerabeerdigung geschehe unter Beachtung der von den Sanitäts-Commissionen vorzuschreibenden Vorsichtsmaßregeln, in der Regel nach eingetretener Dunkelheit und könne auf gewöhnlichen Kirchhöfen erfolgen. (Weitere Krawalle, etwa im November 1831 in Havelberg, wo rund 300 Personen sich gegen separates Bestatten erhoben und Häuser eines Arztes und eines Apothekers demolierten, hatten dieser liberalen Regelung nur zugearbeitet88.) Wo dennoch, lokal bedingt, separate Friedhöfe angelegt werden müßten, hätten die Orts- oder Kreis-SanitätsCommissionen im Voraus für ordnungsgemäße konfessionelle Weihe nach den Riten der verschiedenen Religionen zu sorgen89. Der Kreislauf der staatlichen Bemächtigung der Bestattungsbelange hatte sich damit geradezu geschlossen. Körperpolitik in actu: Abwehr kirchlicher Verfügungsansprüche, verbunden mit neuem staatlich-rational sanktionierten Schutzzauber, schließliche Reintegration kirchlicher Praktiken unter das neu durchgesetzte Diktat. Nunmehr verfügte der Staat die religiöse Praxis, die er in seinem Dekretierungselan vorab de facto eliminiert hatte. Freilich, das bleibt zu ergänzen, waren drakonische Bestattungsanordnungen vor Ort, auch in Berlin, in praxi längst außer Kraft gesetzt worden. Aber das betraf nicht ihren Status als Gesetz. Legislative arbeitet in einer Sphäre, die nur bedingt praktischen Erfordernissen genügen muß. Das liegt nicht nur, wie vermutet wird, am Hang zu repräsentativer Selbstdar-

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Vgl.: Wendt, Ueber die asiatische Cholera bei ihrem Uebertritte in Schlesiens südöstliche Gränzen, S. 40f.; E., Was ist in und für Berlin gegen die Cholera geschehen, S. 93. Zur damals kontrovers diskutierten Frage, ob Hegel tatsächlich an der Cholera starb, vgl. auch: Helmut Doli, Hegels Tod, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 79 (1985), S. 217-219; Barbara Markiewicz, Hegels Tod, in: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik". Hegels Berliner Gegenakademie, hrsg. v. Christoph Jamme, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 531-556; Dettke, Die asiatische Hydra, S. 185ff. Vgl.: [Notizen], in: Allgemeine Medizinische Zeitung mit Berücksichtigung des Neuesten und Interessantesten der allgemeinen Naturkunde, Nr. 100,14. Dezember 1831, Sp. 1606. Vgl.: Friedrich Wilhelm, Allerhöchste Cabinetsordre vom 5ten Februar 1832, S. 360. Die religiöse Weihe von Begräbnisplätzen nach den Riten der verschiedenen Konfessionen wurde nach den betreffenden Unruhen bereits in einem Edikt vom 23. August 1831 angeordnet, vgl.: Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comité für Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin. Berlin, 23. August 1831, S. 45. Erst mit Edikt vom 27. November 1833 wurden separate Cholerafriedhöfe in Preußen gänzlich abgeschafft, vgl.: Moritz Pistor, Grundzüge einer Geschichte der Preußischen Medizinalverwaltung bis Ende 1907. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, Braunschweig 1909, S. 114.

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Stellung des Gesetzgebers oder daran, einer Aushandlungslogik gemäß Spielräume im Verhältnis von Legislative und Untertanen zu eröffnen 90 . Das reine, ideale Gesetz ist in bestimmter Hinsicht über seine Nichtrealisierbarkeit erhaben. Es lebt gerade davon, Verhältnisse zu regieren, die ihm widerstreben oder sich ihm entziehen. Allein als Gesetz übt es symbolische Macht aus. Seine inhaltlich mitunter scheinbare Absurdität ist der Nachweis des Gegenteils. Es bezeugt menschliche Aktivität und Souveränität um jeden Preis, auch um den der Nichtrealisierbarkeit. Gesetze bezwingen, was wäre mehr, als Gesetze symbolisch die Realität.

3.2. Der fragile Pakt von Adel und Bürgern a) Bürger gegen Adel: Miasmenmodell Nach den Straßenkämpfen, die im Herbst 1830 die sächsische Metropole Leipzig erschüttert hatten, berichtete ein adliger Junker, Zeuge der Ereignisse, einem Verwandten: Du weißt, daß ich seit 1820 an die Existenz eines revolutionären Komités geglaubt habe. Die letzten Ereignisse haben mich in dieser Meinung bestärkt. Die Verschworenen treiben die Bürger an, diese lassen den Pöbel los. Nun treten die Bürger unter die Waffen zur Stärkung der öffentlichen Sicherheit, im Grunde aber, um bewaffnet ihre aufrührerischen Pläne durchführen zu können. [...] Verheimlicht wird schon nicht mehr, auf näheres Nachforschen hin, daß alle deutschen Länder, bis auf Preußen, einer Revolution unterliegen sollen; da alle Truppen für sie seien, sei der Triumpf sicher.91

Das ist nur eine der politischen Verschwörungsversionen, die zu dieser Zeit voll im Schwange waren. Eine ebenfalls in Leipzig erscheinende „Geschichte der geheimen Verbindungen der neuesten Zeit" brachte es zwischen 1831 und 1834 immerhin auf acht Lieferungen 92 . Die Bürger, so das Fazit jenes Adligen, hätten seit Jahren auf den Sturz der bewährten monarchischen Ordnung hingearbeitet, hätten den Pöbel aufgestachelt und sich dann selbst zu Erben des Umsturzes erhoben. Das verdeutlicht die tiefen Ressentiments, die Adel und Bürgertum in der Zeit um 1830 hegten. Kastengeist und Kastendünkel verfestigten sich. Zeichnete sich doch ab, daß der Kampf um Macht und Herrschaft in politischen wie in wirtschaftlichen Angelegenheiten sich zuspitzte. Das Bürgertum als neue Klasse und neue ökonomische Macht zerrte an den Hemmstricken der feudalen Ständegesellschaft. Der Adel stemmte sich dagegen und ver-

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Vgl.: Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft, 23 (1997), S. 647-663. Vgl.: Paul von Hahn an seinen Schwager, Leipzig, 14. September 1830, in: In Gutshäusern und Residenzen. Denkwürdigkeiten der Freifrau Sophie von Hahn, geb. de Graimberg, hrsg. v. Otto Freiherrn v. Taube, Hannover-Döhren 1964, S. 290. Vgl.: Geschichte der geheimen Verbindungen der neuesten Zeit, Heft 1-8, hrsg. v. J. D. F. Mannsdorf, Leipzig 1831-1834.

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teidigte die althergebrachten Feudalprivilegien. Bürokratische Reformer hingegen, teils Bürger, teils Adlige, suchten nach ausgleichenden Reformen und einer Art „dritten Wegs". Ausgleichversuche wurden umso schwieriger, aber umso nötiger, weil eine weitere Macht, der wachsende Pöbel- und Arbeiterstand, zunehmend gegen beide Opponenten antrat. Mitunter setzte ein Tauziehen ein, diesen noch fragilen und konturlosen Stand politisch zu instrumentalisieren. Der Adel schrieb die wachsenden sozialen Mißstände den Schrecken der freien wirtschaftlichen Konkurrenz zu und versuchte dadurch, sein Terrain zu befestigen93. Bürger hingegen sahen Pöbelunruhen, sofern sie sich nur gegen die Institutionen des Ancien régime richteten, gar nicht ungern. So bei den Septemberunruhen in Leipzig. Daß der Mob die Wohnungen von Ratsangehörigen und Polizeibeamten demolierte, beobachteten Bürger teilweise schadenfroh. Aufruhr durch die „rohe Faust des Ungebildeten" ebnete, so ein Zeitzeuge, das Feld für partielle bürgerliche Reformen94. Trotz des offensichtlich klaren Sozialkonflikts sind Grenzen zwischen Adel und Bürgertum nicht leicht zu ziehen. Als „Klasse" nämlich befinden sich Adel und Bürgertum seit Jahren im Untergang. Die Kriterien dafür, was Adel zu Adel und Bürgertum zu Bürgertum macht, werden immer fragwürdiger. Die „Sozialgeschichte der Väter", mit ihren vorrangig soziologischen Kriterien für solche Formierungsprozesse, ist wohl endgültig verabschiedet worden95. Statt dessen wächst in der Geschichtsschreibung das Bewußtsein für die symbolische Konstitution von sozialen Gruppierungen. Klassen sind nicht nur auf Geburt oder auf Besitz gegründet. Sie entstehen in symbolischen Interaktionen. Soziologische Kriterien für Klassen, Schichten usw. werden deshalb nicht hinfällig. Nur lockern sie sich. Kulturellsymbolische werden hingegen bedeutsamer. Im Kampf gegen die Cholera zeigt sich das auf exemplarische Weise. Das neuartige, liberale und freizügige Reaktionsmuster wurde an entscheidender Stelle von einem Adligen verfochten, der nichtsdestoweniger als Bürger agierte. Umgekehrt trat für die entgegengesetzte Position von Sperren und Reglementierungen einflußreich ein Bürgerlicher ein, der im feudal-monarchistischen Preußen Karriere gemacht hatte und institutionell bestimmte Adelspositionen verfocht. Ein solcher Positionswechsel hob jedoch die grundlegende Dichotomie von Adel und Bürgertum nicht auf. Hier interessieren zunächst die Absichten des Bürgertums. Dieser heterogene Gruppe aus Bourgeoisie und Bildungsbürgertum ging es um handfeste Standesinteressen: um Freiheit der Presse und der Information, von Handel und Verkehr, und auch um Beteiligung an staatlichen medizinalpolitischen Entscheidungen.

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Vgl.: Franz von Baader, Über das dermalige Mißverhältniss der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Classen der Societät [...], (1835), in: Fr. v. Baader, Sämmtliche Werke, hrsg. v. Fr. Hoffmann, Leipzig 1851ff., Bd. 6, S. 127-143. A. Licht, Die höchst gefahrvollen Tage Leipzigs im September 1830 mit ihren Quellen [...], Halle 1830, S. 27, zit. nach: Heinrich Volkmann, Protestträger und Protestformen in den Unruhen von 1830 bis 1832, in: Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, hrsg. v. Heinrich Volkmann/Jürgen Bergmann, Opladen 1984, S. 56-75, hier: S. 71, vgl. auch: Arno Herzig, Unterschichtenprotest in Deutschland 1790-1870, Göttingen 1988, S. 44ff. Thomas Welskopp, Die Sozialgeschichte der Väter. Grenzen und Perspektiven der Historischen Sozialwissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft, 24 (1998), S. 173-198.

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Darüber hinaus war die Seuche ein scheinbar unpolitisches Vehikel, an dem, in einer geschlossenen Gesellschaft wie der Preußens, liberale Forderungen umso nachhaltiger exemplifiziert werden konnten. Sie wurde zum Politikum stilisiert, an dem sich der Interessenkonflikt von Bürgertum und Adel stellvertretend ausfechten ließ. Allein von daher war jede der Theorien über die Cholera mit politischem Symbolismus beladen. Die medizinische Wissenschaft war das Feld, auf dem die Kontrahenten sich mit Argumenten versorgten. Beziehungsweise umgekehrt: politische Konstellationen gingen, direkt oder indirekt, in die medizinische Theoriebildung ein. Die Kontagionstheorie, die eine nachhaltige Reglementierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens forderte, war das offiziell sanktionierte Programm des halbherzig reformierten preußischen Ancien régime. Geradezu diktatorisch wurde sie von Staats wegen verfochten. Kritik an ihr wurde wie die am politischen System überhaupt unterdrückt. Sie konnte favorisiert werden, weil sie ihrer praktischen Konsequenz nach genau das unterband, was unterbunden werden mußte: unkontrollierte gesellschaftliche Mobilität, Freizügigkeit in Verkehr und Handel, Freiheit der Person. Das Miasmenmodell war hingegen das der Liberalen. Nicht nur Ärzte mit liberalem Anspruch traten aktiv dafür ein, auch Bürger, Publizisten und Politiker, die für das Ideal einer Bürgergesellschaft kämpften. Ein Mediziner, der sich, neben vielen anderen, die jedoch die öffentliche Auseinandersetzung scheuten, für das „liberale" Miasmenmodell engagierte, war der Berliner praktische Arzt Dr. Albert Sachs, der 1835, gerade erst 32jährig, an der Schwindsucht starb. Es wären noch weitere in der Regel jüngere Mediziner zu nennen, etwa die Königsberger Karl Friedrich Burdach und Karl Ernst von Baer. Aber Sachs ist von besonderer Bedeutung, weil er erstens im Zentrum der preußischen Monarchie arbeitete, weil er zweitens eine ganze, öffentlich breit rezipierte Cholera-Zeitung diesem Unternehmen widmete und weil er drittens nicht als Einzelperson handelte, sondern als offizielles Sprachrohr der „Medicinisch-chirurgischen Gesellschaft zu Berlin", einer Vereinigung von freien Ärzten und Gelehrten. In deren Auftrag gab er das „Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin" in zweiundneunzig Nummern vom 14. September bis 31. Dezember 1831 heraus. Sachs, 1805 in Berlin geboren, dort 1825 an der Universität promoviert und, da ihm als Jude eine akademische Tätigkeit verwehrt blieb, als praktischer Arzt tätig, umriß gleich in der ersten Nummer die Stoßrichtung der Publikation. Es erscheine vor allem notwendig, in wissenschaftlicher wie bürgerlicher Hinsicht möglichst frei und unabhängig zu arbeiten. Man werde ohne jedes Vorurteil zu Werke gehen, jede Meinung gründlich diskutieren und die Ereignisse ganz und unverfälscht zur Sprache bringen. Das hieß im Klartext: Er wollte sich so weit wie möglich wissenschaftliche und politische Unabhängigkeit bewahren und unter Zensurbedingungen Alternativen zur kontagionistischen Staatsdoktrin präsentieren. Das wurde immer wieder behindert. So wurde die Fortsetzung des ersten Aufsatzes, der das Kontagionsmodell anhand von Beispielen ausdrücklich bestritt, durch Zensureingriff des Kultusministers von Altenstein gestoppt und konnte erst durch erfolgreichen Einspruch fortgesetzt werden (S. 65, 37096).

96 Vgl.: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 303.

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Angesichts der widrigen Umstände verhielt sich Sachs bewußt vorsichtig. Er unterwarf sich aber nicht der staatlich geltenden Doktrin, sondern griff zur Durchsetzung seiner Ziele zu einer operativen Taktik. Einerseits versuchte er immer wieder, Nachrichten zu lancieren, die für eine miasmatische Verbreitung der Cholera, durch Luft, Wasser, Erdboden oder generelle Klimaeinflüsse zu sprechen schienen. Andererseits stellte er Fragen, säte Skepsis, betonte immer wieder, wie wenig der bisherige Streit über die Cholera zu sicheren Ergebnissen geführt hätte. Damit bestritt er indirekt den Wert des Kontagionsmodells. Am augenfälligsten und provokantesten demonstrierte das eine Artikelfolge, die aus insgesamt sechsundachtzig Fragen bestand (S. 77ff). Da, wo die Kontagionisten Antworten wußten, entzog er ihnen den Boden. Das hieß unter den geltenden Bedingungen einer Sklavensprache: Er stellte sie definitiv infrage. Ausdrücklich bezeichnete er das in späteren Folgen seines Journals als eine „Angriffs- und Vernichtungsmethode": Er zerfrage das, was er vertilgen wolle (S. 177). Von Nummer zu Nummer beschränkte sich Sachs immer weniger darauf und wurde zusehends offensiver. Die Erfolge über die Zensurbehörden gaben ihm Auftrieb. Der Abdruck eines ersten antikontagionistischen Artikels von Carl Ignatius Lorinser im staatsoffiziösen preußischen Regierungsorgan, der „Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung" vom 4.-6. Oktober bestärkte die Tendenz seines Blatts nur. Immer nachhaltiger kritisierte das „Tagebuch" die preußischen Vorkehrungen. Es konnte nach Lorinsers Veröffentlichung in der „Staats-Zeitung" sogar dazu übergehen, Johann Nepomuk Rust, den Präsidenten des Kuratoriums für Krankenhausangelegenheiten und den einflußreichsten Medizinalpolitiker im Kultusministerium, direkt anzugreifen (S. 149ff.). Flankiert wurden diese und andere Attacken durch einen besonderen Coup: Die Resultate einer unter den 61 Berliner Cholera-Schutzkommissionen durchgeführten Befragung wurden dem „Tagebuch" - möglicherweise vom liberalen Polizei-Präsidenten von Arnim zugespielt. Sie widerlegten fast einhellig den Nutzen der verhängten Wohnungssperren und anderer Zwangsmaßnahmen. Sie stärkten damit deutlich die antikontagionistische, miasmatische Position (S. 159ff.). Schließlich gingen der Herausgeber des „Tagebuchs" und seine Mitstreiter sogar dazu über, ihren politischen Unmut zu artikulieren. Sachs erklärte seinen miasmatischen Ansatz zur „Oppositionsmeinung", die der herrschenden zuwiderlaufe, und er wertete das als Ausdruck „der in den verschiedendsten Klassen der Gesellschaft geltenden Meinungen" (S. 115). Das war ein politisches Bekenntnis. Auch an anderen Stellen des Journals hatte Sachs die preußische Staatsdoktrin als „absolutistisch-contagionistische Theorie", als „absolutistische Contagiositätsansicht", als „absolutistische Contagionstheorie" gegeißelt (S. 82, 294, 3696). Seine eigene Theorie der Cholera blieb zwar recht verschwommen. Nach seiner nicht weiter ausgeführten Hypothese war die Seuche eine „Krankheit der Erde oder Erdrinde, die sich ähnlich wie ein Flechtenausschlag verbreitet, und eine abnorme Ausdünstung veranlaßt, die Luftverderbniß bedingt" (S. 201). Sein Hauptziel schien aber nicht die Verbreitung einer neuen und stimmigen Choleratheorie zu sein. Er setzte alles daran, die staatlichen Maßnahmen als Ausdruck bürokratisch-absolutistischer Reglementierung zurückzuweisen. Dagegen stellte Sachs sein liberales Ideal, „die bürgerliche Freiheit des Einzelnen [als] das höchste, wichtigste und unantastbarste Gut" anzusehen (S. 237). Diese Position, die er nach den überstandenen Cholerawirren in einer eigens publizierten Broschüre nochmals nachdrücklich verteidigte, trug ihm nicht nur die erwähnten anfänglichen Zensur-

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Schwierigkeiten ein. Kultusminister von Altenstein wollte solcher Kühnheit am Ende mit mehr als nur Zensurmitteln begegnen. Er überwies die Broschüre, da er darin eine „Verspottung einer landesgesetzlichen Anordnung" erkannte, dem Justizministerium, offenbar vergeblich, zur Anklage?7. Sachs war idealtypischer Repräsentant einer politischen Opposition, die sich vorerst in medizinischer Konfrontation bündelte. Damit scheint er exemplarisch das zu bestätigen, was Erwin H. Ackerknecht bereits 1948 in seiner mittlerweile klassischen Arbeit „Anticontagionism between 1821 and 1867" dargelegt hat: Daß sich der Streit von Miasmatikern und Kontagionisten als ein Streit politischer Leitmodelle lesen läßt und daß sich der Siegeszug der Miasmatiker von der Jahrhundertmitte bis zur Ära der Bakteriologie auf den Aufschwung des politischen Liberalismus gründete. Ackerknechts These hat, wie es starken und plausiblen Thesen immer widerfährt, in der Zwischenzeit nicht wenig Widerspruch erfahren. Aber er bestätigt nur, daß sie nach wie vor nicht gegenstandslos zu sein scheint. Zu Ackerknechts These und seinem Text, der als eine der Gründungsurkunden der Sozialgeschichtsschreibung der Medizin anzusehen ist: Seine Argumentationsführung war denkbar einfach. Nachdem Ackerknecht die kontagionistisch fundierte staatliche Seuchenabwehr seit der Renaissance schilderte, belegte er an den Beispielen gelbes Fieber, Pest und Cholera, wie dieses kontagionistische Paradigma im Verlauf des 19. Jahrhunderts vom miasmatischen abgelöst wurde. Einher ging das mit einer Lockerung von restriktiven Sperrund Quarantänemaßnahmen in Ländern wie Frankreich, Deutschland, England oder den USA. Daraus zog Ackerknecht das für die damaligen wissenschaftstheoretischen Diskussionen - man denke an den Einfluß Robert K. Mertons - gar nicht so überraschende Fazit: Nur vor einem bürgerlich-liberalen Hintergrund sei die Konjunktur miasmatischer Modelle zu verstehen. Die Vertreter der unterlegenen kontagionistischen Fraktion seien in der Regel Militärärzte und Medizinalpolitiker des bürokratisch-staatlichen Apparats, gar des Ancien régime gewesen98. Ein Blick auf die Geschichte der Choleradebatten scheint diese These zu bestätigen: Nicht nur der Liberale Sachs vertrat in der Cholerazeit 1831/32 einen entschiedenen Antikontagionismus. 1848, während der Choleraepidemie in der Revolutionszeit, fochten liberale bzw. demokratische Mediziner dafür. Zu nennen wäre etwa Rudolf Virchow. In Anlehnung an den Liberalen Salomon Neumann unterschied er Seuchen in natürliche und künstliche. Natürliche Seuchen - die Cholera zählte er ihnen ausdrücklich zu - würden nur durch Klima und Witterung verbreitet. Das „Staatsdogma" einer ansteckenden Verbreitung der Seuche, die „verstockte Contagien-Manie", wie Virchow sie nannte, sei deswegen rundweg verfehlt". Nicht Sperren an den Grenzen und im Inneren des Landes würden helfen.

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Zit. nach: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 303. Die Verbotsforderung betraf die Abhandlung: Dr. A. Sachs, Betrachtungen über die unter dem 31. Januar 1832 erlassenen Instructionen über das gegen die Cholera in den preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. 1. Nachtrag zu dem Tagebuch über die Cholera in Berlin, Berlin [1832], Erwin H. Ackerknecht, Anticontagionism between 1821 and 1867, in: Bulletin of the History of Medicine, 22 (1948), S. 562-593. Rud. Virchow, Die öffentliche Gesundheitspflege, in: Die medicinische Reform. Eine Wochenschrift, Nr. 8, 25. August 1848, S. 4 5 ^ 7 , hier: S. 46. Zu Virchows Zuordnung der Cholera zu den

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Erforderlich sei eine rationelle Therapie durch Kälte sowie soziale Fürsorge, die die ganze Bevölkerung in die Lage setze, sich einen angemessenen Lebensstandard und entsprechende medizinische Versorgung zu sichern. Trotz evidenter Belege für den Zusammenhang von Antikontagionismus und Liberalismus ist Ackerknechts These nach einer langen Zeit der Geltung mit verschiedenen Argumenten befragt worden. Der wohl erste substantielle Einwand erfolgte von Margaret Pelling. Erstens wies sie auf die wissenschaftliche Eigendynamik hin, die ein Rückführen von Theorie auf determinierende politische Einflüsse widerlege, zweitens betonte sie - und auch das hat nicht wenig für sich - , kontagionistische und antikontagionistische Positionen seien gar nicht so scharf voneinander zu scheiden, wie es in generalisierenden Darstellungen mitunter scheine. Ein nächster Einwand Roger Cooters machte darauf aufmerksam, daß die miasmatische Position nicht einem politischen Liberalismus geschuldet sei, sondern eher einem Modernitätsbewußtsein, mit dem klare Verhältnisse und Kausalitäten hinfällig wurden. Die Miasmatiker hätten gewollt oder ungewollt an einer Entsubstantialisierung des natürlichen und sozialen Kosmos gearbeitet. Die unsichtbaren Miasmen würden den unsichtbaren Relationen gleichen, die nach Adam Smith die soziale Entwicklung regierten. Mit der Frage der Moderne verknüpfte auch François Delaporte das Aufkommen des Kontagionismus. Er sei das Produkt einer städtischen Perspektive. Ländliche Sozietäten mit dem noch existentiell spürbaren Einfluß natürlicher Elemente seien miasmatisch ausgerichtet. Erst Städte mit der unausbleiblichen Atomisierung der Bewohner und ihrer beständigen unkontrollierten Zirkulation begünstige das Kontagienmodell. Des weiteren wiesen Patrice Bourdelais bzw. Annemarie Kinzelbach darauf hin, einheitliche Deutungsmuster und Abwehrstrategien hätte es gar nicht gegeben. Jedes Dorf und jede Stadt hätte je nach Umständen für diese oder jene Variante optiert100. Diese Vorbehalte sind jüngst von Peter Baldwin in großem Maßstab gebündelt worden. Um den Anspruch einzulösen, Ackerknechts These über den prägenden und entscheidenden Einfluß von Politik und Ideologien auf Choleratheorien zu widerlegen, schreitet er verschiedene Länder mit ihren unterschiedlichen politisch-ideologischen Konstellationen ab: Eng-

„natürlichen" Epidemien vgl.: Rudolf Virchow, Die Seuche (1849), in: ders., Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin, Frankfurt/M. 1856, S. 54-55, hier: S. 55. Zu Neumanns Begriff gesellschaftlicher Epidemien vgl.: Dr. S. Neumann, Zur medicinischen Statistik des preussischen Staates, Berlin 1849, S. 73. Zu Neumann insgesamt: Salomon Neumann 1819-1908. Wegbereiter sozialmedizinischen Denkens und Handelns. Ausgewählte Texte, hrsg. v. Karl-Heinz Karbe, Leipzig 1983; Gerhard Baader, Salomon Neumann, in: Berlinische Lebensbilder, Bd. 2: Mediziner, hrsg. v. Wilhelm Treue/Rolf Winau, Berlin 1987, S. 152-174. 100 Vgl.: Margaret Pelling, Cholera, fever, and English medicine 1825-1865, Oxford 1978, S. 298ff.; Roger Cooter, Anticontagionism and the History's Record, in: The Problem of Medical Knowledge. Examining the Social Construction of Medicine, ed. by Peter Wright/Andrew Treacher, Edinburgh 1982, S. 87-108; François Delaporte, Disease and Civilization. The Cholera in Paris, 1832, Cambridge, London 1986, S. 70ff.; Patrice Bourdelais, Cholera: A Victory for Medicine?, in: The Decline of Mortality in Europe, ed. by R. Schofield/D. Reher/A. Bideau, Oxford 1991, S. 118-130, hier: S. 130; Annemarie Kinzelbach, Seuchenkonzepte und frühneuzeitliche Gesellschaft: Deutungen von „Pestilenzen" und städtischer Alltag, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 20 (1997), S. 253-265.

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land, Frankreich, Deutschland und Schweden. Waren Seuchentheorien nun die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, oder folgte die Politik umgekehrt den unterschiedlichen theoretischen Imperativen? Wie war das Verhältnis von Medizin und Politik? Baldwin räumt zwar ein, daß Ackerknecht Ätiologie, Prophylaxe und politische Rahmenumstände sehr exzellent und eindrucksvoll in Zusammenhang gebracht hätte. Aber er entzieht Ackerknechts Ansatz durch eine Kritik der Fragestellung selbst den Boden und weist die Scheidung von Kontagionismus und Miasmentheorie als manichäisch zurück. Weder habe es eine klare Scheidung von Kontagionismus und Miasmentheorie gegeben, noch sei sie, wenn sie idealtypisch ausgebildet war, konservativen oder liberalen Staatsgebilden eindeutig zuzuordnen. Mit empiristisch-skeptischem Grundzug, jeden Beleg mit Gegenbelegen konterkarieren zu wollen, operiert Baldwin eigentlich nur ex negativo und vermag es dadurch nicht, Ackerknechts Annahme grundlegend zu entkräften101. Es genügt nicht, Theorien mit einzelnen Gegenbeispielen widerlegen zu wollen. Allenfalls sind sie durch andere Theorien korrigierbar, die einen höheren Grad von Evidenz aufweisen. In bezug auf Ackerknechts Annahme stehen sie nach wie vor aus. Zwischenzeitlich hat Ackerknechts Erklärungsansatz aber nicht nur Kritik, sondern weiteren Ausbau erhalten. Insbesondere Richard J. Evans wies mit neuen Argumenten darauf hin, daß die zeitweilige theoretische und praktische Vorherrschaft des miasmatischen Antikontagionismus auf liberale Prämissen zurückgeführt werden kann. Die sechziger und siebziger Jahre in Deutschland fielen mit dem Zeitalter des Freihandels zusammen. Es endete 1879 mit der Einführung von Einfuhrzöllen und -quoten. Ein Jahr zuvor war das Sozialistengesetz erlassen worden. Ein Klima der umfassenden Reglementierung und Kontrolle des sozialen Lebens wäre entstanden, zu dem sich die Konsequenzen des Bakterienmodells bestens fügten. Wenn sie auch nicht darauf zurückzuführen seien, wäre das dennoch ein entschiedener Nährboden für die entstehende Repressivbakteriologie gewesen102. Berücksichtigt man, daß die Entstehung, Differenzierung und Weiterentwicklung von Seuchentheorien ein überaus komplexer Vorgang ist, auf den eine Fülle von Faktoren einwirken, läßt sich, mit Blick zumindest auf Deutschland, dennoch eine grundlegende Tendenz herausstellen: Das miasmatische Modell war in der Alternativsituation Miasmatiker versus Kontagionisten das Modell, das von bürgerlichen Liberalen, bürgerlichen Medizinern, Vertretern der Wirtschaft oder politisch Liberalen bevorzugt wurde. Das sagt nichts über die wissenschaftliche Entstehung dieser Modelle aus, denn die Streitfrage „miasmatisch" versus „kontagionistisch" hatte es zwar schon seit dem 18. Jahrhundert und noch länger gegeben. Daß sie nicht entschieden war, bestärkte aber ideologische Präferenzen. Liberale Befürworter wirtschaftlicher und politischer Reformen waren in der Regel antikontagiös eingestellt. Sie wandten sich gegen restriktive Einschränkungen von Handels- und Reisefreiheit sowie gegen großflächige Quarantänemaßnahmen, die Flurin Condrau als „Makroquarantäne" bezeichnet. So hatten die liberalen Senatsgremien Freier Städte wie Hamburg und Lübeck ihre Wahrheit gefunden und waren fast durchgehend antikontagiös

101 Vgl.: Peter Baldwin, Contagion and the State in Europe, 1830-1930, Cambridge 1999. 102 Vgl.: Richard J. Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910 (1987), Reinbek 1991, S. 342ff.

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eingestellt103. Die preußische Staatsbürokratie dagegen vertrat unter der Fahne der Kontagiosität mehrheitlich die ihr maßgerechte Wahrheit. Sie hielt auf die Ansteckungstheorie und befürwortete rigide staatliche Eingriffe in die wirtschaftlichen, kulturellen und privaten Sphären. Ausnahmen widerlegen diese Tendenz nicht. Selbst die paradoxe gelegentliche Umkehrung, daß an verantwortlicher Stelle adlige staatliche Verantwortungsträger miasmatisch ausgerichtet waren und Bürgerliche die Staatsdoktrin der Ansteckung verfochten, stellt sie, wie der nächste Abschnitt am Beispiel Theodor von Schöns und Johann Nepomuk Rusts zeigt, nicht infrage.

b) Adel gegen Bürger: Kontagienmodell Das Kordon- und Sperrsystem hatte sich, so die allgemeine Einschätzung der Öffentlichkeit, nicht bewährt. Seine Befürworter bemühten sich, es zu verteidigen. Es habe die Cholera zwar nicht abhalten können. Aber nur ihm sei es zu verdanken, daß sie nicht schlimmer wütete. Das zu zementieren, wurde eigens nach Abklingen der Cholera in Berlin seit Februar 1832 von Universitätsmedizinern und Medizinalbeamten ein staatsoffizielles „CholeraArchiv" herausgegeben. Der preußische Staat blieb bei seinem kontagionistischen Modell. Dessen Verfechter wurden gezielt protegiert. Persönlichkeiten wie der höchste preußische Medizinalpolitiker Johann Nepomuk Rust oder der Berliner Stadtphysikus Wilhelm Wagner, der sich im genannten „Cholera-Archiv" entschieden kontagionistisch positioniert hatte, wurden nach der Epidemie mit königlichen Auszeichnungen geehrt. Rust avancierte alsbald zum Leibarzt des Kronprinzen104. Medizinische Miasmatiker wie Karl Ernst von Baer oder Carl Ignatius Lorinser hatten hingegen erhebliche Karriereschwierigkeiten. Theodor von Schön, der Präsident der Provinz Ostpreußen, seit der Zeit der sogenannten Preußischen Reformen für seine liberalen Neigungen bekannt und 1842 durch beständige Querelen mit der Krone zum Rücktritt genötigt, mußte sich schon 1831 wegen seiner Kritik an den kontagionistischen Maßnahmen von höchster Stelle rügen lassen105. Das war eine paradoxe Situation: Der Adlige von Schön kämpfte für liberale Bürgerfreiheit, ein Bürgerlicher wie Rust vertrat hartnäckig und unbelehrbar die kontagionistische Doktrin. Das macht die von Ackerknecht aufgestellte These einer bestimmten Kongruenz

103 Vgl.: Flurin Condrau, Cholera und sozialer Wandel. Die Schweiz als Beispiel, in: Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), hrsg. v. Jörg Vögele/Wolfgang Woelk, Berlin 2000, S. 189-201, hier: S. 200; Evans, Tod in Hamburg, S. 330ff. 104 Vgl.: Thoams Stamm-Kuhlmann, Die Cholera von 1831. Herausforderungen an Wissenschaft und staatliche Verwaltung, in: Sudhoffs Archiv, 73 (1989), S. 176-189, hier: S. 187. 105 Vgl.: Nachrichten über Leben und Schriften des Herrn Geheimraths Dr. Karl Ernst von Baer, mitgetheilet von ihm selbst [...], St. Petersburg 1866, S. 371; Lorinser, Eine Selbstbiographie, Bd. 2, S. 20f.; Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Theodor von Schön, 12. August 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg, S. 312f.

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von wissenschaftlichen und politisch-ideologischen Standpunkten nicht hinfällig. Es zeigt nur, daß politische Konstitutionsprozesse von Schichten und Klassen nicht auf rein soziologische Herkunft reduziert werden können. Bürger artikulierten sich nicht per se bürgerlich, Adlige nicht per se adlig. Ebenso war die Option für Miasmen oder Kontagien nicht zwangsläufig auf die eine oder andere Position zurückzuführen. Aber hier, selbst in paradoxer Verkehrung, zeigt sich, wie „Wahladel" Kontagionismus bedeutet, und die gewählte liberale Perspektive die miasmatische nach sich zieht. Von Schön, 1773 als Sohn eines Amtsrats und Domänenpächters geboren, hatte eine Verwaltungskarriere eingeschlagen. In erster Ehe verheiratet mit der Tochter eines Rittergutsbesitzers, in zweiter mit der Stief- und Pflegetochter eines Feldmarschalls, war er schon zu dieser Zeit in die Preußischen Reformen involviert und geriet dadurch in Auseinandersetzungen mit der Berliner Ministerialbürokratie und Hochkonservativen. Noch vor der Welle politischer Restauration in Preußen wurde er 1816 zum ersten Oberpräsidenten der Provinz Westpreußen ernannt. Sechs Jahre später wurde sie mit Ostpreußen vereinigt und wiederum unter seine Leitung gestellt. Natürlich war von Schön kein Demokrat. Er war allenfalls ein Adelsliberaler, der sah, daß der preußische Staat, so wie er nach 1815 Schritt für Schritt sogar die bescheidenen Errungenschaften der Preußischen Reformen zurückzunehmen versuchte, in immer tiefere Krisen steuerte. Er engagierte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für einen reformartigen Ausbau des vorhandenen politischen Gebäudes, um durch angemessene Gewaltenteilung dessen Grundfesten nicht völlig erschüttert zu sehen. In dem Sinne war er ein aufgeklärter adliger Liberaler und kam dem politischen Liberalismus der Vormärzzeit in vielem nahe. Auch in der Cholerazeit. Von Schön wandte sich gegen die von Berlin aus verhängten drakonischen Maßnahmen. Einerseits versuchte er vor Ort, so weit wie möglich stillschweigende Milderungen einzuleiten bzw. zu dulden. Er sah voraus, zu welchen Zusammenstößen es kommen könnte. Andererseits plädierte er in Briefwechseln mit Machtträgern des Regimes - vor allem mit dem Kronprinzen und dessen General-Adjutanten Ludwig Gustav von Thile, der als Chef der preußischen Immediat-Kommission für die Abwehrung der Cholera fungierte - , für weitgehende Lockerungen, verbunden mit stärkerer medizinischer Fürsorge: Die Instruktion geht von dem bei der Cholera, durch die Erfahrung unrichtigen, bei der Pest aber richtigen Satz aus, daß die Krankheit allein von Personen und Sachen fortgepflanzt werden kann. Alles was daraus gefolgert ist, muß dahero Widersprüche enthalten. Sie setzt Alles an die Absperrungen, und diese haben, wie sie vorgeschrieben sind, in Petersburg schon Aufstand, und bei uns hohe Unzufriedenheit und Unglück erzeugt. [...] Die Instruktion stellt die Sanitäts-Kommissionen bei weitem nicht wichtig genug da, da diese doch unser erstes und sicherstes Mittel sind. Sie behandelt die Sache nach russischer Art als eine MilitairAngelegenheit [...]. Die Landräthe, welche die Kreis-Polizei zu verwalten haben, treten zurück, und so wird so viel unterlassen, oder verkehrt gemacht, daß Unheil die Folge davon sein muß. [...] Die Sanitäts-Kommissionen bedürfen einer wirksameren Stellung, und strengerer Normen, das Militair müßte in sein Verhältniß der Wache [zurücktreten, und die medizinischen Maßregeln sind bedeutend auszudehnen.106

106 Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 16. Juli 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg, S. 284f.

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Die Königsberger Choleraunruhen konnte von Schön nicht verhindern. Nur gelang es ihm, durch sein eigenmächtiges Abgehen von den strengen Restriktionen die Bürger- und Studentenschaft auf seiner Seite zu halten und so den Aufstand relativ schnell niederzuschlagen107. Von Schön war in einer paradoxen Lage. Er sollte die staatliche Spenpolitik verteidigen, wurde aber zum erklärten Miasmatiker. Sein Widerstand gegen das Kontagionsmodell mag verschiedene Gründe gehabt haben: Widerstand gegen eine bürokratische Zentralisierung, die ihn und seine Lokalbehörden zu Vollzugsgehilfen degradierte, Sorge um bürgerlichen Handel und Wohlstand, die durch die Sperren stark beeinträchtigt wurden, oder Furcht vor drohenden Pöbelaufständen. Auf jeden Fall engagierte er sich im Rahmen seiner Mittel für politische und wirtschaftliche Freizügigkeit. Er hatte die Seiten gewechselt. Folglich war er in der Zeit der politischen Verhärtung, die in Preußen nach dem Thronwechsel von 1840 einsetzte, als Präsident nicht mehr haltbar. Seine eigentlich nur für private Kreise bestimmte Denkschrift „Woher und Wohin? oder der preußische Landtag im Jahre 1840", die einen Frontalangriff gegen das preußische Regime führte, wurde durch Indiskretion vorab bekannt. Formal berief sich Schön auf grundadlige Rechte, die er durch eine zentralisierte Staatsbürokratie gefährdet sah. Aber seine Argumentation, die den adelskonservativen Kreisen Preußens eigentlich hätte gelegen kommen müssen, verfing als Manöver nicht. Nach scharfer Maßregelung kam von Schön - ob er nach heutigen Maßstäben als entschiedener und partiell rigoroser Liberaler anzusehen ist, einmal dahingestellt108 - seiner Entlassung zuvor. Die liberale Öffentlichkeit feierte ihn dafür als „Bürgerfreund"109. Johann Nepomuk Rust, einer der einflußreichsten Gegenspieler von Schöns, konnte sich eines solchen guten Rufs nicht erfreuen. Höchster Medizinalbeamter des Ministeriums für geistliche, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, wurde er als eigentlicher Urheber des preußischen Sperrsystems angesehen, der sämtliche Behörden konspirationsartig auf seinen Kurs gebracht hätte110. Gar galt er als „die bestgehaßte Persönlichkeit im Staate"111. Diese Urteile wollten hinter der Fassade persönlicher Ambitionen nicht die harte Realität

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Vgl.: Theodor von Schön an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, 28. August 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg, S. 320, vgl. auch: Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg, Bd. 2, Köln, Graz 1968, S. 495ff. 108 Vgl.: Bernd Sösemann, Wissenschaft und Politik. Eine Kritik der Ansichten und Urteile über Schöns Leben und Werk in zwei Jahrhunderten, in: Theodor von Schön. Untersuchungen zu Biographie und Historiographie, hrsg. v. Bernd Sösemann, Köln, Weimar, Wien 1996, S. 1-28, hier: S. 8. 109 Zit. nach: Sösemann, Wissenschaft und Politik, S. 5. Vgl. auch: Gerhard Krüger, ... gründeten auch unsere Freiheit. Spätaufklärung, Freimaurerei, preußisch-deutsche Reform. Der Kampf Theodor v. Schöns gegen die Reaktion, Hamburg 1978. 110 [Anonym], Freimüthige Beleuchtung des Benehmens der Berliner verordnenden Contagionisten in Bezug auf die Cholera, vor und nach erfolgtem Ausbruch der Epidemie in Preußen. Von einem reisenden Cholera-Arzte, Altenburg 1832, S. 6. 111 Richard Knoblauch, 175 Jahre Knoblauchsches Haus. Aus Tagebüchern und Akten des Familienarchivs, 4. Fortsetzung, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, NF, 56 (1939), S. 19-25, hier: S. 21.

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wahrhaben. Auch hier, im Gebildetendiskurs, wurde die Mär eines von unfähigen oder böswilligen Beamten umgebenen königlichen Landesvaters kolportiert. Rust war kein teuflischer Konspirateur. Er vertrat nur die offizielle Ansteckungsdoktrin. Sein Engagement in der ersten Choleraepidemie trug ihm, wie bereits erwähnt, eine königliche Auszeichnung ein. Das preußische „Regulativ über das Verhalten bei ansteckenden Krankheiten" von 1835, das seine Handschrift trug, wurde durch ein königliches Geschenk gewürdigt112. Rust verfocht den staatlichen common sense. Der Logik der Herrschaft zufolge war die Cholera ansteckend. Aus der Sicht staatlichen Handelns mußte abgesperrt werden. Die Grenzen nach Außen waren zu schließen und im Inneren das strenge Regime von Kontumazen, Quarantäne, Haus- bzw. Zimmersperre zu wahren. Seit Pestzeiten hatte sich das durchgesetzt und entsprach der absolutistischen Staatsräson. Schon bevor Girolamo Fracastoro 1546 erstmals ein noch mit vielen magischen Anschauungen durchsetztes Kontagionsmodell formulierte, wurden Sperren und Quarantänen praktiziert. Bis dahin waren Seuchentheorien durchweg miasmatisch, und die miasmatische Theorie - verbunden mit dem Paradigma der „epidemischen Konstitution" - dominierte die Medizin im 18. Jahrhundert nach wie vor. Staaten und Stadtstaaten praktizierten jedoch unabhängig davon und längst vor Fracastoro ihren Sperr- und Abwehrmodus. Er war durch augenscheinliche Erfahrung gedeckt. Vor allem aber entsprach er einer Logik absolutistischer Herrschaft, die, des Machtausbaus wegen, der Seuche mitunter geradezu bedurfte113. Es gab Monarchien, die in der Cholerazeit vom Sperrsystem abgingen, etwa Bayern, wo es 1836 weitgehend aufgehoben wurde114. Aber Bayern gehörte nach 1830 zu den süddeutschen Verfassungsstaaten, die die absolutistischen Rechte der Krone mit liberalem Reformwerk empfindlich beschnitten. Preußen, als politischer Antipode, vertrat auch in der Seuchenfrage die entgegengesetzte Position. Es war die des sogenannten Vielregierens, der

112 Vgl.: Johann Nepomuk Rust, in: Dr. Bock/Dr. Hasenknopf/Dr. Albert Koehler, Die Kriegschirurgen und Feldärzte Preussens und anderer Staaten in Zeit- und Lebensbildern, Bd. 2, Berlin 1901, S. 301-334, hier: S. 306. Zu Rust insgesamt: Horst Fritze, Die Bedeutung von Johann Nepomuk Rust (1775-1840) als Medizinalbeamter, Med. Diplomarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin 1984; Hans-Uwe Lammel, „Passer RUSTicus Linnaei". Johann Nepomuk Rust (1775-1840) - ein preußischer Medizinalbeamter der Schinkelzeit, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 84 (1990), S. 1066-1070. 113 Vgl.: Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1975), Frankfurt/M. 1976, S. 251 ff.; Gerburg Treusch-Dieter, Das Modell der Pest. Zum Disziplinarregime des schwarzen Todes. Ein Katalog, Wien 1992 [Vortragsserie des Instituts für Soziologie der Universität Wien, Nr. 12]; Martin Dinges, Pest und Staat: Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion?, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, hrsg. v. Martin Dinges/ Thomas Schlich, Stuttgart 1995, S. 71-104, hier: S. 85ff.; Ramón Reichert, Auf die Pest antwortet die Ordnung. Zur Genealogie der Regierungsmentalität 1700:1800, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 7 (1996), S. 327-358; ders., Der Diskurs der Seuche. Sozialpathologien 1700-1900, München 1997. 114 Vgl.: Mühlauer, Welch' ein unheimlicher Gast. Die Cholera-Epidemie 1854 in München, S. 38f.; Baldwin, Contagion and the State in Europe, S. 13If.

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Polykratie115, die von Liberalen auch anläßlich der Cholera so heftig kritisiert wurde. Rust, ihr Protagonist, war jedoch kein reiner Konservativer oder engstirniger Anhänger der Militärpartei. Er sah sich, viel moderner, als Protagonist einer bürokratischen Verwaltungselite, die seit den Preußischen Reformen ein nicht unerheblicher Machtfaktor geworden war. Bewußt herabstimmend verstand er sich, wie in einem Sendschreiben aus der Cholerazeit, als technischer Beamter der Administration116. Treffend ist die Position, für die Rust stand, als „bürokratischer Absolutismus" bezeichnet worden117. Dieser Bürokratismus begann, in der Regel sogar aufklärerisch legitimiert, Feld um Feld in der Politik an sich zu ziehen. Auf diesen neuen Stand hatte Rust seine Karriere ausgerichtet. Aus der Familie eines verarmten österreichischen Verwaltungsbeamten stammend, schlug er die medizinische Laufbahn ein und trat nur, weil sich günstige Aufstiegsmöglichkeiten boten, 1815 in den preußischen Militärdienst. Das war die Voraussetzung seiner steilen Universitäts- und Verwaltungskarriere in Preußen. Sein innenpolitisches Ordnungsverständnis jedoch beruhte nicht auf militärischen Mustern. In mehreren Gesuchen bat er sogar um seine Entlassung aus dem Militärdienst. Und medizinalpolitisch betonte er in auffälliger Weise, gestützt auf seinen Förderer und hervorragenden Vertreter jenes absolutistischen Verwaltungsbürokratismus, Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein, die Rolle der neuen und vorerst bedrängten Institution Polizei. Dennoch vertrat Rust als Bürger, und auf die umgekehrt paradoxe Art, wie der Adlige von Schön auf bürgerlich-liberaler Position stand, konservative bzw. Adelsideale. Auf seine Weise kämpfte er für eine patrimoniale Gesellschaft und einen vormundschaftlichen Staat, beraten und gelenkt von einer bürokratischen Elite. Ein Bürger, der einflußreich das kontagionistische Modell verfocht, ein ebenso einflußreicher Adliger, der miasmatische Positionen bezog: Selbst in verkehrter Konstellation bewahrheitet sich die Bindung von Seuchentheorien an politische Prämissen bzw. ihre politische Instrumentalisierung. Die Cholera war ein Politikum - Choleratheorien nicht minder.

c) Neue Bündnisse: Die Gefahr von unten Innerhalb weniger Wochen mußte der empfindliche politische Seismograph Friedrich von Gentz seine strategische Hauptprognose gravierend korrigieren. Ende September 1831, die Cholera hatte gerade Wien erreicht, sah er in einer Denkschrift noch den Antagonismus von Volkssouveränität und monarchischem Prinzip, von Bürgertum und Adel, als Grundgegensatz der Epoche an. Nur die mörderische Seuche halte die Kämpfenden auf Distanz. Eine

115 Vgl.: Art. „Polykratie", in: Wilhelm Traugott Krug, Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, nebst ihrer Literatur und Geschichte, Bd. 3, 2. Aufl. 1833, S. 296. 116 Vgl.: Einiges über die Cholera. Ein Sendschreiben des Präsidenten Dr. Rust an Se. Excellenz den Königl. Preuß. wirklichen Geheimen Rath und Kammerherrn, Freyherrn Alex. v. Humboldt in Paris, Beriin 1832, S. 8. 117 Eckart Kehr, Zur Genesis der preußischen Monarchie und des Rechtsstaats (1932), in: ders., Der Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Hans-Ulrich Wehler, Berlin 1970, S. 31-52, hier: S. 35.

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Zuspitzung des Konflikts sei jedoch wahrscheinlich. Kurz darauf, im Januar 1832, umriß er in einer weiteren geplanten Denkschrift jedoch eine grundlegend veränderte Situation: Nein! Wenn wir uns heute irgendeiner Besorgniß Preis geben wollten, so wäre es weit weniger der eines politischen, als eines gesellschaftlichen Krieges. Die Möglichkeit eines Aufstandes der unteren Volksclassen gegen die höheren, der Armen gegen die Reichen, das ist die Gefahr die über uns schwebt, für welche der moralische und materielle Zustand der Gesellschaft in fast allen Ländern den Keim in sich trägt, und wovon wir schon einige erschreckende Beispiele erlebt haben.118

Was veranlaßte den plötzlichen Perspektivwechsel? Woher die plötzliche Angst vor den unteren Volksklassen? Das arbeitende Volk, die Proletairs, hatten als eigenständige Kraft und mit Macht die geschichtliche Bühne betreten. War noch die französische JuliRevolution diejenige, in der nach Gentz' Worten Volkssouveränität und monarchisches Prinzip miteinander rangen, war durch den Lyoner Seidenweberaufstand von November 1831 ein neues politisches Kampffeld eröffnet: das zwischen Armen und Reichen, Nichtbesitzenden und Besitzenden. Gesellenstreiks und gewaltsamen Aufruhr, aus welchem Anlaß auch immer, hatte es schon seit Jahrhunderten gegeben, Maschinenstürmereien waren mit zunehmender Industrialisierung hinzugekommen. Aber in Lyon waren zwei soziale Gruppen gewaltsam aufeinandergeprallt, deren Ansprüche vorerst nicht vermittelbar schienen. Der Tarifkampf von Arbeitern bzw. arbeitenden Kleineigentümern ging in einen mehrtägigen bewaffneten Aufstand mit Barrikadenbau über. Nicht nur wurden mit den üblichen Mitteln Barrikaden passiv verteidigt. Durch Teile der Nationalgarden, die sich mit den Aufständischen verbrüderten, gelangten Kanonen in die Hände der Insurgenten. Sie gingen zur Offensive über, brachten die Stadt für Tage in ihre Hände und mußten sich erst der Übermacht einer ganzen Armee ergeben119. Wie Gentz befürchtete, war die soziale Massenerhebung nur erstes Vorspiel von Auseinandersetzungen, die die Zukunft entscheidend prägen würden. Deshalb empfahl er ein Bündnis der Reichen mit den Mächtigen, also von neuer Bourgeoisie und alter staatlicher Macht. Solche Konflikte standen in Deutschland vorerst nicht auf der Tagesordnung. Pointiert läßt sich sagen: Der Pariser Juli von 1830 zog den Lyoner November von 1831 nach sich. Erst der partielle Sieg der Bourgeoisie forcierte den neuen Konflikt mit dem Proletariat. Und ein solcher Juli stand im wirtschaftlich und politisch gering entwickelten Deutschland noch an. Insgesamt waren hier die Unruhen von Herbst 1830 mehr oder weniger glimpflich verpufft. Dennoch kam es in der Cholerazeit 1831/32 zu einem Schulterschluß von Adel und Bürgertum. Beide einte das Ressentiment gegen den sogenannten Pöbel, gegen die Armen, gegen das gemeine städtische Volk - die Angst vor dem Leviathan, dem erst im Lauf der

118 Friedrich von Gentz, Betrachtungen über die politische Lage in Europa (September 1831), in: Schriften von Friedrich von Gentz. Ein Denkmal, Bd. 5, hrsg. v. G. Schlesier, Mannheim 1840, S. 196-206; ders., [Über die Gefahr einer Revolution, Januar 1832], in: Aus dem Nachlasse Friedrichs von Gentz, Bd. 1, Wien 1867, S. 265. 119 Vgl.: Bock, Die Illusion der Freiheit, S. 203ff.

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nächsten Jahre eine entscheidende Metamorphose bevorstand: Vom Pöbel zum Proletariat120. Nicht ohne Grund bestand Sorge vor Pöbeltumulten. Adlige, wie etwa die Gattin des damaligen preußischen Außenministers, Elise von Bernstorff, sorgten sich vor allem um eine allgemeine Störung von Ruhe und Ordnung und befürchteten Widerstand gegen den patrimonialen Staat: „Wir mußten erwarten, daß der Berliner Pöbel sich ebenso wie der aller anderen Städte, welche die Seuche berührte, gegen den Zwang der Gesundheitspolizei auflehnen werde, noch ehe er sich ihm unterwerfen mußte"121. Für das Bürgertum hingegen ging es angesichts des abzusehenden Aufbegehrens der ,,allerdürftigste[n] MenschenKlasse" vor allem um Wahrung von Eigenthum, Habe und Reichthum, wie die Denkschrift eines besorgten Berliner Bürgers umstandslos hervorhob122. Ebenso sah das Flaggschiff des deutschen Liberalismus, das einflußreiche, von süddeutschen Liberalen edierte „StaatsLexikon", vornehmlich Eigentum und Besitz in Gefahr: „Der theils unwissende, theils zur Verzweiflung gebrachte, theils in seinen schlechtesten Leidenschaften aufgeregte Pöbel ist zu sinnlosen Gewalttaten aufgelegt; die Sicherheit des Eigenthums ist bedroht"123. Darüber hinaus, was für den Schulterschluß von Adel und Bürgertum ebenso wichtig war, grassierte Angst vor einer Verbreitung der Seuche durch Schmutz, Unwissenheit und Unmoral - kurzum, vor dem Volk. „Es erzeugt diese Plagen, es verschlimmert sie, es pflanzt sie fort"124. Diese fatale Angst nährte sich aus dem Befund, die Cholera sei eine typische Krankheit der Armen. Die Crux aller Seuchenhistoriographie ist es, das empirisch bestätigen zu wollen bzw. zu widerlegen, und unter Historikern bildet das einen beliebten Streitpunkt. Allein aus den entsprechenden Bevölkerungsanteilen - so die eine Fraktion - würde sich eine größere

120 Vgl.: Werner Conze, Vom „Pöbel" zum „Proletariat". Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland (1954), in: Moderne deutsche Sozialgeschichte, hrsg. v. HansUlrich Wehler, 2. Aufl. Köln, Berlin 1968, S. 111-136; ders., Art. „Pöbel", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter/Karlfried Gründer, Darmstadt 1971 ff., Bd. 7, Sp. 999f.; Sidonia Blättler, Der Pöbel, die Frauen etcetera. Zum Diskurs der Massen und der Massengesellschaft in der politischen Philosophie des 19. Jahrhunderts, Berlin 1995. Zum Vorfeld: Christian Möckel, „Volk" und „Pöbel". Zwei rechtsphilosophische Termini im deutschen Idealismus, in: Berliner Debatte Initial. Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs, 10 (1999), H. 3, S. 103-114. 121 Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath. Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896, S. 219. 122 Carl von Neander, Schutz-Plan. Die arme Volks-Klasse der Königlichen Residenz-Stadt Berlin in dieser nahrungslosen Zeit, die bevorstehenden Winter-Monate hindurch, vor Kummer - vor Tumult und Unfug zu bewahren, Berlin, 13. September 1831, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam), Rep. 30, Berlin C, Königliches Polizei-Präsidii zu Berlin, Armensachen, Nr. 44. 123 R. M[ohl], Art. „Ansteckende Krankheiten", in: Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, hrsg. v. Carl von Rotteck/Carl Welcker, Bd. 1, Altona 1834, S. 603-615, hier: S. 610. 124 Charles Didier, Betrachtungen eines Franzosen über Katholizismus und Volk auf Veranlassung der Cholera, in: Neue Monatsschrift für Deutschland, historisch-politischen Inhalts, 38 (1832), S. 432-452, hier: S. 450.

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Sterblichkeit innerhalb der Unterschichten ergeben. Schlechte Wohnungs- und Lebensverhältnisse - so die andere Fraktion - hätte tatsächlich eine überproportionale Seuchenanfälligkeit der Armen verursacht. Der Streit ist nicht zu entscheiden. Ob der Befund sich bestätigen läßt oder nicht: In den symbolischen Wahrnehmungswelten von Adligen und Bürgern waren die Armen von der Cholera am stärksten betroffen. Sie stellten demzufolge die größte Gefahrenquelle dar. Zwei Strategien überkreuzten sich in diesem Konstrukt. Es war entlastend, sich von der Seuche weniger gefährdet zu wissen. Ebenso entlastend war es, eine bestimmte soziale Gruppe als Sündenbock bzw. als Gegenstand der Seuchenprävention ausgemacht zu haben. Angesichts der bedrohlichen Sachlage gab es zwei Handlungsstrategien, die den operativen Bund von Adel und Bürgertum besiegelten: erstens adlige Sozialfürsorge „von oben", zweitens karitatives bürgerliches Wirken „von unten", beides auf Basis rigiden Disziplinierungs- und Kontrollanspruchs. So ließ sich die soziale Not steuern, die die Cholera beträchtlich forcierte. Nicht wenige Baubetriebe, Manufakturen, Fabriken oder Handelsunternehmen mußten ihre Tätigkeit drastisch einschränken. Die Sperren an den Grenzen bzw. im Inland verschlechterten die Geschäftslage einschneidend. Dazu kam die fluchtartige Abreise der zahlungskräftigen Klientel. Einerseits bedeutete das finanzielle Einbußen für die betreffenden Firmeninhaber. Andererseits stieg Arbeitslosigkeit plötzlich an, was unter anderem den oben bereits geschilderten Bittmarsch von über einhundert Arbeitern zum Charlottenburger Schloß veranlaßte. Wer gar wegen eines Cholerafalls im Haus bzw. in der Familie der Wohnungssperre zwangsweise unterlag, war gänzlich um einen Lohnerwerb gebracht. Auch ohne drohenden Erwerbsverlust wuchs die Not. Die Sperren verteuerten vor allem Brennstoffe und Lebensmittel. Die Hamsterkäufe von Begüterten führten nochmals zu Preisanstieg. Es war mit Unruhen zu rechnen. Deshalb richtete sich das Augenmerk der preußischen Krone darauf, mittels bestimmter Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen die größte Not, etwa durch Gebäude- und Chausseebauten, zu lindern. In den Genuß von Zuschüssen kamen beispielsweise die Städte Danzig, Posen und Breslau125. Sie flössen auch der Residenzstadt Berlin zu, wo nach Ausbruch der Cholera eine besondere Verschärfung der sozialen Lage aufgetreten war: Handel und Gewerbe sto[c]ken hier sehr, und die arbeitende Classe spürt schon je[t]zt Mangel an Arbeit. Daß die Behörden beim Eintreten der Cholera die Dürftigen unterstützen werden, steht zu hoffen; Vorkehrungen deshalb hat man noch nicht bekannt gemacht; vielleicht um dem Müßiggange nicht Vorschub zu leisten. Jedenfalls muß etwas geschehen, um Störungen der öffentlichen Ruhe vorzubeugen, da allein über 12.000 Handwerksgesellen, ohne die Tagelohnarbeiter zu rechnen, müßig werden könnten; es soll die Absicht seyn, die Vergrößerung des Charité-Krankenhauses und eine neue Chaussee nach Köpenick auszuführen, um die Müßigen zu beschäftigen. 126

125 Vgl.: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 259. 126 Berlin, 27. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 245, 2. September 1831, S . 9 7 8 f „ hier: S. 979.

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Der Grund für die königliche Großzügigkeit - im Nachhinein hieß es ironisch, der König gebärdete sich in der Seuchenzeit „unwillkürlich socialistisch"127 - lag auf der Hand. Möglichen Sozialprotesten wurde für den Moment der Boden entzogen. Unmittelbare Not wurde gelindert. Die taktische Befriedung wurde sogar als Auftakt einer strategischen angesehen. Würden solche Maßnahmen dauerhaft fruchten und auch Bürger zu philanthrophischen Gaben stimulieren, dann, so ein Zeitungskorrespondent, „hätte die Krankheit etwas dauerhaft Gutes bewirkt, und wir wären aller Furcht vor revolutionairen Umtrieben auf immer enthoben"128. Der Adelsstrategie „von oben" korrespondierte die bürgerliche Aktivität „von unten". Die bürgerliche Sozialfürsorge konzentrierte sich etwa in Berlin auf die 61 Cholerakommissionen. Sie arbeiteten teilweise in den Grenzen der bereits bestehenden Armen-Kommissionen. Ihre Gründung, im Sinne von kommunalen Selbstverwaltungsorganen, war nominell aufgrund der Steinschen Städte-Reform von 1808 möglich. Aber erst seit Anfang der zwanziger Jahre, als die städtische Armut wegen des Zuzugs überschüssiger ländlicher Produzenten immer bedrückender wurde und der Staat sich der Fürsorgepflicht auf Kosten der Kommunen entledigte, nahmen diese Kommissionen tatsächlich ihre Tätigkeit auf129. Auf freiwilliger Basis engagierten sich nunmehr Bürger - und nicht mehr staatliche Armeninspektoren oder Polizeiorgane - für die Armenfürsorge. Das Bürgertum nahm die Lasten an, die den Städten durch Bevölkerungswachstum und Einwohnerzustrom infolge steigender landwirtschaftlicher Produktivität auferlegt wurden. Es stellte sich auch der Herausforderung Cholera, die diesen Sozialdruck verschärfte. Das hieß, Bürger engagierten sich für Armenfcontrolle. Bürgerliche Sozialfürsorge und Sozialkontrolle gingen Hand in Hand. Verteilten die Kommissionen finanzielle Almosen, vor allem jedoch materielle Hilfe wie Nahrungsmittel, Kleidung und Brennholz, wurde darauf geachtet, daß betreffende Gutscheine nur von den festgestellten Nutznießern eingelöst wurden. Ein Weiterverkauf wurde mit Entzug der Beihilfen geahndet. Sozialfürsorge war allein dadurch keinesfalls uneigennützig. Es galt, der Armut nicht um der Armut willen zu wehren, sondern um soziale Spannungen zu mildern und um die potentiellen Seuchenherde - „fast alle ansteckenden Krankheiten haben ihren Heerd in den engen, dunklen, schmutzigen und feuchten Wohnungen der Armen"130 - auszutilgen.

127 Eduard Schmidt-Weißenfels, Rahel und ihre Zeit, Leipzig 1857, S. 250. 128 Berlin, 27. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 245, 2. September 1831, S. 978f., hier: S. 979. 129 Vgl.: Arno Pokiser, Funktion der städtischen Armendirektion des Berliner Magistrats in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Berliner Sozialgeschichte, Phil. Diss. Berlin 1987, S. 61 ff.; Wolfgang Radtke, Armut in Berlin. Die sozialpolitischen Ansätze Christian von Rothers und der Königlichen Seehandlung im vormärzlichen Preußen, Berlin 1993, S. 44ff.; Ludovica Scarpa, Gemeinwohl und lokale Macht. Honoratioren und Armenwesen in der Berliner Louisenstadt im 19. Jahrhundert, München, New Providence, London 1995, S. 29. 130 Marx, Die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, S. 292.

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Darüber hinaus übten die Kommissionen Kontrollfunktionen aus: „Die Sanitätscommissionen für jeden Bezirk haben längst alle Wohnungen der untern Stände durchsucht"131. Gegebenenfalls wurden Hauswirte mit Auflagen versehen: „Da Unreinlichkeit und enge, ungesunde Wohnungen hauptsächlich dieser Seuche Vorschub leisten, so hat man endlich eine Untersuchung der Wohnungen der ärmern Classe angestellt und trägt nun Sorge dafür, daß diese Wohnungen gereinigt und die mit Menschen überfüllten geräumt werden" 132 . Weitere Zwangsmaßnahmen wurden vollstreckt. Subjekte, die den Normen von Moral, Anstand und Disziplin zuwiderliefen und damit beständig die Choleragefahr potenzierten, wurden ermittelt, denn „nicht nur die Reinlichkeit, auch die ganze Lebensweise der armen und dürftigen Einwohner erheischt die größte Sorgfalt von Seiten der Staatsbehörden", sie müßten „unter eine gewisse Aufsicht gestellt werden"133. Vor allem aber waren Cholerakranke, die oft genug den Behörden verheimlicht blieben, ausfindig zu machen. Bürger nahmen es in eigenem Interesse in die Hand, solchen Fällen nachzuspüren. So in Mitau, der Hauptstadt der russischen Ostseeprovinz Kurland, das in dreizehn betreffende Distrikte unterteilt war: „die besten Bürger machen täglich Haussuchungen wegen der Kranken"134, auch in preußischen Städten, wo das den regulären Cholerakommissionen oblag. Zusammengefaßt: In der Sozialfürsorge agierten, im allgemeinen Überblick, drei Fraktionen, die um den Zugriff auf politische, soziale und kulturelle Hegemonie konkurrierten: Adel, Bürgertum und eine Art absolutistischer Verwaltungselite, die sich aus beiden Gruppen rekrutierte und mit beiden konkurrierte. Die christlichen Kirchen kamen als untergeordneter, aber nicht unwichtiger Machtfaktor noch hinzu135. Allein damit war Sozialengagement in der Cholerazeit nicht zweckfrei. Es folgte einer Vielzahl von Motiven, diente mindestens drei Selbstzwecken. Erstens, den sich allmählich zum Proletariat mausernden Pöbel zu sedieren. Zweitens, die soziale Hierarchie durch das einseitige Faktum der Gabe symbolisch zu befestigen: „so mögen die Ärmern und Niedern daraus die tröstliche Überzeugung entnehmen, daß die Opfer, die der Staat und die Begüterten unter ihren Mitbürgern brachten und täglich neu darbringen, eben hauptsächlich ihnen gebracht werden"136. Drittens diente

131 Breslau, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 158, 15. August 1831, S. 632. 132 Aus Berlin, im Julius, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 144, 26. Juli 1831, Sp. 1150f., hier: Sp. 1151. 133 Friedrich Alexander Simon jun., Oeffentliche und persönliche Vorsichtsmaaßregeln gegen die ostindische Brechruhr [...] gegründet auf naturgemäße Schlichtung des Streites über Kontagiosität und Nichtkontagiosität derselben, Hamburg 1831, S. 71; [Moritz Wilhelm Mueller], Die Cholera morbus oder kurze Geschichte des Ursprungs und Verlaufes der indischen epidemischen Brechruhr [...], Leipzig 1831, S. 120. 134 An Elise von der Recke von einem Neffen, 22. Mai 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg, S. 276. 135 Zur nicht nur partiellen Konvergenz staatlicher und kirchlicher Interessen während der Cholera in Frankreich vgl.: Catherine J. Kudlick, Giving is deceiving: Cholera, charity, and the question for authority in 1832, in: French Historical Studies, 18 (1992), S. 457-481. 136 Cfasper], Die Cholera in Berlin nach Alter, Geschlecht und Stand der Erkrankten, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 10, 15. Oktober 1831, S. 83f., hier: S. 84.

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es dem, was zehn Jahre später, 1842, in Typhusdebatten sans phrase festgestellt wurde: Bei aller Hilfstätigkeit bzw. rigoroser Kontrolle schütze „der mit leiblichen Gütern Gesegnete [...] in der Gesundheit des ärmeren Mitbruders seine eigene"137.

3.3. Symbolisches Wettrennen um Macht a) Metaphorische Scharmützel Die Cholera war, am Gegensatz von Miasmatikern und Kontagionisten zu sehen, ein Politikum. Nicht nur verschiedene Praktiken der Seuchenabwehr standen einander gegenüber. Politische Gegensätze prallten direkt aufeinander. Die Kontrahenten versuchten, auf ihre Weise politisches Kapital aus dem Notstand zu schlagen. Sie funktionalisierten die Krise. Die Seuche war im Grunde äußerer Anstoß. Das ist einer der Gründe dafür, daß die Epidemien von 1848 und 1849, inmitten der tatsächlichen revolutionären Auseinandersetzungen, sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland nur verschwindend geringe öffentliche Aufmerksamkeit fanden138. Im Deutschland des Jahres 1831 gab die Cholera hingegen den willkommenen Anlaß, sich politisch zu profilieren. Das nur keimhaft entwickelte politische Instrumentarium ließ sich an ihr schärfen. Wie ein Zeitzeuge überlieferte, „waren die Partheien nicht säumig, jedem Übelstand, der sich zeigte, einander gegenseitig Schuld zu geben"139. Für Liberale stand fest, da, wo die Völker „an die Fesseln der Zwingherrschaft, oder gar wohl des Despotismus gebunden sind, haben auch Contagien einen freien Spielraum""10. Konservative Widersacher hingegen behaupteten, „schadenfrohe Mächte" hätten die „Elemente des Verderbens" gemischt, hauptsächlich war es „die Revolution selbst"141. Wie auch immer die Verantwortlichkeiten zugewiesen wurden, ob an die liberale oder die konservative Seite, ein

137 Dr. G. A. Königsfeld, Der Typhus abdominalis zu Dühren im Jahre 1841, in: Medicinisches Correspondenz-Blatt rheinischer und westfälischer Ärzte, 1 (1842), Sp. 167-171, hier: Sp. 168. 138 Zu dieser „Stille von 1848/49" in Deutschland und Frankreich vgl.: Maria Petzold, Die Cholera in Berlin unter besonderer Berücksichtigung sozialmedizinischer und städtehygienischer Gesichtspunkte, Med. Diss. Berlin 1974, S. 37; Catherine J. Kudlick, Cholera in postrevolutionary Paris. A cultural history, Berkeley, Los Angeles, London 1996, S. Iff.; René Le Mee, Le Choléra et la Question des Longements Insalubres à Paris (1832-1849), in: Population 53 (1998), S. 379-398, hier: S. 381, 391. 139 Dr. A. Cohnfeld, Ausführliche Lebens- und Regierungs-Geschichte Friedrich Wilhelms III. Königs von Preußen, Bd. 3, Berlin 1842, S. 623. 140 Dr. G. Aschenbrenner, Über die asiatische Cholera und deren Verhütung, Regensburg 1831, S. 22f. 141 Joseph von Görres, Kirche, Staat und Cholera (1832), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 15, Köln 1958, S. 4 0 7 ^ 2 4 , hier: S. 410f.

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nachhaltiger Verdacht bewegte die Akteure angesichts der Seuche: „eine Parthei muß dahinter stecken"142. Der Entlastungsaspekt liegt auf der Hand. Im Cholerastreit war ein politisch Schuldiger zu finden, dem das Entstehen bzw. das Ausbreiten der Seuche zugeschrieben werden konnte. Damit ließ sich das Skandalon Cholera nicht nur kausal erklären, sondern verhindern. Jede menschlich verursachte Katastrophe hat ihren menschlichen Retter. Indirekt werden Menschen dadurch zu Herren eines Geschehens, das sich ihrem Zugriff eigentlich entzieht. Als Naturereignis war die Seuche annihiliert. Angesichts dieser metaphorischen Inflation sind Urteile der Forschung nur mit Verwunderung aufzunehmen, eine besonders erhellende Verwendung der gleichen Metaphorik für medizinische und politische Sachverhalte lasse sich nur selten nachweisen, bzw. die Cholera „diente nie als Metapher"143. Das Gegenteil war der Fall. Im Rahmen der neuzeitlichen politischen Religionen, die sich spätestens im Zuge der Französischen Revolution etablierten, gewann der Terminus Cholera einen metaphorischen Mehrwert, der politisch-pragmatische Auseinandersetzungen um die Seuche qualitativ bei weitem überstieg. Das blieb nicht auf die Jahre 1831/32 beschränkt. In der zweiten Jahrhunderthälfte mündeten Politisierungen in zeitgemäße Metaphern einer „socialen Cholera" oder einer ,,wirtschaftliche[n] Cholera"144. Krankheits- und Seuchenmetaphern für soziale Ereignisse haben eine lange Geschichte145. Für Krankheitsmetaphern im 19. Jahrhundert war jedoch typisch, daß nicht Medizin die politischen Diskurse prägte. Umgekehrt: Politik beeinflußte den Bestand medizinischer Metaphern entscheidend146. Politik prägte nach und nach alle Sphären. Christliche Religion schwand aus dem Zentrum kultureller Prozesse. Politik erwies sich zunehmend als Drehund Angelpunkt sozialer Entwicklung. Sie rückte in den Rang eines quasi-religiösen Artikels. Das wird weiter unten mit dem Begriff „politische Religion" noch ausführlicher erklärt werden. Das brachte es mit sich, auch die so bedrohliche Cholera in diesen Sog zu ziehen. Exemplarisch dafür ist der revueartige Zeitroman eines französischen republikanischen Publizisten, „Paris malade" von Eugène Roch von 1832/33. Dieser Panoramaroman, der in

142 [Anonym], Die physische Pest begleitet von der psychischen, in: Der Freimiithige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 77, 17. April 1832, S. 308. 143 Stolberg, Die Cholera im Großherzogtum Toskana, S. 63f.; Markiewicz, Hegels Tod, S. 542. 144 Zit. nach: Alfons Labisch, Die gesundheitspolitischen Vorstellungen der deutschen Sozialdemokratie von ihrer Gründung bis zu ihrer Parteispaltung (1863-1917), in: Archiv für Sozialgeschichte, 16 (1976), S. 325-370, hier: S. 366, zit. nach: Dieter Groh, Kollektives Verhalten vom 17. bis ins 20. Jahrhundert: Wandel der Phänomene, Wandel der Wahrnehmung oder überhaupt kein Wandel? (1985), in: ders., Anthropologische Dimensionen der Geschichte, S. 237—266, hier: S. 259, vgl. insgesamt: Olaf Briese, „Das Jüstemilieu hat die Cholera". Metaphern und Mentalitäten im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 46 (1998), S. 120-138. 145 Vgl.: Adolf Spamer, Krankheit und Tod als Metapher. Zur Geschichte eines volkstümlichen Scherz- und Kampfbildes, in: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde, 17-20 (1939-1942); Alexander Demandt, Metaphern für Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historischpolitischen Denken, München 1978, S. 25ff. 146 Vgl.: Maria Luisa Barbera, Metaphor in 19th Century Medicine, in: Knowledge and Language. Vol. III: Metaphor and Knowledge, ed. by R. F. Ankersmith/J. J. A. Mooig, Dordrecht, Boston, London 1993, S. 143-154.

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der Forschung nach wie vor der Erschließung harrt, entwirft ein großangelegtes Tableau der französischen Hauptstadt zur Cholerazeit. Vom Premierminister bis zu den radikalen republikanischen Klubs, vom Hochadel bis zum kleinsten Winkelchirurgus, von Hochfinanz bis zu den Ärmsten in ihren Elendsquartieren sind sich alle in einem Punkt einig: Frankreich befindet sich in einer tiefen politisch-sozialen Krise, die Cholera ist ihr gravierendes Symptom147. Ähnliche Diagnosen kamen aus Deutschland. So beginnt die Cholera-Abhandlung eines politischen Publizisten mit der apodiktischen Feststellung: „Von drei Seuchen wird Europa heimgesucht, verschiedener Richtung, ungleichen Charakters": Es gebe erstens eine politische Seuche, die von West nach Ost ziehe und kontagiöser Natur sei, zweitens die endemische, spekulative Seuche Hegels, die von Nord nach Süd dringe, schließlich eine physische Seuche, die sich von Ost nach West bewege und epidemisch sei148. Ähnlich konstatiert eine medizinische Broschüre gleich im ersten Satz: „In einer sturmbewegten Zeit, in welcher Europa's Ruhe durch große politische Umwälzungen in ihren Grundfesten erschüttert ist, erscheint auch ein neuer mächtiger Feind"149. Eine ärztliche Schrift stellt einleitend fest, die Cholera komme „von Osten her, als wolle sie mit der ewigen Ruhe jenen von Westen ihr entgegenkommenden Geist kriegerischen Unruhe bekämpfen". Ihr letzter Satz spricht von einer „doppelten Zwingherrschaft" - der Pest und des kriegerischen Aufruhrs150. Das waren politische Metaphern, die die Cholera und die revolutionäre Regungen miteinander parallelisierten. Ohne konkrete Schuldzuweisung wurde rhetorisch ein Vergleich gezogen. Konsequenz: Die Cholera avancierte zu einem rein politischen, revolutionärem Ereignis. So sprachen ein politischer Korrespondent, ein preußischer Prinz und der bayerische König gleichermaßen von einer „politischen Cholera"151. Kurzum: Auf Deutschland komme eine „moralische Cholera" zu (Metternich). Eine „moralisch-politische Krankheit", schlimmer noch als die Seuche, stehe bevor. Es drohe eine „Cholera politica", eine ,.revolutionäre Cholera"152. Angesichts der Gefahr erklärte sich der konservative Publizist Franz

147 Vgl.: Eugène Roch, Paris malade, esquisses du jour, 2 Bde., Paris 1832/33. 148 Dr. C. F. Hock, Cholerodea. Zeitgemälde, Wien 1832, S. III. 149 Dr. Carl Schmidt, Beitrag zur Lehre von der Cholera, Würzburg 1831, S. 1. Bereits 1823 hieß es in einem politischen Zeitüberblick: „wie eine Lawine wälzt sich die furchtbare Cholera morbus dem geängsteten Europa immer näher, welches schon im Osten die orientalische, im Westen die occidentalische Pest zu bekämpfen hat" (Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen, 1 [1823], 1. St., S. 1-19, hier: S. 4) 150 Dr. J. J. Sachs, Allgemeine Lehren von den epidemischen und den ansteckenden Krankheiten, insbesondere der Cholera, und den zu ihrer Hemmung oder Minderung geeigneten Maaßregeln, Berlin 1831, S. 1,64. 151 Dresden, den 11. Juni, in: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unparteiischen Correspondenten, Nr. 142, 18. Juni 1831, [S. 5f.], hier: [S. 5]; Prinz Wilhelm von Preußen an seine Schwester Luise, Anfang 1832, in: Karl-Heinz Börner, Wilhelm I. Deutscher Kaiser und König von Preußen. Eine Biographie 1797-1888, Köln 1984, S. 41; Eduard von Schenk an König Ludwig I. von Bayern, 19. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Ludwig I. von Bayern und Eduard von Schenk 1823-1841, hrsg. v. Max Spindler, München 1930, S. 210. 152 Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, 8. September 1831, in: Viktor Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung. Sein geheimer Briefwechsel mit dem bayerischen

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von Baader dezidiert gegen die „Doctrin der liberalen Choleraseuche"153. An anderer Stelle mußte er aber beklagen: „dieser [liberalen] Cholera wehrt kein Cordon"154. Ähnlich rang der Wiener Domprediger Johann Emanuel Veith in einer Cholera-Predigt mit der ,,geistige[n] Seuche" des Liberalismus155. Bei solchen Schuldzuweisungen ergaben sich eigenartige Konglomerate von politischer und nationaler Konnotation, von innerem und äußerem politischen Feind. Bis Mitte der vierziger Jahre herrschte unter konservativen Kräften in Deutschland die Ansicht, bedenkliche liberale und demokratische Bestrebungen könnten nicht aus Deutschland selbst stammen. Sie wären, ebenso wie die Cholera, von außen her „eingeschleppt". Eine Revolution war ansteckend wie umgekehrt die Cholera eine ansteckende Ausgeburt der ersten oder zweiten französischen Revolution sei. So beim preußischen König Friedrich Wilhelm III., der die Cholera mit der „politischen Pest aus dem Westen" auf eine Stufe stellte156, desgleichen bei Ernst Moritz Arndt, der die Cholera als „die zweiten Franzosen" bezeichnete157. Die zugespitzten politischen Konflikte auch in Deutschland führten jedoch dazu, den politischen Gegner nicht mehr nur als äußeren, heimtückischen Agenten, sondern zunehmend als inneren zu verstehen. Im Inneren der Gesellschaft selbst wuchsen ihre Feinde. Folgerichtig warnte ein süddeutscher Medizinprofessor 1848 in einer Cholera-Abhandlung vor dem „Dämon des Proletariats". Er sah „ein zähnefletschendes Ungeheuer, welches sich selbst zum Hungertode verurtheilt, indem es seine Wuth an dem Reichthume und seinen Schöpfungen ausläßt"158. Noch während der Hamburger Epidemie von 1892 bezeichnete ein Mediziner das ganze „Proletariat" an sich, und nicht etwa einzelne Individuen, als „Quartiermeister der Cholera"159.

Staatsminister Wrede. Nach unveröffentlichten Dokumenten aus den Archiven in Wien und München, Wien 1928, S. 242; Prof. v. Baer, Das sicherste Schutzmittel gegen die Cholera ist der Gebrauch der Vernunft, in: Cholera-Zeitung, herausgegeben von den Aerzten Königsbergs, 2. Aufl. Königsberg 1832, S. 69-72, hier: S. 70; Nüsse aus verschiedenen Weltgegenden. Gesammelt von Frater Timolon, in: Taschenbuch ohne Titel für das Jahr 1832, hrsg. v. Anastasius Spiridon, Leipzig 1831, S. 193-224, hier: S. 209; Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der Cholera-Epidemie in Danzig miteinander getheilet haben, S. 115. 153 Franz v. Baader an Fürst Constantin ν. Löwenstein-Wertheim, 3. Juli 1834, in: Baader, Sämmtliche Werke, Bd. 15, S. 498. 154 Baader, Ueber das dermalige Missverhältniss, S. 141. 155 Johann Emanuel Veith, Die Cholera, im Lichte der Vorsehung. Ein Kanzelvortrag, gehalten am Schlüsse der öffentlichen Bittgänge in der Metropolitenkirche St. Stephan am 9. September 1831, Wien 1831, S. 20. 156 Friedrich Wilhelm III. an Kronprinz Friedrich Wilhelm, 1. August 1831, zit. nach: StammKuhlmann, König in Preußens großer Zeit, S. 533. 157 Ernst Moritz Arndt an Karl Reimer, 3. Mai 1832, in: Ernst Moritz Arndt, Briefe, hrsg. v. Albrecht Dühr, Bd. 2, Darmstadt 1973, S. 453. 158 Dr. K. Pfeufer, Zum Schutze wider die Cholera, 2. Aufl. Heidelberg 1849, S. 25f. 159 Dr. Ernst Barth, Die Cholera mit Berücksichtigung der speciellen Pathologie und Therapie nebst einem Anhange, enthaltend die auf die Cholera bezügliche Gesetzgebung und sanitätspolizeilichen Vorschriften für Aerzte und Beamte, Breslau 1893, S. 155.

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Eine solche politische Instrumentalisierung der Seuche blieb nicht auf Vertreter des politischen Status quo beschränkt. Der argumentative Zickzack Ludwig Börnes, eines untadeligen Liberalen bzw. Demokraten, ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Er vertrat in seinen „Briefen aus Paris" und in privaten Mitteilungen zeitgleich einander widersprechende Ansichten. Einerseits hieß es mit einer betont optimistischen Instrumentalisierung: „Kometen, Pest, Kriege, Revolutionen und Erdbeben wußte ich immer in die natürlichsten Verbindungen zu bringen"160. Börne spielte mit dem Gedanken, die Cholera werde in Deutschland die politische Freiheit befördern: „sie wird das trägste und furchtsamste Volk der Erde antreiben und ermutigen". Die häßliche Mutter Pest zeuge die herrliche Tochter Freiheit161. Die Erwartung steigerte sich, wenn er hoffte, neben dem deutschen würden sich alle unterdrückten Völker in der Cholera-Krise empören und die Throne zum Wanken bringen162. Dennoch kamen Börne Bedenken, ob die liberale Partei derzeit in der Lage sei, ihre Mission zu erfüllen, und glaubte, nur die Cholera werde sie daran hindern163. Gar klagte er, daß die Epidemie statt der Unterdrücker „die Unterdrückten züchtigte"164. Dem Wechsel der Zuschreibungen lag keine nachvollziehbare Logik zugrunde, außer der Tendenz, die Cholera unter Ausschluß der Dialektik von Natur und Geschichte um jeden Preis zu politisieren. Das war offenbar die einzige Art und Weise, ihr begegnen zu können. Denn an Börne läßt sich beobachten, welchen panischen Angstdruck die Seuche auslöste. Immer wieder, vor allem in seinen zahlreichen und ausführlichen Briefen an Jeanette Wohl, kam er darauf zu sprechen. Er erwähnte seine Anwandlungen und versuchte, sie zu dämpfen. Verschiedenartige politische Konnotierungen wechselten mit Fragen und Hinweisen auf erfolgreiche private Verhütungsmittel. Welche vorbeugenden Mittel sind einzunehmen, welche hygienischen und diätetischen Verhaltensregeln zu berücksichtigen? Erleichtert nahm Börne die Nachrichten auf, vor allem Trinker und Dirnen würden von def Cholera betroffen, glaubte, sie könne sich eigentlich nur in fernem, indischen Schmutz ausbreiten. Dennoch beklagte er angstvoll die Armut und Unreinlichkeit in Paris. Ständig wurde die Frage erwogen, in welche Region Europas er flüchten könne, wenn die Cholera ihren Marsch nach Westen fortsetze. Tatsächlich begab Börne sich dann für Monate auf ruhlose Wanderschaft, um den Nachstellungen der Cholera zu entgehen. Kurzum: Börnes politische Deutung der Seuche, die ihre natürlichen Determinanten verdeckte, war ein Abwehrmuster. Er übersetzte sein namenloses Grauen in eine ihm, und nicht nur ihm geläufige Sprache: Die Sprache der Politik.

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Ludwig Börne, Briefe aus Paris, 8. Oktober 1831, in: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 281f. Börne, Briefe aus Paris, 3. November 1830, in: ebenda, Bd. 3, S. 55. Vgl.: Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 11. Dezember 1830, in: ebenda, Bd. 4, S. 1232. Vgl.: Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 5. September 1832, in: ebenda, Bd. 5, S. 323. Börne, Briefe aus Paris, 25. November 1831, in: ebenda, Bd. 3, S. 363.

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b) Die üblichen Verdächtigen Die Suche nach auswärtigen Schuldigen an dem Desaster Cholera fiel in der Regel nicht schwer. Juden, Slawen oder Asiaten verursachten oder übermittelten die Seuche. Solche Muster waren keine Besonderheit nur dieser Krise. Nationale Stereotypen zur Deutung von Krankheiten waren im Europa der Neuzeit weit verbreitet, etwa Morbus gallicus, Lues celtica, Englischer Schweiß und viele andere. Erweitert wurden sie durch solche, die die geographische Einheit Europa, die „Alte Welt", von anderen Weltteilen abhoben und Seuchen nichteuropäischen Herkunftsgebieten zuschrieben. Beides folgte bewährter Logik des Krisenmanagements. Epidemien, diese unsichtbaren Gespenster, waren erstens überhaupt namhaft gemacht und hatten eine Kontur. Zweitens gab es schuldige Instanzen. Drittens befanden sie sich fern der eigenen Sozietät oder waren im Grunde fremdartige Außenseiter. Viertens waren diese Krankheiten potentiell abzuwehren. Fremdes war abzuhalten, zu isolieren, auszuschalten. Ad 1) Juden. In den Pestepidemien des Mittelalters bzw. der Neuzeit hatte dieses Muster seine schreckliche Verwirklichung gefunden. Nach den sogenannten Mongolenstürmen Mitte des 13. Jahrhunderts wurden die ersten Epidemien mit Mongolen in Verbindung gebracht; die Kreuzzüge gaben das Paradigma einer arabischen Herkunft bzw. Verbreitung der Pest165. Vor allem waren es aber Juden, die als innere Feinde und Sündenböcke herhalten mußten. Seit dem Beginn der Kreuzzüge Ende des 11. Jahrhunderts kam es zum lawinenhaften Zusammenspiel spontaner Volksexzesse und staatlich bzw. kirchlich gelenkter Judenverfolgung. Es mündete in Pogrome und Massentötungen. Diese Koinzidenz zeigte sich auch bei der Jagd auf andere Außenseiter, auf Häretiker, Teufelsbündner oder Besessene. Juden waren bei solchen Verfolgungswellen besonders betroffen, da ihre Randstellung innerhalb eines christlichen Gemeinwesens nicht erst dezidiert nachzuweisen war. Zum Außenseiterstatus kam hinzu - was insbesondere das kirchlich-staatliche Verfolgungsinteresse verstärkte - , daß hier erhebliche materielle Werte requiriert werden konnten. Schon 1162, noch vor der Pest, waren in Böhmen 86 Juden verbrannt worden, die Komplizen in einem Komplott jüdischer Ärzte gewesen sein sollten, die christliche Bevölkerung zu vergiften; 1321 fand bei Tours ein Massaker an 160 Juden statt, die, angestiftet durch Muslime, an einer Verschwörung leprakranker Brunnenvergifter beteiligt gewesen sein sollten166. Judenverfolgungen aus religiösem Wahn, unterlegt mit ökonomischem Kalkül und genährt vom allgemeinen Bedarf nach Feindbildern, schwanden im Zeitalter des Absolutismus. Das staatliche und ökonomische Interesse gebot eine halbherzige Integration. Jedoch erhielt sich ein latenter Antisemitismus. Im Aufklärungszeitalter, dem der beginnenden

165 Vgl.: Frantisek Graus, Pest - Geissler - Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit, 2. Aufl. Göttingen 1987, S. 301ff. 166 Vgl.: Klaus Hödl, Die Pathologisierung des jüdischen Körpers. Antisemitismus, Geschlecht und Medizin im Fin de Siècle, Wien 1997, S. 62; Carlo Ginzburg, Hexensabbat. Entzifferung einer nächtlichen Geschichte, Berlin 1990, S. 39ff. Zum Beginn der „neuzeitlichen" Judenverfolgungen im 11. Jahrhundert, also weitaus vor der bekannten Pestwelle, vgl.: R. I. Moore, The formation of a persecuting society. Power and deviance in Western Europe, Oxford, New York 1987, S. 27ff.

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Judenemanzipation, gewann er sogar an Auftrieb. Nicht zuletzt Bürgerliche und Gebildete suchten hier nach Profil. Eine neue, aufgeklärt-bürgerliche Judenfeindlichkeit brach sich Bahn167. Mit einer Vielzahl von antisemitischen Schädlingsmetaphern wurde gezielt der Bezug zum Seuchengeschehen gesucht (ein Muster, das im 20. Jahrhundert noch dazu rassenbiologisch fundiert wurde168). Nicht immer handelte es sich um metaphorische Diskriminierungen. Nach wie vor wurden direkte Kausalbeziehungen zwischen Seuchen und Juden konstruiert, wie beispielsweise in einer Schmähschrift von 1803. Sie hätten den Christen die Pocken gebracht und wurden den Zeugnissen glaubwürdiger Schriftsteller nur deshalb aus Ägypten vertrieben, weil sie der gesamten Nation mit Krätze und Lepra drohten169. Es war das zunehmende Interesse des Reformadels, die sogenannte bürgerliche Gleichstellung der Juden gewährt zu sehen. Sie wurde beispielsweise in den Preußischen Reformen partiell verwirklicht. Dennoch kam es immer wieder zu den oben bereits erwähnten Pöbelexzessen, etwa zu den sogenannten Hep-Hep-Krawallen von 1819, die als die erste überregionale Welle von antijüdischer Gewalt seit den mittelalterlichen Pogromen anzusehen sind170. Oder es ereigneten sich Ausschreitungen im Zug der Konflikte von 1830. Und anläßlich der Cholera kam es, wie ebenfalls schon erwähnt wurde, in Deutschland in einer bayerischen Stadt zur Beschuldigung von angeblichen jüdischen Brunnenvergiftern in so massiver Form, daß Arretierungen erfolgten, die Beschuldigten jedoch schnell wieder freigelassen wurden. Aber insgesamt gesehen hat es in Deutschland in der Cholerazeit keine antisemitischen Tumulte gegeben. Belegbar sind allenfalls Antisemitismen im Gebildetendiskurs, auch im medizinischen. Sie beschuldigten Juden nicht mehr der Giftmischerei, sondern lebten von der Hysterie des Schmutzes. Unreinlichkeit avancierte zur neuen auf-

167 Vgl.: Reinhard Rürup, Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur „Judenfrage" der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1975; Klaus Berghahn, Grenzen der Toleranz. Juden und Christen im Zeitalter der Aufklärung, Köln, Weimar 2000, S. 263ff. 168 Vgl.: Alexander Bein, „Der jüdische Parasit". Bemerkungen zur Semantik der Judenfrage, in: Vierteljahrshefte zur Zeitgeschichte, 13 (1965), S. 121-149; Nicoline Hortzitz, „FrühAntisemitismus" in Deutschland (1789-1870/72). Strukturelle Untersuchungen zu Wortschatz, Text und Argumentation, Tübingen 1988, S. 125f.; 182ff.; Jürgen Bernatzky, Der nationalsozialistische Antisemitismus im Spiegel des politischen Plakats. „Juden - Läuse - Flecktyphus", in: Antisemitismus. Erscheinungsformen der Judenfeindschaft gestern und heute, hrsg. v. Günther B. Ginzel, Bielefeld 1991, S. 389^*11; Sander L. Gilman, Seuche in Deutschland 1939/1989. Kulturelle Vorstellung von Rasse, Raum und Krankheit, in: ders., Rasse, Sexualität und Seuche. Stereotype aus der Innenwelt der westlichen Kultur, Reinbek 1992, S. 281-305; Peter Berghoff, „Der Jude" als Todesmetapher des „politischen Körpers" und der Kampf gegen die Zersetzung des nationalen „Über-Lebens", in: Die Konstitution der Nation gegen die Juden, S. 159-172; Sarah Jansen, „Sozialparasiten" und „Tödlichkeitszahlen" - Zu Repräsentationsformen der Schädlingsbekämpfung in Deutschland, 1900-1925, in: Repräsentationsformen in den biologischen Wissenschaften, hrsg. v. ArminGeus u.a., Berlin 1999, S. 117-133; Paul Julian Weindling, Epidemics and the Genocide in Eastern Europe, 1890-1945, Oxford 2000, S. 70ff. 169 Vgl.: C. W. Grattenauer, Wider die Juden, Berlin 1803, S. 12. 170 Erb/Bergmann, Die Nachtseite der Judenemanzipation, S. 218.

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klärerischen Phobie, die sich an Juden entlud und die der Angst vor Vergiftungen an Intensität nur wenig nachstand. Während der Cholera 1831/32 zentrierte sie sich auf das Phantom polnischer Handelsjuden, die die Seuche nach Westen brächten. Schon der legale Weg durch Quarantäne und Contumazen sei bedenklich: „man fürchtet seit vielen Wochen, daß die Cholera von polnischen Juden bei Gelegenheit der Frankfurter Messe [Frankfurt/Oder, O.B.] eingeschwärzt werden möchte"171. Berichte, illegal und über Schleichwege durch die Kordons nach Frankfurt gedrungene Juden würden, „nur den Schacher vor Augen", die Seuche gewiß verbreiten, steigerten die Furcht172. Juden seien es, die beim Durchschleichen der Sperren die Cholera mit sich schleppten173. Die eigentlich für ihre liberalen Tendenzen bekannte , Augsburger Allgemeine Zeitung" gab die entsprechende Parole aus: „Dennoch steht es in der Macht der Menschen, wenn sie brüderlich zusammenhalten, und mit Gemeingeist nach Einem Ziele hin arbeiten, die Seuche fast unschädlich zu machen". Unter anderen Maßnahmen wäre vor allem geboten, „zu diesem Zwe[c]ke auf die Juden ein wachsames Auge zu haben"174. Logik des Feindbilds: Identität durch Exklusion. Einheit entsteht hier durch Ausschluß. Eine Gemeinschaft konstituiert sich imaginär bzw. real an vermeintlichen Widersachern. Nur, daß sie sich hier auf Ebene der Rhetorik verwirklicht. Auch Mediziner - das bleibt anzumerken - hegten den neuen „aufgeklärten" Antisemitismus. Sie, die Statthalter der neuen Religion des Reinlichen, geißelten „Schmutz und Unsauberkeit" bei polnischen Juden, oder sie dekretierten kurzum: „Der Jude ist ein wanderndes Miasma"175. Das war mehr als der nur bedauerliche Schluß von einer rationalen Prämisse auf eine irrationale Konklusio. Sauberkeit selbst, als säkularisiertes Reinheitsdiktat, war der problematische aufklärerische Artikel, der das Fahnden nach Schmutz und seinen Trägern zwangsläufig nach sich zog. Die affektive Option für Sauberkeit war keinesfalls nur zweckrational. Sie folgte in neuem zeitgemäßen Gewand den Vorstellungen von „reinlich" und „unreinlich", die zum Grundbestand jeder kulturellen Grammatik gehören. Das schließt - wie Mary Douglas in ihrer Initialstudie über „Reinheit und Gefährdung" von 1966 und andere zeigten - einen Kanon von Normen und betreffenden Abweichungen ein,

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[Anonym], Cholera ad portas, Berlin, Juli, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 187, 6. August 1831, S. 747f„ hier: S. 747; vgl. analog für Leipzig: Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, 29. Juli 1831, in: Herbert's Sämtliche Werke, hrsg. v. Karl Kehrbach, Bd. 17, Langensalza 1912, S. 247. Ludwig Friedrich August Wissmann an Friedrich August von Stägemann, 13. Juli 1831, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlass von F. A. Stägemann, hrsg. v. F. Rühl, Bd. 3, Leipzig 1902, S. 486. Berlin, 31. August, in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 254, 11. September 1831, S. 1013-1015, hier: S. 1013. Dr. Zais, Aufruf zur gegenseitigen Hülfeleistung beim Ausbruche der Cholera, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 425 u. 426, 2. November 1831, S. 1697f„ hier: S. 1697. Vgl.: Prof. Karl Friedrich Burdach, Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahre 1831 in der Provinz Preußen, insbesondere in Ostpreußen, Königsberg 1832, S. 102; B., Miscellen über die Cholera, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 2, 3. September 1831, S. 11.

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von normal und anormal, von gesellschaftlicher Kohärenz und Diffusion, von Integration und gewaltsamer Exklusion176. Das säkularisierte Diktum Sauberkeit, das noch heute als zwingende Selbstverständlichkeit erscheint, war und ist kausal-genetisch eine Hypostasierung religiös gegründeter Topoi. Der permanente aufklärerische Zwang entwarf das zwingende Drohbild des Gegenteils. Er ließ nicht nur Raum für diffamierende Antisemitismen, sondern schuf ihn genuin. Ad 2) Slawen und Asiaten. Im Jahr 1832 hieß es in einem sächsischen Edikt: „Den slavonischen Topfstrickern und böhmischen Wetzsteinhändlern, sowie allen ausländischen Pack-, Bündel- und Trödeljuden bleibt der Eintritt in hiesige Lande auch fernerhin gänzlich verboten"177. Mit dem Hinweis auf Slawen war eine weitere gefährliche nationale Gruppe namhaft gemacht, die sehr wahrscheinlich die Seuche übertrage und die entsprechend an den Grenzen abzuhalten sei. Die Bedrohung kam hier, anders als bei den frei vagierenden Juden, definitiv von außen. Das war wiederum medizinisch legitimiert. Einer Choleraabhandlung zufolge wären Slawen und Franzosen „1) Hang zu Unreinlichkeit, 2) die Liebe zum Branntwein, 3) der Genuß fetter und scharfer, großen Theils schwerverdaulicher Speisen" zu eigen, wodurch sich die Cholera verbreite178. In dem Sinne sah die von Rudolf Virchow redigierte, radikal-demokratische Zeitschrift „Medicinische Reform" 1848 in den Städten des Königreichs Polen „wo das deutsche Element, wenn auch nicht vorherrscht, doch einigermaassen vertreten ist, die Sterblichkeit im Allgemeinen viel geringer". Sie bekräftigte, daß „diese Nationszugehörigkeit die Anfälligkeit für Seuchen bedingt"179. Warum wurde, auf den ersten Blick eigentlich überraschend, gerade Franzosen Unreinlichkeit attestiert? Interessanterweise war auch das ein politisches Präliminare. Unter Liberalen wie Konservativen war es Gemeingut, Deutschland sei eine Art Mittelmacht und, jenseits der Extreme diktatorischen Despotismus oder zügelloser Bürgerfreiheit, dazu berufen, einen idealen politischen Mittelweg zu beschreiten. Übersetzt in die geopolitischen Rassediskurse um 1830 hieß das: Slawen und Romanen, geographisch wie politisch Antipoden Deutschlands, brachten gesundheitliche Gefährdungen mit sich. Dieser Diskurs projizierte die Cholera auf die liederlichen Osteuropäer bzw. Franzosen gleichermaßen, auf die

176 Mary Douglas, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu (1966), Frankfurt/M. 1988; Gerd Göckenjan, Über den Schmutz. Überlegungen zurKonzeptualisierung von Gesundheitsgefahren, in: Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von „Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. v. Jürgen Reuleke/Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen, Stuttgart 1991, S. 115-129; Christina von Braun, Zum Begriff der Reinheit, in: Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis, 6 (1997), S. 7-25. 177 Verordnung. Königl. Sächs. Commission zur Abhaltung der Cholera. Dresden, 24. Juli 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 98, 8. August 1832, Sp. 29f., hier: Sp. 30. 178 Dr. A. Krauß, Die Cholera-Epidemie nach eigenen in Wien und Mähren auf Antrag der Königl. Württembergischen Regierung angestellten Beobachtungen, Stuttgart 1832, S. 178. 179 Dr. J. Bergson, Die Cholera, in: Die medicinische Reform, Nr. 29, 19. Januar 1849, S. 183f., hier: S. 183.

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„halb-barbarischen, verwahrlosten, ihres Schmutzes wegen berüchtigten Länder", in denen die Cholera sich fast ungehindert ausbreiten könne180. Selbstverständlich kamen auch vermeintliche Ursprungsregionen der Seuche in den Blick: der Orient, Asien, Indien. Schon 1709, noch in der Endphase der Pestbedrohung, verortete ein medizinischer Ratgeber den Ursprung von Seuchen in „heissen Ländern/ als in Egypten/ Barberey/ Syrien"181. Ganz auf diese Doktrin gestützt, belehrte 1831 ein Berliner Arzt - monokausaler Ursprungsmythos par excellence - die Öffentlichkeit apodiktisch: „Daß die Cholera in Indien entstanden, ist ausgemacht; irgendwo muß sie natürlich, wie alle übrigen ansteckenden Krankheiten, z.B. die Pocken und die Syphilis, ihren Ursprung genommen haben". Ein halbes Jahr darauf bekräftigte ein einflußreicher preußischer Mediziner, die Cholera sei „eine ausländische Krankheit, und die nemliche Cholera, die in Ostindien beobachtet wurde und daselbst entstand. Ihre ganze Erscheinung trägt einen exotischen Karakter"182. Damit galt die Seuche endgültig als etwas, das nicht der Zivilisation entsprang. Sie bedrohte das, was schon zu dieser Zeit unter absolutistischem Vorzeichen explizit als Volkskörper bezeichnet wurde, von außen. Medizinische Broschüren verdeutlichten fast durchgehend schon im Titel, daß es sich um eine solche „auswärtige Krankheit" handle Cholera Orientalis, Indische Cholera, Bengalische Hindupest. Der Ursprung der Epidemie lag fraglos und wie selbstverständlich in Asien. Sie galt, wie im Abschnitt „Europäisches Bollwerk" noch näher herausgestellt wird, als ,,orientalische[r] Feind", als „Uebel Indiens", als „Tod, den Indien sendet"183. Das entsprach tatsächlich dem Augenschein. Wie eine Welle oder wie eine Front rückte die Seuche seit 1830 von Osten her Europa allmählich näher. Der Augenschein überlagert noch heute die Frage nach den Ursachen der Entstehung von Seuchen, die wissenschaftlich in keiner Weise beantwortet ist. So erweist sich das Muster eines Exports, d.h. einer sogenannten Verschleppung von Seuchen aus asiatischen oder afrikanischen Gebieten, gerade gegenwärtig, in der modernen Medizin, als besonders attraktiv, als ob mit phänomenaler Beschreibung in irgendeiner Weise Ursachen für ihre Entstehung gefunden seien. Es scheint aber, daß andere Antworten heranreifen könnten. So wäre eine kopernikanische Wende nicht auszuschließen, welche den ursächlichen geographischen Krankheitsverlauf - von Ost nach West - radikal umkehrt und sich dem in die südasiatischen Regionen importierten „virus of modernity" zuwendet184.

180 Friedrich von Gentz an Lisette von Gentz, 8. Juli 1831, in: Friedrich von Gentz und die deutsche Freiheit. Schriften und Briefe aus den Jahren 1815-1832, hrsg. v. Hans von Eckardt, München 1921, S. 296. 181 [Anonym], Kürtzlicher und gründlicher Unterricht/Wie bey denen anjetzo graßirenden gefährliche Seuchen ein jeglicher sein eigen Medicus seyn [...] könne, Berlin 1709, S. A 2. 182 Dr. Fr. J. Behrend, Ueber die jetzt herrschende Cholera (Schluß), in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 153, 4. Juni 1831, S. 1010; C. W. Hufeland, Schlußresultat, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., Februar 1832, S. 3-10, hier: S. 4. 183 Schlußwort, in: Cholera-Archiv mit Benutzung amtlicher Quellen, 2 (1833), S. 459-462, hier: S. 461; Jeannette Wohl an Ludwig Börne, 9. Oktober 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadtund Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: Β IX R, Nr. 5; Wolfgang Menzel, Reise nach Österreich im Sommer 1831, Stuttgart und Tübingen 1832, S. 297. 184 Vgl.: David Arnold, Cholera and Colonialism in British India, in: Past & Present, Nr. 113 (1986), S. 118-151; ders., Colonizing the Body. State Medicine and Epidemic Disease in Nineteenth-

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Blickt man auf die medizinischen Debatten um 1831, fällt auf, daß die Ursachen für den asiatischen Ursprung der Cholera nicht nur in stimulierenden klimatischen Vektoren gesehen wurden, zum Beispiel dem feucht-warmen asiatischen Klima oder einer hohen Bodenfeuchtigkeit. Eine sogenannte „epidemische Konstitution" wurde zwar ausgiebig debattiert. Aber zu allen naturhaften Faktoren kamen andere hinzu, etwa fatale hygienische Mißstände. Mit den Worten eines ausgewiesenen Mediziners: „Die Cholera scheint sich besonders zum Schmutze zu neigen, denn sie ist im Schmutze in Indien erzeugt und empfangen worden"185. Diese Argumentation folgte den neuen aufklärerischen National- und Rassediskurse. Sie waren nicht erst ein Produkt des späten 19. Jahrhundert. Der diskursive Vorlauf war in den Aufklärungsanthropologien längst geschaffen 186 . Ihnen zufolge waren Körper- und Geistesschwäche, Sexualität und Unreinlichkeit folgenreich amalgamiert: Die trägen, schwächlichen Hindu's unterlagen gleich Anfangs der Seuche [...]. Orientalen und Chinesen schwächen und erschlaffen sich und ihre Verdauungsorgane durch das übermäßige Kaffee- undTheetrinken und durch Trägheit [...]. Die nomadischen Völkerschaften Rußlands sind träge, lieben den Handel und den Coitus ungemein, halten sich unrein, sind deswegen von schlaffer Constitution und schwach.187

c) Rhetorik der Integration Es ist zu wiederholen: Die Cholera war kein rhetorisches oder metaphorisches Ereignis. Um 1830 und später starben Millionen Menschen allein an dieser Epidemie (andere wie Tuberkulose oder Syphilis waren bereits endemisch „eingemeindet", was nicht hieß, daß sie weniger folgenreich wirkten). Die Abwehr gegen die Cholera bestand in Praktiken, die das gesellschaftliche Gefüge nachhaltig beeinflußten: Quarantäne, Hygienemaßnahmen, Isolation von Kranken oder Anordnungen für die Bestattungspraxis. Aber der offensichtliche Mißerfolg jeglicher praktischen Abwehr rief Bewältigungsmuster hervor, die eine andere Art

century India, Berkeley, Los Angeles, London 1993; Vijay Prashad, Native Dirt/Imperial Ordure, The Cholera of 1832 and the morbid resolutions of Modernity, in: Journal of Historical Sociology, 7 (1994), S. 243-260; Sheldon Watts, Epidemics and History. Disease, Power and Imperialism, New Haven, London 1997. 185 Friedrich Ludwig Kreysing an Ernst Horn, Dresden, Oktober 1831, in: Tägliche allgemeine Hamburgisch-Altonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 37, 20. November 1831, S. 146. 186 Vgl.: Die Natur des Menschen. Probleme der Physischen Anthropologie und Rassenkunde (1750-1850), hrsg. v. Gunter Mann/Franz Dumont, Stuttgart, New York 1990; Race. The Origins of an Idea, 1760-1850, ed. by Hannah Franziska Augstein, Bristol 1996; Race and Enlightenment. A Reader, ed. by Emmanuel Chukwudi Eze, Cambridge (Massachusetts) 1997; Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, hrsg. v. Heidrun-Kaupen-Haas/Christian Salier, Frankfurt/M., New York 1999. 187 Dr. Ferdinand Robert, Cholerabuch oder das Buch über die ursprüngliche und fernere Entstehung, die Beschaffenheit, Heilung und Abwehrung der bengalischen Brechruhrpest oder Hindupest, Bd. 1, Glessen 1832, S. 148.

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Verfügung über das katastrophale Ereignis imaginierten. In der alltäglichen Lebenspraxis mittlerweile bewährte politische Mythen waren dazu besonders geeignet. Die konservativen und liberalen Cholera-Deutungen - die, wie zu sehen war, selbst nicht ohne Nationalismen auskamen - wurden 1831/32 durch Muster ergänzt, welche vorrangig die nationale Einheit beschworen. Sie legten, mehr als nur ein Phänomen der Rhetorik, den Akzent vollständig auf die äußere Bedrohung des staatlichen Gefüges und seine innere Wehrhaftigkeit. Das ist etwa an staatlichen Edikten abzulesen, an den offiziellen Verlautbarungen aus Anlaß der Cholera, die mit auffallend patriarchalischer Note den Segen der „väterlichsten Fürsorge" und die „Huld des Landesvaters" verklärten188. Interessant wäre dann wiederum die metaphorisch erzeugte geschlechtsspezifische Konstellation. Die weitgehend weiblich gefaßte Cholera, die den „Volkskörper" bedroht - etwa Madame Cholera, Besucherin aus Asien, indische Pilgerin - wurde mit einem männlichen Widersacher konfrontiert, der alle Attribute von Macht auf sich vereinte. Um zu sehen, welche Bedeutung die Annahme eines übergeordneten nationalen Repräsentanten hatte, der angewachsene innere Konflikte ausgleicht und äußere Bedrohungen abwehrt, werden hier Quellen aufgearbeitet, die in historischen Arbeiten selten genutzt werden: Huldigungsgedichte an Monarchen. Panegyrici mit langer antiker Tradition stellen eine Mischgattung aus Literatur und Tagespublizistik dar und schlagen eine vermittelnde Brücke von höfischem Selbstverständnis zu Auffassungen und Erwartungen der Öffentlichkeit189. Gerade der „legitime Betrug" (Bourdieu190), der solchen Zeugnissen zu eigen ist und der darin besteht, eine gegebene Tatsache fiktiv zu überhöhen, macht diese Quellen für das Selbstverständnis einer Gesellschaft aussagekräftig. Selbst wenn sie nicht Spiegel von Realverhältnissen, sondern Entwurf sind, spiegelt gerade der Entwurfcharakter die Wünsche der auf diese Art verklärten Herrscher wie der breiten Öffentlichkeit. So bezeugen Gedichte zum 51. Geburtstag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III., dem 3. August 1831, wie er zur nationalen Integrationsinstanz stilisiert wurde. Auf die spezifisch militärischen Aspekte der „Wiederkehr des Jahres 1813" wird noch eingegangen werden. Jedoch sind politische Effekte nicht zu vernachlässigen. Nachdem die Cholera bereits die östlichen preußischen Provinzen „befallen" hatte - so der damalige Sprachgebrauch - und in wenigen Wochen Berlin zweifellos „heimsuchen" würde, mußte chiffrenhaft auf die Seuche Bezug genommen werden. Das bot ausreichend Gelegenheit, die Macht des Monarchen in üblichen poetischen Versatzstücken herauszustellen: „Er wird uns treu und väterlich beschirmen/

188 Bekanntmachung der Verwaltungsbehörde des Allerhöchstverordneten Gesundheits-Comités für Berlin vom 4. September 1831, in: Beilage zur Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung, Nr. 247, 6. September 1831, S. 1401. 189 Vgl.: Michael Mäuse, Die Darstellung des Kaisers in der lateinischen Panegyrik, Stuttgart 1994; Kerstin Heidt, Der vollkommene Regent. Studien zur panegyrischen Casuallyrik am Beispiel des Dresdner Hofes Augusts des Starken, Tübingen 1997; B. Hambsch, Art. „Herrscherlob", in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. v. Gert Ueding, Bd. 3, Darmstadt 1997, Sp. 1377-1392. 190 Pierre Bourdieu, Delegation und politischer Fetischismus (1984), in: ders., Rede und Antwort, Frankfurt/M. 1992, S. 174-192, hier: S. 186.

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Was auch im dunklen Schooß der Stunden ruht;/ Wenn auch Gewitter sich am Himmel thürmen/ Wir wohnen sicher unter seiner Huth"191. Eine andere Eloge bezog sich direkt auf die aktuellen Entwicklungen, die bedrohlicher und bedrohlicher wurden. Emotionsgeladen sprach sie von „schleichender, von schreckensvoller Seuche!! —" und erwähnte Krisen und Wirrnisse. Sie spielte also auf die Pöbelexzesse in Rußland, Habsburg und im östlichen Preußen an. Wie nicht anders zu erwarten, zog sie das national beschwörende Fazit: Preußen sei ein Land, „Wo das Gesetz, wo Sitt' und Ordnung walten;/ Wo an dem Felsendamm der treu'sten Liebe,/ Die je ein Volk für seinen König fühlte,/ Ohnmächtig sich des Aufruhrs Woge bricht"192. Die Seuche wurde mittlerweile in Rechnung gestellt. Sie war nicht mehr abzuhalten. Aufzuhalten jedoch wären die Pöbeltumulte, die sinnlosen Aufstände, die Sitte und Ordnung erschütterten. Derselbe Autor, Rahel Varnhagens Bruder Ludwig Robert, betonte in einer weiteren Huldigung noch deutlicher die politischen Konsequenzen, die die Seuche nach sich zöge: „Mit Gott - für König - und für Vaterland". Diesen Imperativ wollte er ausdrücklich nicht mehr als „Feldgeschrei", sondern, im Sinn neuer politischer Sakralisierungen, als „Ruf der Bürgertugend" zu „Opfer- und Liebeswerken" verstanden wissen193. Das waren mehr als beliebige rhetorische Floskeln. Unzweideutig wurde auf die äußeren Bedrohungen angespielt, die derselbe König schon einmal zu bestehen hatte: die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege. Die Cholera wurde mit dem Widersacher Napoleon parallelisiert - wie noch in einem historischen Roman von 1852, der qua freier Geschichtsklitterung die Katastrophe von Jena und Auerstedt mit der Ankunft der Cholera verkoppelte194. Die Seuche und der Eroberer trugen dasselbe Antlitz. Noch in der These, jetzt sei nicht mehr durch Waffengewalt, sondern durch Bürgertugend und Wohltätigkeit das Gemeinwesen zu schützen, schien der Vergleich rhetorisch auf. In der Niederlage hatte man sich zu bewähren. Ein Huldigungsgedicht - zum 36. Geburtstag des Kronprinzen am 15. Oktober 1831, zu einer Zeit, als die Cholera bereits in Berlin „wütete" - wurde in seinen Aussagen deutlicher. Die einstigen und schließlich doch gemeisterten äußeren Anfeindungen wurden eindrücklich aufgerufen: „Der Preuße darf, der Preuße wird nicht zittern". In Erinnerung an den damaligen nationalen Taumel, der schließlich Deutschland im Kampf

191

[Anonym], Zum Geburtstage Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm III., in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 179, 3. August 1831 [S. 1], 192 Ludwig Robert, Rede zur Feier des Allerhöchsten Geburtsfestes Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm III. Im Königlichen Opernhause gesprochen, Berlin den dritten August 1831, [S. 2] 193 Ludwig Robert, Rede zur Feier des Allerhöchsten Geburtsfestes Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm III. Im Königlichen Schloss-Theater zu Charlottenburg gesprochen, Charlottenburg den dritten August 1831, [S. 2], Zum Hintergrund vgl.: Hubertus Büschel, Vor dem Altar des Vaterlandes - Verfahren ritueller Sakralisierung von Monarch und Staat zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Kultur: Ein Netz von Bedeutungen. Analysen zur symbolischen Kulturanthropologie, hrsg. von Florian Steger, Würzburg 2002, S. 161-183. 194 Vgl.: Willibald Alexis, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Vaterländischer Roman, Berlin 1852.

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gegen Napoleon erfaßte - und dem der König sich widerwillig beugte - hieß es apodiktisch: „So lange Fürst und Volk zusammenhalten,/ So lange werden Fürst und Volk besteh'n!" 195 . Das „Wüten" der Seuche in Preußen wurde direkt mit der Phase der Napoleonischen Okkupation verglichen. Die übermächtige Seuche glich der Allgewalt des Eroberers. Aber wie damals Fürst und Volk zusammenstanden, d.h. die innerstaatlichen Konflikte über den zwischenstaatlichen zurückgestellt und damit der Imperator schließlich bezwungen wurde, würde es auch gelingen, bei Unterordnung unter das vermeintliche Gemeinwohl die Seuche zu bannen. Das nationale Trauma von 1806 sollte im Lichte der zweifellos bald verebbenden Cholera nachholend verarbeitet werden. Ebenso wäre das Trauma der Cholera mit Ausblick auf nationale Integration vorausschauend bezwingbar. Der Sieg über den nationalen Feind Cholera sei in Sicht. Sie werde nach einer Zeit der Leiden nach Westen gejagt werden wie einst der fremde französische Okkupant: „Den alten Glauben sehn wir wiederkehren,/ Der in dem Jahre dreizehn sich bewährt,/ Den Glauben an die siegbekränzten Ehren,/ An unsers Königs Wort und an sein Schwert", wie es in einem weiteren Huldigungsgedicht zum 51. Geburtstag des Königs mit Bezug auf die Cholera heißt196. Solche euphorischen Verheißungen konnten in den östlichen Provinzen des Königreiches, die schon an der Cholera litten, nicht vorbehaltlos geteilt werden. Zu groß war das widerfahrene Leid. Huldigungsgedichte dieser Region zeigten eher gedrückte Stimmung. Sie forderten, des Königs Geburtstag dadurch würdig zu feiern, Angehörige und Notleidende nicht zu verlassen und ihnen Hilfe zu spenden197. Aber auch sie integrierten die Cholera in einen politischen Diskurs. Nach quasi-apokalyptischem Szenario wünschten sie gerade dem König im sicheren Hinterland „Heil und Leben" und boten die erkrankten und gestorbenen Bürger gewissermaßen als Unterpfand der Treue dar198 - ein rhetorisches Opfer, das Zentralbestand jeder Idee von Gemeinschaftlichkeit ist. Trotz rhetorischer Ertüchtigungen wuchs in Berlin die Furcht vor der nahenden Seuche. Sie ließ sich nicht rhetorisch wegwischen. Ein neuer Konsens der Bescheidung war erforderlich. Eine Korrespondenz über den Königsgeburtstag konnte, einen Monat, bevor die Epidemie Berlin überhaupt erreichte, nur noch von der „Resignation des Patriotismus" und von der aufgeschobenen Hoffnung auf „Wiedervergeltung" berichten199. Es sah nach Kapitulation aus. Und tatsächlich: Die Cholera näherte sich Berlin, hielt in die Mauern Einzug und begann zu „wüten". Nach einer kurzen Zeit der Sprachlosigkeit veröffentlichte der König einen Aufruf, mit dem er die ängstlichen Gemüter aufrichtete, die widerspenstigen

195 C. v. Holtei, Zum fünfzehnten Oktober, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Nr. 165, 15. Oktober 1831, S. 821. 1% F. F[örster], Seiner Majestät dem Könige von Preußen gewidmet. Am dritten August 1831, in: Chaos, Nr. 7 [1831], S. 27f., hier: S. 28. 197 Vgl.: W. F. Zernecke, Am dritten August 1831, in: Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahr 1831 die Gefahr der Cholera-Epidemie mit einander getheilet haben, S. 80. 198 [Anonym], Dem dritten August 1831 in Danzig, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Nr. 127, 6. August 1831, S. 632. 199 Berlin, Anfang August, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 202, 24. August 1831, S. 807f., hier: S. 807.

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zur Unterordnung unter das Gemeinwohl befahl und schließlich allen erdenklichen Schutz versprach. Nach Meinung eines Zeitzeugen wirkte das ungemein wohltuend: Die Sprache des Königs an sein Volk in dem Charlottenburger Edikt erinnert wieder an die des Jahres 1813; der Vater seines Volkes ruft in einer schweren, bedrängnißvollen Zeit das Vertrauen und den Glauben an einen höhern Beistand auf und erklärt, sich nicht von seinem Volke trennen, sondern ihm in Leiden und Vertrauen muthig vorangehen zu wollen.200 Der Kampf gegen die nationale Bedrohung war wiederum eröffnet. Bald war der politischmilitärische Sieg errungen, und im Februar 1832, nach offiziell 1.426 Toten, wurde in Berlin das offiziell verordnete „Dankfest für die glückliche Befreiung unserer Stadt von der Cholera" begangen 201 . Ein halbes Jahr später, zum 37. Geburtstag des Kronprinzen, hieß es in einer Huldigung verklärend: „Wie der Feind auch stemmte den Fuß,/ Tod schüttend wie Sand! Doch wich er und wir,/ Wir schritten einher/ Auf seinen zerschmetterten Bannern!"202. Auf rituell-rhetorische Weise gingen Gedichte im symptomatischen Plural den Schritt vom Ich zum Mr 203 . Sie stützten die Herrscherfiktion, für das Gemeinwohl einzutreten, und trugen sie den Untertanen eindringlich an. Die Fiktion des „Wir" bündelte Einzelinteressen zu Masseninteressen. Sie machte glauben, das Absehen von ersteren diene letzteren. Das war jedoch mehr als absolutistische Herrschaftsrhetorik. Es war gesellschaftliche Notstandsrhetorik. Denn der „legitime Betrug", den Bourdieu diesen Beschwörungen attestierte, umschloß mehr als gewollte oder ungewollte Demagogie von oben. Er nährte auch die anheimelnde Suggestion, Teil eines Gemeinwesens zu sein, dessen Kräfte und Bindungskräfte im Ernstfall nur wuchsen, weil ein monarchischer Garant dafür einstand. Somit manifestierten solche Texte einen kollektivem Selbstbetrug, der sich, bei der Fixierung auf entlastende Autoritäten, einer fetischisierenden Delegation ergab: Der Landesfürst, auf dessen Herzen das Wohl von Millionen ruht, umfaßt uns alle mit der zärtlichsten ungetheiltesten Vaterliebe. Er sieht die Gefahr, ohne daß sie Seinen hohen Geist

200 Berlin, 18. September, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 232, 28. September 1831, S. 927f., hier: S. 928. Auch in Österreich wurden diese Parallelen zum heroischen Kampf gegen Napoleon gezogen. So wird über die Rückkehr von Kaiser Franz nach Wien und über seinen gloriosen Einzug vom 17. November 1831 noch während der Cholera-Zeit berichtet: „Dieser Tag bildet ein würdiges Seitenstück zu dem 27sten November 1809", also zu dem Tag des feierlichen Einzugs von Kaiser Franz nach dem Friedensschluß von Schönbrunn, vgl.: [Franz August v. Kurländer], Aus Wien, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 4, 6. Januar 1832, Sp. 31f„ hier: Sp. 31. Zur Verklärung des österreichischen Monarchen in graphischen Darstellungen vgl.: Johann Alexander Bozyk, Geschichte der Cholera-Epidemie von 1831/32 in Wien. In Wort und Bild, Med. Diss. Wien 1944, Bild 2-4. 201 Oberbürgermeister, Bürgermeister und Rath, Bekanntmachung, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 42,18. Februar 1832, [S. 1], 202 August Kopisch, Am Geburtstage Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Preussen 1832, in: ders., Gedichte, Berlin 1836, S. 298. 203 Vgl.: Rainer Paris, Konsens, Fiktion und Resonanz. Über einige Wirkungsbedingungen ritueller Kommunikation, in: Fest und Festrhetorik. Zur Theorie, Geschichte und Praxis der Epideiktik, hsg. v. Josef Kopperschmidt/Helmut Schanze, München 1999, S. 267-280.

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beugen kann. Er bleibt unerschütterlich bey uns; der liebevollste gütige Vater weicht nicht aus der Mitte seiner ihn verehrenden Kinder. - Er ladet auf seine Schultern selbst die schweresten Sorgen, um uns dadurch die unsrigen zu erleichtern.204

Ein solcher Typ von Rhetorik delegierte Verantwortung an eine überhöhte Instanz, die es auf sich nahm bzw. auf sich zu nehmen hätte, Krisen zu trotzen und die Gemeinschaft zu schützen. Das bedeutete eine verdeckte rhetorische Vergesellschaftung: durch Souveränitätsabtretung. Sie besiegelte einen Verantwortungsverzicht. Subjekte wurden plötzlich zu gleichen - nämlich zu freiwillig rechtlosen. Aller Legitimitätsdruck lastete auf dem königlichen Potentaten. Ihm oblag es, der Lage gemäß zu handeln. Einerseits war Rhetorik der Integration die Suggestion von Integration. Andererseits restaurierte sie, zumal in Gefahr, auch immer den Sozialinfantilismus rettender allmächtiger personaler Vormundschaft.

3.4. Politische Religionen a) Säkularisierte Religion oder säkulare Religion? Im Jahr 1850 konstatierte Lorenz von Stein in seiner „Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage" den tiefen Einschnitt, der sich mit der Pariser Juli-Revolution ergeben hätte: „Während mit der Julirevolution die alte Geschichte endlich und völlig abschließt, beginnt mit dem Julikönigthum die Geschichte der Gegenwart"205. Tatsächlich - in Frankreich bewirkte die Revolution eine einschneidende politische und soziale Zäsur. Komplizierter hingegen stellen sich die Verhältnisse in Deutschland dar. Hier gelten vorrangig die Vorgänge von 1848 als Einschnitt. Eine Epochenschwelle sei mit dem Jahr 1830 in Deutschland nicht auszumachen. Die Debatte um diesen Einschnitt gewann jüngst wieder an Auftrieb. Er wird - die marxistische Historiographie hatte sowieso nie Zweifel daran wieder vorsichtig aufgewertet206. Es zeichnet sich der Konsens ab, daß die Gegensätze, wie

204 Vertrauet auf Gott und unsern Kaiser Franz, und fürchtet die Cholera nicht: Oder herzliche Ergießung zweyer Freunde, herbeygeführt durch den gegenwärtigen Drang der Umstände. Zur Aufmunterung den biedern Bewohnern Oesterreichs gewidmet von einem Menschenfreunde, Wien 1831, S. 13. 205 L. Stein, Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Bd. 1, Leipzig 1850, S. 341. 206 Vgl.: Hartwig Brandt, Die Julirevolution (1830) und die Rezeption der „principes de 1789" in Deutschland, in: Revolution und Gegenrevolution 1789-1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Deutschland, hrsg. v. Roger Dufraisse, München 1991, S. 225-233; Rainer Paetau, 1830 als Zäsur in der europäischen und deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts in der DDRHistoriographie. Zum Wandel einer ideologischen Geschichtslehre, in: Historische Zeitschrift, H. 256 (1993), S. 331-352; Helmut Bock, Deutscher Vormärz. Immer noch Fragen nach Definition und Zäsuren einer Epoche?, in: Vormärz und Klassik, hrsg. v. Lothar Ehrlich/Hartmut Steinecke/Michael Vogt, Bielefeld 1999, S. 9-32.

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sie in Frankreich spätestens 1830 aufeinandertrafen, in Deutschland bei weitem nicht so ausgebildet waren. Vorerst formierten sich Bürgertum und Liberalismus, als daß sie schon klare Konturen gewonnen hatten. Es kam vor allem zu theoretischen und rhetorischen Ertüchtigungen. Einerseits waren die politischen und sozialen Gegensätze nicht stark genug entwickelt, um zu direkten Konfrontationen zu führen. Andererseits wirkte die nicht unbegründete liberale Illusion reformerischer Kompromisse. Wenn sich Konfrontationen abzeichneten, dann vorerst auf mental-weltanschaulicher bzw. rhetorischer Ebene. Hier ist ein Epochenumbruch auf jeden Fall auszumachen. Sprunghaft rückte Politik ins Sinn- und Orientierungszentrum. Der politische Konflikt wurde anhand der Cholera durchprobt. Die vermeintlich politische Krise wurde mit den ihr entspringenden Mitteln gebannt - mit politischen Religionen. Auf bemerkenswerte Weise verknüpften sich in ihnen Grund und Folgen. Entwuchsen sie politischen Konflikten, waren sie selbst es, die erst recht zu ihrer Konturierung trieben und sie forcierten. Für das Aufkommen neuer politischer Religionen spätestens seit 1830 gibt es Erklärungsversuche. So prägte Eric Voegelin 1938 den Begriff der „innerweltlichen Religionen"207, um hervorzuheben, wie der schwindende Einfluß des Christentums in Europa nicht zu einer Entsakralisierung führte. Er wies nach, wie Transzendenz- und Heilserwartungen sich auf neue Gegenstände legten. In seinem universalgeschichtlichen Entwurf - der durch den faschistischen Taumel unmittelbar veranlaßt war - sah Voegelin eine solche Tendenz bereits in den frühen ägyptischen Hochkulturen und in Europa insbesondere seit Renaissance und Reformation. Politische Religionen wurden so gewissermaßen zu einem zivilisatorischen bzw. kulturellen Apriori. Religiöser und politischer Kultus gingen nach Voegelin Hand in Hand. Jeder Herrscherkult sei ein immanent religiöser, jeder religiöse ein immanent politischer. Damit verlängerte er die Linie, die Carl Schmitt mit seiner „Politischen Theologie" von 1922 vorgegeben hatte, in entscheidender Weise208. Nicht das Christentum allein prädestiniere zu einer solchen Art Religiosität. Sie sei ein notwendig universeller geschichtlicher Topos. Arbeiten aus der Nachkriegszeit hingegen zeichnen sich dadurch aus, die Anregungen Voegelins allzuoft ausschließlich auf die Phänomene, die mit dem Begriff „Totalitarismus" verbunden sind, zu beziehen. Dadurch wurde sein Ansatz ideologisch verkürzt. Sowohl Studien aus dem englischsprachigen Raum209, als auch deutschsprachige Abhandlungen über „politische Religionen" bezogen und beziehen sich fast durchgängig reduktiv auf sogenannte totalitäre Systeme210. Selbst in der Erweiterung der Perspektive auf die zweite Hälfte

207 Eric Voegelin, Die Politischen Religionen (1938), hrsg. v. Peter J. Opitz, München 1993, S. 17. 208 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Leipzig 1922, vgl. dazu: Ruth Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt. Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts, Frankfurt/M. 1998. 209 Vgl.: Charlton J. H. Hayes, Nationalism. A Religion, New York 1960; Jacob L. Talmon, Politischer Messianismus, 3 Bde., Köln und Opladen 1961 ff.; Melvin J. Lasky, Utopie und Revolution. Über die Ursprünge einer Metapher oder Eine Geschichte des politischen Temperaments (1976), Reinbek 1989. 210 Vgl.: Hans Maier, Politische Religionen. Die totalitären Regime und das Christentum, Freiburg i.B. 1995; „Totalitarismus" und „Politische Religionen". Konzepte des Diktaturvergleichs,

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des 19. Jahrhunderts kommen ausschließlich solche Aspekte wie Militarisierung, Nation oder Rasse in Betracht, und Fragen der Manipulation, Täuschung oder der Verführung stehen zumeist im Mittelpunkt. Diese Arbeiten haben zum Verständnis politischer Religionen viel beigetragen. Es scheint jedoch, als würden sie mit dem Fokus einer bestimmten Exklusivität ihre massenhafte Basis bzw. ihre Tiefenschicht nicht ergreifen, zumal, wenn sie sich an klassischen politischen Gegenständen und entsprechenden symbolischen Ausdrucksformen orientieren. Profane und an sich nichtpolitische Bereiche wie Alltagsleben und alltägliche Erfahrungsmuster müssen sie dabei zwangsläufig vernachlässigen. Die Analyse „politischer Religionen" darf sich aber nicht auf herausragend originär politische Phänomene beschränken. Sie hat der unspektakulären Normalität nachzugehen, der profanen Basis, um die Tiefenwirkung „politischer Religionen" überhaupt erst erfassen zu können. Es ist das Verdienst Thomas Nipperdeys, diese profane Ebene ins Blickfeld gerückt zu haben. Er konstatierte zwei Großmythen des 19. Jahrhunderts: Nation und Revolution. Dennoch verläßt er dabei die Ebene der Ideologiekritik und politischer Exklusivität, auf der sich unter anderem auch die Spezialdebatte um politische Mythen bewegt 211 . Dezidiert stellt er fest, Politik sei nicht mehr Sache eines Herrschaftsestablishments allein gewesen: „Politik greift immer mehr ins Leben ein, von der wirtschaftlichen und sozialen Lage bis zum Schulund Eheschicksal", sie wurde „zu einem Stück Lebenssinn" 212 . Die neue Religiosität umschloß mehr als allzu offensichtliche politische oder nationalistische Extreme. Erst auf dieser Basis entstand schließlich, wie er plausibel herausarbeitete, ein verbreiteter Glauben an die Nation 213 . Die Funktion „politischer Religionen" bestand darin, ein einigendes mentales Band in Zeiten der Säkularisierung des christlichen Glaubens zu offerieren. Sie versprachen

2 Bde., hrsg. v. Hans Maier, Paderborn, München, Wien 1996/97; Der Nationalsozialismus als politische Religion, hrsg. v. Julius H. Schoeps/Michael Ley, Bodenheim 1996; Michael Ley, Apokalypse und Moderne. Aufsätze zu politischen Religionen, Wien 1997; Claus-Ε. Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 1998; Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen, hrsg. v. Hans Maier, Frankfurt/M. 2000. 211 Vgl.: Otto W. Johnston, Der deutsche Nationalmythos. Ursprung eines politischen Programms, Stuttgart 1990; Eduard Gugenberger/ Roman Schweidlenka, Die Fäden der Nornen. Zur Macht der Mythen in politischen Bewegungen, Wien 1993; Wolf-Daniel Hartwich, „Deutsche Mythologie". Die Erfindung einer nationalen Kunstreligion, Berlin, Wien 2000. Als innovative Ausnahme, gestützt auch auf die Vorlagen Ernst Cassirers: Andreas Dörner, Politischer Mythos und symbolische Politik. Der Hermannmythos: zur Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen, Reinbek 1996; Rudolf Speth, Nation und Revolution. Politische Mythen im 19. Jahrhundert, Opladen 2000. 212 Thomas Nipperdey, Der Mythos im Zeitalter der Revolution, in: Wege des Mythos in der Moderne. Richard Wagner „Der Ring der Nibelungen", hrsg. v. Dieter Borchmeyer, München 1987, S. 96-109, hier: S. 100. 213 Vgl.: Thomas Nipperdey, Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918, München 1988, S. 138.

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Ordnung statt Unordnung und verhießen Orientierung in Zeiten der Unübersichtlichkeit. Sie stillten den eminenten Bedarf nach Sinn. An welche Stelle traten sie damit? Ein nach wie vor gängiges Erklärungsmuster ist das einer modernen „Ersatzreligion"214. Ein direkter Transport christlicher Inhalte und Formen habe stattgefunden. Traditionelle christliche Begriffe und Ausdrucksformen schrieben sich im Modus des Politischen fort. Es handle sich um einen Vorgang der Säkularisierung. Allein die Ergebnisse der jahrzehntelangen Debatten um den Säkularisierungsbegriff sollten allerdings skeptisch stimmen. Das Erbe aufklärerischer Teleologismen haftet ihm in nicht geringem Maß an. Nützlich ist dieser Signalbegriff wohl nur, um den Schwund spezifisch christlicher Religionen in neuzeitlichen Gesellschaften zu markieren. Es scheint jedoch, daß damit der Horizont aufklärerischer Illusionen - der einer religionsfreien Gesellschaft - in bejahender bzw. resignativer Hinsicht nicht aufgegeben wird. Die Rolle des Christentums wird damit gewollt oder ungewollt unterstrichen. Gerade das war das Ziel jener christlichen Orthodoxien des 19. Jahrhunderts, die das Diktum einer Ersatz-, Quasi- bzw. Pseudoreligion überhaupt erst in Umlauf brachten und damit nahelegten, der Schwund christlicher Religion habe zum gänzlichen Ende religiöser Gesinnung und Praxis geführt215. Dem steht die These entgegen: Religion ist ein konstitutives Apriori jedes gesellschaftlichen Zusammenlebens. Jede kulturelle Organisation ruht auf religiösen Prämissen. Sie ruht auf ihnen, sie reproduziert sie und schafft sie auf neue Weise. Religion ist ein unumstößliches kulturelles Apriori. Die Grenzen des Religionsbegriffs verwischen damit. Konsequenz der Grenzverwischung wäre, jegliches Sinnsystem als Religion zu bezeichnen. In der Tat hat der Soziologe Thomas Luckmann das vorgeschlagen. Religion sei ein jedes Sinn-, Wert- und Orientierungssystem. Die religiöse Urfunktion bestehe darin, überindividuelle Sinnzusammenhänge herzustellen und symbolisch zu vermitteln. Das, was als Religion sich etabliert und schließlich sogar institutionalisiert hat, sei bloß die Verdichtung bzw. Vergegenständlichung einer vorgängigen „unsichtbaren Religion"216. Hier interessiert nur die Rolle neuer politischer Religionen, und es soll mit Nachdruck auf ihren eigenständigen und ebenfalls vergänglichen - Status hingewiesen werden. Jede Religion, für sich genommen, ist autark. Ihre Wirkmächtigkeit schreibt sich nicht von fortgeschleppten Traditionsbeständen her, sondern von der praktischen Funktion, die sie im Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse ausübt.

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Heinrich August Winkler, Der Nationalismus und seine Funktionen, in: Nationalismus, hrsg. v. Heinrich August Winkler, 2. Aufl. Königstein/Ts. 1985, S. 5-46, hier: S. 6; Heinz-Gerd Haupt/ Charlotte Tacke, Sozial- und kulturgeschichtliche Ansätze bei der Erforschung des europäischen Nationalismus im 19. Jahrhundert, in: Kulturgeschichte Heute, hrsg. v. Wolfgang Hardtwig/ Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1996, S. 225-283, hier: S. 269. 215 Vgl.: Wolfgang Schieder, Sozialgeschichte der Religion im 19. Jahrhundert. Bemerkungen zur Forschungslage, in: Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Wolfgang Schieder, Stuttgart 1993, S. 11-28, hier: S. 17. 216 Vgl.: Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion (1967), Frankfurt/M. 1991.

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b) Die neuen Gläubigen Wenn es eine neue Religion gegeben haben soll, wie stand es um die Autorität der bisherigen? Wo war der Platz des Christentums? Bezüglich der Cholera 1831/32 befanden sich christliche Deutungsmuster im Schwinden, und im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm ihr Einfluß innerhalb der Seuchendiskurse stetig ab217. Das zeigte sich u.a. darin, daß die Berufung auf göttliche Instanzen in staatlichen Edikten, Aufklärungsbroschüren, medizinischen Abhandlungen oder Privatbriefen sich beachtlich verminderte. Nicht nur das. Wie bereits gezeigt, setzte der Staat christliche Praktiken in der Cholerazeit gezielt außer Kraft. Natürlich gab es gelegentliche Rückgriffe auf einen göttlichen Lenker. Außer bei einem Großteil kirchlicher Würdenträger und pietistisch orientierten Familienzirkeln war das in der Regel nur noch Gewohnheitsrhetorik. Im Sinne einer von Hermann Lübbe diagnostizierten „Religion nach der Aufklärung" standen Gott und Christentum eher für das dem menschlichen Zugriff Unverfügbare als für positiv gelebten und erfahrenen christlichen Glauben218. Hingegen fällt auf, daß die Cholera gezielt in den Bereich politischer Werthorizonte gezogen wurde. Das war kein Religionsverzicht. Es war Ausdruck jener neuen Religionen des Politischen, die Ende des 18. Jahrhunderts aufkamen - bereits 1793 sprach Christoph Martin Wieland von „neuer politischer Religion"219. Um 1830 erfuhren sie in Deutschland entschiedenen Auftrieb. Politik wurde verheiligt. Dazu nur einige Belege aus der liberalen Literatengruppe „Junges Deutschland", deren Schwerpunkt in Preußen lag und deren Wirksamkeit Ende 1835 durch das gesamtdeutsche Verbot jungdeutscher Schriften beendet wurde. Politischer Fortschritt erschien diesen Schriftstellern und Publizisten gleichsam als Glaubensartikel, sie umkränzten ihn sakral. Heinrich Laube z.B., der in seinem Lebensrückblick von 1875 davon sprach, daß ihm in den dreißiger Jahren der Liberalismus die „angewandte Theologie" geworden sei220, hatte tatsächlich das „geistige Christenthum [...] als Lehre des gesunden Liberalismus"221 proklamiert und erklärt: „an den Fortschritt, an die pyramidenförmig aufrückende Menschheit glauben wir fest"222. Heinrich Heine vermerkte, daß „die Freyheit [...] eine neue Religion [sei], die Religion unserer Zeit"223. An anderer Stelle trug er sein diesbezügliches Credo vor: „Denn ich glaube an den Fortschritt, ich

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218 219 220 221 222 223

Vgl.: Asa Briggs, Cholera and Society in the Nineteenth Century, in: Past & Present, Nr. 91 (1961), S. 77-97, hier: S. 81; J. R. Morris, Religion and Medicine: The Choiera Pamphlets of Oxford, 1832, 1849 and 1854, in: Medical History, 19 (1975), S. 256-270; ders., Choiera 1832. The Social Response to an Epidemic, London 1976, S. 129. Vgl.: Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz, Wien, Köln 1986. Christoph Martin Wieland, Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Vaterlandes (1793), in: C. M. Wielands Sämmtliche Werke, Bd. 29, Leipzig 1797, S. 366-423, hier: S. 404. Heinrich Laube, Erinnerungen 1810-1840, Wien 1875, S. 144. Heinrich Laube [Rez.], Der Thron der Gnade, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 178, 26. Juni 1832, S. 763. Heinrich Laube, Moderne Charakteristiken, Mannheim 1835, Bd. 2, S. 113. Heinrich Heine, Englische Fragmente (1828), in: Düsseldorfer Heine-Ausgabe, Bd. 7/1, S. 209-269, hier: S. 269.

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glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt"224. Damit gab er ein hohes Ideal vor, dem sich Karl Gutzkow anschloß, als er sich 1835 vornahm, „den Liberalismus als eine Sache der Religion zu entwickeln"225. Auch Philosophen und politische Publizisten arbeiteten an neuen liberalen bzw. demokratischen Religionen. Arnold Ruge hat dieses Ideal einer neuen Religion in mehreren Abhandlungen konzeptualisiert. Als Herausgeber der „Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst" war er ab 1838 der publizistisch-organisatorische Kopf der sogenannten Junghegelianer. Diese trieben die eschatologischen Tendenzen der bisherigen Hegelschule in den vierziger Jahren messianisch-chiliastisch auf die Spitze226. Er bezog sich direkt auf das Christentum, intendierte dessen Säkularisierung - wie ein Teil der wohl rund einhundert politischen Katechismen, die im Vormärz und im Zuge der Revolution von 1848 erschienen. Ruge bediente sich jedoch nicht nur einer vertrauten und mobilisierenden christlichen Rhetorik. Er wollte das Christentum selbst weltanschaulich reformieren und politisch instrumentalisieren. Vor allem in der Zeit nach 1846, als die junghegelianische Bewegung an sich selbst zerfleischenden Prestigekämpfen zerbrochen war, aber auch schon zuvor, plädierte er dafür. Ein Konglomerat von Bildung, Freiheit, Humanität mache den Grundbestand der neuen Religiosität aus. Das sei kein Abschaffen der Religion, sondern der wahre Weg zu ihrer Verwirklichung, sei „nicht die Aufhebung der Religion, sondern ihre Wiedergeburt", sei die „Verwandlung der scheinbaren Religion in die wirkliche"227. Ein solcher Glaube habe nicht Privatangelegenheit zu bleiben. Wie Ruge in seiner Programmschrift „Die Religion unserer Zeit" von 1848 mit direktem Bezug auf den „Kult des höchsten Wesens" der Französischen Revolution hervorhob, erfolge ihre wahre Weihe in öffentlichen Mysterien, im „Cultus dieser Religion"228.

224 Heinrich Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1835), in: Düsseldorfer Heine-Ausgabe, Bd. 8/1, S. 17. 225 Karl Gutzkow, Appellation an den gesunden Menschenverstand. Letztes Wort in einer literarischen Streitfrage, Frankfurt a. M. 1835, S. 16. 226 Zur Eschatologie der Hegelschule vgl.: Jacob Taubes, Abendländische Eschatologie (1947), München 1991, S. 163ff. ; Jürgen Gebhardt, Politik und Eschatologie. Studien zur Geschichte der Hegeischen Schule in den Jahren 1830-1840, München 1963. Zum junghegelianischen Messianismus: Walther Bienert, Karl Marx' Zukunftsreich des Kommunismus und der Freiheit, in: Von kommenden Zeiten. Geschichtsprophetien im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Joachim H. Knoll/ Julius H. Schoeps, Stuttgart, Bonn 1984, S. 60-83; Wolfgang Eßbach, Die Junghegelianer. Soziologie einer Intellektuellengruppe, München 1988, S. 340ff.; Klaus Vondung, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, S. 297ff. 227

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Arnold Ruge, Vorwort. Eine Selbstkritik des Liberalismus (Fortsetzung), in: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, Nr. 2, 3. Januar 1843, S. 3-8, hier: S. 7. Zu Ruges neuer Religion: Margarete Pohlmann, Der Humanismus im 19. Jahrhundert - Eine neue Religion? Arnold Ruges Auseinandersetzung mit dem Christentum, Frankfurt/M., Bern, Las Vegas 1979; Stephan Walter, Demokratisches Denken zwischen Hegel und Marx. Die politische Philosophie Arnold Ruges, Düsseldorf 1995, S. 134ff. A. Ruge, Die Religion unserer Zeit, in: Die Akademie. Philosophisches Taschenbuch, hrsg. v. A. Ruge, Leipzig 1848, S. 1-92. Zum Fest des „Höchsten Wesens" in der Französischen Révolu-

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Ein anderer einstiger Junghegelianer, Ludwig Feuerbach, der 1841 mit seiner religionskritischen Kampfschrift „Das Wesen des Christentums" selbst als Verfechter einer humanistischen Verwirklichung der christlichen Potenzen auf Erden aufgetreten war, lehnte solche Versuche 1850/51 nunmehr ab. Sein Bruder Friedrich Feuerbach hatte einst, 1844/45, messianische politische Ansprüche in eine humanistische „Religion der Zukunft" gegossen229. Ludwig Feuerbach konnte jedoch mit Abstand zur Revolution von 1848 vor solchen neuen politischen Religionen nur warnen. Sie seien ein „illegitimes Kind christlichen Glaubens". Die Revolutionäre hätten nur „die christlichen Tatwunder auf das Gebiet der Politik" verpflanzt230. Er geißelte das untergründige oder gewollte Amalgam von hemmungslosem Aktivismus mit christlichen Glaubensmustern. Beides seien zwei Seiten einer Medaille: „Aus dem religiösen Wunderglauben sind die Leute in den politischen Wunderglauben übergestürzt"231. Seine Warnung brachte die Zeittendenz auf den Punkt. Politik war zum neuen entscheidenden gesellschaftlichen Fokus geworden, in dem sich, nicht verwunderlich, die Cholera brach. Unter anderem ist das an Arbeiten Heinrich Heines zu sehen. Sein Bekenntnis für eine neue Religion des Liberalismus und der Freiheit ist oben schon erwähnt worden. In diesen Horizont integrierte er das Kommen der Epidemie. In seiner Artikelserie „Französische Zustände" von 1832 versuchte er, mit dem Desaster Seuche politisches Terrain zu gewinnen. Die Cholera, insbesondere im Artikel VI ausführlich behandelt, diente ihm als Argument gegen die waltenden Umstände der „preußischen Restauration", auch des französischen „juste milieu". Bei der ganzen politisierten Anlage der „Französischen Zustände" war das fast zwingend: „Das Jüste-milieu hat die Cholera"232. Heine bewältigte das Desaster Seuche im politischem Diskurs. Er spürte zwar anfangs selbst Choleraangst und wollte, wie so viele andere wohlhabende Pariser, die Stadt fluchtartig verlassen. Aber er erhoffte sehnsüchtig revolutionäre Ausbrüche. Die Seuche war ihm Indikator oder Auslöser einer gesellschaftlichen Krisensituation. Mit dieser Sicht der Dinge erwartete er „bei der durch die Cholera eingetretenen Volksstimmung die wichtigsten Dinge". Das waren nicht die Pöbeltumulte, die dann massiv in Paris auftraten, sondern Revolutionskämpfe: „Macht die Cholera Ravagen, so kann es hier sehr toll hergehen". Er

tion: Mona Ozouf, La fête révolutionnaire 1789-1799, Paris 1976; Inge Baxmann, Die Feste der Französischen Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur, Weinheim und Basel 1989. 229 Friedrich Feuerbach, Die Religion der Zukunft, [Bd. 1], Zürich 1843; Bd. 2 u. 3, Nürnberg 1844/45. 230 Ludwig Feuerbach, Vorwort zu: Vorlesungen über das Wesen der Religion (1851), in: Gesammelte Werke, hrsg. v. Werner Schuffenhauer, Berlin 1967ff., Bd. 6, S. 3-5, hier: 5. 231 Ludwig Feuerbach an Otto Wigand, 18. Oktober 1850, in: Gesammelte Werke, Bd. 19, S. 245. 232 Heinrich Heine an Johann Friedrich v. Cotta, 21. April 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Berlin, Paris 1970ff„ Bd. 21, S. 34; vgl. auch: Olaf Briese, „Schutzmittel für die Cholera". Geschichtsphilosophische und politische Cholera-Kompensation bei Heine und seinen Zeitgenossen, in: Heine-Jahrbuch, 32 (1993), S. 9-25; Ortwin Lämke, Heines Begriff der Geschichte. Der Journalist Heinrich Heine und die Julimonarchie, Stuttgart, Weimar 1997, S. 9ff.

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erhoffte, im Sinne revolutionärer Erhebung, die „rasendsten Ausbrüche" der Volksleidenschaft233. Das waren briefliche Äußerungen. Sie korrespondierten mit Heines Cholera-Schilderungen. Immer wieder, mitunter geradezu abgezwungen, knüpfte Heine in seiner Artikelfolge an die Seuche politische Reflexionen. Sie wurde Verfügungsmasse sozialer Konflikte. So widmete er sich ausführlich der Revolte sogenannter „Chiffoniers" gegen das plötzlich verhängte Verbot des Müll- und Lumpensammelns. Freilich war sie, wie andere CholeraUnruhen in ganz Europa auch, keine politischen Aktion. Heine zog sie jedoch in einen politisierenden Kontext, wenn er die mehr oder weniger offene Sympathie restaurativer Karlisten mit dem Pöbel unterstellte. Gar vermutete er die Urheberschaft an Gerüchten über planvolle Vergiftungen oder an tatsächlichen Giftmorden bei den Karlisten, deren Ziel es sei, die bürgerlichen Umwälzungen seit 1830 zu torpedieren. Weder dem Pöbel noch den Karlisten lieh Heine seine Stimme. Auch St. Simonisten, Katholiken und Bonapartisten, „Justemilieu" und „Hautefinance" stand Heine nicht unbedingt nahe und bekräftigte das mit Cholerareflexionen. Hier wird die kompensatorische Funktion von Politisierungen offensichtlich. Einerseits sollte die Cholerakrise Heines changierende politische Prämissen, seine unscharfen Forderungen nach liberalen Reformen untermauern. Andererseits gelang es ihm, die bedrohliche Epidemie in sein politisches Weltbild zu integrieren und damit zu entschärfen. Die Katastrophe stützte seine politischen Ambitionen. Sie wiederum annihilierten die naturhafte Gefahr. Die Cholera rückte - politische Religion par excellence - in den Kontext sozialer Praktiken. Politik wurde zum Gegengift. Es kompensierte die Drohung der Natur - doch wie ließ sich das schließliche Fehlgehen der Kompensation kompensieren?

c) Apokalypsen: politisch Ein Drama eines völlig unbekannten Literaten behandelte 1832 überhöht Pest-Ereignisse aus der Geschichte einer schlesischen Stadt. Unter dem bedeutungsreichen Titel „Die sieben letzten Bürger Goldbergs im Jahre 1555" schilderte es den Ausbruch der Seuche, ihre explosionsartige Ausweitung, das grauenhafte Massensterben. Ein Protokollant dokumentierte das Sterben der letzten sieben verbliebenen Bürger - bis seine Chronik vielsagend abbrach. Einleitende Verse des Autors stellten den direkten Bezug zur Cholera her234. Erst sie war der Anlaß gewesen, an die Schrecken der Vergangenheit zu erinnern. Cholera war eine zweite, verheerende Pest. In Standardwerken, die sich mit der Widerspiegelung von Medizin in der Literatur der Neuzeit beschäftigen, findet die Cholera nicht einmal Erwähnung. Medizinhistorikern ist nicht unbedingt ein Vorwurf daraus zu machen. Aber selbst Spezialarbeiten zum Thema „Cholera und Literatur" stützen sich lediglich auf eine Textbasis, die dem sogenannten

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Heinrich Heine, an Johann Friedrich v. Cotta, 2. und 21. April 1832, in: Heine-Säkular-Ausgabe, Bd. 21, S. 33,35. 234 Vgl.: Carl Wilhelm Peschel, Die sieben letzten Bürger von Goldberg. Dramatisches Bild in 3 Akten, Goldberg 1832, S. XXIII.

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Höhenkamm der Literatur angehört. Sie müssen solche und viele andere literarische Variationen gewollt oder ungewollt ausklammern 235 . Der reiche Fundus an unmittelbaren und direkten zeitgenössischen Reaktionen auf die Cholera, der sich vor allem in unterhaltenden Zeitschriften, literarischen Journalen und Wochenblättern, humoristischen Zeitschriften und Witzsammlungen, poetischen Almanachen, belehrenden Periodika für Bürger und Landmänner oder in Kalenderliteratur findet, bleibt damit gänzlich unberücksichtigt. Es kann hier nicht Aufgabe sein, diesen geradezu unerschöpflichen Quellenfundus - bis hin zu satirischen Lustspielen - zu umreißen oder gar auszuwerten. Hier interessieren nur diejenigen literarischen Zeugnisse, die dem politischen Zug der Zeit folgend, politische Apokalypsen entwarfen. Weil eine durchgreifende Lösung des Cholerarätsels ausblieb, die Seuche weder abzuhalten noch zu erklären war, hatten sie die Funktion, fiktive Lösungen zu offerieren. Abgesehen vom literarischen Status und dem, was das Medium Literatur nur als Literatur zu leisten vermag, bestand die Relevanz von Apokalypsen darin, fiktional zu entlasten. Gibt es den literarischen Weg von Fakten zu Fiktionen, war hier der umgekehrte Weg von Belang: Fakten aus Fiktionen. Literatur imaginiert einen Kosmos, der als fiktionaler Kosmos den realen substituiert bzw. antizipiert. Sie schafft neue Wirklichkeiten, mit denen die herkömmlichen in neuem Licht erscheinen. Zugespitzt: Faßt man mit Kenneth Burke Literatur nicht als Imagination, sondern als symbolisches Handeln auf 236 , konnte die literarische Bewältigung des Traumas Cholera geradezu an die Stelle der realen treten. Apokalypsen überstiegen damit den Rahmen sprachlicher Kunstwerke. Sie demonstrierten nicht nur Krisenbewältigung, sondern leisteten sie. Was jedoch ist Apokalypsen zu eigen, Muster von Krisenlösung zu sein? Steigern sie nicht Leid ins scheinbar Unermeßliche? Kurz gesagt: Apokalypsen, so paradox das auf den ersten Blick scheint, stützen menschliche Selbsterhaltung. Sie ordnen Raum und Zeit und sind palliative Muster der Machbarkeit. Sie imaginieren eine den Ereignissen zugrundeliegende Regel, oder, wie jüngst von religionssoziologischer Seite hervorgehoben wurde: Sie dienen der Formatierung und Fokussierung der Lebensführung 237 . Konzentriert man sich auf die Funktion apokalyptischen Denkens, dann läßt sich, abgesehen von jeweils verschiedenen Inhalten, ein gemeinsames Merkmal herausarbeiten: Das geistige Vorwegnehmen von Katastrophen qua Apokalypsen ist eine Form ihrer Bewältigung. In scheinbar Unübersichtliches und Verworrenes wird Ordnung gebracht. Struktur wird scheinbar Strukturlosem

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Vgl.: Brigitta Schader, Die Cholera in der deutschen Literatur, Gräfelfing 1985; Dietrich von Engelhardt, Medizin in der Literatur der Neuzeit. Bd. 1: Darstellung und Deutung, Hürtgenwald 1991. 236 Vgl.: Kenneth Burke, Literatur als symbolische Handlung. Eine Theorie der Literatur (1941), Frankfurt/M. 1966. 237 Vgl.: Michael N. Ebertz, Anfällig für apokalyptische Rufer? Soziologische Aspekte, in: Endzeitfieber. Apokalyptiker, Untergangspropheten, Endzeitsekten, hrsg. v. Heinz Gasper/Friederike Valentin, Freiburg, Basel, Wien 1997, S. 192-217, hier: S. 212.

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beigelegt, Sinn wird gestiftet. Tritt das Unvermeidliche dennoch ein, trägt selbst das letzter Rettungsanker - das Siegel anthropomorpher Absicht238. Seit Ende des 18. Jahrhunderts, das prägte die Seuchendebatten in entscheidender Weise, zeichneten sich Apokalypsen vorrangig durch politische Ordnungskriterien aus239. Im Zug der Napoleonischen Eroberungen entwarfen vor allem die Romantiker eine Vielzahl von Apokalypsen, die erstens genau jene Ordnungsmuster beinhalteten und zweitens, trotz aller vorübergehenden Krisen und Katastrophen, einen glücklichen politischen Ausgang verhießen240. Analog verhielt es sich in der Cholerakrise 1831/32. Konservative Kräfte formten und stützten ihre geschichtlichen Erwartungen im Modus des Apokalyptischen. Ein erlösendes Finale stand vorab bereits fest. Das wird unter anderem an einer Novelle eines Literaten deutlich, der, als Autor zweiter Reihe, heute in Vergessenheit geraten ist: Carl Spindler. Der damals in Süddeutschland erfolgreiche Autor, der vor allem durch seine Antisemitismen unrühmlich bekannt geworden ist, schildert in „Die Pest in Marseille" von 1833 schockierende Vorgänge. Die umfangreiche Arbeit, die vor dem Hintergrund der Cholera entstand, charakterisiert am Beispiel der Epidemie in Marseille von 1720 den denkbar schlimmsten Ernstfall. Ein verseuchtes Schiff erreicht den Hafen. Der Versuch des Magistrats, die Ereignisse zu verschweigen, schlägt fehl. Mit aller Macht ergreift die Seuche die Stadt. Schrekkensszenen spielen sich ab. Die gegenseitige Fürsorge wird aufgegeben, Kranke von ihren Familien verstoßen, Tote liegen auf den Straßen. Christlicher Brauch wird mit Füßen getreten, betrunkene Totengräber marodieren, entmenschte Banden brandschatzen die Stadt. Das Volk, hilflos und irr, vollendet in konvulsivischem Aufruhr das Chaos: „Babylon". Aber, idealtypisches apokalyptisches Muster, am tiefsten Punkt kommt es zu einem Umschwung. Ein Retter, ein starker absolutistischer Potentat in Gestalt eines neuen Gouverneurs erscheint. Er wendet die Katastrophe. Nach dem „Zwischenreich der Willkür und des Elends" kommt erneut der Friede: „Ruhe kehrte nach und nach wieder, und die Gesetze

238 Vgl.: Hartmut Böhme, Vergangenheit und Gegenwart der Apokalypse, in: ders., Natur und Subjekt, Frankfurt/M. 1988, S. 380-398; Ulrich H. J. Körtner, Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik, Göttingen 1988; Olaf Briese, Heute das Ende denken. Zur Apokalyptik als geschichtsphilosophisches Ordnungsmuster, in: Jüngste Tage. Die Gegenwart der Apokalyptik, hrsg. v. Michael N. Ebertz/Reinhold Zwick, Freiburg, Basel, Wien 1999, S. 268-286. 239 Vgl.: Jochen Schlobach, Fortschritt oder Erlösung? Zu aufklärerischen und millenaristischen Begründungen der Revolution, in: Archiv für Kulturgeschichte, 72 (1990), S. 201-222; Christopher Burdon, The Apocalypse in England. Revelation Unravelling, 1700-1834, London, New York 1997. 240 Vgl.: Vondung, Apokalypse in Deutschland; Albert Portmann-Tinguely, Romantik und Krieg. Eine Untersuchung zum Bild des Krieges bei deutschen Romantikern und „Freiheitssängern" [...], Freiburg/Schweiz 1989; Heinz Wetzel, Frömmigkeit und Brutalität in deutschen Kriegsgedichten aus dem frühen 19. Jahrhundert, in: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften, 45 (1999), S. 547-568. Analog für die französische Romantik: Elmar Stolpe, Wilde Freude, fürchterliche Schönheit. Die romantische Ästhetisierung des Krieges, in: Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien, hrsg. v. Marcel van der Linden/Gottfried Mergner, Berlin 1991, S. 37-56.

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wurden wieder geheiligt"241. Ein Pamphlet wie Joseph von Görres' „Kirche, Staat und Cholera" von 1832 gibt die Lesehilfe dazu. Krisen und Katastrophen seien die unausbleiblichen Folgen zivilisatorischer und atheistischer Anmaßungen, gleichfalls jedoch Ausgangspunkt für zukünftiges, auf stabilen Werten beruhenden Heils. Das waren regressive Konsequenzen. Apokalypsen waren auch unverzichtbares Instrument der Fortschrittsenthusiasten. Sie erträumten, apokalyptisch fixiert, ein politischharmonisches Reich - das der Zukunft. Die Cholera war Anlaß bzw. Ausdruck einer Krise, nach der eine gravierende Wendung ins liberale Vorne ausstehe. Hier wären vor allem wieder die Literaten des „Jungen Deutschland" hervorzuheben. Sie erwarteten in den Miseren der Gegenwart von politischen Umwälzungen plötzliches Heil. Dahinter stand das Ideal geschichtlicher Progression. In dem Sinn entwarf Karl Gutzkow im Cholerajahr 1832 eine vorwärtsweisende Quasi-Apokalypse. Ausgehend von der Prognose Albrecht Bengels, eines schwäbischen Theosophen des frühen 18. Jahrhunderts, der den Weltuntergang für 1836 vorhergesagt hatte242, gab Gutzkow eine politisierte Variante jener Prophetie. Er weissagte den Untergang der babylonischen Hure, des modernen deutschen Molochs, des Bundestags mit Sitz in Frankfurt, für das Jahr 1836243. Das hat mehr als zufällige Bezüge zur Cholera. Bereits unmittelbar vor Ausbruch der Epidemie in Berlin hatte Gutzkow unter dem angeblichen Klappern der Totenwagen eine Götterdämmerung prophezeit. Untergang und Zerstörung würden nahen. Ein glorreicher Ausgang sei jedoch gewiß: „ich weissage Dir, dass der alte Himmel und die alte Erde untergehen und die Midgardsmächte die Wahlstatt gewinnen werden, dass aber dann der Herr aus den Wohnungen von Obenher gehen wird, um auf der Ebene von Inda eine neue Burg zu bauen, die der Sonne Glanz verdunkelt"244. Heine zeichnete die wohl eindringlichsten literarisch-politischen Apokalypsen der Jungdeutschen. Erinnert werden soll an Gedichte wie das frühe gnostische „Götterdämmerung", an Passagen aus den „Florentinischen Nächten" oder „Lutezia". Vor allem seine oftmals dämonischen Tanz-Szenen umschließen apokalyptische Gehalte245. In seinem CholeraBericht aus Paris, im Rahmen der Artikelserie „Französische Zustände", schwangen apoka-

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C. Spindler, Die Pest zu Marseille, in: Vergiß mein nicht. Taschenbuch für das Jahr 1833, hrsg. v. C. Spindler, Stuttgart 1833, S. 195-310, hier: S. 292, 309f. Zu Spindlers Antisemitismus: Wolfgang Beutin, „In diesem Hause immer fremd." - Carl Spindlers historischer Roman „Der Jude", in: Forum Vormärz Forschung, 4 (1998), S. 91-110. 242 Vgl.: Gottfried Mälzer, Johann Albrecht Bengel, Leben und Werk, Stuttgart 1970; Apokalypse. Endzeiterwartungen im evangelischen Wütttemberg [Katalog zur Ausstellung im Landeskirchlichen Museum Ludwigsburg], hrsg. v. Eberhard Guteknecht, Ludwigsburg 1999. 243 Karl Gutzkow, Briefe eines Narren an eine Närrin, Hamburg 1832, S. 304ff. 244 Vgl.: Karl Gutzkow, Emanation des Objects aus dem Subject, in: Forum der Journal-Literatur. Eine anti-kritische Quartalschrift, 1 (1831), H. 1, S. 1-40, hier: S. 2f. Ähnlich ein weiterer Jungdeutscher, vgl.: Ernst Ortlepp, Die Cholera. Ein Episch-lyrisches Gedicht, Leipzig 1832, S. 23; ders., Der Traum. Eine lyrische Dichtung, Leipzig 1832; ders., Das Weltgericht, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 136, 23. August 1832, S. 1087. 245

Vgl.: Manfred Schneider, Die kranke schöne Seele der Revolution. Heine, Börne, das „Junge Deutschland", Marx und Engels, Frankfurt/M. 1980, S. 72ff.; Joseph A. Kruse, Romantische Weltuntergänge - auch bei Büchner und Heine, in: Romantik im Vormärz, hrsg. v. Burghard Dedner/Ulla Hofstaetter, Marburg 1992, S. 13-30.

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lyptische Deutungen mit. Das inhaltliche Zentrum bildete neben dem eher sarkastischhumoristischen Schlußbild einer „Totenemeute", also eines Totenaufstands, die Rebellion der sogenannten „Chiffoniers", der Pariser Müll- und Lumpensammler, die durch präventive Hygieneverordnungen kurzzeitig um ihr Gewerbe gebracht wurden. Daneben schilderte Heine ausführlich Vorgänge von Lynchjustiz an vermeintlichen Brunnenvergiftern. Das brachte ihn in die Nähe herkömmlicher apokalyptischer Deutungen. „Wie wilde Thiere, wie Rasende" fiel das Volk über Verdächtige her: Es giebt keinen gräßlichern Anblick, als solchen Volkszorn, wenn er nach Blut lechzt und seine wehrlosen Opfer hinwürgt. Dann wälzt sich durch die Straßen ein dunkles Menschenmeer, worin hier und da die Ouvriers in Hemdsärmeln, wie weiße Sturzwellen, hervorschäumen, und das heult und braust, gnadenlos, heidnisch, dämonisch.

Diese schon vom Sprachgebrauch her apokalyptische Schilderung gipfelte in der visionären Sentenz: „Es war als ob die Welt unterginge". Das hatte jedoch eine direkt politische Konklusio, mündete in ein entschiedenes politisches Fanal: „Was ich selbst an dem Tage, wo jene Totschläge statt fanden, an besonderer Einsicht gewann, das war die Ueberzeugung daß die Macht der ältern Bourbone nie und nimmermehr in Frankreich gedeihen wird"246. Ähnlich die Literaten des „Jungen Österreich". Die dem „Jungen Deutschland" vergleichbare heterogene Gruppe konnte sich wegen der stärkeren politischen Restriktionen in Österreich kaum entfalten. So wurde Leipzig zum Teil Ort ihrer Wirksamkeit247. Im Unterschied zum „Jungen Deutschland" stand Lyrik im Zentrum des Schaffens. In vielfältigen lyrisch-politischen Apokalypsen - etwa Karl Becks, Carl Herloßsohns, Anastasius Grüns oder Nikolaus Lenaus - spielte die Cholera eine wichtige Rolle. Bezogen auf die Epidemie sprach beispielsweise Lenau in typisch apokalyptischer Manier, jedoch mit Fortschrittsbezug, von einer finsteren Schlange, die nur das Leben vorwärts drängen wird248. Anastasius Grün, der gefeierte Verfasser der „Spaziergänge eines Wiener Poeten" von 1831 bzw. 1832, fand darin eindrucksvolle Bilder: „Wien, tu Büß'! es naht die Stunde, wo dein Bau in Trümmer fällt,/ Deine Zinnen gleich der Erde und kein Stein am andern hält!" Folgerichtig mündete sein Gedicht „Zur Cholerazeit" von 1831/32, das erst in eine spätere Auflage der

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Heine, Französische Zustände, S. 136f. Ähnlich eindringliche, in Deutschland aber weitgehend unbekannte literarische Variationen der Pariser Lynchvorgänge finden sich in: Eugen[e] Sue, Der ewige Jude [1844/45]. Deutsche Originalausgabe, Bd. 8, Leipzig 1845, S. 1 Iff., 75ff. 247 Zum „Jungen Österreich" vgl.: Eduard Winter, Romantismus, Restauration und Frühliberalismus im Österreichischen Vormärz, Wien 1968, S. 221ff.; Antal Mádl, Politische Dichtung in Österreich (1830-1848), Budapest 1969; Jung Österreich. Dokumente und Materialien zur liberalen österreichischen Opposition 1835-1849, hrsg. v. Madeleine Rietra, Amsterdam 1980, S. lOff., 39ff.; Anastasius Grün und die politische Dichtung in der Zeit des Vormärz, hrsg. v. Anton Janko/Anton Schwöb, München 1995. 248 Nikolaus Lenau, Auf meinen ausgebälgten Geier (1838), in: Nikolaus Lenau, Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bd. 2, hrsg. v. Antal Mádl, Wien 1995, S. 22-26, hier: S. 24.

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Sammlung aufgenommen wurde, in apokalyptische Mahnungen an „des Volkes Lenker", vom „alten Tun" zu lassen. Der bisher nachdrücklichste Anlaß sei die Cholera249. Anders Carl Herloßsohn. Von ihm stammt die umfangreichste literarische CholeraApokalypse der Vormärzzeit, die nicht dramatischer hätte sein können: Sie schildert das Schicksal des letzten Menschen auf Erden. Seuche und politisches Geschehen sind untrennbar verbunden. Geschichtliche Entscheidungsfragen spitzten sich zu. Aus der Sicht autokratischer Machthaber stellte sich das folgendermaßen dar: Die Weltseuche geht festen Schrittes über den Erdkreis - haucht Generationen an, die im schwarzen Tode niedersinken. Und die Herrscher sagen: Es ist gut - es ist Friede, wir brauchen keinen Krieg. Gott selbst lichtet die Reihen - wir sind von seiner Gnade - noch kein Fürst ist daran gestorben. Das Volk aber ist böse, drum drückt es unser Scepter, drum schlägt es der Tod des Herrn. Das war die legitimistische Perspektive, ein Herrschaftsdiskurs, der den politischen Status quo der Fürstenherrschaft zementierte. Es lebte aber ein liberaler Gegendiskurs. Er sah in der Seuche die Folge von Despotie, Absolutismus und der blutigen zaristischen Annektion Polens. Kein Zweifel, daß Herloßsohn ihn fortschrieb: Auf des Todes Flügeln lehnen die Embleme der Zeit: das Richtschwerdt, das da über die Freiheit der Völker geschwungen wird, die Arzneiflasche, als Andeutung der grausen Seuche, die Zuchtruthe des Glaubensfanatismus, das schwere eherne Scepter des Absolutismus, die Knute, die Sense des Todes und des untergegangenen Polens [...].250 Despotie und Absolutismus treiben die Menschheit in Untergang. Unweigerlich tritt er ein. Die Geschichte des letzten Menschen beginnt. Eines plötzlichen Tages erwacht er aus langem Schlaf. Ihn blendet das Skelett seiner Liebsten. Staub, Trümmer und Gerippe um ihn herum. Das Entsetzliche wurde dem Jüngling klar. Die gräßliche Seuche hatte alles Leben vernichtet. Er war allein, unendlich allein. Seine Stadt war erloschen, die nächste, die nächste, alle Länder der Erde. Erschöpft irrt er zum Nordpol, ans Ende der Welt, und in seiner namenlosen Verzweiflung zieht er den Schlußstrich unter ein gescheitertes Geschlecht. Er stürzt sich von einem Gletscher in die Flut, die gleichgültig über ihm zusammenschlägt. Hohe Stunde, Mittag der Apokalypse, ewiges Wunschbild, Tagtraum der Hochzeit von Menschheit und Katastrophe - der, da er grundlegende Obsessionen entblößt, tabuisiert werden muß. Herloßsohn weicht, seinen Fortschrittsprämissen verhaftet, zurück. Selbst die Vorlage, auf die er sich unausgesprochen bezog, hatte dieses Skandalon der Anverwandlung an das Entsetzliche dispensiert. Mary W. Shelleys Roman „The Last Man" von 1826, eine Seuchenapokalypse über das Verlöschen der Menschheit, die sich Nachrichten über die Cholera in Indien verdankt, begann mit einem entlastenden Prolog in der Gegenwart.

249 Anastasius Grün, Die Ruinen (1831/32), in: Anastasius Grüns sämtliche Werke in zehn Bänden, hrsg. v. Anton Schlossar, Bd. 5, Leipzig o.J., S. 166-170, hier: S. 166; ders., Zur Cholerazeit (1831/32), in: ebenda, S. 158-160, hier: S. 159. 250 Mephistopheles. Ein politisch-satyrisches Taschenbuch auf das Jahr 1833. Herausgegeben von C. Herloßsohn, Leipzig 1833, S. 2f.

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Das Antlitz der Schuldigen

Reisende finden Aufzeichnungen, die die einstige auslöschende Katastrophe bezeugen. Allein dieses literarische Arrangement sicherte die Kette des Überlebens251. Auch Herloßssohn hatte ein solches Arrangement vorab gefunden. Seine Kollage endet mit einer billigen liberalen Erfüllungsutopie. Ein Knabe hat all das nur geträumt. Der Traum hat sich ihm so fest eingeschrieben, daß er alles daransetzt, die finstere Vision nicht wirklich werden zu lassen. Als aufgeklärter Fürst schenkt er seinen Sklaven die Freiheit, labt seine einst ihm unterworfenen Brüder und teilte sein Erbe mit ihnen. Liberale politische Religion, die sich selbst erklärt und verwirklicht: „Und der verschiedene Glaube, den die Menschen hatten, wurde eine Religion, die Religion der Freiheit, und ein Band umschloß alle Menschenbrüder!"252 War die Rede von Cholera gewesen? All diese Apokalypsen arbeiteten daran, ihre naturalen Qualitäten auszuschalten, sie - schleichende Unterwanderung - im Modus des Sozialen, der Politik zu annihilieren. Die Seuche unterlag grenzenlos menschlichen Zugriff. Der aufklärerische Traum der Naturbemächtigung vollstreckte sich symbolisch ausgerechnet an dem Trauma, das seine Realität so entschieden hatte zunichte werden lassen.

251 Vgl.: Mary W. Shelley, Vemey der letzte Mensch (1826), Bergisch Gladbach 1982. Zur Cholera als Anlaß: Morton D. Paley, The Last Man: Apocalypse Without Millenium, in: The Other Mary Shelley. Beyond Frankenstein, ed. by Audrey Α. Fisch/Anne Κ. Mellor/Esther H. Schor, New York, Oxford 1993, S. 107-123, hier: S. 120. 252 Herloßsohn, Mephistopheles, S. 288.

4. Die Pose der Sieger

Mindestens fünf verschiedene offizielle Briefe hat Karl von Clausewitz, Stellvertreter Neidhardt von Gneisenaus, des Oberbefehlshabers der zur Grenzsicherung gegen die Cholera ins Feld geführten Armeekorps, über dessen Tod am 24. September 1831 verfaßt. Interessant sind dabei vor allem die Differenzen. Sein Brief an den preußischen König sprach allein von einem Lungenschlag. In weiteren Briefen an militärische Mitarbeiter und preußische Prinzen wurde immerhin erwähnt, daß schwere Durchfälle eingetreten waren. Es sei aber gelungen, ein Übergehen in die Cholera zu verhindern. Nur sei der Organismus so geschwächt worden, daß ein Lungenschlag eingetreten sei1. Gneisenaus Tod wurde verschleiert. Clausewitz stellte dem preußischen Hof, der Regierung bzw. dem militärischen Oberkommando anheim, wie dieser Tod zu verlautbaren sei. Natürlich war Gneisenau an der Cholera gestorben. Das Skandalon mußte, wie Clausewitz richtig vermutete, geflissentlich gedeckt werden. Umschreibende Versionen waren erforderlich. So wurde von militärischen und staatlichen Instanzen in der Presse lanciert, Gneisenau hätte schon Tage vor seinem Lungenschlag Anfälle verspürt2, habe einer anhebenden Unpäßlichkeit ungeachtet, sich beim Reiten erkältet und sich dadurch einen Nervenschlag zugezogen3, bzw. er habe sich schon seit einiger Zeit unwohl befunden 4 . Die desaströse

1 Karl von Clausewitz an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 24. August 1831, in: Theodor Schiemann, Aus Gneisenaus letzten Tagen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 24 (1911), 2. Hälfte, S. 247-255, hier: S. 254f.; Karl von Clausewitz an Karl August Adolf von Krafft, 24. August 1831, in: ebenda, S. 253f.; Karl von Clausewitz an Kronprinz Friedrich Wilhelm, 24. August 1831, in: Wilfried Kuhn, Der Tod des Feldmarschalls Gneisenau, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 50 (1938), S. 136-141, hier: S. 138f. ; Karl von Clausewitz an Prinz August von Preußen, 24. August 1831, in: Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Demath. Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896, S. 216; Karl von Clausewitz an Prinz Wilhelm von Preußen, 24. August 1831, in: Gneisenau. Ein Leben in Briefen, hrsg. v. Karl Griewank, Leipzig [1939], S. 390. 2 Berlin, 25. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 242, 30. August 1831, S. 967. 3 Berlin, 26. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 243, 31. August 1831, S. 969f.

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Die Pose der Sieger

Ursache seines Todes mußte verheimlicht werden. War doch Gneisenau gerade militärisch ins Feld geschickt worden, um die Cholera mit Hilfe von Kordons, also umfassender und unerbittlicher Grenzsperren, abzuwehren. Die Nachricht, er sei an der Seuche gestorben, wäre geradezu verheerend gewesen. Dennoch sickerte der wahre Grund seines Todes durch. Das löste genau die Reaktionen aus, die so gezielt hatten verhindert werden sollen: „,Wenn ein solcher Mann sich nicht schützen kann, was schützt dann?' ruft die Menge" 5 . Eine Katastrophe - der siegreiche Feldherr, der Bezwinger Napoleons, eine preußische Ikone, die nochmals ausgezogen war, diesmal, um der Cholera zu wehren, war ihr unterlegen: „Gneisenaus Tod traf uns wie eine verlorene Schlacht"6. Die Seuche hatte ihn schonungslos hinweggerafft, genauso, wie sie seinen Stellvertreter Clausewitz, der so gewunden seinen Tod vermelden mußte, wenige Wochen später im Kampf gegen sie hinwegriß. Ein weiteres Desaster: Auch Clausewitz, der so siegesgewiß vom „Schlachtfeld" berichtete, auf dem die Cholera zu schlagen sei7, war ihr erlegen. Ein weiterer militärischer Stern der Befreiungskriege war erloschen. Es bedurfte erheblicher Anstrengungen, den Tod der Feldherren, die schwere Niederlage überhaupt zu verarbeiten. Erst am 13. September 1831, als die Cholera inzwischen die preußische Hauptstadt Berlin ergriffen hatte, verbreitete der König, der sich in Charlottenburg verbarrikadiert hatte, eine langerwartete Bekanntmachung. Es sei nicht gelungen, der Epidemie völlig Einhalt zu gebieten. Wegen der Herbstzeit, der Gesundheit der Truppen zuliebe, würden die Grenzsperrungen und die Sperren im Inneren des Landes jetzt aufgehoben. Es gehe nunmehr darum, die schwere Prüfung mit Anstand zu bestehen. Erforderlich dazu sei deshalb für jeden einzelnen Bürger, „nur noch dem Rufe seiner Pflicht und der Stimme seines Gewissens treulich zu folgen, um der gemeinsamen Gefahr mit ruhigem Gemüth und dem unerschrockenen Vertrauen entgegengehen zu können"8. Für die Berliner, die fünfundzwanzig Jahre zuvor Zeitzeugen der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt gewesen waren, lag der Vergleich mit damaligen Verlautbarungen auf der Hand. Er drängte sich geradezu auf. Es hatte den Anschein, als würde der König bzw. die Ministerialen, die ihm die Feder führten, direkt auf sie verweisen, insbesondere auf die des Stadtkommandanten vom 17. Oktober 1806: „Der König hat eine Bataille verloren.

4 Vermischte Nachrichten, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 199, 26. August 1831, [S. 7]. 5 Berlin, Ende August, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 225, 20. September 1831, S. 900. 6 Henriette Paalzow an Sibylle Mertens-Schaaffhausen, 26. November 1831, in: H. H. Houben, Die Rheingräfin. Das Leben der Kölnerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen. Dargestellt nach ihren Tagebüchern und Briefen, Essen 1935, S. 90. 7 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 16. Juni 1831, in: Karl und Marie von Clausewitz. Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern, hrsg. v. Karl Linnebach, Berlin 1916, S. 452. 8 Friedrich Wilhelm, Allerhöchste Bekanntmachung. Charlottenburg, den 6. September 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 254,13. September 1831, S. 1425.

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Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht."9 Nunmehr war wiederum ein ruhiges Gemüt Gebot der Stunde. Dann würden sich - die Kriege gegen Napoleon gaben das wegweisende Exempel - die schweren Prüfungen bald schon in den bleibenden Segen des Siegs verwandeln.

4.1. Der Aufstieg des Militärs a) Am Anfang war Napoleon Am Anfang war Napoleon. Mit diesem ungewöhnlichen Satz eröffnet Thomas Nipperdey seine „Deutsche Geschichte von 1800-1866" 10 Er bezeichnet schlaglichtartig die neue Situation nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Das Leben bis 1815 und darüber hinaus war grundsätzlich von militärischen Umwälzungen und ihren Folgen geprägt. Sie hatten sich nicht erst mit Napoleon ergeben, sondern waren Ergebnis der Französischen Revolution überhaupt. Noch weiter gefaßt, ist „Napoleon" die Personifikation eines modernen bürgerlichen Nationalstaatsgebildes, das einer umfassenden militärischen Basis zwingend bedurfte: „The Nation in Arms"11. Im Gegensatz zu diesem Modernisierungstrend standen die überlebten Ambitionen einer Kabinettspolitik, wie sie Napoleons Gegenspieler Metternich verkörperte. Er übersah die Sprengkraft einer umfassenden Militarisierung der Gesellschaft geflissentlich bzw. lehnte sie ab. Für ihn waren Kriege Territorialkriege nach altem feudalen Muster, die, wenn sie nicht durch diplomatische Rochaden oder dynastische Verknüpfungen gänzlich vermieden werden konnten, allenfalls als Ermattungs-, bestenfalls als weitgehend harmlose Belagerungskriege zu führen waren. Preußen nahm diesbezüglich eine Mittelstellung ein. Zwar hatte sich die aufsteigende preußische Monarchie einst, nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg, als explizit militärische verwirklicht. Modernisierungsprozesse waren hier im wesentlichen militärisch bedingt, ebenso, wie sie nach innen und außen militärisch durchgesetzt und erzwungen wurden. Die Stagnation in den späten Jahren Friedrichs II. - mitunter wird ihr Beginn auf das Ende des Siebenjährigen Krieges angesetzt12 - mündete jedoch in eine Krise. An deren Höhepunkt fiel schließlich die Monarchie durch eine einzige entscheidende Niederlage politisch und militärisch wie ein Kartenhaus zusammen: Jena und Auerstedt, 1806. Es

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Graf v. d. Schulenburg, [Bekanntmachung], Berlin, 17. Oktober 1806, in: Berliner Leben 1806-1847. Erinnerungen und Berichte, hrsg. v. Ruth Köhler/Wolfgang Richter, Berlin 1954, Bild Nr. 3. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 11. Vgl.: Hew Strachan, The Nation in Arms, in: The Permanent Revolution. The French Revolution and its Legacy 1789-1989, ed. by Geoffrey Best, London 1988, S. 49-74. Dennis E. Showalter, Hubertusburg to Auerstädt. The Prussian Army in Decline?, in: German History, 12 (1994), S. 308-333.

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gelang dann relativ schnell, in Preußen eine Art Regeneration herbeizuführen, die an die alten Traditionen der militärischen Monarchie anknüpfte. Sie erneuerte sie aber in entscheidender Hinsicht: durch effiziente Bürokratisierung einerseits und durch Elemente des Partisanen- und Volksheeres andererseits. Nur vor diesem Hintergrund konnte beispielsweise Clausewitz' Militärtheorie des Vernichtungs- statt Ermattungskrieges wachsen, die der Doktrin adliger Territorialkriege diametral entgegenstand 13 . Es kostete die preußischen Machthaber anschließend erhebliche Mühe, die Akzeleration zu bremsen und diese „liberalen" Neuerungen nach 1815 Schritt um Schritt zurückzunehmen. Nationale Energien wurden völlig in staatliche kanalisiert. Das Militär, unter Einschluß bestimmter bürgerlicher Partizipation, wurde wieder gänzlich Teil der landesherrschaftlichen Herrschaftsstruktur. So trug der in der Cholera zu beobachtende positive Rekurs auf die Befreiungskriege, oben schon kurz angesprochen, mindestens drei Facetten: Die Institution Militär als Militär erinnerte nachdrücklich an seine Verdienste bei der nationalen bzw. dynastischen Resurrektion 1813/15. Adel und Konservative hingegen setzten auf eine militärische Ordnungsmacht, die allein dem obrigkeitlichen Staats- bzw. dem adligen HerrschaftsintcTcs.se diente. Bürgertum und liberale Kräfte schließlich intendierten eine Mobilisierung aller staatlichen Abwehrkräfte im Sinne des Nationalmteresses, das, je weniger es ein tatsächliches Forum dafür gab, sich um so mehr um die Cholera gruppieren ließ.

b) Das Schwungrad der Moderne Der Einfluß militärischer Praktiken und des Militärs im neuzeitlichen Europa liegt auf der Hand. Er war so gewichtig, daß er den Kampf gegen Seuchen entscheidend prägte. Dieses Primat militärischer Strukturen wurde in der liberal orientierten Geschichtsschreibung Deutschlands lange Zeit allerdings nur als Depravation verstanden. Es galt als Abkehr von einer vorgängig politischen Ordnung. Konservative Historiker wie Gerhard Ritter stützten im Nachkriegsdeutschland dieses Bild, wenn sie den vermeintlichen militaristischen Abweg als zwingende Konsequenz eines demokratischen Massenzeitalters verstanden14. Nach den Umwälzungen der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hätten sozialgeschichtliche Ansätze dem Verhältnis von aufstrebender militärischer und sich entfaltender wirtschaftlicher Macht entschiedener nachgehen können. Allein Werner Sombarts „Krieg und

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Herfried Münkler, Instrumentelle und existentielle Auffassung vom Krieg bei Carl von Clausewitz, in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 16 (1988), S. 235-251; Andreas HerbergRothe, Die Entgrenzung des Krieges bei Clausewitz, in: Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution. Studien zum bellizistischen Diskurs des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Johannes Kunisch/Herfried Münkler, Berlin 1999, S. 185-210. Zu Clausewitz' preußischen Vorläufern, z.B. zu Scharnhorst und anderen, vgl.: Johannes Kunisch, Von der gezähmten zur entfesselten Bellona. Die Umwertung des Krieges im Zeitalter der Revolutions- und Freiheitskriege, in: ders., Fürst - Gesellschaft - Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaats, Köln, Weimar, Berlin 1992, S. 203-226.

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Vgl.: Volker R. Berghahn, Einleitung, in: Militarismus, Köln 1975, S. 9-38, hier: S. 19f.

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Kapitalismus" von 1913 hätte dafür genügend Reibungsfläche gegeben. Dennoch ist hier eine erstaunliche Leerstelle zu verzeichnen. Die Sozialgeschichtsschreibung sparte das Thema Militär und Gesellschaft bis auf wenige Ausnahmen regelrecht aus. Allenfalls wurde in den Debatten, die in eine sogenannte „kritische Sonderweg-These" mündeten, der Aufschwung des Militärs in Deutschland wiederum als Depravation verstanden - nicht als genuin bürgerliche, wie Ritter es nahelegte, sondern als genuin antibürgerliche und antimoderne. Die herausgehobene Stellung von Armee bzw. Militär vor allem im deutschen Kaiserreich sei auf Demokratiedefizienz, auf einen Mangel an Bürgerlichkeit gegründet bzw. führte zu einer Refeudalisierung des Bürgertums. Die Dominanz des Militärs in politischer, ökonomischer oder sozial-kultureller Hinsicht war kein Resultat bzw. Ausdruck von Modernisierung, sondern, wie mit Blick auf westliche Demokratien herausgestellt wurde, gerade das ihres Ausbleibens 15 . Mit politisch-theoretischer „correctness" blieben die deutschen Diskussionen hinter den Standards etwa der englischen Geschichtsschreibung zurück. Letztere scheint, begünstigt durch eine lange kriegerische Kolonialgeschichte einerseits und durch die Legitimation des 2. Weltkriegs andererseits, ein weit ungezwungeneres Verhältnis zu Fragen der Modernisierungsfunktion des Militärs an den Tag zu legen16. Modernisierungstheoretische Ansätze scheinen die Geschichte des Aufstiegs des Militärs in der europäischen Gesellschaft seit dem Mittelalter plausibel nachzuzeichnen und zu erklären, warum sich ein spezifischer, europäisch geprägter Typ des Militärs im weltgeschichtlichen Maßstab bis heute durchsetzte. Die Einführung von Pulver in Europa muß, anders als im arabischen Nordafrika oder in China, von wo aus diese „Erfindung" nach Europa gelangte, durchgreifend das gesellschaftliche Gefüge Europas verändert haben. Verschiedene Faktoren waren dafür ausschlaggebend: Katastrophale Schwächung durch die Pest und der dadurch erzwungene technische Modernisierungsdruck, Geopolitik sowie die Herausbildung adäquater politischer und wirtschaftlicher Verkehrsformen. Das führte dazu, daß gerade in Europa das Militär zur entscheidenden Modernisierungsinstanz avancierte, zur mobilisierenden Kraft in ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht 17 .

15 Vgl.: Jürgen Kocka, Ende des deutschen Sonderwegs, in: „Deutschland, bleiche Mutter" oder eine neue Lust an der nationalen Identität?, hrsg. v. Wolfgang Ruppert, Berlin 1992, S. 9-32; Jakob Vogel, Nationen im Gleichschritt. Der Kult der „Nation in Waffen" in Deutschland und Frankreich, 1871-1914, Göttingen 1997, S. 17ff. 16 Vgl.: The Military Revolution and the State 1500-1800, hrsg. v. Michael Duffy, Exeter 1980; William H. McNeill, Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft und Gesellschaft vom Altertum bis heute, München 1984; Geoffrey Parker, Die militärische Revolution. Die Kriegskunst und der Aufstieg des Westens 1500-1800 (1988), Frankfurt, New York 1990; Bruce Porter, War and the Rise of the State. The Military Foundations of Modern Politics, New York 1994. 17 Vgl.: Bernhard R. Kroener, „Das Schwungrad an der Staatsmaschine?". Zur Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Bernhard R. Kroener/Ralf Prove, Paderborn, München, Wien 1996, S. 1-24.

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Preußen, durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges wirtschaftlich fast zerrieben, gibt ein exemplarisches Beispiel für den Aufstieg einer Kleindynastie zu einer wirtschaftlichen und politischen Kontinentalmacht qua Militarisierung. Drei Phasen der modernisierenden Militarisierung, sogenannter „defensiver Modernisierung" (Joas18) aus einer militärischen und wirtschaftlichen Krise heraus - des Dreißigjährigen Krieges - lassen sich dabei unterscheiden: Der Proto-Militarisierung des 17. Jahrhunderts folgte die durchgreifende soziale Militarisierung im 18. Jahrhundert, und sie mündete in die politische Militarisierung von Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert19. Von Modernisierung läßt sich deshalb sprechen, weil die Monarchie das gesamte ökonomische und politische System dem Ausbau militärischer Effizienz unterordnete und ebenfalls effektivierte. Die ganze Gesellschaft, einschließlich der bunten Partikularrechte feudaler Provenienz, wurde diesem alleinigen Staatsziel untergeordnet. So bedeutete die Förderung bäuerlicher und frühindustrieller Produktion eine Einschränkung feudaler Rechte zugunsten königlicher Zentralgewalt. Zwar war die landwirtschaftliche Effektivität durch die beständigen Zwangsaushebungen permanent bedroht. Aber mittels des sogenannten Kantonalsystems wurden sie durch Friedrich Wilhelm I. 1733 reglementiert. Inländische Zwangsrekrutierungen waren damit rechtlich fixiert. Eine kontinuierliche bäuerliche Arbeit und, verbunden mit der Einschränkung der bäuerlichen Zwangsdienste für adlige Großgrundbesitzer, ein „Bauernschutz" waren gewährt. Ländliche Produzenten waren für die Belange des militärischen Einsatzes disponibel gehalten und eine notwendige Agrarproduktivität dennoch gesteigert. Daneben gelang es, den kleinen und mittleren Landadel für die landesherrlichen Ziele zu mobilisieren. Er gewann, bei Abgabe bestimmter Regionalprivilegien, nunmehr Zentralprivilegien in militärischer und damit verbundener ziviler Ordination. Der grundsätzliche Ausschluß des Bürgertums vom ländlichen Grundbesitz und vom Militärberuf warf zunehmend Probleme auf. Das fast vollständige Fernhalten der Bürger von staatlichen Verfügungsinstanzen und die restriktive Kommunalgesetzgebung, die die städtischen Kommunen unzumutbar behinderte, erwiesen sich als gravierendes Entwicklungshemmnis. Der Pakt von Adel und Krone beruhte auf einem Ausschlußverfahren. Aber gerade weil es nicht gelang, das ausgeschlossene Bürgertum Schritt um Schritt in diesen Pakt zu integrieren, wurde er immer brüchiger. Resultat war schon Ende der Regierungszeit von Friedrich II. eine militärische, politische und wirtschaftliche Stagnation, die mit der Niederlage von 1806 - Strafe für eine zunehmende Moderninisierungsverweigerung - dramatisch besiegelt wurde. Erst die militärische Niederlage und das Ziel einer umfassenden

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Vgl.: Hans Joas, Die Modernität des Krieges. Die Modernisierungstheorie und das Problem der Gewalt, in: Die Gegenwart des Krieges. Staatliche Gewalt in der Moderne, hrsg. v. Wolfgang Knöbl/Gunnar Schmidt, Frankfurt/M. 2000, S. 177-193, hier: S. 182ff. Vgl.: Otto Büsch, Die Militarisierung von Staat und Gesellschaft im alten Preußen, in: Preußen. Versuch einer Bilanz. Bd. 2: Beiträge zu einer politischen Kultur, hrsg. v. Manfred Schlenke, Reinbek 1981, S. 45-60, hier: S. 45, vgl. auch: ders., Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713-1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1962.

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Militarisierung der Gesellschaft nötigte dann die preußischen Reformer zu ihrem Integrationskompromiß 20 . Zusammengefaßt: Militär war, ob unter territorialfürstlichen, absolutistischen oder national-bürgerlichen Vorzeichen, die Aufsteigerinstitution der europäischen Moderne. Es formte sie ökonomisch, politisch und kulturell und machte sie erst zu dem, was sie war. In dem Kontext verwundert es nicht, daß das Militär schon sehr früh direkte Verfügungsansprüche bei der Seuchenbekämpfung, später auch beim Kampf gegen die Cholera, artikulierte und durchsetzte.

c) Pest und Feuerwaffen Seuchen sind untrennbarer Bestandteil gezielter militärischer Kriegsführung. Dafür drei Beispiele: Bereits Thukydides berichtete, die Spartaner hätten während des Krieges die Brunnen der Athener vergiftet, was eine katastrophale Pest auslöste 21 . Die verheerende erste europäische Pestwelle wurde nicht zuletzt 1346 durch das Schleudern von Pesttoten in das von Tartaren belagerte Kaffa auf der Krim, in dem sich eine genuesische Handelsniederlassung befand, beschleunigt 22 . Schließlich hatten die europäischen Kolonialkriege in Süd- und Nordamerika, Asien und Afrika unbeabsichtigt und zum Teil sogar beabsichtigt die Verbreitung epidemischer Krankheiten bis hin zum großflächigen Genozid zur Folge 23 . Es gibt aber noch einen ganz anderen Zusammenhang von Seuchen und Militär als den einer gezielten biologischen oder epidemiologischen Kriegsführung. Die Pest war offenbar der Motor für den Aufstieg des Militärs im neuzeitlichen Europa überhaupt. Ohne Pest keine

20 Vgl.: Ute Frevert, Das jakobinische Modell: Allgemeine Wehrpflicht und Nationsbildung in Preußen-Deutschland, in: Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Ute Frevert, Stuttgart 1997, S. 17-47; dies., Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, S. 27ff. 21 Vgl.: Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, hrsg. v. Georg Peter Landmann, München 1993, Bd. 1, S. 251. 22 Vgl.: Vincent J. Derbes, De Mussis and the Great Plague of 1348. A Forgotten Episode of Bacteriological Warfare, in: The Journal of the American Medical Association, 196 (1966), S. 179-182; Gabriele de Mussis, [Erinnerungen], in: Die Pest in Italien. Fünfzig zeitgenössische Quellen, hrsg. ν. Klaus Bergdolt, Heidelberg 1989, S. 19-32, hier: S. 21. 23 Vgl.: Alfred W. Crosby, Ecological Imperialism. The Biological Expansion of Europe, 900-1900, Cambridge 1986; David E. Stannard, American holocaust. Columbus and the conquest of the New World, New York 1992; Biological Consequences of the European Expansion, 1540-1800, ed. by Kenneth F. Kiple/Stephen F. Beck, Aldershot, Brookfield 1997; Sheldon Watts, Epidemics and History. Disease, Power and Imperialism, New Haven, London 1997. Zur gezielten bakteriologischen Kriegsführung heute vgl.: Prevention of a Biological and Toxin Arms Race and the Responsibility of Scientists, ed. by Erhard Geissler/Robert H. Haynes, Berlin 1991; Leonard A. Cole, The Eleventh Plague. The Politics of Biological and Chemical Warfare, New York 1996; Judith Miller/Stephen Engelberg/William J. Broad, Germs. Biological Weapons and America's Secret War, New York 2001.

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Karriere der Institution Militär. Dazu gibt es zwei voneinander abweichende Positionen. Der Soziologe und Sozialhistoriker Karl Georg Zinn versucht in seiner Studie „Kanonen und Pest" von 1989, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Leidensdruck, der durch das katastrophale Wirken der Pest entstand, und dem Sinken emotionaler Hemmschwellen zu belegen. Die Pest bereitete den Boden für eine fortgesetzte Barbarisierung der sozialen Beziehungen, so diese sozialpsychologische Argumentation. Das habe den weitreichenden Einsatz von verheerenden Feuerwaffen begünstigt. Davon unterscheidet sich der Ansatz des amerikanischen Sozial- und Wirtschaftshistorikers David Herlihy. Mit sozio-ökonomischem Determinismus arbeitet er in „Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas" von 1997 heraus, daß erst die Pest-Katastrophe mit ihren verheerenden und extremen Menschenverlusten den Modernisierungsdruck bewirkt hätte, der Europa auf einen fortgesetzten Innovationstrend festlegte. Ein Modernisierungszwang hätte zur Entwicklung bzw. zum umfassenden Einsatz bisher unüblicher Militärtechniken geführt - von Pulver, Feuerwaffen und Kanonen. Zu Zinns Position: Eine Trias aus waffentechnischer Überlegenheit, christlich-mentaler Überheblichkeit und entfesselter Brutalität habe den Aufstieg des modernen kapitalistischen Europa entscheidend gefördert. Gerade die Pest mit ihren verheerenden kulturellen Folgen war es, die jener exzessiven Gewaltbereitschaft den Boden bereitete. Erst das kollektive Trauma der Seuche, das die bestehenden Sozialstrukturen einschneidend erschütterte, habe jene Disposition für Barbarisierung erzeugt, die zu Pogromen, weiträumigen Hexenverfolgungen sowie zur nachhaltigen Entwicklung von Feuerwaffen und ihrem vorbehaltlosen Einsatz, dem anonymen Töten, führte: Die innovative Verwendung jenes Wissens, das die Feuerwaffe möglich machte, und die rasche Verbesserung und Ausbreitung der anfangs militärisch noch kaum brauchbaren Schießrohre fällt in eine Zeit steigender Brutalisierung und Rechtlosigkeit. Die Feuerwaffe läßt sich nicht als Ursache dieser Entwicklung begreifen. Sie lieferte aber die Technik, mit deren Hilfe die Zerstörungskräfte des 14. Jahrhunderts potenziert wurden.24

Damit will Zinn einem zutraulichen Fortschrittsverständnis vehement begegnen. Ausdrücklich diagnostiziert er einen kulturellen Degenerations-Pfad nach der Pest, gekennzeichnet durch Agrarkrisen, nichtproduktive Investition, überbordenden Konsum, aufgewogen durch exzessive Gewaltausübung. Aufstieg der Regressivmoderne durch Verfall - so läßt sich dieses Modell charakterisieren. Einen anderen Ansatz vertrat der schon genannte amerikanische Sozialhistoriker Herlihy. Nicht erst durch die Pest wurde Europa in einen Krisenzustand gestürzt. Er habe, als latente Krise, schon etwa fünfzig Jahre früher bestanden. Seit der Zeit habe Europa in einer unauf-

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Karl Georg Zinn, Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989, S. 147f. Zu den mentalen Umbrüchen, die durch die Möglichkeit des anonymen Tötens bewirkt wurden, vgl.: Rainer Leng, Gründe für berufliches Töten - Büchsenmeister und Kriegshauptleute zwischen Berufsethos und Gewissensnot, in: Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit: Gründe, Beweggründe, Bilder, Bräuche, Recht, hrsg. v. Horst Brunner, Wiesbaden 1999, S. 307-349.

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lösbaren malthusianischen Pattsituation festgesessen 25 . Bevölkerungszahl und Nahrungsressourcen befanden sich in einem stabilen Gleichgewicht, das so ausgewogen war, daß innovative Entwicklungen blockiert waren - Sozialstagnation qua Sozialharmonie. Erst die Pest hob dieses Patt auf. Sie führte in keine Krise. Entgegengesetzt: Sie wies den Ausweg aus ihr, Aufstieg statt Stagnation. Wissenschaftlich-technische und politische Modernisierung gingen Hand in Hand. Der extreme Bevölkerungsschwund führte zu technischen, wirtschaftlichen und institutionellen Innovationen. Sie kompensierten den entstandenen extremen Mangel an Arbeitskräften (Herlihys Schätzungen gehen dahin, daß in manchen Regionen bis zu 80% der Europäer in der ersten Pestwelle ihr Leben gelassen hätten). Eine Agrarrevolution setzte ein, Segelschiffahrt statt Rudertechnik erlebte einen sprunghaften Aufschwung, Universitäten wurden gegründet usw. Die These einer Pattsituation ist allerdings fragwürdig. Vernachlässigt wird durch Herlihy beispielsweise die langanhaltende gesamteuropäische Hungerkrise seit 1316, die durch Amöbenruhr und Hungertyphus einen dramatischen Bevölkerungsrückgang bereits vor der Pest zur Folge hatte. Weiterhin bleiben Angaben über die generelle Zahl der Pesttoten nach wie vor spekulativ, da sie sich nur auf Sterblichkeitsstatistiken von Städten, und das nur punktuell, stützen können 26 . Dennoch, gerade wegen des Bevölkerungsrückgangs, setzt man ihn schon auf die zwanziger oder auf die sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts an, waren militärische Neuerungen seit Mitte des Jahrhunderts hervorstechend. Wegen des Menschendefizits, das spätestens durch die Pest dramatisch spürbar war, wurde neues technisches Material in die Schlachten geführt. Mangel an Kriegern wurde durch die Entwicklung einer effektiven Tötungsmaschinerie, die Pulverwaffen, aufgewogen 27 . Bemerkenswert ist, und das stützt Herlihys Ansatz, daß das Schießpulver, ein Gemisch aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle, bereits um 850 in China entdeckt wurde. Dort nutzte man es vorwiegend für Feuerwerke. Es kam aber auch als Sprengstoff für Minen zum Einsatz, ebenso als Treibmittel für Pfeilgeschosse 28 . Diese Entdeckung gelangte dann über Mongolen oder Araber nach Europa. Erst hier jedoch setzte ab 1320/30 eine sprunghafte militärische Revolution und eine beschleunigte Weiterentwicklung zu Büchsen und Geschützen ein, - eine Entwicklung, die von Fortschritten der Bergbau- und Verhüttungstechniken nicht zu trennen ist. Die militärische Effizienz von Pulver qua Geschütz war also

25 Vgl.: David Herlihy, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas (1997), Berlin 1998, S. 37. 26 Vgl.: Ernst Schubert, Einführung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spätmittelalter, Darmstadt 1992, S. 8ff. 27 Vgl.: Herlihy, Der Schwarze Tod, S. 57. 28 Vgl.: Heinz W. Prinzler, Pyrobolia. Von griechischem Feuer, Schießpulver und Salpeter, Leipzig 1981, S. 67ff.; Wilfried Tittmann, Die importierte Innovation: China, Europa und die Entwicklung der Feuerwaffen, in: Europäische Technik im Mittelalter. 800-1200. Tradition und Innovation. Ein Handbuch, hrsg. v. Uta Lindgren, Berlin 1996, S. 301-336. Bei der Legende des Goslarer Mönchs Bertold Schwarz, des angeblichen Entdeckers des Schwarzpulvers, handelt es sich also offenbar nur um eine nationalistische Geschichtsklitterung, vgl.: Wilfried Tittmann, Der Mythos vom „Schwarzen Berthold", in: Waffen- und Kostümkunde, 25 (1983), S. 17-30.

Die Pose der Sieger

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schon vor der Pest entdeckt. Aber möglicherweise erst durch die gravierende Katastrophe wurde ein großflächiger Einsatz erzwungen. Kanonen erhielten durch die Pest ihre praktische Relevanz. Bei der rasanten Karriere des Militärs in Europa erlangten sie auch einen wichtigen Platz im Kampf gegen die Pest.

4.2. Die Militarisierung der Seuchenabwehr a) Kordons und Grenzsperren Apodiktisch erklärte ein kaiserliches habsburgisches Pest-Patent von 1737, „MilitarDispositiones" seien die besten, sichersten und fast einzigen Mittel, der kontagiösen Übel und ihrer Ausbreitung zu steuern29. Das Militär sei die einzige Instanz, die der Seuche wehren könne. Wie der Einfall von Gegnern nur mit der Kraft von Truppen und Waffen abzuhalten sei, so auch die Pest. Die ärztliche Kunst oder die assanierenden Maßnahmen der Gesundheitspolizei, gar religiöse Beschwörungen und Prozessionen, wären zweitrangig. Ärzte, Stadthygieniker und Prediger hätten ihrerseits nichts unversucht zu lassen. Aber allein die Gewalt der Waffen vermag es, so das Fazit, vor der Seuchengefahr zu schützen30. Die militärische Verfügungsgewalt über die Seuchenverhütung war keinesfalls selbstverständlich. Sie hatte sich im neuzeitlichen Europa erst allmählich durchgesetzt. So bestanden während der ersten europäischen Pestwelle gar keine Quarantäne- oder Absperrungsanstalten, noch dazu militärische. Erst mit einer zeitlichen Verzögerung von etwa dreißig bis vierzig Jahren - um die genauen Details läuft eine seit Jahrzehnten anhaltende Debatte kam es in Norditalien zu ersten prophylaktischen Internierungen für dreißig Tage, Trentina genannt. Sie gingen wenige Jahre später in vierzigtägige Internierungen, sogenannte Quarantänen über, und allmählich dehnte sich die Quarantänepraxis für Schiffe, Reisende und Waren nach Nord- und Westeuropa aus31. Regelrechte und systematische Grenzsperren sind hingegen erst ein Resultat des 17. Jahrhunderts32. Die absolutistische Militarisierung von Gesellschaft erstreckte sich auch auf die Seuchenabwehr. Sperren wurden per Dekret institutionalisiert. Der höchste Grad der Institutionalisierung war mit dem sogenannten

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Zit. nach: Ramón Reichert, Der Diskurs der Seuche. Sozialpathologien 1700-1900, München 1997, S. 42. Vgl. die Vielzahl von Pest-Ordnungen in: Repertorium der Polizeyordnungen der frühen Neuzeit, hrsg. v. Karl Härter/Michael Stolleis, Frankfurt/M. 1996ff. Vgl.: Martin Dinges, Süd-Nord-Gefälle in der Pestbekämpfung. Italien, Deutschland und England im Vergleich, in: Das europäische Gesundheitssystem, hrsg. v. Wolfgang Eckart/Robert Jütte, Stuttgart 1994, S. 19-51. Vgl.: Daniel Panzac, Quarantaines et Lazarets. L'Europe et la Peste d'Orient (XVIIe-XXe siècle), Aix-en-Provence 1986.

Die Militarisierung der Seuchenabwehr

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„immerwährenden", „perpetuierlichen", „ewigen" Pest-Cordon erreicht33, der seit 1728 die österreichischen Grenzen gegen die Vergiftungen aus dem Südosten, dem Orient, zu schützen hatte und erst 1857 bzw. 1878 vollständig aufgelöst wurde. Grenzsperren erfolgten damit nicht nur gelegentlich und nicht nur stationär. Sie waren ausdrücklich immerwährend. Ein militärischer Verfügungsanspruch war für immer und ewig proklamiert und geradezu zementiert. Nun ließe sich einwenden, diese Einrichtung von ihren Erfolgen her zu verstehen. Es ging nicht um direkte und indirekte Militarisierung von Gesellschaft, sondern um eine erfolgreiche Seuchenabwehr. Großräumige bzw. lokale Absperrungspraktiken hätten sich dabei zweifelsfrei bewährt. Für dieses Argument, das, etwa in Anknüpfung an die verdienstvollen Arbeiten Erna Leskys, nach wie vor vertreten wird34, scheint einiges zu sprechen. So blieben nicht zuletzt wegen Kordons 1647 in Spanien, 1668 rund um Paris, 1680/82 an der Elbgrenze von Braunschweig-Lüneburg, 1709 schließlich auch in Preußen und 1720 rund um Marseille Pestepidemien auf nur kleine Regionen eingegrenzt35. Ob die cordons militaires aber die entscheidende Rolle spielten, die ihnen auch heute mit gelegentlich leicht nationalistischem Akzent attestiert wird36, ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Mitunter wird sie sogar entschieden relativiert. Kordons wären viel weniger streng gehandhabt worden, als es die Gesetzesvorschriften vorgesehen hätten. Schmuggelei und Bestechung waren an der Tagesordnung. Überhaupt seien die naturhaften bzw. sozialen Gründe für das Schwinden der Pest in Europa äußerst vielfältig, jedenfalls seien sie kaum auf das Regime von Grenzsperren zurückzuführen37. Ob Erfolge bei der sogenannten Abwehr der Pest nun durch Kordons begründet sind oder nicht, wird weiter umstritten bleiben. Vielleicht ist es aber möglich, den Rahmen des Pro und Kontra, der auf eine allein funktionalistische Erklärung der Sperrkordons fixiert bleibt, gänzlich zu verlassen. Denn es gab strukturelle Ursachen, die gerade das Militär als Militär favorisierten, den Kampf gegen die Seuchengefahr an sich zu ziehen und geradezu zu instrumentalisieren. Einerseits führte die institutionelle Karriere des Militärs dazu, auf den Seuchenschutz entscheidenden Einfluß auszuüben. Andererseits war gerade die epidemische Bedrohung ein relevantes Feld, diesen Einfluß nachhaltig demonstrieren zu können. Sie war

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Vgl.: Erna Lesky, Die österreichische Pestfront an der k. k. Militärgrenze, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte, 8 (1957), S. 82-106, hier: S. 86. Vgl.: Lesky, Die österreichische Pestfront, S. 104ff.; Edward A. Eckert, The Retreat of Plague from Central Europe, 1640-1720: A Geomedicai Approach, in: Bulletin of the History of Medicine, 74 (2000), S. 1-28, hier: S. 26. Vgl.: Martin Dinges, Pest und Staat: Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion?, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, hrsg. v. Martin Dinges/Thomas Schlich, Stuttgart 1995, S. 71-104, hier: S. 84. Vgl.: Gheorghe Bratescu, Seuchenschutz und Staatsinteresse im Donauraum (1750-1850), in: Sudhoffs Archiv, 63 (1979), S. 25-44. Gunther E. Rothenberg, Die österreichische Militärgrenze in Kroatien 1522 bis 1881, Wien, München 1970, S. 175f.; ders., The Austrian Sanitary Cordon and the Control of the Bubonic Plague: 1710-1871, in: Journal of the History of Medicine, 28 (1973), S. 15-23, hier: S. 20ff.

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willkommener Anlaß, institutionelle Kompetenz weiterzuentwickeln und sie in Konkurrenz gegen andere Institutionen und Instanzen (Ärzteschaft, Hygienepolizei, Kirche) durchzusetzen. Bevor genauere Gründe dafür angegeben werden, ist auf eine bemerkenswerte Koinzidenz der Ereignisse hinzuweisen: Mit den Verträgen von Passarowitz 1718 wurden endgültig die kriegerischen Balkankonflikte gebannt und die Einflußsphären des Habsburger und des Osmanischen Reichs miteinander ausgeglichen. Erst damit war die Möglichkeit gegeben, die Potenzen einer ausgereiften, aber nunmehr überflüssigen Militärmaschinerie der Seuchenabwehr umzuwidmen. Wie einst gegen den sichtbaren menschlichen Feind aus dem Osten wäre das Militär nun, mit Dekret von 1728, der allein helfende Schutzschild gegen den unsichtbaren östlichen Seuchenfeind. Zwar hatte es dort schon zuvor (wie seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Europa überhaupt) vorübergehende Kordons gegeben. Aber nunmehr, mit einem ausgereiften Militärapparat einerseits und seinen relativ freien Potenzen andererseits, war die stationäre Verklammerung von Militär und Seuchenabwehr geradezu zwingend. Hier kulminierte der Zugriff des Militärs auf soziale Belange. Das zeigt sich darin, daß die Geschäfte des Kordons, die anfangs der Sanitätshofkommission unterstanden, 1776 vollständig dem Militär übertragen wurden38. So waren um 1830 etwa täglich 10.000 Wachhabende an der befestigten Grenze im Einsatz39, und einem Bericht eines preußischen Beamten zufolge hatte sie 1847 - ebenfalls zu einer Cholerazeit - folgendes Aussehen: Die Grenze der österreichischen Staaten gegen die Türkei ist mit einer vollständigen Sperrungslinie versehen, welche, da wo keine Flüsse oder Felsenabhänge stattfinden, mit Zäunen und Verhauen, oder gar mit sechs Fuß tiefen und breiten Gräben eingeschlossen ist; alle Nebenwege dadurch abgeschnitten und nur wo eine Straßenverbindung durchaus nothwendig ist, findet sie nur unter besondern Vorsichtsmaßregeln statt. Dazu sind an den Hauptstraßen Contumazanstalten und an den Nebenstraßen zum Grenzverkehr Kastelle eingerichtet. Die Türkei ist mit einem immerwährenden Wachcordon besetzt, der so vollständig ist, daß bei Tage ein Soldat den andern sehen und bei Nacht demselben zurufen kann; außerdem wird die Verbindung zwischen denselben durch fortwährende Patrouillen unterhalten. [...] Wer sich außer den Straßen, die zum Verkehr geöffnet sind, dem Cordon nähert, wird an die nächste Eingangsstation verwiesen, wer sich nicht abweisen läßt, wird niedergeschossen; auch solche, welche sich mit Fremden blos vermischt haben und der Wachbegleitung entfliehen wollen, werden eben so behandelt.40

38 Vgl.: Rothenberg, Die österreichische Militärgrenze, S. 119; V. Bazala, Kroatisch-slawonische Militärgrenze als Gesundheitsfaktor mit besonderer Berücksichtigung des sog. Pestkordons, in: Acta Congressus Internationalis XXIV Historiae Artis Medicinae, Bd. 1, Budapest 1976, S. 527-541. 39 Vgl.: R. M[ohl], Art. „Ansteckende Krankheiten", in: Staats- Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, hrsg. v. Carl v. Rotteck/Carl Welcker, Altona 1834ff„ Bd. 1, S. 603-615, hier: S. 608. 40 Ritter Neigebauer, Die Quarantaine-Anstalten in der Moldau und Walachai, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, 6 (1847), S. 1-13, hier: S. 6f. Zum Stand dieses Kordons um

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Der stationäre immerwährende Kordon war einerseits Beleg einer bereits erlangten öffentlichen militärischen Verfügungsgewalt. Andererseits zielte er darauf ab, die entlegensten Grenzvölker der militärischen Zentralgewalt disziplinierend zu unterwerfen. Zum unliebsamen Kordondienst verpflichtet waren nämlich die in der Vielvölkergrenzregion ansässigen Bauern, die zum Teil alle sechs, zum Teil sogar alle drei Wochen eine Woche Dienst zu leisten hatten. Periodische militärische Ausbildungsphasen waren darin noch nicht einmal Inbegriffen und kamen zusätzlich zum Wachdienst hinzu. Ärzte bzw. Mediziner waren als Sachwalter der Seuchenabwehr vorerst degradiert. Zwar beteiligten auch sie sich an den Debatten um Ursachen, Verhütungs- und Heilungsmöglichkeiten von Epidemien. Aber ihre fast durchgehend miasmatische Programmatik - ausgehend vom berühmten kanonischen Pariser Universitätsgutachten von 1348" - wurde durch die Vorkehrungen von Magistraten, Lokalfürsten und Renaissanceherrschern alsbald regelrecht ignoriert. Ärzte und Mediziner hatten ihren Diskurs. Die staatlichen Institutionen hatten jedoch ihren eigenen. Ihm zufolge verbreiteten sich Epidemien hauptsächlich per unmittelbarer Ansteckung. Das wurde deklariert ohne eine entsprechende theoretische Absicherung, die erstmals 1546 mit Fracastoro erfolgte (und in medizintheoretischer Hinsicht selbst dann marginal blieb). Das kontagionistische Ansteckungsmodell war die Doktrin, die von den maßgeblichen Entscheidungsträgern favorisiert wurde. Gesundheitsmagistrate bzw. Sanitätskommissionen initiierten ohne medizinisch-ärztliche Legitimation Sperren, Quarantäne und andere Ordnungsmaßnahmen. Entgegen medizinhistorischer Legendenbildung spielten Ärzte und Mediziner in den städtischen bzw. staatlichen Behörden eine rein untergeordnete Rolle. Geradezu umgekehrt: Magistratsinstitutionen hatten, teilweise schon früher, in der Phase der Absonderung von Leprakranken, und übrigens nicht selten verquickt mit städtischer bzw. staatlicher Geheimpolizei, nicht zuletzt die Aufgabe einer Reglementierung und Kontrolle von Ärzten. Letztere wiederum hatten gelegentlich sogar Interesse daran, Pestvorkommnisse zu vertuschen, um nicht durch Statuierung des Ausnahmezustands verschärfte Kontrollen auf sich zu ziehen oder gar als Pestmischer denunziert und verurteilt zu werden42. In jedem Fall orientierten sich die stadt-staatlichen Behörden spätestens seit Ende des 14. Jahrhunderts nicht mehr oder nur noch rhetorisch an den ärztlich-miasmatischen Vorlagen. Sie etablierten, entweder mit ergänzendem Ausbau oder in schlichter kompromißloser Eigenverantwortung, ihre

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1830 vgl.: [Anonym], Ueber Pestcordon und Contumazen, in: Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde. Neue Folge, 1 (1831), S. 179-200. Vgl. den Abdruck in: Georg Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 1.1: Die Geschichte der Pest, Gießen 1908, S. 60-62. Vgl.: Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts (1978), Reinbek 1985, S. 188f.; Dinges, Pest und Staat, S. 75. Der italienische Literat Alessandro Manzoni, der hauptsächlich durch seinen Pestroman „Die Verlobten" von 1828 bekannt ist, hat einen solchen Prozeß gegen einen Mainländer Barbier und gegen einen Kommissar des Gesundheitswesens von 1630 dokumentarisch aufgearbeitet, vgl.: ders., Die Schandsäule (1842), hrsg. v. Wolfgang Boerner, Berlin 1988.

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eigene Handlungslogik. Das war die der Sperre, der Quarantäne, des Isolierens, die ärztliche Vorstellungen nur marginal berücksichtigte oder gänzlich überging43. Das reiht sich ein in einen umfassenden Modernisierungstrend, der, weit weniger als nach wie vor vermutet, von Ärzten, Medizinern oder gar von Theoretikern - dem viel beschworenen Faktor „neuzeitliche Wissenschaft" - ausging. Vielmehr: Parallel zur Pest etablierten sich in Europa militärische Institutionen. Sei es, daß die durch die Pest bewirkte Barbarisierung ihnen ein entscheidendes Tor öffnete (Zinn), sei es, daß der extreme Bevölkerungsverlust einen Innovationsdruck erzeugte, der eine Rationalisierung des Kriegshandwerks bewirkte (Herlihy) - so oder so war das Militär die wichtigste Aufsteigerinstitution der frühen Neuzeit und der Moderne. Es erlangte Handlungshoheit auf allen öffentlich relevanten Gebieten, ökonomisch, politisch, verwaltungsbürokratisch, wissenschaftlich-technisch. Kordons und Kanonen wurden gegen die Pest aufgeboten. Sie hatten symbolisch, als bloße Grenzmarkierung, der Seuche zu wehren. Schließlich kam es sogar zum direkten Einsatz gegen die vermeintlich unsichtbaren Miasmen und gegen Grenzverletzer, wie im nächsten Abschnitt noch genauer dargestellt wird. Insgesamt ist das Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der sozialen Prozesse. Angesichts des Schlagworts „Militarisierung" ist natürlich zu berücksichtigen, wie und auf welche Weise „Militär" im einzelnen wirkt. Dazu können wohl insgesamt vier allgemeine Typen militärischer Dominanz in modernen Gesellschaften unterschieden werden: unterschwellige Prägung der sozialen Wert- und Statusbegriffe, direkt inszenierte Verherrlichung des Militärs, legale oder faktisch-illegale Infiltration der staatlichen Machtorgane und schließlich die Tendenz zu gewaltsamer Lösung inner- und zwischenstaatlicher Konflikte. Für das hier interessierende Phänomen der Seuchenabwehr treffen zumindest die Punkte eins, drei und vier zu. Das Militär zentrierte staatliche Entscheidungsbefugnisse und unterwarf den Prozeß der Seuchenverhütung seinen Handlungspotentialen. Bei der Cholera hatte sich das ebenfalls zu bewähren. Der neuen Bedrohung wurde in Rußland, Österreich und Preußen mit bewährten militärischen Vorkehrungen geantwortet. Im westlichen Teil Rußlands wurden sogar Ende 1830, wie im tatsächlichen Kriegsfall, Straßen und Brücken zerstört44. Österreich ließ zwar Ende 1831 wegen aller Mißerfolge von Sperrungen ab. In Preußen jedoch wurde, trotz aller Kritiken von Finanzbehörden, Ärzten oder Lokalbehörden, das militärische System von Sperren und Quarantänen resolut durchgesetzt. Die offensichtlichen Mißerfolge führten nur zu einer gewissen Liberalisierung, und Unentschiedenheiten wurden mit dem preußischen Seuchen-Regulativ von 1835 beseitigt.

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Vgl.: John Henderson, Epidemics in Renaissance Florence: Medical Theory and Government Response, in: Maladies et société (Xlle-XVIIIe siècles), édités par Neithard Bulst/Robert Delort, Paris 1989, S. 165-186. Vgl.: Dr. Johann Truckenbrod, Die Entstehung der neuern Form der Cholera nebst kurzgefasster Darstellung ihrer Verbreitung bis nach Deutschland, [München] 1837, S. 55; Dr. A. Raphael, Die Cholera in Kurland im Jahre 1831. Ein Beitrag zur Geschichte der Epidemien in Kurland, in: Sitzungsberichte der kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst [...] aus dem Jahre 1908, Mitau 1909, S. 51-123, hier: S. 59.

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Es enthielt mildernde Relativierungen, bestärkte aber nichtsdestoweniger die Praxis des militärischen Zugriffs auf Epidemien45. Da wegen der unsicheren Aktenlage Quellen bezüglich der preußischen Grenzsperrungen nicht sehr ergiebig sind - auch Barbara Dettkes hervorragende Studie über die erste Cholerawelle in Preußen kann hier notgedrungen nicht ausreichend in die Tiefe gehen46 - sollen hier nur einige Belege von Zeitzeugen gegeben werden, die verdeutlichen, auf welche Weise die von der preußischen Regierung seit Anfang 1831 initiierten Seuchenkordons ausgesehen haben müssen. Hier kann es nicht um eine Genealogie gehen, allenfalls um eine Phänomenologie. Dabei muß die Frage offen bleiben, inwieweit die Truppenverlagerungen an die östliche Grenze Preußens der Choleraabwehr dienten. Nicht zuletzt stellten sie auch eine Eingreifreserve für den Fall dar, daß der polnische Freiheitskrieg von 1830/31 gegen die zaristisch-russische Besetzung weiterhin erfolgreich bliebe oder gar das unter preußischer Herrschaft stehende Posen ergreife. Abgesehen von Aufgabenüberschneidungen: Gneisenau, der seit 6. März, anfangs wohl nur wegen des russisch-polnischen Kriegs, als Oberbefehlshaber der vier östlichen Armeekorps fungierte, die ab Mai die Abwehr gegen die Cholera gewähren sollten, gab in einem Rapport vom 15. Juni einen Anschlag der dazu erforderlichen menschlichen und materiellen Ressourcen: Für eine Meile Kordonausdehnung werden circa 100 Mann Infanterie und 15-20 Mann Kavallerie als Besatzung erfordert, welche zu Hälfte biwakiren; zur Hälfte in Hüttenposten untergebracht sind. Es müssen nämlich in Dörfern, welche ungefähr eine Meile voneinander entfernt sind, die Offiziersposten 50-60 Mann stark biwakieren, (siehe Zeichnung b.) Rechts und links von jedem dieser Dörfer, in derselben Linie oder etwas versetzt, stehen zu jeder Seite 4 - 5 Hüttenposten zu 1 Unteroffizier oder Gefreiten und 4 Mann, (siehe Zeichnung a.), d.h. daß zu einem jeden Offiziersposten 8-10 solcher Hütten, mit 40-50 Mann gehören.47

Das war ein Lagebericht, noch inmitten einer Dislozierungsphase. Die tatsächliche Gestalt des preußischen Kordons, der, in mehrere Teile gegliedert, der gesamten preußischen Grenze von der Ostsee bis in die schlesischen Gebiete folgte und zusammen mit den österreichischen Kordons von Galizien bis an die dalmatinische Küste über 6.000 Kilometer umfaßte, wurde dann folgendermaßen beschrieben: Von Seiten Eines Hochlöblichen Generalkommando's wurden darauf die nöthigen Truppen vom lOten und 1 lten Infanterieregiment, dem lsten Cuirassier-Regiment, reitender Geschütze dem Schützenbataillone u.s.w. abgeordnet den Cordon zu ziehen, dergestalt, daß derselbe schon am 15. Mai sich an der Grenze befand. Dieser militairische Cordon besetzte eine

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Vgl.: Regulativ vom 28. Oktober 1835, das bei ansteckenden Krankheiten zu beobachtende sanitätspolizeiliche Verfahren betreffend, nebst einer Instruktion über das Desinfektionsverfahren und einer populären Belehrung über die Natur und Behandlung von ansteckenden Krankheiten [Sonderdruck des 27. St. der Gesetzessammlung vom Jahre 1835], Berlin 1845. Vgl.: Barbara Dettke, Die asiatische Hydra. Die Cholera von 1830/31 in Berlin und den preußischen Provinzen Posen, Preußen und Schlesien, Berlin, New York 1995, S. 77ff. Neidhardt von Gneisenau an Karl August Adolf von Krafft, Posen, 15. Juni 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz (Berlin), H I., Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. I. Nr. 14.

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Ausdehnung von 32 Meilen und sind auf dieser Länge 223 Wachhütten aufgeschlagen, welche je 3 bis 4 Posten auszustellen vermögen. Jede Meile zählt demnach resp. 7 Wachhütten und 22 Schildwachten und stehen folglich im Ganzen 700 Schildwachten auf Posten. Durch stetes Patrouilliren erhalten sich diese Wachposten in Verbindung. Außerdem patrouilliren noch in einer zweiten Chaîne, den Soutien bildend, Infanterie- und Cavallerieposten. Die Reserve, weiter zurückstehend, löst die Mannschaft des Cordons und des Soutiens alle 6 Tage ab.48 Ein Mediziner skizzierte - mit lobendem Verweis auf das Vorbild des immerwährenden habsburgischen Pestkordons - die dann praktizierte Absperrung der preußischen Grenzen folgendermaßen: Längs dieser Gränze stehen in unterschiedlichen Distanzen, die jedoch nie über 1/16 Meile (300 bis 400 Schritt) betragen, hölzerne, mit Stroh bedeckte Hütten, deren jede mit sechs Mann Soldaten und einem Unterofficier besetzt ist. Bei jeder Hütte steht eine Schildwache, die rechts und links den Wachposten der nächsten Hütte sehen kann, und von jeder Hütte gehen zwei Mann, der eine rechts, der andere links, bis zur mittleren Entfernung der nächsten Hütte patrouilliren [...]. Brücken und Stege, welche über die Gränzflüsse und Bäche führen, sind mit Pallisaden und Gräben gesperrt. Cavallerie-Patrouillen bilden in kurzer Entfernung hinter dem äußersten Cordon eine zweite Kette, und eine dritte wird durch die Infanterie-Patrouillen der in den nächsten Dörfern gelegenen Hauptwachen gebildet.49 Die Isomorphic von Seuche und Krieg, mit dem Militär als entscheidendem Handlungsscharnier, bestätigt sich auch hier. Auf das Unfaßbare, Unerklärliche antwortet die neuzeitliche Instanz Militär mit einer materiellen Grenze aus Ordnungsfaktoren. Wenn ich mich hier so ausdrücklich gegen sogenannte funktionalistische Erklärungsversuche wende, die der Seuchenabwehr durch Kordons eine medizintheoretische Legitimation unterstellen, die sie gar nicht oder nur kaum besaß, sind jedoch noch weitere Aspekte zu berücksichtigen. Ein modernisierungs- bzw. institutionengeschichtlicher Ansatz allein kann die Bedeutung von Absperrungspraktiken nicht hinreichend erklären. Die Logik der Grenze ist keine, die genuin dem Militär zu eigen ist. Sie gehört zum unvergänglichen Arsenal archetypischer Praktiken. Durch sie konstituieren sich Individuen und Gemeinschaften nach innen und außen, positiv und negativ. Sie bedürfen der Grenze, erstens, um sich überhaupt zu gewinnen, zweitens, um sich nicht zu verlieren. In Krisenund Katastrophensituationen wie der Cholera sind solche Grenzziehungen - hier bedrohte homogene Gemeinschaft, dort ein bestimmtes oder unbestimmtes gefahrvolles Etwas - für den kulturellen Status quo besonders erforderlich. Grenzen können einerseits ideellimaginär sein. Andererseits können sie in ritualisiertem Sinn symbolisch-praktisch errichtet werden. Ein Bericht aus der preußischen Provinz Posen vom Spätsommer 1831:

48 [Anonym], Wirken der hohen Provinzialbehörden, in: Cholera-Blatt. Als Beilage zu den Schlesischen Blättern, Nr. 4,16. August 1831, S. 31f. 49 Dr. Christian Friedrich Harleß, Die Indische Cholera nach allen ihren Beziehungen, geschichtlich, pathologisch-diagnostisch, therapeutisch und als Gegenstand der Staats- und Sanitäts-Polizei dargestellt, Braunschweig 1831, S. 71 lf.

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Eine halbe Stunde von Posen liegt ein Dorf, Namens Jerzice. Die ganze Gegend umher war schon von der Cholera angesteckt, während dieses Dorf frei blieb. [...] Die Bewohner von Jerzice wollten sich den Vortheil ihrer vermeintlich so sehr gesunden Lage sichern und veranstalteten eine abergläubige Ceremonie. Ein Paar Zwillings Stiere wurden vor einen Pflug gespannt und durch ein Paar Zwillings Knaben geleitet. Ein Priester trat voran, der Pflug folgte und die sämmtliche Einwohnerschaft hinter ihm. Es wurde nun eine Furche um das ganze Dorf gezogen, und die Leute glaubten, nun werde die Seuche diese Furche nicht überschreiten, aber des anderen Tages wurden drei Einwohner des Dorfs von der Cholera befallen und verstarben desselben Tags, seitdem noch viel mehr.50 Zwei Fetischisierungen - die der gläubigen Bewohner auf den Nutzen ihrer Praxis, die des aufgeklärten Beobachters auf den eintretenden Schaden. Sie sind in ihrem Glauben abergläubisch, er in seinem Aufgeklärtsein, will er doch die Strafe auf den Fuß bezeugen. Weitere merkwürdige Koinzidenz der Fetischisierungen: Zeuge war niemand anderes als der ranghöchste preußische Militär, der dort, von Posen aus, die Grenzkordons gegen die Cholera kommandierte. Die Bauern, mit ihrem Prediger an der Spitze, umzirkelten symbolischpraktisch qua circumambulatio ihr Dorf. Die preußische Monarchie, mit seinem ranghöchsten Militär Gneisenau an der Spitze, umzirkelte symbolisch-praktisch den Staat. Er mochte sich gegen die in seinen Augen abergläubische Zeremonie verwahren. Nichts illustriert aufklärerische Selbsttäuschungen besser. Denn in vergrößertem Maßstab ahmte er genau ihre Logik nach. Das Militär, Aufsteigerinstitution der Moderne, adaptierte essentielle kulturelle Praktiken. Es verwirklichte Grenzziehung auf seine Weise. Grenze ist das kulturelle sine qua non, das, ob Normalität oder Notstand, den Bering des Menschlichen äußerlich kennzeichnet und definiert. Sie ist die ebenso fragile wie mysteriöse Projektion, die Ordnung verheißt und durch ihre Art der Projektion auch schafft.

b) Schüsse auf Pest und Cholera Die aufgeklärt-absolutistische Gesellschaft kämpfte gegen viele Feinde. Auch den Unbilden des Wetters, Gewittern, Blitz und Hagel war der Kampf, der Waffenkampf erklärt worden. Es gab seit etwa Beginn bzw. Mitte des 18. Jahrhundert die auf die Kraft der Waffen

50 Neithardt von Gneisenau an Agnes von Scharnhorst, 21. August 1831, in: Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau. Fortsetzung des gleichnamigen Werkes von G. H. Pertz, Bd. 5, Berlin 1880, S. 684f. Zu magisch-rituellen Praktiken der Grenzziehung in Pestzeiten - nackte junge Mädchen oder Knaben hatten einen Graben um bedrohte Orte zu vollenden bzw. durch Tanz eine Grenze zu ziehen - , vgl.: Jean-Noël Biraben, Les Hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranéens, 2 Bde, Paris, Den Haag 1975/76, Bd. 2, S. 56f. Zu periodischen rituell-feierlichen Dorfumgängen zwecks symbolischer Grenzziehung, sog. circumambulatio, vgl.: Karl-S. Kramer, Grundriss einer rechtlichen Volkskunde, Göttingen 1974, S. 26ff.; Hermann Schmitz, System der Philosophie. Bd. 3.4: Das Göttliche und der Raum (1977), 2. Aufl. Bonn 1995, S. 233ff.

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gegründete Annahme, den „drohenden Blitz und Donner gänzlich [zu] vertreiben"51, wobei hauptsächlich daran gedacht wurde, Geschütze abzufeuern. Einerseits wurde angenommen, Geschützfeuer würden durch mechanischen Druck die Hagelfronten verdrängen. Andererseits glaubte man, sie veranlaßten eine chemische Entmischung der Wolken und mache Schwefelstoffe unschädlich. Ein solcher Einsatz wurde beispielsweise 1775 in einer von der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften gekrönten Preisschrift empfohlen, wobei Geschütze ständig im Abstand von drei bis vier Sekunden abzufeuern seien52. Aber nicht nur Blitzen und Gewittern sollten die Feuerwaffen wehren. Auch der Hagel, der immer wieder verheerend die Landwirtschaft betraf, mußte bekämpft werden. Zwar beantworteten gekrönte Preisschriften der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften bzw. der Berliner Gesellschaft naturforschender Freunde von 1788 und 1798 die Frage nach einer praktikablen Hagelableitung eindeutig abschlägig, und in Bayern wurde daraufhin das Abfeuern von Geschützen auf Hagel- und Gewitterwolken offiziell verboten. Aber die einzelnen Landgemeinden wollten sich damit nicht zufriedengeben. So kam es zu einer Reihe von Petitionen. Obwohl die 1810/11 in Bayern unter königlicher Aufsicht durchgeführten Großversuche zur Hagelableitung mittels Geschützdonner gescheitert waren53, wurde den bayerischen Gemeinden alsbald wieder gestattet, gleichsam militärisch gegen Hagelfronten vorzugehen54. Blitz, Donner, Hagel - die feindlichen Elemente waren, Triumph militärischer Praktiken, mit der Gewalt der Waffen zu zähmen. Bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten bewährte sich diese Methode. Auch hier zeigt sich, wie das Militär kulturelle Verbindlichkeiten adaptierte, sich in ihren Sog stellte und sie nach seinen Erfordernissen und Potenzen umwandelte. Es war Glied einer langen Kette von Transformationen, mit denen archaische Praktiken in die Moderne getragen wurden und hier neue Qualität gewannen. Die archaischen und antiken Rauchopfer, Bestandteil jeder kultischen Götteranbetung, wurden schon in der Antike medizinisch umfunktionalisiert, die Luft von verderblichen Bestandteilen zu reinigen. Der Duft von Kräutern, Blumen, edlen Hölzern usw. war nun nicht mehr allein die

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Peter Ahlwardt, Bronto-Theologie, oder: Vernünftige und Theologische Betrachtungen über den Blitz und Donner, wodurch der Mensch zur wahren Erkenntniß GOttes und seiner Vollkommenheiten, wie auch zu einem tugendhaften Leben und Wandel geführet werden kan[n], Greifswalde und Leipzig 1746, S. 330. Vgl. auch: C. Mylius, Von einigen neuwiederholten Versuchen mit dem groben Geschütz, in: Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften. Aus der Naturforschung und den angenehmen Wissenschaften, 4 (1749), S. 268-274, hier: S. 274; Johann Gottlieb Stegmann, Einleitung in die Naturlehre zum Gebrauch deijenigen die mit Vergnügen und Aufmerksamkeit die Natur betrachten wollen, Bückeburg 1753, S. 356. Vgl.: Benedikt Arbuthnot, Abhandlung, über die Preißfrage, Ob und was für Mittel es gebe die Hochgewitter zu vertreiben und eine Gegend vor Schauer und Hagel zu bewahren, in: Abhandlungen der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 9.2, München 1775, S. 425. Vgl.: Maximus v. Imhof, Über das Schiessen gegen heranziehende Donner- und Hagelgewitter, München 1811, S. 9ff. Vgl.: [Maximus v.] Imhof, Theoretisch-praktische Anweisung zur Anlegung und Erhaltung zweckmäßiger Blitzableiter, München 1816, S. 8f.

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versöhnende Gabe, die Götter milde zu stimmen und Unglück abzuwenden. Er diente spätestens seit Hippokrates zweckrational dem Ziel, die Luftbeschaffenheit zu verbessern. Dazu war der Rauch von Ambra, Myrrhe, Theriak oder Weihrauch besonders geeignet. Hippokrates soll von daher bei Epidemien öffentliche Feuer auf Plätzen und Straßen empfohlen haben. Sie wären am ehesten geeignet, reinigend zu wirken und die Krankheitsstoffe der Luft, die unsichtbaren Miasmen, abzuwehren bzw. zu absorbieren oder zu neutralisieren eine geradezu klassische Form der Säkularisierung bzw. Umbesetzung ursprünglich rein religiöser Gehalte55. Noch dazu gewannen Feuer und Rauchentwicklung an symbolischer Kraft, da schon im Altertum eine Kriegsführung mit sogenannten „griechischen Feuern", brennenden ätzenden oder erstickenden Mixturen, durchaus üblich war56. In dieser Form, Amalgam aus religiösem, zweckrationalem und symbolischem Handeln überhaupt ist nach Gaston Bachelard die reinigende Kraft des Feuers als grundlegender kultureller Archetyp anzusehen57 - waren Räucherungen in den großen Pestepidemien des Mittelalters verbreitet. Mit der frühen Neuzeit schwanden sie in Westeuropa nicht, und noch bei der verheerenden Londoner Pest von 1665 kamen Räucherungen großflächig zum Einsatz. Gleichfalls 1709 in Danzig, 1720 in Marseille und 1771 in Moskau, so auch während des Typhus 1813/14 in Thüringen bzw. in der Oberlausitz oder bei der Cholera 1834/35 in Toulon. Das ist im Medizinkapitel bereits behandelt worden. Inzwischen, in der frühen Neuzeit, hatte sich jedoch eine weitere Umbesetzung ergeben. Nunmehr wurden nicht mehr milde, wohlriechende und heilende Substanzen zur Reinigung und Desinfektion der Atmosphäre favorisiert. Scharfes, Beizendes, Ätzendes setzte sich statt dessen durch. Die eher passive Neutralisation der Miasmen durch liebliche Dämpfe wurde von der aggressiven Variante der Ausmerzung durch unangenehm stinkenden und säurehaltigen Rauch ersetzt. Für diesen Trend, der wohl auf die Mitte des 17. Jahrhunderts anzusetzen ist, gibt es eine denkbare Erklärung: den Siegeszug des Militärs. Natürlich läßt sich darauf verweisen, daß es Wohlgerüchen niemals gelungen war, Pest und andere epidemische Krankheiten in Europa abzuhalten. Das war seit rund zweitausend Jahren aber wieder und wieder der Fall. So muß es andere Gründe für das plötzliche Aufkommen ätzender Substanzen gegeben haben. Das hängt mit dem Aufstieg des Militärs zusammen. Im ersten gesamteuropäischen, dem Dreißigjährigen Krieg, hatte es seine Potenzen machtvoll entfaltet. Das Pulver wurde zur universalen kulturellen Deutungsmacht, das alle Lebensvorgänge entscheidend regierte. Der Mischung aus Schwefel, Salpeter und Holzkohle beugte sich jegliche zivile Praxis. Selbst die Karriere der sogenannten Iatrochemie bzw. Chemiatrie, die sich vor allem in Anschluß an Paracelsus formierte, zollte ihm theoretisch Tribut. Wegen der Ungenauigkeit der Artille-

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Vgl.: Günther Lorenz, Antike Krankenbehandlung in historisch-vergleichender Sicht. Studien zum konkret-anschaulichen Denken, Heidelberg 1990, S. 246ff.; Herwarth Horn/Dietmar Kolle, Feuer und Rauch in der Seuchenbekämpfung. Teil I: Zur Geschichte der Luft- und Raumdesinfektion von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert, Erfurt 1994, S. 20ff. (Sonderschriften der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Bd. 23). Vgl.: Dieter Martinetz, Chemischer Krieg seit dem Altertum? Frühe „militärtoxologische" Probleme, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 88 (1994), S. 607-617. Vgl.: Gaston Bachelard, Psychoanalyse des Feuers (1949), Frankfurt/M. 1990, S. 130ff.

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riewaffen erwies sich gerade das Pulver als Pulver bei Belagerungen, aber auch in Feldschlachten, in Form sogenannter Minen, von entscheidender Bedeutung. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts trat der hauptsächlich von Pul verminen getragene Festungskrieg sogar derart in den Vordergrund, daß Feldkämpfe rapide hinfällig wurden58. Dem Pulver unterlag der gesamte soziale und kulturelle Organismus. Das war der Hintergrund der Karriere ätzender, säurehaltiger Substanzen, gerade der des Schwefels, bei der Seuchenabwehr. Neben Medizinern begriff das Militär selbst die Reinigung der Luft als seine Aufgabe. So wurde mittels Kanonenschüssen versucht, Gift durch Gegengift, Miasmen durch Pulver zu vertreiben, etwa, um nur einige Beispiele zu nennen, bei Pestepidemien 1581 in Avignon, 1679 in Wien, 1720 in Marseille, gar noch 1771 in Moskau59. Die von Epidemie zu Epidemie vermehrten Mißerfolge von Kanonaden und Räucherungen lagen jedoch sichtbar auf der Hand. Bei den anhaltenden Rückschlägen kaprizierte sich das Militär auf andere Verhütungspraktiken. Spätestens bei der Cholera 1831 favorisierte es, wie die staatlichen Entscheidungsträger insgesamt, das Kontagionsmodell. Es hielt auf Grenzsperren, Quarantäne von Verdächtigen, Isolation von Erkrankten. Dennoch wurde 1831 die Kraft der Kanonen, allerdings ausschließlich von Medizinern, wieder ins Spiel gebracht. Bei der nach wie vor relativ ungebrochenen medizinischen Geltung des Miasmenmodells und der Faszination, die die Aufsteigerinstitution Militär auf den medizinischen Stand ausübte, war das nicht verwunderlich. Zwar stieß das schon 1813 eher auf Skepsis: Man hat vorgeschlagen, bei bösartigen epidemischen Fiebern Geschütze abzufeuern, Raketen und Leuchtkugeln in großer Menge abzubrennen, und dadurch Bewegung in die atmosphärische Luft zu bringen, deren Verderbniß man allein diesem Stillstande zuschrieb. In eingeschlossenen feuchten Thälem kann diese große und anhaltende Luftstille allerdings manchmal wohl eine Quelle von Volkskrankheiten, und das lang fortgesetzte Abfeuern mehrerer Kanonen von großem Nutzen sein. Aber die Verbesserung ist nicht dauernd, sondern vorübergehend, weil sie die Quelle dieser Luftverderbniß nicht verstopft.60

Trotz solcher und anderer Einwände wurde das Schießen gegen Miasmen immer wieder in Anschlag gebracht. Befürwortet wurde es weniger von Laien, hilflosen Administrationen oder einzelnen ehrgeizigen Militärs. Hauptsächlich Ärzte machten sich dafür stark. Militärische Institutionen verhielten sich abwartend. Sie waren so etabliert, daß sie solcher, noch dazu offenbar fragwürdiger, Experimente nicht mehr bedurften. Mediziner dagegen befleißigten sich, den militärischen Habitus zu adaptieren. Sie plädierten, gerade mit Hinweis auf den Schutz durch Geschütze bei Gewittern, nach wie vor dafür, Kanonen einzusetzen61. Mit

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Vgl.: Handbuch der deutschen Militärgeschichte 1648-1939, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 5, München 1979, S. 66f. Vgl.: Biraben, Les hommes et la peste, Bd. 2, S. 180; Gerd Göckenjan, Das Pest-Regiment. Zu welchem Zweck Seuchen über die Menschen kommen, in: Kursbuch, Nr. 94 (1988): Die Seuche, S. 68-86, hier: S. 79; Le Guérer, Die Macht der Gerüche, S. 134,137. Carl Gottlob Kühn, Briefe über die Mittel, die atmosphärische Luft besonders bei allgemein verbreiteten ansteckenden Krankheiten zu reinigen, Leipzig 1813, S. 32. Vgl.: Dr. Karl Preu, Was haben wir von der Cholera Morbus zu fürchten? Ein Versuch, die aufgeschreckten Völker zu beruhigen, Nürnberg 1831, S. 93f.

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dem nur vom Hörensagen gedeckten Fazit, Pulverexplosion hätten in der Vergangenheit Epidemien zum Aufhören gebracht 62 , betrieben sie - und nicht mehr das Militär - den Einsatz ursprünglich militärischer Techniken. In diesem Sinne gab 1832 ein Kreisphysikus zu bedenken: „So möchte es auch wohl nützlich sein, wenn in Städten täglich mehrmals Kanonen von schwerem Kaliber abgefeuert, und durch den Pulverdampf die Atmosphäre nicht allein gereinigt, sondern auch der Luftkreis erschüttert, und von bösen Miasmen gesäubert würde" 63 . Ein anderer Arzt hatte sogar genaue praktische Vorstellungen und empfahl das „Abfeuern einer bedeutenden Anzahl Kanonen, die mit gewöhnlichem Schiesspulver stark geladen sind. Vorzüglich wäre die Richtung nach W.-W.N.W. zu empfehlen" 64 . Einerseits wurde mit chemischen Reaktionen, d.h. der Verätzung bzw. Neutralisierung der Miasmen oder der Produktion von Sauerstoff gerechnet 65 . Andererseits könnten die durch die Explosionen ausgelösten mechanischen Prozesse vor ihnen schützen: Wenn Kanonendonner und wiederholte Pulverexplosionen das Vordringen epidemischer Krankheiten verhindern, so hat dieses keinesweges in einer Umwälzung der Atmosphäre, sondern in dem Gesetze, wie Schallbewegungen auf die uns zunächste umgebenden Luftschichten einwirken, seinen Grund.66 Die Krankheitsstoffe wären allein durch den Explosionsdruck abzudrängen. Ein weiterer Arzt erhoffte sich über chemische und mechanische Resultate hinaus - Erbteil romantischer elektrischer und magnetischer Spekulationen - günstige elektrische Effekte: Es ist daher in den größeren Städten dringend nothwendig, darauf zu achten, daß eine Verdünnung der Luft bewirkt und herbei geführt werde. Hierzu ist nach meinem Erachten kein zweckmäßigeres Mittel vorhanden, als das Schießpulver, und es müssen zu dem Ende täglich mehreremale auf verschiedenen Plätzen solcher Städte eine Anzahl Kanonen auf einmal, nach einer Richtung des Windes hin, abgefeuert werden. Da das Schießpulver ebenfalls mephitische Dünste entwickelt, so können diese mit der durch das Cholera-Miasma verdickten Luft eher in Verbindung treten; das schnell entwickelte Feuer verzehrt sodann die mephitischen Dünste, und was das Feuer nicht verzehrt, wird durch die heftige Erschütterung beim Abfeuern des Geschützes, namentlich durch die Explosion sowie auch durch den electrischen Schlag in eine schnelle Bewegung versetzt und mit der Richtung des Windes fortgeführt. Aus eben diesem

62 Vgl.: Friedrich August Arnoldi, Wie kann eine Seuche sich bloß contagios verbreiten, ohne daß am Krankenbette Ansteckung nachzuweisen ist? In Beziehung auf Cholera und gelbes Fieber erfahrungsgemäß beantwortet, Köln 1836, S. 130. 63 Carl Brockmüller, Ansichten über die herrschende Cholera, Vergleiche derselben mit dem Wechselfieber und Beweise, dass dieselbe so wenig ansteckend ist, noch werden kann, als das Wechselfieber, Jülich 1832, S. 35. 64 C. v. Ceresa, Bemerkungen über die epidemische Brechruhr. (Cholera morbus), Wien 1831, S. 16. 65 Vgl.: Dr. Woldemar Nissen, Ueber die Cholera, nebst Vorschlägen zur Bekämpfung derselben, Altona 1831, S. 24. 66 Dr. Carl Barrie's, Die Cholera morbus. Ueber ihre Entstehung, Ausbildung, Zeugung und Anstekkungsfähigkeit, mit Bezug auf alle übrigen ansteckenden Krankheiten, Hamburg 1831, S. 31 f.

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Die Pose der Sieger Grunde muß daher auch das Schießpulver in den Wohnungen zur Verdünnung der Luft angewendet werden.67

Zwar ist, bis auf die gelegentlich praktizierte Reinigung von Zimmerluft durch Schießpulververpuffung68, in Deutschland zur Cholerazeit keine solche Gegenwehr durch Feuerwaffen mehr bezeugt. Wohl einzig im habsburgischen Galizien wurden 1831 nachweislich Kanonen gegen die Seuche eingesetzt69. Aber immerhin wurden entsprechende Nachrichten aus anderen Teilen Europas kolportiert. Rhetorisch wurde so die Erinnerung an die vermeintliche Macht der Kanonen wachgehalten. Dabei handelte es sich nicht um verbürgte Zeugnisse. Doch gerade gerüchtähnliche Überlieferungen eigneten sich hervorragend dazu, alle nur erdenklichen Maßnahmen zu legitimieren. So sei in Spanien noch in den zwanziger Jahren der Pest mit Kanonen gewehrt worden70, bei der Eroberung Warschaus durch russische Truppen im August 1831 habe die Choleraepidemie sehr wahrscheinlich durch den Donner der Kanonen und die dadurch hervorgebrachte Erschütterung und Reinigung der Luft aufgehört 71 , in Frankreich sollen während der Cholera 1834/35 von Schiffen und Festungen Schüsse abgefeuert worden sein72. Nur das Gerücht war die letzte Nische einer einstmals akzeptierten Praxis, die, da auch das Militär davon abrückte, inzwischen mehr und mehr auf öffentliche Vorbehalte stieß. Es kam vermehrt zu skeptischen Einwänden. Die Kanonenexplosionen und Räucherungen zur Reinigung der Luft verhielten sich nur wie Tropfen im großen Luftmeer 73 , die Kanonendonner im russisch-polnischen Krieg vom Sommer 1831 hätten doch die Miasmen vernichten müssen74. Die erwiesene Nutzlosigkeit aller abgeschossenen Salven hinderte aber nicht, daß noch im Jahre 1854 ein Münchener Universitätsprofessor, offenbar Anhänger der Pettenkofer-Schule, für ein „eindringendes und fortgesetztes Abfeuern von Kanonen, Bom-

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I. S. Borchardt, Kurze Darstellung der Cholera und unfehlbare Heilmittel derselben. Nach den Grundsätzen des Talmud, Berlin 1831, S. 49. Vgl.: Dr. Theodor Zschokke, Moskau und Petersburg beim Ausbruch der Cholera Morbus. Mit Bemerkungen über die bisher gemachten Erfahrungen von dieser Krankheit, Aarau 1832, S. 47. Vgl.: I. Fischer, Der erste Choleraeinbruch in Österreich. Nach Akten der Wiener medizinischen Fakultät aus den Jahren 1831 und 1832, in: Historische Studien und Skizzen zu Natur- und Heilwissenschaft. Festgabe Georg Sticker zum siebzigsten Geburtstage dargeboten, Beilin 1930, S. 134-142, hier: S. 137. Vgl.: Franz Freiherr von Hallberg zu Broich, Einige Erfahrungen bei ansteckenden Krankheiten zur Bekämpfung der Cholera, Jülich 1831, S. 2f. Vgl.: Miscellen, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, I. Heft, Nr. 22 (1831), S. 346. Vgl.: C. Hergt, Geschichte der beiden Cholera-Epidemien des südlichen Frankreichs in den Jahren 1834 und 1835, Coblenz 1838, S. 73. Vgl.: Dr. J. J. Sachs, Ueber die Cholera auf deutschem Boden, und ihre bisher bewährteste Präservativ- und Heilmethode, Berlin 1831, S. 10. Vgl.: Harleß, Die indische Cholera nach allen ihren Beziehungen, S. 752.

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ben und ähnlichen größeren Geschützen in unmittelbarer Nähe oder doch nicht zu entfernt von jenen Lokalen, wo die Luft bewegt werden soll", plädierte75.

c) Europäisches Bollwerk Wo war der Ort Preußens in geo-politischer Hinsicht? Noch vor fünfzehn Jahren hätte diese Frage sich angesichts einer politischen Korrektheit, die alle von den Nationalsozialisten besetzten Themen tabuisierte, verboten. Selbst jüngere Impulse, die sich ausdrücklich auf ein langes, wenn auch problematisches Aufklärungserbe beriefen, mußten sich dem unberechtigten Verdikt postfaschistischer Ideologietreue stellen76. Erst mit Rainer Sprengeis Studie von 1996 ist die Fragestellung, zumindest als Fragestellung, in Deutschland wieder wissenschaftlich legitimiert77. Wo also war um 1830 Preußens geo-politischer Ort? Das im europäischen Kontext junge Königreich befand sich in einem Dilemma. Traditionell war es geschichtslos, ein Land der unbestimmten Mitte, aufstrebend orientiert vor allem an den Errungenschaften des absolutistischen Westens - Spanien, Habsburg, England, Frankreich. Bei allen Besonderheiten der ständischen Kleinmonarchie deckte es so seinen Nachholbedarf an Modernisierung. Die Errungenschaften der Aufklärung, halb absolutistisch-feudal, halb bürokratisch-bürgerlich, standen dem nicht entgegen. Eher wurden sie staatspolitisch kanalisiert. So gab ihnen Friedrich II., wie nicht wenige der europäischen absolutistischen Monarchen, großzügig Raum. Die Aufklärung trieb schließlich über sich selbst hinaus, Frankreich, das Beispielland des aufgeklärten Absolutismus, in die Revolution. Das war Warnung genug. Auch die zwischen 1772 und 1795 im Zuge der Annexion Polens erfolgte Osterweiterung Preußens bewirkte eine geo-politische Umorientierung Preußens - hin zum Zarenreich des Ostens. Spätestens, als die Heere Frankreichs an diesem Reich militärisch scheiterten, bestand sie ihre Nagelprobe. Das despotische Rußland war Garant feudalstaatlicher Stabilität. Dynastisch wurden die Hohenzollern nunmehr gezielt mit den Romanows verknüpft, und das unerbittliche Niederschlagen des sogenannten Dekabristenaufstands liberaler reformwilliger Adliger 1825 gab der preußischen Krone wie Adelskonservativen weitere Nahrung, dem zaristischen

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Dr. Anselm Martin, Die Mittel, die Luft bei epidemischen miasmatischen Krankheiten, insbesondere der Cholera, in ganzen Städten und bewohnten Räumen zu verbessern, München 1854, S. 8. Vgl.: WeltTrends. Internationale Politik und vergleichende Studien, 4 (1994): Geopolitik. Ein altes Konzept wird neu befragt; Berliner Debatte Initial. Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs, 6 (1995), H. 3: Raum und Politik; vgl. als Replik: Rudolf Walther, Man braucht mehr Platz, in: Die Zeit, Nr. 30, 21. Juli 1995, S. 28. Vgl.: Rainer Sprengel, Kritik der Geopolitik. Ein deutscher Diskurs 1914-1944, Berlin 1996; vgl. auch: Geopolitik - Grenzgänge im Zeitgeist. Bd. 1.1: 1890 bis 1945; Bd. 1.2: 1945 bis zur Gegenwart, hrsg. v. Irene Diekmann/Peter Krüger/Julius H. Schoeps, Potsdam 2000.

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Regime politisch eine Leitfunktion zuzugestehen78. Liberale Kräfte - später Demokraten und Republikaner - geißelten diesen Zug zum angeblich halb-asiatischen Despotismus. Mit Berufung auf nicht wenige Nationalstereotypen der Aufklärung sahen sie hier antizivilisatorische Kräfte am Werk: „slawische Sündflut" 79 . Emanzipatorische, anti-slawische Ressentiments führten in den Revolutionswirren von 1848/49 bei Fortschrittsaposteln zur Devise, die mittel- und westeuropäischen Arbeiterarmeen hätten unkultivierte Länder mittels Krieg zu zivilisieren, und mündeten in das Fanal eines ,,heilige[n] Krieg[es] der Kultur des Westens gegen die Barbarei des Ostens"80. Angesichts geo-politischer und kultureller Divergenzen entluden sich symbolischpraktische Abwehrstrategien gegen die Cholera in zweierlei Richtung. So ließ sich einerseits der kapitalistische Modernisierungstrend - die Beschleunigung von Handel, Verkehr, Industrialisierung - für die Seuche verantwortlich machen. Dann lag es nahe, die Cholera in konservativem Sinn als legitimen russisch-orthodoxen Feldzug gegen die revolutionären Irrsale des Zeitalter zu deuten81. Oder sie konnte sich andererseits gegen die Länder der asiatischen bzw. slawischen Regression richten, zu denen Rußland in seinem östlichen Teil je nach Präferenz gehörte oder nicht. Verwaltungsbürokratie, Wissenschaften und das, was man die öffentliche Meinung nennt, tendierten überwiegend dieser liberal-aufklärerischen Variante zu. Obwohl von Seiten der Krone, des ständischen Adels oder von Teilen des Militärs Gegenbestrebungen ausgingen, wurde hier das dominierende Deutungsmuster geprägt. Ihm zufolge galt die Seuche als östliche Gefahr, als Drohung des Unzivilisierten, als „hereinbrechender Barbarismus"82, kurzum: „Barberei und Cholera halten Einzug in Europa"83. Dementsprechend wurde der antizaristische Freiheitskampf Polens zur „Barriere ge-

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Vgl.: Hans-Christof Kraus, Leopold von Gerlach - ein Rußlandanwalt, in: Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 19. Jahrhundert: Von der Jahrhundertwende bis zur Reichsgründung (1800-1871), hrsg. v. Mechthild Keller, München 1991, S. 636-661. Anastasius Spiridon, Schlußwort, in: Taschenbuch ohne Titel, hrsg. v. Anastasius Spiridon, [Leipzig 1832], S. 225-231, hier: S. 227; vgl. insgesamt: Stefan Wolle, „Das Reich der Sklaverey und die teutsche Liberalität..." Die Ursprünge der Rußlandfeindschaft des deutschen Liberalismus, in: Russen und Rußland aus deutscher Sicht. 19. Jahrhundert, S. 417-434. Moses Heß, Rother Kathechismus für das deutsche Volk (ca. 1849), in: Moses Heß, Philosophische und sozialistische Schriften 1837-1850, hrsg. v. Wolfgang Mönke, 2. Aufl. Berlin 1980, S. 447-457, hier: S. 456; Karl Vogt (Rede vom 17. März 1849), in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Herausgegeben [...] von Prof. Franz Wigard, Bd. 6, Leipzig 1849, S. 5823. Vgl.: Clemens Brentano an Joseph Dietz, Herbst 1830, zit. nach: Renate Moering, Joseph Görres' Anzeige von Clemens Brentanos Buch „Die Barmherzigen Schwestern" und Brentanos Anteil daran, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, NF, 27 (1988), S.149-187, hier: S. 159. Carl von Salza, Polen und die öffentliche Meinung. Eine Denkschrift, allen civilisirten Völkern Europa's nach der Einnahme von Warschau gewidmet, Altenburg 1832, S. 46. La Barbarie et le Choléra morbus entrant en Europe [franz. Karikatur, 1832], in: Patrice Bourdelais/André Dodin, Visages du choléra, Paris 1987, S. 39. Zu diesem gerade in den politisierten Diskursen Frankreichs verbreiteten Muster vgl.: François Delaporte, Disease and Civilization. The Cholera in Paris, 1832, Cambridge, London 1986, S. lOlff.

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gen den asiatischen Koloß", gegen die „russische Cholera" umstilisiert84. Eine direkte politische Instrumentalisierung gewann der Topos östlicher Barbarei, wenn Verschwörungstheorien großer Reichweite dem russischen Feldzug gegen Polen eine gewollte epidemiologische Kriegsführung unterstellten. „Rußlands treue Bundesgenossin, die Krankheit"85, war, einem liberalen Verschwörungsdiskurs zufolge, eine gezielte „Waffe des zaristischen Rußland" gewesen86. Es habe mit „neuer entsetzlicher Waffe, der Cholera" gegen die Polen gekämpft und dazu explizit „Truppen aus dem Cholerabezirke in Beßarabien herbeigezogen"87. Ob niederträchtige epidemiologische Kriegsführung oder nicht - Spitzen der Verwaltungsbürokratie sowie ein Großteil der Mediziner und Ärzte verstanden Preußen als geopolitisches Bollwerk gegen eine asiatische Invasion. „Preußen kann Europa noch retten!"88. Die Allgemeine Preußische Staats-Zeitung verlautbarte am 4. Juni 1831 offiziell: „Europa, die ganze civilisirte Menschheit, sieht mit bangem Blicke auf die Preußischen GränzCordons an der Polnischen und Russischen Gränze, und erwartet hoffnungsvoll von den kräftigen Maaßregeln die besten Erfolge!" 89 Das bezog sich vorerst auf die installierten Kordons. Nach deren Scheitern erhofften Mediziner, daß wenigstens die Errungenschaften der europäischen Heilkunst der Seuche wehren würden. So forderte der in Ehren ergraute Doyen der preußischen Ärzteschaft, Christoph Wilhelm Hufeland, im September 1831, Preußen habe als „Vormauer zum Schutze Teutschlands und des westlichen Europas" alles zu unternehmen, die Seuche zu bannen90. Mit Warnung vor Attilas Truppen hieß es bei einem Mediziner: „Es ist, als drohe uns der schreckliche Osten mit seinen neuen verwüstenden Horden zu überfluthen" 91 , für einen anderen wirkte sie noch verheerender „als das

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Deutsche Tribüne, Nr. 25, 25. Juli 1831, zit. nach: Henryk Kocój, Preussen und Deutschland gegenüber dem Novemberaufstand 1830-1831, Katowice 1990, S. 149f. Karl von Holtei an Ottilie von Goethe, 19. September 1831, in: Aus Ottilie von Goethes Nachlaß, hrsg. v. Wolfgang von Oettingen, Weimar 1913, S. 311. Vgl.: August Schäfer, Der Fall von Warschau (1831), in: Polenlieder deutscher Dichter, hrsg. v. St. Leonhard, Bd. 1, Krakau 1911, S. 260. Heinrich Laube, Das neue Jahrhundert, Bd. 1: Polen, Fürth 1833, S. 68. Zur Rolle der Cholera, die im russisch-polnischen Krieg auf beiden Seiten erhebliche Opfer forderte und sich durch den Krieg beschleunigt verbreitete, vgl.: Roderick E. McGrew, Russia and the Cholera, 1823-1832, Madison 1965, S. 102ff. An Elise von der Recke von einem Neffen, 22. Mai 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, Berlin 1881, S. 277. Zur Vorgeschichte dieses Topos vgl.: J. Janós Varga, Europa und „Die Vormauer des Christentums". Die Entwicklungsgeschichte eines geflügelten Wortes, in: Europa und die Türken in der Renaissance, hrsg. v. Bodo Guthmüller/Wilhelm Kühlmann, Tübingen 2000, S. 55-64. Dr. Fr. J. Behrend, Ueber die jetzt herrschende Cholera, in: Allgemeine Preußische StaatsZeitung, Nr. 153,4. Juni 1831, S. 1010. C. W. Hufeland, Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Contumazen bei der Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde, III. St., September 1831, S. 232-236. hier: S. 232. Dr. F. Sertürner, Dringende Aufforderung an das Deutsche Vaterland, in Beziehung der orientalischen Brechruhr, Göttingen 1831, S. 29.

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Schwert der Dschigischane und Tamerlane"92. Die Cholera war ein militärischer Feind, „der von Osten her, aus dem Innern Asiens in Europa eingedrungen ist, und seinen Eroberungen noch kein Ziel gesetzt hat"93. Über publizistische, auf ein breites Publikum zielende Arbeiten wurde die Doktrin öffentlichkeitswirksam verbreitet. Wie „verheerende Mongolenhorden" würde die Cholera Europa heimsuchen, sie sei der neue „Erbfeind der Christenheit"94. Ebenso hilflos wie zielstrebig wurde im kulturellen Kanon die Angst vor einem „neuen Attila", der „in Kurzem alle Civilisation sammt und sonders aufhebt", verankert: Was fordert also die ganze Maßregel? Eine vollständige Scheidewand, wie sich die Seuche 20-50 Meilen fern von der bayrischen Gränze zeigt. Aber ehe sie noch dieses Ziel erreicht, muß ein Graben, und wo dieser nicht möglich ist, müssen Pallisaden, und wo diese nicht zu setzen sind, müssen Barrikaden oder Mauern die Gränze umgeben und nirgends dürfte dem inficirten Auslande eine Öffnung gelassen werden, außer wo für die nothwendigsten Kommunikationsfälle Kontumaz-Anstalten sind. Dazu werde die ganze Armee mobil gemacht, sie rücke in diese Linie ein und sperre sie mit dem Bajonnet ab.95

d) Wiederkehr des Jahres 1813 Der Siegeszug der französischen Heere unter Napoleon war für die preußische Monarchie ein Trauma gewesen und geblieben. Die Vertreter des Ancien régime sahen ihren Versuch gescheitert, per Invasion in Frankreich die republikanischen Experimente zu stoppen und hatten ihrerseits mit Jena und Auerstedt eine verheerende Niederlage erlitten. Andere Kreise und Schichten als die, die bloß sozial-egoistisch ihre unmittelbaren Standesinteressen im Blick hatten, litten nicht minder. Nicht politisch, sondern national. Deutschland war zum französischen Protektorat geworden. Und Napoleon kehrte immer wieder. In einer ersten Welle kam er unüberwindbar von Westen. In einer zweiten brach er 1813 angeschlagen von Osten ein. 1814 fiel er, ein nicht besiegter Wiedergänger, nochmals in das neu abgezirkelte Gefüge der europäischen Welt und kam immerhin bis Waterloo, westlich des Rheins. Das Kommen der Cholera evozierte erneut das Bild des übermächtigen Imperators. Und es beschwor genau die militärische Mobilmachung, die 1813 einst sein Schicksal besiegelt

92 Ernst Reinfeld, Bemerkungen über die epidemische Cholera, in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde, 14 (1830), H. 2, S. 943. 93 H. W. Buek, Die bisherige Verbreitung der jetzt besonders in Rußland herrschenden Cholera, erläutert durch eine Karte und eine dieselbe erklärende kurze Geschichte der Epidemie, Hamburg 1831, S.V. 94 Vgl.: [Anonym], Trost in Choleranöten, in: Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker, Nr. 330, 26. November 1830, S. 1319f„ hier: S. 1319. Zur historischen Metamorphose: Heinz Gollwitzer, Die Gelbe Gefahr. Geschichte eines Schlagworts. Studien zum imperialistischen Denken, Göttingen 1962. 95 [Anonym], Ueber das Fortschreiten der Cholera, in: Hesperus. Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser, Nr. 192, 12. August 1831, S. 766.

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hatte. So bildeten die alsbald ergriffenen resoluten staatlichen Sperrmaßnahmen gegen den Feind von Osten eine Parallele zur einstigen Nationalerhebung von 1813, die dem von Osten ins Land dringenden Eroberer den Todesstoß versetzte. Es bedarf keines abgezwungenen Geschicks, eine solche Parallele zu konstruieren. Ein Blick auf Zeitgenossen genügt, etwa auf Ernst Moritz Arndt, einen Veteranen der Befreiungskriege, der die Cholera ausdrücklich „als die zweiten Franzosen" ansah96. Das war ein privates Statement. Die Öffentlichkeit wurde mobilisiert, wenn etwa der preußische Hofrat Friedrich Förster in seiner Eloge auf den Geburtstag des Königs am 3. August 1831 skandierte: „Den alten Glauben sehn wir wiederkehren,/ Der in dem Jahre dreizehn sich bewährt,/ Den Glauben an die siegbekränzten Ehren,/ An unsers Königs Wort und an sein Schwerdt"97. Das war eine Zukunftsoption, die, vier Wochen bevor die Seuche schließlich doch die preußische Hauptstadt erreichte, ein letztes Aufbäumen beschwor. Sie wurde flankiert von anderen poetischen Einübungen wie „Kriegslieder gegen die Cholera" oder „Die Cholera, ein Volks- und Kriegslied" bzw. theologischem Beistand: „Geistliche Wehr und Waffe gegen die Cholera"98. Nachdem alle Kordons von der Seuche überrannt worden waren und sie in Berlin ihren Einzug hielt, wandte sich der König nach einer Phase kurzen Schweigens direkt und persönlich seinen Untertanen zu. Die Rede, ein rhetorisches Meisterwerk der Beschwichtigung, der Mahnung und des Zuspruchs, spielte berechnend gerade mit den Emotionen der einstigen anti-napoleonischen Erhebung99. Kurzum, wie ein Korrespondent befriedigt konstatierte: Die Sprache des Königs erinnere wieder an die des Jahres 1813. Der Vater seines Volkes rufe in einer schweren, bedrängnisvollen Zeit das Vertrauen und den Glauben an einen höhern Beistand auf und erklärte, sich nicht von seinem Volke trennen, sondern ihm in Leiden und Vertrauen mutig vorangehen zu wollen100.

96 Ernst Moritz Arndt an Karl Reimer, 3. Mai 1832, in: Ernst Moritz Arndt, Briefe, hrsg. v. Albrecht Dühr, Bd. 2, Darmstadt 1973, Bd. 2, S. 453. 97 F. F., Seiner Majestät dem Könige von Preußen gewidmet. Am dritten August 1831, in: Chaos, Nr. 7(1831), S.27f„ hier: S. 28. 98 Vgl.: Kriegslieder gegen die Cholera, in: Sundiene, Nr. 25, 23. Juni 1831, S. 198; ebenda, Nr. 27, 7. Juli 1831, S. 214; Die Cholera, ein Volks- und Kriegslied, Text von Fulda, Musik von Naue, Merseburg 1831; Dr. Theodor Friedrich Kniewel, Geistliche Wehr und Waffe gegen die Cholera und ihre traurigen Folgen. Ansichten und Erfahrungen während der Cholera-Epidemie in Danzig [...] vornehmlich seinen geistlichen Amtsbrüdern aller Orten, in Städten und auf dem Lande, mitgetheilt, Berlin 1831. 99 Vgl.: Friedrich Wilhelm, Allerhöchste Bekanntmachung. Charlottenburg, den 6. September 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 254,13. September 1831, S. 1425. 100 Vgl.: [Berlin, 18. Sept.], in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 232, 28. September 1831, S. 928. Auch in Österreich wurden diese Parallelen zum heroischen Kampf gegen Napoleon gezogen. So wird über die Rückkehr von Kaiser Franz nach Wien und über seinen gloriosen Einzug vom 17. November 1831 noch während der Cholera berichtet: „Dieser Tag bildet ein würdiges Seitenstück zu dem 27sten November 1809", also zu dem Tag des feierlichen Einzugs von Kaiser Franz nach dem Friedensschluß von Schönbrunn, vgl.: [F. A. v. Kurländer], Aus Wien, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 4, 6. Januar 1832, S. 31.

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Noch Wochen später, als es immer noch so schien, als könne gerade Preußen die Epidemie zum Stillstand bringen, wurden rhetorische Anfeuerungen laut, sich so zu sammeln, wie einst die Volksscharen, um die französischen Eroberer von Germaniens Boden zu vertreiben. Dabei wurden beispielsweise die furiosen Erfolge der Entscheidungsschlacht von Groß-Beeren beschworen101. Rhetorische und praktische Gegenwehr schlugen jedoch fehl. Preußen erlitt in der Choleraschlacht eine Niederlage auf der ganzen Linie. Auch dafür gab die Ära Napoleons passende Kompensationsmuster an die Hand. Waren die siegreich ausgegangenen Befreiungskriege nicht erst durch eine Periode tiefer Schmach eingeläutet worden? So galt es erneut, duldend auszuharren, bis ein militärischer Umschwung erkämpft sei: Mit bewegterem Gemüthe wurde wohl nie des Königs Geburtstag gefeiert, als in diesem Jahre. Im Kriege wird das Herz durch Hoffnung geschwellt, bei einem unglücklichen gehoben durch die Resignation des Patriotismus, durch den Haß gegen den Sieger, durch den Schimmer einer Hoffnung der Widervergeltung.102 Ein rhetorisch vorweggenommener Sieg. Ein halbes Jahr darauf, nach Erlöschen der Epidemie in der preußischen Residenz, konnte, grandioses rhetorisches Kunststück, tatsächlich das offiziell verordnete „Dankfest für die glückliche Befreiung unserer Stadt von der Cholera" feierlich begangen werden103. Die Cholera, so geheimnisvoll erloschen wie sie gekommen, war dem gesamtnationalen Elan unterlegen. Sie hatte schmählich verloren. Ein Sieg im erneuerten Befreiungskrieg, wie er glorreicher nicht hätte ausfallen können.

4.3. Hier spricht die Polizei a) Aufstieg der Polizei und Medizinalpolizei Die innere und äußere Staatsbildung Preußens, bei der das Militär eine so bedeutende Modernisierungsfunktion übernahm, machte eine Reihe weiterer Institutionen erforderlich. Die alltägliche Verwaltungsmacht von Gutsbesitzern bedurfte einer Anpassung an die Erfordernisse der staatlichen Bevölkerungs-, Finanz- und Militärpolitik. Die den Partikulargewalten entzogenen Befugnisse wurden nach und nach Behörden übertragen, die direkt dem Einfluß des absoluten Souveräns bzw. seiner Verwaltungsbürokratie unterstanden. Das bedeutete die Geburt, die späte Geburt der Polizei und mithin der sogenannten „medizinischen Polizei".

101 Vgl.: F. v. Suckow, Schutzmittel gegen die Cholerapest, in: Sundine, Nr. 40, 6. Oktober 1831, S. 316. 102 Berlin, Anfang August, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 202, 24. August 1831, S. 807f., hier: S. 807. 103 Oberbürgermeister, Bürgermeister und Rath, Bekanntmachung, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 42,18. Februar 1832, [S. 1],

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Der Begriff Polizei findet sich zwar schon im 15. Jahrhundert, und er bezeichnete, in Anlehnung an das griechische Wort politela, alle Einrichtungen, die der öffentlichen Sicherheit dienten. Es war ein Zwitterbegriff und umfaßte sowohl kodifizierte Verordnungen, als auch den geordneten Zustand eines Gemeinwesens. Polizei war anfangs keine Institution, keine „materielle" Polizei. Sie war ein Komplex aus hoheitlichen Geboten und ihrer Realisierung. Nur allmählich, seit Mitte des 17. Jahrhunderts, fanden Zwangs- und Strafmaßnahmen darin Eingang, ohne daß eine institutionelle Ausdifferenzierung, etwa von Polizei und Justiz, erfolgte. So bedeutete Polizei dreierlei: erstens die gesamte Gesetzgebungstätigkeit der jeweiligen Obrigkeit für ihre Untertanen, zweitens die Gestaltung des Gemeinwesens selbst und drittens die vollziehenden Einrichtungen und Mittel dazu. Bald schon ergab sich in den Städten die Notwendigkeit permanenter Vollzugsorgane. Stadtknechte, Büttel und Wachen wurden nicht nur gelegentlich aus den Reihen der Bürger rekrutiert. Sie wurden zu einer ständigen Einrichtung. Stationäre Landreiter, die bisher in der Regel für Justiz- und Steuerangelegenheiten zuständig waren, kamen für die ländlichen Gebiete hinzu. Erst im Zuge der zentralstaatlichen Zurichtung Preußens wurden all diese Organe landesherrschaftlicher Obhut unterstellt. Von da an, etwa dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, läßt sich von Vorformen der Institution Polizei sprechen104. Institutionelle Festigung und eine neue Rollenzuteilung waren dabei miteinander verbunden. Nunmehr sorgte die „Polizei" für das reibungslose Funktionieren absolutistischer Herrschaftsansprüche - in finanziell-ökonomischer, politischer und biopolitischer Hinsicht. Sie sicherte auf administrative Weise den Reichtum des Landes und den Bestand an Untertanen gleichermaßen. Diesem Zweck diente die zunehmende zentrale Reglementierung des öffentlichen Lebens. Folgerichtig war Polizei für die Kontrolle von Preis und Gewichten ebenso zuständig wie für Baumaßnahmen, ihr oblagen Feuerschutz ebenso wie Hygiene, Gesundheitspflege und Armenwesen. In einer Geschäftsinstruktion von 1823 hatte beispielsweise die Berliner Polizei folgende Zuständigkeitsbereiche: Nachtwache, Straßenbeleuchtung, Straßenreinigung, öffentliche Sicherheit und Verbrechensbekämpfung, Verwaltung der Armenfonds, Markt- und Baupolizei, Zensursachen, Leichenfuhrwesen, Theaterpolizei, Vergnügungswesen, Fremden- und Einwohnerstatistik, Charité-Verwaltung105.

104 Vgl.: Franz-Ludwig Knemeyer, Art. „Polizei", in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner/Werner Conze/ Reinhart Koselleck, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 875-897; Georg-Christoph von Unruh, Polizei, Polizeiwissenschaft und Kameralistik, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1 : Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, hrsg. v. Kurt G. A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph von Unruh, Stuttgart 1983, S. 388-427; Policey im Europa der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Michael Stolleis, Frankfurt/M. 1996; Wolfgang Knöbl, Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß. Staatsbildung und innere Sicherheit in Preußen, England und Amerika 1700-1900, Frankfurt/M., New York 1998; Naoko Matsumoto, Polizeibegriff im Umbruch. Staatszwecklehre und Gewaltenteilungspraxis in der Reichs- und Rheinbundpublizistik, Frankfurt/M. 1999. 105 Geschäftsinstruktion der Berliner Polizei vom 19. Juni 1823, in: Albert Ballhorn, Das PolizeiPräsidium zu Berlin. Eine geschichtliche Darstellung der Polizei-Verwaltung von Berlin aus der frühesten Zeit bis auf die jetzige, Berlin 1852, S. 170ff.

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Innerhalb des Aufschwungs polizeilicher Kompetenz spielte die Medizinalpolizei eine wichtige Rolle. Dem absolutistischen Machtstaat Preußen war, hinsichtlich ökonomischer und militärischer Effizienz, an der Mobilisierung aller Ressourcen gelegen. Das hieß, die Ressource Mensch - Produzent, Steuerzahler und potentieller Krieger gleichermaßen sorgsam zu nutzen. Je größer die Bevölkerung, so die merkantilistische Doktrin, um so höher die wirtschaftliche und militärische Machtentfaltung106. Deshalb mußte der entstehende preußische Staat vor allem der epidemischen Bedrohung entgegenwirken, d.h. den Seuchen, die in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges so gewütet hatten. Aber noch weitere gesundheitspolitische Aufgaben stellten sich. In das Aufgabengebiet des seit 1709 bestehenden Pest-Kollegiums in Berlin, später in Collegium Sanitatis umbenannt, fielen unter anderem die Überwachung von Nahrungsmitteln und Friedhofsanlagen sowie Wasserund Stadthygiene. Flankiert wurde das von einer Medizinalpolitik, derzufolge medizinische Berufe - Ärzte, Chirurgen, Hebammen, Bader, Apotheker - in einem zentralisierten und reglementierten Medizinalsystem agierten. Mit dem 1685 gegründeten Collegium Medicum an der Spitze unterstanden Ausbildung, Examination und Approbation somit dem staatlichen Zugriff107. Bei der Ausweitung medizinpolizeilicher Kompetenz handelt es sich sowohl um einen Prozeß absolutistischen Machtausbaus, als auch einen Vorgang von Verbürgerlichung. In der Gesundheitspolitik waren absolutistische, bürgerliche und nicht zuletzt ärztliche Interessen trotz Konflikten miteinander verquickt. Institutionell gesehen ermöglichte die absolutistische Bürokratisierung den bürgerlichen Schichten einen partiellen Zugriff auf Belange von Staat und Gesellschaft. Noch dazu profitierten Ärzte, einer der bürgerlichen Aufstiegsberufe, ökonomisch und symbolisch davon. Überhaupt war das Ideal der kontrollierten Lebensführung - bezogen auf die individuelle Leistungsfähigkeit - ein genuin bürgerliches Ideal und arbeitete der gesamtstaatlichen Maximierung von Biopotentialen zu108. Die wichtigste Aufklärungsenzyklopädie Preußens vermerkte 1788 dazu: Wer das edle Kleinod der Gesundheit vernachlässiget, beleidigt die ganze Gesellschaft, von welcher er ein Mitglied ausmacht. Mit Recht forderte sie von ihm, daß er einen Theil seiner Kräfte und Zeit ihren Bedürfnissen und Vortheilen aufopferte; sie, welche an jedem Tage zu seinen Bedürfnissen und Vortheilen so vieles beiträgt.109

106 Vgl.: George Rosen, Kameralismus und der Begriff der medizinischen Polizei (1953), in: Sozialmedizin. Entwicklung und Selbstverständnis, hrsg. v. Erna Lesky, Darmstadt 1977, S. 94-123. 107 Vgl.: Ute Frevert, Krankheit als politisches Problem 1770-1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung, Göttingen 1984, S. 23ff.; Rolf Winau, Medizin in Berlin, Berlin, New York 1987, S. 31ff.; Ragnhild Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Berliner Beispiel, Berlin 1995, S. 27ff., 133ff. 108 Vgl.: Christian Barthel, Medizinische Polizey und medizinische Aufklärung. Aspekte des öffentlichen Gesundheitsdiskurses im 18. Jahrhundert, Frankfurt/M., New York 1989. 109 [Anonym], Art. „Gesundheit", in: Oekonomisch-technologische Encyklopädie [...], hrsg. v. Johann Georg Krünitz, Bd. 17, Berlin 1787, S. 795-816, hier: S. 806.

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Das harmonisch gedachte Bündnis von bürgerlichem Individuum und aufgeklärt absolutistischer Gesellschaft wurde noch gefestigt, da zunehmend eine Problemgruppe entstand, an der es sich bewähren mußte: verelendete Unterschichten. Sie entstanden bzw. wuchsen im Prozeß von Freisetzung ländlicher Produzenten und Verstädterung. Die Institutionen, die bislang für diese Gruppen zuständig waren, nämlich kirchliche Einrichtungen aller Art, hatten im Zuge zunehmender Säkularisierung ihr Obhutsmandat tendenziell eingebüßt. Der Staat übte nunmehr mittels eines Systems von Zucht-, Spinn-, Arbeits- und Armenhäusern seine sozialdisziplinierende Macht aus110. Im Schnittfeld der Faktoren: Absolutistische Bürokratisierung, Verbürgerlichung, Verelendung, Säkularisierung und Sozialdisziplinierung war der Nährboden gegeben, auf dem die Medizinalpolizei sich erfolgreich etablierte. Dieser Prozeß verlief nicht reibungslos. Althergebrachte Institutionen, insbesondere das Militär, setzten ihm erheblichen Widerstand entgegen. Aber „Modernisierung" und „Medikalisierung", mithin die Karriere der Medizinalpolizei, waren nicht aufzuhalten. Transparent wurde ihr Wirken besonders auf dem Gebiet einer epidemischen Leitkrankheit, die nach dem Schwinden der Pest und vor dem Kommen der Cholera die gesellschaftliche Aufmerksamkeit absorbierte: die Pocken. In Preußen erkrankten in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts etwa eine halbe Million Menschen jährlich daran. Für das Jahr 1796 wurde die Sterblichkeit für Preußen mit 24.646 Fällen angegeben. Daß die Pocken alle Standesgrenzen überschritten und in Europa sogar Monarchen ereilten, trug noch mehr dazu bei, der neuen Leitkrankheit demonstrativ alle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Bereits 1721/22 wurde die aus dem Orient stammende Varoliations-Methode, das Einimpfen von Menschenpocken, von Londoner Ärzten erprobt. Wie das in England umstritten war, so in Deutschland. Um die Jahrhundertmitte kam es zu betreffenden Impfversuchen, die von den preußischen Medizinalbehörden unterstützt wurden. Inzwischen hatte sich die Zahl der praktischen Ärzte, die dafür plädierten - nicht zuletzt des einträglichen Geschäfts wegen - vermehrt. Ebenso waren Einwände und Widerstände gewachsen, nicht nur medizinische. Sie waren zum Teil religiös motiviert, gründeten sich aber auch, wie jüngst herausgearbeitet wurde, in nicht geringem Maß darauf, daß Familien ihre Kinder weiterhin „himmeln" ließen. Sie nutzten die hohe Kindersterblichkeit durch Pocken nämlich zur familiären Selbstregulierung und zum Abbau des unerwünschten, überschüssigen Nachwuchses111. Auch innermedizinisch war die „Einpfropfung" von Pocken umstritten, nicht nur bei den erklärten Impfgegnern. Inzwischen war ein Kompetenzstreit ausgebrochen, welche Form der Impfung die effektivere sei - Variolation mit Menschenpocken oder Vakzination mit

110 Vgl.: Eckart Pankoke, Von „guter Policey" zu „socialer Politik". „Wohlfahrt", „Glückseligkeit" und „Freiheit" als Wertbindung aktiver Sozialstaatlichkeit, in: Soziale Sicherheit und soziale Disziplinierung. Beiträge zu einer historischen Theorie der Sozialpolitik, hrsg. v. Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Frankfurt/M. 1986, S. 148-177, vgl. jetzt: Ulrich Behrens, „Sozialdisziplinierung" als Konzeption der Frühneuzeitforschung, in: Historische Mitteilungen, 12 (1999), S. 35-68. 111 Vgl.: Eberhard Wolff, Der „willkommene Würgeengel". Verstehende Innenperspektive und „genaue" Quelleninterpretation - am Beispiel des erwünschten Kindertods in den Anfangen der Pockenschutzimpfung, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, S. 105-141.

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Kuhpocken. Nachdem das preußische Obermedizinalkollegium im Jahr 1797 diese Sache zur „allegemeinefn] Landes-Polizey Pflicht" erhob112, wurde nach einer kurzen Erprobungsphase 1802 die Vakzination favorisiert. Daraufhin erließ der preußische König 1803 ein Reglement, das „die Beförderung der Schutzblatternimpfung nunmehr zu einem besonderen Augenmerk Unserer Staatsverwaltung" erklärte, damit „das menschliche Pockenübel, welches im Durchschnitt jährlich mehr als 40.000 Menschen in Unsern Landen wegraffte, sobald als möglich vertilgt und ausgerottet werde"113. Dabei wurde agitiert und geworben, besonders mit Hilfe von Geistlichen und Pädagogen. Ein gesetzlicher Zwang wurde in Preußen, im Gegensatz zu einigen anderen deutschen Staaten, vorerst nicht eingeführt, jedoch gab es ein subtiles System von Druckmitteln114. Bemerkenswert, daß die ersten regulären zwangsmäßigen Impfungen in Amerika seit 1776, in Frankreich seit 1805 und in Preußen schon seit 1802 an Militärpersonen durchgeführt wurden. Die Nachimpfung und damit die sogenannte doppelte Pockenimpfung war in der preußischen Armee seit 1834 Pflicht115. Einerseits ließ sich hier Widerstand qua Befehl ausschalten, andererseits war das Militär gerade die Institution, der das Augenmerk der absolutistischen Machthaber in besonderer Weise galt. Über die Jahrzehnte verstärkte die Medizinalpolizei ihren Druck auf die Öffentlichkeit, bis im Reichsimpfgesetz von 1874 ein doppelter Impfzwang in ganz Deutschland endgültig festgeschrieben war116. Zusammengefaßt: Das, was seit einiger Zeit und hauptsächlich im Anschluß an Foucault „Medikalisierung" genannt worden ist, ist kritisch in die Diskussion gekommen. Sie soll hier nicht fortgesetzt werden. Vor allem Francisca Loetz hat die theoretischen Tücken thematisiert, die sich beim schlagwortartigen Gebrauch des Terminus „Medikalisierung" ergeben117. Außer Frage jedoch bleibt, daß staatliche Institutionen, aus welchen Gründen auch

112 Zit. nach: Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert, S. 228. 113 Zit. nach: Frevert, Krankheit als politisches Problem, S. 71. 114 Vgl.: Frevert, Krankheit als politisches Problem, S. 72; Ragnhild Münch, Das Berliner Impfinstitut im 19. Jahrhundert, in: Pocken zwischen Alltag, Medizin und Politik, hrsg. v. Ragnhild Münch, Berlin 1994, S. 71-80, hier: S. 77; Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert, S. 235ff. 115 Vgl.: William H. McNeill, Seuchen machen Geschichte. Geißeln der Völker (1976), München 1978, S. 284; Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert, S. 236. 116 Claudia Huerkamp, The History of Smallpox Vaccination in Germany: A First Step in Medicalization of the General Public, in: Journal of Contemporary History, 20 (1985), S. 617-635, hier: S. 623ff.; Eberhard Wolff, „Triumph! Getilget ist des Scheusals lange Wuth". Die Pocken und der hindernisreiche Weg ihrer Verdrängung durch die Pockenschutzimpfung, in: Das große Sterben. Seuchen machen Geschichte. Katalog der Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, hrsg. v. Hans Wilderotter/Michael Dorrmann, Berlin 1995, S. 158-189, hier: S. 174f.; Eva-Maria Henig, 200 Jahre Pockenimpfstoff in Deutschland, Stuttgart 1997, S. 68ff. 117 Vgl.: Francisca Loetz, Vom Kranken zum Patienten. „Medikalisierung" und medizinische Vergesellschaftung am Beispiel Badens 1750-1850, Stuttgart 1993; dies., „Medikalisierung" in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, 1750-1850: Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, in: Das europäische Gesundheitssystem, S. 123-151. Gleichfalls eher kritisch zu diesem „Schlagwort": Martin Dinges, Medizinische Polizey zwischen Heilkundigen und Patien-

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immer, gravierendes Interesse entwickelten, Gemeinwohl, Volksgesundheit und das, was schon damals Volkskörper genannt wurde, zu schützen und sich zu diesem Zweck etablierten. Die Cholera war eine Etappe auf diesem Weg, eine einschneidende. Spätestens mit dem umfassenden Seuchen-Regulativ von 1835 war sie Vehikel einer entscheidenden medizinalpolizeilichen Kompetenzerweiterung 118 .

b) Preußen: Militärstaat versus Polizeistaat Als die Revolution von 1848 das alte absolutistische System Preußens erschütterte, richtete sich der Unmut zuallererst gegen die Polizei. Sie symbolisierte und verkörperte den absolutistischen Machtapparat. So verurteilte der liberale Publizist Karl Gutzkow in einer Flugschrift vom März 1848, wenige Tage nach den gewaltsamen Kämpfen in Berlin, den patriarchalischen Despotismus einer Polizei, die sich in Alles und Jedes mische 119 , und der Nachfolger des scheidenden Polizeipräsidenten Julius Freiherr von Minutoli, Moritz von Bardeleben, versprach am 22. Juli 1848 in einer Bekanntmachung, mit dem „ängstlichen Bevormundungssystem des Polizeistaats" zu brechen 120 . Polizeistaat? Tatsächlich hatte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts in den deutschen Staaten zumindest eine einflußreiche politische Polizei konstituiert. Mit den Karlsbader Beschlüssen bzw. mit dem Frankfurter Wachensturm von 1833 wurden geheime gesamtdeutsche Kontrollbehörden installiert - „Central-Untersuchungs-Commission zu Mainz" (1819-1827), „Bundes-Central-Behörde zu Frankfurt" (1833-1842), „Informations-Bureau zu Mainz" (1833-1848). Sie hatten die Koordination verschiedener lokaler politischer Kontrollbehörden, in der Regel der Polizei oder den Innenministerien zugehörig, zur Aufgabe 121 . Sie unterdrückten anfangs liberale, später demokratische bzw. kommunistische Tendenzen. Die öffentliche Meinung vor allem in Preußen war geknebelt. Ein Klima von Schnüffelei und Bespitzelung lastete auf dem Land. Ein 1844 in Berlin erschienener Trivialroman eines liberalen Publizisten, mit dem bezeichnenden Titel „Das Auge der Polizei", brachte, als

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ten (1750-1830), in: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, hrsg. v. Karl Härter, Frankfurt/M. 2000, S. 263-295. Vgl.: Regulativ vom 28. Oktober 1835, das bei ansteckenden Krankheiten zu beobachtende sanitätspolizeiliche Verfahren betreffend, nebst einer Instruktion über das Desinfektionsverfahren und einer populären Belehrung über die Natur und Behandlung von ansteckenden Krankheiten [Sonderdruck des 27. St. der Gesetzessammlung vom Jahre 1835], Berlin 1845. Vgl.: Karl Gutzkow, Ansprache an das Volk [Ende März 1848], in: Schriften, Bd. 1, hrsg. v. Adrian Hummel, Frankfurt/M. 1998, S. 311-322, hier: S. 314. Zit. nach: Adolf Streckfuß, Die März-Revolution in Berlin. Ein Augenzeuge erzählt, hrsg. v. Horst Denkler, Köln 1983, S. 440. Zu dieser gestaffelten Organisationsstruktur vgl.: Vom kleinbürgerlichen Demokratismus zum Kommunismus. Die Hauptberichte der Bundeszentralbehörde in Frankfurt am Main von 1838 bis 1842 über die deutsche revolutionäre Bewegung, hrsg. v. Werner Kowalski, Berlin 1978, S. XVII-XXIII; insgesamt: Wolfram Siemann, „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung". Die Anfänge der politischen Polizei 1806-1866, Tübingen 1985.

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Die Pose der Sieger

Gradmesser des rauhen Sicherheitsklimas, den Trend der Zeit auf den Punkt: „Die Polizei ist das Gewissen außerhalb des Menschen. Jeder muß der Polizei über sein Ich Rechenschaft ablegen; sie bringt Jedem die absolute Gewißheit seiner Existenz als Individuum zu Papier"122. Die verdeckte oder öffentliche Präsenz der politischen Polizei darf nicht über den beschnittenen Status der Polizei hinwegtäuschen. Die administrative Polizei hatte sich, bis sich im Zuge der Revolution von 1848 institutionelle Umschichtungen ergaben, ständiger Konkurrenz zu erwehren: seitens des Militärs. Polizei war eine neuzeitliche Errungenschaft, noch dazu eine sehr späte. Im zersplitterten agrarischen Feudalstaat Preußen hatte die polizeiliche Vollzugsgewalt - Kompromiß zwischen Krone und Adel - fast vollständig auf Ebene der Gutsbesitzer und der von ihnen gewählten Lokalorgane gelegen. Staatliche Gewalt ging allein vom Militär aus. Erst im Zug der sogenannten Preußischen Reformen (Städteordnung 1808, Gendarmeriereform 1812) etablierte sich vollends ein eigenständiger bürokratischer Polizeiapparat. Entgegen der willkürlichen polizeilichen Lokalhoheit von Gutsbesitzern und Magistraten war er Instrument einer zentralen Verwaltungsbürokratie und vertrat damit per definitionem staatliche Belange. Vorerst war er fragil: bedrängt von kommunalen und vor allem gutsherrlichen Rechten123, beargwöhnt vom Militär, dessen angestammter Einfluß sich institutionell und finanziell schmälerte124. Trotz retrograder Etatverlagerungen zu Ungunsten der Polizei zu Anfang und nochmals Ende der zwanziger Jahre war die Karriere der Polizei in Preußen nicht aufzuhalten. Das Militär erwies sich als unfähig, die innere Struktur der Gesellschaft zu lesen. Dieser homogene Block versagte als Machtinstrument angesichts ihrer Ausdifferenzierung. So avancierte vor allem im Zug der Revolution von 1848/49 die Polizei zum einflußreichen staatlichen Wissens-, Macht- und Zwangsapparat125.

122 J. Lasker, Das Auge der Polizei. Aus dem Leben Berlins, Berlin 1844, S. 53. 123 Vgl.: Sabine Werthmann, Vom Ende der Patrimonialgerichtsbarkeit. Ein Beitrag zur deutschen Justizgeschichte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1995; Monika Wienfort, Patrimonialgerichte in Preußen. Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770-1848/49, Göttingen 2001. 124 Alf Lüdtke, „Gemeinwohl", Polizei und „Festungspraxis". Staatliche Gewaltsamkeit und innere Verwaltung in Preußen, 1815-1850, Göttingen 1982; detailliert für Berlin: Gernot Wittling, Zivil-militärische Beziehungen im Spannungsfeld von Residenz und entstehendem großstädtischen Industriezentrum: Die Berliner Garnison als Faktor der inneren Sicherheit 1815-1871, in: Stadt und Militär 1815-1914. Wirtschaftliche Impulse, infrastrukturelle Beziehungen, sicherheitspolitische Aspekte, hrsg. v. Bernhard Sicken, Paderborn 1998, S. 215-240. 125 Vgl.: Frank J. Thomason, The Prussian Police State in Berlin, 1848-1871, Phil. Diss. Baltimore, Maryland 1978; Albrecht Funk, Polizei und Rechtsstaat. Die Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols in Preussen 1848-1918, Frankfurt/M., New York 1986; Bernd Wirsing, „Gleichsam mit Soldatenstrenge": Neue Polizei in süddeutschen Städten. Zu Polizeiverhalten und Bürger-Widersätzlichkeit im Vormärz, in: „Sicherheit" und „Wohlfahrt". Polizei, Gesellschaft und Herrschaft im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Alf Lüdtke, Frankfurt/M. 1992, S. 65-94; Olaf Briese, Das Auge der Polizei. Großstadtoptik um 1850, in: Gutzkow lesen!, hrsg. v. Gustav Frank/Detlev Kopp, Bielefeld 2001, S. 263-297.

Hier spricht die Polizei

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Von einem Polizeistaat Preußen wird man demnach vor 1848 nur bedingt sprechen können. Das träfe allein auf die Omnipräsenz einer politischen Polizei, verbündet mit den Organen der Justiz, zu. Die administrative, exekutive Polizei hingegen hatte institutionell einen geradezu schweren Stand. 1831 hieß es, bezogen auf die Berliner Situation: Eine schlechtere Stellung als die eines Polizeipräsidenten von Berlin gibt es nicht. Bald kommt das Militär, commandirt nach Herzenslust und nimmt von seinem Daseyn gar keine Notiz; bald befiehlt ihm der Minister des Inneren126.

Dementsprechend klagte 1837 ein Zeitgenosse über die „Bevorzugung, die man in Preußen der militärischen Organisation gegeben hat" sowie darüber, „daß diese Militär-Macht die Hälfte der Staatseinkünfte absorbire"127. Detaillierte Zahlenangaben einmal dahingestellt: Durch beachtliche Etatverlagerung zuungunsten der Polizei im Zuge der Kreisreformen von 1825 bis 1828 war die Militarisierung der Gesellschaft weiter vorangetrieben worden128. Sie hatte, wie inzwischen herausgearbeitet wurde, zum Resultat, daß gerade in der Zeit von 1828 bis 1830 „die Unfähigkeit der bürokratischen Instanzen", soziale Spannungen und Konflikte zu lösen, immer deutlicher hervortrat129. Ohne ausreichenden finanziellen Etat und grundsätzliche lokal-regionale Macht waren sie noch weniger in der Lage, die angewachsenen Spannungen zu vermitteln. Vor den angehäuften Konfliktherden mußten sie zwangsläufig kapitulieren. Das befestigte „Zugriffe auf zivil-administrative Kompetenzen" durch das Militär130. Die gesteigerte Militarisierung des öffentlichen Lebens in Preußen war also, innenpolitisch gesehen, überwiegend ein Ergebnis verhinderter Modernisierung obwohl das Militär in sich beachtliche Reformierung erfuhr. In der Zeit um 1830 ist demnach für Preußen insgesamt eine „weitreichende und in hohem Maße verrechtlichte, zumindest aber ,vor Ort' stets ausschlaggebende Definitionsmacht des Militärs" zu beobachten131. Zwar war in Garnisons- und Festungsstädten die Befugnisgewalt des Militärs formell der Macht der Kommunalbehörden subsumiert. In der Realität jedoch unterlief das Militär diese Regelung. Die örtlichen Instanzen setzten diesem Prozeß immer weniger Energie entgegen, weil ihnen die zivile und rechtliche Regelung anstehender sozialer und politischer Konflikte zunehmend entglitt: Militär als Ursache und Folge seiner selbst.

126 Berlin, den 23. December 1831, in: Deutsche Tribüne, Nr. 1, 1. Januar 1832, S. 6. 127 [Eduard Beurmann], Vertraute Briefe über Preußens Hauptstadt, Bd. 1, Stuttgart und Leipzig 1837, S. 33. 128 Vgl. Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848 (1967), München 1989, S. 462f.; Andreas Roth, Kriminalitätsbekämpfung in deutschen Großstädten 1850-1914. Ein Beitrag zur Geschichte des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, Berlin 1997, S. 120f. 129 Lüdtke, „Gemeinwohl", Polizei und „Festungspraxis", S. 177. 130 Lüdtke, „Gemeinwohl", Polizei und „Festungspraxis", S. 323. 131 Lüdtke, „Gemeinwohl", Polizei und Festungspraxis, S. 53f.; Sabrina Müller, Soldaten, Bürger, Barrikaden. Konflikte und Allianzen während der Revolution von 1848/49, in: Die Revolution von 1848/49. Erfahrung - Verarbeitung - Deutung, hrsg. v. Christian Jansen/Thomas Mergel, Göttingen 1998, S. 37-53, hier: S. 38ff.

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c) Ad Cholera: Triumph des Militärs Wie die Polizei nur mühsam einen gefestigten institutionellen Status erlangte, so die Medizinalpolizei. Sie entwandt sich nur allmählich dem Zugriff des Militärs. Die Kompetenz der obersten preußischen Gesundheitsbehörden - Collegium Medicum und Collegium Sanitatis - war grundlegend nie geklärt und wurde von Fall zu Fall zwischen verschiedenen Ministerien ausgehandelt. Gleiches gilt für die Stadtphysici. Die Kompetenzkämpfe verschärften sich mit den Preußischen Reformen nur. Karl Freiherr vom Stein zum Altenstein, ein entschiedener Vertreter eines bürokratischen Absolutismus, versuchte schon 1807 ein Kultusministerium zu etablieren, das die Medizinalpolizei näher an die Wissenschaft rückte und dem Zugriff des Innenministeriums - das heißt des Militärs - entziehen sollte. Das 1817 gegründete Ministerium für geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten sollte diesen Anspruch unter seiner Führung verwirklichen. Es konnte ihn aber nur bedingt einlösen. Es kam zu einer sanktionierten Doppelherrschaft, zu einer „doppelten Gesundheitsverwaltung", da dem militärisch dominierten Innenministerium ebenfalls medizinpolizeiliche Angelegenheiten zugesprochen wurden, jedoch ohne klare Aufgabenverteilung. Sinnfällig verkörperte sich der Schwebezustand, der hauptsächlich den Interessen der adligen Militärkaste entgegenkam, am Status der Berliner Charité. Sie diente gleichermaßen als städtisches Krankenhaus, Armeninstitution, Universitätsklinik sowie als Ausbildungsstätte für Militärmediziner und stand geradezu unter Mehrfachverwaltung. Die preußische Medizinalreformdebatte von 1825 brachte keine generelle Klärung des Status der Medizinalpolizei132. In der Cholerazeit von 1831 trat das Gewirr nachdrücklich zutage. Betreffs der Seuchenabwehr ist vom Zeugnis eines zeitgenössischen Kenners der Verhältnisse in der preußischen Metropole auszugehen: „Dagegen ist Meinungsstreit an der Tagesordnung, und spaltet Hof, Stadt, Militair"133. Verschiedene Organe wollten auf ihre Weise Entscheidungsgewalt demonstrieren. Dabei galt das Grundprinzip größtmöglicher Kompetenz bei verhältnißmäßig geringem Aufwand. Ein betreffender Beispielfall für Preußen wurde jüngst an den Konflikten um einen Bonner Hospitalbau, d.h. an den Konflikten zwischen ärztlicher Sanitätskommission, städtischem Senat und einer Provinzialregierung vorgestellt134.

132 Vgl.: Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert, S. 58ff., 66ff., 175ff.; Arleen Marcia Tuchman, Ein verwirrendes Dreieck: Universität, Charité, Pépinère, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte, 3 (2000), S. 36-48. 133 Karl August Varnhagen von Ense an Hermann von Pückler-Muskau, 9. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Pückler und Varnhagen von Ense, nebst einigen Briefen von Rahel und der Fürstin von Pückler-Muskau, hrsg. v. Ludmilla Assing-Grimelli, Bd. 3, Berlin 1874, S. 59. 134 Vgl.: Dieter Kürschner, Der Kampf um das Cholerahospital in Bonn im Jahre 1832, in: Bonn und das Rheinland. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Region. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dietrich Höroldt, hrsg. v. Manfred von Rey/Norbert Schloßmacher, Bonn 1992, S. 277-310. Analog für England: Gerry Kearns, Cholera, nuisances and environmental management in Islington, 1830-55, in: Living and Dying in London, ed. by W. F. Bynum/Roy Porter, London 1991, S. 94-125.

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Die Machtkämpfe blieben nicht auf Einzelfälle beschränkt. So kam es unter anderem im Juli 1831 zu scharfen Warnungen des preußischen Finanzministers, die Staatskassen würden durch die „außerordentlichen Militair-Kosten erschöpft"135. Sein Vorschlag, die betroffenen Regionen in die finanzielle Verantwortung zu nehmen, wurde am 17. August 1831 gesetzlich verankert. Das löste aber nur neue Auseinandersetzungen aus, zum Beispiel in Berlin, wo die städtischen Behörden ihren Unmut über die steigenden Belastungen zum Ausdruck brachten und die Bereitstellung von Spitälern, die Instruktion von Ärzten usw. demonstrativ verzögerten136. Weitere Konflikte bahnten sich zwischen den einzelnen preußischen Provinzen untereinander an, so daß - bemerkenswert ist hier wiederum die starke Präsenz militärischer Metaphern - der Oberpräsident der Provinz Posen über den Schlesiens offiziell Beschwerde führte. Wegen der militanten Absperrung der Nachbarprovinz beklagte er sich im August 1831 offiziell über diesen „förmlichen Vertheidigungskrieg" und vermerkte sarkastisch: „die ein und demselben Vaterlande angehörigen Provinzen fangen bereits auf eigene Hand einen Krieg gegen einander an"137. Schließlich sei noch erwähnt, daß selbst zwischen König, Ministerien und Behörden nicht unwesentliche Interessenkonflikte bestehen konnten. Dabei mußte sich der Monarch gelegentlich der Macht der Apparate beugen. Friedrich Wilhelm III., nicht in jeder Hinsicht ein Befürworter aufwendiger militärischer Aktionen - sein Zögern beim Eintritt in die antinapoleonischen Kriege ist bekannt, ebenso, daß der von Rußland geforderte Krieg gegen Frankreich nach den Revolutionen von 1830 letztlich am Unwillen des Königs und bestimmter Adelskreise scheiterte138 - , hielt sich auch angesichts großangelegter Abwehraktionen gegen die Cholera zurück. Offenbar nur durch starkes Drängen stimmte er den getroffenen Anstalten zu. Als die ersten Anzeichen eines Mißerfolges abzusehen waren, bekundete er im September 1831 deutlicher seine Kritik. Er befürwortete, in Abkehr von seiner bisherigen Position, eine Liberalisierung der bisherigen Restriktionen:

135 Finanzminister Karl Georg von Maaßen an Ludwig Gustav von Thile, 23. Juli 1831, zit. nach: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 165. 136 Vgl.: Richard Knoblauch, 175 Jahre Knoblauchsches Haus. Aus Tagebüchern und Akten des Familienarchivs, 4. Fortsetzung, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, NF, 56 (1939), S. 19-25, hier: S. 21. 137 Eduard Heinrich Flottwell an Ludwig Gustav von Thile, Anfang August 1831, zit. nach: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 275. 138 Vgl.: Harald Müller, Im Widerstreit von Interventionsstrategie und Anpassungszwang. Die Außenpolitik Österreichs und Preußens zwischen dem Wiener Kongreß 1814/15 und der Februarrevolution 1848, Bd. 2, Berlin 1990, S. 229ff.; Kurt Holzapfel, Julirevolution 1830 in Frankreich. Französische Klassenkämpfe und die Krise der Heiligen Allianz (1830-1832), Berlin 1990, S. 125, 132ff.; Wolfgang Heuser, Kein Krieg in Europa. Die Rolle Preußens im Kreis der europäischen Mächte bei der Entstehung des belgischen Staates (1830-1839), Pfaffenweiler 1992, S. 11 Iff.; Jürgen Angelow, Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht (1815-1866), München 1996, S. 89ff.; Winfried Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung. Internationale Beziehungen 1830-1878, Padeibora, München, Wien 1999, S. 273ff.

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Die Pose der Sieger Habe diesen Morgen gelesen, die Cholera sei nicht ansteckender Natur. Offenbar achtet sie nicht die Sperre, springt darüber hinweg, und Alles, was die gelehrten Herren über ihr grossartiges Wesen mir gesagt haben, wird durch die Erfahrung widerlegt. Die Sperrung kostet viel Geld, und am Ende bin ich wieder der Dupe der Affaire.139

Neben all den erwähnten Interessenkonflikten fallen vor allem die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Polizei und Militär auf. Die Abwehrorgane bis hin zu den regionalen Kommissionen waren so beschaffen, daß das Militär jeweils den entscheidenden Einfluß besaß (Immediat-Kommission für die Abwehrung der Cholera; Gesundheits-Comité für Berlin, Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comités für Berlin 140 ). Zwar sprach Johann Nepomuk Rust, der Präsident des Kuratoriums für Krankenhausangelegenheiten und damit der einflußreichste Medizinalpolitiker im Kultusministerium, stets von „polizeilichen Maaßregeln", wenn er militärische Sperren und andere restriktive Maßregeln verteidigte141. Aber damit war Rust, dem das Gerücht bis heute einen sagenhaften Einfluß auf die preußischen Abwehranstalten zumißt, nur ein Außenseiter. Obwohl hochrangiger Offizier, verdankte er seine medizinische und medizinpolitische Karriere fast ausschließlich dem immer wieder düpierten Kultusminister Altenstein. Der war, wie oben schon erwähnt, seit den „Preußischen Reformen" ein entschiedener Vertreter eines bürokratischen Absolutismus. Gegen gutsherrliche bzw. militärische Zugriffe versuchte Altenstein, den verwaltungsstaatlich gelenkten Beamten-Polizeiapparat und damit verbunden die Medizinalpolizei zu stärken. Später, in den ministeriellen Konflikten nach den Befreiungskriegen, hatte Altenstein deshalb nicht wenige Konflikte zu bestehen142. Rust, seit den zwanziger Jahren Professor an der Berliner Universität, hatte seine Karriere bewußt auf Altenstein gebaut. Er lehnte sich an dessen Denkschriften noch aus der Zeit der sogenannten Preußischen Reformen an, die wiederholt die Rolle der Polizei und Medizinalpolizei hervorhoben. Noch 1838, kurz vor

139 Zit. nach: E...d, Aus den Erlebnissen der Provinz Preussen im Jahre 1831 beim ersten Auftreten der Cholera, in: Altpreussische Monatsschrift, 21 (1884), S. 1-58, hier: 28f. Auslöser dieses Umschwungs sollen Nachrichten des Arztes Johann Jakoby gewesen sein, die, bei der ministeriell sanktionierten Auffassung der Absperrung der Cholera, nur über informelle Kanäle zu Friedrich Wilhelm III. gelangten: Der Mediziner Dieffenbach gab sie einem Herrn von Schoening, Hofmarschall bei Prinz Karl, dieser beeinflußte den Prinzen und letzterer schließlich den König, vgl.: Eduard Waldeck an Johann Jacoby, 13. Oktober 1831, in: Johann Jacoby. Briefwechsel 1816-1849, hrsg. v. Edmund Silberner, Hannover 1974, S. 35f. 140 Vgl.: Dettke, Die asiatische Hydra, S. 74,172f. 141 Rust, Ein Wort zur Würdigung der Schutzmaaßregeln gegen die Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 283, 12. Oktober 1831, S. 1548. Zu Rust vgl.: Johann Nepomuk Rust, in: Dr. Bock/Dr. Hasenknopf/Dr. Albert Koehler, Die Kriegschirurgen und Feldärzte Preussens und anderer Staaten in Zeit- und Lebensbildern, Bd. 2, Berlin 1901, S. 301-334; Hans-Uwe Lammel, „Passer RUSTicus Linnaei". Johann Nepomuk Rust (1775-1840) - ein preußischer Medizinalbeamter der Schinkelzeit, in: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung, 84 (1990), S. 1066-1070. 142 Vgl.: Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert, S. 58ff., 73, 77. Zum frühen Altenstein insgesamt: Frank T. W. C. Schuurmans, State, society, and the market. Karl Sigmund Altenstein and the language of reform, 1770-1807, Ann Arbor 1995.

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seinem Tod, dekretierte Rust, wie die Polizei überhaupt für Ruhe, Ordnung und innere Sicherheit des Staates zu sorgen habe, obliege hauptsächlich ihr die Sorge für die Erhaltung der Gesundheit der Einwohner143. Die hierarchisch gestaffelten Institutionen zur Abwehr der Cholera waren in Preußen jedoch vom Militär dominiert. Darüber hinaus wurden im Zuge der beschlossenen militärischen Sperrmaßnahmen in den östlichen Provinzen „den Ober-Präsidenten noch die commandirenden Generäle an die Seite gestellt", wie man vor Ort mitunter monierte144. Das bedeutete, daß die Aufsicht und Kontrolle der polizeilichen Anordnungen den Truppen oblag, die für die Sicherheit der Grenzen und des Hinterlandes verantwortlich waren - „dem kommandirten Militär", wie eine Königliche Verordnung vom 15. Juni 1831 bekräftigt hatte145. Das hieß aber nicht, gleichsam kooperative Hilfe zu leisten, etwa in dem Sinne, daß die unpopulären Maßnahmen der Verwaltung und der Polizei mit der latenten Präsenz des Militärs komplikationsloser durchgesetzt wurden. In der Praxis bewirkte das, wie Lokalvertreter kritisierten, daß „Macht und Gewalt" den „höchsten Civil-Behörde[n]" entzogen wurden146 und sie nur noch als Vollzugsorgane andernorts getroffener Maßregeln tätig waren. Selbst örtliche Zensoren zeigten sich ergrimmt darüber, daß die östlichen Städte „gewissermaßen in Belagerungszustand gesetzt" und ihre bis dahin gültige „Censorenmacht suspendirt" wurde147. Die regional organisierten Verwaltungs- und Polizeibehörden in den östlichen Gebieten Preußens widersetzten sich ihrer Kompetenzbeschneidung. Sie sahen ihre Verfügungskompetenz bedroht und waren nur unter Vorbehalt zu einer Art der Kooperation bereit, die ihnen lediglich die Rolle von Vollstreckern fremder Entscheidungen zuwies. Dabei spielte eine Rolle, daß Polizeibehörden, als unmittelbare örtliche Vollzugsorgane, den Widerwillen der betroffenen Bevölkerungsgruppen direkt zu spüren bekamen. Ihnen wurden die unpopulären Sperr- und Umzingelungsmaßnahmen angelastet, die die ökonomische Lage der betroffenen Gebiete rapide verschlechterten. Resultat: „Cholera und Polizei band der Haß des .niederen Volks' zusammen"148. Die Lokalorgane standen in dem Dilemma, einerseits die im alltäglichen Leben angestauten Konflikte nur mühsam bewältigen zu können, aber andererseits eine militärische

143 Vgl.: Dr. Joh. Nep. Rust, Die Medicinal-Verfassung Preußens, wie sie war und wie sie ist. Actenmäßig dargestellt und kritisch beleuchtet, Berlin 1838, S. 19. 144 Carl Ignatius Lorinser, Eine Selbstbiographie, hrsg. v. Franz Lorinser, Bd. 2, Regensburg 1864, S. 14. 145 Gesetz wegen Bestrafung derjenigen Vergehungen, welche die Uebertretung der - zur Abwendung der Cholera - erlassenen Verordnungen betreffen. Friedrich Wilhelm. Berlin, den 15. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 170, 21. Juni 1831, S. 1080. 146 Eduard Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der CholeraEpidemie in Danzig miteinander getheilet haben, Danzig 1832, S. 66. 147 Karl Friedrich Burdach, Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie, Leipzig 1848, S. 396. 148 Dirk Blasius, Sozialprotest und Sozialkriminalität in Deutschland. Eine Problemstudie zum Vormärz, in: Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vormärz bis zur Reichsgründung, hrsg. v. Heinrich Volkmann/Jürgen Bergmann, Opladen 1984, S. 212-227, hier: S. 223.

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Unterstützung mit einem weitergehenden Kompetenzschwund bezahlen zu müssen. Als Lösung bot sich nur die von oberster staatlicher Seite verhinderte liberale Strategie an, Konflikte abzuschwächen und die Macht der örtlichen Behörden zu stärken. Für diese Alternative hatte sich beispielsweise der Oberpräsident der Provinz Preußen, Theodor von Schön, entschieden, obwohl er wußte, auf welchen repressiven Widerstand er dabei stoßen würde. Bei den ersten Nachrichten der Cholera forderte er schon 1830, und das war seine erste Reaktion auf die Bedrohung, die Einberufung der Landwehr149. Bezeichnend, daß er nicht die Hilfe von Militärverbänden, sondern die der Landwehr favorisierte. Diese im Zuge der Preußischen Reformen gebildeten Formationen, die nur gelegentlich und kurzzeitig, etwa zur Ausbildung und Übung, einberufen wurden, trugen nur halbmilitärischen Charakter. Sie unterlagen stärker dem Zugriff der lokalen Behörden150. Entweder hoffte von Schön wirklich, der drohenden Krise so Herr zu werden, oder er schlug angesichts der Ahnung, daß noch ganz andere Maßnahmen folgen, hellhörig das kleinere Übel vor. Sein Vorschlag fand jedoch keine Berücksichtigung. Ein halbes Jahr später bekam er den vollen Druck des inzwischen eingetroffenen Militärs zu spüren. Es besaß die Rückendeckung des preußischen Königs, der Gneisenau, den militärischen Oberbefehlshaber gegen die Cholera, im Vorgehen gegen widerspenstige Landräte und Kommunalbehörden ausdrücklich bestärkte151. Nunmehr machte von Schön gar keinen Hehl aus seinem Ärger, lancierte unter anderem Rücktrittsabsichten152 und warf in der damals üblichen militärischen Rhetorik dem bereits erwähnten Chef der preußischen Abwehrkommission, von Thile, den Fehdehandschuh hin: „Ja! Krieg haben wir"153. In einem weiteren Brief an ihn beklagte er die Vernachlässigung polizei-sanitärischer Maßnahmen und kritisierte die ausschließliche Behandlung der Cholera als eine „Militair-Angelegenheit". Er bedauerte die Ausschaltung der landrätlichen Autorität und wies auf die verderblichen Folgen dieser strategischen Orientierung hin: „Die Landräthe, welche die Kreis-Polizei zu verwalten haben, treten zurück, und so wird so viel unterlassen, oder verkehrt gemacht, daß Unheil davon die Folge sein muß". Als Korrekturmaßnahme forderte er die Einsetzung der territorialen Behörden in ihre legitimen Rechte. Vor allem brachte er die Ansprüche lokaler Sanitätskommissionen, von Mischorganen aus Polizei- und Medizinalverwaltung, ins Spiel: „Die Sanitäts-Kommissionen bedürfen einer

149 Vgl.: Theodor von Schön an Kultusminister Altenstein und an Innenminister von Brenn, 3. Dezember 1830, zit. nach: Thomas Stamm-Kuhlmann, Die Cholera von 1831. Herausforderung an Wissenschaft und staatliche Verwaltung, in: Sudhoffs Archiv, 73 (1989), S. 176-189, hier: S. 180. 150 Vgl. zum Streit um die Aufrechterhaltung der Landwehr nach 1815: Jonathan R. White, The Prussian Army 1640-1871, Lanham, New York, London 1996, S. 275ff.; Markus Ingenlath, Mentale Aufrüstung. Militarisierungstendenzen in Frankreich und Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt/M., New York 1998, S. 46ff. 151 Vgl.: König Friedrich Wilhelm III. an Neidhardt von Gneisenau, 9. Juni 1831, in: Soldatisches Fiihrertum. Herausgegeben von Kurt von Priesdorff, Bd. 7, Hamburg [ca. 1935], S. 61. 152 Vgl.: Raphael Jakob Kosch an Johann Jakoby, 17. Juni 1831, in: Johann Jacoby. Briefwechsel, S. 67, 28. 153 Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 2. Juli 1831 (Konzept), in: Weitere Beiträge und Nachträge, S. 268.

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wirksameren Stellung". Die Konsequenz bekräftigte von Schön explizit, wenn er umstandslos unterstrich: „das Militair müßte in sein Verhältniß der Wache treten". Dabei wollte er sogar nahelegen, daß die vor Ort kommandierenden Militärs selbst ungehalten und „in der größten Verlegenheit" seien154. Seine Begründung dafür, daß die örtlichen Verwaltungen für die anstehenden Aufgaben bestens gerüstet seien, fiel ebenfalls, und das mag nochmals die Anziehungskraft der militärischen Rhetoriken und Praktiken für Nichtmilitärs unterstreichen, militärisch aus: Kennt der Lieutenant den Feind, das Terrain, die Armee, den Schlachtplan, und ist er während der Schlacht immer von der Sache unterrichtet, so muß sein Urteil, trotzdem, daß er nur einen Zug führt, richtiger sein, als das des Feldherrn, der weder den Feind kennt, noch von dem Terrain etwas weiß, auf welchem geschlagen wird.155 Auf bestimmte Weise bewahrheitete sich die Feststellung von Schöns. War sein Warnbrief am 4. Juli geschrieben, so kam es einige Tage später, Ende des Monats, zu den aufsehenerregenden Königsberger Tumulten. Aufgebrachte Einwohner, zumeist Angehörige der Unterschichten, rebellierten am 26. und 27. Juli in der Provinzhauptstadt. Anlaß gab ihnen aber nicht die durch Schön kritisierte Militärpräsenz, vielmehr die rigide Art und Weise des sanitätspolizeilichen Vorgehens selbst. Das bevorzugte Ziel der Angriffe waren vorerst Mediziner und Polizei. Das Militär, das den örtlichen Behörden offenbar so große Probleme bereitete, erfreute sich nicht selten hoher Akzeptanz. Sowohl seitens latent rebellischer Unterschichten, als auch seitens der bürgerlich liberalen Opposition genoß es Wertschätzung. Dieser auf den ersten Blick überraschende Sachverhalt läßt sich erklären: Einerseits galt das Militär als Garant der immer wieder geforderten staatlichen Einigung, hatte es doch in den Kriegen gegen Napoleon mit seinem Vorgehen die Potenzen eines geeinten Deutschlands überzeugend demonstriert. Andererseits war es offensichtlich immer nur die Polizei, die, auch in der Cholerazeit, restriktive Bestimmungen durchzusetzen hatte und die damit als unmittelbarer und direkter Repräsentant von Zwang und Repression erschien. Dem trugen die militärischen Befehlshaber allzugerne Rechnung. Zwar waren sie stets effektiv um Öffentlichkeitspräsenz bemüht und konnten, etwa bei Manövern und Paraden, ihr Prestige und Ansehen bei der Bevölkerung steigern. Doch hielten sie sich bei anstehenden lokalen Zusammenstößen auffällig zurück und überließen es den unbeliebten Polizeibehörden, diese oder jene schwer legitimierbaren Maßnahmen durchzusetzen. Erst wenn es zu unkontrollierbaren Eskalationen kam, griffen militärische Formationen ein, wie beispielsweise bei jenen Königsberger Cholera-Unruhen, ohne daß ihr Ansehen im Ganzen darunter gelitten hätte. Noch in der Revolution von 1848 war das Prestige des Militärs ungebrochen: Trotz der blutigen militärischen Übergriffe auf friedliche Demonstranten, die die Berliner Barrikadenkämpfe vom 18. März erst ausgelöst hatten, stand es in so hohem Ansehen, daß

154 Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 16. Juli 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge, S. 284. 155 Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 4. Juli 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge, S. 279.

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die Rückkehr der abgezogenen Truppenkontingente in die Residenz nicht einmal zwei Wochen später von Bürgern, Bürgerwehr und Arbeitervereinen, Satyrfratze der gewonnenen Revolution, mit öffentlichem Spalier bejubelt wurde156.

d) Blauer Dunst? Kämpfe um den Tabak Wie sehr Militär und Polizei institutionell konkurrierten, verdeutlicht ein weiterer durch die Cholera ausgelöster Konflikt: die Kämpfe um das in Preußen bis 1848 gültige Verbot öffentlichen Rauchens. Sie belegen, wie das Militär sich hinter den Kulissen gezielt in polizeiliche Belange mischte und dabei intern an Macht gewann. Daß seine verborgenen Winkelzüge, die einen internen Machtzuwachs bewirkten, darauf gerichtet waren, das öffentlich immer schon belastete Ansehen der Polizei weiter zu untergraben, bezeugt eine besondere Art der Subversion. Ehe es genauer um die Auseinandersetzungen von 1831/32 geht, ist vorerst ein Blick auf die Geschichte der Ächtung des Tabaks bzw. des Rauchens zu lenken. Nachdem die beginnende koloniale Eroberung Südamerikas den Tabak in die alte Welt gebracht hatte, setzte sich die Sitte des „Tabaktrinkens", wie sie noch bis ins 18. Jahrhundert hinein genannt wurde, allmählich in Europa durch. Daß vor allem die Kolonialmächte England und Niederlande Wegbereiter der Entwicklung waren, kann nicht überraschen: Zählte Rauchen doch im frühbürgerlichen Habitus zum Ausdruck materieller Prosperität. Mediziner legitimierten diese Praxis. Tabakgenuß galt als äußerst gesundheitsfördernd, und im Rahmen eines hippokratischen medizinischen Leitmodells hieß es, Tabak würde die Schweiß-, Schleim- und Säftezirkulation beschleunigen. Tabak-Pflaster, Klistiere oder Aufgüsse waren daher ein weit verbreitetes ärztliches Behandlungsmittel, etwa auch bei der Pest157. Bald allerdings regten sich von Seiten des puritanischen Klerus Einwände gegen das Rauchen. Es würde nicht dem Ideal eines entsagungsreichen und genußarmen Lebens entsprechen. Askese wurde gefordert. Solche religiös-moralischen Vorbehalte wurden im 18. Jahrhundert von der entstehenden Polizei instrumentalisiert. Nunmehr trug sie Sorge dafür, das Rauchverbot in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Ökonomisch gesehen waren Verbote zwar widersinnig, da die absoluten Monarchen des 18. Jahrhunderts, so auch Preußen, am Nikotingenuß durch staatliche Tabakmonopole nur profitierten. Aber in einer Hinsicht konnte zweckrational operiert werden: Rauchen schaffe Brandgefahren und sei von daher eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit158.

156 Vgl.: Adolph Wolff, Berliner Revolutions-Chronik. Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen, Bd. 1, Berlin 1851, S. 45 Iff.; Streckfuß, Die März-Revolution in Berlin, S. 220ff. 157 Vgl.: Martina Christine Enke, Über die Bedeutung des Tabaks in der europäischen Medizin vom 16. bis ins 20. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 135ff. 158 Vgl.: Mark W. Rien/Gustaf Nils Doren, Das neue Tabago-Buch. Ein Buch vom Tabak und der Kulturgeschichte des Rauchens, Hamburg 1985, S. 42ff. Zur Besteuerung: Emst Paul Reimann, Das Tabakmonopol Friedrichs des Großen, München, Leipzig 1913.

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Allmählich vollzog sich aber zu Ende des 18. Jahrhunderts in vielen Staaten eine Lockerung der Rauchverbote. Die gerade nach den Preußischen Reformen aufstrebende Polizei wollte von ihrem Verfügungsmonopol jedoch nicht lassen. Weitere Konflikte waren somit vorprogrammiert. So kam es in Berlin immer wieder zu zahlreichen Fällen von Übertretung159. Widerstand beschränkte sich in der Regel auf individuelle Vergehen und auf gelegentlichen Kleingruppenprotest. Immer wieder führte das dazu, daß betreffenden Delinquenten ihre Pfeifen zertrümmert und sie zu zwei Talern Strafe verurteilt wurden. Darüber hinaus hatten sie die Gerichtskosten zu tragen - so die Regelung in Preußen seit 1813. Es kam auch zu größeren Zusammenstößen, und insbesondere in der sogenannten Berliner „Schneiderrevolution" von Herbst 1830 war das Rauchverbot Gegenstand mehrtägiger gewaltsamer Auseinandersetzungen. In Wien, Hessen oder Sachsen hatten sich infolge der französischen Umwälzungen größere Unruhen ereignet, die mit Militär gewaltsam niedergehalten wurden. In Aachen, in der äußersten Grenzregion Preußens, kam es Ende August, Anfang September zu Maschinenstürmen und Plünderungen160. Die Unruhen Anfang September in Leipzig lagen dem Herz der preußischen Monarchie schon näher. Unter anderem hatten die Leipziger Aufstände das Recht auf öffentliches Rauchen, das ebenfalls in Sachsen immer wieder zu Zusammenläufen geführt hatte, faktisch legitimiert: Bis zum September vorigen Jahres war das Tabakrauchen auf Straßen und Spaziergängen streng untersagt. Es wurde jedem Contravenienten die Pfeife oder Cigarre weggenommen und eine Geldstrafe folgte nebst Verurtheilung zu den Gerichtskosten unausbleiblich. Ein Aktuarius auf dem Rathhause hatte besonders damit zu thun [...]. Seit dem September ist jenes Verbot faktisch aufgehoben, nachdem bis dahin hundertmal schon Aufläufe von Studenten deshalb Statt gefunden hatten.161

In Berlin wurden die spärlichen offiziellen Nachrichten darüber freudig aufgenommen. Als es Ende September 1830 über mehrere Tage hinweg zu Aufläufen und Tumulten kam, deren Ausmaß allerdings nicht mit den sächsischen Ereignissen vergleichbar ist, wurden auch Forderungen nach öffentlichem Tabakgenuß laut. Eine Rolle mag gespielt haben, daß einst während der französischen Besatzung in den Jahren 1808/09 das verhaßte Rauchverbot in Berlin bereits kurzzeitig aufgehoben worden war. Jedenfalls war, wie ein Zeitzeuge bemerkt, bei den mehrtägigen Zusammenstößen die Freiheit des Rauchens „die allererste Forderung der preußischen Septembriseurs" gewesen162. Von anderer Seite werden als Hauptforderung der rebellierenden Unterschichten angegeben: „Keine Hundesteuer, keine

159 Vgl.: Egon Caesar Conte Corti, Die trockene Trunkenheit. Ursprung, Kampf und Triumph des Rauchens, Leipzig 1930, S. 25Iff. 160 Vgl.: Helmut Bock, Die Illusion der Freiheit. Deutsche Klassenkämpfe zur Zeit der französischen Julirevolution 1830 bis 1831, Berlin 1980, S. 54ff. 161 [Leipzig, den 12. Aug.], in: Hesperus. Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser, Nr. 206, 29. August 1831, S. 821f„ hier: S. 822. 162 [Anonym], Briefe über Berlin, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 241, 17. Oktober 1831, S. 974-975, hier: S. 974. Zu dieser Schneider-Revolution insgesamt: Olaf Briese, „Jleechgültigkeit und rochen im Thierjarten". Tabak und Ekstase in den Rebellionen 1830 und 1848, in: Forum Vormärz Forschung, 3 (1997), S. 27-42.

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Mietsabgaben und keine neuen Maschinen, ,un in Thierjarten roochen'" 163 , bzw.: „Wir gehen nicht, man schaffe die Miets- und Hundesteuer ab, lasse uns im Tiergarten Tabak rauchen, zerstöre die Maschinerien in England usw."164 Interessant dabei ist, daß sich die ausbrechenden Aggressionen hier vornehmlich gegen die Polizeiorgane richteten. Andere Institutionen wurden dabei ausdrücklich ausgeklammert. Flugblätter skandierten zum Beispiel: „Nieder mit der Polizei/ [...]/ Doch der König lebe hoch, /Lebe viele Jahre noch"165. War die Apotheose des väterlichen Monarchen bei solchen Unterschichtenprotesten an sich nichts Ungewöhnliches166, so wird allerdings überraschen, daß ausgerechnet auf den Militärkommandanten von Berlin, von Tippeiskirch, Hochrufe ausgebracht wurden167. Das Militär fand bei derartigen Tumulten Anerkennung. Es konnte, auf Kosten der Polizei, seine Akzeptanz selbst in solchen Krisensituationen noch steigern. Interessant ist jedoch, daß in internen Auseinandersetzungen aber gerade Militärs energisch darauf drangen, das Rauchverbot kompromißlos durchzusetzen. Die Demontage der Polizeiorgane trieben sie hinter den Kulissen geradezu voran. Zumindest in Berlin läßt sich das beobachten. So bekräftigt eine Verlautbarung von Frühjahr 1831, die maßgeblich vom Militärgouverneur von Tippeiskirch initiiert war, nach all den Tumulten nochmals: Die altern Polizey-Verordnungen, nach welchen das Tabackrauchen auf den Straßen, öffentlichen Plätzen und Promenaden innerhalb der Stadt sowohl als in den Vorstädten und im Thiergarten, bey zwey Thaler Geldbuße oder verhältnißmäßiger Gefängißstrafe untersagt ist, werden dem Publikum zur genauesten Beachtung hierdurch in Erinnerung gebracht.168.

Eine Metropole wie Berlin bestand zwar längst nicht mehr aus Holzhäusern mit Strohdächern. Eine unmittelbare Brandgefahr war nicht mehr gegeben. Vielmehr wurde um symbolisches Prestige gekämpft: Das Rauchen in der Residenz verstoße gegen sittlichen Anstand und verletzte die Würde des Königs. Den militärischen Akteuren ging es schlicht darum, mit dem Rauchverbot an einer sensiblen Reibungsfläche von Obrigkeit und Öffentlichkeit symbolisch ihre Macht zu demonstrieren und die Grenzüberschreitungen dagegen zu ahnden. Mit einem proklamierten Kodex moralischer Gebote war es möglich, das Ver-

163 Richard Knoblauch, 175 Jahre Knoblauchsches Haus. Aus Tagebüchern und Akten des Familienarchivs, 3. Fortsetzung, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, NF, 54 (1937), S. 45-49, hier: S. 49. 164 Polizeiprotokoll über die Vorgänge vom 16.-20. September 1830 in Berlin, zit. nach: Johann Friedrich Geist/Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1740-1862. Eine dokumentarische Geschichte der „von Wülcknitzschen Familienhäuser", München 1980, S. 332. 165 [Nieder mit der Polizei], zit. nach: Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus, S. 333. 166 Eine gute sozialpsychologische Deutung dieser Berliner Unterschichtenproteste gibt: Manfred Gailus, Pöbelexzesse und Volkstumulte im Berliner Vormärz, in: Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin. Zur Sozialgeschichte der Straße (1830-1980), hrsg. v. Manfred Gailus u.a., Berlin 1984, S. 1—4-1. Zu solchen spontanen Revolten vgl. insgesamt: Eric J. Hobsbawm, Sozialrebellen. Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert, Gießen 1979, S. 145-166. 167 Vgl.: Polizeiprotokoll über die Vorgänge vom 16.-20. September 1830 in Berlin, zit. nach: Geist/ Kürvers, Das Berliner Mietshaus, S. 329. 168 Bekanntmachung, 31. März 1831, in: Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 82, 6. April 1831, S. 2297.

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hältnis von Obrigkeit und Untergebenen beständig zu reproduzieren. Man wird sogar von einer ausgefeilten Unterdrückungspraxis sprechen können, die keinen anderen Zweck als die Demonstration von Macht selbst hatte. Inzwischen aber nahte die Cholera. Sie rüttelte Ende 1831 an der proklamierten polizeilichen Verfügungsgewalt. Von Ärzten wurde die schon aus Pestzeiten stammende Lehre aufgegriffen, daß Tabak sowohl die von den Krankheitserregern geschwängerte Luft desinfiziere, als auch die leibliche Konstitution und den körperlichen Schleim- und Säftehaushalt stabilisiere169. Das stand zwar der offiziell sanktionierten Ansicht entgegen, die Cholera verbreite sich durch Menschen, Tiere und Warenverkehr - und sei deshalb militärisch abzusperren. Aber mit den offensichtlichen Mißerfolgen der Sperren wurden ärztliche Stimmen immer einflußreicher, welche von einem miasmatischen, luftartigen Krankheitsstoff ausgingen. Das führte zu den medizinischen Vorschlägen, die oben schon genannt wurden: Anzünden von Waldgebieten oder Bergbauhalden, Feuer auf Straßen und Plätzen für die öffentliche oder wenigstens individuelle Desinfektion, Räucherungen in geschlossenen Räumen. Auch das Rauchen, das sich in Seuchenzeiten so bewährt haben soll - während der Londoner Pest 1665 kontrollierten beispielsweise Lehrer mit ihren Rohrstöcken das regelmäßige Rauchen ihrer Zöglinge170 - , wurde als Abwehrmittel erneut in Anschlag gebracht. In Broschüren, die über das beste Verhalten bei Herannahen der Cholera informieren sollten, wurde nicht selten verlautbart: „Das Tabakrauchen ist, wenn es mäßig geschieht, und wenn der Körper daran gewöhnt ist, durchaus nicht schädlich: im Gegentheil ist dasselbe zu empfehlen"171. Öffentlich wurde das weitgehend akzeptiert, und nur so konnte es zu dem Vorschlag eines Laien an das bayerische Innenministerium kommen, zur Reinigung der Luft Truppen rauchend durch Städte paradieren zu lassen172. Freilich gab es weiterhin Ärzte, die betonten, es sei ungewiß, ob man in Epidemien den Tabak „für nützlich, oder vielleicht für schädlich halten soll"173. Aber insgesamt setzte sich die Ansicht durch, ein mäßiger Tabakgenuß könne nicht schaden. Damit verstärkte sich der Druck auf die Behörden, das Rauchen an allen Orten zu legalisieren. Ende Mai 1831, beim Ausbruch der Epidemie in Danzig, blieb dort das Rauchen zwar noch untersagt174. Als sich jedoch zeigte, daß der Ausbruch in Danzig kein bedauerlicher Einzelfall bleiben würde,

169 Vgl.: Art. „Nicotian", in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste [...], hg. v. Johann Heinrich Zedier, Bd. 24, Leipzig und Halle 1740, Sp. 646-681, hier: Sp. 672f. 170 Vgl.: Walter George Bell, The Great Plague in London in 1665 (1924), London 1994, S. 156. 171 [Anonym], Gründliche und faßliche Anweisung für den Bürger und Landmann zur Verhütung der Ansteckung durch die Cholera [...], Dresden 1831, S. 20. 172 Vgl.: München, in: Die Bayer'sehe Landbötin. Selbst gemacht, verlegt und expedirt von Dr. Karl Friedr. Aug. Müller, Nr. 155, 27. Dezember 1836, S. 1565. 173 Dr. Joseph Bernt, Ueber Pestansteckung und Verhütung, Wien 1832, S. 82. Zu den medizinischen Diskussionen um den Tabak während der Cholera, zu empfohlenen Klistieren usw. vgl.: Enke, Über die Bedeutung des Tabaks in der europäischen Medizin, S. 331ff. 174 Vgl.: [Schumacher, Wilhelm], Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831, [Danzig 1831], S. 11.

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nahmen sich Berliner von selbst ihr Recht und griffen Anfang Juni zum Tabak. Eine offizielle Bekanntmachung vom 14. Juni mußte zahlreiche betreffende Vergehen konstatieren und das geltende Recht nochmals bekräftigen: Zahlreiche, gestern vorgekommene Fälle erweisen, daß einzelne Personen die Meinung gewonnen haben, das längst bestehende Verbot des Tabakrauchens auf den Straßen, öffentlichen Plätzen und Promenaden, innerhalb der hiesigen Stadt sowohl, als in den Vorstädten und im Thiergarten, sey jetzt aufgehoben. Dazu mag zunächst die Ansicht geführt haben, daß die Bekanntmachung der Königl. Regierung zu Potsdam, vom 29. Mai d.J., welche den am 10. d.M. ausgegebenen 23. Stücke des dortigen Amtsblattes, jedoch unter den Verordnungen, welche den Regierungsbezirk Potsdam ausschließlich betreffen, mit eingerückt ist, und nach welcher die Straffälligkeit des Tabakrauchens in den Straßen der Städte von der besonderen Feuergefährlichkeit des Orts, an welchem solches stattgefunden hat, mit abhängig bleiben soll, auch auf Berlin Anwendung finde. Dies ist indessen um so weniger der Fall, als bei Erlaß des Verbots für die hiesige Stadt nicht allein die Feuergefährlichkeit, sondern auch andere Rücksichten in entscheidenden Mitbetracht gezogen waren. Dahin gehört namentlich die Aufrechterhaltung des öffentlichen Anstandes, mit der es, wie in dem Publikum selbst gewiß nur wenige Stimmen seyn dürften, für gebildetere ordnungsvolle Städte, unter Berlin sich stets einen der ersten und ausgezeichnetsten Plätze zu sichern gewußt hat, völlig unvereinbar bleibt, das Tabakrauchen in den Straßen und auf öffentlichen Promenaden stattfinden zu lassen.175 Allein die umständliche Verklausulierung zeigt an, wie sehr hier schon aus der Defensive und unter erheblichem Legitimationsdruck argumentiert wurde. Die Situation verschärfte sich noch, als einige Wochen später, Anfang Juli 1831, der neue Berliner Polizeipräsident von Arnim seinen Dienst antrat und den bisherigen Amtsinhaber von Esebeck ablöste. Der neue Präsident hatte eine andere Auffassung von der Stellung der Polizei im Staate. Ob er der liberalen Doktrin anhing, sie diene hauptsächlich der Regelung des Bürgerwohls, oder ob von Arnim einfach aus Selbsterhaltung den öffentlichen Druck, der sich in der Regel an der Polizei entlud, minimieren wollte - er trat insgesamt für eine durchgreifende Milderung der für Berlin beschlossenen Sperrmaßnahmen gegen die Cholera ein. Er soll im August oder September sogar mit seinem Rücktritt gedroht haben, falls sich an den radikalen Reglementierungen nichts ändere 176 . In der Frage des Rauchens machte er sich zum Vorreiter von Reformen. So berichtete am 2. Oktober die gut informierte „Augsburger Allgemeine": Als Schutzmittel gegen die Cholera, und vornehmlich weil das Volk daran glaubte, verlangte der Präsident von Arnim vom Minister des Innern die Genehmigung zur Erlaubniß des Tabakrauchens auf offener Straße, da überdies eine Menge Leute dies unverhohlen thaten, und er

175 Polizeiliche Bekanntmachung, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 136, 14. Juni 1831, [S. 1]. 176 Vgl.: [Berlin, 7. September], in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 256, 13. September 1831, S. 1022.

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entweder das Verbot in Erinnerung bringen oder allgemein erlauben müsse. Hr. v. Brenn verweigerte bis heute seine Zustimmung zur Erlaubniß.177

Das deutet auf einen Machtkampf hinter den Kulissen hin. Bei genauerer Prüfung ergibt sich folgendes überraschende Bild: Bereits Anfang September kursierten innerhalb der Berliner Polizeibehörden Unterlagen, die für eine stillschweigende Lockerung oder gar Aufhebung der geltenden Verbote plädierten. Nachdem noch dazu einige Tage später berichtet wurde, daß sich „der größte Teil des männlichen Publikums heute abend rauchend auf der Straße zeigt" und darüber hinaus sogar von „Zusammenrottierungen" die Rede war178, beantragte von Arnim nach offizieller Rückendeckung durch Berliner Amtsärzte am 10. September jene Aufhebung beim Innenminister, wovon die „Augsburger Allgemeine" so bestens informiert berichtete. Tatsächlich willigte von Brenn am 16. September ein, freilich mit der Einschränkung, das Rauchen nur stillschweigend zu dulden. Das erschien dem wahren, aber im Hintergrund bleibenden Sachwalter all der Restriktionen - nämlich dem Berliner Militärgouverneur von Tippeiskirch - allerdings als eine viel zu lasche Geste. Mit der Souveränität der Macht und ungeachtet neuer denkbarer Unruhen, die sich nur wieder gegen die Polizeiorgane richten würden, setzte er nach einem diesbezüglichen Briefwechsel gegen von Arnim eine Bestimmung durch, die rein vorläufigen Charakter trug. Sie verkündete schon vorab, nach Verebben der Cholera würden die alten Regelungen ohne Wenn und Aber wieder in Kraft treten179. Die Aufhebung des Rauchverbots erfolgte demnach nur kurzzeitig. Von Tippeiskirch wies nicht nur die polizeilichen Reformanstrengungen zurück, sondern desavouierte seinen Konkurrenten und entschied einen Kompetenzkampf für sich. Er schuf die Grundlage für weitere Ansehensverluste der Polizei. Geschickt konnte er im institutionellen Wechselspiel einen erheblichen Terrainvorsprung verbuchen: Öffentlich würde die Polizei weiter an Ansehen verlieren und als Prellbock für allen angestauten Ärger dienen. Auch im Geflecht der Machtapparate würde sie beständig ins Feuer geraten. Denn es war abzusehen, daß das absurde Verbot des Rauchens öffentlich kaum mehr durchzusetzen war. Das würde ebenfalls auf die Polizei zurückfallen und internen Machtverlust vergrößern. Genau das trat ein. Sofort nach der offiziell verkündeten „Befreiung" der Stadt Berlin von der Cholera - von Arnim war nach nur wenigen Monaten mittlerweile entnervt zurückgetreten - wurden die alten Regelungen betreffs des Rauchens mit Erlaß vom 13. Februar 1832 erneut deklariert180. Zwar wurde durch ein königliches Edikt vom 9. Dezember desselben Jahres das Verbot nur noch auf die Residenzen Potsdam und Berlin beschränkt und für alle anderen Orte Preußens hinfällig. Doch in der Hauptstadt

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[Berlin, 21. September], in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 381 und 382, 2. Oktober 1831, S. 1522f„ hier: S. 1523. 178 Kommandant der Schloßhauptwache an das Polizeipräsidium, 9. September 1831, zit. nach: Corti, Die trockene Trunkenheit, S. 257. 179 Vgl.: Erlaß des Generalgouverneurs und Polizeipräsidenten, 23. September 1831, in: ebd., S. 258. 180 Vgl.: Bekanntmachung, Königliches Gouvernement und Polizei-Präsidium hiesiger Residenz, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 39,15. Februar 1832, [S. 1].

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konnte der symbolische Kompetenzkampf zwischen Polizei und Militär weiter ausgetragen werden. Für von Tippeiskirch war es ein leichtes, im Laufe der Jahre wiederholt das Polizeipräsidium anzumahnen, doch endlich die geltenden Bestimmungen durchzusetzen. Wiederholt empörte er sich doppelzüngig, daß die Polizei so sträflich den Kampf für den öffentlichen Anstand vernachlässige181. Das Militär warf sich zum Statthalter öffentlicher Ruhe und Ordnung auf. Es versuchte, seine Monopolstellung zu erhalten. In den vierziger Jahren, von Tippeiskirch befand sich inzwischen im Ruhestand, wandte sich dann unter anderem der Innenminister an den Polizeipräsidenten maliziös mit der Klage, daß im Jahre 1845 nur 3712 - immerhin etwa zehn pro Tag! - das Rauchverbot betreffende Anzeigen eingegangen seien. Er berief sich auf ungnädige Äußerungen des Königs und malte in schwärzesten Farben aus, daß durch „offene Toleranz polizeilicher Contraventionen das Publikum an den Ungehorsam" gewöhnt werde182. Unrecht hatte er mit seinen Sorgen nicht. Warum sonst kursierte in den vierziger Jahren eine Karikatur mit dem Titel „Deutsche Opposition", auf der ein Berliner Bürger mit Vorsatz vor einem betreffenden Verbotsschild seine Pfeife anzündet, ein Gendarm herbeieilt und andere Spaziergänger gespannt die Szene beobachten?183 Rauchen galt zunehmend als Bekenntnis und als politische Provokation, es war nicht mehr nur ein Genuß-, sondern auch ein symbolisches Protestmittel. Dabei schlugen sich politische Richtungsentscheidungen im öffentlichen Habitus nieder: Galt die Pfeife eher als Symbol des liberalen gemäßigten Protestes, avancierte die Zigarre im Vormärz zu einer Art revolutionären Erkennungszeichens184. So wurde die Vorkämpferin der Frauenemanzipation Louise Aston 1846 aus Berlin verwiesen, weil sie sich erlaubte, Zigarren zu rauchen185. Das Rauchverbot, mit dem die Polizei im 18. Jahrhundert ursprünglich ihre Karriere begann, erwies sich nunmehr als gigantischer Rückschlag. Immer stärker gerieten Polizeiorgane zwischen die Mühlsteine der öffentlichen und staatlichen Kritik. Geradezu hilflos versuchten sie, den Schaden so klein wie möglich zu halten. Das Militär hingegen triumphierte. Erst mit der Revolution von 1848 fand das ein Ende - ihre erste Errungenschaft war die Tatsache, daß öffentlich geraucht werden durfte.

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Vgl.: v. Tippeiskirch an den Polizeipräsidenten, 25. September 1839, zit. nach: Corti, Die trockene Trunkenheit, S. 265f. Innenminister an Polizeipräsident, 30. März 1846, zit. nach: Corti, Trockene Trunkenheit, S. 267. Vgl.: Mary Lee Townsend, Forbidden Laughter. Popular Humor and the Limits of Repression in Nineteenth-century Prussia, Ann Arbor 1992, S. 14f. Vgl.: Wolfgang Schivelbusch, Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel, Frankfurt/M. 1990, S. 125. Zum Aufkommen der Zigarre seit den Befreiungskriegen von 1813/15 in Deutschland und zu ihrem endgültigen öffentlichen Durchbruch nach 1850 vgl.: Bernd Kölling, Das Öl im Kompaß. Zur Geschichte der Zigarre in Deutschland (1850-1920), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 45 (1997), S. 219-240. Vgl.: Louise Aston, Meine Emancipation, Verweisung und Rechtfertigung, Brüssel 1846, S. 15. Quellen für zeitgenössische Reaktionen auf rauchende Frauen in Deutschland und Frankreich sind angeführt in: Christine Lehmann, Das Modell Clarissa. Liebe, Verführung, Sexualität und Tod der Romanheldinnen des 18. und 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1991, S. 179.

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4.4. Ärztliche Aufrüstung a) Angriff der Krankheit Spätestens seit Susan Sontags folgenreichem Buch „Krankheit als Metapher" von 1977 hat sich die Annahme durchgesetzt, militärische Metaphern in der Medizin seien „in den 1880er Jahren zum ersten Mal in allgemeinen Gebrauch" gekommen, nämlich in der Zeit, als es gelang, Bakterien als externe Krankheitserreger zu identifizieren186. Obwohl die Autorin ihre Auffassung später korrigierte und auf entsprechende metaphorische Vorläufer in Antike und Renaissance hinwies, hat sich diese These mittlerweile etabliert187. Sie ist bis heute keiner grundsätzlichen Prüfung unterzogen worden. Sie zu widerlegen, reicht allein ein Blick in die Zeit des Absolutismus. Der Aufstieg des Militärs im neuzeitlichen Europa verschaffte der kriegerischen Mensch-Natur-Konfrontation einen Einfluß, der viele Bereiche, einschließlich Wissenschaften und Medizin, durchdrang. Vorher, bis zum 16. Jahrhundert, waren militärische Metaphern im medizinischen Diskurs eher marginal188. Obwohl der Topos bedrohlicher Krankheitsprojektile zum Grundbestand antiker und vieler anderer Kulturen gehört189, blieb die Medizin vorerst zurückhaltend. Erst im 16. Jahrhundert - etwa parallel mit dem Aufstieg des Motivs von Krankheitspfeilen in der Renaissancemalerei190 - kamen militärische Metaphern unaufhaltsam in Gebrauch. Das mögliche Schwinden magisch-religiöser Horizonte bzw. deren Umbesetzung trug zu dieser Vorherrschaft bei. In einer vordergründig entzauberten Welt avancierte das Militär zur alles lenkenden Instanz. So war es kein Zufall, daß eine Pest-Abhandlung von 1721 die Seuche dezidiert in militärische Perspektive stellte: „Es ist die Pest gleich einem mächtigen wolbewaffneten Kriegs-Heer/ dessen detachirte Trouppen bald hier/ bald dort ein brechen/ und die Linien der Gesundheit übersteigen/ wo sie nicht mit Dapferkeit zurückgetrieben werden"191. Damit ist vorerst nur etwas über Metaphern gesagt. Aber gerade Metaphern waren - das ist im Folgenden zu erklären - die ureigene Form ärztlich-medizinischer Aufrüstung.

186 Susan Sontag, Krankheit als Metapher (1977), Frankfurt/M. 1981, S. 79. 187 Vgl.: Susan Sontag, Aids und seine Metaphern (1988), München, Wien 1989, S. lOff.; Wolfgang Klooß, Die Pest. Vergleichende Betrachtungen zur Mentalitätsgeschichte und Metaphernbildung in der europäischen Literatur, in: Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier, 24 (1997), S. 55-74, hier: S. 55. 188 L. J. Rather/J. B. Friedrichs, On the Use of Military Metaphor in Western Medical Literature: The bellum contra morbum of Thomas Campanella (1568-1639), in: Clio Medica, 7 (1972), S. 201-208, hier: S. 201. 189 Vgl.: Lauri Honko, Krankheitsprojektile. Untersuchung über eine urtümliche Krankheitserklärung, Helsinki 1959. 190 Vgl. die Beispiele in: Delumeau, Angst im Abendland, S. 148ff. 191 Beschreibung der Provencalischen Pest [...], Wegen ihrer Vortrefflichkeit übersetzet und mit Anmerkungen begleitet von Joh. Jacob Scheuchzer, Zürich 1721, S. 55.

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In den Cholera-Debatten um 1830 vermerkten Ärzte, die Epidemie rücke „wie ein Kriegsheer" vorwärts192, sie sprachen vom „Einrücken des Feindes in unsre Gränzen" und von einem „Zeitraum der Invasion"193. Das war auf die Cholera als den preußischen Staat bedrohenden Feind im allgemeinen bezogen. Auch das individuelle Erkrankungsgeschehen unterlag dieser Interpretation: Ein Arzt sprach von der „Invasions-Periode" 194 . Ähnlich individualisierend suchte der bekannte Physiologe und Psychologe Johann Christian August Heinroth bei „eingetretener Invasion" nach der entscheidenden Medizin, welche „den Feind niederwirft"195. Neben Kontagionisten, die von einem genau lokalisierbaren und von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheitsstoff ausgingen, bedienten sich auch ausgesprochene Miasmatiker, die eher diffuse Einwirkungen der Atmosphäre und der Luft als Krankheitsursache annahmen, dieser Muster. Sie kämpften gegen die „Angriffe" jenes miasmatischen Krankheitsstoffs und bliesen zum „Angriffskampf' gegen das Miasma 196 . Nicht selten war unter Medizinern vom „Marsch"197 oder vom „Kreuzzuge" der Cholera die Rede 198 . Als die ersten Cholera-Fälle trotz Grenzsperren in Preußen auftraten, erging die letzte ärztliche Warnung: „Hannibal ad portas, rufe ich Ihnen zu"199. Von den südöstlichen Grenzen Preußens wurde gemeldet: „Bis jetzt sind hier 15 Opfer gefallen" 200 . Christoph Wilhelm Hufeland, um hier einen weiteren bekannteren Vertreter zu nennen, sprach unverblümt von „Schlachtop-

192 Dr. K. F. H. Marx, Die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, Carlsiuhe und Baden 1831, S. 307. 193 Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau [...], Breslau 1831, S. 115, 1. 194 Dr. August Zink, Geschichtliche Bemerkungen über die epidemische Cholera während ihres Eintrittes und Herrschens in Wien, nebst einem Versuche das aetiologische Verhältniß derselben aufzuklären, Wien 1832, S. 7. 195 Dr. J. C. A. Heinroth, Auch ein Wort über die Beurtheilung und Behandlung der wandernden Brechruhr, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), Bd. 1, Nr. 7, 21. September 1831, S. 49-52, hier: S. 50. 196 Preu, Was haben wir von der Cholera Morbus zu fürchten?, S. 91; Nees von Esenbeck, Ueber den Kampf des Staates gegen die Epidemie, in: Amtlicher Bericht über die neunundzwanzigste Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Wiesbaden im September 1852, hrsg. v. Dr. Fresenius/Dr. Braun, Wiesbaden 1852, S. 62-74, hier: S. 66. 197 Dr. Koestler, Bewährte Vorschrift wider die Furcht vor der Cholera, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologischtherapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, hrsg. v. Dr. Albert Sachs, Nr. 43, 3. November 1831, S. 173f„ hier: S. 173. 198 Dr. Fabre, Die Cholera in Paris, oder Leitfaden für praktische Aerzte zur Erkenntnis und Behandlung dieser Krankheit. Aus dem Französischen und mit einer Vorrede von Dr. Jos. Schuler, Mannheim 1832, S. X. 199 Dr. Johann Wendt, Ueber die asiatische Cholera bei ihrem Uebertritte in Schlesiens südöstliche Gränzen. Ein Sendschreiben an seine Amtsgenossen in der Provinz, Breslau 1831, S. 48. 200 Briefliche Nachrichten [Westpr.], in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 1, 1. Oktober 1831, S. 2f„ hier: S. 3.

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fer[n]"201. Hilflos, wie die Ärzte waren, erging als letzter Ratschluß - um hier den ebenfalls bekannten Physiologen und Mediziner Karl Friedrich Burdach zu zitieren - die effektvolle aber wirkungslose Aufforderung, gegen die „verschiedenen Waffengattungen des Feindes" gewappnet zu sein202. Zwar waren das nur Metaphern. Sie sind nicht umstandslos Ausdruck einer bestimmten medizinischen Praxis. Wie hätte sie sich militärisch gestalten sollen? Dennoch waren sie, allein als Metaphern, keineswegs nur dem Militär entlehnter äußerlicher Ornat. Das sozial-kulturelle Selbstverständnis fand in medizinischer Sprache einen kongenialen Ausdruck.

b) Medizinischer Gegenschlag Die Natur kämpfte mit ihren Waffen, die militärisch gewappnete Vernunft mit den ihren. Strategien wurden von AufklärungsVertretern des 18. Jahrhunderts in breitem Maßstab offeriert: „Der Mensch erforschet ja Himmel und Erde; er bauet und schiffet auf erstaunende Weise; er bezwingt die stärksten, listigsten und geschwindesten Thiere, kurz, er unterwirft sich die ganze Natur" (Gottsched). Je mehr der Mensch die Natur beobachtet und kultiviert, „desto mehr Mittel wird er haben, sie sich zu unterwerfen" (Buffon). Er sei zum „Herrscher über die Erde" berufen (Herder). Gar habe er die „natürlichste, ja die rechtmäßigste Oberherrschaft in der ganzen Schöpfung" (Forster)203. Natur schien zu Besitzergreifung und zur Ermächtigung herauszufordern. Egal, ob sie sich drohend oder friedlich gebärdete - sie war das große Andere, das dazu provozierte, mit den Mitteln instrumenteller Vernunft vereinnahmt zu werden. Eine Gegnerschaft wurde unterstellt. Dem Menschen kam nicht der passive, defensive Part zu. Kultur war die aktive Bemächtigung von Natur. Kultur expandiert, die Natur wird erobert. Die praktischen Konsequenzen verdeutlicht der idealistische Transzendentalphilosoph Johann Gottlieb Fichte (der übrigens 1814 an Typhus verstarb), par excellence: „Der Mensch gebietet der rohen Materie, sich nach seinem Ideal zu organisieren, und ihm den Stoff zu liefern, dessen er bedarf'. Das soll, aus der Perspektive des Menschen, gar kein friedfertiger Vorgang bleiben. Er bedarf aller Anstrengungen und Mittel: „in jedem Momente seiner Existenz reißt er etwas neues ausser sich in seinen Kreis mit fort, und er

201

C. W. Hufeland, Ueber die Verschiedenheit der Erkrankungs- und Mortalitätsverhältnisse bei der orientalischen Cholera, und ihre Ursachen, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., Februar 1832, S. 88-107, hier: S. 88. 202 K. F. Burdach, Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahre 1831 in der Provinz Preußen, insbesondere in Ostpreußen, Königsberg 1832, S. 205. 203 Johann Christoph Gottsched, Erste Gründe der gesammten Weltweisheit, 7. Aufl. 1762 [Theoretischer Teil], in: Ausgewählte Werke, hrsg. v. Joachim Birke u.a., Berlin 1968ff., Bd. 5.1, S. 631 f.; Graf von Buffon, Epochen der Natur, Bd. 1, St. Petersburg 1781, S. 172; Johann Gottfried Herder, Ideen zu einer Philosophie der Geschichte (1784/91), in: Herders Sämtliche Werke, Bd. 13, S. 151; Georg Forster an Friedrich Heinrich Jacobi, 14. Februar 1783, in: Georg Forsters Werke. Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Berlin 1958ff„ Bd. 13, S. 430.

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wird fortfahren an sich zu reissen, bis er alle in denselben verschlinge: bis die Materie das Gepräg seiner Einwirkung trage"204. Natur ist durch Arbeit anzueignen, d.h. sie ist zu bekämpfen. Sie muß bezwungen und unterworfen werden. Ein letzter, alles entscheidender Kampf steht bevor, bis alles in den Kreis menschlicher Existenz gezwungen ist. Im 19. Jahrhundert steigerten sich diese Ansprüche. Die Forderung des preußischen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1831 in Berlin an der Cholera verstorben) nach einer umfassenden Beherrschung der Natur, die verknappt sein ganzes philosophisches Programm ausdrückte205, schrieb sich bei einer großen Zahl von Schülern fort. Die Natur sei zu bemächtigen. Der Mensch sei dazu berufen, „daß ihm die Herrschaft über dieselbe gebührt" (Buhl)206, daß daher „der Geist sich immer vollständiger der Natur bemächtigt, diese ihm gegenüber zum machtlosen Material seiner Thätigkeit heruntergesetzt wird" (Strauß)207, daß der „Triumph des Geistes" sich erst in der „Unterwerfung der Natur" beweist (Ruge)208. Auch Ludwig Feuerbach sprach von „gewaltsamen Umgestaltungen", durch die der Mensch „den Stempel des Bewußtseins und Verstandes der Natur aufdrückt"209, sein enger Geistesgefährte Georg Friedrich Daumer davon, der Natur „möglichst Herr zu werden", sich über ihre Unvernunft zu erheben210. Die Menschen seien die potentiellen Herren des Universums. Kein Bezirk des Seins bleibe ihnen verschlossen. Vorübergehende Niederlagen seien nur Anzeichen einer noch ungenügenden Zurüstung. Eine Oberhand über die Natur, den allgegenwärtigen Feind, wäre möglich. Sie habe sich der Botmäßigkeit der Menschen zu beugen. Freilich bedürfe es dazu aller Potenzen der Moral und aller Anstrengungen der Vernunft. Nur zu verständlich, daß in der Cholera-Zeit solche Ansprüche wuchsen. Die katastrophale Erfahrung der Machtlosigkeit forderte die Macht über die Natur um so entschiedener heraus. So wurde kurz vor der Ankunft der Cholera in der preußischen Hauptstadt die Macht über die Natur im publizistischen Hauptorgan der Hegelianer beschworen: durch Wehrstand

204 Johann Gottlieb Fichte, Ueber die Würde des Menschen [...], (1794), in: Gesamtausgabe, hrsg. v. Reinhard Lauth/Hans Jacob, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962ff„ Bd. 1.2, S. 79-89, hier: S. 87f.; ders., Die Bestimmung des Menschen (1800), in: ebd., Bd. 1.6, S. 145-309, hier: S. 268f. 205 Vgl.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: Werke in zwanzig Bänden, hrsg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1969ff., Bd. 16, S. 283. 206 [Ludwig Buhl], Hegel's Lehre vom Staat und seine Philosophie der Geschichte in ihren Hauptresultaten, Berlin 1837, S. 7. 207 David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, 2 Bde., Tübingen 1835/36, Bd. 2, S. 734f. 208 Echtemeyer/Ruge, Der Protestantismus und die Romantik (Fortsetzung), in: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, Nr. 56, 5. März 1840, Sp. 441-445, hier: Sp. 441. 209 Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion (1848/49), in: Gesammelte Werke, hrsg. v. Werner Schuffenhauer, Berlin 1967ff., Bd. 6, S. 194. 210 G. F. Daumer, Ist die Cholera Morbus ein Strafgericht Gottes? Sendschreiben für Herrn Pfarrer Kindler zu Nürnberg, Leipzig 1832, S. 13. Zu diesen Herrschaftsansprüchen insgesamt: Olaf Briese, Herrschaft über die Natur. Ein Topos in Vormärz und Romantik. Versuch einer Legitimierung, in: Vormärz - Romantik, hrsg. v. Wolfgang Bunzel/Peter Stein/Florian Vaßen, Bielefeld 2003 [im Druck],

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und Bildung 211 . Kurz nach der ersten verheerenden Cholera-Welle gab der hegelianisierende Medizinprofessor Justus Friedrich Carl Hecker dann die tröstliche Aussicht, daß „auch in der Abwehrung großer Seuchen der Mensch Herr der Erde ist, daß, die Unbill der Natur zu bekämpfen, ihm Recht und Einsicht gegeben ist"212. Gegen den Gegner Cholera war Abhilfe möglich. Nicht, daß die Ärzte damals tatsächlich wirksame Mittel, noch dazu militärische, parat hatten. Aber sie übten sich - auf Differenzen in der Ärzteschaft kann hier allerdings nicht eingegangen werden - in einer betreffenden Rhetorik. Titel medizinischer Aufklärungsbroschüren wie: „Der Kampf gegen die asiatische Cholera. Ein Aufruf zum freiwilligen Kriegsdienste, besonders gerichtet an Geistliche, Schullehrer, Beamte und Aerzte" von 1831 oder „Spieß, Schutz- und Trutzmittel gegen die asiatische Cholera" von 1832 213 verdeutlichen diese Mentalität. Die kriegerische Auseinandersetzung konnte einerseits am heimischen Krankenbett stattfinden, wo es möglich schien, die Cholera „bekämpfen und zuweilen besiegen" zu können214. Andererseits wurden ausgreifende Präventionsstrategien entworfen: „Zum Schauplatz einer so gefahrvollen Endemie müsste die Regierung die talentvollsten Practiker des Landes zur Bezwingung senden, wie sie dem eindringenden Feinde die ausgezeichnetsten Feldherrn mit freiester Vollmacht entgegenschickt" 215 . Da aber nicht alle Ärzte in der Lage waren, zu den offenen Feldschlachten an die östlichen Grenzen der preußischen Provinzen zu eilen, räumten Ärzte allerdings ein: „Gleichwie ein General, unter gewissen Umständen, den Plan zu einer Schlacht für ein nie gesehenes Terrain entwerfen kann", so dürfe ein Arzt auch ohne unmittelbare Kenntnis der Cholera seine Überlegungen anstellen 216 . Warum nur befleißigten sich Mediziner in so bedeutendem Umfang militärischer Metaphoriken, warum begaben sie sich auf ein Kompetenzfeld, das nicht das ihre war? Warum eine solche militante Rhetorik? Sie belegt, wie der ärztliche Stand hegemonialen Aufklärungsmustern notwendigerweise folgte. Auch er befleißigte sich einer rhetorischen Aufrüstung. Dabei handelt es sich keineswegs nur um den Ausdruck eines gesellschaftlichen Unbewußten, das sich in Sprache und Metaphern sichtbar niederschlägt. Vielmehr: Im Zug ärztlicher Professionalisierung wurde der erfolgversprechende militärische Duktus offenbar gezielt sprachlich-metaphorisch nachgeahmt. Die suggestive Mimesis einer sozial erfolg-

211 Vgl.: H. Damerow [Rez.], Geschichte der Heilkunde [...], in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Nr. 26-28, August 1831, Sp. 204-220, hier: Sp. 217. 212 Dr. J. F. C. Hecker, Ueber die Volkskrankheiten. Eine Rede zur Feier des acht und dreissigsten Stiftungstages des Königlichen medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts, am 2ten August 1832, Berlin 1832, S. 13. 213 Vgl.: [Anonym], Der Kampf gegen die asiatische Cholera. Ein Aufruf zum freiwilligen Kriegsdienste, besonders gerichtet an Geistliche, Schullehrer, Beamte und Aerzte, Leipzig 1831; [Anonym], Spieß, Schutz- und Trutzmittel gegen die asiatische Cholera, oder Anweisung, wie man der Furcht vor dieser Seuche verscheuchen und sich vor der letztern verwahren und sich schnell heilen kann, Leipzig 1832. 214 Auszug aus einem Briefe aus Breslau, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 25, 24. Dezember 1831, S. 195f., hier: S. 196. 215 Dr. Krüger-Hansen, Curbilder, mit Bezug auf die Cholera, Rostock und Güstrow 1831, S. 72. 216 Ceresa, Bemerkungen über die epidemische Brechruhr, S. 5.

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reichen Institution - des Militärs - begleitete die Konstitution des ärztlichen Standes im 19. Jahrhundert (die für Preußen bereits detailliert nachgezeichnet wurde?17). Selbstverständlich ließen sich innertheoretische Gründe geltend machen, etwa der ungebrochene Einfluß eines ontologischen Krankheitsverständnisses, das zwangsläufig mit sich brachte, sprachliche Feindschemata zu verwenden. Aber die Karriere des ontologischen Krankheitsverständnisses in der europäischen Neuzeit ging mit der des Militärs nur einher. Insofern posierten Ärzte in der Cholerazeit, zumindest sprachlich, als Militärs. Sie reklamierten sprachlich-rhetorisch jenen gesellschaftlichen Verfügungsanspruch, den das Militär bereits für sich verwirklicht hatte. Was das Selbstverständnis von Ärzten und Medizinern betraf, stärkte das die berufliche Identität nach innen. Nach außen, im Wechselspiel der Institutionen, wurde der Status quo der im Vormärz weiter voranschreitenden Militarisierung der Gesellschaft nicht angetastet. Die Ärzte stellten sich in ihren Sog. Mitunter erschien es sogar, als wären gerade Mediziner seine entscheidenden Statthalter. Würden sich in Zukunft nicht mehr Kriege, sondern Krankheiten als Hauptfeinde der Gesellschaft erweisen, wären sie die ausschließlichen Protagonisten ihres Schutzes. Sie hätten im Rahmen institutioneller Geflechte den entscheidenden Einfluß. Die Übernahme militärischer Muster war einerseits Mimesis. Andererseits wirkte sie als erfolgversprechende Mimikry mit Zukunftsoption.

4.5. Bakteriologische Einheitsfront a) Wohltäter der leidenden Menschheit? Bedeutsames ist über den Film „Robert Koch - Bekämpfer des Todes" von 1939 geschrieben worden. Der Aufstieg Kochs gegen alle Widerstände würde den Hitlers versinnbildlichen, die Karriere der Bakteriologie wäre mit der des Nationalsozialismus in Parallele gesetzt. Der Film, der Goebbels in Begeisterung versetzte und alle wichtigen Preise auf der Skala der Nationalsozialisten erlangte - u.a. zählte er zu den dreißig nationalsozialistischen Filmen mit dem Prädikat „staatspolitisch besonders wertvoll" - , wäre ein Beispiel raffinierter Demagogie218. Der eigentliche Skandal jedoch: Der Film hätte, so wie er ist, auch in der Weimarer Zeit oder in beiden deutschen Nachkriegsstaaten produziert werden können. Hätte? Die Drehbuchvorlage Hellmuth Ungers hatte als Roman schon 1929 limitierten Bestsellerstatus, die nächsten, in eine nationalsozialistische Lesart gebrachten Fassungen erlangten ihn erst recht, die bislang letzten, wiederum neu bearbeiteten Ausgaben erschienen 1948

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Vgl.: Claudia Huerkamp, Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahiiundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten. Das Beispiel Preußens, Göttingen 1985. Vgl.: Ulrike Reim, Probleme filmischer Darstellung medizinhistorischer Sachverhalte am Beispiel des Robert-Koch-Films, München 1989; dies.; Der „Robert-Koch"-Film (1939) von Hans Steinhoff. Kunst oder Propaganda?, in: Medizin im Spielfilm des Nationalsozialismus, hrsg. v. Udo BenzenhöferAVolfgang U. Eckart, Tecklenburg 1990, S. 22-33.

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bzw. 1961. Darüber hinaus kam der Film in der Nachkriegs-Bundesrepublik wieder zum Einsatz219. In der DDR verfaßte der umtriebige Wissenschaftsromancier Wolfgang Genschorek 1975 ein ähnliches hagiographisches Machwerk, das von Auflage zu Auflage das Hohelied des Wissenschaftsheroen sang. Wie sich der Film von 1939 schon in eine wissenschaftsgeschichtliche Legende stellte, so all die unzähligen Nachkriegsprodukte - Biographien, Broschüren, Lehrhefte, Zeitungsartikel, offizielle Würdigungen. Die vorläufig einzige ernstzunehmende Koch-Biographie stammt bezeichnenderweise von einem Amerikaner220. Erst in den letzten Jahren legte sich die kollektive Benebelung, und der Blick wurde frei für kritische Analysen. Dabei zeigte sich: Koch hatte nicht gegen einen schier unüberwindbaren Berg von Widerständen anzukämpfen. Umgekehrt - die Wege wurden ihm, zumindest nach seinem Eintritt in Kaiserliche Gesundheitsamt, geebnet. Wissenschaftspolitisch erlangte er alle erdenkliche Hilfe seitens der preußischen Behörden, besonders des Kultusministeriums, denen besonders im Wettlauf mit Frankreich an prestigeträchtigen Erfolgen der Bakteriologie gelegen war 221 . Mehr noch: Als Koch um 1900 zunehmend in Bedrängnisse geriet, suchte er karrierebewußt die Unterstützung derjenigen Institution, der im Kaiserreich nichts unmöglich schien und die ihm seine Vorzugsstellung innerhalb der preußischen Wissenschaftslandschaft erneut sichern sollte: des Militärs. Kochs Schlieffen-Plan, die auf seine gezielte Initiative erfolgende medizinisch-bakterielle Assanierung der künftigen Aufmarschgebiete gegen Luxemburg, Belgien und Frankreich,

219 Vgl.: Klaus Kanzog, „Staatspolitisch besonders wertvoll". Ein Handbuch zu 30 deutschen Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945, München 1994, S. 194-202, hier: S. 195, 202. Zur Aufnahme des Romans in der nationalsozialistischen Literaturkritik: Sebastian Graeb-Könneker, Autochthone Modernität. Eine Untersuchung der vom Nationalsozialismus geförderten Literatur, Opladen 1996, S. 218ff., vgl. insgesamt: Claudia Sybille Kiessling, Dr. med. Hellmuth Unger (1891-1950). Dichterarzt und ärztlicher Pressepolitiker in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, Husum 1999, S. 70ff. 220 Vgl.: Thomas D. Brock, Robert Koch. A Life in Medicine and Bacteriology, Madison 1988. Einen Einblick in die gängige Koch-Hagiographie gewähren: Hanspeter Mochmann/ Werner Köhler, Robert-Koch-Bibliographie 1865-1980, in: DDR-Medizin-Report, 10 (1981), S. 959-1015; Ehrentraut Holz, Robert Koch (1843-1910). Auswahlbibliographie [von Sekundärliteratur], Berlin 1984 (Schriftenreihe der Universitätsbibliothek Berlin, Nr. 46); Dagmar Kühnen, Urteile über das Werk und die Leistungen Robert Kochs (1843-1910). Analyse und Kritik der wissenschaftlichen Wertungsversuche im Zeitraum 1880-1910, Med. Diss. Berlin 1987. Letztere Arbeit macht es sich zur Aufgabe, das Nachlassen der Koch-Apotheose zu brandmarken. 221 Vgl.: Wolfgang U. Eckart, Friedrich Althoff und die Medizin, in: Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das „System Althoff' in historischer Perspektive, hrsg. v. Bernhard vom Brocke, Hildesheim 1991, S. 375-404, hier: S. 388ff.; Christoph Gradmann, Ein Fehlschlag und seine Folgen: Robert Kochs Tuberkulin und die Gründung des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin 1891, in: Strategien der Kausalität. Konzepte der Krankheitsverursachung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Christoph Gradmann/Thomas Schlich, Pfaffenweiler 1999, S. 29-52, hier: S. 38ff.

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wird später noch behandelt. Vorerst ist zu betonen, daß auch Medizin keine rein dem Wohl der Menschheit verpflichtete Theorie und Praxis ist. Sie ist nicht mehr als ein soziales Subsystem und damit eingebettet in das jeweilige Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie dient Individuen und Staatszwecken gleichermaßen, nicht zuletzt militärischen. Wider die Dominanz gesellschaftlicher Verhältnisse, kann sie, paradoxer Aufschwung des Teils über das Ganze, sie sogar mitunter diktieren. In jedem Fall gilt: Mediziner sind keine von allen Trübungen der Zeiten unabhängige Wohltäter der leidenden Menschheit. Sie bilden einen Stand unter anderen Ständen, agieren in Beziehungsgeflechten, sind in Theorie, Praxis und Habitus ihrer Epoche verpflichtet bzw. können, im kulturellen Wechselspiel, selbst zu exemplarischen Vorreitern werden und das Signum einer Zeit entscheidend prägen. An diese komplizierte Gemengelage ist zu erinnern, um in der Frage nach dem Standort der Bakteriologie weder hagiographischen Verklärungen aufzuliegen noch vorschnell den Stab über diesen medizinischen Zweig zu brechen und mit moralisierendem Ressentiment nur in das affektbeladene Gegenteil zu kippen. Es muß schlicht darum gehen, ihre damalige - und gegebenenfalls heutige - Bedeutung zu verstehen. Die Bakteriologie folgte einem bestimmten historisch situierten Körper- und Infektionsmodell. Es basierte auf einem solidarpathologischen Konzept der Ausdifferenzierung, Individualisierung und Isolierung von Körperfunktionen bzw. Organen einerseits und der spezifizierenden Scheidung von jeweiligen Krankheiten bzw. Krankheitstypen andererseits. Das erfolgte vor dem Hintergrund eines ontologischen Krankheitsverständnisses. Es sonderte einschränkungslos Kranke und Krankheit, Subjekt und Umwelt: Krankheit befällt den Kranken. Medizin folgte sowohl theoretischen Leitvorstellungen, als auch bestimmten sozialen Praktiken. Darauf gründete sich ihre Evidenz und Akzeptanz. Nur mit Berücksichtigung dieses Wechselspiels wäre die Rolle der Bakteriologie im Kontext der militarisierten Gesellschaft des Kaiserreichs angemessen zu erfassen. Waren die Bilder von Krieg, Angriff und Verteidigung, durch die sich die Bakteriologie auszeichnete, lediglich eine Konzession an den Zeitgeist, nämlich an die zunehmende militärische Zurichtung des kaiserlichen Reiches, dienten sie somit allenfalls massenwirksamer Popularisierung? Waren sie der Bakteriologie und ihrem Körpermodell schlichtweg inhärent, die Basis, auf der das Modell sich theoretisch erst entfalten konnte? Hat gar - das wäre eine mögliche Konsequenz - das bakterielle Infektionsmodell zu einer bellizistischen Ausrichtung der Medizin und der Gesellschaft überhaupt geführt?

b) Feind im eigenen Land Wie bereits erwähnt, hat sich mit Susan Sontag die Auffassung eingebürgert, militärische Metaphern in der Medizin seien zuerst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in allgemeinen Gebrauch gekommen. Damit schien festzustehen, daß Ende des vorletzten Jahrhunderts, in der Ära des Imperialismus und der Bakteriologie, militärische Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster bestimmend waren. Zwar stieß diese Verallgemeinerung auf vorsichtige Vorbehalte. So betont eine kürzlich erschienene Arbeit, nur in der massenhaften und populären Verbreitung medizinischer Erkenntnisse habe sich, hauptsächlich aus Gründen der Anschaulichkeit, eine gewisse Milita-

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risierung des Krankheitsverständnisses ergeben222. Dem gegenüber steht allerdings die Ansicht, bei der Bakteriologie, zugespitzt in der Antikörperlehre Paul Ehrlichs und der Phagozytose-Lehre Elias Metschnikoffs - gemeinsam erhielten sie 1908 den Nobelpreis für Medizin - , handle es sich um die folgerichtige Anwendung sozialdarwinistischer Vorlagen auf das Gebiet der Epidemiologie223. Andere Autoren arbeiteten sogar heraus, daß diese Bildwelt weder darwinistisch geprägter metaphorischer Ornat war, noch innertheoretische Anleihe, sondern das Denkmodell, auf dessen Basis die Bakteriologie erst gegründet und ausgebaut werden konnte224. Als zwingende Konsequenz erscheint die These, daß durch das bakterielle Infektionsmodell eine generelle bellizistische Ausrichtung der Medizin und des sozialen Organismus überhaupt erfolgte225. Angesichts des komplexen Felds wäre darauf hinzuweisen, daß betreffende Rhetoriken schon weitaus früher in Gebrauch waren. Vor allem ist zu betonen, daß die Frage nach einer militärischen Ausrichtung der Medizin nur durch genaue Unterscheidung von äußerer rhetorischer Pose, verinnerlichtem ärztlichen Selbstverständnis, tatsächlichem Krankheits- und Therapiekonzept und praktisch-medizinpolitischer Einbettung zu klären ist. Bevor darauf, speziell auf Kochs Schlieffen-Plan, eingegangen wird, ist zu fragen, welcher besonderer kriegerischer Rhetorik Ärzte sich bedienten und in welchen spezifischen militärischen Posen sie sich übten. Denn das jeweilige rhetorische Bild der Cholera in der Medizin änderte sich entsprechend gängiger politischer Verbindlichkeiten. In den dreißiger Jahren war das Dispositiv des einbrechenden äußeren, vor allem orientalischen oder asiatischen Feindes, verbreitet. Mit einer Mischung aus eurozentrischer Aufklärungsarroganz und der Unfähigkeit, sich gesellschaftliche und gesundheitliche Krisen als ureigene Resultate von Gesellschaft vorzustellen, wurden sie in der Regel einem imaginären „Außen" angelastet. Das war auch der wesentliche Topos des politischen Herrschaftsdiskurses. Er manifestierte sich in einer nicht enden wollenden Kette von Verschwörungstheorien. Nur auf fremde Aufrührer, Spione, Agenten und Instigateure würden Rebellionen zurückzu-

222 Vgl.: Christoph Gradmann, „Auf Collegen, zum fröhlichen Krieg". Popularisierte Bakteriologie im Wilhelminischen Zeitalter, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 13 (1995), S. 35-53, hier: S. 44. Diese zu kurz greifende These ist durch die Einbettung der bakteriologischen Sprache in das komplizierte Wechselspiel von Wissenschaft und Politik erweitert worden, vgl.: ders., Bazillen, Krankheit und Krieg. Bakteriologie und politische Sprache im deutschen Kaiserreich, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 19 (1996), S. 81-94; ders., Invisible Enemies. Bacteriology and the Language of Politics in Imperial Germany, in: Science in Context, 13 (2000), S. 9-30. 223 Vgl.: Georges Canguilhem, Macht und Grenzen der Rationalität in der Medizin, in: ders., Grenzen medizinischer Rationalität. Historisch-epistemologische Untersuchungen, hrsg. v. Gerd Hermann, Tübingen 1989, S. 41-68, hier: S. 47f. 224 Cecil Helman, Das Aufkommen des Bakterizismus, in: dies., Körpermythen. Werwolf, Medusa und das radiologische Auge, München 1991, S. 45-68, hier: S. 50ff. 225 Vgl.: Peter Friedrich/Wolfgang Tietze, Einbruch der Epidemie, Vernetzung des Untergrunds: Cholera und Typhus als Psychosemodell des modernen Massenstaates, in: kultuRRevolution, H. 29 (1994), S. 20-30, hier: S. 21. Zu den bellizistischen Metaphoriken in Frankreich vgl.: Bruno Latour, The Pasteurization of France (1984), Cambridge, London 1993, S. 3ff.

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führen sein - so der preußische König während der Choleraunruhen 1831, so sein ihm nachfolgender Sohn während der 48er Revolution226. Spätestens mit dieser Revolution richtete sich der politische Argwohn in Deutschland aber nach innen. Seuchen wurden nicht mehr ausschließlich als einbrechender asiatischer Feind verortet. Die europäische Gesellschaft selbst brachte die Übel hervor, die sie plagten. In ihren eigenen Poren wären sie auszumachen. Seit der Zeit ging es nicht mehr um offene Feldschlachten, sondern um subtilere militärische Strategien. Der Gegner wurde nicht zuletzt als innerer identifiziert: „Die Cholera entwickelte förmliche Strassenkämpfe und machte in diesen wieder besonders heftige Angriffe auf einzelne Häusergruppen"227. Einige Jahre später, im Jahr 1854, schien endgültig festzustehen: „Nicht an des Landes Grenzen, zu Hause will die Cholera bekämpft sein! Nicht in grossen Schlachten ist sie zu überwältigen, - der kleine Vertilgungs-Krieg will gegen sie geführt sein"228. Hier war, so hat es den Anschein, kurz nach den sogenannten Kölner KommunistenProzessen, das Bakterium, das heimtückische, von innen zersetzende Etwas, gedanklich bereits ausgemacht. Der Feind stand im eigenen Land. In der Ära der Bismarckschen Sozialistengesetze und danach, während des Kampfes gegen vermeintliche innere konspirative Gegner bei weitgehender außenpolitischer Zurückhaltung, war es nur natürlich, die Cholera zu heimtückischen und agil von innen operierenden Stoßtrupps zu individualisieren. Schließlich bekräftigten selbst hochrangige Militärs zu dieser Zeit, die Reichsarmee habe hauptsächlich gegen „interne Feinde" zu kämpfen229. Erst mit dem Fall des nach innen gerichteten Sozialistengesetzes und dem gleichzeitigen Fall des außenpolitischen Vermittlers Bismarck begann die Phase imperialer Aggressivität nach außen. Der konservative Adelsmilitarismus, der die Armee hauptsächlich als entscheidendes Bollwerk zur Verteidigung des traditionellen Privilegiensystems und vor allem als innenpolitisches Machtinstrument

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König Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Alexandra Feodorowna, 9. Juli 1831 sowie 4. August 1831, in: Paul Bailleu, Aus dem letzten Jahrzehnt Friedrich-Wilhelms III. Briefe des Königs an seine Tochter Charlotte, Kaiserin von Rußland, in: Hohenzollern-Jahrbuch, 20 (1916), 5. 147-173, hier: S. 156, 158; Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, An meine lieben Berliner (19. März 1848), in: Die Deutsche Revolution 1848/49 in Augenzeugenberichten, hrsg. v. Hans Jessen, München 1973, S. 87ff., hier: S. 88. Vgl. dazu: Katharina Rosenplenter, Eine Rotte von Bösewichtern. Ausländische Agitatoren als Anführer der Berliner Märzunruhen?, in: BerlinForschungen III, hrsg. v. Wolfgang Ribbe, Berlin 1988, S. 43-51; Ilja Mieck, Ausländer und Immigranten in Berlin 1848, in: Paris und Berlin in der Revolution 1848, hrsg. v. Ilja Mieck/ Horst Möller/Jürgen Voss, Sigmaringen 1995, S. 215-228, hier: S. 218ff. 227 Dr. Marquard Wintrich, Die Cholera, beobachtet in der Neuzeit in Berlin, Leipzig und nordwärts. Nebst einem Anhang über galvanische Bäder in der Epidemie, Augsburg 1850, S. 48. 228 Dr. Franz Brefeld, Die endliche Austilgung der asiatischen Cholera, Breslau 1854, S. 61. 229 General v. Waldersee an Kriegsminister v. Gossler, [Geheime Denkschrift, 1892], zit. nach: Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, 3. Aufl. Göttingen 1977, S. 159. Zu dieser militärischen Orientierung nach innen vgl. insgesamt: Bernd F. Schulte, Europäische Krise und Erster Weltkrieg. Beiträge zur Militärpolitik des Kaiserreichs, 1871-1914, Frankfurt/M., Bern 1983, S. 74ff., 11 Iff.; Ulrich Bröckling, Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997, S. 129ff.

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angesehen hatte, wurde verdrängt. Erst damit gewann ab 1890 ein nationalistischer und aggressiver, der Tendenz nach moderner, bürgerlicher Militarismus die Oberhand230, und das Kaiserreich wurde zum „Vaterland der Feinde" (Jeismann). Nicht zufällig spiegelte eine Aufklärungsbroschüre 1892 gleich in ihrem ersten Satz den Zweifrontenkrieg gegen die Entete-Mächte - 1894 wurde der russisch-französische Zweibund endgültig besiegelt - und gegen die Cholera ineinander: „Noch ist die Cholera nicht in unser Reich eingedrungen, obwohl dieselbe in dem benachbarten Rußland und Frankreich festen Fuß gefaßt hat. Von Gefahr umgeben, steht keineswegs fest, daß wir von dieser verheerenden Seuche verschont bleiben werden"231. Woher die neue Aggressivität, stellte sich Wissenschaft bewußt in den Dienst einer höheren Sache oder bediente sie sich berechnend einer Ideologie? Es hieße die Mechanismen von Theoriebildung zu vereinfachen, anhand dieser Belege ideologische Folgsamkeit attestieren zu wollen. Hier wurde kein außenpolitischer Schwenk mitvollzogen. Wissenschaft gab hier jenem kollektiven Unbewußten, das unter anderem von Ideologie, Politik und Militär geprägt wird, einen bezeichnenden metaphorischen Ausdruck. Die betonte außenpolitisch-militärische Aggressivität seit 1890, die alle kulturellen Sphären durchdrang, schrieb sich auch der Wissenschaft ein. Erst recht prägte sie einen Zweig, der aufgrund seines spezifischen Körper- und Krankheitsmodells besonders in diesem Klima gedieh. Insofern hatte der Siegeszug militärischer medizinischer Metaphorik verschiedene Gründe: Erstens folgte er einem modernen subjektzentrierten Körpermodell, das ein nach außen umpanzertes Selbst umschloß. Dem entsprach ein ontologisches Krankheitsmodell - Krankheit bzw. Infektion seien etwas von außen Angreifendes - , das zu einem Freund-Feind-Schema gleichfalls disponierte. Zweitens war eine solche Sprache eine Mimesis der Aufsteigerinstitution der Moderne, des Militärs, um es gegebenenfalls rhetorisch und praktisch zu übertreffen. Drittens gingen, Leistung und Fehlleistung eines wissenschaftlichen Unterbewußten, sozialkulturelle Präferenzen in Metaphorik zwangsläufig ein. Vorerst aber, und das war die Haupttendenz der Bakteriologie - und nicht nur der Bakteriologie, sondern auch der Zellularpathologie232 - , schlossen sich Mediziner und Ärzte in

230 Vgl.: Hartmut John, Das Reserveoffizierskorps im Deutschen Kaiserreich 1890-1914. Ein sozialgeschichtlicher Beitrag zur Untersuchung der gesellschaftlichen Militarisierung im Wilhelminischen Deutschland, Frankfurt/M., New York 1981, S. 24f.; Stig Förster, Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-quo-Sicherung und Aggression 1890-1913, Stuttgart 1985; ders., Alter und neuer Militarismus im Kaiserreich. Heeresrüstung und politische Dispositionen zum Kriege zwischen Status-quo-Sicherung und imperialistischer Expansion, 1890-1913, in: Bereit zum Krieg. Kriegsmentalität im wilhelminischen Deutschland 1890-1914, hrsg. v. Jost Düffer/Karl Holl, Göttingen 1986, S. 122-145, hier: S. 122ff. Vgl. jetzt: Benjamin Ziemann, Sozialmilitarismus und militärische Sozialisation im deutschen Kaiserreich 1870-1914, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 53 (2002), S. 148-164. 231

[Anonym], Gegen die asiatische Cholera. Gemeinnützige Schrift für das deutsche Volk [...], Berlin 1892, S. 1. 232 Vgl.: Rud. Virchow, Der Kampf der Zellen und der Bakterien, in: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin, 101 (1885), S. 1-13, vgl. dazu: Paul Weindling, Theories of the Cell State in Imperial Germany, in: Biology, Medicine and Society

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den siebziger und achtziger Jahren der Kehre nach Innen an, dem Kampf gegen interne subversive Kräfte. Als Hauptziel galt die „Unterdrückung der Cholera im Inlande" - gerade wegen ihres „brutalen Auftretens" 233 . Mediziner richteten sich gezielt gegen den neuen, internen Feind, der sich konspirationsartig „an die Ferse des Menschen heftet". Es galt nicht mehr, militärisch gegen einen äußeren Feind vorzugehen, sondern hauptsächlich mit „Ermittlungsarbeiten" gegen einen inneren234: Der epidemisch geschulte Arzt gleicht in solchem Falle einem Kriminalkommissar. Wie dieser hat er alle, auch geringfügig erscheinende Vorkommnisse zu beachten und die mit dem Falle in Berührung stehenden Personen auszuforschen. Sie wissen, daß es keineswegs leicht ist, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Oft werden gewisse Dinge hartnäckig verschwiegen oder in entstellter Form vorgebracht.235 Insbesondere sei eine präventive „Beobachtung kranker und verdächtiger Personen" erforderlich, ebenso die „Meldepflicht zureisender Personen". Allein das könnte es ermöglichen, den gefährlichen Bakterien, die wie „einzelne Individuen" operieren236, zu begegnen, d.h. die Bazillen, jedes ein „extremer Individualist" und „Anarchist", das mit Dynamit den ganzen Körperverband in die Luft sprengen wolle, erfolgreich auszuschalten237. Die Semantiken äußerer und innerer Feinde überschnitten sich. Es erfolgte eine reziproke Durchdringung, zwischen den Diskursfeldern ergaben sich Transaktionen. Imaginierte Bedrohungen wanderten zwischen Außen und Innen, changierten. Klar hingegen war ihre Stoßrichtung. Sie drohten Reich, Volk, Nation zu untergraben. Dem aber wehrte die Medizin, allein rhetorisch-metaphorisch. Ihre rhetorischen Befleißigungen dienten erneut dazu, den medizinischen Stand als wahren Statthalter einer störungsfreien Gesellschaft zu installieren. Es läge in Zukunft allein in seiner Hand, sie vor innerer anarchistischer Zersetzung wie äußerer kriegerischer Aggression zu bewahren. So verwies auch Robert Koch nicht nur

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1840-1940, ed. by Charles Webster, Cambridge 1981, S. 99-155; Wolfgang U. Eckart, Rudolf Virchows „Zellenstaat" zwischen Biologie und Soziallehre, in: Die Geheimnisse der Gesundheit. Medizin zwischen Heilkunde und Heiltechnik, hrsg. v. Peter Kemper, Frankfurt/M., Leipzig 1994, S. 239-255; vgl. zum Vorfeld: Renato G. Mazzolini, Politisch-biologische Analogien im Frühwerk Rudolf Virchows, Marburg 1988. Dr. R. J. Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte. Vorträge und bakteriologisches Praktikum, Berlin 1893, S. 188; Dr. C. Flügge, Grundriss der Hygiene. Für Studirende und praktische Ärzte, Medicinal- und Verwaltungsbeamte, Leipzig 1889, S. 12. Zu diesem Muster vgl.: Olaf Briese, Defensive, Offensive, Straßenkampf. Die Rolle von Medizin und Militär am Beispiel der Cholera in Preußen, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 16 (1997), S. 9-31, hier: S. 27ff. Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte, S. 124; Robert Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose (1882), in: Gesammelte Werke, hrsg. v. Prof. Dr. J. Schwalbe, Leipzig 1912, Bd. 1, S. 428-445, hier: S. 428. Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte, S. 166. Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte, S. 184, 74. Wilhelm Bölsche, Bazillus-Gedanken, in: ders., Vom Bazillus zum Affenmenschen. Naturwissenschaftliche Plaudereien (1900), 2. Aufl. Leipzig 1903, S. 3-42, hier: S. 5, 39.

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auf einen äußeren Aggressor Cholera, sondern auf die inneren „vielverschlungenen Netze", auf welchen die Cholera ihre Ausbreitung finde. Er bekräftigte, daß es darauf ankomme, nicht nur in internationalem Kontext zu denken, hingegen vor allem darauf, die Epidemie „im Inlande auszurotten"238. Damit im Einklang forderte er, die Spuren der Cholera, die „sich nicht selten der sorgfältigen Nachforschung zu entziehen vermögen" und die sich „unbemerkt von einem Ort zum andern" ziehen, unnachgiebig zu verfolgen: Hätte man in Hamburg nicht in so nachdrücklicher Weise die Cholera bis in ihre äußersten Schlupfwinkel verfolgt und jede auffindbare Spur des Infektionsstoffes unschädlich gemacht, dann wäre es nach meiner Überzeugung gewiß nicht gelungen, des über die Stadt in so massenhafter Weise ausgebreiteten Zündstoffes Herr zu werden.239

Schon in seinen ersten bakteriologischen Arbeiten hatte er die nun möglich gewordene „Kontrolle" von Erregern durch das Mikroskop und Nährböden gewürdigt, ihre „fortwährende Kontrolle" gerühmt, erklärt, ihren Werdegang anhaltend „zu kontrollieren"240. Der Weg zur metonymischen Verschiebung von domestizierten Naturobjekten zu domestizierbaren und dirigierbaren Sozialobjekten - den „Bazillen der Begehrlichkeit, der Auflehnung, des Nörglertums, des Unglaubens, der Vaterlandslosigkeit, kurz, der Demokratie", wie es 1908 sarkastisch hieß241 - war damit geradezu vorgezeichnet. Rund vierzig Jahre später stützten sich „Litera Tertii Imperii", Ausrottungs terminologie, und „Desinfectio Tertii Imperii", Ausrottungs technologie, auf ein durch die Bakteriologie vorgezeichnetes imaginatives und materiell-technisches Vorfeld242. Kritiker versuchten, das Bild heimtückischer bakterieller „Attentäter" zu hinterfragen. Ihr Widerstand gegen das „Fahnden nach Mikroorganismen" und diese „Bacillentödter"243 war jedoch, im Ganzen gesehen, erfolglos. Den rasanten Einfluß des Bakteriozismus auf alle Bereiche des sozialen Lebens vermochten sie nicht zu stoppen. Er gewann seinen Schwung und seine überwältigende Akzeptanz in einer Zeit, in der Reichsbehörden Angst vor innerer,

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Robert Koch, Über den augenblicklichen Stand der bakteriologischen Choleradiagnose (1893), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 167-180, hier: S. 168; ders., Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera (1894), in: ebenda, S. 262-266, hier: S. 266. Robert Koch, Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892/1893 (1893), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 207-261, hier: S. 217. Robert Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen (1881), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 112-163, hier: S. 141, 145, 138. Eduard Goldbeck, Die Bazillenkutsche, in: ders., Die Bazillenkutsche, Berlin [1908], S. 7-11, hier: S. 10. Zu dieser facettenreichen Relation vgl.: Ulrich Koppitz/Wolfgang Woelk, Die Desinfektionsmaschinerie, in: Paedagogica Histórica, 23 (1997), S. 833-860; Hans Blumenberg, Infektion als absolute Metapher, in: ders., Begriffe in Geschichten, Frankfurt/M. 1998, S. 93-95. Der Choleralärm in Europa 1884. Ein Wort an Jedermann aus Wissenschaft und Erfahrung. Historisch-hygienische Studie [...]. Von einem erfahrenen Arzte, Hannover 1884, S. 59; C. Sigmund, Cholera, Pest und Gelbfieber vor den jüngsten internationalen Sanitätskonferenzen, in: Wiener Klinik, 8 (1882), S. 107-146, hier: S. 111; Dr. Kreimann, Ursache, Verbreitung, und Bekämpfung der Cholera, Hamburg 1893, S. 141.

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anarchistisch-kommunistischer Zersetzung, kombiniert mit der vor äußerer Bedrohung, geradezu phobisch schürten. Anarchisten, Umstürzler, Attentäter: aus den Poren, Fasern und Zellen der eigenen Gesellschaft, als „Bacillen des socialen Körpers", wie eine Programmschrift von 1883 sie schon im Titel benannte, würden sie ihren Körper infiltrieren244. Das war das Klima, in dem in Deutschland und Frankreich Bakteriologie bzw. Mikrobiologie ihren Siegeszug antraten. Mikroorganismen waren längst entdeckt. Die Wissenschaft hatte ihre Leistungen gebracht, und neue folgten. Es bedurfte nur des entsprechenden Nährbodens, um das, was medizinische Entdeckungen waren, in den Rang sozialer Leitmodelle zu erheben. Wie die Erfordernisse der Zeit sich auf die Bakteriologie zubewegten, so diese auf jene: bakteriologisch-kriminologische Allianz.

c) Trauma von 1866 Bakteriologie und Mikrobiologie gewannen durch innenpolitische Konstituenten der siebziger und achtziger Jahre in Deutschland und Frankreich umfassende soziale AkzeptanzErste Relevanz hatten sie durch außenpolitische Konstellationen erlangt. Das Deutsche Reich wurde im Krieg gegen Österreich und Frankreich militärisch geschmiedet. Der Triumph aber barg ein latentes Trauma: das der militärischen Katastrophe durch epidemischen Super-GAU. Der Krieg gegen Österreich kam 1866 zum Erliegen, weil Menschenverluste durch Seuchen auf beiden Seiten die Kampfverluste bei weitem überstiegen. In Eile wurde ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Der spätere Erfolg gegen Frankreich hingegen beruhte nicht zuletzt auf sanitär-militärischen Erfolgen. Es hätte sie nicht geben müssen. Nur einem glücklichen Zufall - so Robert Koch - sei es zu verdanken gewesen, daß Cholera und Typhus dem Kriegsschauplatz 1870/71, d.h. der deutschen Seite, ferngeblieben seien245. Es ist lohnenswert, die Geschichte von Kriegen als die von Kriegsseuchen zu lesen. Dann wird man von Feldherrenkunst, Feldherrenglück und anderen üblichen heroisierenden Verklärungen deutlich Abstand gewinnen. Selbst administrative oder technische Innovationen sind nicht immer kriegsentscheidend. Seuchen machen Geschichte, auch Militär- und Kriegsgeschichte. Sie sind einerseits Trabanten des Kriegs, andererseits nicht selten seine heimlichen Regenten. Insbesondere seit der Existenz stehender Heere in Zeiten des Absolutismus waren Epidemien konstitutive Faktoren des Kriegsausgangs. Der epidemische Faktor spielte zwar schon immer, und nicht erst im neuzeitlichen Europa, eine wesentliche Rolle man denke nur an die von Thukydides beschriebene Athener Pest. Aber erst mit dem Aufkommen von Massenarmeen und erst recht mit dem nationaler Großheere seit 1789 waren Epidemien jene Massenwirkung gegeben, die Kampfverlauf und Kriegsausgang entscheidend beeinflussen konnte. Die neue französische Streitmacht verlor bei den Kämpfen in Santo Domingo 1802 durch Gelbfieber und andere Tropenkrankheiten innerhalb weniger

244 Dr. Paul Haffner, Die Bacillen des socialen Körpers. Ein historisch-politischer Versuch, Frankfurt/M. und Luzem 1883 (Frankfurter zeitgemäße Broschüren. Neue Folge, Bd. VII, H. 1). 245 Vgl.: Robert Koch, Die Bekämpfung der Infectionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen (1888), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 276-289, hier: S. 277.

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Monate eine Streitmacht von 33.000 kampferprobten Soldaten bis fast auf den letzten Mann246. Der Typhus dezimierte die Napoleonische Armee bei ihrem Rußlandfeldzug 1812/15 derart, daß ihr Scheitern sogar allein darauf zurückgeführt wird247. Im Krimkrieg starben 1854/1856 zehnmal mehr britische Soldaten an der Ruhr als durch russische Waffen 248 . Knapp fünfzig Jahre später im Burenkrieg 1899/1902 fielen nach offiziellem Bericht fünfmal mehr Briten durch Seuchen als durch Feindeinwirkung 249 . Auch wenn solche Zahlenangaben immer unvollständig sind: Bis zur Jahrhundertwende waren Krankheiten ein viel bedrohlicherer Faktor für das Leben von Soldaten und Offiziere als Feinde selbst. Das gilt auch für die Cholera. Pandemie für Pandemie wurde sie nicht zuletzt durch militärische Auseinandersetzungen verbreitet, wobei das Militär selbst entscheidend betroffen war: Während des englischen Kolonialkriegs in Indien (1816), des russisch-persischen Krieges (1827), des russisch-polnischen Kriegs (1831) oder des englisch-chinesischen Opiumkriegs (1840). Gleichfalls während des Krimkriegs (1854-1856), des russisch-türkischen Kriegs (1877/78), und, nicht zuletzt: während des preußisch-österreichischen Kriegs (1866) 250 . In letzterem starben nach offiziellen Militärangaben, die wie immer eher als untertrieben anzusehen sind, in der gesamten preußischen Armee erheblich mehr Angehörige an der Cholera als auf den Schlachtfeldern durch Waffeneinwirkung 251 . Die Verluste sowie Tausende von Toten unter der Zivilbevölkerung und die Gefahr einer weiteren Seuchenausweitung im Land veranlaßten die kriegführenden Seiten zu dem schnellen Waffenstillstand von Nikolsburg:

246 Vgl.: McNeill, Seuchen machen Geschichte, S. 298. 247 Vgl.: R. S. Bray, Armies of Pestilence. The effects of pandemics on history, Cambridge 1996, S. 145ff.; Kenneth F. Kiple/Kriemhild Coneè Ornelas, Typhus, Ships and Soldiers, in: Plague, Pox & Pestilence. Disease in History, ed. by Kenneth F. Kiple, London 1997, S. 104-119, hier: S. 107. Zur Typhus-Katastrophe während der Napoleonischen Feldzüge: Karsten Dohm, Die Typhusepidemie in der Festung Torgau 1813-1814. Beschreibung und kritische Betrachtung nach zeitgenössischen Berichten, Düsseldorf 1987; Wolfram Kaiser, Das Heeressanitätswesen von 1813 und der Reilsche Bericht von der Völkerschlacht bei Leipzig, in: Johann Christian Reil (1759-1813) und seine Zeit, hrsg. v. Wolfram Kaiser/Arina Völker, Halle 1989, S. 63-71. 248 Zu Seuchen im Krimkrieg vgl.: McNeill, Seuchen machen Geschichte, S. 320; Frank Spahr, Die Ausbreitung der Cholera in der Britischen Rotte im Schwarzen Meer während des Krimkrieges im August 1854. Eine Auswertung von Schiffsjournalen der Royal Navy, Frankfurt/M., Bern, New York 1989; Pierre Huard/Marie-José Imbault-Huart, Geschichte der Militärmedizin, in: Illustrierte Geschichte der Medizin, Bd. 5, Erlangen 1992, S. 2869-2905, hier: S. 2879ff. 249 Vgl.: McNeill, Seuchen machen Geschichte, S. 320. 250 Vgl.: Dr. Otto Niedner, Die Kriegsepidemieen des 19. Jahrhunderts und ihre Bekämpfung, Berlin 1903, S. 3ff. 251 Vgl.: Friedrich-Wilhelm Eggert-Vockerodt, Das Militärsanitätswesen im späten Deutschen Bund. Das Bayerische Heersanitätswesen unter Einfluß der Reformen aus Preußen und Österreich in der Zeit 1848-1866, Neuried 1997, S. 94. Nach M. v. Reymond, Die Kriege von 1864 und 1866. Nach den Werken des österreichischen und preußischen Generalstabes bearbeitet, Wien, Berlin 1891, S. 553, starben 1866 auf preußischer Seite 6.427 Militärangehörige an Krankheiten, hauptsächlich an der Cholera, im Feld fielen 4.450.

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Die Pose der Sieger Zentnerschwer - so klagen die Berichte aus jener Zeit - lag seit Ende Juli das Gefühl auf der Armee: die Cholera ist da, der Tod, in seiner unheimlichsten Gestalt, geht um. Mit Kummer und Sorge erfüllte es die Offiziere, wenn sie auf dem Marsche plötzlich einen jener Tapfren, die den feindlichen Geschossen glücklich entgangen waren, von furchtbaren Krämpfen ergriffen zu Boden stürzen und in der Regel nach wenigen Stunden seinen Tod gemeldet sahen. [...] Die Krankheit stand Ende Juli, also in jenen Tagen, wo die Präliminarien abgeschlossen und ratificirt wurden, auf ihrer Höhe und es mag unsrerseits den Abschluß der Verhandlungen, unter dem Eindruck der Meldungen, die täglich eingingen, nach Möglichkeit beschleunigt worden sein.252

Das war keine Einzeleinschätzung. Von offiziell-militärischer Seite wurde erklärt: „Die asiatische Cholera verursachte im Jahre 1866 den in Böhmen kämpfenden Heeren große Verluste und gewann durch ihr Umsichgreifen unmittelbaren Einfluss auf die Entschlüsse der Staatsmänner und Truppenführer"253. Zwar wird in militärgeschichtlichen Spezialuntersuchungen nach wie vor davon ausgegangen, eine drohende Invasion Frankreichs oder außenpolitischer Druck Frankreichs, Rußlands und Englands habe Preußen nach dem Erfolg von Königgrätz zu den schnellen Waffenstillstandsverhandlungen bestimmt, bzw., Bismarck habe den Einfluß der erstarkenden Militärs brechen wollen254. Das sind nur weitere und aktuelle Beispiele dafür, wie in der Militärgeschichtsschreibung machtpolitische Strategiespiele ungern aufgegeben werden. Bismarck war für den schnellen Friedenskompromiß jedoch hauptsächlich deshalb eingetreten, weil „namentlich aber die Cholera in unserer Armee weitere Fortschritte machte" und somit ein jäher Umschwung des Kriegsverlaufs zu befürchten war: Die erschreckenden Zahlen befestigten meinen Entschluß, aus dem Eingehen auf die österreichischen Bedingungen die Kabinettsfrage zu machen. Ich befürchtete neben politischen Sorgen, daß bei Verlegung der Operationen nach Ungarn die mir bekannte Beschaffenheit dieses Landes die Krankheit schnell übermächtig machen würde. [...] Mir schwebte als warnendes Beispiel unser Feldzug von 1792 in der Champagne vor, wo wir nicht durch die Franzosen, sondern durch Ruhr zum Rückzug gezwungen wurden.255

252 Th. Fontane, Der deutsche Krieg von 1866. Mit Illustrationen von Ludwig Burger, Bd. 2, Berlin 1871, S. 307. 253 Entstehung, Verhütung und Bekämpfung des Typhus bei den im Felde stehenden Armeen. Bearbeitet von der Militär-Abteilung des Königlich-Preussischen Kriegsministeriums, Berlin 1900, S. 1. 254 Vgl.: Jürgen Angelow, Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht (1S15-1866), München 1996, S. 252; Geoffrey Wawro, The Austro-Prussian War. Austria's War with Prussia and Italy in 1866, Cambridge, New York, Melbourne 1997, S. 276; Michael Salewski, Preußischer Militarismus - Realität oder Mythos? Gedanken zu einem Phantom, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 53 (2001), S. 19-34, hier: S. 27f. 255 Bismarck. Gedanken und Erinnerungen. Ungekürzte Ausgabe, München, Berlin 1982, S. 302, 309, vgl. auch: Bismarcks Denkschrift für König Wilhelm I. vom 24. Juli 1866, in: Heinrich von Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Vornehmlich nach den preußischen Staatsacten, Bd. 5, 3. Aufl. München, Berlin 1913, S. 225.

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Der Friede wurde geschlossen und das Heer vor einer noch größeren epidemischen Katastrophe bewahrt. Im darauffolgenden Krieg von 1870/71 hatten zwar Cholera und Typhus weniger gewütet, als zu erwarten gewesen war. Koch sprach, wie erwähnt, von einem glücklichen Zufall. Seine medizinischen Widersacher aus der Pettenkofer-Schule führten hingegen eine kurzzeitig günstige Klimakonstitution an256. Dafür waren aber die Pocken, 23.400 Tote allein bei den französischen Truppen, nunmehr ein gravierender Kriegsfaktor. Letztlich hatte dieses warnende Desaster, zumal die Pocken unter der deutschen Zivilbevölkerung anschließend verheerend wirkten, das Reichsimpfgesetz von 1874 mit seiner Pokkenimpfpflicht zur Folge 257 . Die Faktenkaskade verdeutlicht: Epidemische Einflüsse erschütterten die wirtschaftliche, politische, soziale Stabilität eines jeden Landes nach innen. Darüber hinaus, im Konzert der sich formierenden europäischen Nationalstaaten, bedrohten sie ihren äußeren Bestand. Sie gefährdeten Militär wie Gesellschaft in Friedens- und Kriegszeiten, waren ein wesentlicher Faktor sozialer und militärischer Leistungsfähigkeit. Von daher war es keineswegs überraschend, daß Mediziner, wie beispielsweise Koch, ihre medizinische Kompetenz ausdrücklich auf militärische Belange ausrichteten. Ebensowenig überrascht, daß Militärs die Offerten annahmen und diesem Gebiet verstärkt Aufmerksamkeit widmeten. Seuchenschutz wurde militärischer Gegenstand. Er wurde ein Faktor, von dem die Existenz bzw. Effizienz des Militärs selbst abhing. Bis zur Jahrhundertwende galt das vor allem für Cholera. Das Fazit eines preußischen Militärmediziners von 1903 lautete demgemäß: Es werde zweckmäßig sein, bei Erwägung der Kriegschance vor Beginn des Krieges die drohende Choleragefahr als einen zweiten, dem eigentlichen Gegner mindestens gleichwerthigen Feind in Anschlag zu bringen, und demgemäss, wenn der Krieg unvermeidlich, gegen die Seuche mit demselben Nachdruck zu Felde zu ziehen, wie gegen den sichtbaren und vielleicht weniger gefährlichen Feind!258

256 Vgl.: Friedrich Wolter, Die Enstehungsursachen von Kriegsseuchen, ihre Verhütung und Bekämpfung auf Grund der Kriegserfahrungen von 1870/71, München 1914, S. 32ff. 257 Vgl.: Klaus Richter, Seuchenbekämpfung und Expansionspolitik des preußisch-deutschen Militarismus zu Ausgang des 19. Jahrhunderts, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Mathematisch-naturwissenschaftliche Reihe, 23 (1974), H. 4, S. 50-55; Oskar Matzel, Die Pocken im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, Düsseldorf 1977; Allan Mitchell, Bürgerlicher Liberalismus und die Volksgesundheit im deutschfranzösischen Vergleich, 1870-1914, in: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, hrsg. v. Jürgen Kocka, Bd. 3, München 1988, S. 395^17, hier: S. 408ff.; Andreas-Holger Maehle, Präventivmedizin als wissenschaftliches und gesellschaftliches Problem: Der Streit über das Reichsimpfgesetz von 1874, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte, 9 (1990), S. 127-148; Peter Hennock, Vaccination policy against smallpox, 1835-1914: A comparison of England with Prussia and Imperial Germany, in: Social History of Medicine, 11 (1998), S. 49-71; Matthew Smallman-Raynor/Andrew D. Cliff, The Geographical Transmission of Smallpox in the Franco-Prussian War [...], in: Medical History, 46 (2002), S. 241-264. 258 Niedner, Die Kriegsepidemieen des 19. Jahrhunderts, S. 29.

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Das illustriert das Interesse, das Militärs der Bakteriologie, aber auch der neuen Disziplin Hygiene, entgegenbrachten 259 . Von Anfang an erfuhr die Bakteriologie, in einem militarisierten Staatsgebilde, gezielte militärische Förderung. In ihrer wissenschaftspolitischen Wertigkeit verdrängte sie sogar die Hygiene. Sie ließ sich gegen die liberalen bzw. demokratischen Tendenzen, die mit Hygiene und sozialer Hygiene verknüpft waren, ausspielen. Sie war eine rein technokratische Disziplin, die ihr Schwergewicht nicht auf vorsorgliches Sozialengagement setzte, sondern auf eine medizinische Elite. Ihre Forderungen setzte sie mittels staatlicher Macht von oben und gegebenenfalls gegen die Glieder der Gesellschaft durch - gegen die potentiellen Keimträger, die durch hygienische Sorgfalt allein nicht auszuschalten wären. Koch war damit ein wirksamer wissenschaftlicher und politischer Gegenpol gegen die liberale soziale Hygiene, etwa aus der Richtung Pettenkofers. Hygiene, speziell die Sozialhygiene (so der spätere Terminus Alfred Grotjahns, Adolf Gottsteins und anderer260), geriet damit ins Hintertreffen. Die Disziplin reagierte auf eine solche Herausforderung jedoch auf ihre Weise, indem sie sich um 1890 als Rassenhygiene neu erfand.

d) Kochs Schlieffen-Plan Um das bisherige knapp zusammenzufassen: Der neuzeitliche Aufstieg des Militärs führte zu bellizistischem Vorgehen gegen Seuchen - Kordons und Kanonen. Medizin, die aufsteigende Wissenschaft, partizipierte mit militanten militärischen Rhetoriken an diesem Erfolg. Das geschah nicht zuletzt auf Basis eines ontologischen Krankheitsmodells, das, Trennung von Krankheit und Körper, per se dazu disponierte. Insgesamt waren diese Rhetoriken mimetisch. Sollten Seuchen das Problem Nummer Eins von Gesellschaft werden, wären Bakteriologen, verbündet mit dem Militär, ihre eigentlichen Regenten. Ein solcher Ernstfall war in der Ära der Bakteriologie fraglos gegeben. Die Gesellschaft war in Krieg und Frieden weiterhin einschneidend von Seuchen bedroht. Nicht zuletzt das Militär war in seinem Bestand gefährdet. Es bedurfte der Bakteriologie. Wie Zeitzeugen hervorheben, kam Koch diesem Bedürfnis in entscheidender Weise entgegen: Kein geringerer, als der spätere Generalstabsarzt der Armee v. Coler war es gewesen, der frühzeitig die große Bedeutung dieses Mannes erkannte. Militärärzte der Armee, Marine und Schutztruppen waren schon in der ersten Zeit hier in Berlin seine Mitarbeiter gewesen und

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Vgl.: Susanne Hahn, Militärische Einflüsse auf die Entwicklung der Schulhygiene im Kaiserlichen Deutschland, 1871-1918, in: Medizin für den Staat-Medizin für den Krieg. Aspekte zwischen 1914 und 1945, hrsg. v. Rolf Winau/Heinz Müller-Dietz, Husum 1994, S. 18-35; dies., Die Schulhygiene zwischen naturwissenschaftlicher Erkenntnis, sozialer Verantwortung und „vaterländischem Dienst". Das Beispiel der Myopie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Medizinhistorisches Journal, 29 (1994), S. 23-38. 260 Vgl.: Alfons Labisch, Homo hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt/M. 1992, S. 164ff.; Adolf Gottstein. Erlebnisse und Erkenntnisse. Nachlass 1939/40. Autobiographische und biographische Materialien, hrsg. v. Ulrich Koppitz/Alfons Labisch, Berlin, New York 1999.

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blieben es in der Folge. [...] Männer wie v. Behring, Fischer, Gaffky, Gärtner, Kirchner, Löffler, Nocht, Pfeiffer, Uhlenhuth, Wernicke u.a., sämtlich frühere Militärärzte und Assistenten Kochs, befinden sich in hervorragenden wissenschaftlichen oder amtlichen Stellen. Mit den Generalstabsärzten der Armee v. Coler, v. Leuthold und v. Schjerning verbanden ihn freundschaftliche Beziehungen. Koch wußte ihnen Dank, daß sie ihm tüchtige und hervorragende Sanitätsoffiziere zur Ausbildung überließen, die in den Bahnen ihres Meisters wandelten und eigene wertvolle wissenschaftliche Erfolge erzielten, zum Nutzen der bakteriologischen Wissenschaft und ihrer praktischen Anwendung für die Zivil- und Militärbevölkerung. Die Armee verfügt jetzt über eine große Zahl tüchtiger Hygieniker und Bakteriologen, die fast sämtlich aus Kochs Schule hervorgegangen sind. Auch auf seinen Auslandsreisen waren Sanitätsoffiziere seine ständigen Begleiter, von denen einige dann in fernen Landen zurückblieben als Pioniere deutscher Wissenschaft und Verbreiter seiner Ideen. Koch, den auch verwandtschaftliche Bande mit dem Sanitätsoffizierskorps verknüpften - seine einzige Tochter ist mit dem Generaloberarzt a. D. Prof. Dr. Pfuhl, der ebenfalls zu seinen treuen Mitarbeitern gehört hat, verheiratet - war am 26. April 1883 zum Oberstabsarzt und am 18. Oktober 1901 zum Generalarzt mit Generalmajorsrang à la suite des Sanitätskorps ernannt worden. Am 10. August 1888 erhielt er seine Ernennung als ordentlicher Professor der Kaiser-Wilhelms-Akademie und am 17. Mai 1901 seine Berufung zum Mitglied des wissenschaftlichen Senates bei dieser Akademie. In den Sitzungen dieser Körperschaft, bei denen er nie fehlte, wenn er in Berlin weilte, und dann meist auch in der Uniform eines Generalarztes erschien, stand Koch in allen Fragen der Militärgesundheitspflege, Seuchenbekämpfung und Tropenhygiene der HeeressanitätsVerwaltung mit seinen unerreichten Erfahrungen stets treu zur Seite.261 Der Ruf Friedrich Althoffs, des allmächtigen Ministerialdirektors im Kultusministerium und großzügigen Förderers Kochs, nach einer u m f a s s e n d e n „wissenschaftlichen M o b i l m a chung", um im Kampf gegen das konkurrierende Pariser Pasteur-Institut bestehen zu können 262 , verschleierte die direkte militärische Funktionalisierung der Bakteriologie nur. Bei dieser 1891 verkündeten Mobilmachung ging es nämlich um mehr als den Wettstreit wissenschaftlicher Titanen. Es ging auch um mehr als bloßen „Wissenschaftsimperialismus" 2 6 3 .

261 Dr. Karl Wezel, Robert Koch. Eine biographische Studie, Berlin 1912, S. 114f„ vgl. auch: B. Möllers, Dem Andenken Robert Kochs, in: Deutsche Militärärztliche Zeitschrift, 39 (1910), S. 4 7 3 ^ 7 8 , hier: 477f. Eine weitere Schrift führt bezeichnenderweise schon in der Einleitung folgende um die Bakteriologie verdiente Militärärzte an: Emil von Behring, Max Buchner, Bernhard Fischer, August Gärtner, Georg Gaffky, Ferdinand Hueppe, Friedrich Löffler, Richard Pfeiffer, Joseph Schroeter, vgl.: Dr. Ferdinand Hueppe, Einführung in die Bakteriologie, Wiesbaden 1896, S. VIII. Zum militärischen Hintergrund weiterer deutscher Bakteriologen: Paul Weindling, Health, Race and German Politics between national unification and Nazism, 1870-1945, Cambridge 1989, S. 161ff. 262 Friedrich Althoff, Rede vor dem preußischen Abgeordnetenhaus, 9. Mai 1891, zit. nach: Eckart, Friedrich Althoff und die Medizin, S. 391. 263 Eckart, Friedrich Althoff und die Medizin, S. 390. Das kritische Urteil Eckarts über Althoff weicht deutlich davon ab, ihn als Liberalen mit den Wertvorstellungen Nationalstaat, Humanität und Toleranz anzusehen, vgl.: Bernhard vom Brocke, Friedrich Althoff, in: Berlinische Lebensbilder. Wissenschaftspolitik in Berlin, Minister, Beamte, Ratgeber, hrsg. v. Wolfgang Treue/

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Der Bakteriologie kam eine Schlüsselposition bei innerstaatlicher und militärischer Formierung zu, und deshalb wurde sie so weitreichend gefördert. Koch war sich dieser Funktion bewußt. Er nutzte sie weitsichtig für sein persönliches Prestige und das seines Fachs. Er trieb ein bakteriologisch-militärisches Bündnis voran und transformierte die Bakteriologie als Wissenschaft in eine Wilhelminische Wissenschaft. Dabei war er, trotz seines frühzeitigen und überdurchschnittlichen Engagements für die Kolonialmedizin, so viel oder so wenig ein dezidierter Militarist wie der Großteil der anderen Intellektuellen Deutschlands - Künstler, Geisteswissenschaftler, Naturwissenschaftler, Ingenieure, Mediziner, die nur wenige Jahre später den ersten Weltkrieg rückhaltlos und mit Emphase begrüßten264. Er war kein übertriebener Nationalist oder Militarist. Ihn zeichnete aus, was der Mehrzahl der anderen Akademiker im frühen Kaiserreich zu eigen war. Erstens: nationalpädagogischer Anspruch auf universale Wahrheit im sittlichen Medium der Vernunft; zweitens: organisatorische politische Unabhängigkeit und Distanz zu Parteien, Verbänden und offiziösen Presseorganen; drittens: Geistesnähe zum Staatsbeamtentum aufgrund einer idealistisch figurierten Macht-Kultur-Synthese265. Mit dieser Einstellung war Koch ein Akademiker und statusbewußter Mandarin (Ringer) unter vielen. Dennoch stand er an einem institutionellen Platz, der höchstes staatliches Interesse auf sich zog und das, sollte es schwinden, nur durch taktische und strategische Innovationen zu erhalten war. Genau das ereignete sich nach der Jahrhundertwende. Die bakteriologische Einheitsfront, wie ich das Bündnis von Bakteriologie und militarisiertem Staat hier bezeichnen möchte, war zwar per definitionem gegeben, innenpolitisch, außenpolitisch, kolonialstrategisch. Sie zerfiel jedoch partiell, weil die Bakteriologie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte bzw. der Staat seine übersteigerten Ansprüche allmählich zurückschraubte. Diese Einheitsfront war gezielt zu erneuern. Deshalb sprach Koch, in einer Phase sich häufender wissenschaftlicher und institutioneller Mißerfolge, 1901 direkt und gezielt das Militär an. Damit beschleunigte sich der Wandel der Disziplin Bakteriologie. Er gehörte in die Kette von

Karlfried Gründer, Berlin 1987, S. 195-214, hier: S. 206. Vgl. zu Althoff weiterhin: Pierangelo Schiera, Laboratorium der bürgerlichen Welt. Deutsche Wissenschaft im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1992, 246ff., 278f.; Rüdiger vom Bruch, Max Webers Kritik am „System Althoff' in universitätsgeschichtlicher Perspektive, in: Berliner Journal für Soziologie, 5 (1995), S. 313-326; ders., Zur Wissenschafts- und Bildungspolitik im zweiten deutschen Kaiserreich, in: Medizin in Berlin an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Theoretische Fachgebiete, hrsg. v. Peter Schneck, Husum 1999, S. 29-38. 264 Vgl. für die Medizin: Hans H. Walser, Die Aerzte und der Krieg am Beispiel des deutschfranzösischen Krieges von 1870/71, in: Clio Medica, 2 (1967), S. 103-120, hier: S. 105ff.; Heinz-Peter Schmiedebach, Sozialdarwinismus, Biologismus, Pazifismus - Ärztestimmen zum Ersten Weltkrieg, in: Medizin und Krieg. Vom Dilemma der Heilberufe 1865 bis 1985, hrsg. v. Johanna Bleker/Heinz-Peter Schmiedebach, Frankfurt/M. 1987, S. 93-121. 265 Vgl.: Rüdiger vom Bruch, Wissenschaftspolitik, Wissenschaftssystem und Nationalstaat im Deutschen Kaiserreich, in: Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung in Preußen. Zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte Preußens vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 1998, S. 73-89, hier: S. 79. Vgl. insgesamt: Rüdiger vom Bruch, Wissenschaft, Politik und öffentliche Meinung. Gelehrtenpolitik im Wilhelminischen Deutschland (1890-1914), Husum 1980.

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Modifikationen, die Koch später veranlaßten, den bisherigen Namen Bakteriologie für zu kurzgreifend und unzureichend zu erachten266. Koch veränderte im Zusammenspiel mit dem Militär sein Konzept. Analog zu den militärischen Planungen, die unter dem Namen Schlieffen-Plan heute allgemein bekannt sind, regte Koch einen medizinischen Schlieffen-Plan an. Eher beiläufig liest sich das in einer fünfzehn Jahre nach seinem Tod verfaßten Würdigung eines seiner Mitstreiter so: Mit lebhaftem Interesse verfolgte Koch auch im Ruhestande die nach seinen Ratschlägen in Angriff genommene systematische Typhusbekämpfung im Südwesten des Deutschen Reiches. Er nahm nicht nur an den periodischen Typhuskonferenzen im Kaiserlichen Gesundheitsamte teil, sondern begleitete auch wiederholt den Präsidenten Bumm und mich auf Besichtigungsreisen in jenes Gebiet und zu Konferenzen, die in Saarbrücken, Metz, Landau und Straßburg über diese Frage stattfanden. Viel trugen seine Anregungen namentlich zur Klärung der Frage der Bazillenträger bei, die bei der Lokalisierung und Verbreitung des Typhus eine so bedeutende Rolle spielen.267 Der Wahrheit näher kommt wohl ein Rückblick aus der Kriegszeit 1915. Nicht frei von Selbstverklärung, würdigt er die Verdienste Kochs um eine staatlich organisierte Epidemieprävention: Schon in Friedenszeiten haben selbst wir im Westen und Südwesten unseres Reiches, also im Elsaß und Lothringen, ferner im Regierungsbezirk Trier, in der Pfalz, um Saarbrücken herum usw. endemische Typhusherde, die so stark waren, daß Robert Koch in seiner uns heute so prophetisch anmutenden epidemiologischen Voraussicht schon vor mehr als einem Dezennium eine staatlich mit großen Mitteln organisierte Typhusbekämpfung einführte, um dieses wichtige Aufmarschgebiet für unsere Armee für alle Fälle möglichst typhusfrei zu gestalten268. Was war geschehen? In einer für ihn kritischen Phase, als er für bestimmte Pläne keine Unterstützung von seiten des Kultusministeriums erhielt, hatte Koch gezielt und direkt das Militär für seine Pläne funktionalisiert. Und umgekehrt: er hatte ein Arbeitsfeld geschaffen, um sich für militärische Ziele funktionalisieren zu lassen. Dieses Vorgehen, das erst jüngst durch die Dissertation des amerikanischen Wissenschaftshistorikers John Andrew Mendelsohn ausführlich bekannt gemacht wurde269, soll hier näher vorgestellt werden. Es zeigt, wie die Bakteriologie dem Militär nicht nur zur praktischen Nutzung angetragen wurde. Das

266 Vgl.: Robert Koch, Antrittsrede an der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 1. Juli 1909, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 1-4, hier: S. 1. 267 Dr. Martin Kirchner, Robert Koch, Wien, Berlin 1924, S. 68. 268 Dr. A. v. Wassermann, Über Seuchenbekämpfung im Kriege, in: Seuchenbekämpfung im Kriege. Zehn Vorträge, hrsg. v. Dr. C. Adam, Jena 1915, S. 1-26, hier: S. 4f. 269 Vgl.: John Andrew Mendelsohn, Cultures of Bacteriology. Formation and Transformation of a Science in France and Germany, 1870-1914, Phil. Diss. Princeton 1996, S. 557ff.; vgl. auch: Friedhelm Hollatz, Die Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands (1903-1918) im Spiegel dreier medizinischer Wochenschriften, Med. Diss. Berlin 1969; Jörg Vögele, Typhus und Typhusbekämpfung in Deutschland aus sozialhistorischer Sicht, in: Medizinhistorisches Journal, 33 (1998), S. 57-79, hier: S. 73ff.

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wäre lediglich Phänomen einer bestimmten Wirkungsgeschichte. Auffällig ist vielmehr, wie die Bakteriologie im Zuge dieser Kooperation einen weiteren Wandel erfuhr und ihre theoretischen Koordinaten, insbesondere ihr Kausalitätskonzept sich veränderten. Da der Wandel des Theorie-Konzepts im nächsten Kapitel noch näher interessieren wird, muß es bei der hinführenden These bleiben, daß Koch die Theorie schuf, der er praktisch bedurfte: das Konzept für den inneren Krieg, um den äußeren zu effektivieren. Um 1900, verstärkt im Sommer 1901, befand sich Koch, das anerkannte Haupt der neuen Wissenschaft in Deutschland, in einer ernsten Krise. Zurückgekehrt von einer mehrjährigen Malaria-Expedition, die, gemessen an seinen Erwartungen, erfolglos verlaufen war, nahm er im Juli 1901 am ersten Britischen Tuberkulose-Kongress teil. Er endete für ihn enttäuschend. Seine irrige Annahme, Menschen- und Rindertuberkulose seien verschiedener Art, traf schon dort auf Ablehnung und stieß in der Folge immer wieder auf Widerspruch270. Emil von Behring, sein einstiger Schüler und nunmehriger scharfer persönlicher und wissenschaftlicher Widersacher, gegen den Koch 1898/99 einen aufreibenden Patentstreit über das Tuberkulin verloren hatte271, feierte hingegen Erfolg um Erfolg. Er erhielt gar am 30. Oktober 1901 den ersten Nobelpreis für Medizin, war schon Anfang desselben Jahrs in den erblichen Adelsstand erhoben worden. Ein weiteres Ärgernis: Das unter Kochs Kuratel für Berlin geplante deutsche „Tropenhygienische Zentralinstitut" bzw. „Reichs-Institut für Tropenhygiene" wurde 1899 überraschend Hamburg zugeschlagen und seinem Einflußbereich entzogen272. All das waren zwar nur singuläre Fehlschläge. Aber sie reihten sich ein in eine übergreifende Desillusionierung betreffs der Bakteriologie. Praktische Ärzte und die alten Schulhygieniker der Richtung Pettenkofers hatten sie zwar schon immer bezweifelt. Nunmehr sank die öffentliche, vor Jahren so spielerisch leicht erlangte Reputation des Fachs bereits wieder. Seit zehn Jahren schien es zu stagnieren. Die in Aussicht gestellten Immunmittel bzw. Seren, das bakteriologische Projekt der neunziger Jahre, waren bisher, bis auf Behrings umstrittenes Serum gegen die Diphtherie, nicht gefunden worden. Selbst Therapeutika wie Kochs Tuberkulin, an dem er noch nach 1900 energisch festhielt, hatte sich als Fehlschlag erwiesen, ebenfalls die Arbeit an der Tulase, die Behring um 1900 aufgab. Und immer mehr

270 Vgl.: Barbara Gutmann Rosenkrantz, The Trouble with Bovine Tuberculosis, in: Bulletin of the History of Medicine, 59 (1985), S. 155-175. 271 Vgl.: H. Zeiss/R. Bieling, Behring. Gestalt und Werk. Berlin 1940, S. 246ff.; Dokumente aus Hoechster Archiven. Beiträge zur Geschichte der Chemie, Bd. 32: Beginn der TuberkulinHerstellung, Hoechst 1968; Bd. 37: Die Zusammenarbeit Behring-Hoechst, Hoechst 1968; Arndt Fleischer, Patentgesetzgebung und chemisch-pharmazeutische Industrie im deutschen Kaiserreich (1871-1918), Stuttgart 1984, S. 315ff.; Wolfgang Wimmer, „Wir haben fast immer was Neues". Gesundheitswesen und Innovationen der Pharma-Industrie in Deutschland, 1880-1935, Berlin 1994, S. 157f. 272 Vgl.: Wolfgang U. Eckart, Von der Idee eines „Reichsinstituts" zur unabhängigen Forschungsinstitution. Vorgeschichte und Gründung des Hamburger Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten, 1884-1901, in: Formen außerstaatlicher Wissenschaftsförderung im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, hrsg. v. Rüdiger vom Bruch/Rainer A. Müller, Stuttgart 1990, S. 31-52, hier: S. 41ff.

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zeigte sich: Die Entdeckung, daß Mikroorganismen Krankheiten, noch dazu epidemische, herbeiführen, wurde konterkariert durch die mehrjährige Erfahrung, daß sie es oft genug nicht tun. Die so elegante Kausalkette von Erreger zu Krankheit war brüchig geworden. Warum brachen epidemische Krankheiten nur bei diesen oder jenen Individuen aus? Warum blieben bestimmte Regionen verschont und andere nicht? Koch versuchte, in den Monaten nach seinem mißlungenen Konferenzauftritt eine Antwort zu geben. Von August bis Oktober 1901 entwarf er in mehreren Schriften und Vorträgen eine strategische Neukonzeption der Bakteriologie. Sie hatte sich zwar schon in Auswertung der Hamburger Cholera-Epidemie von 1892 abgezeichnet und war von Koch durch seine zwischenzeitliche Konzentration auf die Kolonialmedizin ausgebaut worden. Aber programmatisch hatte er sich bisher weitgehend zurückgehalten. Zur Erinnerung: Allein der Titel der neuen Cholera-Abhandlung von 1893 erwähnte erstmals ein konkretes Gebiet und eine konkrete Zeit. Hier ging es nicht mehr um die Krankheit schlechthin, sondern um Wirkgefüge mit vielfältigen Faktoren. Die neue Analyse beinhaltete geographische Karten und Stadtpläne, Angaben zu Temperaturen, Grundwasserschwankungen und geographisch-geologischen Verhältnissen, auch sozialstatistische Erhebungen273. Das war ein weiterer Schritt von der Labormedizin in Richtung Epidemiologie, ein weiter Schritt auf dem Weg zu jener bakteriologischen Synthese, die im nächsten Kapitel noch näher behandelt wird. Das hieß: die Laborbakteriologie befand sich in einer deutlichen Erweiterung. Sie eignete sich, ohne ihre Laborkompetenz aufzugeben, epidemiologische Kompetenz an. Deshalb polemisierte Kochs einstiger Schüler und späterer erbitterter Widersacher von Behring schon 1893 so heftig gegen jede Form der Medizin, die nach dem Beispiel Virchows für die Seuchenbekämpfung eine nationale und soziale Reorganisation anstrebte. Das war eine diskrete Warnung an Koch, rhetorisch verpackt in das Kompliment, es ginge weiter darum, seinem bisherigen Vorgehen zu folgen. Es sei nach wie vor erforderlich, Krankheitserreger unter Laborbedingungen zu isolieren, statt soziale und sozialpolitische Aktivitäten zu entfalten274. Tatsächlich blieb Behring dem Konzept der Labor- und Immunbakteriologie unverändert treu. Worin aber bestand Kochs Neuorientierung? Die Auswertung der Hamburger Epidemie hatte sein ganzes Seuchenkonzept verändert. Einerseits legte er mit den neuen Erfahrungen nun den Akzent auf Hygiene, und nicht nur auf die für die Anfangszeit der Bakteriologie typische Auslösungshygiene (Labisch)275. Er befürwortete eine bestimmte Art von restriktiver sozialer Hygiene. Somit band er auch diesen Gesichtspunkt in die Bakteriologie.

273 Vgl.: Koch, Die Cholera in Deutschland während des Winters 1892/1893. 274 Vgl.: Emil von Behring, Einleitende Bemerkungen über die ätiologische Therapie von ansteckenden Krankheiten; ders., Gesammelte Abhandlungen zur ätiologischen Therapie von ansteckenden Krankheiten, Leipzig 1893, S. VII-LXXI, hier: S. XXIV. 275 Vgl.: Alfons Labisch, Experimentelle Hygiene, Bakteriologie, soziale Hygiene: Konzeptionen, Interventionen, soziale Träger - eine idealtypische Übersicht, in: Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von „Volksgesundheit" und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert, hrsg. v. Jürgen Reulecke/Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen, Stuttgart 1991, S. 37-47, hier: S. 39; ders., Homo hygienicus, S. 146.

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Andererseits erweiterte er sie zur bakteriellen Epidemiologie, indem er das endemische Vorhandensein von Seuchen ausdrücklich anerkannte. Sie wären in bestimmten Regionen heimisch, wären eingebürgert. Darüber hinaus, und das war am folgenreichsten, stellte die bakteriell-epidemiologische Analyse heraus, daß in diesen endemisch betroffenen Regionen Personen, und zwar in einer großen Zahl, als Bakterienträger anzusehen wären, obwohl sie völlig gesund blieben. Gesunde seien gefährliche Keimträger. In der Gründungsphase der Bakteriologie war dieses Phänomen eher ein Ärgernis gewesen. Es hätte ja die strikte Kochsche Kausalitätskette, nämlich den Nachweis eines spezifischen Erregers, der notwendig und hinreichend die Cholera verursacht, infrage gestellt. Der Nachweis von gesunden Bakterienträgern in großer Zahl hätte Kritik an dem Verursachungsmodell zwingend evoziert. Nunmehr, nach den bereits bewiesenen Potenzen der Bakteriologie, war solche Kritik nicht mehr zu befürchten. Schon 1890, in seiner berühmten Rede „Über bakteriologische Forschung", hatte Koch die einst von ihm aufgestellten Postulate für nicht völlig bindend erklärt276. Jetzt, nach 1900, erweiterte er sein Kausalitätskonzept nochmals und maß gesunden Keimträgern - man würde heute sagen Schläfern - eine wichtige, sogar die wichtigste Bedeutung zu: „Die sogenannten Bazillenträger sind für uns die allergefährlichsten"277. Sie könnten, ohne auf den ersten Blick aufzufallen, Familienangehörige, Kollegen, ganze Regionen verseuchen. Ohne daß sie selbst oder ihre Umwelt es wissen, sind sie eine ständige Gefahr, - teils für sich, weil sie selbst erkranken können, vor allem aber für die anderen, denen sie als mobiles Medium die Seuche zutragen. Dem unverdächtigen Gesunden, nicht dem verdächtigen Kranken gelte die geballte medizinische Aufmerksamkeit. Auf dieser Grundlage entwarf Koch unmittelbar nach den Krisen des Sommers 1901 in Vorträgen und Schriften das Programm einer umfassenden bakteriologisch-sozial-hygienischen Kontrolle der Bevölkerung ganzer Regionen. Er konzipierte einen inneren Krieg, um den äußeren zu optimieren. Was oben im Abschnitt über den „Feind im eigenen Land" belegt wurde metaphorische Interferenzen von äußerem bzw. innerem Feind - übersetzte sich nun in den Habitus medizinischer Theoriebildung und in direkt daraus abzuleitende Kontroll-, Isolations- und Internierungspraktiken. Der Argumentationsgang von Kochs programmatischem Vortrag „Die Bekämpfung des Typhus", 1902 vor Militärs gehalten, war folgender278: Bisher habe man nur vermocht, auf defensivem Weg gegen Seuchen zu kämpfen. Man habe für private oder öffentliche Reinlichkeit gesorgt, etwa die Trinkwasserversorgung verbessert. Damit hätte man sich nur mehr oder weniger geschickt verteidigt, sich hinter bestimmten Festungen verschanzt. Den Seuchen selbst rückte man damit nicht zuleibe. Man konnte allenfalls erreichen, ihnen organisiert zu entgehen. Mit dieser passiven Vorgehensweise sein nun, bei der Typhusbekämp-

276 Robert Koch, Über bakteriologische Forschung (1890), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 650-660, hier: S. 655. 277 Robert Koch auf der Diskussion zu seinem Vortrag „Die Bekämpfung des Typhus" (1902), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.2, S. 920. 278 Vgl.: Robert Koch, Die Bekämpfung des Typhus. Vortrag, gehalten in der Sitzung des Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser-Wilhelms-Akademie am 28. November 1902, in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 296-305.

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fung, Schluß. Es sei möglich, die Offensive zu ergreifen. Wohin habe sich das Augenmerk dieser Offensive zu richten? Auf jene Grenzregionen zu Frankreich, die ausdrücklich als Aufmarschgebiete gegen Frankreich anzusehen sind, in denen sich aber Typhusherde befänden. Dort sei der Typhus endemisch, und dort sei er zu bekämpfen. Nicht im Labor, sondern an Ort und Stelle, wie er ausdrücklich betonte. Besonders in Dörfern nahe der Mosel, aber auch in anderen Gebieten, sei ihm auf die Spur zu kommen. Durch Hygiene und die Isolation Verdächtiger sei er einzudämmen und endlich, wie Koch es nannte, auszurotten. Das könne selbstredend nicht durch gewöhnliche praktische Ärzte geschehen, auch nicht durch die angestellten Kreisärzte. Nur geschulte Bakteriologen, versehen mit epidemiologischer Kompetenz, seien dazu geeignet. Ihre Arbeit vor Ort bedürfe natürlich Geld, viel Geld. Mit dieser Forderung nach umfassender finanzieller Unterstützung war Koch ein Jahr zuvor bei zivilen Behörden weitgehend gescheitert. Er hatte versucht, seine einstigen Gönner im Kultusministerium einzuspannen. Doch die erhoffte Reaktion blieb aus. Koch, der in den achtzigern und Anfang der neunziger Jahre gegen alle wissenschaftlichen und parlamentarischen Widerstände durch das Kultusministerium meist unermüdlich gefördert worden war, wurde plötzlich hingehalten. Erstmals hatte er Widerstand schon 1891, nach der für ihn desaströsen Tuberkulinaffäre, zu spüren bekommen. Nach zähen und schließlich sogar lautstarken Auseinandersetzungen mit seinem Gönner Althoff mußte Koch bei der 1891 erfolgten Gründung des Instituts für Infektionskrankheiten alle zu erwartenden kommerziellen Rechte an eventuellen Heilmitteln an den preußischen Staat abtreten279. Nunmehr, 1901, verhielten sich Kultus- sowie Finanzministerium abweisend. Kurzum: Die Bakteriologie, ihr scheinbar unabdingbarer Gründungsvater Koch, hatte Reputation eingebüßt. In dieser Situation entdeckte Koch Ende 1901 einen alten Bündnispartner neu: Das Militär. Zwar war seine Theorie der Keimträger direkt mit Blick auf eine militärische Nutzbarmachung gewachsen. Aber vorerst dachte Koch an eine Förderung durch das Kultusministerium. Nach dem Scheitern dieses Plans disponierte er um. Sein Vortrag „Über Seuchenbekämpfung im Kriege", den er im Oktober 1901 vor Militärs gehalten hatte, führte Anfang Dezember zu einem Treffen mit dem Chef der Sanitärabteilung des Kriegsministeriums, General Rudolph von Leuthold, bei dem die Details der beabsichtigten Zusammenarbeit weitgehend abgestimmt und vor allem die so wichtigen Finanzierungsfragen geklärt wurden. Koch unterrichtete triumphierend das Kultusministerium und verstand es in einem geschickten Schachzug, es gleichfalls in das beabsichtigte Projekt finanziell und logistisch miteinzubeziehen. Das erwies sich als nützlich, beispielsweise dabei, den Widerstand von Lokalbehörden gegen die bakteriologisch-hygienische Landnahme, die sich in den nächsten Jahren an der Südwestgrenze des Reichs ereignete, zu brechen. Koch war wieder auf der Siegerstraße. 1902 kam es sogar zu einem Treffen mit dem Kaiser, dessen Umstände bisher noch nicht näher geklärt sind280. Bei diesem wird beiden in Erinnerung gewesen sein, was die neue Aufmerksamkeit bezüglich Typhus überhaupt erst geweckt hatte: Am 27. Januar 1898, ausgerechnet am Geburtstag des Kaisers, waren 250 Soldaten eines in Saarbrücken stationierten Bataillons an Typhus erkrankt, von denen 31 starben. Ein öffentlicher Skandal

279 Vgl.: Gradmann, Ein Fehlschlag und seine Folgen, S. 40ff. 280 Vgl.: Wilhelm v. Drigalski, Im Wirkungsfelde Robert Kochs, Hamburg 1948, S. 266.

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mit parlamentarischem Nachspiel: Ausgerechnet in der Armee, dem Hort von Disziplin, Ordnung und Sauberkeit, war es zur Ansteckung mit Todesfolge gekommen. Fortan erregten immer wieder Nachrichten über Typhusfälle aus dem südwestlichen Deutschland die Öffentlichkeit und beunruhigten das Militär. Es entstand die Furcht vor einer sogenannten durchseuchten Region. Militärische Kreise werden nicht uneigennützig dazu beigetragen haben, eine solche Furcht zu schüren. Dahingestellt, ob gerade dieser Landesteil besonders unter Typhus zu leiden hatten oder ob es sich hier um eine gezielte militärisch-ideologische Kampagne handelte: Der Typhus war nunmehr medizinischer Staatsfeind Nummer Eins. Erstens drohte er von den östlichen Grenzen, wo seit den neunziger Jahren ein Kordon von Desinfektions- und Quarantänestationen sowie dahinterliegender bakteriologischer Institute sich hauptsächlich dem Schutz gegen ein- bzw. durchreisende „Ostjuden" widmete281. Zweitens lauerte er im Landesinnern, in den westlichen, Frankreich angrenzenden Regionen. Auf diese Gebiete zwischen Trier und Saargemünd lenkte Koch mit dem ausdrücklichen Hinweis, es handle sich um künftige Aufmarschgebiete, nunmehr die Aufmerksamkeit. Damit ergab sich eine bemerkenswerte Koinzidenz sowohl des Schutzes gegen Außen und Innen als auch von militärischer und medizinischer Aktivität. Im sogenannten Schlieffen-Plan - er umfaßte in engerem Sinn den taktischen Einfall nach Frankreich durch die Neutralstaaten Belgien und Luxemburg, in erweitertem Sinn eine strategische Militärmodernisierung282 - spielten gerade diese westlichen Grenzregionen eine elementare Rolle. Koch mußte aber nichts von den seit 1897 bestehenden Plänen gewußt haben, Frankreich über Belgien und Luxemburg anzugreifen283. Es mag ausreichend gewesen sein, daß es Gegenden waren, die sich in unmittelbarer Nähe zu Frankreich befanden. Demzufolge konzentrierten sich die entsprechenden bakteriologisch-hygienischen Assanierungen - unter Auslassung etwa des militärstrategisch unwichtigen südlichen Elsaß' - auf die Bezirke für den künftigen Einmarsch nach Westen. Die Grenzen des Gebiets, die Koch zum Untersuchungsgebiet erklärte, waren vorab definiert. Er folgte nicht medizinischen Präferenzen, sondern militärisch-politischen: Wir haben unsere Arbeiten im Anfang dieses Jahres in Trier und dessen Umgegend begonnen. Ich bin absichtlich nach Trier gegangen, einmal, weil dort, wie mir bereits bekannt war, viel Typhus vorhanden ist, und namentlich, weil Trier in dem Aufmarschgebiet liegt, also von ganz besonderer Bedeutung ist. 284

281

Vgl.: Paul Julian Weindling, Epidemics and the Genocide in Eastern Europe, 1890-1945, Oxford 2000, S. 11 Iff. 282 Vgl.: Bernd F. Schulte, Die deutsche Armee 1900-1914. Zwischen Beharren und Verändern, Düsseldorf 1977; Arden Buchholz, Moltke, Schlieffen, and Prussian War Planning, New York, Oxford 1991. 283 Vgl.: Gerhard Ritter, Der Schlieffenplan. Kritik eines Mythos. Mit erstmaliger Veröffentlichung der Texte und 6 Kartenskizzen, München 1956, S. 39. 284 Koch, Die Bekämpfung des Typhus, S. 301; vgl. auch: Koch an den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, 17. Dezember 1901, in: Gesammelte Werke, Bd. 2.2, S. 915.

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Dennoch, und das ist kein Widerspruch, stellte Koch sich in den Dienst des Militärs, um es in seinen Dienst zu stellen. Er borgte die Errungenschaften der Bakteriologie dem Militär, um vermehrten Gewinn daraus zu ziehen. Koch bzw. seine Anhänger entfalteten eine medizinische Großoffensive, die jegliche finanzielle und politische Unterstützung genoß. Epidemiologisch geschulte Bakteriologen avancierten, nicht selten unter Protest und Widerstand der Regionalbehörden, zu heimlichen Statthaltern der Gebiete, über die ein unausgesprochener Ausnahmezustand verhängt worden war. Parallel zu seinem militärischen Engagement erfolgte Kochs Aufstieg, zumindest der militärische. Schon am 2. August 1888, acht Tage nach seiner Rede „Die Bekämpfung der Infektionskrankheiten, insbesondere der Kriegsseuchen", hatte er seine Ernennung zum ordentlichen Professor der Kaiser-Wilhelms-Akademie (der einstigen Pépinière), der medizinisch-miltärischen Zentralinstitution Deutschlands, erhalten285. Am 15. Oktober 1901 hielt er seine programmatische Rede über „Seuchenbekämpfung im Kriege"; drei Tage später wurde er, der eigentlich nur auf eine zweijährige Zeit als Militärarzt zurückblicken konnte, zum Generalarzt mit Generalmajorsrang à la suite des Sanitätskorps ernannt usw. Vor allem aber bedeutete dieses Bündnis eine erhebliche Einfluß- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. 1904 wurde ein „Reichskommissar für die Typhusbekämpfung im Südwesten des Reiches" bestellt286. Unter seiner Obhut arbeiteten über zehn Jahre rund 85 Bakteriologen in 11 Laboratorien in den betroffenen Gebieten. Sie beschränkten sich keineswegs nur auf Labortätigkeit. Im Zug von Kochs neuer epidemiologischer Doktrin, ging es darum, ganze Landstriche systematisch nach unerkannten oder verheimlichten Typhusfällen zu durchsuchen. Das war selbstredend nicht im Labor zu bewerkstelligen, sondern nur durch systematische großflächige Datenerfassung und Kontrolle: Als aber die Verhältnisse an Ort und Stelle etwas genauer untersucht wurden, stellte sich sofort heraus, daß viel mehr Typhus vorhanden war, als die wenigen gemeldeten Fälle. Die Untersuchung erstreckte sich zunächst auf alle diejenigen, welche ausgesprochene Typhussymptome zeigten. Dann wurden in deren Umgebung die zugehörigen Familienmitglieder abgesucht. Es wurde Auskunft von den Geistlichen, von den Lehrern erbeten, welche uns sehr behilflich gewesen sind. Zur Entdeckung von Typhusverdächtigen haben sich die Schulversäumnislisten als sehr gute Wegweiser herausgestellt. Auch die Listen der Ortskrankenkassen wurden zu Rate gezogen. 287

Die Untersuchungen - Rasterfahndung, wie man heute sagen könnte - wurden systematisch erweitert, auch räumlich. So wurden Teile von Elsaß-Lothringen miteinbezogen. Die betreffenden Gebiete avancierten im Lauf der Jahre zur bestuntersuchten Krankheitsregion der Welt. Ein Heer von Hilfsrechercheuren hatte Zugang zu Lohnlisten, staatlichen und Kirchenregistern, Verzeichnissen von Schulen und Krankenkassen, sammelte Auskünfte im

285

286 287

Vgl. zu dieser Institution: Dr. Hermann Schmidt, Die Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärische Bildungswesen. Von 1895 bis 1910. Festschrift zur Einweihung des Neubaues der Akademie, Berlin 1910; Winau, Medizin in Berlin, S. lOOff., 152ff„ 301ff. Vgl.: Hollatz, Die Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands, S. 9f. Koch, Die Bekämpfung des Typhus, S. 301.

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Familienkreis und in Wohngebieten. Wöchentliche Berichte über Kranke und Verdächtige gingen an die Armeekommandos, an das Gesundheitsministerium und die Provinzbehörden. Dabei konzentrierte sich im Lauf der Jahre die Aufmerksamkeit von Kranken bzw. potentiell Kranken immer mehr auf kontaminierte Gesunde. Sie standen unter Generalverdacht. Die entsprechenden Regionen waren vom Typhus zu befreien. Das geschah nicht mehr durch die bakterielle Ursprungskonzeption, die Überwachung Zugereister und die Beaufsichtigung des Trinkwassers. Koch erklärte sie nunmehr ausdrücklich für zweitrangig. Typhus-Bakterien würden sich nach seinen neuen Erkenntnissen nicht mehr in Boden und Wasser erhalten oder gar vermehren. Sie hätten ihren Lebens- und Fortpflanzungsraum nur im Menschen. Deshalb seien alle potentiellen menschlichen Keimträger, symptomlose, heimtückische Trojanische Rösser, zu lokalisieren. Sie wären die eigentlichen unkenntlichen inneren Feinde. Sie hätten, als gesund scheinende bzw. gesund bleibende Brutstätte, die Krankheitserreger in sich, würden sie in sich bewahren und weitertragen. Hauptsächlich sie müßten ausfindig gemacht werden, um sie bei Bedarf - hier zeigt sich, wie Laborpraktiken auf Sozialfelder extrapoliert wurde - isolieren zu können. Im Kriegsfall wären sie schlagartig in Internierungslager zu verbringen288. Dafür waren mit dem „Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten" von 1900 zwar keine rechtlichen Grundlagen gegeben. Deshalb griff man ohne Umstände auf das preußische Seuchenregulativ von 1835 zurück, bis 1905 mit dem ergänzenden „Gesetz betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten" neue entsprechende Regelungen in Kraft traten289. Der Staat war vor kontaminierten Gesunden zu beschützen. Dadurch war die Seuchengefahr nicht minimiert, sondern ins Unendliche potenziert. Medizinisch war zwar, selbst unter den einbezogenen Bakteriologen und Medizinern, umstritten, was genau ein Keimträger sei. Dazu erlitt das Projekt durch die Typhusepidemie von 1910/11 einen unerwarteten Rückschlag290. Aber

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Im Nachhinein wurde eine solche Intemierung, also der Versuch, die betreffenden gemeingefährlichen Keimträger zwangsweise abzusondern, als praktisch schwer zu realisieren eingeschätzt und erschien ggf. nur noch für besonders „widerspenstige Verdächtige" sinnvoll, vgl.: Dr. B. Möllers, Abschließender Bericht über die in den Jahren 1903-1918 unter Mitwirkung des Reiches erfolgte systematische Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands. 2. Teil, umfassend die Jahre 1912-1918, in: Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten, 104 (1925), S. 773-785, hier: S. 780f. 289 Vgl.: Dr. Schreiber, Die Typhusbekämpfung als Verwaltungsmaßnahme, in: Denkschrift über die seit dem Jahre 1903 unter Mitwirkung des Reichs erfolgte systematische Typhusbekämpfung im Südwesten Deutschlands [Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt, Bd. 41], Berlin 1912, S. 12-33. Beide Gesetzestexte in: Dr. Martin Kirchner, Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens, Jena 1907, S. 253-260, 272-305. 290 Vgl.: Dr. W. Fronet, Die Ergebnisse der Typhusbekämpfung in Südwesten des Reichs, in: Denkschrift über die [...] systematische Typhusbekämpfung, S. 592-604, hier: S. 593ff. Das erste offizielle, rein verklärende Zwischenfazit von 1906 mußte damit bereits korrigiert werden, vgl.: Dr. v. Drigalski, [Zwischenstand der bisherigen Typhuskampagne], in: Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 38 (1906), S. 19-32. Im Krieg scheiterte diese Strategie der Isolation vollends. Das Festhalten an ihr hatte überdies zur Folge, daß Schutzimpfungen

Bakteriologische Einheitsfront

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gerade das zog weitere Forschungen nach sich. Die Krankheit bedurfte um so mehr des bakteriologisch-hygienischen Detektivs. Und der Detektiv bedurfte der Krankheit. Im Grunde handelte es sich um nichts anderes als um die Installation eines raumgreifenden Großlabors, verbunden mit weitreichender sozialer Verfügungsgewalt: big science. Die Bakteriologie wandelte sich mit dem Konzept unentdeckter Keimträger von der ausschließlichen naturwissenschaftlichen Laborwissenschaft, die nach Bakterien forscht, zur epidemiologischen Feldwissenschaft auf der Jagd nach Keimen. Ihre ursprüngliche Laborkompetenz wurde dabei nie aufgegeben, haftete ihr im Phantasma der großflächigen Isolierung sogar an. Spätestens hiermit transformierte sie sich endgültig in eine Wilhelminische Wissenschaft und diente einem doppelten nationalen Auftrag. Sie schaltete die inneren Feinde aus, mit dem Ziel, den Kampf gegen die äußeren zu optimieren. Krieg gegen Innen und Außen trugen sich gegenseitig. Dabei bewegte sich die Bakteriologie mehr als nur rhetorisch auf militärischem Gebiet. Von Anfang an hatte sie ein Körper- und Krankheitsmodell, das prinzipiell von einer äußeren Invasion ausging. Das damit verbundene ärztliche Selbstverständnis als Krieger gegen die Krankheit kam nun vollends zum Tragen. Es führte zur Favorisierung militärischer Praktiken im medizinisch-bakteriologischen Handeln - Kampf, Sieg, Gefangenschaft. Eingebettet in eine Sozialideologie, derzufolge Einzelinteressen dem Wohl des Ganzen von Nation, Staat und Kaiserreich strikt zu opfern seien, hieß das nichts anderes, als daß „wir alle Typhuskranken, die wir auffinden, unschädlich machen" 291 . Rhetorik, Krankheitsmodell, Präventionspraxis und Sozialideologie trafen sich im transformierten Bakterienmodell, das, ob es nun praktisch erfolgreich war oder nicht, viel mehr als nur den verdeckten Krieg gegen die verderblichen Keimträger ersehnte, um den Status der Wissenschaft zu zementieren. Es beschwor das Schlachtengetümmel des Weltkriegs als wahren Ort der bakteriologischen Omnipotenz: Vor unseren Augen spielt sich der größte Versuch [...] ab, den die Einbildungskraft ersinnen kann. Menschen der verschiedensten Zonen werden gegeneinandergeführt und leben und ringen unter den ungünstigsten hygienischen Verhältnissen. Die Völker des Erdballs stellen dadurch ein so riesiges epidemiologisches Experiment auf, wie es die Seuchenforschung nie erträumen konnte.292

gegen Typhus im Reichsheer nur mit großen Vorbehalten vorgenommen wurden, was vor allem anfangs seine Ausbreitung begünstigte, vgl.: Derek S. Linton, Was Typhoid Inculation Safe and Effective during World War I? Debates within German Military Medicine, in: Journal of the History of Science and Allied Sciences, 55 (2000), S. 101-133. Für die englische Seite vgl.: Anne Hardy, „Straight Back to Barbarism": Antityphoid Inculation and the Great War 1914, in: Bulletin of the History of Medicine, 74 (2000), S. 265-290. Für die nachfolgende Phase vgl.: Paul Weindling, Between Bacteriology and Virology: The Development of Typhus Vaccines Between the First and Second World Wars, in: History and Philosophy of Life Sciences, 17 (1995), S. 81-90. 291 Koch, Die Bekämpfung des Typhus, S. 300. 292 Carl Mense (1915), zit. nach: Wolfgang U. Eckart, „Der größte Versuch, den die Einbildungskraft ersinnen kann - Der Krieg als hygienisch-bakteriologisches Laboratorium und Erfahrungsfeld, in: Die Medizin und der Erste Weltkrieg, hrsg. v. Wolfgang U. Eckart/Christoph Gradmann,

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Die Pose der Sieger

Hier, 1915 - Koch war inzwischen verstorben - , hatten die Wissenschaftsphantasmen der Bakteriologie ihren Höhepunkt gefunden: Sie ließ sich militärisch instrumentalisieren, aber nur, um das Militär für sich dienstbar zu machen. Die Bakteriologie unterwarf die kämpfenden Heere dem Menschenversuch und zelebrierte sich als Wissenschaft. Sie feierte sich als Statthalter für Kriegs- und Friedensfall, als heimliche Regentin des Schlachtfelds, auch mittels bakteriologischer Kriegsführung293.

Pfaffenweiler 1996, S. 299-319, hier: S. 299f., vgl. auch: Johanna Bleker, Medizin im Dienst des Krieges - Krieg im Dienst der Medizin. Zur Frage der Kontinuität des ärztlichen Auftrages und ärztlicher Werthaltungen im Angesicht des Krieges, in: Medizin und Krieg. Vom Dilemma der Heilberufe 1865 bis 1985, S. 13-25, hier: S. 19f. 293 Zum ersten deutschen Einsatz bakteriologischer Kampfmittel 1917 gegen Tiere und zur Kontinuität der Forschung, auch über 1945 hinaus, vgl.: Friedrich Hansen, Towards a History of German Biological Warfare, in: Prevention of a Biological and Toxin Arms Race and the Responsibility of Scientists, S. 75-103, hier: S. 77; ders., Biologische Kriegsführung im Dritten Reich, Frankfurt/M. 1993; Weindling, Epidemics and the Genocide in Eastern Europe, S. 373ff. Literarisch wohl zuerst gestaltete die Folgen weltweiter bakterieller Kriegsführung in einem nächsten Weltkrieg: Dr. Curt Abel-Musgrave, Der Bacillenkrieg. Eine Mahnung an Alle! Roman, Frankfurt/M. 1922.

5. Das Janusgesicht des Bakteriums

Während der Münchener Cholera-Epidemie von 1854 gab Hermann Lingg in seinem Satyrdrama „Die Besiegung der Cholera" einen verheißungsvoll optimistischen Ausblick. Doktor Mikroscopicus hätte im Labor die Seuche entlarvt. Doktor Geologicus hätte ihr den Aufenthalt in sumpfigen und feuchten Gegenden verleidet. Die mit dem Mikroskop bewaffneten Kontagionisten und die Vertreter der lokalistischen Pettenkofer-Schule hätten gemeinsam das Cholerarätsel gelöst. Ende gut, alles gut1. Nicht jeder Zeitgenosse war so zuversichtlich. Ein weiteres Vers-Drama von 1854 konstatierte konzessionslos ein medizinisches Desaster 2 . Selbst Mediziner, stets um aufbauenden Optimismus bemüht, mußten im selben Jahr 1854 eingestehen, wie wenig die Wissenschaft erreicht hätte. In Ätiologie und Therapie der Seuche habe sie ebensosehr versagt wie in der Epidemiologie: Und allem diesem Elende gegenüber stehen wir nun schon seit 22 Jahren ohnmächtig da. In der Kur der Cholera sind wir, nachdem wir die ganze Materia medica vorwärts und rückwärts durchprobirt, nachdem Hydro- und Homöopathie ihre Macht daran versucht haben, nachdem unzählige Haus- und Geheimmittel mit angepriesenem untrüglichen Erfolge dagegen in Anwendung gekommen sind, nicht einen Schritt vorangerückt. Die Zahl der Todten erreicht immer noch nahebei die Hälfte der Befallenen. Wir stehen sonach genau auf demselben Punkte, als im Jahre 1831, blos mit dem Unterschiede, dass wir einsehen gelernt haben, dass, bei der so überaus feindlichen Natur der Seuche, auf diesem Wege nicht viel zu machen ist, und wahrscheinlich - ich spreche es ungern, aber mit voller Ueberzeugung aus - nicht viel zu machen sein wird.3 Da stand die schwere Epidemie von 1866 erst noch bevor. Mit rund 120.000 Toten allein in Preußen übertraf sie alle bisherigen an Heftigkeit 4 . Dessen ungeachtet läßt sich aber ein

1 Vgl.: Hermann Lingg, Die Besiegung der Cholera. Ein Satyrdrama mit Vorspiel (1854), München [1873]. Zu Lingg ausführlich: Rudolf Gottschall, Hermann Lingg, in: ders., Literarische Charakterköpfe, Bd. 2, Leipzig 1870, S. 1-48; Die Krokodile. Ein Münchner Dichterkreis. Texte und Dokumente, hrsg. v. Johannes Mahr, Stuttgart 1987, S. 508ff. 2 Vgl.: Ludw. Aug. Frankl, Hippokrates und die Cholera. Trimeter und Knittelvers (1854). Dritte, mit der zweiten gleichlautende Auflage, Wien 1855. 3 Dr. Franz Brefeld, Die endliche Austilgung der asiatischen Cholera, Breslau 1854, S. 4. 4 Vgl.: Heinrich Haeser, Lehrbuch der Geschichte der Medicin und der epidemischen Krankheiten. Bd. 3: Geschichte der epidemischen Krankheiten, 3. Aufl. Jena 1882, S. 892.

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Das Janusgesicht des Bakteriums

merkwürdiges Phänomen beobachten. Es herrschte eine Art öffentlichen Schweigens. Öffentlich war die Cholera in bestimmter Hinsicht tabuisiert. Der Diskurs über sie ruhte. Natürlich gab es weiterhin eine Reihe von medizinischen Abhandlungen und sogar nationale Cholerakonferenzen. Gemessen am publizistischen und wissenschaftlichen Aufwand der Jahre 1830/32 nahmen sich diese Bemühungen jedoch gering aus. Die Abwehr- und Hoffnungspotentiale waren verbraucht. Dem Rätsel Cholera konnte nur auf eine Weise wirksam begegnet werden - mit ohnmächtigem Schweigen. Die Öffentlichkeit minimierte ihren Erwartungshorizont. Die Wissenschaft zog es nach der rasanten Fahrt in alle nur denkbaren theoretischen Sackgassen vor, sich zurückzuhalten. Sie blieb miasmatisch orientiert, verhielt sich aber abwartend. Große Diadochenkämpfe wie in der Zeit um 1830/32 blieben aus. WahrnehmungsVerweigerung war die dominierende kulturelle Konfliktlösungsstrategie. Das hatte eine psycho-soziale Spannungsakkumulation zur Folge. Sie entlud sich auf orkanartige Weise, als bekannt wurde, daß Robert Koch das Cholerarätsel gelöst hatte. Mit einer Wucht ohnegleichen lösten sich emotionale Kollektivenergien. Die Religion des Bakteriozismus entstand.

5.1. Wissenschaftliche Revolution a) Nachholender Triumph Über die unmittelbaren Vorgänge, die zu Kochs Entdeckung des Cholerabakteriums 1883/84 führten, herrscht weitgehend Einigkeit5. Sie gilt als klassischer Fall planvollen wissenschaftlichen Vorgehens, das keine Widerstände kennt, sondern nur eines: ein Ziel unbeirrt zu verfolgen und zu verwirklichen. Es war ein optimistisches Drama, das sich über die Spanne von nur wenigen Monaten erstreckte. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wurde mit immer neuen ermutigenden Zwischennachrichten des „Deutschen Reichsanzeigers" aufrecht erhalten. Schließlich mündete der heroische Kampf gegen die Seuche in ein triumphierendes Finale. Am 24. Juni 1883 meldete das Wolff'sehe Telegraphenbüro aus Kairo einen Ausbruch der Cholera in Damiette, einer kleinen Stadt im Nildelta. Als bald darauf Todesnachrichten aus Port Said und Alexandrien folgten, entsandte die französische Regierung auf Anregung Pasteurs eine vierköpfige wissenschaftliche Expedition, der auch zwei seiner begabtesten Schüler, Emile Roux und Louis Thuillier, angehörten. Sie traf am 15. August in Alexandrien ein. Wenig später, am 24. August, folgte eine deutsche, ebenfalls vierköpfige Expedition, die von Robert Koch geleitet wurde. Bereits seit dem 26. Juli befand sich auch eine eng-

5 Vgl.: William Colemann, Koch's Comma Bazillus: The first year, in: Bulletin of the History of Medicine, 61 (1987), S. 315-342, hier: S. 318ff.; Hanspeter Mochmann/Werner Köhler, Meilensteine der Bakteriologie. Von Entdeckungen und Entdeckern aus den Gründerjahren der Medizinischen Mikrobiologie, 2. vollst, erw. Aufl. Frankfurt/M. 1997, S. 127ff.; Robert Koch. II. Teil: 1882-1908. Nach Fragmenten von Bruno Heymann, hrsg. v. Georg Henneberg u.a., Berlin 1997, S. 54ff.

Wissenschaftliche Revolution

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lische Delegation unter der Leitung des Chirurgen William G. Hunter im britischen Protektorat Ägypten. Sie hielt sich in Kairo auf und beendete ihre Tätigkeit am 13. September. Die Aufgaben waren klar. Die Franzosen und Deutschen suchten in staatlichem Auftrag nach dem Erreger. Die Engländer betrieben in staatlichem Auftrag das Gegenteil. Sie hatten die definitive Weisung, alle erdenklichen Argumente zu sammeln, die gegen die mögliche bakteriologische Lösung sprachen. Ihre Trinkwasseruntersuchungen fielen in diesem Sinn aus, und Hunter durfte sich nach seiner Rückkehr hoher staatlicher Auszeichnungen erfreuen. Das Vorgehen der britischen Regierung hatte unmittelbare ökonomische Interessen. Sie setzte alles daran, den Widerstand gegen jegliche Quarantänemaßnahmen am für den Indienhandel so wichtigen Suezkanal zu stärken; deswegen auch wurde Kochs Entdeckung des Choleraerregers im unter britischer Kolonialverwaltung stehenden Indien wenige Monate später energisch dementiert6. Um diesen politischen Interventionalismus geht es an dieser Stelle nicht. Hier interessiert der Wettstreit zwischen der französischen und der deutschen Kommission in Alexandrien. Er war geradezu dramatisch. Gleich nach der Ankunft ging Kochs Gruppe in einem Hospital an die Obduktion von Choleraleichen und untersuchte den Stuhl von Kranken. Die französische Delegation hatte aufgrund ihres Zeitvorsprungs von rund einer Woche vierundzwanzig Leichen obduziert. Den Deutschen gelang nur noch der Zugriff auf zehn. Eine Kommunikation oder gar ein Gedankenaustausch erfolgte zwischen beiden konkurrierenden Gruppen nicht; spätere, sich zäh haltende Berichte sind in das Reich verklärender Wissenschaftslegenden zu verweisen. Ihnen zufolge habe Koch Thuillier - der im September den Folgen einer Cholerainfektion erlag - am Sterbebett besucht. Die Frage, ob es wenigstens Koch gelungen sei, den Seuchenerreger zu finden, habe Koch bejahend beantwortet, worauf Thuillier mit Siegeslächeln sanft entschlafen sei7. Es gab keine gegenseitigen Arbeitsbesuche, keine Kooperation. Der waltende wissenschaftliche Konkurrenzkampf - nach ihrer spannungsvollen Londoner Begegnung 1881 hatten Koch und Pasteur sich in einen heftigen Prioritätsstreit um die Entdeckung des Milzbrandbakteriums gestürzt - ließ das nicht zu 8 . Die gegenseitigen Animositäten wurden zusätzlich durch politische Konstellationen verschärft, durch den nationalen Prestigedruck aufgrund des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71. Bei der Beisetzung Thuilliers war die deutsche Abordnung, wie die gesamte europäische Kolonie Alexandriens, jedoch anwesend. Danach reisten die Franzosen ab. Der fieberhafte Kampf um die Enträtselung der Cholera schien für beide Seiten wegen des Erlöschens der Epidemie erfolglos ausgegangen

6 Vgl.: Peter Baldwin, Contagion and the State in Europe, 1830-1930, Cambridge 1999, S. 206ff.; Mark Harrison, A Question of Locality: The Identity of Cholera in British India, 1860-1890, in: Warm Climates and Western Medicine: The Emergence of Tropical Medicine, 1500-1900, ed. by David Arnold, Amsterdam, Atlanta 1996, S. 133-159; Mariko Ogawa, Uneasy Bedfellows: Science and Politics in the Refutation of Koch's Bacterial Theory of Cholera, in: Bulletin of the History of Medicine, 74 (2000), S. 671-707. 7 Vgl.: Norman Howard-Jones, Choleranomalies: The Unhistory of Medicine as exemplified by Cholera, in: Perspectives in Biology and Medicine, 15 (1972), S. 422-433. 8 Vgl.: Κ. Codell Carter, The Koch-Pasteur-Dispute on Establishing the Cause of Anthrax, in: Bulletin of the History of Medicine, 62 (1988), S. 42-57.

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zu sein. Koch wollte sich mit einem Mißerfolg allerdings nicht abfinden. Als Kaiserlicher Regierungsrat, Mitglied des Kaiserlichen Gesundheitsamts und Leiter dessen bakteriologischen Labors hatte er ungleich bessere Karten für weitere finanzielle Mittel in der Hand als die französische Delegation. Sie setzte sich lediglich aus Universitätsangehörigen und Mitarbeitern des rein kommerziell arbeitenden Pasteur-Instituts zusammen. Mit Schreiben von 17. September bat Koch den preußischen Staatsminister und Staatssekretär des Reichsamtes des Innern darum, die Untersuchungen in Indien fortzusetzen, wo die Seuche nach wie vor herrschte. Der Bitte wurde entsprochen, und am 11. Dezember erreichte die Kommission Kalkutta. Hier gelang es schließlich, die Kommabakterien, die man teilweise schon in Ägypten gesehen hatte, wiederzufinden, zu isolieren und in Reinkultur zu züchten. Das letzte Glied in der von ihm selbst postulierten Kette nötiger Beweispunkte konnte Koch zwar nicht erbringen. Es gelang nicht, diese gezüchteten Erreger einem Tier einzupflanzen und damit die Cholera ursächlich hervorzurufen. Mittlerweile drängte die Zeit, die anbrechende subtropische Hitze ließ die Nährmedien immer mehr verflüssigen. Aber es gab immerhin starke Indizien für die Gefahr des isolierten Erregers, nämlich „ein durch Zufall herbeigeführtes Experiment am Menschen"9: Personen erkrankten, wie die Sektion ergab, am Wasser von Trinkwasserbehältern, in denen er nachgewiesen werden konnte. Damit war ursächlich zwar nichts bewiesen, denn der vermeintliche Erreger hätte sich ja lediglich eine Begleiterscheinung darstellen können. Gesunde aber wiesen diese Erreger nicht auf. Dieser Beweis ex negativo - eigentlich ein Zirkelschluß, der das zum Ergebnis hatte, was er unterstellte - galt als Beleg genug. Am 4. April 1884 trat die Kommission ihre Heimreise an und erhielt rund einen Monat später in Deutschland den triumphalen Empfang, der ihr zustand. Wie kaum ein anderer Mediziner zuvor konnte Koch innerhalb weniger Tage öffentliche Huldigungen entgegennehmen. Der Kaiser empfing ihn persönlich und ließ sich über die Resultate der Expedition unterrichten. Der Kronprinz zeichnete ihn im Namen des Kaisers mit dem Kronenorden zweiter Klasse mit schwarz-weißem Band als Kriegsdekoration aus eine Honorierung, die Militärs angeblich erblassen ließ, da das erstens eine militärische Ehrung war und da sie zweitens den mühsamen Stufen weg der Meriten übersprang10. Kochs Assistenten erhielten den Roten Adlerorden dritter Klasse. Sein Vorgesetzter im Kaiserlichen Gesundheitsamt überreichte ihm eine Büste des Kaisers, seinen Mitarbeitern gerahmte Fotografien; Reichskanzler Bismarck lud Koch zu einer Audienz. Verschiedene Ärztevereine organisierten einen pompösen öffentlichen Empfang. Die Regierung setzte eine Reichstagsvorlage durch, derzufolge Kochs Arbeitsgruppe mit 135.000 Reichsmark, Koch allein mit 100.000 Mark, belohnt wurde. Er wurde zum Mitglied des Preußischen Staatsrats ernannt, und er erhielt nach wenigen Monaten - als Nicht-Habilitierter - die von ihm ersehnte Professur an der Berliner Universität usw." Virchow würdigte in seiner

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Robert Koch, Berichte über die Tätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Ägypten und Indien entsandten Kommission (1883), in: Gesammelte Werke, hrsg. v. Prof. Dr. J. Schwalbe, Leipzig 1912, Bd. 2.1, S. 1-19, hier: S. 19. Vgl.: Wilhelm v. Drigalski, Im Wirkungsfelde Robert Kochs, Hamburg 1948, S. 15. Vgl.: Robert Koch. Nach Fragmenten von Bruno Heymann, S. 95ff.; Bernhard Möllers, Robert Koch. Persönlichkeit und Lebenswerk 1843-1910, Hannover 1950, S. 148ff.; Thomas D. Brock, Robert Koch. A Life in Medicine and Bacteriology, Berlin, Heidelberg, New York 1988, S. 166ff.

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Reichstagsrede, die die Dotation an die Kommission begründete, die Bedeutung der Kochschen Expedition. Er verklärte ihre Entdeckung zum wissenschaftlichen und nationalen Markstein, nämlich, daß es deutscher Wissenschaft, deutschem Fleiß und deutscher Opferfahigkeit vorbehalten gewesen ist, auf einem Gebiet, welches die ganze Welt berührt, einen so großen Schritt vorwärts zu thun, und ich kann sagen: wir, die deutschen Gelehrten und die deutschen Aerzte, empfinden es als einen großen Triumph, daß es einem der Unsrigen gelungen ist, diesen Schritt zu machen.12 Warum all die Ehrungen, dieser Aufwand? Warum feierte die Nation Koch und seine Mitarbeiter? Mikrobielle Krankheitserreger waren doch schon zuvor in Deutschland und Frankreich entdeckt worden. Daß sich die Viehseuche Milzbrand durch stäbchenförmige Erreger übertrage, die im Blut erkrankter Tiere nachweisbar waren, war schon um 1860 ein bewegter Streitpunkt, galt aber spätestens seit Casimir-Joseph Davaines Arbeiten von 1863 als wahrscheinlich. Eine menschliche Infektionskrankheit, das Rückfallfieber, wurde relativ überzeugend erstmals schon 1868/73 von Otto Obermeier auf diese Weise entschlüsselt. Darüber hinaus hatte Koch selbst 1882 den Erreger der Tuberkulose entdeckt. Das hatte wissenschaftliches Aufsehen erregt und ihm Achtung unter Fachkollegen eingebracht. Aber eine größere Öffentlichkeit hatten diese bakteriellen Funde bisher nicht beschäftigt. Warum plötzlich der geradezu berauschende Rummel? Woher der Bakterientaumel des Jahres 1884? Koch und seinen Mitstreitern war gelungen, das Jahrhunderträtsel Cholera zu lösen. Zumindest schien es so. Die Krankheit, die Leitkrankheit, der seit 1817 Generation um Generation ausgesetzt war und Europa eins ums andere Mal in Schrecken versetzte, war besiegt, wenigstens entschlüsselt. Man hatte es auch bei der Cholera nicht mehr mit einem „unbestimmten Etwas" (Koch) zu tun 13 . Es gab einen handfesten Gegner. Nun ließ sich der Kampf ganz anders aufnehmen, zumal über die Verbreitungswege offenbar kein Zweifel mehr bestand: Wasser war das Medium, das die Keime, die Cholerabazillen transportierte. Vom Wasser und Trinkwasser ging Gefahr für die Menschen aus. Eine grandiose, eine genial einfache Lösung für das, was seit sechzig Jahren in einem Prozeß beständig sich überbietender Lösungsversuche nicht herausgefunden worden war. Die Rettung vor der Cholera war definitiv möglich. Abwasser war weitsichtig zu entsorgen, Trinkwasser staatlicher- und kommunalerseits zu filtern, von privater Seite vor Gebrauch abzukochen. Zukünftig müßte die Seuche nicht mehr schrecken. Die Ängste der Vergangenheit waren nachholend bewältigt. Der kollektive Spannungsstau löste sich. Der Bann war gebrochen. Der öffentliche Pakt des Schweigens, der aus Ratlosigkeit über die Cholera gelegt war, wurde gelöst. Eine mühsam bezähmte Erregung entlud sich im zelebrierten Triumph. Um einen klassischen Begriff der Religionssoziologie auf Phänomene einer medialen Massengesellschaft zu übertragen: Efferveszenz, enthemmte

12 Vgl.: [Generaldiskussion des Entwurfs, Dr. Virchow], in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichtages. 5. Legislaturperiode, IV. Session, Bd. II, Berlin 1884, Sitzung vom 13. Mai 1884, S. 572-574, hier: S. 572. 13 Robert Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose (1882), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 428^45, hier: S. 444.

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Begeisterung. Die Leitkrankheit des 19. Jahrhunderts, die all den berechtigten Fortschrittserwartungen der zweiten Jahrhunderthälfte und all den erreichten Fortschritten auf anderen Gebieten so lange Hohn sprechen wollte, war bezwungen. Das Goldene Zeitalter der Bakteriologie brach an. Vereinzelter wissenschaftlicher Widerstand oder die Vorbehalte der klinischen Medizin wurden, nicht zuletzt mit dem Einsatz staatlicher Instrumentarien, hinweggefegt. Mit großen Schritten ging es in nunmehr in Richtung Zukunft. Krankheiten wären alsbald besiegt. Andere Probleme zu lösen, etwa die soziale Frage, schien dagegen ein Kinderspiel.

b) Erfolgsbedingungen: Kausalität, Artkonstanz, Repräsentation Kochs Entdeckung des Tuberkuloseerregers 1882 hatte die Disziplin wissenschaftlich etabliert. Mit der Lösung des Cholerarätsels zwei Jahre darauf erlangte sie in Deutschland sprunghaft öffentliche Reputation. In gleichem Maß wurde ihr gezielte wissenschaftspolitische Förderung zuteil. Die Bakteriologie begann in Deutschland, wie schon 1891 mehr oder weniger bewundernd eingeschätzt wurde, ihren Sturmlauf: „Wohl nur selten, vielleicht noch nie, ist eine naturwissenschaftliche medicinische Entdeckung so schnell zur allgemeinen Kenntniss gelangt und hat solche Beachtung auch in Laienkreisen gefunden'". Das bakterielle Paradigma verdrängte die miasmatische Doktrin und ätiologisch die multivektoriellen Pathologien. All das geschah nicht im Selbstlauf. Der nächste Abschnitt wird zeigen, auf welche erheblichen innerwissenschaftlichen Widerstände dieses neue Paradigma traf, wie Koch für das Ansehen des neuen Wissenschaftszweiges kämpfte und welche institutionellen Wege er dabei beschritt. Vorerst interessiert, welche innertheoretischen Vorzüge das bakterielle Konzept aufwies, um derart plötzlich, innerhalb weniger Jahre, zu einer Art medizinischer Leitdisziplin aufzusteigen. Diese Vorzüge gründeten sich nicht auf den Komplex von wahr und unwahr, sondern auf Evidenzen und Plausibilitäten. Das gilt für wissenschaftliche Konzepte, Moden und Paradigmen generell. Ihr Erfolg, selbst ihr innertheoretischer, ist nur bedingt gegenstandsbezogen begründet. Immer bedarf es bestimmter begünstigender Konditionen. Unter ihnen nimmt die logisch-semantische Relation von wissenschaftlicher Aussage zu ihrem Gegenstand, also das, was letztlich als „wahr" und „falsch" firmiert, nur einen relativ geringen Stellenwert ein. Letzteres wird erst durch den Bereich kultureller Umstände definiert, der Fragestellungen und Antwortversuchen Akzeptanz gewährt. In diesem Rahmen entfalten sich wissenschaftliche Alternativen, von denen einige durch kulturelle Präferenzen in den Rang von Paradigmen geraten. Einmal in diese Position gelangt, befestigen sie ihre Rolle durch strategische Akkommodation. Pars pro toto gilt das auch für die Bakteriologie. Drei theorierelevante Besonderheiten waren es, die den Ergebnissen der Bakteriologie in hohem Maße Akzeptanz verliehen und auf die sie ihre Karriere strategisch gründete: ihr vereinfachendes Kausalitätskonzept, ihr vereinfachendes Konzept bakterieller Artkonstanz und

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Johannes Orth, Ueber die Fortschritte der Aetiologie mit besonderer Berücksichtigung der Disposition [...], Göttingen 1891, S. 4.

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schließlich der bezwingende Modus wissenschaftlicher Repräsentation mittels Mikroskop und Fotografie. Eine weitere, äußerst wichtige Besonderheit kam hinzu, die nur bedingt als „theoretisch" zu bezeichnen ist. Denn ein grandioser Vorzug der Bakteriologie bestand gerade in ihrer Theorieferne. Ihr war ein gewollter Praxisbezug zu eigen. Von dieser Warte, nicht von einem fundierten Theoriegebäude her, wurden relativ heterogene Wissensbestände aus Botanik und Pathologie zielstrebig transformiert und wurden schnelle Problemlösungen offeriert. Erwiesen diese sich zunehmend als unzulänglich, gelang es in der Regel vorerst problemlos, mit Veränderungen, auch mit konzeptionellen Veränderungen, zu reagieren. Vor allem Georges Canguilhem hat diesen handlungsorientierten, theoriefernen Zug der neuen Mikrowissenschaft herausgestellt15. Weder hatten Mikrobiologie in Frankreich noch Bakteriologie in Deutschland theoretisch einen durchschlagenden Sieg über vorherige oder konkurrierende Konzepte erkämpft - solche Konzepte blieben nach wie vor wissenschaftlich einflußreich - , noch wiesen sie die theoretische Homogenität und Konsistenz auf, die sie staatlichen Entscheidungsträgern als entscheidende Förderer suggerierten und die heute gelegentlich noch überschätzt wird. Es gab diesen theoretischen Kern gar nicht, allenfalls vage und operative Grundannahmen. Allein die beständige Fort- und Weiterentwicklung der sogenannten Kochschen Postulate, die in Deutschland den theorierelevanten Kern der neuen Lehre ausmachten, sprechen für diese Praxisflexibilität. Koch war hauptsächlich Praktiker, und seine Arbeitsplätze - Landarzt, leitender Mitarbeiter des Kaiserlichen Gesundheitsamts, Leiter eines außeruniversitären Instituts für Infektionskrankheiten - wiesen das adäquate Profil auf. Die neue Wissenschaft versprach empirisch verifizierbare, neue Problemlösungen, und sie lieferte sie. Veränderten sich die Problemhorizonte, dann auch die Antworten. Gerade das war ihr beständiger Vorzug. Theorie konterte sie mit Praxis, gedeckt durch das scheinbare Nachweiskriterium Empirie. Nicht nur die fortwährende Änderung der Kochschen Postulate - bis Koch selbst sie für nicht bindend erklärte - bestätigt diesen Zug. Kochs erfolgloses Tuberkulinengagement war ebenso Resultat dieser verfehlten Orientierung an schnellen und praktikablen Ergebnissen wie seine fehlschlagende Typhuskampagne zur großflächigen Ausrottung menschlicher Keimträger in den Aufmarschgebieten gegen Frankreich nach 1900 oder wie der Mißerfolg der Afrika-Expeditionen zur Bekämpfung der Schlafkrankheit in den Jahren 1906/07. Am Ende, etwa ein Jahr vor seinem Tod, kam Koch sogar dahin, mögliche praktische Erfolge gezielt gegen theoretische Forschung ins Feld zu führen: Nach der in der Anlage befindlichen Denkschrift sollte die Expedition „eine wissenschaftliche Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit" sein. Wir haben dies nun nicht dahin aufgefaßt, daß irgendwelche wissenschaftliche mit der Schlafkrankheit in Zusammenhang stehende Fragen bearbeitet werden sollten, ohne Rücksicht auf ihre spätere praktische Verwendung

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Vgl.: Georges Canguilhem, Der Beitrag der Bakteriologie zum Untergang der „medizinischen Theorien" im 19. Jahrhundert (1975), in: ders., Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. Wolf Lepenies, Frankfurt/M. 1979, S. 110-133.

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Das Janusgesicht des Bakteriums [...]. Wir haben vielmehr gemeint, uns solchen Fragen zuwenden zu sollen, deren Lösung uns befähigen konnte, die Schlafkrankheit mit Erfolg zu bekämpfen [...]· 16

Pointiert gesagt: Die Nicht-Theorie hatte den Erfolg der Bakteriologie begründet. Diese Nicht-Theorie war letztlich aber auch ausschlaggebend dafür, das die Kochsche Spielart der Bakteriologie, d.h. die Fixierung auf Erreger und empirisch belegbare Verursachungskausalität, zunehmend Niederlagen erlitt. Nunmehr wirkte es nur noch wie ein letzter Rettungsanker, mögliche praktische Erfolge gegen Theorie, gar gegen Wissenschaft auszuspielen. Koch war Opfer der Erfolge, die er anfangs so öffentlichkeitswirksam begründet hatte. Das, was sich anfänglich als Erfolgsmovens des neuen Modells erwies, die vereinfachende Insistenz erstens auf Monokausalität, zweitens die auf vereinfachende Artkonstanz und drittens der bezwingende Modus der Repräsentation mittels Mikroskop und Fotografie, besaß nicht mehr die gravierende Durchschlagkraft wie in der Gründungsphase der Bakteriologie. Diese drei begünstigenden Faktoren gilt es hier nachzuzeichnen. Das wird in die u.a. von Bruno Latour aufgeworfene, scheinbar widersinnige Frage münden, ob es Mikroben vor den Triumphen Kochs und Pasteurs überhaupt gegeben hat. Ad 1): Kausalität. Wie im Medizinkapitel bereits erwähnt, zeichnete sich die miasmatische Position dadurch aus, multivektoriell eine Vielzahl von Ursachen für die Cholera anzugeben: kosmische, tellurische, elektrische, Wechsel in Klima und Witterung, in Windund Bodenverhältnissen usw. Soziale Ursachen kamen, wie etwa in Virchows und Pettenkofers Ansätzen, hinzu. Keine Bedingung sollte ausgeschlossen werden, jede konnte mit jeder korrespondieren. Allenfalls ließen sich bestimmte in diesem oder jenem Fall ausschließen. Aber positiv ließ sich epidemiologisch über konkrete Ursachen von Seuchen nichts sagen. Gleiches galt in ätiologischer Hinsicht. Innerhalb des Organismus überkreuzten sich prädisponierende und auslösende, verhindernde und begünstigende, primäre und sekundäre Ursachen: Es wird auch dem Laien ohne weiteres einleuchten, welche gewaltige Aufgabe damit der wissenschaftlichen Medicin gestellt ist, zunächst ätiologisch die Mischinfection festzustellen und dann zu bestimmen, was von den klinischen Krankheitssymptomen, was von den pathologisch-anatomischen Veränderungen der einen Ursache und was der anderen zugeschrieben werden muss. Wir stehen hier erst am Anfange der Erkenntniss und es ist, von den feineren und complicirteren Verhältnissen ganz abgesehen, selbst bei gröberen und anscheinend einfacheren Beziehungen ein endgültiges Urteil vielfach noch nicht zu gewinnen gewesen. 17

Folge der Komplexität war ein multidiverses therapeutisches Vorgehen. Jeder Fall war spezifisch und einmalig, jede Kur mußte nach Maßgabe der zu beobachtenden differierenden klinischen Symptome individuell angelegt sein. Kurzum: Man kämpfte gegen alles und jedes, aber gegen nichts in gezielter Weise.

16

17

Robert Koch, Bericht über die Tätigkeit der zur Erforschung der Schlafkrankheit im Jahre 1906/07 nach Ostafrika entsandten Kommission (1909), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 582-645, hier: S. 594. Orth, Ueber die Fortschritte der Aetiologie, S. 17.

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Die Pathologie vor Beginn der bakteriologischen Ära, wirkmächtig vertreten von Virchow, folgte insgesamt diesem Konzept. Immer mehr ursächliche Faktoren kamen zum Wesen, zum „Ens" einer Krankheit hinzu. Vor einer Konzentration, gar einer Reduktion auf einige wenige wurde ausdrücklich gewarnt. Äußerst viele könnten eine Krankheit veranlaßt haben, und keiner davon ließ sich mit Sicherheit ausschließen. Von keinem Faktor ließ sich sagen, daß er in jedem Fall einzig und allein ursächlich wirksam sei. Eine Krankheit wurde nicht von einem Erreger oder einem ursächlichen Defekt usw. bestimmt, schon längst nicht von einem äußerlich hinzukommenden. Sie bestand aus der Wechselwirkung von äußeren und inneren Veränderungen. Erstere spielten jedoch lediglich die Rolle von Auslösern und Anlaß, mehr nicht. Letztere waren ausschlaggebend. Mögliche äußere Ursachen traten zurück. Krankheit entstand in entscheidender Weise von innen, war Folge extrem vielfältiger physikalischer oder chemischer Alterationen. Damit entzog sie sich einer einlinearen Kausalerklärung, letztlich sogar einem zielgerichteten medizinischen Handeln18. Die bakterielle Revolution, für die Koch steht, gründete sich darauf, dieses Kausalitätsverhältnis in grundlegender Weise umzustürzen. Koch entdeckte nicht nur bakterielle Erreger, entdeckte nicht nur Übertragungswege, beispielsweise das Trinkwasser. Fundamental veränderte er das Krankheitsverständnis selbst. Gleiches gilt für Pasteur. Beiden gelang es, nach anfänglichem Widerstand, das Konzept der spezifischen Krankheitsursache einzuführen. Sie fegten das kunstvolle Patchwork von äußeren Ursachen und inneren Bedingungen, mit denen die bisherige Ätiologie und Pathologie operierte, mit einem epistemischen Bruch radikal hinweg. Es läßt sich, im Sinne Thomas Kuhns, von einer wissenschaftlichen Revolution sprechen. Eine neue zwingende Kausalität trat an die Stelle alter multifunktioneller Beziehungsgefüge. Der unentwirrbare gordische Knoten vielfach gestaffelter und verschlungener Faktoren wurde radikal durchtrennt. Mit Wilhelm von Ockham gesprochen, der im 14. Jahrhundert das anti-scholastische Reduktionsprinzip aufstellte, das als Ockhamsches Rasiermesser bekannt geworden war: entia non sunt multiplicands praeter nessitatem. Das Infektions- bzw. Erkrankungsgeschehen sollte auf möglichst einfache Weise erklärt werden. Nicht viele unbestimmbare Ursachen, sondern einzig und allein ein bestimmter Erreger rufe Seuchenerkrankungen zwingend hervor. Daß dieses Konzept nicht den Genien Pasteur und Koch allein zu verdanken ist, bleibt anzumerken. Sie stützen sich auf eine Vielzahl von Vorläufern, sie jedoch verschafften diesem Programm erfolgreich Geltung. Koch selbst hat wenig dazu beigetragen, die betreffende Komplexität aufzuhellen und den Einfluß etwa von Carl Hueters Krankheitsmonaden, Theodor Billroths Coccobacterien, Edwin Klebs' Mikrosporen oder Ernst Halliers Cholerapilzen einzuräumen. Hallier glaubte sogar nach den schweren Cholera-Epidemien von 1866, mit aus Darminhalten und Fäkalien gezüchteten Mikrokokken - Verwandlungsformen aus Indien stammender Cholerapilze - ursächliche Choleraerreger gefunden zu haben19. Daß schon Kochs Göttinger Lehrer Jakob Henle 1840 in seiner Arbeit über Kontagien und Miasmen auf eine eindeutig lokalisierbare „Krankheits-

18 Zu Virchows Konzentration auf interne pathologische Prozesse im Krankheitsgeschehen: Werner Selberg/Hans Hamm, Rudolf Virchow und die Medizin des 20. Jahrhunderts, München 1993, S. 153ff. 19 Vgl.: Dr. Ernst Hallier, Das Cholera-Contagium. Botanische Untersuchungen, Aerzten und Naturforschern mitgetheilt, Leipzig 1867.

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Ursache" bestand - in der Forschung besteht ein lebhafter Streit um den Status dieser Äußerungen 20 - hatte sich Kochs Erinnerung offenbar auch nicht allzufest eingeschrieben. Aber Kochs Verdienst bestand darin, diesem Ursache-Konzept empirisch, theoretisch und wissenschaftspolitisch Nachdruck zu verleihen. Es rückte, trotz allen Einspruchs, den es aus den verschiedensten Richtungen erfuhr, in den Rang eines unumstößlichen medizinischen Paradigmas. Wie in jeder anderen wissenschaftlichen Revolution bestand dieser Umsturz darin, Kompliziertes radikal zu vereinfachen. Beispielsweise beseitigte die Kopernikanische heliozentrische Kosmologie - freilich noch nicht das durchaus widersprüchliche Modell des Kopernikus selbst - all die theoretischen Inkonsistenzen des Geozentrismus. Immer kompliziertere Bewegungen, Scheinbewegungen und Gegenbewegungen hatten dafür herhalten müssen, um alle auftretenden Sonderfälle und Irregularitäten zu erklären. Ein hochkomplizierter Tabellenapparat und ein intensives, nur wenigen erreichbares Spezialistentum waren nötig, die kosmischen Vorgänge im Einklang mit der vorwaltenden geozentrischen Doktrin zu halten. Kopernikus bzw. seine Schule fegte all das mit einem epistemischen Bruch hinweg. Die genial einfache Alternative ähnelte der, mit der die Bakteriologie die hochartifiziellen miasmatischen bzw. ätiologisch-pathologischen Konzepte vom Ende des 19. Jahrhunderts hinwegschob. Dennoch etablierte sie wie jede andere wissenschaftliche Revolution auch sofort einen neuen wissenschaftlichen Konservatismus. Der artifiziellen Überdetermination von Seuchen stellte sie eine gewollt reduktive Unterdetermination entgegen. Die Bakteriologie Kochscher und Pasteurscher Prägung verfocht ein kausales Minimalkonzept. Der kompromißlose Nachdruck, mit dem alte Konzepte beiseite geschoben wurden, schlug sich nieder in der kompromißlosen Insistenz auf das Gegenteil. Um Edwin Klebs zu zitieren, den maßgeblichen bakteriellen Vorläufer Kochs, dem er auch die entscheidenden Anregungen für seine sogenannten Postulate verdankte: „die Natur arbeitet mit einfachen Mitteln und auf dem geradesten Wege. Nur die ungeheure Complicirtheit unseres Organismus erschwert die Einsicht in den an sich einfachen Naturvorgang" 21 . Das Verhältnis von hinreichenden und notwendigen Krankheitsursachen am Ende des letzten Jahrhunderts ist in der Forschung bereits thematisiert worden 22 . Dabei wurde nach-

20 Jakob Henle, Von den Miasmen und Kontagien und von den miasmatisch-kontagiösen Krankheiten (1840), hrsg. v. Felix Marchand, Leipzig 1910, S. 26. Dafür, diese Äußerungen Henles nicht zu überschätzen und ihre Widersprüchlichkeiten, u.a. Henles unentschiedenes Schwanken zwischen hinreichenden und notwendigen Krankheitsursachen, zu betonen, stehen verschiedene Arbeiten K. Codell Carters. Die Konsistenz von Henles Positionen wird u.a. hervorgehoben von: Alfred S. Evans, Causation and Disease: The Henle-Koch Postulates Revisited, in: The Yale Journal of Biology and Medicine, 49 (1976), S. 175-195. 21 Edwin Klebs, Die causale Behandlung der Tuberculose. Experimentelle und klinische Studien, Hamburg und Leipzig 1894, S. X. 22 Vgl.: Evans, Causation and Disease; K. Codell Carter, Koch's Postulates in Relation to the Work of Jacob Henle and Edwin Klebs, in: Medical History, 29 (1985), S. 353-374; ders., Edwin Klebs' criteria for disease causality, in: Medizinhistorisches Journal, 22 (1987), S. 80-89; ders., The Development of Pasteur's Concept of Disease Causation and the Emergence of Specific Causes in Nineteenth-century Medicine, in: Bulletin of the History of Medicine, 65 (1991), S. 528-548; ders., Jacob Henle's Views on Disease Causation, in: NTM-Schriftenreihe für

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gewiesen, wie Koch und Pasteur unabhängig und schließlich mit gegenseitigem konkurrierenden Bezug aufeinander das vorwaltende Paradigma von vielen hinreichenden Ursachen in das einer notwendigen Ursache transformierten und wie, aufbauend auf nicht wenige Vorleistungen Anderer, schließlich das Konzept von spezifischen Krankheitssursachen entstand. Zur Erinnerung: In Kausalitätskonzeptionen unterscheidet man zwischen Bedingungen und Ursachen. Letztere sind die Objekte, Vorgänge oder Relationen, die direkt, konkret und fundamental eine Wirkung hervorrufen. Das geschieht stets unter jeweiligen Bedingungen, die in einem bestimmten Bedingungsgefüge hemmend oder fördernd wirken. Es gibt Bedingungen, die Ursachen auslösen oder Ursachen determinieren, Bedingungen, die Bedingungen auslösen, und Ursachen, die Bedingungen auslösen. Wirkungen hingegen beeinflussen und verändern qua Rückkopplung Ursachen und Bedingungen und werden zur Ursache bzw. Bedingung ihrer selbst. Allein das zeigt, wie kompliziert die scheinbar so einfache Frage nach Ursachen bei näherer Hinsicht wird. Sie ist in der Tat so kompliziert, daß man zu der radikalen positivistischen Position gelangen kann, jegliche (nötigerweise vereinfachende) Suche nach Ursachen und Kausalitätsdenken in den Rang mythischer Konstrukte zu verweisen, so beispielsweise bei Stephen Toulmin23. Vereinfachend - und damit getreu dem Standard der damaligen Debatten folgend - wird hier vorerst der Terminus Ursache verwendet. Dann gilt, eine Ursache A ist notwendig für eine Wirkung B, wenn sich für jedes Β die Ursache A ermitteln läßt. Β ist ohne die Existenz und die Einwirkung von A unmöglich. Umgekehrt bedeutet die Realisation von A noch nicht notwendigerweise die Existenz von B. Somit bestimmt A nicht das definitive Eintreten von B, sondern nur die Möglichkeit. Um Β zu verwirklichen, sind weitere Ursachen notwendig. Dagegen ist A eine hinreichende Ursache für B, wenn sie die Existenz von Β mit zwingender Notwendigkeit nach sich zieht, aber nicht allen Ereignissen Β immer und in jedem Fall A vorausgeht, sondern eventuelle andere Ursachen. Gesetzmäßige Zusammenhänge, also die, die die neue Bakteriologie postulierte, sind erst gegeben, wenn sich eine Ursache sowohl als notwendig als auch als hinreichend erweist. Denn mit notwendigen Ursachen allein weiß man lediglich, daß ein Ereignis eintreten kann. Und mit einer hinreichenden Ursache hat man keine Gewißheit, ob es zwingend eintreten muß und ob es nicht noch andere hinreichende gibt. Also erst, wenn eine Ursache gleichzeitig notwendig und hinreichend ist, besteht ein zwingendes, symmetrisches Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihr und ihrer Wirkung. In den Debatten um die Bakteriologie haben diese Aspekte anfangs nicht wenig Verwirrung geschaffen. Es bedurfte der Schärfung des methodischen Instrumentariums, um experimentell und argumentativ zu belegen, daß ein Bakterium nur genau dieses einen Typs die notwendige und gleichzeitig hinreichende Bedingung für eine Krankheit sei. Schon 1876 hatte Koch, damals noch ein unbekannter Kreisphysikus, den Grundstein für seine Karriere

Geschichte der Naturwissenschaften, Technik und Medizin, 28 (1991/92), S. 259-264; Alfred S. Evans, Causation and Disease. A Chronological Journey, New York, London 1993; K. Codell Carter, Edwin Klebs's „Grundversuche", in: Bulletin of the History of Medicine, 75 (2001), S. 771-781. 23 Vgl.: Stephen Toulmin, Einführung in die Philosophie der Wissenschaft (1953), Göttingen 1969, S. 165.

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Das Janusgesicht des Bakteriums

mit einer scheinbar untrüglichen Evidenzkette gelegt. Mit Gefäßen, Reagenzien, Versuchstieren und einem Mikroskop war er nach Breslau gereist und demonstrierte an der dortigen Universität dem Leiter des Instituts für Pflanzenphysiologie Ferdinand Cohn die Existenz des Milzbranderregers. Julius Cohnheim, Direktor des Pathologischen Instituts und erfolgreicher Virchow-Schüler, soll daraufhin mit folgenden Worten zu seinen Assistenten geeilt sein: Nun lassen sie alles stehen und liegen und gehen Sie zu Koch; dieser Mann hat eine großartige Entdeckung gemacht, die in ihrer Einfachheit und Exaktheit der Methode um so mehr Bewunderung verdient, als Koch von aller wissenschaftlichen Verbindung abgeschlossen ist und dies alles aus sich heraus gemacht hat, und zwar absolut fertig. Es ist gar nichts mehr zu machen. 24

Es ist gar nichts mehr zu machen: Das war eine vorweggenommene Kapitulation. Cohnheim sah die pathologische Multidiversität, die durch Virchow kanonisiert worden war, und der auch er anhing, an einem möglichen Endpunkt. Er sollte Recht behalten. Die späteren klärenden Diskussionen um die sogenannten Kochschen Postulate stärkten das bakteriologische Kausalitätskonzept nur. Letztlich galten seine empirischen und theoretischen Belege so einfach, so exakt und plausibel, daß selbst einer der Hauptgegner der Bakteriologie, der Zellpathologe Virchow, sich von ihnen kurzzeitig beeindrucken ließ. Zeitzeugen belegen, wie Virchow, der den Tuberkuloseentdeckungen Kochs weiterhin kritisch gegenüberstand, auf der Ersten Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage von 1884 in Berlin angesichts Kochs argumentativen Gangs seine Grundanschauungen für einen Augenblick aufzugeben schien25. Koch argumentierte stringent, und seine These, „daß nämlich der Choleraprozeß und die Kommabazillen in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen", daß sie „den Choleraprozeß verursachen", daß „die Kommabazillen die Ursache der Cholera sind", war bestechend26. Im selben Jahr hatte er mit „Die Ätiologie der Tuberkulose" schließlich auch die Schrift vorgelegt, die am ausführlichsten Kausalkriterien erörterte und nochmals ausführlich und in ausgereiftester Form die sogenannten Kochschen Postulate vorstellte (erstmals hatte er sie 1878 in Anschluß an Edwin Klebs in seinen „Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten" entwickelt27). Daß in Vergessenheit geriet, wie Kochs 1884 noch selbst eine möglicherweise nach wie vor bestehende individuelle Krank-

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26 27

Carl Weichert, zit. nach: Mochmann/Köhler, Meilensteine der Bakteriologie, S. 74. Vgl.: H.-U. Lammel, Virchow contra Koch? Neue Untersuchungen zu einer alten Streitfrage, in: Charité-Annalen, NF, 2 (1982), S. 112-121, hier: S. 118. Der Abdruck der Protokolle in: Koch, Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage am 26. Juli 1884, in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 20-68. Koch, Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage, S. 35. Über die Bedeutung von Klebs für die Formulierung der Kochschen Postulate gibt es verschiedene Auffassungen. Manche sehen ihn als entscheidenden Vorreiter der Bakteriologie der Jahre 1872/82, vgl.: Achim Thom, Theorie und Empirie in der Entstehungsgeschichte der Bakteriologie - der Beitrag Edwin von Klebs zur bakteriologischen Ära, in: Robert Koch (1843-1910), hrsg. v. Wolfram Kaiser/Hans Hübner, Halle 1983, S. 71-78. Auf dieser Linie liegt, ihm die entscheidende Vorwegnahme der Kochschen Postulate zuzuschreiben, vgl.: Mochmann/Köhler, Meilensteine der Bakteriologie, S. 320ff. Zurückhaltender sind die schon angeführten Analysen Carters.

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heitsempfänglichkeit, d.h. eine jeweils persönliche Disposition einräumte28, zeigt nur, wie schnell und umstandslos das neue, vereinfachte Kausalitätsmodell Karriere machte. Auf diese Kochschen Postulate des Nachweises von spezifischen, also notwendigen und hinreichenden Ursachen für Infektionskrankheiten und ihre allmähliche Abwandlung durch Koch selbst muß hier nicht näher eingegangen werden. K. Codell Carter hat dazu beispielhafte Arbeiten geliefert. Nur ist nochmals hervorzuheben, daß das Abgehen von einer Vielzahl hinreichender Krankheitsursachen und die Statuierung einer klar definierten spezifischen Ursache einen gravierenden medizinischen Traditionsbruch bedeutete. Er ist bis heute folgenreich geblieben für das, was vereinfachend als moderne Medizin bezeichnet werden kann. Bis zum 19. Jahrhundert gab nur einen bedingten Vorlauf. Die „moderne" Kontagionstheorie hatte sich Anfang des Jahrhunderts erstmals gewissen Einfluß verschaffen können. Entgegen geltender medizinischer Paradigmen war sie staatlicherseits zunehmend favorisiert worden. Medizinischerseits stand sie jedoch nach wie vor im Schatten „vormoderner" miasmatischer Konzepte. Letztere sahen sich durch das Scheitern aller Präventivmaßnahmen bei den Cholerawellen des 19. Jahrhunderts bestätigt. Es kam zu einer letztmaligen miasmatischen Offensive. Deswegen war das bakterielle Modell so revolutionär. Es brach nicht nur mit den Epidemiologien und Pathologien der zweiten Jahrhunderthälfte, sondern mit jahrtausendealten Überlieferungen. Beide, Epidemiologie wie Pathologie, zeichneten sich durch hochdifferenzierte, hochkomplexe Determinationsgefüge aus. Entsprechend vielschichtige und komplexe Therapien wurden offeriert. Das umschloß einen bestimmten Krankheitsbegriff. Menschen waren nie richtig gesund, aber auch nie völlig krank. Ob ontologischer oder nichtontologischer Krankheitsbegriff: In der Regel gab es jeweils nur Störungen von Zuständen, von Kreisläufen oder von Gleichgewichtslagen. Humoralpathologisch seit Hippokrates, organpathologisch seit der Aufklärung, zellpathologisch seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Krankheit war eine veränderte Lebensäußerung. Bezüglich Epidemien galt, sie würden dem Schwanken einer Constitutio epidemica bzw. eines Genius epidemicus unterliegen. Sie wären latent immer schon da, würden sich hin und wieder verstärken oder abschwächen. Für das individuelle Körpergeschehen hieß das, man war ständig ein wenig krank, aber irgendwie immer auch gesund. Damit war Krankheit, wenn man sich positiv am Ideal von Gesundheit orientierte, in der Regel gar kein gravierender Einschnitt. Nach Koch wäre jetzt Schluß mit diesem Konzept. Die geniale Lösung bestand in dem einfachen Diktum: wo eine Krankheit, da immer der zwingende Erreger, und wo der Erreger, da zwingend die Krankheit. Das heißt, Krankheit wurde erst tatsächlich zu wirklicher Krankheit, aber Gesundheit auch zu wirklicher Gesundheit (wenn sie nicht lediglich auf die Abwesenheit von Krankheit reduziert wurde). Das bedeutete eine radikale Umdefinition von bisherigen medizinischen und kulturellen Konzepten. Das blieb, wie die weitere Entwicklung zeigte, nicht nur auf Infektionskrankheiten beschränkt. Gesund und krank wurden elementar voneinander geschieden. Ihre Scheidegrenze lag, um einen Terminus Bruno Latours aufzugreifen, an einem obligatorischen Passagepunkt. An der Engstelle, wo der Erreger den Körper infiltriert, an diesem idealisierten Verengungsort, ließen sich Krankheit

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Vgl.: Robert Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose (1884), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 467-565, hier: S. 483.

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und Gesundheit scheiden. Dort ließ sich Krankheit im Vorfeld kontrollieren bzw. verhindern und Gesundheit verteidigen29. Die medizinischen Prioritäten verschoben sich. Im Vordergrund stand weniger die Gesundheit, sondern das Verhindern von Krankheit. Das Hauptaugenmerk bei epidemischen Krankheiten lag - und das wurde folgenreiches sozial-politisches Programm - in der bakteriellen Prävention. Ein nächster Schritt der Bakteriologie - das Konzept der neunziger Jahre - bestand in Strategien für präventive Immunologie. Sie konzentrierten sich ebenfalls auf das Vorfeld von Krankheit. Sie hatte jedoch eine weitaus größere strategische Reichweite, richtete sich nicht nur auf unmittelbare Infektionsabwehr an der Körpergrenze. Immunisierung betraf den Gesamtorganismus. Im Fall der Cholera, und nicht nur bei der Cholera, schlugen Immunisierungsversuche jedoch fehl30. Der nächste Schritt, tatsächliche Therapiemittel für schon eingetretene Erkrankungen zu finden, etwa für Tuberkulose, war deshalb geradezu zwingend. Sie konnten von der Bakteriologie ihrer anfänglichen Ausrichtung nach jedoch gar nicht gefunden werden. Denn sie setzte gedanklich nach wie vor bei diesem erwähnten obligatorischen Passagepunkt, dieser Engstelle des Eindringens an. Therapie jedoch wird erst ab dem Punkt erforderlich, wo er bereits überschritten ist. Die Konzentration auf Verursachungskausalität wies damit gravierende Schwächen und Defizite auf. Denn der Krankheitsprozeß selbst rückte aus dem bakteriologischen Blickfeld. Koch machte daraus keinen Hehl: „Am unsichersten sind die Resultate gewesen, welche die am Krankenbett gesammelten Erfahrungen geliefert haben"31. Reduktionistisch wurde in der Bakteriologie zwischen Erreger, Inkubation, Infektion und Krankheit nie sonderlich unterschieden. Ein eigenständiger Krankheitsverlauf wurde damit de facto ignoriert. Letztlich konnte er sich sogar jenseits des Menschen ergeben. Die Nutzung von Versuchstieren in großem Maßstab, zwingendes Implement der Kochschen Postulate, beförderte diese Exterritorialisierung nur32. Das Labor trat an die Stelle der Klinik, Versuchstiere an die Stelle der Menschen, Tierleichen an die Stelle der Kranken. Ihren Vertretern wurde die bakterielle Kausalität im Grunde so zwingend, daß Ursache und Wirkung sich ineinanderspiegelten und schließlich, unter Prädominanz des ursächlichen Erregers, deckungsgleich wurden. In der Pathologie Virchowscher Prägung fielen der Konsequenz nach Ursache, als Anlaß, und Wirkung unter dem Vorzeichen der Wirkung zusammen. In der Bakteriologie war es geradezu umgekehrt. Ursachen wurden unter folgenreicher Vernachlässigung von Wirkbedingungen und letztlich Wirkungen hypertrophiert. Alles Augenmerk galt dem zwischen Nährboden, Mensch und Tier hin und her transferierten Erreger.

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Vgl.: Bruno Latour, The Pasteurization of France (1984), Cambridge and London 1993, S. 43ff.; ders., Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers Through Society, Milton Keynes 1987, S. 150ff., 243ff. Vgl.: llana Löwy, From Guinea Pigs to Man: The Development of Haffkine's Anticholera Vaccine, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 47 (1992), S. 270-309; Lawrence K. Altmann, Who goes first? The story of self-experimentation in medicine (1987), Berkeley, Los Angeles, London 1998, S. 120ff. Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose (1884), S. 467. Vgl. zum Vorfeld: W. F. Bynum, „C'est un malade": Animal Models and Concepts of Human Disease, in: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences, 45 (1990), S. 3 9 7 ^ 1 3 .

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Damit war die Cholerakrankheit als ganze keinesfalls erklärt. Insofern waren die damaligen Einwände berechtigt, bakteriologisch würde „die pathogene Beziehung zwischen Mensch und Erreger ausschließlich von der Natur des letzteren abhänge[n], während der Mensch nur indifferenter Nährboden sei" 33 . Der Kranke wurde gewissermaßen zum Anhängsel der Krankheit, zum Nährboden, zu einer zu vernachlässigenden Größe. Er war Kulturmedium, Randphänomen im Kampf von Bakteriologen gegen Erreger. Das zeigte sich exemplarisch in der risikoreichen Art und Weise der Therapie mit neuen, unter bakteriologischer Ägide entwickelten Pharmaka. Diese Therapien trugen teilweise Züge eines kalkulierten Menschenversuchs. In ihm galt, im extremsten Fall, die Heilung wenig, der Nachweis der Heilkraft alles. Heilversuche und Humanexperiment überlagerten sich verhängnisvoll. Insofern war das Tuberkulindesaster Kochs kein bedauerlicher Irrtum, sondern war Konsequenz eines einseitigen Kausalitätskonzepts. Das trifft nicht nur auf Kochs Desaster zu. Er hatte lediglich die schweren Nebenfolgen des Tuberkulins zu verantworten, das er ohne gesicherte Erkenntnisse, motiviert von Ehrgeiz und ökonomischem Kalkül, eilfertig zur klinischen Nutzung freigab 34 . Gemessen an Fachkollegen war das eine gelinde und legale Art des Vorgehens. Andere waren, auch motiviert durch die Potenzen der aufstrebenden Pharma-Industrie und Aussicht auf schnellen ökonomischen Erfolg, weitaus offensiver 35 . Bakteriologische Pioniere wie etwa Albert Neisser oder Konrad Alt zogen um 1890 oder 1910 insgeheim und illegal Prostituierte, Gefängnisinsassen oder Geisteskranke zu gefährlichen pharmakologischen Experimenten heran. Später, während der Zeit des Nationalsozialismus, kamen jüdische Ghettobewohner bzw. Insassen von Konzentrationslagern hinzu36. Koch enthob sich dieser öffentlichen

33 Prof. Dr. Friedrich Martius, Krankheitsursachen und Krankheitsanlage. Vortrag gehalten auf der allgemeinen Sitzung der 70. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte in Düsseldorf am 23. September 1898, Leipzig und Wien 1898, S. 12. 34 Vgl.: Sigrid Fischer, Der X. Internationale medizinische Kongreß in Berlin 1890 und die Reaktion in der Tagespresse, Med. Diss. München 1978; B. Opitz/H. Horn, Die Tuberkulinaffäre. Neue medizinhistorische Untersuchungen zum Kochschen Heilverfahren, in: Zeitschrift für die gesamte Hygiene, 30 (1984), S. 731-734; Thomas Gorsboth/Bernd Wagner, Die Unmöglichkeit der Therapie. Am Beispiel der Tuberkulose, in: Kursbuch, Nr. 94 (1988): Die Seuche, S. 123-146; Barbara Elkeles, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment im 19. Jahrhundert, Stuttgart, Jena, New York 1996, S. 133ff.; Christoph Gradmann, Ein Fehlschlag und seine Folgen: Robert Kochs Tuberkulin und die Gründung des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin 1891, in: Strategien der Kausalität. Konzepte der Krankheitsverursachung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Christoph Gradmann/Thomas Schlich, Pfaffenweiler 1999, S. 29-52; ders., Robert Koch and the Pressures of Scientific Research: Tuberculosis and Tuberculin, in: Medical History, 45 (2001), S. 1-32, hier: S. 28ff. 35 Vgl.: Wolfgang Wimmer, „Wir haben fast immer was Neues". Gesundheitswesen und Innovationen der Pharma-Industrie in Deutschland, 1880-1935, Berlin 1994. 36 Vgl.: Albert Moll, Ärztliche Ethik. Die Pflichten des Arztes in allen Beziehungen seiner Thätigkeit, Stuttgart 1902, S. 528ff.; Paul Weindling, Health, race and German politics between national unification and Nazism, 1870-1945, Cambridge 1989, S. 168ff.; Hanna Vondra, Malariaexperimente in Konzentrationslagern und Heilanstalten während der Zeit des Nationalsozialismus, Med. Diss. Hannover 1989; Burghard Zachen, Das physiologische Humanexperiment von

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Debatte um Legalität und Illegalität. Nach dem Tuberkulindesaster verlegte er seine therapeutischen Bemühungen nach Afrika und auf die Schlafkrankheit. Diesbezüglich empfahl er 1907 unter Rückgriff auf englische Erfahrungen aus den sog. Burenkriegen den preußischen Kolonialbehörden die Errichtung von sogenannten „Konzentrationslagern". In diesen hatte er an Afrikanern seine mehr als dubiosen Atoxyl-Versuche zur Schlafkrankheit unternommen. Obwohl sie eingestandenermaßen bei zahlreichen Probanden zur völligen Erblindung führten, wurden sie, fußend auf Kochs Befürworten, von anderen deutschen Medizinern fortgeführt37. Das Kausalitätskonzept der Bakteriologie war einfach, aber auch vereinfachend. Es hatte seinen Grund in der Art der wissenschaftlichen Revolution, mit der es bisherige Konzepte verdrängte. Solche Revolutionen gehen anfangs immer mit Vereinfachungen einher, bis es im weiteren Verlauf zu Differenzierungen kommt. Vorerst aber erfolgt ein radikaler und genereller Traditionsbruch. Nur allmählich wird das neue Konzept präzisiert und konkretisiert, läßt Ausnahmen zu, räumt ihnen schließlich weiten Raum ein, integriert am Ende Traditionsbestände recht weitgehend. Das ist ein Merkmal jeder wissenschaftlichen Revolution. Im Fall der Bakteriologie ergab sich ein Hang zur Kausalvereinfachung noch aus einem weiteren Grund. Die Disziplin intendierte nicht nur eine theoretische Revolution, sondern hauptsächlich eine praktische. Das lag bei der Seuchenfrage auf der Hand. Das Problem epidemischer und ansteckender Krankheiten war Ende des 19. Jahrhunderts eine Lebensfrage für den ökonomischen, militärischen und politischen Bestand der Gesellschaf-

1880-1900. Eine exemplarische Analyse am Beispiel der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, Med. Diss. Hannover 1990, S. 65ff., 90ff.; Ludger Weß, Menschenversuche und Seuchenpolitik - Zwei unbekannte Kapitel aus der Geschichte der deutschen Tropenmedizin, in: 1999. Zeitschrift für das 20. und 21. Jahrhundert, 8 (1993), H. 2, S. 10-50; Elkeles, Der moralische Diskurs über das medizinische Menschenexperiment im 19. Jahrhundert; Karl-Heinz Leven, Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Landsberg/Lech 1997, S. 105ff., 121 ff.; Lutz Sauerteig, Ethische Richtlinien, Patientenrechte und ärztliches Verhalten bei der Arzneimittelerprobung (1892-1931), in: Medizinhistorisches Journal, 35 (2000), S. 302-334; vgl. insgesamt: Menschenversuche. Wahnsinn und Wirklichkeit, hrsg. v. Rainer Osnowski, Köln 1988. 37 Vgl.: Robert Koch, Mitteilung über den Verlauf und die Ergebnisse der vom Reiche zur Erforschung der Schlafkrankheit nach Ostafrika entsandten Expedition, mündlicher Bericht auf der Sitzung des Reichsgesundheitsrates vom 18. November 1907, in: Gesammelte Werke, Bd. 2.2, S. 930-940, hier: S. 936; vgl. dazu: Wolfgang U. Eckart/Meike Cordes, „People too wild?" Pocken, Schlafkrankheit und koloniale Gesundheitskontrolle im Kaiserlichen „Schutzgebiet" Togo, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, hrsg. v. Martin Dinges/Thomas Schlich, Stuttgart 1995, S. 175-206; Wolfgang U. Eckart, Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884-1945, Paderborn, München, Wien 1997, S. 340ff.; Steven Riethmüller, Ehrlich, Bertheim, and Atoxyl, in: Bulletin of the History of Chemistry, 23 (1999), S. 28-33. Zur politischmilitärischen Geschichte solcher Lager: Joachim Zeller, „Wie Vieh wurden hunderte zu Tode getrieben und wie Vieh begraben." Fotodokumente aus dem deutschen Konzentrationslager in Swakopmund/Namibia 1904-1908, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 49 (2001), S. 226-243. Zu englischen Lagern seit 1900 in Südafrika: Joël Kotek/Pierre Rigoulet, Das Jahrhundert der Lager. Gefangenschaft, Zwangsarbeit, Vernichtung, Berlin 2001, S. 57ff.

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ten geworden. Das trifft zwar mehr oder weniger auf alle bisherigen Sozietäten zu. Aber einerseits gewannen unter den Bedingungen technischer, ökonomischer und militärischer Mobilität die epidemischen Gefahren sichtlich immer bedrohlichere Ausmaße. Andererseits erlaubten zentralisierte Imperialgeseilschaften wie etwa Deutschland oder Frankreich erhebliche finanzielle, wissenschaftliche und staatliche Potenzen zu bündeln, um dieses Problem zu bewältigen. Genau für diesen Zweck eignete sich das Bakterienkonzept in hervorragender Weise. Wie insbesondere Thomas Schlich herausgearbeitet hat, diente es effizient dem Nachweis, der Kontrolle und letztlich der praktischen Verfügung über notwendige Krankheitsursachen. Es eröffnete einen medizinischen und sozialen Handlungsspielraum und stabilisierte den staatlichen Organismus in entscheidender Weise38. Der Sturmlauf der Bakteriologie gründete sich auf die Tatsache, daß sie die Seuchenprobleme nicht irgendwann und irgendwie zu lösen versprach. Sie ermöglichte es konkret und unmittelbar. Kochs schon angeführtes Insistieren auf eine unmittelbare Ursache ebnete unmittelbaren Präventionsmaßnahmen den Weg, und diese zeigten unmittelbar effiziente Wirkung. Beziehungsweise umgekehrt: Der drängende Wunsch nach unmittelbarem effizienten Handeln prägte das Kausalitätskonzept und schrieb sich der Prämisse der unmittelbaren Verursachung ein. Mit Kochs eigenen Worten: Aber als Unterlage für praktische Aufgaben, zu denen vor allen Dingen die Prophylaxis und Therapie der Infektionskrankheiten zu rechnen sind, [...] brauchen wir die zwingende Gewißheit darüber, daß dieser oder jener bestimmte und unter veränderten Verhältnissen an gewissen Kennzeichen immer wieder zu erkennende Mikrokokkus die einzige Ursache der gegebenen Krankheit ist.

Soweit plausibel. Dieses scheinbar analytische Konzept war jedoch eindeutig intentional. Die Annahme des Gegenteils, also eines Multideterminismus, würde, so Koch, nur dazu führen, daß „die gestellte Aufgabe in höchstem Grade kompliziert und durch zahlreiche Fehlerquellen gefährdet, vermutlich ganz unlösbar wird"39. Sie sollte einfach zu lösen sein. Kompliziertes sollte abgewiesen werden. Der Wunsch, so ließe sich die Herkunft dieser Kausalvereinfachung pointiert zusammenfassen, war Vater des Gedankens. Die Seuchenfrage sollte einfach zu beantworten sein. Dann war effizientes Handeln möglich. Das Drängen auf praktische Effizienz formierte die Theorie des Bakteriums. Ein solcher Wunsch nach Effizienz hatte in der klinischen oder Universitätsmedizin vorerst keinen Rückhalt. Aus dieser Richtung, aber auch von praktizierenden Ärzten - abgesehen von Sozialhygienikern der Pettenkofer-Schule, von Naturheilkundlern oder Rassenhygienikern - kam nach-

38

Vgl.: Thomas Schlich, Die Konstruktion der notwendigen Krankheitsursache: Wie die Medizin Krankheit beherrschen will, in: Anatomien medizinischen Wissens. Medizin, Macht, Moleküle, hrsg. v. Cornelius Borck, Frankfurt/M. 1996, S. 201-229; ders., Die Kontrolle notwendiger Krankheitsursachen als Strategie der Krankheitsbeherrschung im 19. und 20. Jahrhundert, in: Strategien der Kausalität, S. 3-28.

39

Robert Koch, Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten (1878), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 61-108, hier: S. 75.

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haltiger Widerstand gegen Koch 40 . Bezeichnenderweise stammten die Gründungsfiguren der Bakteriologie, Koch und Pasteur, gar nicht aus diesem klinischen bzw. universitären Wissenschaftsmilieu. Koch war Kreisphysikus, orientierte sich an Cohns Botanik und stieg geradezu rasant zum einflußreichen Regierungsbeamten auf. Pasteur war Chemiker und befaßte sich deshalb mit Problemen der Landwirtschaft und ansteckender Tierkrankheiten. Beide durchbrachen die Wahrnehmungs- und Handlungsbarrieren, die der klinischen und Universitätsmedizin und ihrer spezifischen institutionellen Subkultur zu eigen waren. Sie bahnten eine wissenschaftliche Überholspur und etablierten eine neue Disziplin, eine wissenschaftliche Gegenkultur. Die gründete sich auf ein neues Kausalitäts- und Theorieparadigma, auf neue technische Kompetenzen sowie auf einen neuen institutionellen Ort - das Labor. Anfangs bestätigten die Erfolge dieses neue theoretische und praktische Paradigma. Das vereinfachte Kausalitätskonzept, das die Prinzipen des mechanischen Determinismus fortschrieb, bewährte sich. Die mechanische Physik, die Aufsteigerdisziplin des Aufklärungszeitalters, die sub specie aeternitatis im Universum nichts als eine ewige und unveränderliche „ununterbrochene Kette von Ursachen und Wirkungen" sah (d'Holbach41), schien den Protagonisten der Bakteriologie als Leitbild vorzuschweben. Die Mechanik war zum dominierenden Signet einer Ära geworden, weil sie die Probleme löste, die durch jene Epoche aufgeworfen worden waren. Nun beanspruchte die Bakteriologie die klassische Art der Evidenz, wie sie die Mechanik liefern konnte, mutatis muntandis für sich. Sie löste damit die Probleme, die ihre Epoche auf die Tagesordnung gestellt hatte. Dem hypertrophierten Ursprungsdenken, das sich der Kausalitätskonzeption der klassischen Mechanik eingeschrieben hatte, war, wie in der Forschung herausgestellt wurde, ein auch bestimmter latent magischer Impetus zu eigen42. In der Bakteriologie gewann er neue Gestalt. Der Erreger war das geradezu magische „Ens", das die körperliche bzw. soziale Stabilität bedrohe und dem es mit aller Kraft der Wissenschaft zu wehren galt. Überhaupt transzendieren sich Kausalitätsverhältnisse, in kulturelle Kontexte gestellt, notwendigerweise selbst. Denn Grenzen zwischen Kausalbezug und Bedeutungsbezug verwischen. Was post hoc in analytischer Betrachtung als von Sachverhalten bzw. Kausalbeziehungen getrennte Bedeutung erscheint, ist situativ unmittelbar mit ihnen verknüpft. Kausale Beziehungen sind unmittelbare Bedeutungsträger. Bedeutungsbeziehungen sind unmittelbare Kausalrelationen. Grenzen zwischen beiden sind letztlich gar nicht zu ziehen. Beide Ebenen durchdringen sich, sind symbiotisch miteinander verwoben. Kausalität schafft Bedeutung, Bedeutung schafft sich

40

41 42

Vgl.: Rüssel C. Maulitz, „Physician versus Bacteriologist": The Ideology of Science in Clinical Medicine, in: The Therapeutic Revolution. Essays in the Social History of American Medicine, ed. by Morris J. Vogel/Charles E. Rosenberg, Pennsylvania 1979, S. 91-108; Latour, The Pasteurization of France, S. 116ff. Paul Thiry d'Holbach, System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt (1770), Frankfurt/M. 1978, S. 23. Vgl.: Thomas Schnelle/W. Baldamus, Mystic Modem Science? Sociological Reflections on the Strange Survival of the Occult within the Rational Mechanistic World View, in: Zeitschrift für Soziologie, 7 (1978), S. 251-266; Keith Hutchison, Supernaturalism and the Mechanical Philosophy, in: History of Science, 21 (1983), S. 299-333.

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Kausalität. Jede emphatische Statuierung von Kausalitätsverhältnissen gibt Zeugnis davon. Auch Koch scheint im faszinierenden Bann von Kausalbezügen gestanden zu haben. Er bestand auf Kausalität, auf eine möglichst einlineare, der bestimmte Züge eineindeutiger mechanischer Verursachung zu eigen waren. Bemerkenswert ist, daß das zu einem Zeitpunkt geschah, als um 1900 die Prinzipien der klassischen Mechanik durch die neuen Quanten- und Relativitätstheorien grundlegend revidiert wurden. Der substanzhafte Begriff von Körpern, von Wirklichkeit überhaupt wurde infrage gestellt. Der sogenannte medizinische „Konditionalismus" trug den veränderten Umständen auf seine Weise Rechnung. Die Programmschrift „Kausale und konditionale Weltanschauung" des Physiologen und Biologen Max Verworn von 1912 und andere parallele Ansätze gaben Impulse für eine entschiedene Weiterentwicklung bzw. Ablösung mechanischer Kausalitätskonzepte auch in der Medizin43. Das war in einer Phase, als die Bakteriologie, rund dreißig Jahre nach ihrer Inauguration, auf ihre konzeptionellen Defizite allmählich zu reagieren begann. Spätestens seit 1893 hatte der ehemalige Koch-Schüler Ferdinand Hueppe mit einer „Konstitutionshygiene" versucht, mit diesen Einseitigkeiten zu brechen und eine komplexere (individuelle) Ätiologie auszuarbeiten. Daß er, trotz aller Berücksichtigung sozialer Aspekte, in ein darwinistisch geprägtes erb- und rassenhygienisches Fahrwasser geriet, steht auf einem anderen Blatt. Hueppe versuchte immerhin, monokausale Verursachungsvorgänge komplexer zu fassen44. Damit stand er innerhalb der Bakteriologie nicht allein. Auch das Kausalitätskonzept Kochs fand um 1900 mit dem Konzept unidentifizierbarer menschlicher Keimträgern eine Neuformulierung. Mit ihm wurde der unmittelbare Zusammenhang von Erreger und Erkrankung um weitere, vermittelnde Glieder aufgeschoben. Nicht jeder eingedrungene Erreger bewirke die Erkrankung. Damit hatte die Verursachungsbakteriologie in ihrer frühen Fassung noch größte Probleme, da es das selbstgestellte Kriterium der hinreichenden Ursache suspendiert hätte45. Pettenkofers Selbstversuch von 1892, bei dem er eine Choleralösung zu sich nahm, hatte genau diese Suspendierung zum Ziel. Keine Erkrankung, kein schlüssiger Nachweis für den ursächlichen Erreger -

43

Vgl.: Max Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung, Jena 1912. Eine weitere Schrift des Pathologen und Virchow-Schiilers David v. Hansemann bezog die Bakteriologie in seine Kritik explizit mit ein, unterstellte aber unzulässig das Bild einer Vulgärbakteriologie und kam selbst nicht über Absichtserklärungen hinaus, vgl.: D. v. Hansemann, Ueber das konditionale Denken in der Medizin und seine Bedeutung für die Praxis, Berlin 1912, S. 170ff. Vgl. insgesamt: Dietrich v. Engelhardt, Kausalität und Konditionalität in der modernen Medizin, in: Pathogenese. Grundzüge und Perspektiven einer Theoretischen Pathologie, hrsg. v. Heinrich Schipperges, Berlin 1984, S. 32-58.

44

Vgl. : Ferdinand Hueppe, Ueber die Ursachen der Gährungen und Infectionskrankheiten und deren Beziehungen zum Causalproblem und zur Energetik. Sonderabdruck aus der Berliner Klinischen Wochenschrift, Berlin 1893. Zu Hueppe vgl.: Paul Weindling, Health, Race and German Politics between national unification and Nazism, 1870-1945, Cambridge 1989, S. 170ff.; Alfons Labisch, Homo hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt/M. 1992, S. 147ff.; Eckart, Medizin und Kolonialimperialismus, S. 76ff.

45

Vgl.: Dr. R. J. Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte. Vorträge und bakteriologisches Praktikum, Berlin 1893, S. 61 ff.

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ein Versuch, der unterschiedlichen Angaben zufolge von verschiedenen Wissenschaftlern über zwanzig- bzw. vierzigmal wiederholt wurde46. Zwei Jahrzehnte später erfolgte jedoch eine endgültige grundlegende epidemiologische Neuorientierung. Sie hob den bisherigen Reduktionismus weitgehend auf. Spätestens ab ca. 1920 konzentrierte sich die neue experimentelle Epidemiologie nicht mehr auf Einzelsubjekte, sondern, im Tier- und Menschen- wie im Mikrobenreich, auf ganze Populationen. Naturhistorisches und sozialhistorisches Wissen sowie statistische Aspekte rückten stärker in den Mittelpunkt. Es ging um Gleichgewichte im Verhältnis von Menschen und Mikroben, von Wirt und Mikroben bzw. Mikroben untereinander. All das war relevant für das Auftreten von Epidemien und für die schließliche Virulenz und Nichtvirulenz im einzelnen Infektionsfall47. Inwieweit - das bleibt anzumerken - das Paradigma der Selbstorganisation mit ihrem interdependenten Kausalitätskonzept die Epidemiologie, Immunologie und Therapie ansteckender Krankheiten beeinflussen wird, bleibt abzuwarten48. Zumindest dürfte unumstritten sein, daß Kausalitätsvorstellungen historisch wandelbar sind. Keinesfalls setzen sie sich durch bzw. nicht durch, weil sie wahr oder falsch, richtig oder unrichtig sind. Für die Bakteriologie gilt, daß auch sie die Bewertungsmaßstäbe für ihre eigene Evidenz hervorbracht hat. Ad 2): Artkonstanz· Wissenschaftsphänomenologisch lassen sich zwei Persönlichkeitstypen voneinander unterscheiden: visionäre Strategen und pragmatische Taktiker. Erstere sind stärker theoretisch-spekulativ ausgerichtet, letztere eher praktisch-empirisch. Diese Typen lassen sich mitunter bestimmten historischen Perioden zuordnen. In bezug auf die Fragen von Evolution gilt: In der Hochphase des Entwicklungsdenkens in den Naturwissenschaften, die Wolf Lepenies für die Zeit von 1770-1825 ansetzt49, waren eher visionäre

46

47 48

49

Zu Pettenkofers Selbstversuch vgl.: Richard J. Evans, Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910 (1987), Reinbek 1991, S. 625ff.; Altmann, Who goes first? The story of self-experimentation in medicine, S. 23ff.; zu weiteren Versuchen im Umfeld: Anton Dräsche, Über den gegenwärtigen Stand der bacillären Cholerafrage und über diesbezügliche Selbstinfektionsversuche, Wien 1894; Georg Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 2: Die Cholera, Gießen 1912, S. 243. Vgl.: J. Andrew Mendelsohn, Von der „Ausrottung" zum Gleichgewicht: Wie Epidemien nach dem ersten Weltkrieg komplex wurden, in: Strategien der Kausalität, S. 227-268. Vgl.: llana Löwy, The Immunological Construction of the Self, in: Organism and the Origins of the Self, ed. by Alfred I. Tauber, Dordrecht, Boston, London 1991, S. 43-75; Francisco J. Varela, Der Körper denkt. Das Immunsystem und der Prozeß der Körper-Individuierung, in: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, hrsg. v. Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt 1991, S. 727-743; llana Löwy, Unscharfe Begriffe und föderative Experimentalstrategien. Die immunologische Konstruktion des Selbst, in: Die Experimentalisierung des Lebens. Experimentalsysteme in den biologischen Wissenschaften 1850/1950, hrsg. v. Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner, Berlin 1993, S. 188-206. Vgl.: Wolf Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München, Wien 1976, S. 121. Zu analogen Tendenzen in Philosophie und Kunst vgl.: Heinz-Dieter Weber, Die Verzeitlichung der Natur, in: Vom Wandel des neuzeitlichen Naturbegriffs, hrsg. v. Heinz-Dieter Weber, Konstanz 1989, S. 97-132.

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Strategen dominant. Sie bestimmten die Diskurse, brachen dem entwicklungsgeschichtlichen Denken Bahn. Es beinhaltete, grob gesagt, mindestens drei Varianten: fortwährende Weiter- und Neuentwicklungen in der Natur mit Tod und Geburt neuer Arten, qualitative Übergänge zwischen den gegebenen Arten oder quantitative Wandlungen innerhalb einer Art. Das konnte eher teleologisch oder eher deterministisch begründet werden, präformistisch oder im Sinne offener Selbstorgsanisation. Nicht selten jedoch, und das war bei allen Unterschieden gemeinsam, spielten diese Modelle mit kühnen Hypothesen. Exakte Belege waren für sie nicht immer erforderlich. Das Paradigma war sich selbst genug. Belege dafür würden nach und nach schon erbracht werden. Nach dieser Phase des Höhenflugs setzte ein Umschwung ein. Der Blütephase evolutionärer Orientierung in Aufklärung und Romantik folgte nach dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Zurückhaltung. Kühne Visionen unterblieben weitgehend. Man kann von einer Art Trivialisierung und Profanierung der Naturwissenschaften sprechen. Statt thesenorientiert arbeiteten sie nunmehr ergebnisorientiert. Im Prozeß ihrer Institutionalisierung begannen sie de facto die Versprechen einzulösen, die bislang gegeben wurden. Ließen sich die verschiedenen Wissenschaftszweige des 19. Jahrhunderts vereinheitlichen, könnte man sagen: Die Warte der Evolution war erklommen. Von diesem Punkt aus ging der Blick aber nicht erneut und wiederum perspektivisch ins Weite, sondern auf den naheliegenden festen Boden unter den Füßen. Der Phänotyp des Wissenschaftlers in der zweiten Jahrhunderthälfte: positivistischer Taktiker statt visionärer Stratege. Die Naturwissenschaften der zweiten Jahrhunderthälfte gaben sich empirisch. Das war nicht nur Folge von Trivialisierung und Profanierung, sondern auch eines sich ausdifferenzierenden Spezialistentums. Enzyklopädische Universalgenies wie Buffon, Herder oder Humboldt hatten ihre Zeit gehabt. Sie war vorbei. Nach der kühnen Entdeckung neuer Regionen setzte nunmehr die akribische Vermessung des gewonnenen Terrains ein. Der holistische Überschwang bezüglich evolutionärer Gesamteinheit schwand. Einzelne Naturphänomene standen auf dem Prüfstand, wurden isoliert, zergliedert. Ihre evolutionäre Abkunft ließ sich gar nicht immer exakt belegen. So dominierten, wissenschaftsphänomenologisch gesehen, pragmatische Empiriker wie etwa Mendelejew, der 1869 sein Periodensystem chemischer Elemente entwarf. Präzise und auf gesicherte Weise gingen diese Empiriker daran, dem naturhaften Ist-Stand nachzuforschen. Evolutionäres Denken in den Naturwissenschaften war in der zweiten Jahrhunderthälfte in gewisser Hinsicht um den Kredit gebracht. Systematik statt Historie, Verräumlichung statt Verzeitlichung, Statik statt Dynamik, unhistorische Systematik statt unsystematischer Historie. Damit wurde in einer Spiralbewegung der voraufklärerische Standard einer fixen Taxonomie reproduziert. Auch dort diente Taxonomie, botanische und zoologische, der ideellen Bemächtigung des Naturreichs. Ehe durch das Evolutionsparadigma das Reich der Natur in unendliche Zeiten ausgedehnt wurde und sich einer letztendlichen klassifikatorischen Bemächtigung damit wieder entzog, galt das Vorhaben Linnés als wegweisend. Auf aristotelischer Grundlage entwarf er das klassifikatorische System für Pflanzen- und Tiersphäre, mit dem er und seine Generation sich zu Herrschern über dieses selbsterschaffene Reich aufschwangen. Die Einteilung in fixe Gattungen, Klassen, Arten usw. duplizierte die Ordnung, die Gott selbst in die Natur hineingelegt hatte. Der Mensch bildete sie naturgetreu nach. In diesem Prozeß avancierte er jedoch allmählich - Logik der Aufklärung - werthaft zum

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zweiten Gott: Homo secundus Deus. Es gebe eine klar hierarchisch gegliederte Kette von Wesen. Sie weise keine Fehlstellen und Lücken auf, aber auch keine Überschneidungen. Alles wäre, wie in einer wohlabgewogenen ständischen Ordnung, an seinem vorgesehenen Platz. An der Spitze befinde sich Gott, darunter möglicherweise himmlische Wesen. Dann käme, unter allen Geschöpfen die Krone, der Mensch. Darunter lägen Tier-, Pflanzen- und anorganisches Reich. Da alles perfekt, harmonisch und auf einen Schlag in den sechs Schöpfungstagen geschaffen worden sei, wären weitere Entwicklungen, gar die Bildung neuer Arten, unmöglich, nullae species novae. In diesem Horizont stellte die Artvermischung natürlich ein Problem dar. Die sich häufenden Nachrichten über Abarten oder Zwischenbildungen mußten erklärt werden. Das geschah nicht ohne Abstriche an der Vollkommenheit der Schöpfung. Die irritierenden Phänomene wurden zu Monstrositäten, Degeneration, Hybriden erklärt, die es im Schöpfungsplan eben auch gebe. Erst allmählich wankte die so geniale wie überschaubare systematische Klassifikation. Linné und Buffon mußten, so Lepenies, schon zu Lebensende zaghaft und defensiv auf die Linie der Transformation umschwenken. Das aufklärerische und romantische Zeitalter der Entwicklung, der Evolution brach an, ehe es nach dem ersten Drittel des 19. Jahrhundert wieder abebbte. Im Zug der Diskreditierung entwicklungsgeschichtlichen Denkens hielten die tonangebenden Bakteriologen in Deutschland - Cohn, Klebs, Koch - Ende des 19. Jahrhunderts wieder auf eine statische bakterielle Klassifikation. Sie wiederholten die frühaufklärerische Art der Systematisierung. Dahinter stand gleichfalls das Ideal einer denkbaren Beherrschung des Bakterienreichs. Klassifikation war Bemächtigung; die Virtuosen der Taxonomie waren Herrscher über das Bakterienimperium. Ein beständiger proteusartiger Wandel der Mikroorganismen hätte dem nur im Weg gestanden. Insofern war das Bestehen auf bakterielle Artkonstanz ein Deduktivvorsatz. Präziser: er entsprang dem Vorgang, den man mit Ludwik Fleck als kulturelle Konstruktion von Tatsachen bezeichnen kann. Artkonstanz sollte sein. Darum wurde sie auch gefunden und war belegbar. Die temporalisierenden bzw. evolutionstheoretischen Errungenschaften der Aufklärung waren in dieses Konzept implizit natürlich eingegangen. Sie wurden im Gesamtgefüge der Wissenschaft nicht grundlegend bestritten. Vor allem trifft das auf den Abschied von einem Schöpfergott zu. Die starre Art der bakteriellen Taxonomie hatte keinen schöpfungstheologischen Hintergrund, wie in der frühaufklärerischen Ära. Jedoch war sie vom selben Ideal getragen - qua Klassifikation sich des Bakterienimperiums zu bemächtigen, um, Konsequenz dieser theoretischen Hegemonie, eine praktische Verfügung zu forcieren. Bakteriologie war Taxonomie. Natürlich ist Systematik Bestandteil eines jeden Wissenschaftszweiges. Aber fundamentale Bedeutung gewann sie, weil sie in ein Wirklichkeitsverständnis eingebettet war, das Statik statt Dynamik zur Grundlage hatte. Entwicklungsdenken war ihm fremd. Auch denkbare aktuelle Variationen und Variabilität von Mikroorganismen lehnten die Gründungsfiguren der Bakteriologie ab. Statt dessen betonte Koch die Artkonstanz bakterieller Erreger: Monomorphismus statt Pleo-, Poly- oder Heteromorphismus. Schulbildend für diese Art bakterieller Taxonomie war der schon erwähnte Breslauer Pflanzenphysiologe Ferdinand Cohn, seit 1866 Leiter des neugegründeten Instituts für Pflanzenphysiologie an der Breslauer Universität, der Koch so entscheidend förderte. Er ist als einer der Gründer der Bakteriologie anzusehen, der auch den Terminus „Bakterium", der schon

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früher für verschiedene Mikroorganismen gebräuchlich war, als eigenständigen Gattungsnamen etablierte. Seine Schrift „Ueber Bacterien, die kleinsten lebenden Wesen" (1872) ist überhaupt als eine frühe Programmschrift für den später eigenständigen Zweig der Bakteriologie anzusehen. Schon darin wurde übrigens die Gewißheit ausgesprochen, daß sich die Cholera auf bakterielle Erreger zurückführen lasse. Wie war bis dahin der Stand der mikrobischen Klassifikation? Erste Versuche gab es von einem einsamen Pionier, Otto Friedrich Müller, schon 1773/74. Weitere Ansätze datieren von 1838, als Christian Gottfried Ehrenberg seine Arbeit über „Infusionsthierchen" veröffentlichte. Dort beschrieb er zwei Familien der „Monadina" und „Vibrionia", unterteilte sie in Gattungen und schließlich in Arten. Eine andere Art der Unterteilung wurde 1841 von Félix Dujardin vorgelegt. Beide ordneten die Kleinstlebewesen dem Tierreich zu - eine Annahme, die 1854 durch Cohn erstmals untergraben wurde. Er plädierte, wie mittlerweile auch andere Forscher, für eine Zuordnung zum Pflanzenreich. Bezüglich der Bakterien legte er schließlich von 1872-76 eine hauptsächlich auf morphologische Kriterien gebaute Systematik vor, die für lange Zeit als verbindlich galt. In gezielter Analogie zur Botanik unterteilte er Bakterien in vier Stämme und sechs Gattungen und betonte ihre konstante Spezifität. Grundlage waren morphologische Kriterien, also Ähnlichkeiten in Aussehen und Form. Tatsächliche Verwandtschaftsverhältnisse konnte Cohn, wie er selbst eingestand, nicht nachweisen. Er betonte, wie schwer es sei, Alters- und Entwicklungszustände, Varietäten und Arten exakt voneinander abzugrenzen, da die experimentellen Verfahren der Isolation, Züchtung, Vermehrung usw. nicht ausgereift genug seien. Das Fazit seines Vorgehens war dennoch unmißverständlich: Bakterien sind klar voneinander zu scheidende Entitäten. Sie besitzen spezifische, unvergängliche Eigenschaften. Eine Abkunft aus Urformen oder gar der beständige Übergang ineinander sei unmöglich50. Natürlich erfuhr Cohn Widerspruch. Die einen stellten die botanische Grundlage seines Systems infrage. Bakterien sollten dem Tierreich angehören. Ein Zugeständnis bedeutete dann die These, Bakterien seien keine pflanzlichen Wesen, sondern Nebenprodukte absterbender Pflanzen und Tiere. Andere, wie Joseph Lister, verstanden alle Mikroorganismen als Pilze. Wieder andere, wie etwa Klebs, entwickelten Klassifikationen nach anderen Kriterien. Und wieder andere widersprachen dieser statischen Art von Systematik überhaupt, weil sie evolutionäre Aspekte geltend machten. Nicht diese oder jene Art der Einordnung wäre zu korrigieren bzw. zu präzisieren, sondern das Vorhaben selbst fuße auf falschen Prämissen. Bakterien bzw. Mikroorganismen wären evolutionär miteinander verknüpft. Und nicht nur in einer historisch geregelten, unumkehrbaren Abfolge. Nach wie vor gebe es beständig Variationen, Mutationen, Übergänge. Ein Mikroorganismus sei nichts Fixes, Statisches. Man habe es mit einem Proteus zu tun, der unter anderen Bedingungen eine andere Gestalt und ein anderes Wesen annehme und andere Wirkungen zeige. Damit waren letztlich nicht nur Fragen der Taxonomie, sondern auch der effektiven Seuchenabwehr im Spiel. Mitte der siebziger Jahre waren diese Fragen zwar noch nicht allzu relevant, da die entstehende Bakte-

50

Zu Cohn vgl.: Brigitte Hoppe, Die Biologie der Mikroorganismen von F. J. Cohn (1828-1898), in: Sudhoffs Archiv, 67 (1983), S. 158-189; Gerhart Drews, Ferdinand Cohn, ein Wegbereiter der modernen Mikrobiologie und Pflanzenphysiologie, in: Freiburger Universitätsblätter, 37 (1998), H. 142, S. 29-84.

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riologie noch eine reine Laborwissenschaft war. Zehn Jahre später hatte sich das Bild grundlegend gewandelt. In der Zwischenzeit war aus einem Unterzweig der Botanik, der spärliche Laborressourcen für sich beanspruchte, eine Leitwissenschaft geworden, die nicht nur das Gehäuse der Wissenschaft, sondern das gesamte staatliche Gefüge Preußens und Frankreichs veränderte. Von daher umschloß das Konzept einer extremen mikrobischen Variabilität weitreichende Konsequenzen. Es hätte jene so elegante wie simple Präventionsstrategie, welche die Bakteriologie Kochs favorisierte, infrage gestellt. Wie noch zu sehen ist, standen die Grundlagen staatlicher Seuchenabwehr damit selbst zur Disposition. Von Cohns Widersachern wäre der Münchener Botaniker Carl Wilhelm von Naegeli an erster Stelle zu nennen. Naegelis Schrift „Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infectionskrankheiten" (1877) war ein polemischer Gegenentwurf, der seine bisherigen Anschauungen bündelte. Einerseits stützte Naegeli sich auf die nach wie vor wirksame Auffassung, Bakterien den Pilzen zuzuschlagen. Andererseits, und das war entscheidender, lehnte er, gegründet auf diese Pilztheorie, die Unterteilung in Genera und Species bei Bakterien strikt ab. Unter äußeren Einflüssen geschehe ein ständiger Formen- bzw. Wesenswandel. Bakterien seien nicht voneinander zu scheiden. Sie seien Modifikationen einer und derselben Gruppe von Pilzen, von Spaltpilzen. Mit pointierter Zuspitzung gab Naegeli an, niemals auch nur zwei Species von Bakterien unterscheiden zu können. Das war eine extrem unitaristische Sicht, die dem pluralistischen Spezifikations- und Diversifikationsmodell Cohns direkt widersprach und die, wie Pauline H. M. Mazumdar nachwies, darwinsche Positionen direkt verarbeitete51. Allein stand Naegeli mit diesen Annahmen nicht. Als Vorläufer ist unter anderem der Jenaer Botaniker Ernst Hallier mit seinen „Parasitologischen Untersuchungen" (1868) anzusehen, der Mikroorganismen als jeweils spezifische Stadien von Pilzen, als sogenannte Morphen ansah. Ein weiterer Streiter in der Fraktion der Unitaristen war der Wiener Kliniker Theodor Billroth. 1874 legte er seine „Untersuchungen über die Vegetationsformen von Coccobacteria séptica" vor. Darin versuchte er einen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang aller bakteriellen Organismen zu belegen. Sie seien nur modifizierte Stadien einer Uralge. Dieses Paradigma schrieb sich fort. Über mehrere Generationen hinweg vertraten Botaniker und Mediziner unitaristische Positionen - die romantischen Naturphilosophen, Carl Wilhelm von Naegeli, Theodor Billroth, Hans Buchner, Max von Gruber, Karl Landsteiner. Parallel dazu gab es die Linie der Pluralisten - Cohn, Klebs, Koch, Löffler, Paul Ehrlich. Mikrobiologen anderer Länder wurden in diesen Streit verwickelt. Pasteurs innovative Annahme einer wechselnden Virulenz von Erregern wurde in der Koch-Schule auf

51

Zu den Debatten um bakterielle Konstanz bzw. Varietät: Friedrich Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien. Für Aerzte und Studirende. Erster Theil. Bis zum Jahre 1878, Leipzig 1887; William Bulloch, The History of Bacteriology (1938), London 1960; Olga Amsterdamska, Medical and Biological Constraints: Early Research in Variation in Bacteriology, in: Social Studies in Science, 17 (1987), S. 657-687; Pauline H. M. Mazumdar, Species and Specifity. An Interpretation of the History of Immunology, Cambridge 1995; Werner Sohn, Mikroskop, Mikrobe, Kontext: Kleinste Lebewesen als strittige Wissenschaftsobjekte um 1880, in: Instrument - Experiment. Historische Studien, hrsg. v. Christoph Meinel, Berlin 2000, S. 250-259.

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ungenügende Expertmentiertechniken zurückgeführt und dem unitaristischen Standpunkt zugeschlagen. Pasteur wird jedoch erst aus der ungerechtfertigten Polemik des KochSchülers Gaffky von den Modifikations- und Transformationsansichten Naegelis und Buchners erfahren haben. Ob Pasteurs Thesen einer wachsenden oder sinkenden Virulenz von Erregern dem evolutionären Paradigma verbunden war, bedürfte einer genaueren Untersuchung. Fakt ist, Koch hielt das alles für Spekulation. Er blieb seinem Mentor Cohn treu. Schon als junger Eleve der Bakteriologie wies er Naegelis Position sachlich, aber entschieden zurück. Seine Rezension von Naegelis Buch von 1877 konzentrierte sich auf folgende Aspekte: Koch betonte, wie ungenügend das vorhandene mikroskopische Instrumentarium sei, um diesbezüglich gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Zu wenig empirische Daten wären vorhanden. Des weiteren hätte Naegeli sich in innere Widersprüche verwickelt. Im Ganzen hätte er versucht, „auf theoretischem Wege Licht in ein großes dunkles Gebiet zu tragen"52. Das war, in unverbindlichen rhetorischen Ornat gewickelt, eine entschiedene Kritik. In weiteren Arbeiten, als Koch eigene wissenschaftliche Erfolge schon aufzuweisen hatte, gewann diese Polemik an Nachdruck. Er lehnte den Pleomorphismus nunmehr unumwunden als „unhaltbaren Hypothesenkram" ab53. Und wie einst Linné oder Buffon Mischphänomene als Fehler der Schöpfung ausgewiesen hatten, führte er ihn auf folgenreiche Fehler und Irrtümer zurück. Nur waren es nicht mehr die bedauerlichen Irrtümer und Fehler der Schöpfung, die Linné und Buffon zu Ende ihres Lebens konzedieren mußten, um ihre Art der Klassifikation zu retten54. Koch berief sich auf natürliche Degeneration, auf „verkümmerte Formen" von Bakterien55. Des weiteren wies er, zum Teil berechtigt, darauf hin, daß ein nachlässiges experimentelles Vorgehen, also Verunreinigungen und Verschmutzungen, zu den Ergebnissen geführt hatten, die die bakterielle Varietät belegen sollten. Nicht der Schöpfer hätte gepfuscht, sondern der bakteriologische Forscher. Koch war und blieb ein Gegner des Unitarismus, ob in seiner Variante evolutionärer Entwicklung, der Spielart aktueller Varietät oder der einer sich verändernden Virulenz. Nachdrücklich trat er für eine Spezifität, und zwar eine konstant bleibende Spezifität von Bakterien ein. Es hat verschiedene Gründe dafür gegeben. Der eine mag eine empirischpositivistische Ausrichtung gewesen sein, die aller Spekulation abstand und die aufstrebende Bakteriologie nicht durch unzuverlässige Hypothesen gefährdet sehen wollte. Das fügte sich in das Klima der zweiten Jahrhunderthälfte, in dem, wie oben schon ausgeführt, entwicklungsgeschichtliche Aspekte nur recht gemäßigt interessierten. Ein instinktives Zurückweichen vor darwinistischen Prämissen mag hineingespielt haben. Bakteriologen

52 Robert Koch, Rez. zu: Naegeli, Die niederen Pilze u. zu: Buchner, Die Naegelische Theorie der Infektionskrankheiten (1878), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 51-56, hier: S. 55. 53 Robert Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen (1881), in: Gesammelte Werke, Bd. 1,S. 112-163, hier: S. 144. 54 Vgl.: Lepenies, Das Ende der Naturgeschichte, S. 70ff.; Staffan Müller-Wille, Botanik und weltweiter Handel. Zur Begründung eines Natürlichen Systems der Pflanzen durch Carl von Linné (1707-78), Berlin 1999, S. 297ff. 55 Robert Koch, Über bakteriologische Forschung (1890), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 650-660, hier: S. 651.

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äußerten sich, bis auf wenige Ausnahmen, nur selten explizit zu diesem Komplex. Aber natürlich schwang das Schwert des Darwinismus mit all seinen religiösen, politischen und wissenschaftlichen Konsequenzen auch über diesem Wissenschaftszweig. Darwin und Haeckel waren anfangs verfemt. Bezeichnend war die Rolle des politischen Liberalen Virchow. Selbst beständig wissenschaftlichen und politischen Anfeindungen ausgesetzt, übernahm er die Rolle des wissenschaftlichen Exekutors in Deutschland. Auf seiner Rede während der 50. Versammlung deutscher Naturwissenschaftler und Ärzte 1877 in München bezichtigte er Haeckels Deszendenztheorie sozialistischer Tendenzen und steckte der Wissenschaftsfreiheit überraschenderweise ausdrücklich Grenzen56. Das war ein möglicher Aspekt unter vielen. Der Hauptgrund für die demonstrative Ablehnung evolutionärer Zusammenhänge in der entstehenden Bakteriologie war aber ein anderer. Sie war praktischen Erfordernissen geschuldet. Letztlich ging es nicht um Taxonomie, um Hierarchien und Tableaus, sondern um staatliche Seuchenprävention und -bekämpfung. Da wies das Kochsche Modell eminente Vorzüge auf. So einfach und vereinfachend seine Kausalitätsvorstellungen, so einfach und vereinfachend das Bild von der Konstanz der bakteriellen Arten. Die überschaubaren Ursache-Wirk-Beziehungen bedurften einer klar zu identifizierenden Entität des Bakteriums. Erst seine Konstanz ermöglichte es, der konstanten pathogenen Beziehung von Mensch und Erreger auf die Spur zu kommen, um in diesen Prozeß eingreifen zu können. Artkonstanz war eine unabdingbare Prämisse der Kochschen Art der Verursachungsbakteriologie. Eine physiologische, gar evolutionäre Komplexität hätte nur eine verwirrende Kausalkomplexität nach sich gezogen. Das hätte erstens die Stringenz der Ätiologie beeinträchtigt. Zweitens hätte das wirksame medizinalpolizeiliche bzw. staatliche Gegenmaßnahmen erschwert. Naegeli hatte aus seiner Reserve gegen staatliche Prävention und sanitärpolizeiliche Zwangsmaßnahmen keinen Hehl gemacht. Er stand dem Lager Pettenkofers nahe. Die Spaltpilze würden sich gegebenenfalls zu Bakterien wandeln. Dieser gefährliche Vorgang setze aber nur bei eintretender Bodentrockenheit ein. Darauf wäre die Aufmerksamkeit zu lenken, nicht auf Grenzsperren, Quarantäne oder Kontrollhygiene. Koch hingegen vertrat ein anderes, vereinfachtes Kausalmodell, das mit seinem Konzept der Artkonstanz unmittelbar verbunden war. Es unterstellte spezifische Erreger für spezifische Krankheiten und betreffende spezifische Übertragungswege. Hier könne die Seuchenabwehr ansetzen. Eine solche Orientierung bedurfte keiner komplexen physiologischen

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Vgl.: Jutta Kolkenbrock-Netz, Wissenschaft als nationaler Mythos. Anmerkungen zur HaeckelVirchow-Kontroverse auf der 50. Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte, in: Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität, hrsg. v. Jürgen Link/Wulf Wülfing, Stuttgart 1991, S. 212-236; Wolfgang U. Eckart, Survival of the fittest - Charles Darwin und der Darwinismus im Spiegel der Naturforscher- und Ärzteversammlungen, in: Zwei Jahrhunderte Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Entwicklungen - Perspektiven. Symposion aus Anlaß des 175jährigen Bestehens der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, hrsg. v. Dietrich v. Engelhardt, Stuttgart 1998, S. 123-137; zurückhaltender: Peter Zigman, Ernst Haeckel und Rudolf Virchow: Der Streit um den Charakter der Wissenschaft in der Auseinandersetzung um den Darwinismus, in: Medizinhistorisches Journal, 35 (2000), S. 263-302.

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Über-, sondern einer gezielten Unterdetermination. Der Feind war zu bekämpfen. Deswegen mußte es ihn geben, möglichst klar konturiert. Ein wandelbarer bakterieller Proteus war nur hinderlich, hätte, wie Gaffky 1881 polemisch formulierte, „die Hoffnung durch gesetzliche Vorschriften" der Seuchen „allmählich mehr und mehr Herr zu werden", zunichte gemacht57. Schon zuvor, in seinen frühen Arbeiten zur Wundinfektion, hatte Koch den für ihn verbindlichen Schluß gezogen, daß „Infektionskrankheiten eine konstante [...] durch Größe, Gestalt, Wachstum wohlcharakterisierte Bakterienform entspricht" und hatte von daher ihre generelle „Verschiedenheit" und „Unveränderlichkeit" postuliert. Ausdrücklich hatte er bekräftigt, daß die verschiedenen Formen als „vorläufig konstante Arten anzusehen sind"58. Koch gab sich betont antievolutionär. Er wollte die Seuchenabwehr vereinfachen, nicht verkomplizieren. Das blieb für ihn verbindlich. Erst um die Jahrhundertwende räumte er vorsichtig eine wandelnde Virulenz bzw. gar Mutationen von Erregern ein59. Daß seine Zurückhaltung letztlich auch ein anti-darwinistischer Standpunkt war, wurde später explizit ersichtlich, in den Kolonialdebatten um eine mögliche Anpassung der Europäer an fremde exotische Lebensräume um 1900. Dabei hielt Koch auf anderer Ebene seine bisherige Position aufrecht. Er blieb bei seiner Ablehnung. Ihm ist anzurechnen, daß er nunmehr, als darwinistische bzw. sozialdarwinistische Positionen in bestimmten Kreisen Ansehen erlangt hatten - Ferdinand Hueppe, ein unmittelbarer Koch-Schüler der ersten Generation, später sein Widersacher, überführte wie oben schon erwähnt die Bakteriologie sogar in ein universelles darwinistisches Konzept von Konstitutions- und Rassenhygiene - , weiterhin auf Abstand blieb. Koch war nie Darwinist gewesen und wurde nie Darwinist. Er hatte erfolgreich ein eigenes theoretisches Paradigma etabliert. Er bedurfte keiner fremden Schützenhilfe, keiner geborgten Autorität. Empirisch präzise verfocht er sein Konzept der Verursachungsbakteriologie. Allenfalls anfangs gab es metaphorische Einlassungen über einen „Kampf ums Dasein"60. Das, in einem Brief an seinen Mentor Cohn, war nicht mehr als ein frühes Zugeständnis. Bald jedoch hatte Koch sein eigenes theoretisches Modell. Er bedurfte keiner Autoritäten. Zwar sind beim bisherigen Stand der Forschung seine Reaktionen auf die Ausdifferenzierung der Bakteriologie in ihre verschiedenen, heterogenen Zweige nach wie vor wenig bekannt. Zur These einer darwinistischen Rassenevolution hat er sich jedoch öffentlich geäußert. In den Jahren von 1890 bis 1900 wurde sie gezielt von Ernst Below vertreten, einem praktischen Arzt, der für die medizinalpolizeilichen Strategien der „Deutschen Kolonialgesellschaft" eine wichtige Rolle spielte. Auf der Grundlage einer

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Georg Gaffky, Experimentell erzeugte Septicämie mit Rücksicht auf progressive Virulenz und accomodative Züchtung, in: Mittheilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte, 1 (1881), S. 80-133, hier: S. 133. Robert Koch, Neue Untersuchungen über die Mikroorganismen bei infektiösen Wundkrankheiten (1878), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 57—60, hier: S. 59; ders., Untersuchungen über die Ätiologie der Wundinfektionskrankheiten (1878), in: ebenda, S. 61-108, hier: S. lOlf. Vgl.: E. Gotschlich, Robert Koch in seiner Stellungnahme zu den Problemen von Spezifität und Variabilität der Mikroben, in: Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie, 104(1943), S. 219-227. Robert Koch an Ferdinand Cohn, 25. Dezember 1877, in: Bruno Heymann, Robert Koch. I. Teil: 1843-1882, Leipzig 1932, S. 223.

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darwinistischen Theorie der Artanpassung nahm Below an, daß Rassen in relativ kurzer Zeit einem dynamischen Wandel unterliegen und so Seuchenresistenz erwerben. Die räumliche Expansion, wie sie Hunnen und später Mongolen exemplarisch vorführten, hätte auf einem Wechselspiel von Artkonstanz und Anpassung beruht: .Artenbildung durch Zonenwechsel", wie eine seiner Artikelfolgen überschrieben war. Das hätte eine höchstmögliche Resistenz gegen bakterielle Erreger und Epidemien gewährt. Gewisse Rassen seien, bei beständiger räumlicher Expansion, gegen Seuchen hochgradig immun. Der kolonialen Eroberung und Besiedlung Afrikas durch die Europäer stände nichts im Weg. Gefahrliche Krankheiten, vor allem Malaria, die ein ernsthaftes Hindernis darstellten, würden schon in kurzer Zeit ihre Wirkung verlieren, weil Resistenz dagegen wachse. Unterstützt von der „Deutschen Kolonialgesellschaft", versuchte Below in großangelegten Umfrageaktionen unter Kolonialärzten statistisches Material zu erlangen, um diese Theorie der Rassenakklimatisierung zu bestätigen61. Koch lehnte diese These ab. Er wies sie bei einem Auftritt vor genau jener „Deutschen Kolonialgesellschaft", die bisher die darwinistischen Akklimatisierungsthesen unterstützt hatte, 1898 entschieden zurück. Vor einem hochrangigen Auditorium aus Staatssekretären, Kolonialbeamten und medizinischen Koryphäen führte er in seinem Vortrag „Ärztliche Beobachtungen in den Tropen" aus, welche Schwierigkeiten der Besiedlung der Kolonien entgegenständen. Rassen würden nicht vom einen auf den anderen Tag mutieren. Es gebe keine Artanpassung, sondern unwandelbare Rasseunterschiede, die eine dauerhafte Besiedlung der Kolonien durch Europäer bedeutend erschwerten. Man müsse für eine Übersiedlung von Europäern vorsorglich die Regionen auswählen, die einen möglichst angemessenes Klima böten. Dann wären mit möglichst hohem Aufwand hygienische und sozialhygienische Vorkehrungen zu treffen, um ein Leben in der an sich feindlichen tropischen Umwelt zu ermöglichen. Die bakterielle Suche nach Erregern, Übertragungswegen und möglichen Immunisierungsmitteln bzw. Medikamenten gehörte selbstredend dazu. Eine natürliche Immunität sei fragwürdig. Es käme darauf an, künstliche Immunität zu erzeugen62. Kochs Vorbehalt bedeutete nicht, daß er die kolonialen Bestrebungen des Kaiserreichs problematisierte. In seinem Vortag unterstützte er sie ausdrücklich, wie auch durch seine gesamte mehrjährige Tätigkeit als Kolonialmediziner in Afrika. Er war, ohne übergroßes politisches Engagement zu zeigen, ein loyaler wilhelminischer Untertan. Unter diesem Vorzeichen engagierte er sich frühzeitig und überdurchschnittlich für die Kolonialmedizin63.

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Vgl.: Eduard Holz, Ernst Below: Arzt, Tropenhygieniker und Schriftsteller im 19. Jahrhundert. Eine Biographie, Med. Diss. Hannover 1990; Eckart, Medizin und Kolonialimperialismus, S. 76ff. Vgl.: Robert Koch, Ärztliche Beobachtungen in den Tropen (1898), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 326-343, vgl. auch: ders., Die Gesundheitsverhältnisse in Deutsch-Ostafrika (1906), in: ebenda, Bd, 2.2, S. 1206-1216; ders., Ansiedlungsfähigkeit der weißen Rasse in den Tropen (1908), in: ebenda, Bd. 2.2, S. 958-962. Vgl.: Janine Dribbisch, Zu politischen Aspekten der Expeditionen Robert Kochs in die südafrikanischen Kolonien des Britischen Empire, Med. Diplomarbeit, Humboldt-Universität Berlin 1984; Bettina Kühn, Robert Kochs Bedeutung für die Tropenmedizin anhand seiner Protozoenforschungen, insbesondere des Studiums der Schlafkrankheit, Med. Diss. Halle-Wittenberg 1994,

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Koch war lediglich Kritiker des Darwinismus, verfocht lediglich ein anderes Konzept kolonialer Expansion. In seiner meist nüchternen Art sah er aus medizinischer Sicht Schwierigkeiten, wo andere enthusiastisch ans Werk gehen wollten. Das gilt auch für seine Stellung in der Frage bakterieller Konstanz. Er hielt sich an Greifbares und vermied Spekulationen. Daß er damit ein irreführendes Paradigma etablierte, das die weitere Entwicklung der Bakteriologie auf Jahrzehnte behinderte, steht auf einem anderen Blatt. Heute sehen sich Bakteriologie bzw. Virologie vor dem Problem, daß sie es nicht mit verborgenen Phänomenen zu tun haben, sondern mit solchen, die extrem wandelbar sind64. Ad 3): Repräsentation. Die Annahme bakterieller Artkonstanz wurde durch eine neue technische Errungenschaft gravierend bestärkt. Artkonstanz gewann dadurch letztendlich sogar erst ihre Realität: durch Fotografie. Koch war der erste, der Fotografien zum Nachweis und zur Darstellung bakterieller Mikroorganismen publizierte. Er wies ihnen einen hohen Stellenwert nicht nur zu ihrer Repräsentation, sondern selbst ihrer Erkenntnis zu. Das war für sein Verständnis morphologischer Konstanz und Differenz nicht folgenlos. Die ersten Erfolgsnachrichten über Fotos sandte Koch seinem Mentor Cohn ausdrücklich mit der Vermutung, nunmehr werde die klare Spezifität von Bakterien bewiesen werden können65. Um seinen unmittelbaren Schüler Löffler anzuführen: „Durch einen Blick auf die von der Natur selbst gezeichneten Photogramme [...] konnte nunmehr ein Jeder sich von den grossen morphologischen Unterschieden [...] überzeugen"66. Fotos versprachen unmittelbare Evidenz. Niemand konnte sich ihrer Beweiskraft entziehen. Dennoch standen sie am Endpunkt einer langen Kette von Kulturtechniken, die das, was als Bakterium sichtbar wurde, erst sichtbar machten. Andere Techniken gingen ihr voraus. Die fotografische Repräsentation, auf die Koch so viel Wert legte und auf die er sein Gebäude der Bakteriologie anfangs entscheidend gründete, war nur ein Schritt unter vielen, die dazu führten, daß Bakterien Bakterien wurden. Sie wurden in langwierigen Verfahren isoliert, neugezüchtet, gefärbt, vergrößert, fotografiert, schließlich im Bild repräsentiert und multipliziert. Es bedurfte bedeutenden kognitiven und technischen Aufwands, um Bakterien überhaupt sichtbar zu machen (vom Nachweis, daß sie in spezifischer Weise Krankheiten erregen, ganz zu schweigen). Erreger waren das Produkt aufwendiger kognitiver und technisch-praktischer Konstruktion. Heute erscheint uns ihre Existenz geradezu selbstverständlich. Das, was evidentes Produkt dieser Konstruktion ist, sollte aber nicht daran hindern, den Prozeß dieser Konstruktion zu erschließen. Als kultureller Endverbraucher hat man Recht auf Herkunftsnachweise. Läßt man sich ernsthaft darauf ein, erscheint die Frage Bruno

S. 21 ff., 118ff.; Eckart, Medizin und Kolonialimperialismus, S. 36ff., 340ff„ 403ff. Sehr zurückhaltend: Ragnhild Münch/Stefan S. Biel, Expedition, Experiment und Expertise im Spiegel des Nachlasses von Robert Koch, in: Sudhoffs Archiv, 82/1 (1998), S. 1-28. Rein hagiographisch: Werner Köhler, Robert Koch (1843-1910) und die Erforschung tropischer Infektionskrankheiten, in: Robert Koch. Zum 100. Jahrestag der Entdeckung des Tuberkuloserregers. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Nr. 4/N (1983), S. 5-39. 64 65 66

Vgl.: Christopher Wills, Plagues. Their origin, history and future, London 1996; Robert Desowitz, Tropical diseases from 50.000 BC to 2500 AD, London 1997. Robert Koch an Ferdinand Cohn, 17. März 1877, in: Heymann, Robert Koch. I. Teil, S. 186. Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien, S. 220.

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Latours, ob es Mikroben vor der Ära Pasteurs und Kochs tatsächlich schon gegeben hat, gar nicht mehr abwegig. Vorerst zu den Techniken des Isolierens und Sichtbarmachens von Erregern im Vorfeld der Fotografie: Erste Voraussetzung zum Nachweis der Existenz von Bakterien waren mikroskopische Geräte. Auf sie wird im nächsten Abschnitt genauer eingegangen. Solche Vergrößerungsgeräte gegeben, mußten Gewebeteile bzw. Mikroorganismen für den mikroskopischen Gebrauch so präpariert werden, daß eine Wechselwirkung mit unerwünschten Substanzen bzw. Einflüssen verwehrt blieb. Das schilderte Koch u.a. in seiner ersten bahnbrechenden Arbeit, in der zum Milzbranderreger. Des weiteren waren an den derart isolierten und gegebenenfalls in Reinkultur neugezüchteten Proben die Erreger kenntlich zu machen. Der Blick durch das Mikroskop allein reichte dazu oftmals nicht aus. Nur komplizierte, mitunter gestaffelte Färbungstechniken ermöglichten es, die Erreger vor den Augen des Betrachters zum Erreger werden zu lassen. Koch beschrieb solche Färbungsmethoden u.a. in der Arbeit, die der zum Milzbranderreger von 1876 folgte „Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien" (1877). Dabei verarbeitete der bis dahin unbekannte Kreisphysikus Anregungen, die er durch seine Kontakte zu den Breslauer Botanikern um Cohn gewonnen hatte, und er entwickelte die bei ihnen bereits praktizierten Färbungstechniken weiter. Ebenfalls wahrscheinlich auf Hinweise aus Breslau ging die Beschäftigung mit Fotografie zurück67. Koch zeichnete sich jedoch dadurch aus, sofort und energisch an eine Umsetzung zu gehen. Unmittelbar nach seinem ersten Breslauer Aufenthalt trat er mit einer damals wegweisenden Wetzlarer Gerätefirma in Kontakt, stellte Fragen, unterbreitete Vorschläge, wurde sogar energisch, als Zeitverzug eintrat. Betreffende Ergebnisse gingen ebenfalls in die Publikation von 1877 ein - die erste Arbeit, in der Fotos bakterieller Mikroorganismen überhaupt jemals veröffentlicht wurden. Eine weitere wichtige Errungenschaft, die Koch in dieser Schrift präsentierte, war das Trocknen von Bakterien. Es verhindere die störende Eigenbewegung und die nachträgliche Kontamination mit anderen Partikeln. Das war die Bedingung, um die gesuchten Erreger in weiteren Verfahrensschritten überhaupt erst extrahieren und färben zu können. Nicht zuletzt sei damit erst ein effektives Sammeln von Präparaten möglich, eine Tätigkeit, die pragmatisch gesehen zu wissenschaftlicher Analyse unabdingbar ist, symbolisch gesehen die Herrschaft über das Bakterienimperium untermauert. Im Jahr darauf - immer noch war er praktizierender Kreisphysikus in der Provinz Posen - reiste Koch mit einem der neu gewonnenen Bekannten der Universität Breslau nach Jena zu Ernst Abbe und den Zeiss-Werken. Dort informierte er sich über gerade in Entwicklung befindliche Mikroskope. Von dort brachte er ebenfalls neue Erkenntnisse mit. Die Öl-Immersion am Objektträger verminderte den Lichtverlust, der Abbesche Kondensator sorgte für günstigere Lichtzufuhr und eine bessere Streuung. Noch 1904 bekräftigte Koch in einem Schreiben an die Firma, daß er einen großen Teil der Erfolge, die ihm für die Wissenschaft zu erringen vergönnt war, Mikroskopen aus der Jenaer Produktion verdanke68.

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Vgl.: Heymann, Robert Koch. I. Teil, S. 153f. Vgl. Robert Koch an Fa. Zeiss, 30. Juni 1904, in: Edith Hellmuth/Wolfgang Mühlfriedel, Zeiss 1846-1905. Vom Atelier für Mechanik zum führenden Unternehmer des optischen Gerätebaus, Weimar, Köln, Wien 1996, S. 153.

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Die Arbeit, die schließlich als „Bibel der Bakteriologie" (Heymann)69 bezeichnet wurde, die ebenfalls nur recht kurze Abhandlung „Zur Untersuchung von pathogenen Organismen" von 1881, legte darüber hinaus ein neues Verfahren dar, Mikroorganismen in relativ festen statt der bisher angewandten flüssigen - Lösungen zu konservieren und zu sogenannten Kolonien weiterzuverarbeiten. Gelatine war dazu üblich gewesen. Nur verflüssigte sie sich bei ca. 25°C. Das war ungünstig, wenn man bestimmte Bakterienkulturen unter dem Mikroskop erhitzte. Deshalb wurden von anderen halbfeste Nährböden erprobt, z.B. halbierte Kartoffeln. Koch gelang es, wobei er wiederum Anregungen anderer aufgriff, ein Verfahren auszuarbeiten, mit dem diese Gelatinenährböden sich verfestigen ließen. Auch das ermöglichte ihm, die Mischflora aus infizierten Gewebeteilen zu manipulieren. Erreger ließen sich weiterentwickeln, störende Substanzen wurden selektiert: „Man ist also stets in der Lage, den Zustand des Nährmaterials für die Reinkulturen zu kontrollieren und alle Fehler, die etwa bei der Zubereitung sich einschlichen, sofort zu erkennen und auch bald zu beseitigen"70. All das bedeutete, kognitiv wie praktisch, an der Existenz des Erregers zu arbeiten. Er entstand und wuchs unter der Obhut des Laborforschers. Wortwörtlich - er stand unter seiner Kontrolle. Erst das Resultat erreichte als Bild die wissenschaftliche bzw. die gesamte Öffentlichkeit. Schon bis dahin war das Bakterium ein Konstrukt, war eine Resultante von theoretischen Paradigmen und praktischen Fähigkeiten, war unter den Händen des laborkundigen Experimentators gewachsen. Die Fotografie war der nächste Schritt in diesem Prozeß bakterieller Konstruktion. Sie übertraf die bisherigen Präparations- und Selektionsleistungen. Ausdrücklich betonte Koch, „daß die photographische Platte überhaupt das mikroskopische Bild besser oder vielmehr sicherer wiedergibt, als es die Netzhaut des Auges zu empfinden vermag"71. Sie verstärkt die schwachen Potenzen der primären menschlichen Wahrnehmung, sie schafft das eigentliche Bild des Bakteriums. Denn das unsichere menschliche Auge ist ihm nicht gewachsen. Es weist subjektive Schwächen auf, hat Wahrnehmungsgrenzen. Schlimmstenfalls produziere es Verzerrungen. Deshalb ist nach Koch das Foto das höchste Kriterium für Objektivität. Es wirkt objektivitätssteigernd. Als untrüglicher „pencil of nature", wie einer der ersten Pioniere der Fotografie und Wissenschaftsfotografie es programmatisch bezeichnete (Talbot)72, schließe es solche Mängel aus und dupliziere die objektive Realität an sich. Paradoxerweise galt Koch damit das, was Resultat höchst virtuoser und artifizieller Kulturtechniken war, als höchster objektiver Abdruck und Ausdruck reiner Natur selbst. Fotos, erstens Medien entscheidender visueller Transformation und zweitens hohen Grades für aktive Manipulation, irrtümliche Täuschung bzw. Fälschung geeignet - wie zeitgleich zur Bakteriologie etwa im wissenschaftlichen Spiritismus oder in den Hysterieforschungen Charcots - , geben nach Koch „das unverfälschte und vollkommen

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Heymann, Robert Koch. I. Teil, S. 304. Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen, S. 138. Robert Koch, Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien (1877), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 27-50, hier: S. 33 (Sperrungen von Koch). Henry Fox Talbot, The Pencil of Nature (1844/46), in: ders.. Selected Texts and Bibliography, ed. by Mike Weaver, Oxford 1992, S. 75-103.

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naturgetreue Bild der Objekte wieder"73. Mit ihnen wird eine Art von Objektivität erreicht, die im Augenblick subjektiver Betrachtung durch das Mikroskop nicht möglich ist. Denn die Wahrnehmung variiere von Betrachter zu Betrachter: Niemand wird bestreiten, daß die Verschiedenheit in der Auffassung der Verhältnisse eines und desselben Gegenstandes fast immer darin beruht, daß dieser Gegenstand dem ersten Forscher unter einem anderen Bilde erschien als dem zweiten. Man erinnere sich nur, daß durchweg mikroskopische Gegenstände in Frage stehen und daß beim Mikroskopieren nicht zwei Beobachter zur gleichen Zeit dasselbe Objekt ins Auge fassen und sich darüber verständigen können [...]. 74

Das waren Probleme interindividueller Wahrnehmung. Koch hatte damit genügend Erfahrung machen müssen. Virchow beispielsweise hatte den Kochschen Besuch am 3. August 1878 in Berlin und die Demonstration von Milzbrandbakterien sehr reserviert aufgenommen75. Er wollte oder konnte nicht sehen, was Koch ihm zeigte. Seine Antwort an den innovativen Neuling: Was man im Mikroskop nicht ohne Ölpräparation sehen könne, brauche man überhaupt nicht zu sehen. Allein von daher war Koch die Fotografie ein beweiskräftiges Medium. Aber nicht nur für die interpersonelle Demonstration. Auch ein und derselbe Forscher ist nicht vollkommen Meister seiner Sinne. Er wird und bleibt von schwankenden Sinneseindrücken genarrt: Die lichtempfindliche Platte ist gewissermaßen ein Auge, welches nicht durch helles Licht geblendet ist, welches nicht bei der anhaltenden Unterscheidung der geringsten Lichtunterschiede ermüdet und das nicht durch Glaskörpertrübungen oder andere Fehler behindert wird. Oft habe ich auf dem Negativ, wenn das Bild nur scharf eingestellt war, feine Objekte, z.B. feinste Geißelfäden gefunden, welche ich nachträglich nur mit äußerster Mühe und unter den günstigsten Beleuchtungsverhältnissen im Mikroskop erblicken konnte.76

Nicht nur der Blick von Fachkollege zu Fachkollege differiert. Selbst der einzelne Forscher hat von Situation zu Situation wechselnde Bilder vor Augen. Interpersonelle und individuelle Wahrnehmung gehen fehl. Jede Beobachtung kann Täuschungen aufliegen, jede kognitive Weiterverarbeitung kann gravierende Fehler aufweisen und verfestigen. Irrtum über Irrtum komme in die Welt und habe die produktive Entfaltung der Bakteriologe bisher behindert. Nur das Foto macht diese Fehlerquellen wett. Es gewährt, wie Koch versicherte, „naturgetreue" Abbildungen und entbehrt jeglicher „subjektiver Verdrehung" 77 . Gültig, endgültig und naturgetreu steht es in objektiver Manier für sein Urbild: „der mikroskopische Gegenstand zeichnet sich selbst"78. Fotografische Repräsentation gewährte ein Maß der

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Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen, S. 152. Zum Spiritismus: Rolf H. Krauss, Jenseits von Licht und Schatten. Die Rolle der Photographie bei bestimmten paranormalen Phänomenen - ein historischer Abriß, Marburg 1992; zur Hysterie: Georges Didi-Hueberman, Erfindung der Hysterie. Die photographische Klinik von Jean-Martin Charcot, München 1997. Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen, S. 122. Vgl.: Heymann, Robert Koch. I. Teil, S. 261f. Koch, Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien, S. 33. Robert Koch an Ferdinand Cohn, 15. November 1876, in: Heymann, Robert Koch. I. Teil, S. 174. Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen, S. 123.

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Evidenz, das dem Kausalitätsmodell und dem der Artkonstanz Nachdruck verlieh bzw. umgekehrt aus ihnen seine Geltung bezog. Natürlich war Koch mit diesem naiven Glauben an die Kraft des fotografischen Dokuments kein Einzelfall. Er stand ganz in der Linie derer, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts glaubten, mit der Fotografie sei das Medium gefunden worden, mit dem Wirklichkeit sich adäquat selbst dupliziere. Der von Barbara Maria Stafford analysierte langanhaltende Streit zwischen aristokratisch-adliger, tendenziell katholischer Bildkultur und einer bürgerlichprotestantischen aufklärerischen Textkultur, die Bilder als täuschendes Trugwerk entlarvte79, war damit endgültig entschieden. Ihm wurde schlichtweg der Boden entzogen. Wirklichkeit komme im Foto einschränkungslos zu sich selbst. Wissenschaft sei nur der hermeneutische Handlanger. Sie arrangiere nur den Auftritt, bei dem Realität sich in sich selbst übersetze. Trug und Täuschung seien damit ausgeschlossen. Vom Resultat her betrachtet, mag dieser Eindruck tatsächlich stimmig gewesen sein. Das Endprodukt von Fotografie war Ergebnis eines rein naturhaften chemischen Vorgangs, der nur so und nicht anders ablief und ablaufen konnte. Natur spiegelte einem zwingenden Vorgang zufolge sich selbst. Ausgeblendet war bei dieser Sicht der Dinge aber sowohl der Prozeß der aktiven Konstruktion im Vorfeld als auch der im Nachgang. Das Bild ist Zwischenschritt einer komplizierten Reihe von artifiziellen Arrangements, von kulturellen Choreographien, die ihm vorausgehen oder folgen. Das sind nicht bloß rein technische, sondern ästhetische, ideologische, kognitiv-kommunikative usw. In der singulären Präsentation einer Bildoberfläche fallen sie jedoch zusammen. Das gewährt einen enormen Kulturvorteil: Kompliziertes radikal zu vereinfachen. In diesem Punkt trafen sich Kausalitätsmodell, Artkonstanz und fotografische Repräsentation. Die visuelle Schaffung des Bakteriums im Ganzen beruhte darauf. Nicht erst im Foto, sondern bereits im mikroskopischen Blick wurde die Herkunft der derart kultivierten Bakterien negiert. Das vielsagende Wort Bakterienkultur weist zwar noch Spuren dieses Vorgangs auf. Der Blick durch das Okular versiegelte jedoch die Erinnerung daran. Er zeigte in unübertrefflicher Evidenz die Bakteriennaiwr. Eine Art von Objektivitäts- und Wirklichkeitsfetisch, der die Wissenschaftskultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert insgesamt auszeichnete, vermochte das komplizierte Procedere solcher Arrangements zu verdecken. Einer positivistischen Wissenschaftsstrategie entsprach ein empirisch ausgerichtetes Erkenntnisverständnis. Dem waren Züge eines naiven Realismus zu eigen. Nicht nur für Koch trifft das zu. Seine oben bereits angeführten Versicherungen, mittels Fotos objektiven Gehalt ohne subjektives Beeinträchtigen zu gewinnen, war Teil eines Wissenschaftsverständnisses, das sich strikt auf Objektivität berief. Dieses Verständnis selbst wäre zu befragen, um den Stellenwert von Kochs Maximen zu verstehen. Wie Lorraine Daston jüngst aufzeigen konnte, ist dieses Ideal der Objektivität, das noch heute wie selbstverständlich wissenschaftliches Vorgehen und öffentliche Erwartungen leitet, gar nicht sonderlich alt. Das, was Überhistorizität, ubiquitäre Verbindlichkeit und universelle Gültigkeit für sich beanspruchte, war selbst extrem historisch verortet.

79 Vgl.: Barbara Maria Stafford, Kunstvolle Wissenschaft, Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Bildung (1994), Dresden 1998. Zur Geschichte der visuellen Repräsentation von Mikroweiten seit dem 17. Jahrhundert vgl.: Brian J. Ford, Images of Science. A History of Scientific Illustration, London 1992, S. 165ff.

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Objektivität - als eine Art statischen Wahrheitsattributs - ist, wie bereits in der Einleitung erwähnt, selbst ein Ideal des 19. Jahrhunderts. Dieses Ideal und die Kriterien seiner Verifikation trugen und bestätigten sich in einem hermeneutischen Zirkel gegenseitig. In einem positivistischen Zeitalter, einer Periode stürmischen wissenschaftlichen Aufschwungs, nährten komplizierte technische Instrumentarien - etwa auch die „objektiven", subjektunabhängigen Aufzeichnungssysteme zur Messung von Körpervorgängen (Carl Ludwigs Kymographion; Hermann von Helmholtz' Myographion) - die Illusion, die Wirklichkeit selbst unverfälscht zur Sprache zu bringen. Sie nährten und bestätigten sie. Ein Ideal lieferte die Kriterien seiner Erfüllung gleich mit. Das Buch der Natur bedurfte keiner Auslegung. Es verdolmetschte und verdeutlichte sich selbst. Paradoxerweise waren es gerade diese aufwendigen Instrumentarien, die dem Objektivitätsideal, ohne daß die Protagonisten des 19. Jahrhunderts das zur Kenntnis nehmen konnten, strukturell den Boden entzogen. Aufzeichnungsmedien sind stets und immer Produktionsmedien; das Bild der Natur, das sich vorgeblich selbst entschleiert hatte, war eine hochgradige, artifizielle Konstruktion. Je einfacher und evidenter das Bild, desto größeren kulturellen Aufwands bedurfte es zu seiner Produktion. Je größer der Produktionsaufwand, desto nachdrücklicher das Versprechen auf Objektivität. Natur bzw. das Bild von ihr, ist immer ein Kulturprodukt. Die bakteriologischen Praktiken, die das Gegenteil vorgeben, bestätigen das in nuce. Zwar scheint der sich steigernde technische bzw. kulturelle Aufwand rhetorisch das Kehrstück evoziert zu haben. Von daher Kochs Versicherung, der Natur und nur der Natur zu folgen. Aber sein Vorgehen zeigt, wie außerordentlich kompliziert das war, welcher Voraussetzungen und welchen Aufwands das bedurfte. Mitunter leiht sogar Koch, der unparteiische und sich seiner Subjektivität entschlagende Dolmetscher der Natur, diesem Vorgang kultureller Hegemonie Sprache. Wie sonst kann er, der doch stets auf Objektivität besteht, geradezu naiv-unbedarft von den „eigentlichen photographischen Manipulationen" sprechen, wie sonst erklärt sich seine eher beiläufige, aber seine Praxis schlagend illustrierende These: „Das photographische Bild ist unter Umständen wichtiger als der Gegenstand selbst"?80 Ohne es zu wissen, arbeitete Koch in der Blütezeit des Neukantianismus in der deutschen Philosophie, zumindest der Universitätsphilosophie, als Kantianer. Mit seinen Praktiken belegte er ihre erkenntnistheoretischen Thesen auf exemplarische Weise. Uneingestanden praktizierte er das, was andere theoretisch konzeptualisierten. Erkenntnistheorie war ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil der neukantianistischen Bewegung. Das traf vor allem auf einen Zweig, die sogenannte „Marburger Schule", zu. Ihre Erkenntnistheorie war, in Aktualisierung von Kants Vorgaben aus der „Kritik der reinen Vernunft" (1781), deutlich konstruktivistisch. Zu nennen wäre auch der Mediziner, Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz mit seiner programmatischen Rede „Die Tatsachen der

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Koch, Verfahren zur Untersuchung, zum Konservieren und Photographieren der Bakterien, S. 35; Koch, Zur Untersuchung von pathogenen Organismen, S. 123. Zum facettenreichen Status visueller Repräsentation experimenteller Ergebnisse insgesamt: Bruno Latour, Visualization and Cognition. Thinking with Eyes and Hands, in: Knowledge and Society, 6 (1986), S. 1-40; David Gooding, Picturing Experimental Practices, in: Experimental Essays - Versuche zum Experiment, hrsg. v. Michael Heidelberger/Friedrich Steinle, Baden-Baden 1998, S. 298-322.

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Wahrnehmung" (1878) 81 . Ihr Gehalt deckte sich im Prinzip mit Kochs praktischem Vorgehen, sogar mit seiner These, daß die Repräsentation von Bakterien wichtiger sei als diese selbst. Technisch waren Bakterien konstruiert, das steht außer Frage. Sie waren handlungspraktisch selektiert, präpariert und modelliert. Aber auch erkenntnismäßig-kognitiv waren Bakterien eine Konstruktion - eben „wichtiger als der Gegenstand selbst". Ein gewisses intellektuelles Schema (Kant) ging ihrer Erfassung voraus, d.h. ein präformierendes Muster, das kongnitive Wahrnehmungserfahrungen bzw. -erwartungen konzeptualisierte. Inhaltlich wie formal ist es als aktiver konstitutiver Rahmen anzusehen. Man kann von einem restringierenden Code, von Präcodierung sprechen. Dieses Schema leitete den Prozess ihrer Modellation. Es formte Gestalt und Gehalt des Extrahierten, das als empirisch Vorgefundenes dem Konstrukt „Bakterium" zur Basis lag. Unveränderlich ist ein solches Schema nicht. Ihm sind changierende Grenzen zu eigen, es läßt Modifikationsspielräume zu. In bestimmten revolutionären Wissenschaftsumbrüchen können sich sogar stürmische Wechsel ereignen, können konkurrierende oder alternative Konzepte einander abwechseln. Mitunter bedarf es erst bestimmter Entscheidungskämpfe, bis sich ein schematisches Leitmodell durchsetzt, wissenschaftliche und schließlich kulturelle Hegemonie errungen hat. Dann jedoch wohnt ihm, wie allen Schematisierungen, ein gewisses konservatives Beharrungsvermögen inne. Relativ unveränderlich bestimmt es die kollektiven Wahrnehmungswelten. So das Bakterienmodell Kochs. Kausalität, Artkonstanz und fixe Repräsentation stützten sich darin gegenseitig - ein Umstand, der als Überlagerung funktioneller und visueller Repräsentation gekennzeichnet wurde 82 . Die Reihenfolge ließe sich jedoch umkehren. Das hätte möglicherweise weitreichende Folgen für das Verständnis davon, wie Koch mit Bildern arbeitete und würde auch die Frage nach einer spezifischen Bildmagie im Gefüge von Wissenschaft aufwerfen. Denn erst visuelle Repräsentation erzeugte das funktionale Bild von Bakterien, von ihrer Artkonstanz und ihrem Kausalverhalten und verfestigte es entscheidend. Sie schuf für den Forscher Koch, für die Wissenschaftsgemeinde und schließ-

81 Vgl.: Hermann von Helmholtz, Die Tatsachen der Wahrnehmung (1878), in: Philosophische Vorträge und Aufsätze, hrsg. v. Herbert Hörz/Siegfried Wollgast, Berlin 1971, S. 247-300; vgl. insgesamt: Klaus Christian Köhnke, Entstehung und Aufstieg des Neukantianismus. Die deutsche Universitätsphilosophie zwischen Idealismus und Positivismus, Frankfurt/M. 1986; Ulrich Sieg, Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Die Geschichte einer philosophischen Schulgemeinschaft, Würzburg 1994. 82 Vgl.: Thomas Schlich, Repräsentationen von Krankheitserregern. Wie Robert Koch Bakterien als Krankheitsursache dargestellt hat, in: Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, hrsg. v. Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner/Bettina Wahrig-Schmidt, Berlin 1997, S. 165-190, hier: S. 182, vgl. auch: Bettina Wahrig-Schmidt, Das „geistige Auge" des Beobachters und die Bewegungen der vorherrschenden Gedankendinge. Beobachtungen an Beobachtungen von Zellen in Bewegung zwischen 1860 und 1885, in: Objekte, Differenzen und Konjunkturen. Experimentalanalyse im historischen Kontext, hrsg. v. Hans-Jörg Rheinberger/Bettina Wahrig-Schmidt, Berlin 1994, S. 23—47; Thomas Schlich, „Wichtiger als der Gegenstand selbst" - Die Bedeutung des fotografischen Bildes in der bakteriologischen Krankheitsauffassung durch Robert Koch, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, hrsg. v. Martin Dinges/Thomas Schlich, Stuttgart 1995, S. 143-174.

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lieh für die Öffentlichkeit das Bild der unveränderlichen, klar abgegrenzten, einfach zu identifizierenden und siegreich zu bekämpfenden Entität „Bakterium". Es etablierte sich relativ schnell und hielt sich zäh. So wurde unmittelbar nach Kochs ersten Fotos von Choleraerregern die Öffentlichkeit qua „Gartenlaube" mit diesen Bildern vertraut gemacht 83 . Die um 1900 initiierten Hygieneausstellungen, die gezielt bestimmte didaktische Prinzipien mikroskopischer und fotografischer Repräsentationen umsetzten, hatten daran weiteren entscheidenden Anteil, die Hygienekampagnen der Jahrhundertwende überhaupt*4. Diese Kampagnen - beispielsweise gegen den neuen bakteriellen Universalfeind Staub85 - hatten selbstredend einen gesellschaftspolitischen Hintergrund. Er erweiterte und prägte das Bild des Bakteriums auf sozial-kulturelle Weise, wodurch es weiter an Durchschlagkraft gewann. Darum geht es hier nicht. Allein in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive ist wichtig: Bakterien waren ein ideographisches und piktographisches Konstrukt. Aktiv waren sie hervorgebracht - kognitiv-schematisch, handlungstechnisch-laborhaft und publizistischmedial. Sie waren intentionales Produkt eines bestimmten Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsstils. Dafür gab es zeitgebundene wissenschaftliche, technische und kognitive Voraussetzungen. Es bedurfte einer bestimmten Kultur, erstens es zu denken, zweitens es zu produzieren und drittens es wahrnehmen zu wollen bzw. zu können: mikroskopisch und fotografisch. Die Medien der Sondierung, Verdeutlichung, Illustration und Präsentation schufen somit rückwirkend die Tatsachen selbst, die sie belegen sollten: und das Bild ward Fleisch. Koch, der frühe Koch, baute auf Bildmagie. Das ist nicht nur metaphorisch zu verstehen. Er praktizierte die Bildmagie, die moderner Wissenschaft genuin zu eigen ist. In seiner Frühphase, bis zur Entdeckung des Tuberkelerregers, betonte er immer wieder, wie wenig man von Bakterien wisse. Er plädierte für empirisches Studium und theoretische Zurückhaltung. Angesichts dieser Ungewißheit baute er auf die Kraft der Bilder. Sie sprächen für sich selbst, sie inkorporierten und verdeutlichten unausgesprochen, was vorerst noch nicht auszusprechen war. Koch übte sich in Aphasie, verzichtete anfangs programmatisch auf Aussagen über Dinge, von denen nichts Genaues gewußt werden konnte. Umgekehrt proportional vertraute er der Kraft der Bilder, die für Dinge standen bzw. nach seinen Worten „wichtiger waren als der Gegenstand selbst". Sie, Ikonen des Realen (Berg 86 ),

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Vgl.: Valerius, Der Kommabacillus, in: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, 32 (1884), Nr. 36, S. 598f. Vgl.: Stefan Poser, Museum der Gefahren. Die gesellschaftliche Bedeutung der Sicherheitstechnik; das Beispiel der Hygiene-Ausstellungen und Museen für Arbeitsschutz in Wien, Berlin, und Dresden, Münster 1998; Christine Brecht, Das Publikum belehren - Wissenschaft zelebrieren. Bakterien in der Ausstellung „Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung" von 1903, in: Strategien der Kausalität, S. 53-76; Christine Brecht/Sybilla Nikolow, Displaying the Invisible: Volkskrankheiten on Exhibition in Imperial Germany, in: Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences, 31 (2000), S. 511-530. Vgl.: Naomi Rogers, Germs with Legs: Flies, Disease, and the New Public Health, in: Bulletin of the History of Medicine, 63 (1989), S. 599-617; Nancy Tomes, The Gospel of Germs. Men, Woman, and the Microbe in American Life, Cambridge, London 1998; Joseph A. Amato, Von Goldstaub und Wollmäusen. Die Entdeckung des Kleinen und Unsichtbaren, Hamburg 2001. Ronald Berg, Die Ikone des Realen. Zur Bestimmung der Photographie im Werk von Talbot, Benjamin und Barthes, München 2001.

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präsentierten und umschlossen die bislang unbekannten bakteriellen Qualitäten, sie kapselten sie ein und drückten sie aus. Vorerst wurde über sie qua Bild verfügt. Das entspricht genau den herkömmlichen magischen Praktiken, krankheitserregende Mächte oder Agenzien gestisch, sprachlich oder visuell nachzubilden. Dabei wird die Kluft zwischen Symbolisiertem und hergestelltem Symbol negiert. Beide fallen differenzlos ineinander. Der Umgang mit dem Nachbild steht für den Umgang mit dem Abgebildeten. Schließlich ändern sich die Gewichtungen. Unter der Hand verkehren sich Abbild und Urbild. Der Zugriff auf ersteres wird wichtiger als der auf letzteres. Die Kopie wird wichtiger als das Original. An ihr wird in effigie exemplifiziert, was in realitas gelingen soll. Deshalb spielten Fotos auch beim frühen Koch eine so große Rolle. Seine umfangreiche Schrift „Zur Untersuchung von pathogenen Organismen" (1881) bestand zu fast einem Drittel aus fotografischen Bildern und ihren Beschreibungen. Im Foto schwand die Differenz von Urbild und Abbild. Letzteres wurde seiner eigenen Aussage nach „wichtiger als der Gegenstand selbst". Erst mit zunehmendem textualisierbaren Wissen traten Fotos in seinem Schaffen wieder zurück. Eine visuelle Überschußproduktion wie in der Anfangszeit war nicht mehr nötig. Er delegierte sie an unmittelbare Schüler wie Carl Fraenkel und Richard Pfeiffer, deren „Mikrophotographischer Atlas der Bakterienkunde" 1892 erschien87. Nunmehr konnte Koch der Evidenz des Wissens, nicht nur des Sehens, vertrauen, d.h. der Kraft des Worts und des Begriffs. Was nicht heißt, daß textzentrierte Wissenschaft nicht ihre eigene Art der Wortmagie entfaltet. Das sind Phänomene, die nach wie vor systematisch wenig erschlossen sind. Magie und Wissenschaft scheinen völlig unterschiedlichen Universen zugehörig zu sein. Allenfalls finden sich hier und da Ansätze, bestimmte magische Relikte in wissenschaftlichen Entwürfen aufzuweisen, also fehlerhafte Restbestände. Was wäre aber, wenn Wissenschaft ihre eigene Magie generiert? Entfaltet sie, wie jede andere menschliche Praxis, ihren eigenen magischen Überschuß? Gibt es nicht nur einen Konnex Religion und Wissenschaft, sondern auch von Magie und Wissenschaft? Diese Fragen können hier nur gestellt werden. Es wäre vermessen, vergröbernde Vorabeinschätzungen zu treffen. Gesichert jedoch wird gelten, was oben am Beispiel der Fotografie ausgeführt wurde: daß wissenschaftliche Tatsachen immer auch als eine spezifische Art kultureller Produktion und Konstruktion anzusehen sind. Für die Bakteriologie gilt das spätestens seit Ludwik Flecks mittlerweile klassischer, auf eigene bakteriologische Erfahrungen gegründete Schrift „Entstehung und Entwicklung

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Vgl.: Carl Fraenkel/Richard Pfeiffer, Mikrophotographischer Atlas der Bakterienkunde, Berlin 1892. Zu Fraenkel und Pfeiffer vgl.: Helga Schneider, Die Schüler Robert Kochs während seines Wirkens als Direktor des Hygienischen Instituts der Berliner Universität von 1885-1891, Med. Diss. Berlin 1965, S. 38ff., 75ff. Zum Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Kultus der Objektivität, zum Aufkommen von „Atlanten" in verschiedenen Wissensgebieten und zur Rolle der Fotografie dabei vgl.: Lorraine Daston/Peter Galison, Das Bild der Objektivität (1992), in: Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, hrsg. v. Peter Geimer, Frankfurt/M. 2002, S. 29-99; zum Konnex Mikroskopie/Fotografie im Vorfeld Kochs vgl.: Jutta Schickore, Fixierung mikroskopischer Beobachtungen: Zeichnung, Dauerpräparat, Mikrofotografie, in: ebenda, S. 285-312.

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einer wissenschaftlichen Tatsache" von 193588. Daß solchen Konstruktionen eine bestimmte Subjekt-Objekt-Dialektik innewohnt, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein. Bei Bakterienmodellen wie allen Wissensmodellen handelt es sich um Interferenzen von außermenschlicher und menschlicher Wirklichkeit. Resultat sind Segmente, die als Wissen und Wissenschaft geltend gemacht werden bzw. als solche gültig sind. Der Streit um die Gewichtung beider Bestandteile, darum, was an diesen Segmenten naturhaft und kulturhaft fundiert ist, wird weitergehen. Auch der Streit darum, was überhaupt „wirklich" ist. Er wird weitergehen, weil er nicht entschieden ist und nicht zu entscheiden sein wird. Bruno Latour hat jüngst einen Vorstoß unternommen, diesen Streit zu forcieren. Anknüpfend an seine ausführlichen Studien über „Laboratory Life" und die „Pasteurization of France" warf er die Frage auf, ob es vor der Ära Pasteurs und Kochs Mikroorganismen tatsächlich überhaupt gegeben hat89. So abwegig die Problemstellung auf den ersten Blick erscheint, wird sie doch im Licht dieser genannten Subjekt-Objekt-Relation relevant. Als relevant wird jedoch vorerst nur die Art der Frage gelten können und alle vermeintlich schlüssigen Antworten als irrelevant. Es sei denn, sie vermögen das unmögliche Kunststück, ein Paradox, das sich jeglicher Letzteinsicht entzieht, präzise beim Namen nennen zu können.

c) Makrooptik. Die verspätete Karriere des Mikroskops Als Robert Koch 1884 von seiner sogenannten Cholera-Expedition nach Ägypten bzw. Indien nach Deutschland zurückkehrte, wurde er, wie erwähnt, im Deutschen Reich mit Ehrungen überhäuft. Wie er und die ganze europäische Öffentlichkeit annahmen, hatte er Anfang des Jahres den bakteriellen Erreger der gefährlichen Seuche erstmals identifiziert. Man kann seine Entdeckung, die von lokalisierbaren Krankheitsüberträgern überhaupt, als folgerichtige Konsequenz der Wissenschaft, insbesondere als Konsequenz der neuzeitlichen Wissenschaft, verstehen. Warum jedoch erfolgte die Entdeckung so spät? Brauchte es 2.500 Jahre Medizin als Wissenschaft, um diese simple These aufzustellen und schließlich zu belegen, daß epidemische Krankheiten durch bestimmte lokalisierbare Organismen ausgelöst werden und sich über Wirte oder Übertragungsmedien verbreiten? Warum bedurfte es seit der Athener Pest, der Justinianischen Pest und den Pestepidemien des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit dieses langen Wegs? Eine kumulative Wissenschaftsgeschichte, die sich Wissenschaft als einen Pfeil vorstellt, an dessen Anfang Unwissen und Irrtum stehen und dessen Spitze sich in unendlicher Annäherung in die Sphären von

88 89

Vgl.: Ludwik Fleck, Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv (1935), Frankfurt/M. 1980. Vgl.: Bruno Latour, Die Geschichtlichkeit der Dinge. Wo waren die Mikroben vor Pasteur?, in: ders., Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft (1999), Frankfurt/M. 2000, S. 175-210; ähnlich, aber weniger radikal-konstruktivistisch: Andrew Cunningham, Transforming plague. The laboratory and the identity of infectious disease, in: The laboratory revolution in medicine, ed. by Andrew Cunningham/Perry Williams, Cambridge 1992, S. 209-244.

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Wissen und Wahrheit bewegt, wird mit der Antwort darauf kein Problem haben. Fortschritte setzen sich eben nur allmählich durch, eine Entdeckung zieht erst allmählich eine andere nach sich. Im Falle der Bakterien und Viren mußten eben die technischen Mittel, sprich Mikroskope, erst entwickelt werden, um den Blick in die Mikrosphäre zu ebnen. Dieser kumulativen Fortschritts- und Erfolgsgeschichte von Wissenschaft wäre entgegenzusetzen: Kognitiv und technisch war die Entdeckung von Mikroorganismen spätestens seit dem 17. Jahrhundert möglich gewesen. Es wurde aber gar nicht nach ihnen gesucht. Erst als sie wirklich in den Bereich hypothetischen Interesses rückten, wurden auch die Instrumente dafür geschaffen. Erst, als der Blick in die Mikrosphäre zu gehen hatte, wurden die entsprechenden technischen Geräte dazu entwickelt. Analog zur Frage der Pariser Akademie der Wissenschaften von 1708, weshalb es in der Antike nicht zur Erfindung des Fernrohrs gekommen sei90, möchte ich in diesem Exkurs folgendes aufwerfen: Warum entstanden Mikroskope Anfang des 17. Jahrhunderts nur als Nebenprodukte der Entwicklung des Teleskops? Warum blieben sie vorerst, etwa fünfzig Jahre lang, wissenschaftlich völlig ungenutzt? Warum fanden nur Außenseiter an ihnen Interesse, die wissenschaftlich geradezu geächtet wurden? Warum stagnierte die technische Entwicklung des Mikroskops im Grunde fast zweihundert Jahre? Warum kam es nicht nur nicht zu einer technischen Weiterentwicklung, sondern sogar zu bestimmten technischen Rückschritten?91 Die Entdeckung von Mikroskopen liegt im Dunkeln. Von Anfang an - und bis ins 20. Jahrhundert hinein - verdecken eine Vielzahl von Legenden, expressis verbis nationalistische Legenden, ihre Entstehungsgeschichte92. Hat es schon um 1523 bzw. 1538 in Italien Mikroskope gegeben, also Vergrößerungsinstrumente mit zwei kombinierten Linsen? 93 Wurden sie erst um 1590 in Holland entwickelt, und zwar von ganz verschiedenen Konstrukteuren?94 Oder waren Mikroskope statt dessen bloße Ableger bei dem rund zwanzig Jahre später erfolgenden Bau von Fernrohren?95 Hat Galileo Galilei, der 1609 auch ein Fernrohr entwickelte, um diese Zeit tatsächlich auch mikroskopische Beobachtungen durchgeführt?96 Antworten dahingestellt - die Existenz des Mikroskops führte keineswegs dazu, es in wissenschaftlichen Gebrauch zu überführen. Nicht ohne Grund wird in der Forschung von einem etwa fünfzigjährigen Moratorium, einer Periode des Stillstands ausgegangen97. Zwar hat der Italiener Francisco Stelluti 1625 eine gedruckte Tafel mit mikroskopisch

90 91 92

93 94 95 96 97

V g l : Hans Blumenberg, Die Genesis der kopemikanischen Welt, Frankfurt/M. 1975, S. 723. Vgl.: Rolf Winau, Der Blick durch das Mikroskop, in: Technik und Medizin, hrsg. v. Rolf Winau, Düsseldorf 1993, S. 101-115, hier: S. 106. Vgl.: Gerard L'E. Turner, Animadversions on the Origins of the Microscope, in: The Light of Nature. Essays in the History of Science presented to A. C. Crombie, ed. by J. D. North/ J. J. Roche, Dordrecht 1985, S. 193-207. Vgl.: Christian Girod, Die Geschichte der Histologie, in: Illustrierte Geschichte der Medizin (1978), Erlangen 1992, Bd. 4, S. 1833-1893, hier: S. 1837. Vgl.: Hubert und Waltraud de Martin, Vier Jahrhunderte Mikroskop, Wien 1983, S. 19, vgl. auch: Girod, Die Geschichte der Histologie, S. 1837f. Vgl.: Wolfgang Glode, Vom Lesestein zum Elektronenmikroskop, Berlin 1986, S. 16. Vgl.: Winau, Der Blick durch das Mikroskop, S. 102. Vgl.: Engelhard Weigl, Instrumente der Neuzeit. Die Entstehung der modernen Wirklichkeit, Stuttgart 1990, S. 69.

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gewonnenen Detailansichten einer Biene veröffentlicht. Das Sujet, dem Familienwappen des Papstes Urban VIII. qua Dreifachansicht einer Biene zu hofieren, war wissenschaftlich jedoch nicht sonderlich innovativ. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts setzte der wissenschaftlich sanktionierte Gebrauch von Mikroskopen ein, vor allem in Zoologie und Anatomie, aber auch in der Botanik. Als einflußreiche Autorität machte sich erstmals Robert Hooke darum verdient. Im nicht selten undurchsichtigen Geflecht von Scharlatanen, Laien und Virtuosi war er es, der das Mikroskop adelte und seinen Gebrauch in der wissenschaftlichen Welt verankerte. Der Bedarf nach Autoritäten hatte seinen Grund in den Umbrüchen der damaligen Wissenschaftslandschaft: Die Universitäten, fest in der Hand der Traditionen und der Theologen, verweigerten sich in der Regel den neuen wissenschaftlichen Errungenschaften. Die staatlich-absolutistischen Konkurrenzinstitutionen, die Akademien, waren gerade erst im Entstehen (London 1662, Paris 1666, Berlin 1700). In ihnen begann sich ein Kanon wissenschaftlicher Verbindlichkeit und Glaubwürdigkeit erst herauszubilden und zu etablieren. Es bedurfte bestimmter anerkannter Autoritäten, die im bunten Geflecht von interessierten Laien, innovativen Privatiers, selbsternannten Genies oder ausgebufften Scharlatanen Normen und Maßstäbe setzten. Sie übten eine Bürgen- bzw. Richterfunktion aus. Vorerst, da gar nicht alle von Privatiers gewonnenen Erkenntnisse experimentell nachvollziehbar und überprüfbar waren, ließen sich ihre Ergebnisse oft nur durch solche persönliche Reputation decken98. Robert Hooke, seit 1662/63 Kurator der Londoner Akademie für wissenschaftliche Experimente, nahm in dieser Hinsicht eine Schlüsselstellung ein. Nicht zuletzt seine eigenen mikroskopischen Beobachtungen, die er 1665 darlegte und die sich vorerst bestimmter Anerkennung erfreuten", brachten ihn in die Position, für eine Reihe anderer mikrobiologischer Experimentatoren unverzichtbarer Bürge zu sein. So hätten die zahlreichen Nachrichten des holländischen Tuchhändlers Antoni van Leeuwenhoek nie nennenswertes öffentliches Aufsehen erregt, wenn nicht Hooke dafür eingestanden wäre. Er sorgte dafür, daß Leeuwenhoek in den „Philosophical Transactions" der Londoner Akademie ein Forum zur Publikation seiner mikroskopischen Beobachtungen erhielt, insgesamt 116 Korrespondenzen bzw. Auszüge100.

98

Vgl.: Peter Dear, Totius in verba. Rhetoric and Authority in the Early Royal Society, in: Isis, 76 (1985), S. 145-161; Steven Shapin/Simon Schaffer, Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle and the Experimental Life, Princeton 1989. 99 Robert Hooke, Micrographia or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies made by Magnifying Glasses with Observations and Inquiries thereupon, London 1665. Dazu: John T. Harewood, Rhetoric and Graphics in Micrographia, in: Robert Hooke. New Studies, ed. by Michael Hunter/Simon Schaffer, Woodbridge 1989, S. 119-148; Michael Aaron Dennis, Graphic Unterstanding. Instruments and Interpretation in Robert Hooke's Micrographia, in: Science in Context, 3 (1989), S. 309-364. 100 Vgl.: L. C. Palm, Leeuwenhoek and other Dutch Correspondents of the Royal Society, in: Notes and records of the Royal Society of London, 43 (1989), S. 191-207.

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Dennoch: Mikroskopiert wurde, auch wenn gelegentlich auf weitere und neue Außenseiter des Wissenschaftsbetriebs hingewiesen wird 101 , im Grunde äußerst wenig. Das Mikroskop stieß auf wenig Interesse. Auch Hookes mikrografische Leistungen gerieten alsbald in Vergessenheit. Zu erinnern ist überdies daran, daß sie von der Royal Society damals nur so großzügig unterstützt wurden, um dem König möglichst schnell Ergebnisse der neugegründeten Akademie vorlegen zu können. Da Hooke aber auch theoretische Schlußfolgerungen bzw. Spekulationen wagte, die ihm als Kurator für Experimente gar nicht zustanden, mußte er eine offizielle Ermahnung hinnehmen und hatte sich öffentlich zu entschuldigen, was er bei der Drucklegung auch tat102. Seine „Micrographia" geriet alsbald in Vergessenheit, er selbst erlitt in den achtziger Jahren einen rapiden Ansehensverlust. Anfangs hatte sich in großen Teilen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit schlichtweg nur Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber den neuen mikroskopischen Beobachtungen gezeigt. Ende des 17. Jahrhunderts kam es sogar vermehrt zu direktem Widerstand. 1691 beklagte Hooke in einer Art Nachruf auf das Gerät sogar, daß Mikroskope vollkommen außer Gebrauch gekommen seien. Leeuwenhoek wäre fast der einzige, der sich noch mit ihnen beschäftige 103 . Schon vorher war Leeuwenhoek, der bisherige Heros der Mikroskopie, als Aufschneider verhöhnt worden: John Locke zufolge, selbst ein Kritiker der Mikroskopie, wurde in der Royal Society über die Korrespondenzen aus Holland mittlerweile ausgiebig gelacht104. Was hat den Widerstand gegen die Mikroskopie motiviert? Catherine Wilson hat die Frage mit Blick auf die zeitgenössischen philosophischen Konzepte zu beantworten versucht. Die tonangebenden Strömungen - Rationalismus, Empirismus, Skeptizismus, selbst okkultistische Alchimisten - haben ihren Wert für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bestritten. Die Leistungen etwa von Nehemiah Grew, Robert Hooke, Antoni van Leeuwenhoek, Marcello Malpighi oder Jan Swammerdam stießen auf taube Ohren. Für den Rationa-

101 Vgl.: Luigi Belloni, Athanasius Kircher. Seine Mikroskope, die Animacula und die Pestwürmer, in: Medizinhistorisches Journal, 20 (1985), S. 58-65; Edward G. Ruestow, The Microscope and the Dutch Republic. The Shaping of Discovery, Cambridge 1996, S. 7ff.; Marian Fournier, The Fabric of Life. Miscroscopy in the Seventeenth Century, Baltimore, London 1996; M. J. Ratcliff, Wonders, Logic, and Microscopy in the Eigtheenth Century: A History of the Rotifer, in: Science in Context, 13 (2000), S. 93-119. 102 Vgl.: Stephen Pumfrey, Ideas about his station: A social study of Hooke's curatorship of experiments, in: History of Science, 29 (1991), S. 1^14, hier: S. 28ff. Rein positivistisch: Richard Nichols, Robert Hooke and the Royal Society, Sussex 1999. 103 Vgl.: Robert Hooke, Discourse concerning Telescopes and Microscopes; with a short Account of the Inventors (1691), in: Philosophical Experiments and Observations of the late Eminent OS. Robert Hooke, ed. by W. Derham, London 1724, S. 257-268, hier: S. 261. 104 Vgl.: Catherine Wilson, The Invisible World. Early Modern Philosophy and the Invention of the Microscope, Princeton 1995, S. 237. Zu Lockes Position vgl.: M. R. Yost, Locke's Rejection of Hypotheses about Sub-microscopic Events, in: Journal of the History of Ideas, 12 (1951), S. 111-130. Zur neuesten These, daß Leeuwenhoeks damals berühmte lupenähnliche Handmikroskope nur der Irreführung dienten und daß er ein weitaus leistungsfähigeres Arbeitsmikroskop besessen haben müsse, das alle damaligen Geräte in den Schatten stellte, vgl.: Klaus Meyer, Geheimnisse des Antoni van Leeuwenhoek. Ein Beitrag zur Frühgeschichte der Mikroskope, Berlin, Düsseldorf, Leipzig 1998.

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lismus in der Linie Galileis, Descartes' und Newtons war das Buch der Natur in Zahlen und Gesetzen geschrieben, mit Kreisen, Dreiecken, Ellipsen und anderen geometrischen Figuren. Vornehmlich Mathematik galt als Leitdisziplin wissenschaftlicher Revolution. Die irregulären Partikel, die unter dem Vergrößerungsglas sichtbar wurden, ließen sich schwer unter dieses Forschungsprogramm subsumieren. Geläuterte Empiriker wie John Locke oder David Hume bestanden hingegen darauf, daß Mikroskope nur die sinnliche Oberfläche von Dingen enthüllen würden. Man habe es mit nichts als einer Art Duplikation, freilich in Vergrößerung, zu tun. Das Mikroskop leiste nur eine neue Art von Repräsentation, mehr nicht. Empirie wäre aber mehr als die bloße sichtbar gemachte Erscheinung. Eine weitere Fraktion, okkulte Alchimisten, etwa in der Linie des Renaissance-Platonismus oder Paracelsus', waren sich schließlich sicher, daß mittels eines so simplen optischen Geräts die Geheimnisse der Natur nicht zu enträtseln wären105. Ignoranz und schließlich Widerstand auf der ganzen Linie - allein innertheoretisch lassen sich die Vorbehalte gegen die neuen Vergrößerungsgeräte erklären. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß Mikroskope von anderen Kreisen als denen der Wissenschaft okkupiert wurden - von jenen Virtuosi, die die neuen technischen Innovationen zu nichts anderem als zweckfreier Salonunterhaltung nutzten106. Aus diesen Kreisen stammten anfangs nicht wenige der neuen, später so revolutionären Gerätschaften. Dienten Mikroskope in diesen Zirkeln dem ergötzlichen Entertainment, konnte die sich institutionell in Akademien etablierende neue Naturwissenschaft darüber nur den Stab brechen. Des weiteren: Es gab eine begründete frühaufklärerische Angst vor Unberechenbarem, Chaotischem. Das Ideal einer neuen Gesellschaft, ob frühaufklärerisch oder absolutistisch gedacht (allzustark haben beide Alternativen sich nicht ausgeschlossen), fußte auf den Prinzipien von Hierarchie, Ordnung und Berechenbarkeit. Die erschreckende Mikroweit organischer Ungesetzlichkeit war ein Horror. Es gab jedoch ein entsprechendes Alternativangebot. Sie war den Regeln der mathematisch-mechanischen Ratio zu unterwerfen: Mechanik statt Organik. Von daher waren Mathematik und mechanische Physik die neuen Leitwissenschaften. Nicht zuletzt dienten sie einem protokapitalistischen Kalkül, das den Prozeß der materiellen Produktion ebenso wie den der Reproduktion fundierte, ganz abgesehen von jener Physik der Leidenschaften, die qua Gesellschaftsvertrag einen neutralisierenden Aus-

105

Vgl.: Wilson, The Invisible World. Vgl. auch: dies., Visual Surface and Visual Symbol: The Microscope and the Occult in Early Modern Science, in: Journal of the History of Ideas, 49 (1988), S. 85-108.

106

Vgl.: Barbara Maria Stafford, Body Criticism. Imaging the Unseen in Enlightenment Art and Medicine, Cambridge, London 1993, S. 341ff.; dies., Kunstvolle Wissenschaft, S. 153ff.; dies., Gewalt und Naturgeschichte. Über das dauerhafte Dilemma, etwas anschaulich zu machen, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus, 1 (1997), S. 77-105. Zum Phänomen der „virtuosi" beim Entstehen der neuzeitlichen Wissenschaft vgl.: Barbara Shapiro/Robert G. Frank Jr., English Scientific Virtuosi in the 16th and 17th Centuries, Los Angeles 1979; Elisabeth Strauß, Zwischen Originalität und Trivialität. Die Rolle der virtuosi für das Wissenschaftsprogramm der Royal Society, in: Dilettanten und Wissenschaft. Zur Geschichte und Aktualität eines wechselvollen Verhältnisses, hrsg. v. Elisabeth Strauß, Amsterdam 1996, S. 6 9 - 8 2 ; Marie-Theres Federhofer, „Moi simple amateur". Johann Heinrich Merck und der naturwissenschaftliche Dilettantismus im 18. Jahrhundert, Hannover 2001.

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gleich der widerstreitenden sozialen Interessen erhoffte. Ob wissenschaftsinterne oder externe Faktoren - das Mikroskop kam um seinen Kredit, wenn es ihn überhaupt besessen hatte. Technisch stagnierte seine Entwicklung. Den Usancen des höfischen und privaten Salongebrauchs entsprechend wurde seine optische Effizienz luxuriöser äußerer Repräsentation geopfert. Ein weiterer Umstand behinderte seine Karriere, und zwar in entscheidender Weise: die durch das Teleskop möglich gewordene neue Himmelstheologie. Zu den Mißverständnissen, die die Genese der neuzeitlichen modernen Wissenschaften betreffen, gehört, sie habe gezielt oder der Sache nach die Demontage des christlichen Gottes betrieben. Vorerst war das Gegenteil der Fall. Ihre Resultate dienten seiner Verherrlichung. Gerade im Modus von Zahl, Maß und Gesetz würde sich die Göttlichkeit des Universums offenbaren. Gott war Geometer. Insbesondere die neuzeitlichen Astronomen, später gerne als potentielle Götterstürmer angesehen (wo sie sich doch allenfalls als Götzenstürmer verstanden und als solche wirkten), setzten alles daran, das Bild eines deus geometricus zu etablieren. Zwar stellte die Papstkirche dem kopernikanischen Heliozentrismus Vorbehalte entgegen. So wurden die Leistungen des Teleskops gezielt diskreditiert 107 . Das konnte die Wissenschaftsreformer in ihrem Glauben jedoch nicht erschüttern. Die neue Astronomie hatte das wahre Bild von Gottes Universum. Vermeintliche Ketzer wähnen sich immer als die wahren Rechtgläubigen. Kurzum, mit Alexandre Koyré, dem Chronisten dieser Entwicklung gesprochen, die neue Naturwissenschaft setzte sich an die Stelle der bisherigen Theologie. Sie verstand sich als wahre Sachwalterin Gottes. Um nur bei vier Padres der neuen Sternenkunde zu bleiben: Nach Nicolaus Copernicus war Astronomie die höchste der Wissenschaften, da sie sich dem höchsten aller Gegenstände, dem Kosmos, der Sphäre des sichtbar gewordenen Gottes, zuwende 108 . Giordano Bruno wollte als Rhapsode des Weltalls die Majestät und Würde Gottes verkünden 109 . Für Johannes Kepler war nichts herrlicher, größer und köstlicher als das Weltall, der helllichte Gottestempel 110 . Galileo Galilei, nach heutigem Horizont sicher der modernste dieser Neuerer, war Gott vor allem eines - Schöpfer der Gestirne 111 . Ad vocem: Die modernen Naturwissenschaften wollten auf ihre Weise zu einer neuen, zeitgemäßen, naturwissenschaftlich fundierten Theologie beitragen: Physikotheologie. Die These einer Kontradiktion von moderner Wissenschaft und Theologie ist nichts anderes als eine zurückprojizierte Legitimationssuche aus Konkurrenzkämpfen des 18. bzw. 19. Jahrhunderts. Bezeichnend dafür sind die verspäteten Umdeutungen Isaac Newtons. Der gottesfürchtige Wissenschaftler, dessen Gedankengebäude tief religiös und schöpfungstheo-

107 Vgl.: Hans Blumenberg, Das Fernrohr und die Ohnmacht der Wahrheit, in: ders. (Hg.), Galileo Galilei, Sidereus Nuncius (1610), Frankfurt/M. 1965, S. 5 - 7 3 (Einleitung); ders., Die Genesis der kopernikanischen Welt, S. 762ff. 108 Vgl.: Nicolaus Copernicus, Über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Erstes Buch (1530), Berlin 1959, S. 19. 109 Vgl.: Giordano Bruno, Das Aschermittwochsmahl (1584), in: Gesammelte Werke, hrsg. v. Ludwig Kuhlenbeck, Bd. 1, Leipzig 1904, S. 54f. 110 Johannes Kepler, Mysterium Cosmographicum (1596), in: Das Naturbild der heutigen Physik. Historische Quellen, hrsg. v. Werner Heisenberg, Hamburg 1962, S. 49-59, hier: S. 50. 111 Vgl.: Galilei, Sidereus Nuncius, S. 80.

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logisch, wenn nicht gar magisch verankert war, avancierte in einer zweiten Apotheose Ende des 18. Jahrhunderts zum Heros einer neuen, tendenziell antiklerikalen und atheistischen Weltsicht112. Dahingestellt, ob die neue Wissenschaft Astronomie anfangs nicht sogar magische bzw. astrologische Relikte aufwies - Tycho Brahes und Keplers betreffende Ambitionen sind bekannt, Galilei hat zumindest anfangs pragmatisch mit Horoskopen seinen Lebensunterhalt verdient - , sie war ihrem Selbstverständnis nach dezidiert christlich. Die Abkehr von der aristotelischen Scholastik und der entsprechenden Kosmologie war keine vom Christentum. Das gilt auch für den Gehalt der astronomischen Theorien. Das heliozentrische Weltbild war, wider Willen, allenfalls antipapistisch, wie Martin Luthers reformiertes Christentum auch nicht umhin kam, sich von der römischen Papstkirche loszusagen. Der neue religiös verklärte Blick in den Kosmos, als dessen vornehmstes Instrument das Teleskop galt, war makroskopisch. Nach oben wanderte der Blick. Nach oben richtete er sich, um den Menschen immer noch und weiterhin Orientierung zu bieten. Das war eine Makro- statt Mikroperspektive. Gewiß, die Physikotheologien der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts widmeten sich auch der kleinen Welt, etwa der Insekten. Aber, um ein Gegenbeispiel zu nennen, das die Relevanz dessen untermauert, was hier Makrooptik genannt werden soll: Johann Christoph Gottscheds „Erste Gründe der Gesamten Weltweisheit" (1733), in Leibniz-Wölfischer Manier einen physikotheologisch durchwirkten Kosmos popularisierend und noch Jahrzehnte später in weiteren Auflagen relativ verbreitet, hatte als Frontispiz ein bezeichnendes Motiv. Dem umfangreichen Werk, in dem es wie selbstverständlich auch um sogenanntes Kleines ging, war ein Stich vorangestellt, der ausschließlich die Sternenwelt verklärte. Weltharmonie war, im Sinne eines kollektiv Unbewußten, in erster Linie kosmische Harmonie. Nicht ohne Grund ließe sich von einer kulturell bedingten Hyperopie, von einer kollektiven Weitsichtigkeit sprechen. Der geregelte Lauf der Gestirne, von Sonne, Mond und Sternen verbürgte die Sicherheiten, die weder die erfahrbare Lebenswelt, also die Mesosphäre des Alltäglichen, noch die Mikrosphäre des Widerlichen und Chaotischen zu bieten vermochten. Ob Katastrophen, Krieg und Krisen - , der Kosmos war ein schützendes Dach, unter dem die Menschen beruhigt wachsen und wandeln konnten. Trotz oder wegen des Kopernikanischen Schocks galt „Kosmogenie als Paradigma der Selbstkonstitution" (Blumenberg)113. Noch ein weiterer Umstand begünstigte die Karriere der Astronomie und des Teleskops. Galilei steht für den Typus des modernen Naturwissenschaftlers, der nicht mehr, wie an den traditionellen Universitäten, nach rein zweckfreiem Wissen sucht, sondern Wissenschaft als praktisches Projekt versteht und qua Versprechen praktischer Nutzanwendung Forschung in

112 Zu dieser Umdeutung vgl.: Panajotis Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, München 1986, S. 235ff. Zu Newtons traditioneller theologischer Weltsicht vgl.: Henning Graf Reventlow, Bibelautorität und Geist der Moderne. Die Bedeutung des Bibelverständnisses für die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung, Göttingen 1980, S. 553ff.; James E. Force/Richard H. Popkin, Essays on the context, nature, influence of Isaac Newton's theology, Dordrecht, Boston, London 1990. 113 Hans Blumenberg, Säkularisierung und Selbstbehauptung. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von „Die Legitimität der Neuzeit", erster und zweiter Teil, 2. Aufl. Frankfurt 1983, S. 240ff.

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großem Maßstab finanziert sehen will. Nachdem er sein erstes Fernrohr konstruiert hatte und am 21. August 1609 eine Delegation des Senats von Venedig den Blick hindurchwerfen ließ, pries er drei Tage später, in einem Brief an den Dogen von Venedig, die Qualitäten des neuen Instruments: Es diene dazu, feindliche Truppen bzw. Kriegsschiffe frühzeitig sichtbar zu machen, ihre Stärke festzustellen und effiziente militärische Abwehrmaßnahmen einzuleiten114. Galilei, wie fast alle Universalgelehrte seiner Zeit, inzwischen auch mit Schriften militärischen Inhalts, beispielsweise zur Vermessungs- bzw. Befestigungslehre, hervorgetreten, erkannte die militärische Bedeutung des neuen Geräts auf der Stelle. Ohne Umschweife bot er seine betreffenden Dienste an. Nach wie vor wird sogar vermutet, die Idee, astronomische Beobachtungen anzustellen, sei Galilei erst Tage bzw. Wochen später gekommen. Militärischer bzw. kommerzieller Nutzung dienten auch weitere Schritte Galileis. In langjährigen Verhandlungen rang er mit Spanien, später mit den Niederlanden, um angemessene Besoldung für eine exakte navigatorische Längengradbestimmung auf See, die, seinen Versprechungen nach, mittels neuem Teleskop und Jupitermonden möglich sein sollte. Die Großmächte waren wegen der militärischen Eroberung und kommerziellen Ausbeutung vorhandener und weiterer Kolonien ungemein interessiert daran. Galilei scheiterte bekanntlich mit seiner Methode, wie auch alle anderen Zeitgenossen. Erst rund einhundert Jahre später wurde dieses militärisch und ökonomisch gravierende Problem durch seetaugliche Chronometer gelöst. Vorerst jedoch, und das verzögerte eine exakte Längengradbestimmung so folgenreich, versprach man sich eine handhabbare Lösung von der Astronomie. Die Aufklärer und ihre absolutistischen Förderer standen im Bann einer Makrooptik. Ob sie die Effizienz der göttlichen Schöpfung wissenschaftlich verklärten oder militärische und kommerzielle Effizienz im Auge hatten - , Teleskop und ebenso das Fernrohr avancierten zu Leitinstrumenten der Aufklärung. Selbst die neuen, zeitgemäßen Theologien verschlossen sich dem nicht. So enthielt etwa die Erbauungsschrift des pietistischen Pfarrers Johann Arndt „Vier Bücher vom Wahren Christenthum" (bis ins 19. Jahrhundert verbreitet und in frommen Zirkeln als eine Art Hausbuch verehrt) schon 1679 das Teleskop betreffend das folgende Credo: „Also hat auch die Hoffnung eines gläubigen Christen sehr helle Glaubensaugen, mit welchen sie durch das Sichtbare dieser Welt gar weit hinsiehet auf das Unsichtbare, in Gottes liebreiches Vaterherz"115. Mikroskope, wenn sie überhaupt Kredit besaßen, hatten ihn eingebüßt. Ließe sich von einem Wettbewerb unter wissenschaftlichen Instrumenten sprechen, hatten sie ihn verloren. Nichts verdeutlicht das besser als ein personeller Wechsel in der „Royal Academy", der

114 Vgl.: Galileo Galilei an Leonardo Donato, Doge von Venedig, 24. August 1609, in: Galileo Galilei, Schriften, Briefe, Dokumente, hrsg. v. Anna Mudry, Bd. 2, Berlin 1987, S. 22. 115 Zit. nach: Johann-Christian Klamt, „Hier ist ein Tubus oder grosses Perspectiv". Zur Symbolik des Fernrohrs, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 3. Folge, 30 (1979), S. 187-197, hier: S. 191. Zum Phänomen des aufklärerischen Himmels-Kultes in der Wissenschaft vgl.: Rainer Baasner, Das Lob der Sternkunst. Astronomie in der deutschen Aufklärung, Göttingen 1987, S. 20ff. Für den betreffenden Kultus in der Dichtkunst vgl.: Walter Schatzberg, Scientific Themes in the Populare Literature and the Poetry of the German Enlightenment, 1720-1760, Bern 1973.

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auch einen Paradigmenwechsel besiegelte. Als Sekretär, der die auswärtigen Beziehungen zu regeln hatte, wurde 1685 Edmund Halley eingesetzt. Damit war er auch verantwortlich für die „Transactions", in denen die Korrespondenznachrichten all derer zum Abdruck kamen, die in der Regel nicht an einer der etablierten akademischen Einrichtungen tätig waren, aber die neuen Experimentalwissenschaften so entschieden vorantrieben. Genau in der Zeit seines Sekretariats, von 1686 bis 1693, verhinderte er den Abdruck von Leeuwenhoeks Korrespondenzen über weitere mikroskopische Entdeckungen116. Ein Zusammentreffen, wie es dramatischer nicht hätte sein können: Halley, der enge Vertraute Newtons und Protagonist der neuen, vielversprechenden Astronomie, der schließlich 1705 dem später nach ihm benannten Kometen von 1680/81 eine periodische Wiederkehr etwa alle 75 Jahre vorhersagte, gegen den holländischen Tuchhändler, der eigensinnig seine mikroskopischen Novitäten zu verbreiten suchte, die kaum jemanden mehr interessierten. 1683, kurz vor der Ära Halleys, hatte Leeuwenhoek gar behauptet, in einer einzigen Probe von Zahnbelag mehr kleine Tierchen gefunden zu haben, als es Bewohner der Niederlanden gebe! Der Ausgang des Kampfes ist bekannt. Das Mikroskop war geschlagen. Demzufolge stagnierte seine technische Entwicklung. Ob nun ein einzelner etwa den drehbaren Objekttisch einführte oder nicht, es änderte weder etwas an seiner technischen Effizienz noch an seiner kulturellen Signifikanz. Erst um 1800 erhielt es neuen Auftrieb. In dieser Zeit gelang es - und das war der folgenreiche Durchbruch - die sphärische Aberration, d.h. die durch Lichtzerlegung erzeugten Folgen bei der Mikroanalyse zu beheben. Es ist schwer, einen einzigen Mechaniker oder Techniker dafür namhaft zu machen. Aber spätestens in den zwanziger und dreißiger Jahren wurde dieses Verfahren allgemein bekannt. Nicht mehr die Ambitionen und das Geschick einzelner entschied nunmehr die Zukunft des Geräts. Das Zeitalter der industriellen Fertigung setzte ein. Beispielgebend etwa war das Zusammengehen des Industriellen Carl Zeiss und des Mathematikers und Physikers Ernst Abbe in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie brachten die industriell-technischen Potenzen der Optik und die mathematische Berechnung von Brechungskraft miteinander in Einklang. Das war die Zeit des Durchbruchs der Mikroskopie. Vorher: Verweigerung. François Xavier Bichat, der Begründer der Gewebepathologie, untersagte um 1800 geradezu die Benutzung des Mikroskops117. Dreißig Jahre später hätte die Cholera, die Europa 1831 erstmals heimsuchte, Gelegenheit gegeben, in großem Maßstab die neu entwickelten Geräte zu erproben: Fehlanzeige. An technischem Genie fehlte es zwar nicht. So wurde etwa vorgeschlagen, Krankenstuben mit einer Art Rauchfang zu versehen, der die Ausdünstungen der Kranken, seien sie nun zu Tropfen oder zu Kristallen geronnen, zu Untersuchungszwecken auffangen sollte118. Vom Mikroskop war dabei nicht einmal die Rede. In einem anderen Fall wurde es sogar ins Spiel gebracht. Um entsprechende Untersuchungsobjekte zu gewinnen, wurde folgendes Verfahren offeriert:

116 Vgl.: Palm, Leeuwenhoek and other Dutch Correspondents of the Royal Society, S. 196. 117 Vgl.: Elizabeth Haigh, Xavier Bichat and the medical theory of the enlightenment century, London 1994, S. 96ff. 118 Miscellen, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, III. Heft, Nr. 45 (1832), S. 720.

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Um die in der Atmosphäre umherschwimmenden Infusorien zu mikroskopischen Versuchen zu fixieren, schlage ich, wenn auch ein kostspieliges, doch in Betracht der Wichtigkeit, den orientalischen Anthropophagen zu demasquiren, folgendes leicht ausführbare Verfahren vor: Man ziehe in der Nähe mehrerer Ortschaften, wo die Cholera herrscht, in der Ausdehnung von 1/4 bis zu einer deutschen Meile und in der Richtung von Norden nach Süden eine etwa 12 bis 14 Fuß hohe Wand (Cordon) von Leinwand, bestreiche beide Leinwandflächen nur oberflächlich mit einer süßen Substanz, Syrup, Honig oder auch mit dem Safte ausgepreßter Mohrüben, die ich als Lockspeise für diese Luft-Infusorien halte. Auch hänge man rohes Fleisch, Vegetabilien, namentlich Sumpfgewächse an diesen Leinwand-Cordon auf, und stelle täglich mikroskopische Untersuchungen mit einzelnen aus der Leinwand geschnitten Stückchen, so wie mit den übrigen Lockspeisen an." 9 Technisch nicht unambitioniert! Dennoch, was die Mikroskope betraf, kam es in Deutschland zur demonstrativen Kapitulation, ohne daß an praktische Versuche auch nur gedacht wurde. Diese Geräte, hieß es 1831 bei einem der wenigen Mediziner, die ihre Existenz wenigstens zur Kenntnis nahmen, seien technisch noch viel zu unausgereift, um überhaupt zu versuchen, damit ins Reich der Mikrosphäre vorzudringen 120 . Erst Mitte der dreißiger Jahre wandten sich Physiologen und Mediziner systematisch dem Instrument zu. Es dauerte noch einmal rund zwanzig Jahre, bis die ersten mikroskopischen Laboratorien an Universitäten bzw. Kliniken eingerichtet wurden121. Es mußte erst institutionalisiert werden, um Einfluß auf das Wissenschaftsgeschehen auszuüben. Was solch ein Prozeß der Institutionalisierung bedeutet, wird im nächsten Abschnitt genauer dargelegt. Hier soll es bei einem Fallbeispiel bleiben, das Timothy Lenoir bereits vorgestellt hat: Auch an der Berliner Universität eroberte das Mikroskop allmählich einen Platz. Die erste Lehrveranstaltung, die Übungen damit einschloß, wurde 1839 von Jakob Henle - einem der späteren Lehrer Kochs - angeboten. Dabei stand nur ein Gerät zur Verfügung. Im Lauf des nächsten Jahrzehnts steigerte sich die Anzahl solcher Lehrangebote beständig: 1845 fünf, 1847 sieben, 1849

119 Dr. Fr. Siemerling, Entschleierung der Cholera, nebst dem sprechendsten Beweise ihrer NichtContagiosität, und Angabe der Heilmittel [...], Hamburg 1831, S. 28. 120 Dr. Carl Barrie's, Die Cholera morbus. Über ihre Entstehung, Ausbildung, Zeugung und Anstekkungsfähigkeit, mit Bezug auf alle übrigen ansteckenden Krankheiten, Hamburg 1831, S. 158, 172. 121 Vgl.: Karl E. Rothschuh, Physiologie. Der Wandel ihrer Konzepte, Probleme und Methoden vom 16. bis 19. Jahrhundert, Freiburg, München 1968, S. 296f.; Eduard Klika/Karlheinz A. Rosenbauer/Ivan TeSik, Zur Geschichte der Mikroskopie an der Karls-Universität Prag, in: Historia scientia naturalis. Beiträge zur Geschichte der Laboratoriumstechnik und deren Randgebiete, hrsg. v. E. H. W. Giebeler/K. A. Rosenbauer, Darmstadt 1982, S. 25-49; Ann LaBerge, Medical Microscopy in Paris, 1830-1855, in: French Medical Culture in the Nineteenth Century, ed. by Ann LaBerge/Mordechai Feingold, Amsterdam, Atlanta 1994, S. 296-326; dies., Dichotomy or Integration? Medical Microscopy and the Paris Clinical Tradition, in: Constructing Paris Medicine, ed. by Caroline Hannaway/Ann LaBerg, Amsterdam 1998, S. 275-306. Zu dem bald einsetzenden Erfolg der Mikroskopie auf verschiedenen Gebieten (Zelltheorie, Histologie, Pathologie, Bakteriologie) vgl.: Brian Bracegirdle, The Microscopical Tradition, in: Companion Encyclopedia of the History of Medicine, ed. by W. F. Bynum/Roy Porter, London, New York 1993, Bd. 1,S. 102-119.

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fünfzehn 122 . Dieser Sieg mußte aber hart erkämpft werden. Noch 1842 warnte ein Vertreter der naturhistorischen Schule vor allzugroßen Erwartungen an die mikroskopische Pathologie, und er reklamierte das Bestehen einer „Welt von Geheimnissen jenseits des Objectträgers", die „nie dem Auge des Forschers erreichbar"123. Die Entwicklung der nächsten Jahre widerlegte jeden Vorbehalt. Die Ära der Mikrobiologie und Bakteriologie brach an. Schritt um Schritt wurde seit den fünfziger Jahren die Welt der Mikroorganismen erschlossen. Es war nur eine Frage der Zeit, daß Koch 1884 auch den Choleraerreger identifizierte. Das jahrtausendealte Rätsel der Epidemien war gelöst. Zehn Jahre später wurde endlich auch das Geheimnis der Pest, soweit es damals möglich war, gelüftet. Die Wissenschaftsanomalien, die die technische Entwicklung und den praktischen Gebrauch des Mikroskops seit fast drei Jahrhunderten geprägt hatten, so scheint es, waren beendet.

5.2. Reform oder Revolution? a) Institutionelles stop and go Nicht selten gleicht Wissenschaftsgeschichtschreibung - Michael Hagner hat jüngst die besonderen strukturellen Bedingungen dafür in Deutschland thematisiert124 - einem Knechtungsakt. Man zollt Idolen Tribut, verklärt ihren Genius, unterwirft sich ihrer Autorität. Gelegentlich erhascht man im Akt der Unterwerfung gar selbst Strahlen des Lichts der Aureole, die die Verklärten umflort. So hat über Jahrzehnte ein Grundmuster die Karriere Kochs bzw. seiner Art der Bakteriologie erklärt. Er gilt als erleuchtetes, aber verhindertes Genie, das sich nur gegen starken Widerstand Schritt für Schritt Erfolg erkämpfte. Als medizinischer David, als einfacher Kreisphysikus, kämpfte er gegen den Goliath Medizin und mußte Übermenschliches leisten. Schließlich hätte er, medizinischer praeceptor mundi, seinen gerechten Lohn errungen. Das ist Kern aller Hagiographien, die bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts den Sturmlauf der Bakteriologie erklärten und noch heute in medizinhistorischen Arbeiten gelegentlich vorkommen. Inzwischen, mit Blick auf die Errungenschaften der Sozialgeschichtsschreibung, läßt sich ein eher nüchternes Bild dieses Siegeszugs zeichnen. Man kommt ihm präziser auf die Spur, wenn man ihn institutionengeschichtlich untersucht. Wissenschaft war und ist nie etwas anderes als die Art und Weise, wie sie sich institutionell realisiert. Man kann zwar eine Geschichte von Entdeckungen oder Personen schreiben. Aber den Komplex, der als Wissenschaft bezeichnet wird, ist damit nur an den Rändern erfaßt. Die Bakteriologie hatte ihre

122 Vgl.: Timothy Lenoir, Politik im Tempel der Wissenschaft. Forschung und Machtausübung im deutschen Kaiserreich, Frankfurt/M., New York 1992, S. 70f. 123 Dr. Heinrich Haeser, Über die parasitische Bedeutung der Krankheit und über die Beziehung dieses Begriffs zu den Tendenzen der sogenannten naturhistorischen Schule, Jena [1842], S. 33f. 124 Vgl.: Michael Hagner, Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, in: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, hrsg. v. Michael Hagner, Frankfurt/M. 2001, S. 7-39, hier: S. 1 Iff.

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Pioniere und Helden. Diese hatten Konzeptionen und Visionen. Aber sie agierten in überkommenen institutionellen Geflechten bzw. schufen sich neue. Das war das Gefüge, in dem die Bakteriologie sich formte, auf Widerstand stieß und schließlich ihre Siege errang. Darin hatten sich Akteure und ihre Positionen zu bewähren, dort stand das Bakterienkonzept auf dem Prüfstand. In Institutionen - in klassischem Sinn verstehe ich darunter mit Bronislaw Malinowski soziale Einheiten, in denen die Befriedigung sozialer Bedürfnisse gruppenhaft organisiert wird125 - vollzog sich der Prozeß seines Entstehens, seiner Realisation und seiner Durchsetzung. Das dem Bakterienmodell entgegenstehende, das miasmatisch-lokalistische Pettenkofers, war vorerst so machtvoll, weil es sich in Deutschland institutionalisiert hatte - in der Autorität Pettenkofer selbst, über die Professuren seiner Anhänger, über die Medizinalpolitiker vor Ort, die es praktisch umsetzten, schließlich über die verschiedenen Ebenen der Medizinal- und Seuchengesetzgebung. Es wurde zur Institution. Auf den verschiedenen Internationalen Sanitätskonferenzen seit 1851 besaß es, als Ableger der miasmatischen Doktrin, dominierende Geltung. Auf der Konferenz von 1866 in Konstantinopel wurde Pettenkofers lokalistisch-miasmatischer Ansatz geradezu kanonisiert. Diese Konferenzen - bis in die neunziger Jahre waren sie fast ausschließlich Œo/era-Konferenzen - waren ein nicht zu unterschätzender Ort, auf dem bestimmte Konzepte bestätigt oder verworfen wurden. Hier, im Schnittpunkt von Wissenschaft, staatlicher Seuchenprävention und Handelsinteressen wurde über ihre Gültigkeit entschieden. Dabei hatte sich in den fünfziger Jahren das vormoderne miasmatische Konzept nochmals durchgesetzt. Es war überzeugend und hatte sich institutionalisiert. Weil es sich institutionalisiert hatte, galt es als überzeugend. Im übrigen war die Art dieser Konferenzen gar nicht so modern, wie aus der Perspektive des späten 20. Jahrhunderts vermutet wird126. Ihre formalen Instrumentarien waren dem Ancien régime und seiner Kabinettsdiplomatie entlehnt. Die ersten dieser Sanitätskonferenzen waren im Grunde noch repräsentative Kongresse herkömmlicher Art und alles andere als ergebnisorientierte Konferenzen. Auf dem ersten wurde 1851 für jedes teilnehmende Land ein Wissenschaftler und ein Diplomat zugelassen, auf die zweite 1859 wurden sogar nur diplomatische und keine wissenschaftlichen Vertreter entsandt127. Überhaupt erinnerte die exzessive, anfangs mehrmonatige Dauer dieser Treffen an überkommene Adelsdiplomatie. Sie hatte zum Grundsatz, Probleme nicht effizient zu lösen, sondern Krisenverschärfungen solange aufzuschieben, bis durch Tod, Heirat oder andere dynastische Konstellationen

125 Vgl.: Bronislaw Malinowski, Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur (1941), in: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Schriften, hrsg. v. Paul Reiwald, Frankfurt/M. 1975, S. 45-172, hier: S. 78ff. 126 Vgl.: W. F. Bynum, Policing Hearts of Darkness: Aspects of the International Sanitary Conferences, in: History and Philosophy of the Life Sciences, 15 (1993), S. 4 2 1 ^ 3 4 . 127 Vgl.: Norman Howard-Jones, The scientific background of the International Sanitary Conferences 1851-1938, Geneva 1975, S. 12, 20. Zum Übergang von repräsentativem Kongreß zur ergebnisorientierten Konferenz in der Politik vgl.: Winfried Baumgart, Der Friede von Paris 1856. Studien zum Verhältnis von Kriegführung, Politik und Friedensbewahrung, München, Wien 1972, S. 176ff.; Martin Senner, Wien 1855-Paris 1856. Zwei Friedenskonferenzen im Spiegel einer neuen Aktenedition, in: Francia, 26/3 (1999), S. 109-128.

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mögliche Eskalationen abgewendet waren. Erst die Wiener Sanitätskonferenz 1874 bewerkstelligte ihr Pensum in einem Monat. Aber auch sie festigte die miasmatische Doktrin. Diese, und nicht nur diese Hürde hatte die Bakteriologie zu nehmen, um sich Geltung zu verschaffen. Sie erkämpfte sich ihren Status in einem institutionellen stop and go. Ihr Siegeszug war keineswegs selbstverständlich und keineswegs zeitlich deckungsgleich mit ihrer Inauguration. Die Entdeckung des Cholerabakteriums bedurfte der institutionellen Weihe, um als solche verbindlich und als Entdeckung überhaupt erst zu gelten. Eine wissenschaftliche Erkenntnis gilt erst als solche, wenn sie sich zu institutionalisieren vermag. Positiv ist das am Aufwand zu sehen, mit dem die preußischen Institutionen den Erfolg ihrer Kochschen Choleraexpedition von 1883/34 herausstellten und an der zähen Energie Kochs, mit der er Schritt für Schritt Widerstände beseitigte. Negativ zu sehen ist es daran, daß die erste nachweisliche Entdeckung und Erklärung des Choleraerregers durch den Florentiner Anatomieprofessor Filippo Pacini 1854 auf institutionellem Wege annihiliert wurde. In dem Jahr entdeckte, beschrieb und erklärte er nachweislich mikroskopisch die Choleraerreger. Er wies sie in Darminhalt und Dejektionen Cholerakranker nach, erklärte sie zu spezifischen, also alleinigen Erregern. Er ging daran, statistische Gesetze ihrer Vermehrung und Ausbreitung aufzustellen. Darüber hinaus erprobte er eine Therapie mittels Salzwasserinfusionen. Das könnte man als Leistungen ansehen, die die Öffentlichkeit nie erreicht hätten. Es handelt sich aber nicht um eine medizingeschichtliche Marginalie, um einen bedauernswerten Außenseiter, dem eine Zufallsentdeckung gelang. Pacini verfocht in einer Reihe von Schriften bis Ende der siebziger Jahre energisch sein Konzept128. Dennoch wurden seine Ideen ignoriert. In den Protokollen der schon genannten Sanitätskonferenzen fiel sein Name nirgends. Nur ein Beispiel: Ein Preisausschreiben der Pariser Akademie der Wissenschaften von 1858 zur Lösung des Cholerarätsels zeichnete von den 153 eingegangenen Arbeiten zwei Vorschläge aus, die Cholera mit Pockenimpfung zu behandeln bzw. nach der üblichen Methode mit Calomel129. Pacini und andere, weniger energische Vorläufer, fielen mit solchen Entdeckungen als Sonderlinge durch130. Einzig William Farr, der

128 Vgl. zu Pacinis Choleratheorie: Howard-Jones, Thescientific background, S. 17ff., 27ff., 35ff.; Manuela Maggini Arreghini, Nel paese di Galileo. Vita di Filippo Pacini, Stampato 1987, S. 70ff., lOlff.; Michael Stolberg, Die Choiera im Großherzogtum Toskana. Ängste, Deutungen und Reaktionen im Angesicht einer tödlichen Seuche, Landsberg 1995, S. 45ff. Zu Pacini generell: Filippo Pacini, Con i lavori originali sui „corpuscoli" e il colera, sul microscopio es la retina, a cura di Luigi Brancolini/Giancarlo Niccolai, Pistoia 1985 [mit Bibliographie], 129 Vgl.: Howard-Jones, The scientific background, S. 20. 130 Dr. Ludwig Böhm, Die kranke Darmschleimhaut in der asiatischen Cholera mikroskopisch untersucht. Mit zwei Kupfertafeln, Berlin 1838, S. 58ff. Zu weiteren Mikro-Beobachtungen um die Mitte des Jahrhunderts, also vor der Ära Kochs, vgl.: Georg Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 2: Die Cholera, Gießen 1912, S. 200ff. Englische Ärzte waren dabei bahnbrechend. Der Aufschwung „mikroskopischer Vereine" in vielen Städten führte schon während der ersten Cholerawelle dazu, die Ausscheidungen Cholerakranker und das Trinkwasser zu vergleichen und dabei Cholera-Zellen, -körper, -pilze usw., auch ausdrücklich „animaculae", zu beobachten, vgl.: Margaret Pelling, Cholera, fever, and English medicine 1825-1865, Oxford 1978, S. 165. Desgleichen waren solche Konzepte seit den dreißiger Jahren in den Vereingten Staaten einflußreich, vgl.: Charles Rosenberg, The Cause of Cholera: Aspects

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berühmte englische Seuchenstatistiker und hochrangige Staatsbeamte, nahm Notiz von Pacini, besuchte ihn 1867 in Florenz und versuchte, seine Erkenntnisse mit einer Artikelpublikation in England bekannt zu machen. Der Mißerfolg übertraf alle Erwartungen. Schon unter seinen italienischen - bzw. habsburgischen - Fachkollegen wurde Pacini keine Aufmerksamkeit zuteil. Das lag nicht daran, daß er ein abstruser Außenseiter war, der nicht der scientific community angehörte. Er gehörte ihr an. Das war für die Erkenntnisse, die er gewonnen hatte, verhängnisvoll genug. Einem Provinzprofessor konnte gar nicht das gelingen, worum Mediziner und Staat in ganz Europa so nachdrücklich rangen. Erschwerend kam hinzu, daß er aus einem okkupierten Territorium kam und Widerstände des habsburgischen Zentrums wirkten. Von einem Wissenschaftsprotektorat konnten gar keine Theorieumschwünge ausgehen. Später, in der Ära der Bakteriologie, dekretierte der Choleraheld Koch, es sei sehr zweifelhaft, daß Pacini „mit den ihm zu Gebote stehenden ungenügenden optischen Hilfsmitteln überhaupt Bakterien von den übrigen Bestandteilen des Darminhalts zu unterscheiden vermochte" und zementierte ein zweites wissenschaftliches Verdikt131. Heute ist Pacinis Verdienst wenigstens im Nachhinein gewürdigt, und die Kommission für bakteriologische Nomenklatur der Unesco hat ihn 1965 ohne Einschränkung und völlig berechtigt zum ersten Entdecker des Cholerabakteriums erklärt. Daß diese Tatsache in Deutschland so widerstrebend bekannt wird und selbst Lehrbücher angesehener Medizinhistoriker den Koch-Mythos weitertragen, belegt anschaulich, wie institutionelle Regeln auch heutzutage nicht außer Kraft gesetzt sind. Pacinis Leistungen gingen im Geflecht medizinischer Institutionen unter. Sie unterdrückten sie, statt sie bekanntzumachen, zu prüfen, zu debattieren. Pacini konnte sich institutionell nicht durchsetzen. Als David stand er gegen den Goliath Medizin auf verlorenem Posten. Das ist natürlich auf die dominierende medizinische Leitvorstellung zurückzuführen. Die war, wie im Medizinkapitel schon ausführlich dargelegt, zu dieser Zeit miasmatisch. Nach dem Rückschlag der kontagionistisch fundierten Seuchenprävention in den dreißiger Jahren schwenkte die Medizin fast geschlossen wieder auf miasmatische Positionen zurück. Im Geflecht medizinischer Institutionen wurde diese Position geradezu kanonisiert. Als Leitvorstellung selbst besaß sie institutionellen Charakter. Erweitert man Malinowskis bisher zugrundegelegten Institutionsbegriff und versteht man mit Emile Durkheim bzw. Talcott Parsons unter Institutionen nicht nur Vereine, Verbände und Organisationsformen bürokratisch-staatlichen Zuschnitts, sondern gesellschaftlich verbindliche Glaubensvorstellungen bzw. internalisierte Standards und Orientierungssysteme132, erscheint diese These plausibel. Die Miasmentheorie als Theorie war eine Institution. Sie war nicht ohne weiteres durch dieses oder jenes Argument, durch diese oder jene Tatsache zu widerlegen. Mit Gehlen gesprochen: Sie war eine obligatorisch gewordene, institutionelle Fiktion, die ein Super-

of Etiological Thought in Nineteenth Century America, in: Bulletin of the History of Medicine, 34 (I960), S. 331-354, hier: S. 343ff. 131 Robert Koch, Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage im Mai 1885, in: Koch, Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 69-166, hier: S. 99. 132 Vgl.: Emile Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode (1895), hrsg. v. René König, Neuwied 1961, S. 100; Talcott Parsons, The Social System (1952), 5. Aufl. Glencoe 1964, S. 39.

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additum an Geltung aufwies133. Der Widerstand gegen sie bedurfte selbst institutioneller Qualitäten, um sich geltend zu machen. Pacini war keine Institution. Er war allenfalls ein Außenseiter von einer Provinzuniversität. Selbst Koch hatte es schwer, seine 1884 entwikkelte bakteriologische Lösung zu internationaler Anerkennung zu verhelfen. Sie blieb trotz aller staatlicher Unterstützung, die sie in Deutschland erhielt, vorerst aus. Koch nahm zwar 1885 als offizieller deutscher Delegierter an der Sanitätskonferenz in Rom teil. Aber die Protokolle dieser Konferenz, zu einem 400seitigen gedruckten Konvolut vereinigt, verlieren über seinen Choleraerfolg von 1884 kein Wort. Norman Howard-Jones hat in seiner vorbildlichen Studie zu den internationalen Sanitätskonferenzen die Gründe dafür herausgearbeitet. Die Franzosen hielten sich mit Anerkennung zurück. Ihre Parallelbemühungen zur Entschlüsselung der Cholera waren gescheitert; sie fühlten sich düpiert. Die Italiener hatten mittlerweile die Verdienste Pacinis anerkannt und sahen in Koch allenfalls einen Nachfolger, wenn nicht einen Plagiator. Die Engländer blieben ebenfalls reserviert. Sie beanspruchten durch ihre Kolonialerfahrungen in Indien, am weitesten in der Erforschung der Cholera gekommen zu sein, und hielten diese bakteriologische Antwort fragwürdig. Bei ihnen kamen noch ganz andere Gründe zum Tragen. Die bakteriologische Lösung hätte die von einigen europäischen Staaten geforderten Quarantänemaßnahmen am 1869 eröffneten Suezkanal unterstützt. Hier waltete eindeutig ökonomisches Interesse vor medizinischem. England wollte seinen Indienhandel nicht beeinträchtigen. Er war so intensiv, daß 1883 sogar Pläne für einen zweiten, parallelen Suezkanal fast umgesetzt wurden. Der Widerstand gegen die Seequarantäne führte zu Widerstand gegen die Bakteriologie. Obwohl sich in England eine beachtliche bakteriologische Schule herausgebildet hatte134, wurde die bakterielle Lösung der Seuchenfrage seitens der englischen Regierung, wie eingangs schon gezeigt, gezielt torpediert. Erst die Sanitätskonferenz 1893 in Dresden brachte einen internationalen Durchbruch für Koch (ohne daß die englischen Offiziellen ihren versteckten Widerstand aufgegeben hätten). Inzwischen hatte Koch während der verheerenden Hamburger Epidemie von 1892 auch innerhalb Deutschlands weitere Widerstände der Pettenkofer-Schule entkräften können und sein Modell gegen miasmatische Vorbehalte entscheidend konsolidiert. Das hieß nicht, daß es zum unangefochten Wissenschaftsmonopol avancierte. Der Widerstand vereinzelter Widersacher oder die Vorbehalte der klinischen Medizin ließen sich nur allmählich brechen. Und die Ausdifferenzierungen innerhalb der Bakteriologie - etwa zwischen reiner labororientierter Immunologie bzw. Serologie (Behring) oder Rassenhygiene (Hueppe) - ließen die bis dahin verdeckte Heterogenität des Wissenschaftszweigs in den neunziger Jahren offen zutage treten. Auch neuer öffentlicher Widerstand regte sich. Dem unmittelbar im Anschluß an die Hamburger Epidemie unter maßgeblicher Beteiligung von Koch entwickelten „Reichsseuchengesetz" stand eine fast zehnjährige Odyssee durch den Reichstag und verschiedene Ausschüsse bevor. Die Ereignisse der Gelsenkirchener Typhusepidemie von 1901 und das anschließende Gerichtsverfahren 1904 zeigten schließlich, wie einflußreich die Pettenkofer-Schule auch nach dem

133 Vgl.: Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen (1956), 2. neu bearb. Aufl. Bonn 1964, S. 210f. 134 Vgl.: Michael Worboys, Spreading Germs. Disease Theories and Medical Practice in Britain, 1865-1900, Cambridge 2000.

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Tod ihres Gründers blieb. Im Streit der persönlich angereisten Gutachter Robert Koch für die Bakteriologie und Rudolf Emmerich für die lokalistische Hygiene Pettenkofers wurde keine eindeutige gerichtliche Entscheidung erzielt. Mit entlastendem Hinweis auf Pettenkofers Vorgaben wurde die illegale Einspeisung ungeklärten Trinkwassers lediglich für „fahrlässig" erklärt, und die Strafen fielen als äußerst milde Geldstrafen aus135. Festzuhalten ist: Kochs Triumph war nicht selbstverständlich. Koch mußte sich in institutionellen Mechanismen bewegen, um der Bakteriologie Geltung zu verschaffen - im akademischen, universitären Feld, später auf den nationalen Cholerakonferenzen von 1884 und 1885 in Berlin, anschließend im internationalen Rahmen. Die Institutionen, die einst Pettenkofers Theorie entscheidend begünstigten, Pacini ignorierten und auch Koch anfangs behinderten, verhalfen ihm schließlich jedoch zum Sieg. Denn Institutionen sind nicht von Argumenten oder Tatsachen zu beeinträchtigen. Das geschieht nur, wenn diese sich selbst zu institutionalisieren vermögen. Koch, einfacher Kreisphysikus, drang über seine Kontakte zu Cohn in das universitäre Feld ein, in dem die Pathologen Virchowscher Schule dominierten. Durch seine Anfangserfolge wurde er ins Kaiserliche Gesundheitsamt katapultiert, an entscheidende staatliche Machthebel. Von dieser privilegierten Position aus wurde er zum Leiter der Cholerakommission ernannt, die in Ägypten und Indien das Cholerarätsel löste. Unmittelbar nach diesem Erfolg stieg er zum stellvertretenden Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamts auf. Für die Propagierung seiner Cholera-Expedition nutzte er gezielt aktuelle Printmedien; seine fortlaufenden Berichte aus den Regionen vor Ort wurden ohne Verzug in der „Deutschen medizinischen Wochenschrift", und, viel einflußreicher, im offiziösen „Deutschen Reichsanzeiger" veröffentlicht. Von dort wurden sie in andere nationale und internationale Presseorgane aller Art übernommen: „Mit unverminderter Theilnahme folgte die gesammte Nation, ja die gesammte gebildete Welt dem muthigen Vorgehen jener wissenschaftlichen Pioniere Deutschlands im fernen Ostasien"136. All das sicherte Koch exklusiv Publizität. Dem diente bereits die Begründung der Reihe „Mittheilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte" (ab 1881), ebenso die von ihm und Carl Flügge ab 1885 herausgegebene „Zeitschrift für Hygiene". Wissenschaftliche Errungenschaften konnte Koch also seit Beginn der achtziger Jahre direkt institutionell verwerten. Fast nahtlos fügte sich in diese Entwicklung, daß nach triumphaler Rückkehr von der Choleraexpedition 1884 seiner Forderung nach einer Professur staatlicherseits entsprochen wurde, wobei Vorbehalte der Berliner Universität - immerhin war Koch nicht habilitiert - geschickt umgangen wurden. Die nationalen Cholerakonferenzen von 1884 und 1885 bestärkten Kochs institutionellen Einfluß. Er konnte ihren Verlauf so arrangieren, daß allein durch Auswahl von Teilnehmern - Pettenkofer wurde gar nicht erst geladen - und die Art der Fragestellungen Virchows und Pettenkofers Vorbehalte weitgehend zurückgewiesen werden konnten. (Als sich Virchow

135 Vgl.: Martin Weyer-von Schoultz, Die Gelsenkirchener Typhusepidemie und ihr gerichtliches Nachspiel, in: Stadt, Krankheit und Tod. Geschichte der städtischen Gesundheitsverhältnisse während der Epidemiologischen Transition (vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert), hrsg. v. Jörg Vögele/Wolfgang Woelk, Berlin 2000, S. 317-335. 136 [Anonym], Willkommen, Ihr Sieger!, in: Berliner Tageblatt. Morgen-Ausgabe, Nr. 207, 3. Mai 1884, [S. 1],

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auf der ersten Konferenz Kochs Choleraerklärung überraschend aufgeschlossen gezeigt hatte, wurde Pettenkofer zur zweiten Konferenz sogar generös hinzugezogen.) Auf der Sanitätskonferenz von 1893 errang Koch, wie bereits erwähnt, schließlich weitgehende internationale Anerkennung. Die schon erwähnten Hygiene- bzw. Seuchenausstellungen um die Jahrhundertwende - 1883 in Berlin, 1903 in Dresden, 1911 gleichfalls dort - verliehen seiner Karriere und der Bakteriologie weiteren Nachdruck. Sie war nunmehr ein Zweig, der die Wissenschaftslandschaft dominierte. Nach Kochs Worten von 1909 stieg sie innerhalb dreier Jahrzehnte von einem winzigen Abschnitt der Botanik, der kaum ein Dutzend von pflanzlichen Mikroorganismen umfaßte137, auf zu einer Disziplin, die mit heutiger Terminologie als Leitdisziplin bezeichnet werden kann. Dabei hat Koch neben seinen wissenschaftlichen Qualitäten vor allem eins bewiesen: Qualitäten im institutionellen Gefüge, als Wissenschaftsmanager und weitsichtiger Schulbildner. So gelang es ihm, in der Welle der Gründung Hygienischer Institute in Preußen seine Schüler in leitenden Stellungen zu piazieren. Er verstand es, auf dem institutionellen Parcours zur richtigen Zeit an richtiger Stelle zu sein. Zunehmend erreichte er sogar, die Regeln dieses Wettkampfs selbst zu diktieren und neu zu definieren. Ob bei der Gestaltung der Strategie des Kaiserlichen Gesundheitsamtes 1884138, bei der Einrichtung eines Hygienischen Instituts an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität 1885139 oder der Initiierung eines außeruniversitären Instituts für Infektionskrankheiten 1891 - fast immer bewährte sich Koch strategisch als Wissenschaftspolitiker. Nur beim Aufbau dieses Instituts für Infektionskrankheiten erhielt Kochs institutionelle Karriere einen teilweisen Rückschlag. Zwar konnte es, gegen nicht unerheblichen parlamentarischen Widerstand, 1891 seine Arbeit aufnehmen. Koch wurde zum Leiter ernannt. Aber nach zähen und schließlich sogar lautstarken Auseinandersetzungen mit seinem Gönner Althoff mußte er zurückstecken und alle kommerziellen Rechte an eventuellen Heilmitteln an den preußischen Staat abtreten140. Das sollten nicht die einzigen Rückschläge bleiben. Berufungen erfolgten nicht in seinem Sinn, so die des berufenen Nachfolgers Max Rubner an die Berliner Universität. Das unter Kochs Kuratel für Berlin geplante deutsche „Tropenhygienische Zentralinstitut" bzw. „Reichs-Institut für Tropenhygiene" wurde 1899 überraschend Hamburg zugeschlagen und damit seinem Einflußbereich entzogen. Ab 1901 entfaltete es sich dort als „Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten". Gleichfalls 1901 mußte Koch erfahren, daß seine groß-

137 Robert Koch, Antrittsrede an der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 1. Juli 1909, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 1-4, hier: 1. 138 Vgl.: Bernhard Opitz, Robert Kochs Ansichten von 1884 über die zukünftige Gestaltung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, in: Medizinhistorisches Journal, 29 (1994), S. 363-377. 139 Vgl.: Petra-Heike Heinicke/Klaus Heinicke, Zur Geschichte des Lehrstuhls für Hygiene an der Universität zu Berlin von der Gründung bis zur Berufung MaxRubners, Med. Diss. Erfurt 1979; R. Nabielek, Robert Koch und die Begründung des Lehrstuhls für Hygiene an der Berliner Universität, in: Zeitschrift für die gesamte Hygiene, 29 (1982), S. 185-193; Gerhard Eschenhagen, Das Hygiene-Institut der Berliner Universität unter der Leitung Robert Kochs 1885-1891, Med. Diss. Berlin 1983. 140 Vgl.: Heinicke/Heinicke, Zur Geschichte des Lehrstuhls für Hygiene, S. 49ff.; Gradmann, Ein Fehlschlag und seine Folgen, S. 40ff.

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angelegte Kampagne zur Typhusbekämpfung im Finanz- und Innenministerium auf wenig Beifall stieß. Wie im Militärkapitel bereits dargestellt, vermochte Koch es schließlich, das Reichskriegsministerium für seine Belange zu instrumentalisieren und in einem geschickten Schachzug auch andere Ministerien einzubeziehen. Dennoch war sein Abschied vom Institut für Infektionskrankheiten 1904 ein resignierter, er sprach von gezielten Intrigen gegen die Einrichtung und gegen seine Person141. All diese institutionellen Mechanismen sind keine äußere, störende Hülle, denen die Wissenschaft sich notgedrungen eben nicht entschlagen kann. Das anzunehmen, hieße weiterhin einem Wissenschaftsverständnis anzuhängen, das lediglich auf das Faktum Wahrheitssuche fixiert bleibt und allenfalls Personen, als unabdingbare Träger der Fackel Wahrheit, dabei berücksichtigt. Es gibt jedoch keine präexistenten Wahrheiten. Wissenschaft ist genau die Art, wie sie Erkenntnisse institutionell produziert und realisiert. Dabei nehmen Erkenntnisse zwangsläufig selbst neue Wendungen. Am Beispiel von Kochs später Theorie menschlicher Keimträger trat das in exemplarischer Weise zutage. Sie entstand und formte sich erst im Zusammenspiel mit den militärischen Machthabern, gewann neue Gestalt und erfuhr, vor allem bezüglich des Kausalitätskonzepts, einen tiefgreifenden Wandel. Aber auch die Umkehrung des Wegs gilt. Institutionen schaffen die Art von Wissen und Wissenschaft, die ihnen gemäß ist. Als geronnenes Verhalten werden sie zum Verhältnis, das ein bestimmtes Verhalten determiniert. Sie kreieren spezifische Theorien und Praktiken, solche, die ihnen gemäß sind. Inquisition schafft Ketzer, Kirche Gläubige. Und im gleichen Zug wie die Existenz produzieren sie das Fehlen bestimmter Theorien und Praktiken. Sie generieren bezeichnende Leerstellen. Eine Universität ohne Labor bedingt eine Wissenschaft ohne Labor. Universitäten ohne naturwissenschaftliche Fakultäten - wie noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland142 - sind demonstrativ Universitäten ohne Naturwissenschaft (außer an den Rändern der Medizinischen oder Mathematischen Fakultät). Bis dahin war Naturwissenschaft in die Hände von Laien, Unternehmern und in die Kompetenz neu gegründeter Akademien gelegt. An den Universitäten hatte sie keinen Platz. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann, gegen zähen Widerstand der traditionellen Fakultäten, eine Karriere unter ihrem Dach. Ein neues institutionelles Gefüge entstand. Die Universität duldete widerwillig den neuen Zweig. Nur wenige Jahrzehnte später hatte sie die Naturwissenschaften okkupiert und zum Motor ihres Erfolgs umfrisiert. Zusammengefaßt: Einerseits hat jede Wissenschaft die ihr gemäßen Institutionen. Andererseits haben Institutionen ihre Art Wissenschaft. Wissenschaft ist das, was sich institutionell gegen Wissenschaft behauptet. Aber, möglicherweise weitaus wichtiger: Was im Konkurrenzkampf von Institution gegen Institution entsteht und etabliert wird, ist Wissenschaft.

141 Robert Koch an Wilhelm Dönitz, 15. Januar 1904, abgedruckt in: Ernst Bäumler, Paul Ehrlich. Forscher für das Leben, Frankfurt/M. 1979, S. 171. 142 Vgl.: Wolf Freiherr von Engelhardt/Hansmartin Decker-Hauff, Quellen zur Gründungsgeschichte der Naturwissenschaftlichen Fakultät in Tübingen, 1859-1863, Tübingen 1963.

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b) Allmähliche bakteriologische Synthese Koch gelang es, die Bakteriologie als Institution zu etablieren. Nicht irgendeine Bakteriologie, sondern die, die auf dem beruhte, was ich bakteriologische Synthese bezeichnen möchte. Durchschlagenden Erfolg errang er, weil er zwei bis dahin weitgehend nebeneinanderliegende Wissensströme des 19. Jahrhunderts miteinander synthetisierte. Sein Erfolgsrezept war, die soziale Deutung des Seuchengeschehens, wie sie sich im Kontagienmodell niederschlug, mit der naturhaft-miasmatischen auf bestimmte Weise zu vereinigen. Den Streit zwischen sozialer oder naturhafter Erklärung von Epidemien entschied er auf seine Weise indem er den Alternativen den Boden entzog. Er führte sie zusammen. Diese Synthese verdankt sich aber keiner Ursprungsidee, keiner plötzlichen Initialzündung. Koch hat nicht nach ihr gesucht, sie war nicht das teleologische Ergebnis eines unerschütterlichen Vorsatzes. Sie schrieb sich der Bakterientheorie über verschiedene Etappen eher ein, als daß Koch sie ihr bewußt eingeschrieben hätte. Sie entsprang nicht Kochs Logik, sondern einer Wissenschaftslogik, die auf Expansion und auf Okkupation fremder Wissensgebiete angelegt ist. Auch deshalb war es schwer, sich der Plausibilität seines Modells zu entziehen. Die zwei das ganze 19. Jahrhundert dominierenden Miienjströme bzw. Wissenschaftsstiöme fielen in seiner Art der Bakteriologie zusammen. Um es mit den argwöhnischen Worten Pettenkofers, seines einflußreichsten Widersachers, von 1885 zu sagen: der „bakteriologische Virtuose Koch" sei nun „mit einem Schlage auch Hygieniker und Epidemiologe geworden"143. Natürlich, Koch begann als Laborwissenschaftler. Seine Arbeiten aus den siebziger Jahren, die zum Milzbrand und zur Wundinfektion, suchten ausschließlich nach Erregern. Das waren zweifellos naturale Partikel. Debatten gab es allenfalls darüber, ob sie dem Tier- oder Pflanzenreich zuzurechnen seien. Mittels dieses Laborprogramms stieß Koch in eine theoretische und institutionelle Lücke und eroberte sich seinen Platz im abgezirkelten Gefüge der wissenschaftlichen Welt. Mit Ockhamschen Rasiermesser hatte er ein theoretisches Minimalkonzept verfolgt und ein bestimmtes Bild von Krankheit klar umrissen: ein Erreger, eine Krankheit, ein Ort, wo sie zu entschlüsseln war: das Labor. Komplizierte epidemiologische Bedingungen und Einflüsse waren irrelevant. Dabei blieb Koch jedoch nicht stehen. Mit der Berufung an das Kaiserliche Gesundheitsamt erschloß er sich neue Horizonte. Gestützt auf seine Anfangserfolge und seine Kernkompetenz erweiterte er sein Kausalitätskonzept, sein Krankheitsbild, sein Seuchenverständnis. Er eignete sich epidemiologische Kompetenz an. Erst mit dieser Doppelkompetenz wurde die Bakteriologie zur einflußreichen Leitdisziplin. Mehrere einschneidende Zäsuren gab es auf diesem Weg: Die Forschungen zur Cholera 1883/84, die Auswertung der Hamburger Cholera-Epidemie von 1892, die eine multivektorielle Verbreitung nahelegte, die Expedition zur Erforschung der Rinderpest 1896 in Südafrika, die Koch endgültig auf das Seuchenverhalten großer Populationen lenkte, schließlich die Kampagne zur Typhusbekämpfung ab 1901. Dabei veränderte sich das Antlitz der Bakteriologie grundlegend. Das führte beispielsweise dazu, daß Kochs Kolonialvortrag „Die

143 Max von Pettenkofer an Forster, 17. Mai 1885, in: Karl Kißkalt, Die ersten Beurteilungen Kochs durch die Schule Pettenkofers, in: Archiv für Hygiene und Bakteriologie, 112 (1934), S. 167-180, hier: S. 176.

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GesundheitsVerhältnisse von Deutsch-Ostafrika" von 1906 rein epidemiologisch aufgebaut war und der Bakterienfrage gar keinen Raum gab. Kochs letzter Vortrag von 1910, kurz vor seinem Tod, trug von vornherein den programmatischen Titel „Epidemiologie der Tuberkulose". Um Bakterien und Erreger ging es dort nicht. Hauptgegenstand war die sinkende Tuberkulosemortalität auf verschiedenen Kontinenten, belegt anhand umfangreichen statistischen Materials. Das Fazit: Wohnverhältnisse entscheiden über Vorkommen oder Nichtvorkommen der Tuberkulose144. An dieser Stelle sind begriffliche Klärungen erforderlich. Was sind Bakteriologie, Hygiene und Epidemiologie? Eine Scheidung ist nicht einfach zu treffen, denn die Akteure übten sich nicht selten in großzügigen Charakterisierungen. Man sollte gar nicht von Großzügigkeit oder Nachlässigkeit, sondern eher von einer strategisch gewollten Unschärfe sprechen. Sie ermöglichte, bei Bedarf verschiedene Kompetenzen zu reklamieren und verschiedene Wissenschaftsfelder zu besetzen. Verfügung über einen Begriff bedeutete, bei Bedarf auf symbolische wie über materielle Forschungsressourcen gleichermaßen Zugriff zu haben. Daß Wissenschaft möglichst scharfe Begriffsscheidungen, Konkretisierungen und Präzisierungen intendiert, ist ein Mythos. Sie bedarf für ihr Selbstverständnis, für ihre Innen- und Außendarstellung stets bestimmter Leitbegriffe, vereinfachender restringierender Codes. Diese sind nicht lediglich ein versinnbildlichendes Logo. Sie formen das Profil von Disziplinen, Fächern oder Theorien, ihren Inhalt selbst. Im 19. Jahrhundert, als Wissenschaft gezielt das Forum Öffentlichkeit für ihre Institutionalisierung nutzte, wurde der Zug zu solchen Leitbegriffen um so zwingender. Schon 1856, in den damaligen philosophischen Debatten zwischen Materialismus und Idealismus, ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß es nicht zuletzt darum gehe, mit Takt und feiner Witterung der „von Stichwörtern beherrschten öffentlichen Meinung" entgegenzukommen 145 . Genau das war auch in den Seuchendebatten nach 1880 der Fall. Wissenschaftliche Kompetenz bemaß sich nicht selten im Zugriff und in Verfügung über bestimmte Leit- oder Schlüsselbegriffe. Von dieser Warte aus waren Wissenschaft, Wissenschaftspolitik und nicht zuletzt auch die Ansprüche der Öffentlichkeit zu dirigieren. Von Fall zu Fall wurden unter dem schützenden Dach dieser Begriffe aber ganz verschiedene Konzeptionen verwirklicht. So ist eine Abgrenzung schwer, weil Grenzverwischungen beständig beabsichtigt waren. Noch am einfachsten verhält es sich wohl mit „Bakteriologie". Ihr Programm war klar, es war eine Laborwissenschaft. Ihr Gegenstand waren naturhafte Partikel, die unter dem Mikroskop sichtbar zu machen waren. Komplizierter wurde es, als unter dieses prestigeträchtige Label, das für empirische Exaktheit und antispekulative Orientierung stand, auch hygienische und epidemiologische Errungenschaften subsumiert wurden. Die Kompromißformel, die Koch und Flügge der seit 1886 herausgegebenen „Zeitschrift für Hygiene" im

144 Vgl.: Koch, Die Gesundheitsverhältnisse von Deutsch-Ostafrika (1906); ders., Epidemiologie der Tuberkulose (1910), in: ebenda, Bd. 1, S. 636-649. 145 Friedrich Fabri, Briefe gegen den Materialismus, Stuttgart 1856, S. 96. Zu diesen Konkurrenzkämpfen vgl.: Olaf Briese, Philosophie in einer veränderten Welt. Überlebens- und Konkurrenzstrategien nach 1850, in: Vormärz - Nachmärz. Bruch oder Kontinuität?, hrsg. v. Norbert Otto Eke/Renate Werner, Bielefeld 2000, S. 59-84.

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Vorwort voranstellten, lautete vorerst „Experimentalhygiene"146. Was aber war Hygiene? Es war eine ebenfalls junge Wissenschaft - Pettenkofers erster Lehrstuhl in Deutschland datierte von 1865, sein hygienisches Institut wurde 1879 eröffnet. Unter seinem weitreichenden Einfluß bedeutete Hygiene hauptsächlich eine auf Naturbedingungen gerichtete Lokalhygiene, vor allem Bodenassanierung. Epidemiologie war einer ihrer Spezialzweige, sie wandte sich ansteckenden Krankheiten zu. Nach Pettenkofers Vorgabe war ihr Schwerpunkt, die Entstehung, Verbreitung und das Absterben von Krankheitskeimen aufzudecken. Das richtete sich vorrangig auf naturale Bedingungen. Es ging um Bodenkonstitution bzw. um das Zusammenspiel von Boden und Grundwasser, das Keime entstehen läßt. In dem Sinne war Epidemiologie ausschließlich mit Naturvorgängen befaßt. Sie war, in eigenartig changierender Synthese von Wasser- bzw. Bodenerzeugung und teilweiser Windübertragung, eine lokalistisch-miasmatische Theorie, die ihr Augenmerk auf Natur legte. Auf modifizierte Weise schrieb sie vormoderne fatalistische Paradigmen fort. Sozialverhalten und Sozialkontrolle waren ihr fremd. Kochs Ansatz hingegen war anfangs rein kontagionistisch, kontagionistisch-natural. Es gab naturale Erreger, und sie betrafen natural konzeptualisierte menschliche Körper, die von denen der verbrauchten Versuchstiere nicht grundsätzlich verschieden waren. Aber dieser Laborkontagionismus weitete sich aus und ging in Richtung Epidemiologie - einer Epidemiologie, die klar und gezielt soziale Komponenten thematisierte. Bestimmbare Erreger verbreiten ansteckende Krankheiten. Das geschah auf dem Weg, den Pettenkofer hartnäckig leugnete - auf dem Wasserweg. Der war Koch aber nur ein Zwischenglied, das den Weg von Mensch zu Mensch überbrücke. Handel und Verkehr würden die Krankheitserreger ursächlich verschleppen und übertragen. Das seien soziale Medien. Damit seien sie aber auch sozial reglementierbar. Nach Kochs Worten von 1884 sei Trinkwasser lediglich ein „Vehikel", das die Epidemien übertrage: „Die Cholera ist überhaupt, wenn man den Ursprung der einzelnen genauer untersucht, noch nie anders zu uns gekommen, als durch die Menschen selbst". Es gebe eine strikte „Abhängigkeit der Cholera vom menschlichen Verkehr"147. Gegen den Menschen, den bedrohlichen Akteur im modern abgesicherten Herrschaftsgefüge, richteten sich die Energien der Seuchenprävention. Im Sozialgebilde der Moderne wäre der Mensch Gefahrenquelle Nummer Eins. Hier wäre anzusetzen, nicht bei ominösen naturhaften Mächten. Prävention bedeutete demnach die Kontrolle von Verkehr und Handel, bedeutete Meldepflicht oder - Klimax verräterischer bakteriologischer Sozialphantasien die „unauffällige Bewachung Zugereister"148. Schließlich, im Verdachtsfall, wäre nicht nur zu kontrollieren und zu bewachen, sondern zu reglementieren: Grenzsperren, Quarantäne, Isolation, Einschränkung von Mobilität, all das, was die von Koch initiierte Seuchengesetz-

146 R. Koch/C. Flügge, Zur Einführung, in: Zeitschrift für Hygiene, 1 (1886), S. l f „ hier: S. 2; vgl. auch: Dr. Georg Gaffky, Die experimentelle Hygiene im Dienste der öffentlichen Gesundheitspflege. Akademische Festrede [...], Glessen 1895. 147 Koch, Erste Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage, S. 22, 42; Koch, Zweite Konferenz zur Erörterung der Cholerafrage, S. 104. 148 Robert Koch, Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera (1894), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 262-266, hier: S. 262.

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gebung des Kaiserreichs vorschrieb. In der unter seinem Einfluß verfaßten Denkschrift des Kaiserlichen Gesundheitsamts zur Cholera von 1892 hieß es apodiktisch: „Der Anstekkungsstoff der Cholera befindet sich in den Ausleerungen der Kranken, kann mit diesen auf uns in andere Personen und die mannigfachsten Gegenstände gerathen und mit denselben verschleppt werden" 149 . Das war, im direkten Gegensatz zu Pettenkofer, eine soziale Konzeptualisierung von Seuche, eine Art Sozial-Epidemiologie. Es war ein modernes Programm, das sich dem alten naturhaft-miasmatischen Konzept direkt entgegenstellte. Es baute auf Sozialkontrolle auf, und es intendierte Sozialkontrolle. Es gab keine unberechenbaren naturhaften Mächte, sondern soziale Akteure. Sie wären mittels Gesetz und staatlicher Vollzugsorgane zu ordinieren. Diese Auffassung wurde von Koch nach und nach erweitert. Er eignete sich weitere epidemiologische Errungenschaften an, stellte naturhafte Faktoren allmählich in ihre Rechte. Er integrierte sie unter das Dach der Bakteriologie. Zwar wurde er nicht Miasmatiker. Aber gelegentlich ließ er erkennen, daß bei dieser oder jener Seuche oder diesen oder jenen Umständen sowohl das Verhältnis von Wasser, Wind und Boden, also der Naturfaktoren untereinander, als auch die Beziehung von naturhaften und sozialen Determinanten einer gründlichen Erforschung harre. Programmatisch hat er sich selten dazu geäußert. Statt dessen hat er diese Art von Synthese von Fall zu Fall durchprobt und praktiziert - anfangs unter dem Schlüsselwort „Bakteriologie", gelegentlich unter dem Stichwort „Experimentalhygiene", später, nachdem er Pettenkofer gänzlich aus dem Wissenschaftsfeld verdrängt hatte, direkt und mitunter sogar ausschließlich unter dem Titel „Epidemiologie". An einer Stelle, nach den Erfahrungen der Hamburger Choleraepidemie von 1892, entwarf er 1894 sogar ein unmißverständliches Programm einer solchen Synthese. Diese Äußerungen gab er zwar intern, aber gegen eine anschließende Veröffentlichung hatte Koch offenbar nichts einzuwenden. Er zog ein entschiedenes Fazit. Die epidemiologischen Ansätze der Pettenkofer-Schule und die der bisherigen Bakteriologie wären produktiv zu vereinen. Ein auf der 19. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege vorgelegtes Kompromißpapier beider Schulen - es enthielt u.a. die These, daß von Quarantänen zukünftig abzusehen sei sowie das Diktum, daß der sicherste Schutz vor der Cholera ungeachtet der Bedeutung des Erregers in Assanierung von Städten und Ortschaften bestehe - wurde von Koch besiegelt: Der zehnjährige Streit über das Wesen der Cholera hat, glaube ich, damit sein Ende gefunden. Wir sind also alle nunmehr darüber einig, daß ein ganz bestimmt charakterisierter Parasit die Ursache der Cholera ist. Wenn ich das so kurzweg sage, dann meine ich damit keineswegs, daß jeder, welcher diesen Parasiten in seinen Mund bringt, oder in seinen Magen, oder selbst in seinen Darm, unter allen Umständen nun sofort einen ganz gleichmäßig beschaffenen schweren Cholerafall bekommen muß. Ich habe das auch niemals behauptet. Von Anfang an habe ich immer die Anschauung vertreten, daß wir, wenn wir auch die eigentliche Ursache kennen, immer noch eine ganze Anzahl von Hilfsursachen berücksichtigen müssen, die man in der bekannten Weise als ört-

149 Amtliche Denkschrift über die Choleraepidemie 1892. Herausgegeben vom Kaiserlichen Gesundheitsamt, Anlage 6, abgedruckt in: Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte, S. 208-219, hier: S. 215.

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Das Janusgesicht des Bakteriums liehe, zeitliche und individuelle Bedingungen zu bestimmen versucht hat. Diese müssen dem Parasiten zu Hilfe kommen, damit der Cholerafall entstehen kann. Auch über diesen Punkt sind wir in Norddeutschland mit den Forschern aus Süddeutschland noch nicht ganz einig. Die Meinungen gehen aber darüber auseinander, wie wir uns diese Hilfsursachen vorzustellen haben, und in dieser Beziehung - ich muß es zu meinem Bedauern gestehen - wissen wir noch verhältnismäßig wenig. Manches ist uns allerdings bereits bekannt, z.B. daß eine dieser Hilfsursachen die Beziehungen des Menschen zum Wasser sind, ferner daß die Jahreszeiten eine ganz bedeutende Rolle spielen, daß die Verkehrsverhältnisse, die Immunität, die Beschaffenheit der Verdauungsorgane eine Rolle spielen. Aber alles das genügt doch noch nicht. Ich habe immer das Gefühl, daß wir noch vor manchen ungelösten Fragen stehen, hoffe aber auch, daß, nachdem wir nun den Streit über die eigentliche Kardinalfrage beendet haben, wir gemeinschaftlich daran gehen, auch diese dunklen Punkte aufzuhellen. 150

Neu war dieses Bekenntnis in seiner Offenheit und Vorbehaltlosigkeit. Grundsätzlich neu war die Wendung zu naturhaften Aspekten jedoch nicht. Bereits die Forschungen, die Kochs öffentlichen Ruhm begründeten, die zur Cholera, ließen den begrenzten Horizont der Laborhygiene hinter sich und waren gleichermaßen bakteriologisch wie epidemiologisch angelegt. Epidemiologie war hier freilich noch weitgehend Sozial-Epidemiologie. Seine offiziellen Expeditionsberichte geben Zeugnis davon, gleichfalls seine Vorträge auf den beiden nationalen Cholerakonferenzen 1884/85. Dort wurden seine bakteriologischen Errungenschaften und Thesen zur Epidemiologie auf mögliche Folgen für die staatliche Seuchenprävention geprüft. Dabei bewies Koch sein Geschick, Bakteriologie und Epidemiologie miteinander zu vermitteln. Das rief Pettenkofers schon erwähnten Unmut hervor, Koch operiere als Bakteriologe und Epidemiologe. Andere Vertreter der Pettenkofer-Schule nahmen diesen Kochschen Syntheseversuch eher anerkennend auf, etwa Georg Friedrich Renk. Ende der achtziger Jahre bemerkte er an Koch überrascht, „mit welchem Eifer und welchem Geschicke er die Hygiene kultiviert", daß er „auch einen anderen als den mikroskopischen Standpunkt einzunehmen versteht", daß er sogar, mit nur wenigen Abweichungen, ganz auf Pettenkofers Füßen stehe151. Diese Tendenz zur Epidemiologie, die neben sozialen allmählich auch naturale Faktoren umschloß, war Programm. Sie verstärkte sich in den nächsten Jahren noch, etwa in Gaffkys offiziellem Rechenschafts- und Abschlußbericht der Choleraexpedition in Ägypten und Indien von 1887. Er war, wie Gaffky hervorhob, unter direkter Mitarbeit Kochs entstanden. Dort zog Gaffky alle Register epidemiologischer Virtuosität: Karten über Flußläufe und Verkehrswege, Einwohner- und Mortalitätsstatistiken und Diagramme, Planskizzen zur örtlichen Bebauung, Klima und Witterungsanalysen usw.152 Koch selbst hielt sich mit entsprechenden Verlautbarungen noch zurück und näherte sich diesem Programm vorerst im

150 Koch, Die Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera, S. 263. 151 Georg Friedrich Renk an Max v. Pettenkofer, 4. April 1888, in: Kißkalt, Die ersten Beurteilungen Kochs, S. 179. 152 Vgl.: Bericht über die Thätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Egypten und Indien entsandten Kommission, unter Mitwirkung von Dr. Robert Koch, bearbeitet von Dr. Georg Gaffky, Berlin 1887. Zu Gaffky vgl.: Claudia Wolff, Georg Gaffky (1850-1918). Erster Vertreter der Hygiene in Glessen von 1888-1904, Glessen 1992.

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Stillen. Aber eine Schar von Verbündeten meldete die neuen Ansprüche an. So stellte Kochs unmittelbarer Schüler Fraenkel im Vorwort zur dritten Auflage seines „Grundrisses der Bakterienkunde" von 1890 heraus, daß „Art und Gestalt der Forschung" andere geworden seien, daß die Bakteriologie ihr „kühn errichtete[s] Gebäude auf eine breitere Grundlage" stelle153. Was das hieß, verdeutlichte Koch drei Jahre später in seiner umfassenden Arbeit zum verheerenden Hamburger Choleraausbruch von 1892. Nunmehr arbeitete auch er demonstrativ mit klassischem epidemiologischen Instrumentarium. Seine Studie beinhaltete u.a. geographische Karten und Stadtpläne, Angaben zu Temperaturen, Grundwasserschwankungen und geographisch-geologischen Verhältnissen, beispielsweise Bodenprofile, auch sozialstatistische Erhebungen. Krankheit war nicht mehr unabänderlich gleich Krankheit. Der Erreger stehe zweifelsfrei fest. Aber er verbreite und entfalte sich auf soziale und naturhafte Weise auf den verschlungenen Wegen, welche schon die klassische Epidemiologie zu ihrem Hauptgegenstand hatte. Das war das bakteriologische Rüstzeug, das über staatliche Ausbildungskurse einer ganzen Generation von Medizinern mit auf den Weg gegeben wurde. Unter anderem belegt das der im Frühjahr 1893 im Kaiserlichen Gesundheitsamt unter der Leitung von Richard Julius Petri durchgeführte mehrwöchige Cholera-Kurs (seit 1884 wurden diese Schulungen regelmäßig abgehalten). In Auswertung der Hamburger Epidemie beinhaltete er ausdrücklich zwei klar gesonderte Teile: Bakteriologie und Epidemiologie. Das veröffentlichte Lehrmaterial spricht eine klare Sprache. Umfang des bakteriologischen Parts: 50 Seiten, Umfang des epidemiologischen: 150 Seiten154. Gewidmet war es Koch. Der war zu dieser Zeit zwar nicht mehr ausdrücklich am Gesundheitsamt tätig, aber er war vereinbarungsgemäß weiterhin Berater der Institution. Nach Petri beruhte Epidemiologie freilich noch auf dem sozialen Ausbreitungsprinzip. Von Disposition durch Klima, Jahreszeit, sich wandelnder Virulenz usw. war vorerst noch keine Rede. Epidemiologie hieß, soziale Verbreitungswege aufzuzeigen, ohne Zugeständnisse an Pettenkofer. Lediglich der Name Epidemiologie wurde entlehnt. Darunter firmierte etwas völlig anderes: der bloße Nachweis der Verbreitung bakterieller Erreger von Mensch zu Mensch mittels des Zwischenmediums Wasser. Erst allmählich ging die Bakteriologie daran, sich auch inhaltliche Leistungen Pettenkofers, im Sinne der oben entworfenen Synthese, anzueignen. Gleiches, eine nur zögerliche Aufnahme dieser Errungenschaften, ließ sich bei Flügge beobachten. Vom unbedingten Pettenkofer-Schüler in den siebziger Jahren hatte er sich seit Beginn der achtziger zum unbedingten Bakteriologen Kochscher Prägung gewandelt. Im Einklang mit anderen Koch-Schülern, etwa Löffler, forderte er 1884 apodiktisch, Medizin und Hygiene hätten sich dem institutionellen Einfluß der Bakteriologie zu beugen155. Das war die anfangliche Kochsche Linie sans phrase. Umgesetzt wurde sie unter anderem in der

153 Dr. Carl Fraenkel, Grundriss der Bakterienkunde (1886), Vorwort zur dritten Auflage, Berlin 1890, S. Vf., hier: S . V . 154 Vgl.: Petri, Der Cholerakurs im Kaiserlichen Gesundheitsamte. Zu Petri vgl.: Schneider, Die Schüler Robert Kochs, S. 103f. 155 Vgl.: Carl Flügge, Ueber die Förderung des hygienischen Unterrichts, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 17 (1884), S. 7-21; Löffler, Vorlesungen über die geschichtliche Entwickelung der Lehre von den Bacterien, S. V.

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von Koch und Flügge ab 1886 herausgegebenen „Zeitschrift für Hygiene". Langjährig mit ihm befreundet, war es dann Kochs Wunsch, daß Flügge, inzwischen Ordinarius für Hygiene in Breslau, 1891 sein Nachfolger an der Berliner Universität würde156. Dieser Vorschlag ließ sich vorerst nicht verwirklichen. Aber ihr Bündnis hielt an. In Reaktion auf die Hamburger Choleraepidemie von 1892 kam Flügge zu einem Fazit, das explizit das verdeutlichte, was Koch in seiner großen Studie über diese Katastrophe entworfen hatte: eine produktive Synthese von Laborwissenschaft und Epidemiologie, naturhafter Epidemiologie. Einerseits gab Flügge ein grundsätzliches Bekenntnis zur Bakteriologie und wies Pettenkofers lokalistisch-miasmatische Positionen gezielt zurück. Andererseits verdeutlichte Flügge den neuen, synthetisierenden Kurs: Die zähe Hartnäckigkeit, mit der beide Ansichten festgehalten werden, muss wahrscheinlich machen, dass an beiden etwas Wahres enthalten ist, dass aber beide - die eine nach dieser, die andere nach jener Seite - über die richtigen Grenzen hinausgegangen sind. [...] Nutzen wir die Erkenntnis, die uns die epidemiologischen Beobachtungen und die bakteriologischen Experimente der letzten Jahre gebracht haben, richtig aus, dann muss es doch endlich gelingen, das Thatsächliche und Richtige aus jenen beiden divergirenden Anschauungen herauszufinden und zu einer fundirten, dem epidemiologischen Verhalten der Cholera ebensowohl wie den experimentell festgestellten Eigenschaften der Choleraerreger entsprechenden Auffassung über die Aetiologie der Cholera zu gelangen. 157

Die einstige Laborwissenschaft erweiterte sich, ohne ihre Kernkompetenzen dabei aufzugeben, zu einer umfassenden Epidemiologie, der sie ihre Kompetenzen entzog. Mitunter geschah das noch holprig. Flügge wollte in seiner Auswertung vor allem jahreszeitliche Determinismen herausstellen - gemessen an seinem programmatischen Versprechen lediglich kurze und überdies schwache Ausführungen. Dennoch hatte er den Kurs angegeben, dem auch Koch in den nächsten Jahren folgte, etwa bei seinen Forschungen zur Kolonialmedizin oder zur Typhusbekämpfung in den Südprovinzen des Reichs. Spätestens hier, mit seiner Rede „Die Bekämpfung des Typhus" von 1902 verlieh er der neuen, ausgeweiteten Bakteriologie explizit ein Programm158. Was Fraenkel, Petri oder Flügge als vorgeschobene Sondeure bereits angekündigt hatten, was Koch selbst intern 1894 verlautbart hatte, wurde von ihm nun auch selbst ausdrücklich thematisiert. Er gestand zu, daß es in lokal begrenzten Gebieten wirkende Seuchen gebe, die endemisch seien und dort „ausgerottet" werden müßten. Die neue Laborwissenschaft avancierte, auf Basis bakteriologischer Kompetenz, zur Sozial- und Natural-Epidemiologie. Damit verdrängte sie die Epidemiologen alten Schlages, die der Pettenkofer-Schule, aus

156 Vgl.: Heinicke/Heinicke, Zur Geschichte des Lehrstuhls für Hygiene, S. 63. 157 Vgl.: C. Flügge, Die Verbreitungsweise und Verhütung der Cholera auf Grund der neueren epidemiologischen Erfahrungen und experimentellen Forschungen, in: Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, 14 (1893), S. 122-202, hier: S. 125. Zu Flügge insgesamt - später, 1909, gelangte er schließlich doch auf den Berliner Lehrstuhl Kochs - vgl.: Herwarth Horn/ Wolfgang Thom, Carl Flügge (1847-1923). Integrator der Hygiene, Wiesbaden 1992. 158 Robert Koch, Die Bekämpfung des Typhus. Vortrag, gehalten in der Sitzung des Wissenschaftlichen Senats bei der Kaiser-Wilhelms-Akademie am 28. November 1902, in: Gesammelte Weike, Bd. 2.1, S. 296-305.

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ihrem angestammten Gebiet. Koch schlug sie mit seinen und ihren Mitteln. Das Bakterium trug ein Janusgesicht, war bakteriell und epidemiologisch konzeptualisiert, letzteres in sozialer und naturaler Hinsicht. Damit hatte Koch ein geradezu universelles Modell der Seuchenentstehung und Prävention bereit, das von Fall zu Fall verschiedene Aspekte berücksichtigen konnte und prinzipiell auf Erweiterung angelegt war. Was er 1900 der Kolonialexpansion des Reichs anempfahl: „Allmählich wird man dann immer mehr Plätze besetzen und die Operationsbasis ausdehnen können"159, kann als Strategie seiner eigenen gezielten wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Verortung angesehen werden. Nochmals, das ist zu wiederholen: Koch folgte keiner Initialzündung, hatte kein vorsätzliches Programm einer bakteriologischen Synthese, das er planvoll Schritt für Schritt verwirklichte. Das Programm drängte sich ihm, dem Praktiker und Pragmatiker, eher auf. Einerseits begann sich die Forschungsstrategie der bloßen Jagd auf immer neue und neue Erreger zunehmend zu erschöpfen und schien nur noch begrenzte Erfolge zu zeitigen. Andererseits eröffnete die Bakteriologie selbst diese erweiterte Perspektive. Waren Erreger erst einmal gefunden und standen sie als Erst- bzw. Letztursache unzweifelhaft fest, war es nur folgerichtig, die Wege ihrer sozialen Verbreitung, schließlich sogar die Umstände ihres natürlichen Gedeihens zu ergründen. Die gefundenen Erreger forderten dazu heraus, sie in immer komplexere soziale und naturhafte Kontexte zu stellen. Koch folgte damit einer Handlungslogik, der auch er sich nicht entziehen konnte - der, daß auch Wissenschaft auf Expansion programmiert ist. Dennoch war vor allem er es, der diese Expansion forcierte. Insofern ist es legitim, von Koch als Motor dieser Entwicklung zu sprechen. Er entwickelte die revolutionäre, aber verengte Bakteriologie zur geradezu universellen Epidemiologie. Auf ihren Anfangsruhm als Laborwissenschaft baute er ihre anschließende Karriere, die bakteriologische und epidemiologische Kompetenzen vereinte sowie soziale und naturhafte Determinanten miteinander in Einklang brachte. Sein Kolonialvortrag „Ärztliche Beobachtungen in den Tropen" von 1898 ist ein Meisterstück, das demonstrativ bakteriologisches Detailwissen ausbreite, aber in unabdingbare soziale und naturale epidemiologische Kontexte stellt160. Die im Militärkapitel geschilderte bakteriologische Landnahme in den südlichen Provinzen des deutschen Reichs, die eben die Anfälligkeit dieser geographischen Region berücksichtigen mußte, folgte ab 1901 genau diesem Konzept. Koch operierte mit einem variablen Schema, das zwei weitgehend getrennte Wissensbzw. Wissenschaftsströme des 19. Jahrhunderts vereinte. Das hat der Bakteriologie zu ihrer wissenschaftlichen und sozialen Durchschlagkraft verholfen und sie dermaßen zur Institution werden lassen. Was, wie eingangs des Kapitels angeführt, ein Poet erträumte - daß Doktor Mikroscopicus und Doktor Geologicus gemeinsam die Cholera enträtseln - , war Wirklichkeit geworden. Kochs bakteriologische Synthese beendete einen aufreibenden Streit, führte die Alternativen zusammen und konnte vom dieser universalen Warte aus von Fall zu Fall plausible Antwortvorschläge unterbreiten. Sie gewann so umfassende Überzeugungskraft und hatte so folgenreiche Wirkungen, weil sie soziale und naturale Determinan-

159 Robert Koch, Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition (1900), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 4 3 5 ^ 4 7 , hier: S. 447. 160 Vgl.: Robert Koch, Ärztliche Beobachtungen in den Tropen (1898), in: Gesammelte Werke, Bd. 2.1, S. 326-343.

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ten, die vorher in der Regel nebeneinanderliefen oder einander ausschlossen, plausibel synthetisierte. In diesem Sinne war sie nicht mehr Revolution, sondern ausgleichende und ausbauende Reform. Sie fegte ihr Gegenteil nicht radikal hinweg, sondern vereinnahmte es durch Expansion. Das scheint ein generelles Merkmal von Konzepten und Paradigmen zu sein, die sich über längere Zeit behaupten. Erfolgreiche Wissenschaftskonzepte zeichnen sich dadurch aus, einen Widerpart nicht definitiv niederzuzwingen, sondern zunehmend zu integrieren - auf Kosten der geschlagenen Protagonisten. Alternativkonzepte werden modifiziert einbezogen, anfangs lediglich als Sonderfall, schließlich als weitgehend berechtigt, letztlich als unabdingbar. Ihre ursprünglichen Vertreter werden jedoch verdrängt. Das war der Hintergrund des aberwitzigen Pettenkoferschen Selbstversuchs direkt nach der Hamburger Epidemie. Bekanntlich hatte er die neue Disziplin nie rundheraus abgelehnt: „Ich begrüße die Bakteriologie als ein neues wichtiges Instrument, mit dem man aber vorerst keine epidemiologischen Operationen ausführen kann"161. Das verlautbarte Pettenkofer 1885. Drei Jahre darauf bezweifelte er nochmals die epidemiologische Kompetenz der neuen Disziplin, bot aber generös eine konzeptionelle Synthese unter seiner kompetenten Kuratel an: Die localistische Theorie ist keine Gegnerin der Bactériologie, sondern eine sehr befreundete ältere Macht, welche den Bacteriologen grosse noch unbebaute Theile ihres Gebietes anbietet und sie zur Auswanderung aus dem überfüllten contagionistischen Lager einladet. Es wird allerdings eine schwere Arbeit sein, diese Gebiete auch bacteriologisch urbar zu machen, und wird es nicht genügen, bloss den bacteriologischen Samen mitzubringen, um gleich volle Ernten zu gewinnen. 162

Vier Jahre später, anläßlich der Hamburger Tragödie, machte Koch dieses Anerbieten zunichte. Pettenkofer hatte es nicht nur mit einer konkurrierenden Alternative zu tun, die er sich unterordnen könnte, sondern mit einer expandierenden, die sich die epidemiologische Kompetenz einverleibte und ihn als Epidemiologen vom Wissenschaftsterrain verdrängte. Koch verwirklichte Pettenkofers intendierte Synthese unter seiner Federführung. Pettenkofers oben schon zitierte Diagnose von 1885, der bakteriologische Virtuose Koch sei nun mit einem Schlage auch Hygieniker und Epidemiologe geworden, hatte sich endgültig bewahrheitet. Nunmehr agierte er als Sozial- und Natur-Epidemiologe. Deswegen Pettenkofers verzweifelter Selbstversuch mit einer Choleralösung, der nichts bestätigte und nichts widerlegte. Er versuchte, die zur Epidemiologie ausgeweitete Bakteriologie an einer Stelle zu treffen, wo sie längst nicht mehr verwundbar war. Pettenkofer trug ein Scheingefecht aus. Nur daß er es am eigenen Leib vollzog. Der heroischdramatische Gestus mag vielleicht für den Moment über die Vergeblichkeit hinweggetäuscht haben. Was war aber tatsächlich bewiesen? Lediglich, daß Choleraerreger nicht

161

Max v. Pettenkofer an Carl Flügge, 4. Februar 1885, in: Ellen Jahn, Die Cholera in Medizin und Pharmazie im Zeitalter des Hygienikers Max von Pettenkofer, Stuttgart 1994, S. 71. 162 Max v. Pettenkofer, Der epidemiologische Teil des Berichtes über die Thätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Aegypten und Indien entsandten deutschen Commission, München und Leipzig 1888, S. 148.

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spezifisch, also notwendig und hinreichend, die Seuche hervorrufen. Denn abgesehen von schweren Durchfällen, erkrankte Pettenkofer an der Cholera nicht. Das bakterielle Anfangskonzept - da wo Erreger, da zwingend die Krankheit - war von ihm demnach widerlegt. Er kämpfte aber, Anfang der neunziger Jahre, als überlebter Don Quijote mittlerweile gegen Windmühlenflügel. Das vereinfachte Anfangskonzept der Bakteriologie vertrat in dieser Radikalität niemand mehr, auch Koch nicht. Es hatte sich durchgesetzt, war weitgehend akzeptiert. Ausnahmen konnten deshalb generös zugelassen werden, wurden schließlich sogar ausdrücklich anerkannt. Koch räumte ihnen einen immer größeren Rang ein. Er war ja gerade auf dem Weg, die Bakteriologie konzeptionell zu erweitern und auszubauen. Dagegen kämpfte Pettenkofer und hoffte, diese Erweiterung mit dem Treffer gegen die längst überholte Vorstufe gleich mit auszustechen. Außer erneute Publizität und verwunderte Anerkennung für seinen Wagemut erntete er jedoch nichts. Wie sollte er auch? Er focht gegen eine Chimäre, eine Bakteriologie, die es so gar nicht mehr gab. Konzeptionell war sie in Bewegung, hatte ihr ursprüngliches vereinfachendes Kausal- und Krankheitskonzept bereits aufgegeben, war unterwegs aus dem Labor heraus in das epidemiologische Feld. Schon 1890, in seiner berühmten Rede „Über bakteriologische Forschung", hatte Koch die einst von ihm aufgestellten Postulate für nicht mehr völlig bindend erklärt163. Dennoch, eine Wende des Fachs hat er Anfang der neunziger Jahre nicht verkündet. Er praktizierte sie einfach. Es reicht, sich Flügges Kommentar von 1893 oder Kochs Hintergrundäußerung von 1894 anzunehmen, um zu sehen, wohin der Weg gehen sollte. Er ging zu Kolonialmedizin und zu einer Art der Typhusbekämpfung, die die alte herkömmliche Epidemiologie bakteriologisch und epidemiologisch (sozial-epidemiologisch und natural-epidemiologisch) verdrängte. Das veränderte das Wesen der bisherigen Laborwissenschaft. Deshalb wurde Koch beispielsweise von seinem einstigen Schüler Behring angegriffen. 1893, nach Kochs erneuter epidemiologischer Ausweitung der Anfangsbakteriologie im Ergebnis der verheerenden Hamburger Choleraepidemie, plädierte Behring demonstrativ dafür, die Bakteriologie als Laborwissenschaft zu stärken. Es sei nach wie vor erforderlich, Krankheitserreger unter Laborbedingungen zu isolieren, statt epidemiologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen164. Behrings Weg war ein möglicher Weg, hin zu Serologie und Immunologie. Koch hingegen entfernte sich immer mehr von dieser Art Spezialisierung. Er lehnte 1897 zum Beispiel eine Mitarbeit am Frankfurter Staatlichen Institut für Serumforschung und Serumprüfung ab, weil er sich durch die Konzentration auf „praktische Aufgaben" einen größeren „wissenschaftlichen Gewinn" erhoffte 165 . Rund zehn Jahre später, 1909, hatte sich für ihn der Charakter der ursprünglichen Laborwissenschaft sogar soweit verändert, daß Koch, kurz vor Lebensende, den bisherigen Namen Bakteriologie für zu kurzgreifend und unzureichend

163 Robert Koch, Über bakteriologische Forschung (1890), in: Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 650-660, hier: S. 655. 164 Vgl.: Emil von Behring, Einleitende Bemerkungen über die ätiologische Therapie von anstekkenden Krankheiten, in: ders., Gesammelte Abhandlungen zur ätiologischen Therapie von ansteckenden Krankheiten, Leipzig 1893, S. VII-LXXI, hier: S. XXIV. 165 Robert Koch an Carl Weigert, 28. Februar 1897, abgedruckt in: Bäumler, Paul Ehrlich, S. 129.

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erachtete166. Sein letzter Vortrag trug, wie erwähnt, den Terminus „Epidemiologie" schon im Titel. Inwieweit Koch damit Tendenzen vorwegnahm, die den weiteren Weg der Bakteriologie bis 1945 prägten - hin zu einer geomedizinischen Epidemiologie167 - bleibt genauer zu klären. Die Geschichte der Sozialhygiene, Bakteriologie bzw. Epidemiologie nach 1920, d.h. die rassenbiologisch fundierte Verquickung Pettenkoferscher und Kochscher Konzepte mit geomorphologisch-geomedizinischen Modellen (Ernst Rodenwaldt, Heinz Zeiss, Helmut J. Jusatz u.a.) ist nach wie vor zu wenig bearbeitet, um präzise Aussagen darüber zu treffen. Arbeiten aus dem Umfeld geomedizinischer Schulen zeichnen sich jedenfalls nicht dadurch aus, diese Zusammenhänge aufzuarbeiten, sondern arbeiten dem Gegenteil zu168. Unumstritten dürfte jedoch sein: Koch entwickelte sich, seine Mitstreiter und Konkurrenten entwickelten sich, die Bakteriologie entwickelte sich. Es gibt eine - bisher ungeschriebene - Geschichte der Bakteriologie, die sich nicht auf die Aufzählung bloßer Entdekkungen reduzieren läßt. Es ist nicht zuletzt die Geschichte von Rochaden innerhalb akademisch-öffentlicher Felder. Diese konzeptionellen Bewegungen sind als direkter und unabdingbarer Bestandteil von Theorieentwicklung anzusehen. Sie sind nicht nur ihr Vorfeld oder ihr äußerlicher Rahmen, sondern integrales Element einer wissenschaftlichen Erkenntnissuche, die ihre Triebkraft daraus bezieht, daß Akteure ihre Ansprüche auf das durchsetzen, was sie unter gegebenen Umständen als „wahr" verstehen. Das schließt einen ganzen Komplex theoretischer, weltanschaulicher und institutioneller Ambitionen ein169. Noch heute umfaßt die gängige Vorstellung von Geschichte der Bakteriologie jedoch eine bloße Aufeinanderfolge von Entdeckungen und Erkenntnissen. Sie stehen für bestimmte Etappen einer Fortschrittslinie, auf der präexistente Wahrheiten zunehmend entschleiert und ans Licht gebracht werden. Diese teleologische Auffassung von Theorieentwicklung ist in den wissenschaftstheoretischen Debatten der letzten Jahrzehnte zwar im allgemeinen erschüttert worden. Aber wenn es um die tatsächliche Geschichtsschreibung eines Faches geht, stellt sie sich immer wieder wie selbstverständlich ein. Deshalb sei nochmals betont: Die Geschichte der Bakteriologie bzw. Mikrobiologie ist auch die Geschichte von Bewegungen, Vorstößen und Rückzügen, also von Konkurrenzen innerhalb akademischer und öffentlicher Felder. Wie Pierre Bourdieu hervorhob, vollzieht sich Wissenschaft überhaupt stets in Konkurrenzsituationen. Diese Konkurrenzen erwachsen weniger einem Komplex

166 Vgl.: Koch, Antrittsrede an der Königlichen Akademie der Wissenschaften, S. 1. 167 Vgl.: Ludger Weß, Tropenmedizin und Kolonialpolitik: Das Hamburger Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten 1918-1945, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 7 (1992), H. 4, S. 38-61; Stefan Wulf, Das Hamburger Tropeninstitut 1919 bis 1945. Auswärtige Kulturpolitik und Kolonialrevisionismus nach Versailles, Berlin, Hamburg 1994, S. 129ff.; Eckart, Medizin und Kolonialimperialismus, S. 505ff.; Leven, Die Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 128ff.; Friedrich Hansen, Vom Kolonialismus zur Geomedizin. Geschichte der Deutschen Tropenmedizinischen Gesellschaft (ca. 1997), in: www.dgt.mwn.de/ history.htm.; Mendelsohn, Von der „Ausrottung" zum Gleichgewicht: Wie Epidemien nach dem ersten Weltkrieg komplex wurden. 168 Vgl.: Krankheit und Raum. Dem Pionier der Geomedizin Helmut Jusatz zum Gedenken, hrsg. v. Werner Fricke u.a., Stuttgart 1995. 169 Vgl.: Olaf Briese, Konkurrenzen. Zur philosophischen Kultur in Deutschland 1830-1850. Porträts und Profile, Würzburg 1998.

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divergierender theoretischer Ansichten, sondern jeweiligen Interferenzbeziehungen, die sich im Kampf um individuelle und kollektive Einflußsphären ergeben170. Nicht von präexistenten Wahrheiten und Weltanschauungen werden die Akteure getrieben, sondern sie setzen und etablieren diese Wahrheiten und Weltanschauungen in Konkurrenzsituationen selbst. All das gehört zu einer Historie der Bakteriologie, die mehr ist als die ihrer Entdeckungen. Sie ist, wie erwähnt, nach wie vor nicht geschrieben. Es wäre beispielsweise die Geschichte ihrer Institutionalisierung, Medialisierung und Popularisierung, die selbst Theoriegeschichte der Bakteriologie ist. Es wäre unter anderem auch die Geschichte davon, wie durch sie das Schisma Kontagionisten versus Miasmatiker bzw. soziales versus naturhaftes Seuchenkonzept beendet wurde. Die erweiterte Bakteriologie war in geradezu klassischer Weise unitarisch. Zwei Flügel, eine feststehende Mitte. Auch das ist der Grund, warum Koch, im Zentrum des Altarbilds, geradezu die Züge eines wissenschaftlichen Religionsstifters zugeschrieben bekam.

c) Der Koch-Kultus So weit zu sehen ist, war Koch keine außergewöhnlich charismatische Persönlichkeit. Er war ein Gelehrter, der ganz auf seine Arbeit fixiert war. Beharrlich verfolgte er seine Ziele, war allerdings keinesfalls so egomanisch, die Verdienste von Kollegen oder Schülern nicht anzuerkennen. Im Gegenteil, er förderte seine Schüler und wies, auch nach heutigem Erkenntnisstand, Tugenden auf, die als angenehm gelten. In der Regel arbeitete er präzise, hielt sich bei gewagten Spekulationen mit nur wenigen Ausnahmen bemerkenswert zurück, war, obwohl er um seine Qualitäten als Wissenschaftler und Wissenschaftsmanager wußte, auf seine Art bescheiden. Allenfalls zu Lebensende häuften sich Klagen über Neid, Mißgunst, über unverdiente Erfolge von Kollegen oder über eigene Erfolglosigkeit 171 . Aber insgesamt muß Koch, auch wenn er seine Karriere und die der Bakteriologie zielbewußt beförderte und auch Konflikte nicht scheute, das gewesen sein, was man einen passablen Zeitgenossen nennt. Ihn zeichnete eine Art Nüchternheit aus, die ihn nur selten verließ. Seine veröffentlichten Ausarbeitungen waren in der Regel gewollt sachbezogen, nur ausnahmsweise wird man kühne Bilder oder Visionen finden. Auch politisch hob ihn nichts aus der Mehrzahl der deutschen Gelehrten heraus. Er verkörperte, wie im Militärkapitel bereits erwähnt, in geradezu klassischer Weise ihren ideologischen Standpunkt unter den Bedingungen des Kaiserreichs: nationalpädagogischer Anspruch auf universale Wahrheit im sittlichen Medium der Vernunft; organisatorische politische Unabhängigkeit und Distanz zu Parteien, Verbänden und offiziösen Presseorganen; Geistesnähe zum Staatsbeamtentum aufgrund einer idealistisch figurierten Macht-Kultur-Synthese. Mit dieser Einstellung war Koch ein statusbewußter Akademiker und loyaler Untertan. Als Person war er durchaus

170 Vgl.: Pierre Bourdieu, Homo academicus (1984), Frankfurt/M 1988; ders., Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes (1997), Konstanz 1998. 171 Vgl. die Belege in: Möllers, Robert Koch. Persönlichkeit und Lebenswerk, S. 282, 289.

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nicht außergewöhnlich, nicht charismatisch. Allenfalls kam ihm das zu, was Max Weber als Amtscharisma bezeichnet hat172. Dennoch avancierte Koch zur Wissenschaftsikone, ein Kultus, den er, ohne übertriebenen Eitelkeiten verfallen zu sein, zu nähren verstand. Ende des 19. Jahrhunderts kursierten glorifizierende Devotionalien in der Öffentlichkeit, Taschentücher, Sammeltassen, Bierkrüge, Porzellanpfeifen mit seinem Porträt. Der Bakterien- und Seuchenbezwinger war der gleichsam mythische Held, der wider alle Verkennung und allen Widerstand seiner Mission treu geblieben und unbeirrt seinen Weg gegangen war. Mit starkem Willen und mit Todesverachtung hatte er die Mächte der Finsternis niedergerungen. Nunmehr war das bedrohliche Bakterienimperium besiegt. Der Überschwang wurde durch den Tuberkulinskandal Anfang der neunziger Jahre zwar gedämpft. Aber das war nur eine kurzzeitige Rezession. In der Öffentlichkeit wie im Wissenschaftsbetrieb blieb das Ansehen Kochs über die Jahrhunderwende hinweg ungebrochen. Waren es nur seine bakteriellen Erfolge, die Kochs raketenhafte Karriere vom Kreisphysikus zur Wissenschaftsikone so entscheidend beförderten? Mit Blick auf Kochs, und nicht nur Kochs, wissenschaftspolitische Karriere ist Vorsicht und kritisches wissenschaftliches Mißtrauen angebracht. Auch Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte befinden sich in der prekären Lage, oftmals Endverbraucher in einer Mythenkette zu sein. Herkunftsnachweise werden gleichgültig vernachlässigt. Dabei wären sie nur zu oft einzufordern. Wie entstehen Urteile, Koch sei mit einem Schlage „zum größten, erfolgreichsten und verdienstvollsten aller Forscher für alle Zeiten" avanciert? Wie entstand der Topos von Koch als medizinischer „Praeceptor Mundi"173? Allein mit seiner Biographie kam Koch allen hagiographischen Verklärungen entgegen. Er war ein exemplarischer Aufsteiger. Aus kleinen Verhältnissen hatte er sich soweit emporgearbeitet, daß er schließlich als unumstößliche wissenschaftliche Autorität galt. Vom verkannten Prinzen zum wissenschaftlichen Imperator - das war eine klassische Märchenbuchkarriere. Sie deckt einen kulturellen Erwartungsbedarf. In der deutschen Gesellschaft um 1900, im Kaiserreich, hatte eine solche Legende noch dazu eine genau bestimmbare soziale Funktion. Als eines von elf Kindern eines leitenden Bergbauingenieurs hatte Koch es vom Bürgersohn bis zum Nobelpreis für Medizin und zum Titel „Wirklicher Geheimer Rath" mit dem Prädikat „Excellenz" gebracht. Er war das Paradebeispiel eines prinzipiell möglichen sozialen Aufstiegs. Koch stand sinnfällig für den Ausgleich von Sozialgegensätzen, für den Pakt von Adel und Bürgertum unter dem Vorzeichen des entstehenden Imperialismus. Der Klassenkompromiß des Kaiserreichs, die unter Adelsägide vermittelte Interessenbalance von Adel und Bürgertum, fand in Koch eine Personifikation. Allein von daher überglänzte der frühe Ruhm des Cholerabezwingers alle seine späteren Reputationskrisen.

172 Vgl.: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1921), Tübingen 1972, S. 675ff„ 692ff. 173 Friedrich Löffler, Zum 25jährigen Gedenktage der Entdeckung des Tuberkelbazillus, in: Deutsche medizinische Wochenschrift, 33 (1907), S. 4 4 9 ^ 5 1 , 4 8 9 ^ 9 5 , hier: S. 449; W. Kolle, Robert Koch. Gedenkworte zur 50. Wiederkehr des Tages, an dem Robert Koch die Entdeckung des Tuberkulinbazillus bekannt gab, in: Die medizinische Welt, 6 (1932), S. 328-332, hier: S. 329.

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Als nächstes ist der Koch-Kultus durch Mechanismen der Heros-Produktion unter autoritären Bedingungen des deutschen Kaiserreichs erklärbar. Er besaß eine sozial-stabilisierende Funktion. Der Gründungsmythos des Kaiserreichs umschloß die Trias Politik, Militär und Wissenschaft. Für sie steht Kochs Porträt, das sich Anfang der neunziger Jahre im Einklang mit dem Kaisers Wilhelm I., Bismarcks und Moltkes auf bedruckten Taschentüchern befand174. Diese Trias diente der Konstruktion kollektiver Identität und vereinte die zentralen Bereiche, die dem imperialen Machtausbau dienten. Der erfolgreiche Wissenschaftler Koch avancierte zum Heros, gleiches galt für Pasteur in Frankreich175. Der Kult um ihn leistete, was Heroenkult zu allen Zeiten zu leisten hat. Ideologisch dient er einer Legitimation und Sozialintegration, geschichtlich einer Neuordnung von Raum und Zeit, lebensweltlich einer Komplexitätsreduktion, mental einer Sinnstiftung. Heroenkulte sind aber nicht oktroyiert. Sie sind nicht nur Ergebnis von Demagogie. Unter den Bedingungen des Kaiserreichs gab es einen gesamtgesellschaftlichen Heroenbedarf. Angesichts einer verunsichernden Moderne vermochten es Helden, vom wachsenden Orientierungs- und Verantwortungsdruck zu entlasten. Heldenkult ist nicht nur ein demagogischideologisches Konstrukt einer Herrschaftskaste, sondern Ausdruck einer Sozialregression, die Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit sucht. Er ist immer auch Ergebnis selbstgewollten Autonomieverzichts: Souveränitätsabtretung, repressionsfreie Submission, vorauseilende Unterwerfung. „Dankopfer", so ein Koch-Hymnus eines damals nicht unbedeutenden Literaten176. Es gibt unter den Konditionen der Moderne eine Hingabeverlockung, die nicht mehr von christlichen Gütern gedeckt wird, sondern neuer Helden bedarf. Sie legitimieren einen selbstgewählten Verantwortungs- und Risikoverzicht. Das ist der grandiose Vorzug inthronisierter Heroen. Sie haben die individuellen und gemeinschaftlichen Lasten zu tragen, die an sie delegiert und auf sie projiziert sind. Sie sind positive Sündenböcke. Der Kult um sie ermöglicht - wie oben schon am Beispiel von panegyrischem Herrscherlob herausgestellt wurde - einen individuellen Selbstgewinn durch Entselbstung. Warum aber war Wissenschaft überhaupt derart zu Politik und Militär aufgerückt, um mit ihnen gemeinsam einen bevorzugten Platz im Mythengefüge des Kaiserreichs einzunehmen?

174 Vgl.: Heymann, Robert Koch. I. Teil, S. 328. Zu den politischen Mythen des Kaiserreichs insgesamt: Wulf Wülfing, Historische Mythologie der Deutschen 1798-1918, München 1991; Rudolf Speth, Nation und Revolution. Politische Mythen im 19. Jahrhundert Opladen 2000, vgl. auch: Ute Frevert, Herren und Helden. Vom Aufstieg und Niedergang des Heroismus im 19. und 20. Jahrhundert, in: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500-2000, hrsg. v. Richard Dülmen, Wien, Köln, Weimar 1998, S. 323-344. 175 Vgl.: Lorraine Ward, The Cult of Relics: Pasteur Material at the Science Museum, in: Medical History, 38 (1994), S. 52-72; Christiane Sinding, Claude Bernard and Louis Pasteur: Contrasting Images through Public Commemorations, in: Osiris, 14 (1999), S. 61-85; George E. Haddad, Medicine and the Culture of Commemoration. Representing Robert Koch's Discovery of the Tubercle Bacillus, in: ebenda, S. 118-137. Zur Pasteur-Mythe generell: Gerald L. Geison, The private science of Louis Pasteur, Princeton 1995, S. 260ff. 176 Vgl.: Richard Dehmel, Ein Dankopfer, in: Freie Bühne für modernes Leben, 1 (1890), S. 1132f.

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Rein pragmatisch gesehen, diente Wissenschaft im Kaiserreich den Erfordernissen des sich formierenden militärisch-industriellen Verbunds sowie kolonialer Expansion. Sie förderte eine militärische und industrielle Mobilisierung. Nach Worten Kaisers Wilhelm II. von 1911 war sie eine „geistige Elitetruppe". Kochs Cholera-Triumph von 1884 bestätigt das in nuce. Denn dieses Jahr markiert den Beginn der gezielten Kolonialaktivitäten Deutschlands. Innerhalb nur eines Jahrs wurden vier „Schutzgebiete" in Afrika sowie Gebiete in der Südsee erworben. Koch, kein Privatgelehrter, sondern Abteilungsleiter im Kaiserlichen Gesundheitsamt und in offizieller Mission tätig, war gewissermaßen eine Speerspitze. Der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Landnahme ging seine medizinische in Afrika und Asien 1883/84 voraus. Entsprechend wurde er bei Rückkehr von dieser Mission via Presse im „waffenstolzen Neudeutschland" willkommen geheißen177. Kochs spätere kolonialmedizinische Arbeiten, die heute unter dem euphemistischen Signet „Tropenhygiene" firmieren, haben diesen Pakt gezielt befestigt. Daneben, das dürfte ebenfalls unumstritten sein, diente Wissenschaft dazu, Nationalprestige zu erlangen. Nochmals mit Worten des Kaisers von 1911: sie sei einer der „Hauptträger deutscher Weltgeltung"178. Kochs Wettlauf mit der französischen Kommission bei der Lösung des Cholerarätsels belegt diesen Prestigekampf auf exemplarische Weise. In der weiter oben angeführten Reichstagseloge auf Kochs Cholera-Triumph war es Virchow gelungen, das Signalwort deutsch nicht weniger als fünfmal in allein einem einzigen Satz unterzubringen. Aber warum ließ sich aus Wissenschaft, speziell Naturwissenschaft Prestige schlagen? Was war im Feld kultureller Prioritäten geschehen? Sie brachte nicht nur profanen Nutzen. Sie war in den Rang eines quasi-religiösen Artikels aufgerückt. Im Ensemble nationaler, politischer und Technikreligionen gehörte sie zu den neuen sinnstiftenden Instanzen einer zunehmend säkularen Gesellschaft. Die Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 und die Karriere Kochs in den siebziger Jahren fielen augenfällig zusammen. Aber auch ohne diese äußerliche Konstellation hatte Wissenschaft, d.h. Naturwissenschaft, auf der kulturellen Werteskala einen dominierenden Platz errungen, ob in Deutschland oder anderen europäischen Ländern. Die Anfänge dieses Trends reichen bis in die Aufklärung zurück. Bezeichnenderweise geschah es in Frankreich, dem Land der entschiedensten und folgenreichsten Religionskritik, daß Wissenschaftler sich schon Ende des 18. Jahrhunderts einen religiösen Status zuwiesen. Michel Serres hat mit kultursoziologischer Perspektive gezeigt, wie Wissenschaftler, yVaiwrwissenschaftler nach 1800 im neuen Bonapartistischen Frankreich die Rolle eines neuen Klerus annahmen. Der Positivismus Auguste Comtes gab dieser Inthronisation später die theoretische Rechtfertigung, und er verfolgte den Vorsatz, diesen Prozeß noch entschiedener voranzutreiben179.

177

[Anonym], Willkommen, Ihr Sieger!, in: Berliner Tageblatt. Morgen-Ausgabe, Nr. 207, 3. Mai 1884, [S. 1], 178 Unveröffentlichte Akademierede Kaisers Wilhelm II. (1911), zit. nach: Pierangelo Schiera, Laboratorium der bürgerlichen Welt. Deutsche Wissenschaft im 19. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1992, S. 254. 179 Vgl.: Michel Serres, Paris 1800, in: Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, hrsg. v. Michel Serres (1989), Frankfurt/M. 1998, S. 597-643.

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1852 war Comtes ,Catéchisme positiviste" erschienen. Acht Jahre später bekräftigte Virchow in seiner Eröffnungsrede der 35. Versammlung Deutscher Naturwissenschaftler und Ärzte, die Wissenschaft habe nur ein einziges Ziel, nämlich das, „dem Humanismus zu dienen und in die Rolle einzutreten, welche in frühem Zeiten den transzendenten Strebungen der verschiedenen Kirchen zugefallen war". Fünf Jahre darauf, 1865, bezeugte er der Versammlung, wie sehr die Wissenschaft ihm „Religion" geworden sei180. Damit war Virchow kein Einzelfall. Die religiöse Apotheose von Medizin und Naturwissenschaft war an der Tagesordnung. Wie beispielsweise eine Analyse der Sprache der Zusammenkünfte dieser 1822 gegründeten und für die Geschichte der Naturwissenschaft im deutschen Raum bedeutendsten Vereinigung ergeben hat, zeigt sie eine stark suggestive religiöse Terminologie. Naturwissenschaftler und Mediziner sind Himmelsboten höchster Offenbarung, entschleiern die Geheimnisse der Isis, bauen am heiligen Tempel der Natur, sind erleuchtete Pilger in ihr heiliges Land, schaffen den Tempel der Heilkunde, siegen im Zeichen wissenschaftlichen Heils usw. usw.181 Verallgemeinert gesagt: Wissenschaft hegte die Erlösungsphantasien, die bisher der christliche Diskurs ausprägte und die inzwischen teilweise an die Politik übergegangen waren. Neben den politischen Religionen des 19. Jahrhunderts gab es u.a. auch Wissenschaftsreligionen. Wissenschaft wurde ein religiöser Artikel. Die Wurzeln für diesen Sakralaufschwung finden sich nicht nur in der Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts. Sie liegen in der Genese der modernen Naturwissenschaft selbst begründet. Ab ovo diente sie dem Ziel, mit der Erkenntnis der Natur die Weisheit der göttlichen Schöpfung nachzuweisen. Ihre Ordnung und Harmonie aufzuzeigen, war ihr höchstes Anliegen. Nicht über das Buch der Offenbarung, sondern über das offenbarte Buch der Natur wurde die Größe Gottes definiert. Jan Swammerdamm (1637-1680), einer der ersten, der das Mikroskop systematisch nutzte und zu den Gründungsvätern der Mikrobiologie zählt, hatte in diesem Sinn ausdrücklich vor, die Vorsehung Gottes in der Anatomie einer Laus nachzuweisen. Der bezeichnende Titel seines Werks: „Bibel der Natur"182. Wissenschaft war Gottesdienst. Sie arbeitete an mehr als bloßem Erkenntnisgewinn. Sie war getragen von dem Glauben an einen geschichtlichen Auftrag, davon, den Menschen das Licht der göttlichen Schöpfung und Selbsterkenntnis zu bringen. Sie begann ihren Siegeszug mit der Verheißung, die wahre Ordnung der Dinge in Natur und Gesellschaft aufzuweisen und trug von Anfang an auch Züge einer Heilslehre. Das Monopol, diese Ordnung zu beglaubigen,

180 Rudolf Virchow, Eröffnung der 35. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte (1860); ders., Ueber die nationale Entwickelung und Bedeutung der Naturwissenschaften. Rede gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Hannover (1865), zit. nach: Wege der Naturforschung 1822-1872 im Spiegel der Versammlungen Deutscher Naturforscher und Ärzte, hrsg. v. Hans Querner/Heinrich Schipperges, Heidelberg, New York 1972, S. 21-f. 181

Vgl.: Wege der Naturforschung, S. 16ff.; vgl. auch: Heinrich Schipperges, Utopien der Medizin. Geschichte und Kritik der ärztlichen Ideologie des neunzehnten Jahrhunderts, Salzburg 1968. 182 Vgl.: Johann Swammerdamm, der Arzneykunst Doctor von Amsterdam, Bibel der Natur, worinnen die Insekten in gewisse Classen vertheilt [...] und zum Beweis der Allmacht und Weisheit des Schöpfers angewendet werden [1679]. Nebst Hermann Boerhave Vorrede von dem Leben des Verfassers, Leipzig 1752, S. 30f., 37f.

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Das Janusgesicht des Bakteriums

wurde der Theologie entzogen. Wissenschaft, religiös sanktioniert, eignete es sich an: Usurpation der Omnipotenz Gottes durch die sich entfaltende Naturwissenschaft183. Die weitere Entwicklung dieses Projekts ist bekannt. Einst hatte nur ein Indikatorenwechsel stattgefunden - vom Buch der Offenbarung zum offenbarten Buch der Natur. Nun vollzog sich ein folgenreicher Herrenwechsel. Aut Deus, aut Natura: Gott oder die Natur. Natur an sich war heilig. Die Instanz, der neuen machtvollen Transzendentalie zu huldigen, blieb jedoch dieselbe. Sie trug den Namen Naturwissenschaft, Medizin Inbegriffen. Der 10. Internationale Medizinische Kongress 1890 in Berlin, auf dem Koch vor über 5.500 Medizinern seine Thesen „Über bakteriologische Forschung" vortrug und nebenher sein neues Geheimmittel Tuberkulin ebenso enthüllend wie verhüllend ankündigte, war dementsprechend denkwürdig inszeniert. Die Plenarsitzungen fanden im Zirkus Renz statt, der, dem Protokoll zufolge, angemessen ausstaffiert worden war: „Dieser [...] war zu einem Tempel, ähnlich dem des Zeus zu Olympia oder dem Parthenon zu Athen [...] umgeschaffen, nur mit dem Unterschiede, daß eine Kolossalstatue des Aeskulap in ihm errichtet war." Hinter diesem Monument fand sich in Verweis auf den repräsentativen autokratischen römischen Soldatenkaiser eine zeichnerisch-perspektivische Rekonstruktion der Thermen des Caracalla - unzweideutig eine zeitbezogene Geist-Macht-Evokation. Zu Füßen der Statue, über eine geschmückte Treppe zu ersteigen, eine überdachte Kanzel: „An der vorderen Fläche des Thrones war ein vortretender Ausbau geschaffen, in dem der Redner, gleichsam ein Priester des Aeskulap, am Fußgestell des Gottes stand und dessen Wahrheiten verkündete"184. Möglicherweise verehren sich im Bildnis von Göttern seit jeher die Gläubigen, möglicherweise sind sie immer idealisierte und entrückte Abbilder ihrer selbst. Aber unzweifelhaft dürfte feststehen: Um 1900 huldigte in diesem Gott der Heilkunst, in dieser Trias von Wissenschaft, Religion und Macht die Heilkunst sich selbst. Seine Macht war Schibboleth ihrer Macht. Ihr Gottesdienst war Se/èsridolatrie. „Die Wunder des Steins der Weisen sind längst verblaßt und überholt durch die aufstrebende Kraft des Kulturmenschen. Die moderne Naturwissenschaft hat alle geahnten und gehofften Wunder überflügelt. Diese moderne Fee hat die Träume der vergangenen Zeiten verwirklicht", wie es in einem Resümee hieß, das am Jahrhundertende die medizinischen Errungenschaften der letzten drei Dezennien umriß. Gerade die Bakteriologie sei dazu berufen, hieß es darin weiter, das Banner der medizinischen Forschung ins neue, zwanzigste Jahrhundert voranzutragen185. Der einsame, besessene, geradezu fanatisch seiner Sache verschriebene Laborforscher glich einem asketischen Heiligen. Hatte der neuzeitliche Hieronymus, wenn er sein Gehäuse verließ, nicht wunderbare Offenbarungen zur Hand? Glorifizierung, Sakralisierung, Mythisierung. Koch als

183 Vgl.: Stefan Breuer, Technik und Wissenschaft als Hierophanie (1990), in: ders., Die Gesellschaft des Verschwindens. Von der Selbstzerstörung der technischen Zivilisation, Hamburg 1992, S. 153-172, hier: S. 163; vgl. auch: Friedrich H. Tenbruck, Die Glaubensgeschichte der Moderne (1976), in: ders., Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft. Der Fall der Moderne, Opladen 1990, S. 126-142, hier: S. 130ff. 184 Verhandlungen des X. Internationalen Medicinischen Congresses. Berlin, 4.-9. August 1890, hrsg. von dem Rédactions-Comité, Berlin 1891, Bd. 1, S. 227f. 185 Dr. med. Georg Korn, Die Heilkunde im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1899, S. lf., 143 [Am Ende des Jahrhunderts. Rückschau auf 100 Jahre geistiger Entwicklung. Bd. XI].

Epilog: Keine einfache Wissenschaft

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Heiland: Epiphanie. Wissenschaft als Heilsbringerin: Hierophanie. Science at it's best. Die alte Glaubensgeschichte ist zu Ende. Die Glaubensgeschichte der Moderne hat begonnen.

5.3. Epilog: Keine einfache Wissenschaft Um die Ergebnisse der Arbeit denkbar knapp zusammenzufassen: Kochs Bakteriologie erwies sich als so erfolgreich, weil sie zwei Wissens- bzw. Wissenschaftsströme des 19. Jahrhunderts zusammenführte - naturale und soziale. Den naturhaften Charakter von Epidemien (übergreifend stand dafür das von alten Hochkulturen und Antike überlieferte Modell der Miasmen) und die soziale Determinante von Epidemien (übergreifend stand dafür das seit der Renaissance allmählich aufgekommene, moderne Modell der Kontagion) führte er in seiner Theorie der Bakterien zusammen. Ausgehend von der ersten europäischen Cholerawelle 1831/32 wurde, mit Blick auf die entsprechende Vorgeschichte, das Nebeneinander und vereinzelt sogar teilweise interdependente Miteinander beider Ströme im Verlauf des 19. Jahrhunderts untersucht: erstens der Streit der miasmatischen und kontagionistischen Mediziner untereinander, zweitens der zwischen politischen Liberalen bzw. Konservativen in Wissenschaft wie in Politik, drittens das Ringen um institutionelle Hegemonie in der Seuchenfrage, bei dem Politik und Militär mit ihrem sozialzentrierten Wissenstyp immer mehr an Macht gewannen. Der letzte Teil der Arbeit zeigte, wie in der Kochschen Lösung der Frage nach der Übertragung von Epidemien diese zwei Ströme zusammentrafen. Das bakterielle Modell führte sie zusammen in einer beweglichen Synthese, die von Fall zu Fall in Theorie bzw. Praxis einer jeden dieser Alternativen stärker Raum geben konnte. Das Bakterium - ein janusköpfiges, amphibolisches Zwitterwesen, in dem zwei Seiten, soziale wie naturale, sich überschnitten. Und es hatte weitaus mehr Facetten. Es hatte viele Gesichter. Nach einer Karikatur von 1890 kämpfte Koch als Heiliger Georg gegen eine Bakterienhydra186. Eine Münze anläßlich der überstandenen Hamburger Choleraepidemie von 1892 zeigt zwei Helden, Wissenschaft und Militär, im Kampf mit einer vielköpfigen Hydra187. 1903 mündete die in Deutschland ungewöhnlich erfolgreiche Wanderausstellung „Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung" am Ausgang auf eine überdimensionale Marmorstatue: Herkules im Kampf mit der lernäischen Schlange, der vielköpfigen Hydra188. Im selben Jahr stellte der Wissenschaftspublizist Wilhelm Bölsche diesen altbekannten Kampf

186 Vgl. die Abb. in: Leven, Die Geschichte der Infektionskrankheiten, S. 122. 187 Vgl. die Abb. in: Michael Dorrmann, „Das asiatische Ungeheuer". Die Cholera im 19. Jahrhundert, in: Das große Sterben. Seuchen machen Geschichte. Katalog der Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, hrsg. v. Hans Wilderotter/Michael Dorrmann, Berlin 1995, S. 204-251, hier: S. 245. 188 Vgl.: Robert Wuttke, Die Deutschen Städte. Geschildert nach den Ergebnissen der ersten deutschen Städte-Ausstellung zu Dresden 1903, Bd. II: Abbildungen, hier: Abb. 543.

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Das Janusgesicht des Bakteriums

des Herkules mit der Hydra gleichfalls in einen aktuellen Kontext: „Es ist der Mensch, - die Menschheit, die gegen den Bazillus kämpft" 189 . Der Seuchenbezwinger Koch - eine ganze Stadt - das deutsche Volk an sich - die gesamte Menschheit: eine atemberaubende Kaskade, eine dramatische Zuspitzung des Kampfes gegen eine Hydra. Das waren damals übliche populäre Versinnbildlichungen. Sie entstanden jedoch nicht erst im Anschluß an Wissenschaft, sondern im Modus von Theorie selbst. Von der vielköpfigen Hydra, furchtbaren Hydra, vom polypenartigen Ungeheuer, als die die Cholera im medizinischen Diskurs um 1830 figurierte190, bis zum Schauer, mit dem Koch und Gaffky 1884 in Kalkutta den Tempel der vielarmigen indischen Choleragöttin besuchten 191 , spannen sich Bögen der Faszination am Bedrohlichen, wandern illegitime Ekstasen, die sich den Entwürfen der Bakteriologie selbst eingeschrieben haben. Was genau kann an diesem Bild fasziniert haben? Was machte Erreger zu Trägern semantischer Botschaften, von deren erregenden Potenzen sie schon wortwörtlich zeugten, was konnten die zum Kollektivsingular geronnenen erregenden Mikroben konzeptualisieren? Sie waren Metaphern der Zirkulation sozialer, politischer und moralischer Gefährdungen192, Symbole der Durchlässigkeit von Leib und Sozialkörper 193 , weiterhin auch Vehikel obsessiver staatlicher Sozialkontrolle, gouvernementaler Omnipotenz 194 . Sie standen dafür, und sie standen für mehr. In der affektbeladenen wissenschaftlichen Rede von Bakterien fokussierten sich die Ängste einer Moderne, die sich gar nicht immer definitv artikulieren ließen, aber aus der Umkehrung dessen entstanden, was mit den aufklärerischen Umwälzungen des 18. und 19. Jahrhunderts intendiert war: Freiheit in Anarchie, Demokratie in Bürokratie, Nation in Nationalismus, freie Wirtschaft in Pauperismus, Produktivkräfte in Destrukivkräfte. Im wissenschaftlichen Bild von Bakterien gelang es zu bündeln, was existentiell als Unsicherheit, als ebenso sichtbare wie unsichtbare moderne Bedrohung

189 Wilhelm Bölsche, Bazillus-Gedanken, in: ders., Vom Affenmenschen zum Bazillus. Naturwissenschaftliche Plaudereien (1900), 2. Aufl. Leipzig 1903, S. 3-42, hier: S. 4. Zum Motivursprung vgl.: Frank Brammer, Herakles. Die zwölf Taten des Helden in antiker Kunst und Literatur, Köln, Wien 1972, S. 12ff. 190 Prof. Dr. Wolfart, Bruchstücke über die Indische Seuche [Vortrag vor der Berliner medicinischchirurgischen Gesellschaft vom 7. September 1831], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 55, 17. November 1831, S. 221f., hier: S. 221; Dr. J. J. Sachs, Ueber die Cholera auf deutschem Boden, und ihre bisher bewährtesten Präservative und Heilmethoden, Berlin 1831, S. 6; Dr. K. F. H. Marx, Die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, Carlsruhe und Baden 1831, S. V. 191 Vgl.: Bericht über die Thätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Egypten und Indien entsandten Kommission, S. 234f. 192 Vgl.: Alison Bashford/Claire Hooker, Introduction: contagion, modernity and postmodernity, in: Contagion. Historical and cultural studies, ed. by Alison Bashford/Claire Hooker, London 2001, S. 1-14. 193 Vgl.: David Farell Krell, Contagion: sexuality, disease, and death in German idealism and romanticism, Bloomington, Indianapolis 1998; Laura Otis, Membranes. Metaphors of Invasion in Nineteenth-Century Literature, Science, and Politics, Baltimore, London 1999. 194 Vgl.: La Contagion ^Communications, 66 (1998)]; Andrew R. Alsenberg, Contagion. Disease, Gouvernment, and the „Social Question" in Nineteenth-Century France, Stanford 1999.

Epilog: Keine einfache Wissenschaft

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erlebbar war. Kochs pejorative Rede von der „Einwanderung der Bazillen"195 war nur ein betreffendes Segment. Es ließe sich ideologisch dechiffrieren und auf das Maß an Fremdenangst zurückführen, das die Einwandererströme vor allem aus den östlichen Gebieten Europas auslösten. Das wäre eine symmetrische Interpretation, die Sprache im Verhältnis von 1:1 auf Gesagtes projiziert. Sprache ist jedoch das Medium, das durch Geschichte und Gebrauch bestimmt ist, Bedeutungsüberschuß zu produzieren. Was in den Sozialorganismus einwanderte, ihn infiltrierte, waren die aufrührerischen Bakterien und Viren der Modernität. Ein exterritorialisiertes Humanum, ein mikrokosmisches Double - , um es mit Michel Serres' Logik des Parasitären zu formulieren: als Parasit verkleidet, als Mensch enthüllt196. Deshalb verkörperten Bakterien mehr als nur ressentimentgeladene Aversionen, waren mehr als eine bloße Abwehrfigur. Sie waren geradezu universelle Bedeutungsträger. Das machte ihre wissenschaftliche wie kulturelle Faszination aus, - illegitime Ekstasen, die in historiographischen Arbeiten bisher noch nicht thematisiert worden sind. Dem bakteriellen Diskurs der Abwehr, Kochs ostentativem Vorsatz, per„Feldzugsplan" einen „Vernichtungskrieg" zur „Ausrottung" und „Austilgung" von Erregern zu führen197, waren Chiffren eingeschrieben, die einem geheimen Sog der Anziehung folgten. Bakterien verkörperten Ambivalenzen, sie repräsentierten Sicherheit und Unsicherheit, Stabilität und Instabilität zugleich. Gestaltgewordenes Rätsel, standen sie im Fokus eines Begehrens nach Eindeutigkeit, einer Eindeutigkeit, die die dissoziierenden Sozialverhältnisse nicht zu gewähren vermochten. Ob möglichst stabil, konstant und unveränderlich, wie in Kochs bakterieller Anfangskonzeption, oder mutierend, im Übergang befindlich, mit sich wandelnder Virulenz, wie beim späten Koch - Bakterien, geronnen im Kollektivsingular Bakterium, hielten die auseinanderdriftenden Sozialprozesse als Nukleus zusammen. Zumindest verkörperten sie imaginativ dieses Ideal. Das Bakterium stand für soziale Eindeutigkeit und Kohäsion, konzeptualisierte eine Ordnung, wo an der Oberfläche oder in der Tiefenstruktur das anarchistische Chaos des Kampfes Aller gegen Alle waltete. Es gab nichts Fixiertes, nichts Feststehendes mehr, nur einen schwankenden Grund der Modernität. Das Verdienst des Bakteriums - Verschwisterung von Wissenschaftler und wissenschaftlichem Objekt - war es, diesem Chaos entgegenzutreten. Quid pro quo kämpfte es den stellvertretenden, unbeirrten Kampf für Eindeutigkeit. Damit gewann es wissenschaftlich eine ganz andere Qualität als diejenigen soziomorphen Habitualisierungen der Cholera, die bis dahin das 19. Jahrhundert prägten und die im Politik- bzw. Militärkapitel dargestellt worden sind. Das Bakterium war nicht von außen her andrängende Macht, war nicht nur innerer anarchistischer Agent, an deren Reibungsflächen - Formierung einer Gesellschaft durch ihre Feinde - staatliche Ordnung stets aufs Neue entstand. Auch war es mehr als nur ein hybrider sozialer Akteur, der, wie ebenfalls dort geschildert, auf diese oder jene Weise von verschiedenen Interessegruppen zu instrumentalisieren war. Es war Hauptdarsteller des sozialen Dramas selbst. Von ihm wurden dessen Akteure dirigiert. Von ihm ging enigmatisch Energie aus. In ihm, als verborgenem gesellschaftlichen Fokus, lag das Kraftfeld, das eine unsichtbare Ordnung hinter den Dingen ver-

195 Koch, Die Ätiologie der Tuberkulose (1882), S. 433. 196 Vgl.: Michel Serres, Der Parasit (1980), Frankfurt/M. 1987. 197 Koch, Ergebnisse der vom Deutschen Reich ausgesandten Malariaexpedition, S. 442f.

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Das Janusgesicht des Bakteriums

bürgte. Es war der geheime Regent, die ordnende invisible hand der kapitalistischen Gesellschaft, die ihr Erzapostel Adam Smith einst auf andere Weise erträumte. Mit Zeitgenossen der Bakteriologie gesprochen, neukantianisch: unerkennbares Ding an sich, freudianisch: Projektion des Unbewußten, das grundlegende Obsessionen enthüllt, religionsphänomenologisch mit Rudolf Otto: numinoses Objekt, auf das sich menschliche Ohnmacht und Allmacht projiziert. Mit den Worten Ferdinand Cohns, Kochs Breslauer Lehrer und Pionier der Bakteriologie in Deutschland: Ist es nun schon an und für sich wichtig, die kleinsten zugleich und die einfachsten aller lebenden Wesen genauer kennen zu lernen, so steigert sich unser Interesse an denselben durch die Erkenntniß, daß gerade diese kleinsten Wesen von der allergrößten Bedeutung sind, daß sie mit unsichtbarer, doch unwiderstehlicher Gewalt die wichtigsten Vorgänge der lebendigen und leblosen Natur beherrschen und selbst in das Dasein der Menschen zugleich geheimnißund verhängnißvoll eingreifen. 198

Es ist nicht einmal wichtig, ob den Gründungspersonen der Bakteriologie bewußt war, im Bann derart „geheimnisvoller" und „verhängnisvoller", in diesem Sinne geradezu sakraler Mächte zu stehen. Es reicht, von einer Distribution auszugehen, die kollektiv Unbewußtes zwischen verschiedenen kulturellen Feldern transferiert, von Alltagserfahrung in Wissenschaft, von Wissenschaft in Alltagserfahrung. Cohn war insofern vielleicht eine Ausnahme. Er stand im Bann geheimnisvoller Mächte, und er artikulierte es. Möglicherweise läßt sich sogar von kollektiv Bewußtem sprechen. Der Wissenschaftspublizist Wilhelm Bölsche hat im Jahr 1900 ein fetischisierendes Kultbild von Bakterien gezeichnet, das bakteriologische Macht- und Ohnmachtphantasien unverhüllt zutage treten ließ. Auf rein pragmatischer Ebene zitierte er ihre Destruktiv- und Produktivpotenzen, ihre gräßlich giftigen Kanonaden wie auch den stillen Segen, den sie im Verborgenen bereiten. Das war jedoch nur Folie eines gloriosen Altargemäldes, auf dem Bakterien zum Urbild göttlicher bzw. menschlicher Allmacht avancierten. Als älteste Bewohner der Erde, gar des Kosmos hätten sie etwas „gespenstisch Besonderes", etwas „Titanisches" an sich: Diese Ungeheuer haben nicht nur in ihrer realen Masse etwas Titanisches. Es gehören ihnen auch noch solche Züge an, die in der physischen Zähigkeit der Einzelnen stecken. Züge, die uns anmuten wie ein Stück Urleben jenseits der Schranken, die sich sonst dem Leben auf Erden ziehen. [...] Der zähe Bazillus aber tritt uns entgegen, wie die noch viel weiter veranlagte Urform des Lebens. 199

Die Bakterien waren deifiziertes tremendum und fascinosum zugleich. Als numinose Urform des Lebens lösten sie Entsetzen wie Ehrfurcht aus. Sie waren das sinnlich-über sinnliche Agens, ens naturale und ens astrale, das geheime wissenschaftliche Energien entfesselte. Sie waren der Fetisch, dessen Bann sich lösen ließ, wenn man sich mit ihm versöhnte, in dessen Bann man sich stellte und anverwandelte, um ihn potentiell bannen zu können. Die Bakteriologie hat eine Geschichte und eine Geheimgeschichte. Sie war und ist keine einfache Wissenschaft.

198 Dr. Ferdinand Cohn, Ueber Bacterien, die kleinsten lebenden Wesen, Berlin 1872, S. 6. 199 Bölsche, Bazillus-Gedanken, S. 29f.

Anhang

1. Quellen- und Literaturverzeichnis a) Archivalien und Nachlässe (Bd. I-IV) Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin): - H I , Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX - H I , Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. D. III - H I , Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIII C - BPH (Brandenburgisch-Preußisches Hausarchiv) Rep. 49 W 37

-

Landesarchiv Berlin: - Acten der Stadtverordneten-Versammlung. A Rep. 000-02-01 - Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02 - Städtische Armendirektion. A Rep. 003-01 - Autographensammlung

Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek: - Nachlaß Savigny - Nachlaß Gallitzin

Domstiftsarchiv Brandenburg: - Königliches Konsistorium der Provinz Brandenburg. Sig. NE 166/434 Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam): - Rep. 30, Berlin C, Königliches PolizeiPräsidii zu Berlin Landeshauptarchiv Koblenz: - Abteilung 403, Oberpräsidium Rheinprovinz, Acta 2295 Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung: - Nachlaß Hegel - Dep. 3 (L. Jonas) - Nachlaß Ludwig Jonas

Nachl. 259 (J.B. Trommsdorff) Nachlaß Friedrich Carl von Savigny Nachlaß Karl Hartwig Gregor von Meusebach Nachlaß Emst Ludwig Heim

Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main: - Nachlaß Arthur Schopenhauer - Nachlaß Ludwig Börne

Archiv des Museum für Kommunikation, Berlin: - Mappe Cholera-Briefe Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin: - Musikabteilung: Fanny Hensel Stadtarchiv Nürnberg: - Tuchersches Familienarchiv Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: - Fischbacher Archiv. Nachlässe Prinz Wilhelm von Preußen und Prinzessin Marianne geb. von Hessen-Homburg Deutsches Literaturarchiv Marbach: - Cotta-Archiv Bayerische Staatsbibliothek München, Abteilung für Handschriften und seltene Drucke: - Jacobsiana

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Quellen- und Literaturverzeichnis

b) Auswahl von Gesetzen und Verordnungen Edict, wegen derer Bettler, Zigeuner, etc. wie es damit zu halten nachdem die Pest in Pohlen weiter um sich greiffet (1714), in: Repertorium der Polizeyordnungen der frühen Neuzeit, hrsg. v. Karl Härter/Michael Stolleis, Bd. 2.1, Frankfurt/M. 1998, S. 245f. Verordnung, daß die Cörper derjenigen, so in denen hießigen Armen-Häusern verstorbenen etc. zur Anatomie gelieffert werden sollen (1722), in: ebenda, S. 336 [Preußisches] Renovirtes und verschärftes Edict, wegen Ausrottung der Sperlinge und Krähen (1744), in: ebenda, S. 447 Instruction über das bei der Annäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. Berlin, 5. April 1831, in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde, 15(1831), H. 2, S. 312-332 Instruction über das bei der Annnäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preußischen Staaten zu beobachtende Verfahren, 2. Ausgabe. Berlin, 1. Juni 1831 Gesetz wegen Bestrafung derjenigen Vergehungen, welche die Uebertretung der - zur Abwendung der Cholera - erlassenen Verordnungen betreffen. Friedrich Wilhelm. Berlin, den 15. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 170, 21. Juni 1831, S. 1080 Vorläufige Bestimmungen für den Fall des Ausbruchs der Cholera in Berlin. Berlin, 28. Juni 1831 Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin. Berlin, 23. August 1831 Publikandum, enthaltend die abändernden Bestimmungen zur Ausführung der Instruction über das bei dem Ausbruche der Cholera zu beobachtende Verfahren vom 5. April und

1. Juni 1831 [...], Berlin, den 29. August 1831. in: Allgemeine Preußische StaatsZeitung [Berlin], Nr. 240, 30. August 1831, S. 1369 Friedrich Wilhelm, Allerhöchste Bekanntmachung. Charlottenburg, den 6. September 1831, in: Allgemeine Preußische StaatsZeitung, Nr. 254, 13. September 1831, S. 1425 Sammlung Kaiserlich Russischer Verordnungen zur Verhütung und Unterdrückung der Cholera. Nebst einer Vorrede von J. Ch. Α. Claras, Leipzig 1831 Sammlung der von den Regierungen der Deutschen Bundesstaaten ergangenen Verordnungen und Instructionen wegen Verhütung und Behandlung der asiatischen Brechruhr (Cholera Morbus). 1. Heft, Frankfurt am Main 1831 Friedrich Wilhelm, Allerhöchste Cabinetsordre vom 5ten Februar 1832, enthaltend die Bestätigung der Instruction über das in Betreff der asiatischen Cholera in allen Provinzen des Preußischen Staates zu beobachtende Verfahren, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Rücksicht auf das allgemeine Sanitäts-Wesen im Königl. Preußischen Staate, 37 (1832), S. 344-368 Regulativ vom 28. Oktober 1835, das bei anstekkenden Krankheiten zu beobachtende sanitätspolizeiliche Verfahren betreffend, nebst einer Instruktion über das Desinfektionsverfahren und einer populären Belehrung über die Natur und Behandlung von ansteckenden Krankheiten [Sonderdruck des 27. St. der Gesetzessammlung vom Jahre 1835], Berlin 1845 Reichsgesetz betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten" (1900), in: Dr. Martin Kirchner, Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens, Jena 1907, S. 253-260 Gesetz betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (1905), in: ebenda, S. 272-305

Anhang

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c) Zeitungen und Zeitschriften (bis 1910) [Aachener] Cholera-Zeitung, Jg. 1831,1832

Chaos, Jg. 1831

Abhandlungen der Churfürstlich-baierischen Akademie der Wissenschaften, Jg. 1775

Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, Jg. 1831, 1832

Allgemeine Medizinische Zeitung mit Berücksichtigung des Neuesten und Interessantesten der allgemeinen Naturkunde, Jg. 1831 Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Jg. 1831 Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Jg. 1831 Altpreussische Monatsschrift, Jg. 1884 Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jg. 1831 Archiv für Hygiene, Jg. 1891 Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde, Jg. 1830,1831 Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin, Jg. 1885 Archiv für physiologische Heilkunde, Jg. 1842 [Augsburger] Allgemeine Zeitung, Jg. 1831 Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Jg. 1831 Berliner Don Quixote. Sonntagsblatt für Männer, Frauen, Kinder, Greise, Jünglinge, Mütter, Väter, Söhne und Töchter [hrsg. von Adolph Glassbrenner], Jg. 1832 Berliner Eulenspiegel-Courier, Jg. 1831

Cholera-Archiv mit Benutzung amtlicher Quellen, Jg. 1833 Cholera-Blatt. Als Beilage zu den Schlesischen Blättern, Jg. 1831 Cholera-Zeitung, herausgegeben von den Aerzten Königsbergs, Jg. 1831 Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker, Jg. 1830 Der Beobachter an der Spree, Jg. 1830 Der Freimüthige, oder Berliner ConversationsBlatt, Jg. 1831,1832 Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Jg. 1831 Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, Jg. 1831 Der Jugendfreund. Ein Wochenblatt zur angenehmen Belehrung, Bildung und Erziehung der Jugend beiderlei Geschlechts, Jg. 1831 Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Jg. 1831,1832 Der Volksfreund in den Sudeten, vereinigt mit dem Schlesischen Beobachter. Eine Wochenschrift zum Nutzen, zur Belehrung und zur Unterhaltung aller Stände, Jg. 1831

Berliner Intelligenz-Blatt, Jg. 1831 Berliner Medizinische Zeitung, Jg. 1832

Der Wächter am Rhein. Ein deutsches Volksblatt, Jg. 1832

Berliner Modenspiegel. Eine Zeitschrift für die elegante Welt, Jg. 1832

Deutsche Allgemeine Zeitung, Jg. 1831

Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Jg. 1831,1832 Blätter für literarische Unterhaltung, Jg. 1831, 1832

Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst, Jg. 1843 Deutsche medizinische Wochenschrift, Jg. 1907 Deutsche Tribüne, Jg. 1831,1832

391

Quellen- und Literaturverzeichnis Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, Jg. 1884,1906 Die Bayer'sche Landbötin. Selbst gemacht, verlegt und expedirt von Dr. Karl Friedr. Aug. Müller, Jg. 1836 Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, Jg. 1848 Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, Jg. 1847 Die medicinische Reform. Eine Wochenschrift, Jg. 1848, 1849 [Dresdner] Abend-Zeitung, Jg. 1831,1832 Erinnerungsblätter für gebildete Leser aus allen Ständen, Jg. 1832 Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Jg. 1911 Forum der Journal-Literatur. Eine anti-kritische Quartalschrift, Jg. 1831 Hamburgisches Magazin, oder gesammlete Schriften, zum Unterricht und Vergnügen, aus der Naturforschung und den angenehmen Wissenschaften überhaupt, Jg. 1749,1752 Hesperus. Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser, Jg. 1831 Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Jg. 1831 Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde, Jg. 1831 Journal der practischen Heilkunde, Jg. 1831, 1832 Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Jg. 1831, 1832 Literarischer Zodiacus. Journal für Zeit und Leben, Wissenschaft und Kunst, Jg. 1835 Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, Jg. 1831, 1832 Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde, Jg. 1828,1831

Magazin für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Beziehung auf das Sanitäts-Wesen im Königl. Preussischen Staate, Jg. 1831, 1832 Medicinische Jahrbücher des k.k. österreichischen Staates, Jg. 1832 Medicinisches Conversationsblatt, Jg. 1832 Medicinisches Correspondenzblatt des Württembergischen Ärztlichen Vereins, Jg. 1832 Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), Jg. 1831,1832 Mittheilungen über die ostindische Cholera zunächst für Aerzte und Wundärzte Kurhessens. Herausgegeben von den ärztlichen Mitgliedern der obersten Sanitäts-Kommission, Jg. 1831 Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 1831,1832 Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, Jg. 1831 Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen, Jg. 1823, 1831 Schlesische Cholera-Zeitung, herausgegeben von dem ärztlichen Comité für Schlesien, Jg. 1831 Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten, Jg. 1830, 1831 Sundine, Jg. 1831 Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologisch-therapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, Jg. 1831 Tägliche allgemeine Hamburgisch-Altonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Jg. 1831 Till Eulenspiegel. Berliner, Wiener, Hamburger Courier. Redigirt von Eduard Maria Oettinger, Jg. 1831

Anhang

392 Wiener Klinik, Jg. 1882 Wochenschrift für die gesammte Heilkunde, Jg. 1833 Wöchentliche Beiträge zur Medicinischen und Chirurgischen Klinik mit vorzüglicher Berücksichtigung epidemischer, endemischer und epizootischer Krankheiten, Jg. 1832

Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen, Jg. 1886 Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, Jg. 1893 Zeitschrift für Hygiene, Jg. 1886 Zeitung für die elegante Welt, Jg. 1831,1832

d) Literatur bis 1850 [Anonym]: Belehrung über die Kennzeichen der asiatischen Cholera (Cholera morbus), die dagegen anzuwendenden Vorbeugungsmittel und das vorläufige Heilverfahren [...], Wiesbaden 1831

[Anonym]: Die Cholera morbus oder kurze Geschichte des Ursprungs und Verlaufes der indischen epidemischen Brechruhr [...] für gebildete Stände dargestellt von einem praktischen Arzte, Leipzig 1831

[Anonym]: Bemerkungen über die Furcht vor der herrschenden Brechruhr, zugleich enthaltend eine wissenschaftlich begründete Vorstellung an die oberpolizeilichen und Gesundheitsbehörden zur Beruhigung des Publikums, Leipzig 1831

[Anonym]: Die Cholera morbus oder ostindische Brechruhr. Eine für Jedermann faßliche Zusammenstellung des Wichtigsten aus den vorzüglichsten, bisher über diese Krankheit erschienenen Schriften, Tübingen 1831

[Anonym]: Cholerische Belehr-, Bethör- und Erklärungen, auch Wortklaub- Schraub- und Zaubereien, in: [Anonym]: Die cholerische Aster. Eine humoristische Herbstblume in ungebundenen Sträußchen für Jedermann. Der zwanglosen Hefte: Erstes, Darmstadt 1832, S. 46-54 [Anonym]: Der Kampf gegen die asiatische Cholera. Ein Aufruf zum freiwilligen Kriegsdienste, besonders gerichtet an Geistliche, Schullehrer, Beamte und Aerzte, Leipzig 1831 [Anonym]: Die Cholera mit dem besten Erfolg bekämpft durch die homöopathische Curart [...]. Dargestellt von einem Freund des öffenlichen Wohls, Bremen 1835 [Anonym]: Die Cholera morbus oder die orientalische Brechruhr. Von einem praktischen Arzte, Stuttgart 1831

[Anonym]: Die Cholera, in: Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, 1 (1848), S. 669-713 [Anonym]: Die Erkenntnis und Behandlung der nach Deutschland verschleppten asiatischen Cholera, Dresden 1831 [Anonym]: Die Göttin Cholera, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 177, 26. Juni 1831, S. 776 [Anonym]: Die sichersten Vorbauungsmittel gegen die Brech-Ruhr (Cholera). Ein Hülfsbüchlein für Jedermann, von einem praktischen Arzte, Elberfeld 1831 [Anonym]: Empfindungen eines Scheintoten, in: Der Beobachter an der Spree, 39. St., 27. September 1830, S. 615-620 [Anonym]: Entdeckung und Beleuchtung des bisher unbekannt gebliebenen Wesens und eigentlichen Sitzes der Cholera Morbus nebst der Darstellung der Behandlungsart und die

Quellen- und Literaturverzeichnis Schutzmittel gegen dieselbe für Gesunde, Für Jedermann faßlich dargestellt von einem erfahrnen praktischen Arzte, Hamburg [um 1831] [Anonym]: Freimüthige Beleuchtung des Benehmens der Berliner verordnenden Contagionisten in Bezug auf die Cholera, vor und nach erfolgtem Ausbruch der Epidemie in Preußen. Von einem reisenden Cholera-Arzte, Altenburg 1832 [Anonym]: Freymüthige Gespräche zwischen einem sich weise dünkenden und einem schlichten redlichen Bürger in Wien, über die Cholera-Seuche, Wien 1831 [Anonym]: Für die Bewohner der CämmereiDörfer und Colonien der Stadt Berlin. Belehrung über die Maaßregeln gegen die anstekkende Cholera [Flugblatt 1831] [Anonym]: Gründliche und faßliche Anweisung für den Bürger und Landmann zur Verhütung der Ansteckung durch die Cholera [...], Dresden 1831 [Anonym]: Höchstwichtige Aufschlüsse, daß die Cholera Morbus von den Jesuiten nach Europa gebracht, von ihnen geleitet und zu ihren Zwecken benutzt wird [...], Leipzig 1832

393 chen und sich vor der letztern verwahren und sich schnell heilen kann, Leipzig 1832 [Anonym]: Ueber Pestcordon und Contumazen, in: Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde. Neue Folge, 1 (1831), S. 179-200 [Anonym]: Unentbehrlicher Rathgeber für Alle, welche sich durch zweckmäßige Diät in Bezug auf Speisen und Getränke vor der asiatischen Cholera schützen wollen. Von einem praktischen Arzte, Berlin, Stettin, Elbing 1831 [Anonym]: Vorschlag/Eines unfehlbaren und handgreifflich/Richtigen Mittels/Der befürchteten und einreissenden CONTAGION [...] zu begegnen, Leipzig 1709 Ammon, Friedrich August von, Dr.: Die Erkenntnis und die Behandlung der asiatischen Cholera. [...] Nach den besten Quellen für Civil- und Militairärzte und Wundärzte und für Pharmaceuten, 3. umgearb. Aufl. Dresden 1831 Amtliche Belehrung über die gegen die anstekkende oder asiatische Cholera anzuwendenden Schutzmaaßregeln und ersten Hülfsleistungen, Berlin 1831

[Anonym]: Hypothese über die Cholera-Morbus. Nach Ansichten des allgemeinen NaturLebens, Stettin 1832

Ansprache ans Publicum, zunächst über die epidemische Cholera vom Königl. SchleswigHolsteinischen Sanitätscollegium zu Kiel, Kiel 1831

[Anonym]: Kürtzlicher und gründlicher Unterricht/Wie bey denen anjetzo graßirenden gefährliche Seuchen ein jeglicher sein eigen Medicus seyn [...] könne, Beriin 1709

Anton, Karl Christian, Dr.: Die bewährtesten Heilformeln für die epidemische Cholera. Nebst einer ausführlichen pathologischtherapeutischen Einleitung, Leipzig 1849

[Anonym]: Neue specifische Heilmethode der epidemischen Cholera oder (richtiger) des Cholera-Fiebers, mittelst des fiebervertreibenden Princips der Chinarinde, Hannover 1831

Arnim, Bettine von: Dies Buch gehört dem König (1843), in: Bettine von Arnim, Werke und Briefe in vier Bänden, hrsg. v. Walter Schmitz/Sibylle von Steinsdorff, Bd. 3, Frankfurt/M. 1995, S. 9-368

[Anonym]: Sicherste Heilung und Ausrottung der asiatischen Cholera, Dritte Aufl. Leipzig 1831

Arnoldi, Friedrich August: Wie kann eine Seuche sich bloß contagios verbreiten, ohne daß am Krankenbette Ansteckung nachzuweisen ist? In Beziehung auf Cholera und gelbes Fieber erfahrungsgemäß beantwortet, Köln 1836

[Anonym]: Spieß, Schutz- und Trutzmittel gegen die asiatische Cholera, oder Anweisung, wie man der Furcht vor dieser Seuche verscheu-

394 Art. „Cholera", in: Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur, Bd. 1, Leipzig 1832, S. 423-435 Aschenbrenner, G., Dr.: Über die asiatische Cholera und deren Verhütung, Regensburg 1831 Ascherson, F. M., Dr.: Beschreibung tragbarer Dampf-Apparate. Im Auftrage der Königl. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. Mit zwei Steindrücken, Berlin 1831 Augustinus: Der Gottesstaat, hrsg. v. Carl Johann Perl, Paderborn, München, Wien 1979 Baader, Franz von: Über das dermalige Mißverhältniss der Vermögenslosen oder Proletairs zu den Vermögen besitzenden Classen der Societät [...], (1835), in: Fr. v. Baader, Sämmtliche Werke, hrsg. v. Fr. Hoffmann, Leipzig 1851ff„ Bd. 6, S. 127-143 Baer, Prof. Dr. v.: Geschichte der CholeraEpidemie zu Königsberg i. J. 1831, in: Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft zu Königsberg über die Cholera. Erster Band, Königsberg 1832, S. 315-423 Baltz, Dr.: Meinungen über die Entstehung, das Wesen und die Möglichkeit einer Verhütung der sogenannten Cholera aus der Natur und Erfahrung entnommen [...], Berlin 1832 Baltz, Dr.: Ueber die Nicht-Existenz eines Cholera-Contagium, Berlin o. J. [ca. 1831] Bangßel, Eduard: Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der CholeraEpidemie in Danzig miteinander getheilet haben, Danzig 1832 Barchewitz, Ernst, Dr.: Ueber die Cholera. Nach eigener Beobachtung in Rußland und Preußen, Danzig 1832 Barrie's, Carl, Dr.: Die Cholera morbus. Ueber ihre Entstehung, Ausbildung, Zeugung und Ansteckungsfähigkeit, mit Bezug auf alle übrigen ansteckenden Krankheiten, Hamburg 1831

Anhang Barrie's, Carl, Dr.: Zusätze über die von mir herausgegebene Schrift „Winke über die Natur der Cholera morbus", nebst einem Anhange über die Erzeugung der Malaria (Miasma), Hamburg 1831 Bartels, Ernst Daniel August, Dr.: Grundzüge einer speciellen Pathologie und Therapie der orientalischen Cholera; als Leitfaden für praktische Aerzte zu einer den Verschiedenheit des Ganges, Grades und übrigen Verhaltens der Krankheit angemessenen Behandlung, Berlin, Potsdam und Bromberg 1832 Beckedorff, Ludolph von: Die Cholera, ihre Ursachen, ihre Verbreitung, ihre Abwehr und ihre Heilung. Vermuthungen nicht blos für Aerzte geschrieben (1831), Berlin 1848 Becker, Ferd. Wil., Dr.: Ueber medicinische Geographie, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 19 (1831), S. 129-141 Behrend, Fr. J., Dr.: Ueber die jetzt herrschende Cholera, in: Allgemeine Preußische StaatsZeitung, Nr. 151, 2. Juni 1831, S. 1002 Belehrung über die Asiatische Cholera für Nichtärzte. Auf allerhöchsten Befehl des Königreichs Sachsen bekannt gemacht, Dresden 1831 Belehrung über die Asiatische Cholera für Nichtärzte. Mit allerhöchstem Befehl in dem Königreich Sachsen bekannt gemacht, 3. Aufl. Dresden 1831 Bernt, Joseph, Dr.: Ueber Pestansteckung und Verhütung, Wien 1832 Beschreibung der Provencalischen Pest [...], Wegen ihrer Vortrefflichkeit übersetzet und mit Anmerkungen begleitet von Joh. Jacob Scheuchzer, Zürich 1721 [Beurmann, Eduard]: Vertraute Briefe über Preußens Hauptstadt, Bd. 1, Stuttgart und Leipzig 1837 Blumenthal, H., Dr.: Flüchtiger Schattenriß der sogenannten Cholera Indica, wie sie im Jahre 1830 in der östlichen Hälfte des Europäischen Rußlandes epidemisch herrschte, in: Magazin

Quellen- und Literaturverzeichnis für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Beziehung auf das Sanitäts-Wesen im Königl. Preussischen Staate, 33 (1831), S. 554-581 Böhm, Ludwig, Dr.: Die kranke Darmschleimhaut in der asiatischen Cholera mikroskopisch untersucht. Mit zwei Kupfertafeln, Berlin 1838 Borchardt, I. S.: Anweisung zur Behandlung und Abwehrung der pandemisch-contagiösen Cholera, worin der Ursprung des Namens „Cholera", die Gelegenheitsursache, der Sitz etc. derselben nachgewiesen wird, Berlin 1831 Borchardt, I. S.: Kurze Darstellung der Cholera und unfehlbare Heilmethode derselben. Nach den Grundsätzen des Talmud, Berlin 1831 Böttiger: Über die indische Personification der Cholera, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 109/110,4./5. Juni 1832, Sp. 865-878 Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1796 bis 1832, hrsg. v. Friedrich Wilhelm Riemer, Bd. 6, Berlin 1834 Brockmüller, Carl: Ansichten über die herrschende Cholera, Vergleiche derselben mit dem Wechselfieber und Beweise, dass dieselbe so wenig ansteckend ist, noch werden kann, als das Wechselfieber, Jülich 1832 Brockmüller, Carl: Worte zur Beruhigung und Belehrung an die Bewohner des Kreises Jülich, in Beziehung auf die Asiatische CholeraKrankheit, Jülich 1832 Bruck, Moritz: Rationelle Behandlung der Cholera und Widerlegung der herrschend gewordenen falschen Ansichten derselben, nebst einem Anhange über den Character, mit welchem sie in Berlin auftritt, Berlin, Posen und Bromberg 1831 Brünnighausen, H. J., Dr.: Von der Heilung der asiatischen Cholera durch ein bekanntes, einfaches, naturgemäßes Mittel, Würzburg 1832 Buek, H. W.: Die bisherige Verbreitung der jetzt besonders in Rußland herrschenden Cholera, erläutert durch eine Karte und eine dieselbe

395 erklärende kurze Geschichte der Epidemie, Hamburg 1831 Burchardt: Die Cholerathiere, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 175, 8. September 1831, S. 697f. Burdach, K. F.: Belehrung für Nichtärzte über die Verhütung der Cholera. Im Auftrage der Sanitätskommission zu Königsberg verfaßt, Königsberg 1831 Burdach, K. F.: Historisch-statistische Studien über die Cholera-Epidemie vom Jahre 1831 in der Provinz Preußen, insbesondere in Ostpreußen, Königsberg 1832 Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie, Leipzig 1848 Cannstatt, Carl, Dr.: Die specielle Pathologie und Therapie vom klinischen Standpunkte aus bearbeitet, Bd. 2, Erlangen 1847 Casper, Dr.: Drei Fälle von Salz-Injectionen in die Venen bei Cholera-Kranken, in: Wochenschrift für die gesammte Heilkunde, Nr. 1 u. 2,4. u. 11. Januar 1833, S. 4-32 Casper, Johann Ludwig, Dr.: Die Behandlung der asiatischen Cholera durch Anwendung der Kälte; physiologisch begründet, und am Krankenbette, Berlin 1832 Castelli, J. F.: Wohlgemeinte Worte an Oesterreichs Landvolk über die jetzt allgemein herrschende Seuche Cholera morbus [...], Wien 1831 Ceresa, C. v.: Bemerkungen über die epidemische Brechruhr. (Cholera morbus), Wien 1831 Choleraküche oder zweckmäßige Auswahl von Speisen, Getränken und nöthigsten Hausmitteln, sammt deren Zubereitung [...], herausgegeben von der Verfasserin des Weilerischen Kochbuches, München 1831 Christliches Trost- und Gebetbüchlein in Sterbensläuften. Herausgegeben von der TractatGesellschaft im Wupperthale. Nro. 165, Barmen 1832

396 Cohnfeld, Α., Dr.: Ausführliche Lebens- und Regierungs-Geschichte Friedrich Wilhelms III. Königs von Preußen, Bd. 3, Berlin 1842 Dachs, Α., Dr.: Betrachtungen über die unter dem 31. Januar 1832 erlassenen Instructionen über das gegen die Cholera in den preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. 1. Nachtrag zu dem Tagebuch über die Cholera in Berlin, Berlin [1832] Daumer, G. F.: Ist die Cholera Morbus ein Strafgericht Gottes? Sendschreiben für Herrn Pfarrer Kindler zu Nürnberg, Leipzig 1832 Defoe, Daniel: Ein Bericht vom Pest-Jahr (1722), hrsg. v. Christiane Keim, Marburg 1987 DeGreck, P., Dr.: Ueber die asiatische Cholera in Berlin. Reisebericht an die Hochlöbliche Regierung zu Köln, als Resultat seiner Beobachtungen, Köln 1832 Der baiersche Prophet, oder die dem frommen Johann Daniel Wunder [...] von dem Engel Gabriel in der Nacht vom 29. auf den 30. Sept. 1831 [...] übergebene Prophezeiung, Deutschland [1831] Der ein und neunzigste Psalm mit Anmerkungen. Ein Heilmittel gegen die Furcht vor der Cholera. Herausgegeben von der Tractat-Gesellschaft im Wupperthale. Nro. 161, Barmen 1831 Didier, Charles: Betrachtungen eines Franzosen über Katholizismus und Volk auf Veranlassung der Cholera, in: Neue Monatsschrift für Deutschland, historisch-politischen Inhalts, 38 (1832), S. 432-452 Die Asiatische Cholera in Breslau während der Monate October, November, December 1831, beschrieben von den in den öffentlichen Cholera-Hospitälern zu Breslau angestellt gewesenen Ober-Ärzten, Breslau 1831 Die Cholera in den Niederlanden. Eine Stimme Gottes zu unserm Heile. Herausgegeben von der Tractat-Gesellschaft im Wupperthale. Nro. 174, Barmen 1832

Anhang Die Cholera, ein Volks- und Kriegslied, Text von Fulda, Musik von Naue, Merseburg 1831 Dieffenbach, J. F., Dr.: Die Transfusion des Blutes und die Infusion der Arzneien in die Blutgefässe. Erster Theil, Berlin 1828 Dieffenbach, J. F., Dr.: Physiologisch-chirurgische Beobachtungen bei Cholera-Kranken. Eine vom Institut de France gekrönte Preisschrift, 2. vermehrte Auflage, Güstrow 1834 Dieffenbach, J. F., Dr.: Versuche über die Transfusion des Blutes in der Cholera, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 22 (1832), S. 129-141 Dieffenbach, Johann Friedrich, Dr.: Physiologische Untersuchungen über die Transfusion des Blutes, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, 30 (1830), S. 3-81 Dieffenbach, Johann Friedrich: Die Operative Chirurgie, Bd. 1, Leipzig 1845 Dieterich, G. Ludwig, Dr.: Beobachtung und Behandlung des wandernden Brechdurchfalles in München, Nürnberg 1837 Döring, Georg: Die Geißelfahrt. Eine Erzählung aus dem vierzehnten Jahrhundert, Bd. 3, Frankfurt/M. 1833 Dr. L. G. Mangold's guter Rath für seine lieben Freunde und Bekannten wegen der asiatischen Cholera-Krankheit, Berlin 1831 Dr. M. v. Rein's zu Warschau Briefliche Mittheilung über die orientalische Cholera an und durch Dr. Dietrich Georg Kieser, Leipzig [1831] Duller, Eduard: Der Arzt, in: ders., Freund Hein. Grotesken und Phantasmagorieen. Mit Holzschnitten von Moritz v. Schwind, 2 Bde., Stuttgart 1833, Bd. 1, S. 107-112 Duller, Eduard: Die Braut aus Hindostán, in: ebenda, Bd. 2, S. 19-34 e.: Bericht über die Unruhen in Königsberg. Den 29. Juli 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 121, 11. August 1831, Sp. 1021-1024

Quellen- und Literaturverzeichnis Edler von Meyer, J. N.: Einige Beobachtungen über das Wesen der Cholera Morbus aus der Erfahrung geschöpft in besonderer Beziehung auf die Haare als Leiter des Contagiums, Wien 1831 Ehrenberg, C. G., Dr.: Ein Wort zur Zeit. Erfahrungen über die Pest im Orient und über verständige Vorkehrungen bei Pest-Ansteckung zur Nutzanwendung bei der Cholera, Berlin, Posen und Bromberg 1831

397 Gebrauchs-Anweisung zu dem von Gebrüder Aston in Magdeburg erfundenen CholeraSchwitzbad, nebst einem Steindruck, Magdeburg 1831 Gentz, Friedrich von: [Über die Gefahr einer Revolution, Januar 1832], in: Aus dem Nachlasse Friedrichs von Gentz, Bd. 1, Wien 1867, S. 265

Eisner, Christoph Johann Heinrich, Prof.: Ueber die Cholera. Ein Versuch dieselbe zu deuten, Königsberg 1831

Gentz, Friedrich von: Betrachtungen über die politische Lage in Europa (September 1831), in: Schriften von Friedrich von Gentz. Ein Denkmal, Bd. 5, hrsg. v. G. Schlesier, Mannheim 1840, S. 196-206

Ennemoser, J., Dr.: Was ist die Cholera und wie kann man sich vor ihr sicher verwahren? Bonn 1831

Geschichte der geheimen Verbindungen der neuesten Zeit, Heft 1-8, hrsg. v. J. D. F. Mannsdorf, Leipzig 1831-1834

Faber, Karl, Dr.: Die Haupt- und Residenz-Stadt Königsberg in Preußen. Das Merkwürdigste aus der Geschichte, Beschreibung und Chronik der Stadt, Königsberg 1840

Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Weimar 1887ff.

Fabre, Dr.: Die Cholera in Paris, oder Leitfaden für praktische Aerzte zur Erkenntniss und Behandlung dieser Krankheit. Aus dem Französischen und mit einer Vorrede begleitet von Dr. Jos. Schuler, Mannheim 1832 Feuerbach, Friedrich: Die Religion der Zukunft, [Bd. 1], Zürich 1843; Bd. 2 u. 3, Nürnberg 1844/45 Fleckles, Leopold, Dr.: Die herrschenden Krankheiten des schönen Geschlechtes in der Blüthe des Lebens in großen Städten, Wien 1832 Fritsch, Dr.: Impfversuche mit dem CholeraContagium, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 27, 26. November 1831 Gaudy, Franz Freiherr von: Die Pestjungfrau [undatiert, ca. 1831], in: Gedichte des Freiherrn von Gaudy, herausgegeben von Arthur Mueller, Berlin 1847, S. 4 1 1 ^ 1 8 Gebel, D. Α.: Aphorismen über die Brechruhr, nebst Angabe ihrer Heilung, Vorbeugung und sonstigen polizeilichen Maasregeln, Liegnitz 1831

Görres, Joseph von: Kirche, Staat und Cholera (1832), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 15, Köln 1958, S. 4 0 7 ^ 2 4 Greser, J. F.: Hypothese von der Natur der Cholera morbus, Nürnberg 1831 Grünberg, L., Dr.: Versuch einer Theorie über das Wesen des Pestcontagiums und seine Behandlung nach elektrisch-chemischen Grundsätzen und eigenen Beobachtungen bearbeitet, St. Petersburg, Leipzig 1833 Gutsmuths, Dr.: Andeutung der Mittel, um sich vor der morgenländischen Brechruhr (Cholera orientalis) möglichst zu bewahren und ihre Verbreitung zu verhindern [...], Stendal 1831 Guttzeit, H. L. v., Dr.: Die Cholera in Orel im Jahre 1847. Ein Beitrag zur Kenntnis dieser Krankheit, Leipzig 1848 Gutzkow, Karl: Briefe eines Narren an eine Närrin, Hamburg 1832 Gutzkow, Karl: Emanation des Objects aus dem Subject, in: Forum der Journal-Literatur. Eine anti-kritische Quartalschrift, 1 (1831), Η. 1, S. l^W)

398 Haeser, Heinrich, Dr.: Über die parasitische Bedeutung der Krankheit und über die Beziehung dieses Begriffs zu den Tendenzen der sogenannten naturhistorischen Schule, Jena [1842] Hallberg zu Broich, Franz Freiherr von: Einige Erfahrungen bei ansteckenden Krankheiten zur Bekämpfung der Cholera, Jülich 1831 Harleß, Christian Friedrich, Dr.: Die Indische Cholera nach allen ihren Beziehungen, geschichtlich, pathologisch-diagnostisch, therapeutisch und als Gegenstand der Staats- und Sanitäts-Polizei dargestellt, Braunschweig 1831 Hasper, Moritz, Dr.: Die epidemische Cholera oder die Brechruhr. Ein Vortrag gehalten in der naturforschenden Gesellschaft zu Leipzig am 14. December 1830, Leipzig 1831 Hasper, Moritz, Dr.: Ueber die Natur und die Behandlung der Krankheiten der Tropenländer durch die medizinische Topographie jener Länder erläutert nebst der in den Tropenländern zur Verhütung derselben zu beobachtenden Diätetik, Bd. 1, Leipzig 1831 Hawkins, John Isaac: Das Amerikanische arzneihaltige Dampfbad als Schutzmittel gegen die Ansteckung und als das schnellste, kräftigste und sicherste Heilmittel der Cholera [...]. Nebst 3 Abbildungen, Berlin 1831 Hecker, J. F. C., Dr.: Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert. Nach den Quellen für Aerzte und Nichtaerzte bearbeitet, Berlin 1832 Hecker, J. F. C., Dr.: Ueber die Volkskrankheiten. Eine Rede zur Feier des acht und dreissigsten Stiftungstages des Königlichen medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts, am 2ten August 1832, Berlin 1832 Hegar, Johann August, Dr.: Vademecum für die Behandlung der asiatischen Cholera, oder Materia Medica und Handbuch [...], Darmstadt 1831 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im

Anhang Grundrisse (1830), in: Werke in zwanzig Bänden, hrsg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1969ff„ Bd. 9 [Hegewisch, Franz Hermann, Dr.]: Vorläufige Nachricht von des Herrn Dr. Leviseur, Kreisphysicus im Regierungsbezirk Bromberg, glücklicher Methode gegen die Cholera. Angehängt ein Gutachten des Dr. Housselle über die Häusersperre, Kiel 1831 Heidler, Carl Jos., Dr.: Ueber die Schutzmittel gegen die Cholera, und darunter insbesondere über das kohlensaure Gas zum äußerlichen und innerlichen Gebrauche, Prag 1831 Heilbronn, Dr.: Mittheilungen über die CholeraEpidemie in Berlin, Minden 1831 Heine, Heinrich: Französische Zustände (1832), in: Düsseldorfer Heine-Ausgabe, hrsg. v. Manfred Windfuhr, Hamburg 1973ff., Bd. 12/1, S. 621-995 Heineken, Johann, Dr.: Beobachtungen und Erfahrungen, gesammelt auf dem Felde der praktischen Heilkunde, nebst Bemerkungen über die asiatische Cholera, Bremen 1832 Hempel, Friedrich, Dr.: Das weingeistige Dampfbad ganz besonders in Beziehung auf die Cholera, dem Städter und Landmann empfohlen, Berlin 1831 Henle, Jakob: Von den Miasmen und Kontagien und von den miasmatisch-kontagiösen Krankheiten (1840), hrsg. v. Felix Marchand, Leipzig 1910 Henschel, A. W., Dr.: Fortgesetzte Erörterung indischer Volksarzneimittel gegen die Cholera, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, 36(1832), S. 448-507 Hergt, C.: Geschichte der beiden Cholera-Epidemien des südlichen Frankreichs in den Jahren 1834 und 1835, Coblenz 1838 Hering, Constantin: Gelegentliche Betrachtungen über Hypothese und Experiment, Miasma und Contagium [...] (1832, Manuskript), in: Herings Medizinische Schriften in drei Bän-

Quellen- und Literaturverzeichnis den, hrsg. v. Klaus-Henning Gysper, Bd. 1, Göttingen 1988, S. 332-335 Herloßsohn, Carl: Anatomische Leiden. Novelle, Leipzig 1833

399 Hufeland, C. W., Dr.: Atmosphärische Krankheiten und atmosphärische Ansteckung, Unterschied von Epidemie, Contagion und Infection. Ein Beitrag über die Contagiosität des gelben Fiebers, Berlin 1823

Hille, Karl Christian, Dr.: Beobachtungen über die asiatische Cholera, gesammelt auf einer nach Warschau im Auftrage der K. S. Landesregierung unternommenen Reise, Leipzig 1831

Hufeland, C. W.: Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Contumazen bei der Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde, III. St., September 1831, S. 232-236

Hippokrates: Die Winde, in: Sämmtliche Werke, hrsg. v. Robert Fuchs, München 1895, S. 441^150

Hufeland, C. W.: Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Kontumazen bei der Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 307, 5. November 1831, S. 1647f.

Hock, C. F., Dr.: Cholerodea. Zeitgemälde, Wien 1832 Hoffmann, J. G.: Die Wirkungen der asiatischen Cholera im preußischen Staate während des Jahres 1831. Nach den bei dem statistischen Büreau eingegangenen Nachrichten, Berlin 1833 Hoffmann, S. E.: Entwurf zur Einrichtung eines Cholera-Hospitals. Mit einer genauen Angabe eines, für die Behandlungsart der CholeraKranken in Vorschlag gebrachten, bequemen Krankenlagers, Berlin 1831 Hohl, Anton Friedrich, Dr.: Analogien der asiatischen Cholera mit der blauen Krankheit und daraus entnommene Resultate, Halle 1831 Hooke, Robert: Discourse concerning Telescopes and Microscopes; with a short Account of the Inventors (1691), in: Philosophical Experiments and Observations of the late Eminent OS. Robert Hooke, ed. by W. Derham, London 1724, S. 257-268 Hooke, Robert: Micrographia or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies made by Magnifying Glasses with Observations and Inquiries thereupon, London 1665 Horn, Ernst, Dr.: Oeffentliche Rechenschaft über meine zwölfjährige Dienstführung als zweiter Arzt des Königl. Charité-Krankenhauses zu Berlin, nebst Erfahrungen über Krankenhäuser und Irrenanstalten, Berlin 1818

Hufeland, C. W.: Enchiridion medicum oder Anleitung zur medizinischen Praxis. Vermächtniß einer fünfzigjährigen Erfahrung, Berlin 1836 Hufeland, C. W.: Schlußresultat, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., Februar 1832, S. 3-10 Hufeland, C. W.: Ueber die Kontagiosität der Cholera, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 388 u. 389, 7. Oktober 1831, S. 1549 Hufeland, C. W.: Ueber die Verschiedenheit der Erkrankungs- und Mortalitätsverhältnisse bei der orientalischen Cholera, und ihre Ursachen, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., Februar 1832, S. 88-107 Hufeland: Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Contumazen bei der Cholera, nebst einigen commentirenden Bemerkungen des Redakteurs, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 49,10. November 1831, S. 195-197 Hfufeland]: Anmerkung zu: Prof. Dr. Mile, Ansichten über die Verbreitung der Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde, V. St., November 1831, S. 3f. Hfufeland]: Nicht spasmodische, nicht epidemische Cholera [...], in: Journal der practischen Heilkunde, I. St., Juli 1832, S. 116f.

400 Hfufeland]: Wunderbare Einführung des Magisterium Bismuti in die Praxis der Cholera contagiosa, in: Journal der practischen Heilkunde, VI. St., Juni 1831, S. 107-113 Ideler: Der Vampirismus [...], in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 19 (1831), S. 212-225 Imhof, Maximus v.: Über das Schiessen gegen heranziehende Donner- und Hagelgewitter, München 1811 Jahn, Ferdinand: Sydenham. Ein Beitrag zur wissenschaftlichen Medicin, Eisenach 1840 Jähnichen, Dr.: Die Cholera in Moskau, mit kritischen Bemerkungen zu einem Aufsatz vom Herrn Leibmedicus Dr. v. Loder über diese Epidemie, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 19 (1831), S. 385-450 Jankovich, Anton: Die Epidemische Cholera in den Jahren 1817-1832, ihr Wesen, Ursache und rationelle Behandlung, Ofen [1832]

Anhang Klencke [Hermann, Dr.]: Das deutsche Gespenst, Bd. 1, Leipzig 1846 Kniewel, Theodor Friedrich, Dr.: Geistliche Wehr und Waffe gegen die Cholera und ihre traurigen Folgen. Ansichten und Erfahrungen während der Cholera-Epidemie in Danzig [...] vornehmlich seinen geistlichen Amtsbrüdern aller Orten, in Städten und auf dem Lande, mitgetheilt, Berlin 1831 Kohlreif, Gottfried Albert: Abhandlung von der Beschaffenheit und dem Einfluß der Luft, sowohl der freyen atmosphärischen Luft als auch der Stubenluft auf Leben und Gesundheit der Menschen, Weißenfels und Leipzig 1794 Krauß, Α., Dr.: Die Cholera-Epidemie nach eigenen in Wien und Mähren auf Antrag der Königl. Württembergischen Regierung angestellten Beobachtungen, Stuttgart 1832

Jörg, Johann Christian Gottfried, Dr.: Diätetischmedicinischer Rath für Nichtärzte, die ostindische Cholera betreffend, Leipzig 1831

Kriminalrichter Richter: Der Volks-Auflauf in Königsberg am 28. Juli 1831, in: Preussische Provinzial-Blätter, 7 (1832), S. 158-170, 263-278

Jörg, Johann Christian, Dr.: Vier Hauptfragen über das Wesen und die Behandlung der ostindischen Cholera, Leipzig 1832

Krombholz, J. V., Prof.: General-Rapport über die Asiatische Cholera zu Prag im Jahre 1831 und 1832, Leitmeritz [1836]

Kaiisch, M., Dr.: Zur Lösung der Ansteckungsund Heilbarkeitsfrage der Cholera. Der Beruhigung des Publikums und dem Fond für die durch diese Seuche Verwaisten gewidmet, Berlin 1831

Krüger-Hansen, Dr.: Curbilder, mit Bezug auf die Cholera, Rostock und Güstrow 1831

Kaufmann, Dr.: Ueber die indische Brechruhr in praktisch-therapeuthischer Beziehung, Hamm 1831

Kubyss, Fr. M., Dr.: Die Cholera oder Brechruhr in allen ihren Formen, Berlin 1835

Kildjuschewski, Paul von, Dr.: Kurzgefaßte Beschreibung der Cholera und Methode, sie zu heilen. Uebersetzt und bevorwortet von Dr. Stucke, Berlin 1831 Kindler, Johann Peter: Ermahnung zu einer ernsten Bereitung auf die uns drohenden Strafgerichte Gottes. Predigt, gehalten am 10. Sonntage nach Trinitatis 1831, Nürnberg 1831

Krüger-Hansen, Dr. : Opium als Heilmittel in der Cholera, Güstrow und Rostock 1832

Kühn, Carl Gottlob: Briefe über die Mittel, die atmosphärische Luft besonders bei allgemein verbreiteten ansteckenden Krankheiten zu reinigen, Leipzig 1813 Lasker, J.: Das Auge der Polizei. Aus dem Leben Berlins, Berlin 1844 Laube, Heinrich: Das neue Jahrhundert, Bd. 1: Polen, Fürth 1833

Quellen- und Literaturverzeichnis Lesser, Ludwig: Chronik der Gesellschaft der Freunde in Berlin, zur Feier ihres fünfzigjährigen Jubiläums, Berlin 1842 Licht, Α.: Die höchst gefahrvollen Tage Leipzigs im September 1830 mit ihren Quellen [...], Halle 1830 Lichtenstädt, J. R., Dr.: Die asiatische Cholera in Russland in den Jahren 1830 und 1831. Nach russischen Aktenstücken und Berichten, Berlin 1832 Lincke, C. G.: Versuch, das Wesen der pandemischen Cholera zu erklären, Halle 1833 Loder, J. Ch. v.: Ueber die Cholera-Krankheit. Ein Sendschreiben, Königsberg 1831 Loder, J. Ch. v.: Zusätze zu seiner Schrift über die Cholera-Krankheit, Königsberg 1831 Löwenhayn, Heinrich: Beobachtungen über die Cholera-Asphixie in England und Schottland, Glessen 1833 Magendie: Vorlesungen über die epidemische Cholera, deren Verlauf, anatomisch-pathologische Erscheinungen und Behandlungen, gehalten am Collège de France, Leipzig 1839 Marx, K. F. H., Dr.: Die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, Carlsruhe und Baden 1831 Marx, K. F. H., Dr.: lieber die Abnahme der Krankheiten durch die Zunahme der Civilisation, Göttingen 1844 Marx, Karl Friedrich Heinrich, Dr.: Über die bisherige Beurtheilungs- und Anwendungsweise der ableitenden Methode, in: Abhandlung der Könglichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Bd. 4, Göttingen 1850, S. 3-99

401 [Meiern, Caroline von]: Entdeckung des Geheimnisses die Cholera-Krankheit im Keime zu ersticken [...]. Allen Regierungen und Medicinalcollegien und der gesammten Menschheit zur Beherzigung, München 1831 Menzel, Wolfgang: Reise nach Österreich im Sommer 1831, Stuttgart und Tübingen 1832 Mikau, Joh. Chr., Dr.: Authentische Nachricht vom leibhaftigen Daseyn der dem geistigen Auge einiger Gelehrten schon lange sichtbar gewesenen Cholera-Thierchen (1832), in: ders., Kinder meiner Laune, ältere und jüngere, ernste und scherzhafte, Prag 1833, S. 321-338 Mises, Dr. [d.i. Gustav Theodor Fechner]: Schutzmittel für die Cholera, nebst einem Anhange [...], Leipzig 1832 M[ohl], R.: Art. „Ansteckende Krankheiten", in: Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften, hrsg. v. Carl v. Rotteck/Carl Welcker, Altona 1834ff„ Bd. 1, S. 603-615 [Mueller, Moritz, Wilhelm]: Die Cholera morbus oder kurze Geschichte des Ursprungs und Verlaufes der indischen epidemischen Brechruhr [...], Leipzig 1831 Mühlibach, Nikolaus Theodor: Fragmente aus meinem Tagebuche der Jahre 1831 und 1832 als Beitrag zur Epidemiographie, Wien 1835 Müller, Friedrich: Die Cholera und die Anwendung der Kälte als einfaches Schutz- und Haupt-Heilmittel derselben, Wien 1832 Nachricht über die Cholera, bekannt gemacht von dem Collegium Medikum des Königreichs Polen, hrsg. v. Dr. Sinogowitz, 2. Aufl. Danzig 1831

Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Berlin 1956ff„ Bd. 40

Neigebauer: Die Quarantaine-Anstalten in der Moldau und Walachai, in: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur, 6 (1847), S. 1-13

Mayer, Michael: Ist die Cholera epidemisch oder contagios? Ist die Quarantaine ein hinlänglicher Schutz?, Berlin 1831

Nissen, Woldemar, Dr.: Ueber die Cholera, nebst Vorschlägen zur Bekämpfung derselben, Altona 1831

402 Nolte, Ernst, Dr.: Die großen und merkwürdigen kosmisch-tellurischen Erscheinungen im Luftkreise unserer Erde in Folge zwanzigjähriger Beobachtungen auch in Beziehung zu der im Laufe der neuern Zeit herrschenden orientalischen Cholera dargestellt und beurtheilt, Hannover 1831 [Oertel, Eucharius Ferdinand Christian, Dr.]: Medicinische Böcke von Aerzten, welche sich für infallible Herren über Leben und Tod halten, in der Cholera geschossen, Bocksdorf und Schußbach[1832] Oertel, Prof. Dr.: Indische Cholera einzig und allein durch kaltes Wasser vertilgbar. Allen Regierungen, Ärzten und Nichtärzten zur Beherzigung, Nürnberg 1831 Oertel, Prof. Dr.: Victoria! Kaltwasser hat die Cholera besiegt. Ein thatsächlicher Bericht, Nürnberg 1831 [Ortlepp, Ernst]: Die Cholera. Ein episch-lyrisches Gedicht, Leipzig 1832 Paulus, Dr.: Allgemein verständlicher guter Rath, wie man sich zur Vermeidung der Cholera Morbus zu verhalten habe [...], Stuttgart 1831 Peschel, Carl Wilhelm: Die sieben letzten Bürger von Goldberg. Dramatisches Bild in 3 Akten, Goldberg 1832 Pfeufer, K., Dr.: Zum Schutze wider die Cholera, 2. Aufl. Heidelberg 1849 Philippson, P., Dr.: Beiträge zu den Untersuchungen über die Cholera morbus, Magdeburg 1831 Pichler, Caroline: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Bd. 4: 1832 bis 1843, Wien 1844 Piper, J. L.: Ideen über den Ursprung der Cholera aus vulkanischen Bewegungen. Mit einer Charte, Greifswald 1833

Anhang Pólya, Joseph/Grünhut, J. Carl: Beobachtungen über die Orientalische Cholera angestellt und gesammelt in den Spitälern der Stadt Pesth in Ungarn, vom 23sten Juli bis zum 20sten September 1831, Meißen 1832 Prchál, J. M., Dr.: Die Cholera beobachtet in Galizien im Jahre 1831, Prag 1831 Prchál, J. M., Dr.: Supplement-Heft zu den Beobachtungen über die Cholera, Prag 1832 Preu, Karl, Dr.: Was haben wir von der Cholera Morbus zu fürchten? Ein Versuch, die aufgeschreckten Völker zu beruhigen, Nürnberg 1831 Reich, Gottfried Christian, Dr.: Die Cholera in Berlin mit Andeutungen ihrer sichern Abwehrung und Heilung, Berlin 1831 Reil, J. Ch.: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen, Halle 1803 Reiter, Dr.: Beobachtungen über die orientalische Cholera. Gesammelt in Wien, Paßau 1832 Reilstab, Ludwig: Die Cholera im Fürstenthume Scheerau (1831), in: ders., Blumen und Ährenlese aus meinem jüngsten Arbeitsleben. Gesammelte Schriften, Bd. 2, Leipzig 1836, S. 181-303 Remer, Carl Julius Wilhelm Paul: Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau 1831 Richter, C. A. W., Dr.: Die asiatische Brechruhr. Inaugural-Schrift, Leipzig 1832 Richter, Georg August, Dr.: Die orientalische Cholera, nach fremden und eigenen Ansichten monographisch dargestellt, Bd. 1, Berlin 1836

Plagge, Martin Wilhelm: Das Cholera-Fieber gewöhnlich epidemische oder asiatische Cholera-Morbus genannt, Hannover 1833

Robert, Ferdinand, Dr.: Cholerabuch oder das Buch über die ursprüngliche und fernere Entstehung, die Beschaffenheit, Heilung und Abwehrung der bengalischen Brechruhr oder Hindupest, Bd. 1, Gießen 1832

Plötz, Johann von: Die Choleramanen, in: ders., Lustspiele, München 1835, S. 1-72

Robert, Ludwig: Rede zur Feier des Allerhöchsten Geburtsfestes Seiner Majestät des Königs

Quellen- und Literaturverzeichnis Friedrich Wilhelm III. Im Königlichen Schloss-Theater zu Charlottenburg gesprochen, Charlottenburg den dritten August 1831 Roch, Eugène: Paris malade, esquisses du jour, 2 Bde., Paris 1832/33 Roller, C. F. W.: Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen, Karlsruhe 1831 Romich, Johann, Dr.: Die vorzüglichsten Behandlungsarten der Cholera nebst der höchst merkwürdigen Aeußerung einer Somnambulen über die Entstehungs- und Verbreitungsweise, Nichtcontagiosität, Behandlung der Cholera, Wien 1850 Roser/Wunderlich: Ueber die Mängel der heutigen deutschen Medicin und ueber die Nothwendigkeit einer entschiedenen wissenschaftlichen Richtung in derselben, in: Archiv für physiologische Heilkunde, 1 (1842), S. I-XXX Röttger, J. C.: Kritik der Cholera nach physikalischen Gründen [...]. Ferner: Ueber die trügerischen Umtriebe der Cholera im Reiche der Luft, Halle 1832 Ruge, Α.: Die Religion unserer Zeit, in: Die Akademie. Philosophisches Taschenbuch, hrsg. v. A. Ruge, Leipzig 1848, S. 1-92 Rust, Joh. Nep., Dr.: Die Medicinal-Verfassung Preußens, wie sie war und wie sie ist. Actenmäßig dargestellt und kritisch beleuchtet, Berlin 1838 [Rust, Johann Nepomuk]: Einiges über die Cholera. Ein Sendschreiben des Präsidenten Dr. Rust an Se. Excellenz den Königl. Preuß. wirklichen Geheimen Rath und Kammerherm, Freyherrn Alex. v. Humboldt in Paris, Berlin 1832 Rust: Ein Wort zur Würdigung der Schutzmaaßregeln gegen die Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Nr. 283, 12. Oktober 1831, S. 1548 Sachs, J. J., Dr.: Allgemeine Lehren von den epidemischen und ansteckenden Krankheiten, insbesondere der Cholera, und den zu ihrer

403 Hemmung oder Minderung geeigneten Maaßregeln, Berlin 1831 Sachs, J. J., Dr.: Ueber die Cholera auf deutschem Boden, und ihre bisher bewährtesten Präservative und Heilmethoden, Berlin 1831 Sachs, Ludwig Wilhelm, Dr.: Die Cholera. Nach einigen Beobachtungen in der Epidemie zu Königsberg im Jahre 1831, nosologisch und therapeutisch dargestellt, Königsberg 1832 Salza, Carl von: Polen und die öffentliche Meinung. Eine Denkschrift, allen civilisirten Völkern Europa's nach der Einnahme von Warschau gewidmet, Altenburg 1832 [Sander, Georg Karl Heinrich, Dr.]: Beiträge zur Poleoprophylaxis gegen die Gangetische Pest, gewöhnlich Cholera genannt, 2 Bde., Braunschweig 1831/32 Schäfer, Heinrich, Dr.: Ueber die Cholera, in: Königlich priviligirte Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 211, 8. September 1831 [Beilage] Schäffer, Johann Gottlieb: Die Electrische Medicin oder die Kraft und Wirkung der Electricität in dem menschlichen Körper [...] aus Vernunftgründen erläutert und durch Erfahrungen bestätiget, Vorrede zur 1. Aufl. 1752, in: 2. Aufl. Regensburg 1766 [unpaginiert] Schleiermacher, Fr.: Predigt am Sonntage Septuagesimae [19. Februar] 1832 als am Dankfest der Befreiung von der Cholera in der Dreifaltigskirche gesprochen, Berlin 1833 Schleiermacher, Friedrich: Am 10. Sonntage nach Trinitatis 1831 [7. August], in: Dr. F. Schleiermacher, Predigten [Berlin o. J.], S. 1-19 Schleiss von Löwenfeld, Karl: Cholera asiatica zu und bei uns, Med. Diss, München 1837 Schlesinger, Moritz: Ueber die specifische Behandlung der Cholera. Eine auf die Natur der Krankheit gegründete in der Erfahrung sich vorzüglich bestätigende Heilmethode, Berlin 1831

404 Schmidt, Carl, Dr.: Beitrag zur Lehre von der Cholera, Würzburg 1831 Schmidt, Jos. Herrn., Dr.: Physiologie der Cholera, Beriin 1832 Schneider, F. Α.: Nachricht von der Einrichtung des patentierten Staubbad-Apparats in Form eines Schrankes, vermittelst dessen man mit 8 Quart Wasser 15 Minuten baden kann [...], Berlin 1831 Schnitzer, Adolph, Dr.: Die Cholera contagiosa beobachtet in einer in Folge höheren Auftrages in Galizien [...] gemachten Reise, Breslau 1831 Schnurrer, Friedrich, Dr.: Chronik der Seuchen. In Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgängen in der physischen Welt und in der Geschichte der Menschen, 2 Bde., Tübingen 1823/25 Schnurrer, Friedrich: Die Cholera morbus, ihre Verbreitung, ihre Zufälle, die versuchten Heilmethoden, ihre Eigentümlichkeiten und die im Großen dagegen anzuwendenden Mittel, Stuttgart und Tübingen 1831 Schnurrer, Friedrich: Geographische Nosologie oder die Lehre von den Veränderungen der Krankheiten in den verschiedenen Gegenden der Erde, in Verbindung mit physischer Geographie und Naturgeschichte des Menschen, Stuttgart 1814 Schnurrer: Art. „Cholera", in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, hrsg. v. J. S. Ersch/J. G. Gruber, Bd. 17, Leipzig 1828, S. 42-48 Schumacher, Wilhelm: Verständlichste und bewährteste Belehrungen über die mit Gefahr bedrohende pestartige Krankheit Cholera morbus. Erster Theil. Vierte Auflage, Danzig 1831 [Schumacher, Wilhelm]: Die Cholera morbus. Zweiter Theil. Oder: Nachwehen und Neuigkeiten aus 14 Cholera-Tagen. Ein historischdramatisches Gedicht in zwei Abtheilungen, [Danzig 1831]

Anhang [Schumacher, Wilhelm]: Die Cholera Morbus. Dritter und letzter Theil. Beschluß des historisch-dramatischen Gedichts, [Danzig 1831] [Schumacher, Wilhelm]: Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831 [Danzig 1831] Searle, Karl, Dr.: Ueber die Natur, die Ursachen und die Behandlung der Cholera. Aus dem Englischen. Herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet von Dr. C. F. von Graefe, Berlin 1831 Sentimer, Florian, Dr.: Die Cholera heilbar! Oder Beleuchtung aller bisher erschienenen Heilarten dieser Krankheit, nebst Angabe einer eigenen [...] ganz einfachen und sehr leicht allgemein ausführbaren Heilmethode. Für Aerzte und Nichtärzte, Quedlinburg und Leipzig 1836 Sertürner, Fr., Dr.: Dringende Aufforderung an das Deutsche Vaterland, in Beziehung der asiatischen Brechruhr, Göttingen 1831 Siegmeyer, J. G.: Betrachtungen über die Natur der Cholera. Mit Hinweisung auf die möglichen Heilmitteln nach physischen und chemischen Gründen, Berlin 1831 Siemerling, Fr., Dr.: Entschleierung der Cholera, nebst dem sprechendsten Beweise ihrer NichtContagiosität, und Angabe der Heilmittel [...], Hamburg 1831 Simon jun., Friedrich Alexander, Dr.: Der Vampirismus im 19. Jahrhundert, oder über wahre und falsche Indication zur Blutentziehung, nicht mit Beziehung auf Ernst von Grossi's tragischen Tod nach neunmaligen Aderlässen innerhalb von sechs Tagen, Hamburg 1830 Simon jun., Friedrich, Alexander: Oeffentliche und persönliche Vorsichtsmaaßregeln gegen die ostindische Brechruhr [...] gegründet auf naturgemäße Schlichtung des Streites über Kontagiosität und Nichtkontagiosität derselben, Hamburg 1831 Singer, Leonard, Dr.: Auch ein Wort über Cholera als Inaugural-Abhandlung, München 1837

Quellen- und Literaturverzeichnis Sinogowitz, Dr.: Ueber die Anwendung des Glüheisens bei Gelenkuebeln und Knochenkrankheiten, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde, 16 (1831), S. 201-226

405 der Geburt zu ersticken. Zweite Abtheilung [...], Nürnberg 1831

S-nn: Ueber die asiatische Cholera, ein Programm, Berlin 1832

Tilesius, W. G., Dr.: Neueste ableitende Behandlungsart der krampfartigen Cholera Asiatica. Mit Abbildungen der Instrumenta discussoria der Orientalischen Nationen, Leipzig 1831

Spindler, C.: Die Pest zu Marseille, in: Vergiß mein nicht. Taschenbuch für das Jahr 1833, hrsg. v. C. Spindler, Stuttgart 1833, S. 195-310

Traxel, August: Briefe aus Frankreich oder das neue Frankreich und das neue Belgien. Ein Zeit- und Sittengemälde. Erster Theil, Köln 1833

Spring, A. Fr., Dr.: Ueber Ursprung, Wesen und Verbreitung der wandernden Cholera. Mit Beziehungen auf die Epidemie in München 1836/37, München 1837

Truckenbrod, Johann, Dr.: Die Entstehung der neuern Form der Cholera nebst kurzgefasster Verbreitung bis nach Deutschland. InauguralAbhandlung, [München] 1837

Stein, L.: Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage, Bd. 1, Leipzig 1850

Uffer, G. J.: Versuch einer Darstellung der Cholera Morbus im Allgemeinen, 2. Aufl. Pesth 1832

Streicher, Paul Ernst, Dr.: Die Entlarvung der asiatischen Cholera. Eine auf Theorie und Erfahrung gegründete Systematik, Magdeburg 1832 Stucke, C.: Beitrag zur Erkenntniß der Natur und Heilung der Cholera. Nach eigenen Erfahrungen, Cöln 1832 Sue, Eugenfe]: Der ewige Jude [1844/45], Deutsche Originalausgabe, Bd. 8, Leipzig 1845 Sundelin, Karl: Darstellung einer gründlichen Ansicht von dem Wesen oder der eigentlichen Ursache der Cholera [...], Berlin 1831 Szápáry, Graf Franz v.: Flugschrift eines Oekonomen über einige höchst bedeutende Ursachen der seit mehreren Jahren unter unseren Augen so sichtbar zunehmenden Krankheiten, vorzüglich der Fieber und der so gefürchteten Cholera, sammt Angebung der gewiß wohlthätig dagegen wirkenden Mittel, Pesth 1831 Thukydides: Geschichte des Peloponnesisehen Krieges, hrsg. v. Georg Peter Landmann, Bd. 1, München 1993 Tilesius, Dr.: Ueber die Cholera und die kräftigsten Mittel dagegen, nebst Vorschlag eines großen Ableitungsmittels um die Krankheit in

Veith, Johann Emanuel: Die Cholera, im Lichte der Vorsehung. Ein Kanzelvortrag, gehalten am Schlüsse der öffentlichen Bittgänge in der Metropolitenkirche St. Stephan am 9. September 1831, Wien 1831 Vertrauet auf Gott und unsern Kaiser Franz, und fürchtet die Cholera nicht: Oder herzliche Ergießung zweyer Freunde, herbeygeführt durch den gegenwärtigen Drang der Umstände. Zur Aufmunterung den biedern Bewohnern Oesterreichs gewidmet von einem Menschenfreunde, Wien 1831 Virchow, Rud.: Die öffentliche Gesundheitspflege, in: Die medicinische Reform. Eine Wochenschrift, Nr. 8, 25. August 1848, S. 45-47 Virchow, Rudolf: Die Seuche (1849), in: ders., Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin, Frankfurt/M. 1856, S. 54-55 Wedekind, Freih. von, Dr.: Ueber die Maassregeln zur Verhütung des Fortschreitens der ansteckenden weissen Cholera, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinischchirurgischen Journalistik, III. Heft, Nr. 55 (1832), S. 871 f.

406 Weiß, Christian Konrad, Dr.: Coffea arabica, nach seiner zerstörenden Wirkung auf animalische Dünste, als Schutzmittel gegen Contagion, Freiberg 1832 Weiss, Roman, Dr.: Ein Beitrag zur nähern Begründung der Natur der Cholera, 2. Aufl. München 1831 Welcker, F. G., Dr.: Einfluß der Luft und der Winde [bei den Alten], in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde, 23 (1832), S.146-154 Wendt, Johann, Dr.: Ueber die asiatische Cholera bei ihrem Uebertritte in Schlesiens südöstliche Gränzen. Ein Sendschreiben an seine Amtsgenossen in der Provinz, Breslau 1831 Wetzler, Joh. Evang.: Meine wunderbare Heilung von beispielloser Hautschwäche und Geneigtheit zu Erkältungen durch eine Somnambule. Nebst [...] Anhang welcher die Aeußerungen derselben Somnambule über die Asiatische Cholera [...] enthält, Augsburg 1833 Wilhelmi, A. P., Dr.: Die bewährtesten und auf Autoritäten gegründeten Heilmethoden [...] der Cholera, oder das Wissenswürdigste über die sogenannte epidemische asiatische Brechruhr [...], Leipzig 1831 Wilhelmi, A. P., Dr.: Pharmacopoea anticolerica oder vollständiger Apparatus Medicamentorum gegen die verschiedenen Hauptformen der Cholera. Ein Handbuch für praktische Aerzte und Chirurgen, enthaltend 283 der bewährtesten, auf Autoritäten und rationelle Heilmethoden gegründeten Arzneivorschriften, Leipzig 1831 William Scot's amtlicher Bericht über die epidemische Cholera. Deutsch bearbeitet von Dr. J. F. Behrend. Bevorwortet und mit Anmerkungen begleitet von Dr. Moritz Heinrich Romberg, Berlin 1832 Wintrich, Marquard, Dr.: Die Cholera, beobachtet in der Neuzeit in Berlin, Leipzig und nordwärts. Nebst einem Anhang über galvanische Bäder in der Epidemie, Augsburg 1850

Anhang Wolmar, Enrico di: Abhandlung über die Pest nach vierzehnjährigen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen, Berlin 1827 Zimmermann, Dr.: Glücklicher Erfolg der Einspritzung einer Salzauflösung in die Vene einer Cholera-Kranken, in: Journal der practischen Heilkunde, II. St., August 1832, S.101-107 Zimmermann, Johann Georg: Von der Erfahrung in der Arzneykunst, 1. Theil, Zürich 1763 Zimmermann, Johann Georg: Von der Ruhr unter dem Volke im Jahr 1765, und denen mit derselben eingedrungenen Vorurtheilen, nebst einigen allgemeinen Ansichten in die Heilung dieser Vorurtheile, Zürich 1767 Zimmermann, K. G., Dr.: Bemerkungen in Bezug auf die Therapeutik der Cholera, in: Wöchentliche Beiträge zur Medicinischen und Chirurgischen Klinik mit vorzüglicher Berücksichtigung epidemischer, endemischer und epizootischer Krankheiten, 1 (1832), Nr. 5, 29. Dezember 1832, Sp. 65-80 Zimmermann, K. G., Dr.: Die Cholera-Epidemie in Hamburg während des Herbstes 1831. Historisch nach ihrer Entwickelung und Verbreitung so wie in ihrem pathologischen und therapeutischen Verhalten, Hamburg 1831 Zink, August, Dr.: Geschichtliche Bemerkungen über die epidemische Cholera während ihres Eintrittes und Herrschens in Wien, nebst einem Versuche das aetiologische Verhältniß derselben aufzuklären, Wien 1832 Zschokke, Theodor, Dr.: Moskau und Petersburg beim Ausbruch der Cholera Morbus. Mit Bemerkungen über die bisher gemachten Erfahrungen von dieser Krankheit, Aarau 1832 Zückert, Johann Friedrich, Dr.: Abhandlung von der Luft und Witterung und der davon ausgehenden Gesundheit des Menschen, Berlin 1770

Quellen- und Literaturverzeichnis

407

e) Literatur 1851-1910 ***, Die Mißerfolge der Staatsmedicin und ihre Opfer in Hamburg. Protest gegen die Auffassung über das Wesen der Cholera [...], Hagen i. W. [1893]

Braun von Braunthal: Das Ende der Welt, Wien 1851

[Anonym]: Das Pestjahr 1709-10 in Preußen. Ein Gegenstück zum Cholerajahr, in: Altpreussische Monatsschrift, 21 (1884), S. 485-507

Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlass von F. A. Stägemann, hrsg. v. F. Rühl, Bd. 3, Leipzig 1902

[Anonym]: Die Cholera und die Juden. Ein zeitgemäßes Gespräch mit dramatischem Abschluss, Beiiin 1892

Briefwechsel zwischen Pückler und Varnhagen von Ense, nebst einigen Briefen von Rahel und der Fürstin von Pückler-Muskau, hrsg. v. Ludmilla Assing-Grimelli, Bd. 3, Berlin 1874

[Anonym]: Gegen die asiatische Cholera. Gemeinnützige Schrift für das deutsche Volk [...], Berlin 1892 [Anonym]: Willkommen, Ihr Sieger!, in: Berliner Tageblatt. Morgen-Ausgabe, Nr. 207, 3. Mai 1884, [S. 1] Barth, Ernst, Dr.: Die Cholera mit Berücksichtigung der speciellen Pathologie und Therapie nebst einem Anhange, enthaltend die auf die Cholera bezügliche Gesetzgebung und sanitätspolizeilichen Vorschriften für Aerzte und Beamte, Breslau 1893 Bauer, Josef: Geschichte der Aderlässe, München 1870 Behring, Emil von: Einleitende Bemerkungen über die ätiologische Therapie von ansteckenden Krankheiten, in: ders., Gesammelte Abhandlungen zur ätiologischen Therapie von ansteckenden Krankheiten, Leipzig 1893, S. VII-LXXI Bericht über die Thätigkeit der zur Erforschung der Cholera im Jahre 1883 nach Egypten und Indien entsandten Kommission, unter Mitwirkung von Dr. Robert Koch, bearbeitet von Dr. Georg Gaffky, Berlin 1887 Bölsche, Wilhelm: Bazillus-Gedanken, in: ders., Vom Bazillus zum Affenmenschen. Naturwissenschaftliche Plaudereien (1900), 2. Aufl. Leipzig 1903, S. 3-42

Brefeld, Franz, Dr.: Die endliche Austilgung der asiatischen Cholera, Breslau 1854

Cohn, Ferdinand, Dr.: Ueber Bacterien, die kleinsten lebenden Wesen, Berlin 1872 Cohn, Ferdinand, Dr.: Unsichtbare Feinde in der Luft, in: ders., Die Pflanze. Vorträge aus dem Gebiete der Botanik, Breslau 1882, S. 463484 Dehmel, Richard: Ein Dankopfer, in: Freie Bühne für modernes Leben, 1 (1890), S. 1132f. Der Choleralärm in Europa 1884. Ein Wort an Jedermann aus Wissenschaft und Erfahrung. Historisch-hygienische Studie [...]. Von einem erfahrenen Arzte, Hannover 1884 Dornblüth, Fr., Dr.: Ursachen und Verbreitungsweisen der Cholera und Schutzmaaßregeln gegen dieselbe, Rostock 1860 Dräsche, Anton: Über den gegenwärtigen Stand der bacillären Cholerafrage und über diesbezügliche Selbstinfektionsversuche, Wien 1894 Drigalski, Dr.: [Zwischenstand der bisherigen Typhus-Kampagne], in: Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 38 (1906), S. 19-32 E...d: Aus den Erlebnissen der Provinz Preussen im Jahre 1831 beim ersten Auftreten der Cholera, in: Altpreussische Monatsschrift, 21 (1884), S. 1-58 Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath: Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835.

Anhang

408 Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896 Engel, E.: Die Cholera-Epidemie des Jahres 1866 mit einem Rückblick auf die früheren Epidemien, in: Zeitschrift des Königl. Preuß. Statistischen Bureaus, 9 (1869), S. 70-98 Entstehung, Verhütung und Bekämpfung des Typhus bei den im Felde stehenden Armeen. Bearbeitet von der Militär-Abteilung des Königlich-Preussischen Kriegsministeriums, Berlin 1900 Erdmannsdoerffer, Hans Gustav: Die Juden und die Cholera. Eine intolerante Streitschrift, Leipzig 1892 F., Dr.: Der Entdecker des Cholerapilzes, in: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, 32 (1884), Nr. 26, S. 433 Fabri, Friedrich: Briefe gegen den Materialismus, Stuttgart 1856 Flügge, C., Dr.: Die Verbreitungsweise und Verhütung der Cholera auf Grund der neueren epidemiologischen Erfahrungen und experimentellen Forschungen, in: Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten, 14 (1893), S. 122-202 Flügge, C., Dr.: Grundriss der Hygiene. Für Studirende und praktische Ärzte, Medicinal und Verwaltungsbeamte, Leipzig 1889 Flügge, Carl: Ueber die Förderung des hygienischen Unterrichts, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 17 (1884), S. 7-21 Fontane, Th.: Der deutsche Krieg von 1866. Mit Illustrationen von Ludwig Burger, Bd. 2, Berlin 1871

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450

Anhang

2. Personenregister Abbe, Ernst 340, 356 Ackerknecht, Erwin H. 191-194 Ackermann, Jakob Fidelis 63 Alembert, Jean Lerond d' 26 Alexander von Tralles 42f. Alkmaion von Kroton 50 Alt, Konrad 325 Altenstein, Karl Freiherr vom Stein zum 189, 191,198,268, 270 Althoff, Friedrich 299, 305, 364 Anaxagoras 80,144 Anaximenes 144 Ancillon, Johann Peter 164 Aristoteles 19,59, 63,75, 82f„ 137, 331, 354 Arndt, Ernst Moritz 54, 207, 259 Arndt, Johann 355 Arnim, Bettine von 165f. Aston, Louise 280 Augustin 145 Aurelianus, Caelius 43 Baader, Franz von 206 Bachelard, Gaston 19,47, 251 Bacon, Francis 26 Baer, Karl Ernst von 33,189,194 Baldwin, Peter 192f. Barchewitz, Emst 92 Bardeleben, Moritz von 265 Barthes, Roland 46 Beccaria, Giovanni B. 141 Beck, Karl 230 Behring, Emil von 299, 302f„ 362, 375 Below, Ernst 337f. Bengel, Albrecht Johann 229 Berg, Alban 68 Bernstorff, Elise von 200 Bichat, François Xavier 356 Billroth, Theodor 319,334 Bismarck, Otto Fürst von 290, 296, 314, 379 Black, Max 53 Blumenberg, Hans 37, 53, 354 Blundell, James 118-120 Bölsche, Wilhelm 383, 386 Bonnet, Charles 83 Börne, Ludwig 208 Bourdelais, Patrice 192

Bourdieu, Pierre 94, 215, 218, 376 Brahe, Tycho 19,25,137,354 Broglie, Louis de 19 Broussais, François-Joseph-Victor 52, 93 Brown, John 107 Bruno, Giordano 353 Buchner, Hans 334f. Buffon, Georges-Louis Leclerc de 283, 33lf., 335 Buhl, Ludwig 284 Burdach, Karl Friedrich 189, 283 Burke, Kenneth 227 Caracalla 382 Carter, K. Codell 323 Casper, Johann Ludwig 121 Celsus 43 Certeau, Michel de 26 Charcot, Jean-Martin 341 Chladni, Emst Florens Friedrich 36 Christine von Schweden 25 Clausewitz, Karl von 233f„ 236 Clemens von Alexandrien 81 Cohn, Ferdinand 322, 328, 332-335, 337, 339f„ 363,386 Cohnheim, Julius 322 Coler, Alwin von 298f. Comte, Auguste 380f. Condrau, Flurin 193 Cooter, Roger 192 Damton, Robert 73,127 Darwin, Charles 19,289, 329, 334-339 Daston, Lorraine 343 Daumer, Georg Friedrich 284 Davaine, Casimir-Joseph 315 Delteil, Joseph 68 Denis, Jean Baptiste 119 Descartes, René 25, 75f„ 118, 352 Dettke, Barbara 247 Diderot, Denis 26 Dieffenbach, Johann Friedrich 94,109,120-122 Donato, Leonardo 355 Douglas, Mary 153,211 Dujardin, Félix 333 Dunin, Marcin von 185

Personenregister Durkheim, Emile 361 Ehrenberg, Christian Gottfried 333 Ehrlich, Paul 289,334 Eliade, Mircea 21 Evans, Richard J. 193 Farr, William 360 Feuerbach, Friedrich 155, 225 Feuerbach, Ludwig 155,225,284 Fichte, Immanuel Hermann 164 Fichte, Johann Gottlieb 283 Ficino, Marsilio 119 Fischer, Bernhard 299 Reck, Ludwik 332, 347 Flottwell, Eduard Heinrich von 185,269 Flügge, Carl 363, 367, 371f„ 375 Fontenelle, Bernard de 75f. Förster, Friedrich 259 Forster, Georg 283 Foucault, Michel 23,264 Fracastoro, Girolamo 17, 8If., 197, 245 Fraenkel, Carl 347, 371 f. Friedrich II. von Dänemark 25 Friedrich II. von Preußen 26, 238, 255 Friedrich Wilhelm I. von Peußen 238 Friedrich Wilhelm III. von Preußen 106,164, 167,171, 207, 215, 217, 233f., 259, 264, 269, 272, 290 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 71, 194, 216 Gaffky, Georg 299, 335, 337, 370, 384 Galen 17,42f„ 50f„ 80,93,110,125,143, 147 Galilei, Galileo 25, 349, 352-355 Galvani, Luigi 102,104,122-125 Gärtner, August 299 Gehlen, Arnold 361 Geison, Gerald L. 21 Genschorek, Wolfgang 287 Gentz, Friedrich von 163,198f. Girard, René 76 Gneisenau, August Wilhelm Anton Graf Neidhardt von 233f„ 247, 249, 272 Goebbels, Joseph 286 Goethe, Johann Wolfgang von 29f., 163 Görres, Joseph von 229 Gottsched, Johann Christoph 283, 354 Gottstein, Adolf 298 Graefe, Albrecht von 94 Grew, Nehemiah 351

451 Grimm, Wilhelm 163 Grotjahn, Alfred 298 Groves, Richard H. 133 Gruber, Max von 334 Grün, Anastasius 230 Gutzkow, Karl 224, 229, 265 Haeckel, Ernst 336 Haeser, Heinrich 139 Hagner, Michael 358 Hahnemann, Samuel 94,107f„ 125,148 Halley, Edmund 138,356 Hallier, Ernst 319,334 Hardenberg, Karl August Fürst von 127 Harvey, William 119 Hecker, Justus Friedrich Carl 17, 138,139, 285 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 63,70,186, 206,284 Heine, Heinrich 223,225f„ 229f. Heinroth, Johann Christian August 282 Helmholtz, Hermann von 344 Helmont, Jan Baptist van 51 Henle, Jakob 84,319,357 Herder, Johann Gottfried 283,331 Herlihy, David 240f., 246 Herloßsohn, Carl 230f. Heymann, Bruno 341 Hippokrates 17,42f„ 50, 80,113,125,134f„ 143f„ 150, 251,323 Hogarth, William 74 Holbach, Paul Thiry d' 328 Hooke, Robert 350f. Horn, Ernst 114 Howard-Jones, Norman 362 Hueppe, Ferdinand 329, 337, 362 Hufeland, Christoph Wilhelm 42, 64, 85,94, 106,110,127,134,136,152, 257,282 Humboldt, Alexander von 331 Humboldt, Wilhelm von 127,163 Hume, David 352 Hunter, William G. 313 Isidor von Sevilla 81 Jähnichen, Friedrich 120,122 Jeismann, Michael 291 Jenner, Mark S. R. 73 Joas, Hans 238 Johnson, Mark 58

Anhang

452 Kant, Immanuel 344f. Katharina II. von Rußland 25 Kepler, Johannes 25, 353f. Kinzelbach, Annemarie 192 Kircher, Athanasius 82f. Kirchner, Martin 299 Klebs, Edwin 319f., 322, 332-334 Klencke, Hermann 70 Koch, Robert 9, 19f„ 23, 28, 72, 82, 84, 101, 121, 155, 287, 289, 292, 294, 297-308, 310, 312-329, 332, 334-348, 357f„ 360-380, 382-386 Kopernikus, Nikolaus 62, 320 Koreff, David Ferdinand 127 Koyré, Alexandre 353 Kratzenstein, Christian Gottlieb 123 Krüger, Johann Gottlob 123 Kuhn, Thomas 319 La Mettrie, Julien Offray de 118 Labisch, Alfons 303 Lakoff, George 58 Landsteiner, Karl 334 Latour, Bruno 21,318,323,340,348 Laube, Heinrich 223 Le Goff, Jacques 151 Leeuwenhoek, Antoni van 82, 350f., 356 Leibniz, Gottfried Wilhelm Freiherr von 26, 354 Lenau, Nikolaus 230 Lenoir, Timothy 22,357 Leo, Leopold 104, 106f. Lepenies, Wolf 136,330,332 Lesky, Erna 243 Leuthold, Rudolph von 299, 305 Leviseur, Julius 107, 109 Lingg, Hermann 311 Link,Jürgen 53 Linné, Carl von 82f„ 331f„ 335 Lister, Joseph 333 Locke, John 351 f. Loder, Justus Christian von 139 Loetz, Francisca 264 Löffler, Friedrich 82, 299, 334, 339, 371 Loos, Gottfried Bernhard 54 Lorinser, Carl Ignatius 190, 194 Lower, Richard 119 Lübbe, Hermann 223 Luckmann, Thomas 23,222 Lucretius 80, 157

Ludwig I. von Bayern 206 Luther, Martin 354 Maaßen, Karl Georg von 269 Malebranche, Nicolas de 75 Malinowski, Bronislaw 359, 361 Malpighi, Marcello 351 Malthus, Robert 161f.,241 Martin, Anselm 252 Marx, Karl 70, 219 Marx, Karl Friedrich Heinrich 159 Mazumdar, Pauline H. M. 334 McNeill, William H. 18 Mendelejew, Dmitrij Iwanowitsch 331 Mendelsohn, John Andrew 22, 301 Merton, Robert K. 25, 191 Meslier, Jean 76 Mesmer, Franz Anton 122f., 126-129 Metschnikoff, Elias 289 Metternich, Klemens Wenzel Nepomuk Lothar Fürst von 206,235 Minutoli, Julius Freiherr von 265 Möbius, Paul Julius 63 Molière, Jean-Baptiste 104 Moltke, Helmuth Graf von 379 Moncrifs, François-Augustin Paradis de 76 Morgagni, Giovanni Battista 51,96 Müller, Otto Friedrich 333 Naegeli, Carl Wilhelm von 334-336 Napoleon I. 67,140, 216f., 228, 234f„ 258-260, 269, 273, 295 Neander, Daniel Amadeus 179 Neisser, Albert 325 Newton, Sir Isaac 352f., 356 Niebuhr, Barthold Georg 163 Nipperdey, Thomas 221,235 Nocht, Bernhard 299 Nolte, Ernst 140f. Nutton, Vivian 80 Obermeier, Otto 315 Ockham, Wilhelm von 319,366 Oken, Lorenz 60 Otto, Rudolf 386 Ovid 119 Pacini, Filippo 20,121, 360-363 Paracelsus 51,125, 25If. Parsons, Talcott 361

453

Personenregister Passow, Karl Adolf 9 Pasteur, Louis 19, 21, 23, 299, 312-314, 318-321, 328, 334f„ 340, 348, 379 Paulus 145 Pegel, Magnus 119 Pelling, Margaret 192 Petri, Richard Julius 370f. Pettenkofer, Max von 154-156, 254, 297f., 302, 311, 318, 327, 329, 336, 359, 362-364, 366, 368-372, 374f. Pfeiffer, Richard 299,347 Pfuhl, Karl Eduard 299 Pinel, Philippe 39f., 52,114 Plinius der Ältere 89 Plutarch 80 Potter, Francis 119 Reil, Johann Christian 114f. Renk, Georg Friedrich 368 Riley, James C. 133 Ringer, Fritz K. 300 Ritter, Gerhard 236f. Ritter, Johann Wilhelm 60 Robert, Ludwig 216 Roux, Émile 312 Rubner, Max 364 Rudolf II. von Habsburg 25 Rudolphi, Karl Asmund 87f. Ruge, Arnold 224,284 Rust, Johann Nepomuk 134, 190, 194, 196-198, 270f. Sachs, Albert 189-191 Sarasin, Philipp 102 Savigny, Friedrich Karl von 163 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 60 Schjerning, Otto von 299 Schleiermacher, Friedrich 71,161 Schlich, Thomas 327 Schlieffen, Alfred von 287, 289, 298, 301, 306 Schnurrer, Friedrich 136,138f. Schön, Theodor von 194-196,198, 272f. Schönlein, Johann Lukas 129f. Schopenhauer, Adele 30 Schütz, Alfred 23 Serres, Michel 380,385 Shapin, Steven 25 Shelley, Mary W. 231 Sloterdijk, Peter 58

Smith, Adam 192,386 Snow, John 157 Sombart, Werner 236 Sontag, Susan 56, 281, 288 Spallanzani, Lazzaro 83 Spindler, Carl 228 Sprengel, Rainer 255 Stafford, Barbara Maria 343 Stark, Karl Wilhelm 139 Starobinski, Jean 160 Stein, Lorenz von 219 Stelluti, Francisco 349 Stichweh, Rudolf 123 Strauß, David Friedrich 284 Streicher, Paul Ernst 141-143 Sue, Eugène 99,143 Süßmilch, Johann Peter 161 Swammerdam, Jan 351, 381 Sydenham, Thomas 38,40, 81,134f. Talbot, Henry Fox 341 Temkin, Owsei 145 Theweleit, Klaus 69 Thile, Ludwig Gustav von 107,195, 272 Thuillier, Louis 312f. Thukydides 86,239,294 Tippeiskirch, Emst Ludwig von 167, 276, 279f. Turner, Steven 22 Uhlenhuth, Paul 299 Unger, Hellmuth 286 Urban VIII. 350 Varnhagen, Rahel 163, 168,181, 216 Varrò, Marcus Terentius 80 Veith, Johann Emanuel 207 Verworn, Max 329 Vesalius, Andreas 63 Virchow, Rudolf 51, 191, 212, 303, 314, 318f„ 322, 324, 336, 342,363, 380f. Voegelin, Eric 220 Volta, Alessandro 124,141 Washington, George 112 Weber, Max 25, 378 Weininger, Otto 63 Wernicke, Erich 299 Wieland, Christoph Martin 223 Wilhelm I. 314 Wilhelm II. 206,305,380

454 Wilson, Catherine 351 Wohl, Jeanette 208 Wolfart, Karl Christian 127f. Wolff, Christian Freiherr von 354 Wunderlich, Carl Reinhold August 100

Anhang Zeiss, Carl 340,356 Zelter, Karl Friedrich 30 Zimmermann, Johann Georg 38,40, 121 Zinn, Karl Georg 16,240,246 Zitterland, Friedrich Wilhelm Leopold 87

Olaf Briese Angst in den Zeiten der Cholera II

OLAF

BRIESE

Angst in den Zeiten der Cholera Panik-Kurve. Berlins Cholerajahr 1831/32 Seuchen-Cordon II

Akademie Verlag

Abbildung auf dem Einband: Gustave Dorf, Illustration zu Ariost, „Roland Furieux", Hachette, Paris 1879

ISBN 3-05-003779-2

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 2003

Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

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Einbandgestaltung: Hans Baltzer, milchhof: atelier 24, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza

Gedruckt in Deutschland

Inhalt

Einleitung 1. 2. 3. 4. 5.

Heilsökonomie Dramaturgie Geburt der Tragödie Das große Welttheater Die Schlachtbank der Geschichte

Dokumente 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Exposition: Nachrichten aus der Ferne Steigerung: „Cholera ad portas" Höhepunkt: Cholera in der Stadt Katastrophe und Läuterung: Hegels Tod Ausklang und Versöhnung Nachklänge

7 9 10 10 12 14

16 16 37 131 298 326 362

Einleitung

Aus dem Staub der Archive: In der Cholera-Zeit 1831/32 gab das Königliche Consistorium zu Berlin drei Circular-Verfügungen, sogenannte Einschaltungen in das allgemeine Gebet, heraus. Durch Anweisung vom 2. Juli 1831, 7. September 1831 und 5. Januar 1832 war damit für alle Superintendenten verbindlich geregelt, wie die Untertanen des preußischen Königs in seiner Residenz bzw. der Provinz Brandenburg mit ihrem Gott zu sprechen hatten. Die Ironie: Im Grunde gehorchten die Autoritäten der preußischen Staatskirche selbst nur einer höheren Ordre. Sie gaben nur vor, was die Stunde gebot. Sie folgten mit ihren Anweisungen einer Krisenlogik, die nach Grad der Bedrohung bestimmte, wie sich der öffentliche Angsthaushalt regelte. Anfangs, nachdem die Cholera im Sommer 1831 in das östliche Preußen eingedrungen war, genügte am 2. Juli 1831 noch eine lapidare Notiz. König Friedrich Wilhelm III. habe es für nötig erachtet, die Formel „Bewahre uns vor Seuchen und ansteckenden Krankheiten" in den kanonisierten Gebetstext einfügen zu lassen. Wie stets in Krisensituationen, war diese abwartende Reaktion eine Mischung aus Kenntnisnahme und abgezwungenem Understatement. Auf diese Weise reagieren staatliche Verwaltungen anfangs wohl immer auf herannahende Bedrohungen. Die nächste offizielle Gebets-Anweisung vom 7. September - nunmehr hatte die Seuche auch die preußische Hauptstadt erreicht - schlug der zwingenden Krisenlogik gemäß einen anderen Ton an. In einem mehrseitigen und vertraulichen, in barock anmutender Kanzleisprache verfaßten Schreiben wurde die bedrängende Lage eingestanden. Man hielt die Geistlichen dazu an, allen religiösen Zweifeln, Äußerungen des Unmuts, gar kollektiven Ausbrüchen des Zorns entgegenzuwirken. Die offizielle Gebetsformel sah dementsprechend vor, nunmehr die Cholera und ihre tragischen Folgen ausführlich zu erwähnen. In geradezu dramatischem Ton sollte um Abwendung von Landplagen, Seuche und Not gefleht werden. Ohne jeglichen optimistischen Überschwang Schloß diese Anweisung mit den Worten: „Trockne die Thränen der Trauernden, lindere die Schmerzen der Kranken, und mache den Sterbenden die letzte Stunde leicht." Mit der letzten Formel vom 5. Januar 1832, als sich inzwischen abzeichnete, daß die Hauptstadt Berlin und ganz Preußen in den nächsten Tagen oder Wochen von dem Übel erlöst werde, konnten sich die kirchlichen Autoritäten wieder auffallend kühner geben. Man dankte für den Schutz und die Hilfe Gottes, mit denen er die Menschen bewahrte, dafür, daß er ihre Sünden nur gelinde bestrafte. Geradezu triumphierend hieß es schließlich, daß alle väterlichen Züchtigungen nur der anwachsenden Frömmigkeit dienten:

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Panik-Kurve - Berlins Cholerajahr 1831/32 Du wirst auch ferner, bey allem, was Du uns zuschickst, Dich unser erbarmen, und uns im Leben und im Sterben ein treuer Helfer seyn. Möchte es Dir gefallen, die schwere Seuche von unserm Lande bald völlig hinwegzunehmen, und die Wunden zu heilen, die sie geschlagen hat.

In diesen bemerkenswerten Verordnungen und der ihnen eigenen Panikkurve spiegelt sich nicht nur die ephemere Sicht von Berliner Bischöfen und Konsistorialbeamten wider. Im Gebet fand die soziale Ordnung ihren Widerhall. Denn ein ganzer städtischer Organismus wie Berlin bewegte sich in dieser Kurve. Folgt man den durch diese Dokumentation chronologisch erschlossenen Druck- und Archivzeugnissen - umfangreichen essayartigen Korrespondenzberichten, Pressemitteilungen, offiziellen Rundschreiben und Erlassen, medizinischen Broschüren und Journalartikeln, Sonntags- und Leichenpredigten, privaten Tagebuchnotizen und vieles mehr - fallt immer wieder dieses eine geradezu stereotyp wiederkehrende Muster auf: Erstens ist die Cholera noch fern. Wer solle sich darum sorgen. Zweitens folgt eine dramatische Überspitzung auf den Höhepunkt von Angst und Schrekken. Drittens wird der Sieg gefeiert. Die Stadt hat alle Anfechtungen bestanden. Das Gemeinwesen hatte sich bewährt und geht gestärkt aus der Katastrophe hervor. Privatbriefe aus Berlin bezeugen ebenfalls erleichtert diesen Umschwung, wie zum Beispiel ein Schreiben Karl August Varnhagen von Enses vom 27. Oktober 1831: Ein Schrecken ist es immer, wenn es nun wirklich heisst, das langbefürchtete Uebel sei da, doch ein Schrecken, der meines Erachtens sich alsbald wieder mässigen und zu den gewöhnlichen Gemütsstimmungen niedersenken muß. Mich traf es fast, als ich, nach ängstlichen Tagen, in der Zeitung wirklich las, nun ist auch Hamburg befallen, ich war bei und mit Euch und erlebte im Geiste zum zweitenmale den Einzug des düstem Uebels. Da nun aber die ersten Tage überstanden sind, hoffe ich für Euch dieselbe Wendung, die wir hier erfahren haben, und deren ich gleich in der ersten Zeit teilhaft werden konnte. Ich sehe in der Cholera nichts mehr als einen der vielen Feinde, die unser Leben täglich bedrohen, und mit denen wir leben und uns nach besten Kräften herumschlagen, grossenteils auch gar nicht abgeben, und wenn ihr erstes Auftreten vorüber sein wird, dürfte sie unter diesen Feinden nicht einmal den furchtbarsten beizuzählen sein, besonders wenn auch die ärztliche Wissenschaft und Kunst erst vertrauter mit ihr geworden. Katastrophe, das ganz andere, das alle Regeln außer Kraft zu setzen scheint, folgt selbst bestimmten Regeln. Sie erweist sich nicht als chaotisches Durcheinander. Vielmehr ist sie selbst eine Form von Ordnung. Katastrophe heißt Wendung und Umschlag: wortwörtlich. Natürlich ist dieser Umschlag vorerst eine Abwärtsbewegung, eine Depravation. Er mündet in eine Krise. Aber diese birgt schon immer den regulativen Zug zur Lösung in sich. Katastrophe, was immer sie auch nach sich zieht, ist vorweggenommene Katharsis. Insofern scheint es gar keine Katastrophe als Zustand zu geben, sondern lediglich die beständige Arbeit an ihrer Aufhebung.

Einleitung

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1. Heilsökonomie Die Bemühungen des Berlin-Brandenburgischen Konsistoriums, qua Verordnung die Ängste ihrer Untertanen zu kanalisieren, erübrigten sich schließlich. Mit Dekret vom 10. Februar 1832 ward bestimmt, daß am 19. des Monats in allen Berliner Kirchen das „Dankfest für die glückliche Befreiung unserer Stadt von der Cholera" zu feiern sei. Auf einem der Feste für diese glorreiche Befreiung zog der Prediger der Dreifaltigkeitskirche, Friedrich Schleiermacher, ein denkwürdiges Resümee. Gerade dabei unterließ er es nicht, schmerzliche Angelegenheiten zu berühren. Derer, die „als Opfer dieser verheerenden Krankheit gefallen sind", gedachte er in besonderer Weise: Jeder Todesfall soll auf einen Theil unserer Gemeinen wenigstens immer auch einen lehrreichen und erhebenden Eindrukk machen, und uns von der äußeren Erscheinung auf das innere Geheimniß und die tiefere Bedeutung des Lebens zurükkführen; und dies ist gleichsam der le[t]zte Dienst, den jeder der Gemeinschaft leistet, in der er selbst des göttlichen Wortes theilhaftig geworden ist. [...] Und wenn nun Angehörige und Freunde die entseelte Hülle eines geliebten Todten zur Ruhe begleiten: kommen sie wo[h]l leicht dazu, im Gefühl ihres Verlustes sich über das einzelne zu erheben? [...] Und so haben die Opfer dieser Krankheit, auch die welche fern von den Ihrigen der öffentlichen Pflege anvertraut den le[t]zten Athem ausgehaucht haben und auch abgesondert von ihren Vorangegangenen nur unter denen, die dasselbe Loos getheilt, ruhen, diesen le[t]zten und wichtigen Dienst auf eine ausgezeichnete Weise geleistet. Die Opfer, so das Fazit, sind nicht umsonst gewesen. Ihnen haftet nichts Vergebliches an. Sie leisten, so Schleiermacher, einen wichtigen Dienst. Der Mensch bleibt ein Diener Gottes, übergeordneter Instanzen, ein Glied der christlichen Gemeinschaft. Noch im Tod bewährt sich eine Heilsökonomie, die Verlust und Gewinn in ausgewogener Balance zu halten vermag. Es wäre ein Irrtum, dieses Argumentationsmuster nur christlicher Apologetik zuzuschreiben. Es folgte einer anderen Logik. Vieles spricht dafür, daß der Bedarf an Heilsökonomie anthropologisch verankert ist. Dieses Bedürfnis ist das Primäre. Sekundär sind die verschiedenen Mittel, es zu befriedigen. Es braucht keine christliche Weltsicht, um aus katastrophalen Ereignissen noch immer den Funken Hoffnung zu schlagen, der die Flamme der Zuversicht am Leben erhält. So zeigt die folgende Dokumentation am Beispiel der Cholera, wie die Gestorbenen immer wieder nachhaltig zu Opfern für den sozialen oder medizinischen Fortschritt stilisiert wurden. Sie seien „für Alle als Opfer gefallen", wie es in einem Rückblick des Rektors des „Gymnasiums zum grauen Kloster" von April 1832 hieß. Was genau aber macht die Attraktivität dieses heilsökonomischen Musters aus, worauf gründet es sich?

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Panik-Kurve - Berlins Cholerajahr 1831/32

2. Dramaturgie Aphoristisch sind Drama und Epidemie schon damals nicht selten in eins gesetzt worden. Vergleicht man den klassischen Verlauf einer Tragödie mit epidemischen Abläufen nun genauer, ergeben sich mindestens zwei Optionen. Sie folgen dem Modus des Theaters, wie Albert Camus' Roman „La Peste" (1947) mit seiner klar erkennbaren Dramenstruktur nahelegt. Ebenfalls wäre möglich, mit Antonin Artauds Essay „Das Theater und die Pest" (1933) im Drama einen Spiegel realer Konfliktzuspitzungen und Lösungen zu sehen. Der bekannte amerikanische Medizinhistoriker Charles E. Rosenberg hat 1989 in seinem Aufsatz „What is an epidemic? AIDS in historical perspective" diese Alternativen eher zugespitzt als sich für eine von beiden entschieden. Seine Hypothese: Jede Epidemie weise eine klassische Einheit von Raum und Zeit auf, einen einheitlichen Handlungskern. Der reiche von der Störung eines Gleichgewichts über Krise, Mobilisierung des Gemeinwesens bis hin zur Wiederherstellung der Ausgangslage. Sie habe klar zu beobachtende Spannungsbögen und eine eindeutig dramatische Form. Sein Schluß: Epidemien würden dramatischen Kunstwerken gleichen. Auf ihre Weise seien sie Ausdruck einer Real-Dramatik: „Epidemie incident as dramaturgic event". Wie die Akte eines konventionellen Dramas ablaufen, so würden die Ereignisse einer Epidemie eine exakt bestimmbare Akt-Struktur zeigen: Erstens: Allmähliche Enthüllung der Gefahr. Zweitens: Akzeptanz der Bedrohung, Suche nach Erklärungen sowie gegenseitige Schuldzuweisung bis hin zur Jagd auf Sündenböcke. Drittens: Zunehmendes Krisenmanagement durch Integration und Solidarität. Viertens: Stilisierung der Ereignisse zu einem dramatisch errungenen Sieg. Mit Blick auf Aids betont Rosenberg, daß dieser geradezu traditionelle Ablauf unser Bedürfnis nach geordneten Formen und Riten bezeuge. Damit ist vieles beschrieben, aber noch wenig erklärt. Denn eine grundsätzliche Frage hat auch dieser zweifellos anregende Essay unbeantwortet gelassen: Warum ist es gerade diese Form, die das Seuchengeschehen annimmt? Wenn es einen Bedarf an Regeln und Riten, einen starken sozialen Ordnungsbedarf gibt, der sich gerade auch in äußersten Bedrohungen manifestiert, warum erfüllt er sich gerade mittels Vollzug dramatischer Strukturen? Was zeichnet dramatische Abläufe vor anderen Verlaufsstrukturen aus?

3. Geburt der Tragödie Die Anfänge des Theaters in Europa liegen im Dunkeln. Werner Faulstich, der in seiner Studie „Das Medium als Kult" diesen Ursprüngen erneut nachging, fand den Stand der Kenntnisse schlichtweg entmutigend. Das liegt aber weniger daran, daß aussagekräftige Quellenmaterialien nur bedingt überliefert sind, sondern eher an einer aktualisierenden Selbstverständlichkeit, mit der die griechischen Dramen qua Ur- und Selbstzeugung in die antike Polis verpflanzt werden, die selbst wieder nur als getreues Spiegelbild neuzeitlicher Sozietäten gilt. Diesem modernisierenden Muster - Renate Schlesier hat es unter anderem in „Kulte, Mythen und Gelehrte" beispielhaft kritisch aufgearbeitet - folgt selbst noch der renommierte Althistoriker Christian Meier, wenn er ausführlich darlegt, wie die griechische

Einleitung

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Tragödie als Medium der politischen Meinungsbildung, als säkularisierter Aushandlungsort einer entwickelten Demokratiekultur diente. Natürlich symbolisieren Dramen die Lösung von Krisen, sie antizipieren und leisten sie. Nicht ohne Grund haben Dramentheorien von Aristoteles bis zu Wilhelm Dilthey immer wieder darauf hingewiesen, wie durch eine zwingende strukturelle Logik Ordnungsstörung qua Opfer in Ordnungsstiftung mündet. Das ist aber keine ausschließliche Leistung des Dramas oder des Theaters als Kunstform. Dieser Entlastungs- oder Stabilisierungseffekt hat seine Wurzeln in Kultformen, die dem Theater vorausgingen. Erst von da her kristallisierte sich eine autonome ästhetische Dramen- und Theaterkultur heraus. Kultformen wurden zu Kunstformen. Dramen verdichten Grundmuster, die jenseits der Stücke bzw. der Bühne gelten, die ihr vorausliefen, sie begleiteten und noch heute begleiten. Drama und Theater arbeiten mit geborgtem Material, um es entsprechend den Regeln, die sich aus der schließlichen Autonomie von Drama und Theater ergeben, ästhetisierend zu transformieren und zu verdichten. Wie bereits erwähnt - die Anfänge dieser Umwandlung liegen im Dunkeln. Zumindest kann mit Aristoteles daran erinnert werden, daß die griechischen Dramen ihre Ursprünge in dionysischen Kulten haben. Allein der Name weist darauf zurück: Tragodia, „Gesang aus dem Anlaß des Bocks". Diese Kulte waren Initiations-, Fruchtbarkeits- und Opferzeremonien. Sie umschlossen, folgt man Interpretationen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts, die freilich nicht das letzte Wort in dieser Sache haben müssen, orgiastische Riten, Tieropfer, Rauschmittel- und Alkoholkonsum wie ekstatische Tänze gleichermaßen. Diese Aufzüge dienten aber nicht nur der Ausstellung ungetrübter Sinnenfreude und der enthusiastischtranceartigen Suche nach leiblicher und seelischer Harmonie. Denn Rausch des Lebens und Rausch der Vernichtung lagen dicht beieinander. Sie bedingten und reproduzierten sich. Rausch führte zu Raserei, Raserei zu Gewalt, Gewalt gipfelte in blutiges Opferritual. Leben hieß Sterben, Tod hieß Wiedergeburt. Dabei waren es eben nicht nur Tiere, die auf dem ekstatischen Höhepunkt der Festgemeinde zum Opfer fielen: Menschen, nicht selten Kinder, stillten den berechnet-tranceartigen Hunger nach Leben und Blut. Diese „barbarischen" Höhepunkte waren keine Entgleisungen einer etwa an sich schon fragwürdigen Festkultur, sondern möglicherweise ihr unabdingbarer Bestandteil. Erst im Opfer formte und festigte sich die Gemeinschaft. Opferriten - man denke an die ebenso wegweisenden wie umstrittenen Studien Rene Girards - sind die intensivsten Mechanismen von Integration. Die Gemeinschaft erhebt sich selbst zum Ich und stiftet den Bund mit sich und mit dem vermenschlichten Gott: im Rausch, in geschlechtlicher Vereinigung und schließlich im sakral-orgiastischen Mord. In der Grenzüberschreitung, im Ausnahmezustand werden die Regeln für den profanen Alltag gestiftet. Die utopische Vereinigung im Opfer findet ihre Verwirklichung in der alltäglichen Realität der Blutschuld: Bindung durch Mittäterschaft, Sühne durch Vergemeinschaftung. Schließlich vollzog sich - wie Friedrich Nietzsche, George Thomson und Werner Faulstich in ihren Untersuchungen zeigten - der Wandel vom Dionysoskult zum antiken Theater. Musik und Gesang wandelten sich in das artifizielle Wechselspiel von Chor, Rede und Dialog. Tanz wurde zu dramatisch inszenierter Geste, heilige Bezirke wandelten sich zu Theaterstätten, aktive Teilnehmer wurden zu anteilnehmenden Zuschauern, Schamanen avancierten zu Dichtern bzw. Schauspielern. Die sozial-therapeutische Funktion des Kultes

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wurde im Drama dennoch bewahrt (ob man nun Tragödie und Komödie auf eine gemeinsame kultische Wurzel zurückführt oder die Komödie als späteres Nebenprodukt betrachtet). Es gewährte weiterhin das Wechselspiel von Affektfreisetzung und -bindung, mit dem sich Konflikte bannen ließen. Nur ging die betreffende Aktivität allein auf die Bühne über. Die Leistung der Zuschauer bestand nunmehr im Nachvollzug von Trauer und Mitleid. Aber allein dieser Nachvollzug ermöglichte die Katharsis, die nach Aristoteles den Kern jener Aufführungen ausmacht. Daß das Beispiel, auf das er sich in seiner „Poetik" immer wieder bezieht, Sophokles' „König Ödipus", übrigens während einer verheerenden Epidemie handelt, kann hier nur am Rand erwähnt werden. Zusammengefaßt: Das gemeinschaftsdienliche Reinigen durch Opfer und Blut im Theater wurde nicht mehr durch praktischen Vollzug, sondern durch ästhetisierende Schaustellung und emotionalen Nachvollzug gewonnen. Das Ergebnis jedoch blieb dasselbe. Ob Kult oder Theater, ob Komödie oder Tragödie: Sie arbeiten sozialer Stabilität zu. Zugespitzt gefragt: Gibt es keine Katastrophe als Zustand, sondern nur die beständige Arbeit an ihr? Sind Krisen und Katastrophen der Prozeß ihrer eigenen Aufhebung?

4. Das große Welttheater Qui formas novit, is naturae unitatem in materiis dissimillimis complectitur. Wer die Form kennt, hat die Einheit der Natur in ihren verschiedenen Materien begriffen. - In seinem Buch „From Ritual to Theatre" von 1982 stellte sich der mittlerweile bekannte amerikanische Ethnologe Victor Turner die Frage, was z.B. den Machtkämpfen zwischen Heinrich II. von England und dem Erzbischof Thomas Becket, dem Hildago-Aufstand im frühen 19. Jahrhundert in Mexiko, der Dreyfuss-Affäre und der Wahl eines karibischen Dorfoberhaupts gemeinsam sei. Faktisch gesehen, ähnle kein Ereignis dem anderen. Aber ideographisch betrachtet, mit kulturhermeneutischem Blick, fallen gravierende formale Parallelen auf. Es gebe analoge Rhythmen und Perioden, analoge Spannungskurven und analoge Konfliktlösungsmuster. Diese wiederum entsprechen den formalen Topoi der klassischen Tragödie. Was diesen Ereignissen gemeinsam, wird also auf eine außer ihnen liegende Größe zurückgeführt. Die klassische Tragödienstruktur avanciert zum universalen Modell gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Aber das bedeutet nicht, daß sie damit ästhetischtheatralen Mustern folgen. Umgekehrt: Mit ihrer Herkunft aus ritueller Gemeinschaftspraxis verdichtet die klassische griechische Tragödie Handlungs- und Konfliktlösungsmuster, die uns anthropologisch gewissermaßen eingeschrieben sind: „Das soziale Drama stellt die ursprüngliche, alle Zeiten überdauernde Form von Auseinandersetzungen dar." Dabei wird von Turner natürlich berücksichtigt, daß es „das" klassische Drama gar nicht gab. Aristoteles selbst, der es als erster ausführlich untersuchte, wies auf seine verschiedenen Spielarten hin. So ist eher von einem Arsenal variierbarer Grundmuster auszugehen, und insofern folgen auch die regelhaften Handlungsabläufe, die unter dem Begriff „soziales Drama" subsumiert werden können, nicht einem starren Schema. Es gibt Überlagerungen, Interdependenzen, Variationen und Abschwächungen. Aber ihrem Wesen nach verlaufen

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Konflikte zweifellos nach folgendem Schema: Bedrohung, Krise, Bewältigung durch Ausschluß oder Opfer, schließlich stabilisierende Reintegration. Für die Zeit, in der die preußische Hauptstadt Berlin das erste Mal von der Cholera betroffen war, liegt dieser Verlauf auf der Hand: Von Mitte 1831, als die ersten furchtbaren Nachrichten über die Cholera die Stadt erreichten, bis hin zum 19. Februar 1832, dem offiziellen Ende der Epidemie, zeichnete sich ein geradezu klassischer Krisenverlauf ab. Es ergab sich ein „soziales Drama" geradezu typischer Ausprägung. Anfangs waren nur latent bedrohliche Nachrichten aus der Ferne zu vernehmen. In bewährter Weise wurde auf staatlicher und persönlicher Ebene versucht, die Gefahr herunterzuspielen. Dann, als die Cholera wider alle Beschwörungen bereits die östlichen Gebiete Preußens betroffen hatte, erfolgte die Steigerung: „Cholera ad portas". Den Höhepunkt bedeutete der unmittelbare Ausbruch der Seuche in der Stadt. Bald darauf legten sich die schlimmsten Befürchtungen jedoch. Denn gerade mit den ersten Opfern trat, wie damals immer wieder bezeugt wurde, die panikartige Aufwallung zurück, die noch vor dem Ausbruch der Seuche die Stadt regierte. Vor der Katastrophe ist also die eigentliche Last auszustehen, in ihr setzen bewährte Abwehrmechanismen ein. Schließlich, nach nicht ganz einem halben Jahr, konnte im verklärenden Gedenken der offiziell 1426 Opfer geradezu triumphierend das „Dankfest für die glückliche Befreiung unserer Stadt von der Cholera" begangen werden. Aber zuvor wirkte noch eine Art retardierenden Moments: der öffentlich betrauerte Tod des Philosophen Hegel. Dieser Tod riß die Gebildeten Berlins zum letzten Mal aus der allseits schon beschworenen Sicherheit. Dennoch war er ein wichtiges Element der auch bei dieser Epidemie wirksamen Heilsökonomie - nicht nur, weil Hegels Begräbnis die strikte polizeiliche Weisung der anonymen Bestattung bei Nacht und Nebel auf abgelegenem Seuchenfriedhof mit Folgen für die ganze Stadt durchbrach. Er wurde zum Opfer stilisiert, über dessen Hülle die Gemeinschaft noch enger zusammenstehe. Er, ein bekannter und angesehener Berliner, habe mit allen Bedrohungen ausgesöhnt und die Bürger noch stärker zusammengeführt. Am deutlichsten spricht dieses Grundmuster, das jeder Konfliktlösung zu eigen ist, aus drei Trauerreden vom Tag der Beisetzung: Morgens rief der Hegel-Schüler Michelet die Studenten in seiner Vorlesung auf, „das Ewige seines Geistes in uns zur Auferstehung bringen." Wenige Stunden danach hob Rektor Marheineke, gleichfalls ein Schüler Hegels, in seiner offiziellen Rede an der Universität hervor, Hegel habe, dem „Erlöser ähnlich", sich selbst in Leiden und Tod begeben, um zu Auferstehung und Herrlichkeit emporzuschwingen - eine Feststellung, die einem Brief Zelters an Goethe vom 3. Dezember zufolge, in der Stadt „viel Aufmerksamkeit" erregte. Schließlich zog Hofrat Förster unmittelbar am Grab den bestechendsten Vergleich: Hegel gleiche einem zweiten Messias, der alle Sünden und alles Leid seiner Mitwelt auf sich nehme. In der Nachfolge Christi habe er - Heilsökonomie par excellence - das Opfer geleistet, das alle anderen Opfer überflüssig macht: Nein, meine Freunde, laßt die Todten ihre Todten begraben, uns gehört der Lebende an, der, die irdischen Banden abwerfend, seine Verklärung feiert und den gebändigten und besiegten Elementar-Mächten mit der Stimme des Meisters zuruft: Tod, wo ist dein Stachel: Hölle, wo ist dein Sieg? - [ . . . ] War er es nicht, durch den die Mühseligen und Beladenen selbst im Unglück diese Erde lieb gewannen, indem er auf ihr ein Reich unvergänglicher Wirklichkeit und

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Panik-Kurve - Berlins Cholerajahr 1831/32 Wahrheit errichtete? Ja, er war uns ein Helfer, Erretter und Befreier aus jeder Noth und Bedrängniß, indem er uns aus den Banden des Wahnes und der Selbstsucht erlös'te.

5. Die Schlachtbank der Geschichte Hegel war gestorben und wurde betrauert. Doch noch im Tod hätte er sich trösten können, daß dieser nur die Probe auf jene Logik lieferte, die seine Philosophie selbst aufs Piedestal gehoben hatte: daß „in der Weltgeschichte das Edelste und Schönste auf ihrem Altar geopfert wird". Natürlich, über Hegels Geschichtsphilosophie ist viel gestritten worden. Ob man in ihr eine Säkularisierung christlichen Heilsgeschehen erkennt, sie als Quintessenz aufklärerischen Fortschrittsdenkens versteht oder ihr die existentialistische Prämisse einer Philosophie zum Tode eingeschrieben findet: Geschichte realisiert sich bei Hegel über Opfer. Bereits Nahrungs- und Tieropfer charakterisiert er als Verzicht, der in eine neu entstehende Einheit der Menschen untereinander und mit Gott münde. Erst recht Christi Opfertod: „Ein großer Geist will schuldig sein, übernimmt die große Kollision; so Christus: seine Individualität hat sich zerschlagen, preisgegeben, aber seine Sache ist geblieben, eben durch ihn hervorgebracht". Dieser ebenso heroische wie notwendige Akt wiederholt sich im sauren Werk der Weltgeschichte stets aufs Neue. Sich aufzuopfern oder geopfert zu werden, gilt als stetes Paradigma normaler geschichtlicher Bewegung. Die Reiche wachsen und blühen, reichen ihre Früchte aber an die nachfolgenden weiter und haben damit ihre Schuldigkeit getan: Der bestimmte Volksgeist ist nur ein Individuum im Gange der Weltgeschichte. Das Leben eines Volkes bringt eine Frucht zur Reife; denn seine Tätigkeit geht dahin, sein Prinzip zu vollführen. Diese Frucht fällt aber nicht in seinen Schoß zurück; wo sie sich ausgeboren hat, es bekommt sie nicht zu genießen; im Gegenteil, sie wird ihm ein bitterer Trank. Das gelte nicht nur für große Zivilisationen. Jeder Einzelne habe sein Kreuz zu tragen. Jedes Leben bedeute eine mühsame Aufopferung, jeder Tod eine tragische Kreuzigung. Ob weltgeschichtliches Individuum oder unbedeutender Arbeiter im Weinberg der Geschichte: Nach Hegel habe man sie generell als „Schlachtbank [zu] betrachten, auf welcher das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen" dem Wohl der Nachgeborenen „zum Opfer gebracht" werden. Noch 1837 bekräftigte Ludwig Buhl, ein Schüler Hegels, diese Ökonomie des Opfers, wenn er in einer Abhandlung zu dessen Geschichtsphilosophie schrieb: „Die Geschichte ist freilich eine große Elegie, aber auf den mit Blut und Verwesung gedüngten Schlachtfeldern gedeiht die Saat desto üppiger." Diese Heilsökonomie, die ihren Gewinn aus der Summe fortlaufenden Unheils bezieht, war bei Hegel in eine Theorie gebettet, die Geschichte selbst als einzigartiges Drama begriff. Drei verschiedene Arten der Geschichtsbetrachtung unterscheidet er: die ursprüngliche, die reflektierende und die philosophische. Hat die ursprüngliche den Anspruch, alles so zu erzählen, wie es gewesen, will die reflektierende vor allem belehren und moralisch bekehren. Erst die dritte, philosophische Geschichtsbetrachtung vermag es, mittels allgemeiner

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Vernunftprinzipien die scheinbar ungeordneten Ereignisse zu ordnen. Dadurch erlangen Philosophie und Historik erst den Status von Wissenschaft. Es geht um Gesetze, darum, sie aus der verworrenen Trümmermasse des geschichtlichen Materials mit der Anstrengung des Gedankens herauszuschlagen. Geschichte ist zwar das Feld unberechenbarer menschlicher Leidenschaften. Jedoch ist unter ihrer bunt schillernden Oberfläche Verborgenes zu finden. Für Hegel hieß das - ich folge hier der mittlerweile berühmten Darstellung Hayden Whites - , die Menschen mit ihren subjektiven widerstreitenden Interessen als Akteure eines Dramas zu verstehen, das die klare Ordnung und Folgerichtigkeit eines gut geschriebenen Stücks aufweist. Von daher habe es kein sinnloses bzw. bestürzendes Ende. Was Hegel in seiner .Ästhetik" dem Drama attestierte Das dramatische Handeln beschränkt sich nicht auf die einfache störungslose Durchführung eines bestimmten Zwecks, sondern beruht schlechthin auf kollidierenden Umständen, Leidenschaften und Charakteren und führt daher zu Aktionen und Reaktionen, die nun ihrerseits wieder eine Schlichtung des Kampfs und Zwiespalts notwendig machen - ,

galt ihm allgemein für die ganze Geschichte. Sie war eine fortlaufende optimistische Tragödie. Zerlegte er jede Zivilisation in vier Phasen, so sind diese Etappen auch so zu verstehen, daß sie die Elemente eines klassischen Dramas mit den Phasen pathos, agon, sparagmos und anagnorisis repräsentieren: Gefühlszustand, Streit, Zerreißprobe, Lösung. Für diese Auflösung des Konfliktknotens seien Opfer so unabdingbar wie auf dem Theater. Sie seien die Mittel des Weltgeists für seine Zwecke - Materialien, die er sich einverleibt, Tribute, die er paternalistisch verschlingt. Noch in der Art seines Todes schien Hegel diese krude Annahme bestätigen zu wollen, traurige Ironie der Geschichte, skandalöse List der Vernunft. Ist es das, wovon Menschen unauslöschlich gezeichnet sind? Kommt auf jeden Lebenden die Last Millionen Gestorbener?

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1. Exposition: Nachrichten aus der Ferne Bereits ein Menschenalter ist vorübergegangen, seitdem die Seuche des Westens, das gelbe Fieber, in Folge des durch die Französische Staatsumwälzung herbeygeführten Krieges, sich mit einer fast beyspiellosen Wuth in Amerika entfaltete, bereits ein Vierteljahrhundert fast verflossen, seitdem es in Spanien zuerst ausbrach, und zahllose Opfer verschlang, und noch immer liegt die Natur jener furchtbaren Krankheit in tiefes Dunkel gehüllt, noch immer ist die große Streitfrage über die Ansteckungsfähigkeit derselben unentschieden geblieben, noch immer hat sich kein auch nur nützliches Heilmittel derselben auffinden lassen. Da erscheint im Osten eine andere, neue, noch furchtbarere Seuche. Eine Seuche, welche in den ersten drey Jahren nach ihrer Erkenntniß, mehr als drey und eine halbe Millionen Menschen hinraffte [...]. Sehr hohe Zeit scheint es uns daher, die Aerzte des festen Landes von Europa, und insbesondre unsres Vaterlandes, auf eine Seuche aufmerksam zu machen, welche bereits an den Pforten unsers Welttheils angekommen ist, während man sie noch im fernen Indien wähnt, und welche, ungeachtet ihrer, durch die Uebereinstimmung mit der, einer auch in diesem gekannten Krankheit täuschenden Benennung, dennoch für uns ganz neu, und in mancher Hinsicht grade das Gegentheil der gewöhnlichen Brechruhr (Cholera morbus), zu betrachten ist. aus: J., Mittheilungen über die Morgenländische Brechruhr, in: Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde, Bd. 4, Jg. 1822, S. 177ff. Wenn schwere verhängnißvolle Zeiten bevorstanden, dann erzählen uns die alten Classiker von Wunderzeichen (progidiis), welche als Vorahnungen des Geistes der Natur auf die großen Umwandlungen hindeuten, die er, der allwaltende Gott, als Geist der Geschichte dem Menschengeschlecht bereitet. Schien es doch fast als wolle die Natur auch im verflossenen verhängnißreichen Jahre auf ähnliche Weise die großen Begebenheiten der Gegenwart, die größeren der nahe bevorstehenden Zukunft andeuten. Vulkanische Bewegungen und Erderschütterungen in verschiedenen Theilen Europa's, in Italien, Süddeutschland, Südrußland und gewaltige Orkane kündeten es an und heftige Ausbrüche des Vesuvs bezeichneten sein Ende. Während eine ganz ungewöhnliche Wärme sich über den ganzen Norden Europa's und das sonst Eis erstarrte Sibirien erstreckte, erfroren in Lissabon Men-

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sehen auf der Straße, sah man Schlittschuhläufer in Madrid und Neapel, Meteore aller Art wurden gemeldet, und war es zu verwundern, daß sich uns hinieden die Haare sträubten über diese Zeit der Bürger-Kriege, der Partheyungen, des Mysticismus und Obscurantismus, wie des tollsten Freiheitsschwindels, wenn vier Cometen oder Haarsterne die ihrigen am Himmel emporrichteten? Nicht allein der Himmel und die Luft hatten ihre Wunderzeichen, auch die Erde und das Meer boten uns deren in der ungeheuren Seeschlange, deren Existenz jetzt von Naturforschenden Gesellschaften anerkannt ist, in dem in Chinesischen Gewässern aufgefischten und von Batavia nach London gesandten Meerweibe dar, über dessen Aechtheit die Zweifel noch nicht gelöset sind, und wie eine Lawine wälzt sich die furchtbare Cholera morbus dem geängsteten Europa immer näher, welches schon im Osten die orientalische, im Westen die occidentalische Pest zu bekämpfen hat. aus: [Anonym.] Historisch-politische Uebersicht des Jahrs 1822, in: Politisches nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen, Jg. 1823, Bd. 1, 1. St., S. 3f.

Journal

Der Herr Stadtchirurgus des Astrachanschen Garnisonregiments Hofrath Merkowsky berichtet am 19ten September dem militär-medicinischen Departement, daß am lOten September die Cholera morbus sich in Astrachan gezeigt habe, und zufolge der von den Behörden getroffenen Verfügung folgende Aerzte zusammenberufen worden sind, um ihr Gutachten über das, was unter diesen Umständen zu thun sei, abzugeben [...]. Nach Berücksichtigung aller dieser Umstände und Vergleichung derselben schließen wir, daß die ausgebrochene Krankheit Cholera morbus, d.i. Erbrechen und Durchfall, und daß dieselbe in ihren Hauptzügen derjenigen Cholera, die in den Jahren 1817, 1818 und 1819 in Indien epidemisch herrschte, und von dem englischen Arzte Dschemson beschrieben worden, ganz gleich sei. Die Entstehung, so wie die Ursachen der Krankheit sind bis jetzt unbekannt, es ist unentschieden, ob dieselbe durch atmosphärische Einflüsse erzeugt werden, oder von einem entfernteren Orte zu uns gebracht worden ist. aus: Dr. Arendt, Ueber die ins Astrachan ausgebrochene Cholera, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde, Bd. 5, Jg. 1823, S. 699ff. Die indische Cholera ist im Sommer des vorigen Jahres an den Pforten Europas angekommen. Die Geschichte und Natur dieser eben so merkwürdigen als verheerenden und schnell tödtenden Krankheit verdient eben so das wissenschaftliche Interesse und das scharfsinnige Studium der Aerzte, als die Nähe und Wichtigkeit dieses Uebels die vorsichtige Aufmerksamkeit der Regierungen unseres Welttheils erwecken muß. Die Ausdehnung und das unermüdliche Ausschreiten dieser furchtbaren Epidemie; so wie die unerwartete Raschheit ihres jedesmaligen Angriffes, ist wirklich so auffallend und schreckbar, daß es Pflicht wird, die abendländischen Staaten vor ihrer Gefahr zu warnen. aus: Dr. J[osef] Rehmann, Die Ankunft der Orientalischen Cholera am Mittelländischen und Kaspischen Meere, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], VI. St., Juni 1824, S.3f. Noch wähnte man im Auslande die verheerende morgenländische Brechruhr an den Pforten Europa's als diese Seuche schon im Jahre 1822 und zu Anfang des Jahres 1823 in

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die südlichsten Provinzen unseres Vaterlandes eingebrochen war und im Herbste plötzlich in Astrachan auftrat, wo sie durch ihre anfängliche Bösartigkeit die schaudervollen Todesscenen, wie am Ganges - so auch an der Wolga - , - wiederholen zu wollen schien; allein ein gütiges Geschick that schnell der Verheerung derselben Einhalt und es blieben nur die Klagen um die Verlorenen und die Furcht vor der Wiederkehr des verderblichen Feindes übrig. aus: Bericht über die orientalische Brechruhr, welche in Astrachan vom 9/21. Sept. bis zum 7/19. Oct. des Jahres 1823 herrschte; von Dr. [Karl Johann v.] Seidlitz, in: Vermischte Abhandlungen aus dem Gebiete der Heilkunde von einer Gesellschaft practischer Aerzte zu St. Petersburg. Dritte Sammlung, St. Petersburg, Leipzig 1825, S. 26. Noch in die Geschichte des Jahrs 1817 fällt der Anfang der Cholera in Ostindien, welche in den nächsten Jahren und bis je[t]zt in der Mitte des Jahrs 1824, da sie bereits von der Grenze Chinas und von Sumatra bis an die Küste des mittelländischen Meeres und bis Astrachan sich verbreitete, eine unerhörte, nur mit der von Deguinges für die Jahre 1031 und folgende erwähnten, welche auch aus Indien bis nach Constantinopel gelangte, vergleichbare Ausdehnung erreichte. [...] Auf den Schiffen suchte man durch alle erdenkliche Vorsichtsmaaßregeln vor der Anste[c]kung zu sichern, dessen unerachtet brach auch auf diesen das Uebel aus, und auf manchen starb die ganze Bemannung, auf der andern Seite beschuldigten die Eingebohrnen die Europäer und Chinesen, daß sie die Flüsse vergiftet hätten, es wurde daher von ihnen mancher Europäer und mancher Chinese getödtet, man rechnete daß innerhalb 14 Tage 15.000 Menschen an der Krankheit gestorben Seyen. aus: Dr. Friedrich Schnurrer, Chronik der Seuchen in Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgängen in der physischen Welt und in der Geschichte der Menschen, Bd. 2, Tübingen 1825, S. 550, 578. Die Brechruhr, welche einen so großen Theil der Bevölkerung von Amboina hingerafft hat, ist dieselbe epidemische Krankheit, die, nachdem sie in Indien geherrscht, verheerend auf den Philippinischen Inseln, auf den Inseln Bourbon und Moritz, auf Java, vorzüglich zu Samarang sich gezeigt, und endlich nachdem sie zu Ternate, Celebes und Banda gewüthet, auch zu Amboina erschienen. Diese Landplage hat große Gegenden durchstreift, ohne jemals denen große Lebenshoffnung zu lassen, die von derselben in ihrer Stärke befallen wurden. aus: R[ene] P. Lesson über die Brechruhr, in: Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde, Bd. 15, Jg. 1828, S. 425. Das Gesicht ist auf ganz eigene Weise angstvoll und entstellt, dasselbe sieht livid mit blauen Ringen um Mund und Augen und so eingefallen aus, als wenn Muskeln und Zellgewebe auf einmal geschwunden wären. Noch tritt aber eine weitere Erscheinung hinzu, welche die Krankheit für den Kranken selbst, so wie für die Umstehenden gleich fürchterlich macht. Es nahmen nach 2-3 Stunden die Organe der willkürlichen Bewegung Theil an der Krankheit, zuerst in den Gliedmaßen und von diesen aufsteigend bis zur Brust, entstehen

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Krämpfe, welche die Respiration hemmen, und den Leib zusammen ziehen. Dabei schwillt der Bauch des Muskels zu einem harten Knoten auf, der nach einer Minute eben so schnell wieder verschwindet, während der Krampf zu großer Pein der Kranken wieder einen andern Theil auf dieselbe Weise befällt. In einzelnen Fällen sah man sogar, nachdem der Tod schon erfolgt zu seyn schien, und man die Leichen bereits in die Todtenkammer gebracht hatte, die Leichen noch Viertelstunden lang in zuckende Bewegungen zu gerathen, den Kopf schütteln, die Füße auf die Tarsen stellen und die Hände aus- und einwärts beugen. [...] Etwas genauer als die Verbreitung der Krankheit gegen Osten, läßt sich die gegen Westen angeben. Von Bombay aus erreichte sie Surate, von da verbreitete sie sich über Guzerate nach beiden Ufern des Indus, bis sie im Sommer 1821 zum persischen Meerbusen gelangte, und hier fast gleichzeitig zu Mascate, Bassora und Bender Abbas erschien, auf welchen drei für den Handel gleich wichtigen Punkten sie sich, wenn jeder Verkehr der Menschen, Thiere und Waren einen Einfluß auf ihre Verpflanzung hatte, an eben so vielen Pferden befand, durch welche sie nach Arabien, Mesepotamien und Syrien und endlich auch eben so durch Persien und Rußland vordringen konnte, was nicht ohne Anschein von Gefahr für Europa selbst geschah und daher einer weiten Erwähnung werth ist. aus: [Friedrich] Schnurrer, Art. Cholera, in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, hrsg. v. J[ohann] S[amuel] Ersch/J[ohann] G[ottfried] Gruber, Bd. 17, Leipzig 1828, S. 44f. Nachdem die morgenländische Brechruhr vor sieben Jahren über Persien in das asiatische Russland eingedrungen war, worüber seiner Zeit in dieser Zeitschrift Bericht erstattet worden ist (Bd. 7, S. 286ff.), hat sich dieselbe, laut brieflichen Nachrichten, im vorigen und gegenwärtigen Jahre, nun auch im europäischen Russland gezeigt, wohin sie angeblich durch die bucharischen Karavanen aus dem Kirgisenlande, gebracht worden ist. [...] Bei der musterhaften Art und Weise, wie im dritten Bande der Abhandlungen der St. Petersburgischen Aerzte, über die Erscheinung der Brechruhr in Astrachan im Jahre 1823, aus amtlichen Quellen Bericht erstattet worden ist, lässt sich erwarten, daß wir von dort aus genauere Nachrichten, auch über diesen neuen Einbruch eines so gefahrdrohenden Feindes erhalten werden, so wie über die Bedingungen, welche es möglich gemacht haben, daß sich derselbe bis zum Fünf und Fünfzigsten Breitengrade verbreiten konnte, und zwar in einer Gegend, deren mittlere Wärme, bei ihrer um so viel östlicheren Lage, gar wo[h]l der einer noch um einige Breitengrade nördlicheren, im milderen West-Europa, gleichgestellt werden darf. aus: J., Die morgenländische Brechruhr in Süd-Russland, in: Magazin der ausländischen Literatur der gesammten Heilkunde, Bd. 19, Jg. 1830, S. 373, 375. Die epidemisch wüthende Krankheit, bekannt unter dem Namen der Brechruhr (Cholera Morbus) hat in den neusten Zeiten ihren Weg durch den größten Theil Asiens mit verwüstenden Spuren bezeichnet. Im verflossenen und gegenwärtigen Jahre hat sich dieselbe auch mit ihrer ganzen Heftigkeit in einigen Gegenden des Russischen Reichs gezeigt. Alle bisher über diese Krankheit erschienenen Schriften haben sich bei der Anwendung nicht ganz als genügend erwiesen. Die allmählige Verbreitung derselben bedroht ganz Europa mit den schrecklichsten Folgen.

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Die russische Regierung, berücksichtigend das allgemeine Wohl, hält es für nöthig, alle Aerzte in Rußland, Deutschland, Ungarn, England, Schweden, Dänemark und Italien aufzufordern, diese epidemische Krankheit zu untersuchen und zu beschreiben. Diese Beschreibung muß enthalten: 1) Eine klare und genaue Auseinandersetzung der Natur dieser Krankheit? 2) Aus welchen Ursachen dieselbe entsteht? 3) Auf welche Weise dieselbe sich verbreitet? 4) Den durch genaue und treuliche Untersuchungen geführten Beweiß, ob dieselbe sich wie die bekannten contagiösen Krankheiten mittheilt? 5) Welche Vorsichtsmaaßregeln demzufolge angewendet werden müssen? 6) Welche sichere Mittel zu deren Heilung angewendet werden müssen? Die Schriften können in russischer, lateinischer, deutscher, englischer und italienischer Sprache abgefaßt seyn, und dürfen nicht später als bis zum 13. September 1831 an den medizinischen Rath zu St. Petersburg eingeschickt werden. Der Name des Autors muß in einem besonders zugesiegelten Cuvert sich befinden. Für die beste und vollkommen befriedigende Schrift bestimmt die Russische Regierung eine Belohnung von fünf und zwanzig tausend Rubeln Banko Assignation. Preisfrage, in: Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. Nr. 607 (Nro. 13. des XXVIII. Bandes) September 1830, Sp. 208.

Diese Krankheit, welche seit mehreren Jahren Asien durchzieht, ist endlich an den russischen Grenzen angelangt. Bereits im vorigen Herbste wurde sie in dem orenburgischen Gouvernement wahrgenommen, und hielt daselbst bis zum Frühjahre 1830 an. Die hier gemachten Erfahrungen geben die erfreuliche Aussicht, daß dieses aus seinem bisherigen Gange so verheerende Uebel - möge es auch in Folge der tellurischen oder atmosphärischen Bedingungen, vermittelst derer große Seuchen sich zuweilen in einem steten Vorrücken über unsern Erdball hinziehen, noch tiefer in die europäischen Länder eindringen - durch die Maßregeln, welche höher gebildete Nationen gegen dasselbe in Anwendung bringen, seinen tödtlichen Charakter größtentheils verliere. aus: [Anonym.] Bemerkungen über die Cholera Morbus, in: Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker, Nr. 300, 27. Oktober 1830, S. 1200.

Der plötzliche Tod eines in der Stadt allgemein bekannten Mannes, Katschaschkin, der bei der Börse die Traiteurwirthschaft hielt, und der nach Aussage des Arztes die Zeichen der Cholera gehabt, machte aber auf die Russen von der Kaufmannschaft den größten Eind r u c k , und seit der Zeit ist an die Geschäfte nicht mehr zu denken. Viele Kaufleute lassen sich gar nicht mehr sehen, und da man sich wie gewöhnlich eine Menge übertriebener Gerüchte mittheilt, so ist es dahin gekommen, daß alle Fabrikarbeiter theils freiwillig gehen, theils von ihren Herren entlassen werden, und auf ihre Dörfer ziehen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Adelichen pa[c]ken sich in Wagen und reisen in ganzen Karawanen fort, und so sind in wenig Tagen die Straßen auffallend leer geworden; das deutsche Theater

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wurde neulich geschlossen, weil um 6 1/2 Uhr noch kein Billet genommen war; genug, ein panischer Schrecken hat sich eines großen Theils der Menschen bemächtigt [...]. aus: Korrespondenz aus Moskau, 7. Oktober 1830, in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 306, 2. November 1830, S. 1224.

Die Schnelligkeit, mit welcher die Cholera um sich greift, hat ganz Rußland mit Schrekken erfüllt. Da man bisher ihre Verheerungen weder durch Quarantainemaßregeln zurückzuhalten vermochte, noch eine sichere oder auch nur wahrscheinliche, und in vielen Fällen heilende Methode gegen die Krankheit kennt, so nimmt man überall zum Gebete seine Zuflucht. In Petersburg, welches in einer Entfernung von 5 Stunden mit einem Cordon umgeben ist, sind öffentliche Kirchengebete angeordnet, und die ganze Bevölkerung strömt nach den heiligen Stätten, um die Abwendung des Übels vom Himmel zu erflehen. aus: Vermischte Nachrichten, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 258, 5. November 1830, [S. 7].

Die Seuche zeigte sich während des Herbstes 1829 in Theran und Casbin, an der persischen Grenze. Im drauf folgenden Winter, der in allen Europa benachbarten Ländern gleich streng gewesen zu seyn scheint, verschwand sie, begann aber mit Beginn des Frühjahrs 1830 in den Städten Tauris und Gilan von Neuem aus. Von hier an dem westlichen Ufer des kaspischen Meeres hinziehend, zeigte sie sich in Lankerub, Soliam, Baku, Derbent und Astrachan, wo sie einen Augenblick stehen blieb, dann aber dem Kur entlang bis Tiflis sich verbreitete. Hier erschien sie am vergangenen achten August zum ersten Mal. Die ersten von ihr betroffenen Personen waren drei Soldaten von der Garnison, welche sofort nach dem auf dem linken Ufer des Kur gelegenen Militärhospital, drei Werste von der Stadt, gebracht wurden. Alle drei starben im Verlauf weniger Stunden. Die Krankheit machte schnelle Fortschritte; am 15. August stieg der Schrecken auf's Höchste, wozu die von der Geistlichkeit veranstalteten Umgänge nicht wenig beitrugen. Die Bewohner flohen, oder verbargen sich in die abgelegensten Häuser; Basars, Karawanserais, öffentliche Orte jeder Art wurden geschlossen; die 50.000 starke Bevölkerung von Tiflis war plötzlich auf etwa 8.000 herabgesetzt, 2.000 Soldaten hierunter mitbegriffen. [...] Sträflinge, je ihrer vier, brachten die Todten auf Tragbahren weg, und begruben sie sammt ihren Kleidern. Der von dem Uebel Befallene stürzte gewöhnlich bewußtlos nieder; dann erfolgte Erbrechen und Durchfall; heftige Kolikschmerzen, Krämpfe, Eiskälte über den ganzen Körper, Tod nach wenigen Stunden. Aderlässe, Kalomel, Laudanum und ätherische Substanzen zeigten sich unwirksam. Ein reicher Kaufmann verlor in fünf Tagen seine Mutter, seine Frau, seinen Bruder und einen andern im Haus wohnenden nahen Verwandten. aus: [Anonym.] Die Cholera Morbus in Tiflis, in: Das Ausland. Ein Tagblatt für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker, Nr. 324, 20. November 1830, S. 1296.

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Allein wegen der großen Ausdehnung des Gebietes konnten diese Vorkehrungen unmöglich so schnell ausgeführt werden, als die Cholera sich verbreitete. Sie flog, so zu sagen, von einem Ort zum andern, mit den Menschen Schritt haltend, die im ersten Schreck sich von den angesteckten Orten zu entfernen suchten, ehe sie nicht cernirt werden konnten. So erreichte die Seuche in sehr kurzer Zeit, den Weg von Gurjew folgend, die Stadt Uralsk. Dort äußerte sich ihre Verheerung mit fast unglaublicher Wuth, so daß die Zahl der Opfer sich täglich auf 80 häufte. Die Hauptursache der schnellen Verbreitung der Krankheit lag darin, daß die Bewohner der Stadt Uralsk, größtentheils Altgläubige, hartnäckig jede ärztliche Hilfe ausschlugen, obgleich die Ortsbehörde sich die größte Mühe gab, den Leidenden Hülfe zu verschaffen und der Verbreitung der Seuche vorzubauen. aus: Dr. [Andreas Frederik] Bremer, Geschichtliche Nachrichten über die Verbreitung der asiatischen Cholera in Rußland. Aus den officiellen Petersburger Zeitungen mitgetheilt und mit einigen Anmerkungen begleitet, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], VI. St., Dezember 1830, S. 95f. Im gegenwärtigen Augenblicke scheint die Seuche, die sich nun von den östlichsten Küsten Asiens bis zu den westlichen Ufern des Asow'sehen und Schwarzen Meeres, von der Insel Bourbon bis in die Nähe des Ladogaseen erstreckt, mithin über mehr als 80 Breitengrade und fast 100 Längengrade ausgebreitet hat, in Russland dem Erlöschen nahe zu seyn; allein die bisherige Geschichte derselben lässt befürchten, dass sie mit dem Eintritte des Frühlings sich von Neuem fühlbar machen und manche bis jetzt verschonte Gegend mit ihren Verheerungen überziehen werde. So erhebt sich am düstern Himmel unsers Welttheils von Neuem eine finstere Gewitterwolke, und zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, sieht der Freund des menschlichen Geschlechts dem Endresultat dieser bewegten Zeit entgegen. aus: [Victor] Adolf Riecke, Mittheilungen über die morgenländische Brechruhr, Bd. 2, Stuttgart [Dezember] 1830, S. 137f. Die Epidemie der Cholera morbus, welche die mehrsten unserer Stadtbewohner als einen geduldigen Gast, den man nach Willkühr placiren und gehen heißen könnte, betrachteten, zeigte sich bald darauf zu aller Schrecken, als ein furchtbares todtverbreitendes Ungeheuer, welches seinen stärksten Gegner in zwei bis drei Stunden mordete, dessen Gesichtszüge in so kurzer Zeit gänzlich verunstaltet wurden: schmerzvolle Krämpfe verzerrten den Mund, die Augen, deren Weiße sich bräunt, sinken plötzlich und stieren unbeweglich wie aus schwarzen Grabeshöhlen, die Gesichtsfarbe wird gelb und die Lippen blau, daß ein solcher Anblick Grauen und Entsetzen erregt. Obgleich Sr. Erlaucht der General-Gouverneur von Moskau, Fürst Gallizin, vereint mit den Chefs der hohen Medicinal-Behörde und der hohen Polizei alle nur möglichen Hülfskräfte mit Geld und Mühe erkauften, um den Wunsch Sr. Majestät des Kaisers in Erfüllung zu bringen, die Wuth der Cholera morbus zu stillen, und ihren Fortschritten Einhalt zu thun, so stieg dennoch die Zahl der Erkrankenden über zweihundert, und die der Sterbenden über hundert täglich. aus: Korrespondenz aus Moskau, 26. November 1830, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 291, 14. Dezember 1830, [S. 5f. ].

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Während das schreitende Jahr unter noch immer finsterem Gewölke, das den politischen Himmel Europa's im Westen trübte, darniedersinkt und die Befürchtung eines in Folge immer weiter fortschreitender Volksaufregung über den ganzen Welttheil sich verbreitenden Kriegs die besorglichen Gemüther noch immer in ängstlicher Spannung erhält, umzieht auch den östlichen Horizont ein bleicher Nebelsaum, als Ausfluß einer heimtückischen dämonischen Macht, deren böses Walten wir bisher nur von weiter Ferne her vernahmen, dunkelt auch hier der Himmel und droht allmählig bis über unsere Häupter sich zu erheben, um seinen Gifthauch auch auf uns herabzusenken, so daß der Zaghafte Europa's Völker in Kurzem mit einer zweifachen Zuchtruthe heimgesucht erblickte, wo schwer zu bestimmen ist, welche von beiden empfindlicher mit ihren Schlägen auftreffen würde. aus: Dr. Johann Friedrich Pierer, Der Schrecken Europa's beim Uebertritt der morgenländischen Brechruhr (cholera) in seine östlichen Grenzlande und ihre Fortschritte in diesen, in: Allgemeine Medizinische Zeitung mit Berücksichtigung des Neuesten und Interessantesten der allgemeinen Naturkunde, Nr. 1, 1. Januar 1831, Sp. 3. Müssen wir nach Allem bisher bekannt gewordenen grundsätzlich annehmen, daß die in Rußland herrschende, zuerst in Moskau ausgebrochene Cholera contagiös sei und daß sie nach Preußen übertreten könne, dürfen wir es uns dabei nicht verhehlen, daß eine völlige Sperre der Grenze durch Pest-Cordons wegen sehr großer, mit ihr verbundener Kosten und wegen der in vieler Hinsicht bedenklichen Störungen des Verkehrs, nicht ohne den vollen Beweis ihrer unvermeidlichen Nothwendigkeit zur Ausführung gebracht werden darf; so bleiben, um einerseits für die Sicherheit der Einwohner in medicinisch-polizeilicher Hinsicht möglichst zu sorgen, und dennoch andrerseits die Kräfte des Staats nicht ohne dringliche Gründe in höheren Anspruch zu nehmen, für jetzt nur nachstehende Vorkehrungen zu berücksichtigen übrig. I. Vor Allem andern erscheint die Einführung der sogenannten Gesundheits-Patente (Sanitäts-Pässe) durchaus erforderlich. Behufs dessen wäre das auswärtige Departement ohne Verzug zu ersuchen, dem Preußischen Gesandten und den Preußischen Consuln des inficirten Staats aufzugeben, daß sie nach erforderlicher öffentlicher Bekanntmachung, unter höherer Verantwortlichkeit, genaue, und gewissenhaft abgefaßte Sanitäts-Patente für die aus Rußland nach Preußen Reisenden ausstellten, in welchen von den Personen jede einzeln benannt und bezeichnet, so wie von den Waaren und Sachen sehr vollständige Register aufgestellt sein müßten. [...] II. Es wäre ferner ohne Verzug eine Sanitäts-Aviso-Linie von ungefähr 30 Aerzten und Beamten zu organisiren. Ihre, unter einen Ordner gestellten Mitglieder wären unter Vermittelung des auswärtigen Departements, theils der betreffenden Kaiserl. Russ. CentralSanitäts-Commission beizugesellen, theils nahe an der Grenzlinie der Epidemie, so weit sie gegen Preußen gerichtet ist, zweckmäßig zu vertheilen. Das Geschäft der Aviso-Linie wäre hauptsächlich über die Fortschritte der Epidemie, über ihr Anrücken gegen Preußen sorgfältig zu wachen, und über alles diesfällige allwöchentliche Nachrichten an unsere CentralCommission zu befördern, in dringenden Fällen aber derselben unverzüglich Estafetten zuzusenden, und gleichzeitig dem provisorischen unter einen Militair-Chef unterstellten Sanitäts-Cordon die erforderlichen Mittheilungen abzustatten.

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III. Die Organisation des provisorischen Sanitäts-Cordons wäre ohne Verzug zu designiren. Zur Ausführung käme derselbe aber erst, wenn die Umstände es offenbar fordern. Es muß hie[r]zu übrigens so weit in aller und jeder Hinsicht vorbereitet sein, daß er auf Allerhöchsten Befehl unverzüglich in Thätigkeit treten kann. aus: Dr. Carl Friedrich von Graefe, Gutachten für die wissenschaftliche Deputation des Medicinalwesens im Ministerio der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten für die Sitzung vom 12. Dec. 1830, in: Karl Searle, Ueber die Natur, die Ursachen und die Behandlung der Cholera. Aus dem Englischen. Herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet von Dr. C[arl] Friedrich] von Graefe, Berlin 1831, S. 124ff. Seit dem Erscheinen der russischen Sammlung, welche diesem Werke zur Grundlage gedient hat, (im Juli d. J.), und seit der Vollendung des deutschen Werks (im September) bis jetzt (im November), ist die asiatische Cholera innerhalb Russlands Gränzen auf eine furchtbare Weise fortgeschritten. Schon ist der alte Zarensitz Moskau ergriffen; bereits über 5.000 Menschen haben die furchtbare Krankheit erleiden müssen, und der grössere Theil derselben mit dem Leben gebüsst. Staunend sah Europa den Monarchen sich in die Gefahr begeben, und wusste nicht, ob es mehr seinen Muth oder seine Liebe bewundern solle. Seit 60 Jahren, wo Moskau zum letzten Male von der Pest erreicht worden war, hatte es kein Uebel dieser Art wiederum erlebt. aus: Dr. J[eremias] R[udolph] Lichtenstädt, Die asiatische Cholera in Russland in den Jahren 1829 und 1830. Nach russischen amtlichen Quellen bearbeitet, Berlin [Anfang] 1831, S. 155. Das Uebel kam so schnell und unerwartet, daß an keine Vorkehrungen auch nur noch gedacht war. Der stellvertretende Gouverneur und die meisten Aerzte waren abwesend, um dem Uebel in der Ferne zu begegnen, und ihm den Eingang nach Saratow zu wehren, aber es war schon da, ehe noch irgend eine Anstalt getroffen war, und ehe man wußte, wie man ihm begegnen sollte. Man glaubte anfänglich weder an die Größe der Gefahr, noch an irgend eine Ansteckung, jetzt aber ist die Größe des Uebels durch die Menge der Opfer bekannt, und alle Aerzte sagen: „Diese Krankheit hat doch etwas Ansteckendes, und ist nicht bloß epidemisch, sondern auch contagiös, warum wären sonst so viel Dörfer an der Wolga frei, - während in ganz Saratow kein Individuum getroffen wird, das nicht über wenigstens etwas Choleraartiges an sich selbst zu klagen hätte?" - Was anfänglich immer vom gemeinen Volke erkrankte, ward Hals über Kopf ergriffen, und ins Spital geschleppt. Der SpitalArzt war abcommandirt, der Stellvertreter kannte das Local nicht, wußte zu wenig Bescheid, es fehlte an Raum, an Gehülfen, an Handlangern, selbst an zubereiteten Arzneimitteln für die schnell wachsende Zahl der Kranken [...]. aus: Tagebuch eines Geistlichen während der Cholera-Pest zu Saratow an der Wolga, vom 6ten bis 31sten August 1830. Nebst einem Nachworte, Berlin [Anfang] 1831, S. 4. Offenbar ist also zündbarer Stoff vorhanden; ein weitverbreiteter Brand besteht im Osten, wird man es den sprühenden Funken wehren können, hie und da im Westen niederzufallen und zu zünden? Es ist zu fürchten, daß die Cholera ihren furchtbaren Tour de 'Europe ma-

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chen werde, langsamen Fußes einherschreitend, wie bisher, gleich einem Geharnischten mit geschloßenem Visir, vor ihr Schrecken, mit ihr Verderben und Entsetzen, hinter ihr Wehklage und Trauer. aus: Christoph Johann Heinrich Eisner, Ueber die Cholera. Ein Versuch dieselbe zu deuten, Königsberg [Anfang] 1831, S. 24. Gleichwie ein General, unter gewissen Umständen, den Plan zu einer Schlacht für ein nie gesehenes Terrain entwerfen kann; eben so kann der Arzt seinen Rath und seine Ansichten über Epidemien in entfernten Ländern mittheilen, wenn er im Besitze der darauf Bezug nehmenden Details ist. So wie ein Feldherr über die Schlacht von Waterloo seine Betrachtungen machen kann, ohne gegenwärtig gewesen zu seyn; eben so kann auch der Arzt die Massregeln prüfen, die man der Cholera Morbus in Russland entgegensetzt. [...] Die erste [Abwehrmaßnahme] besteht in großen Feuerungen von harzigen Stoffen; die zweite im Abfeuern einer bedeutenden Anzahl Kanonen, die mit gewöhnliche Schiesspulver stark geladen sind. Vorzüglich wäre die Richtung nach W.-W.N.W. zu empfehlen. [...] Die Chemie lehrt uns, dass durch die Explosion des Schiesspulvers Gasarten entwickelt werden, welche vollkommen die Eigenschaft besitzen, Miasmen zu zerstören, und auch mechanisch auf die Veränderung der Luftschichten kräftig einwirken, so zwar, dass diese Wirkung mit einem künstlichen Winde verglichen werden könnte. aus: C[arl] v. Ceresa, Bemerkungen über die epidemische Brechruhr (Cholera morbus), Wien [Anfang] 1831, S. 5, 16f. Daß die in Rede stehende Krankheit auch diesmal aus dem Orient zu uns herüber gekommen, bezeugen hinlänglich die traurigen Spuren ihrer Wanderschaft. Obgleich dieses verheerende Uebel unaufhörlich in seinem Laufe fortschreitet; so nimmt es doch allen Erfahrungen nach bei seinem weitern Vordringen an Heftigkeit ab, und läßt dann und wann nur noch sein furchtbares Urbild einzeln durchblicken. Ohne dabei aber auf Alter, Geschlecht, Größe zu achten, und ohne Scheu für Jahreszeit, Temperatur und Zone. [...] Nur so viel ist außer allem Zweifel, daß es eine eigene Disposition für dieses Uebel giebt, ohne welche es nie zu seiner vollkommenen Entfaltung gelangen kann. Denn man sieht täglich Menschen, die mit andern von dieser Krankheit ergriffenen in der allergenauesten Verbindung stehen, und ohne selbst davon befallen zu werden. Dahingegen [sieht man] wieder viele durch, so zu sagen, augenblickliche Berührung schon als Opfer fallen. aus: Dr. C. P. W. von Hübenthal, Darstellung und Behandlung der orientalischen Cholera, von der persischen Gränze mitgetheilt, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], I. St., Januar 1831, S. 89f. Es lassen sich mehrere Gründe für diese Zunahme der Bösartigkeit der Cholera angeben. Erstlich kann das Klima und der Boden Russlands, besonders im Sommer, in manchen Gegenden für die Verbreitung der Krankheit günstiger sein, da dieselbe feuchte und mässig kalte Gegenden vorzugsweise stark heimzusuchen pflegt.

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Zweitens dürfte der grössere Theil der ärmern Bevölkerung Russlands, weil sie in feuchten und niedern Wohnungen gedrängt beisammen leben und dem Genüsse spirituöser Getränke ergeben sind, für diese Krankheit grössere Disposition haben. Drittens haben die Kranken wahrscheinlich nicht überall zeitig genug ärztliche Hülfe nachgesucht oder, weil nicht überall Aerzte vorhanden waren, Hülfe erhalten können, ein Umstand welcher persönlich mit dem Tode bezahlt wird, da die Krankheit bei Vernachlässigung der Anwendung ärztlicher Hülfe in wenigen Stunden einem tödtlichen Ausgange zueilt, wie ich in dieser Schrift geschichtlich nachgewiesen habe. aus: Dr. Moritz Hasper, Ueber die Natur und die Behandlung der Krankheiten der Tropenländer durch die medizinische Topographie jener Länder erläutert nebst der in den Tropenländern zur Verhütung derselben zu beobachtenden Diätetik, Bd. 1, Leipzig [Januar] 1831, S. X f . Ueber 13 Jahre schon beobachten wir die Cholera in ihrer ansteckenden Verheerung, und doch ist das Wesentlichste nicht festgestellt, ob sie epidemisch oder contagiös sei, wovon doch, nicht sowohl in der individuellen Behandlung, als in den Vorkehrungen im Großen zur Abhaltung und Vernichtung der Krankheit, so vieles abhängt. Die verschiedenen Beobachtungen über die Natur und den Verlauf des Uebels, so wie der Vergleich mit andern verheerenden Seuchen veranlaßten mich schon lange, bei der Cholera nicht sowohl einen contagiös fixen, als vielmehr einen epidemisch flüchtigen Ansteckungsstoff anzunehmen, und die Cholera als eine epidemische, vielleicht nur in ihrer höchsten Ausbildung erst eine contagiöse Natur entwickelnde Krankheit anzusehen. In dieser Voraussetzung einer Infection der Atmosphäre, eines in derselben sich ausbreitenden eigenthümlichen Miasmas theilte ich schon vor mehreren Monaten der Russischen Regierung meine Idee mit, das Feuer zur Vertilgung dieses der Luft einwohnenden Miasmas anzuwenden. Ist es aber, selbst bei der besten Absicht wohl zu verantworten, daß man durch solche gelinde Schilderung das dringende Aufrütteln Europa's zur Wappnung gegen den furchtbaren Feind des Lebens zu hemmen, und eine trügerische Ruhe zu bereiten strebt, aus der wir nur zu bald schrecklich geweckt werden mögten, und daß man solchergestalt Tausende hinsterben läßt, die man vielleicht durch kräftige Versuche retten könnte, und zwar mit Mitteln, die durchaus nicht den seitherigen Vorsichtsmaaßregeln wiedersprechen, und deren Aufhebung erheischen. Beim Bedrohen solcher Gefahr beurtheile man den Feind doch nicht zu gering, sondern thue vielmehr zu viel als zu wenig. Der Vernunft des Menschen müssen sie die Elemente fügen. Ist es uns gelungen, den Blitz zu leiten, warum wollen wir daran verzweifeln, eine Infection der Luft zu tilgen. aus: Michael Mayer, Ist die Cholera epidemisch oder contagiös? Ist die Quarantaine ein hinlänglicher Schutz? Berlin [Februar] 1831, S. l f . , 26f. Die epidemische Cholera verursachte in den verflossenen Monaten bei mehreren unserer hiesigen Einwohner Besorgnisse, wozu die in Russland mit wenig Erfolg angewandten strengen Contumaz-Anstalten viel mögen beigetragen haben. [...] Sollte die, diese Krankheit begünstigende Luftconstitution auch in diesem Jahre fortwähren, so stehet, abgesehen von so vielen andern beklagenswerthen Ereignissen in dem benachbarten Polen, bei der

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schlechten Ernte des verflossenen Jahres, dem schon jetzt fühlbaren Mangel an Lebensmitteln und der grossen Anzahl der dort versammelten Truppen schreckliche Krankheiten und Seuchen zu besorgen, wenn die gütige Vorsehung sich nicht mit besonderer Gnade dieses Landes und seiner Bewohner annimmt. aus: Bemerkungen über die epidemische Cholera. Aus einem Sendschreiben des Dr. J[ohann] A[dam] Edlen von Reider an C[arl] F[riedrich] Gräfe, Wien, 1. Febr. 1831, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde [Berlin], Bd. 15, H. 2 [Februar] 1831, S. 326ff. Die „Nordische Biene" widerlegt das Gerücht, als sei der Cordon um Moskau und die Quarantaine durchgängig aufgegeben. Aus glaubwürdigen Quellen ist bekannt, daß die Cernirung von Moskau zur füglichern Communication mit der Umgegend erleichtert worden ist; allein die Quarantainen bestehen nach wie vor, und werden bestehen bis die Epidemie vollständig vertilgt ist. Freilich sind diese Maaßregeln der Quarantainen unangenehm und lähmend für den Geschäftsgang, allein die Erfahrung beweist, daß nur Quarantainen und Cordons Städte und Dörfer vor der Verbreitung der Epidemie schützen können. Als das Uebel aus Astrachan in die inneren Gouvernements und von da nach Moskau eindrang, hörte man Klagen über die Mangelhaftigkeit der Quarantainemaaßregeln, und sobald die Quarantainen anfingen, die Fortschritte der Krankheit zu hemmen, wurde man der wohlthätigen Einrichtungen überdrüssig, und beschwerte sich über ihre Unbequemlichkeit. [Nachricht], in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], IL St., Februar 1831, S. 105f. Die St. Petersburger Zeitung vom 27. Jan. d. J. enthält folgendes: Ueber die Cholera. So eben lese ich im Hamburger Correspondenten No. 227. vom 28. Novbr. a. c. einen Aufsatz vom Hrn. Prof. Dr. Laders zu Kiel über die Cholera, in welchem derselbe uns 1) eine Marschroute der Cholera von Ostindien bis nach Moskwa bezeichnend, die Cholera als eine Krankheit beschreibt, die in Indien seit dem Jahre 1817 einen epidemischen Charakter angenommen hat, und 2) weil Hr. Prof. Dr. Lüders es als erwiesen annimmt, daß das die Krankheit erzeugende Prinzip sich in der Atmosphäre befindet, es mag sich nun hier erzeugt haben, oder von der Erde ausgehaucht werden; nur eine Zerstörung oder Abwehrung des in der Luft befindlichen Krankheitsgiftes, es sei dasselbe ein lebendiges oder totes Etwas, - die durch Quarantaine-Anstalten nicht erreicht werden kann - der Krankheit Gränzen setzen, und deshalb ist es dem Verf. nicht unwahrscheinlich, daß dieselbe durch Feuer, welches einen starken anhaltenden Rauch erzeugt, zu erlangen wäre. - Deshalb schlägt Hr. Prof. Dr. Lüders vor, daß die mit der Cholera behafteten Gegenden, von den noch gesunden, durch ringsum angezündetes Steppengras, oder Heidekraut, oder trockenen Dünger, selbst durch angezündetes und durch langsames Verbrennen unterhaltener Waldstrecken eine Zeitlang geschieden und abgeschlossen würden, wobei denn auch in der behafteten Gegend selbst große Schmauchfeuer zu unterhalten wären, ein Versuch, der ja gerade in Rußland ohne Schwierigkeiten auszuführen wäre. [...] Die Anwendung des Feuers im Freien, das Abfeuern von Kanonen, und ähnliche Vorschläge zur Zerstörung des Cholera-Miasmafs] sind bereits von Mehreren in Rußland und vom Auslande her gemacht worden. An diese Vorschläge reiht sich denn auch der von Hrn.

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Prof. Lüders gemachte. Meine Bemerkungen gegen die Sache können noch dadurch unterstützt werden, daß ich während der Cholera-Epidemie hier in Charkow (von der Mitte Septembers bis zum December) von dergleichen Verbrennungen von trockenem Dünger, wie sie auch Hr. Prof. Lüders vorschlägt, durchaus keinen Nutzen beobachtet habe. Vergebens würde man die von dieser Plage heimgesuchten Gegenden nur noch um Holz und Heu bringen, die - schon nach Sydenham's Ausspruch - gerade dann höchst nöthig sind. aus: Dr. Anton Mayer [Replik], in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], III. St., März 1831, S. 106f. Man erzitterte über die Wuth einer Seuche, die das Menschengeschlecht in kurzer Zeit zu vertilgen drohte. [...] Man musste vor den Fortschritten der Seuche zittern, die nach Aussage dieser Monographen so plötzlich um sich griff, und in die entferntesten Gegenden Asiens drang, dass in Vorder- und Hinter-Indien binnen fünf Tagen sechsehn Tausend Menschen und binnen einigen Jahren mehr als vierthalb Millionen als Schlachtopfer fielen. Es konnte auch nicht anders seyn, da das Uebel nach allen Seiten nach den entferntesten Reichen mit Riesenschritten vordrang [...]. Dadurch gewann sie nun freilich ein Europäisches Interesse. Allein der Leser blieb ruhig, sobald er sich auf Tausende von Meilen von den Würggefilden des Todes entfernt wähnte! - Unverhofft tauchte das Uebel in einer grössern Nähe auf. Im Jahre 1824 überschritt es den Caucasus, und wälzte sich gegen die Wolga hin. Plötzlich erscholl es mit einem Jammergeschrei, dass man sie im Frühherbste [1830] im Gouvernement Orenburg, in Simbirsk, Saratow, und in der der ganzen Strecke zwischen Kasan und Astrachan, selbst in dem von Moskau nicht weit entfernten Pensa erblickte. Sie drang aber noch schneller als die Nachrichten von ihrem Erscheinen über die äusserste Grenze des Asiatischen Russlands nach Europa bis in den ehemaligen Czaaren-Sitz nach Moskau vor. Nun erzitterte nicht nur jeder Nachbar, sondern der ganze Welttheil vor diesem mächtigen Feindes des Menschengeschlechtes. [...] Da nun Osterreich als die mächtigste Vormauer gegen die orientalische Pest, und als die Vorhuth Europa's mit unsäglichem Kostenaufwand sich bewährte, so ist es erfreulich und tröstend für jeden Bewohner Oesterreichs, auch im gegenwärtigen Zeitpuncte die Vatermilde und schützende Weisheit seines Monarchen selbst hierin zu bewundern. aus: Instruction für sie Sanitäts-Behörden, und für das bei den Contumaz-Anstalten verwendete Personale, zum Behufe die Gränzen der k.k. Oesterreichischen Staaten vor dem Einbrüche der im Kaiserlich-Russischen Reiche herrschenden epidemischen Brechruhr (Cholera morbus) zu sichern [...]. Wien, 18. November 1830, in: Zeitung für das gesammte Medicinalwesen, Nr. 12, 21. März 1831, S. 163f. § 12. Sobald sich die ersten Spuren der Cholera zeigen, sind die Einwohner aufzufordern, alle ihre überflüssigen, nicht im täglichen Gebrauche befindlichen Effekten, besonders giftfangende Gegenstände, in Koffern und Kisten wohl zu verpacken, die alsdann amtlich zu versiegeln und erst nach dem gänzlichen Verschwinden der Krankheit wieder zu eröffnen sind, um auf solche Weise eines Theils dem Contagium so viel als möglich diejenigen Gegenstände zu entziehen, an denen es haften könnte, andern Theils auch deren nachherige Reinigung unnöthig zu machen. [...]

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§ 25. Den in ihren Häusern abgesperrten Personen sind die für sie erforderlichen Bedürfnisse durch die zu diesem Behufe von Seiten der Kommission angenommenen nicht exponirten Gassen-Diener, zu besorgen, und rastellmässig, d.h. mit sorgfältiger Vermeidung jeder unmittelbaren Berührung, zu überliefern, und muss das dafür zu zahlende Geld vor seiner Empfangnahme durch Essig gereinigt werden. Sind die Bewohner des Hauses arm, so müssen ihnen ihre Bedürfnisse vorläufig auf Kosten der Kommune geliefert werden. [...] § 27. Sollte die Cholera in mehreren einzelnen, von einander entfernt gelegenen Häusern ausbrechen, so ist jedes derselben einzeln auf die angegebene Weise abzusperren. Wenn aber in mehreren, neben einander befindlichen Häusern die Krankheit ausgebrochen sein sollte, so sind dieselben einer gemeinschaftlichen Absperrung zu unterwerfen, und auf solche Weise demnach ganze Stadt- oder Orts-Viertel abzusperren. § 28. Unter diesen gefährlichen Umständen ist ausserdem noch der ganze Ort mit einer zweiten Sperrungslinie zu umgeben, und auf ähnliche Weise ist bei weiterer Verbreitung der Krankheit mit der Absperrung ganzer Districte zu verfahren, wobei zur Unterstützung des Militair-Cordons natürliche Hindernisse, wie z.B. Gräben, Verhaue, Umzäunungen und dgl. zu Hülfe zu nehmen sind. [...] § 34. Alle oeffentlichen Oerter, an denen Zusammenkünfte mehrerer Menschen Statt zu finden pflegen, namentlich die Kirchen, Schulen, Theater, Wirthshäuser u.s.w. müssen geschlossen werden. § 35. An denjenigen Orten, wo die nothwendigsten Lebensmittel und andere unentbehrliche Bedürfnisse verkauft werden, z.B. bei den Bäckern, Fleischern, Apothekern, Rastellen u.s.w. müssen Wachen aufgestellt werden, um den gleichzeitigen Andrang und die zur Uebertragun g des Contagiums Veranlassung gebende Berührung mehrerer Menschen zu verhüten, so wie auch überhaupt die Polizei den Verkauf der Lebensmittel unter Aufsicht zu nehmen, und für die Herbeischaffung eines hinlänglichen Vorraths derselben Sorge zu tragen hat. § 36. Sollte dessen ungeachtet die Krankheit fortwährend weiter um sich greifen, und eine immer grössere und allgemeinere Gefahr der Ansteckung entstehen, so könnte es erforderlich werden, eine allgemeine Haus-Contumaz einzuführen. Hierbei würde Niemandem, ohne besondere von der Sanitäts-Kommission mittels einer Karte ertheilte Erlaubniss, gestattet sein, seine Wohnung zu verlassen, und müssten, um dies zu verhüten, auf sämmtlichen Strassen des Ortes Wachen aufgestellt werden. aus: Instruction Uber das bei der Annäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preussischen Staaten zu beobachtende Verfahren. Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten. Frh. v. Altenstein. Ministerium des Innern und der Polizei. Frh. v. Brenn. Berlin, den 5ten April 1831, in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde [Berlin], Jahrgang 1831, März, April [H. 2, Ende April 1831], S. 318, 321f., 325f. Man muß ein mit Chlor-Kalkwasser oder starkem Essig angefülltes Fläschchen bei sich tragen, womit man öfters die Hände und das Gesicht, besonders unter der Nase, und die Schläfe bestreicht. Es ist auch gut, daß man in einem Beutelchen trockenen Chlorkalk auf

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der Brust trägt, oder solchen in einer Dose bei sich hat, welche man nach Befeuchtung der Nase annähert [...]. Die Leichen an der Cholera verstorbenen Personen müssen nicht abgewaschen, sondern sogleich in derselben Wäsche die sie während der Krankheit getragen haben, in den Sarg gelegt werden. Nach dem Einlegen in den Sarg muß die Wäsche mit einer Auflösung von Salpeter, Salz und Schwefelsäure begossen werden, das Gesicht und der Kopf muß mit dicker in dieser Auflösung getauchter Leinwand bedeckt werden. In Ermangelung des Salpeters oder der Schwefelsäure kann man eine Auflösung von Allaun oder Eisenvitriol von einem derselben ein Theil mit 3 Theile Wasser gemischt, anwenden. Die Leiche wird hernach mit gewöhnlichen Kohlen bis zur Oberfläche des Sarges überschüttet, worauf der Deckel aufgelegt, vernagelt und der Sarg so tief wie möglich in die Erde eingelassen wird, alsdann wird der Sarg 1/2 Fuß mit Kohlen und in Ermangelung derer mit ungelöschtem Kalk oder Asche einen halben Fuß hoch bedeckt, und der Rest des Grabes mit Erde gefüllt. aus: Nachricht über die Cholera, bekannt gemacht von dem Collegium Medikum des Königreichs Polen, hrsg. v. Dr. [Heinrich] Sinogowitz, 2. Aufl. Danzig [16. April] 1831, S. 17f., 26f. Die erschreckenden Beschreibungen und Gerüchte über die Cholera, welche in vielen Schriften enthalten sind, in denen diese Krankheit so oft mit der Pest verglichen wird, müssen sich bei der Nachricht von dem Erscheinen der Seuche in unserem Lande in dem Gedächtnisse der hiesigen Einwohner erneuert haben. Die Erfahrungen und Beobachtungen aber, welche viele glaubwürdige und bekannte Ärzte, besonders in Moskau, gemacht haben, beweisen hinlänglich, dass jene Gerüchte und Beschreibungen meistentheils übertrieben waren, dass der Charakter der Cholera von dem der Pest sehr verschieden ist, dass dieselbe durch unmittelbare Berührung sich keineswegs mittheilt, und dass endlich die Cholera in demselben Verhältniss, als sie sich von der Gegend ihrer Entstehung entfernt, an Kraft und Bösartigkeit schwächer wird. So dürfen denn auch wir nicht befürchten, Zeugen von ähnlichen Verwüstungen zu seyn, wie sie diese Krankheit bei ihrem ersten Erscheinen in Indien angerichtet hat, um so mehr, als die bessere Erkenntniss der Seuche und der dagegen schützenden Heilmittel, so wie die Vorkehrungen, welche die Fürsorge unserer Regierung gleich bei ihrem Erscheinen getroffen hat, ihr keine lange Dauer in unserem Lande zu versprechen scheinen. Es lässt sich vielmehr erwarten, dass die Beobachtung der weiter unten in der Kürze mitgetheilten diätetischen Vorschriften die weitere Ausbreitung dieses Übels verhindern werde. Es scheint gegenwärtig ausser allem Zweifel zu sein, dass nichts die Mittheilung der Cholera mehr erleichtert, als Unreinlichkeit, und wir müssen daher ein ganz besonderes Augenmerk darauf richten, das nicht allein auf die Reinlichkeit des Körpers, sondern auch der Wohnungen und Umgebungen die grösste Sorgfalt verwendet werde. Ferner ist besonders auch darauf zu achten, dass die verdorbene Luft in den Zimmern durch fleissiges Öffnen der Fenster, durch Kaminfeuer, Verbrennen von Kiehn- und Wacholderholz häufig verdünnet und gereiniget werde, und vorzüglich muss das geschehen in feuchten Häusern, engen, mit Einwohnern überfüllten Wohnungen, zumal in den Strassen des niedriger gelegenen Theiles von Warschau, an den Weichselufern, in denen wegen mangelnden Zutritt der

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Sonnenstrahlen der Schmutz fortwährend liegen bleibt, eben so in engen Handwerksstätten, und finstern Räumen, welche viele Arbeiter beherbergen, und mit den Ausdünstungen der Fabricate und der Öllampen angefüllt sind. Eben so muss man verhindern, dass in solchen Wohnungen Wäsche gewaschen oder getrocknet werde, und man muss so viel als möglich vermeiden, Wasser auf den Fussboden und den Estrich zu vergiessen, oder an solchen Orten Rauchfleisch, Gemüse, Käse, überhaupt alle Gegenstände, welche die Luft mit üblen Ausdünstungen anfüllen, eben so in Fäulniss oder Gährung übergehenden Dinge, z.B. Sauerkraut, rothe Rüben, Bier und dergl. anzuhäufen. aus: Bekanntmachung des Central-Gesundheits-Comites von Warschau, 23. April 1831, in: Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau 1831, S. 122f. In der That war der Einbruch dieses gräßlichen Uebels, das mit furchtbarer Heftigkeit von den asiatischen Gränzen des Reichs in wenig Monden, trotz den Maaßregeln des Gouvernements und dem thätigen Eifer der Gesundheitsbeamten, bis in das Herz von Rußland seine verheerenden Frevel übte, in der That, sage ich, war der Verlauf und die Gefahr der Epidemie geeignet, die russische Facultät aus ihrem Winterschlafe zu erwecken, und die regste Thätigkeit unter den Aerzten in allen Theilen des Reiches anzufachen. Eine beträchtliche Menge von Büchern, Memoiren, Broschüren und Manuscripten erschien in kurzer Zeit; es ist hier nicht ihr Werth zu beurtheilen, der für einige dieser Leistungen unbestreitbar ist; allein man darf sich nicht verhehlen, daß den Praktikern noch viele Lücken unausgefüllt erschienen, und daß sie bis jetzt noch den lebhaften Wunsch hegten, irgend etwas Ersprießliches über die Behandlung einer Epidemie zu erfahren, die regelmäßig wenigstens die Hälfte der Kranken sich zum Todtenopfer bestimmte. aus: Dr. [Friedrich] Jähnichen, Die Cholera in Moskau, mit kritischen Bemerkungen über einen Aufsatz von Herrn Leibmedicus Dr. v. Loder über diese Epidemie, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde [Berlin], Bd. 19, [April] 1831, S. 385f. Die orientalische Brechruhr - dieses Schreckbild der Völker - ist so vielfach in öffentlichen Blättern besprochen, daß nur die obwaltenden außerordentlichen Umstände den Verfasser bewegen konnten, auch seine Stimme zu erheben; denn die Sterbelisten, dieses unbestechlichen Zeugen, beurkunden mehr als alle Versicherungen und gelehrten Raisonnements, daß diese Seuche, trotz der Geschicklichkeit der englischen und russischen Aerzte, noch fortwährend unsern gründlichen Erkenntnissen so unzugänglich geblieben ist, daß man fast sagen könnte, sie liege außer dem Bereiche des ärztlichen Wissens; denn ohnerachtet ihrer Tödtlichkeit, ist das Heilverfahren noch immer dem ähnlich, welches befolgt wurde, als diese furchtbare Krankheit die heißen Erdstriche Asien verheerte. Daß sie bei ihrem Vordringen in die kälteren Erdgegenden weniger tödlich auftritt, als unter jenem glühenden Himmel, beruhet offenbar nicht auf der Behandlung, sondern auf den verschiedenen klimatischen Verhältnissen. Wer Zweifel gegen diesen freien Ausspruch hegt, den ersuche ich, nur das Heer von Schriften zu studiren, welches über diesen Gegenstand bis zur Stunde erschienen ist. Wir müssen uns daher nach neuen Hülfsmitteln umsehen, wenn wir dem drohenden Schrecknisse entgehen wollen; denn sollte die Natur in den verheerenden Flug

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dieser Völkerplage nicht bald hemmend eingreifen, so unterliegt es keinem Zweifel, daß wir vielleicht bald ihr Preis gegeben seyn werden; und da wir der wärmern Jahreszeit mit raschen Schritten entgegen gehen, so haben wir um so mehr Grund, zu fürchten; besonders mag dem Süden von Europa die Sage vom schwarzen Tode als warnendes Phantom vor Augen schweben. aus: Dr. Fr[iedrich] Sertürner, Blicke in die Gegenwart und Zukunft, mit Beziehung auf die orientalische Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], IV. St., April 1831, S. 71f. Die primitive (atmosphärische) Erzeugung des Choleramiasmas zu verhüten oder zu zerstören, möchte wohl keines Menschen Wgrk seyn. Dieß könnte nur durch chemische Zersetzung in der Atmosphäre selbst möglich gemacht werden, die nur ein hoher Grad von der dazu nöthigen Stärke, Allgemeinheit und Qualität bewirken kann. Das wirksamste könnte allerdings hierzu das Feuer seyn. Aber in welcher Ausdehnung und Stärke müßte es hier angewandt werden? Es bleibt als zur Verhütung nichts anderes übrig, als die Verhütung der persönlichen Mittheilung. [...] Sehr wichtig ist auch die Vermeidung aller Erkältung, besonders in der Abendluft, die warme Kleidung, insonderheit das Tragen eines Flanellgürtels aus bloßer Haut, welcher ja auch das beste Präservativ der Ruhr ist. Aber mehr als alles hilft ein guter Muth, die Kraft der Seele, die Nichtachtung der Gefahr, und der Glaube an die Nichtempfänglichkeit, zur Abwehrung der Ansteckung. Wer sich fürchtet, der zieht schon dadurch die Ansteckung herbey. aus: C[hristoph] W[ilhelm] Hufeland, Ueber den Unterschied von epidemischer Constitution, Epidemie und Contagion [...] mit Rücksicht auf die orientalische Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], IV. St., April 1831, S. 104f. Bei dem Vorrücken der Cholera gegen Westen, bei der Gefahr, die durch ihr Fortschreiten unserm deutschen Vaterlande droht, wird gewiss eine jede Mittheilung über die fragliche Krankheit willkommen sein. Der Naturforscher Zombkoff'm Moscau hat erst ganz kürzlich seine Bemerkungen über die Cholera bekannt gemacht, die einen ruhigen, besonnenen und ausgezeichneten Beobachter verrathen und viel Beruhigendes hinsichts der Gefahr der Cholera enthalten, aus welchen Gründen mir der Auftrag zu Theil ward, einen Auszug aus Zombkoffs Monographie für dies Journal zu besorgen. Es drängt sich uns jetzt die Frage auf, welche Maasregeln sind nun gegen die Cholera zu ergreifen? Man errichte allenthalben wo die Cholera zu erscheinen droht Hospitäler, Versorgungshäuser für Arme, da diese der Cholera am meisten unterworfen sind, sorge für gesunde Nahrung, gehörige Bekleidung, vermeide alle Excesse, Gemüthsaffecte, und behalte frohe Laune und guten Muth. Schliesslich bemerkt Zombkoff, dass sich am 4ten Januar 1831 in Moscau noch 131 Kranke befunden hätten; vom Anfange der Epidemie bis dahin waren 8336 vorhanden gewesen, wovon 3689 geheilt, 4516 gestorben und 131 noch in Behandlung verblieben wären. aus: Beobachtungen über die Cholera in Moscau, nach B. Zombkoffs Monographie im Auszuge mitgetheilet vom Herrn Dr. Eduard Graefe, in: Journal der Chirurgie und AugenHeilkunde [Berlin], Bd. 15, H. 4 [April] 1831, S. 648, 668.

Exposition: Nachrichten aus der Ferne

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In dem pathologischen Charakter dieser Epidemie ist hauptsächlich bemerkenswerth, die überaus grosse Sterblichkeit und die Schnelligkeit mit welcher sie ihre Opfer während des Anfalles tödtet; selbst der Climaten weite Entfernung und Unähnlichkeit mit dem von Bengalen haben ihre Sterblichkeit nicht verringert, wenn man sie nach der Zahl der Angesteckten berechnet. Obgleich in Moskau der Winter gewöhnlich mit dem November beginnt, und sich die Cholera bis zum 28. October noch nicht offenbaret hatte, so starben doch daselbst die Hälfte der Kranken. Die erste Hälfte dieser Jahreszeit soll indessen ungewöhnlich mild gewesen sein; und da milde Winter unter kalten Himmelsstrichen der Gesundheit am wenigsten zuträglich sind, so mag dieser Umstand zum Theil für die grosse Tödtlichkeit der Krankheit sprechen. - Bei dem diesmal beschränkten Räume wollen wir noch bemerken, dass die Geschichte dieser schrecklichen Heimsi^hung uns die Ueberzeugung aufdringt, dass mit dem Schmelzen des Winterschnees und der Wiederkehr des Sommers in Russland, das Contagium von Neuem erwachen wird, um sich in Polen zu verbreiten, wo es zur Hungersnoth und Krieg noch die Schrecken der Pest bringen wird, und so wahrscheinlich ganz Europa überziehen. In welcher Zeitfolge und nach welchen Orten es ferner seine Reise antreten wird, ist schwer vorher zu sagen. aus: Dr. Hildebrand in London, Gesammelte Nachrichten in Beziehung auf die jetzt in Russland herrschende Epidemie, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde [Berlin], Bd. 15, H. 4 [April] 1831, S. 683.

Noch ehe die Seuche in der alten Hauptstadt der Zaaren [Moskau] ausgebrochen war, herrschte Furcht und Schrecken unter den Einwohnern. Die Behörden und die Aerzte liessen es an Beruhigungsgründen nicht fehlen und behaupteten, die Krankheit könne der getroffenen Vorsichtsmaaßregeln halber gar nicht nach Moskau dringen, überdies dürfe man von der vorgerückten Jahreszeit und der Nähe des Winters erwarten, dass sie der Ausbreitung der Krankheit einen mächtigen Damm entgegensetzten. Allein der Trost wurde wenig zu Herzen genommen; und manches falsche Gerücht, dass Leute plötzlich auf der Strasse umgefallen und gestorben seien, dass bereits ganze Strassen erkrankt seien u. dergl., steigerte die Furcht schon vor dem wirklichen Ausbruche der Krankheit auf das Höchste. Das erste Opfer der Seuche war ein Student; wesshalb sogleich die Universität und alle Lehranstalten geschlossen wurden. Dagegen blieben die Kirchen offen; es wurden Prozessionen gehalten und in allen Kirchen die Hülfe Gottes angefleht; in der evangelischen Kirche wurde alle Sonntage das heilige Abendmahl gereicht. Viele jedoch besuchten die Kirchen aus Furcht vor Ansteckung nicht. Auch die Theater wurden nicht geschlossen; allein es hatte Niemand Lust sie zu besuchen. Als von Sperrung der Stadt die Rede war, flüchtete sich, wer konnte. Fast der ganze Adel verliess die Stadt und begab sich theils auf eine Güther, theils ins Ausland, theils nach St. Petersburg. Die Twerische Strasse war unaufhörlich mit schwerbepackten Wagen bedeckt. Während die Vornehmen und Reichen auf diese Art freiwillig die Stadt verliessen, thaten es Tausende von Fabrikarbeitern gezwungen. Das gemeine, oder wie es der Russe nennt, schwarze Volk zog in Truppen zu fünfzig und darüber aus den Mauern; und aus mannichfachen Gründen war man froh, dasselbe losgeworden zu sein. Auf die Unruhe dieses Auszuges folgte in der sonst so bewegten Stadt die tiefste Grabesstille. Nur die Droschken der Aerzte und Polizeioffiziere sah man auf den Strassen,

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wo früher das Gerassel der vierspännigen Wagen vom Morgen bis in die späte Nacht kein Ende nahm. Die Ruhe der Nacht unterbrach nur das beängstigende Geräusch der Leichenwagen. aus: Victor Adolf Riecke, Mittheilungen über die morgenländische Brechruhr, Bd. 2, Stuttgart [Mai] 1831, S. 82f. Die Gefahr rückt näher, und bald ist zu befürchten, daß wir mit eigenen Augen sehen werden, was die Berichte unserer fernen Kunstgenossen uns darstellten. Dank unserem verdienten Lichtenstädt, daß er, beseelt von wahren Liebe zu seinem Vaterlande, die Fortsetzung seines für ganz Europa so wichtigen Werkes so rasch betrieben hat. Der Inhalt der vorliegenden Lieferung muß die Aufmerksamkeit aller gebildeten Aerzte auf sich ziehen. Der Verf. giebt zuvörderst eine Uebersicht der nun schon viel weiter ausgedehnten Verbreitung der Cholera, nicht ohne die Ereignisse anzudeuten, die ein rasches Fortschreiten dieser Krankheit veranlaßt haben, und dies noch mehr begünstigen werden, während sie die Aufmerksamkeit von der drohenden Epidemie ableiten. Besarabien, die Krim und Wolhynien haben sehr gelitten, und leiden noch; in letztem Gouvernement geben die zahlreichen und gedrängt lebenden Israeliten sowohl zur inneren weiteren Verbreitung, als zu einem höchst ungünstigen Heilungsverhältnisse Veranlassung. Von da aus ist die Krankheit nach anderen altpolnischen Provinzen, und namentlich nach Galizien gedrungen, so wie sie sich von Moskau aus nach vielen anderen Orten verbreitet hat. Welchen Boden hat sie in den russischen und polnischen Lagern, in Siedice und Warschau gefunden! Wahrscheinlich wird sie hier einen noch viel schlimmeren Charakter annehmen, als in Moskau, und ihre Verbreitung um so rascher zunehmen, denn jede Anlage des Organismus, welche ihr zerstörendes Eingreifen begünstigt, wird bei kriegführenden überdies Mangel leidenden Heeren durch Entbehrungen, Unreinlichkeit, Nachtwachen und übermäßige Anstrengung mehr als verzehnfacht. Die Erscheinungsweise des Übels hat sich insofern etwas verändert, als man in Moskau häufig einen langsameren Verlauf beobachtet hat, indem theils Durchfalle vorangegangen, theils fieberhafte Zufälle folgten, wodurch die Sache ein ganz anderes Ansehen gewann. aus: [Justus Friedrich Carl] H[ecker], Cholera-Literatur, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde [Berlin], Bd. 20, [Mai] 1831, S. 105f. Die Behandlung der Cholera ist gegenwärtig die Aufgabe der Medizin, und wahrlich eine nicht leicht zu lösende. Der eigentliche Sitz, die innere Natur der Krankheit sind uns, wie wir oben gesehen haben, noch unenthüllt. Es ist aber auch so schwer, ihr nur im allgemeinen einen gewissen Character abzugewinnen! [...] Ueberblicken wir die ganze Reihe dieser Mittel, so müssen wir uns leider gestehen, daß die meisten derselben nur symptomatisch, mehrere rein empirisch, einige andere wenigstens den Heilbestrebungen der Natur entsprechend sind. Es ist aber freilich auch unmöglich, daß wir schon eine wirklich rationelle Behandlung einer Krankheit besitzen sollten, deren innere Natur uns noch ein Räthsel ist, und das bedrohte Europa könnte wohl mit Recht demjenigen ein Eris mihi magnus Apollo zurufen, der ihm davon die sichere Lösung, und was sich daran knüpfen würde, versprechen möchte. aus: Dr. E[duard] Gnuschcke, Die Cholera in Polen, auf einer Reise durch einen Theil dieses Landes beobachtet, Berlin, [Mai] 1831, S. 18, 24.

Exposition: Nachrichten aus der Ferne

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Bei unserer Ankunft fanden wir, dass der Kranke unvermögend gewesen war, länger im Bette zu bleiben. Die Krämpfe erstreckten sich schon bis nach den Waden hinauf, und wurden auf gleiche Weise in beiden Armen empfunden. Sie waren so heftig, dass er sich zusammen gekrümmt auf dem Fussboden herum wälzte. Als wir in sein Zimmer traten, hatte er sich in die Ecke desselben gekauert, und zeigte uns einen entsetzenden Ausdruck innerer Todesangst. Nur halb mit einem Schlafrocke bekleidet, bog er sich in seinen krampfhaften Zusammenziehungen wie die Figur eines S. Unterstützt durch ein paar Diener, und durch Andrücken seiner gebogenen Glieder gegen die Ecken der Mauer, suchte er mit der höchsten Kraftanstrengung die unwillkürlichen Bewegungen seiner widerspenstigen Muskeln zu bezwingen. Der Ausdruck seines Gesichts in diesem Augenblicke ist uns noch lebendig gegenwärtig, und selbst jetzt, wo wir es durch den Nebel vergangener Jahre erblicken, ist es schmerzvoll dabei zu verweilen. - Dem Leser eine schwache Idee von dem Todeskampfe zu geben, den er aushielt, möchten wir Mr. A. mit einem Wanderer vergleichen, der plötzlich auf des Tigers Lager fällt, und jede Sehne anspannt, um eine augenblickliche Frist zu gewinnen. Aber nur kurze Zeit hat der convulsivische Griff, womit er die Kehle des wilden Thieres für einen Augenblick zusammen drückte, sein unvermeidliches Loos verschoben. So gross war die Gefahr, - so gross die Verzweiflung, die sich in den Mienen des Kranken ausdrückte. Seine Gesichtszüge waren scharf und hohl, seine Zähne während des athemlosen Kampfes geschlossen, das Blut aus Wangen und Lippen verschwunden, und durch wüthende Krämpfe seine Glieder um so widerspenstiger. aus: Dr. Hildebrand zu London, Natur und Heilart der indischen Cholera, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde [Berlin], Bd. 16, Η. 1 [Mai] 1831, S. 142f. Es hat hier mehrere Beyspiele gegeben, dass Leute, die beständig mit Chlorluft umgeben waren, von der Krankheit befallen worden sind. Sehr merkwürdig ist das hier mehreren Personen bekannte Beyspiel, dass ein Mann von mittlem Jahren sich, aus Furcht vor der Krankheit, nachdem er sich mit den nöthigen Nahrungsmitteln und mit Chlorkalk versehen hatte, zehn Tage lang in sein Zimmer einschloss und niemand zu sich liess: man fand ihn in seinem verschlossenen Zimmer von der Cholera befallen und er starb daran. aus: J[ustus] Ch[ristian] v. Loder, Ueber die Cholera-Krankheit. Ein Sendschreiben, Königsberg [7. Mai] 1831, S. 17f. Die Königsberger Zeitung meldet: Die beunruhigenden Nachrichten, in den letzten Tagen von dem Fortschreiten der Cholera verbreitet wurden, sind, so viel man hört, ungegründet. In Warschau sollen zwar an Lazarethfiebern täglich viele Personen sterben, auch in anderen Gegenden in Polen, die mit Lazarethen angefüllt sind, aber nach Preußen selbst ist die Krankheit bis jetzt noch nicht gedrungen. Es sind bereits an den Russischen Gränzen Vorsichts-Maaßregeln getroffen worden, und so dürfte für unser Land jede Besorgnis schwinden. Gemüthsruhe, das beste Präservativ gegen diese Krankheit, öfteres Wechseln der Wäsche und Baden, Lüften der Wohnungen, sind Mittel, die in allen Zeiten vielen Krankheiten vorgebeugt haben, und die jetzt zumal allgemein angewendet werden sollten. Inland, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 126, 7. Mai 1831, S. 900.

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Eine der Calamitäten, welche seit dem Einrücken des Feindes in unsre Gränzen, die Bewohner des Landes ganz besonders bedrückt, die Cholera, fängt an, wie wir von allen Seiten benachrichtigt werden, nun auch in verschiedenen Theilen der Stadt Warschau an, sich zu zeigen. Der Central-Gesundheits-Comite beeilt sich daher, in Übereinstimmung mit dem OberMedicinal-Collegio, gegenwärtige Bekanntmachung an alle Gemeinde-Schulzen, Pfarrer, Präsidenten und Bürgermeister zu erlassen, weil er durch die Erfahrung sich überzeugt hat, dass diese Krankheit bei ihrem Entstehen leicht unterdrückt werden kann, wenn man sich nur mit den Erscheinungen, woran sie zu erkennen ist, gehörig bekannt macht, so wie mit der Behandlungsweise, welche, nach den bisher bekannt gewordenen besten Erfahrungen, auch in Warschau die Sterblichkeit seit einiger Zeit so vermindert hat. [...] Da, wo die Cholera sich zu zeigen anfängt, werden meistens nur solche Menschen davon befallen, welche unmässig im Genuss der Speisen und erhitzender Getränke sind, welche sich vor Erkältungen, besonders des Unterleibes, nicht in Acht nehmen, besonders aber Bewohner von feuchten, unreinlichen, und mit Menschen überfüllten Wohnungen. aus: Bekanntmachung des Central-Gesundheits-Comites von Warschau, 10. Mai 1831, in: Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau 1831, S. 115, 117.

Steigerung: „Cholera ad portas"

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2. Steigerung: „Cholera ad portas" Seitdem die unter dem Namen Cholera morbus bekannte Krankheit mehrere Gegenden des Russischen Reichs befallen hatte und eine Annäherung an die Preußischen Staaten zu besorgen war, wurden, auf besonderen in Allerhöchst landesväterlicher Fürsorge erlassenen Befehl Sr. Majestät des Königs, von den unterzeichneten Ministern Veranstaltungen getroffen, um durch die Beobachtungen und Untersuchungen abgeschickter Sachverständigen an Ort und Stelle die Natur des Uebels genau zu erforschen und im Voraus die Maaßregeln zu ermitteln, durch welche die Krankheit von den Gränzen abzuhalten, und, im Fall solches nicht zu verhüten seyn sollte, die bestmöglichsten Einrichtungen zu ihrer kräftigen Unterdrückung vorzubereiten. Eine Kommission aus Räthen der Ministerien und aus Aerzten hat sich mit den Vorarbeiten für diesen Zweck thätigst beschäftigt, und da nunmehr der Ausbruch der Krankheit im Königreich Polen nicht zu bezweifeln ist, so haben Sr. Majestät zu beschließen geruht, daß die eingeleiteten Vorkehrungen sofort in Wirksamkeit treten sollen, auch Höchstdero General-Adjutanten, dem General-Major von Thile an die Spitze der unmittelbar bestätigten Kommission gestellt und dieselbe mit der Ausführung sämmtlicher Maaßregeln, welche sich auf die Abwendung und Unterdrückung der Cholera beziehen, dergestalt beauftragt, daß sie, zur Vermeidung jeder Verzögerung, unabhängig von der Einwirkung der verschiedenen Ministerial-Ressorts und des für die gewöhnliche Verwaltung vorgeschriebenen Geschäftsganges, nach selbstständig zu fassenden Beschlüssen, mit raschen Verfügungen überall einschreite, wo und wie die wechselnde Lage der Umstände es nötig macht. Durch die Organisation dieser Kommission und die ihr beigelegte Autorität, durch eine strenge, militairisch unterstützte Gränzsperre, durch die Anlegung der erforderlichen Quarantaine-Anstalten für Reisende für Einrichtungen zur Reinigung derjenigen Sachen, welche die Ansteckung verbreiten könnten, und durch die Bekanntmachung ärztlicher Vorschriften über das Verhalten der Einwohner bedrohter Gegenden, so wie über das Heil-Verfahren bei eintretender Krankheit, ist zur Sicherheit des Staats und seiner Einwohner Alles angeordnet, wovon, unter dem Schutze des Höchsten, ein günstiger Erfolg sich hoffen läßt. Die specielle Ausführung dieser Anordnungen erfolgt vorschriftsmäßig durch die Oberpräsidenten, die in der Ausübung der ihnen anvertrauten Gewalt sowohl von den kommandirenden Generalen mit dem Beistande der bewaffneten Macht, als von der Immediat-Kommission durch schnelle und kräftige Anwendung aller der Central-Verwaltung zu Gebot stehenden Mittel mit unablässiger Aufmerksamkeit unterstützt und durch sorgfältige Communicationen in übereinstimmender Wirksamkeit werden erhalten werden. Von allen untergeordneten Civil- und Militair-Behörden, denen in ihren einzelnen Ressorts ein thätiges Einschreiten zur Pflicht gemacht ist, wird, wie von sämmtlichen Einwohnern, die pünktlichste Befolgung der ertheilten Vorschriften mit Zuversicht und Vertrauen erwartet. Die unterzeichneten Minister beeilen sich, zur möglichsten Beruhigung über die Besorgnisse, welche die Nachrichten von der Verbreitung der Cholera im Königreiche Polen erregt

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haben möchten, diese Allerhöchsten Anordnungen und die in deren Verfolg getroffenen Maaßregeln zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Bekanntmachung. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten, von Altenstein. Der Minister des Innern und der Polizei, von Brenn. Berlin, den 17. Mai 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 138, 19. Mai 1831, [S. 945]. Es ist eine Eigentümlichkeit der gegenwärtig in den Nachbarländern herrschenden Cholera, daß sie nicht, wie die pestähnlichen Seuchen, in Folge bloßer Berührung jedes Individuum fast ohne Ausnahme ergreift, sondern daß zur Aufnahme des Contagii derselben eine besondere Empfänglichkeit und Prädisposition für die Krankheit gehört. Die Cholera zeichnet sich dadurch auf eine zur besonderen Beruhigung gereichende Weise vor andern ähnlichen Seuchen aus, und es kömmt bei ihr zugleich mehr, als bei allen übrigen, auf die Beobachtung einer angemessenen Diät und Lebensweise an, um sich vor der Ansteckung zu bewahren. Es ist deshalb eine dahin abzweckende Belehrung für das Publikum ausgearbeitet und, damit sie die möglichste Verbreitung erhalte, der Mittlerschen Buchhandlung hier zum öffentlichen Debit überlassen worden. Eben so ist in Rücksicht auf die Neuheit der Krankheit und der daraus entspringenden Unbekanntschaft der meisten Aerzte mit derselben, eine aus den bisher gesammelten Erfahrungen geschöpfte Anleitung zur Erkenntniß und Heilung der Cholera ausgearbeitet und zur Vertheilung an die Aerzte bestimmt. Bei dem mit dem Näherrücken der Krankheit gesteigerten Interesse des Publikum, daran wird von jetzt ab dafür Sorge getragen werden, aus allen eingehenden amtlichen Nachrichten über den Stand und die Verbreitung oder Abnahme der Krankheit, wo sie herrscht, von Zeit zu Zeit durch die öffentlichen Blätter getreue und ausführliche Mittheilungen zu liefern und dadurch vorzüglich die Beunruhigungen zu verhüten, welche durch vielfältige falsche Angaben, Uebertreibungen und Entstellungen sich so leicht verbreiten. Bekanntmachung. Chef der Immediat-Kommission für die Abwehrung der Cholera, v. Thile. Berlin, den 18. Mai 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 138, 19. Mai 1831, [S. 945]. Am 26sten gegen Abend erkrankten schnell mehrere Personen an dieser Seuche, wodurch die Aerzte in große Bewegung gesetzt wurden, das Publicum aber in Sorgen und Schrecken gerieth. Es wurde schon Nachmittags in der Gegend der kleinen Pforte 1 cholerakranker Mann und 1 cholerakrankes Weib auf der Straße liegend gefunden und sogleich ins CivilCholera-Krankenhaus gebracht, wo der Mann schon in wenigen Stunden verschied. Vor der Seepforte wurde ebenfalls ein cholerakrankes Weib auf einem Grasplatze an der Drixe gefunden; ein Schu[h]macher war in seiner, in eben jener Gegend gelegenen Wohnung, ein junger Goldarbeiter in einem Hause in der Schreiberstraße erkrankt. Diese Fälle und das schnelle Erkranken mehrerer Soldaten auf ihren Wachposten im Gefängnisse verursachten eine große Unruhe in der Stadt. aus: Dr. [Heinrich] Bidder, Fünftes Bulletin Uber die Cholera in Mitau. Am 27sten May Abends 10 Uhr, in: Extraordinaire Beylage zur allgemeinen deutschen Zeitung für Rußland, Nr. 64.

Steigerung: „Cholera ad portas"

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Es herrscht gegenwärtig sehr viel Thätigkeit bei uns, welche namentlich die [an] unsern Landesgrenzen gegen Polen und Rußland herrschende Cholera hervorgerufen hat. Es ist ein starker Cordon gezogen und alles veranstaltet worden, um das Eindringen dieser furchtbaren Seuche in das hiesige Regierungs-Departement zu verhüten. Außerdem, daß hart an der Grenze Quarantaine- und Contumaz-Heilanstalten eingerichtet worden sind, haben bereits sechs der hiesigen Aerzte von dem Medicinal-Collegium den Auftrag erhalten, die Grenze zu bereisen, die Heilanstalten zu besuchen und die Krankheit zu beobachten. Sie erhalten Jeder 3 Thaler Diäten und Extrapost-Fuhrgelder. Bei uns ist man wegen der Krankheit im Allgemeinen zwar ruhig, es sind jedoch auch Vorkehrungen getroffen worden, welche die Sicherung vor großer Ausbreitung dieses Uebels, Falls es uns ebenfalls heimsuchen sollte, erheischt hat. Insbesondere ist dem Eindringen der polnischen Handelsjuden gewehrt worden, welche, besonders bei ihrer bekannten Unreinlichkeit, den Stoff zur Ansteckung durch diese fürchterliche Krankheit gar leicht mittheilen und verbreiten können. aus: [Anonym.] Aus Königsberg in Preußen. Ende Mai 1831, in: [Dresdener] AbendZeitung, Nr. 172, 20. Juli 1831, S. 688. Da, wie ich eben schon sagte, Trinker am häufigsten von der Krankheit befallen werden und diese ihnen auch am verderblichsten ist, so dürften alle Häuser, wo starke Getränke verkauft werden, unter polizeiliche Aufsicht zu nehmen seyn, damit dem übermäßigen Trünke selbst von den Schenkwirthen Grenzen gesetzt würden, indem diesen der Verkauf vieler starken Getränke an eine und dieselbe Person untersagt würde. Eben so sind Bäcker und Fleischer speziell unter Aufsicht zu nehmen, damit das Brod stets gut ausgebacken und das Fleisch frisch verkauft werde. aus: [Adolph Schnitzer], Rathgeber für alle, welche sich gegen die Cholera morbus schützen wollen. Nebst Angaben, wie man beim Ausbruche dieser Krankheit sich selbst augenblicklich zweckmäßige Hülfe leisten kann. Dritte unveränderte Auflage, Breslau [1. Juni] 1831, S. 29. Was aber die Beschaffenheit der Nahrungsmittel, und namentlich zuerst der Speisen betrifft, so sind, insbesondere zur Verhütung der Cholera, zu vermeiden: alle leicht in Gährung übergehende, säuerliche, wässerige und den Magen und Unterleib erkältende Speisen, wie z.B. rohe, besonders unreife Früchte, Weintrauben, Melonen, Gurken, Kohl, sowie auch schwer verdauliche und sehr fette Speisen, dergl. Fische, zähe Klöße u.s.w. Angemessen sind dagegen weiche Speisen aus Kalbfleisch, Hammelfleisch, Geflügel, Wildprett, Schweinefleisch, wenn es nicht zu fett, und Rindfleisch, wenn es nicht zu hart und zähe ist. Ferner von den vegetabilischen Speisen solche, die viel mehlige Stoffe enthalten, wie z.B. Reis, Gries, Graupen, Hafergrütze, Kartoffeln u.s.w. Es ist auch angemessen, sich bei der Zubereitung und dem Genüsse dieser Speisen eines mäßigen Zusatzes von Küchengewürzen zu bedienen, wie z.B. von Pfeffer, Senf, Kümmel, Annis, Zwiebeln, oder auch Gewürznelken, Zimmet, Ingver, Muskaten-Nüssen u.s.w. Von den Getränken aber sind eben so alle diejenigen zu vermeiden, welche leicht in Gährung übergehen und die Verdauungs-Werkzeuge beschweren, wie z.B. nicht gehörig ausgegohrenes oder schon säuerlich gewordenes Bier, saure Milch, den Borscz und Quasz der

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Polen u.s.w. Besonders nachtheilig aber wird der übermäßige Genuß von geistigen Getränken. Der Körper wird namentlich für die Cholera durch nichts mehr empfänglich gemacht, als durch die Trunksucht. Dagegen ist aber der mäßige Genuß von etwas gutem Wein, (Franzwein, Medoc, altem herben Ungarwein u.s.w.), oder auch, bei stattfindender Gewohnheit, von einer geringen Quantität Branntewein, der mit Kümmel, Annis, Kalmus, Pomeranzen oder Wacholderbeeren bereitet ist, allerdings nützlich, nur muß hierbei das gehörige Maaß nicht überschritten und keine Erhitzung und Ueberreizung, sondern nur das Gefühl einer angenehmen Erfrischung und Erregung bewirkt werden; die hierzu erforderliche Quantität hängt daher gänzlich von der bisherigen Gewohnheit der Menschen ab. aus: Anweisung zur Erhaltung der Gesundheit und Verhütung der Ansteckung bei etwa eintretender Cholera-Epidemie. Von der Königl. Preuß. obersten Medicinal-Behörde in Berlin zum Druck befördert, Rinteln [ 1. Juni] 1831, S. 3. §.5. Für die Reisenden ist in einem oder mehreren möglichst isolirt und in der Nähe des Haupt-Zoll-Ortes gelegenen, zu diesem Behuf acquirirten Gebäuden eine hinreichende Zahl von Wohnungen zweckmäßig einzurichten. Sollte das Haupt-Zoll-Amt jenseits einer Stadt oder eines Dorfes, von demselben entfernt, und überhaupt isolirt liegen, so ist die Contumaz-Anstalt, wenn nicht völlig abgesondert gelegene Gebäude in der Nähe des Haupt-ZollAmtes zu erlangen sein sollten, an der jenseitigen äußern Seite der nächsten Stadt oder des nächsten Dorfes, und möglichst getrennt von demselben, anzulegen. Dasselbe muß geschehen, wenn das Haupt-Zoll-Amt nahe an der jenseitigen Seite einer Stadt oder eines Dorfes befindlich sein sollte; und eben so ist die Contumaz-Anstalt auch jedenfalls an der Außenseite der Stadt oder des Dorfes anzulegen, wenn sich das Haupt-Zoll-Amt mitten in denselben oder diesseits derselben befinden sollte, so zwar, daß die Reisenden und Waaren keinesfalls durch die Stadt oder das Dorf passiren brauchen, um nach der Contumaz-Anstalt und dem Haupt-Zoll-Amte zu gelangen. [...] §.20. Kommt dagegen der Reisende aus einer von der Cholera wirklich befallenen Gegend, d.h. aus einer solchen, in welcher die Cholera zur Zeit seiner Abreise entweder noch herrschte, oder doch vor noch nicht mehr als 20 Tagen aufgehört hatte, so hat er die volle Contumaz-Zeit von 20 Tagen in der Anstalt zuzubringen, und muß während dieser Zeit auf die Weise gereinigt werden, wie es in der betreffenden Anweisung vorgeschrieben ist. Nur wenn der Reisende auf eine überzeugende Weise darzuthun vermag, daß er während seiner Reise sich schon längere Zeit in völlig gesunden Gegenden befunden, kann, nach Maaßgabe der in der gedachten Anweisung darüber enthaltenen Bestimmung, eine Abkürzung jener Contumaz-Periode zugestanden werden, jedoch unter der Beschränkung, daß in allen solchen Fällen der Reisende mindestens doch einer fünftägigen Contumaz unterworfen werde. aus: Instruction für die Königlichen Contumaz-Beamten. Ministerium der geistlichen, Unterrichts· und Medicinal-Angelegenheiten. Frh. v. Altenstein. Ministerium des Krieges. v. Hake. Ministerium des Innern und der Polizei. Frh. v. Brenn. Zweite Ausgabe. Berlin, 1. Juni 1831, S. I f f .

Steigerung: „Cholera ad portas"

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§. 25. Alle Briefe und andere Papiere, welche nicht sichern Beweisen zufolge aus einer von der Cholera völlig freien, sondern aus einer verdächtigen oder anerkannt inficirten Gegend kommen, müssen Behufs ihrer Reinigung geräuchert werden. §. 26. Man bedient sich dazu eines hölzernen Kastens, welcher von unten nach oben in drei Theile getheilt ist. In dem obersten Drittheil befindet sich ein Rost von Eisendraht, worauf die Briefe mit einer pincettenartigen Briefblattzange gelegt werden. Nachdem hierauf die obere Abtheilung des Kastens durch einen genau schließenden Deckel wieder verschlossen ist, wird in das mittlere Fach eine Pfanne von Essig, und in das unterste eine Kohlenpfanne mit glühenden Kohlen und darauf gestreutem Räucherpulver (aus 1 Theile Schwefel, 1 Theile Salpeter und 2 Theile Kleie bestehend) gesetzt, und sodann der Kasten bis auf eine kleine Zugöffnung geschlossen. Auf solche Weise bleiben die zu räuchernden Briefe fünf Minuten, um ihre äußere Reinigung zu vollziehen, dem Desinfections-Rauche ausgesetzt, worauf sie herausgenommen, mit einem Pfrimen vielfach durchstochen, bei besonders verdächtiger Beschaffenheit wohl auch zur Seite aufgeschnitten, und dann wieder, durch fünf Minuten in die Räuchermaschine gelegt, der Hitze, den Essigdämpfen und dem aus dem Räucherpulver sich entwickelnden Rauche ausgesetzt werden. §. 27. Nachdem die Briefe wieder herausgenommen sind, werden sie mit dem SanitätsStempel versehen, und durch Posten oder Kuriere aus dem diesseitigen Gebiete weiter befördert. Den Kuriren, die sie gebracht haben, darf die Weiterreise nur erst nach vollbrachter Contumaz-Zeit, unter Beachtung der nach §. 2. etwa Statt findenden Vergünstigungen, verstattet werden. §. 28. Sollten giftfangende Gegenstände, Proben und dergleichen, in den Briefen enthalten sein, so müssen dieselben, nebst diesen ihren Einlagen, die für letztere bestimmte Reinigungszeit hindurch zurückbehalten werden. aus: Anweisung über das Desinfections-Verfahren bei den aus Gegenden, wo die Cholera herrscht, kommenden Reisenden, Waren und Thieren. Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten. Frh. v. Altenstein. Ministerium des Krieges. v. Hake. Ministerium des Innern und der Polizei. Frh. v. Brenn. Zweite Ausgabe. Berlin, 1. Juni 1831, S. 5. Zur Beerdigung der an der Cholera verstorbenen Personen ist ein besonderer, möglichst isolirt gelegener, mit einem Graben und einer sicheren Umzäunung umgebener Kirchhof anzulegen, und sind die Todten, mit möglichster Vermeidung aller Berührung, auf eigends dazu bestimmten Wagen von den hierzu angewiesenen exponirten Knechten dort hinzubringen, und in wenigstens einen Klafter tiefen Gräbern zu begraben, auch wo möglich mit ungelöschtem Kalke zu bedecken. - Solche Wagen können zweckmäßig auf die Weise eingerichtet werden, daß der auf ihnen befindliche Kasten (Sarg) abgenommen, und unmittelbar an das Lager der Leiche gebracht, diese selbst aber mit stumpfen eisernen Haken in den Kasten hineingezogen wird. aus: Instruction über das bei der Annäherung der Cholera, so wie über das bei dem Ausbruche derselben in den Königlich Preußischen Staaten zu beobachtende Verfahren. Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten. Frh. v. Altenstein. Ministerium des Krieges, v. Hake. Ministerium des Innern und der Polizei. Frh. v. Brenn. 2. Ausgabe. Berlin, 1. Juni 1831, S. 9f.

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Ueberall fast dreht sich jetzt nur um einen Gegenstand das Gespräch, um die große Plage, die von Asien herübergerückt ist und jetzt vor den Gränzen unseres Vaterlands steht. Alle gewöhnlichen großen gesellschaftliche Fragen, Theater, Literatur, Kunst und Politik scheinen in den Hintergrund getreten zu seyn. Es ist, als hätte die Krankheit die Gemüther der Menschen schon moralisch ergriffen, denn Jeder läßt sich über die Cholera hören, Jeder giebt das paroxysmenweise von sich, was er über die Cholera weiß, glaubt und denkt. Die sonderbarsten Ansichten und Urtheile werden denn da zu Tage gefördert, und der praktische Arzt hat seine Noth, in seinem Kreise alle die wirren, trübseligen und komisch zugestutzten Fragen zu beantworten. Dem kann auch kaum anderes seyn, da den Laien gewöhnlich die ersten auf den Gegenstand bezüglichen Begriffe durchaus fehlen. Es ist ein wahrer Jammer, Alles das vernehmen zu müssen, was man wirklich vernimmt. Hier quält man sich ab, den Namen Cholera richtig auszusprechen; die Einen sprechen unaufhörlich Cholera, mit langem e, wahrscheinlich weil sie an das Wort cholerisch gewöhnt sind; die Anderen sagen gar Cholera, mit offenem o, so daß es wie Kollera klingt und man versucht ist, wenn dabei die Frage aufgestellt wird, ob auch Thiere die Krankheit bekommen, an den Koller zu denken. Dort weiß man sich nicht aus den Begriffen: „epidemisch und kontagiös" herauszufinden, und Viele, die von dem Streite der Aerzte, ob die Krankheit ansteckend sey oder nicht, gehört oder gelesen haben, lassen sich in Erörterungen ein, die, wenn sie auch weiter zu nichts führen, wenigstens sehr langweilig sind. Das Alle möchte noch hingehen und möchte uns durchaus nicht veranlassen, irgend ein Wort zu verlieren, wenn wir nicht wüßten, welche Gewalt heut zu Tage die öffentliche Meinung hat. Alles in der Welt wird bekrittelt und sogar die herrlichen, vom Staate mit so großer Umsicht und Kraft an der Gränze getroffenen Maaßregeln entgehen dem Tadel nicht. Eigensucht, Beschränktheit, Dünkel und schwatzhafte Tadelsucht sind die Grundzüge solcher Kritteleien. Die größere Masse hat das innigste und vollste Vertrauen in die Einsicht und väterliche Wachsamkeit der höchsten Behörden; nur einige Stimmen sind es, die gleich krächzenden Dohlen, böses Wetter prophezeien und überall einen Mißklang erregen. aus: Dr. Fr[iedrich] J[akob] Behrend, Ueber die jetzt herrschende Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 151, 2. Juni 1831, S. 1002. Ew. Königlichen Majestät melde ich, in Verfolg meines gestrigen ehrfurchtsvollen Berichts, allerunterthänigst, daß die Nachricht von dem Ausbruch der Cholera in Polangen sich leider bestätigt hat. Nach einer Mittheilung des General-Majors von Roennenkampf an die Contumaz-Anstalt in Nimmersatt ist ein in Polangen und Crotingen stehendes Bataillon von der Cholera befallen, von dem bereits mehrere Individuen daran gestorben sind und sich zur Zeit 22 Kranke im Lazareth befanden, und unter diesen auch einige Juden, unter welchen die Krankheit sich zu verbreiten bereits begonnen hat. Die übrigen Einwohner sollen sich dagegen noch eines guten Gesundheitszustandes erfreuen. aus: Ludwig Gustav v. Thile an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 2. Juni 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. /. Nr. 14.

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Ein Wort ist's, das jetzt die Welt beherrscht, das den politischen Verkehr wie die geistige Conversation einengt, das ominöse Wörtchen „Cholera". Hast Du, bester Leser, die Cholera schon gehabt? - Nein? - So sage von Glück! Aber hast Du von der Cholera schon gehört? - Auch nein? - Unglaublich! doch Heil Dir dreimal Glücklichem, wenn es wahr ist! Du bist vor Allen zu beneiden; Du wirst staunen, zweifeln, aber laß Dir das Räthsel lösen; laß Dich einführen in das Leben voll Langeweile, Besorgniß, Angst und Ueberdruß, was man heut zu Tage lebt, des einen Wortes „Cholera" wegen. Höre also meinen gestrigen Tageslauf, und construire dann solcher Tage sieben zu einer Woche, und solcher Wochen viere zu einem Monat (so lange spielt ungefähr das Stück), und Du wirst inne werden, wie begründet meine Klagen sind. Aus sanften Träumen (von Dir, holde Leserin), weckte mich gestern, wie gewöhnlich, bald nach 9 Uhr, des hereinstürzenden Barbiers wohlbekannter Hufschlag. Aergerlich, wie gewöhnlich, fuhr ich, zwar nicht aus der Haut, jedoch aus dem Bette, und schlüpfte in die bereitstehenden Pantoffel, vormals Pariser. Schon war ich, noch schlaftrunken, unter dem Messer, als mein Bartkünstler den Strom seiner Rede los ließ, erzählend, wie vor dem F[rankfurt]er Thore bereits alle Vertheidigungsanstalten getroffen, Kanonen aufmarschirt und Soldaten davorgepflanzt wären, und wie Solches sehr „eenzig" anzusehen sei. „Aber wozu denn das?" murmelte ich, wie ein Bauchredner, ohne Bewegung des eben abzumähenden Unterkiefers, „sind denn Feinde im Anmarsch?" „I Jot!" war die Antwort, „gegen die Cholera". Hier erwachte ich vollends, und ein gelinder Schauer durchrieselte mich. Er fuhr fort, wie dieselbe schon in Danzig und Stettin sind sollte, wie die letzten Postpassagiere von ersterem Orte her schon vor der Stadt Contumaz hielten, wie man Feuer geben werde, wenn die Cholera nicht nach dreimaliger Aufforderung umkehre, wie schon in den vornehmen Häusern die Dienstboten abgeschafft würden, weil man gehört, daß dieselbe vorzüglich in den untern Ständen ausbreche, und wie „Ist dein Messer von Bluth so roth, Edward, Edward, Du hast mich geschnitten, Schwerenoth!" unterbrach ich endlich poetisch ä la Herder den Schwall, denn wirklich zeigte mir mein Spiegel eine erkleckliche Wunde, die der Jüngling im Eifer des Erzählens mir beigebracht hatte. Aber eben als ich mich zu mehr prosaischer Züchtigung des Ungeschickten umwandte, ertönte sein „Gun Moorgen!" aus der Thür zurück. Verdrießlich rückte ich an den Kaffeetisch und ergriff die Zeitungen. - Ausland: „In Riga wüthet die Cholera dergestalt ..." Inland: „In Danzig starben an der Cholera ..." Literatur: „Abweisung zum Schutze gegen die Cholera bei ..." Alle Rubriken begannen mit „Cholera", ich warf die Zeitungen wieder hin und kleidete mich an. Da trat der Postbote mit zwei Briefen ein. Die längst erwarteten ergreifend, fuhr ich zurück, da der erste, mit dem Stempel Riga, durchstochen und durchräuchert, mir schon von außen den Inhalt kund gab. Aber den zweiten, von einem Lübecker Freunde, erbrach ich um so rascher. Er begann: „Vor einigen Tagen kam ein russisches Schiff hier an, und hatte eben die Pasagiere ans Land gesetzt, als sich aus den mitgebrachten Briefen die Nachricht verbreitete, daß die Cholera" - Nein! dies war nicht zu ertragen. Ich überflog die Zeilen, nach der ersehnten Nachricht suchend; nichts

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als Cholera, bis zum „Auf ewig Dein etc." Schon wollte ich auch diesen Brief zu den andern werfen, halt! - da fand ich noch ein kleines P. S. mit der kurzen Anmerkung: „Am vorigen Freitag machte mich meine Caroline zum glücklichen Vater eines wohl gebohrnen Sohnes". - Also wirklich nicht vergessen diese unbedeutende Familienangelegenheit (seine Caroline war nur meine Schwester!) über den Bericht von der Cholera! - Mit innerem Mißmuthe verließ ich das Haus, um mich zu zerstreuen. Da sah ich an der nächsten Straßenecke einen rothen Anschlagzettel. Gewiß eine neue Kunstvorstellung, oder ist die heutige Oper abgeändert? Beides nicht; „In der Krause'sehen Buchhandlung ist die Nummer 129. des Eulenspiegel-Couriers einzeln ä 1 Sgr. zu haben, enthaltend ein Mittel gegen die - .Cholera'", buchstabirte so eben der Choragos der hinter mir versammelten Schuljugend, den ich, mich plötzlich umdrehend, über den Haufen stieß, und bestürzt entzog ich mich ihren Schmähungen, indem ich in die offenstehende Thür des Ladens von Treu und Nuglisch sprang, da ich ohnehin einen Flacon für meine Freundin zu kaufen wünschte. „Ein Flacon?" hieß es, „zu dienen!" - „Nicht diese Sorte", replizirte ich, „eine größere, wenn ich bitten d a r f . - „Sie sind alle so", war die Antwort. „Wie!" rief ich aus, „Sie haben nur diese einzige Sorte?" „Ja wohl, Choleraflacons sind nur in dieser Fason da!" - „Alle Teufel, wer hat den die gefordert" - Genug, ich merkte mit Schrecken, daß die Cholera auch schon im Reiche der Parfümerien dominire, eilte daher mit dem ersten besten Eau de Troubadour davon, und zwar in das Haus nebenan, um mir eine Halsbinde anzuschaffen. - Kaum habe ich das artige Mädchen im Laden gebeten, mir einige weiße Binden vorzulegen, als sie mir eine ellengroße wollene Leib- und Magenbinde präsentirt, vor der ich zurückbebe. Sie sieht mich befremdet an, (ich sie dito), und fragt endlich verwundert: „Wollten Sie etwa keine Cholerabinde!" „Um's Himmels Willen nein!" - poltere ich hervor - , „eine Halsbinde, Cravatte, oder wie sie sonst wollen!" - Zum zweiten Male angeführt, wage ich weder an das lithographische Institut von S..., noch an die Buch- und Musikhandlung von H... heran zu blicken, aus Furcht, dort vielleicht die Abbildung eines Cholerakranken, hier etwa eine Cholera-Charte, oder gar einen Cholera-Galoppwalzer zu sehen, und so begebe ich mich direct in die Restauration von L..., um zu Mittag zu speisen. An einem Tische ist noch ein Platz offen, ich setze mich an denselben, und komme gerade zu rechter Zeit, indem ein gemüthlicher Abonnent so eben erzählt, wie er sich gestern in den Zelten an einem Plebejer höchlich erbaut habe, der stets von der „Scholera" gesprochen, (vermuthlich, weil er das Wort für französischen Ursprungs gehalten) da man doch bekanntlich „Kollera" accentuiren müsse. Etwas dem Koller Aehnliches regt sich bei dieser Exposition in mir, doch ich schweige, indem sogleich ein anderer Sprachforscher die Ableitung des Wortes beleuchtet, das von dem Griechischen, so viel als „Dachrinne" herkomme. Der Angstschweiß brach mir aus, der Bissen bleibt mir im Munde stecken; da in der größten Noth erinnere ich mich zufällig an Jean Pauls: „Glück, auf dem einen Ohre taub zu sein". Ich bin es ja auf dem linken, und brauch nur eine Brodkugel in das rechte zu stecken, um von meinem Ohrenzwange befreit zu werden. So verzehre ich wenigstens den Rest des Mittagessens ohne Cholera, wenn gleich meine Neigung zum Appetit schon bei der Suppe durch dieselbe verdorben ward. Ich tröstete mich indessen mit dem Nachmittage, wo ich bei meiner kleinen Freundin den Kaffee trinken werde, und endlich ungestörten Ersatz für die Drangsale des Vormittags hoffen darf. Ich werde freudig empfangen. Bald reizen spähende Blicke und geheimnißvol-

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les Lächeln meine Neugier. Ich bestürme sie mit Fragen, und schwöre, wie unruhig mich bereits ihr Schweigen mache. Da beginnt sie schüchtern, ob ich etwa schon gehört habe, wie ihr gestern Abend eine recht fatale Geschichte begegnet, vor der sie sich heute fast schäme. Ich weiß von nichts, und erfahre denn auf den langen und breiten Wegen weiblicher Beredtheit, zu immer steigender Verwunderung, wie sie gestern Abend spät noch lange allein gesessen und gelesen habe, und durch das „abscheuliche" Buch, das sie durchaus nicht habe fortlegen können, zuletzt dergestalt erregt, angegriffen und beängstigt worden, daß sie endlich, von Schwindel und Uebelkeit befallen, alle in demselben geschilderten Symptome an sich wahrzunehmen geglaubt, voll Angst die Dienstboten geweckt, und, da alle versuchte Mittel vergeblich, den Arzt habe rufen lassen, der sogleich gekommen, ihr verordnet und 11/2 Stunden Trost und Beruhigung zugesprochen, übrigens aber beigepflichtet habe, daß jenes „schreckliche" Buch gar nicht hätte herausgegeben werden müssen, indem schon mehrere Damen durch das Lesen desselben in einen ähnlichen Zustand gefallen seien. Auf der Folter der Erwartung, und zehnmal schon umsonst versuchend, sie zu unterbrechen, dringe ich endlich mit Ungestüm durch, indem ich zum eilften Male flehe, mir nur vorläufig zu sagen, was das für ein Buch gewesen. „Was für ein Buch?" erwidert sie befremdet, „nun, das bei M... herausgekommen, über die Cholera!" Bei diesen Worten springe ich auf, mein Haar sträubt sich, mit dem Gelächter der Verzweiflung mache ich mir Luft, und ohne die Thränen der mein Lachen mißdeutenden Geliebten zu achten, renne ich davon! - und diese Lache! - O! sie hat mich viel gekostet; als ich heute zu der Süßen eile, um das gefürchtete Mißverständniß zu beseitigen, werde ich nicht vorgelassen, abgewiesen ein- für allemal. Ο Cholera! Nicht blos mein Unterkiefer und meine gestrige Suppe, auch meine junge Liebe ist dir zum Opfer gefallen!! - Aber es sollte noch mehr kommen, obgleich der herbste Kelch geleert war. Indem ich mich im Freien über mein Geschick austobe, begegne ich einer Menge Spaziergänger mit brennenden Pfeifen und glimmenden Cigarren, und erhorche zu meinem Erstaunen aus einer Unterredung Vorübergehender, daß die Polizeigesetze in Betreff des Rauchens, der Cholera wegen suspendirt sind. ,Auch das noch!" stöhne ich, „damit sich selbst in Gottes freier Natur philisteriöser Tabacksdampf verfolge!" - Aber, wie beim Uebermaße des Elends der Mensch stumpf und unempfindlich wird, so überkommt jetzt nach diesem letzten Schlage Ruhe mein Inneres, wenn schon Ruhe des Kirchhofs, so zu sagen, Schillersche Resignation. Es irritirt mich daher nicht weiter, daß mir, in die Stadt zurückgekehrt, bei Stehely von einem Dämon der neue Choleraschnaps anempfohlen wird; es ist mir gleichgültig, daß mir beim Aufschlagen eines belletristischen Blattes ein Mittel gegen die Cholera entgegentritt, daß mir im Theater, (wohin ich gegangen, um wo möglich zur Nacht mein Gemüth zu versöhnen), von einem ungewöhnlichen Duft afficirt, auf Befragen die Auskunft wird, man räuchere der Cholera wegen, gleichgültig, daß mir in der Zwischenzeit Cholerabonbons präsentirt werden, ja, daß ein genialer Schauspieler den genialen Einfall hat, im Anfange der bekannten Rausch-Arie zu improvisiren; „Wer nie die Cholera gehabt etc." Alles dies war mir gleichgültig, in Erinnerung meiner gemordeten Liebe, denn, mit Carlos zu reden: ich sah auf sie, und weinte nicht! - So schlich ich endlich in dumpfer Agonie nach Hause, um keine Menschen mehr zu sehen, und hörte an diesem Schreckentage glücklich weiter nichts von der Cholera, außer

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daß ein Fremder, gegen den ich in der Dunkelheit anrannte, mit einem: „Entschuldigen Sie! die Cholera ist schon in Kiel!" zurückprallte. [Anonym.] Der zweite Junius, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 160, 14. Juli 1831, S. 649ff. Hunderte, ja Tausende bleiben von der Krankheit verschont, weil sie keine Empfänglichkeit besitzen, und da Niemand dieses im Voraus wissen kann, so sollten entweder Alle oder Niemand davor weichen. Wir willen hoffen, wir wollen glauben, daß die Cholera in unserm Vaterlande nicht Fuß fassen werde. Kömmt sie aber dennoch herein, so dürfte sie leicht ganz Europa durchziehen, indem es jedem anderen Staate schwer gelingen möchte, sich vor ihr zu schützen. Die Pocken und die Syphilis rückten auch von einem Punkte auf Europa los und sind noch Heute, nach fast einem halben Jahrtausend, nicht ausgerottet. Ob es mit dem Cholera-Gifte ebenso seyn werde? Wer kann es im Voraus wissen? Der Allmächtige verhüte es! Nicht nur wir, sondern Europa, die ganze civilisirte Menschheit, sieht mit bangem Blicke auf die Preußischen Gränz-Cordons an der Polnischen und Russischen Gränze, und erwartet hoffnungsvoll von den kräftigen Maaßregeln die besten Erfolge! aus: Dr. Fr[iedrich] J[akob] Behrend, Heber die jetzt herrschende Cholera (Schluß), in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 153, 4. Juni 1831, S. 1010. Wir können von der Weisheit unserer Regierung erwarten, daß keine nöthige Vorsichtsmaßregel vernachlässigt werden wird, um das Eindringen der Cholera in die deutschen Länder zu verhindern; was, wenn unser Glaube an die Ansteckungsfähigkeit derselben richtig seyn sollte, keineswegs außer den Gränzen der Möglichkeit läge. Sollten wir dessen ungeachtet nicht von ihr verschont bleiben, so dürften die einzelnen Städte und Gemeinden zur möglichsten Beschränkung der Krankheit kein Opfer scheuen. In großen Städten müßte namentlich die ärmere Bevölkerung, unter der sich gewöhnlich die Krankheit zuerst zu zeigen pflegt, unter eine gewisse Aufsicht gestellt werden. Man müßte für die Bedürfnisse derselben, besonders für eine warme Bekleidung und gesunde Kost außerordentliche Sorgfalt tragen, und die von der Krankheit Befallenen so schnell als möglich in eigens dazu errichtete Krankenhäuser bringen, wenn sie nicht in ihren Wohnungen gänzlich isolirt werden könnten. Es würde zu weit führen, wenn wir alles hierher Gehörige auch nur kurz berühren wollten. Wir leben indessen in der Hoffnung, daß die Cholera, wenn sie wirklich sich bis zu uns verbreitete, und nicht besondere, sie verschlimmernde Umstände eintreten, bei weitem nicht so bösartig sein wird, als sie sich in heißeren Ländern gezeigt hat, und sind überzeugt, daß dieselbe auch unsere Aerzte nicht so unvorbereitet finden würde, als dies bei früheren Epidemien, die unerwartet zu uns kamen, der Fall seyn mußte. Möge jedoch der Himmel diese drohende Geißel unserer friedlichen und beglückten Landen entfernt halten. aus: [Anonym.] Die Cholera Morbus, eine allgemein faßliche und belehrende Abhandlung über das Entstehen und die Verbreitung derselben, deren Symptome, wie auch Vorbauungsmaaßregeln, um sich beim Ausbruche der Krankheit gegen dieselbe zu schützen. Nach den neuesten Erfahrungen von einem praktischen Arzte zusammengestellt, Breslau [Frühjahr] 1831, S. 14f.

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Ein merkwürdiges Beispiel einer solchen schnellen Ansteckung kam nur auf den deutschen Colonieen im Saratowschen Gouvernement vor. Ein Prediger erbot sich, bei der Nachricht, daß auf einer der benachbarten Colonieen, die zu seinem Kirchensprengel gehörten, diese Epidemie ausgebrochen sei, unvorzüglich zu kommen, um der bedrängten Gemeinde die heiligen Sacramente auszutheilen. Die Gemeinde, die dieses aufopferne Erbieten ihres treuen Seelsorgers mit innigem Dank annahm, drängte sich zahlreich zur Kirche. Während der heiligen Handlung sanken 3 oder 4 Personen mit allen Zeichen des epidemischen Uebels nieder und mußten hinausgetragen werden. Ein Weib, auch den Keim der Seuche in sich spürend, aber noch fähig, sich aufrecht zu erhalten, wankt zum Altar und hat nur noch so viel Zeit, das heilige Sacrament zu empfangen, - da sinkt auch sie nieder und muß gleichfalls hinausgetragen werden: den Prediger aber trifft, - während er den Segen über sie spricht - der Hauch der Kranken, - genug um auch ihm das verderbliche Uebel mitzutheilen. aus: Dr. Hfeinrich] Blumenthal, Flüchtiger Schattenriß der sogenannen Cholera Indica, wie sie im Jahre 1830 in der östlichen Hälfte des Europäischen Rußlands epidemisch herrschte, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Beziehung auf das allgemeine Sanitäts- Wesen im Königl. Preussischen Staate [Berlin], Bd. 33, H. 3, [Frühjahr] 1831, S. 565. Auch in Dorpat befand sich der größere Theil der Einwohner noch vor wenigen Wochen in großer Angst. Fast täglich hört man, daß in den näher gelegenen Städten die Cholera ausgebrochen sei, ein Paar Tage ging sogar das Gerücht, daß in Dorpat selbst ein Paar Personen krank seien. Mit Chlor wird schon in mehreren Gebäuden geräuchert, namentlich auch in dem Universitätsgebäude, welche Procedur uns Professoren bei unsern Vorträgen etwas lästig war, da die Luftröhre und die Lungen durch das Chlor beim Sprechen fortwährend gereizt wurde. Doch sind die Vorlesungen hier keineswegs, wie es in öffentlichen Blättern heißt, der Cholera wegen, ausgesetzt worden. Auszug aus einem Sendschreiben des Hrn. Prof. Dr. [Heinrich] Rathke, in: Magazin für die gesammte Heilkunde, mit besonderer Beziehung auf das allgemeine Sanitäts- Wesen im Königl. Preussischen Staate [Berlin], Bd. 33, H. 3, [Frühjahr] 1831, S. 585. Nicht dringend genug kann man gegen das Bezweifeln aller ärztlichen Hilfe in dieser furchtbaren Krankheit warnen. Die bedeutende Sterblichkeit, die selbst an großen Orten beobachtet worden, und die Verschiedenartigkeit der empfohlenen Hülfsmittel haben diese Zweifel herbeigeführt. Allein so gewiß es ist, daß es uns noch durchaus an einem sichern Heilverfahren gegen jenes Uebel fehlt und daß bei sehr großer Heftigkeit des Uebels oft alle Heil versuche scheitern, so giebt es dennoch eine große Anzahl erprobter Heilungen. Es ist erwiesen, daß da, wo alle ärztliche Hülfe fehlte, oder dieselbe doch sehr mangelhaft war, auch die bei weitem größte Sterblichkeit herrschte, ja an manchen Orten alle Ergriffenen starben, z.B. Tartaren und andere von Aberglaube oder Widerwille gegen europäische Heilkunst befangene Völkerstämme. Bei aller Achtung für die selbstthätige Heilkraft der Natur, muß man gestehn, daß dieselbe in der asiatischen Cholera nur äußerst selten sich bewährt, und in der Regel erst durch Zutritt bestimmter Hülfsmittel an Anregung gebracht wird. aus: Dr. J[eremias] R[udolph] Lichtenstädt, Rathschläge an das Publikum zur Verhütung und Heilung der herrschenden asiatischen Cholera, Berlin [Frühjahr] 1831, S. 5.

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Die siderische Ursache des Miasma[s], welche ich supponire, muss die ganze Atmosphäre der Erde interessiren, und erhält schon dadurch eine große Wahrscheinlichkeit, daß nicht allein in unserem Sonnensystem eine Harmonie zwischen allen Planeten, wohin auch die Erde gehört, stattfindet, wovon der Einfluss der Sonne und des Mondes auf die Erde den überzeugendsten Beweis gibt; sondern dass auch die unzähligen anderen Sonnensysteme eine Beziehung unter sich und auf das unsrige haben können, weil in der ganzen Natur nichts für sich allein da ist, sondern immer ein Wesen auf das andere in Beziehung steht. Wer kann es wissen, welche Revolution in einem der uns näheren oder von uns entfernteren Weltkörper vorgefallen ist? oder welcher von den vielen Cometen eine Veränderung in unserer Atmosphäre hervorgebracht und sie dadurch, wenn eine tellurische Ursache hinzukam, zur Erzeugung des Miasmas fähig gemacht hat. Zur wirklichen Erzeugung des Miasmas in der Atmosphäre scheint mir aber auch eine tellurische Ursache, (wahrscheinlich eine Ausdünstung der Erde) hinzukommen zu müssen, so dass nur allein aus der Vereinigung von beyden das Miasma entstehen kann. Da nun aber die tellurische Ursache nicht in einer Gegend so ist, wie in einer andern; so ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass ein Miasma in einer Gegend vorhanden seyn kann, und in einer andern, selbst benachbarten, nicht, auch dass ein Miasma nicht überall von völlig gleicher Beschaffenheit und Intensität ist. Schon der Umstand, dass in einer Gegend gewisse Pflanzen in Menge wild wachsen, Mineralien und allerlei Arten von Mineralwässern vorkommen, und in andern benachbarte nicht, beweist die Verschiedenheit der tellurischen Verhältnisse. - Ich sehe die siderische und tellurische Ursache als zwei Factoren an, deren Vereinigung nur das Facit hervorbringen kann. Dass aber auch in der Erde neuerlich Revolutionen vorgegangen sind, und noch vorgehen, welchen die tellurische Ursache zugeschrieben werden könnte, davon scheinen mir die Erdbeben in Gegenden, wo dergleichen vorher nie beobachtet worden sind, das Einsinken von Bergen, die aus der Erde plötzlich herausgebrochenen Wässer, welche grosse Ueberschwemmungen verursacht haben, und andere neuerlich in verschiedenen Ländern vorgefallene Ereignisse, und der ungewöhnlich schnell wechselnde Barometerstand, (welcher jedoch auch von einer siderischen Ursache herrühren kann) als Beweise zu dienen. aus: Jfustus] Ch[ristian] v. Loder's Zusätze zu seiner Schrift über die Cholera-Krankheit, Königsberg [Juni] 1831, S. 17ff. Nachdem der Ausbruch der Cholera in Danzig eine erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht auch im Innern des Landes gegen die Möglichkeit einer Weiterverbreitung dieses Uebels nothwendig gemacht, haben Sr. Majestät der König zu befehlen geruht, daß zur Berathung der in einem solchen Fall erforderlich werdenden Maaßregeln schon jetzt eine Kommission unter der Leitung des Königl. Wirklichen Geheimen Raths, Ober-Präsidenten von Bassewitz, und des Kommandanten von Berlin, General-Lieutenants von Tippeiskirch, Excellencen, gebildet werden, und daß diese Kommission alle Gegenstände in Erwägung ziehen und vorbereitend ordnen soll, deren schnelle und kräftige Ausführung in eine solchen Fall nothwendig werden würde. Es ist dieser Kommission zugleich überlassen, diejenigen lokalen Vorsichts-Maaßregeln zu treffen, welche bei der bisherigen lebhaften Verbindung zwischen Danzig und Berlin bis dahin noch erforderlich seyn werden, daß die in und um Danzig selbst zu treffenden Anordnungen eine vollständige Sicherheit in dieser Beziehung gewähren können.

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Indem diese Allerhöchste Verfügung hierdurch zur öffentlichen Kenntniß gebracht wird, darf das Publikum um so fester in dem Vertrauen stehen, daß nichts unterlassen wird, was zu der vollkommensten Sicherheit desselben irgend beitragen kann, selbst für den unglücklichen Fall, daß die Cholera sich noch weiter im Inlande verbreiten könnte. [Bekanntmachung]. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission, v. Thile. Berlin, den 7. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 157, 8. Juni 1831, S. 1025. Nach dem Ausbruche der Cholera in Danzig ist es für unvermeidlich erachtet worden, solche Vorkehrungen zu treffen, daß die vor der Cholera jenes Orts von dort abgegangenen Personen u.s.w., so weit dieselben nicht bereits früher angehalten werden, und bis vor die hiesige Residenz gelangen, nicht eingelassen, sondern in eine zu diesem Behufe eingerichtete Kontumaz-Anstalt aufgenommen und daselbst nach Maaßgabe der für die Anstalten dieser Art ergangenen Bestimmungen behandelt werden. Diese Maaßregel hat auch bereits eine Anzahl theils mit Extra-Post, theils mit der Schnell-Post von Danzig ankommender oder mit derselben gereister Personen betroffen, welchen der Aufenthalt in der vor dem Frankfurter Thore eingerichteten Kontumaz-Anstalt angewiesen ist, woselbst für solche mit jeder nach den Umständen zulässigen Rücksicht gesorgt worden. Die vor der Ausführung dieser Maaßregel zur Stadt gelangten Personen sind ermittelt und werden unter sorgfältiger medizinal-polizeilicher Aufsicht gehalten werden. In keinem Falle ist übrigens irgend ein Merkmal von Cholera wahrgenommen worden. Bekanntmachung, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Berlin, 7. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 157, 8. Juni 1831, S. 1025. Alle Reisende, welche den Thorbeamten nicht etwa als beständig, oder doch häufig, ohne vorangegangene längere Abwesenheit, hier verkehrende Einwohner der Stadt selbst, der Umgegend, oder des von der Cholera unzweifelhaft freien Inlandes überhaupt bekannt sind, müssen bei dem Eintreffen an den hiesigen Thoren, nach Ort und Gegend, von dem sie kommen, speciell befragt, und ihre Reise-Legitimations-Papiere ihnen abgefordert und eingesehen werden. aus: L. v. Esebeck, Instruction für die Thorbeamten, welche mit Prüfung der Gesundheitslegitimationen für ankommende Reisende [...] beauftragt werden. Berlin, 8. Juni 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61. Die Besorgniß, von der uns immer mehr bedrohenden Krankheit, der Cholera, heimgesucht zu werden, veranlaßt besonders ängstliche Menschen, die Frage an den Arzt zu thun: wie schützt man sich möglicherweise vor der Ansteckung dieser höchst gefährlichen Krankheit? Nach einer strengen Prüfung der hierüber gesammelten, aus amtlichen und Privatmittheilungen geschöpften Erfahrungen, ist es fast mit der größten Bestimmtheit erwiesen, daß die Ansteckung und Verbreitung dieser Krankheit nicht mittels eines in der Luft ver-

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breiteten Ansteckungsstoffes (Miasma), sondern durch Uebertragung eines an dem erkrankten Individuum entwickelten Krankheitsstoffs, folglich contagiöser Natur sei und daher die Mittheilung derselben von Menschen auf Menschen, oder durch Effecten und Waaren geschieht. Jedoch ist hierbei noch zu bemerken, daß zu dieser Krankheit im Menschen noch eine besondere Empfänglichkeit vorhanden sein müsse; ist dies nicht der Fall, so ist die Ansteckung rein unmöglich. Es ist daher der Vorsicht angemessen, daß, wenn Jemand plötzlich durch ein heftiges Erbrechen mit Durchfall erkrankt, letzterer aus einer weißlichen, bisweilen mit weißgrauen Flocken gemischten Flüssigkeit besteht, zu welchem sich ein ungewöhnlich heftiges Zukken, Spannen und Drücken in Händen und Schenkeln gesellt, und diese Empfindungen bis in die Herzgrube concentriren, verbunden mit Eingenommenheit des Kopfes, einer unbeschreiblichen Angst und kaum zu fühlenden Pulse, der Kranke sogleich von den Gesunden getrennt und der Arzt gerufen werden muß, damit solcher die Krankheit und ihre verdächtigeln] Zeichen prüfen und näher beurtheilen kann. Was den gesunden Menschen als Schutzmittel zu empfehlen sein dürfte, wenn die Krankheit (Cholera) in der Nähe ist, so bezieht sich dies auf Nahrung, Kleidung und Leidenschaften, und auf einige anzuwendende Stärkungsmittel. aus: [Anonym.] Schutzmittel gegen die Cholera (Brechruhr), in: Berliner EulenspiegelCourier, Nr. 129, 8. Juni 1831, S. 513. Es war im Monat Januar dieses Jahres, als mir ein Freund schrieb, ein Bekannter von ihm habe folgenden Traum gehabt: Der Traum fand in der Nacht vom 8ten auf den 9ten Novbr. 1830 und der darauf folgenden Nacht statt: [...] Ich zog über Rußland dahin, da schwand die bisherige Lust und Leichtigkeit, und mit ihnen die sie begleitende Kraft; nur mit Anstrengung derselben erhielt ich mich schwebend. Der Luftraum, worin ich mich befand, trübte und verdichtete sich mehr und mehr, und drängte mich abwärts, ich sank langsam zur Erde. Immer mehr aber lagerten sich schwere dunkle Luftschichten mit einer Last auf mich, die mich fast zu erdrücken schien; jeden Augenblick ward mir das Athmen schwerer, und die beklemmende Angst stieg auf das Aeußerste. Dabei ergriff mich ein unsägliches Krankheitsgefühl, mir war, als wollte ein inneres Feuer mich verzehren, und ein furchtbarer, nie gefühlter Durst folterte mich. Da ward ich mir bewußt: von der verheerenden Seuche befallen zu seyn, und ich glaubte mich ohne Hülfe und Rettung verloren. Nur diesen marternden glühenden Durst noch einmal stillen zu können, das war mein nächster dringendster Wunsch. So verschmachtend und hinsterbend, öffne ich die schon geschloßnen Augen noch einmal, und sehe neben mir ein verdecktes kelchähnliches Gefäß von heller Farbe, und einer mir unbekannten Masse. In der Hoffnung, es enthalte irgend etwas zu trinken, richte ich mich mühsam empor, werfe den Deckel herab, und entdecke zum meinem Schrecken nichts Flüssiges, wohl aber auf dem Boden ein weißes feines Pulver, etwa wie eine weiße zerstoßene Kreide. So enttäuscht und entsetzt starre ich hinein, da wird mir leichter; denn weniger lastet die mich umgebende Luft, und tiefere Athemzüge geben mir Erquickung und neue Kraft. Im Umkreise des Kelches aber lichtet und hebt sich die dunkle schwere Dunstmasse, und immer größer wird dieser Umkreis, und steigt und breitet sich mehr und mehr. Bald ist sie ganz verschwunden, die Luft wird rein und hell, und ich erhebe mich gestärkt.

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Da ward es mir deutlich und gewiß, der Kelch enthalte ein sicheres Mittel gegen die Cholera, und trieb mich, hin zum Kaiser damit zu eilen. Zu dem Zwecke ergreife ich den Kelch, in größter Ungeduld und Hast, und - erwache. [...] Nach etwa drei Stunden Schlafes, ohne mir bewußten, oder nachher erinnerlichen Traumes, fahre ich plötzlich, im Gefühle einer sehr heftigen Erschütterung, auf, und rufe laut zu wiederholten Malen: Magisterium! Magisterium war es! Nun weißt du es, das war der Name des weißen Pulvers im Kelche. Ich konnte nicht wieder einschlafen, und begriff nicht, wie ich so höchst freudig aufgeregt seyn konnte. Magisterium? Niemals hatte ich dieses Wort gekannt, es schien mir völlig leer und ohne alle Bedeutung, am wenigsten aber irgend einem Arzneimittel angehörig. Um hierüber Gewißheit zu haben, gehe ich am Morgen zum Apotheker. Ich glaubte durch die Frage: „ist Magisterium der Name irgend eines Arzneimittels?" aufzufallen, und erbat mit deshalb eine Nachweisung der Medicamente, zum Nachschlagen. Aber wunderbar ergriffen, wie niemals, finde ich: Magisterium, als eine Zubereitung aus Wismuth, mit dem Bemerken, daß es ein sehr feines weißes Pulver bildet, unter den Arzneimitteln aufgeführt. aus: [Christoph Wilhelm] Η[ufeland], Wunderbare Einfiihrung des Magisterium Bismuti in die Praxis der Cholera contagiosa, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], VI. St., Juni 1831, S. 107ff. Es ist am gestrigen Tage der hiesige Kaufmann Salzmann mit der Königsberger Post hier eingetroffen, welcher, nachdem er den 6ten d. Mts. in Pranst bei Danzig gewesen, sich von dort nach Dirschau begeben hatte. Da sonach auf den p. Salzmann die Bestimmungen Anwendung finden, welche sich auf Personen, die aus den choleraverdächtigen Gegenden kommen, beziehen, so ist dessen Abführung nach der im Schlößchen vor dem Frankfurther Thore befindlichen Kontumazanstalt unsererseits sofort verfügt worden. aus: Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 10. Juni 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61. Ueber den ferneren Verlauf der Krankheit in Danzig ist bis jetzt hier nur gemeldet, daß daselbst, bei einer Bevölkerung von 60.000 Seelen, bis zum 5ten d. M. Mittags nur 61 Erkrankungs- und 30 Sterbefälle vorgekommen waren; von den noch lebenden 31 Kranken ließ sich kaum von der Hälfte die Genesung erwarten. Die Krankheit befiel in den ersten Tagen meist nur Individuen der arbeitenden, von schlechter Kost lebenden Klasse, und war bei ihrem ersten Auftreten auch besonders heftig und in kurzer Frist tödtend. Seitdem hat sie an Heftigkeit in ihren Symptomen und in ihrem Verlaufe abgenommen, was eben sowohl der schleunig und zweckmäßig geleisteten ärztlichen Hülfe zuzuschreiben, als auch nicht zu verkennen ist, daß die verhältnißmäßig geringe Zahl der Erkrankten Folge der gesteigerten Aufmerksamkeit der Einwohner auf die Gefahr und der thätigen Bemühungen ist, durch die man von allen Seiten dem weitern Umsichgreifen zu steuern sucht. In den früher genannten Ortschaften auf der Nehrung hatten sich außer den bereits gemeldeten vier Erkrankten, die sämmtlich bei der Bagger-Arbeit im Hafen beschäftigt gewe-

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sen waren, keine neuen Krankheits-Spuren gezeigt. Dagegen ist auf dem Rigaer Schiff „Minna", geführt von Capitain Brandt, dieser Letzte selbst mit dem Tode abgegangen. Die Wahrnehmung, daß die Cholera besonders durch Polnische Juden zur Verbreitung gelangt, hat das Königl. Oberpräsidium von Preußen veranlaßt, vorerst bis auf Weiteres den Hausir-Verkehr aller Polnischen Juden in den diesseitigen Provinzen gänzlich aufheben zu lassen. Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 159, 10. Juni 1831, S. 1036. Es betrifft nehmlich die Frankfurter Meße, welche ungeachtet der so schnell um sich greifenden Cholera in dieser Gefahr doch gehalten werden soll. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß grade dadurch diese fürchterliche Seuche bei allen nur möglichen Vorkehrungs- und Sicherheits-Maßregeln, der Weg geöffnet werde, daß sie sich wohl bis hie[r]her verbreiten dürfte, sich uns durch Waaren oder Individuen welche von der dortigen Gegend wo sie wüthet die Meße besuchen werden. Die Ältesten der Kaufmannschaft haben bereits beim Ministerio Schritte gethan, damit diese Meße in diesem Jahre nicht stattfinden möge, sie sind indessen fruchtlos gewesen. Von vielen Seiten bin ich nun aufgefordert worden, diesen so wichtigen Gegenstand der geehrten Versammlung vorzutragen [...]. Emil Jordan an die Stadtverordnetenversammlung von Berlin. Berlin, 14. Juni 1831, in: Landesarchiv Berlin. Acten der Stadtverordneten-Versammlung. A Rep. 000-02-01, Nr. 1821. Da der Ausbruch der Cholera in Danzig nicht in dem ersten Entstehen hat unterdrückt werden können, und die Krankheit, wenn auch nicht in einem beunruhigenden Maaß um sich greifend, doch dort noch fortdauert, so ist die militairische Umschließung von Danzig und seinen nächsten Umgegenden beschlossen worden, und die Verfügungen zur Ausführung derselben sind getroffen. Diese Einschließung wird der Stadt Danzig die Mittel zur Beziehung ihrer Subsistenz aus der Umgegend auf mehrere Meilen und dieser näheren Umgegend zugleich den freieren Verkehr mit der Stadt, aus dem sie ihre Haupt-Nahrungsquellen bezieht, gestatten, gleichzeitig aber der übrigen Provinz durch strenge Isolirung und Anlegung von KontumazPlätzen in der Cordon-Linie vor jeder weiteren Verbreitung der Krankheit zum Schutz dienen. Die genaue Bestimmung der Gränz-Linien des Einschließungs-Cordons wird von dem kommandirenden General in Preußen, General-Lieutenant von Krafft, und dem OberPräsidenten, Wirklichen Geheimen-Rath von Schön, erfolgen, und wird hier vorläufig nur bemerkt, daß jedenfalls die Straße nach Königsberg über Dirschau und Marienburg von demselben nicht berührt werden wird. Bis zur Schließung dieses Cordons durch die dazu herangezogenen Truppen werden die Provinzial-Behörden für einstweilige Besetzung desselben, durch die Einwohner der Gegend selbst, Sorge tragen, so wie der Königl. Regierung zu Köslin bis dahin dieselbe Vorsicht für die Pommersch-Westpreußische Gränze gegen Danzig empfohlen worden ist. Es ist ferner beschlossen worden, die Einführung der Legitimations-Karten für alle Reisende, nach den Bestimmungen der Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 6sten d. M. (welche unterm lOten d. M. in der Staats-Zeitung bekannt gemacht ist), auch auf die Provinzen Pommern und Brandenburg, von ihrer östlichen Gränze bis zur Oder, auszudehnen.

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Es treten daher von jetzt ab nicht bloß in allen am rechten Oder-Ufer liegenden Theilen der Monarchie (und in ganz Schlesien) die Bestimmungen jener Allerhöchsten KabinetsOrdre in Wirksamkeit, sondern es werden auch durch die Königl. Regierungen alle Uebergangs-Punkte bekannt gemacht werden, welche für Reisende, die östlich zur Oder kommen, von der Schlesisch-Neumärkischen Gränze abwärts bis zum Ausfluß der Peene, benutzt werden dürfen, und wo sie sich durch ihre Pässe oder Legitimations-Karten auszuweisen haben, bevor ihnen der Uebergang und die Weiterreise gestattet werden kann. Mit dieser Kontrolle werden an allen zu bestimmenden Uebergangs-Punkten von den Königlichen Regierungen besondere Beamte beauftragt werden. Die näheren Bestimmungen mit Bezug auf diese Maaßregel werden von den Königlichen Regierungen zu Frankfurt, Potsdam und Stettin in Gemäßheit der von den Königlichen Ober-Präsidien empfangenen Instructionen, durch die Zeitungen und Amtsblätter bekannt gemacht werden. Bekanntmachung. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission, v. Thile. Berlin, den 14. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 164, 15. Juni 1831, S. 1052. Für eine Meile Kordonausdehnung werden circa 100 Mann Infanterie und 15-20 Mann Kavallerie als Besatzung erfordert, welche zu Hälfte biwakiren; zur Hälfte in Hüttenposten untergebracht sind. Es müssen nämlich in Dörfern, welche ungefähr eine Meile voneinander entfernt sind, die Offiziersposten 50-60 Mann stark biwakieren, (siehe Zeichnung b.) Rechts und links von jedem dieser Dörfer, inderselben Linie oder etwas versetzt, stehen zu jeder Seite 4-5 Hüttenposten zu 1 Unteroffizier oder Gefreiten und 4 Mann, (siehe Zeichnung a.), d.h. daß zu einem jeden Offiziersposten 8-10 solcher Hütten, mit 40-50 Mann gehören. aus: Neidhardt v. Gneisenau an Karl August Adolf v. Krafft, Posen, 15. Juni 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η /., Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. I. Nr. 14. Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc. etc. In Erwägung, daß es nothwendig ist, den wegen Abwendung der im benachbarten Auslande ausgebrochenen Cholera bereits von Uns getroffenen Maaßregeln die pünktlichste Befolgung zu verschaffen, und daß dieser Zweck nur durch nachdrückliche und schnelle Bestrafung derjenigen, welche die in den diesfalls erlassenen Verordnungen und Instructionen enthaltenen Vorschriften verletzen, möglichst erreicht werden kann, setzen Wir hierdurch Folgendes fest: §.1. Alle diejenigen, welche die gezogenen Cordons oder Sperrungslinien auf anderen, als den durch die angeordneten Quarantaine-Anstalten dazu bestimmten, Wegen überschreiten wollen oder überschritten sind, und auf den Zuruf und die Androhung der daselbst stationirten Wachen oder Patrouillen nicht sofort zurückbleiben oder sich zurückbegeben, setzen sich, außer der sonst noch verwirkten gesetzlichen Strafe der Landes-Beschädigung, dem Gebrauche der Waffen aus, und sie können ohne weitere Rücksicht niedergeschossen werden.

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§. 2. Wer mit Hintergehung der Wachen und Patrouillen, oder unter Vereitelung der Kontumaz, die Cordons oder Sperrungslinien übertreten hat, wird als Landesbeschädiger angesehen und mit mehrjähriger Festungs- oder Zuchthausstrafe belegt, welche, nach Maaßgabe der daraus entsprungenen Gefahr, bis auf zehn Jahre erhöht, und im Falle eines wirklich dadurch entstandenen Nachtheils bis zur Todesstrafe ausgedehnt werden kann. (Allgemeines Landrecht Theil II. Titel 20. §§. 691. 780. 1495.) §.3. Nach gleichen Grundsätzen werden diejenigen bestraft, welche sich aus den Kontumaz· Anstalten oder gesperrten Oertern und Häusern verbotwidrig entfernen. aus: Gesetz wegen Bestrafung derjenigen Vergehungen, welche die Uebertretung der - zur Abwendung der Cholera - erlassenen Verordnungen betreffen. Friedrich Wilhelm. Berlin, den 15. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 170, 21. Juni 1831, S. 1080. Die Instructionen vom 5. April und 1. Juni laufenden Jahres setzen die Bestimmungen fest, unter welchen Umständen und Verhältnissen ein Ort von der Cholera für inficirt oder der Infection für verdächtig zu erklären ist, und welche medizinisch-polizeiliche Maaßregeln an diesen Ortschaften zu ergreifen sind, um die Verschleppung und weitere Verbreitung der Krankheit zu verhüten. Diese größtentheils auf die Verhütung der Einschleppung der Cholera über die Gränzen des Preußischen Staates berechneten Maaßregeln und Anordnungen finden auch, nachdem die Krankheit bereits in Danzig ausgebrochen, und für den Fall, daß sich selbige in anderen Ortschaften des Preußischen Staates gleichfalls zeigen sollte, ihre Anwendung. Nun treten folgende, lediglich für das Inland geltende, besondere Bestimmungen ein: 1) Ist der inficirte Ort durch einen Militair-Cordon unmittelbar oder sammt der nächst umliegenden Gegend abgesperrt, so sind die Ortschaften innerhalb des Cordons für inficirt, außerhalb der Sperre hingegen für unverdächtig zu erklären. Nur für den Fall, daß die Sperre nicht sogleich vollzogen und ein Verkehr mit Menschen oder Waaren zwischen dem inficirten Orte und der nächst umliegenden Gegend mittlerweile stattgefunden hat, kann die an den Cordon nächstangrenzende Gegend bis zur Entfernung von drei Meilen vom angesteckten Orte erst nach 10 Tagen für unverdächtig erklärt werden, wenn nämlich innerhalb dieser Zeit sich keine Spuren von der Krankheit oder von sonstigen plötzlichen Erkrankungs- und Todesfällen daselbst gezeigt haben. 2) Hat keine Cernirung des angesteckten Ortes stattgefunden, so ist zwar die ganze Gegend, um Umfange von 10 Meilen insofern für verdächtig zu erklären, als die für verdächtige Orte vorgeschriebene Maaßregeln nach der Instruktion über das bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera zu beobachtende Verfahren ohne Weiteres in Vollziehung zu setzen sind; nur soll es zur Erleichterung des Handels und des Verkehrs im Innern des Landes erlaubt seyn: a) den Reisenden durch jene Orte, welche drei Meilen von dem angesteckten (inländischen) Orte entfernt liegen, und aus einer von der Cholera noch befreiten Gegend kommen, ungehindert - ohne jedoch daselbst zu übernachten - passiren zu können. b) Den Einwohnern und Fremden eines mindestens drei Meilen von der inficirten Gegend gelegenen Ortes die Entfernung von demselben und die Reise in ganz unverdächtige Gegenden zu gestatten, auch die allenthalben frei und ungehindert passiren zu lassen, wenn sie

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sich mit einem Gesundheits-Atteste der Sanitäts- und Orts-Behörde, welches nach den weiter unten (sub. 3) zu gebenden Vorschriften ertheilt werden kann, zu legitimiren im Stande sind. c) Mit der Versendung der Waaren und Thiere ist auf eine gleiche Weise, wie mit den Menschen, zu verfahren. Zu diesem Behufe haben 3) Diejenigen Sanitäts-Kommissionen der einzelnen Orte und Bezirke, welche innerhalb der Entfernung von 3-10 Meilen vom angesteckten Orte liegen, die Befugniß, den Einwohnern und Fremden ihres Ortes und respektiven Bezirks Gesundheits-Atteste alsdann auszustellen, wenn weder am Orte selbst oder in dessen unmittelbarer Umgegend sich Spuren der Krankheit zeigen, noch derjenige, welcher ein solches Attest nachsucht, der mindesten Verdächtigkeit unterliegt. Die Gesundheits-Atteste sind im Allgemeinen in derselben Form, wie die diesfallige Bekanntmachung vom 5. April sie für das Ausland vorschreibt, auszustellen, von jedem Mitgliede der Orts-Polizei-Behörde zu kontrasigniren. aus: Publikandum. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission, v. Thile. Berlin, 17. Juni 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 185, 6. Mi 1831, S. 1139. Ueber die Cholera-Furcht, die eben je[t]zt die Herzen aller derer quält, welche ihrem guten Gott im Himmel nicht kindlich vertrauen, scheint die Kometen-Furcht, welchem uns vor kurzem noch ängstigte, rein vergessen zu sein. Unterdessen rückt der angekündigte geheimnißvolle Himmelswanderer immer näher und näher. Er wird freilich mit dem Ball, auf dem wir in ungemessenen Raum um die Sonne schiffen, hoffentlich nicht karamboliren; doch wie wär es? wenn wir uns lieber schon je[t]zt wieder ein wenig vor ihm zu fürchten anfingen? So theilte sich die Furcht zwischen Cholera- und Kometen-Gefahr, und wir können nur dabei gewinnen, wenn die ängstliche aufgeregte Phantasie nicht bloß über einer schwarzen Möglichkeit brütet. Oder - wäre es vielleicht nicht besser, wenn wir uns vor keinem der beiden fürchteten? wenn wir bedächten: daß es überall nicht gut ist, sich zu fürchten; denn keine Gefahr wird geringer durch die Furcht; daß es ferner mit dieser Furcht deshalb eine schlimme Sache ist, weil sie wider nichts hilft. Ein Anderes ist es mit der nicht genug zu empfehlenden Vorsicht. Daß ferner diese Furcht, wie alle Furcht, ein Erkalten der Gesinnungen gegen den besten Freund, den die Menschen besitzen, hervorbringt; endlich - daß Kometen- und CholeraFurcht viel ähnliches mit der Revolutions-Furcht haben. „Wahrlich! - wo es nur oben so gut bestellt ist, wie z.B. am Himmel und im Preußischen Staat, da braucht man sich nicht fürchten." - So spreche ich mit dem wackeren Rochow. Χ. Υ. Z., Cholera-Furcht. Kometen-Furcht, in: Königsberger Wochenblatt. Für Novellistik, Literatur, Kunst und Theater, Nr. 49, 18. Juni 1831, S. 390f. Die Buchhändler stürmen förmlich mit Werken über diese Krankheit den Markt; wenn man alle Schriften über die Cholera zusammenstellen will, so muß man das Gebäude der Göttinger Bibliothek ankaufen. Doch sind die meisten Unternehmer dadurch geschlagen, daß unsere hohe Gesundheitscommission ein Büchlein für 9 Pfennige publicirt hat, in wel-

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chem die nothwendigen Vorsichtsmaßregeln auseinandergesetzt sind, die man zur Verhütung der Cholera beobachten muß. Dieses Büchlein wurde zu vielen Tausenden gekauft, und der Buchladen , in dem es zu haben war, wurde belagert wie ein Bäckersladen in den Zeiten der Hungersnoth. [...] Auf besagtes Neunpfennigbüchlein zurückzukehren; alle Ehrfurcht vor der Weisheit unserer Sanitätscommission, aber das Büchlein kann ich nicht loben. Es mag ein Thesaurus Salomon'scher Weisheit sein, was die Sanitätsregeln anlangt, und besonders ist der Gedanke eines Choleraschnappses unter die Hippokrat'sehen zu stellen. Indessen folgt hinter den Präservativen auch eine Personalbeschreibung und genauer Steckbrief des Feindes; daselbst ist er mit so gräulichen Farben geschildert, daß man vor Schreck die Cholera bekommen könnte. Dies hat in der That die Wirkung gehabt, Frauen und andere Personen, die eine lebhafte Einbildungskraft haben, mit so fürchterlichen Vorstellungen anzufüllen, daß dadurch viel Uebles entstanden ist, namentlich aber eine ungeheure Muthlosigkeit. Ferner ist der Preis des Büchleins, 9 Pfennige, höchst unangemessen. Man wollte es so wohlfeil geben als möglich. Gut, so hätte man es allen Bezirksvorstehern mit dem Auftrage geben sollen, es denjenigen umsonst auszuhändigen, die als Arme in ihren Bezirken leben. Das ganze übrige Publicum hätte auch einen Dreier mehr gegeben und wäre durch den Silbergroschen nicht verarmt. So entstand die Unbequemlichkeit, daß wegen der großen Seltenheit der kleinen Scheidemünze oft nicht gewechselt werden konnte, oder man wenigstens den Verkauf ungemein aufhielt. Ferner, weshalb gab man es nur einem Buchhändler in Commission und vertheilte es nicht lieber an alle Buchhändler der Stadt? So mußte Mancher einen Weg von einer halben Stunde machen um es zu bekommen; und selbst der Aermste schätzt eine Stunde Zeitversäumniß höher als drei Pfennige. Endlich ist das Buch in einem Style geschrieben, der zwar jedem Gebildeten klar und verständlich, aber nichts weniger als populair ist. Die ärmere Classe kann häufig gar nicht lesen, und gerade diese ist es, der das Buch nützlich sein sollte, und die allenfalls auf den Unterschied des Preises von 3 Pfennigen gesehen hätte; sie aber steht davor wie vor einem verschlossenen Thore. Wäre es also nicht zweckmäßiger gewesen, alle Fabrikherrn, Lehrmeister, Schullehrer u.s.w. aufzufordern, die Leute mündlich mit demjenigen bekannt zu machen, was ihnen zu wissen noth thut? — Indeß, die Ursache dieser Fehler ist ziemlich deutlich. Wie wir hören, hat der Pietismus unserer Zeit auch hier eine Rolle zu spielen versucht und den Maßregeln gegen die Cholera das Princip als Grundlage geben wollen, man müsse sich dabei auf die Gnade Gottes allein verlassen. Vielleicht wäre man, wie in der Türkei, in jenem Glauben so weit gegangen, das Haus brennen zu lassen, bis Gottes Hand es löschen werde, wenn nicht das jüngste Mitgliede dieser Commission aufgetreten wäre und die Ansicht geltend gemacht hätte: „Durch die Gnade Gottes haben wir den Verstand erhalten, um uns jetzt selbst zu helfen, und es ist unsere strengste Pflicht, dies in dem vollsten Sinne des Wortes und mit höchster Anstrengung aller unserer Kräfte zu thun!" Diese gesunde Entgegnung auf eine Rede voller pietistischer Salbung wirkte, und es geschah nunmehr Vernünftiges. Genug von der asiatischen Megäre, die sich in unser europäisches Treiben einmischen will; sie ist aber so sehr zu der Neuigkeit des Tages geworden, daß wir sie nicht übergehen konnten. aus: L[udwig] Reilstab, Berlin, den 18. Junius, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 126 und 127, 1. und 2. Juli 1831, Sp. 10007, 1015f.

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Des Königs Majestät haben es für angemessen erachtet, daß die Abwendung der Gefahren der Cholera auch ein Gegenstand des öffentlichen Gebetes werde und daher zu befehlen geruhet, daß in Beziehung darauf die folgende Stelle: Bewahre uns vor den Seuchen und ansteckenden Krankheiten in das allgemeine Kirchengebet eingeschaltet werden soll. Sie wird den Worten desselben „ vor einem bösen unbußfertigen Tode pp." vorausgehen können. Wir fordern Sie auf, sich sowohl selbst und zwar sofort, hiernach zu richten, als auch die sämmtlichen Geistlichen ihres Sprengeis hiernach anzuweisen. Königl: Consistorium der Provinz Brandenburg. Circular-Verfügung für sämmtliche Superintendenten der Provinz Brandenburg. Berlin den 2ten July 1831, in: Domstiftsarchiv Brandenburg. Sig. NE 166/434. Zur völligen Vernichtung hat man Anzünden von Wäldern und Torfmooren und in den Strassen grosser Städte Feuer von großen Holzhaufen anempfohlen; abgesehen von der sehr schwierigen Ausführung dieser Dinge kennen wir die Gesetze der atmosphärischen Veränderungen noch zu wenig, um nur mit einiger Wahrscheinlichkeit den Erfolg, der eben so gut das Gegentheil sein könnte, vorher zu bestimmen. Was den ebenfalls vorgeschlagenen Kanonendonner anbetrifft, so ist nur zu wünschen, dass die Leidenschaften der Menschen ihn nicht zu laut herbeirufen, und mit ihm Leiden sich eindrängen, welche die Cholera bei weitem übertreffen. aus: D. A. Gebel, Aphorismen über die Brechruhr, nebst Angabe ihrer Heilung, Vorbeugung und sonstigen praktischen Maasregeln, Lignitz [Sommer] 1831, S. 39. Die an den Grenzen des Königreichs Preussen gegen Polen zu ausgestellte Sperre hat den Zweck, den Verkehr zwischen beiden Ländern [...] zu beschränken [...]. Seit dem Anfang des Mai's wurde die Sperre durch die Zollaufseher, Gensdarmen und die dazu aufgebotenen Mannschaften der Dörfer in den Grenzkreisen, seit dem 20. Mai aber an der ganzen schlesischen Grenze, die an Polen anliegt, eben so wie an der des Grossherzogthums Posen und der Provinzen Ost-Preussen durch Militair ausgeführt, und zwar, wo ich es zu sehen Gelegenheit hatte, in folgender Art. An einem grossen Theile der preussisch und polnischen Grenze der Provinz Schlesien, wie des Grossherzogthums Posen bildet die Prosna, ein Flüsschen, die Grenzscheide; an dieser zog sich eine erste Wachtlinie in folgender Art fort, dass nämlich in Distanzen von 1000 Schritt, manchmal etwas näher oder auch entfernter, Wachthäuser von Bret[t]ern und Holzstämmen erbaut waren, die mit 6 Mann besetzt wurden, von denen ein Mann Wacht hielt, und zwei andere von Zeit zu Zeit patrouillirten, indem einer davon rechts oder links, bis gegen die nächste Wachthütte ging, und indem er somit die Gegend beobachtete, zugleich die Verbindung mit der nächsten Wachthütte, und so die ganze Grenzlinie unter sich unterhielt. Alle Stege oder gewöhnlichen Uebergangspunkte über die Prosna waren zur Erleichterung der Aufsicht gesperrt. Ohngefähr 15 Minuten hinter dieser ersten Wachtlinie ritten von Zeit zu Zeit Cavalleriepatrouillen, und bildeten somit die zweite Linie. Die dritte ward durch die in den nächsten Grenzdörfern liegenden Mannschaften und die von Zeit zu Zeit ausgesendeten Patrouillen gebildet. In den rückwärts liegenden Städten stand der Stab, und die ausruhende Mann-

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schaft, welche aller 12 Tage die in den Dörfern liegende Mannschaft, die dritte Linie, und diese wieder aller 6 Tage die in den äussern Wachthäusern liegenden Mannschaften, somit die erste Linie, ablössten. Niemand durfte die erste Linie, ausser an den bestimmten Eingangspunkten, überschreiten; auf jeden, der sie sowohl herüber, als hinüber passiren wollte, wurde nach mehrmaligem An- und Zurufen und der Warnung, zurück zu gehen, scharf geschossen; später durfte nur erst dann geschossen werden, wenn der Uebergehende die Linie von einem Wachthause zum andern überschritt. [...] War der Tag und die Stunde der Aufnahme bestimmt, so ging der Reisende bis an den äussersten Grenzpunkt der beiderseitigen Grenzen, der in Landsberg und Podcamze, welches letztere ich bei der folgenden Beschreibung, da von diesem eine Skizze der Contumazanstalt beifolgt, als Beispiel anführe. Dieser äusserste Grenzpunkt befand sich auf der langen über die Prosna führenden Brücke gerade in der Mitte, wo durch zwei querliegende Balken, 10-12 Fuss von einander entfernt, die Ankommenden mit den Beamten zwar sprechen, diese sich gegenseitig aber nicht mit den Händen erreichen konnten. Zunächst hatte der Reisende seine schriftlichen Legitimationen, als Pässe und dergl. zum Uebertritt auf ein vor dem Regen geschütztes Bänkchen, zwischen beiden Balken an der Seite angebracht, zu legen; der die Durchräucherungen überhaupt besorgende Beamte fasste solche, nachdem der Reisende wieder zurück hinter den Balken getreten war, mit einer langen Zange, und durchräucherte sodann sogleich vorschriftsmässig die Pässe und übrigen Papiere, worauf sie dann von der Direction durchgesehen wurden. Konnte demnach die Aufnahme Statt finden, so kam erst der Arzt der Quarantaineanstalt auf das zwischen den Balken liegende Gebiet, und untersuchte den Ankommenden, ob er nicht bereits von der Cholera befallen sei; war dies nicht der Fall, so wurde er eingelassen und zwar indem die Balken weggezogen wurden, nachdem sich die Beamten auf die Seite begeben hatten, um mit dem Reisenden in keine Berührung zu kommen. Der Reisende, dessen Gepäck die Contumazknechte übernahmen, war er ohne Wagen, gelangte nun selbst zu Wagen oder zu Fuss unter militairischer Bedeckung, die in gewisser Entfernung voran und hinten hinnach ging, zur eigentlichen Contumazanstalt. aus: Dr. Karl Christian Hille, Beobachtungen über die asiatische Cholera, gesammelt auf einer nach Warschau im Auftrage der K. S. Landesregierung unternommenen Reise, Leipzig 1831, S. 122ff. In allen Ländern, wo diese Seuche bis jetzt geherrscht, in Rußland, Polen und Preußen, hat man den Einflüssen nachgespürt, welche den Ausbruch der Krankheit begünstigen oder abhalten, und eine tausendfache Erfahrung hat unwiderleglich dargethan, daß übermäßige Furcht, Unsauberkeit, Erkältung und diätetische Fehler aller Art die häufigste Veranlassung war, und daß sich jeder vor der Cholera sichern kann, 1) wenn er alle Angst und übermäßige Furcht aus seinem Gemüthe verscheucht und sich vertrauensvoll Dem hingiebt, der unsere Tage gezählt und ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt. Eine Anleitung zur Erweckung des religiösen Muths giebt der 90te und 91 Psalm. Aber auch Leidenschaften anderer Art, wie Gram, Kummer, Sorge etc., muß man so viel als möglich zu bezähmen und das Gemüth in ruhiger, heiterer Stimmung zu erhalten suchen.

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2) Wenn er die Vorschriften der für unser Wohl väterlich besorgten hohen Behörden genau befolgt und alle Gemeinschaft mit Personen und Sachen, die aus verdächtigen Gegenden kommen, oder die mit Cholerakranken wirklich in Berührung waren, so lange streng vermeidet, bis dieselben vorschriftsmäßig gereinigt worden. Die Ansteckbarkeit der Cholera steht unumstößlich fest, und die traurigen Beispiele, daß die Cholera dennoch in so mancher genau abgesperrten Provinz und Stadt geherrscht hat, widerlegen jenen Satz nicht, sondern beweisen nur, daß diese Krankheit sich auf eine doppelte Weise erzeugen kann, erstlich durch Ansteckung und zweitens aber auch durch eine eigenthümliche Verderbniß der Luft. Auf jeden Fall ist es aber gerathen, wenigstens der ersten Art ihrer Entstehung so viel als möglich entgegen zu arbeiten, da die Bedingungen zur Ausbildung der zweiten nicht an jedem Orte vorhanden sind. Man besuche daher auch zur Zeit der Cholera-Epidemie nicht öffentliche Orte, wo viele Menschen zusammen kommen, wie Schenken, Wirtshäuser etc., und jeder lasse seine Wäsche zu Hause waschen. aus: [Anonym.] Unentbehrliche Haustafel in der Cholera-Noth für Jedermann, insbesondere aber für den Bürger und Landmann [...]. Von einem praktischen Arzte im Großherzogthum Posen, Glogau und Lissa [Sommer] 1831 [Flugblatt], Da bis jetzt noch kein Medikament gefunden worden ist, welches der Cholera unfehlbar entgegenwirke, indem die bisher angewendeten kräftigsten Mittel, um eine entsprechende Wirkung hervorzubringen, den Körper nicht weniger, als die Cholera selbst angreifen und zerstören, so folgt nachstehend ein sehr unschuldiges, fast von allen Aerzten als probat anerkanntes Mittel, nämlich: alles Dasjenige, was hinsichts der Nahrung und Kleidung zu thun ist, um den Körper überhaupt so viel als möglich unfähig zu machen, die Cholera aufzunehmen, oder wenn er sie aufnimmt, doch desto leichter wieder los zu werden, beim Gebrauch der Mittel welche von den erfahrendsten Aerzten, als in diesem Falle wirksam, erkannt worden sind. [...] Ohne zu auffallende Abweichung von der gewohnten Nahrung, ist hauptsächlich Folgendes möglichst zu vermeiden: Saure Gurken, Gurkensallat, Kopfsallat, besonders Endiviensallat, Selleriesallat, Sauerkraut; Essigkraut, selbst der sogenannte polnische Sallat und wie diese feinern Speisen, welche hauptsächlich durch Essig schmackhaft gemacht werden, heißen mögen; dann: Gefrornes und alle mit Eise zusammengesetzten feinen Conditoreien, welchen Namen sie auch haben, so wie alle die schweren Torten-Arten und sahne- und obstgefüllten Leckreien; dann: saure Milch, Buttermilch und alle mit gesäuerter (geschlipperter) Milch zusammengesetzte Saucen und Speisen; so wie Käse; dann: alles ungekochte Obst; rohe, reife und unreife Beeren; rothe, weiße etc. Rüben, Melonen u.s.w.; kurz alle Früchte der Bäume, Sträucher oder der Felder, welche nicht durch Dampf oder Wasser gar gemacht worden sind; dann: Pilze jeder Art, wie sie auch zubereitet sein mögen; dann: Klöße oder andere Mehlspeisen, besonders einige Arten sehr feste Backwaaren, so wie die sogenannten Griphen, welche nach Zerlassen des Schwein- etc. Fettes übrig bleiben; gebräuntes (geprunzeltes) in Fett oder Butter gebackenes Fleisch oder Gemüse; Wurst;

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gebratene Kartoffeln; verbrannte Fleischrinden (Schwärtchen); so wie überhaupt zu fette und schwere Speisen; dann: Fische, hauptsächlich solche, welche vor dem Zurichten bereits abgestanden, oder wohl gar schon faulig waren; dann: jegliche Art sauren Weins, saures Bier, Essigwasser, u. dgl.; besonders aber jedes Uebermaaß in Speise und Trank. aus: Fr[iedrich] Mehwald, Das unschädlichste, einfachste Mittel, sich vor der Cholera möglichst zu schützen. Nach Vergleichung der besten, bis jetzt über diese Krankheit erschienenen Schriften, Breslau [Sommer] 1831, S. 3f. Ist die Ader verbunden, so wird sogleich das Cauterium actuale auf die Herzgrube gesetzt. Man könnte fragen: im Beginne des Uebels, dessen Grösse sich nicht vorhersehen lässt, schon das kräftigste Mittel? - Allerdings, eben jetzt, wo die Kräfte solchem Eingriffe noch gewachsen sind und das Übel sich noch nicht völlig fixirt hat. Denn was verliert der Kranke? Er leidet etwas mehr Schmerz, als vielleicht nöthig gewesen wäre; gewinnt aber alles, wo andere Methoden die kräftigsten Mittel für eine Zeit aufsparen, in der gewöhnlich nichts mehr zu gewinnen ist. - Das Brenneisen muss ziemlich flach sein und wenigstens 1 bis 1 1/2 Zoll im Durchmesser haben (jeder Arzt sollte es bei solcher Epidemie in der Tasche mit sich führen). aus: Dr. [Moritz] Hertz, Vorschlag zu einer Heilmethode der Cholera, Königsberg [Sommer] 1831, S. 9f. Damit dieses äußerst wichtige Bad von jedem Menschen leicht angeschafft und in jeder Krankenstube gehandhabt werden könne, habe ich die folgenden einfachen und billigen Apparate ersonnen, und beeile mich, sie der ärztlichen Welt mitzutheilen, in der Hoffnung, daß der Gegenstand geziemende Berücksichtigung erlangen und durch zahlreiche Versuche erprobt werden möge, zumal da die Anwendung dieses Mittels kaum einen Nachtheil bringen kann, und da sehr große Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß als Resultat dieser Behandlungsweise von 20 Kranken 19 glücklich geheilt werden würden. Diese meine wohlbedachte Meinung gründet sich auf ernste Betrachtungen des Gegenstandes und auf während einiger Monate angestellte Vergleichungen der Angaben verschiedener Schriftsteller über die Cholera, bei denen ich fast jedesmal Sätze angetroffen habe, welche meine Ansichten bestätigen. aus: John Isaac Hawkins, Das Amerikanische Arzneihaltige Dampfbad als Schutzmittel gegen die Ansteckung und als das schnellste, kräftigste und sicherste Heilmittel der Cholera [...]. Nebst 3 Abbildungen, Berlin [Sommer] 1831, S. 4. Um die gänzliche Abschliessung des Kranken in seinem Lager zu bewirken und zur Erwärmung desselben, die Anwendung des von dem Hrn. v. Neander erfundenen DampfApparats möglich zu machen, ist der ganze Bettkasten von oben mit einem mit Charnieren versehenen Deckel überdeckt. Dieser Deckel ist zur grösseren Bequemlichkeit in der Gegend der Brust und der Schultern des Kranken mit einem runden Ausschnitt versehen. Um jedoch das schnelle Verflüchtigen der Dämpfe durch diesen Ausschnitt zu verhindern, muss

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derselbe durch einen kragenartigen Schirm von Wachstaffent, welcher um des Kranken Hals gelegt wird, verschlossen werden. Zur baldigen Reinigung der zur Auffangung der Halsexcremente dienenden blechernen Becken, sind ausserhalb der Wände der Säle, (längs des Corridors), Leitungen für das Kaltwasser angeordnet, aus welchen, durch kleine Hähne bei jedem Bett, das benöthigte Wasser gezapft werden kann. Sollte jedoch die vorgeschlagene Anlage eines Krankenhauses mit Sälen bei allen diesen Einrichtungen noch unzulässig sein, so dürfte wohl die in Fig. 1. A. im Abschnitt II, dargestellte Anordnung des Krankenhauses, mit der Anlage von einzelnen Gemächern (p), die von dem Corridor (q) aus, durch die sie abschliessenden Glasthüren übersehen werden können, mit Beibehaltung aller übrigen oben angegebenen Einrichtungen, ihre Anwendung finden, ohne auch nur im geringsten den gemachten Erfahrungen entgegen zu sein. aus: S. E. Hoffmann, Entwurf zur Einrichtung eines Cholera-Hospitals. Mit einer genauen Angabe eines, für die Behandlungsart der Cholera-Kranken in Vorschlag gebrachten, bequemen Krankenlagers, Berlin [Sommer] 1831, S. 8f Unter den verschiedenen Heilverfahren, die man gegen die Cholera empfohlen und angewendet hat, giebt es genau genommen bis jetzt nur ein einziges, welches unbestritten und allgemein als wirksam anerkannt worden ist, und dieses eine verdient um so mehr Zutrauen, da seine Anwendung auch den Forderungen einer vernunftgemäßen Heilkunde entspricht. Es besteht dieses Verfahren in einer schleunigen Erwärmung der ganzen Oberfläche des Körpers durch Reiben, Bedecken mit warmen Decken, heissem Hafer, Heusaamen, Spreu u.s.w. oder durch das russische Dampfbad. Welches von den genannten Mitteln den Vorzug verdiene, darüber hat die Erfahrung bis jetzt noch nicht genügenden Aufschluss gegeben, doch scheint es, da sie einander nicht ausschliessen und successiv (im Nothfalle selbst gleichzeitig) angewendet werden können, zweckmässig, das Dampfbad zuerst zu versuchen, weil es schneller wirkt, dem Kranken mehr Ruhe verstattet und mit geringerer Gefahr der Ansteckung für die Umgebung verbunden ist, als das anhaltend fortgesetzte Reiben und das wiederholte Bedecken mit erwärmten Substanzen. Es ist einleuchtend, dass der Gebrauch der öffentlichen Dampfbäder aus medicinischen und medicinisch-polizeilichen Gründen auch dann unzulässig wäre, wenn diese Anstalten, was sie nicht vermögen, bei einiger Verbreitung der Krankheit dem Bedürfnisse zu genügen im Stande wären. Diese Betrachtung bewog mich, einen eigenen Dampf-Apparat zu ersinnen, um die allgemeine Anwendung des Dampfbades in den Wohnungen der Kranken möglich zu machen, wobei ich mich bemühete, den folgenden Forderungen möglichst zu entsprechen. Der Apparat sollte dem Kranken die in einer so schweren Krankheit und bei so bedeutenden Störungen des Kreislaufes höchst wichtige horizontale Lage gestatten, dabei einfach in seiner Konstruktion sein, um an jedem kleinen Orte von den gewöhnlichen Handwerkern anfertigt werden zu können, einfach in der Art der Anwendung, leicht von einem Orte zum andern zu bringen, dauerhaft und fest, wohlfeil und endlich leicht von den etwa daran haftenden Kontagien zu reinigen. Die Entscheidung, in wie fern der von mir angegebene Apparat die eben genannten Forderungen erfülle, muss ich dem ärztlichen Publikum überlassen, welches in einer ruhigem und günstigen Zeit auch darüber ein Urtheil fällen möge, ob die in Rede stehende Vorrich-

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tung nicht überhaupt eine allgemeinere und bequemere diätetische und therapeutische Anwendung des Dampfbades als die bisher üblichen Badestuben gestatte. Der Wunsch meine Erfindung möglichst schnell zu verbreiten und so zur Bekämpfung einer so gefährlichen Krankheit, wie es die Cholera ist, auch meinen Antheil beizutragen, brachte mich zu dem Entschlüsse, sie der durch die Huld unseres allergnädigsten Königes ernannten Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera vorzulegen, welche mich mit dem Auftrage beehrt hat, sowohl meinen Dampfapparat, als auch einige andere theils derselben vorgeschlagene, theils anderweitig angegebene Apparate durch den Druck bekannt zu machen, um so Jedermann in den Stand zu setzen, denjenigen zu wählen, der für die bestimmte Lokalität und den speziellen Fall am passendsten erscheint. Ich habe mich bemüht dieser kleinen Sammlung so viel Vollständigkeit zu geben als es die Kürze der Zeit gestatten wollte, und daher auch die einfacheren Vorrichtungen, die sich mit den gewöhnlichen Hülfsmitteln leicht herstellen lassen, mit aufgenommen. Es könnte scheinen, dass diese jeden zusammengesetzten Apparat entbehrlich machen, doch lehrt die tägliche Erfahrung, daß dergleichen extemporirte Vorrichtungen sich nie mit der Sicherheit des Erfolges und der Bequemlichkeit anwenden lassen, welche die zu einem bestimmten Zwecke konstruirten Apparate gewähren [...]. aus: Dr. F[erdinand] M[oritz] Ascherson, Beschreibung tragbarer Dampf-Apparate. Im Auftrage der Königl. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. Mit zwei Steindrücken, Berlin [Sommer] 1831, S. I f f . Unter den mannichfachen Heilmethoden, welche bis jetzt gegen die Cholera angewendet worden sind, scheinen äußere Erwärmungsmittel einen vorzüglichen, vielleicht den ersten Rang zu behaupten. Es wird demnach auch dem Nichtarzt erlaubt seyn, jedes Erwärmungsprincip und jede Erwärmungsvorrichtung, welche einen Vorzug verdienen könnte, in Vorschlag zu bringen und der ärztlichen und öffentlichen Beurtheilung vorzulegen. [...] Es sind zwar recht viele nützliche Verfahrungsarten und Beschreibungen von tragbaren Dampfapparaten zur öffentlichen Kunde gelangt, bei allen dürften aber folgende Hauptaufgaben im Princip und in der Ausführung nicht vollständig gelöst seyn: 1) Die Erwärmung des Kranken auf dem möglichst schleunigen Wege zu bewirken. 2) Den Erwärmungsgrad gefahrlos steigen und fallen lassen zu können. 3) Die Erwärmung auf trockenem und spirituösen Wege zugleich hervorzubringen. 4) Die Zusammenstellung der nöthigsten Erwärmungsvorrichtungen nicht bloß in jedem, selbst ärmsten Haushalt, sondern auch im Feldlager aus sich vorfindenden Geräthen augenblicklich bewirken zu können. aus: Dr. Friedrich Hempel, Das weingeistige Dampfbad ganz besonders in Beziehung auf die Cholera, dem Städter und Landmann empfohlen, 4. Aufl. Berlin [Sommer] 1831, S. 1, 4f Bei starken und langen Räucherungen kann es sich aber dennoch ereignen, daß der Einathmende durch Chlor belästigt wird, sobald das Wasser in der Baumwolle völlig damit geschwängert ist; in diesem Falle ist es Zeit, das Zimmer zu verlassen und sich mit einem frisch gefüllten Schutzbecher zu versehen.

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Sollte aber der, welcher die Räucherung vorgenommen hat, entweder aus Unvorsichtigkeit sich der Entgegenströmung des Chlorgases zu sehr ausgesetzt oder aus zu großer Dreistigkeit bereits so viel davon eingeathmet haben, daß Beängstigung oder Bluthusten erfolgt, so muß auf der Stelle Zucker mit Weingeist häufig genommen oder eingegeben werden. aus: Dr. Friedrich Hempel, Ueber Chlor und Chlorkalk, deren Nutzung, Bereitung und Anwendung in Beziehung auf die Cholera für Jedermann faßlich dargestellt, Berlin [Sommer] 1831, S. 8. Die chemisch wirkenden Mittel, welche bei einer Choleraepidemie äußerlich angewendet werden, vermögen die schon zum Ausbruch gekommene Krankheit an sich nicht zu heben, sie sind aber insofern von der größten Wichtigkeit, als sie die Gefahr der Weiterverbreitung der Krankheit, durch Berührung oder durch Ausdunstung, wesentlich vermindern können; denn sie haben die Eigenschaft, den durch dieselbe erzeugten, an Personen und Gegenständen haftenden, oder in die umgebende Luft ausgedunsteten, giftigen Ansteckungsstoff wirklich zu zerstören. Unter diesen chemischen Mitteln nimmt wohl das Chlor den ersten Rang ein, und bei dem wirklichen Ausbruch der Krankheit ist die allgemeine Anwendung desselben, als Schutz- und Desinfectionsmittels, von der königl. Immediat-Commision vorgeschrieben. Das Verfahren, wie dasselbe zu bereiten und anzuwenden sei, ist zwar im allgemeinen angegeben, allein auf die dabei zu beobachtenden näheren Umstände konnte in den allgemeinen Instructionen nicht näher eingegangen werden. Eine specielle Anweisung hierüber möchte aber für das Publicum um so mehr ein Bedürfnis sein, als im Ganzen nur Wenige mit der Handhabung solcher Gegenstände vertraut sind, und die mißbrauchte oder unvorsichtige Anwendung des Chlors sehr bedeutende Nachtheile herbeiführen kann. Eine solche, für jeden verständliche Anweisung zu geben, ist der Zweck der folgenden Blätter, die sich also nur auf das Verfahren, welches der Einzelne zu beobachten hat, nicht auf das Desinfections-Verfahren der allgemeinen Quarantaine-Anstalten beziehen. aus: [Anonym.] Anweisung über die Bereitung und Anwendung des Chlors als Schutzmittels gegen Ansteckung durch Cholerastoff, Berlin [Sommer] 1831, S, 3f. Der sogenannte Pest-Essig (Acetum quatour latronum) (Vinaigre de quatre voleurs) soll in Marseille zur Zeit der Pest erfunden worden seyn. Vier Männer die das Arcanum seiner Bereitung bewahrten, hielten sich durch seinen Gebrauch gegen jede Ansteckung für geschützt, und beraubten unter dem Scheine der Hülfsleistung, die an der Pest Erkrankten. Dieser gewürzhafte Essig findet sowohl innerlich als äußerlich seine Anwendung und zwar in typhösen, galligen, fauligen kurz in allen contagiösen Fiebern, in welcher er die Fäulniß hindernd (antiseptisch) und zugleich beizend wirkt. Von seiner innern Anwendung kann hier, in einer Schrift die für Laien bestimmt ist, nicht die Rede seyn, da solche nur von einem Arzte verordnet werden darf. Zum äußern Gebrauch ist aber derselbe in allen oben angeführten Fällen, wo man vorzugsweise stark reizend einwirken will zu empfehlen. Waschungen und Bähungen mit ihm, sind namentlich in typhösen, desgleichen in Faulfiebern, bei Ohnmächten, Scheintod, Schlagflüssen, Blutunterlaufungen, bei Entzündungen welche sich zum Brande neigen u.s.w. anwendbar, und haben

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sich als höchst nützlich bewährt, so daß in diesen Fällen sein Gebrauch dem des gewöhnlichen Essigs bei weitem vorzuziehen ist. Zweckmäßig ist es sich mit solchem die Hände zu waschen, und mit einer Verdünnung desselben den Mund auszuspühlen, wenn man sich Personen die an ansteckenden Fiebern wozu auch die Cholera gehört - erkrankt sind, nähert, um sie zu berühren und ihnen Hülfe zu leisten. Der Pest-Essig dient endlich als ein vorzüglich wirksames, und besonders angenehmes und kräftiges Riech- und Räucherungsmittel, obschon solcher keineswegs die bedeutenden gegen Einwirkung des Contagiums schützenden Kräfte besitzt, die man ihm in ältern Zeiten marktschreierisch zuschrieb. Höchst zweckmäßig ist es bei Epidemien ein Flacon mit solchem gefüllt bei sich zu tragen, um sich auf den Straßen und bei der Unterredung mit fremden Personen durch seinen Geruch zu stärken, zu welchem Ende man sich einige Tropfen desselben in die Hand gießt und solche reibt. Zur Bereitung dieses Essigs giebt es eine Menge Vorschriften. Wir theilen hier die vorzüglichsten Pharmacopoen mit, und lassen die des Doktor Brera als bewährt folgen, übergehen dagegen die Bereitungsart des Acetum americanum von Rivet, da zu dieser Morphin, Opiumextrakt und schwefelsaures Chinin Anwendung finden; Mittel, die in den Apotheken nur auf Vorschrift eines Arztes verabfolgt werden, wodurch also unser Endzweck bei Abfassung dieser Schrift dem Publico und den Destillateurs eine Anweisung an die Hand zu liefern, diesen Essig ohne Schwierigkeit zu bereiten, nicht erreicht haben würde. aus: [Anonym.] Anweisung den sogenannten Pest-Essig (Vinaigre de quatre voleurs) nach Vorschrift der vorzüglichsten Pharmacopoen zu bereiten, Berlin [Sommer] 1831, S. 3 f f . Du wirst guter Leser aber einwenden, und fragen: hat denn aber der Schöpfer jene Mittel zu unserm Gebrauch nicht erschaffen? Ganz richtig, alles was die Erde trägt, ist zu einem gewissen Zweck erschaffen, alles hat eine weise Bestimmung aber Du glaubt vielleicht etwas zu stark an die unfehlbare Wirkung künstlich bereiteter Medizin wie wir sie benutzen, und ich sage Dir, daß wir gewiß viele Dinge auf dieser Erde ganz unrecht benutzen; ja die mehrsten noch gar nicht zu gebrauchen verstehen, und so ergeht es uns auch mit den künstlichen Zusammensetzungen der Arzneimittel. Je höher die Medizin als Kunst sich erhebt, desto mehr Schwächen und Krankheiten werden sich unter den Menschen verbreiten; denn die Menschen sind unwissend genug auf die Kräfte der unzuverläßigen Kunst zu bauen und vernachläßigen hierbei die zuverläßigen Kräfte der Natur. aus: Lichtwerden, Menschenrettung, oder: Die sichersten und einzigsten Mittel gegen die Cholera, Berlin [Sommer] 1831, S. 10. Daß der Schauspieler Krüger auf der Heimkehr von einer Triumphreise zwei Schritte von Berlin in eine Contumazanstalt gesperrt wird, und, den Giebel des Schauspielhauses im Auge, wo er auf rauschenden Empfang hoffte, zwanzig Tage hindurch geräuchert wir, ist zu lustig, als daß unser Publikum nicht darüber witzeln und über den Witz auf ein paar Stunden die Furcht vergessen sollte. Auch der Gedanke, vor den Thoren des freien Berlin eine Quarantäne zu besitzen, ist etwas so Neues, Ueberraschendes, daß Ströme von Menschen wie nach Tivoli und Elysium Sonntags hinausgehen, fahren, reiten, und gaffend vor dem Quarantänehäuschen stehen bleiben; und sie sehen doch nicht mehr als die Mauern und die

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zugemachten Fenster, und die Schildwachen weisen jeden, der sich zu nahen wagt, ab. Auch keine briefliche Kommunikation findet statt. Aber die Phantasie bevölkert desto lebendiger die kleine Kolonie. Man weiß, was sie essen, sprechen, denken. Sie unterhalten sich durch Mährchenerzählen, und es kann einmal ein neuer Boccaz von dort zum Vorschein kommen. Ein Schweizer Kaufmann, der, von Petersburg kommend, schon zweimal die Quarantäne ausgehalten, tröstet die armen Novizen mit launigen Berichten, wie man die Langeweile tödtet und die Geduld jagt; Herr Krüger deklamirt, Dlle. Hänel singt, man spielt, tanzt. Auch soll die Verzweiflung, welche sich in der ersten Nacht besonders der Damen bemächtigt, merklich nachgelassen haben als sie am nächsten Morgen erfuhren, daß es sehr Ernst sey, und sie nicht eine Nacht, sondern fast einen Monat Quarantäne zu halten hätten. Das Unabwendbare erträgt sich leichter, als ein kleiner, zufälliger Unfall. Aus Vogelsdorf ist übrigens die gesperrte Gesellschaft nach dem nah vor dem Frankfurter Thor gelegenen, sogenannten Schlößchen gebracht worden und hat hier schon mehreren Zuwachs erhalten. Ihre Unterhaltung geschieht auf öffentliche Kosten. Die Berliner Stadtärzte besichtigen die Eingesperrten, und es hat sich seither nicht die geringste Spur gezeigt, welche eine Ansteckung befürchten ließe. Auch wollen Danziger Briefe die Behauptung aufstellen, die dort grassirende Krankheit sei nicht die eigentliche Cholera, was dahin gestellt bleiben muß. Indeß spottet nur ein geringerer Theil unserer Frondeurs über die getroffenen Maßregeln, was für Berlin viel ist. Andererseits meint man, es geschehe noch zu wenig; indem die strengen Vorsichtsmaßregeln nur vor zwei Thoren getroffen wurden, verfängliche Reise aber leicht vermöge Umweges durch andere Thore eintreten können. Was in unsern Hafenstädten geschehen ist und noch geschieht, wissen Sie aus den Zeitungen; allein eine vollständige Sperre ist bei der Lage der preußischen Staaten fast unmöglich. So lagt man über das uns zunächst befreundete Mecklenburg, dessen Vorkehrungen bis je[t]zt von einer Art seyn sollen, daß man sich gedrungen fühlen wird, dagegen einen Sanitätskordon zu ziehen. Sollte dieser auch gegen Böhmen zu, wie man meint, nöthig werden, so möchten am Ende alle gesunden Kräfte unserer Bevölkerung nicht ausreichen, um einen Krankheitskordon aufzustellen. - Um nicht unnöthige Besorgnisse zu vermehren, hat man unsern Zeitungen und Journalen untersagt, anderes über die Cholera aufzunehmen, als was in der Staatszeitung steht. Das Motiv ist nicht zu tadeln; wir fürchten indessen, daß durch die populär-ärztlichen Schriften, welche halb offiziell zu einem Spottpreis ausgetheilt werden, schon so viel Furchtstoff unter die Leute gebracht ist, daß keine Privatberichte und mitgetheilte Ansichten ihn noch steigern können. Nach dem Lauf dieser „aristokratischen Krankheit", welche die, die reinlich sein können und geräumig wohnen, verschont, ist man am meisten für die Wülknitzschen Häuser besorgt. In diesen großen Jammerhäusern, vom Kammerherrn von Wülknitz angeblich aus philanthropischen Absichten erbaut, wiewohl es anfänglich ein pecuniär sehr vortheilhaftes Geschäft gewesen sein soll, wohnen Tausende von Armen unter einem Dach, und in einem Zimmer, durch Kreidestriche geviertheilt, vier Familien] Wiewohl sie unter speziellpolizeilicher Aufsicht stehen, kann die Polizei doch nicht für Reinlichkeit, ja nicht einmal für Zucht und Ordnung sorgen. Im schmutzigsten, anrüchigsten Theile der Stadt, dem Voigtlande, gelegen, sind sie das wahre Asyl für den Schmutz und liederliches Gesindel der schlechtesten Art. Diebe, wenn sie diese gastliche Schwelle erreicht, sind vor den Nachforschungen, wenigstens vor der Entdeckung ziemlich sicher, um wie viel sicherer die neue

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Pest, wenn sie einmal hier eingedrungen. Man spricht davon, die Soldaten aus den Kasernen ausmarschiren und die Bewohner der Wülknitzschen Häuser die geräumigem Kasernen beziehen zu lassen, ein Vorschlag, der indessen leichter auf dem Papier zu machen, als auszuführen ist. Man wollte als Präservativ, zur Säuberung der Luft, das Rauchen auf den Straßen erlauben. Eine undeutliche Verordnung im Potsdamer Amtsblatt ließ sich darüber aus. Kaum stand es aber gedruckt, als von der Handwerksburschenwelt am nächsten Sonntage mit der Erlaubniß ein solcher Anstand verletzender Mißbrauch getrieben wurde, daß man sich Tags darauf genöthigt sah, das alte Verbot zu erneuern und zu schärfen. Die Erlaubniß wurde, als nur für außerhalb Berlin gegeben, sehr willkürlich deklarirt. Gewiß verträgt sich das öffentliche Rauchen nicht mit dem Anstände, welcher in einer großen Residenz herrschen muß, allein der angegebene Grund einer Feuersgefahr ist unhaltbar, und ebensowenig ist die Art und Weise zu billigen, mit welcher die Gensdarmerie das Rauchen verfolgte. Ihr Diensteifer hatte den Anschein, als sey es nur und allein das Ziel ihres Staatsdienstes, einem Handwerksburschen die Pfeife wegzunehmen. Viele gegenseitige Gehässigkeiten entspringen aus nichts anderm, als dieser Lust nach Verbotenem, nämlich zu rauchen, und dieser Wuth, Eifer zu zeigen, nämlich den armen Maleficanten die Pfeifen wegzureißen. Selbst unsere kleine Miniaturrevolution hatte zum guten Theil in dieser unbedeutenden Contention ihren Grund. [Anonym.] Berlin, Juni, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 158 und 159, 4. und 5. Juli 1831, S. 632ffi Lied. 644. 574. Text. Matth. VI, 34. „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe." M. a. F.r. Dieser Rath des Erlösers bildet einen sonderbaren Gegensa[t]z zu der Stimmung der Gemüther, welche wir izt so häufig unter uns antreffen. Ein Schrekkbild von Krankheit ist schon seit langer Zeit aus weiter ferne und immer näher gerükkt; seit lange schon harren Viele in einer ängstlichen Spannung, ob es uns erreichen werde oder nicht, ob sich die fremde Plage aus anderen Erdstrichen bis in unsere Gegend wagen werde und auch hierher Tod und Verderben bringen, oder ob es eine gütige Bewahrung Gottes mittels menschlicher Weisheit und Treue sie werde abzulenken wissen; und je näher das Uebel gerükkt ist, desto mehr hat diese Spannung überhand genommen, desto mehr haben wir uns schon geplagt und gequält um das, was noch nicht ist. Mancherlei Zeichen von Zerrüttung der Völker in sich und unter einander bewegen uns, wie wir in den allgemeinen Strom menschlicher Dinge hineingesenkt sind, schon seit langer Zeit; ob Festigkeit des Entschlusses den Frieden zu erhalten, ob die Scheu, welche innige Zusammenstimmung eines Volkes Andern zu gebieten pflegt, uns werde zu sichern im Stande sein, oder ob doch wieder eine Zeit kommen werde, wo die Völker gegen einander aufstehen, und die allgemeine Noth des Krieges und der Zwietracht die friedlichen Geschäfte und den schönen Genuß des Lebens unterbricht: seit wie lange quälen uns schon diese Gedanken, wie erwägen wir bei jedem Ereigniß aufs neue die Wahrscheinlichkeiten für uns wider, wie ängstlich sind die Gemüther bewegt, und wieviele verlieren Besi[t]z und Genuß der Gegenwart durch Besorgniß über die Zukunft! In diese Stimmung tönt nun der Ausspruch des Erlösers: „Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe", und erinnert uns, daß wir an dem heutigen Tage uns

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nicht belästigen sollen mit der Sorge für den morgenden, und noch viel weniger mit der für eine ferne Zeit. So lasset uns denn, m. g. Fr., je mehr grade izt es uns Noth thut, um so dringender den Rath des Erlösers und an das Herz legen, daß wir uns nicht sollen mit der Plage künftiger Zeiten voreilig belästigen. Lasset uns zuerst vor Allem suchen, die Meinung des Erlösers hierin richtig zu verstehen, dann wird uns auch gewiß die ganze Vortrefflichkeit dieses Rathes ins Auge leuchten. [...] Denn laßt uns fragen, woher kommt denn diese Neigung, sich im voraus quälen zu lassen von den Plagen der Zukunft? Wie menschenfreundlich sich auch die Sorge stellen möge, ich fürchte sie ist immer eine Frucht der Selbstsucht und der Rükksicht auf das eigene Wohl; immer ist es das Kleben an den zeitlichen Dingen, was uns so übermäßig spannt in Beziehung auf die ungewisse Zukunft. Und wie kann dabei ein eigenes rein sittliches Urtheil bestehen, wenn wir, sei es auch ohne es deutlich zu wissen, doch zule[t]zt Alles, was wir selbst und Andere zu thun haben, nur beziehen auf unser eigenes zeitliches Wohl. Darum ist eine solche voreilige Beschäftigung mit der Noth der Zukunft immer eine Störung in der Erfüllung unserer Pflicht, zunächst eine Vergiftung jener wichtigen und heiligen Berufsthätigkeit, welche wir uns alle ohne Ausnahme jeder freilich um so mehr, je mehr er sich Einfluß zutrauen kann in seinem Kreis, ungeschmälert bewahren sollen. Aber auch in vieler andern Beziehung wird die gottgefällige Lebensführung gestört. Denn sind es nicht diese Sorgenvollen, denen im Vergleich mit dem was sie quält, wogegen sie aber doch nichts thun können, alles unbedeutend erscheint und nicht der Mühe werth, was es im Augenblikk wirklich zu thun giebt? Nur das reine schlichte Auge dessen, der weder für sich selbst noch an Andere denkt, sondern sich und Alle andere immer nur als Theile des lebendigen Ganzen, dem wir angehören, nur als Werkzeuge des göttlichen Geistes behandelt, nur dieses vermag in jedem Augenblikk was Noth thut zu erkennen; nur dieser wird allem, was in den Kreis seines Berufs fällt, auch sein Recht unverkürzt widerfahren lassen, nur eines solchen freier redlicher Mund wird eine richtig leitende kräftig anfassende, gebieterisch wehrende Rede von sich geben. aus: Friedrich Schleiermacher, Am 4. Sonntage nach Trinitatis 1831 [26. Juni], in: Dr. F[riedrich] Schleiermacher, Predigten [Berlin o. J.], S. l f . , 12f. Zahlreiche, gestern vorgekommene Fälle erweisen, daß einzelne Personen die Meinung gewonnen haben, das längst bestehende Verbot des Tabakrauchens auf den Straßen, öffentlichen Plätzen und Promenaden, innerhalb der hiesigen Stadt sowohl, als in den Vorstädten und im Thiergarten, sey jetzt aufgehoben. Dazu mag zunächst die Ansicht geführt haben, daß die Bekanntmachung der Königl. Regierung zu Potsdam, vom 29. Mai d.J., welche den am 10. d.M. ausgegebenen 23. Stücke des dortigen Amtsblattes, jedoch unter den Verordnungen, welche den Regierungsbezirk Potsdam ausschließlich betreffen, mit eingerückt ist, und nach welcher die Straffälligkeit des Tabakrauchens in den Straßen der Städte von der besonderen Feuergefährlichkeit des Orts, an welchem solches stattgefunden hat, mit abhängig bleiben soll, auch auf Berlin Anwendung finde. Dies ist indessen um so weniger der Fall, als bei Erlaß des Verbots für die hiesige Stadt nicht allein die Feuergefährlichkeit, sondern auch andere Rücksichten in entscheidenden Mitbetracht gezogen waren. Dahin gehört namentlich die Aufrechterhaltung des öffentlichen Anstandes, mit der es, wie in dem Publikum selbst gewiß nur wenige Stimmen seyn dürften, für gebildetere ordnungsvolle

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Städte, unter Berlin sich stets einen der ersten und ausgezeichnetsten Plätze zu sichern gewußt hat, völlig unvereinbar bleibt, das Tabakrauchen in den Straßen und auf öffentlichen Promenaden stattfinden zu lassen. aus: Polizeiliche Bekanntmachung, v. Tippeiskirch (Königl. Preuß. Gouvernement), v. Esebeck (Polizei-Präsidium). Berlin, den 13. Juni 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staatsundgelehrten Sachen, Nr. 136, 14. Juni 1831, [S. 1], Die Stadt Danzig nebst Umgegend, schon oft der Schauplatz großen Unglücks, durch Kriegsnoth, doppelte Belagerung, theure Zeit, und noch zuletzt durch die Ueberschwemmung im Jahre 1829 auf das Härteste betroffen, ist auch jetzt wieder, nach kaum erwachter Hoffnung besserer Zeiten, von einem herben Mißgeschicke heimgesucht worden. Der Ausbruch der orientalischen Cholera ist es, der die Summe des Unglücks Vollmacht. Höchst beschränkt in allem Verkehr mit der übrigen Welt, verschwindet der Handel, die Gewerbe liegen darnieder, und die gänzliche Verdienstlosigkeit droht allen Bewohnern der Stadt mit Mangel und Armut. Dagegen steigen die Bedürfnisse täglich, und erreichen eine solche Ausdehnung, daß es schon jetzt fast unmöglich wird, sie zu bestreiten. Es müssen kostbare Einrichtungen für die Pflege und Erhaltung der Erkrankten getroffen, die sämmtlichen mit den Erkrankten zusammen gekommenen Personen, der Instruktion vom 5. April d. J. gemäß, abgesperrt, und da sie meist derjenigen Klasse angehören, die sich ihre tägliche Nahrung durch Arbeitsverdienst verschaffen müssen, verpflegt und ernährt werden. Die Anzahl der auf diese Weise zu erhaltenden Individuen beträgt schon jetzt 900, und wächst täglich, mit ihr aber die drückende Noth der bedrängten Stadt. Das Vorstehende enthält die Schilderung des allgemeinen Drucks; das Elend im Einzelnen mitzutheilen, ist unmöglich. In einigen Familien sind beide Eltern von der Cholera hingerafft; die unglücklichen Kinder sind nicht allein hülflos zurückgeblieben, sondern müssen noch, zur Verhütung des Verschleppens der Krankheit, abgesperrt werden; anderen Familien, die nichts als das Bett besitzen, muß dasselbe, weil der Cholerakranke darauf gelegen, abgenommen und vernichtet werden, kurz es ist ein Verhängniß eingetreten, das Aller Hülfe und lindernde Mitwirkung in Anspruch nimmt. Unter diesen Umständen wenden wir uns vertrauensvoll an unsere Mitunterthanen des wohlwollendsten und gnädigsten Königs, mit der Bitte: Sammlungen zur Versorgung der unglücklichen Abgesperrten und zur Unterstützung der hülflosen Hinterbliebenen verstorbener Personen zu veranstalten, und die gesammelten Gelder zu übersenden, über deren Verwendung durch die hiesige Orts-Sanitätskommission öffentliche Rechenschaft gegeben werden soll. [Bekanntmachung.] Königl. Preuß. Regierung. Danzig, den 26. Juni 1831, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 29. St., 22. Juli 1831, S. 150f. Für den kaum zu besorgenden Fall, daß, trotz aller zur Abwehr der Cholera getroffenen Sicherheits-Maaßregeln, die Hauptstadt dennoch von dieser Seuche heimgesucht werden sollte, werden durch das unterzeichnete Allerhöchstverordnete Gesundheits-Comite alle diejenigen Einrichtungen, welche die gegebenen höhern Bestimmungen für einen solchen Fall anordnen, schon jetzt vorbereitet. Es sind namentlich die Ortsbehörden bereits damit

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beschäftigt, die Schutzcommissionen, welche aus Polizei-, Communal-Beamten und Aerzten bestehend, die einzelnen Stadtreviere alsdann in dieser Beziehung beaufsichtigen sollen, nach den Gränzen der vorhandenen Armencommissions-Bezirke zu bilden. [...] §.8. Der Transport eines solchen Cholera-Kranken nach dem Pockenhause geschieht auf dem kürzesten Wege, doch mit möglichster Vermeidung der bewohnten Straßen, in einem Tragekorbe durch 4, zur Sicherung vor der Infection mit einer Bekleidung von schwarzer Glanz-Leinwand, einer dergleichen Mütze und glanzledernen Handschuhen versehene Träger, welche zu diesem Behufe von dem Polizei-Präsidium disponibel gehalten werden. Der damit beauftragte Polizei-Beamte leitet den Transport und verhindert jede Gemeinschaft mit Vorübergehenden mit Hülfe von 2 Mann Wache, von denen der eine vor, der andere hinter den Trägern geht, so wie der Polizei-Beamte selbst, mindestens 5 Schritte von demselben entfernt bleibt. Mittelst einer Glocke giebt er zugleich den Vorübergehenden ein vor der Annäherung warnendes Zeichen. aus: Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comite ßr Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Vorläufige Bestimmungen für den Fall des Ausbruchs der Cholera in Berlin. Berlin, 28. Juni 1831, S. 1, 8. Den nahen Tod verkünden die bösesten Symptome. Er wird in den meisten Fällen durch völlige Entleerung und Entkräftung herbeigeführt, und erscheint dann in der Form einer tödtlichen Ohnmacht, was auch geschieht, wenn Lähmung des Gangliensystems ihn veranlaßte, wo er oft blitzschnell, als Apoplexie, eintritt. Sodann kann er aber auch erfolgen, weil eine Entzündung in den Unterleibsorganen, besonders im Magen, im engeren Theil des Darmkanals, in der Leber sich ausbildete. [...] Wenn die Entzündung, wie gewöhnlich, in Brand übergeht, so hören oft alle Leiden und Beschwerden plötzlich auf, der Kranke wähnt sich gerettet; aber die Hände und Füße erkalten stets mehr und mehr, die Pulse verschwinden, das Sehvermögen wird verdunkelt, und es erfolgt ein sanfter Tod. Außerdem verkünden den nahe bevorstehenden Tod Delirien, (Irrereden), Schlundkrämpfe, das Unvermögen zum Verschlucken, Schluchzen (singultus), heftige und andauernde Angst, ein starkes und anhaltendes Gliederzittern, unwillkührliche Ausleerungen und epileptische Gliederkrämpfe. aus: Karl Sundelin, Darstellung einer gründlichen Ansicht von dem Wesen oder der eigentlichen Ursache der Cholera [...]. Den Nichtärzten zur Beherzigung, den Amtsgenossen zur Prüfung und Beurtheilung vorgelegt, Berlin [28. Juni] 1831, S. 12f. Wenn es von der einen Seite nicht mehr bezweifelt werden kann, daß das große Unglück, von welchem Europa bedroht ist, zum großen Theil dem Mangel an richtiger Einsicht in die Natur der Krankheit zugeschrieben werden muß, daß es aus diesem Grunde nicht hat gelingen wollen, dem Vordringen der Seuche aus dem tiefen Asien Grenzen zu setzen, so muß es von der andern zur Beruhigung dienen, daß wir in dieser Beziehung durch sichere Beobachtungen und Erfahrungen belehrt, im Stande sind, Maaßregeln zu ergreifen, die eben so wohl den Staaten im Ganzen, als den einzelnen Bewohnern Schutz gewähren.

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In den von unserm Staate zur Abwendung der durch die Cholera drohenden Gefahr erlassenen Verordnungen ist daher überall der Grundsatz festzuhalten, daß dieselbe eine anstekkende Krankheit sei, daß ihr ein Ansteckungsstoff zum Grunde liege, der, eben so wohl in Personen, als in Gegenständen haftend, auf andere übertragen werden kann! aus: [Anonym.] Kurze Uebersicht des Seitens des Königl. Preußischen Staates zur Abwendung der durch die asiatische Cholera drohenden Gefahr erlassenen Verordnungen [...]. Zunächst für die Bewohner des Großherzogthums Posen, Posen [Ende Juni] 1831, S. 4 f f . 4) Ueberfüllungen des Magens sind immer schädlich, besonders während der Epidemie. Frisches Fleisch von jungen Hausthieren ist das beste Nahrungsmittel, frische Fische und abgekochte Milch rangiren schon in der 2ten Klasse; scharf gewürzte Speisen, so wie reife Früchte sind unschädlich. Im Allgemeinen aber wird jede Unmäßigkeit im Essen und Trinken durch den Ausbruch der Cholera bestraft. 5) Quell- und Fluß-Wasser mit rothem Wein ist das beste Getränk. Bourdeaux-Weine, Rheinweine, alte Franzweine etc. während der Tafel sind dem Zwecke entsprechend: Champagner und alle ihm ähnelnden Weine sind, besonders im Uebermaß genossen, schädlich. - Gut gebrautes Bier kann von denen, die daran gewöhnt sind, ohne Nachtheil genossen werden. aus: Ueber die Cholera mit besonderer Rücksicht auf deren Heilung durch einfache Hausmittel. Nach einem schriftlichen Aufsatze des Kais, russischen Professors Dr. Kilduschewski, Berlin [Ende Juni] 1831, S. 6f. Wenn man das langsame aber unausgesetzte Vorschreiten der Seuche nach Nordwesten erwägt, und dabei sieht, wie auch zweckmässige und streng durchgeführte Maassregeln ihre Verbreitung zwar erschwert, aber doch nicht gänzlich gehindert haben, so muss man wohl die Besorgniss hegen, dass ihre Verbreitung ausser von der Ansteckung, welche ihr, so wie sie sich jetzt zeigt, wohl nicht abgesprochen werden kann, noch von andern Elementen abhänge, denen man vielleicht Sanitäts-Cordons und Quarantaine-Anstalten vergebens entgegenstellen wird; und so ist es denn wohl möglich, dass auch unser Vaterland, der ihm drohenden Gefahr nicht werde entgehen können. [...] Endlich darf man sich wohl auch der tröstlichen Hoffnung überlassen, dass es den Bemühungen der Deutschen Aerzte gelingen werde, dem Gespenste, welches bis jetzt ganz Europa in Schrecken erhält, die Larve abzureissen und darzuthun, dass es die Zahl seiner Opfer mehr dem Schrecken und der Furcht der Menschen, als seiner eigenen Macht und Gefährlichkeit verdankt. aus: Carl Julius Wilhelm Paul Remer, Beobachtungen über die epidemische Cholera gesammelt in Folge einer in amtlichem Auftrage gemachten Reise nach Warschau, Breslau [Juli] 1831, S. 70f. Die Mehrzahl der russischen Aerzte hält die Cholera morbus für ansteckend; doch bin ich auf meiner Reise auch manchen Gegnern der Contagiosität der Krankheit begegnet, immer jedoch nur von denselben die bekannten Gründe für die blos epidemische Natur der Krankheit gegen die sprechendsten Beweise für die Contagiosität der Krankheit anführen hören.

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Bemerkenswert ist übrigens, was mir Herr Staabsarzt Jenisch über diesen Gegenstand mittheilte. Er war von der Kaiserl. Russ. Regierung in das Land der Kosaken geschickt worden, um die dort ausgebrochene Cholera morbus zu behandeln und die errichteten Quarantainen zu beaufsichtigen. Fest überzeugt, daß die Cholera eine blos epidemische, durch klimatische Verhältnisse erzeugte Krankheit ist, machte er, um den Beweis seiner Meinung zu liefern, in Gegenwart des am Don kommandirenden Generals, seiner Angabe nach folgenden Versuch. Nachdem er die durch Erbrechen ausgeleerte Flüssigkeit eines Cholerakranken in den obern und untern Extremitäten eingerieben hatte, zog er das Hemde eines so eben an der Krankheit gestorbenen Kosaken an und überstrich überdies noch das Gesicht mit dem kalten klebrigen Schweis[s] eines Sterbenden. Er trug das Hemde 8 Tage und wurde nicht von der Krankheit befallen. Ich mag die Richtigkeit dieser Angabe nicht bezweifeln, da der Herr Jenisch mir als ein wahrheitsliebender Mann erschienen ist, bemerke jedoch, daß dieser muthige Versuch dadurch an Beweiskraft verliert, daß es Beispiele giebt, wo bei der Pest und andern contagiösen Krankheiten Kleider von Kranken getragen wurden, und Beschmutzung mit Pestgift u.s.w. stattfand, ohne daß die Krankheit bei diesen Menschen ausgebrochen ist; auch hatte der Dr. Jenisch bereits vor dem angestellten Versuche die Cholera morbus überstanden; wahre Recidive der Krankheit aber sind selten. Was die Uebertragung des Contagii durch Kleider, Briefe u.s.w. betrifft, so muß ich hier noch einer Mittheilung des Herrn Staabs-Arztes Annes gedenken. Eine Frau in Tulczin hatte einen nicht gereinigten Brief aus Nowo-Tscherkask, welcher heimlich die Barrieren passirt hatte, erhalten, und diesen mehrere Tage auf der bloßen Brust getragen, sie wurde 5 Tage darauf von der Cholera befallen. aus: Dr. [Leopold] Leo, Vermischtes, in: Kritisches Repertorium für die gesammte Heilkunde [Berlin], Bd. 29, Η. 1 [Juli] 1831, S. 118f. So dunkel und lückenhaft auch die Geschichte der Entstehung und Verbreitung der Indischen Cholera bisher noch geblieben ist, so steht es doch als unwidersprechliche Thatsache fest, dass der Krieg und der Handel die beiden grossen Mittel ihrer Fortpflanzung von Hinter· Asien bis zum östlichen Europa, und von da durch alle Theile von Rußland, endlich bis zur Weichsel und in das Land zwischen Weichsel und Oder waren. Ist wohl noch Hoffnung vorhanden, ihre allgemeine Europäische Verbreitung und die dauernde Einsiedelung dieser fremden mörderischen Seuche zu verhindern? Diese Hoffnung mindert sich mit jedem Tage. Noch scheint sie mir nicht ganz verschwunden zu sein; - wenn es nur gelingen könnte, augenblicklich jene beiden grossen Fortpflanzungsmittel ausser Wirksamkeit zu versetzen. aus: Ph. v. Walther, Mittel gegen die Indische Cholera, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde [Berlin], Bd. 16, H. 3, [Juli] 1831, S. 45lf. Lichtenstädt gründet darauf einen Beweis gegen die miasmatische Theorie der Krankheit, dass nach der Behauptung einiger Aerzte die Krankheit sich aus Bengalen nach Dekan verbreitete, während der Wind in entgegengesetzter Richtung wehte, da das Miasma durch die Luftströmung verbreitet werden müsse. Mir scheint dies nicht so evident. Wir kennen die epidemische wie miasmatische Constitution nicht, wir wissen nicht, welchen tellurischcosmischen Verhältnissen sie ihre Entstehung verdankt; in der Luft allein liegt sie gewiss nicht. Weshalb verbreitete sich die letzte Influenza-Epidemie bei herrschendem Westwinde

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immer westlich? Es ist eben so einseitig, das Entstehen der epidemischen Constitution von der Luft und ihren Verhältnissen allein abzuleiten und das sie Erzeugende durch den Wind verfügbar zu glauben, als es einseitig ist, das Wesen der Miasmen allein in der Luft zu suchen. Beide verdanken ihre Entstehung einem uns ganz unbekannten vitalen Prozesse des Erdorganismus. aus: Dr. H[einrich] B[runo] Schindler, Die Cholera. Ein Contagium oder ein Miasma?, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde [Berlin], Bd. 16, H. 3, [Juli] 1831, S. 478f. Es ist daher in den größern Städten dringend nothwendig, darauf zu achten, daß eine Verdünnung der Luft bewirkt und herbei geführt werde. Hierzu ist nach meinem Erachten kein zweckmäßigeres Mittel vorhanden, als das Schießpulver, und es müssen zu dem Ende täglich mehreremale auf verschiedenen Plätzen solcher Städte eine Anzahl Kanonen auf einmal, nach einer Richtung des Windes hin, abgefeuert werden. Da das Schießpulver ebenfalls mephitische Dünste entwickelt, so können diese mit der durch das Cholera-Miasma verdickten Luft eher in Verbindung treten; das schnell entwickelte Feuer verzehrt sodann die mephitischen Dünste, und was das Feuer nicht verzehrt, wird durch die heftige Erschütterung beim Abfeuern des Geschützes, namentlich durch die Explosion sowie auch durch den electrischen Schlag in eine schnelle Bewegung versetzt und mit der Richtung des Windes fortgeführt. Aus eben diesem Grunde muß daher auch das Schießpulver in den Wohnungen zur Verdünnung der Luft angewendet werden. aus: I[saak] S[alomon] Borchardt, Kurze Darstellung der Cholera und unfehlbare Heilmittel derselben. Nach den Grundsätzen des Talmud, Berlin [Juli] 1831, S. 49. Leider! gibt es jetzt nur ein Tagesgespräch, das die Aufmerksamkeit des Publicums vom Höchsten bis zum Niedrigsten in beständigen Anspruch nimmt: was ist die Cholera. Eine panische Furcht, die noch durch die vielen Broschüren, welche über diese Krankheit erschienen sind, und selbst jetzt durch eine Verordnung der Sicherheitscommission, welche gedruckt für jeden Hausbesitzer für ihn und die Mieter von Wohnungen in seinem Hause vertheilt worden, gesteigert wird, hat sich Vieler bemächtigt; dazu kommt nun noch, daß nach dem Lesen so vieler Broschüren und Verordnungen, die für einen großen Theil durch so viele fremde Worte unverständlich sind, Mancher bei irgend einer Unpäßlichkeit sich einbildet, darin die Symptome der Cholera zu sehen. So verbreitet sich denn alle Augenblikke das Gerücht, auch hier hätten sich schon Spuren davon gezeigt, und eben so, entweder aus Einfalt, Mißverstand, oder bösem Willen, daß die Cholera sich uns immer mehr nähere. Da Unreinlichkeit und enge, ungesunde Wohnungen hauptsächlich dieser Seuche Vorschub leisten, so hat man endliche eine Untersuchung der Wohnungen der ärmern Classe angestellt und trägt nun Sorge dafür, daß diese Wohnungen gereinigt und die mit Menschen überfüllten geräumt werden. Eine lobenswerthe Maßregel, die man aber schon früher hätte ergreifen sollen, um ansteckende Krankheiten zu verhüten, und von der man wünschen muß, daß sie auch, wenn die Gefahr der Cholera gänzlich vorüber sein sollte, in der Folge beibehalten wird. Der Speculationsgeist ist auch, selbst bei dieser drohenden Camalität, nicht müßig gewesen; man überbietet sich mit Feilbietung von Schutzmitteln, Räucherungsapparaten, selbst in Büchsen und Stockknöpfen; von einem doppelten Cholerabranntwein, als wenn es an der einfachen Cholera noch zu wenig wäre; von Cholerawein, einem gewöhnlichen, unter

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dem Namen Marienwein bekannten Getränke; von Cholerabonbons; und horrible dictu ist auch ein Cholerawalzer erschienen. Wenn es eine Censur gibt, so sollte sie doch wohl einen solchen Walzer, der durch seine Benennung allem menschlichen Gefühle Hohn spricht, den Druck verweigern. Von Seiten des Staats sind keine Kosten gescheut worden, um den Eintritt der Krankheit in solchen zu verhüten; die diesfälligen Ausgaben belaufen sich schon auf 5 Millionen Thlr., und eben daselbst hätte man eine Sache, die mit so vielem Ernste und so großen Aufopferungen behandelt wird, nicht - eines schnöden Gewinnes wegen so frivol behandeln sollen. Es ist lange darüber berathen worden, ob man die Frankfurter Messe nicht abhalten lassen sollte, und nur die Ueberzeugung, daß dann, wenn solches unterbliebe, hier blos in Berlin 60.000 Menschen, die für Fabricanten und andere die Messe beziehende Ouvriers arbeiten, brodlos werden würden, deren Ernährung unerschwingliche Summe erfordern müßten, hat den Ausschlag gegeben: daß sie Statt finden solle, jedoch mit allen möglichen Vorsichtsmaßregeln, daß die Cholera nicht dabei eingeschleppt werde. Da in Danzig die Cholera ausgebrochen, und durch die Sperrung nothwendig eine große Stockung in dem Verdienste der untern Volksclassen eintreten muß, hat der König gleich zur Abhülfe der dringendsten Bedürfnisse 4000 Thlr. für solche angewiesen, und jeder dieser Brodlosen erhält überdies, bis die Sperrung aufhören kann, täglich 2 1/2 Sgr. Uebrigens hat schon die Furcht vor der Cholera den nachtheiligen Einfluß auf den Verkehr in Berlin gehabt, daß sehr Viele, welche hier nur einen precairen Aufenthalt hatten, es verlassen; seit langer Zeit hat man nicht so viele Zettel an den Häusern gesehen, wo meublirte Zimmer zum Vermiethen angeboten werden. Es gibt hier eine Classe von Einwohnern, die lediglich eine Wohnung von mehrer[e]n Zimmern miethen, um sie auf diese Weise wieder zu vermiethen, wodurch sie nicht allein freie Wohnung, sondern auch durch die Aufwartung und Beköstigung, wenn auch nur mit dem Frühstücke, durch Besorgung der Wäsche u. dergl. ihrer Miether, einen Gewinn haben. Dieser fällt jetzt bei Vielen weg, und sie selbst leiden nicht allein dadurch einen großen Verlust, sondern auch ihre Vermiether dürften dadurch gefährdet werden. Daß überdies die Furcht vor einer solchen Seuche einen sehr nachtheiligen Einfluß auf allen Verkehr hat, darf kaum erwähnt werden; ich könnte die Wahrheit dieser Behauptung durch einzelne auffallende Beispiele belegen. aus: [Anonym.] Aus Berlin, im Julius, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 144 und 145, 26. und 28. Juli 1831, Sp. 1150f., 1159f. Wer ist jemals zu Schanden geworden, der auf Gott gehofft hat? Die Hoffnung erhielt den Kranken am Teiche Bethesda 38 Jahr; das blutflüssige Weib in ihrer Beschwerung 12 Jahr; Joseph geduldig im Gefängniß; Hiob getrost in seinem größten Elend; und den heiligen Paulus geduldig in aller seiner Verfolgung. Sei nun auch geduldig in allerlei Trübsal, hoffe dabei auf Gott, er wird's wohl machen. Seid nicht traurig, wie die Andern, die keine Hoffnung haben. Hoffnung macht Muth. Zaghaftigkeit läßt sinken, endlich gar ertrinken. [...] Kurz! in allem Leid ist meine Freud', daß ich mich zu Gott halte, und meine Zuversicht setze auf den Herrn. - Lieber Leser! können Menschen Dir etwas besseres anbieten, wenn Du bei der stürmenen Unglückssee dieser Welt Dich nach Hülfe umsiehst? - Weise es doch nicht von Dir, und halte nicht bei den Spöttern und denen, die kalten Herzens, hochmüthig und zufrieden sind, mit kosmischen und tellurischen Gründen der Choleraerscheinung und

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mit polizeilichen Maaßregeln dagegen sich zu beruhigen, oder doch den Schein zu leihen, als seien sie dadurch beruhigt. - Denn in der That sind sie es nicht; ihr vorgeblicher Muth besteht in der bestmöglichen Manier, ihre innere Angst zu verbergen, und nicht gewahr werden zu lassen. In Zeiten, als die jetzigen, wird es klarer, als je, daß von Muth nur bei denen die Rede sein kann, welche sich unter die gewaltige Hand Gottes demüthigen, und alle ihre Sorge auf ihn werfen, „denn" (sagt Apostel Petrus in der Epistel am 3ten Sonntage nach Trinitatis) „denn er sorgt für Euch." aus: [Anonym.] In Sachen der Cholera, in: Neues Berlinisches Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben zum Besten der Wadzeck-Anstalt, Nr. 27, 2. Juli 1831, S. 423. Wenn gleich, nach den höheren Orts getroffenen allgemeinen Sicherheits-Maßregeln, mit Zuversicht zu hoffen ist, daß es gelingen werde, eine weitere Verbreitung der Cholera abzuwehren, gebietet doch die Vorsicht für den unerwarteten Fall, daß eine Verschleppung der Krankheit bis hierher dessenungeachtet erfolgen sollte, diejenigen vorbereitenden Anordnungen schon jetzt zu treffen, wodurch eine eben so rasche als sichere Ausführung der durch die Ministerial-Instruction vom lsten v. M. vorgeschriebenen Maaßregeln allein erreicht werden kann. Zu diesem Behufe ist beschlossen worden, eine aus der erforderlichen Zahl von Beamten, sowohl von der Polizei und Commune, als auch Militair- und ärztlichen Mitgliedern bestehende „Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comites für Berlin" zu bilden, welche unter unser oberen Leitung, unter dem unmittelbaren Vorsitz des PolizeiPräsidenten oder dessen noch zu benennenden Stellvertreters, das Detail aller auf die Abwehrung der Cholera oder ihre Hemmung im Fall des Ausbruchs hierselbst Bezug habenden lokalen Angelegenheiten verwalten und die in dem Lokale des Königl. Polizei-Präsidiums ihren Sitz haben wird. Als Organe dieser Verwaltungs-Behörde sollen zur diesfalligen Geschäftsführung in den einzelnen Stadt-Revieren „Schutz-Kommissionen", aus Polizei-Beamten, Aerzten und geeigneten Civil-Einwohnern der hiesigen Residenz bestehend, und der nach den Gränzen der vorhandenen 61 Armen-Kommissions-Bezirke, gebildet und mit besonderen Instructionen, welche die Art ihrer Mitwirkung für den erwähnten Zweck näher festsetzen, versehen werden. Das hierzu erforderliche polizeiliche und ärztliche Personal wird das Königl. PolizeiPräsidium bestimmen, die aus der Kommune zu ernennenden Mitglieder aber und deren Stellvertreter werden für die einzelnen Bezirke gleich den Bezirksbeamten, durch die Stadtverordneten-Versammlung gewählt und von dem Magistrat bestätigt werden. Indem wir diese Bestimmung hiermit zur öffentlichen Kenntniß bringen, bemerken wir, daß das Königl. Polizei-Präsidium so wie der Magistrat bereits mit Anweisung zur Bildung der gedachten Schutz-Kommssionen versehen sind. [Bekanntmachung.] v. Tippeiskirch, v. Bassewitz• Berlin, den 6. Juli 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 187, 8. Juli 1831, S. 1147. Was den Zeitpunkt betrifft, in welchem mit sofortiger Vollführung der in Vorschlag gebrachten baulichen Einrichtungen vorgeschritten werden müßte, so sind wir der Meinung, daß zunächst noch abzuwarten sein dürfte, ob die Cholera die Oder überschreiten wird, und daß bis dahin alle größere und kostspieligere Vorkehrungen ausgesetzt bleiben können,

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wobei wir jedoch ergebenst anheim stellen, in Ansehung derjenigen Punkte, bei welchen polizeiliche Zustimmung erforderlich ist, z.B. wegen des auf der Straße vor dem Weydingerschen Hause zu ziehenden Zaunes, so wie wegen der bei dem Waisenhause und dem neuen Hospitale, nach der Straße zu einzurichtenden Thüren, schon jetzt mit dem Königl. Pol. Praesidio zu communiciren, damit künftig etwa nöthig werdenden, schleunigen Ausführung nichts im Wege stehe. aus: Die Armen-Direktion. Sletzing, de Cuvry, Tietz. An einen Hochedlen Magistrat hiesiger Königlichen Residenz, Berlin, 6ten July 1831, in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion. A Rep. 003-01, Nr. 919. In Betreff der schauerlichen, vornehmlich die Gemüther der untersten Stände ängstigende Begräbnisart, ist zum wenigsten das abgeändert worden, daß nun nicht mehr ein Schuttwagen, sondern, sondern ein zu diesem Zwecke schwarz angestrichenes Fuhrwerk die Särge abholt. Die Bitte um kirchliche Weihe des Begräbnispla[t]zes zu einem Gottesa[c]ker und um schwarze Bekleidung der den Wagen begleitenden, schmutzigen (und dabei wohl öfters betrunkenen) Taglöhner wird vielleicht auch noch Beachtung finden. aus: [Anonym.] Aus Danzig, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 247 und 248, 7. Juli 1831, S. 987. Zur Beruhigung Aller, die diesen Sommer Putbus besuchen wollen, sehen wir uns veranlaßt zu erklären, daß Rügen gegen Einschleppung der Cholera von der Seeseite möglichst geschützt, und eine Ansteckung nur in dem Falle denkbar ist, wenn wider Erwarten sich diese Krankheit über einen großen Theil der Monarchie verbreitet hätte. Außer der Besetzung der Küsten, dem Kreuzen bewaffneter Fahrzeuge, wird Rügen noch besonders dadurch geschützt, daß es keine Landungsplätze für Schiffe darbietet, keinen Hafen hat und keinen auswärtigen Handel treibt, sondern alle etwa nöthigen Bedürfnisse aus den Neu-Vorpommerschen Seestädten bezieht, deren Schiffahrt durch die Gefahr und die Hemmungen, welche letzteren mit aller Vorsicht angeordnet sind, auch vorläufig so gut als aufhört. Rügen ist demnach bezüglich seiner Lage aller Wahrscheinlichkeit nach der Ansteckung weit minder ausgesetzt, als andere Länder, ja es dürfte vielleicht gerade deshalb zu den wenigen gehören, von denen dieses Uebel, selbst bei allgemeinerer Verbreitung auf dem Festlande, durch strenge Maaßregeln abgehalten werden könnte. Ohne alle Besorgniß in Bezug hierauf dürfte daher unsere hiesige Bade-Anstalt besucht werden können, und benachrichtigen wir zugleich nur noch die Reisenden, die etwa ihren Weg durch Mecklenburg nehmen, daß sie in Gransee ihre Koffer plombiren zu lassen haben, um jeden Aufenthalt zu vermeiden. [Bekanntmachung.] Putbus, den 1. Juli. Fürstliche Bade-Direktion, in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 156, 7. Juli 1831, [S. 1 ]. Nach einer Benachrichtigung der diesseitigen Gesandtschaft in St. Petersburg vom 29. v. M. sind daselbst bereits bei 9 Individuen Anzeichen der Cholera bemerkt worden. Demzufolge ist St. Petersburg als wirklich von der Cholera angesteckt zu betrachten, und müssen

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alle nach dem 25. Juni d. J. von dort oder von Kronstadt ausgelaufene Schiffe in allen Preußischen Häfen, gleich denen, die aus Riga oder anderen Russischen Ostsee-Häfen kommen, behandelt und einer vollen zwanzigtägigen Kontumaz unterworfen werden. Bekanntmachung. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission. v. Thile. Berlin, den 9. Juli 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 159, 11. Juli 1831, [S. 1]. Auf den Bericht des Justizministeriums vom 9ten d. M. bestimme Ich hierdurch: 1) daß die in dem Allg. Landrechte Th. 1. Tit. 12 §. 199., wegen der privilegirten Testamente enthaltende Vorschrift, auch auf den Fall Anwendung finden soll, wo einzelne Häuser und Straßen wegen der darin herrschenden ansteckenden Krankheiten abgesperrt, und die Bewohner, sich des richterlichen Amts zu bedienen, dadurch verhindert sind. 2) Daß in solchen Fällen den bei den angeordneten Schutzdeputationen bestellten Aerzten, Polizeibeamten, stellvertretenden Offizieren und Schutzkommissionsvorstehern die Aufnahme der Testamente mit rechtlicher Wirkung in eben der Art nachzulassen, wie solches, unter Beobachtung der im §. 194. 1. a. vorgeschriebenen Förmlichkeiten, dem Prediger oder Caplan verstattet ist. 3) Daß zum Nachtheil derjenigen Individuen, welche sich in den wegen ausgebrochener ansteckender Krankheit abgesperrten Häusern und Straßen befinden und mit den Gerichtsbehörden solchergestalt außer Communication gesetzt sind, keine KontumazialBestimmung, auch keinerlei Präklusion wegen versäumter Fristen erlassen werden darf. Das Justizministerium hat demgemäß sämmtliche Gerichtsbehörden mit der nöthigen Anweisung zu versehen. Allerhöchste Cabinetsorder, betreffend die Förmlichkeiten der Testaments-Errichtung bei denjenigen Personen, welche sich in den wegen ansteckender Krankheiten gesperrten Häusern, Straßen und Gegenden befinden. Friedrich Wilhelm. Berlin, den 12. Juli 1831, in: Gesetz-Sammlung für die Preußischen Staaten. 1831. Berlin [1832], S. 156. Es würde daher wohl am zweckmäßigsten sein, wenn für die drei Anstalten gemeinschaftlich ein Tragekorb mit vier Leuten gehalten würde, um die Kranken fortzuschaffen. Diese müßten dann aber, sobald der erste Transport erfolgt ist, in einer eigenen, den drei Anstalten zugehörigen Contumaz-Anstalt gehalten werden, damit durch sie keine weitere Ansteckung möglich sei. So wie nämlich ein Krankheitsfall in einem der Institute erfolgt, so ist doch hierdurch die ganze Anstalt als angesteckt zu betrachten und muß so zernirt werden, daß niemand heraus darf, und danach hat es um so weniger Bedenken, auch diese Leute darin zu belassen, welche doch einmal mit den Kranken in Berührung gekommen sind. aus: Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königlichen Residenzien. gez. Büsching. An die Armen-Direktion, Berlin, den löten July 1831, in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion. A Rep. 003-01, Nr. 919. Zu gering und niedrig gestellt sind aber ferner die gerechten Ansprüche, die das Leben hat, auch in der Verwegenheit. Sie ist der Leichtsinn, welcher das Leben in Gefahr uns aufs Spiel setzt, ohne allen Grund der Nothwendigkeit, und das Leben so behandelt, wie jedes

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andre Eigenthum, womit der Mensch schalten und walten und welches er verlieren und hingeben kann, wie er will; ein solches aber ist das Leben nicht, es ist vielmehr das von den Menschen unzertrennliche. Zur Gleichgültigkeit gegen das Leben führet nicht die Natur, sondern der Geist, der Gedanke, die Religion; weil es nach dieser in einzelnen Fällen aufgeopfert werden muß, so ist der Mißverstand nur, als sey das Leben überhaupt und an sich ein werthloses, bedeutungsloses und gleichgültiges. Zur Verwegenheit hingegen führet weder die Natur und das Gefühl, noch die Vernunft und Frömmigkeit, sondern allein die Gedankenlosigkeit, die Eitelkeit, der Trotz auf die eigene Kraft, die Meinung, daß man auch ohne weise Berechnung und Anwendung der nöthigen Mittel jeder Gefahr, die unserm Leben drohe, leicht begegnen und ihrer Herr werden könne. Da heißt es denn nach der Schrift: wer sich in die Gefahr begiebt, wird darin umkommen. Beschämend und strafend tritt uns in dieser Hinsicht das Beispiel unseres Heilandes und seiner Apostel in unserem Text entgegen. Denn da er die Gefahr erkannte, in der das Volk schwebte, und wie es ohne Nahrung verschmachten müßte, so legte er mit seinen Jüngern nicht die Hände in den Schooß, so feiert er nicht, so erkundigt er sich vielmehr sogleich nach dem noch vorhandenen Vorrath und macht das Wenige selbst durch die Macht seines Geistes und Segens wirksam und zureichend zur Sättigung des Volkes, und ebenso sorgsam sammeln die Jünger das übrig gebliebene. Der wahre Glaube, wie er der christliche ist, fordert wohl, das Leben in einzelnen Fällen daran zu setzen, und es für gering, ja für nichts zu achten, wenn es nur mit Aufopferung höherer Güter, nur mit Uebernahme der Schande erhalten werden kann; aber es um nichts oder geringes aufs Spiel zu setzen, ist Muthwille, ist Verwegenheit und Tollkühnheit, und alle Mittel zu versuchen und anzuwenden zum Schutz des Lebens gegen die drohenden Uebel des Krieges, der Seuchen und Landplagen verbietet der christliche Glaube nicht, sondern nur der muhamedanische. Da ist der blinde Glaube an eine solche göttliche Vorsehung, welche alle Gedanken und Mittel, alle Einsicht und Weisheit, alle Kraft und Macht allein hat und den Menschen nichts davon mitgetheilt und verliehen hat, und dieser Aberglaube ist selbst die göttliche Strafe dafür, daß das türkische Volk Den verwirft, in welchem Gott selbst die menschliche Natur angenommen und sie als seine Natur offenbar gemacht hat. Jenes Glaubens und Volkes würdig ist es daher wohl, sich blindlings der göttlichen Vorherbestimmung zu unterwerfen, und ohne alle besondern Anstalten die Geißel der Pest ohne Unterlaß über sich herrschen zu lassen; christliche Völker und derselben Regierungen wissen auch, was sie Gott schuldig sind, nämlich das ihnen von Gott anvertraute Leben zu schützen und zu bewahren und vor allen drohenden Gefahren und Uebeln durch strenge Verordnungen und Maaßregeln, durch Aufruf zur Theilnahme und Wohlthätigkeit, durch Stiftung von Armen- und Krankenhäusern, die unausbleiblich aus dem Geiste der christlichen Liebe hervorgehen und deren Anlage und Anblick schon im 4ten Jahrhundert die Heiden in das höchste Erstaunen setzte. aus: [Konrad Philipp] Marheineke, Ueber die Ansprüche, welche das leibliche Leben auf unsere Fürsorge und Aufmerksamkeit machen kann. Eine Predigt, am 17. Juli 1831 in der Dreifaltigkeitskirche gehalten, Berlin 1831, S. 9 f f . Privatschreiben aus St. Petersburg schildern die durch den dortigen Pöbel verübten Unordnungen als sehr bedenklicher Natur. Mehrere Menschen, unter andern der Arzt im Cholera-Hospital, haben dabei ihr Leben verloren; die Kranken dieses Hospitals wurden vom

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Pöbel herausgeholt und wie Leute, die man aus ungerechter Gefangenschaft befreite, im Triumph herumgeführt. Ein von gemeinen Taglöhnern bewohntes Haus, in welchem sich ein Angesteckter befand, wurde deshalb cernirt; die Taglöhner aber rissen das Haus von Innen heraus nieder und vereinten sich mit dem von Außen stürmenden Pöbel, der sie wie befreite Opfer der Gewalt begrüßte. Durch solche Excesse wurden während der drei Tage, wo die Polizei des Pöbels nicht Meister werden konnte, die Sicherheits-Anstalten gegen die Seuche begreiflicher Weise vereitelt, so daß die Furcht vor Ansteckung alle Bewohner ergriffen hat. Erst die Gegenwart des Kaisers und sein freundliches Zureden besänftigte den rasenden Pöbel. Der Kaiser, der keine Gefahr scheut, soll sehr angegriffen seyn, so daß seine Gesichtszüge plötzlich gealtert scheinen. aus: [Anonym.] Korrespondenz- Berlin, den 18. Juli, in: Deutsche Tribüne. Ein constitutionelles Tagblatt, Nr. 21, 23. Juli 1831, Sp. 169f. Ich schaue mich in meinen Notizen um, denn die Zeit, Ihnen einen kleinen Ballen Correspondenznachrichten zu liefern, eilt heran. Das Thema des Tages ist freilich noch immer die Cholera; allein, so sehr man sich bemühen mag, heitere Variationen darüber zu machen, die düstere Melancholie der Grundmelodie wird immer durchklingen. Indessen muß man doch einige Augenblicke dabei verweilen. Aufrichtig gesagt, fürchtet man die Cholera hier fast gar nicht, wenigstens nicht den zehnten Theil so sehr als die Uebel, von denen sie begleitet wird, als da sind die Quarantaineanstalten, die Absperrungen, das Schließen der Kirchen, Schulen, Theater, ja, wie man sagt, auch der Caffeehäuser. Wie in der ganzen Welt, so theilen sich die Meinungen auch hier über die Contagiosität oder Nichtcontagiosität der Krankheit. Es ist nichts bequemer, als die Krankheit für contagiös zu erklären, so lange sie nicht in dem Orte ist, wo man lebt. Denn alsdann ist man ein eifriger Freund aller Cordons, Contumazanstalten, Absperrungen; natürlich, denn verbreitet sie sich durch Ansteckung, so können solche Mittel sie uns trefflich vom Leibe halten. Man schließe die Cordons nur recht dicht, wache Tag und Nacht und hänge Jeden auf, der mit einem Achtelzoll seiner Nase über die Gränzlinie guckt, insbesondere aber die Juden, denen man es zuschreibt, daß sie das Geheimniß besitzen, durch alle Cordons zu dringen. Allein, die Gestalt der Dinge ändert sich bedeutend, wenn die Krankheit näher rückt, vollends aber, wenn sie da ist. Da wird es ungemein viel bequemer, sie für nicht ansteckend, sondern für eine Epidemie zu halten, die aus allgemeinen atmosphärischen oder tellurischen Ursachen entspringt. Denn alsdann behält man doch seine Freiheit; wird man krank und stirbt, nun gut: „Wir sind Gott einen Tod schuldig." Aber der Henker hole die Absperrungen! Ich wohne mit einem halben Hundert meiner Mitbürger in einem Hause; ein Kind von drei Tagen darf nur die Diarrhoe bekommen, so ist der Teufel los! die Cholera! die Cholera! schreit man durch das Haus, die Polizei kommt, die Sperrungssoldaten folgen - man sitzt drinnen und darf keine Nasenspitze zum Fenster herausstrecken. Die Haft dauert zwanzig Tage; es läßt sich noch aushalten. Ja, gehorsamer Diener. Am 19ten Tage erkrankt Abends Jemand, entweder von den Folgen der Furcht, sich in dem abgesperrten Pesthause zu befinden, oder weil es ihm an Bewegung, an den Mitteln, diätetisch zu leben, fehlt. Geschwind müssen die andern Gesunden noch 20 Tage inhaftirt sitzen. Dem mag der Henker auf die Dauer widerstehen, das eisenfesteste Gemüth wird am Ende verzagt, und die Cholera ersieht sich die Blöße und rafft den armen Tropf dahin. Alle diese wohlberechneten Reflexionen haben uns jetzt mehr und mehr zu der

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Ueberzeugung gebracht, die Krankheit sey nicht ansteckend, und daher die übertriebenen Maßregeln gegen die Ansteckung durch dieselbe nur eine unnöthige Qual, welche der Eigensinn der Aerzte uns auferlegt. Ich schließe mich in der That einigermaßen der letztern Meinung an, und zwar aus folgendem Grunde: der Marschall Diebitsch starb an der Cholera, und doch befand sich im ganzen Hauptquartiere kein einziger Kranker! Der Großfürst Constantin in Witepsk desgleichen. Dringt die Krankheit so durch Riegel und Pforten, durch Cordons und Quarantainen hindurch, so wird sie uns auch zu finden wissen, und hätten wir uns mit der chinesischen Mauer umgeben. L[udwig] Reilstab, Aus Berlin, den 18. Julius, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 153, 8. August 1831, Sp. 1222. Was die offiziellen Angelegenheiten betrifft, so geht jetzt die Cholera voran, die Polen schlagen sich wie Löwen, die Belgier haben Leopold gewählt u. die Präliminarien angenommen, die Franzosen haben vernünftige Westen getragen, die Portugiesen werden wahrscheinlich nächstens Don Miguel wegjagen, u. im Osten von Riga bis Danzig herrscht die Cholera. Die St[adt] Jaffy ist vom Angesicht der Erde vertilgt durch Cholera, Pest u. Seuche. aus: Fanny Hensel, Tagebucheintrag, 19. Juli 1831, in: Tagebuch 1829-1832. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Musikabteilung. Sig.: MA Depos. Berlin 500, 22. Fot. 8835, S. 66. Die allgemeine Bangigkeit ergreift doch mehr oder minder auch uns. Die Anstalten, die gegen die Cholera getroffen werden, sind so fürchterlich. Indessen machen die Aerzte sich's von der einen, die Prediger von der anderen Seite zur Aufgabe, gegen den panischen Schrecken anzuarbeiten, den die Annäherung der Seuche veranlaßt hat. Gräfin Elise von Bernstorff, Tagebucheintrag, 19. Juli 1831, in: Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath. Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896, S. 208. Die wichtige und freilich auch schwierige Geschichte der Gesundheit der Menschen und des Auftretens und Verschwindens ihrer Krankheiten, ist noch lange nicht kultivirt und es schwebt darüber noch ein geheimnißvolles Dunkel; ebenso ist die von Osten herstammende, gegenwärtig den Flußgebieten hinan unsere europäische Welt bedrohende Cholerakrankheit, noch mit einem Schleier umgeben. Diese schon den Aerzten aller Zeiten unter dem von Hippokrates gewählten Namen „Cholera" bekannte Brech- oder Gallenruhr, welche von jeher in allen Ländern bei feuchter und kalter Jahreszeit, und bei uns besonders im Spätsommer von Erkältungen und von andern auf den Magen nachtheilig wirkenden Ursachen, als Magenüberladung von sauern, blähenden Speisen u.s.w. mitunter epidemisch entsteht, hat vor ungefähr 13 Jahren sich zuerst in Indien als eine Landeskrankheit mit einem höher als sonst gesteigerten, bösartigen Charakter angekündigt. Die Krankheit beginnt zuweilen ganz plötzlich, meistens aber, je nachdem die Umstände sind, zeigen sich mehrere oder wenige Stunden vorher Vorboten, wie ein Gefühl von Vollheit des Magens, Ekel, Frösteln in der obern Bauchgegend, Empfin-

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dung einer gewissen Angst und Niedergeschlagenheit, die sich selbst in den Gesichtszügen ausdrückt. Darauf entsteht Uebelkeit, Aufstoßen und der Magen beginnt Entleerungen durch Erbrechen. Es stellt sich nun ein unangenehmes Gefühl durch den ganzen Darmkanal ein, und es erfolgen kurz darauf bald gelbe, bald grüne sehr reichliche Stuhlentleerungen, zu welcher sich Mattigkeit und eine brennende Beklemmung in der Magengegend mit quälendem Durste gesellen. Je[t]zt entstehen krampfartige Zusammenziehungen in den Muskeln. Der Kranke beklagt sich fortdauernd über brennendes Gefühl zwischen dem Nabel und der obern Bauchgegend, doch behält er seine völlige Besinnung bis zur letzen Stunde. aus: [Anonym.] Die Cholerakrankheit, in: Königsberger Wochenblatt. Für Novellistik, Literatur, Kunst und Theater, Nr. 58, 20. Juli 1831, S. 459f. Der Kontrol[l]eur Schneider in Berlin hat einen Staubbad-Apparat in Form eines Schranks erfunden, über dessen Einrichtung und Gebrauch eine, vom Erfinder herausgegebene gedruckte Nachricht das Nähere enthält. Nach dem Gutachten mehrerer Aerzte und nach den bisherigen von verschiedenen Seiten gemachten Erfahrungen, denen zufolge diese Staubbäder in ökonomischer und medizinischer, vorzüglich aber in diätetischer Hinsicht mannigfaltige Vortheile gewähren, wird in Gemäßheit einer Verfügung des Königl. Ministerii der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten das Publikum auf diesen Staubbad-Apparat aufmerksam gemacht. [Bekanntmachung.] Königl. Regierung. Abtheilung des Innern. Potsdam, den 20. Juli 1831, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 31. St., 5. August 1831, S. 162. [Anweisung] Zur Conferenz des Arbeitshauses, um wegen der zu designirenden Personen, auch deren Anstellung - im Fall die Cholera sich bis zu Oder nähern sollte - es ankommen dürfte, namentlich wegen der zum Kranken-Transporte zu designirenden Trägern und des denselben anzuweisenden Contumaz-Lokals, der Bekleidung derselben und der zum Transporte anzuschaffenden Utensilien, zu conferiren und das Protokoll einzureichen, auch bei dieser Berathung die Herren Curatoren des neuen Hospitals und des Waisenhauses zuzuziehen, so wie die Herren Aerzte der Anstalten, da die Transport-Maaßregeln allgemein für alle Anstalten, die der Verwaltung der Armen-Direktion anvertraut sind, ausgeführt werden soll. aus: Anweisung der Armen-Direktion, gez. Büsching, de Cuvry, Tietz. Berlin, 20ten July 1831, in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion. A Rep. 003-01, Nr. 947. Am 6 d. Μ. haben einige Privatleute, größthenteils vom gemeinen Volke, sich einfallen lassen, auf den Straßen verschiedene Personen, welche an Essigfläschchen rochen, unter dem Vorwande anzuhalten, zu durchsuchen und sogar zu mißhandeln, als hätten sie in den Fläschchen und im Papiere Gift, womit sie Speisen und Getränke vergifteten. Nach strenger Untersuchung hat sich aller dieser Verdacht als ungegründet erwiesen [...]. Indem die Obrigkeit hiesiger Residenz die Bewohner derselben hiervon benachrichtigt, verbietet sie jedem Einzelnen, irgend Jemand anzuhalten, zu durchsuchen und unter Wache zu nehmen,

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denn die Erhaltung der Ordnung und Ruhe der Stadt ist die Sache der deßhalb verordneten Autorität. aus: [Anonym.] Korrespondenz aus St. Petersburg, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 27, 23. Juli 1831, S. 160. Heute mußte ich schon v. K. begraben, denn er ging schon über. Als ich bis spät Abends mehrere Kranke besucht, einige Leichen eingesegnet und einige Genesende ermuntert hatte, bekam ich gegen 9 Uhr ein ungewöhnlich heftiges Zucken, Spannen und Drücken in Händen und Füßen Zehen, Fingern, Waden und Schenkeln, und alles concentrirte sich in der Herzgrube; mir war zu Muthe wie einem, der Mord und Todschlag begangen und zum Hochgericht geführt werden sollte; Höllenangst stieg mir mit Todesschweiß von den Fingern durch die Arme, und von den Zehen durch Beine, Waden und Schenkel bis in die Herzgrube, gerade dahin, wo mir Sterbende so oft klagten: „Hier, hier sitzt der Tod!" aus: Rettung von der Cholera. Tagebuch aus Saratow vom lOten bis 31ten August 1830, gefiihrt von Huber, Pastor der evangelischen Gemeinde daselbst, Deßau [22. Juli] 1831, S.26f. Da der Bedarf an Badewannen in der nächsten Zeit von Bedeutung werden kann, so haben wir, zum Besten des Publikums, die Veranstaltungen getroffen, daß dergleichen aus Zinkblech, von einer gefälligen Form, der Rand übergebogen und durch eingelegten Eisendraht verstärkt, an beiden Ende mit eisernen Handgriffen versehen, auf dem Königl. Kupferhammer-Werke bei Neustadt-Eberswalde auf Bestellungen, vorläufig auch, um solchen möglichst genügen zu können, in Vorrath angefertigt und für den billigen Preis von Vier Silbergroschen pro Pfund verkauft werden. Da eine solche Badewanne für eine erwachsene Person etwa 70 bis 75 Pfund wiegt, so wird das Stück zur Stelle auf dem Werke etwa 10 Thaler kosten, und den Transport bis hier wird das Königl. Hütten-Amt daselbst, an welches man sich zu wenden hat, mit Fuhrgelegenheiten für 10 Sgr. pro Stück besorgen. Für jetzt beträgt das Quantum, welches von dergleichen Badewannen wöchentlich auf dem Kupferhammer gefertigt werden kann, etwa 15 Stück, und die Besteller werden nach der Reihenfolge befriedigt werden; sollte der Begehr bedeutender werden, so wird die Anfertigung, so viel es die Verhältnisse gestatten, vermehrt werden. [Bekanntmachung.] Königl. Ober-Berg-Amt für die Brandenb. Preuß. Provinzen. Berlin, 23. Juli 1831, in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 173, 27. Juli 1831, [S. 1]. In der bekannten großen Pest, der schrecklichsten, welche die neuere Geschichte gedenkt, und welche von 1348 bis 1350 sich durch ganz Europa verbreitete, soll fast der dritte Theil der Lebenden gestorben sein. In Florenz allein gab man hundert Tausend Todte an. Schrecklich waren auch ihre Verheerungen in Schlesien. Man sprach damals von Brunnenvergiftungen, welche die furchtbarsten und grausamsten Verfolgungen der Juden zur Folge hatten. Die nicht ins Klare gebrachten Sagen von dergleichen Vergiftungen spielten gemeiniglich zu solchen Zeiten ihre Rollen, und wiederholten sich oft, da der Mensch für die eben so furchtbare als unerklärliche Erscheinung gern einen äußern Grund sucht.

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Anstatt bei diesem für den menschlichen Verstand undurchdringlichen Verhängniß sich in Demuth der Abhängigkeit von der wundersamen Fügung des Himmels bewußt zu werden, und in dieser Demuth an Bewahrung seines Seelenheils zu denken, sucht der Mensch einen Gegenstand, an dem er den Schrecken über die ihm näher rückende Zerstörung seiner leiblichen Wohlfahrt, durch Wüthen und Toben, brechen und sich dadurch betäuben kann. Steht aber der Prediger der Vergänglichkeit, der Tod, nicht täglich vor ihm? Die Pest ist nur eine stärkere, gewaltigere Predigt dieser Vergänglichkeit! Und wenn wir auch zu kurzsichtig sind, um das Wesen, vielleicht die Nothwendigkeit und den Nutzen ihrer leiblichen Wirkung auf das Menschengeschlecht zu erkennen, so können wir dagegen aber daraus die wirksamste Lehre für unser Seelenheil gewinnen. [Carl] G[eishei]m, Pest in Breslau, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden [Breslau]. Elfter Jahrgang. Herausgegeben von C[arl] Geisheim, Nr. 29, 23. Juli 1831, S. 456. Doch um wieder auf die Cholera zu kommen, so muß ich bemerken, daß auf den Fall, daß die Seuche hierher dringt, bereits ernstliche Maßnahmen getroffen worden sind. Man kann [als Kranker] zwar im eigenen Hause bleiben, aber zwei Zimmer entfernt von anderen Bewohnern. Will man sich fortbringen lassen, so kommen vier in Wachstaffent gekleidete Personen, die einen Korb tragen, in den man gelegt wird; fünf Schritte voran und fünf Schritte hintennach geht eine Wache und ganz voran ein Polizeidiener, welcher klingelt, damit Niemand auf der Straße bleibe. Eben so wird die Beerdigung besorgt. Sobald in Berlin der Arzt erklärt, daß ein Cholera-Patient im Hause sey, schließt der Eigenthümer das Haus, keiner seiner Miethsleute darf einen Hausschlüssel behalten, alle Eßwaaren werden mit Stangen hinaufgereicht, und das Geld dafür in eine mit Essig gefüllte Büchse gelegt. Diese Maßregeln sind allerdings sehr lästig; da man aber von der Nothwendigkeit derselben überzeugt ist, und auch das niedere Volk, wie man ohne Anmaßung rühmen kann, doch auf einer gewissen Kulturstufe steht, so wird man sich hoffentlich Alles gern gefallen lassen, und man befürchtet nicht, daß es auch hier Unruhen geben könnte, wie in Petersburg, wo besonders das Schließen der Branntweinstuben es war, was jene fatale Folge hatte. aus: [Anonym.] Berlin, den 25. Julius, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 35, 31. Juli 1831, S. 210.

Der Krieg, stehe er uns vor der Thür oder sey er noch so entfernt, wie unsere Papierspekulanten hoffen, ist eine Nebensache geworden. Die Cholera ist es allein, welche die Gemüther beschäftigt; aber auch das kaum mehr, ich meine das Beschäftigen. Man ist so lange „beschäftigt" gewesen, aus aller dieser Thätigkeit ist nichts herausgekommen, daß man je[t]zt abgespannt in theilnahmsloser Apathie abwartet, was da hereinbricht und nicht abzuwenden ist. Man ist an so vielfachen, überraschenden Wechsel im abgelaufenen Jahre gewöhnt worden, daß auch das Schrecklichste nicht mehr erschrecken kann; es mag noch immer etwas dazwischen kommen, was eine völlig unerwartete Wendung gibt. Man fürchtet seit vielen Wochen, daß die Cholera von polnischen Juden bei Gelegenheit der Frankfurter Messe eingeschwärzt werden möchte; man tadelt, daß diese überhaupt in diesem kritischen Zeitpunkt abgehalten werde, man läßt, seitdem sie angefangen, allwöchentlich ein paar Christen oder Hebräer daselbst erkranken, sie aber immer wieder nächsten Tages kurirt

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werden. Von Danzig her lauten die Nachrichten tröstlicher, wiewohl die Beschreibung der Todtenaufzüge, der Absperrung u.s.w. blos schwarz auf weiß betrachtet, wenig Trost gewährt. Am bedenklichsten sieht es unstreitig an der schlesischen Grenze aus. Fast alle polnischen Städte, so lang unser Kordon geht, sind inficirt, und der materielle Verkehr zwischen unsern oberschlesischen „Wasserpolacken" mit ihren rechtspolnischen Vettern im Königreiche ist eben so eng, als ihre Verwandtschaft hinsichtlich der schmutzigen Lebensweise. Indeß räuchert man von Breslau aus nach Möglichkeit, und die Nachrichten, daß in letzterer Stadt die Pest ausgebrochen sey, waren nur Schreckschüsse. Unsere Quarantaine vor dem Frankfurter Thore ist geleert, allein nicht ohne daß die Berliner Histörchen, von denen Ihnen schon früher berichtet worden, noch um einige angewachsen wären. So mancher Handwerksbursche fingirte aus Danzig zu kommen, und suchte im Schlößchen ein dreiwöchiges Sanssouci. Ein Ecksteher meldet sich beim Cholerakomite und meint, er hätte sie wohl. „Dann schnell mit euch hinaus vor's Thor", wird geantwortet. „ - Nichts für ungut, dann muß aber auch mein Kamerad mit, ich habe sie nur halb, ich breche und er - " . Der Oberamtmann S... fahrt in einem offenen Wagen nach der Stadt. Er sieht unterwegs zwei wohlgekleidete, anständige Damen desselben Weges gehen. Auf seine höfliche Erkundigung erfährt er, daß es Reisende sind. Ihr Wagen ist gebrochen und wird in der nächsten Dorfschmiede reparirt. Um sich nicht in dem schmutzigen Dorfkruge zu langweilen, haben die Damen es vorgezogen, zu Fuß langsam vorauszugehen. Gern nehmen sie die Einladung des angesehenen Mannes und Gutsbesitzers an und setzen sich zu ihm in den Wagen. A m Thore werden sie nach Namen und Herkunft befragt. „Aus Danzig." Der Visitator zuckt die Achseln, der Amtmann wird bleich. „Um Himmelswillen, meine Damen, so müssen sie in die Quarantaine." Der Amtmann will sich höflich empfehlen, aber die Thorbeamten meinen, dazu hätte er noch drei Wochen Zeit. Da er verdächtige Personen in seinem Wagen aufgenommen und eine Stunde mit ihnen gefahren, muß auch der wohlbekannte, gesunde Mann, angesessen ein paar Meilen von Berlin in der gesundesten Gegend, kehrt machen und für seine Artigkeit eine dreiwöchige Quarantaine aushalten! - Die Geschichte klingt so tragikomisch, daß sie die allgemeinste Theilnahme fand, um so mehr, da nicht allein der Oberamtmann, sondern auch die Danziger Damen bei Namen genannt wurden. Nur hat das Histörchen einen einzigen Haken: es ist auch kein Jota daran wahr. Ein Pröbchen von dem reichen Erfindungsgeiste der Berliner, der allwöchentlich, wenn sich einer die Mühe geben wollte, die enggedruckten Spalten Ihrer Blätter füllen könnte. Der industrielle Witz bleibt zwischen dem phantastischen nicht zurück. Es gibt schon nicht allein Choleraleibbinden, sondern Choleramäntel, Cholerashawls, Strümpfe u.s.w. Man verkauft Cholerawein, schenkt Choleraschnaps, und ein Konditor hat eben Cholerachokolade verfertigt. Dagegen ist die Polizei nachsichtig. Den ernstesten Schrecken verbreitete die Ankunft des russischen Grafen Orlow, der bekanntlich, die Quarantaine durchbrechend, gerade von Diebitschs Leiche in Berlin ankam. Der Unwille unsers Königs, der sich offen darüber aussprach, beruhigte für die Folge, doch auch für den Fall selbst, da man bei uns noch immer meint, die Cholera, an welcher der russische Feldmarschall gestorben, sey nicht ansteckender Art. In der Stadt Nen, wo Orlow gewohnt, ist man so gesund wie je. Daß nicht allein Gift, sondern jede Art von Uebelbefinden je[t]zt den Verdacht der Cholera erregt, ist sehr natürlich. Wir werden deshalb mannigfaltig beruhigt, aufgeklärt. Eine hiesige Buchhandlung kündigt ein Bilderbuch aller deut-

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sehen Giftpflanzen an; es mochte kein günstigerer Zeitpunkt gewählt werden. Hinsichtlich der Heilmethoden blinkt auch noch kein Fünkchen Hoffnung. Gegen den Wismuth des Dr. Leo in Warschau sind sämmtliche hiesigen Aerzte eingenommen, und da er sich in Danzig und Lemberg nicht als wirksam erprobt, kann das Publikum auch nicht ihren Eigensinn schelten. Umgekehrt haben aber auch viel Nichtärzte den Eigensinn: sie wollen durchaus, wenn sie das Uebel befällt, mit Wismuth behandelt werden. Hilft er nichts, so schadet er doch auch nichts. Auf die Geburt des neuen Jenner, der uns Pocken gegen das Gift einimpft, soll, wie es scheint, noch gewartet werden. Jedoch verlautet es, daß unser König den Dr. Leo nichtsdestoweniger herzuziehen beabsichtigt, da wenigstens ihm persönlich die Wismuthkuren gelungen sind. Er ist von Geburt ein preußischer Unterthan, und sein Glück wäre hiesiger Seits gemacht, wenn der Erfolg einigermaßen der Erwartung entspräche. Der Name Jenner erinnert übrigens an eine traurige in dieser traurigen Zeit gemacht Erfahrung. Auch seine Kuhpockenimpfung schü[t]zt nicht mehr; denn bei einem preußischen Regimente vom Grenzkordon sind die natürlichen Pocken mit großer Heftigkeit ausgebrochen, obgleich allen davon ergriffenen Individuen die Kuhpocken eingeimpft worden. Sollen alle gefesselten Uebel, unter denen das Menschengeschlecht gelitten, wieder losbrechen und der Kunst spotten, die in die chaotischen Naturtriebe Ordnung zu bringen versucht! Nun kommt auch die Cholera wieder an die Orte, welche sie kaum verlassen hat, und selbst Befallene und Kurirte sollen nicht sicher seyn. - Man sammelt je[t]zt hier für die Leidenden in Danzig, privatim und öffentlich; es verlautet von einer Steuer, um die ungeheuren, außerordentlichen Kosten zu bestreiten. Noch soll sich indessen der milde Sinn unsers Monarchen gegen jede Zwangsmaßregel ausgesprochen haben. Die Broschüren, welche man den Hauswirthen austheilt über ihr und ihrer Miether Benehmen bei einem etwa ausbrechenden Cholerafall, sind nicht von der Art, um Muth zu machen. Man sieht schon, wie gräuliche Nachtgespenster, die in Wachstaffent gehüllten Leichenträger ins Haus treten, sieht die schwarzen Leichensäcke, hört das Klingeln, das Jeden mahnt, aus dem Wege zu gehen, wo sie hintreten. Ob da auch noch, wenn es so weit kommt, der Berliner Witz wach bleiben wird? Alle Verordnungen lassen sich übrigens in ihrer buchstäblichen Strenge kaum ausführen, oder aller Verkehr in Berlin und mit ihm die Nahrungsquellen für viele Tausende hören auf. [Anonym. ] Berlin. Juli. Cholera ad portas, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 187 und 188, 6. und 8. August 1831, S. 747ff. Ein zweiter Hebel unserer Conversation, unsers Wirkens ist die Cholera morbusl Traurige Ahnungen setzen sich fest an die ohnehin kleinen Herzen der Berliner, sie athmen kaum, machen ihr Testament und sehen so ihrer Todesstunde entgegen. Aber nichts ist possierlicher, als die unzähligen Söhne der Hygieia wie die Armen per pedes von Haus zu Haus wandern, um etwa einen Kranken herauszustöbern, wie sie mit unsäglicher Angst der Cholera entgegensehen, nicht weil so Vieler Leben bedroht, sondern weil sie bei den Andern, die für die Contagiosität derselben fürchten, ihre Praxis verlieren möchten. — Se. Maj. der König von Preußen, unser allergnädigster Landesvater, ist auf Reisen gegangen und hat seine Kinder ohne Vater gelassen, und Du kennst die Berliner, lieber Komet, diese Schar, Du weißt, daß sie vor Angst blökt und nicht weiß, was sie thun soll — . aus: S. Heinitz, Berlin den 29. Juli 1831, in: Der Komet. Beilage fur Literatur, Kunst, Mode, Residenzleben und journalistische Contro[l]le, Nr. 32, 13. August 1831, Sp. 254f.

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Die Bestürzung, welche hier unter dem größten Theil der Einwohner wegen der so schnellen Verbreitung der Cholera in Preußen herrscht, ist außerordentlich. Man zweifelt kaum mehr, daß wir dieses böse Uebel auch bald hier haben werden, und sehr viele Familien schaffen sich bereits die nöthigen Mittel, die im ersten Augenblick des Ausbruchs der Krankheit gebraucht werden könnten, ins Haus. Unter diesen Umständen kann natürlich die Stimmung für Rußland nicht sonderlich günstig sein. - Man war lange im Zweifel, ob man den neu errichteten Kordon an der ganzen Oder entlang mit regelmäßigem Militär oder mit Landwehr besetzen sollte, da man das erstere im Falle der Noth zur Aufrechterhaltung der Ordnung benutzen wollte. Endlich hat man sich doch für Aufstellung von regelmäßigem Militär an dem Kordon entschieden, und gestern ist daher ein Theil der Garden zu diesem Zwecke von hier ausgerückt. Hier selbst werden noch fortwährend Sanitätsmaßregeln für den Fall eines Ausbruchs der Cholera in hiesiger Residenz angeordnet und ausgeführt. Se. Maj. der König würde für diesen Fall die Pfaueninsel bei Potsdam als Wohnung beziehen, woselbst, bereits zu diesem Zwecke die nöthigen Einrichtungen getroffen werden. [Anonym.] Berlin, 29. Julius, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 40, 5. August 1831, S. 239. In der heutigen Zusammenkunft der anbei verzeichneten Mitglieder der KirchenVorstände städtischen Patronats wurden denselben zuvörderst folgende Mittheilungen gemacht: 1. es sei nach dem All. L. Recht überhaupt schon verboten, daß Beerdigungen in den Städten geschehen, und wenn gleich manche Kirchhöfe Berlins sich noch innerhalb der Stadt oder wenn auch außerhalb in schon sehr bebauten Gegenden befänden, doch die Beerdigung der Leichen auf denselben zur Zeit ansteckender Krankheiten umso weniger zulässig, es 2. die Gefahr der Ansteckung dadurch bedeutend vermehrt werde, und 3. es außerdem für die andern Leichenbestattungen derjenigen, die nicht an der Cholera gestorben wären, besonders für das Gefolge bei denselben sehr störend und gefährlich sei, wenn die Beerdigung der an der Cholera sterbenden Personen auf den gewöhnlichen Kirchhöfen der Parochien erfolge. aus: v. Bärensprung, [Protokoll]. Berlin, 29. Juli 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 243. In Folge einer Allerhöchsten Kabinets-Ordre vom 21. d. M. ist nach einer Berathung der betreffenden Königl. Ministerien mit der Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera beschlossen worden, zur Sicherstellung der westlichen Landestheile und dadurch zugleich von dem übrigen Deutschland und westlichen Europa gegen die Weiterverbreitung der Cholera außer den schon bestehenden Gränz-Sperrlinien noch eine militairische Beobachtungs-Linie aufzustellen, welche vom Ausflusse der Leba in die Ostsee im Allgemeinen den Lauf dieses Flusses und der Brahe oder des Schwarzwassers bis zur Weichsel folgt, von Bromberg die Netze und Warthe hinab zur Oder und an dieser von Küstrin sowohl bis zu ihrem Eintritte in Ober-Schlesien hinauf, als bis zur Ausmündung ihres östlichen oder Dieweno-Armes bei Cammin, hinab geht. Um aber auch nicht sogleich das Terrain der Ansteckung preisgeben zu dürfen, welches zwischen der Warthe, oder und Obra liegt, soll

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auch von der Warthe längs der Obra und von dieser bis nach Tschischerzig, zwischen Züllichau und Grünberg an der Oder gelegen, eine vorgreifende Beobachtungslinie aufgestellt werden. aus: Bekanntmachung. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission, v. Thile. Berlin am 29. Juli 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 209, 30. Juli 1831, S. 1239. Heute Mittags ist an das hiesige Divisions-Commando die Nachricht gelangt, daß es am 17 d.M. um 2 Uhr Nachmittags, in Pesth, wegen Sperrung der Nachbarschaft, zu blutigen Auftritten gekommen ist. Die Theologen und Mediziner waren die Anfänger, zu welchen sich alsobald der ganze durch dieses unglückliche Ereigniß brodlos gewordene Pöbel gesellte. Dem Judex Curiae, Grafen Czinaky, wurden in seinem Palast die Fenster eingeworfen, die Kommunikation zwischen Ofen und Pesth gewaltsam vom Volk hergestellt, und verschiedene andere Excesse verübt. Durch eben diese Herstellung der Brücke und den Andrang der vielen Menschen soll die Krankheit nach Ofen gekommen seyn. Die Garnison erhielt Befehl, Ruhe zu schaffen. Zuerst versuchte man es mit Drohungen, und als diese nichts fruchteten, wurde blind gefeuert; umsonst. Nun wurde eine scharfe Salve gegeben, allein dieselbe wurde sogleich von der andern Seite zurückgegeben; 24 Soldaten sind theils getödtet, theils schwer verwundet worden, worunter auch der so brave Oberst des dortigen Artillerie-Regiments. Die ganze Nacht dauerte der furchtbare Lärm, und den 18 um 8 Uhr früh hörte man noch Schüsse fallen. Dieß sind die neuesten, aber beklagenswerthen Ereignisse in unserem Vaterlande. Bei uns ist man ebenfalls in der größten Angst und Erwartung Dessen, was geschehen wird. aus: [Korrespondenz aus Preßburg], in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 34, 30. Juli 1831, S. 203. Auch wir haben hier gestern das Schauspiel einer Volksrevolte gehabt, die aber nicht, wie die Bewegungen in Paris und Warschau, gegen Mißbräuche der Gewalt gerichtet, sondern vom Unverstände des Volks ausgegangen war und von der Hefe des Volks unterstützt wurde. Die Cholera war vor einigen Tagen ausgebrochen und ein hiesiger Arzt sollte einen Kranken absichtlich durch Gift getödtet haben. (Er hatte ihm nämlich Phosphor zur Einreibung des Magens verordnet, die Angehörigen aber dem Kranken das Phosphor eingegeben, in der Meinung, daß dies wirksamer sein müsse.) Dies und die zunehmende Theuerung der Lebensmittel scheinen die Hauptursachen der Unzufriedenheit gewesen zu sein. Wiewohl nun durch eine sehr liberale Verfügung der königl. Regierung die Sperre der Stadt und der von Kranken bewohnten Häuser bereits aufgehoben und dadurch die Ursache der Theuerung beseitigt war, auch es Jedem freigestellt wurde, seine Todten begraben zu lassen wo er wolle, so gab doch die Arretirung und Vernehmung eines Unruhestifters (die man lieber hätte auf ruhigere Zeiten aufsparen können) das Signal zum Ausbruch der Unzufriedenheit. Am gestrigen Vormittag versammelten sich Scharen von Müßiggängern, Taugenichtsen, Schuster-, Bettler- und Schornsteinfegerjungen vor dem Inquisitoriatslocale, wo sie den Verhafteten befreiten, von da theils nach dem Anger, wo die Wohnung des Doctors Voigt verwüstet wurde. Ihn selbst fand man nicht. Der übrige Haufe begab sich nun nach dem Polizeigebäude nach dem Altstädtischen Markt. Der Polizeirath Schumann wurde auf der

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Straße gemißhandelt, der Polizeipräsident Schmidt, Doctor Grohnert und mehrere andere Aerzte gröblich insultirt. In wenigen Minuten war keine Fensterscheibe im Polizeigebäude mehr ganz, der tolle Haufe drang in dasselbe ein, warf die Acten, Registraturen, Tintenfässer auf die Straße, dann die Betten, Spiegel, Mobilien, ein Flügel-Pianoforte und die schöne Bibliothek des Polizeipräsidenten den Acten nach. Darauf zog man durch die kneiphöfische Langgasse, in der viele Fenster eingeworfen wurden (auch in der Börse) nach der Vorstadt, wo gleicher Unfug verübt wurde: am Hause des Maurermeisters Biehler, weil dieser den Kalk zu den Cholera-Lazarethen geliefert, an der Heubnerschcn Medicin-Apotheke, die gänzlich devastirt wurde, weil sich in diesem Locale nächtlich zwei Aerzte aufhalten wollten, um den Cholerakranken dieses Stadttheils zu Hilfe eilen zu können. Das Haus des Eisenhändlers Michalski wurde von den Leuten erbrochen, um sich mit Aexten, Beilen und andern Waffen zu versehen. aus: e., Bericht über die Unruhen in Königsberg. Den 29. Juli 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblattßr die gebildete Lesewelt, Nr. 121, 11. August 1831, Sp. 1021 f . Der Tumult, welcher gestern durch Wahn herbeigeführt, durch Muthwillen vergrößert und durch Pflichtvergessene zu groben Excessen schnell benutzt ward, empörte Jedermann. Auf den ersten Ruf eilten rechtliche und kräftige Männer jeden Alters und Standes herbei, reihten sich mit großer Bereitwilligkeit und Ergebung, ohne Rücksicht auf Rang und Stand, in die Sicherheitswachen, unterdrückten mit Nachdruck, im Verein mit der Garnison, den Auflauf, zerstreuten die Empörer, ergriffen die Tumultanten, überlieferten sie dem Richter und sorgen mit großer persönlicher Anstrengung bis zu diesem Augenblick für die Ruhe und Sicherheit der Stadt. Wir fühlen uns gedrungen, der braven Bürgerschaft der hiesigen Haupt- und Residenzstadt öffentlich zu bezeugen, daß der Sinn für Recht und Ordnung, welcher sich bei dieser Gelegenheit aufs Neue hier durch Wort und That ausgesprochen hat, ehrend und dankend allgemein anzuerkennen sey. Auch den Studirenden, den jungen Beamten, den jungen Kaufleuten gebührt derselbe Dank und dasselbe ehrende Annerkenntniß, da auch sie sich mit Schnelligkeit unter der Leitung erfahrener Männer sammelten und ordneten. Auch sie zeigten einstimmig tiefen Unwillen gegen die Ruhestörer, welche zuerst von der akademischen Jugend angegriffen und zerstreut wurden, nachdem alle Versuche der Güte vergeblich angewendet waren. Wo solch hohes Gefühl für Recht und Ordnung sich allgemein zeigt, wo solche Thatkraft sich mit Blitzesschnelle entwickelt, da kann das Vaterland mit Recht auf seine Bürger und Söhne stolz seyn; und wo die Jugend auf so edle Weise zur rechten Zeit sich kräftig handelnd für die Erhaltung der Ordnung ausspricht, da ist nicht bloß die Gegenwart, sondern auch die Zukunft gesichert! Brave Mitbürger! Die Ruhe und Ordnung ist hier mit Eurer Hülfe wieder hergestellt; wir sprechen dafür laut und öffentlich den Dank aus, welchen die zahlreiche Bevölkerung der Stadt im Herzen trägt; laßt uns alle auch ferner aufmerksam und gerüstet bleiben, um jeden etwa möglichen neuen Versuch gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit schnell und kräftig im Keime zu ersticken; so gerüstet wollen wir nun wieder mit Sicherheit im Gefühle treuer Pflichterfüllung an unsere gewohnten Tagesgeschäfte gehen! An die Hausväter, an die Besitzer von Holzhöfen und Speichern, an die Fabrikherren und Brauereibesitzer Königsbergs ergehet jetzt noch die dringende Aufforderung, ihre Kinder, ihr Gesinde, ihre Lehrlinge, ihre Arbeitsleute kräftig in Aufsicht zu nehmen. Namentlich mögen die Meister und Lehrherren es

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nicht dulden, daß die Lehrburschen und Jungen Abends mit Geschrei die Straßen durchziehen, oder am Tage als Neugierige bei irgend einem Vorfalle schnell den Volkshaufen vermehren. Die Hauszucht muß der Obrigkeit vorarbeiten. Wenn die Hausväter strenge auf Ordnung in der Familie, im Hause, in der Werkstatt halten, so wird, unter dem kräftigen Schutze einer braven Bürgerschaft, die Ordnung und Ruhe in der Stadt erhalten und gesichert bleiben, und es wird den Pflichtvergessenen dann nicht leicht gelingen, die Ordnung wieder zu stören und das Leben und Eigenthum der Bewohner wieder in Gefahr zu setzen. aus: [Bekanntmachung.] Königl. Preuß. Regierung Königsberg, 30. Juli 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 182, 6. August 1831, [S. 2]. Sie ist schon in Polen! ruft man überall mit Schrecken aus - Sie! Wer? nun, wer anders, als die Cholera. So wie im März v. J. Sie nur Sie, die Unerreichbare, die Dem. Sontag bedeutete, so jetzt nur die Cholera; man spricht von Letzterer jetzt beinah eben so viel, als damals von Ersterer; Beide haben manche Aehnlichkeit, den Beide rafften und raffen hinweg, jene Geld und Vernunft, diese das armselige Leben. Von den Behörden sind die besten Anstalten getroffen, um dieser furchtbaren Seuche den möglichen Einhalt zu thun, und wenigstens die Stadt Berlin, die Stadt der vornehmen Leute, vor ihr zu bewahren. - Die Cholera ist auch eine von den ungerechten Krankheiten, welche gewöhnlich nur das niedere Volk heimsuchen, und die Hohen verschonen, und einer armen Familie den Ernährer nehmen, indeß manch unnützes vornehmes Bübchen die liebe Erde - nur der Tummelplatz seiner Lüste - zur Freude seiner Untergebenen verlassen könnte. aus: Μ. B. Schauke [d. i. Moritz Gustav Bauschke], Berlin Ende Juli 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 131, 17. August 1831, Sp. 1045. Es will Jemand ein Journal herausgeben unter dem Titel: Die Cholera, wöchentlich sollen drei Nummern erscheinen, und wird es des Herausgebers Bemühen sein, so wenig als möglich von der Gefürchteten zu sprechen, vielmehr sollen zur Erheiterung und um die Leute gar nicht daran denken zu machen heitre Aufsätze aller Art abwechseln mit ernsten Mahnungen, doch über die körperlichen Leiden nicht das zu vergessen, was im Reiche der Wissenschaft und Kunst, in den Verhältnissen der Kirche und des Staates fort und fort Interesse bleiben soll. aus: Karl Gutzkow, Aufgelesenes, in: Forum der Journal-Literatur [Berlin], Nr. 5, 1. August 1831, S. 19. Um während des Vorhandenseins der Cholera in einer Gegend durch gehemmten Geldverkehr mit anderen Gegenden nicht Verlegenheiten entstehen zu lassen, erscheint es nothwendig, diejenigen Vorsichts-Maaßregeln zu bestimmen, unter welchen die Absendung von Geldern aus der inficirten Gegend und die Empfangnahme derselben an ihrem Bestimmungs-Orte nachgegeben werden kann. Zu dem Ende wird hierdurch Folgendes festgesetzt: §•1. Geldmünzen. Die Geldmünzen gehören zwar an sich zu den nicht giftfangenden Sachen, können aber dennoch durch den Schmutz, der an ihnen im Verkehr kleben bleibt, die Kontagion verbrei-

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ten, weshalb bei deren Verpackung sowohl, als hauptsächlich bei deren Ausschüttung und Empfangnahme, ein besonderes vorsichtiges Verfahren angewandt werden muß. §.2. 1/12 Stücke und Scheidemünzen. Ein-Zwölftel-Stücke, so wie Scheidemünzen, dürfen gar nicht versandt und auf den PostStationen nicht angenommen, weil sie der Anklebung des Schmutzes vorzüglich unterworfen sind. §.3. Verpackung. Das zur Absendung bestimmte Geld muß in dichten Beuteln oder in Rollen und Düten von festem Papier wohl verpackt werden, und kann die Desinficirung dieser Emballage, weil sie theils zu lange dauern, theils das Papier erweichen würde, unterbleiben. Diese Beutel und Rollen müssen aber noch einmal von außen in neue und feste Wachsleinwand eingepackt werden. §•4. Desinficirung a) Bei der Versendung. Die solcherart verwahrten Geldpakete müssen in der Kontumaz-Anstalt des AbsendungsOrtes oder der Sperr-Linie mit einer Auflösung von Chlorkalk oder von schwarzer (grüner) Seife mittelst eines Pinsels oder Schwammes äußerlich abgewaschen werden. Sind sie außerdem in Fässer gepackt, so muß mit diesen nach §. 18. der Anweisung vom 5. April (1. Juni) c. verfahren werden. §.5. b) Bei der Ankunft. An dem Bestimmungsorte müssen in der Reinigungs-Anstalt die Pakete unter Wasser, in welchem schwarze Seife aufgelöst ist, geöffnet und das Geld darin ausgeschüttet werden. Dieses wird einigemale unter dem Wasser durchgerührt und naß ausgezählt. Das so ausgezählte Geld ist auf dem Tische mit einem Tuche abzutrocknen und das Tuch, der größeren Vorsicht wegen, in eine Auflösung von Chlorkalk zu werfen. Die Auszähler haben sich in eben einer solchen die Hände zu waschen. Mit der Emballage ist alsdann nach der Anweisung vom 5. April (1. Juni) c. §. 18. zu verfahren. §.6. Papiergeld. Kassen-Anweisungen, Staats- und andere geldwerthe Papiere sind in neue und dichte Wachsleinwand zu verpacken, die Pakete vor deren Eintritt in nicht inficirte Orte äußerlich mit einer Auflösung von schwarzer Seife mittelst eines Pinsels oder Schwammes abzuwaschen. Bei der Ankunft werden die Pakete geöffnet, der Inhalt mit Beobachtung der nöthigen Vorsicht auseinandergelegt, ohne Durchstechung geräuchert und die Emballage vertilgt. Anweisung für die Verpackung und Desinficirung der zu versendenden Gelder aus von der Cholera angesteckten Orten. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten Immediat-Kommission, v. Thile. Berlin, den 1. August 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 216, 6. August 1831, S. 1269.

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Mit bewegterem Gemüthe wurde wohl nie des Königs Geburtstag gefeiert, als in diesem Jahre. Im Kriege wird das Herz durch Hoffnung geschwellt, bei einem unglücklichen gehoben durch die Resignation des Patriotismus, durch den Haß gegen den Sieger, durch den Schimmer einer Hoffnung der Wiedervergeltung. Ein so trauriger, von dauernder Anspannung ohne Resultate abgespannter Zustand ist indeß wohl noch nicht dagewesen. Ein Krieg, wenn auch die Schärfe des Schwerdtes sich gegen uns wendete, scheint Neunundneunzigen unter Hundert dem Zweifel der Ungewißheit, in der wir leben, vorzuziehen, ja ein Krieg in Vergleich mit dem schleichenden und doch reißenden Uebel, das uns näher kommt und näher kommt, eine Wohlthat. Welche Hoffnungen, welche Erhebungen im Defensivkrieg gegen eine Pest! Welch einen Trost gewährt ein Sieg: man ist glücklich durchgekommen! Das ist Alles. Der Grenzkordon längst der Oder ist unsere und vermuthlich des ganzen übrigen Europas le[t]zte Schanze. Zwar hat sich das Gerücht, die Cholera sey schon in Breslau, als unbegründet ausgewiesen, doch ist unsere Hoffnung, daß dieser Kordon genügen wird, nur sehr gering. Eben so unumwunden spricht sich die Ansicht immer allgemeiner aus, daß, wenn einmal dieser Sanitätskordon durchbrochen oder überflogen ist, die strengen polizeilichen Abschließungen eher ein Uebel, als eine Rettung sind. Der Oberpräsident v. Schön zu Königsberg hatte sich schon früher zu diesem großartig seltsamen Liberalismus bekannt und war der Meinung gewesen: alle Sperre sei unnöthig; man solle der Vorsehung, der Natur und der Privatvorsicht die Sorge anheimstellen. Seine Ansicht ging nicht durch und durfte auch wohl in einem wohlgeordneten Staate nicht durchgehen; doch redet die Erfahrung, daß bis je[t]zt kein Kordon auf die Dauer geholfen, ihm das Wort. Neuerdings ist nun noch etwas ganz anderes dabei zur Sprache gekommen, was man früher bei uns kaum geahnt hatte: das Volk spricht in großen Städten mit und laut dagegen. Die Brodlosigkeit, der Hunger haben sich als die ärgsten Demagogen gezeigt, denn sie haben gerade in Städten blutigen Aufruhr unter der Volksmenge gepredigt, wo man diese in apathische Stumpfheit eingelullt meinte. Die Vorfälle in Petersburg, Pesth und nun neuerdings in Königsberg sind ärger gewesen, als man zur Ehre von irgend jemand glauben sollte. Dabei spukt auf eine unbegreifliche Weise der Aberglaube; denn wie der Pöbel in Petersburg jeden geprügelt hat, der mit einem Riechfläschchen ausgegangen, und in Pesth sogar die Studenten einen Arzt zu einem Galileischen Widerruf gezwungen, so hat auch beim Königsberger Volke der feste Glaube vorgewaltet, daß die Aerzte angestellt seyen, Gott weiß von wem, die Leute schnell aus dem Wege zu schaffen. Daher der Aufstand, der blutiger und bedeutender war, als die offiziellen Berichte ihn angeben, übrigens aber durchaus unvernünftig und ohne alle politische Beimischung. Die Königsberger Studenten, welchen die Behörden aus einer leicht erklärlichen Vorsicht nur ein sehr bedingtes Lob ertheilt, haben fast allein die Autoritäten gerettet und zuerst mit ihren Hieben eingehauen. Erst später war das anderweitig benu[t]zte Militär herbeigeeilt, um die unsinnige Empörung, ein Skandal für unsere Zeit, zu dämpfen. Die Breslauer Bürger, sehr loyale Leute, sollen erklärt haben, wenn man diese, den Verkehr unterbrechende Sperre auch bei ihnen einführe, es ebenso wie die Königsberger zu machen. Aus allem diesem ist man denn doch bei uns zur Ueberzeugung gekommen, daß es räthlich sei, von den rigorosen Verordnungen abzugehen. Nach denen sollte jedes noch so große Haus gesperrt werden, wo nur im entferntsten Theil ein Kranker sich zeigt; wenn mehrere Häuser dergestalt in einer Straße abgeschlossen worden, sollte die ganze Straße barrikadirt werden. Handel und Gewerbe hörten natürlich auf, Theater, Kirchen, Kaffeehäuser wären

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geschlossen und gewisse, allzu inficirte Häuser sollten sogar demolirt und abgetragen werden. Von dieser Kurmethode ä la Rostopschin, am grünen Tisch hinterm Ofen entworfen, ist man nun, wie gesagt, seit den Königsberger und Pesther Ereignissen abgekommen, und wir kommen um ein schönes, acht preußisches Gesetz, welches einige einspännige Beiwagen mit Deklarationen und Modifikationen erfordert hätte. Doch trägt man sich aber mit der süßen Hoffnung, daß nicht der Kordon, nicht die Aerzte, sondern unser sandiger gesunder, trockener Boden die Cholera abhalten oder doch unschädlich machen werde. An die Influenza, die einmal ein Präservativ seyn sollte, denkt Niemand mehr. Dagegen trägt man sich mit hundert Arkanen umher, die helfen sollen. In Elbing, so wird erzählt, läßt ein Bedienter aus Unaufmerksamkeit seinem kranken Herrn Rothwein mit Senf statt mit Zimmt kochen und gibt es ihm ein. Von dem Trank, der eine fürchterliche Hitze hervorbringt, genest der Kranke augenblicklich und dies qui pro quo wird in Elbing eine Radikalkur. Die dankbare Stadt schenkt dem Bedienten, wie die Sage will, 200 Thaler für seine Unvorsichtigkeit. Die Aerzte hier, besonders die Stadtphysici, sind schon vorläufig sehr geplagt, denn wo nur Jemand aus der ärmern Klasse sich übergiebt oder Diarrhoe hat, fordert die Polizei sie auf, zu untersuchen, ob es nicht die Cholera sey. Sie spukt daher durch Stadt und Umgegend; die dumpfe, heiße Witterung begünstigt sie, und das in manchen Gesellschaften erlassene Interdikt, die Conversation auf sie zu leiten oder sie auch nur gelegentlich zu erwähnen, verscheucht am wenigsten das Gespenst. Unser König, ganz im Sinne seines väterlich treuen Herzens, hat sich kein abgelegenes Lustschloß auf den Bergen und in reiner Luft ausgesucht, dort seine Person und seine Familie schlimmsten Falles zu sichern. Im Gegentheil hat er bei seiner Abreise nach Töplitz Befehl zurückgelassen, ihm per Estaffette den ersten Cholerafall zu melden, um dann sogleich in seine Residenz zurückzukehren und mit seinen Bürgern Leid und Gefahren zu theilen. Man weiß dies, und es ist ein neues Band zwischen Volk und Fürsten, ein Band, das von so verschiedenen Seiten lose zu machen, wo nicht zu zerreißen, versucht worden ist. Aber es wird halten, denn nicht der Verstand, das Herz hat es geknüpft. Mißverständnisse, Irrungen, getrennte Ansichten vermögen dagegen nichts. Diese Liebe sprach sich wieder deutlich am 3. August aus. Trotz der peinlichen Stimmung trug man an dem Tage nichts von der Peinlichkeit in die Feier. Aeußerlich schien es ein Tag der heitersten Lust. Das schöne Wetter begünstigte ihn: es wimmelte vom Morgen (wo der neue Lustgarten zuerst den Bürgern eröffnet wurde) bis spät in die Nacht von Spaziergängern, als wollten sie noch einmal einen Festtag genießen, der vielleicht einer der le[t]zten wäre. [Anonym. ] Berlin, Anfang August, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 202 und 203, 24. und 25. August 1831, S. 807ff. Bist Du nicht auch meiner Meinung? Ich glaube nämlich, daß das große Buch der Weltgeschichte, seit Christi Geburt, keine interessantere und denkwürdigere Seite aufzuweisen habe, als jene, worauf die Jahre 1830 und 1831 aufgezeichnet sind. Wie Vieles, wie unendlich Vieles ist seit dem 25. Juli 1830 bis zum 25. Juli 1831 geschehen in diesem thatenschwangern und ergebnißreichen Jahre?? Soll ich Dir sagen, welch' eine Fluth von wichtigen Begebnissen sich in dem engen Uferbette eines einzigen Jahres fortgewälzt hat? Soll ich alle Ereignisse in Dein Gedächtniß zurückrufen, welche der unaufhaltsame Kahn der Zeit auf dem Wellenmeere der Politik als

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Mahnbilder und Warnzeichen für Mit- und Nachwelt aufgestellt hat? Erspare mir die Mühe, lieber Leser; denke ein klein wenig nach, und jede dieser merkwürdigen Begebenheiten wird mit dem großen Heere ihrer Ursachen, Wirkungen und Folgen vor den Spiegel Deiner Seele treten. Mit dem 25. Juli 1830 hat eine neue Epoche in [der] Weltgeschichte und eine neue Periode in der Geschichte der Kultur begonnen. Clio hat mit demantenem Griffel die Denkwürdigkeiten dieser Jahre in die unvergänglichen Asbestblätter der Geschichte aufgezeichnet, und ist auch manches Blatt mit Blut getränkt, die milde Hand der alles vernarbenden Zeit wird es trocknen. Sie hat alle Denkwürdigkeiten wie Perlen aneinandergereiht, und diese Perlenschnüre in dem Sonnentempel der Unsterblichkeit aufbewahrt. Wieviel Bände werden die Historiographen mit der Geschichte dieser beiden Jahre füllen? Myriaden! Und dennoch läßt sich die Geschichte derselben in zwei Worte zusammenfassen, und diesen beiden inhaltschweren Worte heißen: Aufruhr und Brechruhr. Aufruhr und Brechruhr sind ein paar ansteckende Krankheiten, die schon jetzt fast ganz Europa durchreist haben. Aufruhr und Brechruhr sind ein paar Geschwister, die sich wie Comperes in die Hand gearbeitet und sich gegenseitig hülfreich unterstützt haben. Aufruhr und Brechruhr - beide sind ein paar Geißeln, welche der Himmel im Zorne auf die Erde geworfen, um das corrupte Menschengeschlecht für seine schweren Sünden zu bestrafen. Doch selbst in seinem Zorne ist der Himmel gnädig. Da, wo Aufruhr geraset hat, war die Brechruhr mild und schonend, und da, wo die Brechruhr gewüthet, war der Aufruhr nur vorübergehend, ohne Folgen. aus: [Anonym.] Aufruhr und Brechruhr, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 177, 3. August 1831, S. 717f. Während auf diese Weise der inficirte Ort von der gesunden Umgegend abgesperrt ist, werden in demselben alle öffentlichen Orte, wo Zusammenkünfte mehrerer Menschen statt zu finden pflegen, namentlich Schulen, Theater, Wirtshäuser etc. geschlossen, und durch Wachen dafür gesorgt, daß bei den Bäckern, Fleischern, Apothekern etc. kein gleichzeitiger Andrang von Menschen entstehe. Bei einer allgemeinern Ausbreitung der Krankheit kann sogar eine allgemeine Hauscontumaz angeordnet werden, so daß niemand ohne eine von der Sanitätscommission ertheilte Carte seine Wohnung verlassen darf. aus: Karl Ferdinand Friedrich von Nagler, Kurze Darstellung der in den KöniglichPreussischen Staaten gegen die Cholera morbus getroffenen Maaßregeln. Gegeben der Deutschen Bundesversammlung zu Frankfurt, 4. August 1831, in: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1831, Sitzung 23-44, Frankfurt/M. [1832], S. 587. Hülfe in Noth. Die indische Cholera, einzig und allein durch kaltes Wasser vertilgbar. Allen Regierungen, Aerzten und Nichtärzten zur Beherzigung vom Professor Dr. Oertel, gr. 4. Nürnberg, Campe ä 10 srg. Diese wichtige, in das Innere des geheimnißvollen Uebels dringende, höchst belehrende Schrift wird Ruhe in die Gemüther bringen; wir lernen das Wesen der Krankheit genau kennen, wir erfahren die Mittel gegen sie - wer diese Vorschriften befolgt, kann sicher seyn

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vor der fürchterlichen Seuche. Man lese, prüfe und urtheile erst dann, weil die Schrift bei Weitem mehr enthält, wie der einfache Titel sagt; nicht vom Wasser allein ist die Rede! Zu haben bei C. S. Mittler, Stechbahn Nr. 3., und in dessen Handlungen zu Posen, Bromberg und Gnesen. [Anzeige], in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 180, 4. August 1831, [S. 4], Doch, m. G., ich finde es nötig, hier noch einen Unterschied vor Augen zu stellen, um einem Mißverständniß und einer Verwechslung zweier ganz verschiedener Dinge vorzubeugen. Es giebt Zeiten, in denen das sichere Bewußtsein von der Zuträglichkeit und Angemessenheit der bestehenden Verhältnisse verloren geht, und in denen sich bedeutende Veränderungen näher oder entfernter vorbereiten. Da regt sich auch ein gewaltiger Eifer, und die Meinungen treten hart aneinander; die Einen fürchten, daß Rechte die ihnen heilig sind gekränkt werden sollen; die Andern glauben, daß ihnen etwas gebührt, was ihnen mit immer größerem Unrecht länger vorenthalten wird, daß diejenigen, welche das Ganze zu leiten haben, demselben feindseelig gesinnt sind und nur an ihr Eigenes denken. Je mehr sich der Streit auch denen mittheilt, die nicht in Mittheilung durch die Rede in der Entwikklung von Gründen sich und Andern genügen können: um desto leichter entstehen auch wilde leidenschaftliche Bewegungen, und arten nicht selten aus in wirkliche Zerrüttungen des bürgerlichen Zustandes. Das sind denn Zeiten, von denen, wenn wir nicht unter allen Stürmen des Lebens den Glauben an eine leitende Vorsehung festhielten, wir nicht würden wissen können, ob sie zum Besseren oder Schlimmeren führen. Aber doch, m. g. Fr., ist der Streit um etwas geistiges; wie sehr auch dabei auf mancherlei Weise die Leidenschaften erregt werden, so sind es doch nicht diese Zustände, die der Erlöser im Auge gehabt hat. Sie sind nicht an und für sich von der Art, daß sie die Gemeinschaft mit dem göttlichen Worte aufheben, so lange sie aus dem Gefühl für Recht, für Ordnung, für ein dem Menschen würdiges und großes Zusammenleben hervorgehen. Ο diese Bewegungen können schon an und für sich ein großes Unheil sein, sie können zu noch größerem Unheil den Keim in sich tragen, und es weit um sich her verbreiten; aber niemals sind sie der Art, daß wir genötigt sein könnten, die Stimme des göttlichen Wortes zurükk zu halten. Vielmehr ist diese es allein, welche zule[t]zt die aufgeregten Gemüther wieder besänftigen muß, damit Alles sich friedlich schlichte, der Sturm sich lege, und ein Zustand wiederkehre, an dem die Gutgesinnten sich erfreuen können. Was ich aber vorher beschrieb, das sind die rohen Erregungen der unvernehmlichen und erkenntnißlosen Masse, die oft auch gegen das, was alle Verständigen aus der Sorge für das gemeinsame Wohl hervorgegangen ehren und sich ihm fügen, mit thierischer Rohheit anstürmt, wenn es ihr nur irgend Besorgniß erregt für die eingewurzelten Gewöhnungen ihres Lebens. Das ist der Zustand, den der Erlöser im Auge gehabt, wenn eine wilde Menge keiner Belehrung der Vernunft, keiner Warnung des göttlichen Wortes mehr Raum giebt. Liegen uns etwa die Beispiele davon fern und sind sie uns fremd? Leider, m. g. Fr., haben wir vor kurzem dergleichen erlebt in dem eigenen Lande! In derselben Verbindung des Rechts und der Ordnung, der wir auch angehören, unter demselben Schu[t]z des geliebten Königs, haben Störungen der öffentlichen Ruhe statt gefunden, Auflehnungen gegen die von ihm gese[t]zte Obrigkeit, weil ungelehriges Volk sich gewaltsam erhob gegen von oben gegebene Vorschriften, die doch nur bezwekkten, in einem gefährlichen Zustand

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Mittel des Heils aufzusuchen und gegen das Uebel einen Damm aufzuwerfen. Aber von den thörichsten Einbildungen aufgeregt gerieth die Masse in Wuth, und in wildem Ungehorsam, in unbändiger Gewaltthat zeigte sich das losgebundene Thier! Und das in Gegenden, wo die große Masse des Volks derselben erleuchteten evangelischen Kirche angehört, wie wir! Kommt nun das erste, was ich bezeichnete, leider noch überall in einzelnen Fällen vor; können wir uns nicht mehr rühmen gegen das zweite sicher zu sein: wohlan, so müssen wir wohl daran denken, wie wir uns auch gegen solche Zustände zu verhalten haben; so müssen wir uns, nachdem wir erkannt haben, was der Erlöser gemeint hat, auch die Frage vorlegen, was geziemt uns wohl, wenn solche rohe Gewalt hereinbricht, sowohl in vereinzelter Gestalt, als wenn die Massen sich in Bewegung se[t]zen? [...] Wohlan, m. th. Fr., wenn uns solche menschliche Zustände vor Augen treten, wo alle Gemeinschaft mit dem göttlichen Wort offenkundig abgebrochen ist, und die Mahnung an dem heiligen Willen des Höchsten gar nicht mehr an das durch das Brausen der Leidenschaft verstopfte Ohr schlägt, weil die Selbstsucht sich auf den Thron geschwungen hat und Alles unter die Füße tritt, was sie zügeln will; hat der Blikk der brüderlichen Liebe, haben die Zeichen menschlicher das Gute schü[t]zender Macht ihren Einfluß ganz verloren, weil dem ungöttlichen Wesen grade das Gesetzwidrige wohl gefällt und es reizt: ο dann können wir noch viel weniger hoffen, daß die Stimme menschlicher Weisheit und Lehre noch etwas fruchten könne! Wohlan, dann bleibt also nichts übrig, als der rohen losgelassenen Gewalt auch die Gewalt, aber die geheiligte Gewalt der Ordnung entgegenzustellen, die schü[t]zende gemeinschaftliche Macht hervorzurufen, daß sie sich geltend mache gegen das eintretende Unheil; dann geziemt es Allen, sich mit dieser schü[t]zenden Macht zu vereinigen; dann geziemt es Allen, sie aufrecht zu erhalten gegen die unheilvoll bewegten Gemüther; dann geziemt es Allen zu zeigen, wie sie das Beste erwarten auf dem Wege des treuen Gehorsams und in der treusten Anhänglichkeit an die liebenswürdigen heiligen Gewalten, die uns so lange zusammengehalten haben. Aber, m. g. Fr., ist es wahr, daß wenn einmal solche Zustände eingetreten sind, für den Augenblikk nichts übrig bleibt, als daß Alle sich mit der öffentlichen Macht vereinigen, um dem Recht und der Ordnung den Sieg zu sichern gegen die zerrüttenden Bewegungen einer losgebundenen Wildheit; wenn es strafbar ist, sich dann in eine ruhige Mitte stellen zu wollen zwischen beiden, sondern Jeder sich bereit halten muß dem gemeinen Wesen zu helfen wo und wie er dazu aufgefordert wird: so laßt uns doch ja nicht glauben, daß wir damit erschöpft haben, was uns als Christen für solche Fälle obliegt, sondern immer müssen wir schon etwas wichtiges versäumt haben, wenn solche Zustände eintreten. aus: Friedrich Schleiermacher, Am 10. Sonntage nach Trinitatis 1831 [7. August], in: Dr. F[riedrich] Schleiermacher, Predigten [Berlin o. J.], S. 7 f f . , l l f . Die Krankheit ergreift und rafft hier [in Danzig] vorzugsweise Personen der ärmsten Klassen, Familienväter, welche Wittwen und unerzogene Kinder hinterlassen, beraubt aller Mittel eines Erwerbs, entblößt der unentbehrlichsten Habe, sogar der Kleider und der Betten, die sie selbst vernichtet. Was in jenen Gegenden geschehen kann, das geschieht, um ganz verarmten Kranken mit Arzeneien zu helfen, um außer aller Thätigkeit gesetzte vor Verhungern und Verzweifeln, um eitern- und verwandtenlose Kinder vor Verwildern nothdürftig zu sichern, und es geschieht auf menschliche und zweckmäßige Weise. Männer und

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Frauen opfern Zeit, Kräfte, Vermögen, mit eigener Lebensgefahr dem umsichgreifenden Verderben einen Damm entgegenstellend. Die von ferne ihnen zufließenden Gaben mitfühlender Brüder gereichen ihnen dabei zu besonderem Trost, zur Aufrechterhaltung ihres Glaubens an die Vorsehung, und zur Belebung ihrer sich selbst verleugnenden Thätigkeit. Berlin, den 10. August 1831. Im Namen des Vereins: v. Auerswald. v. Boyen. Fränkel. Friese. Köhler. J. Muhr. Poselger. aus: [Bekanntmachung], in: Zweite Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 189, 15. August 1831, [S. 1]. Die allgemeinen Klagen über die Häusersperre da, wo dieselbe bisher zur Abwehrung der asiatischen Cholera in Anwendung gebracht worden ist, so wie die unglücklichen Auftritte, die leider schon hier und da durch die Häusersperre hervorgerufen worden sind, haben mich zu dem Entschluß gebracht, die angenommene Zweckmäßigkeit dieser Maaßregel einer genauen Prüfung zu unterwerfen, wozu mich schon mein Beruf als Städtischer GesundheitsBeamter verpflichtet [...]. Es ist erfahrungsgemäß erwiesen, und wird von allen sachverständigen Aerzten zur Nachachtung öffentlich ausgesprochen, daß man sich am sichersten vor den Anfällen der Cholera schützen könne durch genaue Beobachtung einer zweckmäßigen Lebensweise. [...] Aber diejenigen Bewohner eines solchen Hauses, die nicht mehr besitzen, als sie sich täglich durch ihr Gewerbe, oder ihre Handarbeit erst verdienen, diese Menschen gerathen sogleich mit dem Absperren des Hauses in drückende Noth und Kummer über die hieraus entspringenden gegenwärtigen und künftigen Verluste; sie würden verhungern müssen, wenn man ihnen nicht, aus großer Barmherzigkeit, von Zeit zu Zeit einige nothdürftige Nahrungsmittel auf einer Stange zum Fenster hineinsteckte. Wie viele größere und kleinere Bedürfnisse, wenn auch oft bloß eingewöhnte, haben nicht die meisten Menschen. Wie sollen bei Absperrung eines Hauses jederzeit die bedurften Mittel, selbst für Wohlhabende, nur einigermaßen befriedigend herbeigeschafft werden können? Und ist nicht jeder Bewohner dieses Hauses dem Betrüge, der Bevortheilung auf alle Weise dabei ausgesetzt? Welcher Mensch, der sich nur dunkel seiner Menschenrechte bewußt ist, kann bei dem Gedanken ruhig bleiben, sich nutzlos für Andere aufgeopfert zu sehen, da er nicht mehr so diätetisch leben kann, wie es nöthig ist, um Sicherheit vor der Cholera davon zu hoffen und dabei furchtlos bleiben zu können. Unwille, Zorn, Aerger wird sich seiner bemeistern, der nur ohnmächtig die fesselnden Ketten schütteln kann. Und wird er dabei nicht cholerakrank, so sind alle diese schädlichen Einflüsse wohl geeignet, einen Menschen auch typhuskrank zu machen, so daß sich nun zur Ansteckung von der Cholera sogar noch Ansteckung von Typhus-Kranken gesellen kann. Kurz das Leben in den abgesperrten Häusern, besonders mit vielen Bewohnern, und namentlich solchen, die nicht eben stumpfsinnig sind, muß ein Bild des Schreckens und der Verzweiflung darstellen. Und man sieht daraus, daß die Häusersperre bei der Cholera in ihren Folgen schrecklicher ist, als die Cholera selbst, vor der man sich doch schützen könnte. aus: Dr. H[einrich] Messerschmidt, Beweisführung, daß die Häusersperre als Abwehrungsmittel gegen die Verbreitung der asiatischen Cholera nicht allein nicht nützt, sondern vielmehr schädlich und darum zu unterlassen ist, Naumburg [10. August 1831 ], S. 1, 73, 76f.

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Für Wohltäter. Wenn es schon jedem Biedergesinnten, sowohl in seinem Vaterlande, als in dem Orte, wo er wohnt, eine stillschweigende, heilige Pflicht seyn muß, für das allgemeine Beste nach Kräften mitzuwirken, um so mehr muß er solches zu verdoppeln suchen, wenn Gefahr sowohl ihm als auch seinen Mitmenschen droht, und nichts darf ihm zu schwer werden oder zu groß seyn, um es freudig als Opfer auf dem Altare der Beglückung niederzulegen. Tief durchdrungen von diesem Gefühle bei dem Vorhandenseyn einer Seuche - der Cholera - im eigenen Vaterlande, erschüttert von dem Gedanken, daß dieses Unglück auch die mit aller Wärme des Herzens geliebte Königsstadt nicht verschonen dürfte, und in dem Verhältnisse lebend, nicht aus eigener Quelle da so helfend mitwirken zu können, wie es Gefühl und Bedürfniß erheischt, habe auch ich nach meinen schwachen Kräften auf ein Mittel gedacht, wodurch ein kleiner Betrag der Kasse zur Abwendung der Cholera gewährt werden dürfte. Dem hiesigen hochlöblichen Magistrat meine Ansicht mittheilend, offerirte ich demselben unter dem 19. d. M. zu den Kosten, welche die Maaßregeln gegen Abwehrung der Cholera veranlassen, den Rabatt, welcher mir an den in meinem Waaren-Lager und Handlung befindlichen Sachen zusteht, und da diese Offerte nach einer in einem GeschäftsLocale zu Jedermanns Einsicht bereitliegenden Verfügung vom 22. d. Mts. angenommen, und das Weitere dieserhalb mir selbst überlassen worden ist; so empfehle ich dem wohltuenden hohen Adel und resp. Publicum nachstehende Sachen: 1) Ganz vorzügliche Weine, als: - Alter rother und weißer Portwein, Haut-Sauterne, - Haut-Barsac - Feinen Medoc, Chateaux la Fite, Hochheimer - Markebrunner, Laubenheimer Rheinweine von 1783 und 1811, und Jamaica-Rum. Von diesen Weinen erlasse ich einzelne Flaschen und größere Quantitäten zu festen Preisen. 2) Verschiedene Sachen, als: 2 schöne Pistolen mit Bajonetten, 1 Mahagoni-Schreibsecretair, 1 elfenes Schreib-Bureau, und sehr viele andere diverse Kleinigkeiten. Für die Abnahme resp. Verkauf wird das Publicum durch gute Waare, bei höchst billigen soliden Preisen, entschädigt, hat keinen Verlust, bringt kein bedeutendes Opfer, und darf ich deshalb an einem guten Erfolg nicht zweifeln. Damit ich aber nach Beendigung dieses Geschäfts dem hiesigen hochlöblichen Magistrate den wirklichen Gewinn darlegen kann, bitte ich den resp. Wohlthäter in der ebenfalls in meinem Geschäfts-Lokale zu Jedermanns Einsicht bereit liegenden Liste seinen Namen, oder doch wenigstens das, was gekauft und dafür bezahlt wird, selbst einzuschreiben. Berlin, den 29. Juli 1831 Ungnad, Jüdenstraße No. 7. [Anzeige], in: Preussische Handlungs-Zeitung für Kaufleute, Geschäftsmänner und Landwirthe, Nr. 539, 11. August 1831, [S. 1], In der Konferenz der Allerhöchst verordneten Immediat-Commission und des Gesundheits-Comite, zu welcher auch die städtischen Deputirten der Letzteren zugegen waren, wurden die §.§ 10 und 11. der abändernden Bestimmungen der Königl. Immediat-

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Commission vom 5ten August d. J. in Hinsicht ihrer Anwendbarkeit auf Berlin in Berathung gezogen. Die städtischen Deputirten bemerkten dabei auf Befragen, daß sie es nicht rathsam hielten - die danach bestimmte Unterbringung der Kranken unter den darin angegebenen Bestimmungen mit Gewalt durchzuführen - und trugen daher darauf an, auf diese Anordnung nicht mit der äußersten Strenge zu bestehen. [...] Endlich bleibe es aber auch deshalb eine sehr bedenkliche Maaßregel, die Kranken wider den Willen der Angehörigen aus ihren Wohnungen nach den Lazarethen zu schaffen, weil dadurch die Familien-Bande gänzlich zerrissen würden. Den Müttern sollten ihre Kinder genommen werden, den Frauen ihre Männer, den erwachsenen Kinder die Eltern, um sie der, doch gewiß sehr unsicheren Aussicht, auf Heilung hinzugeben, während diejenigen, welche ihren kranken Angehörigen liebten, dieselben doch bei sich behalten und mit eigener Aufopferung die Verpflegung selbst zu übernehmen wünschten, wenn sie sich hierin auch wirklich täuschten und der Kranke in den Lazarethen besser aufgehoben wäre. Auch bei den Leuten aus geringeren Ständen wäre eine solche Familien-Anhänglichkeit gar nicht selten, und wenn sie vorhanden, ließe sie sich nicht mit Gewalt zerreißen, ohne die größten Unannehmlichkeiten besorgen zu müssen. aus: v. Baerensprung, Desselmann, Vetter an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 13. August 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI., Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. D. III. 46. In unsern Tagen, in welchen auf der einen Seite die Fackel des Aufruhrs und des Krieges Fürsten und Völker zitternd macht, auf der andern hingegen eine verderbende Seuche, welche bereits die Grenzen unsers Vaterlandes überschritten, die Gemüther mit banger Furcht erfüllt, ist es nöthig, einen Standpunkt zu gewinnen, von welchem aus besonders das letztere Uebel betrachtet werden muß, um das Herz in dieser ernsten und bewegten Zeit ruhig und in christlicher Stille zu halten. Es wird nicht undienlich sein, und gewiß zu manchen Bemerkungen Veranlassung geben, wenn wir an der Hand der Geschichte zurückgehen in die fernste Vergangenheit und hören, was ein frommer in Straußberg zuletzt lebender lutherischer Geistlicher, und zugleich einer unserer vorzüglichsten Geschichtsforscher des sechzehnten Jahrhunderts, Andreas Angelus, (welcher an der Pest 1598 starb) in seinen Annales Marchiae Brandenburgicae, Frankf. a. d. O. 1598, über die Pest und deren Erscheinen in Deutschland und namentlich in der Mark berichtet. [...] Doch nun auf unsere Zeit zu kommen; der Todesengel hat bereits mit seinen düsteren Fittigen die Gränzen unsers Vaterlandes überschritten, sein Entsetzen und Verderben bringender Hauch weht von Stadt zu Stadt, und wer weiß, wie bald er seine kalten Arme auch nach uns austreckt. Es gilt nun die Frage, von welchem Gesichtspunkt aus unser Geschlecht diese Erscheinung ansieht? - Freilich, der Aberglaube früherer Jahrhunderte ist verschwunden, aber an seine Stelle sind Unglaube und Gleichgültigkeit getreten. Man sucht die Ursach' dieses Uebels in natürlichen Dingen, und bemüht sich Tag und Nacht, dieselbe auszuforschen und Mittel zu entdecken, dieser verheerenden Seuche Einhalt zu thun. Es ist dies sehr lobenswerth; allein der Herr wird stets die Weisen zu Schanden machen, so lange sie nicht erkennen, daß es der Herr ist, der durch diese Plage zu den Menschen redet. Werden die Menschen erst erkennen, daß Gott sie von ihrem Unglauben, von ihrer Gleichgültigkeit

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gegen ihn und sein heiliges Wort zum Glauben und zur Freude des Herrn, welche der Weisheit Anfang ist, bringen will, so werden sie seinem Rufe gläubig und in Reue und Leid über ihre Sünden folgen; dann wird der Himmel ihnen gnädig sein, die äußeren Veranstaltungen segnen, und den Engel des Todes zurück in seine finsteren Höhlen rufen. Wo Wittwen und Waisen händeringend jammern und weinen, da wird der Herr alsdann abtrocknen ihre Zähren, und sie werden nach ihrer Thränensaat Friede und Freude erndten. aus: E[mmanuel] C[hristian] G[ottlob] Langbecker, Ueber die Pest, und deren Erscheinen in Deutschland, und namentlich in der Mark, in: Neues Berlinisches Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben zum Besten der Wadzeck-Anstalt, Nr. 33 und 34, 13. und 20. August 1831, S. 517f., 533f. Um den vielfältigen Beschwerden zu begegnen, welche durch die zahlreichen, mit einem kleinen Waarenpack und unter allerlei Vorwänden arbeitsscheu umherstreifenden Handelsjuden aus dem Großherzogthum Posen veranlaßt worden, haben wir schon im Amtsblatte von 1821 Nr. 107 eine, die Beschränkung der Paßertheilungen an dergleichen umherziehende Juden betreffende Verordnung der Königl. Regierung zu Posen vom 2. Februar 1821 zur Kenntniß der diesseitigen Polizeibehörden gebracht. [...] Dieser wiederholten Bestimmungen ungeachtet ist indessen die öffentliche Sicherheit noch immer häufig durch das zwecklose und unbefugte Herumtreiben von jüdischen Handelsleuten und ganzen Familien gefährdet worden, welche unter dem Vorwande, Jahrmärkte zu besuchen, sich oft auf lange Zeit von ihrer Heimath entfernen, und das Land nach allen Richtungen durchstreifen. Die Abstellung dieses Uebelstandes wird mit dem jetzigen Zeitpunkt um so dringender, als durch dergleichen Handelsjuden mit ihren Waarenpäcken leicht die Cholera aus infizirten oder verdächtigen Gegenden in die diesseitige Provinz verschleppt werden kann. Die zur Kontrolle aller Reisenden nunmehr auch auf das hiesige Departement ausgedehnte Einführung der täglich zu visirenden Legitimationskarten (Amtsblatt Nr. 118) zwingt jetzt aber die umherwandernden Handelsjuden, sich in jedem Nachtquartier vor der Ortspolizeibehörde zu gesteilen, und ihre Pässe und Legitimationskarten zum Visiren vorzulegen. Bei dieser Gelegenheit kann also von nun an gegen jene, sowohl in sicherheits- als sanitätspolizeilicher Hinsicht verdächtige Individuen das in den obigen Verfügungen bestimmte Verfahren durchgehends mit Erfolg angewandt werden, und wir machen den diesseitigen Polizeibehörden dringend zur Pflicht, hierauf ihre vorzügliche Achtsamkeit zu richten, die sofortige Zurückweisung der vorbeschriebenen Handelsjuden in ihre Heimath in allen dazu geeigneten Fällen unnachsichtlich eintreten zu lassen, und sich nicht durch Mangel an Sorgfalt und Strenge in dieser Hinsicht einer Verantwortlichkeit auszusetzen, welche die ernstlichsten Folgen haben könnte, und wenigstens in jedem zu unserer Kenntniß kommenden Falle diesseitige Strafverfügungen nach sich ziehen würde. [Bekanntmachung.] Königl. Regierung. Abtheilung des Innern. Potsdam, den 14. August 1831, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 33. St., 19. August 1831, S. 173ff.

Beim Desinficiren von Correspondenz aus den, von der Cholera ergriffenen, fremden Staaten und preußischen Distrikten, ist es ungeachtet aller Vorsicht nicht zu vermeiden, daß durch die Wirkungen der Wärme im Räucherungs-Apparat und der Dämpfe von dem zum

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Räuchern dienenden Material, welchen die Correspondenz wiederholt ausgesetzt werden muß, die Siegel der Briefe, welche in Siegellack abgedruckt sind, erweicht und beschädigt werden. Zur Vorbeugung dieses Uebelstandes ist das Verschließen der Correspondenz mittelst Mundlacks (Oblate) zweckmäßig, worauf das Publikum aufmerksam gemacht wird. Bekanntmachung. Der General-Postmeister und Chef des gesammten Postwesens in den Königl. Preußischen Staaten, v. Nagler. Frankfurt a. M., den 10. August 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 189, 15. August 1831, [S. 1]. Unser Sanitätscordon gegen Polen besteht noch immer, doch ist die Abwehrung der Cholera nicht dessen alleiniger Zweck: man scheint auch den mit Ruhm bekränzten Polen jede Zufuhr abschneiden zu wollen, um destomehr für die inficirten Russen thun zu können, die, der erklärten Neutralität ungeachtet, alle mögliche Unterstützung von hier aus erhalten. Ihren Uebergang über die Weichsel haben sie nur dadurch bewerkstelligt, daß ihnen von Thorn aus die nöthigen Materialien zum Brückenschlagen, sowie Kähne etc. geliefert wurden. Und dieses Verfahren sucht man in den diesseitigen Blättern zu rechtfertigen [...]. aus: Sincerus, Aus Preußen, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 129, 15. August 1831, Sp. 1029. Auf den Grund früher von der unterzeichneten Immediatscommission erlassener Bekanntmachung werden die aufgestellten Militairposten angewiesen werden, gegen Personen, welche versuchen sollten, den Cordon, vorangegangener Warnung ungeachtet, zu überschreiten, die Gewalt der Waffen zu gebrauchen und namentlich hartnäckige Contravenienten niederzuschießen. Wenn schon bei Ausübung dieser Maaßregel den Militärbehörden alle Vorsicht und Behutsamkeit zur Pflicht gemacht ist, so haben sich leichtsinnige Contravenienten dennoch den Schaden selbst beizumessen, der für sie aus der Uebertretung dieser Bestimmungen entspringen wird. aus: Bekanntmachung. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatCommission, v. Thile. Berlin, den 15. August 1831, in: Sammlung der von den Regierungen der Deutschen Bundesstaaten ergangenen Verordnungen und Instructionen wegen Verhütung und Behandlung der asiatischen Brechruhr (Cholera Morbus). 1. Heft, Frankfurt am Main 1831, S. 112. Ueberall - Furcht und Schrecken vor sich verbreitend, Entsetzen und Verderben mit sich führend und Wehklagen und Trauer hinter sich lassend - dringt das pathologische Ungeheuer unseres Jahrhunderts, die Cholera-Seuche, unaufhaltsam immer weiter und weiter auf europäischem Boden vor, um als Krankheit der Krankheiten gewaltsam zu vernichten, was seit einigen Jahrzehnten durch die heilbringende Erfindung der Pockenimpfung, so wie durch den segensreichen Volks-Frieden nach langem Kriege, sorgsam fürs Leben gewonnen ward. Leider ist aber auch unter den bisherigen Zeitperioden keine geeigneter, in keiner die Empfänglichkeit für eine so furchtbare Krankheit größer als grade die gegenwärtige, in welcher die intellektuellen, moralischen und physischen Kräfte des Menschengeschlechts durch die verschiedenen zeitherigen Erschütterungen überall auf das mannigfachste in Anspruch genommen und in Aufregung und Spannung versetzt worden sind; denn wer weiß es

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nicht, daß den mit kriegerischen Unruhen verbundenen physischen und psychischen Calamitäten stets nichts gewisser folgen als - pandemische Uebel. Wenn nun die mit so vielen Todesopfern noch immer nicht befriedigte CholeraKrankheit, welche im Anfang ihres so schnellen Verlaufs weder rein entzündlicher noch rein typhöser Natur, fast keiner narkotischen Vergiftung ähnlich ist, die in jedem Betrachte aber von allen ihr in den letzten drei Jahrhunderten vorangegangenen Seuchen verschieden sich verhält, bereits in unser nächsten Nähe sichern Fuß gefaßt, und im Allgemeinen von ihrer ursprünglichen Rapidität und Schonungslosigkeit in andern Welttheilen leider noch wenig verloren zu haben scheint: so verlangt er gegenwärtige Drang der Zeit von den ärztlichen Berichterstattern nur das laute[r]ste Wort der reinsten und unverfälschten Wahrheit. [...] Wir sind nun mit unserer erzielten Belehrung zu Ende. Und so wollen wir denn, unter beständiger Festhaltung des Vertrauens auf den, der unsere Tage gezählt hat, der doppelten Zwangsherrschaft - der Pest-Krankheiten und der Kriegs-Verwicklungen, mit denen das Schicksal uns gerade jetzt wiederholentlich bedroht - getrost entgegensehen, und vor allem mit ruhiger Zuversicht die Cholera in ihrer Schreckensgestalt zu den Thoren unserer Städte und Wohnörter heranrücken sehen, wie sie, gleich den früheren Weltseuchen von Osten her kommend, nunmehr auf unserm deutschen Boden auch noch von Süden her immer weiter vordringt, um den, in diesem Augenblick von Neuem aus dem Westen ihm entgegen kommenden Geist kriegerischer Unruhe zu bekämpfen. Die tiefe innere Correlation zwischen den politischen Schicksalen des Menschengeschlechtes und den so häufig mit ihnen conflictirenden außergewöhnlichen Natur-Ereignissen kann, wie zu allen Zeiten, so auch jetzt den scharfsichtigen Augen der Eingeweihten nicht entgehen! Wie aber auch den wahren Menschenfreund das Endresultat dieser vielfach bewegten schweren Zeit besorgt machen kann, so wollen wir doch die Constellation unseres Schickalsgestirns nicht zu düster uns stellen, nicht in dem Buche der Zukunft nur trübbezeichnete Blätter erblicken. Laßt uns auf das Schlimmste gefaßt seyn, aber das Beste hoffen! „Mit den heh'ren Schicksalsmächten, darf der Sterbliche nicht rechten; was da kommt - es kommt von Gott." aus: Dr. J[ohann] J[acob] Sachs, Ueber die Cholera auf deutschem Boden, und ihre bisher bewährteste Präservativ- und Heilmethode, Berlin [15. August] 1831, S. 3 f , 34. Bei Hoffmann und Campe in Hamburg ist erschienen, und bei C. H. Jonas, Schloßfreiheit Nr. 9., zu haben: Oeffentliche und persönliche Vorsichtsmaaßregeln gegen die ostindische Brechruhr oder Cholera morbus, ihre unwiedersprechliche und alleinige Verbreitung durch Menschenverkehr sowohl in Asien als in Europa und die dringende Notwendigkeit der strengsten Quarantaine gegen die aus damit angesteckten oder kürzlich angesteckt gewesenen

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Städten und Gegenden kommenden Personen gegründet auf endliche, naturgemäße Schlichtung des Streites über Contagiosität und Nichtcontagiosität derselben von Dr. Friedrich Alexander Simon jun., praktischem Arzte in Hamburg. Preis: 7 1/2 Sgr. Bei C. F. Fürst in Nordhausen ist soeben erschienen und in allen Buchhandlungen (in Berlin bei Leopold, Königsstr. Nr. 62. neben der Post) zu bekommen: Schützende Vorsichtsmaaßregeln und Heilart der Cholera morbus. Aus dem Englischen des Arztes Brown, welcher selbst die Cholera zweimal gehabt hat und sich gegenwärtig in London befindet. Eine nützliche Schrift für Jedermann. 8. Broschirt. 1831. 5 Sgr. Zur Beruhigung des Publikums. Bei Unterzeichnetem ist zu haben: Wie hat man sich vor der Cholera zu schützen und was hat man bei ihrem Eintritt zu ihrer Heilung und zur Verhütung der weiteren Verbreitung zu thun?" beantwortet von dem Geh. Rath, und Prof. Dr. Ernst Horn, und dem Prof. u. Stadt-Physikus Dr. Wagner in Berlin. (Zum Besten der durch die Cholera hülfsbedürftig gewordenen Danziger.) Preis 7 1/2 Sgr. Cosmar und Krause, Schloßplatz- und breite Straßen-Ecke Nr. 1. Bei uns erschienen und in allen Buchhandlungen zu finden: „Der Tod ein Schlaf." Predigt über Matth. 9, 24. von F. E. Doye, Rector in Luckenwalde. Preis 2 1/2 sgr. W. Martius u. Comp., Klosterstraße Nr. 17. [Anzeigen], in: Zweite Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 189, 15. August 1831, [S. 2]. Das Herannahen der Seuche in ihren letzten Jahren scheint, wenn wir alles bisher Erörterte zusammenfassen, mit dem am Nordpol fortdaurenden Schmelzen unabsehbarer Eismassen, mit dem seit mehren Jahren fast in ganz Europa allgemeinen, überaus hohen Wasserstande, mit dem ungewöhnlichen Austreten mehrerer großen Flüsse Rußlands, Polens, Preußens, mit den bedeutenden Ueberschwemmungen, welche in vielen Gegenden der ge-

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nannten Reiche vorkamen, mit dem seit längerer Zeit ungewöhnlich anhaltenden trüben Himmel und regnichten Wetter, mit den oft eintretenden Nebeln, so wie mit dem hiedurch bedingten, meistens sehr hohen hygrometrischen Stande in Verbindung zu stehen. aus: C[arl] F[erdinand] Graefe, Vorrede zu: Karl Searle, Ueber die Natur, die Ursachen und die Behandlung der Cholera. Aus dem Englischen. Berlin [ 15. August] 1831, S. XVIII. In Breslau ist seit mehreren Wochen ohne das geringste Gepränge, Geräusch, auch ohne Aufforderung an eine precaire Wohlthätigkeit der Einwohner, alles zum Empfange der Cholera vorbereitet. In jedem Polizeibezirk sind vollständig eingerichtete Lazarethe mit der nöthigen Bedienung, Aerzten u.s.w. Die Sanitätscommissionen für jeden Bezirk haben längst alle Wohnungen der untern Stände durchsucht; wo zu viel und zu eng zusammen wohnten, ist ein Theil auslogirt worden, die Kellerwohnungen sind ganz geleert oder ausgetrocknet, die dumpfigen Zimmer und Kammern geweißet und geräuchert worden. Außerdem hat man auf Regimentsunkosten Wäsche und Leinenzeug für die Unbemittelten angeschafft. Mit dem unaustilgbaren Stempel des Bezirks versehen, ist es unter den Armen leihweise vertheilt. Ebenso hat man eine mögliche Sorgfalt dafür getragen, denselben gesunde Nahrungsmittel anzuschaffen, und alle diese zweckmäßigen, wohlthätigen Vorbereitungen sind beendet, ohne daß man viel Aufhebens davon gemacht hätte. aus: [Anonym.] Zur Tagesgeschichte, in: Der Freimüthige, oder Berliner ConversationsBlatt, Nr. 158, 15. August 1831, S. 632. Schon unterm 4. Mai ward von Sr. Excellenz dem Königl. wirklichen Geheimen Rath und Ober-Präsidenten der Provinz Schlesien v. Merkel eine Bekanntmachung erlassen, daß, da die Cholera in Warschau ausgebrochen, es nothwendig sei, zur Sicherstellung der Provinz und zur Verhütung möglicher weiterer Verbreitung dieses Uebels diejenigen Maaßregeln in Anwendung zu bringen, welche Erfahrung, Vernunft und Wissenschaft gegen dergleichen Krankheiten vorschreiben. Es wurde demgemäß auf der ganzen Grenze von Polen, Krakau und Gallizien jeder Eintritt von Menschen und aller Eingang von Waaren untersagt, ein Grenzkordon gebildet aus den Bewohnen der Grenzkreise aufgestellt und auf möglichste Reinlichkeit, Sauberkeit und Mäßigkeit aufmerksam gemacht. Von Seiten Eines Hochlöblichen Generalkommando's wurden darauf die nöthigen Truppen vom lOten und Ilten Infanterieregiment, dem lsten Cuirassier-Regiment, reitender Geschütze dem Schützenbataillone u.s.w. abgeordnet den Cordon zu ziehen, dergestalt, daß derselbe schon am 15. Mai sich an der Grenze befand. Dieser militairische Cordon besetzte eine Ausdehnung von 32 Meilen und sind auf dieser Länge 223 Wachhütten aufgeschlagen, welche je 3 bis 4 Posten auszustellen vermögen. Jede Meile zählt demnach resp. 7 Wachhütten und 22 Schildwachten und stehen folglich im Ganzen 700 Schildwachten auf Posten. Durch stetes Patrouilliren erhalten sich diese Wachposten in Verbindung. Außerdem patrouilliren noch in einer zweiten Chaine, den Soutien bildend, Infanterie- und Cavallerieposten. Die Reserve, weiter zurückstehend, löst die Mannschaft des Cordons und des Soutiens alle 6 Tage ab. aus: [Anonym.] Wirken der hohen Provinzialbehörden, in: Cholera-Blatt. Als Beilage zu den Schlesischen Blättern, Nr. 4, 16. August 1831, S. 31f.

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Bei Betrachtung der Geschichte der Seuchen des Jahres 531 und der fatalen des Jahres 1831, lassen sich eine Menge naturhistorischer, historisch-medicinischer und anderer Vergleichpunkte finden, welche sich aber nicht alle füglich geben lassen. - Der Genius der Krankheiten und der Weltgeist, die Geschichte der großen Krankheitsgeschlechter und die Geschichte des Menschengeschlechts drängen, besonders von ihren riesigen Phänomenen, selbst dem sich sträubenden Verstände, das tiefe unergründliche Einverständniß auf zwischen Natur und Geschichte [...]. aus: H[einrich Philipp August] Damerow, [Rezension zu: Justus Friedrich Karl Hecker, Geschichte der Heilkunde], in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik [Berlin], August 1831, Nr. 27, Sp. 212. Seit die Cholera in Europa eingedrungen und hier, wie in Asien ihren furchtbaren Charakter offenbart hat, sind die Bemühungen der sie bekämpfenden Aerzte mehr dahin gerichtet gewesen, ein Specificum gegen diesen vernichtenden Feind aufzufinden, als das eigentliche Wesen desselben zu erforschen, um dadurch zu einer rationellen und glücklichen Behandlung dieser Schrecken verbreitenden Krankheit zu gelangen. Diesem unheilvollen Streben nur ist es zuzuschreiben, dass im Allgemeinen noch die ärztliche Bekämpfung der Cholera nichts weniger als glücklich ist. Es ist daher jetzt wohl die höchste Pflicht, an das europäisch-ärztliche Publicum ein ernste Warnung ergehen zu lassen. Lasset ab von neuem ängstlichen Suchen und Streben nach einem specifisch wirkenden Mittel gegen die Krankheit, es führet ab vom einzig richtigen Pfade, von sorgfältiger Beobachtung der Natur und von der Erforschung ihrer ewigen, heiligen und unabänderlichen Gesetze, die sich in Allem, was ist, dem unbefangenen und unermüdeten Forscher zeigen. Obgleich das Gebiet der Wissenschaft frey sein soll und muss, so drängt sich mir doch oft die Frage auf, ob die Regierungen nicht verbunden wären, einzuschreiten, wo das Leben Tausender in's Spiel kommt! aus: Dr. Heinrich Schäfer, Bemerkungen über die Cholera, nebst einem Präservativ-Mittel gegen dieselbe, Berlin [Mitte August ]1831, S. 2. Die Beerdigung der Todten bleibt bei der Cholera ein wesentlicher Gegenstand der medicinal-polizeilichen Fürsorge, und wie man aus einzelnen Städten hört, so hat dieser Punkt zu blutigen Auftritten Veranlassung gegeben. Niemand kann es billigen, wenn empörte Volkshaufen alle Bande der Ordnung zerreißen, und die Sicherheit friedlicher Bürger gefährden, aber man kann auch nicht läugnen, daß es im menschlichen Leben Stimmungen giebt, welche Schonung fordern, und daß in einem bösen Augenblicke oft durch einen geringfügigen Umstand die empfindliche Seite der Menschen so tief verletzt wird, daß auch eine blutige Reaction, wenn auch nicht gerechtfertigt, doch sehr entschuldigt werden kann. Ich erinnere hier, wie die Engländer bei der letzten Pest auf Malta die Leichen der daran Verstorbenen begraben ließen. Bei der Erinnerung an solche Begräbnisse schaudert die Haut und unwillkürlich sträubt das Haar sich empor. Wenn der Familienvater sich auf Malta denkt und die Phantasie ihm das Bild malt, wie seine Gattin, seine Tochter, deren Leichname der einzige Ueberrest seines Erdenglückes sind, von rohen Knechten und geächteten Galleerensklaven geschleppt werden konnten, fürwahr sein Blut würde in seinen Adern erstarren, und er müßte verzweifelnd hinaufbeten: Herr führe mich nicht in Versuchung. Doch, daß wir der-

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gleichen in Schlesien nicht zu fürchten haben, dafür bürgen des Vaterlandes Schutzgeist und der Behörden erleuchteter Sinn. Auch wird die in der Zeitung vom lOten August von unserm wahrhaft ehrenwerthen Polizei-Präsidenten erlassene Bekanntmachung, daß im Falle eines Ausbruchs der asiatischen Cholera, die Kranken nicht nur mit Sorgfalt und Liebe behandelt, sondern auch diejenigen, deren Rettung der menschlichen Hülfe nicht gelingen sollte, mit der Achtung zur Erde bestattet werden sollen, welches jede gebildete Volk gegen seine Todten hegt, sich durch die Provinz bereits verbreitet und ihren Sinn nicht verfehlt haben. aus: Dr. Johann Wendt, Ueber die asiatische Cholera bei ihrem Uebertritte in Schlesiens südöstliche Gränzen. Ein Sendschreiben an seine Amtsgenossen, Breslau [Mitte August] 1831, S. 40f. Am 25. Juli d. J. verbreitete sich hier, in der Stadt, plötzlich das Gerede: ein Schu[h]macher im Dorfe Heubude besitze ein Mittel wider die Cholera, habe damit schon zehn Personen von dieser Krankheit geheilt, verkaufe die von ihm selbst zubereitete Medizin billig, und verordne deren Gebrauch mündlich. [...] Einem elektrischen Funken gleich durchzuckte diese außerordentliche, Hoffnung erregende Neuigkeit freudig die von Angst und Trauer erfüllte Stadt, und wer die jüngst verflossenen neun Schreckenswochen hier verlebte und bei dem Leiden seiner Mitmenschen nicht gefühllos blieb, wird es Niemandem verargen, der in der plötzlichen Erscheinung des Wunderdoktors eine Fügung zu erkennen glaubte, um so weniger, da sprechende Zeugen und glaubwürdige Männer die kräftige und wohlthätige Wirkung seines Mittels aus eigener Erfahrung bestätigten. Wenn dem mit allen Waffen Ausgerüsteten die Kraft versagt, dem Schützling das Köstlichste zu erhalten, dann läßt es sich wohl erwarten, daß der Bedrohte selbst auf Mittel sinnen, auch das unsicherste ergreifen wird, um sich das Leben zu retten. Es war daher auch nur eine natürliche Folge der jener Nachrichten, wenn gleich nach deren Verbreitung große Menschenmassen täglich nach Heubude wogten, um sich einen Vorrath von dem neuen Schutz- und Heilmittel gegen die böse Krankheit zu holen. Der Glaube an die unfehlbare Wirkung der Wundertropfen verbreitete sich so schnell, und ist so groß, daß die Meisten, welche auf dem Hinwege nach Heubude noch von Besorgniß und Angst gequält wurden, schon völlig beruhigt waren, sobald sie nur erst das Fläschchen mit den rothbraunen Tropfen in ihrer Hand hatten. aus: E[duard] Bangßel, Der Schu[h]macher Haamann in Heubude und seine Wundertropfen wider die Cholera. Nachrichten für Jedermann und ein Gesuch an die Herren Aerzte in Danzig, Danzig [Mitte August] 1831, S. 4, 7f. Der Ruf der Haamannschen Wundertropfen hat, wie die Cholera, schon den fünf Meilen von hier entfernten Militair-Cordon übersprungen, und scheint sich eben so wie diese zu verbreiten. In Dirschau und Neustadt, in Oliva und anderen Orten, hat man schon Versuche mit den Tropfen gemacht, deren Resultate wir (der Verfasser mit Hülfe seiner Freunde) unsern Lesern hoffentlich bald werden mittheilen können. Auch aus entfernteren Städten sind schon Aufträge zum Ankauf der Wundertropfen eingegangen, und man schreibt uns aus Neustadt, daß in der dortigen Gegend verfälschte Haamannsche Tropfen verkauft worden

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seyen, weshalb der Magistrat einen Beamten nach Heubaude abgesendet habe, mit dem Auftrag, einen Vorrath für die Bürgerschaft an Ort und Stelle einzukaufen, um sich so der echten Tropfen zu versichern. Der Deputirte ist auch vor einigen Tagen hier gewesen, und hat seinen Auftrag ausgerichtet. Hiernach dürfte man wohl ohne Zweifel annehmen können, daß die Haamannschen Tropfen auch bald in mehreren Städten des In- und Auslandes vorhanden seyn werden, wo man sich gewiß beeilen wird, ihre angebliche Heilkraft zu erproben, und sich über die gemachten Versuche öffentlich auszusprechen. aus: E[duard] Bangßel, Der Schu[h]macher Haamann in Heubude und seine Wundertropfen wider die Cholera. Zweiter Bogen, Danzig [Mitte August] 1831, S. 3f. Der Ansteckungsstoff der Cholera scheint aber, nach der Analogie mit andern Krankheiten und nach den bisherigen Erfahrungen zu urtheilen, besonders durch den Athem, die Hautausdünstung und den Schweiß, so wie durch die Ausdünstungen der bei den Kranken erfolgenden Ausleerungen sich weiter zu verbreiten, und durch diese sowohl der die Kranken zunächst umgebenden Luft, als auch den von denselben getragenen Kleidungsstücken und andern mit ihnen in Berührung gekommenen Gegenständen sich mitzutheilen, besonders wenn diese Sachen durch ihre lockere und rauhe Oberfläche zur Aufnahme eines solchen Krankheitsstoffes besonders geeignet sind (zu den sogenannten giftfangenden Sachen gehören), wie dieses z.B. bei Pelzwerk, Federn, allen wollenen, baumwollenen, so wie auch leinenen Stoffen der Fall ist, wogegen an allen Sachen mit einer glatten und ebenen Oberfläche, wie z.B. an Glas, Porcellan, Metallen, allen Flüssigkeiten, den meisten Victualien, die Ansteckungsstoffe entweder gar nicht, oder doch bei weitem weniger leicht haften. Diese ansteckende Eigenschaft der Cholera sollte jedoch nicht zur Beunruhigung des Publicums gereichen; denn durch Vermeidung des Ansteckungsstoffes kann man sich mit völliger Sicherheit vor der Krankheit schützen. aus: Dr. Ernst Horn/Dr. Wilhelm Wagner, Wie hat man sich vor der Cholera zu schützen und was hat man bei ihrem Eintritt zu ihrer Heilung und zur Verhütung der weiteren Verbreitung zu thun? Zur Beruhigung des Publikums, Berlin [Mitte August] 1831, S. 6f. Den Fortschritten, welche die Cholera-Krankheit leider sowohl am hiesigen Orte als in der Provinz gewonnen hat, verdanken wir neben vielen, das tiefste Mitgefühl in Anspruch nehmenden Ereignissen, aber auch die tröstende Erfahrung, daß diese Krankheit, so furchtbar sie in ihrer Ausartung sich darstellt, doch eben so leicht durch ein vorsichtiges und besonnenes Verhalten vermieden, als in ihren ersten Angriffen selbst bei der Anwendung der einfachsten Vorbeugungs- und Heilmittel mit glücklichem Erfolg bekämpft werden kann. Diese überall bestätigte Erfahrung ist um so beruhigender, als es an den meisten Orten, besonders auf dem platten Lande, so sehr an ärztlicher Hilfe gebricht, deren schnelle und zweckmäßige Anwendung in dieser noch so wenig erforschten Krankheit gerade höchst wünschenswerth wäre. Leider ist es aber selbst den Aufforderungen der höchsten Staatsbehörden nicht gelungen, den von diesem schleichenden Feinde des Menschenlebens angegriffenen Theilen des Vaterlandes, durch Aerzte aus andern Orten, und namentlich aus Berlin, eine ihrem menschenfreundlichen Beruf entsprechende Hülfe zu verschaffen, indem es allerdings bequemer erscheinen mag, in schützender Ferne das Publikum durch Schriften über eine, selbst dem geübten Kenner noch sehr räthselhafte Krankheit zu belehren, als am

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Krankenbett die eigenen Ansichten und Kenntnisse zu berichtigen, und das beschränkte Feld der Heilwissenschaft zu erweitern. aus: Dr. [Christian Gottlieb] v. Gumpert, Ueber die Cholera-Krankheit. An die Einwohner des Großherzogthums Posen zur Beherzigung, und auf Veranlassung der Orts-GesundheitsCommission zu Delitzsch zur Beruhigung und Belehrung für die Bewohner der Stadt und Umgegend besonders abgedruckt, Delitzsch [20. August] 1831, S. 1. Hinsichts der Beerdigung der Leichen wird der §.51. der Instruktion vom 5ten April (lsten Juny) d. J. hierdurch dahin modificirt: 1) Bleibt es der Beurtheilung der Orts- oder Kreis-Sanitäts-Commission überlassen, ob die Lage des gewöhnlichen Begräbnisplatzes des Kirchensprengels, zu welchem der Verstorbene gehört, ohne Nachtheil für die Gesundheit der Bewohner die Beerdigung der Leichen daselbst zuläßt, in welchem Falle dieselbe erfolgen kann. Dies wird namentlich überall der Fall seyn, wo die Kirchhöfe außerhalb des Orts oder an nicht eng umstandenen Plätzen gelegen sind. 2) Wenn die Bestattung auf dem gewöhnlichen Kirchhofe nicht nachgelassen werden kann, so sind die im §. 51. beschriebenen besonderen Begräbnisplätze anzulegen. Diese müssen vor ihrem Gebrauche in verschiedene Räume, nach den verschiedenen Confessionen abgesondert werden, und für dieselben die erforderlichen kirchlichen Weihungen erfolgen. 3) Die Einsargung der Leichen geschieht durch das Wart-Personal oder durch die zu diesem Behuf eigens anzustellenden Leute, welche jedoch dazu Handschuhe gebrauchen müssen, die möglichst lackirt oder doch stark durch Oel eingerieben sind. Die Beerdigungen der Leichen dürfen nur in den Stunden von 8 Uhr Abends bis 7 Uhr Morgens still und ohne Begleitung erfolgen. aus: Publicandum. Der Chef zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission, v. Thile. Berlin, 22sten August 1831, in: Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 208, 31. August 1831, S. 5976f. Für den Fall des plötzlichen Ausbruchs der Cholera in Berlin sind unterm 28. Juni c. vorläufige Bestimmungen erlassen. Es ist inzwischen dieser Gegenstand mit derjenigen Sorgfalt, welche die Wichtigkeit desselben erheischt, fortwährend weiter erwogen und das Resultat aller anderweitig darüber gemachten Erfahrungen bei den diesfälligen Berathungen mit benutzt worden. Auf Grund dessen ist diese Verordnung über das sowohl bei der Annäherung als auch bei dem Ausbruche der Cholera in Berlin zu befolgende Verfahren entworfen, welche dahin abzweckt, das Eindringen und die weitere Verbreitung des Ansteckungsstoffes zu hemmen, den Erkrankten selbst aber die angemessenste Hülfe zukommen zu lassen. [...] §.41. Inzwischen darf auch im Innern derjenigen Häuser, worin sich inficirte Localien befinden, nichts verabsäumt werden, wodurch, der Erfahrung zufolge, der weiteren Ausbreitung des Contagiums gesteuert, und die Vernichtung desselben befördert werden kann. Der Verkehr unter den einzelnen Bewohnern des Hauses ist möglichst zu beschränken, ein solcher mit den Angehörigen und Dienstleuten des Erkrankten aber auf keine Weise zu dulden. Alle entbehrlichen Hausthiere, wie z.B. Hunde, Katzen u. dgl., durch welche der Ansteckungsstoff verschleppt werden könnte, sind zu tödten, (die Hunde wenigstens an die

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Kette zu legen, so, daß sie durchaus nicht davon loskommen können), dem Federvieh aber aus gleichen Ursachen die Flügel kurz abzustutzen. aus: Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comite för Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin. Berlin, 23. August 1831, S. 3, 33f. Die asiatische Cholera, eine lebensgefährliche, und oft schnell tödtende Krankheit, welche in Ostindien seit langer Zeit einheimisch gewesen, seit dem Jahre 1817 aber durch ihr häufiges Erscheinen bekannter geworden und vor einigen Jahren über Rußland nach Europa gedrungen ist, wurde durch die Ereignisse der neuesten Zeit nach Polen verpflanzt, und bedrohete seit diesem Frühjahre unsere vaterländischen Gränzen. Durch wohl erwogene Veranstaltungen und nicht ohne große Anstrengung gelang es den Behörden, die Einschleppung der Krankheit monatelang zu verhüten; nachdem dieselbe aber dennoch in das Preußische Gebiet, und zwar zuerst, am Ende des Monats Mai dieses Jahres, nach Danzig sich eingeschlichen hatte, war man fortwährend auf Maaßregeln bedacht, um der Seuche gleichsam Schritt vor Schritt das Vordringen zu erschweren, auf dem von ihr gewonnenen Terrain aber wenigstens ihre Ausbreitung möglichst zu beschränken, und die Zahl der ihr verfallenen Opfer zu mindern. Schon Tausende von Bürgern verdanken einzig und allein diesen Maaßregeln ihre Erhaltung, wie die Vergleichung mit den Verheerungen der Krankheit in Ländern und Städten, wo dergleichen Veranstaltungen unmöglich, oder unterlassen wurden, auf das Bestimmteste ergiebt. Das günstige Resultat dieser Vergleichung aber ist es auch, was die Staats- und Communal-Behörden bestimmt hat, ihre Anstrengungen zu verdoppeln und mit Zuversicht erwarten läßt, daß die Einwohner durch Fügsamkeit und Willfährigkeit in Befolgung der angeordneten Vorkehrungen, zu ihrem eigenen und ihrer Mitbürger Besten, den Erfolg der getroffenen Einrichtungen sichern, und den Behörden ihr schweres Amt helfend erleichtern werden. aus: Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comite für Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin, Anlage A: Belehrung über die gegen die ansteckende oder asiatische Cholera anzuwendenden Schutz-Maaßregeln und ersten Hülfsleistungen, Berlin 23. August 1831, S. 3. Verfahren in Betreff derjenigen Effecten, welche entweder erweislich in unmittelbare Berührung mit einem Kranken gekommen, oder in einer zwanzig Tage lang zu contumazirenden Wohnung befindlich sind. Alle giftfangende Dinge dieser Art müssen, so fern ihr Werth es nicht verbietet, verbrannt, oder tief vergraben, oder, wenn der Kranke verstorben ist, zu der Leiche in den Sarg gelegt werden. In Betreff derjenigen giftfangenden Effecten, welche nicht verbrannt und vergraben worden sind, ist folgendes Verfahren zu beobachten: a) Betten werden aufgeschnitten und die Federn zuerst einige Stunden lang in einem verschlossenen Kasten mit Chlorgas durchräuchert. Man kann sich hierzu einer jeden gut verschließbaren Leinwand-Kiste bedienen, in welcher sechs bis acht Zoll vom Boden zu beiden Seiten Leisten angebracht worden, auf welchen ein fein durchlöcherter Boden gelegt wird. Zwischen den beiden Böden wird eine verschließbare Öffnung angebracht, durch welche ein

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Gefäß mit Chlorkalk und Salzsäure in die Kiste geschoben wird. Ein Loth Chlorkalk und zwei bis drei Loth Salzsäure sind für eine große Kiste hinreichend. Die Federn werden auf den durchlöcherten Boden geschüttet, und nachdem die Kiste verschlossen worden, die Räucherung vier bis sechs Stunden lang fortgesetzt. Nach dieser Durchräucherung werden die Federn ausgekocht, getrocknet und endlich gekesselt. Das Bettzeug muß zuvörderst gebeucht (gebükt) u. gespült, demnächst aber in der schwachen Chlorkalksolution zwölf Stunden hindurch eingeweicht, hierauf abermals gespült und endlich mit Seife auf gewöhnliche Weise gewaschen werden. b) Matratzen werden aufgeschnitten, die Pferdehaare in einer verschlossenen Kammer ausgebreitet und drei Tage hindurch den Chlorräucherungen ausgesetzt, und hierauf mit bloßem Wasser gewaschen. Auf eben diese Weise werden die Pferdehaare von Polsterstühlen und Sophas behandelt. Seegras, wenn solches zum Ausstopfen von Matratzen gebraucht worden ist, muß verbrannt werden. c) Wollene Decken werden in einem verschlossenen Räume zwei und siebenzig Stunden lang mit Chlorgas durchräuchert und hierauf gewalkt. d) leinene Kleidungsstücke und Wäsche werden wie Bettzeug behandelt. e) Wollene und baumwollene Zeuge, Pelzwerk und dergleichen werden drei Tage hindurch mit Chlorgas durchräuchert. Die waschbaren Zeuge werden darauf mit Seife gewaschen. aus: Allerhöchstverordnetes Gesundheits-Comite für Berlin, v. Tippeiskirch, v. Bassewitz, Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruche der Cholera in Berlin, Anlage B: Anweisung zu dem die Zerstörung des Ansteckungsstoffes der Cholera bezweckenden Reinigungsverfahren (Desinfectionsverfahren), Berlin 23. August 1831, S. 7f. Während es dem Menschen unmöglich ist, die durch die allgemeine (kosmische oder tellurische) Verhältnisse entstandene epidemische Konstitution der Luft umzuändern, vermag er wohl die in die Atmosphäre aufgenommenen Krankheitsstoffe, so weit er sie erreichen kann, zu zerstören, namentlich durch Feuer und durch saure Dämpfe, als durch welche jede, krankhafte wie gesunde, Substanz des menschlichen Körpers zerstört und in ihre elementaren Bestandtheile zerlegt wird. Man würde demnach seinen Zweck durch Reinigung der Atmosphäre am sichersten erreichen, indem man durch jene Mittel die Beimischungen derselben, welche die Cholera hervorbringen, oder ihre Entstehung begünstigen, und die wir der Kürze wegen Krankheitsstoffe nennen, zerstörte. Allein zu bald erkennen wir auch hier die Grenzen unserer Macht. Unsere Brände und Räucherungen verhalten sich wie ein Tropfen zu dem Luftmeere, welches uns umgiebt; ihre Wirkung beschränkt sich auf einen engen Raum und auf den Augenblick ihrer Entwickelung, und da der Mensch in diesen Dämpfen nicht leben, also nicht fortdauernd sich mit ihnen umgeben kann, so muß er bald wieder Luft einathmen, die mit unzersetztem Krankheitsstoffe geschwängert ist. Das meiste Vertrauen hatte man zum Chlor, dessen Gebrauch man in Moskau weiter trieb, als irgendwo: man entwickelte Chlorgas in den Wohn- und Schlafzimmern, rieb Alles, was man berührte, Meubeln, Geld, Nahrungsmittel mit Chlorkalk, trug damit gefütterte Brustschilder, Handschuhe, Mützen und Mäntel, hielt auf der Straße Säckchen und Fläschchen mit Chlor vor Mund und Nase und - wurde dennoch von der Cholera befallen. Der Petersburger Medizinalrath hatte schon früher alles ausgesprochen, daß eine Umgebung mit Chlordämpfen nicht

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nur unnütz, sondern auch für die Gesundheit nachtheilig ist. Eine Explosion von Schießpulver durch Tausende von Kanonen- und Flintenschüssen müßte die Luft mehr erschüttern und reinigen, als das Brennen eines Holzstoßes; gleichwohl verbreitete sich die Seuche in der Schlacht bei Jganie über die polnischen Krieger. [...] Daß man, wenn man mit dem Gesichte sich dem Munde oder einem andern Theile des Kranken sich dicht nähern muß, den Athem anhalte, und erst, nachdem man sich wieder etwas von ihm entfernt oder das Gesicht von ihm abgewendet hat, von neuem Athem schöpfe, so wie auch, daß man in der Nähe des Kranken und Während des Sprechens mit ihm, den im Munde gesammelten Speichel nicht verschlucke, sondern auswerfe, gebietet schon der Instinkt, und dies eben spricht für die Nützlichkeit eines solchen Verfahrens. aus: K[arl] F[riedrich] Burdach, Belehrung für Nichtärzte Uber die Verhütung der Cholera. Im Auftrage der Sanitätskommission zu Königsberg verfaßt, Königsberg [Spätsommer] 1831, S. 10f., 17. Noch war die Cholera nicht hier, als man schon vielfach ihre Qualen empfand. Die graunhafte Furcht vor einem heran nahenden Unglücke ist ja meistens schrecklicher, als das Unglück selbst. Die Pest-Krankheit erschien und raffte ihre Opfer hin; die Hoffnung erstumpfte, die Angst steigerte sich und der ärztliche Beistand konnte nur wenig Rettung gewähren. Da ertönte gleich der Stimme des tausendkehligen Tadels: unsre Ärzte sind Fuscher! sind stolze Dummköpfe! sie verstehen nicht das Uebel zu heben, und versuchen nur, medizinisch und schnell an das Ziel des Lebens zu führen! - Man hatte leichtsinnig vergessen, daß nicht eine gewöhnliche Krankheit, sondern daß die Cholera-Peif eine wüthend verheerende Pest mit allen ihren Schrecken hier eingekehrt war, eine Pest, die vom Indus bis in das Land der heldenmüthigen Sarmaten rettungslos gemordet und, trotz der bedeutenden Summen, die zu ihrer Abwehrung verwendet und zu ihrer Ausrottung als Prämien gesetzt wurden, nicht von der edlen Heilkunde besiegt werden konnte. Das hatte der blinde Haufe vergessen und verlangte - Wunder! Wo nun leichtfertige Wünsche im Herzen entkeimen, da ist der Teufel schnell bei der Hand, den Wunsch zur That umzugestalten. Was bedurfte es hier übrigens großer Wunder; - wäre ein Charlatan aufgetreten und hätte den CholeraHirnpatienten Pechkugeln als Heilmittel angepriesen, gierig hätte man danach gegriffen und gesprochen: vielleicht hilft dieses; die Aerzte verstehen es doch nicht uns zu helfen! aus: Wilhelm Schumacher, Der Schuhmacher Ha[a]mann in Heubude, seine Wundertropfen wider die Cholera, und seine Beurtheiler. Nach Vernunftgründen und allen bisherigen Erfahrungen, zum Besten des Publikums kritisch beleuchtet und unparteiisch dargestellt, Danzig [Spätsommer] 1831, S. 3f. Wir leben in einer Zeit, wo zur Abwehrung einer heranahenden und uns umgebenden bösartigen Krankheit von vielen Einzelnen unrichtige Maßregeln getroffen werden. Viele unberufene, gutmüthige, aber unüberlegte und viele andere, auf Gewinn sehende Leute empfehlen stark wirkende Arzneien und allerlei Genüsse und Vorrichtungen, die jedermann ohne Befragen des Arztes schnell anwenden soll gegen Krankheiten, über die sie nie eine Erfahrung gemacht haben, welche sie selbst nicht zu unterscheiden verstehen, auf Autorität von Andern, deren Persönlichkeit sie nicht kennen, und die verschiedenartigsten Empfehlungen durchkreuzen und widersprechen sich auf eine dem kälteren, mit der medicinischen

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Wissenschaft vertrauten und jedem verständigen Zuschauer weh thuende Weise. Wissenschaftlich ganz unbekannte Namen stehen vor einer Menge von Recepten, die in alle Hauhaltungen getragen werden, und alle nüchterne Prüfung der empfohlenen Mittel und ihrer Protectoren hat bei einer großen Zahl sonst ganz verständiger, sowohl unwissenschaftlicher als wissenschaftlich gebildeter Leute aufgehört, und die sonst verachtete Empirie ist an die Stelle der Wissenschaft, der Führerin und dem Stolze der verständigen Menschen getreten. Eine solche, alles betäubende Angst, deren sehr schädliche Folgen ich, obwohl der medicinischen Praxis entsagend, doch in ihr ausgebildet, mit vielen der ruhigeren Beobachter vor Augen sehe, regt mich um so mehr an, Beispiele ähnlicher Umstände aus meiner Erfahrung mitzutheilen, die vielleicht zur Beruhigung manches Einzelnen und zur Aenderung manches übereilten, so wie zur Bestätigung des richtigen Benehmens beitragen [...]. Auf die Aehnlichkeit der Pest- und Cholera-Ansteckung bezieht sich auch die neulich wieder in den Zeitungen zur Sprache gebrachte und alte und veraltete Idee von kleinen unsichtbaren Insekten, welche durch ihren Reiz, Gift u.s.w. sie hervorbringen und durch ihre Vermehrung und Wanderung sie fortpflanzen sollen. Bei verschiedenen Völkern sind ähnliche Sagen uralt und einheimisch, wie die Geschichte vom giftigen Blick mancher Menschen, vom Drachen und von dem sonst so ernsten, jetzt so lächerlichen Hexen, Zaubern und Aussaugen der Seele. Linne, der gelehrte Reformator der Naturgeschichte, nahm, wahrscheinlich nur, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, diese fabelhaften Thierchen, welche die Pestblattern am bothnischen Meerbusen verursachen sollten, zuerst in die Naturgeschichte auf, gab ihnen die wurmförmige Gestalt und gelbliche Farbe der nordischen Sage und nannte sie mit dem naturhistorischen Namen, offenbar halb ernsthaft, halb scherzhaft, die höllische Furie (Furia infernalis). [...] Wie zu erwarten stand, ist dieselbe Idee von unsichtbaren giftigen Insecten auch auf die Ansteckung der Cholera schon übertragen worden, doch ist es nicht glaublich, daß Herr Hofrath Hahnemann den als käftiges krampfstillendes Mittel bekannten und vielfach gerühmten Kampfer deshalb empfehlen sollte, weil dieser die Insecten tödtet, folglich auch die Cholera bezwingen müßte, wie, gewiß durch ein Mißverständnis, aus der Leipziger Zeitung in die Vossische Berliner Zeitung im vergangenen Juny übergegangen war. Ich habe seit vielen Jahren auf Beobachtung der kleinsten in der Natur vorkommenden organischen Körper ein besonderes ernstes Studium gemacht und mir die besten Instrumente angeschafft und benutzt, aber weder irgend jemand hat vor mir, noch ich selbst habe je in der Luft befindliche kleine Körper wirklich beobachtet, welche jener Sage irgend ein Anhalten geben könnten. aus: Dr. C[hristian] G[ottfried] Ehrenberg, Ein Wort zur Zeit. Erfahrungen über die Pest im Orient und über verständige Vorkehrungen bei Pest-Ansteckung zur Nutzanwendung bei der Cholera, Berlin, Posen und Bromberg [Spätsommer 1831], S. 3f., 27f., 29f. Unter allen Krankheiten, die die Welt bisher heimsuchten, hat sich die Cholera den fürchterlichsten Ruf erworben und den meisten Schrecken verbreitet. Noch hat die Pest sich nicht ins Herz Europas gewagt, eben so wenig das gelbe Fieber, die Cholera scheint aber ihren Gang fortsetzen zu wollen, es mögen nun, wie viele behaupten, tellurische Einflüsse allein die Ursache der Entstehung und Verbreitung seyn, welches ich jedenfalls bezweifle, oder sie möge Epidemie seyn, oder sich durch Contagium fortpflanzen; genug, ein Conflict

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ungünstiger Verhältnisse begünstigt sie mehr, als bisher irgend eine verderbliche Seuche, die zur Strafe des Menschengeschlechts sich bisher gezeigt hat. Natürlich ist es, dass eine Krankheit, die so oft in ihrem Verlaufe fürchterlich schnell ist, unter Ärzten und Nichtärzten Befangenheit erweckt, dass man vieles sieht, was in der That nicht da ist, dass man jede Erscheinung mit Ängstlichkeit beobachtet, Kleinigkeiten, entweder aus Furcht oder Befangenheit, sie sey, welcher Art sie wolle, vergrössert, entstellt. Oft geschieht es, dass Ärzte bei vorgefassten Ideen, um die Richtigkeit derselben zu beweisen, alles herausheben, das zu bestäthigen, was für sie spricht, und Wichtigeres übersehen. aus: Dr. Adolph Schnitzer, Die Cholera contagiosa beobachtet auf einer in Folge höheren Auftrages in Galizien während der Monate Mai, Juni und Juli, und im Beuthner Kreise in Oberschlesien gemachten Reise, Breslau [Spätsommer 1831], S. 29f. In den Privatwohnungen lasse man, ehe man die Krankenzimmer betrit[t], besonders wenn sie niedrig, eng und unreinlich gehalten sein sollten, einige Zeit lang Fenster oder Thüren öffnen. Zu gleichem Zwecke dienen die Räucherungen mit salpetersauren oder Chlordämpfen. Zur Bereitung der ersteren schüttet man in eine Schaale aus Glas, Porzellan oder Steingut, etwa ein Loth fein pulverisirten Salpeter, und gießt nach und nach ein Loth weiße concentrirte Schwefelsäure hinzu, indem man das Gemisch mit einem Glasstabe öfters umrührt. Metalle, Holz, Stroh und thierische Substanzen müssen von der Berührung der Masse ausgeschlossen werden, damit sich keine rothen, den Lungen nachtheilige Dämpfe entwickeln. Zur Bereitung der Chlordämpfe nimmt man dagegen neun Theile gepulvertes Kochsalz, acht Theile pulverisirten Braunstein und sechzehn bis achtzehn Theile concentrirter Schwefelsäure, welche man mit eben so viel Wasser verdünnt hat. Das Pulver des Braunsteins und des Kochsalzes reibt man sorgfältig unter einander, bringt das Gemenge in eine Schaale von Glas, Porzellan oder Steingut, und schüttet dann die mit dem Wasser verdünnte Schwefelsäure hinzu. - Auch kann man das Zimmer einigemal täglich mit einer Auflösung von Chlorkalk (2 Loth auf ein Pfund Wasser) besprengen. Es darf jedoch die Entwickelung des Chlorgases in der Regel nur in Zimmern vorgenommen werden, die von den Bewohnern zur Zeit verlassen worden sind, und jedenfalls nicht zu dem Grade gesteigert werden, daß dadurch das Athmen erschwert, Husten veranlaßt und die Lungen angegriffen werden. aus: [Anonym.] Anweisung zur Erhaltung der Gesundheit und Verhütung der Ansteckung bei etwa eintretender Cholera-Epidemie, Breslau, [Spätsommer] 1831, S. 11 f . Man verbanne alle Furcht und Angst und sei ruhigen und heitern Gemüths, ohne auf der andern Seite in Sorglosigkeit und Leichtsinn zu verfallen. Vernünftige Vorsicht ist wie immer, auch hier von Nutzen. Aus bloßer Neugier sich in die Krankenzimmer drängen oder mit abgesonderten Personen in unerlaubten Verkehr treten, ist eine Handlung, deren Strafe nicht selten auf dem Fuße folgt. Derjenige aber, den Beruf oder Menschenpflicht zum Kranken führen, kann und soll ohne Furcht sein. Wie überhaupt aber Niemand ganz nüchtern ausgehen soll, so können sich auch diejenigen, die mit Cholerakranken umgehen und ihnen beistehen müssen, vor Ansteckung schützen, wenn sie nicht nüchtern und ohne etwas Käftiges, z.B. eine Kümmelsuppe, Bier- oder Weinsuppe, einen Schluck Kümmel, Wacholder-

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oder bittern Branntwein, genossen zu haben, sich zu dem Kranken begeben, auch allenfalls etwas Essig manchmal in den Mund nehmen oder etwas Kalmus- oder Angelika-Wurzel kauen. Dabei muß für die möglichste Reinlichkeit und Lufterneuerung in den Krankenstuben Sorge getragen werden, und derjenige, der dieselben wieder verläßt, muß zu seinem eigenen und zum Schutze seiner Mitbürger sich selbst und seine Kleider gehörig reinigen lassen. aus: [Anonym.] Anleitung zur Verhütung und vorläufigen Behandlung der asiatischen Cholera, Berlin [Spätsommer 1831, Flugblatt], Es fragt sich endlich noch, welches medicamentöse Präservativ außer dem diätetischen Verhalten als Vorbeugungsmittel gebraucht werden könne? Gegen die Ansteckung und zur Reinigung der Atmosphäre auf Hausfluren oder in Zimmern, welche von verdächtigen Personen besucht werden oder welche mit inficirten Häusern in einiger Verbindung stehen, sind die Chlor-Räucherungen schon hinreichend empfohlen. Zuverlässige Präservative kennen wir leider nicht, unter denen aber, welche empfohlen werden und welche sich nützlich erwiesen haben sollen, würde ich am meisten dem vom Fürsten Lobcowitz in Lemberg mit Erfolg an seinem ganzen Hausstand erprobten Mittel vertrauen. Es besteht dieses in einem Pflaster von Fichtenharz welches auf der Herzgrube getragen wird, und zugleich die Magengegend bedeckt und in dem täglichen Einvernehmen von einem oder zwei Tropfen Kamillen- oder Pfeffermünzöl in lauwarmen Thee des Morgens früh. Statt des sehr theuern und schwer ächt zu habenden Kamillenöls möchte das Cajaputöl, vielleicht auch das Terpenthinöl, substituirt werden könne. aus: Dr. [August Wilhelm] von Stosch, Vorschriften wie man sich während des Herrschens der Cholera zu verhalten und wie man die von derselben befallenen Kranken in dem ersten Zeiträume der Krankheit zu behandeln hat, [Berlin, Spätsommer 1831 ], S. 14f. Leichenöffnungen dürfen nur mit Vorsicht unternommen und sie müssen so viel wie möglich im Freien, und nur, nachdem früher der ganze Leichnam mit Chlorkalkauflösung bespritzt oder befeuchtet worden ist, verrichtet werden. Auch die Eingeweide in den geöffneten Höhlen muß man, ehe sie näher untersucht werden, mit einer Auflösung von Chlorkalk übergießen. Der Obducent darf keine Verletzung an den Händen haben, muß mit einem Mantel von Wachsleinwand bekleidet sein, und sich nach der Obduktion mit einer Auflösung von Chlorkalk waschen, so wie auch der Mantel und die bei der Obduction gebrauchten Geräthschaften, auf gleiche Weise gereinigt werden müssen. - Sollte sich der Obducent bei der Obduction zufällig verletzen, so lasse er die Wunde ausbluten und wasche sie sodann mit eine Chlorkaltsolution aus. aus: Kurze Anweisung zur Erkenntniß und Heilung der Cholera. Zweite Ausgabe. (Nach den neueren Erfahrungen), Berlin [Spätsommer] 1831, S. 19. Die chemisch wirkenden Mittel, welche bei einer Choleraepidemie äußerlich angewendet werden, vermögen die schon zum Ausbruch gekommene Krankheit an und für sich nicht zu heben, sie sind aber insofern von der größten Wichtigkeit, als sie die Gefahr der Weiterver-

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breitung der Krankheit, durch Berührung oder durch Ausdunstung, wesentlich vermindern können; denn sie haben die Eigenschaft, den durch dieselbe erzeugten, an Personen und Gegenständen haftenden, oder in die umgebende Luft ausgedunsteten, giftigen Anstekkungsstoff wirklich zu zerstören. aus: [Anonym], Anweisung Uber die Bereitung und Anwendung des Chlors als Schutzmittels gegen die Ansteckung durch Choleragift, Berlin [Spätsommer] 1831, S. 3. Sowohl im Wasser als in der Luft bildet sich elektrische und magnetische Materie. Beide gehen in den menschlichen Körper vermittels der Nahrung oder des Einathmens durch die Lunge und die Haut ein. In beiden Fällen senken sie sich mit in den Unterleib. Gewöhnlich entzünden sich beide in der Luft durch Blitz und Donner, auch öfters durch unmerkliche Entzündung, und werden dadurch für Menschen und Thiere respirabel. Geschieht dies in einem großen Striche der Atmosphäre nicht, oder treten sie aus ihrem Equiliber, so, daß der elektrische Stoff sich mit einer zarten Erde verbindet und verkohlt, da entstehen leicht PestArten; tritt dazu der fixe Luftstoff, was selten zu seyn scheint, weil er wahrscheinlich immer von dem Wasser absorbirt wird, da entsteht der Magnet oder Cholerastoff. Franklin erfand den Blitzableiter, indem er bemerkte, daß eine ungeheure Masse solcher entzündeten Materie von einem geringen Stück Metall, besonders von dem Eisen unabänderlich angezogen werde. Der Donnerschlag entsteht nun, nach meiner Angabe, aus entzündeter elektrischer und fixer Luft, oder, was dasselbe ist, aus Magnetstoff. Da nun der Cholerastoff, wie ich behaupte, aus dem Magnetstoffe besteht, was ist wohl natürlicher, als daß er ebenfalls von dem Eosen am stärksten angezogen werden müsse, und zwar schon in bedeutender Masse. Wenn sich nun ferner obige zwei Stoffe, außer Magen, Lunge und Herz, besonders in den Unterleib senken, so müssen sie natürlich grosse Verwüstungen anrichten. So lange sie da als Gase oder Dämpfe bestehen, so ziehen sie sich nach dem Centrai-Punkte des LuftSystems, nämlich nach dem Nabel zu. Die respirable Luft entweicht dadurch, die fixe Luft aber, besonders wenn sie mit elektrischer verbunden ist, und die entzündete Masse gar nicht. Ist es daher nicht der Natur gemäß, auch den Cholerastoff durch einen eisernen Abieiter, den man auf den Nabel applicirt, aus dem menschlichen Körper zu ziehen, da der Cholerastoff nach meiner Ansicht ganz das Nämliche, was der Donnerschlag ist? Dies ist das einzige Universalmittel, was mir zur Tilgung der Cholera das wichtigste zu seyn scheint, und was sich auch durch einen Versuch, die fixe Luft aus dem Körper zu ziehen, schon bestätigt hat. aus: J[ohann] G[ottlieb] Siegmeyer, Betrachtungen über die Natur der Cholera. Mit Hinweisen auf die möglichen Heilmittel nach physischen und chemischen Gründen, Berlin [Spätsommer] 1831, S. 25f. Aus dem Orient, von dem Europa seine Bevölkerung und seine Kultur, aber stets auch sein verheerendsten Pestkrankheiten erhielt, rückt nunmehr auch in der Gegenwart eine neue bösartige Epidemie uns immer näher, von deren vorangegangenem Schreckensruf einige Regierungen fast mehr noch als von den neuesten politischen Erschütterungen in Bewegung gesetzt worden. Wie eine vom zürnenden Himmel gesandte Geißel der Menschheit, ihre heillosen Klagen über Ueberbevölkerung zu bestrafen, mit welchen man nur gegen den Plan des ewigen Weltengeistes sündig zu murren wagt, dringt die cholera indica gleich frühern Weltseuchen: der schwarze Tod, die Influenza, u.s.f. von Osten her, als wolle sie mit der

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ewigen Ruhe jenen von Westen ihr entgegenkommenden Geist kriegerischer Unruhe bekämpfen. Denn fürwahr, es ist mehr, weit mehr als eine bloße Vermuthung bei Kieser, Schnurrer, u. Α., daß zwischen den politischen Schicksalen des Menschengeschlechts und den so häufig mit ihm conflictirenden aussergewöhnlichen Ereignissen ein tiefer Zusammenhang sei. [...] Doch wozu gewaltsam den Schleier über der Zeiten Hintergrund lüften! Wie sich auch die finstern, zwischen Furcht und Hoffnung schwebenden Gewitterwolken am düstern Himmel unseres Welttheils erheben, und den wahren Menschenfreund um das Endresultat dieser so vielfach bewegten, schweren Zeit tief besorgt machen, so mögen wir doch die Constellation nicht so furchtbar uns [vorstellen. Wir wollen vielmehr mit ruhiger Zuversicht gottvertrauend auf die Zukunft hinsehen; denn mit der doppelten Zwingherrschaft der Pest und des kriegerischen Aufruhrs - kann und wird das Schicksal uns nicht heimsuchen wollen: Dii prohibete minas. Dii talem avertite casum! aus: Dr. J[ohann] J[acob] Sachs, Allgemeine Lehren von den epidemischen und ansteckenden Krankheiten, insbesondere der Cholera, und den zu ihrer Hemmung oder Minderung geeigneten Maaßregeln, Berlin [Spätsommer] 1831, S. Illf., 64. 1) Man beobachte Mäßigkeit in jedem Genüsse. 2) Man vermeide sauere, sehr fette, sehr blähende, schwerverdauliche Speisen, fette Fische, Krebse, fette Mehlspeisen, alten Käse, Gänse- und Schweinefleisch, Aale, Lachs, fette Würste; Gänse- und Schweineschmalz, Leber und das Gehirn von Thieren, Neunaugen, Bücklinge, Stockfisch, Weißfische. Man vermeide ferner: Unreife Früchte, auch vielen Genuß rohen Obstes und Feigen. Besonders esse man keine Melonen, keine Gurken, weder als Salat, noch geschmort, überhaupt keinen Salat; keine Pilze, keine Champignons, keine Morcheln, Trüffeln, fetten Kuchen, harte, Rühr- und Setz-Eier. Man genieße keine Buttermilch, kein sauer gewordenes Bier, nur wenig Branntwein, wenn man daran gewöhnt ist; auch den besten Wein nur sehr mäßig. 3) Man arbeite fleißig in seinem Berufe fort, strenge sich aber nicht über seine Kräfte an. 4) Mache sich täglich Bewegung im Freien, wenn man irgend Zeit und Kräfte dazu hat, und die Witterung nicht gar zu stürmisch ist. 5) Nehme wöchentlich l-2mal ein lauwarmes Bad von Kalmus- und Angelika-Wurzeln (von erstem nehme man 4 Unzen, von den letztern 2 Unzen) und 6 Loth Rauten-Kraut, eben so viel Camillenblumen und 1-2 Loth Salzsäure. 6) Man reibe täglich des Morgens den ganzen Körper mit Flanell, der vorher mit Bernstein, Weihrauch, Mastix und Myrrhen (von einem jeden kann man gleichviel nehmen) durchräuchert worden ist; vermeide aber dabei sorgfältigst Erkältung. Wer das Schneidersche Badespind bisher schon gebraucht hat, der gebrauche dasselbe fort, frottire sich aber auch nachher noch tüchtig auf die eben angegebene Weise. 7) Man halte auf eine tägliche, gute Leibesöffnung und brauche, im Falle sie nicht gehörig erfolgt, die von dem Arzte zu verordnenden Arzeneien. 8) Man cultivire einen guten Schlaf; gehe zeitig zu Bette, und stehe nicht zu zeitig und nicht zu spät auf. 9) Man schone in jeder Beziehung, wo es nur seyn kann, ohne seine Berufspflichten zu verletzen, seine Kräfte; vergeude sie ja nicht aus Vergnügungssucht u.s.w.

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10) Man kleide sich der Jahreszeit und Witterung angemessen, lieber zu warm als zu kalt, und halte besonders den Unterleib und die Füße warm. 11) Man sorge für eine gesunde Wohnung, ziehe in kein frisch gebautes Haus und meide frisch geweißte Zimmer; halte ganz vorzüglich auf Reinlichkeit und tägliche mehrmalige Reinigung der Luft, durchs Oeffnen der Fenster und Räucherung mit aromatischem Essig. Ist ein Cholerakranker im Haus, so räuchere man alle Fluren und Zimmer, in denen man nicht gerade sich befindet, mit Chlordämpfen aus Braunstein, Kochsalz und Schwefelsäure u.s.w., nach den bekannten Vorschriften hierzu. 12) Man wasche sich vor dem Ausgehen aus dem Hause, jedesmal, mit aromatischem Essig oder einer Chlorkalkauslösung, Hände und Gesicht; und eben so wieder, wenn man nach dem Hause gekommen ist, ehe man in den Kreis seiner Familie tritt, in einem abgelegenen Zimmer, kleide sich auch wohl um; mindestens wechsele man das Oberkleid und spüle sich den Mund aus. 13) Man trage möglichst Sorge, daß man nicht mit Personen und Sachen in Berührung komme, die um Cholerakranken gewesen sind; in sofern die Berufspflicht nicht dazu nöthige. ad II. 14) Man schaffe sich einen solchen Dampf-Apparat an, den man dem Zwecke am entsprechendsten findet, und halte außerdem noch folgende Sachen und Medikamente vorräthig: a. 2 große wollene Decken; b. einige Ellen Flanell zum Reiben des Körpers; c. einige englische Fleischbürsten; d. einige Spucknäpfe von Steingut, und Glasstäbe zum Behufe der Räucherungen mit Chlor, u.s.w.; e. eine Badewanne, f. eine Klystirsprütze. g. Die Räucherungs-Mittel, als: aa. guten Weinessig 2 Quart; bb. Gewürzessig 1 Quart; cc. Chlorkalk 2 Pfd.; dd. Braunstein 1/2 Pfd.; ee. Küchensalz 2 Pfd., ff. saures schwefelsaures Kali 1/4 Pfd.; gg. Salpeter; hh. Schwefelsäure, concentrirte, 1 Pfd. h. Die Kräuter und andere Species zum Dampfbade, als: gestoßenen schwarzen Senf 1/2 Pfd.; Knoblauch und Bollen 1/4 Metze; Meerrettig 2 bis 3 Stangen; Pfeffer 1/2 Loth, Ingver 1 Loth; Kampher (pulverisirten) 2 Loth; Chamillen-Blumen 1 Pfd.;

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Panik-Kurve - Berlins Cholerajahr 1831/32 Pfeffermünze 1/2 Pfd.; Krausemünze 1/2 Pfd.; Melisse 1/2 Pfd.; Fliederblumen 1 Pfd.; Angelikawurzel (gröblich gestoßene) 1/4 Pfd.; Wacholderbeeren 1/2 Pfd.; Mastix 2 Loth; Weihrauch 2 Loth; Myrrhen 2 Loth; Bernstein-Pulver 2 Loth; i. Blasenpflaster 1/2 Loth; k. Blutigel 20 Stück; 1. rektisirten Weingeist 1/2 Quart; m. eine Flasche guten feinen Medok; n. Zimmtrinden-Pulver 1/2 Loth, ο. Salep und p. Arrow-Root-Mehl, von einem jeden 2 Loth; q. Stärkemehl 6 Loth; r. Angelika-Spiritus, zusammengesetzten, 12 Loth; s. scharfen Salmiakgeist 2 Loth; t. Hofmanns-Lebensbalsam 1 Loth; u. Oliven- oder süßes Mandelöl 1/2 Pfd.; v. concentrirte und gut im Glase verwahrte Salpeter-Säure 2 Loth.

Ferner: folgende innerliche Mittel, die meist nur der Arzt anwenden darf, und die man nur darum vorräthig halten muß, damit er gleich diejenigen dem Kranken reichen kann, die er angezeigt findet: aaa. ein Brechmittel, bestehend aus 8 Pulvern, wovon ein jedes 10 Gr. Ipecacuanha, eben so viel Arrow-Root-Mehl und Zucker enthält, und mit der gehörigen Signatur: „Brechpulver aus 10 Gran Ipecacuanha" versehen ist; bbb. Brechwein 6 Loth; ccc. acht Pulver, ein jedes aus Ipecacuanha 1/8 Gr. Kampher 1 Gr. Zucker 10 Gr. bestehend, ddd. mit Safran bereitete Opium-Tinktur 1/2 Quentchen; eee. ätherisches Chamillen-Oel 1/2 Quent.; fff. Cajeput-Oel 1/2 Quent.; ggg. Phosphoräther 1 Quent.; hhh. Hofmanns-Tropfen 1 Quent.; iii. Russischen Rharbarber (gepulvert) 1 Quent.; kkk. 8 Stück von dem Dr. Leoschen Pulver, von denen ein jedes 3 Gr. Magisterium bismuthi und 10 gr. Zucker enthält.

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Alle diese inneren Mittel müssen gehörig signirt, in einem wohl verschlossenen Kasten so geordnet aufbewahrt werden, daß man gleich mit einem Blick die Signatur eines jeden einzelnen Mittels übersetzen kann. Einen solchen Kasten kann man dann wohl mit Recht einen „Rettungskasten" nennen. 15) Noch ein Vorschlag fällt mir eben ein, und der ist: daß man bei Zeiten daran denke, wo man im Falle der Noth gleich frische Brennesseln bekommen kann; indem diese sehr gut gebraucht werden können, wenn die Haut des Kranken, nach allen gebrauchten Mitteln, nicht in Thätigkeit kommen will. 16) Außerdem wäre wohl auch als Vorrath ein galvanischer Apparat und eine Elektrisirmaschine für manche Fälle wünschenswerth. 17) Man sorge ferner im Voraus für gute Krankenwärter und Wärterinnen, im Falle man von eigenen Familiengliedern selbst nicht gepflegt werden kann. aus: Dr. L[eonhard] G[ottfried] Mangold's guter Rath für seine lieben Freunde und Bekannten wegen der asiatischen Cholera-Krankheit, Berlin [Spätsommer] 1831, S. 6 f f .

Einem unsichtbaren Würgeengel gleich schreitet die furchtbare, noch unerforschte Krankheit langsam, doch unaufhaltbar nach Westen fort, und scheint, dem schwarzen Tode gleich, einer Epidemie, welche 1348 bis 50 wüthete, ganz Europa durchziehen zu wollen. Sie verschont kein Alter, kein Geschlecht, überall fordert sie ihre Opfer, und verhältmäßig nur wenige vermag die ärztliche Kunst ihren Klauen zu entreißen. Aber, dem Himmel sei Dank, auch um von ihr ergriffen zu werden, gehört, wie zu allen übrigen Krankheiten, eine eigne Disposition, und diese Anlage wird, außer durch Erkältung und deprimierende Gemüthsaffecte, als Angst, Schreck und Furcht, am häufigsten durch fehlerhafte Diät erzeugt. Ja, es sind sogar mehrere Erfahrungen aufgezeichnet, wo Kranke, welche die asiatische Brechruhr schon glücklich überstanden hatten, in der Reconvalescenz einen Diätfehler begingen, nun zurückfielen und ein Raub des Todes wurden. aus: [Anonym.] Unentbehrlicher Rathgeber für Alle, welche sich durch zweckmäßige Diät in Bezug auf Speisen und Getränke vor der asiatischen Cholera schützen wollen. Von einem praktischen Arzte, Berlin, Stettin undElbing, [Spätsommer] 1831, S. 1.

In einer der letzten Lemberger Zeitungen befindet sich folgendes Schutzmittel gegen die Cholera. Ein Leder in Herzform, eine Spanne breit, 3/4 Spanne lang, wird mit Tannen- oder Fichtenharz dünne bestrichen, über Kohlenfeuer heiß gemacht und auf den Magen gelegt, (und zwar der obere Ausschnitt des Pflasters kommt auf die Magengrube), wo man es fortwährend liegen läßt. Nebenbei nimmt man täglich 1, höchstens 2 Tropfen ätherisches Kamilenöl auf Zucker. Frauen können sich statt des letztern täglich mehrmals der KrausemünzBonbons und des Krausemünzthees bedienen. Der in Lemberg residirende Civil-Gouverneur von Gallizien, Fürst Lobkowitz, ist durch dieses Präservativ nebst seiner ganzen Familie und vielen anderen Personen von der Cholera befreit geblieben, während der Militair-Gouverneur von Stutterheim, der es verschmähte, sammt seiner Gemahlin, Kindern und Dienerschaft ein Opfer der furchtbaren Krankheit

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wurde. Ueberhaupt ist in Lemberg kein Fall vorgekommen, daß Jemand, der dieses Schutzmittel gebraucht, von der Cholera befallen worden wäre. Lty, Präservativ gegen die Cholera, in: Königsberger Wochenblatt. Für Novellistik, Literatur, Kunst und Theater, Nr. 68, 24. August 1831, S. 543. Befällt die Cholera ihr bejammernswürdiges Opfer nach einem groben Diätfehler, dem sich Erkältung vielleicht noch zugesellte, ergreift sie ein älteres Subjekt, einen Trinker oder einen durch große Anstrengungen, Ausschweifungen, deprimirende, psychische Eindrücke Geschwächten, oder hat sie schon mehrere Stunden gedauert, oder äußert sie sich in Folge uns vielleicht unbekannter atmosphärischer oder tellurischer Einflüsse gleich im ersten Angriff gefahrdrohender, wüthender, zerstörender, so daß der Puls gänzlich fehlt, auch im Bade gar nicht oder nur auf kurze Zeit wiederkommt, die Kälte Eiseskälte und allgemein, die Haut blaumarmorfleckig und an den Extremitäten in Runzeln gelegt ist, der Kranke sich unruhig hin und her wirft, die Entkräftung bis zur Ohnmacht, bis zum Zusammensinken, Zusammenstürzen gesteigert wird, die Respiration schon erschwert, die Harnabsonderung ganz gehemmt, die Ausleerungen nach oben nur wie Fleischwasser, nach unten nur mandelmilchartig sind, der Leib eingezogen ist, dann gilt es mit der Schnelle des Blitzes den ganzen Reiz-Apparat in Bewegung zu setzen. Hoher Grad der Cholera ist beginnender Tod, dem man in voller Rüstung entgegen treten muß. aus: Dr. Ernst Barchewitz, Die Behandlung der Cholera in ihren verschiedenen Perioden und Graden, Danzig [24. August] 1831, S. 17f. Ew. Excellenz habe ich die Ehre, die gehorsamste Anzeige zu machen, daß ich, als praktischer Arzt in Hamburg ansässig, mich seit längerer Zeit besonders damit beschäftigt habe, die Cholera unschädlich zu machen. In einigen Schriften, worin ich mich über die Natur des Übels ausgesprochen, habe ich den Satz aufgestellt, daß es weit leichter sey, ansteckende Krankheiten zu verhüten, als zu heilen; - zugleich aber auch möglichst dargethan, daß die Materie der anst. Krankheiten in Thierleben besteht. Alle anst. Krankheiten siedeln, in ihrem ersten Entstehen, nur da an, wo Anhäufungen animalischer und zersetzender Pflanzenstoffe mit Nässe, Nässe und Fäulniß in einer räumlich abgesperrten atmosphärischer Luft vorherrschen. Seit einer Reihe von Jahren habe ich beobachtet, daß die anst. Krankheiten sich durchgehende aus der niederen Volksklasse erzeugen und wenn sie hier einen gewissen Grad und Bösartigkeit erlangt haben, so besitzen sie die Fähigkeit, auch auf reinliche und gesunde Individuen einzuwirken. An der Cholera nehmen wir es besonders wahr, daß sie nur da ihren Herd aufschlägt, wo Mischungs-Verhältnisse solcher Stoffe, die wir mit dem Namen „unreinlich" belegen, vorherrschen [...]. Ew. Excellenz werden aus dieser kleinen Relation geneigtest entgegen nehmen, daß ich zur Vernichtung der Cholera von dem einfachen Grundsatz ausgegangen bin, dies Übel, das in der Pflanzschule der Unreinlichkeit geboren ist, mit dem einfachen Gegenmittel „Gründliche Reinlichkeit" gänzlich zu zerstören. Um dem Zwecke der Sache vollkommener, wie bisher, zu unterstützen, habe ich einen höchst einfachen und leicht zu transportirenden Purifications-Apparat erfunden, denselben

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ich durch viele praktische Versuche geprüft und ihn hinsichtlich seiner Construction und Nutzanwendung für ganz zweckmäßig gefunden, so daß es wagen darf, öffentlich damit aufzutreten. aus: Carl Barrie's an Friedrich Wilhelm v. Arnim, Berlin, 24. August 1831 (Abschrift), in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam), Rep. 30, Berlin C, Königliches PolizeiPräsidii zu Berlin, Medicinalia, Nr. 6962.

Die Frage, welche Vorsichts-Maaßregeln bei Beerdigung der, an der Cholera verstorbenen Personen genommen werden müßten, würde hauptsächlich zuvörderst einer ängstlichen Erörterung abermals übergeben werden müssen, da es hauptsächlich darauf ankommt: 1.) wie weit die Leichen in Särgen verschlossen, 2.) die Särge selbst, da sie aus inficirten Orten kommen, die Ansteckung verbreiten können, 3.) das Begraben vieler, an der Cholera verstorbenen Personen auf einem Platze und zwar auf solchen Kirchhöfen, die innerhalb oder dicht bei der Stadt, also in sehr bewohnten Gegenden liegen, die Ansteckung überhaupt befördern oder doch wenigstens sonst der Gesundheit der Stadt nachtheilig ist. Bei meinem jetzigen Gutachten glaube ich von dem Gesichtspunkt ausgehen zu müssen, daß besonders die Leichen und aller nur damit in Berührung gekommenen, die überhaupt zwar nur bedingungsweise Ansteckung doch in einem hohen Grade besitzen. Dann würde ich besonders in der Hauptsache es ganz unzulässig halten, die, an der Cholera Verstorbenen auf den gewöhnlichen Parochial-Kirchhöfen zu beerdigen. aus: [Friedrich Wilhelm Leopold] v. Bärensprung, [Denkschrift]. Berlin, 25. August 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 243.

Heute früh ist mittelst Estafette aus Posen von dem Chef des Generalstabs General v. Clausewitz die Meldung eingegangen, daß der Generalfeldmarschall Graf v. Gneisenau am 24., nachdem er bereits vor mehreren Tagen Anfälle vom Schlage verspürt, nach welchen sich eine heftige Diarrhöe eingestellt, an Folge eines wiederholten Nervenschlag-Anfalls mit Tode abgegangen ist. Es wird ausdrücklich bemerkt, derselbe sey nicht an der Cholera verstorben. Dieser unerwartete Todesfall erregte in der ganzen Stadt große Sensation und mannigfache Theilnahme. [Anonym.] Berlin, 25. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 242, 30. August 1831, S. 967.

Das gestern hier bekannt gewordene Ableben des Feldmarschalls Grafen v. Gneisenau zu Posen wird allgemein tief betrauert. Der Verstorbene war nicht nur als Feldherr ausgezeichnet, sondern auch ein edler Mensch voll Güte und Wohlwollen. Er hatte eine anhebende Unpäßlichkeit nicht geachtet, sondern sich zu Pferde gese[t]zt und durch den Ritt stark erkältet, worauf ein Nervenschlag erfolgte. Das Gerücht machte daraus gleich die Cholera. [...] Die Cholera rü[c]kt mit langsamen Schritten immer näher, und wird uns bald erreicht

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haben. Man ho[f]ft wenigstens ihrer Heftigkeit und Ausbreitung durch alle möglichen Hülfsanstalten Schranken zu se[t]zen. aus: [Anonym.] Berlin, 26. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 243, 31. August 1831, S. 969f. Aus Posen ist die traurige Nachricht eingegangen, daß Se. Excell. der königl. Preuß. Feldmarschall, Graf v. Gneisenau, welcher sich schon seit einiger Zeit unwohl befand, am 24. mit Tode abgegangen ist. Se. Majestät der König und mit ihm das Heer und ganz Preußen, werden den großen Verlust schmerzlich empfinden, den sie in diesem ausgezeichneten Feldherrn erleiden. Er starb in seinem 73. Jahre. Nach den neuesten Berichten über die Cholera ist dieselbe im Regierungs-Bezirk Königsberg auch in Liedstadt im Kreise Mohrungen ausgebrochen. Im Reg.-Bez. Marienwerder sind im Marienwerderschen Kr. zu Dzierondzno, im Straßburger Kreise zu Golkowo, Vorwerk Gollub, Stadt Lautenburg, im Schwetzer Kreise in Schwetz, Parowo und Salescka Spuren der Cholera vorgekommen. In diesem Reg.-Bez. sind überhaupt bis jetzt 73 Menschen erkrankt und 57 gestorben. In Thorn und seinen Vorstädten sind bis zum 16. Aug. 94 Personen an der Cholera erkrankt und 69 gest. In Posen erkrankten am 20. Aug. 14, gen. 8, starben 9; am 21. Aug. erkr. 19, gen. 1, starben 11; am 22. Aug. erkr. 13, gen. 8, starben 10. Ueberhaupt waren bis zu diesem Tage erkrankt 619, gen. 201, gest. 366. 52 blieben noch krank. Im Reg.-Bez. Posen sind neuerdings 123 Menschen erkr. und 70. gest. Im Reg.-Bez. Bromberg sind in Bromberg und in der kujav. Vorstadt 9 Menschen erkrankt und 6 gest., 3 blieben noch krank. Im Wirsitzer Kreise sind bis zum 31. Aug. 140 Menschen erkr., 41 gen., 66 gest. und 33 blieben noch krank. Im Bromberger Kreise sind, ohne in Bromberg, 6 Menschen an der Cholera gestorben. Im Reg.-Bez. Oppeln sind im Beuthner Kreise bis zum 17. Aug. 138 Menschen an der Cholera erkr., 24 gen., 73 gest. und 41 noch krank. Im Kreise Pietz sind bis zu demselben Tage 14 Menschen erkrankt, 9 gest., 2 genesen und noch 3 krank. In Königsberg waren bis zum 18. Aug. 858 an der Cholera erkr., davon 475 gest. und 249 genesen; 134 blieben noch krank. Vermischte Nachrichten, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 199, 26. August 1831, [S. 7]. § 1. Es kömmt hierbei zuförderst darauf an, daß die Einschleppung des Ansteckungsstoffes in die Aufenthaltsorte Sr. Majestät möglichst verhütet werde. Dieser Zweck ist nur dadurch zu erreichen, daß 1. Diese Orte, Charlottenburg, das Palais in Berlin, Potsdam, u.s.w. mit Wachen umstellt werden, durch welche der unmittelbare Eintritt in den umschlossenen Räumen Jedermann verwehrt wird. 2. Daß die nöthigsten Umgebungen Sr. Majestät und die zur inneren Wache benöthigen Militairs in diesen Raum mit eingeschlossen, und von jedem unmittelbaren Verkehr mit Menschen, Waren und Thieren abgeschnitten werden. 3. Daß die Verpflegung der Eingeschlossenen und jeder Verkehr derselben nach außen nur rastellmäßig vollzogen werde.

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Steigerung: „Cholera ad portas" §2.

Nachdem Sr. Majestät zu Ihrem dauernden Aufenthalte das Schloß zu Charlottenburg zu bestimmen geruht haben, wird hiernach das Königl. Schloß in Charlottenburg, sammt Garten und Schloßhof, längst der Chaussee, welche nach Spandau führt, dem Wege nach Moabit, der Thore und Gartenmauern mit Einschluß des nächstgelegenen Kaffeehauses /:Museau:/ und der Ausspannung in der Art zu cerniren sein, daß die innere Bewachung durch diejenigen Mannschaften, welche in dem eingeschlossenen Räume selbst und vorzugsweise in der zu diesem Behufe zu miethende Ausspannung untergebracht sind, die äußere dagegen, durch die Garde du Corps bewirkt wird. aus: v. Thiele, Rust. Bestimmungen, nach welchen die Anstalten zur Sicherstellung der allerhöchsten Person Sr. Majestät des Königs fär den Fall, daß die Cholera in Berlin ausbrechen sollte, getroffen sind. Berlin, 26. August 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η L, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 62. Für die Herren Doctoren, Prediger, Lazareth- und Contumaz-Beamten empfiehlt nur nach Vorschrift angefertigte Schutzmittel gegen die Cholera, als Mäntel, Beinkleider, Masken, Mützen, Badekappen, Handschuhe und wirkliche Cholera-Leibbinden, den russischen ganz gleich, da sie weder gewebt, gestrickt noch genäht sind, so wie auch Cholera Röcke, welche höchst nothwendig sind, um die, dem Cholerakranken hülfeleistenden Personen vor Ansteckung zu bewahren, für Herren und Damen; Cholera-Handschuhe zum Frottiren des Körpers nebst den dazu erforderlichen Decken, welche ich anzufertigen von mehreren der ersten Herren Aerzte beauftragt worden bin, habe ich in bedeutendem Vorrath, und nehme ich überhaupt jede Bestellung von außerhalb auf sämmtliche genannte Gegenstände an, und führe dieselben in einzelnen, wie auch für ganze Lazarethe auf das Schnellste aus. Eduard Noack, Spittelmarkt- und Kurstr.-Ecke Nr. 3. [Anzeige], in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 200, 27. August 1831, [S. 6]. Die in den Zeitungen vorgeschlagenen Präservativ-Mittel gegen die Cholera werden begreiflich vom Publikum viel gekauft und die Handlungen (es sind deren nur wenige), welche hier mit offiziellen Heilkräutern und dergleichen handeln, machen höchst ergiebige Geschäfte. Leider müssen wir auch wahrnehmen, daß Mancher die Preise bedeutend steigert, und wir erlauben uns deshalb zu bemerken, daß der Wucher wohl am härtesten da erscheint, wo ohnehin der Umstand, weshalb man kauft, ein so leidvoller ist. Hoffentlich tritt - da der Drang nach Präservativ-Mitteln selbst dann noch eine Weile fortdauern würde, wenn uns der Himmel auch ferner gnädig mit der Cholera verschonte - mehr Conkurrenz unter den Verkäufern ein, damit die Noth dieser Tage nicht noch verstärkt wird durch unangemessene Preis-Erhöhung solcher Heilmittel, welche für den Augenblick Vielen ein nothwendiges Bedürfnis geworden sind, sey es auch nur, um eine hier sehr nützliche Verminderung der Furcht zu bewirken. Das hier Besprochene wird übrigens wohl den Behörden ebenfalls

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schon bekannt seyn, und von ihrer Ein- und Umsicht haben wir gewiß auch hierin zweckdienliche Maaßregeln zu erwarten. aus: -/., Berlin, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz [Berlin], Nr. 138, 27. August 1831, S. 692. Handel und Gewerbe sto[c]ken hier sehr, und die arbeitende Classe spürt schon je[t]zt Mangel an Arbeit. Daß die Behörden beim Eintreten der Cholera die Dürftigen unterstützen werden, steht zu hoffen; Vorkehrungen deshalb hat man noch nicht bekannt gemacht; vielleicht um dem Müßiggange nicht Vorschub zu leisten. Jedenfalls muß etwas geschehen, um Störungen der öffentlichen Ruhe vorzubeugen, da allein über 12.000 Handwerksgesellen, ohne die Tagelohnarbeiter zu rechnen, müßig werden könnten; es soll die Absicht seyn, die Vergrößerung des Charite-Krankenhauses und eine neue Chaussee nach Köpenick auszuführen, um die Müßigen zu beschäftigen. - Daß viele Leute aus Furcht die Stadt verlassen, ist ungegründet, eben so ist es übertrieben, wenn behauptet wird, daß die reichen Familien ihre Kostbarkeiten über die Seite zu schaffen suchten. Unsre Geistlichen predigen fortwährend über die Cholera und rathen den Begüterten (es ist nicht zu läugnen, daß vorzugsweise bei diesen eine wahrhaft lächerliche Furcht herrscht) und Vornehmen, sich ohne Stolz und Herablassung, aus rein christlichem Sinne ihrer armen Mitbrüder anzunehmen. Wenn dies geschähe, hätte die Krankheit etwas dauerhaft Gutes bewirkt, und wir wären aller Furcht vor revolutionairen Umtrieben auf immer enthoben. aus: [Anonym.] Berlin, 27. Aug., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 245, 2. September 1831, S. 978f. Das weitere Umsichgreifen der Cholera im Preußischen Staate verbreitet in eben dem Grade Schrecken und Furcht bis zu den fernsten Weltgränzen des Reiches, als es die entschiedenen Maßregeln der Regierung vermehrt. Es erscheint kein Amtsblatt der Regierungen, worin nicht irgend eine Verordnung, die Cholera betreffend, mitgetheilt wird. Eins der Neuesten theilt nun auch eine Instruktion mit, wie verfahren werden soll, wenn sie wirklich noch weiter schreitet, was allerdings zu befürchten steht. Sie ordnet a u f s bestim[m]teste vorerst die nöthigen Sanitätskommissionen nebst ihren Verpflichtungen sehr weise an. Für die ärmeren Volksklassen ordnet sie Lazarethe an mit dem gehörigen Personale, Gassenknechte, etc., bestimmt die strengste Absperrung sogar für das Vieh eines inficirten Hauses. Bei Armen muß die Ernährung der Abgesperrten von der Commune getragen, eben so für ihren Feldbau nebst den nöthigern, übrigen Vorkehrungen gesorgt werden. Hierauf findet eine genaue Anweisung Statt, wie man sich zu verhalten habe in Beziehung auf Lebensweise, Bewegung, Arbeit, Reinigung, Speisen und Getränke. Sie ist sehr zweckmäßig und verdient allgemeine Beachtung. Die Symptome der Krankheit und die bis zur Ankunft des Arztes anzuwendenden Mittel werden sofort angegeben und empfohlen. Eine Anweisung über das Desinfektionsverfahren bei den aus den Gegenden, wo die Cholera herrscht, herkommenden Reisenden, Waaren und Thieren, und eine Instruktion für die ContumazBeamten und hierauf Bezug habende Verordnungen machen den Schluß. Diese, die väterliche Fürsorge der Regierung beurkundende Bekanntmachung verdient allgemeine Befolgung, wie den Dank der Unterthanen. Möchte nur der Himmel ihre Anwendung unnöthig machen. Möchte vor Allem der Weltfrieden erhalten bleiben, ohne den ihr rasches Fort-

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schreiten nach Westen kaum zu hemmen seyn wird. - Wenn überhaupt die Furcht als der gefährlichste Leiter der Krankheit, vermieden werden sollte; so dürfte es wünschenswerth erscheinen, daß die Zeitungen vorsichtiger in ihren Mittheilungen würden, denn gerade durch diese wird die Furcht in mathematischen Progressionen fortgepflanzt! Möchte man doch darauf aufmerksamer seyn! aus: [Anonym.] Aus Preußen, vom Ende August 1831, in: Hesperus, Nr. 220, 14. September 1831, S. 877. Was die Choleranstalten betrifft, so hat es sich neuerdings gezeigt, daß man nicht so zufrieden seyn kann, als man nach dem unendlichen Gerede darüber erwartet. Vertrauend jenem Normalsatze, hat man Millionen über Millionen verwendet, die Cholera abzuhalten, und fast nichts gethan, um sie zu empfangen. Man wollte den Fall nicht gern als möglich setzen, weil er der Autorität des Normalprinzips schaden könnte, daß sie ansteckt, also abgehalten werden kann, also von einer guten Verwaltung abgehalten werden muß, wird. Nun hat sie sehr plötzlich unser le[t]ztes Bollwerk, vermuthlich auch das le[t]zte europäische, den Oderkordon, übersprungen, sie kann in Berlin seyn, ehe wir es wissen, und nun wird Allarm geschlagen. Die Kommission mit dem hochklingenden Titel: „Zur Abwendung der Cholera", wird ihn nur zu bald demüthig einziehen müssen und sich nach einem andern umsehen, der, wenn sie ihn früher angenommen, auch wohlthätiger gewirkt hätte. Indessen rüstet man eifrig; statt des einen Lazareths mit 30 Betten für die 230.000 Einwohner, werden jetzt in jedem Revier deren bereitet, Wärter, Leichenträger werden eingeschworen, Pfeffermünze, Kampher, rother Wein und Senf steigen im Preise, wie alle Lebensmittel; denn man proviantirt sich für die Theurung; Dampfbäderbettstellen, Badewannen werden angefertigt, Universalmittel werden ausgeboten und die Cholerawalzer sind verboten. - Derer, die plötzlich eine unwiderstehliche Reiselust nach dem Süden bekommen, sind Viele. Die Andern trösten sich in diesem Augenblick mit der süßen Hoffnung, die Cholera werde in unserm Sandboden einen so milden Charakter annehmen, daß man sich nicht vor ihr zu fürchten brauche. Und doch sind die Intelligenzblätter und Zeitungen je[t]zt schon voll von Todesanzeigen bekannter Männer, welche die Pest hingerafft. - Feldmarschall Gneisenaus Tod in Posen hat, wie auf jeden Preußen, auf die Furchtsamen den tiefsten Eindruck gemacht. Was er für Preußen in den Befreiungskriegen gewesen, zu wiederholen, wäre unnütz. Er war aber neben dem genialen Feldherrn auch einer der liebenswürdigsten, unterrichtetsten Männer, trotz seines hohen Alters ein eifriger Freund von Kunst, Wissenschaft und Poesie. „Wenn ein solcher Mann sich nicht schützen kann, was schützt dann?" ruft die Menge. Indessen soll auch durch Unvorsichtigkeit und Diätfehler dem Uebel wenigstens geholfen haben. Man fand den 71jährigen Greis am Morgen entkleidet auf den Boden gefallen. Doch lebte er noch mit Geisteskräften. Als man ihn auf seine Frage, was das für Medizin sey? geantwortet: „Kampher", entgegnete er ruhig lächelnd: „Schon gut, so kenne ich auch mein Uebel. Es ist die Feldmarschallskrankheit, von der genest man nicht." [...] Ein sehr wohlthätiger höchster Beschluß wird eben bekannt. Im Augenblick, wo die Cholera kommt und die Fabriken geschlossen werden, läßt der König alle eingestellten Chausseebauten fortführen, den brodlosen Arbeitern Beschäftigung und Brod zu verschaffen. aus: [Anonym.] Berlin, Ende August, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 225, 20. September 1831, S. 900.

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Mit Besorgniß und banger Erwartung sehen wir die allgemein gefürchtete Völkergeißel, die Cholera, sich langsamen Schrittes nähern, erfahren, wie die Vorsichtsmaaßregeln der thätigsten Behörden immer noch zu schwache Bollwerke gegen den mächtigen Feind gewesen sind, welcher seit 1817 aus Ostindiens Mitte unaufhaltsam, alle Climate verspottend, natürliche und künstliche Hindernisse überwältigend, in unser Vaterland eingedrungen ist, und sind gefaßt, ihn den unwillkommenen Gast, in unsern Mauern aufzunehmen. 1) Nicht unvorbereitet trifft er die öffentlichen Behörden, die in zahllosen Conferenzen sich über die nöthigsten Vorsichtsmaaßregeln, welche schon zum Theil ins Leben getreten sind, berathen haben. 2) Nicht weniger vorbereitet wird er die hiesigen Aerzte treffen, welche nicht nur aus der großen Zahl der bessern Schriften, von Augenzeugen verfaßt, oder aus andern brieflichen und mündlichen Mittheilungen, ihre Wissenschaft in der Erkenntniß und Behandlung dieser Seuche, noch täglich begierig zu bereichern streben, und durch Zusammenkünfte, Ideenaustausch und gegenseitige Mittheilung sich belehren und zu einem Kampfe ermuntern, auf den unsere Mitbürger mit ängstlich gespannten Blicken hinschauen. 3) Damit uns alle endlich, theuern Freunde, dieser mörderische Feind nicht unvorbereitet treffe, mögen wir uns freudig die Hände bieten und die ausführbaren Anordnungen der öffentlichen Behörden sowohl nach Kräften zu befolgen, als auch uns ganz besonders mit den Punkten genau bekannt machen, welche sich a. auf Lebensweise und Diät der Gesunden, und b. auf die Verhaltensmaaßregeln der Erkrankten, ehe der gerufene Arzt herbei eilen kann, beziehen. aus: C[arl] F[riedrich] Thümmel, Uebersichtstabelle der hauptsächlichsten Vorsichtsmaaßregeln gegen die Cholera, Berlin [Ende August 1831, Flugblatt], Nachdem Sr. Μ. der König sich dahin entschieden haben, für den Fall, daß die Cholera nach Berlin käme, Allerhöchst Ihren Aufenthalt in Charlottenburg zu nehmen und mich beauftragten, mit Sr. Durchlaucht dem Fürsten Wittgenstein die nöthigen Einleitungen deshalb schleunigst zu verabreden, und einen Entwurf für die Ausführung vorzulegen, habe ich nach Rücksprache mit Sr. Durchlaucht den Generalstabsarzt Dr. Wiebel und Präs. Rust, den Hofrath Buhsler und den Rittmeister v. Gansange nach Charlottenburg gesandt, um nach geschehener Local-Inspection mir ihre Vorschläge über Einrichtung, Bewachung und Versorgung des Schlosses und über sämmtl. sanitäts-polizeilichen Rücksichten die dabei eintreten müssen, vorzulegen. [...] Für die Bewachung des Schlosses sind im Ganzen 18 einfache Posten in Vorstellung gebracht worden, die also den täglichen Wachdienst von circa 60 Mann und bei 5. Nacht freien Nächten ein Kommando von circa 360 Gemeinen, exclus. Unteroffizieren und Offizieren erfordern würde. aus: Ludwig Gustav von Thile an Carl von Mecklenburg, Berlin, 28. August 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 76. ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 62. Mögen denn, wenn kein anderes Mittel zu unserer Beseligung übrig bleibt, auch über diese Stadt die Gerichte des Allerheiligen kommen. Wo Viele unter uns rechten Glauben haben, brauchen sie nicht zu fürchten. Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, und unter

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dem Schatten des Allmächtigen bleibet, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe! Er wird dich mit seinen Fittigen decken, daß du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen des Nachts, vor der Pestilenz, die im Finstern schleichet, vor der Seuche, die im Mittage verderbet. Ob Tausend fallen zu deiner Linken und Zehntausend zu deiner Linken, so wird es dich doch nicht treffen. Denn der Herr ist deine Zuversicht, der höchste ist deine Zuflucht! Amen. aus: J[ohann] F[riedrich] Bachmann, Predigt über 1. Mose 19,12-28. Gehalten am 28sten August Nachmittags, in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 34. Nachdem die Aufstellung der großen Sanitäts-Cordons sowohl längs der RussischPolnischen Gränze, als im Innern des Landes, schon so viele militairische Mittel in Anspruch genommen hat, daß die Ausführung der Orts-Sperren bei der immer weiteren Verbreitung der Cholera in mehreren Provinzen nicht mehr allgemein nach den Vorschriften der Instruction [vom 1. Juni d. J. ] durchgeführt werden könnte, so werden von jetzt ab besonders volkreiche Orte, in welchen die Cholera ausbricht, einer größeren Einschließung nur unterworfen werden, sofern es nach den vorhandenen Mitteln thunlich ist und von dem Ober-Präsidenten der Provinz, in Verein mit den kommandirenden Generalen, für angemessen erachtet wird. Es bleibt hierbei auch den Herren Ober-Präsidenten überlassen, die engere oder weitere Umschließung und die Bezeichnung der desfalligen Linien zu bestimmen und eventualiter die Maaßregeln für die rastellmäßige Versorgung u.s.w. zu treffen. aus: Publikandum, enthaltend die abändernden Bestimmungen zur Ausführung der Instruction über das bei dem Ausbruche der Cholera zu beobachtende Verfahren vom 5. April und 1. Juni 1831, mit Ausschluß der Rhein-Provinz und Westphalens und der Fürstenthümer Neuschatel und Valengin. Berlin, den 29. August 1831. Der Chef der zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten Immediat-Kommission, v. Thile, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 240, 30. August 1831, S. 1369. 4) Auf den Magen, auf Arme und Beine lege man in der Größe einer Hand geriebenen Meerettig oder einen Senfteig (aus geriebenem Senf, in Weinessig zu einem dicken Brei gerührt) und so dick, als ein Messerrücken stark, auf Leinwand gestrichen, und lasse dies liegen, bis es Brennen erregt, wozu in der Regel eine viertel bis eine halbe Stunde erforderlich ist. 5) Selbst wenn der Kranke die Anwendung dieser Mittel nicht aushalten mag, muß man sie dennoch anwenden, und ihn durch Zureden, und im Nothfall mit Strenge dazu veranlassen, sie auszuhalten, weil er in dieser Krankheit selten beurtheilen kann, daß er durch diese Mittel vom Tode gerettet werden kann. 6) Kalte Getränke, kaltes Bier, Wasser etc. dürfen dem Kranken in keinem Fall gereicht werden, so dringend er auch gewöhnlich danach verlangt. 7) Das obige Verfahren muß man bei kleinen und größern Kindern, alten Leuten, Männern, Mädchen und Frauen, und auch bei Schwangeren, Wöchnerinnen, zu allen Zeiten,

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ohne Furcht ihnen zu schaden, anwenden, da sie ohne diese Art der Behandlung wahrscheinlich sterben. aus: [Anonym.] Für die Bewohner der Cämmerei-Dörfer und Colonien der Stadt Berlin. Belehrung über die Maaßregeln gegen die ansteckende Cholera [Flugblatt, Ende August 1831]. Beim Ausbruche der Cholera in Berlin - nicht früher - empfehle ich von den PräservativTropfen Nr. 1 nach umstehenden Recepte für Erwachsene 25 Tropfen in einem Esslöffel voll Medoc des Morgens eine Stunde nach dem Kaffee, der noch einmal so stark als gewöhnlich gekocht sein muss; Kinder nehmen so viel Tropfen als sie Jahre zählen in verhältnissmässig weniger Rothwein. Gleichzeitig wird das umstehende Präservativ-Pflaster Nr. 2 in einer bei der mündlichen Rücksprache gegebenen Form auf Magen und Herzgrube gelegt, um diese Theile fortwährend zu stärken, zu reitzen und zu erwärmen, wie denn überhaupt der ganze Körper während der Epidemie warm gehalten und jede, auch die geringste, Erkältung. auf das Allerstrengste vermieden werden muss. Wer kein Pflaster auf der Haut erträgt, sorge durch eine gute wollne Binde für fortwährende Erwärmung des Unterleibs. In Beziehung auf Diät: alle Fleischarten, gesotten, geschmort, gebraten; Heischsuppen; die mehligten Vorkosten als: Ertoffeln, Hirse, Reis, Gries, Grütze, Nudeln, leichte Mehlspeisen: von Fischen: Hechten, Bars, Zander. Zum Getränk: Mittags den gewohnten Wein, und den Tag über, so wie resp. bei Tische: eine dünne Abkochung von Arrow-Root*) mit Wasser (einen Esslöffel auf ein Quart), mit Rothwein und Zucker vermischt. Ich bitte alle andren Nahrungsmittel zu meiden. Da für den Fall eines Ausbruchs der Krankheit bei einem Menschen durchaus keine Zeit verloren gehen darf, so empfehle ich bis dahin, wo ärztliche Hülfe zur Stelle sein kann, folgendes Verfahren. Alsbald wenn der Kranke die ersten Zeichen der Krankheit bemerkt, als: Druck in der Herzgrube, Schmerzen und Kollern im Unterleibe, Angst, Schwindel, Kühlwerden des Körpers, Uebelkeit, Purgiren, Erbrechen - muss er sich in ein erwärmtes Bett legen, und von dem umstehenden Thee Nr. 3 fortdauernd und grosse Quantitäten, so heiss er kann, trinken. [...] Sehr zweckmässig sind: der Hempel'sche Dampfbadekorb**), der Schneidersche Dampfapparat***), oder die mündlich angegebene Vorrichtung zu schnell zu bereitenden Dampfbädern. Nach dem Dampfbade wird der Kranke wieder in's Bett gebracht, und unausgesetzt, bis zur Ankunft des Arztes, wie oben angegeben, behandelt. Noch bitte ich im Hause zu halten ein halbes Pfund pulverisirten schwarzen Senf und ein halbes Pfund Chlorkalk, erstem zu Senfpflastern im Nothfalle, letztern als Luftreinigungs-Mittel auf mündlich besprochene Weise. Berlin, im August 1831. *) Zu haben bei Hrn. Braunmüller. Zimmerstrasse Nr. 35. und bei Hrn. Lampe, neue Grünstrasse Nr. 17. **) Bei den Hrrn. Gropius im Diorama. ***) Leipziger Strasse Nr. 39. Casper, aus: Dr. Johann Ludwig Casper, lithographierte handschriftliche Verhaltensanweisung für seine Privatpatienten, Berlin, [Ende] August 1831.

Einer diesen Mittag hier eingegangenen amtlichen Nachricht zufolge, ist auf einem Fahrzeuge bey Charlottenburg ein Schiffer erkrankt und unter Symptomen der Cholera verschieden. Das Fahrzeug ist sofort einer strengen Bewachung unterworfen worden. Die Stadt ist noch ganz unverdächtig, und da übrigens bey den vielfachen Beziehungen zwischen Charlottenburg und Berlin eine gänzliche Hemmung der Communication mit großen Schwierig-

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keiten verknüpft seyn würde, so wird eine Absperrung Charlottenburgs nicht stattfinden; was mit dem Bemerken zur Kenntniß gebracht wird, daß in schon der Art, wie solches Hinsichts der Oder und des Finow-Canals schon früher angeordnet worden, für jetzt auch die Schifffahrt auf der Spree zwischen Spandau und Charlottenburg untersagt ist. [Publikandum.] Der Chef zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten ImmediatKommission, v. Thile. Berlin, 29sten August 1831, in: Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 208, 31. August 1831, S. 5977. Bei der immer mehr drohenden Gefahr, daß die Cholera morbus auch unsere Stadt ergreifen, und bei dem Mangel an geeigneten Begräbnisplätzen in den verschiedenen Stadtteilen, haben wir uns in der Nothwendigkeit und in der Voraussetzung, daß ein Hochedler Magistrat dagegen nichts einwenden werde, veranlaßt gefunden, von dem, vor dem Landsberger Thore über dem der Parochial-Kirche gehörigen Begräbnißplatz gelegenen, dem Schlossermeister Eisner verzeitpachteten Grundstück 400 Ak. zum Begräbnißplatze für die an der Cholera gestorbenen Individuen einzurichten, und haben wir dafür gesorgt, daß sowohl Familien- als Allee- und Gitterleichenbebräbnisse daselbst errichtet werden können. aus: Friedrich Wilhelm v. Arnim an den Magistrat von Berlin. Berlin, 30. August 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 243. Es ist den gehorsamst Unterzeichneten bekannt geworden, daß Seitens des Königlichen Polizey-Präsidii das in der Luisenstraße No. 32 an der Ecke der Schumannstraße gelegene Grundstück des Maurerpolier Heilmann Behilfs Errichtung eines Cholera-Lazareths angekauft werden soll. Gegen ein solches Unternehmen müssen wir aber feierlich protestirn und Ew. Hochwohlgeboren um Hülfe und Beistand bitten. Es sind noch kaum 5 Jahre verflossen, daß wir aus einer sumpfigen morastigen Wiese auf unsere Gefahr und Kosten einen wahrhaft schönen Stadttheil hervorgehen ließen, ohne vom Staate oder der Stadt nur irgend eine Unterstützung zu erhalten. Wir haben alles mögliche gethan um auf freisten Grund feste Häuser aufzustellen und die Freundlichkeit der Friedrich· Wilhelmstadt als auch die bequem eingerichteten Wohnungen haben aus allen Stadttheilen Miether herbeigezogen, so daß in circa 220 Häusern zwischen 7-8000 Seelen jetzt wohnen. Ein so großes mit so unsäglicher Mühe und Sorgen und in so kurzer Zeit errichtetes Werk soll uns mit einemale gestört werden, und diejenigen welche jetzt denken von ihrer Mühwaltung Früchte zu erndten, förmlich an den Bettelstab gebracht werden; und dies wird geschehen, sobald ein Cholera-Lazareth in unserm Stadttheil eingerichtet wird. Denn es würden alle Miether sofort ihre Wohnungen kündigen und verlassen, so daß zu Michaelis alle Häuser leer ständen, und niemandem wäre es zu verargen, wenn er der Pest entflöhe. aus: Die Eigentümer der Friedrich-Wilhelmstadt an den Oberbürgermeister von Berlin. Berlin, 30. August 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 00102, Nr. 256.

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Neulich traf ich Herrn von Grünstroh. Er ist ein grundgescheidter Mann, hat aber zwei Fehler, die ihn zuweilen bedeutend unerträglich machen, er haßt die Frauen (der Barbar ist ein Hagestolz) und hat Furcht vor der Cholera; aber eine solche Furcht, daß sich schon bei Nennung ihres Namens ein furchtbares Zitterpappeln bei ihm einstellt. Der Mann ist eine ambulante Apotheke, in jeder seiner Taschen steckt ein andres Schutzmittel gegen die Cholera. Um sich vor Ansteckung zu wahren, trägt er schon jetzt einen Schwerdtmann'sehen Mantel von Wachsleinenwand und auch Handschuhe von diesem Zeuge. Seine Furcht geht so weit, daß er um keinen Preis der Erde das Wort „Cholera" über seine Lippen bringen möchte. Wenn er von dieser Krankheit spricht, so nennt er sie nicht anders, als die Russin, oder das Newaweibchen, oder das Petersburger Geschenk. Als er mich sah, winkte er und ich trat zu ihm. - Guten Tag, wie geht's, Herr von Grünstroh? hübsch gesund? - So so! Ich habe seit drei Tagen etwas Magendrücken. Wissen Sie schon, daß die Cholera nur noch eine Stunde von Berlin ist? - Ha, ha, ich weiß es. - Und sie lachen. Hören Sie, mit der Russin ist nicht zu spaßen. Sie tragen doch das Fürstlich-Lobkowitzische Pflaster? - Nein. - Wie! Sie tragen dieses Pflaster nicht? Herr, das hätten Sie mir gleich sagen sollen. Ich hätte mich Ihnen nicht so genähert. Leute ohne Pflaster müssen mir drei Schritt vom Leibe bleiben. - Aber, theuerster Herr von Grünstroh, wie können Sie so viel Angst haben? - Ich fürchte mich schon deshalb so sehr, weil das Newaweibchen eine Frau ist und mit Frauen will ich mein Lebtag nicht in Berührung kommen. Tragen Sie Cajaputöl bei sich? - Nein. - Herr, wie können Sie sich unterstehen, ohne Cajaputöl auszugehen! Sie bekommen ja ohne Zweifel das Petersburger Geschenk. - Herr von Grünstroh! „Bange machen jilt nich". - Sie haben wohl auch Haamanns Wundertropfen nicht? - Nein. Wer ist Haamann? - Wie! Sie wissen nicht, wer dieser berühmte Mann ist. Sie kennen den unsterblichen Haamann nicht, der die Wundertropfen erfunden hat? - Nein, ich kenne ihn nicht; wer ist dieser berühmte unsterbliche Mann? - Schuster in Heubude. - Schuster?! Da fällt mir das Sprichwort ein: „Schuster bleib' bei deinem Leisten". - Seine Tropfen sollen Wunder wirken. Ich trinke täglich 6 Fläschchen von dieser HaamannTinctur. - Nehmen Sie sich in Acht, Herr von Grünstroh; Schuster pflegen in der Regel Pech zu haben. - Lassen Sie mir den Mann in Ruhe. Dieser Schuster ist mir lieber als das ganze Heer von Aerzten. Ist es nicht ein Skandal, daß keinem von den Tausend und Tausend BlutegelSetzern ein Mittelchen gegen das Newa-Weibchen einfällt?! Aber Camillenöl trinken Sie doch? - Nein.

Steigerung: „Cholera ad portas"

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- Auch dieses nicht. Herr, Sie müssen sterben ... - „Neefchandeller, machen Sie mir nicht graulich". Nur solche Leute sterben an der Cholera, welche vor ihr Furcht haben. - Mir wird mit Gottes Hilfe die Russin nichts anhaben können. Auf dem Magen habe ich das Pflaster vom Fürsten Lobkowitz sitzen; in dieser Hosentasche habe ich das Cajaput- und in jener das Camillen-Oel. In der rechten Westentasche steckt Haamann's Wunder-Essenz und in der linken der Bismuth, den Dr. Leo empfohlen hat. In der linken Hosentasche trage ich Calmus und in der rechten Cholera-Bonbons. Täglich wasche ich mich zwölf Mal mit Vier-Spitzbuben-Essig und vier Mal lasse ich mich frottiren. Auch habe ich mir für 150 Thaler Kampfer und Chlorkalk gekauft. Wer so viel Vorsichtsmaßregeln und Präservativ-Mittel anwendet, der wird (mit Gottes Hilfe) von dem Newa-Weibchen verschont bleiben. - Wenn Sie sich der Furcht hingeben, so nützen all' diese Mittel nichts. Denken Sie nicht dran, das ist das Beste. - Ach, könnt' ich die Russin nur vergessen, es geht aber nicht. Schon seit 23 Nächten träume ich von nichts Anderem als von dem verdammt verehrten Newa-Weibchen. Leben Sie wohl. Ich muß mir noch ein Dutzend Leibbinden kaufen. - Adieu, Herr von Grünstroh. Nehmen Sie Ihre Furcht vor der Cholera beim Kragen und werfen Sie sie, wenn Sie nach Hause kommen, zum Fenster hinaus. Wir trennten uns. Ich war schon fünfzig Schritte von ihm entfernt, da fiel ihm ein, daß er mir noch etwas zu sagen vergessen habe. Er rief mir nach und bat mich, umzukehren. - Hören Sie, wenn das Newa-Weibchen nach Berlin kommt, so laß' ich mich räuchern. - Thun Sie das, Herr von Grünstroh. Dann hätte ich aber eine Bitte an Sie. -Nun? - Schicken Sie mir Ihre Zunge. - Was wollen Sie damit sagen? - Je nun, geräuchert müßte sie gar nicht übel schmecken. Ich zog meinen Hut und ließ den Narren stehen. [Anonym.] Die Furcht vor der Cholera, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 201, 31. August 1831, S. 813f. Eine Krankheit, die sich gewöhnlich bösartig zeigt, bedroht uns: allein dürfen wir nun aus Furcht vor derselben all' unser mühsam errungenes Wissen hintenansetzen und einer rohen Empirie folgen? [...] Und nun stecken promovirte Aerzte Jedem die reizendsten Dinge in die Tasche, um sie - wenn er [es] merkt - was? und wie soll er es beurtheilen? - nach Belieben anzuwenden; man empfiehlt also die gröbste Pfuscherei! Ich glaube, daß es bloß aus guter Absicht in großer Angst geschieht: allein wird es dadurch gut? Die Krajewski-Pulver sind ein wunderliches Gemisch, das bei recht schwachen Individuen, gegen die sonst üblichen Aderlässe, gerechnet - häufig wohlthun mag; ich würde aber Jedem rathen, die gekauften Kr. Pulver zu vernichten, oder wenigstens unter Schloß und Riegel zu bringen, bis ein Arzt dies löset. Wer irgend Anlage zur Entzündigung hat, gießt durch sie Oel in das Feuer und opfert sich dem Tode oder der größten Gefahr. [...] Wenn die Seuche längst vorüber ist, so muß man vielleicht jahrelang, ja vielleicht zeitlebens in diesem oder ähnlichem Joch gehen, oder man riskirt Kolik und selbst Cholera; und bleibt die Seuche lange

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aus, so ist man der ersten Binde gewöhnt, sie fruchtet nichts mehr und man kann die zweite, die dritte darüber legen. Wie Viele werden denn am Ende die Cholera bekommen? Und aus Furcht wollen sich Alle für immer verweichlichen und kränklich machen! Alles dieses ist freilich nichts gegen den unseligen Cholera-Schnaps, der vielleicht mehr Menschen tödtet oder sonst verdirbt, als zehn Cholera-Epidemieen. Was soll man denn aber thun? - Sich aller Furcht entschlagen, und denken, man stehe, wie immer, in Gottes Hand; treu seinem Geschäft nachgehen und mäßig leben, wie kürzlich F. H. L. in seinem Aufsatz über die Ansteckung in diesen Blättern empfohlen hat. Das Leben ist der Güter größtes nicht: Der Uebel größtes ist die Furcht. aus: D. K. A. R., Ueber die Cholera-Angst, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 203, 31. August 1831, [S. 7].

Höhepunkt: Cholera in der Stadt

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3. Höhepunkt: Cholera in der Stadt Se. Maj. der König hatten beschlossen, Ihren Aufenthalt für den Fall, daß die Cholera hier eindränge, im K. Schlosse zu Charlottenburg zu nehmen. Bereits war zu diesem Zwecke auch das Muskowsche Etablissement, das hart an den Schloßgarten stößt, erworben worden, und daselbst für die Minister und andre Personen, die Zutritt zu Sr. Maj. haben würden, eine Desinfections-Anstalt zu errichten. Um den K. Garten sollte ein Cordon gezogen werden. Der König, hieß es, würde täglich einmal Berlin besuchen, den hiesigen Einwohnern zu Trost und Ermunterung, und zwar stets auf demselben Wagen und mit denselben Pferden, die er immer bei sich haben, und dadurch sicher seyn würde, daß sie nicht in ansteckende Berührung kämen. Die Prinzen und Prinzessinnen sollten angeblich ihre Residenz in Potsdam aufschlagen. Schon war Alles in Charlottenburg vorbereitet, gestern sollte auf dem dortigen Theater eine Vorstellung gegeben werden, als plötzlich vorgestern früh die Nachricht hier eintraf, an demselben Morgen um 6 Uhr sey dort ein Schiffer an der Cholera gestorben, wie es sich nach Secirung desselben als unzweifelhaft erwiesen. Zwar schien die Bestürzung darüber hier nicht so groß, weil man die Annäherung der Cholera schon längst als gewiß betrachtete; doch kam es immer etwas überraschend, denn erst am Sonntag Abend hörte man hier von dem Ausbruche der Krankheit in Stettin, und man konnte nicht denken, daß sie alsbald einen so gewaltigen Sprung machen würde. Jener Schiffer ist über Spandau durch die Havel und den Finow-Canal von der Oder hergekommen. Am Montage zogen sogleich viele von den Bewohnern Charlottenburgs nach Berlin; auch die K. Equipagen begaben sich am Abend wieder nach der Hauptstadt; die Theatervorstellung die auf gestern angesetzt war, unterblieb, und man meinte, der König werde nun auch nach Potsdam gehen. Da jedoch der Krankheitsfall nicht in Charlottenburg selbst, sondern außerhalb der Stadt auf einem Kahn stattgefunden hat, und demnach eine Inficirung des Orts noch nicht zu befürchten ist, so sollen Se. Maj. sich gestern wieder dorthin begeben haben. Es ist sogleich für alle aus der Oder kommende Schiffe eine strenge Quarantäne angeordnet, die Communication zwischen Spandau und Charlottenburg vorläufig suspendirt und ein Militär-Cordon nach dem Finow-Canal abgesandt worden. Eine Sperrung soll jedoch für die Städte Berlin, Potsdam und Charlottenburg in keinem Falle eintreten, zur großen Beruhigung der Einwohnerschaft, indem die bis jetzt gehegte Furcht sich vorzüglich auf eine zu gewärtigende Theurung bezog, von der man leider schon einige Spuren wahrnimmt. Fleisch, Colonialwaaren, Holz und Torf sind bereits im Preise gestiegen, und ein Jeder verproviantiert sich, so viel er kann. Möbeln sah man gestern hin und wieder tragen und Alles war in großer Bewegung, als sich auch die Nachricht verbreitete, daß selbst hier in Berlin auf Kähnen an dem Schiffbauerdamm gestern früh Schiffer an der Cholera erkrankt seyen. So viel ist gewiß, daß Militär daselbst aufgestellt war, daß die von den Kranken zurückgekehrten Aerzte sich desinficiren mußten; ob die Krankheit aber wirklich die orientalische Cholera gewesen, und ob jemand daran gestorben, darüber ist noch nichts Bestimmtes bekannt geworden. Uebrigens haben wir hier wieder so häufigen und plötzlichen Temperaturwechsel, daß man allgemein über körperliche Indispositionen klagen hört. Von allen Seiten werden nun die geeignetsten Maaßregeln getroffen, um eine weitere Verbreitung der Cholera zu verhüten. Die Beamten auf den Bureaus sollen Kittel und Kappen von Wachsleinwand

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erhalten; die Schirrmeister haben bereits dergleichen, auch die Briefträger sollen darin gekleidet werden. Schreiben aus Berlin, vom 31. August, in: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten, Nr. 208, 3. September 1831, [S. 5]. In einer ernsten und frommen Stimmung sind wir miteinander hier versammelt. - Dort vor uns der letzte Schimmer der untergehenden Sonne, - um uns her die stille Abenddämmerung, - in unserer Mitte das aufgerichtete Kreuz, das Zeichen der Erlösung von der Noth des Todes für Alle, die an die Kraft des Kreuztodes Jesu Christi zuversichtlich glauben. [...] Nachdem es Gott, dem Allmächtigen, Allweisen und Gerechten gefallen hat, auch unsere Stadt zu unterwerfen dem Verhängniße einer fürchterlichen Krankheit, und wir demnach im Schuldbewußsein fürchten, sie möge viele Opfer finden unter uns: so soll von dieser Stunde an dieser Acker ein Acker Gottes werden, von welchem Er, als Herr des Lebens, der Seelen und der Leiber Herr, - an Seinem Erndtetage und großen Tage des Gerichtes und der Auferweckung erndten wird, und - nach seiner Liebe erndten will in die himmlischen Sphären die Lieben alle, die, - der Seuche Opfer, - hier zu Ruhe werden bestattet werden ohne Ansehen der Person und ohne Unterschied der kirchlichen Gemeinschaft ihrer Seelen. aus: Ernst Sigismund Ferdinand Schultz, Einleitung zu der am ersten September d. J. Abends hier stattgefundenen kirchlichen Einweihung des Simultan-Begräbnisplatzes vor dem Landsberger Thore für die an der Cholera morbus allhier sterbenden Einwohner (Abschrift), in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 243. In der von uns erlassenen Verordnung über das Verfahren bei der Annäherung und dem Ausbruch der Cholera in Berlin vom 23sten v. M. ist §. 23. bestimmt worden, daß, sobald es feststehe, daß die Cholera in Berlin ausgebrochen ist, solches von uns ausdrücklich bekannt gemacht werden solle. Nach einem auf den Grund genauer Untersuchung von sechs Aerzten abgegebenen motivirten Gutachten, mit welchem sich eine von uns ernannte ärztliche Kommission einverstanden erklärt hat, ist gestern ein Individuum an der Asiatischen Cholera hier verstorben. Außerdem haben sich seit dem gestrigen Tage mehrere Krankheitsfälle in der Stadt gezeigt, welche zwar bis jetzt nicht als asiatische Cholera konstatirt, aber nach den darüber eingegangenen Anzeigen derselben allerdings verdächtig sind. Unter diesen Umständen erfordert es die Vorsicht, alle diejenigen Maaßregeln in Wirksamkeit treten zu lassen, welche die Eingangs erwähnte Verordnung für den Fall des wirklichen Ausbruchs der Cholera in Berlin vorschreibt. Indem wir solches hierdurch bekannt machen, erwarten wir sowohl von Seiten der dabei interessirten Behörden, namentlich der ernannten Schutz-Kommissionen, als auch von den gesammten übrigen Einwohnern die bereitwillige Unterstützung der Ausführung der gedachten Maaßregeln, durch welche allein es vielleicht noch möglich werden dürfte, das weitere Umsichgreifen der Krankheit zu hemmen. [Bekanntmachung.] Gesundheits-Comite für Berlin. v. Tippeiskirch, v. Bassewitz• Berlin, den lsten September 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 243, 2. September 1831, S. 1381.

Höhepunkt: Cholera in der Stadt

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Der Ausbruch der Cholera ist leider nun auch hier unzweifelhaft; die ersten einzelnen Krankheitsfälle, die sich in Berlin und Charlottenburg gezeigt, wollte der Unglauben ein paar Tage wegstreiten, aber seit vorgestern haben die Fälle sich so zahlreich und rasch vermehrt, daß kein Verneinen mehr möglich ist. Man zählt schon gegen 50 Erkrankungen, von denen der größte Theil mit dem Tode geendigt hat. [...] Der König wird, wie sonst, abwechselnd hier, in Potsdam und in Charlottenburg wohnen; die Fürsorge des Monarchen wirkt im weitesten Umfange, jede nöthige Geldsumme ist im Voraus bewilligt, große Bauten sind angeordnet zur Beschäftigung der erwerblosen Leute u.s.w. [...] Eigenthümlich ist es, daß seit die Cholera wirklich da ist, die übertriebene Meynung von ihrer Anste[c]kung merklich schwindet; wenigstens hält man dazu eine besondere Anlage erforderlich, und auch für diese nur die ausgebildete Krankheit, nicht die beginnende, gefährlich. aus: [Anonym.] Berlin, 2. Sept., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 250, 7. September 1831, S. 998f. Der König und die Prinzen sind nach Charlottenburg gezogen, wo das Schloß und der Garten abgesperrt sind, und in einem Nebenhause ist eine Räucherungs-Anstalt für diejenigen Personen, welche sich den höchsten Herrschaften zu nähern haben, eingerichtet. Unser König ist indessen viel zu sehr an die Verachtung der Gefahr gewöhnt, als daß er sich, wie es die Aerzte verlangen, einschließen lassen sollte; er und Prinz Wilhelm kamen schon heute wieder nach der Stadt. Der Kronprinz hat das Schloß in Berlin noch nicht verlassen. Ein andres Schreiben aus Berlin, vom 3. September, in: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten, Nr. 210, 6. September 1831, [S. 2], Die unerwartet schnelle Annäherung der Cholera, ihr Ueberspringen des großen OderCordons, auf dem die letzte Hoffnung deren beruhte, die noch von einer Abwehr träumten, hat Berlin überrascht. Garz, Stettin - Charlottenburg waren mahnende Vorboten; vielleicht, wenn dies gedruckt erscheint, ist schon das Gerücht, welches am Dienstag erschreckte, zur Wirklichkeit geworden. „So viel zur Abwehr gethan und so wenig zum Empfange", hört man in den Berliner Straßen. Besser spät als gar nicht, ist jetzt das Motto. - Die Apotheken, die Droguisten, die Kaufläden, welche Wolldecken verkaufen, Grützhandlungen, werden von raschen Einkäufern überströmt. Hr. Schneider, dessen Staubbäder schon einen so unglaublichen Zuspruch gehabt, kann jetzt nicht genug seiner neuerfundenen Dampfoetten anfertigen, die Bestellungen gehen über Wochen hinaus, Testamente werden gefertigt, Krankenstuben in jeder Wohnung geleert. Wärmebecken, Filzhandschuhe, Pech- und Harzpflaster, Vinaigre ä quatre voleurs, Cajaputtropfen und Pfefferminzkuchen sind Modeworte. Steigende Theurung; viele Artikel der nicht vorbereiteten Apotheken auf das Duplum und Triplum gestiegen; - Noch immer leise Hoffnung: „Wer weiß, ob sie wirklich herkommt! Ob in unserm Sand, in unserer gesunden Luft ihr asiatisches Gift nicht verdunstet". - „Es mag bei der europäischen gewöhnlichen Brechruhr bleiben!" - Dennoch die alte Neugier: Halb Berlin nach Charlottenburg am Dienstag hinausgeströmt, um die Absperrung des Fahrzeuges zu sehen! - Theilnahme für neuerdings Hoffnung gebende Gerüchte aus dem Osten. - Der Stralauer Fischzug am 24sten August so besucht wie je, und so munter, als dies in Berlin möglich. - Ebenso die Feier des Jahrestages der Schlacht von Großbeeren, verlegt auf Sonntag den 28sten August. Ströme von Menschen nach Großbeeren, Marien-

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dorf, Tempelhof, begünstigt anfangs durch schönes Wetter; später Regengüsse, bunte Volksscenen der Flüchtenden. - Göthes dreiundachtzigster Geburtstag. - Zum Besten der Choleraanstalten ist die schon in diesen Blättern erwähnte mythische Gruppe „Telephus und die Hindin" vom Bildhauer Wolff und des Professor Krüger Bildniß seiner Majestät des Königs im Academiegebäude ausgestellt. - Gneisenau 's Tod, bedeutend an sich, durch den hohen historischen Standpunkt des Dahingeschiedenen und dessen, was er als Mensch war, hat auch als - Tod tief erschüttert. [Anonym.] Wochenlese, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 172, 3. September 1831, S. 688. Die Krankheit scheint durch Warthe-Schiffer, welche von Driesen ohne Quarantaine zu halten hergeschwommen, eingeschleppt zu seyn. Die Verordnungen der Behörden befehlen Häusersperre, und wo diese nicht thunlich, Wohnungssperre. Beide sind in stark bewohnten Häusern unausführbar, indem ein großer Theil der arbeitenden Klasse sein tägliches Brod außer seiner Wohnung verdienen muß; auch ist bis je[t]zt für die Verpflegung der ärmern Kranken nicht gesorgt; die Stadt ist zwar in 61 Schu[t]zkommissionen, nach den 61 Armendistrikten, getheilt, deren auch jeder mehrere Aerzte beigegeben; die Kommissionen sind aber nicht mit Geldmitteln versehen, und öffentliche Krankenhäuser sollen erst eingerichtet werden. Vorgestern versammelten sich vor den Häusern zweier Cholerakranken auf dem Schi[f]fbauer- und Mühlendamm eine Anzahl Leute, mit dem Begehr, die Kranken zu sehen, sie wurden aber von Polizei und Militair auseinandergesprochen, denn bis zum Vertreiben kams nicht. Man fürchtet indeß allgemein - und diese allgemeine Furcht dürfte mit dahin wirken - daß bei einem Umsichgreifen der Krankheit unruhige Auftritte entstehen. Namentlich sind die Aerzte für ihre Personen besorgt, wenngleich die Mehrzahl derselben durch unentgeldliche Berathung und Pflege sich der öffentlichen Achtung und großer Popularität erfreut. - Nach mehrmonatlichen Berathungen der Provinzialkommission sind wenig Maaßregeln ausgeführt (so hatten unter andern die Aerzte und Behörden noch bis gestern Abend die vor acht Tagen gedru[c]kte „Verordnung über Behandlung bei Annäherung und Ausbruche der Cholera" nicht erhalten); man schiebt dergleichen auf Uneinigkeit der Mitglieder, von denen einige die Kontagion bestreiten; dann wollte man (namentlich der Bürgermeister Bärensprung) wegen des gestörten Handelsverkehrs es nicht mehr haben, daß die Krankheit bereits hier ausgebrochen sey, und hoffte immer noch, sie zu ersti[c]ken. aus: [Anonym.] Berlin, 3. Sept., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 253, 10. September 1831, S. 1011. Alles politische Interesse ist je[t]zt völlig verschwunden, und in ganz Berlin wird von nichts Anderem, als von der Cholera, gesprochen. Uebrigens ist alles hier ruhig; man hat aber auch bisher noch kein Haus gesperrt, und so geht Jeder seinen gewohnten Geschäften nach. Nur zuweilen bleiben ein paar Leute aus Neugierde vor der Thür eines Hauses stehen, in welchem etwa Einer an der Cholera gestorben ist, oder eine Sektion an einer Choleraleiche von den Aerzten vorgenommen wird. Selbst Diejenigen, welche bei den Kranken bis zu ihrem Tode waren, hat man nicht in eine Kontumazanstalt gesperrt, und es haben sich bis je[t]zt durchaus keine nachtheiligen Folgen hievon ergeben. Aus diesen und vielen andern Gründen nimmt denn auch die Furcht vor der eigentlichen Ansteckung durch Körper sehr

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ab. [...] Uebrigens ist, der vielen seit Monaten erschienenen Verordnungen für den Fall des Ausbruchs ungeachtet, fast gar Nichts vorgekehrt; gestern war man auf der Post in großer Verlegenheit wegen gänzlichen Mangels an Werkzeugen zur Reinigung der Briefe, Zeitungen etc. Auch die Lokalitätskommissionen sind noch nicht errichtet. Das Meiste geschieht von den Privatleuten, die sich mit allerlei Hausmitteln versehen. aus: [Anonym.] Berlin, 3. September 1831, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 11. September 1831, S. 465. Verbleibt der Kranke hiernach im Hause, so hat die Schutz-Kommission auch sofort nach Anleitung des §. 35 der Verordnung für die gehörige Isolirung und Absperrung des betreffenden Raums in der Art zu sorgen, daß die Wohnung des Kranken mit denjenigen Bewohnern, welche mit demselben in Berührung gekommen, und den zu seiner Pflege bestimmten Personen außer aller unmittelbaren Verbindung mit den übrigen Abtheilungen des Hauses gesetzt und dergestalt abgesperrt werde, daß jede weitere Communication zwischen den abgesperrten und den übrigen Hausbewohnern unbedingt vermieden wird. Es ist dies eine Beschränkung, welche jeder vernünftige Familienvater in allen Fällen ansteckender Krankheiten sich selbst auferlegt, die aber bei der hohen Gefahr dieser Krankheit zwiefach n o t wendig wird. Für die gehörige Bezeichnung solcher abgesperrten Wohnungen durch Aufhängen von Warnungs-Tafeln an ihren Eingängen, so wie für die Bestellung der nöthigen Wächter, haben die Schutz-Kommissionen gleichfalls zu sorgen. aus: Bekanntmachung. Die Verwaltungs-Behörde des Allerhöchstverordneten GesundheitsComite für Berlin, v. Arnim. Berlin, den 4. Sept. 1831, in: Beilage zur Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 247, 6. September 1831, S. 1401. Allein, m. g. Fr., alles was ich gesagt habe, will nicht so gemeint sein, daß etwa jemand glauben dürfte - doch das will ich nicht erst aussprechen - er könne nun erst nach der Gottseligkeit streben und sie sich aneignen, damit er die beschriebenen Früchte davon genieße und dieser bangen Zeit, - nein, das sage ich nicht erst; aber auch so nicht, daß einer glauben könnte, die gottselig sind, die würden nicht untergehen in diesen Gefahren, und folglich auch wer in derselben untergeht, wem Gott das Loos bestimmt, sein Leben auf diese Weise zu beschließen, dem habe es dann gewiß an der Gottseligkeit gefehlt, welche die Verheißung dieses Lebens hat. So wird Niemand die Worte des Apostels mißverstehen, und es ist wohl unnöthig, daß ich mich auch dagegen sicher stelle. Die Gottseligkeit ist nicht das Gut eines Einzelnen, und wir haben sie nicht als Eigenthum Jeder für sich, sondern sie ist ebenfalls ein gemeinsames Gut; und nur insofern ruhet jene Verheißung auf ihr, nur in sofern ist sie zu allem nü[t]ze. Soviel also werden wir in der That und Wahrheit sagen können, je mehr Gottseligkeit ist in einer Gemeinschaft von Menschen, je mehr der Wille Gottes die menschlichen Gemüther beherrscht, um desto mehr werden sie auch diese Verheißung der Gottseligkeit erfahren: aber als eine einzelne Furcht für das einzelne Leben können wir sie nicht verlangen; sondern da unterwerfen wir uns immer aufs Neue, und wir sollen es mit der größten Freude thun, den Fügungen des Höchsten, der in allem über Alle waltet. Aber die Kraft der Gottseligkeit und die Verheißung wird sich jedenfalls auch offenbaren in den Leiden dieser Zeit, nicht nur in der Sorge für die, die uns nahe stehen und die uns Gott anvertraut; sondern auch unter den eigenen Schmerzen der Krankheit, auch im Angesicht des

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Todes wird doch der Mensch, in welchem der Geist der Gottseligkeit waltet, ein Gegenstand des Wohlgefallens bleiben, und die Kraft derselben wird sich an ihm zeigen und verherrlichen. An ihm erscheinen auch diese Uebel des Lebens in einer milderen Gestalt, weil das was von oben stammt, und dies ist doch die wahre Sicherheit des Daseins, nicht bezwungen wird durch die Gewalt des irdischen. Daß wir davon Zeugniß ablegen mögen in der Zeit, die uns bevorsteht, das verleihe uns der Höchste durch die wahre Gottseligkeit, zu der und in der uns zu stärken das Ziel unsers gemeinsamen Lebens sei. Amen. Lied 25, 2. 3. aus: Friedrich Schleiermacher, Am 14. Sonntage nach Trinitatis 1831 [4. September], in: Dr. Ffriedrich] Schleiermacher, Predigten [Berlin o. J.], S. 18f. So bitten wir an Christi Statt: lasset euch versöhnen mit Gott. Möge diese Bitte heut den ganzen Sinn und Inhalt unserer Predigt ausmachen. Wahrlich, wir wüßten eben heut keine dringendere an euch zu richten. Daß die Angst und Noth dieser Zeit auf so viel gleichgültig verhärtete, auf so viele verzagende und verzweifelnde Herzen trifft, es kommt einzig und allein daher, daß sie nicht versöhnt sind mit Gott. Und wer vermag den trostlos jammervollen Zustand eines solchen Herzens zu fassen, das, in blinder Sicherheit dahingerafft, erst zum Gericht erwacht, oder mit grimmiger Empörung ringt gegen eine räthselhafte, finstere Gewalt. O, bei dem furchtbaren Namen der Krankheit, die euch mit Schauder und Abscheu erfüllt, bei den Qualen des Todes, vor dem ihr zittert, bei der verhängnißvollen Entscheidung des Gerichts, das euch vielleicht heut, vielleicht morgen erwartet, beschwören wir euch: lasset euch versöhnen mit Gott. Noch ist die angenehme Zeit, noch ist der Tag des Heils: thut Buße, denn das Himmelreich ist nahe; richtet euch selbst, damit ihr nicht gerichtet werdet; seid nicht ungläubig, sondern gläubig; lasset euch versöhnen mit Gott, dann werdet ihr auch in dieser Angst und Noth die Barmherzigkeit des Herrn preisen lernen. Ja, ihr werdet sie preisen, sei es, daß er euch nun zum Ernst eines christlichen Lebens leiten, sei es, daß er euch rasch hinübernehmen will in das Reich der ewigen Gnade. Amen. aus: [August] Fournier, Predigt über 2. Korinth. 5, 20. Gehalten am 14ten Sonntage n. Tr. [4. September], in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 134f. Im gegenwärtigen Augenblick beschäftigt uns am meisten die seit dem ersten d. M. hier wirklich angekommene Cholera: auf der Frankfurter Journaliere erwartet und auf die Contumazanstalt verwiesen, hat sie einen anderen Weg genommen, durch den Finowkanal. Die näheren Umstände des ersten Cholerafalles sind in der That tragikomisch, der Schluß fast balladenartig. An die Möglichkeit, daß die Cholera nach Charlottenburg (eine halbe Meile von Berlin) käme, hatte man nicht gedacht, der Hof hatte sich im dortigen Schlosse absperren wollen und eine Anzahl von Proviantwagen war schon dahin abgegangen. Da erscholl plötzlich von dorther die Kunde von einem an der Cholera gestorbenen Schiffer. Polizeibeamte und die wachslinnenen, steifen Harnischmänner, die zur Wartung der Cholerakranken eigens errichtete Garde, eilen hinaus, und in dem stolzen Bewußtseyn, im Kampfe die ersten zu seyn, thun sie sich ein wenig zu Gute. Der Todte wird eingesargt, und des Nachts sollen ihn die Wärter auf einem Kahne vom Schiffe abholen; doch am andern Morgen erfuhr man,

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daß bis auf einen an's Ufer getriebenen Mann, alle untergegangen, und die Fischer bei Spandau einen Sarg im Netze gefangen hatten. Da nun dieser mit der Spree in Berührung gekommen ist, will man weder Fische noch Krebse essen. Jene Proviantwagen sind auch wieder zurückgekehrt, und so viel man weiß, wird sich der König auf die Pfaueninsel bei Potsdam begeben. Der erste Erkrankungsfall in Berlin selbst war der eines Schiffers, gerade in der Mitte der Stadt. Bis jetzt sollen 29 erkrankt und 21 gestorben seyn. Man klagt über die Muthlosigkeit und Unbeholfenheit der hiesigen Aerzte: Wir hatten gehofft, erfahrene Männer aus den inficirten Gebieten hieher gezogen zu sehen; doch ist von einer solchen Sorgfalt noch nichts bekannt geworden. Die öffentliche Stimmung ist bis jetzt noch so ziemlich gemäßigt, doch sind Vergnügungsörter gegenwärtig weniger besucht, und das Raffen nach Präservativen, Leibbinden, Harzpflastern ist allgemein; Dienstboten werden entlassen, manche Nahrungszweige stocken gänzlich. Es lassen sich die Folgen des kommenden Elends noch nicht berechnen. [Karl Gutzkow.] Berlin, 4. September, in: Hesperus, Nr. 226, 21. September 1831, S. 902f. Die Cholera, das Geschenk unserer innigst geliebten Freunde, der Russen, ist nun auch in Berlin ausgebrochen. - Das sind die Folgen der unverantwortlichen Nachsicht und unsinnigen Vorliebe für jene Nation; wahrlich, Diejenigen, welche den Verkehr mit dem verpesteten Lande erlaubt, gewünscht, ja wohl befohlen haben, werden eine große Verantwortung, wenn auch vor keinem weltlichen Richter oder einem eignen Gewissen, da doch vor der öffentlichen Meinung haben, die sie übrigens gewiß schon gerichtet hat. Das sind die Früchte der gut angeordneten und wie? ausgeführten Maßregeln! - Daß die Cholera nicht schon früher hier war, - der Cordon kann wahrlich nicht dafür, denn wie ganz unzugänglich er war, bewies wohl am besten die Anwesenheit des russischen Grafen Orloff, welcher, ohne aufgehalten zu werden, direct aus dem russischen Hauptquartier - wo die Seuche heftig wüthete - nach Berlin kam, jedoch die Stadt bald wieder verlassen mußte. Die Behörden des Ortes, wo der Russe den Cordon passirt, sollen einen Verweis bekommen haben - den hatten sie auch wenigstens verdient. Vielleicht hielt man es an der Grenze für unnöthig, den Herrn Grafen zu durchstechen und zu räuchern, weil man schon gehört hatte von dem probaten Schutzmittel - dem Adelsdiplom. Ref. wollte dies neue Schutzmittel zum Besten der Menschen, die sich einen Adelsbrief kaufen können, in einer hiesigen Zeitschrift bekannt machen, es ward aber natürlich gestrichen. Nun, darüber wollen wir noch nichts sagen, das war voraus zu sehen, aber was sonst für Dinge bei, von und in der wohlthätigen Censur geschehen, ist halb zum Aergern, halb zum Lachen. Schade nur, daß die Bemühungen jener wohl achtbaren, gut bezahlten Herren so fruchtlos sind [...]. Aber um wieder auf die Cholera zu kommen - darum dreht sich ja jetzt jedes Gespräch, warum nicht auch dieser Correspondenzbericht - so ist die schreckliche Krankheit doch außerdem, daß sie Doctoren und Apothekern und Klempnern - welche nichts als Badewannen und Räucherungsapparate machen - viel Geld in die Tasche bringt, noch zu etwas gut, und zwar, daß sie den übergroßen Antheil am Theater und allen den Theaterprinzessinnen sehr geschwächt, ja fast ganz aufgehoben hat; und dennoch existirt, wenn auch kümmerlich, eine „Zeitschrift für's Theater". Das Wetter aber soll sehr ergrimmt gegen den russischen Fremdling sein, denn es ist um alle seine Rechte in den Gesellschaften der Reichen gekom-

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men, indem selbst die geistlos vornehmste Unterhaltung nicht das Wetter, sondern die Cholera betrifft. Räucherungen sind auf allen Straßen und in allen Häusern zu verspüren, wachstuchene Mäntel etc. werden in großer Anzahl gefertigt, ein Packet mit der Post zu verschicken, macht unglaubliche Umstände, bei der Transportirung der Kranken (ihre Anzahl ist noch sehr gering, bis zum 5. September 49) entsteht fast immer ein kleiner Auflauf; in Stettin hat es vor einigen Tagen ernsthafte Auftritte gegeben; man hat scharf unter das Volk geschossen, welches sich unvernünftiger Weise den Maßregeln der Regierung in Betreff der Cholera widersetzte. Die „Dorfzeitung" meint, daß an verschiedenen Orten Unruhen ausbrechen, „weil die Regierung die Leute nicht sterben lassen will". Das ist sehr natürlich, wer stirbt, kann keine Abgaben mehr entrichten, und ohne Abgaben kann kein Staat bestehen, es ist also sehr recht, daß man den Leuten nicht erlaubt, zu sterben; übrigens ist die Frage, ob es sich nicht jetzt besser stirbt, als lebt, denn was hat ein Friedliebender zu erwarten? Gutes wahrlich nicht. Doch man muß mit Ruhe der Dinge harren, die da kommen sollen, und vorzüglich sorge ein Jeder, daß die Zeit ihn auch als Mann finde. aus: Μ. B. Schauice [d. i. Moritz Gustav Bauschke], Berlin Anfang September 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 149 und 150, 19. und 20. September 1831, S. 1189jf. In unseren Tagen, wo von einer Seite her Aufruhr und Hochverrath Europa überzieht, und wo von der anderen der allmächtige Gott eine furchtbare Zuchtruthe über dasselbe schwingt, indem er den Würgeengel der Cholera langsamen aber sicheren Schrittes immer näher auf uns zukommen läßt, kann dem Christen nichts erwünschter und zeitgemäßer erscheinen, als daß denjenigen, welche noch Ohren haben zu hören, das Eine, was Noth thut, verkündigt und dadurch der so allgemein verbreitete Schrecken vor Krieg und Pest geheiligt, die Ungläubigen, wenigstens die bloß Leichtsinnigen unter ihnen, zur Buße geweckt und die Gläubigen in ihrem Gnadenstande befestigt werden. Dies ist das Bemühen des seit 1816 unter uns wirksamen Kreises für christliche Erbauungsschriften, über welchen noch kürzlich in diesen Blättern bei Gelegenheit der von ihm herausgegebenen Nachweisung über seine Einnahme und Ausgabe, gedruckte und vertheilte Schriften im vorigen Jahr, die Rede gewesen ist. Er will durch kleine, im ächt Evangelischen Sinne abgefaßte Erbauungsschriften von der verschiedensten Form das Verlangen nach der heiligen Schrift wecken, und so die Menschen auf den einzigen Weg, der in's ewige Leben führt, hinleiten. Ganz kürzlich hat er mit Rücksicht auf die Zeitumstände: ,J)r. M. Luther wider Aufruhr und Empörung" drucken lassen, so wie er jetzt im Begriffe ist, eine kleine Schrift ,J)er Christ bei der Cholera" herauszugeben. [Anonym.] Nachrichten (Berlin), in: Evangelische Kirchen-Zeitung, Nr. 72, 5. September 1831, Sp. 574. Se. Maj. der König haben zu befehlen geruht, die schon längst beabsichtigte Erweiterung des Charite-Krankenhauses sogleich in Ausführung zu bringen, damit eben sowohl der bedürftigen Arbeiterklasse ein gewisser Erwerb gesichert, als dem steigenden Bedürfnisse zur Unterbringung einer größeren Anzahl von Kranken begegnet werde. Es sollen sogleich polizeiliche Maaßregeln getroffen werden, um das Herzuströmen fremder Arbeiter zu ver-

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hindern, damit eine Wohlthat, welche, wie die ganze Institution der Charite, vorzugsweise der Hauptstadt gehört, auch nur der arbeitenden Klasse ihrer Einwohner verbleibe. - S. k. Höh. der Prinz Wilhelm, Sohn Sr. Maj. des Königs, haben diesen Mittag das von der städtischen Behörde zum Cholera-Lazareth eingerichtete sogenannte Ordonanzhaus in der neuen Königsstraße in Augenschein zu nehmen und sich von allen innern Details genau zu unterrichten geruht. - Seit dem Ausbruch der Cholera bis zum 5. Sept. Mittags sind in Berlin im Ganzen 17 Personen erkrankt, davon 13 gestorben, keine genesen und in ärztlicher Behandlung noch 4. [Anonym. ] Berlin, den 5. September, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 75, 9. September 1831, S. 453. In den nächsten Tagen wird hier eine Cholerazeitung, redigiert von einem hiesigen praktischen Arzt, Dr. Sachs, erscheinen, die über alle vorkommenden besonderen Fälle zu berichten sich vorgese[t]zt hat. Choleralazarethe sind hier noch nicht eingerichtet, so wie überhaupt von Seiten der Behörden fast Nichts vorgekehrt war, da die Krankheit uns etwas schnell überrascht hat und die Obrigkeit zu glauben schien, daß sie so lange wegbleiben würde, bis sie zur Aufnahme derselben völlig bereit sey. Auch werden hier keine Häuser gesperrt, nicht einmal ganze Wohnungen, was nur zu billigen ist, und selbst Diejenigen, welche den Kranken bis zu ihrem Tode beistanden, werden nicht jedesmal in eine Kontumazanstalt gebracht. Bis je[t]zt haben sich auch hieraus noch keine Übeln Folgen ergeben, und da sowohl Aerzte als Layen sich immer mehr zu der Ansicht bekehren, daß die Krankheit nicht kontagiös, sondern miasmatisch ist, so dürfte man auch bei der je[t]zigen verbleiben. - Die Veranlassung zu den in Stettin stattgefundenen Unruhen war folgende: Das Volk verlangte die Arzneimittel aus der Apotheke umsonst, da es kein Geld sie zu bezahlen hätte. Eine Apotheke weigerte sich und hierauf soll dieselbe, so wie die Häuser einiger sehr reichen Einwohner, gestürmt worden seyn. Das Militär, welches gegen die Volkshaufen kommandirt wurde, war genöthigt Feuer zu geben. Zehn Personen sollen geblieben und sehr Viele verwundet seyn. - In Folge dieser Nachricht ist sogleich an die hiesigen Apotheker von der Regierung der Befehl ergangen, alle Mittel gegen die Cholera, wenn sie von einem Arzte verschrieben, zu verabreichen, auch wenn nicht gleich Zahlung erfolgt. Die Behörde wird später für Diejenigen, welche zu zahlen außer Stande sind, die Kosten berichtigen. Se. Maj. unser König hat, während der Cholera hier grassirt, die Pfaueninsel bei Potsdam als Wohnung bezogen. aus: [Anonym.] Berlin, den 5. September, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 79, 13. September 1831, S. 478. Aus Stettin vom 2ten d. M. schreibt man: Leider ist unsere Stadt gestern der Schauplatz tumultarischer Auftritte gewesen. Die unter der weniger gebildeten Volksklasse verbreitete, aller gesunden Vernunft widerstreitende Meinung, daß der Tod der von der Cholera befallenen und in das aufs zweckmäßigste eingerichtete Lazareth gebrachten Kranken dort absichtlich befördert werde, um die Seuche in der Geburt zu ersticken, hatte die Gemüther aufgeregt und gegen den Transport der Kranken in das Lazareth eingenommen. Schon am ganzen gestrigen Tage bildeten sich hier und da Gruppen mit der gesetzlichen Maaßregel unzufriedener und in jenem Irrwahn befangener Einwohner und widersetzten sich sowohl

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dem unfreiwilligen, von der Localität gebotenen, als auch selbst dem freiwilligen Transport der Erkrankten ins Lazareth. Verständiges Zureden war indeß fast überall hinreichend, die Aufgeregten zu besänftigen; indeß dauerte die Gährung, von unverständigen oder unüberlegten Aeußerungen genährt, fort, bis dieselbe nach eingebrochener Dunkelheit in einen offenbaren Tumult ausartete. Eine Anzahl unzufriedener Menschen, größtentheils aus solchen bestehend, die, aller göttlichen und menschlichen Ordnung feind, eigenem Unverstand oder eigener Schlechtigkeit folgend, in der Erregung allgemeiner Verwirrung Freude und Nahrung finden, versammelte sich auf der großen Lastadie, fing an die Fenster mehrerer Häuser einzuwerfen, und namentlich das Haus eines mit der Ausführung der gesetzlichen Maaßregeln gegen die Cholera beauftragten achtungswerthen Magistrats-Mitgliedes zu zertrümmern und zu spoliiren. Eine Menge Neugieriger und unnütze Buben vermehrten, erstere durch ihre Gegenwart, letztere durch Lärmen und Schreien den Aufstand. Da kein verständiges Zureden half, so sah sich das durch Generalmarsch herbeigerufene Militair nach einer erfolglos in die Luft gegebenen Charge genöthigt, scharf zu schießen und um so mehr Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, als die eigentlichen Aufrührer Steinwürfe auf dasselbe richteten und einige Soldaten verwundeten. Indeß gelang es den vereinten Bemühungen des Militairs und den schon früher im Stillen gebildeten, auf verabredetes Zeichen der Thurmglocken herbeigeeilten Sicherheits-Garden der Bürger, Handlungsdiener und Beamten bald, den Tumult zu stillen und den größten Theil der Schuldigen zu verhaften, von denen heute Morgen noch mehrere aus ihren Wohnungen abgeholt wurden. Die Haupträdelsführer sind heute gebunden nach dem Fort Preußen abgeführt, die übrigen einstweilen in der Stadt zur gefänglichen Haft gebracht worden, und alle haben dort die ihrem Vergehen angemessene Strafe zu erwarten. - Dem gesunden und treuen Sinne aller Bürger der Stadt und dem löblichen Eifer aller übrigen gutgesinnten Einwohner vertrauen wir jedoch, daß eine Wiederholung der gestrigen beklagenswerthen Auftritte nicht stattfinden werde; jedenfalls sind von Seiten der Königl. und städtischen Behörden und dem Militair so zweckmäßige Maaßregeln getroffen und namentlich von der Polizei-Behörde solche Verordnungen erlassen worden, um alle fernere[n] Zusammenrottungen schlechtgesinnter Menschen zu verhüten und jeden etwanigen Versuchen neuer Unordnungen von vorn herein aufs Kräftigste zu begegnen. - Was den Stand der Cholera hier in der Stadt anbetrifft, so hat eine besorgliche Zunahme der Krankheit nicht stattgefunden. Leider ist aber bei den meisten der Erkrankten die Anwendung so spät erfolgt, daß deren Heilung nicht mehr möglich war. In dem Lazareth sind bis jetzt 9 Personen aufgenommen, von denen sich 3 in der Genesung befinden und als geheilt zu betrachten sind. Inland. Berlin, 5. Sept., in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 247, 6. September 1831, S. 1399. Ew. Majestät melde ich, aus Stettin zurückgekehrt, ganz untertänigst Folgendes: Am 4. d. Abends nach 10 Uhr traf ich daselbst ein und fand die Stadt wieder in vollkommener Ruhe. Der beiliegende Original-Bericht des Obristen v. Brisen vom 3ten setzt den zuerst von mir eingesandten, unmittelbar fort. Die Thätigkeit der von den Bürgern errichteten SicherheitsVereins in 13 Kompagnien zu Fuß u. 50 Mann zu Pferde hatte den regen Eifer der Linien u. Landwehr-Truppen vortrefflich unterstützt. In den 30 Stunden Zwischenraum bis zu meiner Ankunft war nichts weiter vorgefallen.

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Die nächsten Ursachen des Tumults, so weit sie bis jetzt ermittelt sind, waren der unglückliche Wahn: daß die Armen in den Lazarethen vergiftet würden, der Schmerz der Trennung von Erkrankten u. die wirkliche oder eingebildete Noth in Folge der Wohnungsoder Stadt-Sperre. Bei der gänzlichen Furchtlosigeit vor der Krankheit u. bei der größten Befangenheit vor den Maaßregeln dagegen, wird nun die Zeit u. der größere oder geringere Grad der letzteren die Aufregung der Gemüther nähren oder allmählig ganz beschwichtigen. Mit Schmerz war ich nach Stettin geeilt. Ew. Majestät kann ich aber versichern, daß nur die Hefe des Volks an den unglücklichen Auftritten Theil genommen hat, dagegen alle gutgesinnten Bürger durch thätigen Antheil den Schimpf von ihrer Stadt: sich gegen ihre Obrigkeit aufzulehnen, zu tilgen bemüht gewesen sind, welches allerdings wieder erfreulich ist. So hat auch die Stadt sich für verpflichtet gehalten, sämmtlichen Truppen bei ihrem angestrengten Dienst einen Zuschuß von 5 Sg. auf den Kopf zu geben. aus: Kronprinz Friedrich Wilhelm an König Friedrich Wilhelm III., Potsdam, 6. September 1831 (Abschrift), in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. III. Nr. 14. Da bei den gegenwärtigen Umständen es dringend nothwendig ist, daß in den Kirchen nicht nur vor und nach dem öffentlichen Gottesdienst reinigend mit Essig und Gewürz geräuchert, sondern auch die Luft in denselben möglichst gereiniget werde, so wird die Armendirektion hierdurch aufgefordert: schleunigst Maaßregeln zu treffen, daß jene Räucherungen in der Waisenhaus- und Arbeitshaus-Kirche sofort eingeleitet werden. Es versteht sich hierbei von selbst, daß durch die möglichst sorgfältige Aufstellung der RäucherungsGefäße und Beobachtung, jede Feuergefahr abgemacht werde. Sodann ist in den Wochentagen durch die Oeffnung der Thüren, in welche einstweilig Vergitterungen einzusetzen, wie dies schon seit einiger Zeit in der Friedrichs-Werderschen Kirche geschieht, Luftzug bei Tage zu erzeugen. Dekret des Magistrats zu Berlin. Berlin, den 6ten Septbr. 1831. Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königlichen Residenzien, in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion. A Rep. 003-01, Nr. 755. Da in dieser bedrängten Zeit die Augen Aller scheu auf die bösartige Seuche hinblicken und Jeder mit Bangigkeit eine traurige Zukunft ahnt, so ist es wohl Pflicht, daß der Sachkenner nach seinen Kräften dahin strebe, dem schleichend verheerenden Feinde in seinem ganzen Umfange auf die Spur zu kommen; denn nur dann kann es glücken, ihn schnell und sicher zu bekriegen. Bisher haben die widersprechendsten Ansichten die Verlegenheit eher gesteigert, als vermindert, und das Labyrinth hat mehr an Irrgängen gewonnen, als verloren. Obschon die neueste Zeit etwas mehr Licht verbreitet hat, so fehlt doch noch viel, um bei der Behandlung der Cholera glücklich zu operiren. Daher wage ich es, meine Ansichten öffentlich mitzutheilen, indem ich von dem Grundsatze ausgehe, daß selbst ein unvollkommenes Aufdecken der Irrthümer viel früher zur Wahrheit führt, als ein zaghaftes Schweigen. aus: Dr. Moritz Bruck, Rationelle Behandlung der Cholera und Widerlegung der herrschend gewordenen falschen Ansichten Uber die Natur und Heilung derselben, nebst einem Anhange Uber den Character, mit welchem sie in Berlin auftritt, Berlin [6. September] 1831, S. III.

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Die Cholera ist hier, und wir fühlen uns gewissermaßen wohl, daß sie hier ist. Man sieht das Uebel, es ist ein schreckliches Uebel, aber doch nicht das schrecklichste. Die lange Erwartung, die Spannung war schrecklicher; man hörte den Wunsch, der weder provociren, noch braviren sollte, auf den Lippen von ernsten und besonnenen Leuten: „Wenn sie nur erst hier wäre!" Es ist ein Feind, mit dem man sich noch nicht messen kann - das räumen unsere geschicktesten Aerzte ein, ihnen fehlen noch die Waffen - der aber aus dem Riesen, zu dem ihm die Nebelferne machte, in der Nähe zu einem gewaltigen, aber doch noch menschlich proportionirten Todtschläger wird. Gebe der Himmel, daß er nicht bei uns weiter anwächst, gleich dem scheußlichen Gespenst der Armuth in dem Hause des Juden in der Talmudischen Mythe. Wir vertrauen auf den Herbst, unsere breiten, reinlichen Straßen, unsere Diät und die angebliche Abnahme der intensiven Kraft der Krankheit. Bis je[t]zt sind nur solche Individuen befallen worden, aber freilich auch sogleich gestorben, welche erweislich Diätfehler oder Unvorsichtigkeiten begingen, Trinker und Schiffer, oder wer sonst mit dem Wasser in zu nahe Berührung gekommen. Ueber dem Wasser schwebt es, oder mit ihm kommt es. Wir sind nun abgesperrt von dem noch freien Deutschland und Europa. Das ließe sich ertragen, wiewohl die Fruchtlosigkeit aller Kordons, namentlich des mit der größtmöglichen Strenge gezogenen Oderkordons, endlich zur Ueberzeugung bringen sollte, daß alle auf Kordons verwandte Geldmittel und Menschenkräfte vergeudet sind; aber man läßt uns vor der Hand auch noch abgesperrt von den Gegenden, die vor uns inficirt waren! Jeder Ort, jede Gemeinschaft hat die Befugnis erhalten, sich zu schließen und zu sperren gegen jeden Besuch. Wenn dies wirklich ausgeführt würde, wenn nicht Vortheil, Noth, Bequemlichkeit und Langeweile dagegen so opponirten, daß die Maaßregel sich nicht durchführen läßt, was sollte aus diesem Zustande auf die Dauer werden! Die gräßlichsten Verheerungen der Krankheit würden unbedeutend gegen die Folgen einer solchen Clausur. Kommt nun noch hinzu, daß sich mit der Erfahrung eines jeden Tages klarer ausweist, daß die Cholera nicht ansteckend ist, wenigstens nicht in dem gewöhnlichen Sinn und nicht auf die Weise, daß eine Absperrung mit den materiellen, einem Staate oder einer Kommune zustehenden Mitteln von Erfolg wäre, so erscheinen auch die Restrictivmaaßregeln mit jedem Tage thörichter, und wenn sie, wie bei uns der Fall ist, von den Lebenssäften des Staates zehren, unbillig und verwerflich. Hundert große und kleine Kordons durchschneiden nun wie Netze ein Land, dem der gegenseitige Verkehr Lebensbedürfniß ist, und nun soll noch ein neuer, großer Elbkordon gezogen werden, der uns auf einige Monate von dem westlichen Deutschland ganz trennt! Die Motive unsers Königs sind sehr edel; er will, daß seine sächsischen, westphälischen und rheinländischen Unterthanen nicht sagen können, zu ihrem Schutze geschehe weniger als zu dem der Residenz und der alten Provinzen. Es dürfte aber eine Zeit kommen, wo Sachsen, Westphalen und Rheinländer eben so dringend die Aufhebung jeder Sperre wünschen, als je[t]zt unsere Märkischen und Pommerschen Provinzen die Aufhebung der, welche sie von der Hauptstadt mehr oder minder trennt. Es war der allgemeine Wunsch in den Provinzen, daß Berlin bald von der Cholera befallen seyn möge, um die, wie man meinte, nur Berlins wegen angeordneten lästigen Sperrungen aufhören zu sehen. Dieser Wunsch ist nun noch nicht hinlänglich erfüllt. Was das Traurigste ist, und freilich außer Berechnung und der Schuld eines Einzelnen liegt, ist der kaum glaubliche Aberglaube des gemeinen Mannes, der überall, und so erst

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neulich in Stettin, den wohlthätigen öffentlichen Anstalten im Wege steht und zu empörenden Excessen führt. In Königsberg glaubte der Pöbel, die Ingenieure hätten vermittelst goldner Feldmeßketten die Cholera absichtlich aus Rußland herein manipulirt! In unserer nächsten Nähe, ja unter einigen Waschfrauen in Berlin selbst, existirt der feste Glaube, die Cholera komme von vergifteten Brunnen. Bei Werneuchen erzählt man sich von einem Juden, welcher auf der ordinären Post umherreise, sich beim Schirrmeister erkundige, welches die gangbarsten Brunnen in der Stadt seyen, und in diese ein Pulver schütte, worauf die Cholera sogleich ausbreche. Die Logik diese Köhlerglaubens ist folgende: die Regierung, der Staat, die Hidalgos (hijos d' algo), die gens de bien wollen das „Pack" wegschaffen, weil es ihnen je[t]zt zu viel werde. Da gebe es kein besseres Mittel, als die Brunnen zu vergiften; denn wer trinke aus den Brunnen, wer trinke Wasser, als die armen Leute! Die Reichen trinken Wein, also sey die Brunnen Vergiftung ohne Gefahr für sie! - Beitrag zur Volksbildung im 19ten Jahrhundert! - Indessen versicherte mir eine Waschfrau, welche wohl doch etwas mehr Vertrauen zur Regierung haben mußte, sie haben je[t]zt den letzten dieser Brunnenvergifter in Potsdam arretirt, und von nun an werde es gut seyn. - Etwas menschlicher klingt die Ansicht, welche in Stettin den Aufstand veranlaßt und auch hier im Schwange ist: Alle von der Cholera Befallenen würden nämlich, sobald sie ins Lazareth gebracht, daselbst durch die Aerzte auf Befehl des Staates vergiftet, damit die Ansteckung nicht weiter um sich greife. Darum sind Häuser in Stettin zerstört worden und Blut ist geflossen. Es scheint unmöglich, dem Pöbel diesen Wahnsinn auszureden, und das Leben der Aerzte ist wirklich gefährdet. Eine andere schlimme Folge des Aberglaubens ist, daß jeder Befallene aus dem Stande, so lange er irgend kann, sein Unwohlseyn verheimlicht, bis dann jede Rettung zu spät kommt. In Charlottenburg hat es sich etwas wahrhaft Grauenhaftes ereignet. Der erste Cholerakranke war ein Schiffer, der übrigens schon sechs Wochen an der gewöhnlichen Brechruhr gelitten. Er starb in wenigen Stunden nach Eintritt der Symptome, welche man als die asiatische Cholera bekundend angenommen. Die Absperrung erfolgte in aller Ordnung; aber zu seiner Beerdigung will sich aus Furcht Niemand verstehen. Endlich werden vier Menschen zu enormen Preisen gedungen. Im neuen Aberglauben, daß das allein sie vor Ansteckung schütze, betrinken sie sich, ehe sie ans Werk gehen. Sie laden in diesem Zustande den Kasten mit der Leiche in den Kahn, dieser schlägt aber über und drei von ihnen ertrinken. Der Kasten mit der Leiche schwimmt, die Spree hinab in die Havel und wird bei Fischern von Pichelsdorf aufgefischt. Sie öffnen ihn und finden eine Leiche. Dem Gerüchte nach ist eine schwangere Frau vor Schreck darüber umgekommen, die Fischer aber müssen für ihren glücklichen Fang eine zwanzigtägige Quarantäne aushalten. - Seine Majestät der König, der Charlottenburg zu seinem abgesperrten Sitz während der Cholerazeit erwählt hatte, verließ dasselbe auf die Nachricht von diesem ersten Vorfall, ist aber je[t]zt wieder zurückgekehrt. Unsere Theater sind noch nicht geschlossen; im Gegentheil sind sie voller als zuvor. Die Ansicht, daß die Cholera durchaus nicht contagiöse sey, nimmt mit jedem Tage zu. Eben meldet man den Tod eines namhaften Mannes, des Justizraths Wollanck, welcher sich als Komponist bekannt gemacht hat. [Anonym.] Berlin, 6. September, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 221 und 223, 15. und 17. September 1831, S. 884Jf.

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Die Cholera ist nun wirklich also auch bei uns eingekehrt; indeß haben wir uns der himmlischen Güte zu erfreuen, wenn sie ihre Opfer nur so einzeln fordert, als es bis jetzt den Anschein hat. Wir wiederholen den Wunsch, daß man sich, nach gehöriger Vorbereitung auf ihr Nahen, so verhalte, als ob sie nicht da wäre und nur in diätetischer Hinsicht etwas strenger als sonst mit sich verfahre. Die äußerste Sorge der Behörden ist recht und löblich; dem Volke selbst darf man das mögliche Vergessen des drohenden Uebels empfehlen, damit die Thätigkeit in den verschiedenen Gewerben nach Kräften erhalten werde. Leider machen sich selbstsüchtige Leute auch dies Unheil insofern zu Nutze, als sie meinen und es mitunter gradehin aussprechen: eine solche Zeit gestatte ihnen, sich von ZahlungsVerpflichtungen und dergleichen sich einstweilen entbunden zu halten. Wir aber glauben, das jeder Redliche grade unter solchen Umständen sich einer strengen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten beeifern muß, weil hier läßige oder gar schelmische Ansichten und Zögerungen tausendfach auf das Allgemeine wirken. Es wird allerdings Fälle geben, wo die Hemmung des Verkehrs auch den rechtlichen in Verlegenheit se[t]zt; aber wer es irgend vermag, soll nicht die Mitschuld solcher Verlegenheiten auf sich nehmen, da sie nur durch die entschiedene Noth entschuldigt sind. Wl., Berlin, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz [Berlin], Nr. 145, 6. September 1831, S. 724. Ein neuer Monat ist erschienen, Und um den alten zu bedienen, Citirte heut' ich meine Feder her, Auch! rief ich, ist's nicht ein Malheur, Wenn man viel Neues schreiben soll, Nichts weiß, sinnt her und hin, wie toll, Doch was half s, die Pflicht, sie rief, Und ich ersann nun diesen Brief. Die Cholera, sie ist jetzt hier, So hört man schrei'η von Thür zu Thür, Und vorerst will ich beschreiben, Wie man that den Rückzug betreiben, Der als der „Charlottenburger" bekannt Noch in spätrer Zeit wird werden genannt. Kaum war die Nachricht angekommen, Daß sie ein Schiffer hatt' bekommen, Als Alle durch einander liefen, Und ein Ο Jerum über's andere riefen; Das Volk stand in großen Haufen, Pferd' und Menschen sah man laufen, Die Sommerwohnungen wurden leer, Und Jud und Christ, sie eilten sehr; Die Cholera, sie ist jetzt hier, So schrien sie von Thür zu Thür, So rief s von Mund zu Munde Und Patrouillen machten gleich die Runde,

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Wer nur kann, der flieht Berlin, Und spricht, ich will nach Westen ziehn. Die Theater, sie sind drob sehr matt, Besonders das der Königsstadt. Das Publicum will nichts mehr sehn, Und läßt aus Furcht das Theater gehn; Dazu kommt, daß lauter alter Plunder Nicht fachen mag den Sehnsuchtszunder. aus: Leopold Clarissa, Eine Berlinade vom 6. September, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt för die gebildete Lesewelt, Nr. 145, 12. September 1831, Sp. 1159. Staats-Ministerium bringt, nach dem Befehle Seiner Majestät des Königs, die nachstehende Allerhöchste Bekanntmachung zur allgemeinen Kenntniß: Es hat der wachsamsten Vorsorge und den thätigsten Bemühungen nicht gelingen wollen, die Asiatische Cholera, nachdem sie, den strengsten Maaßregeln ungeachtet, über die Gränzen Meiner Staaten eingedrungen war, zu unterdrücken und ihrem Vorschreiten Einhalt zu thun. Ueberall jedoch, wo die erlassenen Vorschriften pünktlich befolgt worden sind, hat die pflichtmäßige Sorgfalt der Behörden, mit den lobenswerthen Anstrengungen gewissenhafter Aerzte vereinigt, die Verheerungen der Seuche wirksam gehemmt und die Zahl ihrer Opfer, in Vergleich mit anderen Ländern, beträchtlich vermindert. Da indeß während der Dauer der Krankheit auf unserem Boden, Erfahrungen gesammelt und die Ansichten der Verwaltung durch praktische Wahrnehmungen berichtigt worden sind, so habe Ich die ergangenen Vorschriften einer gründlichen Revision und gewissenhaftesten Prüfung aller in wesentlichen Betracht zu ziehenden Umstände unterwerfen lassen, um die bisherigen Einrichtungen theils nach den Resultaten einer längeren Behandlung der Krankheit, theils nach den gegenwärtigen Bedürfnissen und den Forderungen der Nothwendigkeit abzuändern. Die strengen Absonderungs-Maaßregeln, durch Aufstellung militairischer Cordons an den Gränzen und im Innern des Landes, haben bereits auf den gewerblichen Verkehr der Einwohner ungünstig eingewirkt und drohen, bei verlängerter Dauer, den Wohlstand vieler Familien zu zerrütten und dem Lande verderblicher zu werden, als die Krankheit selbst. Sie sind aber auch in dem bisherigen Maße nicht weiter auszuführen, weil die herannahende Herbstzeit nicht gestattet, die dazu verwendeten Truppen, ohne sie aufzuopfern, diesem beschwerlichen Dienste länger zu widmen. Ich habe daher besonders in Beziehung auf die militairischen Cordons, auf die eigene Beschützung der von der Krankheit bis jetzt noch verschonten Provinzen, Bezirke und einzelnen Ortschaften durch polizeiliche Anordnungen, und auf die Abkürzung der Kontumazzeit die Immediat-Kommission mit weiteren Befehlen versehen und sie angewiesen, die hiernach nöthigen Abänderungen der ergangenen Vorschriften und Einrichtungen unverzüglich bekannt zu machen, und wie dieselbe bisher zu meiner besonderen Zufriedenheit in angestrengter Vorsorge ihr mühsames Amt zur Abwendung und Bekämpfung der Krankheit verwaltet hat, so wird sie auch fernerhin keine Erfahrung, die zu einer Erleichterung der genommenen Maaßregeln beitragen kann, unbeachtet lassen. Der Erfolg dieser Vorschriften wird aber nur dann der Erwartung entsprechen, wenn die Gemeinden der einzelnen Ortschaften, mit einem auf die Gesammtheit gerichteten Sinn, überall selbst Hand anlegen, theils um die Verbreitung der Seuche unter ihren Mitbürgern zu vermindern, theils um den Erkrankten zur Genesung rechtzeitigen Beistand zu leisten. Ich habe deshalb die

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Einrichtung besonderer Gesundheitswachen in allen Gemeinden, und die ungesäumte Vorlegung eines Reglements über ihre Organisation und Wirkungsweise befohlen. Indem Ich den Erfolg auch dieses Beschlusses in die Hand Gottes lege und mit demüthiger Unterwerfung unter seinen höheren Willen seinem Segen befehle, erwarte Ich, mit wohlwollendem Vertrauen auf die Anhänglichkeit und Folgsamkeit meines treuen Volkes, den unbedingten Gehorsam desselben in Beobachtung der bekannt gemachten Vorschriften. Die Beschränkungen, welche das Bedürfniß zur schnelleren Unterdrückung der Krankheit erfordert, müssen auf die kurze Zeit ihrer Dauer mit Geduld ertragen werden, und Jeder gedenke, daß, was ihn auch Lästiges und Drückendes treffen mag, ihn zum Besten seiner Brüder trifft. Mögen meine treuen und geliebten Unterthanen die Schickung, die jetzt über uns verhängt ist, sich dienen lassen zur Demüthigung vor Gott und zur Erweckung, zu verdoppelter Bruderliebe, gegenseitiger Hülfsleistung und Aufopferung. Dann wird sich die schwere Prüfung selbst in einen bleibenden Segen für uns verwandeln, und wir werden bald vereinigt Dankgebete zu Gott, unserem Herren, richten können, wie wir jetzt in gläubigem Vertrauen zu seiner Gnade das Gebet um Hülfe und Abwendung der Gefahr zu seinem Throne schicken. Ich werde wie bisher, mit dem Beispiele väterlicher Theilnahme an dem so Viele hart betreffenden Unglück fortdauernd vorangehen, fordere aber auch alle diejenigen auf, welchen die Vorsehung Mittel und Kräfte zur Unterstützung der Nothleidenden geschenkt hat, diesem Beispiel zu folgen, denn der immer weiter sich verbreitende Nothstand erfordert die vereinigten Kräfte Vieler. Die gemeinsame Sorgfalt möge überall dahin gerichtet seyn, daß der arbeitenden Klasse Gelegenheit zur Beschäftigung und zum Erwerb nicht fehle, und daß die Armenpflege der Gemeinden erleichtert werde, welche dagegen an ihrem Theil nichts zu versäumen haben, um durch angemessene Lokal-Einrichtungen die Wohlfahrt ihrer Mitbürger zu fördern und die öffentliche Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten. Ich hoffe, daß die strafbaren Gewaltthätigkeiten, die an einigen Orten bei Ausbruche der Cholera aus unbegründeten Besorgnissen und zum Theil aus ganz widersinnigen Verirrungen begangen sind, sich nirgends erneuern und alle Verständigen und Wohlgesinnten ihren Obrigkeiten zur Behauptung der öffentlichen Ordnung und der Achtung vor dem Gesetz bereitwillig die Hand bieten werden. Jede Widersetzlichkeit gegen obrigkeitliche Verfügungen, jeder Versuch zur Erregung von Unruhen und Tumult wird der strengsten Strafe der Anstifter und Theilnehmer unterliegen. Wenn, wie Ich mit Zuversicht hoffe, die eingeleiteten Maaßregeln allen Klassen und Ständen Meines Volks die Ueberzeugung gewähren, daß die StaatsVerwaltung, gleich weit entfernt von verderblicher Sicherheit und ängstlicher Befürchtung, alle zu ihrer Verfügung gestandenen Mittel an die Unterdrückung der Seuche gewendet und sich zugleich mit dem redlichsten Ernst bemüht hat, die Uebel, welche sie begleiten, zu verhüten und zu mildern, so hat jeder Einzelne nur noch dem Rufe seiner Pflicht und der Stimme seines Gewissens treulich zu folgen, um der gemeinsamen Gefahr mit ruhigem Gemüth und dem unerschrockenen Vertrauen entgegengehen zu können, daß er in Gottes Hand steht, und daß das Uebel um so schneller an ihm vorübergehen werde, je fester und zuversichtlicher es ihn in diesem Glauben und Vertrauen gegründet findet. [Allerhöchste Bekanntmachung.] Friedrich Wilhelm. Charlottenburg, den 6. September 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 254, 13. September 1831, S. 1425.

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Es ist mit Zuversicht zu erwarten, daß die gesammte evangelische Christenheit des Landes von den traurigen Ereignissen der Zeit, und insbesondere von den schlimmen Leiden, welche die immer weiter schreitende Cholera-Krankheit schon verbreitet hat und noch herbeizuführen droht, Anlaß nehmen werde, bei ihren Gemeinden auf die Beförderung einer christlichen Gemüthsrichtung hinzuwirken, und die Gesinnungen wahrer Frömmigkeit zu weiten, zu stärken und zu beleben. [...] Was bei diesen Ansprüchen eines treuen Seelsorgers an seine Gemeinde als das wesentliche hervortrete, kann ihm nicht verborgen bleiben, sobald er die eigentümlichen Erscheinungen unserer Zeit mit einer acht evangelischen Gesinnung und im Lichte der evangelischen Wahrheit betrachtet. [...] Die schändlichen Vorurtheile, welche die Unwissenheit, der Aberglaube und das Uebelwollen in dieser Beziehung zu verbreiten suchen, und durch welche schon sehr beklagenswerthe Ereignisse herbeigeführt worden sind, werden der gründlichen Belehrung und ruhigen Widerlegung des wohlgesinnten und einsichtsvollen Geistlichen am sichersten weichen, wenn er so glücklich ist, sich das Vertrauen seiner Gemeinde erobert zu haben. aus: Königl: Consistorium der Provinz Brandenburg. Circular-Verfügung an sämmtliche Geistliche der Provinz Brandenburg. Berlin, den 7ten September 1831, in: Domstiftsarchiv Brandenburg. Sig. NE 166/434. (Einzuschalten nach den Worten: „vorzüglich Deiner Gläubigen.") Wende von uns in Gnaden alle wohlverdienten Landplagen, Krieg, Hunger und theure Zeiten. Ja, wir trauen auf Dich, denn Du bist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hülfe in den großen Nöthen, die uns betreffen. Auch jetzt, wo eine verheerende Krankheit uns mit ihren Gefahren und Trübsalen bedroht [für Orte, wo die Seuche schon ausgebrochen ist: so viel Elend und Trübsal unter uns verbreitet] wirst Du es an Deiner Gnade und Erbarmens nicht fehlen lassen, und uns ein treuer Helfer seyn. [...] Errette uns, Gott unsers Heils! und mache unsern großen und schweren Bekümmernissen bald ein Ende. Wende die verheerende Seuche, von der unser Land [unsere Stadt, unser Ort] heimgesucht wird, nach Deiner unendlichen Barmherzigkeit von uns ab, und steure dem Elend, das sie anrichtet. Vermehre in uns die Kraft der Liebe und des christlichen Muthes zum treuen Aushalten in den Augenblicken der Gefahr und Noth. Trockne die Thränen der Trauernden, lindere die Schmerzen der Kranken, und mache den Sterbenden die letzte Stunde leicht. aus: Königl: Consistorium der Provinz Brandenburg. Circular-Verfügung an sämmtliche Geistliche der Provinz Brandenburg. Einzuschalten in das allgemeine Kirchen-Gebet wegen der Cholera-Krankheit. Berlin, den 7ten September 1831, in: Domstiftsarchiv Brandenburg. Sig. NE 166/434. Allgemeine Unzufriedenheit mit den Vorschriften der Immediatkommission und die erwiesene Unmöglichkeit der Häusersperre haben bewirkt, daß auf dringendes Anrathen des Polizeipräsidenten v. Arnim, nachdem derselbe geäußert, er müsse unter solchen Umständen seinen Abschied fordern, man beschlossen, jene Maaßregel nur in den dringendsten Fällen vorzunehmen, das heißt wohl: gar nicht, und dagegen die Wohnungssperre streng zu handhaben, nach Fortschaffung des Kranken oder Verstorbenen respektive nur 5 oder 10 Tage; was aber auch beinahe unausführbar scheint. Man wird, wenn die Krankheit aufhört, mit

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dem Streite über Ansteckung oder Nichtansteckung enden, ohne daß etwas ausgemacht seyn wird. Vor einigen Tagen erst waren etwa 100 Betten in den Lazarethen vorräthig; man ist beschäftigt diese zu erweitern. Der Widerwille der geringem Volksklasse dagegen ist indeßen groß, da in der That alle dorthin Gebrachten gestorben sind. Bisher hat hier nur ein Arzt, angeblich wegen Altersschwäche, seine Praxis niedergelegt, und ein Kreisarzt der Gegend ist wegen seiner Weigerung Cholerakranke zu besuchen, zur Verantwortung gezogen worden, welcher er sich unter dem Vorwande der Krankheit zu entziehen sucht. Dagegen ist andrerseits die selbsteigne Anzeige eine berühmten Wundarztes zu bemerken, der in er Zeitung bekannt macht, daß er auf Nachricht vom Ausbruche der Cholera in Charlottenburg, hie[r]her zurü[c]kgeeilt sey. Noch ist keine öffentliche Anstalt geschlossen, Theater und Museen werden jedoch schwach besucht, in den Schulen und Gymnasien zeigen sich Lü[c]ken, und mehrere hundert Studenten haben (ungerechnet die gewöhnlich zu Michaelis gehenden 300) die Universität verlassen. Des vermehrten Dienstes wegen sind alle beurlaubten Offiziere einberufen. aus: [Anonym.] Berlin, 7. Sept., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 256, 13. September 1831, S. 1022. Es sei deshalb bei jedem Cholera-Erkrankungs-Falle vorläufig und bis zur erfolgten Desinfection der gesammten Räume und Bewohner mittels Chlor-Räucherung und Waschens des ganzen Hausses [zu bleiben], aber das inficierte Local selbst abgesperrt werden. Bei dieser Maaßregel soll sich bis jetzt nirgend Widerstand haben blicken lassen, vielmehr sollen die Hausbewohner der diesfälligen Wirksamkeit der Schutzcommissionen fast überall entgegen gekommen sein. Wohl aber sollen einige Nebenpunkte in den vorgeschriebenen Sperrungsmaßnahmen nicht die nehmliche Aufnahme und Beurteilung im Publikum gefunden haben [...] Wir erlauben uns nur noch die ganz ergebenste Bemerkung, daß auch dem Hauptpunkte, aller Sperren, insofern eine wesentliche Förderung dadurch erwachsen dürfte, als die Willfährigkeit der Einwohner, die in den übrigen Punkten, die anderweit einen Anstoß gegeben haben, wie z.B. bei den Transporten nach den Heilanstalten, den Beerdigungen auf dem besonderen Begräbnisplatze bis gestern Mittag nirgend vermißt worden sein sollen, sich auch in Bezug auf die Sperrungen in einem noch höheren Grade, als es bis jetzt geschehen, aussprechen und manche Contravention, namentlich Verheimlichung von Erkrankungs- und Sterbefällen u.s.w. unterbleiben würde. aus: Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 7. September 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediatkommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61. Es näherte sich in den letzteren Zeiten diese vielköpfige Hydra, diese Göttin Ula-Bebi, auch in der Hindusprache wohl Ola-Utra bezeichnet, mit Riesenschritten, durch die Kriegsereignisse beinah mit den Haaren, so zu sagen, herangezogen. Es war zu erwarten und wohl erlaubt, daß bei dem jetzigen Standpunkte der Heilkunst von Rußland und Polen her - (auch durch französische, englische und deutsche Aerzte, die sich daselbst schon befanden, oder der Wissenschaft und Kunst wegen theils aus eigenem Antriebe, theils von ihren Regierungen gesendet, besonders nach Polen und namentlich nach Warschau strömten, worunter die

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achtbarsten, ja selbst berühmtesten Aerzte sich befanden) - endlich der wahre Löseschlüssel für die Räthsel dieser Sphynx der neuern Zeit mit jedem Tage gebracht werden würde, noch vor dem gefürchteten Momente, wo sie, auch unter uns erscheinend, uns ihre Todesfragen vorlegen möchte. Indeß wurde mir schon nach der entwickelten Ansicht des Wesens des Uebels die Hoffnung, wenn man ihm scharf und furchtlos ungeblendet in das fremdartige Todtengesicht schaute, Tag und Licht über die Art seiner Verbreitung, über die Natur der Krankheit und über die ihren drei Grundformen nach zu modifizirende, ganz einfache, folgerechte und naturgemäße Heilart zu gewinnen, und Gottlob habe ich mich nicht getäuscht. aus: Prof. Dr. [Karl Christian] Wolfart, Bruchstücke über die Indische Seuche [Vortrag vor der Berliner medicinisch-chirurgischen Gesellschaft vom 7. September 1831], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 55, 17. November 1831, S. 221. Getrost wenden wir uns mit einer Bitte an unsere Mitbürger! Die Kinder der ärmern Klasse laufen, wie Jeder sehen kann, zum Theil halb nackend in den Straßen umher, sehr viele ohne Fußbekleidung. Nun sind gewiß in jedem Haushalte Strümpfe, Schuhe, Stiefeln und andere Kleidungsstücke zu finden, welche nicht benutzt werden. Wäre es nicht gut, wenn Alle das, was sie zu entbehren können glauben möchten, zusammen suchten, und zur Abholung bereit hielten? Schon mancher Arme ist von milder Hand mit einer Leibbinde versehen worden, aber wie Vielen fehlt sie noch? Wir dürfen gewiß voraussetzen, daß unsere Armen-Commissions-Vorsteher sich der Annahme und zweckmäßigen Verabreichung der eingesammelten Kleidungsstücke an solche armen Familien, die sie dankbar benutzen, und die Sünde, sie zu verkaufen, fürchten, willig unterziehen, oder, wenn ihre Zeit und ihre Verhältnisse dies ihnen jetzt nicht gestatten, ein oder das andere Mitglied der ArmenCommission oder sonst einen wackern Mann des Bezirks dazu bereitwillig machen werden. Findet überhaupt unser Vorschlag Beifall, so wird die Ausführung sich schon in jedem Commissionsbezirke von selbst finden, und nach der Lokalität am zweckmäßigsten. Hier bietet sich auch für uns're Hausfrauen und erwachsene Töchter ein schönes Feld der nützlichen Wirksamkeit dar. Sollte ein Commissions-Bezirk zu viel für den nothwendigen Bedarf in ihm (von dem doch überall nur die Rede sein kann) erhalten, so wird es jedem als billig einleuchten, daß er an andere, z.B. die vorstädt'sehen Bezirke, wo die Noth am größten ist, abgeben muß. Um im Ueberblick des Ganzen zu bleiben, ersuchen wir jede ArmenCommission, von den an sie abgelieferten oder von ihr eingesammelten Kleidungsstücken kurze Empfangs-Anzeigen uns zu erstatten. Sollten endlich vermögende und gemeinnützig denkende Schuhmacher und Schneider sich etwa bereitwillig finden, die an sie abzuliefernden Kleidungsstücke den Armen, welche ihnen von uns oder den Armen-Commissionen zugewiesen werden, entweder unentgeldlich oder gegen die Selbstkosten passend machen zu lassen, so gewärtigen wir deshalb ihre gefällige Anzeige. Bekanntmachung. Die Armen-Direktion. Berlin, den 7. September 1831, in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 215, 14. September 1831, [S. 11.

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Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes, besonders unter den unbemittelten Einwohnern Berlins, eine dringende unerläßliche Pflicht für jeden, der dazu mitwirken kann, und zur Ereichung dieses Zwecks ist die Vertheilung einer gesunden warmen Speise an diejenigen, welche nicht im Stande sind, eine solche sich selbst zu bereiten, das wirksamste Mittel. Wir haben bisher nur während der Wintermonate aus zwei, zuletzt aus drei Küchen 3000 u. 4000 Portionen Suppe täglich vertheilt, beabsichtigen aber, in so fern uns die Mittel dazu gewährt werden 1) die Vertheilungen in diesem Jahre früher und wo möglich sofort anzufangen, 2) die Anzahl der Kochanstalten zu vermehren, um, so lange die Cholera hier dauert, durch die täglichen Austheilungen, wo möglich dem ganzen Bedürfniß zu genügen, 3) endlich, die Suppen durch Beimischung von Mehl, nahrhaften Vegetabilien und gewürzhaften Substanzen consistenter und geeigneter für die jetzt nöthige Diät zu machen. Mit wiederholtem lebhaften Danke für alle uns bisher zu Theil gewordene Hülfe, bitten wir alle unsre Mitbürger dringend uns besonders in diesem Jahre, die Ausführung unseres Vorhabens, durch wohlthätige Unterstützung möglich zu machen. Und zwar würde dieselbe in zweifacher Weise eintreten können. 1) Durch Geldbeiträge, deren Verwendung zu Suppenvertheilung uns überlassen würde, 2) durch Ankauf von Monats-Abonements zu Suppen, welche wir Jedem, der dergleichen zu eigener Vertheilung sich zu verschaffen wünscht, a 1 Thlr. für den Monat, also a 1 sgr. pro Quart Suppe täglich überlassen wollen. Zur Empfangnahme der baaren Beträge erbieten sich die Unterzeichneten, über den Verkauf der Abonnements behalten wir uns die nähere Anzeige vor, welche in den nächsten Tagen erfolgen soll. Die Namen der menschenfreundlichen Geber, wenn uns solche bekannt gemacht werden, den Betrag der Gaben und die Zahl der überhaupt vertheilten Portionen, werden wir monatlich zur öffentlichen Kenntniß bringen und hoffen um so zuversichtlicher, uns sehr bald in den Stand gesetzt zu sehen, mit der ausgedehnteren Vertheilung vorschreiten zu können. Denn die Bewürkung eines guten Gesundheitszustandes der unbemittelten Einwohner einer Stadt, ist mit das wirksamste Mittel gegen die Verbreitung der Cholera, folglich auch gegen die Gefahr der Ansteckung für alle übrigen Bewohner. [Bekanntmachung.] Direktion der Armenspeisungs-Anstalt. Berlin, den 7. Sept. 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 211, 9. September 1831, [S. 31. Starb der D[r]. Kalow an der Cholera, nach dem gestern noch einen an dieser Krankheit verstorbenen secirt und von dessen Blut gekostet hatte. Ich habe ihn sehr lieb gehabt. Er war ein geschickter Arzt und sehr gutmüthig. Ernst Ludwig Heim, Tagebucheintrag, 7. September 1831, in: Ernst Ludwig Heim, Tagebuch 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung. Sig.: Ms. boruss. Qu 493, S. 38. So befremdend es auch im ersten Augenblicke erscheinen mag, eine Frage in Anregung zu bringen, deren Beantwortung seit mehreren Tagen die traurigen Thatsachen außer Zweifel setzen, so hat der Arzt doch die tägliche Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß es nicht unnütz sein möchte, dieselbe öffentlich zu erörtern und die noch ziemlich allgemein obwaltenden irrigen Ansichten und Zweifel zu berichtigen. Handelte es sich um eine Krankheit,

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die, gleich der vor wenigen Monaten bei uns einheimisch gewesenen und sehr allgemein verbreiteten Influenza, unschädlich und harmlos an uns vorüberginge, so würde das Urtheil des Publikums über ihr Vorhandenseyn von geringster Bedeutung seyn, und selbst dem ungläubigen Zweifler würde daraus kein wesentlicher Nachtheil erwachsen. Aber es gilt eine Krankheit, die um so gefahrdrohender wird, je weniger man sich gegen sie rüstet; eine Krankheit, die, nach dem einstimmigen Urtheile aller Aerzte, sich viel leichter verhüten, als mit Erfolg behandeln läßt; eine Krankheit, der man sich eben so leicht aussetzt, wenn man sie zu wenig als wenn man sie zu viel fürchtet. Forscht man nach der Ursache, warum so viele, selbst aus den gebildeteren Ständen, noch immer daran zweifeln, daß es die ächte asiatische Cholera sey, die unsere friedlichen Fluren so feindlich bedroht, so kann man sich in der That eines inneren Schauers nicht erwehren, wenn man vernimmt, daß die verhältnißmäßig geringe Frequenz der davon Befallenen es ist, die jene Zweifel erregt. Ο Ihr Ungläubigen! Genügt es Euch nicht aus dem fernher rollenden Donner das dräuende Gewitter zu ahnen; muß erst der zündende, Verderben bringende Blitz Euch belehren! Ich wage es nicht, den Schleier zu lüften, der Eure Stimme umnebelt: der Anblick der traurigen Wirklichkeit könnte zu schrecklich Euch mahnen! - Ja, es ist leider nur zu wahr, die asiatische Cholera ist leider auch in unsern Mauern ausgebrochen, in ihrer ganzen, untrüglichen, Grausen erregenden Gestalt. Auch bei uns zeigt sie sich, wie bisher noch fast überall in Rußland, Polen und Preußen, mit jener bösen Eigenthümlichkeit, daß in der ersten Zeit der Epidemie, der redlichsten und gewissenhaftesten Bemühungen der Aerzte ungeachtet, fast alle davon Ergriffenen ihr als Opfer anheim fallen, wahrscheinlich, weil allemal zuerst die Schwächlichsten und diejenigen, die am meisten Empfänglichkeit für den Ansteckungsstoff haben, davon befallen werden. Aber der gütige Schöpfer im Himmel hat auch in dieser Zeit der Thränen und Noth seine milde Vaterhand nicht von uns abgewandt; die verhältnißmäßig geringe Anzahl der bisher daran Erkrankten läßt uns mit Zuversicht hoffen, daß diese Seuche bei uns nicht jene furchtbare Höhe erreichen werde, die sie anderswo erlangt hat. - Wir Alle können - dies ist unzweifelhaft wahr! - recht viel dazu beitragen, dem Uebel bald und schnell Einhalt zu thun, wenn wir die wichtigsten Vorsichtsmaaßregeln nicht verabsäumen, die im Stande sind, die Empfänglichkeit für jene Krankheit zu erlöschen. Furchtlosigkeit, warmes Verhalten und die Vermeidung der kleinsten Diätfehler sind die mächtigsten Bollwerke, die diese giftige Feindin des Menschengeschlechts nicht zu übersteigen vermag. Die Erfahrung der letzten Jahrzehende giebt tausendfältige Belege für die Richtigkeit dieser Behauptung. Aber eben darum ist es so wichtig, daß keiner unter uns der Ansicht Raum gebe, als sey die Cholera noch gar nicht hier ausgebrochen, damit jene wichtigen Schutzmittel nicht verabsäumt werden, damit nicht eine Sorglosigkeit eintrete, die Tausende unter uns gar leicht dem höchsten irdischen Gute, dem Leben, zu büßen Gefahr laufen würden. Möchten doch diese wohlmeinenden Zeilen auch bei den ungläubigen Zweiflern Eingang und Beherzigung finden, und möchten doch Alle anregen, mit der pünktlichsten Sorgfalt den Rathschlägen Gehör zu geben, auf die das Publikum im Allgemeinen durch die weisen Verordnungen unserer hohen Behörden, und fast jeder Einzelne unter uns durch seinen Arzt aufmerksam gemacht worden! Dr. St-, Ist die asiatische Cholera in Berlin wirklich ausgebrochen oder nicht?, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 210, 8. September 1831, [S. 71.

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Wie, wenn die Krankheit, die jetzt die eine Hälfte von Europa mit Trauer und die andere mit Sorge erfüllt, doch das Werk kleiner feindseliger Geschöpfe, wenn es die Bestimmung des Menschengeschlechts wäre, nach Besiegung der Riesen des Thierreichs, in dem viel mißlicheren Kampfe mit den Pygmänen desselben, deren Dasein sich nur durch das Röcheln ihrer Opfer kund giebt, seine Kräfte zu üben? Man geht vielleicht zu weit, wenn man, überwältigt von den Erscheinungen, die das Mikroskop aus den Tiefen eines Blattstiels oder eines Bluttropfens herausbeschwört, annehmen zu müssen glaubt, daß alles Leben von Myriaden von Leben zusammengebaut sei; aber es scheint keinem Zweifel zu unterliegen, daß diese zahllosen Geschöpfe und die zahllosen Heere derer, die bis jetzt der Zauber der mächtigsten Glaslinse nicht hat zur Erscheinung bringen können, eine viel größere Rolle in unserm Leben und im Leben und Dasein der Thiere und Pflanzen und der leblos scheinenden Massen spielen, als wir es uns bis jetzt haben träumen lassen. [...] Mit ihrer Größe scheint die Zahl dieser Geschöpfe im umgekehrten Verhältnisse stehn zu müssen, und die Thätigkeit der kleinsten kann daher als der Grund der größten und furchtbarsten Wirkungen gedacht werden. Die von Kienraupen und Heuschrecken angerichteten Verheerungen werden dem unterrichteten Auge, das weder die Kienraupe noch die Heuschrecke selbst zu erreichen und zu unterscheiden vermag, als Epidemien der Wälder und Felder erscheinen und demselben nicht minder räthselhafte Phänomene sein, als es uns zur Zeit die Seuchen der Thiere und Menschen sind. aus: Burchardt, Die Cholerathiere, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 175, 8. September 1831, S. 697. So eben hat die Presse verlassen und ist in der Rauckschen Buchhandlung, Hausvogteiplatz, Nr. 1., zu haben: Dr. Johann Wendt, Königlicher Geheimer Medicinal-Rath, Professor etc. Ueber die asiatische Cholera bei ihrem Uebertritte in Schlesiens süd-östliche Gränzen. Ein Sendschreiben an seine Amtsgenossen in der Provinz. Preus. Geheftet. 10 Sgr. Breslau, den 20. August 1831. Wilhelm Gottlieb Korn. So eben ist erschienen und in allen Buchhandlungen, Zeitungs-Expeditionen und Postämtern zu erhalten: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera. In Verbindung mit mehrern in- und ausländischen Gelehrten. Herausgegeben von Prof. Dr. Justus Radius. Erste Nummer. Von dieser Zeitschrift, deren Erscheinen die immer mehr zunehmende Wichtigkeit dieser Seuche für ganz Deutschland bedingt, werden wöchentlich, je nachdem sich der Stoff bietet,

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1-2 Bogen erscheinen. Sie ist für das große Publikum bestimmt, und wird jene Krankheit theils durch Aufsätze und kritische Anzeigen der über dieselbe erscheinenden Bücher, theils durch Correspondenz-Nachrichten, stets aus dem neuesten Gesichtspunkte des ärztlichen Wissens, darstellen. Man subscribirt auf 12 enggedruckte Bogen im Quart auf Velinpapier mit 1 Thaler. Baumgärtners Buchhandlung. Bestellungen hierauf übernimmt der Buchhändler C. S. Mittler in Berlin, Stechbahn Nr. 3., so wie dessen Handlungen zu Posen und Bromberg. Bei W. Martius u. Comp., Klosterstr. Nr. 17., ist zu haben: Predigt über die Cholera Morbus, von F. Arndt. Pr. 3 3/4 sgr. Als Fortsetzung zu dieser von demselben: „Die göttlichen Strafgerichte." Predigt über Luc. 19, 41-48. Pr. 1 sgr. netto.

Doppelte Friesdecken, Cholera-Binden und Cholera-Mäntel empfiehlt William Lebin, Gertraudtenstraße Nr. 11. Cholera-Mäntel, Hosen, Handschuhe und Kappen, werden im Einzelnen, als in größern Quantitäten, sowohl für hiesige als auswärthige Lazarethe und Bureaus aufs schnellste und billigste angefertigt vom Kleidermacher Granzow, Spittelmarktstraße Nr. 4. Feine Leibbinden von 8 sgr. an, Brüderstr. Nr. 8, eine Treppe hoch. Cholera-Mäntel, Handschuh und Leibbinden sind stets aufs zweckmäßigste angefertigt billigst zu haben beim Kleidermacher Granzow, Spittelmarktstraße Nr. 4. == Cholera-Bürsten == Die Galanteriehandlung, Bürsten- und Pinselfabrik von C. H. Kindel, Spandauerstraße Nr. 2, nahe der Garnisonkirche, empfiehlt auf ärztliche Verordnung und durch mehrere Aerzte approbirt, eine eigene Art Bürsten für Cholerakranke und die auf ärztliche Verordnung nöthigen Pinsel, Schwamm- oder Riechdosen, große und kleine Waschschwämme, Balsambüchsen, Räuchermaschinen, Gesundheitssohlen, Pest-Essig, Geldeinzieher, wo mit das Geld, ohne mit den Händen zu berühren, nach sich genommen werden kann, und viele andere Gegenstände. Briefe auf Bestellung im Dutzend, so wie im Einzelnen, werden franco erbeten.

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Lemberger Cholera-Leib-Kissen, von wollenem Zeuge mit Medicamenten gefüllt. Das Rezept letzterer ist mir auf solidem Wege zugekommen. In Lemberg hat ein FabrikenBesitzer bei den gewöhnlich üblichen Maaßregeln, mit Anwendung dieses Mittels, seine sämmtlichen 400 Arbeiter gesund erhalten. Bei Anwendung dieser Medicamente kömmt es auf ein richtiges Verhältniß an. Mehr um die Sache gemeinnützig zu machen, als Gewinnes wegen habe ich eine Partie dieser Leibbinden anfertigen lassen, und werden solche für den Preis von 15 sgr., an Männer bei den Herren Alfiery und Alouchery, Molkenmarkt Nr. 2., und an Frauen bei Madame Schindowsky, Friedrichstraße Nr. 66. im Laden verkauft. Henry L .... e. Dampfbad-Apparate und Stechbecken empfiehlt die Eisenwaarenhandlung am Hackeschen Markt Nr. 4., nahe der Spandauerbrücke. Die von dem hiesigen Stadtphysikus, Hrn. Dr. Natorp, als zweckdienlich befundenen Apparate zur Erwärmung der Cholera-Kranken im Bette, nebst Korbdeckel, sind zu haben bei Blomberg, Elisabethstr. Nr. 20. und Alexanderstr. Nr. 63. im Laden. Für die Herren Apotheker. Von Rad. Ipecacuanhae, Castor, mosc., Ol. Menth, pip. und Opium theb. empfangen und bereits einen Posten neue Cantharides zu erhalten in wenigen Tagen L. Meyer u. Comp. Chlornatrumweisser zum Waschen, Sprengen etc. a 10 sgr., Chlorpulver, bei sich zu tragen etc., a 2 1/2 sgr., dito Seife, ferner Riechsalz und Riechessig bei sich zu tragen, Räucheroder Pest-Essig a 7 1/2 sgr. und aromatische Wasser, auch Chlorgas- oder DesinfectionsApparate, die sich vor andern auszeichnen, empfiehlt als bewährt gegen AnsteckungsMiasmen J. D. Walcker, Oberwallstr. Nr. 18. Vinaigre de quatre voleurs (Pest-Essig) a Quart 10 sgr., den Anker 6 thl., das Orhoft 30 thl., eine Gattung nach ärztlicher Vorschrift zum Einreihen der Glieder a Qrt. 1 thl., ParfümEssig a Loth 2 1/2 sgr., verkauft die Fabrik Friedrichstr. 171., Französischestr.-Ecke F. W. Engelmann. Die Preise der verschiedenen Räucheressige hat die unterzeichnete Fabrik, um sie gemeinnütziger zu machen, heruntergesetzt, und wird daher von heute ab Vinaigre de quatre voleurs zu 5 sgr., aromatischer Räucheressig a 4 sgr., Chloressig a 2 1/2 sgr. das Quart verkauft. An Wiederverkäufer wird der Preis noch billiger notirt. - Die Essigfabrik von C. H. Steinert, Sophienkirchgasse Nr. 19.

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Aechten Vinaigre de quatre voleurs (Pest-Essig) Chlor-Kalk, so wie auch Cholera-Chocolade ist wieder vorräthig und empfiehlt billigst G. Kuhpfahl, neue Friedrichstr. Nr. 75. [Anzeigen], in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 210, 8. September 1831, [S. I f f . ] . Die durchstochenen und wohldurchräucherten Blätter, welche Ihnen, verehrter Herr Hofrath, diesen Bericht überbringen, werden Sie bereits belehrt haben, daß die freundliche Dame aus Rußland, trotz aller angewandten Vorsichtmaßregeln, endlich auch bei uns eingesprochen hat; doch beträgt sie sich bis jetzt noch ziemlich artig und da, wie Tasso sagt: „L'aepettar del male e mal paggiore Forse, che non parebbe il mal presente!" die Furcht vor der Cholera ein größeres Uebel ist als die Gefahr selbst, so sind mehrere anständige Personen, unter welchen auch ich bin, recht zufrieden, daß sie endlich - weil sie denn doch kommen mußte - da ist, indem man nun bereits an ihren Abgang denken und selben hoffen kann. Daß man in Berlin über das Erscheinen dieser Moskowiterin besonderes Vergnügen empfindet oder den Leuten, welche sie uns spedirt haben, besonders hold und gewogen sey, kann nicht wohl behauptet werden, indeß macht man bonne mine a mauvais jeu, ist ziemlich munter, besucht beide Theater, besonders wenn gesungen wird, geht in die Kirchen und Schulen und trinkt sein Gläschen Wein wie sonst. Der Spekulation hat diese Dame ein weites Feld geöffnet; die Intelligenzblätter und Zeitungen fassen nicht mehr alle Pflaster, Weine, Liqueure, Bonbons, Kissen, Seifen, Essige, Räucher-Apparate, Schlafröcke und Schlafmützen, welche als unfehlbare Schutzmittel gegen selbe angepriesen werden, und wer alle Schriften gegen, über und von der Cholera lesen wollte, müßte unfehlbar die Cholera bekommen, wenn er auch nicht die mindeste Disposition für selbe hätte. Für die Literatur ist jetzt eine arge Zeit eingetreten; ein Buch, welches nicht ein „Cholera" an der Spitze führt, wird nicht beachtet; die baaren Beträge, welche man sonst dem Buchhändler zuwandte, werden zur Anschaffung einer Hausapotheke verwandt. [...] Es ist ein glücklicher Zufall, daß diese Kannibalin erst spät erschien und wenigstens den Wollmarkt, das Pferderennen und die Messe zu Frankfurt a.d. Oder nicht störte. Das Pferderennen, obwohl selbes in diesem Jahre besonders glänzend war, hätte man wohl entbehren können, aber Tausende würden in das tiefste Elend versetzt worden seyn, wenn der Wollmarkt und die Messe zu Frankfurt nicht abgehalten werden konnten. Für die unteren Volksklassen wird von Seite des gütigen Königs recht väterlich gesorgt; man sucht die Arbeitlosen zu beschäftigen und sichert ihnen wenigstens ihre Existenz; der ganze Druck der Zeit lastet auf dem Mittelstande, den Handwerkern, besonders aber auf Künstlern und Gelehrten, welche keinen feste Besoldung beziehen, doch nicht wohl hingehen können, Erde und Schutt zu fahren und eben darum einige Aufmerksamkeit verdienten. Th-or Β. ν. Ν-ff., Aus Berlin [Anfang September], in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 230, 26. September 1831, S. 920.

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Die Gefürchtete ist in unsern Ringmauern. Der Muth kömmt, wenn man dem Feinde ins Gesicht sieht, nicht wenn man niederduckt, die Augen zudrückt und sagt: er ist nicht da! Die reine Luft, das wolkenlose Blau des Horizonts, schöne klare Herbsttage, nachdem zweitägiger Platzregen die drückende Staub-Gewitterluft verscheucht, erfrischen den Sinn. Noch klopfen die verlarvten Leichenträger nur an die Thüren solcher, denen man Diätfehler nachweisen kann. - Die furchtbaren Klingeln, die schwarzen Wachsüberzüge der Aerzte sind unterblieben. Auch das giebt Muth. - Von nun an tägliche Zusammenkünfte der medico-chirurgischen Gesellschaft. - Anlegung neuer Lazarethe - tarde venientibus - ! Durchstochen und durchräuchert alle Stadtbriefe. - Chlor, Essig und Wacholder dampfend aus den Kaufläden, Comtoirs, Bureaus! - Hie und da eine Essigschüssel auf dem Ladentisch, das Geld hineinzuwerfen. Aber das Papier entschlüpft der Controlle. - Mannigfache Beschäftigung für die unbeschäftigten Arbeiter. Projectirte und angeordnete Erweiterung des Charitegebäudes. - Die große Flucht aus Berlin sistirt durch die Absperrung. - Die Universität hat schwache Aussichten für den Winter. Die nicht entflohenen Studirenden treten zusammen, unter vier Facultätsvertretern eine Verpflegungscasse für etwa an der Cholera erkrankende Commilitonen zu errichten. Die Henningsche Schulanstalt sang am Mittwoch mehrere Choräle in der Sophienkirche zum Besten der Choleraanstalten. - Viele Wohnungen stehen leer. - Alle Fischarten, - zumal Aale - alle Obstarten - vor allem Melonen - im Cours gesunken, ausgeboten um Spottpreise. Sine Cerere et Baccho füget Venus. Noth ihrer armen Priesterinnen. - Ein beherzigenswerther Vorschlag von Frankfurt am Main zur Steuerung der Cholerafurcht: „Zu Euern Listen der an der Cholera Erkrankten und Gestorbenen fügt eine Rubrik hinzu: wie viel in andern Jahren ohne Cholera gestorben. Nur der Ueberschuß gehört der neuen Krankheit an". - Justiz-Rath Wollank, ein geschätzter Musikfreund und Kenner, selbst Componist, wurde ihr erstes namhaftes, bedeutendes, schnelles Opfer hier. [Anonym. ] Wochenlese, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 177, 10. September 1831, S. 709. Die Übeln Folgen der Cholera fangen nunmehr auch bei uns an sich allmählig zu zeigen. Handel und Gewerbe beginnen zu stocken. Mehrere Fabrikherren haben ihre Fabriken geschlossen, viele Meister von verschiedenen Gewerken, die sonst 20 bis 30 Gesellen hielten, haben deren je[t]zt kaum zwei oder drei. Daß hierdurch eine große Anzahl von Menschen brodlos und unbeschäftigt werden, ist natürlich. Die Regierung schlägt verschiedene Wege ein, um den gefährlichen Folgen, die aus einem solchen Zustande hervorgehen können, vorzubeugen. Vorerst sollen alle ausländischen Handwerker, die keine Beschäftigung haben, von hier entfernt werden. Dann werden mehrere Bauten unternommen, einige Straßen neu gepflastert. Natürlich sind dieß alles nur prekäre Mittel und die große Anzahl der unbeschäftigten Armen kann unmöglich dadurch ganz befriedigt werden. Namentlich dürfte der große Mangel in den niedern Klassen sich erst dann recht fühlbar machen, wenn die Krankheit heftiger um sich griffe und so den Unbemittelten große Kosten verursachte. [...] Ein Uebel äußert sich leider aber auch bei uns, das im Ganzen von der vielgelobten hohen Bildung unseres Landes keinen sonderlich hohen Begriff giebt. Es ist Dieß die unbegreiflich einfältige Meinung de Volks (nicht bloß des Pöbels, sondern auch sehr Vieler, die zur sogenannten gebildeten Klasse gehören), daß die Aerzte die Krankheit verschlimmerten, daß sie

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viele Kranke, in dem Wahne, daß sie von der Cholera befallen wären, falsch behandelten und dadurch tödteten; ja es geht die Verblendung so weit, daß man nicht selten äußern hört, die Cholera sey eigentlich noch gar nicht hier, sondern die Aerzte behaupteten es bloß, weil sie's einmal gesagt hätten und sich je[t]zt nicht mehr widersprechen wollten. Die Erbitterung gegen die Aerzte hat daher auch hier sehr zugenommen und man erzählt sich schon im Vertrauen einen Fall, wo einem armen Medikus arg mitgespielt worden. aus: [Anonym.] Berlin, den 10. September, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 82, 16. September 1831, S. 497f. Bei den bisher hier vorgekommenen Cholera-Kranken hat sich fast immer nachweisen lassen, daß Diätfehler oder Erkältungen vorausgegangen sind; die Wahrnehmung und deren Verbreitung durch die Ärzte hat die erste Aengstlichkeit schon etwas gemindert, und mancher, der bisher seine Lebensweise nicht regelte, unterwirft sich nun vielleicht dieser besseren Ein- und Aufsicht. Diese ist nun einmal gegen die Cholera das Nothwendigste, und man soll nicht die leisesten Symptome leichtfertig hingehen lassen, sondern sogleich nach den bestehenden Verordnungen seine Vorkehrungen treffen, die jedenfalls unschädlich sind. Unsere Aerzte erstarken übrigens auch schon mehr und mehr, da bestimmte Beweise der Ansteckung sich nicht ergeben, vielmehr die zeitherige Erfahrung, wie oben schon bemerkt, mehr dagegen ist. Aber trotz dem - äußerste Vorsicht und Beobachtung! - wir kämpfen immer noch gegen einen unerkannten Feind, und unsterblicher Ruhm und Dank wird Denen zu Theil, die zuerst ihn in die Flucht schlagen! aus: -L, Berlin, in: Der Gesellschafter 10. September 1831, S. 732.

oder Blätter für Geist und Herz [Berlin], Nr. 147,

Laut einer von Hrn. Dr. Cerutti mir mitgetheilten Privatnachricht aus Berlin vom 10. Septbr. schreitet die Cholera nur langsam weiter. Der größte Teil der Kranken hat sich das Uebel theils durch Erkältung, theils durch Unmäßigkeit im Essen und Trinken zugezogen. Die mehrsten Erkrankungen sind in dem von der Spree umschlossenen Stadttheile erfolgt, während andere Stadttheile, die vorzugsweise von der ärmeren und ärmsten Classe bewohnt werden, z.B. die Gegend am Hamburger Thore, bis jetzt noch ganz gesund geblieben sind. Diejenigen Kranken, welche in ihren Wohnungen zweckmäßige Behandlung erhalten können, verbleiben daselbst, und wenn unmittelbar bei den ersten Symptomen geeignete Mittel angewendet werden konnten, sind sie größtentheils gerettet worden. Oft ist aber in diesen häufig vorkommenden Fällen der Behörde keine Anzeige davon gemacht worden, und daher kommt es auch, daß in den officiellen Listen die Anzahl der Genesenden so unverhältnißmäßig klein gegen die der Gestorbenen erscheint. Todsfälle werden ihr dagegen angezeigt, und zu denen in den Heilanstalten gezählt. Letztere nun aber leider vom Mittelpuncte der Stadt ziemlich weit entfernt, und die dahin gebrachten Kranken sind um so sicherer ein Opfer, als bei ihnen die Behandlung unmittelbar am Anfange der Krankheit versäumt wird. Beispiele von Ansteckung sind nicht vorgekommen; ein jeder geht ruhig seinen Geschäften nach und nirgends ist eine Hemmung vorgekommen. Dr. [Friedrich Peter Ludwig] Cerutti an Justus Radius, 10. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine CholeraZeitung), Bd. 1, Nr. 5, 14. September 1831, S. 55f.

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Noch ist die Cholera hier nicht in die Stadtviertel gedrungen, wo die Wohlhabenden und durch verständige Vorkehrungen Vorbereiteten, wohnen, und die große Sterblichkeit unter den Ergriffenen läßt sich durch ihre Lebensweise und Wohnung erklären. Zwei Sterbefälle, eines Justizraths und eines jungen Arztes, verlieren durch die Umstände und Verhältnisse dieser Männer viel von ihrem Beunruhigendem. Der allgemein bedauerte Arzt, der eine liebenswürdige Braut hinterläßt, fiel durchaus als Opfer seines unbegränzten Eifers, und erkrankte ohne Rettung, nachdem er einen ganz hülflosen Cholerakranken in Ermangelung aller Bedienung selbst einige Stunden frottiert, und vorher schon an den Folgen einer Erkältung gelitten hatte. Bei seinem feierlichen Begräbnisse rottete sich einiger Pöbel zusammen, der mit wildem Geschrei Schimpfreden gegen alle ärztliche Hülfe ausstieß. Ein kleines Kavalleriepiket stiftete Ruhe. Sonst sind die Anstalten überall gut, und der Polizeipräsident v. Arnim hat schon einigemal sich veranlaßt gesehen, den 62 Diskriktsvorstehern seine Dankbarkeit laut auszusprechen. Die Stadtbevollmächtigten haben unter königlicher Garantie eine Anleihe von 300.000 Thalern zur De[c]kung der dringendsten Hülfe und Verpflegung gemacht. Der König, welcher täglich von Charlottenburg herein in die Stadt kommt, und sich auch bei dieser Noth als thätig helfender und rathender Vater seines Volkes zeigt, bringt selbst die größten Opfer. Die Kronprinzessin nimmt sich mit unermüdeter Thätigkeit und baarer Wohlthätigkeitsspende besonders der Kinderschulen, des Wadzeckschen Instituts und ähnlicher Institute an. Das königliche Haus wetteifert im Wohlthun mit den wohlhabenden Einwohnern aller Stände. Aber unsere Apotheken sind fast erschöpft und die Preise steigen täglich! Charlottenburg und Potsdam sind bis je[t]zt noch verschont geblieben. [Anonym.] Berlin, 10. Sept., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 260, 17. September 1831, S. 1039f.

Und da erkennen wir denn auch erst recht das Thörichte solcher Angst, indem sie selbst beschleunigt, was sie verzögern und abwenden will. Weise nennen wir den, der in der Wahl und Anordnung der vorhandenen Mittel zu einem löblichen Zwecke sorgsam und besonnen verfährt; aber ist wohl die Angst und Noth des Gemüths ein solches Mittel zu dem an sich löblichen Zweck der Selbsterhaltung, oder nur fähig, die zweckmäßigsten Mittel zu wählen und anzuordnen; blendet und verwirrt sie nicht den Verstand, macht sie nicht unschlüssig und unfähig, Zeit und Gelegenheit zu ergreifen zum Widerstande, und führt sie durch das Alles nicht in den meisten Fällen eben das Uebel herbei, das sie vermeiden will, und vergrößert es wenigstens, indem sie es abwenden und schwächen will? Da ist also die Angst an einem Punkt, wo sie im Widerspruche sich befindet mit sich selbst, und sich ihre Thorheit klar erweiset, indem sie das Mögliche unmöglich macht und das Unmögliche möglich machen will. aus: Dr. Philipp Marheineke, Predigt über Matth. 6,24-34. Gehalten am 15ten Sonntage n. Tr. [11. September], in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 36f.

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Wir leben gegenwärtig in einer Zeit, wo alles was sonst in Bezug auf das irdische Leben unser Gemüth bewegte, und die Aufmerksamkeit unseres Geistes auf sich zog, in den Hintergrund zurückgedrängt worden ist von der einen sich uns unwiderstehlich aufdringenden Betrachtung der Nichtigkeit unseres irdischen Lebens überhaupt. Mit ernsten schweren Gerichten, wie sie Jahrhunderte nicht über uns verhängt waren, hat Gottes Hand unser Land und unsere Stadt heimgesucht. Der Tod, der Sünden Sold, der schlimme Feind unseres von Gott abgefallenen Geschlechts, immer furchtbar, hat sich jetzt unter uns mit eigenthümlichen Schrecken umgeben, und was ihm sonst nur selten vergönnt ist: wie im Fluge dahinzuraffen das scheinbar gesunde Leben der Menschen, und unangekündigt anpochend seine Beute in wenigen Stunden in das Grab zu werfen, das übt er jetzt als ein grauenerregendes recht aus; jeder Abend nennt uns eine neue Zahl seiner Opfer, die ihm auf diese Weise anheimgefallen sind, und mächtig ergreift uns der Gedanke, daß die Namenlosen, die darunter befaßt werden, alle Menschen, die unsere Brüder sind, die so plötzlich und auf eine so leidenvolle Weise abberufen worden sind vom Lichte des irdischen Tages in die Nacht, da niemand wirken kann, und aus der wir nur erwachen, um dort zu empfangen, wie wir gewandelt und gehandelt haben bei des Leibes Leben; und daß jeden Tag, jede Stunde auch an uns und die, welche uns die nächsten sind, der Ruf ergehen kann: Bestelle dein Haus, denn du mußt sterben. [...] Man sagt euch von vielen Seiten her, daß ein Hauptmittel, sich sicher zu stellen vor der Gefahr, die uns die tödtliche Krankheit drohet, Verbannung der Furcht und Angst sei. Ja, antwortet ihr, wie aber kommen wir los von der Furcht, die sich immer wieder von Neuem meines Gemüthes bemächtigt, die durch tausend Dinge immer wieder genährt wird; wir können nicht Herr derselben werden, und nun fürchtet ihr nicht bloß das Uebel, sondern auch die Furcht vor demselben, und fallet so aus einer Furcht in die andere, und führt aus Furcht des Todes ein elendes Sclavenleben. Wie ihr loskommet von der Furcht? Durch keine vernünftige Betrachtung, keinen weisen Rath der Menschen, kein in euch und anderen liegendes Heilmittel; allein durch Buße und Gebet, durch Erhebung eurer Herzen über alles Irdische hinaus zu eurem treuen, himmlischen Vater [...] aus: Fr[iedrich] Sack, Predigt Uber Ps. 39,5-8. Gehalten am Ilten September, in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 171 f., 182. Der Pestkarren rollt mit dumpfem Tone durch die Straßen, begleitet von dem Hohn- und Drohgeschrei des Pöbels; die Krankenkörbe stehen vor den Häusern, um die Elenden zu empfangen, welche von herzlosen Wärtern den Ihrigen entrissen und in die Lazarethe geschleppt werden; Wachen sperren die Eingänge zu den Wohnungen und Häusern, aus denen Mutter oder Vater schied; und aller öffentliche Verkehr, jedes heitere Treiben und Weben ist gelähmt. Besorgniß spricht aus allen Mienen und bange Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Noch sind für eine Bevölkerung von 240.000 Menschen freilich verhältnißmäßig sehr wenige Opfer abgefordert worden (bis heute etwa 150), aber alle Aerzte sind der Meinung, daß es sich binnen Kurzem ganz anders gestalten und namentlich in der dritten Woche die Sterblichkeit zu einer Höhe steigen werde, die wir jetzt gar nicht ahnen. Immer

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mehr scheint sich zu bestätigen, daß von persönlicher Kontagion selten oder nie die Rede seyn kann; sondern vielmehr, daß die Miasmen epidemisch verbreitet, durch Lokalität befördert, ein Ansteckungsstoff die ganze Atmosphäre schwängert, den wir einathmen. Deßwegen fühlt sich auch kein Mensch ganz wohl und Jeder klagt, sey's über ein kleinstes Uebel. Wer nun entweder den Keim zu einer schweren Krankheit (die in einigen Tagen doch ausgebrochen seyn würde) schon halbentwickelt in sich trug; oder wer sich erkältet, im Essen oder Trinken übernimmt, bei dem findet jener Ansteckungsstoff guten, fruchtbaren Grund und rafft ihn hin. Da ist denn auch niemals Hülfe, und wo die Symptome der asiatischen Cholera (d.h. Blutverwandlung u.s.w.) erst sichtbar geworden, da kann kein Gott mehr retten. Wo aber die Krankheit erst im Anzüge ist und durch augenblickliche, zweckmäßige Mittel gebändigt wird, da kann man so eigentlich nicht behaupten, daß dies die Cholera gewesen sey, sondern nur, daß sie es hätte werden können. Deßhalb stellen sich die Resultate der Hospitallisten so ungünstig, daß 98 Procent gestorben sind; denn wer einmal als entschieden cholerakrank abgeliefert worden, der ist auch schon todt. Im Umgange mit geistreichen Aerzten, mit vielen Vorstehern der bürgerlichen Schutzkommissionen, aus dem, was ich gelesen, gehört und zum Theil schon mit erlebt, habe ich mir ein Familien- und Hausgesetz zusammengestellt, dessen Quintessenz ich Ihnen hier in zwei Worten mittheile. Des Morgens wird der Kaffee stärker, als sonst gemacht; auch die Kinder trinken davon, statt der sonst gewöhnlichen Milch. Zum zweiten Frühstück (was sonst bei uns nie Statt fand) wird ein Schluck Portwein genommen. Außer Suppe und Fleisch kommt fast nichts auf den Tisch. Von Gemüse nur Kartoffeln, Reis und die trockenen Hülsenfrüchte. Kein Obst, kein Kuchen. Auch des Abends wird Suppe gegessen oder Thee getrunken, aber Niemand darf sich ganz satt essen. Alle, Mann, Weib, Kinder und Gesinde tragen wollene Leibbinden und halten sich sehr warm. Champagner und säuerliche Weine sind durchaus verbannt. Das Hauslazareth besteht aus wollenen Decken und Mänteln, nebst einigen FlanellLappen und Bürsten zum Frottiren. Die Apotheke aus: a) einer großen Flasche Brennspiritus; b) eine ditto Kampherspiritus; c) etlichen Pfunden Camillen-, Krause-, PfeffermünzeThee's; d) einem Fläschchen Camillenöl; e) einer großen Flasche Pestessig zum Waschen; f) etwas Steinkohlentheer zum Räuchern. So gerüstet erwarten wir den Feind, fest entschlossen, Jedem im Hause, der über Frost, Schwindel, Uebelkeit und Krampf klagt, dermaßen zuzusetzen, daß er Angstschweiß schwitzen muß. Das Einfachste und Beste bleibt immer das hier erfundene Dampfbad. Sie nehmen einen gewöhnlichen Rohrstuhl; unter diesen stellen Sie eine Obertasse, mit Campherspiritus gefüllt, bedecken dieselbe aber mit einem eisernen Topf oder Kessel (unter welchen drei Stückchen Holz gelegt sind, damit die Flamme Luft behält), und nun setzen Sie sich auf den Stuhl in eine Decke gehüllt und lassen sich von Fuß bis zum Hals mit Betten, Decken u.s.w. einpacken. Der verbrennende Campherspiritus erzeugt binnen wenigen Minuten mehr Hitze, als Sie brauchen; und sobald Sie die Transpiration fühlen, wälzen Sie sich mit aller Emballage auf das (natürlich daneben stehende) Bett. Wer schwitzt, ist gewöhnlich gerettet. Bei all' den erwähnten Prozeduren ist nicht zu vergessen, daß so viel Thee und so heiß als möglich getrunken werden muß. - Alle meine Maßregeln sind durch

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Königsberger Freunde approbirt, die sich theils ganz bewahrt, theils auch, von den ersten Symptomen befallen, retten konnten. Privatschreiben aus Berlin, 11. September 1831, in: Hesperus. Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser, Nr. 238, 5. Oktober 1831, S. 949f. Einige Klassen der hiesigen Einwohner stehen, wie uns angezeigt wurde, in der Meinung, daß es vorgeschrieben sey, die an der Cholera erkrankten Personen ohne Weiteres und gewissermaßen gezwungen nach den Cholera-Heil-Anstalten zu schaffen. Eine solche Vorschrift ist aber nicht gegeben, vielmehr hat die Verordnung des Allerhöchstverordneten Gesundheits-Comites vom 23. vorigen Monats ausdrücklich festgesetzt, daß jeder CholeraKranke in seiner Wohnung gelassen, dort behandelt und gepflegt werden könne, sobald es sein augenblicklicher Zustand erfordere, seine Angehörigen die Belaßung in der Wohnung wünschen, und überhaupt diese letztere von der Art ist, daß dem Erkrankten darin die nöthige Hülfe gewahrt werden kann, und seine Angehörigen nicht darunter leiden. Die CholeraHeil-Anstalten der städtischen Commune und der Schutz-Commissionen treten also nur aushelfend oder in den Fällen hinzu, wo andere geeignete Hülfe fehlt. Uebrigens halten wir uns verpflichtet, anzuzeigen, daß nach den bisherigen überall bestätigten Erfahrungen, in den Heil-Anstalten, bei gehöriger Behandlung, mehr Erkrankte genesen sind, als in PrivatWohnungen. Bekanntmachungen. Die Verwaltungs-Behörde des Allerhöchstverordneten GesundheitsComite ftir Berlin, v. Arnim. Berlin, den 11. September 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 213, 12. September 1831, [S. 1 ]. Schon hat, wie Sie wissen, die Begleiterin der Russen ihre weiten Fittiche über unsere Stadt ausgespannt und es ist sehr finster. Der Pestkarren rollt mit dumpfem Tone durch die Straße, begleitet von dem Hohn- und Drohgeschrei des aufrührerischen Pöbels; die Krankenkörbe stehen vor den Häusern, um die Elenden zu empfangen, die von herzlosen Wärtern den Ihrigen entrissen und die in Lazarethe geschleppt werden; Wachen sperren die Eingänge zu den Wohnungen und Häusern, aus denen Vater oder Mutter schied, und aller öffentliche Verkehr, jedes heitere Treiben und Thun ist gelähmt. Besorgniß spricht aus allen Mienen und bange Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. [...] Unsere Theater sind noch nicht geschlossen. Sollte aber die Krankheit (die ich nicht mehr nennen will) gewaltiger um sich greifen, so kann's nicht unterbleiben. - Weil man nun gesellige Zusammenkünfte möglichst meidet, um keine Gelegenheit zu Diätfehlern zu geben, so fehlt es auch belebenden und heitern Stunden. Jeder ist so viel als möglich, zwischen seine vier Pfähle gebannt und, selbst das Spazierengehen verbietet sich, weil das Wetter zu schlecht ist. aus: [Anonym.] Berlin, den 12. September, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 88, 22. September 1831, S. 531f.

Es sei uns bei dieser Gelegenheit erlaubt, einen hochlöblichen Magistrat ganz ergebens darauf aufmerksam zu machen, ob der Particularismus, in dem die Schutz-Commissionen Gelder einsammeln, und darüber disponiren, für das Ganze ersprießliche Folgen haben dürfte. Wir haben bei dem schweren Winter 1829/30 die Erfahrung vom Gegentheil ge-

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macht; in den wohlhabenden Bezirken wurde viel gesammelt, und zu viel gethan, weil viel Geld da, und die Idee vorherrschend war, es sei für den Bezirk einmal bestimmt, und außer den Gränzen nicht zu verwenden. Offenbar ist dies ein schädlicher Particularismus, den wir stets bemängelt, und in eine dem Ganzen entsprechende Richtung umzuwandeln uns bemüht haben. Wir stellen inzwischen die Würdigung dieser unmaßgeblichen Bemerkung für die Cholera-Angelegenheit dem Ermessen eines hochlöblichen Magistrats lediglich anheim und haben kaum nöthig zu bemerken, daß die von den Schutz-Commissionen veranstalteten Sammlungen die Meinung begründen dürften, die Armen-Collecte noch mehr abnehmen zu sehen, welches zu einer Zeit, wo das Bedürfniß der Armen, mit ihrer Anzahl wächst, und durch beginnende Theurung für den Winter erhöht werden dürfte, sehr zu bedauern, aber freilich nicht zu ändern ist. Die Armen-Direction. Büsching. Semmler. Staegemann. An den Magistrat Berlins, 12. September 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 242. Im allgemeinen ging es in der vorigen Woche sehr still im Getreidehandel am hiesigen Kornmarkte, indem die Consumenten nur das höchst nöthigste kaufen; es ist auch nur wenig von Weitzen, Roggen und Hafer hier, mithin drängen sich die Eigner nicht sehr zum Verkauf, da doch das, was verkauft wird, größtentheils auf Credit gegeben werden muß. - Für schönen WEITZEN wurde bis 76 Rthr., geringer bis 70 Rthlr., und mit etwas Auswuchs besetzter mit 65 Rthlr. verkauft. - ROGGEN ist auf dem Boden mit 46 bis 47 Rthlr., pr. Wspl. zu 25 Schfl., zu haben, am Wassermarkt wird für einzelne Wispel 46 bis 48 Rthlr. bezahlt. - GERSTE von der Saale ist mit 34 Rthlr. bezahlt worden. - HAFER, schöner Pommerscher 24 bis 25 Rthlr., auf Lieferung vor Zugang des Wassers wird 211/2 Rthlr. gefordert, jedoch ist noch nicht über 21 Rthlr. dafür geboten worden. - ERBSEN werden jetzt auf 36 bis 38 Rthlr. gehalten. - MALZ 27 Rthlr., und findet mehr Frage; 26 Rthlr. wird geboten. BRANNTWEIN von Getreide sowohl wie von Kartoffeln behauptet sich im Preise, und macht man seit einiger Zeit wegen des bedeutenden Absatzes keinen Unterschied im Preise, es sey denn, daß es im Geschmack vernachlässigte Waare ist, die danach geringer bezahlt wird; für reinschmeckenden Branntwein wurde 29 bis 30 Rthlr. pr. Saß von 200 Quart, 54 nach Tralles, bei 12 1/2 Grad Temperatur, bezahlt. Berlin, vom 12. September. Getreide-Bericht, in: Preussische Handlungs-Zeitung für Kaufleute, Geschäftsmänner und Landwirthe, Nr. 553, 13. September 1831, [S. 2]. Wir erhalten von einem unserer berühmtesten Aerzte, welcher zugleich einer unserer verehrtesten Mitbürger ist, Folgendes zur öffentlichen Mittheilung: Ein Wort an meine lieben Mitbürger über die Ansteckung der Cholera und die beste Verhütung derselben. Ihr streitet Euch über die Frage: Ist die Cholera ansteckend oder nicht? - Die Antwort ist sehr leicht und einfach. Jedes Jahr stellt sie sich euch in dem, im Frühjahr allgemein grassirenden, Schnupfen vor Augen. Niemand zweifelt, daß er ihn aus der naßkalten Luft bekommt, aber eben so wenig zweifelt man daran, daß man ihn, wenn man ihn heftig hat, durch einen Kuß andern mittheilen kann. - Eben so ist es nun mit der Cholera. Auch sie

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entsteht ursprünglich durch eine eigenthümliche Luftverderbniß. Aber hat sie sich in einem Menschen entwickelt, und zwar ihm höhern Grade, dann kann sie sich von diesem auf einen andern mittheilen. Dazu gehört aber eine besondere Anlage oder Empfänglichkeit in dem Menschen. Und diese ist Gott Lob! sehr selten. Denn die Erfahrung hat bisher gelehrt, daß selbst die, die sich am nächsten mit den Kranken beschäftigen, Aerzte, Krankenwärter u. dgl. nur höchst selten von der Krankheit befallen wurden. Aber auch selbst diese Empfänglichkeit steht in unserer Gewalt, zu erzeugen und zu verhindern, wie ebenfalls die Erfahrung sattsam bewiesen hat. Es sind nämlich zwei Dinge, welche zeither immer vorhergingen, wenn jemand von der Krankheit befallen wurde, und also offenbar ihm erst die Empfänglichkeit für die Krankheit gaben. Sie sind: Erkältung, besonders in naßkalter Morgen- und Abendluft, und Diätfehler, entweder durch Ueberladung, oder durch Genuß von unverdaulichen, gährenden und kältenden Speisen und Getränken. - Also zwei Dinge sind die Schutzmittel gegen diese Empfänglichkeit und also gegen die Cholera. Das erste ist Mäßigkeit im Genuß der Speisen und Getränke und Vermeidung von frischem Obst, Gurken, Melonen, Sallat, scharfen, fetten, unverdaulichen Speisen, Weißbier, roher Milch, besonders aber des Uebermaßes von Branntwein: denn die Erfahrung hat gelehrt, daß Säufer am meisten unterliegen. Das zweite ist Vermeidung der Erkältung besonders des Leibes und der Füße, und diese wird am besten verhütet durch das Tragen einer wollenen Leibbinde und wollener Strümpfe. Sollen wir noch Eins hinzufügen, was allem diesem die wahre Kraft geben muß, so ist es Muth und festes Vertrauen auf Gottes Vorsehung und Hülfe, ohne welches der Mensch ja nie etwas ist und durch welches er Alles überwindet und in Zeiten der Gefahr feststeht! C[hristoph] Wfilhelm] Η[ufeland], Ein Wort an meine lieben Mitbürger über die Anstekkung der Cholera und die Verhütung derselben, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 213, 12. September 1831, [S. 7]. Nach eigener Idee habe ich mir zu meinem Gebrauche eine Vorrichtung von Flanell anfertigen lassen, durch welche ich beabsichtige, den Körper bei Anfällen der Cholera während des Frottirens gegen Erkältung zu schützen und die Ansteckung der Frottirenden zu verhindern. - Da dieselben von mehreren meiner Bekannten für vollkommen zweckdienlich erkannt, und sogar von den Aermsten leicht und ohne großen Kosten-Aufwand angeschafft werden kann, so halte ich mich für verpflichtet, sie zur Kenntniß des Publikums zu bringen und kann das Modell derselben ein Jeder beim Portier des Königsstädtischen Theaters näher in Augenschein nehmen. Das ganze hat die Form eines Sackes von 5 1/2 Fuß Länge mit Aermeln, in diesen wird der Kranke gebracht und sodann durch angebrachte Bänder am Halse so zugebunden, daß jede Erkältung unmöglich wird. Auf jeder Seite sind sechs Fausthandschuhe ebenfalls von Flanell an langen Schnüren befestigt, vermittelst welcher der Kranke leicht und wirksam von mehreren Personen zugleich an allen Theilen des Körpers frottirt werden kann. Fr[iedrich] Cerf, [Bekanntmachung], in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 213, 12. September 1831, [S. 8].

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So wäre es denn die höchste der unglücklichen Zeit, dem Elend, Kummer, der Hungersnoth und der brodlosen Armuth mit Rath und That Opfer und Hoffnung zu bringen, damit die rüstigen und thätigen Brodschaffer für Weib und Kind nicht verzweifeln. So ist es demnach auch die höchste Zeit an Mittel zu denken, wodurch der Schutz des Bürgers und dessen Eigenthum, seine Habe und sein Leben gesichert werden können. Wie ein düsteres Gewölke thürmt sich den bevorstehenden Wintertagen ein Ungewitter entgegen, und wie sich dieses entlade, vermag niemand den Schleier der Zukunft zu lüften. Es walte demnach der Monarch, dessen hochherziges Wohlwollen so gern abwendet, was dem Menschen schadet, der so gern beglückt, so weit sein Königliches Vaterherz es vermag. „Der König rief: und alle kamen. Der König will: und alle wollen!" Solange noch Mittel vorhanden sind, die allerärmste Menschen-Klasse der Residenz zu beschäftigen, sich nützlich zu machen, und vor Noth zu bewahren, haben wir nur mit einem Feind zu kämpfen. Cirka 2000 brodlose Menschen, auch wohl 4000 Individuen können 6 Monate lang von October [1831] bis April 1832, vollständig unterhalten werden. Die eingetretene Pest-Seuche erfordert zu ihrer Vertilgung die Radical-Reinigung Berlins von seiner ganzen Unsauberkeit. 2-4000 Menschen sind erforderlich, dies zu bewerkstelligen. [...] So ist denn die ärmste und allerdürftigste Menschen-Klasse von den mehr Erwerbenden geschieden; gerade diese Klasse ist es, vor der wir besorgt sind, und mit Recht besorgt sein müssen. Ihres Unmuths bei Geschäftslosigkeit, bemächtigt sich Verzweiflung. Verzweiflung setzt bald ein Leben, des Einen wie des Anderen aufs Spiel, Empörungen dieser Art schließen sich andere an, und ein kleiner Ball verwandelt sich von der Höhe zur Tiefe einer furchtbaren Lawine, wie wir in unseren Zeiten kennen gelernt haben. Dem Reichthume und den Kunst-Schätzen droht solche Gefahr, Millionen werden vernichtet, die wir in Frieden mit weniger und in Wohlwollen retten können - Canonen und Bajonette können schuldige und unschuldige Menschen tödten, aber nicht wieder ins Leben rufen, wie traurig, das Geschehene nie wieder ungeschehen machen zu können. aus: Carl von Neander, Schutz-Plan. Die arme Volks-Klasse der Königlichen ResidenzStadt Berlin in dieser nahrungslosen Zeit, die bevorstehenden Winter-Monate hindurch, vor Kummer-vor Tumult und Unfug zu bewahren das volkreiche Berlin, Berlin, 13. September 1831, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam), Rep. 30, Berlin C, Königliches Polizei-Präsidii zu Berlin, Armensachen, Nr. 44.

Sehr rathsam ist es, bei den öffentlichen Anzeigen der Sterbefälle durch die Cholera hinzuzufügen: welches Versehen (durch Nichtbeachtung strenger Diät, durch Erkältung u.s.w.) dem Ueberfall derselben zu Grunde liegt, wobei übrigens, wie billig, die Namen ganz wegzulassen wären. Auch die tabellarische Vergleichung der in vergangenen Jahren in dieser Zeit Gestorbenen, mit dem diesjährigen Ergebniß, könnte nützlich sein, Aengstlichkeit und Furcht, Gemüthsbewegungen, die der Krankheit vorarbeiten, besser zu beseitigen. Es steht fest, daß jetzt viele Krankheiten zur Cholera umschlagen, und demnach stellt sich das Verhältniß der Gestorbenen im Allgemeinen bei jener vorgenommenen Vergleichung bei weitem minder fürchterlich. So sind z.B. in der ersten Woche in welcher die Cholera-Seuche bei uns einkehrte, nur 6 oder 7 Menschen mehr gestorben, als in derselben Woche des vorigen Jahres, wo keine ungewöhnliche Krankheit herrschte. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß

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sich die jetzige Mehrheit stets so gering zeigen werde; indeß jedenfalls muß die Zahl von ihrem Schrecklichen verlieren. Dabei mahnen wir aber doch eifrig, fortwährend und ohne eine Lässigkeit daran zu denken, daß wir es mit einem höchst feindlichen Uebel zu thun haben, wenn wir auch nicht vergessen wollen, dabei jeden Trost aufzunehmen. - Für die öffentlichen städtischen Anstalten ist eine Geld-Sammlung unternommen worden, bei der sich Keiner, der einen großen oder kleinen Beitrag zu geben vermag, ausschließt; besonders zeichnen sich dabei auch die jüdischen Familien aus, nachdem sie schon für ihre eigenen Glaubensverwandten, welche durch die Cholera in Unglück und Noth gerathen, eine bedeutende Summe vorausbestimmten und deponirten. aus: W., Berlin, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz [Berlin], Nr. 149, 13. September 1831, S. 744.

Zur Beruhigung der Aeltern, deren Söhne das Königliche Joachimsthalsche Gymnasium besuchen, bringe ich hiermit zur öffentlichen Kenntniß, daß in gedachter Anstalt ein Desinfections-Zimmer eingerichtet worden ist, in welchem jedermann, bevor er die Räume des Gymnasiums betritt, desinficirt wird. Auch gleiche Weise ist in derselben Anstalt ein von den übrigen Räumen völlig separirtes Krankenlokal eingerichtet worden, das zunächst zwar für die an der Cholera erkrankenden Alumnen bestimmt ist, aber im Nothfall auch zur einstweiligen Aufnahme der Hospiten dienen kann, wenn einer derselben etwa plötzlich während des Unterrichts erkranken sollte. Dr. [August] Meinecke, [Bekanntmachung], in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 214, 13. September 1831, [S. 8].

Seit mehreren Monaten nahm die Cholera die Aufmerksamkeit aller denkenden Aerzte Berlins in Anspruch. Die Seuche war unerachtet aller Bemühungen, sie von dem Inlande abzuhalten, in dem östlichen Theile der Monarchie ausgebrochen, und verbreitete sich unaufhaltsam west- und südwärts. Das letzte bedeutende Bollwerk, durch welches man noch hoffen konnte, die Residenz vor dem gefürchteten Gaste zu schützen, der Militaircordon längs der Oder, wurde, wie alle früheren, von dem Feinde überschritten; die bösartige Cholera erschien diesseits des Stroms , und von jetzt an war es kaum noch zweifelhaft, daß auch Berlin werde ergriffen werden. Seit Monaten schon haben die Allerhöchst verordneten Behörden mit einer ohne allen Zweifel vom besten Willen beseelten Thätigkeit eifrig daran gearbeitet, gesundheitspolizeiliche Maaßregeln theils festzustellen, theils in Ausführung zu bringen, welche für den Fall eines Ausbruchs der Seuche in Berlin ihrer Verbreitung daselbst entgegen wirken sollten. Wohl jeder praktische Arzt wurde von seinen Kunden angegangen, ihnen Vorbauungsmaaßregeln wider die Cholera und ein Heilverfahren im Beginn der Krankheit anzugeben. Auch vom Auslande her gingen Rathschläge in Menge ein. Eine Unmasse kleiner Druckschriften erschien, und wurde mit Begierde vom Publicum gelesen, - gleichviel ob sie für dasselbe, oder nur für Aerzte bestimmt waren. Die Zeitungen strotzten von Nachrichten und Ankündigungen, die Cholera betreffend, überall wo man Auge und Ohr hinwandte, traf man auf

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denselben Gegenstand, und doch war die Gefahr noch nicht vorhanden, nur drohend; - kurz jeder unbefangene Laie mußte urtheilen: hier werde des Guten zuviel gethan. aus: Dr. A[ugust] S[achs], Einleitung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 1, 14. September 1831, S. 1. S. Majestät haben vernommen, daß jetzt viele Auswanderungen von unabhängigen Personen, die bisher ihren Wohnsitz in Berlin genommen hatten, der Cholera wegen statt fänden und wollen unterrichtet seyn, ob dies gegründet oder übertrieben ist. Ew. Hochwohlgebohren soll ich deshalb ersuchen, eine Anzeige hierüber an S. Majestät gelangen zu lassen und genüge ganz gehorsamt dem allerhöchsten Befehle. Cabinets-Rath Albrecht an das Königliche Polizeipräsidium, Charlottenburg, 14. September 1831, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam), Rep. 30, Berlin C, Königliches Polizei-Präsidii zu Berlin, Auswanderungen, Nr. 319. Es ist zu Meiner Kenntniß gekommen, daß in Berlin bei dem Transport und der Bestattung der Leichen an der Cholera Verstorbenen unschicklich lärmender Unfug und Zusammenlaufen vorgekommen ist. Aehnliche Störungen, die den polizeilichen Vorschriften an sich schon entgegen sind, dürfen am wenigsten zu einer Zeit geduldet werden, in welcher sie das große Uebel, dem nur durch Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung möglichst gewehrt werden kann, noch vermehren. Ich habe Sie daher hiermit aufmerksam machen wollen, und veranlasse Sie, ohne Bezugnahme auf gegenwärtige Eröffnung eine zur Abstellung geeignete polizeiliche Bekanntmachung zu erlassen, in welcher der bessere, zur Ordnung geneigte Sinn der Bewohner der Residenz in Anspruch genommen, besonders auf Mitwirkung gegen die Unbesonnenheit der Jugend, welche bei ähnlichen Gelegenheiten hervorzutreten pflegt, empfohlen wird. König Friedrich Wilhelm III. an Friedrich Wilhelm v. Arnim, Charlottenburg, 14. September 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. I. Nr. 15. Wir haben hier Fälle und zwar in nicht geringer Anzahl gesehen, wo sämmtliche Zeichen, welche die morgenländische Cholera charakterisiren sollen, vorhanden waren. In vielen anderen, vielleicht in den meisten, fehlten einzelne Symptome, und wir wußten die Krankheit dennoch für die ausgebildete Cholera zu erklären. Sehr viele Kranke schwitzten, ohne zu genesen; andere erbrachen sich nicht, die Krämpfe, bald clonisch, bald tonisch, waren, namentlich in den Waden, fast überall zugegen; eben so der Druck in der Herzgrube, als wenn dort ein schwerer Stein läge, die Präecordiatangst, der Durchfall. Alle diese Symptome konnten jedoch an sich noch nicht die Benennung: asiatische Cholera rechtfertigen. Auffallender war schon das Zurücktreten der Augäpfel in den Augenhöhlen, und zugleich der stiere Blick der glasartig glänzenden Augen, die Marmorkälte der allseitig bläulich gefärbten Extremitäten, die leise Stimme. Die Hautfalten an der Volarfläche der letzten Fingerglieder mochten vielleicht von der Einwirkung des heißen Wassers oder Wasserdampfes herrühren. In einigen Fällen sterben Personen, wie am Nervenschlage - ohne daß irgend ein Krankheitszustand vorausgegangen war, und an den Leichen fand man alle Zeichen der

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bösartigen Cholera vor. Nichtsdestoweniger waren wohl in der Mehrzahl der unglücklich abgelaufenen Fälle jener charakteristischen Zeichen so viele vorhanden, und das Hauptsymptom, der Tod, trat so bald und so unwandelbar ein, daß auch der Ungläubigste sich zufrieden geben mußte. Da, wo wir die Cholera nicht mehr heilen konnten, haben wir sie wohl immer erkannt. [Anonym.] Allgemeine Betrachtungen über das bisherige Verhalten der Krankheit in hiesiger Residenz, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 2, 15. September 1831, S. 7f. Aus der, in unserem gestrigen Blatte gelieferten Uebersicht der bis jetzt in Berlin an der Cholera Erkrankten, Genesenen und Verstorbenen ergiebt sich das trostreiche Resultat, daß sich Gottlob! die Epidemie hier nicht sehr rasch zu verbreiten scheint. Vergleichen wir z.B. die hier angegebenen Zahlen mit den aus St. Petersburg berichteten, so stellt sich das Verhältniß für uns sehr günstig. [...] Vergleichungen dieser Art sollen noch in der Folge möglichst oft angestellt werden. Wir halten sie für äußerst wichtig; nur muß man sie ganz vorurtheilsfrei würdigen. Erschrecken wir auch nicht vor dem raschen Steigen der Krankenzahlen während der letzten Tage. Vielleicht behauptet auch hier der Sonntag und Montag sein altes Recht; außerdem werden aber auch in Folge der Bekanntmachung der hochlöb. Verwaltungsbehörde des Allerhöchst verordneten Gesundheitscomite's für Berlin vom Ilten d. M. häufigere Meldungen eingehen. Dagegen wird man aber auch mehr glücklich abgelaufene Fälle erfahren. aus: [Dr. Albert Sachs], Zur Beruhigung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 2, 15. September 1831, S. 8. Im Gefühl vollkommener Gesundheit, deren ich Gott sey Dank bei bestem Körperbau und einer geregelten Lebensart in meinem 54ten Jahre ununterbrochen genieße, hatte ich mich am 12. Sept. 1831 um 11 Uhr ruhig schlafen gelegt, als am Morgen des 13ten um 5 Uhr, ein großes Uebelbefinden mich vom Schlafe erweckte. Aufstehen und Neigung zum Erbrechen. Das sogleich mit den heftigsten Anstrengungen, ohne bedeutende Ausleerungen erfolgte, war Eins; worauf auch zugleich die Ausleerungen nach unten eintraten und schnell erfolgten. Ein so gewaltig und plötzlicher Anfall, wäre beinahe fähig gewesen mich der Besonnenheit zu berauben, daher gab ich augenblicklich Befehl, mir so schleunig als nur immer möglich, „einen in bloßem Wasser gekochten Brei von Buchwaitzen-Grütze mir zu bereiten und eine Wärmflasche mit heißem Wasser gefüllt zu bringen." Unterdessen kleidete ich mich ungesäumt aber vollständig an, und zog noch einen Pelz über den Leibrock, weil der Reitz und die Anstrengungen zum Erbrechen bei einem kalten Schweiße, so heftig und rasch hintereinander erfolgten, daß ich zum Stillstehen gezwungen ward. Etwa nach 15 Minuten mußte der Grützbrei mir schon gereicht werden und, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß darin noch nicht alles gehörig erweicht sey, verzehrte ich davon einen Teller voll, so warm als ich es ertragen konnte, und nahm die Wärmflasche unter den Pelz vor den Magen. In wenig Sekunden war die eintretende Krisis mir schon bemerkbar, es erfolgte nur noch eine einzige heftige Anstrengung zum Erbrechen, wobei über den ganzen Körper ein starker

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warmer Schweiß auszubrechen begann. Alles Uebelwerden schien mit Einemmale wie verschwunden, ich fühlte mich von neuem belebt und erholt, auch die Ausleerungen nach Unten erfolgten ohne die geringsten Schmerzen, obgleich 10-12 mal in einer Stunde. Ich blieb nun zwar auf, ließ aber die Wärmflasche nicht von meinem Leibe und, so bald ich ein Nachlassen der natürlichen Wärme im Magen verspürte, wurden sogleich einige Löffel voll warmer doch jetzt schon mehr mit Wasser verdünnter Grütze genommen, und dabei das Auf- und Niedergehen im Zimmer so lange fortgesetzt, bis das Blut in eine größere Bewegung gerathen war und ich ermüdet mich auf's Sopha setzte, wo ich, mit Betten bedeckt, so lange sitzen blieb, bis der Stuhlgang mich von neuem zum Wiederaufstehen nöthigte. Nach etwa sechs Stunden erfolgten diese Ausleerungen ebenfalls schon seltener, ihre Pausen wurden immer länger und nach Verlauf von 10 Stunden, fühlte ich mich - jedoch jetzt im Bette beinahe völlig wieder hergestellt. Als zufällig mir jetzt jemand seinen Besuch schenkte, welcher aus Vorsorge die berühmten Choleratropfen seit dem Ausbruche dieser Krankheit bei uns, stets bei sich zu führen gewohnt ist. Durch Zuredungen bewogen, nahm ich wirklich 9 Tropfen dieser Medizin zu mir. Kaum waren aber etwa 10 Minuten verstrichen, so stellten Durchfall und heftiges Erbrechen von neuem sich wieder ein, welches beides jedoch nach wiederholtem Genuß warmer Grütze, sogleich sich abermals legte, und den Zustand des Wohlbefindens mich bald wieder fühlen ließ. Etwa zwei Stunden später brachte meine Frau mir ein Weinglas voll rothem Glühwein. Aus Besorgniß doch wohl hier einen unzeitigen Reitz zu erregen, trank ich dasselbe nur halb aus. Trotz dieser Vorsicht, bekam ich sogleich wieder Erbrechen, welches jedoch durch warmen Grützbreigenuß, zum drittenmal glücklich sich heben ließ. Am 14. Sept. Morgens befand ich mich wohl, empfand aber heftigen Durst und fühlte zugleich, daß mein Magen durch die Anstrengungen beim Erbrechen in der einen Viertelstunde außerordentlich gelitten haben mußte. Deswegen ließ ich einige Sardellen gut auswässern und nahm abwechselnd eine davon mit einem wenig feiner Semmel (Milchbrod genannt) zu mir. Als Getränk wurde in ein Quartglas voll Wasser der Saft einer Zitrone mit etwas Zucker gethan, von welcher Mischung ich jedoch sehr behutsam, immer etwa nur einen Eßlöffel voll, auf Einmal trank, um mir den Magen nicht zu erkälten, welcher in 24 Stunden, außer dicker und dünner Buchwaitzengrütze ohne aller weitern Zuthat im bloßen Wasser gekocht, nicht das Mindeste erhalten hatte. Dann genoß ich ein wenig Heischbrühe mit ein paar Schnittchen von Milchbrod und eben so vielen von Pökelrindfleisch mit etwas Senf; worauf ich mich so wohl und gestärkt fühlte, daß ich an demselben Tage schon wieder ausgehen konnte. aus: Johann Gentz, Versuch eines Beitrags zur Geschichte der Cholera, deren Entstehung sowohl als deren Heilung durch einfache Hausmittel, Berlin [September] 1831, S. 5 f f . Wenn das politische Leben der Nationen in einem Zustande unruhiger Entwicklung und Zerrüttung begriffen ist, und auf der andern Seite die Natur, gleichsam in Uebereinstimmung mit der Geschichte, auch das leibliche Dasein mit außerordentlichen Uebeln bedroht, so daß in jeder Beziehung Zwietracht und Irrsal, Angst und Noth sich verbinden und in der großen Aufregung fast nur noch Parteien und Widersprüche zu unterscheiden sind; dann ist es ein undankbares und meistens auch vergebliches Geschäft, die ruhige Stimme für die

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Wahrheit zu erheben, und unterweisend oder beschwichtigend sich einem Streite zu nahen, in welchem die Gerechtigkeit eben so schwer zu üben, als die Bescheidenheit zu bewahren ist. Schon aus diesem Grunde möchte es rathsamer sein, das Urtheil über eine Seuche, die auch zu den schweren Problemen dieser Zeit gehört, mit aller Ergebung der Zukunft anheimzustellen, wenn nicht ein Jeder verpflichtet wäre, in Sachen des Berufes ohne Rücksicht auf Zeit und Umstände nach bestem Wissen ein Zeugniß abzulegen, sobald ein solches ausdrücklich gefordert wird und dazu die Noth immer dringender anzumahnen scheint. [...] Mit einer Zuversicht, die eben so grundlos als unbegreiflich erscheint, wurde uns aus Rußland prophezeit, daß Deutschland von der Seuche verschont bleiben werde, wenn seine Regierungen sie als ansteckend anerkennen und die östlichen Grenzen durch Cordons und Quarantainen verschließen würden. Noch späterhin, als die Cholera mit unaufhaltsamem Gange schon unsere Thore erreicht hatte, glaubten sich Viele der Hoffnung überlassen zu dürfen, daß es den beiden Hauptstaaten von Deutschland gelingen werde, das Uebel durch jene Maßregeln zum Stillstand zu bringen und somit auch die Frage über das Contagion am sichersten zu entscheiden. Jetzt, da zwei Drittheile der Oesterreichischen, und fast die Hälfte der Preußischen Staaten von der Epidemie schon überzogen sind, ist die Entscheidung, auf die man sich berief, nicht länger zweifelhaft; daß große Experiment, zu welchem die Regierungen genöthigt wurden, ist in der Hauptsache mißlungen, und wenn auch die Absonderung der Kranken von den Gesunden noch für nützlich erachtet wird, so kann doch Niemand mehr verhehlen, daß der Zug dieser Seuche weder durch Cordons noch durch Quarantaineanstalten zu hemmen sei. Der Augenblick ist da, wo die trügliche Hoffnung verschwinden und die Täuschung aufhören muß; der Zwang und das Elend, welche durch die Pestpolicei erzeugt sind, werden überall noch tiefer und schmerzhafter als das Uebel selbst empfunden, und für die großen Kosten und Verluste, welche der vermeintlichen Pest vergeblich geopfert wurden, haben wir nichts als eine Erfahrung gewonnen, die als ein theures Vermächtnis der Nachwelt hinterlassen bleibt. aus: C[arl] l[gnatius] Lorinser, [Sammelrezension über Cholera-Schriften], in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik [Berlin], Nr. 52 und 55, September 1831, Sp. 409f., 437f. Die Pest wüthete mehr als jemals in Marseille. Jedes Band der Zuneigung war gelöst. Väter wendeten sich von ihren Kindern, Kinder von ihren Eltern. Undankbarkeit und Härte fand keinen Tadel mehr. Das Elend ist aufs Höchste gestiegen, wenn so jedes Gefühl zerstört, jede Spur der Menschlichkeit vernichtet wird. Die Stadt ward zur Wüste, Gras wuchs auf den Straßen, Leichenzügen begegnete man bei jedem Schritte. Die Aerzte versammelten sich auf dem Rathause, denn man hatte bis jetzt noch auf kein Mittel sinnen können, der Seuche Einhalt zu thun. Nach langer Besprechung stimmten Alle endlich darin überein, daß diese Krankheit einen eigenthümlichen, verborgenen Charakter habe, den nur die Section eines daran Verstorbenen enthüllen könne. Aber unmöglich wurde diese Operation; denn es war entschieden, daß der Arzt, der sie vollbringt, in wenigen Stunden ein Opfer der Anstekkung werden müsse, die so schnell dann wirken, so heftig seyn werde, daß an kein Gegenmittel zu denken sey. Todtenstille folgte auf diese traurige Entscheidung. Da stand ein Arzt, Namens Guyon, ein Mann in der Blüthe seines Lebens, doch schon berühmt wegen seiner Erkenntnisse und Erfahrung, plötzlich auf, und sagte fest entschlossen: „Sey dem so, ich weihe mich für die Rettung meines Vaterlandes. Vor dieser zahlreichen

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Versammlung schwöre ich im Namen der Menschheit und Religion, daß ich morgen mit Tagesanbruch einen an der Pest Verstorbenen seciren, und das, was ich finde, während der Peration niederschreiben will." - Augenblicklich verließ er die Versammlung. Sie bewundert und beklagt ihn, zweifelt aber noch daran, ob er in seinem Vorsatz beharren werde. Der unerschrockene, fromme Guyon handelt, von aller der Kraft begeistert, welche die Religion dem Menschen geben kann, so, wie er gesagt hat. Er war unverheirathet, reich, und setzte daher sogleich seinen letzten Willen auf, in welchem sich Recht und Frömmigkeit aussprachen, beichtete dann und empfing um Mitternacht die heiligen Sakramente. In seinem eigenen Hause war vor weniger als 24 Stunden ein Mann an der Pest gestorben. Sobald der Tag anbrach, eilte Guyon in das Gemach, wo der Leichnam lag, mit Schreibzeug, Papier und einem kleinen Cruzifixe. Dort schloß er sich ein. Voll Enthusiasmus, aber auch nie gefaßter und entschlossener, als eben jetzt, kniete er an dem Leichnam nieder, und schrieb: „Modernde Ueberbleibsel eines menschlichen Wesens, nicht nur ohne Schauder, sondern mit Freude und Dankgefühl kann ich auf euch blicken, ihr werdet mir die Pforten einer ruhmvollen Ewigkeit öffnen. Indem ihr mir die verborgenen Ursachen der schrecklichen Krankheit, welche mein Vaterland verwüstet, entdeckt, werdet ihr es mir möglich machen, irgend ein Heilmittel zu ergründen, um so mein Opfer meinen Nebenmenschen nützlich werden zu lassen. - Ο Gott! du wirst die Handlung segnen, zu der du selbst mich begeistert." So begann und endigte Guyon die schreckliche Operation, und schrieb während derselben seine chirurgischen Bemerkungen treu und ruhig nieder. Dann verließ er das Leichengemach, tauchte, was er geschrieben, in ein Gefäß mit Weinessig, begab sich selbst in's Pest-Krankenhaus, und starb dort nach zwölf Stunden einen Tod, tausendmal glorreicher, als der eines Helden, der, um sein Vaterland zu retten, sich in die Reihen der Feinde stürzt; denn dieser schreitet noch mit Hoffnungen vor, und seinen Schritten folgt ein muthiges Heer, jener aber geht allein dem gewissen Tode entgegen. [Anonym. ] Heroische Aufopferung für Menschenwohl, in: Der Berliner Stadt- und Landbothe für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, H. 17, [Mitte September] 1831, S. 134f. Die Cholera schreitet nach des Herrn Willen immer weiter in Europa vor. Ueberall verbreitet sie eine außerordentliche Furcht. Ja „der Tod ist ein König des Schreckens" (Hiob 8,14.) und zumal, wenn er, wie jetzt, in wenigen Stunden und unter den entsetzlichsten Schmerzen die armen Menschen ums Leben bringt. Daß doch dieser Schrecken zum Heil deren wirkte, die davon befallen sind, damit der Herr nicht auch hier spreche: „ Wir hören ein Geschrei des Schreckens, es ist eitel Furcht da und kein Friede." Kein Friede? - Das ist das Erschrecklichste. Wenn mitten in der Weltlust der Tod sich eindrängt, wenn Gott spricht: „Du Narr, diese Nacht wird man Deine Seele von Dir fordern" und die Frage thut: „Und weß wirds seyn, das du bereitet hast?" (Luc. 12,20) und nun nur Schätze für diese Erde gesammelt worden sind, kein Reichthum in Gott - das ist erschrecklich. Oder wenn ein Elender dieser Erde, der nur von Jammer und Leiden befreit wird, wenn er stirbt, sich ängstlich an dieses klägliche Leben anklammert, weil alles Elend hier die Furcht vor dem, was ihm dort bevorsteht, nicht unterdrücken kann - das ist erschrecklich. Und warum? Weil es „erschrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zufallen" (Ebr. 10,31.), der durch Christum nicht versöhnt ist; Gott ohne Christum „ist ein

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verzehrend Feuer" (5 Β Mos. 4,24. Ebr. 12,29.); hier in der Welt läßt Er seine Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte, aber am Tage des Gerichts werden nur die, welche in der von Ihm vorgeschriebenen Heilsordnung der Buße und des Glaubens durch Christum mit Ihm versöhnt worden, zu Seiner ewigen Freude eingehen, die andern dagegen zur ewigen Pein. [...] Zur Erweckung der Ungläubigen und zur Stärkung der Gläubigen mögen denn auch die folgenden Blätter dienen; sie zeigen aus der heiligen Schrift, daß die uns drohende Plage eine Zornruthe Gottes sey, wie solche durch Buße abzuwenden, wie man dagegen beten und wie man sich dabei trösten soll; nur bei Gott ist die richtige Erkenntniß dieser Plage und das Mittel, sie abzuwenden, sowie der wahre Trost gegen dieselbe zu suchen und zu finden. Der Herr schenke also Seinen Segen dazu, daß Jeder, der die hier dargereichte Belehrung über alles dieses lieset, durch solche aufgemuntert werde, sich in dieser Zeit der Noth nur an Ihn und Sein Wort zu halten, denn sonst wird er nicht wahrhaft getröstet. aus: Der Christ bei der Cholera. Verein für christliche Erbauungsschriften in den Preußischen Staaten. No. 59. Zu haben im Magazin des Vereins, Berlin [Mitte September] 1831, Iff(Desinficirtes Brodl) Nichts in der Welt ist vollkommen; also auch nicht das Desinfectionsverfahren. Alles in der Welt kann vollkommen werden; also auch das Desinfectionsverfahren. Das ist mein Spruch; ich bin ein aufgeklärter Bürger und glaube: alles wird noch gut auf dieser Welt und vollkommen und fertig, wenn man's nur beim rechten Zipfel greift; und aller Spott von solchen klugen, frommen Herren, die da meinen, wir wären allzumal schwache Menschen, und blieben schwach, und hätten immer nöthig Hülfe und Gnade von oben und wie sie's titulieren, der Spott sag ich, verschlägt mir nichts. - Thue recht und scheue Niemand, heißts bei mir. Darauf leb ich und darauf will ich sterben. Aber erst will ich noch eine Weile leben bleiben. - Sie machen sich lustig über unsere Vorsichtigkeit, unser Absperrungswesen, und meinen: unsere Geheimenräthe von der Medicin sollten den lieben Gott auch was überlassen zu sorgen und zu behüten, und nicht glauben, sie hätten alle Weisheit allein im Sacke. Sie sagen dann: er sorgt für den Sperling auf dem Dache, daß er nicht verhungert, also auch, daß er nicht die Cholera kriegt. - Oho, erwidre ich, wofür sind wir Menschen und nicht Sperlinge? Wir wollen für uns sorgen; dafür haben wir Verstand und Kenntnisse. Verstanden? Freilich reicht's noch nicht aus mit dem Desinficiren, das weiß er liebe Gott, aber wir Wissens auch. Darum sollten wir aber gar nicht desinficiren! - Conträr, noch mehr desinficiren. Da steckt es. Seit ich auf meiner Zeitung oben lese gedruckt: „Sanitätsstempel" und „desinficirt", bin ich noch ein Mal so froh und lese mit der Ruhe, die eines guten Bürgers erste Pflicht. Aber du mein Gott, da sah ich gestern den Jungen, der die Zeitung rum trug. „Junge, bist du denn desinficirt?" frug ich ihn. „Nein, aber die Zeitung ist's", antwortet er. Da möchten nun die klugen, frommen Herren spotten, und ich kann mir eben so gut sagen als sie, was hilft das Desinficiren in der Druckerei, wenn die Austräger die nassen Blätter in ihre schmutzigen Hände kriegen, damit Gaß auf Gaß ablaufen, in den Schnapsladen treten, Melonen essen, saure Gurken schlucken, und die Cholera kommt mir ins Haus, obgleich mein Geheimerrath, der über mir wohnt, drei dicke Bücher gegen sie geschrieben, eh' er sie noch gesehn hat. „Der Mensch kann nicht Alles thun, man muß sich auf den lieben Gott

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verlassen, und ruhig sein", sagen sie. „Nein" sage ich, „warum hat der Mensch Ingenium! Kann man den Austräger nicht in Wachstaffent von Kopf bis Fuß einnähen und versiegeln, und ihm ein Vorhängeschloß vor den Mund legen, bis sein Geschäft abgethan und kann man ihm nicht zwei geschworne Gensd'armen mitgeben, die aufpassen, daß er in keinen Brandweinladen geht, keine Melonen ißt und keine sauren Gurken, bis ich mein Blatt in Händen habe?" - Ο der Mensch kann Alles, wenn er nur will und noch viel mehr! Ich weiß auch wohl, daß der Briefträger nicht Contumaz gehalten, eh er mir den Stadtpostbrief bringt. Deshalb freue ich mich doch, daß der Brief durchstochen ist und durchräuchert. Es ist doch ein Fortschritt in der menschlichen Vervollkommnung. Sie sagen wohl, die Frommen, welcher Polizeicommissär räuchert den Wind, daß er dir nicht die Choleraluft in deinen Hof weht? Oder: wer bürgt dir dafür, daß das Straßenpflaster, worauf du trittst, nicht durch einen Fuß, der vor dir ging, angesteckt ist? Alles das kümmert mich nicht, denn ich habe nicht zu sorgen für die Stadtbriefe, den Wind und das Straßenpflaster, sondern dafür, daß meine Kunden gesundes Brod kriegen. Fege nur jeder wie ich vor meiner Thür, dann wird die Welt bald rein. „Mein Brod wird desinficirt, ehe ich es verkaufe", ja das ist leicht gesagt. Aber wer bürgt meinen hochzuverehrenden Kunden dafür, daß der Ladentisch, worauf es liegt, daß mein Mädchen, die es ausreicht, desinficirt sind; wer bürgt ihnen dafür, daß der Ofen es war, das Holz, das zu Asche gebrannt, das Mehl, das Wasser, das Salz, die Hände, die den Teig geknetet, der Müller, der das Mehl gemahlen, der Bauer, der das Korn eingefahren, der Knecht, der das Getreide gemäht, die Drescher, die es gedroschen, wer bürgt ihnen, daß der Säemann reine Hände hatte, als er das Saatkorn auswarf in die Furchen? Ich. - Wer von mit Brod kauft, braucht Niemand sorgen zu lassen, als mich. Er wird nicht angesteckt. Denn bei meiner ausgebreiteten Bekanntschaft kann ich mir den Chlorkalk viel billiger verschaffen, als irgend ein hiesiger Bäckermeister, wodurch er mir Conkurrenz halten könnte; auch brauche ich auf jeden einen Tag, wo ich backe, zwei Tage zum Desinficiren. Mein Mehl wird erst in Essig aufgelöst, das Brennholz in Rothwein und Senf gewaschen, der Backofen ist mit Pesttheer ausgeschmiert und habe ich die Einrichtung getroffen, daß ich jetäglich drei Bäckergesellen in Chlordampf ein und zwanzig Stunden hängen lasse, so, ehe sie ans Backen gehen (versteht sich mit Handschuhen) von desinfxcirten Barbieren barbirt und geschoren werden, wie ich es denn an keiner Art von Schererei fehlen lasse, alles meiner lieben Kunden wegen. Auf diese Weise schmeichle ich mir, das Vertrauen aller derer gewonnen zu haben, die mit Redlichkeit und Bürgertugend nach dem schönen Ziele streben: dem rechtschaffenen Menschen ist alles möglich. Auch in der Lage eines braven Bäckermeisters ließe sich noch mehr thun, aber das Uebel kam uns zu schnell über den Hals. Rom ward nicht an einem Tage erbaut und es ist das erste Mal, daß wir die Cholera haben. [Anonym.] Berliner Chronik, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 180, 15. September 1831, S. 719f. Im Gefolge Allerhöchsten Befehls soll unter den gegenwärtigen Verhältnissen das Einwandern fremder Arbeiter und Handwerksgesellen, welche erst hier in Berlin Arbeit und Beschäftigung suchen wollen, ganz untersagt werden, und es ist dem gemäß vom Königl. Hohen Ministerio des Innern und der Polizei bestimmt worden, daß für jetzt und so lange,

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bis veränderte Zeitumstände die Aufhebung oder Modifikation dieser temporairen Maßregel gestatten, in hiesiger Residenz und dem Polizeibezirk derselben im weitern Sinne, 1) Fremde, das heißt, diesem Polizeibezirk nicht angehörige Personen, welche, ohne ein bestimmtes Gewerbe zu treiben, bloß als Hand- und Fabrikarbeiter und Tagelöhner Beschäftigung finden, gar nicht aufgenommen werden sollen, 2) daß dergleichen Personen, welche sich als Dienstboten vermiethen wollen, nur dann, wenn sie bereits ein bestimmtes Unterkommen bei einem hiesigen Einwohner gefunden haben, und dies entweder durch einen förmlichen, von dem Polizeikommissarius des Reviers, in welchem die Dienstherrschaft wohnt, beglaubigten Miethskontrakt, oder wenigstens durch eine, in gleicher Art bescheinigte schriftliche Erklärung des hiesigen Einwohners, bei welchem sie in Dienste treten wollen, darthun, 3) dergleichen Professionisten und Handwerksgesellen nur dann, wenn sie von einem hiesigen Meister oder Fabrikherrn, unter Vorwissen des hiesigen Magistrats, ausdrücklich aufgefordert sind, hierher zu kommen, und solches durch eine schriftliche, vom gedachten Magistrat bescheinigte Aufforderung nachzuweisen vermögen, zuzulassen, und wenn sie sich, ungeachtet sie an sich nicht zulassungsfähig waren, demnach eingeschlichen haben, unverzüglich wieder fort- und in ihre Heimath zurückgewiesen werden sollen. Die Bewohner der Residenz Berlin, besonders die Gast- und Herbergswirthe, so wie Vermiether von Schlafstellen, werden auf vorstehende Bestimmungen aufmerksam gemacht, und zur strengsten Befolgung derselben hierdurch angewiesen. [Bekanntmachung.] Königl. Preuß. Polizei-Präsidium, von Arnim. Berlin, den 16. September 1831, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 38. St., 23. September 1831, S. 245. Gestern Abend waren Grolmans munter und gesund bei mir, kaum sind sie zu Hause, wird Malvine von allen Symptomen, die der Cholera vorhergehen befallen und zwar noch heftiger als bei Ernst Eimbeck. Mein Sohn blieb bis weit in die Nacht bei ihr, und heute abend hat er und wir alle die Freude, daß sie außer Gefahr ist. Ernst Ludwig Heim, Tagebucheintrag, 16. September 1831, in: Ernst Ludwig Heim, Tagebuch 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung. Sig.: Ms. boruss. Qu 493, S. 38. Der Tod des jungen Arztes Dr. Calow, erlegen in überpflichtmäßiger Anstrengung, erregt größere Furcht in Berlin. Das Sterbe- und Leichenhaus belagert von Mittag bis Nacht durch Schaaren Neugieriger! Die Sage: daß er mit drei andern Aerzten vom Herzblut einer Choleraleiche gekostet, nährt die abergläubische Furcht - hier vor Ansteckung, dort vor Giftl (jene gründlich widerlegt, denn die drei andern Aerzte sind wohlauf geblieben, diese zum Scandal für Berlin noch geglaubt bei den untern Volksclassenü!) - Mehrere Todesfälle bekannter Personen. - Die Seuche hält sich noch meist an Wassergegenden, rafft besonders an der Schleuse hin. - Kein Verhältniß zwischen Genesenden und Sterbenden. - Dennoch die Zahl der Erkrankten noch gering zu Anfang der Woche. Die Furcht steigert den Aberglauben. In Berlin kann man nicht an vergiftete Brunnen glauben, doch meint der gemeine Mann: „Aus dem Lazareth käme Niemand zurück!" Giebt es keine Speciftca gegen diese moralische

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Pest, die fürchterlicher als die physische ist? In der Behrenstraße will sich kein Maurer verstehen, die Stube, in der ein Cholerakranker starb, auszuweißen!! - Der Aberglaube der Gebildeten räuchert und sperrt und desinficirt. Die Leihbibliotheken räuchern ihre Bücher mit Chlor, der Director des Joachimthalschen Gymnasiums sogar die Alumnen, Schüler und Lehrer! - Rauchende Theerbecken in vielen Hausfluren. - Eventuelle Krankenstuben mit allen Apparaten angebracht, bei Theatern, Schulen u.s.w. - Steigende Thätigkeit der Districtscommissionen. Einrichtung von Privatlazarethen; geht nur langsam vorwärts. Einsammlung dafür durch Districtsdeputirte. Beiträge im Verhältniß zu Berlins gerühmtem Wohlthätigkeitssinn nur gering! (Der Jägerstraßendistrikt macht ansehnliche Summen einzelner Contribuenten bekannt; die Summe macht auch noch nicht allzuviel.) Proclamationen, Notificationen und Admonitionen in Fülle. Ganze Spalten der Staatszeitung voll und dahinter Declarationen der Notificationen und Admonitionen und dahinter Declarationen und Declarationen. Endlich eine kurze, gedrängte, freundliche, populaire Anweisung des Präsidenten von Arnim, die jeden belehrt und jeder verstehen kann. - Indessen immer allgemeiner die Ansicht der Gebildeten: daß die Cholera nicht im gewöhnlichen Sinne anstekke, oder doch von einer Art ansteckend sei, daß die angewendeten Vorkehrungen die Ansteckung nicht hemmen können, und noch allgemeiner die Ueberzeugung: daß die Sperrungen in ihrer buchstäblichen Strenge durchgeführt, ein größeres Uebel seien, als das Uebel, dem sie steuern sollen. - Bei der unüberwindlichen Abneigung der ärmern Klassen vor den Lazarethen (gerechtfertigt durch den Umstand, daß die meisten Kranken auf dem weiten Transport nach dem ersten Lazareth schon unterwegs im Korbe starben) und vor dem Aufsehen, halten viele Aerzte es für die Menschenpflicht zur Beruhigung ihrer Patienten im Stillen deren Heilung zu versuchen. Dies wird durch eine Bekanntmachung der Behörde gemißbilligt, da es die öffentlichen Vorkehrungen störe, die Controlle unmöglich mache. Dafür mildere, die Verhältnisse berücksichtigende Anordnungen. Die Kranken können, wo es irgend zulässig, in ihrem Hause verbleiben. Die Wärter, welche zur Genesung eines Kranken beitragen, erhalten Belohnungen u.s.w. - Endlich spricht der geliebte König selbst tröstend, ermahnend, ernst und mild zu seinem geliebten Volke. In der Bekanntmachung aus Charlottenburg, vom 6sten, wird anerkannt, daß die gemachten Erfahrungen andere Ansichten über die Natur der Cholera hervorgebracht, daß der Nothstand, durch die Sperrungen des Landes hervorgebracht, größer zu werden drohe, als der durch die Krankheit selbst verursachte, daß die Sperrungen deshalb zum großen Theil wegfallen sollen. [...] - Die Immediatcommission hebt demzufolge am 12ten alle inneren Cordons (mit Ausnahme dessen an der Elbe) auf, und ermäßigt die Contumazzeit von 20 auf 5 Tage. - Allgemein gefühlte Erleichterung. Sogar schon Hoffnung: daß die Cholera bald vorüber, als an einem Tage nur 11, am andern nur 13 Erkrankungen! - Täuschung. Schnelles Wiedersteigen der Erkrankungen, beim Wiedereintritt und der Dauer des schlechten Wetters. - Im Hause des Dr. Calow, auch in mehreren anderen, wo Cholerakranke gelegen, sterben mehrere Individuen. Folge verpesteter Luft; kein Zeugniß für Contagiosität im gewöhnlichen Sinne. - Der Direktor es Königsstädtischen Theaters, Herr Cerf, hat eine flanellene Frottirjacke erfunden, welche (der Körper wird in einen Sack gesteckt) die Erkältung während des Frottirens hindert. Größte Zahl der Erkrankten an einem Tage 63. Bis zum 15ten sind 328 Erkrankungen und 191 Todesfälle an der Cholera notirt. Die Dirigirenden der Armenspeisungs-Anstalt fordern zum Antheil an einer früher zu bewerkstelligenden Suppenvertheilung für die Ar-

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men auf. - Die Armendirektion fordert die Frauen Berlins auf, Strümpfe für die barfüßigen Kinder zu stricken. [Anonym.] Wochen-Chronik der Cholera, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 182, 17. September 1831, S. 728. Nach der königlichen Bestimmung sollten nur in Berlin wohnhafte Arbeiter bei den neuen Bauten beschäftigt werden, es gingen deshalb viele hundert auf das Polizeibureau, wo ihnen deshalb Atteste ausgefertigt wurden. Da indessen eine große Anzahl bei dem Bau zurückgewiesen werden mußte, weil die Tagelöhner vollzählig, so zogen von ihnen etwas über einhundert vorgestern nach Charlottenburg, um dem Könige selbst ihre Beschwerde vorzutragen. Sie standen am Schloßthore versammelt, das erregte im Schlosse Aufsehen, und der Monarch sendete seinen Adjutanten, sie um ihre Absicht zu befragen. Nachdem sie ihre Beschwerde geäußert, ward ihnen der Bescheid, sie sollten ihre Bitte schriftlich einreichen; zu dem Ende wurden sechs derselben in ein Zimmer eingelassen, wo sie zu Protokoll vernommen wurden. Nachdem jedem der Menge ein kleines Geldgeschenk gemacht - es waren ganz arme Leute und zum Theil Familienväter - gingen sie ruhig nach Berlin zurii[c]k. Gestern forderte der deshalb beauftragte Polizeioffiziant die sechs Unterschriebenen auf, vor ihm zu erscheinen, es kamen sämtliche 100 des vorigen Tages, und nachdem man sie abermals vernommen, ward ihnen für die nächste Woche Arbeit zugesichert. Genau so verhält sich dieser Vorgang, der hier deshalb Aufsehen erregte, da seit der Zeit daß im Jahre 1804 Beschwerde führende südpreußische Landleute nach Berlin kamen, es im preußischen Staate unerhört ist, daß ein größerer Volkshaufe sich vor das königliche Schloß gestellt, um in Masse dem Monarchen Bitten vorzutragen. Sonst ist hier Alles ruhig, wenn man das Geschrei nicht rechnet, das Abends eine Anzahl Gesellen und Lehrjungen erhebt, wenn der Leichenwagen die Todten aus den Cholera-Lazarethen abholt. - Der Präsident Rust ist in der Immediat-Kommission mit Leitung der hiesigen Cholera-Angelegenheit beauftragt, und deshalb mußte es ihm auffallen, daß ein russischer, in der litterarischen Welt unbekannter Arzt Dr. Lichtenstein ohne sein Vorwissen gerufen ward, unsre Aerzte über die Cholera zu belehren. Er schrieb deshalb an den Minister v. Altenstein um seine Entlassung, dieser versagte ihm deshalb beim Könige Vortrag zu machen, auf wiederholtes Begehren that er es jedoch. Die Antwort Sr. Majestät ist mit Anerkennung der Verdienste des Dr. Rust und Erwähnung seiner Unentbehrlichkeit verneinend ausgefallen, wie wohl jeder erwarten konnte. aus: [Anonym.] Berlin, den 17. Sept., in Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 364 und 365, 22. September 1831, S. 1456f. Welcher Mittel soll man sich zur Beschwichtigung der so nachtheiligen Choleraangst bedienen? Gilt jedes gleich, um diesen Zweck, den wichtigsten vielleicht im gegenwärtigen Augenblicke, zu erreichen? Wir behaupten: nein. Man benutze nicht den Aberglauben Schwachsinniger, um sie zu trösten, man tröste nicht durch Behauptungen, die sich bald als unwahr ausweisen, wo der Getäuschte alsdann nur um so tiefer in seinen geistigen Jammer versinkt; man tilge nur die Vorurtheile und die Stimme der Vernunft, die auch hier Gottlob! der Trostgründe nicht entbehrt, wird Eingang finden. Der Aberglauben grassirt nun aber jetzt viel heftiger unter uns, als die Cholera, und die Nachtheile davon sind keineswegs so unbedeutend in Bezug auf unsere körperlichen Ver-

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hältnisse, als man anzunehmen geneigt ist. So werden z.B. Amulet[t]e, Bollen, die sog. Nüsse u. dergl. jetzt sehr häufig als Schutzmittel gegen die Cholera empfohlen und gebraucht. „Und warum nicht?" fragen die gemäßigten. „Daß sie direct nicht schützen, das Choleracontagium, wenn ein solches überall existirt, nicht zu zerstören oder abzuhalten vermögen, das wissen wir wohl; wenn es aber auch materiell nicht nützt, so schadet es doch auch nicht; die Leute finden eine Beruhigung darin, und sind weniger ängstlich, was in Bezug auf das Erkranken gewiß von hohem Nutzen ist." Man sollte glauben, es ließe sich gegen eine solche Ansicht der Sache gar nichts einwenden, und doch ist sie durchaus falsch. Richtig allein ist, daß die Nüsse, die Bollenschnürchen u.s.w. direct materiell nicht schützen; - denn dazu ist die Krankheit doch wirklich zu ernst. Wenn nur sonst die Verhältnisse obwalten, welche das Erkranken bedingen, so werden sie durch solche Amulet[t]e wahrlich nicht vernichtet werden. Aber sie schaden auch geradezu, und zwar eben durch ihre Wirkung auf die Gemüthsstimmung. Mancher glaubt sich nämlich recht vollkommen geschützt, und vernachlässigt darüber die vernunftgemäßeren Vorsichtsmaaßregeln; die Mehrzahl aber glaubt nicht an die Kraft des Amulet[ts], und trägt es dennoch, um doch nichts zu vernachlässigen. Solche Personen werden nun unausgesetzt eben durch ihr Schutzmittel an den Gegenstand ihrer Furcht erinnert, ängstigen sich nur noch mehr ab, und erkranken um so leichter. Man sehe nur die Leute recht an, die sich mit all dergleichen Präservativen wohl umpanzert haben; - die sind am ängstlichsten aufgeregt, die reden von nichts als von der Cholera, der Gedanke peinigt sie unaufhörlich, und nirgends findet man hier den ernsten Muth, das freudige Vertrauen, was man doch erwarten müßte. Wir wünschen nicht mißverstanden zu werden. Bei einer vernünftigen Ansicht der Sache kann und soll man allerdings die entsprechenden Vorsichtsmaaßregeln treffen. Dann gestaltet sich aber dieß Alles ganz anders, als da, wo der Aberglauben wurzelt, und die Richtung des Geistes bestimmt. Was dort beleuchtet und belebt, blendet und vernichtet hier; und weil dieß hier gilt wie überall, so müssen wir der alten Nacht, welche das Licht hemmt, hier ernst kämpfend entgegentreten, - wie überall. Fast eben so schädlich wie der Aberglaube ist der blinde Glaube. Es kann uns kein Heil bringen, wenn wir ohne Wahl, ohne Prüfung nach Allem greifen, Alles willig annehmen, was die Grille, der Irrthum die Charlatanerie, die Gewinnsucht eines Einzelnen uns anpreist. Nur ist es freilich sehr in der Ordnung, daß alle diese Gewalten bei einer solchen Gelegenheit ihr freies Spiel, und zwar ganz ungemessen treiben. In einer Stadt wie Berlin und für eine solche denken Viele Vieles; sie theilen das Gedachte, gewiß oft genug aus der reinsten Absicht, mit. Wer Zeit dazu hat, möge dieß Alles prüfen, und das Beste behalten. Ohne Wahl es aber als unbedingt richtig anzunehmen und auszuführen, kann nur schädlich sein. So halten es Viele von uns für gerathen, - da man doch das wirkliche Präservativ gegen die Cholera noch nicht kennt, - Alles, was unter diesem Namen empfohlen wird, vorläufig anzuwenden. Sie glauben: das richtige werde sich gewiß unter diesen befinden, und die Cholera sich wohl aus der Menge ihren Gegensatz heraussuchen. Demgemäß schlucken sie alle möglichen Tincturen, Pillen u.s.w., die vielleicht einst gegen eine ähnliche Seuche geschützt haben sollen, ganz unbedenklich hinab; sie durchräuchern ihre Wohnungen mit den verschiedensten Dämpfen dergestalt, daß man oft in jedem Zimmer einen anderen Gestank antrifft; sie waschen und baden sich in allen möglichen Flüssigkeiten und Vorrichtungen u.s.w. Man findet jetzt in vielen Familien ganze Lager von solchen Schutzmitteln, und dieß

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Alles, wird auch wirklich benutzt. Einzelne empfangen ihre gehörig desinficirten Visiten nur in den „unentbehrlichen" Schutzkleidungen. Auch diesem Treiben sollte auf alle mögliche Weise entgegengewirkt werden. Nicht allein hat es einen directen, höchst nachtheiligen Einfluß auf den körperlichen Zustand solcher Personen, sondern es wirkt eben so, wie der reine Aberglaube, auf die Gemüthsstimmung, die hier von so großer Wichtigkeit ist. [Dr. Albert Sachs], Zur Beruhigung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 4 und 5, 17. und 19. September 1831, S. 75/, 23f. Kann sich uns wohl ein traurigeres Bild von dem Zustande unsers Geschlechts darstellen, als wenn wir die Menschen uns denken müssen als die, welche aus Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten? denn was erscheint uns schon so schrecklich als das Wort der Knechtschaft! wenn wir den Menschen zurückgedrängt von jedem freien, frohen Lebensgenuß, denken müssen als gebunden und unterdrückt unter eine fremde, ihm feindlich und hart gesinnte Macht. Was aber erhöht das Herabwürdigende dieses Zustandes, als wenn uns diese Macht als Macht des Todes entgegentritt, des unerbittlichen, jede schöne Kraft des Lebens zerstörenden Feindes! Und was kann uns dieses Elend auf der höchsten Stufe zeigen als der Gedanke, daß solche Knechtschaft unter des Todes Macht das ganze Leben hindurch währt, und also in jede schöne und stille Stunde, in jeden heiteren und beseligenden Genuß, in jede rühmliche und erfreuliche Thätigkeit zerstörend hineingreift, und der vergiftende Wurm wird, der jede Blüthe der Freude und der Hoffnung zerstört, daß sie keine segensreiche Frucht bringen kann. [...] Darum, auf ihn, meine Geliebten, wollen wir unsern Blick richten, auf ihn, den die Worte unseres Textes preisen, an ihm uns aufrichten in unserer Bangigkeit, und schauen auf das Wesen seiner Erlösung. aus: F[riedrich] A[ugust] Pischon, Abendmahlspredigt über Hebr. 2, 15. [Gehalten am 18. September], in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 61 f., 64. Die Beschwerden gegen unsere Cholerapolizei haben eine schnelle und glückliche Erledigung, wenigstens zum Theil, gefunden. Die Stimme des Publikums ist schneller, als es sonst zu geschehen pflegt, bis zu den höchsten Behörden gedrungen, und ein königliches Rescript von Charlottenburg vom 6. dieses Monats hat denn wirklich anerkannt, daß die Verordnungen, entnommen uralten und veralteten Pestreglements, nicht mehr auf unsern geselligen Zustand und ebensowenig auf die ganz neue Krankheit anwendbar sind. Es ist in diesem Rescript anerkannt, daß die Uebel, welche eine strenge Sperre im Innern für den Wohl-, ja Nährstand des Landes zur Folge hat, weit bedeutender sind als der Schaden, welcher durch die Krankheit an und für sich entstehen kann. Demzufolge sind durch eine neue Verordnung der Schutz-Immediat-Kommission (welche leider noch immer den Titel zur Abwehrung der Cholera führt) solche Verfügungen und Deklarationen der frühern Verordnungen erlassen, welche die strengen ersten Edikte ganz aufheben oder doch in einer Art mildern, daß sie als aufgehoben zu betrachten sind. So sind alle innern Kordons, mit Aus-

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nähme desjenigen längs der Elbe, aufgelöst, die Schiffahrt ist freigegeben, das Desinfectionsverfahren ist auf gewisse Gegenstände beschränkt und die willkührlich auf zwanzig Tage angenommene Quarantäne auf fünf Tage herangese[t]zt u.s.w. Alle diese Ermäßigungen sind an sich vortrefflich; was uns daran mehr erfreut, ist indeß die Art und Weise, wie sie ins Leben getreten. Die Sprache des Königs an sein Volk in den Charlottenburger Edikt erinnert wieder an die des Jahres 1813; der Vater seines Volkes ruft in einer schweren, bedrängnißvollen Zeit das Vertrauen und den Glauben an einen höhern Beistand auf und erklärt, sich nicht von seinem Volke trennen, sondern ihm in Leiden und Vertrauen muthig vorangehen zu wollen. Der König hat es durch die That bereits bewährt; denn wiewohl sein und seines Hofes Sitz in Charlottenburg und Potsdam mit Rauch- und Dampfsäulen und Quarantäneanstalten sehr lästiger Art auf eine Weise barrikadirt gehalten wird, welche an die barbarischen Pestzeiten erinnert, so trennt er sich doch, was seine Person betrifft, nicht von seinem Volke und besucht Kirche und Theater wie gewöhnlich. Man hätte nach dem bisher Geschehenen auf eine große Halsstarrigkeit der höchsten Behörden gerechnet und nicht geglaubt, daß der theoretisch angenommene Normalsatz: die Cholera ist ansteckend, so bereitwillig werde aufgegeben. Kein vernünftiger Mensch sieht darin eine Blöße, sondern jeder freut sich im Gegentheil, daß man der jüngst gewonnenen Erfahrung ihr Recht läßt und bekennt, daß man noch immer mehr lernen kann, und das selbst in und von einer Zeit, so revolutionär als die gegenwärtige. Die vortreffliche Anrede des Königs an sein Volk, welche so äußerst günstige Wirkung bereits gehabt, schreibt man der Feder Stägemanns, Schleiermachers oder des Bischofs Neander zu. Doch ist so viel gewiß, daß von dem König selbst Vieles davon herrührt. Unsere Schutzkommissionen sind in den verschiedenen Armenbezirken in voller Thätigkeit. Die Wohlthätigkeit wird in Anspruch genommen und Damen sammeln Haus für Haus. Die Einnahme und die Vertheilung ist nur noch sehr ungleich. In den ärmern Bezirken, wo der meiste Bedarf ist, kommt natürlich sehr wenig ein; in den reichern, wo wenig Arme wohnen, sehr viel. An einen Austausch, an gegenseitige Aushülfe ist wenigstens vor der Hand nicht zu denken; es bildet sich allzuleicht auch darin ein Korpsgeist. Hat doch ein Sanitätsdistrikt seinem Nachbar nicht einmal mit dem Krankenwagen aushelfen wollen! Unser neuer Polizeipräsident, Herr v. Arnim, zeigt sich auch in diesem Zweig so thätig und praktisch, daß alle Erwartungen, die man von ihm gehegt, erfüllt werden. Uebrigens spricht man wenig von ihm, und das ist das Beste. Seine Bekanntmachungen an das Publikum sind kurz, eindringend und nicht, wie so viele unserer Edikte, abstoßend durch den scharfen Controlleton. Es sind Belehrungen, die wirklich belehren und nicht erst erklärt zu werden brauchen. Wider die Regel und gegen Erwarten hat sich die Seuche bei uns nicht mit dem Charakter als aristokratische Krankheit, welche die gebildeteren Klassen verschont und nur unter den geringeren wüthet, angekündigt. Schon sind mehrere namhafte Männer ihr Opfer geworden. Wenn dies auf der einen Seite viel Unruhe bei denen erregt, welche sich sicher glaubten, so trägt es doch im Allgemeinen zur Ruhe bei. Der gemeine Mann kommt von seinem fürchterlichen Wahne zurück, daß die Cholera eine veranstaltete, wenigstens von den Wohlhabenden nicht ungern gesehene Krankheit sey. Auch das ursprüngliche Entsetzen vor dem Lazarethe (die meisten unter den ersten Kranken starben schon auf dem Wege dahin) verschwindet allmählig, seit einige Kranke von dort genesen zu den Ihrigen zurückgekehrt sind.

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Doch grübelt der gemeine Mann noch immer über dem Verdachte; ein Tropfen scharfer Medizin, der auf Zeuch fällt und ein Loch frißt, steigert den Verdacht des Giftes, und die Lage der Aerzte ist immer noch nicht ohne Gefahr. In einzelne stark bese[t]zte Familienhäuser traut sich der Doktor nicht ohne militärische Begleitung. Bis je[t]zt ist nur ein Arzt, der junge Doktor Calow, als Opfer seiner Anstrengungen gefallen. Mit mehreren andern jungen Aerzten hatte er, wie das wohl zu geschehen pflegt, vom Herzblute einer Choleraleiche zu wissenschaftlichem Zwecke gekostet. Der Volksglaube ließ ihn daran sterben, außerdem aber die Leiche vergiftet seyn. Die Wahrheit ist, daß er, selbst längst krank, durch die zu große Aufregung bei der Pflege eines Kranken sich die Ansteckung zugezogen. Das Gräßliche ist, daß ihm schon 5 bis 7 Opfer in seinem Hause gefolgt sind. Die Vorstellung und die verpestete Luft mögen das Ihrige gethan haben. - Die sämmtlichen Aerzte Berlins versammeln sich täglich in der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft, es erscheint auch in diesem Augenblicke eine besondere Cholerazeitung, welche alle mit besonderen Symptomen begleiteten Krankheitsfälle, versuchte Rettung, gelungene, in Vorschlag gebrachte Specifica u.s.w. dem Publikum mittheilt; noch aber sind über Quelle und Sitz des Uebels unsere Hippokratesjünger so unerfahren, wie die andern Orts. Keine Erfahrung will passen, selten eine einmal gelungene Kurmethode auf andere Fälle sich anwenden lassen. Die Ansicht, daß die Cholera von Schaaren unsichtbarer Insekten oder Würmern herrühre, gewinnt Anhänger. Im Freimüthigen hat sich neulich ein Herr Burchardt aus Naugardt ziemlich geistreich darüber vernehmen lassen. Ein Schreiben in demselben Blatte aus Elbing, welches von dem praktischen Unterschiede zwischen der wirklichen und der sogenannten Scheincholera spricht, wird hier als Specificum gegen die Choleraangst zum Besten der Choleraanstalten verkauft. Im Aeußern ist Berlin das alte. Man merkt auf den Plätzen, Gassen, Spaziergängen, in Kirchen und selbst in den Theatern nichts davon, daß eine gräßliche Seuche in der Stadt grassirt. Nur die Traiteursäle sind etwas leerer, die Universität ist minder stark bese[t]zt und viele Eltern nehmen ihre Kinder aus den Schulen zurück. Man schrickt zusammen, wenn es heißt, der und der ist gestorben, man knöpft die Ueberröcke fester zu und hält die Tücher zum Schutz vor einer verpesteten Luft vor's Gesicht; dann aber klagt man über die Diät und fragt, wann die lästige Beschränkung aufhören werde! Die Armen schwelgen in Gurken, Aalen und den köstlichen Melonen, die bisher nur auf den Tischen der Reichen gesehen wurden; sie verlachen die Aerzte und sagen: Wir wollen nun auch einmal reiche Leute spielen. Auch fehlt es nicht mitten in der Angst an Cholerawitzen. Als es noch hieß, die Krankheit raffe nur Leute aus dem gemeinen Stande hin, erklärte Jemand: „dann kann ja der König seine Residenz mit einem Male von der Pest bewahren; er braucht nur alle Einwohner zu Geheimen Hofräthen zu machen." aus: [Anonym.] Berlin, 18. September, in Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 232 und 233, 28. und 29. September 1831, S. 927ff. Auch jetzt, wo so manche Sorge und vielseitige Anstrengungen die gemeinschaftliche Wirksamkeit aller hiesigen Einwohner mehr oder weniger in Anspruch nehmen, ist der für Gesetzlichkeit stets geneigte Sinn der hiesigen Residenz-Bewohner unverkennbar bemüht, öffentliche Ordnung und Ruhe aufrecht zu erhalten. Ohne dieses Bestreben würde das Uebel, welches die Cholera hervorbringt, noch vergrößert seyn. Es bedarf daher nur der Andeutung des gemeinschaftlichen Bedürfnisses, hierin fortzufahren, um in jedem Verhältnisse

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die Bereitwilligkeit der Untergebenen zur Mitwirkung zu erzeugen. Der Einfluß der Eltern, Vormünder und Schulvorsteher wird aber besonders hinreichen, allen mitunter bemerkten unbesonnenen und lärmenden Aeußerungen der Jugend durchgehends vorzubeugen. Bekanntmachung. Königliches Polizey-Präsidium. v. Arnim, löten September 1831, in: Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 224, 19. September 1831, S. 6469. Herr Regierungs-Rath etc. v. Bärensprung hat die Güte gehabt, Herrn Dr. Hesse einen Plan von Berlin mitzutheilen, auf welchem die Häuser, in denen bis jetzt Cholerakranke vorkamen, durch eingepflanzte Nadeln bezeichnet sind. Hierdurch wird ein höchst interessanter Ueberblick über die bisherige Verbreitung der Seuche in unserer Stadt gewährt, und es ergiebt sich, faßt bei weitem die meisten Erkrankungsfälle in der Nähe des Wasser Statt gefunden haben. Diese Karte wird in den täglichen ärztlichen Zusammenkünften zur Ansicht vorliegen. [Mitteilung], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 6, 20. September 1831, S. 21. In Folge Ew. H. sehr geehrter Zuschrift v. 14. d. M. habe ich mich beeilt, aus den hiesigen Journalen und Paßregistern des Polizeipräsidiums diejenigen Notizen zusammenstellen zu lassen, deren es mir zu bedürfen schien, um dem allerhöchsten Ortes ausgesprochenen Befehle mit möglichster Vollständigkeit zu genügen. [...] Der Grund zur Abreise vom Ort wird in der Regel niemals genau angegeben und hat für die Behörde selten ein besonderes Interesse; es möchte daher zu bewagt sein, das Motiv zu ihrer Aufenthaltsänderung in der Furcht vor der Cholera anzunehmen. [...] Die Gesamtzahl von Berliner Einwohnern und Handwerksgesellen, welche in den angeführten 32 Tagen Berlin verlassen hatten, stellt sich demnach in einer Balance gegen den gleichen Zeitraum des vorigen Jahres auf ein plus von 4416 Individuen. aus: Königliches Polizeipräsidium an Cabinets-Rath Albrecht, Berlin, 20. September 1831, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (Potsdam), Rep. 30, Berlin C, Königliches Polizei-Präsidii zu Berlin, Auswanderungen, Nr. 319. Nicht nur denjenigen Wärtern, welche in den öffentlichen und Privat-Cholera Heilanstalten zur Genesung der Erkrankten beitragen, sondern auch allen denen, welche unbemittelte Cholera-Kranke in ihren Wohnungen durch sorgfältige Wartung retten halfen, soll durch einen im Einverständniß mit der Stadtverordneten-Versammlung gefaßten Beschluß eine Belohnung von überhaupt fünf Thalern in jedem Rettungsfalle zu Theil werden. Diejenigen, welche auf diese Prämie Anspruch machen, haben durch ein Attest des Arztes und der Schutzkommission nachzuweisen, daß der dürftige Kranke wirklich an der Cholera gelitten habe und die Genesung mit durch ihre Hülfsleistungen erfolgt sey. Die Hochlöbl. Verwaltungsbehörde des Allerhöchstverordneten Gesundheits-Komite für Berlin ist ersucht worden, auf Grund dieser Bescheinigung sofort die Prämien zu zahlen und die Namen der Empfänger durch die öffentlichen Blätter bekannt machen zu lassen. Möge diese Belohnung dazu beitragen, unsern leidenden Mitbrüdern auch in ihren Wohnungen, wo dies geschehen kann, recht schleunige und die sorgfältige Hülfe zu verschaffen,

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welche, neben einer zweckmäßigen ärztlichen Behandlung, in den meisten Fällen hauptsächlich zur Genesung führt! Bekanntmachung. Ober-Bürgermeister und Rath hiesiger Königl. Residenzien (gez.) Büsching. Berlin den 20. Septbr. 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 2, 4. Oktober 1831, S. 16. Hier hat die Cholera, ob sie gleich binnen wenigen Stunden den Tod bringen kann, viel von ihrer Furchtbarkeit verloren, und noch wenig Veränderung in dem Leben und Treiben der Menge hervorgebracht; die Gerichte sind nicht geschlossen, und ich verkehre täglich unter einem Haufen von Menschen. Das Absperrungs-System ist bei uns eingestellt worden; so zwar daß nur allein das Zimmer, worin ein Cholera-Kranker liegt, nicht betreten werden darf, die ganze übrige Wohnung des Patienten ist frei. Folgende Lebensweise hat sich bisher als Schutzmittel bewährt: Man kleide sich 1) sehr warm, vom Kopf bis zum Fuße in Wolle, und zwar das wollene Zeug auf der bloßen Haut; man geht 2) vor 8 Morgens nicht aus, und sucht wo möglich nach 7 Uhr Abends das Zimmer nicht mehr zu verlassen; 3) die Fenster werden mehrmals des Tages geöffnet und zwei bis drei Mal mit sogenanntem Pest-Essig, oder auch mit Essig und Wacholder durchräuchert; 4) sehr gut ist es auch, wenn man täglich den Hausflur mit Theer, in welchen glühende Mauersteine geworfen werden, auch wohl etwas Knobloch zugethan wird, durchräuchert; in der Diät muß man sehr vorsichtig seyn, namentlich sich niemals ganz satt essen. Korrespondenz aus Berlin. 20. Sept. 1831, in: Der Volksfreund in den Sudeten, vereinigt mit dem Schlesischen Beobachter. Eine Wochenschrift zum Nutzen, zur Belehrung und zur Unterhaltung aller Stände, Nr. 41, 12. Oktober 1831, S. 421f. Euer Hochwohlgeboren haben mir erlaubt, einige zu meiner näheren Kenntniß gelangte Tatsachen, welche eine mangelhafte Ausführung der zur Absperrung der Cholera gegebenen Vorschriften am hiesigen Orte bekunden, Ihnen persönlich anzuzeigen. Obwohl ich gewünscht hätte außer den nachstehend bezeichneten Fällen, noch einige andere mit aufzunehmen; so darf ich doch nicht das von Euer Hochwohlgeboren in Erinnerung gebrachte Anzeigen mißkennen und muß mich daher mit der Aufzählung der nachstehend angegebenen Fälle, für welche ich die Beweise beibringen kann, begnügen [...]. Nach dem Tod des Doctor Calow (Charlotten- u. Leipziger-Straße Ecke wohnend) hat ein ungehinderter Zulauf von Neugierigen Statt gefunden, um die Leiche zu sehen. Nach dem Tode des Doctor Calow und nachdem in dem Hause eine Reihe von Todesfällen vorgekommen, hat über der Thüre in der Charlottenstraße, welche zu Calows Wohnung führt, fortwährend eine Tafel mit der Aufschrift „Hier sind möblirte Woh. zu vermiethen" ausgehangen. Diese Umstände, so wie alle die sich auf den Doctor Calow beziehen, sind theils von mir theils von Calows Freunden, unter denen ich für jetzt den Rittmeister Schlüßer vom General-Stabe nenne, beobachtet worden. Sollte es nöthig sein, so werde ich hierüber noch mehr Zeugnisse beibringen. Die Klage darüber, daß dem Gesindel nicht gewehrt wurde, die Cholera-Leiche, deren Begleitung durch Freunde und Verwandte des Verstorbenen beschränkt ist, unter wildem

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Tumulte und Hohn zur Gruft zu verfolgen; ja selbst den Sterbenden durch höhnendes Geschrei zu belästigen ist von mir oft gehört. Bei Doctor Calow ist beides eingetroffen. Zur Stunde seines Todes und später, beim Abführen der Leiche war ein wilder Haufe von Gassenjungen u. dgl. um das Haus ungehindert versammelt. Der Ruf „Der Doctor muß selbst dran" u. ähnliches wurde im ersteren, der Ruf „Hui, Cholera!" im zweiten Falle vielfach variiert und wiederholt. aus: Regierungsrat Peuchen an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 20. September 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61. Schon am 24sten August ist im „Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften" der Serpentinstein als wahrscheinliches Schutzmittel wider die Cholera empfohlen worden. Es ist im allerhöchsten Grade auffallend, daß bei der hier so stark grassirenden Nächstenliebe die aus diesem Steine anzufertigenden Leibwärmer noch nirgens, und namentlich bei dem an der Ecke Markgrafen- und Taubenstraße gewöhnlich sitzenden Serpentinwaarenhändler (der jetzt ein Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit werden wird, da er die Cholera nicht bekommen darf), ausgeboten worden sind. Bisher pflegten die kaufmännischen Anzeigen immer unmittelbar nach den rein menschenfreundlichen zu folgen. Eben so wunderbar ist es, daß (mit Rücksicht auf das, in der Haude- und Spenerschen Zeitung vom löten d. M. den Aerzten Schicklichkeits- und Vorsichtshalber empfohlene Waschen der Hände nach dem Besuch Cholerakranker) noch keine tragbare Cholerawaschapparate angekündigt worden sind, da erfahrungsgemäß in so mancher abgesperrten Wohnung nicht immer reines Wasser, reine Seife, und ein reines Becken zu haben ist, und der Arzt sich besser alles dieß mitbringt. Voc., Lesefrüchte, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 6, 20. September 1831, S. 23 Ohne hier nur noch den hitzigen Streit über die Existenz oder Nichtexistenz eines Contagium Cholericum zu berühren, bei dem es immer auffallend bleibt, daß nach den Annalen der Heilkunde stets die Aerzte, welche die Cholera recht kennen gelernt, gegen ihre Contagiosität sind, während die, zu denen sie noch nicht gelangt sind, von derselben überzeugt sind; ohne hier auch nur im Entferntesten die gewiß recht große Wohlthätigkeit aller getroffenen polizeilichen und medicinischen Instructionen zur sorgfältigen Abhaltung des doch sehr problematischen Ansteckungsstoffes in zweideutiges Licht stellen zu wollen, wenn gleich mit Herrn Geheimen Rath Wendt in Breslau auch viele Andere mit ihm nur größtentheils Copieen alter Pest-Verordnungen erkennen, die unserm Culturzustand eben so wenig als dem gegenwärtigen Standpunkt der Heilwissenschaft entsprechen, können wir doch nicht umhin, nach unserm Wahrheitsgefühle bei dem gegenwärtigen Drange der Zeit laut zu bekennen, daß die getroffenen allgemeinen Schutzmaßregeln zur Verhinderung des Eintretens und Umsichgreifens der Seuchen als vorher erwähntes Sumpf-Miasma noch Manches wünschenswert machen. Wenn wir alles in diesem Bezüge zeither im Gebiete der Cholera-Literatur mit vieler Ueberzeugung Erörterte umfassen, müssen wir unbedingt anerkennen, daß das Herannahen der Seuche mit dem seit mehreren Jahren fast durch ganz Europa verbreiteten hohen Was-

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serstande und ungewöhnlichen Austreten mehrerer großen Flüsse in Rußland, Polen und Preußen, und dadurch veranlaßte Ueberschwemmungen in Folge des am Nord-Pol fortdauernden Schmelzens unabsehbarer Eismassen, mit dem seit längerer Zeit ungewöhnlich anhaltenden trüben Himmel und so oft eintretenden regnigten Wetter und Nebel, so wie mit hierdurch bedingten meistens sehr hohen hygrometrischem Stande und endlich den in Folge dieser eben genannten Ursachen so häufig vorgekommenen proteusartigen Wechselfiebern mit Durchfällen und galligtem Erbrechen in großer Verbindung steht. Wenn nun durch jene Affectionen die Lebenskraft der Volksmassen nothwendiger Weise geschwächt wird, so war unter den bisherigen Zeitperioden keine für die Empfänglichkeit der jenen bösartigen Fiebern so nahe verwandten Cholera geeigneter und größer als die gegenwärtige, in der die intellektuellen wie die moralischen und physischen Kräfte des Menschengeschlechts durch die verschiedenen zeitherigen politischen Erschütterungen überall auf die mannigfachste Weise in Anspruch genommen und in Aufregung versetzt worden sind. Wer weiß es nicht, daß zwischen den politischen Schicksalen des Menschengeschlechts und den so häufig mit ihnen conflictirenden außergewöhnlichen Naturereignissen eine tiefe innere Correlation statt hat! Wem brauchen wir wohl noch erst zu sagen, daß den mit kriegerischen Unruhen verbundenen physischen und psychischen Calamitäten stets nichts gewisser folgen als pandemische Uebel! aus: Dr. J[ohannJ Jfacob] Sachs, Rückblicke auf die frühern mit der Cholera mehr oder weniger zu vergleichenden Volksseuchen, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 188, 20. September 1831, S. 750f. Die Desinfection der sogenannten giftfangenden Körper, die drückende und das eigentliche Leben der Staaten, den schnellen Verkehr und Handel, beinahe ganz vernichtende Maaßregel, erscheint sonach um so mehr als ein völlig überflüssiges und unnützes Geschäft, da die Berührung der atmosphärischen Luft oder das Auslüften der Hausgeräthe, Kleider, Betten, Wäsche, Papiere Briefe, Bücher, Mobilien und Zeuge aller Art an der freien Luft völlig hinreichend ist, um die sogenannte Mephitis, woher sie auch kommen möge, zu zerstreuen, chemisch zu zerstören, und für jeden damit in nähere oder entferntere Berührung kommenden Menschen unschädlich zu machen. Nie ist es noch Jemandem eingefallen, einer inneren Vergiftung von Wasserschierling, Opium, Belladonna, Stechapfel etc. durch Desinfection der Luft oder des Mobiliars abhelfen zu wollen. Der Gebrauch des Chlors in allen möglichen Formen und Arten zum Zwecke der Desinfection ist noch dazu nicht nur vollkommen überflüssig, sondern sogar schädlich für Menschen und Sachen; für jene, weil dasselbe eine irrespirable Gasart liefert, die insbesondere den Lungen höchst nachtheilig ist, und für diese, weil die ätzende und zerstörende Wirkung desselben nicht ausbleiben kann, wo es auch angewendet wird, ungerechnet noch, daß sogar die giftwidrige und die Anstekkung tilgende Eigenschaft desselben sich neuerlichst hier durchaus nicht bewährt hat. Eben so wenig ist irgend eine stark riechende Substanz, wie z.B. der gemeine oder der Steinkohlentheer, der vier Spitzbubenessig, der Kampher, die Essigsäure etc. vermögend, vor Ansteckung zu schützen; vielmehr habe ich öfters Veranlassung gehabt, die nachtheilige Wirkung solcher angeblicher Präservative auf den Organismus zu beobachten. Auch scheint es mir mehr als bedenklich zu seyn, den Aberglauben und, was viel ist, den Wunderglauben an die Kraft gewisser Amulette, es seyen Nüsse, oder Kräuterbeutel, oder irgend etwas

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Anderes, dadurch zu nähren, daß man es für zulässig erachtet, dem mit Besorgnissen erfüllten Menschen einen Strohhalm zu reichen, an den er sich in Zeiten der Gefahr als an einen Anker halten könne. Vernunftgründe vermögen weit sicherer, als Gründe des Wahns und des Wunderglaubens zu schützen. Durch Entbehrung und Enthaltung vom Genüsse gewisser Speisen und Getränke gegen die Anfälle der Cholera sich schützen zu wollen, ist ebenfalls leerer Wahn, der sogar zum Verderben führen kann, wenn dadurch eine Abweichung von der gewohnten Lebensordnung herbeigeführt wird; und ungewohnter Weise Flanellhemden und Cholerabinden auf dem bloßen Leibe zu tragen, das Zimmer nicht zu verlassen, stets in einer durch Räucherungen irgend einer Art verdorbenen Atmosphäre sich aufzuhalten etc., ist vollends im Stande, den Bildungsprozeß der Mephitis überhaupt zu beschleunigen, und somit den Ausbruch der Cholera durch die leichteste Erkältung oder jede andere Störung des Verdauungsprozesses zu befördern, zumal wenn man zur Verhütung dieser Folgen dem Genüsse der freien atmosphärischen Luft sich entzieht. Dr. Gottfried Christian Reich, Die Cholera in Berlin mit Andeutungen zu ihrer sichern Abwehrung und Heilung, Berlin [20. September] 1831, S. 134jf. Am 20. und 21. September d. J., Nachmittags 5 Uhr, wurden die beiden andern, für die an der Cholera verstorbenen hiesigen Einwohner bestimmten Begräbnisplätze, auf dem Wedding, so wie in der Hasenheide neben dem sogenannten Franzosen-Kirchhof gelegen, durch die evangelischen Prediger, Superintendent Pelkmann und Prediger Ideler, gleichwie durch den katholischen Probst Fischer nach den Ritualen der beiden Religions-Partheien feierlich eingeweiht. [Bekanntmachung.] Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comite für Berlin, v. Arnim. Berlin, den 10. Oktober, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 240, 13. Oktober 1831, [S. 1]. Als Schutzmittel gegen die Cholera, und vornehmlich weil das Volk daran glaubte, verlangte der Präsident von Arnim vom Minister des Innern die Genehmigung zur Erlaubniß des Tabakrauchens auf offener Straße, da überdies eine Menge Leute dies unverhohlen thaten, und er entweder das Verbot in Erinnerung bringen oder allgemein erlauben müsse. Hr. v. Brenn verweigerte bis heute seine Zustimmung zur Erlaubniß, und nun will man sogar schon mehrere Polizeioffizianten in Uniformen rauchend auf der Straße gesehen haben. [Anonym.] Berlin, 21. September, in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 381 und 382, 2. Oktober 1831, S. 1523. Bei der uns jetzt uns hier heimsuchenden bösartigen Cholera sehen wir nun aber jene Uebergangsformen überall ganz deutlich und können sie nicht läugnen, wenn sie auch zu unsern Begriffen von sporadischer, indischer, contagiöser etc. Cholera nicht passen. Die Krankheit wird nicht zu einer bestimmten Zeit durch ein bestimmtes Individuum in Berlin und in Wien eingeschleppt, sondern die Epidemie entwickelt sich ganz allmälig. Erst sind die choleraähnlichen Krankheitszufälle da, diese gestalten sich immer bedenklicher, immer eigenthümlicher, ein definitives frühes Urtheil hierüber ist den Aerzten unmöglich, weil die

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Symptomenlehre der Uebergangsformen noch zu dunkel ist, und auch nicht so leicht aufs Reine wird gebracht werden können, wegen der oft eigenthümlichen Form der Epidemie; endlich stirbt ein Mensch auf diese Weise, und nun erst wagt man die Existenz des gefürchteten Feindes anzunehmen. In Wien scheint dieß noch viel später geschehen zu seyn, als hier bei uns; dieß beweist der Entwicklungsgrad der Epidemie, in dem Augenblicke, wo man sie in Wien anerkennt. Nicht also der arme Schiffer, der hier am Schiffbauerdamm gestorben, keine unbeachtete Lücke in den Cordons, so viel deren auch überall und immer waren und seyn werden, verschuldete den Ausbruch der Seuche in Berlin; der Grund hiervon muß anderswo aufgesucht werden. Wer möchte es deshalb läugnen, daß die Cholera durch eine Menschen, einer Waare irgendwo eingeschleppt werden könnte? wer es bestreiten, daß die Cholera unter gewissen Verhältnissen wirklich contagiös sey? Ich wollte hier nur darauf aufmerksam machen, welchen Ursachen man, meiner Meinung nach, den Ausbruch der Seuche in Berlin und Wien ja nicht zuschreiben müsse. aus: [Dr. Albert Sachs], Ueber den Ausbruch der Cholera in Wien und Berlin, in: Tagebuch Uber das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 8, 22. September 1831, S. 30f. Durch vielfältige Anfragen veranlaßt, machen wir hierdurch von Amtswegen bekannt, daß niemals davon die Rede gewesen ist, die Vorlesungen der hiesigen Universität für das bevorstehende Winterhalbjahr auszusetzen, sondern daß dieselben unfehlbar werden gehalten werden. Der bisherige Verlauf der Cholera-Epidemie hie[r]selbst, in deren vierten Woche wir jetzt stehen, bietet nach Maßgabe der Bevölkerung und im Vergleich mit andern Städten, die von diesem Uebel heimgesucht sind, ein so beruhigendes Verhältniß dar, daß wir dem Winter ohne ängstliche Besorgniß entgegensehen. Jedoch sind sowohl von Seiten der akademischen Behörde, als auch von den Studirenden die erforderlichen Anstalten getroffen, um Ansteckung im Universitätsgebäude zu verhüten und in vorkommenden Krankheitsfällen schleunige Hülfe zu leisten. [Bekanntmachung.] Rektor und Senat der hiesigen Königlichen Friedrich-WilhelmsUniversität. Böckh. Berlin, den 22. September 1831, in: Berlinische Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 237, 10. Oktober 1831, [S. 1 ]. Während der Dauer der jetzt herrschenden asiatischen Cholera ist seit Kurzem das Tabackrauchen auf öffentlichen Plätzen und Straßen, so wie im Thiergarten erlaubt worden, um Denjenigen, welche darin ein Schutzmittel zu finden glauben, dasselbe nicht zu entziehen. Es versteht sich hierbey von selbst, daß an feuer-gefährlichen Orten, und bey allen Wachen und Militair-Posten nicht geraucht werden darf. Nach dem Aufhören der Cholera bleiben die bisherigen Bestimmungen, rücksichtlich des Tabackrauchens, in voller Kraft. Polizeyliche Bekanntmachung. Königliches Gouvernement und Polizey-Präsidium hiesiger Residenz, v. Tippeiskirch, v. Arnim. Berlin, den 23sten September 1831, in: Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 230, 26. September 1831, S. 6634.

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Aus Straßburg wird (in der Haude- und Spenerschen Zeitung) unterm 13. Septbr. geschrieben: „Die schon zweimal angekündigte Sperre ist auch jetzt wieder hinausgeschoben worden und Waaren und Personen passiren noch ungehindert die Rheinbrücke. Einestheils fürchtet man durch Hemmung des Verkehrs eine völlige Nahrungslosigkeit der arbeitenden Volksklasse, dann hält man auch den Fortgang der Krankheit für unaufhaltbar, glaubt, daß der Stoff dazu in mephytischen Dünsten der Atmosphäre liege, und räth dem Magistrate, statt aller Gränzwachten und Gesundheitscordons, die Stadt durch eigens eingerichtete Maschinen zu räuchern, und für die ärmeren Leute Bäder zur sehr wohlfeilen Preisen zu veranstalten." Wir glauben, daß der beurtheilende und negative Theil des Raths aller Beherzigung werth sey. So wie wir die Sache kennen gelernt haben, würden in Frankreich strenge Schutzmaaßregeln, wenn man sie dem Volke aufzwingen wolle, noch viel unausführbarer seyn, als sonst irgendwo; man würde das, wovon der Norden und der Osten nur ganz kleine Proben geliefert hat, im Westen sehr grandios ausgeführt sehen. aus: [Dr. Albert Sachs], Ueber die projectirten Schutzmaaßregeln im Auslande, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 9, 23. September 1831, S. 34. Der Einfluß der Feuchtigkeit auf Entwicklung und Verbreitung der Cholera spricht sich überall so klar aus, daß es als Factum angenommen werden kann: feuchte Luft ist ein die Krankheit sehr begünstigendes Medium. Interessant wird daher folgende Vergleichung des Verlaufes derselben in den verflossenen acht Tagen mit dem Feuchtigkeitszustande der Atmosphäre, über welchen ich meine Beobachtungen in diesen Blättern dargelegt habe. aus: [Ernst Ferdinand] August, Bemerkung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 9, 23. September 1831, S. 36. Die Cholera hat bis jetzt in unsrer Hauptstadt, was ihre Ausbreitung betrifft, einen sehr milden Charakter behauptet, und Furcht und Schrecken sind mehr ihre Vorläufer gewesen, als ihre Begleiter. Ihre Gegenwart macht sich in dem Verkehr der Stadt und in den geselligen Verhältnissen kaum bemerkbar. Alle die schrecklichen Bilder, die man sich in der Ferne von einer durch sie inficirte Stadt gemacht hat, weichen vor der Wirklichkeit, wie sie hier erscheint, völlig zurück, und die Vorsichts-Maßregeln, welche man im Allgemeinen beobachtet, haben ein so beschränktes Maaß, daß nur eine geringe Belästigung aus ihnen entwächst. Der Streit über die contagiöse oder epidemische Natur des Uebels hat sich auch hier seiner Lösung noch nicht genähert, obgleich die Meinung der Aerzte sich dahin zu neigen scheint, daß Letztere die wesentliche oder vorherrschende sey. Es erscheinen hier bereits zwei der Erforschung der Cholera speciell gewidmete Zeitschriften, die dem Auslande um so willkommener seyn müssen, als das über den Gang der Krankheit bei unsren Behörden sich sammelnde Material hoffentlich in einer wissenschaftlichen, zu fruchtbaren Resultaten führenden Bearbeitung zur Publicität kommen wird, und die aus den mit vieler Genauigkeit abgefaßten Listen der Staatszeitung hervorgehende Abnahme der Sterbefälle in den letzten Tagen wollen wir gerne als eine einstweilige Bestätigung der Behauptung ansehen, daß die Epidemie in ihrem Verkauf einen Periodismus offenbare, wobei die dritte Woche die gefährlichste sey. Zu bemerken ist übrigens, daß die Sterblichkeit hier keineswegs in dem

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Maaße zugenommen hat, als sich Todesfälle in Folge der Cholera ereignet haben, und daher wohl bei vielen Opfern derselben nur eine andre tödtliche Krankheit, wozu sie disponirt waren, in dieser Form aufgetreten seyn mag. - Zu den bekannteren fremden Aerzten, die sich auf Veranlassung der Cholera hier befinden, gehören Dr. Searle und Dr. Albers. [Anonym. ] Schreiben aus Berlin vom 24. September, in: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten, Nr. 229, 28. September 1831, [S. 2], Der am 7ten erfolgte eben so schnelle als bedauernswerthe Tod unsers Mitbruders, des Dr. Calow, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigt hatte, und die in der Wohnung desselben kurz darauf eingetretenen Erkrankungs- und Todesfälle haben in hiesiger Stadt auch in Bezug auf die Streitfrage über die Ansteckungsfähigkeit oder Nichtansteckungsfähigkeit der Cholera ein so allgemeines Interesse erweckt, daß es wohl nicht unangemessen erscheinen wird, etwas Näheres darüber zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Unser verstorbener Freund hatte sich mit unbegrenztem Eifer der allseitigen Erforschung der neuen, kaum ausgebrochenen Seuche hingegeben, und wahrscheinlich dadurch eine leichte Unpäßlichkeit mit wiederholten Durchfällen sich zugezogen. Die in der Nacht vom 6ten bis zum 7ten eingetretenen Vorboten der Krankheit hatte ihn sogleich Morgens zu einem Aderlasse von 5 Tassen Blut bestimmt. Das Blut zeigte die Beschaffenheit des Cholerabluts; der Blutkuchen war geronnen, durchaus venös, mit einem Serum, und mit einem mohnblattdicken, lymphatischen Häutchen überzogen. Die unermüdete Sorgfalt seines Freundes und Arztes, des Herrn Dr. Behrend, verbunden mit dem theilnehmenden Rath anderer Freunde, konnte der Krankheit nicht Einhalt thun. Abends 7 Uhr erfolgte bei vollem Bewußtseyn der Tod. Eine Stunde später kam der Hauswirth des Verstorbenen, Herr Steibelt jun. von einer Jagdpartie zurück, die derselbe, um körperliche Bewegung zur Abhülfe seiner habituellen Leibesverstopfung sich zu machen, an demselben Morgen unternommen hatte, ohne von seines Miethers Unwohlseyn die mindeste Kenntniß gehabt zu haben. Natürlich erschrack er über den plötzlichen Todesfall an der auch von ihm gefürchteten Seuche (auch er hat sich in Hemdsärmeln aus dem Fenster gelegt, und so einer Erkältung wenigstens ausgesetzt, die Red.), kam aber durchaus in keine Berührung mit dem Verblichenen oder dessen Umgebungen, und befand sich am 8ten ganz wohl. Am 9ten Morgens hob sich die mehrtägige Stuhlverhaltung von selbst, und es fand sich ein gelinder Durchfall ein, der dem Hausarzt, Hr. Dr. Behrend, eine zweckmäßige Arznei, Reiswasser zum Getränk, und warmes Verhalten entgegensetzte, so daß der Kranke Abends sich ganz wohl befand. In der Nacht vom 9ten zum lOten stellten sich jedoch die gewöhnlichen Zufälle der Cholera ein; und trotz der eifrigsten Bemühungen des Arztes erfolgte der Tod am 1 lten Nachmittags. Der 9jährige Sohn Carl des Verstorbenen hatte sich an diesem Abend ganz wohl befunden, aber die Unvorsichtigkeit begangen, von der Chlorkalkräucherung etwas zu genießen, und darauf warme Milch zu trinken, worauf er sich ganz wohl zu Bette legte. Am 12ten um 3 Uhr Morgens trat plötzlich Erbrechen und Durchfall ein. Der herbeigerufene Hausarzt verwendete die unsäglichste Mühe auf die Rettung des Knaben, aber Nachmittags drei Uhr war derselbe eine Leiche. Der trostlosen, fast wahnsinnigen Gattin und Mutter Beistand zu leisten, ward ich Abends 6 Uhr von der Schutzcommission beordert. [...] Am 13ten Morgens 1 Uhr wurde ich zum Beistand des vom Brech-Durchfall und Krämpfen ergriffenen

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22 Monate alten Steibeltschen Sohnes Louis berufen. Man verschwieg mir, daß der Kleine einer ähnlichen Unvorsichtigkeit wie sein verstorbener Bruder sich schuldig gemacht, und man ihm Essig zu trinken gegeben hatte. [...] Abends 9 Uhr reichte ich ihm eine kleine Tasse voll Fleischbrühe, die er auch begierig zu sich nahm. Ich unterhielt die schönsten Hoffnungen zur Genesung, obgleich periodisch der kleine Patient von Angst und Unruhe befallen wurde, die Betten von sich stieß, und Gesichtszuckungen unterliefen. In diesem Augenblicke hatte der noch völlig gesunde 4jährige Steibeltsche Sohn Friedrich zum viertenmale Durchfall bekommen. Der anwesende Hausarzt nahm sich der Sache augenblicklichst auf das Eifrigste an, und hatte die Freude, am andern Morgen seinen kleinen Kranken wieder genesen zu finden. Meinen Knaben hatte dagegen am 14ten Morgens 1 Uhr der Tod dahingerafft. Das 18jährige Dienstmädchen, die treue und unermüdliche Pflegerin der drei Verstorbenen, durch Nachtwachen und Anstrengungen äußerst erschöpft, wurde Morgens 6 Uhr von der Cholera befallen. Ich reichte ihr von der schon vorräthigen Brechweinsteinauflösung einen Eßlöffel voll, und ließ davon alle zwei Stunden eben so viel geben. Nach gemeinschaftlicher Uebereinkunft der Schutzcommission und des Hausarztes wurde nun diese Mittags schon in die öffentliche Cholerakrankenanstalt gebracht, und die Frau Wittwe nebst ihrem genesenen Sohn, ihrem gesunden Pflegesohn, den 4 Wächtern und 2 Wärterinnen in die Contumazanstalt versetzt. Nach überstandener Contumazzeit wurden die letztern sämmtlich gesund entlassen; doch hatte der Pflegesohn dort ebenfalls Durchfall gehabt, war aber schnell und glücklich geheilt worden. Das Dienstmädchen ist noch in der Reconvalescenz begriffen, erwartet aber nächstens ihre Entlassung. Der ganze Hergang der Sache lehrt wohl augenscheinlich, daß hier eine bedingte Anstekkung stattgefunden hat. Obgleich ich derselben durch augenblickliches Eröffnen eines Fensters der eigentlichen Krankenstube jedesmal bei meinem Eintritt zuvorzukommen mich bemüht hatte, so hatte ich doch mißfällig bemerkt, daß bald nach meinem jedesmaligen Weggehen das Fenster wieder geschlossen worden war, und es ist daher wohl anzunehmen, daß die Kinder und das Dienstmädchen nur deshalb die Ansteckung aufgefaßt haben, weil sie sich am längsten in der verdorbenen Luft des in längern Zwischenräumen abgeschlossenen und stets mit Chlorgas gefüllten Krankenzimmers verweilt haben; dagegen die Wärter und Wärterinnen der Ansteckung entgingen, weil sie sich meistentheils in der Küche und auf dem freien Hausflur, die ebenfalls durchräuchert wurden, aufhielten, die Mutter aber deshalb ganz gesund blieb, weil sie größtentheils im anstoßenden sehr geräumigen Zimmer, worin kein Kranker geathmet hatte, und keine Räucherung geschah, sich aufhielt und das verordnete Präservativ gehörig genommen hatte, das ich in so vielen Fällen bewährt gefunden habe. Einen andern Beleg zu der bedingten Ansteckung giebt der Cholerafall des Hr. Dr. Simonson, des Freundes und Gehülfen des verblichnen Dr. Calow, der mit diesem am 6ten September Cholerakranke eifrigst gewartet, am Todestage seines Freundes diesen selbst mitgepflegt hatte, und gegen Abend des 7 Septembers von den schreckendsten Erstikkungszufallen mit allen übrigen beginnenden Symptomen der Cholera befallen wurde, wie ich in meiner so eben erschienenen Schrift: Die Cholera in Berlin, S. 127 gemeldet habe. Aehnlicher Beispiele sind hier noch weit mehrere vorgekommen, so daß nicht blos anzunehmen ist, die Cholera entwickele sich gleichzeitig in mehreren Individuen einer Familie, die sich unter dem gleichen Einfluß enger, dunstiger, feuchter, ungesunder Wohnungen und

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anderer störend auf sie einwirkender Verhältnisse befinden, sondern daß auch die Anstekkung von einem Kranken auf einen völlig Gesunden übergehen könne, wenn sich dieser im Bereich des Einflusses der nahen mephitischen Atmosphäre eines Kranken befindet, wie ich solches in der oben erwähnten Schrift zu erläutern bemüht gewesen bin. Mögen diese Bemerkungen zur Warnung und Vorsicht dienen! aus: [Dr. Gottfried Christian] Reich, [Krankenbericht], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 10, 24. September 1831, S. 38ff. Das Bedürfniß, das hiesige Publikum über den täglichen Stand und Gang der Cholera in unserer Stadt durch specielle Nachweisung der Ergebnisse der Erkrankungen, Genesungen und Sterbefälle, wie der fortwährend zur Hemmung der Seuche ergriffenen Maaßregeln in genauester Kenntniß zu erhalten, wird hier allgemein und lebhaft gefühlt. Aber auch die übrigen Landestheile und das Ausland, hier von der Krankheit bereits ergriffen, dort noch von ihr verschont, folgen mit nicht minderm Interesse ihrem Gange in unsern Mauern, Trost, Hülfe, Belehrung suchend von der lebendigen Wirksamkeit unsrer höchsten und höhern Behörden, von der großen Zahl hier lebender ausgezeichneter Aerzte. Deshalb ward bereits vom Ausbruche der Seuche an der Plan vorbereitet, in einem Tagesblatte, das ausschließlich diesem großen Zeitereignisse, in seiner nähern Beziehung zu unserer Stadt, gewidmet wäre, die betreffenden Thatsachen zur öffentlichen Kunde zu bringen, und wenn die Ausführung bis heute hinausgeschoben worden, so möge der Wunsch nichts Uebereiltes und Unreifes zu bringen, diese Zögerung entschuldigen. Nachdem nunmehr ein ärztlicher Verein zusammengetreten, dessen Ausschuß die Herrn Regier. Medicin.-Rath Dr. Barez, Medicin.Rath Dr. Eck und der Unterzeichnete bilden, und welchen Letzterer als verantwortlicher Herausgeber dieser Blätter vertritt, und nachdem, was wir mit lebhaftem Danke anerkennen, die betreffenden Allerhöchst verordneten Behörden der Redaction die freie Benutzung der amtlichen Quellen verstattet haben, beginnen wir unsere Mittheilungen mit dem herzlichen Wunsche, daß es uns gelingen möge, dadurch zur allgemeinen Beruhigung, wenn auch nur durch treue Darstellung der Thatsachen und Beseitigung täglich erneuerter Gerüchte, durch Erläuterung und Beleuchtung so mancher Verhältnisse, die hier und da wohl dem NichtSachkenner beunruhigender erscheinen, als sie wirklich sind, etwas beizutragen. aus: Dr. [Johann Ludwig] Casper, Ankündigung und Plan dieser Zeitung, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 1, 24. September 1831, S. 1. Es ist allerdings leider nur zu wahr, daß die asiatische Cholera in ihrem Lethalitätsverhältniß nur den furchtbarsten Pesten an die Seite gesetzt werden kann. Wenn die Baseler Pest (1609-1611) von 6408 davon Befallenen Kranken 3958 tödtete, wenn im sogenannten englischen Schweißfieber (Faulfieber), das 1511 zuletzt in London herrschte, kaum Einer von hundert Kranken gerettet wurde, wenn in den Epidemien des gelben Fiebers in Amerika namentlich von den europäischen Kranken vier Fünftel hingerafft wurden, so hat die Cholera überall, in Indien, wie in Europa, eine ähnliche furchtbare Macht geübt. Von ihrem Ausbruche in Berlin bis zum 6. September waren von 64 Erkrankten nur Ein Genesender in den öffentlichen Listen angeführt, und selbst bis heute (20. September) sind der Seuche von 512

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Befallenen nur 49, als von Zehn kaum Einer, entronnen. Dies betrübende Ergebniß [...] der bisherigen Genesungen hat, nicht mit Unrecht, viele Besorgniß unter unsern Mitbürgern erregt. aus: [Johann Ludwig] C[asper], Das Genesungsverhältniß bei der Cholera, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 1, 24. September 1831, S. 7. Die tägliche Zahl der Erkrankten, gestiegen gegen die ersten Wochen, hält sich in der Mitte der Hundert. Zum Schluß der Woche, beim Eintritt der heitern, warmen Herbsttage wieder abgenommen. - Die Zahl der Genesenden verhältnißmäßig noch immer gering, jedoch im Steigen. - Man weiß schon von mehreren, die genesen aus den öffentlichen Lazarethen entlassen wurden. Giebt Muth im Volke. - Sonst Angst, wenn ein bekannter Mann unter den Opfern genannt wird; es fehlt daran nicht. Angst und Ekel übrigens schlimmere Leiter für die Seuche als schlechte Diät. - In vielen Cirkeln strenges, geselliges Verbot: „von der Cholera nicht zu sprechen", macht das Uebel überall nur ärger. Wo man sich von selbst der Gespräche enthalten kann, spürt man an seiner Gesundheit die wohlthätige Folge. - Weil in den höhern und höchsten Kreisen des geselligen Lebens das Wort gar nicht erwähnt würde, davon meinen Einige, rühre es her, daß aus diesen Kreisen noch kein Opfer in Berlin gefallen!? - De mortuis nil nisi bene! Dieser Sittenspruch jetzt in Berlin just umgekehrt. Man giebt sich alle Mühe dem Todten etwas Schlimmes nachzusagen: daß er ein Schweiger, ein Lüderjan gewesen, sich nicht in Acht genommen, bravirt habe, von reizbarer Gemüthsstimmung leicht in Affect gerathen, - alles um eine causa mortis (für andere eine causa vitae) hervorzusuchen. - Es giebt Leute, die sich völlig isoliren\ in ihre Wohnungen verschließen, nicht ausgehen, Eßwaaren an Bindfäden durch die Fenster ziehen, in Chlorund Essigdämpfen leben, schwitzen und - doch sterben müssen, wenn ihre Stunde geschlagen hat! - Der Oberrabbiner hat die gefahrvolle Feier der langen Nacht den Zeitumständen gemäß modificirt, und die Juden finden sich darin. Die Hühner in Charlottenburg, unter denen ein bemerkenswerthes Sterben eingerissen, leiden ohne allen Zweifel an einer cholerischen Epidemie. - Es erscheint nunmehr täglich eine Cholerazeitung, begründet durch den mediochirurgischen Verein, für Aerzte und Publikum, die merkwürdigsten Krankheitsfälle enthaltend, redigirt von Dr. Albert Sachs. - Desgleichen eine officielle Cholerazeitung, den Katalogus der Opfer, mit Angabe wahrscheinlicher Motive, ihrer Lebensverhältnisse u.s.w., red. vom M. R. Dr. Casper. - Alle Zeitungen enthalten Specifica, Entdeckungen, und in den Zeitungsbureaux liegen Stöße Manuscripte voller Rettungsvorschläge. (Man spricht davon daß ein Committe ernannt werden soll, alle Rettungsvorschläge durchzulesen.) - Die merkwürdigste Entdeckung, gemacht in der Registratur des Ministeriums der Geistlichen und Schulangelegenheiten: Eine Verordnung, betreffend die im Herbst und Frühling 1785 in Berlin grassirende Krankheit, genannt die Cholera. Also die Cholera mit allen ihren Symptomen schon vor sechs und vierzig Jahren in Berlin grassirend! - Die strenge Sperre und Controlle schon bedeutend gemäßigt. - Sechs und vierzig hiesige Aerzte haben ihr Gutachten abgegeben, daß die Cholera nicht contagiös und bei der Commission angetragen: alle Sperrungen und darauf bezügliche Verordnungen aufzuheben. - Dennoch hie und da noch manche Verkehrtheiten: Ein Kunstfreund empfängt den seltenen Kupferstich eines Meisters, aus Rom ihm per Post zugeschickt, sauber durch und durch zerstochen! - Die Bezirkssammlungen haben reiche Früchte getragen. Doch führen eben diese separirten Sammlungen

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einen schwer zu beseitigenden Uebelstand mit sich: Wenn der Bezirk am Hallischen Thore, zumeist von Aermeren bewohnt, einige und 30 und der der Jägerstraße einige und Tausend Thaler zusammengeschossen, was soll den zahllosen Armen am Hallischen Thore mit den dreißig Thalern schon geholfen sein*? - Größte Zahl der Erkrankten an einem Tage 51. Als erkrankt an der Cholera sind bis zum 22sten 621, und als gestorben 335 notirt. - Die Nachrichten aus Wien von der raschen Ueberhandnahme der Krankheit erregen großen Schreck. Meist Personen aus den höchsten Ständen fallen dort als Opfer. - Allgemeine Billigung des Schreibens des Dr. v. Reider an v. Gräfe, worin es heißt: „Wozu nun die fortdauernden Sanitäts-Cordone, Contumazen und Quarantainen, die so viele Menschen kosten, gegen eine rein epidemische, nicht, nie und nirgends, contagiöse Krankheit? - Beseitigen wir die Furcht vor Ansteckungsgefahr, so hört dieses Uebel auf eine Volks-Calamität zu sein und die Zahl der Opfer wird sich schnell vermindern. Die Calamität der Sache ist bloßes Kunstprodukt unserer Contagions-Advokaten". Die allgemeine Stimme in Wien hat diesmal schnell gesiegt. (Neueste diätetische Wahrnehmung.) Von den Gemüsen wähle man nur die unter der Erde reifen, deren über der Erde, welche zumeist dem Thau ausgesetzt, enthalte man sich gänzlich, da man im Thau den Giftstoff gefunden haben will. * Jeder Krankenwärter erhält, so viel uns bekannt, einen Thaler täglich, ob Kranke da sind oder nicht, dafür daß er stets der Kranken gewärtig. Das scheint uns nicht recht angefangen. Dem, der ohnedies täglich einen Thaler erhält, ist gar nichts daran gelegen, wenn er nun noch einen Kranken zu pflegen erhält. Man sollte es ähnlich dem ungarischen Pfarrer machen. Acht Groschen (davon kann er leben) so lange er auf der Bärenhaut des Wartens liegt, einen Thaler, wenn er im Dienst ist, und dann noch eine Extra-Belohnung, wenn seine Dienste einem Kranken aufhelfen! [Anonym.] Wochen-Chronik der Cholera, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 187, 24. September 1831, S. 748.

Von Seiten eines gewissen Johannes Kühl sind uns von Hamburg 12 Gläser eines vorgeblichen Schutz- und Heilmittels gegen die Cholera übersandt worden, um dessen Anwendung hiesigen Orts zu bewirken. Da die Bestandteile dieses Mittels nicht bekannt sind, so würden wir solches sofort zurückgewiesen haben, wenn nicht in dem Briefe bemerkt wäre, daß es sich bereits in den Preußischen Staaten, innerhalb dessen es an mehreren von der Cholera heimgesuchten Orten versucht worden sei, höchst zweckmäßig bewährt habe. Durch diese Bemerkung veranlaßt, haben wir Ew. Hochwohlgeboren zuvor um eine geneigte Auskunft darüber, ob, nach den der Hochlöblichen Immediat-Commission zugegangenen Nachrichten jener Behauptung irgend eine Thatsache zum Grunde liegt, ganz ergebenst ersuchen zu wollen. Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 25. September 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61.

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Es erscheint durchaus unzweckmäßig, die Namen der an der an der Cholera Erkrankten oder Gestorbenen zu nennen. Es werden dadurch oft Benachrichtigungen gegeben, welche zu Folge von Privatverhältnissen ganz verschwiegen werden müßten. Wer weiß es nicht, wie ängstlich mancher Erkrankungs- und Todesfall liebenden Verwandten und Freunden verschwiegen werden muß? welche tödliches Erschrecken kann es manchem verursachen, in einer solchen Liste einen geliebten Namen ganz unvorbereitet zu finden! wie nachtheilig wird dieß auf manches Geschäftsinteresse, namentlich auf Geldangelegenheiten aller Art wirken, so manches Arrangement etc. unmöglich machen, Belästigungen aller Art verursachen! Wer weiß es nicht, wie sich mancher überhaupt scheut, ja sich auf das Peinlichste davor abängstigt, im Publico als krank oder krank gewesen genannt zu werden? So mancher Kunde hat wohl seinen Arzt dringend gebeten, ihn nicht vorkommenden Falls als cholerakrank anzuzeigen, und nicht eher Ruhe gehabt, als bis der Arzt, auf Rücksicht auf die unendlich wichtige Gemüthsstimmung des Bittenden, seinen Wünschen zu willfahren versprach. Wäre es nicht denkbar, daß auf solche Weise mancher Cholerafall verheimlicht worden sey? und was wird geeigneter seyn, die Zahl dieser Verheimlichungen zu vermehren, als die Ueberzeugung, morgen in der Zeitung als cholerakrank zu paradiren? Und was nützen diese namentliche Aufführungen? gar nichts. Man überlasse es doch ja den Angehörigen, die Erkrankungs- und Todesfälle öffentlich zu annonciren, wenn ihnen dieß wünschenswerth ist, und greife nicht ohne Noth in Privatverhältnisse ein. aus: [Dr. Albert Sachs], Blicke auf die neueste Literatur der Cholera, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 11, 26. September 1831, S. 44. Berlin sieht um kein Haarbreit anders aus, seitdem die Seuche bei uns ist. Wenn Du des Morgens ausgehst, des Mittags, Nachmittags, derselbe Menschenstrom, unter den Linden, in der Königstraße, und die Leute gehn nicht schneller in der langen Friedrichstraße und nicht langsamer in der schönen, stillen Leipzigerstraße als sonst. Sie stehen und sprechen so gern als vordem an den Ecken; und wo drei Menschen stehen bleiben und nach Etwas hin sehen, da stellt sich ein vierter zu und zum vierten ein fünfter und zum fünften ein sechster, und es wird das daraus, was sie in Berlin einen Auflauf nennen - ein Auflauf und keiner weiß warum Sie sind so gern witzig wie sonst. Sie machen Witze sogar auf den Tod. Sie sprechen von ein und demselben Dinge auf den Straßen und in den Gesellschaften und im Theater mit demselben Eifer, und sprechen so lange und immer wieder, bis es erschöpft ist. Und das Ding heißt diesmal Cholera. - Und man seufzt jetzt wie sonst, daß es doch bald erschöpft wäre und etwas Neues dran käme. Man hat Witze gemacht, über die reitenden Artilleriecaserne, über die Sontag, die Bühnendichter, die Schneiderrebellion, den seeligen Diebitsch, so viel aparte Witze, daß ein Buch von jedem zu schreiben wäre. Und man kann Bücher jetzt voll von Cholerawitzen schreiben! Ist denn gar nichts anders geworden? Die Herren tragen Mäntel, schon im warmen Frühherbst und des Abends halten sie Tücher vor's Gesicht. Man spricht auch von Leibbinden, wollnen Strümpfen, der schädlichen Abendluft und was erlaubt ist zu essen und was nicht.

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Die armen Leute tafeln Melonen und kostbare Fische - die armen Leute! - ja, der Verdienst ist theuer geworden wie vieles! Aber man klagte jedes Jahr über Theurung. Etwas sah ich anders auf meinem Spaziergang. - Die Leute sind so freundlich gegeneinander. Mit welcher Herzlichkeit grüßt man sich, drückt sich die Hand, sieht sich zärtlich an, wünscht sich einen guten Tag, ein fröhliches Wiedersehen! Wie fließt die Conversation, daß Du denkst, es sind alte Bekannte. Aber ehedem sahn sich die Beiden nicht an, grüßten sich nicht, wenn sie sich begegneten, hielten's für's Beste schweigend bei einander vorüber zu gehen, und jeder sagte vom andern: Gott sei Dank, daß der langweilige Mensch mich nicht angesprochen hat. Hebt die Cholera das Langweilig sein auf? Das wäre ja eine gute Eigenschaft von der Cholera. Man raucht auf den Gassen - und es kommt darum kein Feuer aus. - Wenn das nur nicht einreißt! Was hätten sonst in gesunden Zeiten unsere Polizeisergeanten und Gensdarmen zu thun? Außer Rauchen und Herzlichkeit stieß mir doch noch etwas auf, was mir neu war. Ein blonder Junge knetete im feuchten Thon auf der Gasse Puppen und schnitzelte in Birkenrinde. Das ist nicht neu. Aber was schnitzelte er? - Einen Leichenkarren, und mit der holdseligsten Miene von der Welt rief er der Schwester zu: „nu fehlt mir nur noch ein Todter, dann ist alles fertig!" Und er griff eben so lustig in den Koth und machte sich einen Todten und alles war gut! Ich ging weiter. Da spielten mehr erwachsene Kinder. Eines karrte das andere, und das Gekarrte war mit Tüchern ganz umwickelt, und saß sehr ernst auf dem Karren. „Was spielt Ihr da?" fragte ich. „Wir spielen Cholera", war die freundliche Antwort. Das hatte ich doch noch nicht in Berlin gesehen. W[illibald] A[lexis], Spaziergänge durch Berlin, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 189, 27. September 1831, S. 753f. Ich habe diese, alle Aufmerksamkeit verschlingende, alle Gemüther in Bewegung setzende, und in die Fugen der Staatsverwaltung, wie in das stille häusliche Leben und Glück tief eingreifende Krankheit an mehreren Orten und in verschiedenen Zeiträumen der Epidemie gesehen, habe einige Hundert Cholerakranke beobachtet und zum Theil selbst behandelt, habe Leichenöffnungen angestellt und von tüchtigen Anatomen, z.B. dem Dr. Berg aus Stuttgardt machen sehen und bin mit unbefangenen Augen der Krankheit entgegengetreten und nachgegangen. - Mögen andere, die noch mehr sahen, und länger beobachteten und denen der Himmel feinere Fühlfäden für practische Wahrnehmung gegeben hat, mich berichtigen. - Ich werde mich gern belehren lassen. Mir liegt es nur am Herzen, daß die Priester der deutschen Hygieia dem asiatischen Ungethüm seine Maske abnehmen; denn leider, scheint es auf unserm vaterländischen Boden noch keineswegs milder aufzutreten. Als wir uns zuletzt sahen, waren wir beide der festen Überzeugung, daß die Cholera zu den anstekkenden Krankheiten gehöre. Seitdem ich nun die Krankheit selbst gesehen, habe ich nicht, wie viele andere Autoren, jene Überzeugung fahren lassen können. Die Cholera ist und bleibt ansteckend. aus: Dr. [Georg Philipp] Holscher [Sendschreiben an Johann Nepomuk Rust], in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 2, 27. September 1831, S. 16.

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Es ist eine wunderbare Zeit des Schwankens aller politischen Verhältnisse; dazu die Seuche, die von ferne schon störend in Alles eingriff und jetzt, da sie da ist, um so störender auf die Gemüther wirkt und auch diejenigen, die sich waffnen mit dem Harnisch des Glaubens, zuweilen, wenn auch nur vorübergehend, mit einem panischen Schrecken ergreift. Bisher haben wir keine schweren Glaubensproben zu bestehen gehabt; denn die Seuche behandelt unsere Stadt noch sehr schonend. Uns ist es aber, als werde es so nicht bleiben, als wolle uns der Herr nur noch Raum zur Buße lassen und als sollten die wunderbaren Himmelslichter, die Gluthen, in denen der Himmel einige Abende nacheinander entbrannt war, uns noch mehr warnen. Gräfin Elise von Bernstorff, Tagebucheintrag, 28. September 1831, in: Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath. Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896, S. 208. Es versteht sich von selbst, daß das ärztliche und nichtärztliche Gespräch sich gegenwärtig ausschließlich um die Cholera dreht. Die Seuche ist bisher sehr gnädig mit uns umgegangen. Bis heut, wo wir dies schreiben, 28sten September, waren vom Ausbruche der Epidemie, 31sten August an, 823 Erkrankte, wovon 162 genesen, und 521 gestorben; (140 sind Bestand) [...]. Die Krankheit ist sonach im allgemeinen im Steigen, aber bisher, gegen andre Städte, noch nicht im Verhältnisse der Bevölkerung (von fast 240.000 Seelen). Gründe dafür sind wohl ohne Zweifel: die bereits sehr westliche Lage Berlins, die vortreffliche Bauart der Stadt mit ihren großen, breiten, geradlinigen, von andern geradlinigten im rechten Winkel durchschnittenen Straßen, die nicht zu eng bewohnten Häuser, und endlich die ungemein thätige öffentliche Milde, und die fortwährenden Maaßnahmen gegen die Weiterverbreitung, denen ein im Allgemeinen gesunder, intelligenter Sinn der Menge entgegen kommt. Auch wir haben hier die Bemerkung gemacht, daß die Cholera nach anhaltendem Regenwetter rasch zunimmt, nach trockenem heiterem Wetter rasch fällt. Hospitäler sind bis jetzt drei eingerichtet, das Eine im Pockenhause, das Andre in der neuen Königsstraße (Dirigent, Hr. Dr. Romberg), das dritte in der Luisenstraße (Dirig. Hr. Dr. Boehr)·, ein viertes ist der Vollendung nahe, es wird am lsten Octobr. eröffnet werden, und dem Herausgeber ist die Direction anvertraut. aus: [Johann Ludwig Casper] Vermischtes, in: Kritisches Repertorium für die gesammte Heilkunde [Berlin], Bd. 29, H. 2 [September] 1831, S. 118f Aus obigem ergibt sich, daß wenn Zustände eintreten, die in keinem Cataloge aufzufinden, von keiner eigentlichen Krankheit die Rede sein kann, man diese auch nicht so nennen darf, und daß, wenn trotz allen Aufschneidens der Tod erfolgt, ehe Zeichen da sind, man diese Nichtzeichen auf etwas anders deuten müsse, als auf den aus dieser Ursache erfolgten Tod. Da jedoch die Menschen lieben, jeder Erscheinung einen Namen zu geben, so haben sie eine Art plötzlichen Todes, der ja überhaupt nichts weiter als ein Erstarren ist, Cholera genannt. Man sieht also, die Cholera ist keine Krankheit, man kann deshalb auch nicht an ihr sterben. aus: M. v. W...r, Kann man an der Cholera sterben? Nein - und warum nicht? - Darum, in: Der Freimüthige, oder Berliner Conversations-Blatt, Nr. 190, 29. September 1831, S. 759.

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Ein anderer College schreibt. „Täglich lese ich auf den Zeitungen das Wort: Desinficirt: Ist denn auch der Zeitungsträger selbst gehörig desinficirt? Auch er müßte in jedem Comptoir geräuchert und gestempelt werden." Wenn er aber nun schon selbst angesteckt ist? - (Die Krankheit kommt ja nicht gleich nach erfolgter Ansteckung zum Ausbruch!) Wann ist denn der Angesteckte fähig, weiter anzustecken? Erst wenn bei ihm die Krankheit zum Ausbruch gekommen ist, oder schon früher? Der geniale Simon jun. in Hamburg erklärt sich wirklich für die letztere Ansicht, und wir wollen, auf Erfahrungen gestützt, Keinem, der nicht in der Dialektik recht tüchtig bewandert ist, es rathen, seine scharfsinnige Theorie anzugreifen! Er meint, die Kranken selbst könnten gar nicht anstecken; ähnlich spricht sich Dr. Kirschbaum in Krakau aus: Nur die Gesunden steckten an! Wohin soll denn aber eine solche Theorie in Praxi führen? zu gänzlicher Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft? Es wäre freilich Vieles der Vorsicht angemessen und daher wünschenswerth und wirksam! Wenn es nun aber nicht, d.h. nicht gut und vollkommen ausführbar ist, und wenn nun der Nachtheil gewiß und deutlich, der Vortheil aber gewiß und undeutlich ist? Die Frage ist sehr ernst! aus: [Dr. Albert Sachs], Aphorismen, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 13, 29. September 1831, S. 51. Ich sah die fürchterliche Entartung, welche durch das enge Zusammensein vieler ganz rohen Kinder verschiedenes Alters und Geschlechts in den Contumazhäusern, ohne eigentliche Aufsicht und Leitung oder Beschäftigung erzeugt und genährt wurde; ich machte ferner die herzzerreißendsten Erfahrungen in den abgesperrten Häusern, wo die Familienglieder erst dem heftigsten Schmerz über das in wenigen Stunden ihnen entrissene Mitglied sich ergaben, bald aber durch den Mangel menschlicher Theilnahme tiefer noch im Herzen verwundet, als durch den Verlust des Todten, dem sie nicht einmal die letzte Ehre des Grabgeleites geben konnten, in dumpfen Trübsinn versanken, oder mit Trotz sich gegen die nothwendig erachtete Sperre kehrend, in Schmähungen gegen die Obrigkeit, ja gegen Gott sich vergingen; ich erfuhr bald den sittlichen Schaden, den das Absperren den betroffenen Familien durch Hingeben an gänzliche Unthätigkeit, besonders den Männern und Knaben, brachte; sah, wie so viele der von den Commissionen reichlich versorgten Hausväter den ganzen Tag trunken oder träge schlafend dalagen, die Knaben ihre etwa noch arbeitenden Schwestern störten, neckten und durch Ausgelassenheiten und Ungezogenheiten aller Art das Haus oder vielmehr die enge Stube zu einer Mördergrube des Haders, Fluches, Zankes machten. aus: Dr. Theodor Friedrich Kniewel, Geistliche Wehr und Waffe gegen die Cholera und ihre traurigen Folgen. Ansichten und Erfahrungen während der Cholera-Epidemie in Danzig [...] vornehmlich seinen geistlichen Amtsbrüdern aller Orten, in Städten und auf dem Lande, mitgetheilt, Berlin [29. September] 1831, S. 31f. Die Tödtlichkeit war grausenerregend. Man rechnet, daß in den befallenen Ländern zwei Drittel der ganzen Bevölkerung ausgestorben sei. In Florenz wie in Paris war an gewöhnliche Beerdigungen nicht zu denken. Man grub große Gruben, in welche die Leichen schichtweise aufgethürmt wurden. Im J. 1349 breitete sich die Krankheit nach Deutschland

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aus, erzeugte aber hier nicht überall eine gleich große Sterblichkeit, obgleich einzelne Städte, wie Wien und Lübeck, sehr von ihr verheert wurden. Sie verschonte die nordischen Länder nicht, drang nach England, nach Dänemark, Schweden, Norwegen, Polen, Rußland, und durchzog so in einem Zeitraum von 3—4 Jahren ganz Europa. Das Volk leitete damals die Entstehung der Pest von einer, durch die Juden geschehenen absichtlichen Vergiftung der Brunnen her. Wenn bis hierher der „schwarze Tod" manche allgemeine Analogie mit der Seuche unsrer Zeit gehabt zu haben scheint, so wird es indeß nur einer kurzen Schilderung der Symptome derselben bedürfen, um die specifische Verschiedenheit Beider darzuthun. Gleich im Anfange der Krankheit trat das heftigste Fieber ein; es wurde reichlich Blut aus Nase und Lunge ergossen; die Kranken konnten sich nicht rühren, und wurden von Kopfschmerz, Delirien, großer Angst in der Herzgrubengegend und heftigstem Durst gepeinigt, und unter Erscheinung von Peteschen-Ausschlag trat bis zum dritten Tage der Tod ein. Verlängerte sich die Krankheit, so traten bösartige Drüsengeschwülste (Pestbeulen) in den Leisten, an dem Halse, in den Achselgruben auf, die in Eiterung gingen, und den sichern Tod nur etwas länger hinhielten. In den kältern Ländern trat die Form des Brandes mehr hervor, und von diesen Erscheinungen, wenn nicht von den schwarzen Blutflecken an der Oberfläche des Körpers, scheint die Krankheit namentlich ihre Benennung: „schwarzer Tod" erhalten zu haben. - Hier finden wir denn also Krankheitszeichen, die noch Niemand bei der asiatischen Cholera gesehen, und umgekehrt charakterisirt Letztere sich durch Symptome, die wir in den Beschreibungen des „schwarzen Todes" ganz vermissen [...]. Verbannen wir daher für die Seuche des 19. Jahrhunderts eine Benennung, die wissenschaftlich ebenso unrichtig, als moralisch-physisch verwerflich ist, da sie die öffentliche Besorglichkeit nur unnütz steigern kann! aus: -r, Ist die Cholera der sogenannte „schwarze Tod"?, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 3, 29. September 1831, S. 27f. Die Hausfrauen sind jetzt bei dem Küchenzettel in Verlegenheit, aus der selbst das bekannte Buch mit dem Titel: „Was kochen wir heute?" sie nicht zu retten vermag; war es sonst schon für tüchtige Wirthinnen unnütz, so ist dies jetzt im Superlativ der Fall, weil sehr viele Speisen, der drohenden Cholera wegen, nicht gekocht werden sollen. Da wollte nun ein Dienstfertiger aushelfen, indem er in der Berliner Zeitung No. 218 „einige diätetische Regeln" mittheilte, „die sich als Präservativ-Mittel sehr vortheilhaft in Königsberg in Preußen bewährt haben, wo doch die Seuche viele Hunderte von Menschen schon hinweggerafft hat." Ein wunderlicher Nachsatz zu der vorangehenden Bewährung! - Was verordnet nun der Dienstfertige? „Des Morgens im Bett zwei Tropfen Camillen-Oel auf Zucker, dann verweilt man noch im Bett; eine Stunde später starken schwarzen Kaffee; zum zweiten Frühstück eine gute Tasse Boullion und ein kleines Glas Madeira mit Buttersemmel; des Mittags gute kräftige Fleischbrühe und etwas magern Braten; Nachmittags wieder einen guten schwarzen Kaffee; Abends Grützsuppe oder Thee mit Buterbrod." Als Getränk empfielt er „abgekochtes Wasser mit Zucker und Rothwein gemengt, oder ein gutes leichtes Bitterbier." Das ließe sich nun Alles hören, für den, der es haben kann; wenn aber der Dienstfertige hinzusetzt: „Diese Lebensart ist angenehm, mit wenigen Kosten verknüpft, und kann deswegen von jedem geführt werden", so ist dies nur ein bequemer und wohlklin-

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gender Schluß, etwa wie der: „Wenn ich gutes Wasser vor mir sehe, so lasse ich das beste Bier stehen und trinke lieber vortrefflichen Wein!" - Aber, Guter, sie philosophiren wahrscheinlich aus einem straff gefüllten Geldbeutel, und Ihren Begriffen ist ein leerer unbegreiflich! Wie viele Familien giebt es wohl, die eine Lebensweise führen können, wie die oben angerathene?! - Glücklicher Weise ist denen, die es nicht können, auch zu rathen mit der kurzen Regel: Genießt, was ihr sonst mäßig genossen habt, noch mäßiger; darin liegt die ganze nothwendige Diätetik, das richtige Präservativ. Wir hörten neulich kurz hintereinander zwei Aerzte urtheilen. Der eine wurde in einer Mittagsgesellschaft befragt: Ob denn Gurken-Salat wirklich eine gefährliche Speise sey? und er entgegnete: „Meine schönen Damen und weisen Herren, Alles nach Umständen! Nehmen Sie sehr fein geschnittene, nicht allzusehr ausgedrückte Gurken, gießen Sie feinen aber äußerst scharfen Essig darauf, ferner das vorzüglichste Oel; hauptsächlich aber guten Pfeffer nicht zu vergessen! - mengen Sie das Alles tüchtig unter ein ander und - werfen es dann zum Fenster hinaus, so schadet es keinen Menschen." Das Gespräch wurde belacht und die Gesellschaft hatte ihre Antwort. - Tages darauf wollte der Unterzeichnete seinen Hausarzt um etwas befragen; er ging Nachmittags um Drei Uhr zu ihm, fand ihn bei Tisch und auf demselben rechts - eine Melone und links saure Gurken. „Aber, Herr Doktor!, rief ich, erschrocken auf die beiden Frucht-Teller zeigend, „ist Ihnen vielleicht gefällig!" fragte er und bot mir Beides an. „Ei, um des Himmelswillen, wie sollt ich - ! " - „Ach so!" unterbrach er meinen Ausruf: „Sie scheuen sich? da bitte ich dringend, genießen Sie ja weder das Eine, noch das Andere. Was mich betrifft, ich bin Beides zur rechten Zeit gewohnt, scheue mich nicht und esse mäßig davon; da ich weiß, es wird mir nicht schaden!" Der Unterzeichnete genießt in dieser Zeit keine Melonen und keine Gurken, und ist auch überzeugt, daß man im Allgemeinen sehr wohl thut, jetzt Obst zu vermeiden. Aus Obigem soll nur ein Beweis verschiedener Ansicht hervorgehen und der Wunsch: mit eigener Angst die Hausfrauen nicht in noch größere zu jagen; denn sie werden zuletzt wahrlich nicht mehr wissen, was sie auf den Tisch setzen sollen. Also: Mäßigkeit und Nochmals Mäßigkeit! - dann aber auch nicht zu wählig, sondern vielmehr stets eingedenk des Märkisch-Brandenburgischen Spruchs: „Bange machen gilt nicht!" A. Ritter, Diätetik, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz [Berlin], Nr. 156, 30. September 1831, S. 777f. Da bis jetzt deshalb noch keine Entscheidung erfolgt ist, und die StadtverordnetenVersammlung sich abermals an den Magistrat gewandt hat, die Aufhebung der Sperren in Antrag zu bringen, so hat sich derselbe veranlaßt gesehen, das Gutachten der 59 Vorsteher der Schutz-Commissionen einzuholen, welchen die Ausführung dieser Sperr-Maaßregeln obliegen. Die Resultate dieser Gutachten sind in der Hauptsache folgende: I. In einigen Bezirken sind noch gar keine Krankheitsfälle vorgekommen, deren Vorsteher haben sich daher ihres Unheils enthalten. II. Einige halten die Beibehaltung der Sperre für nützlich, besonders wenn die Krankheit so ansteckend sei, als man behauptet habe, und auch sonst, um Ordnung zu erhalten.

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III. Vier Fünftel der Vorsteher aber erklären sich ganz gegen die noch vorgeschriebenen Sperrungsmaaßregeln und wünschen entweder deren gänzliche Aufhebung, oder doch wenigstens deren bedeutende Modificirung [...]. aus: Friedrich Wilhelm Leopold v. Bärensprung an das Gesundheits-Comite für Berlin [Ueber die Notwendigkeit, die jetzigen Sperr-Maaßregeln wider die Cholera aufzuheben], Berlin, 30. September 1831, in: Landesarchiv Berlin. Acten der StadtverordnetenVersammlung. A Rep. 000-02-01, Nr. 1821. Die Cholera schafft soviel Unheil, daß wir wirklich dringend aufgefordert sind, so viel wie irgend möglich die böse Macht zur guten Wirkung zu lenken. Die Seuche ist uns etwas früher hereingekommen, als man wohl dachte; dafür schreitet sie aber auch Gottlob recht langsam einher, gleich als wolle sie uns Zeit lassen, uns auf all das Gute zu besinnen, was noch geschehen könnte. Nutzen wir die Frist - wer kennt die Dauer? - daß man uns nicht verantwortlich mache für Unterlassungen. Von allen Seiten her werden wir darauf aufmerksam gemacht, wieviel eine tüchtige verständige Wartung zu einer glücklichen Wendung der Cholera vermöge, wie unschätzbar ein tüchtiger Krankenwärter hier sey, und doch ist der Mangel an guten Krankenwärtern in hiesiger Stadt noch immer so fühlbar, und schon von jeher fühlbar gewesen. Man hat sich schon vielfältig bemüht, diesem Mangel abzuhelfen, aber mehr im Einzelnen als im Allgemeinen. Wir meinen, es möchte hier doch eines Centraipunktes bedürfen, und den könnte ein Privatunternehmer wohl geben. Ein solches Institut besteht in Wien, wie kürzlich gemeldet worden, und auch hier für Ammen. Wem von uns Berliner Aerzten hat nicht schon das Bureau unsers lieben Collegen Schweitzer aus recht unangenehmen Verlegenheiten geholfen! und wie angenehm wäre es, wenn man einen Ort in der Stadt wüßte, wo man jederzeit, wie dort eine gute Amme auch gute Wärter und Wärterinnen finden könnte! - Ein solches Institut würde Seegen bringen, nicht allein für die jetzige Epidemie, sondern für alle Zeiten. Aber die jetzige Stimmung, das dringendere Bedürfniß, kann die schon oft angeregte Idee zur Ausführung bringen. aus: [Dr. Albert Sachs], Aufforderung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 14, 30. September 1831, S. 53f. Durch einen Frauenverein ist in der Friedrich- und Neustadt eine (bereits größtentheils vollendete) Collecte veranstaltet worden, für deren Ertrag Kleider angeschafft und an die Armen der genannten Stadttheile unter Mitwirkung der Armenbehörden vertheilt werden. Diejenigen Personen, welche bei dieser Collecte übergangen, oder nicht zu Hause gefunden seyn sollten, zu dem angegebenen Zweck aber dennoch beitragen möchten, werden ersucht, ihre Beiträge dem Unterzeichneten einzusenden. Außerdem haben Ihre KK. HH. der Kronprinz und die Frau Kronprinzessin dem Unterzeichneten ein huldvolles Geschenk von 1500 Thrl. anvertraut, wodurch für die Armenbekleidung in verschiedenen Stadttheilen nur mit Rücksicht auf das dringende Bedürfniß gesorgt werden soll. Dieses Geschenk hat bereits von anderer Seite her eine Vermehrung erhalten. Es sind für die Verwendung die Ansichten der Armenbehörden vernommen worden, und diese werden auch bei der Vertheilung selbst mitwirken. Wenn nun wohlthätige Einwohner unserer Stadt, ohne Rücksicht auf ihren besonderen Wohnort, diesem allgemeinen Zweck hülfreich seyn wollten, so würde ich ihre

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Beiträge dankbar annehmen, und es dürfte wohl, bei den im Großen schon getroffenen Vorbereitungen, durch die Vereinigung solcher Gaben mehr als durch die einzelne Verwendung bewirkt werden können. Wie das ganze Unternehmen in liebevollem Sinne begonnen hat, und durch freudige rastlose Theilnahme Vieler gefördert worden ist, so dürfen wir dafür auch ferner ein segenreiches Gedeihen erhoffen. v. Savigny, Geh. Ob.-Revis.-Rath, Pariser Platz Nr. 3. Friedrich Karl von Savigny, [Bekanntmachung], in: Berlinische Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 229, 30. September 1831, [S. 8J. „Mögen meine treuen und geliebten Unterthanen die Schickung, die jetzt über uns verhängt ist, sich dienen lassen zur Demüthigung vor Gott, und zur Erweckung zu verdoppelter Bruderliebe, gegenseitiger Hülfsleistung und Aufopferung." So lautete es in der Allerhöchsten Bekanntmachung unsers theuren Landesvaters vom 6sten d. M.; wir fühlen uns durchdrungen, auf unserem Standpunkte mit innigem Danke öffentlich anzuerkennen, daß die Berliner in allen Klassen und Ständen, diesem Wunsche ihres geliebten Königs entsprechend, rühmlich dazu beitragen, daß die Armenpflege erleichtert werde. Wir, und die unter unserer Leitung stehenden Armen-Commissionen empfinden dies tief und können auf so viel und mannigfache Liebesbeweise wiederholentlich nur versichern, daß der uns anvertrauten Sache mit allen uns geschenkten Kräften treu zu dienen, unser täglicher Vorsatz ist, zu dessen Ausführung wir uns den Segen des Herrn erbitten. - Von morgen an werden täglich durch die nicht dankbar genug anzuerkennenden Veranstaltungen der Wohllöblichen Direktion der Armen-Speisungs-Anstalt zusammen 3148 Portionen einer wohlzubereiteten nahrhaften Suppe in den drei Küchen derselben unentgeldlich, und zwar an solche bedürftige Familien und Arme verabreicht, welche die mit der Austheilung der Suppenzettel beauftragten Armen-Commissionen zu dieser Wohltat geeignet befunden haben. - Es wird darauf gehalten, und von mehreren Seiten zugleich controllirt werden, daß die Empfänger der Suppenzettel dieselben nicht verkaufen, sondern selbst davon Gebrauch machen. Wer dergleichen Suppenzettel verkauft, ist straffällig, und sein Name wird, so wie der Name desjenigen, der sie gekauft, gehörigen Orts notirt werden, um dergleichen unnütze Subjekte auch künftig nicht aus den Augen zu verlieren. In derselben Art soll gegen all diejenigen verfahren werden, welche die Wohlthat einer ganzen oder theilweisen Bekleidung, die durch wohlwollende Menschenfreunde und einzelne Privat-Vereine für wahrhaft hülfsbedürftige und würdige Arme beschafft, und zur Vertheilung an dieselben durch die Armen-Commissionen bereit gehalten wird, so schnöde mißbrauchen sollten, daß sie selbige verkaufen oder versetzen möchten. Diese Kleidungsstücke werden den Armen nur zum Gebrauch überlasse; die Armen-Commissions-Mitglieder, und wie wir hoffen, ehrenwerthe Frauen in allen StadtBezirken, die sich zu dem Ende mit den Armen-Commissionen verbinden, werden von Zeit zu Zeit nachsehen, ob die verabreichten Kleidungsstücke, Betten, Decken u.s.w. noch vorhanden sind. Möchten die edlen Geber und die Aufsichtführenden die Freude haben, zu sehen, daß kein undankbarer Mißbrauch mit der Darreichung so äußerst wohlthätiger Gabe getrieben, sondern dieselbe vielmehr ein Anlaß mehr zu einem nüchternen, fleißigen und frommen Leben in den damit bedachten Familien geworden ist. Wer dergleichen verabreichte Kleidungsstücke, Betten, Decken und dergleichen verkauft, ist straffällig, und sein Name wird gleichfalls, wie oben bemerkt, notirt; auch wird jedermann gewarnt, dergleichen

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Gegenstände weder zu kaufen, noch in Versatz zu nehmen. - Liebe Mitbürger! wir bitten recht inständig, helfe uns doch Jeder in seinem Kreise, daß diese Warnung und Ankündigung ihres Zweckes nicht verfehle; und glaube doch Niemand, daß einen ihm bekannten Fall des Mißbrauchs zu verschweigen (weil er nicht groß genug sey!) irgend räthlich seyn könne. Nein! wo so viel Liebe und Hülfsleistung dem wirklichen Armen, als in unserer Hauptstadt, gereicht wird, da ist Ernst und Strenge gegen Undankbarkeit und Mißbrauch heilige Pflicht, und das einzige Mittel, daß die Armen nicht verwöhnt, und von dem göttlichen Gebote: Bete und arbeite, noch mehr entfernt werden, als es bei ihrem sittlichreligiösen Zustande leider! schon der Fall ist. - Thun wir so Alle dazu, und beharren wir in den Gesinnungen, deren im Eingange gedacht worden, so wird sich bewähren, was unser König, den Gott erhalten und segnen wolle, den vorerwähnten Worten folgen läßt: „Dann wird sich die schwere Prüfung selbst in einen bleibenden Segen für uns verwandeln." Das walte Gott! Bekanntmachung. Armen-Direktion. Berlin, den 30sten September 1831, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 233, 5. Oktober 1831, [S. 7f.]. Die kürzlich ergangene herrliche Verordnung unseres theurern Königs, in welcher er so wahrhaft väterlich sein treues Volk zum Gottvertrauen ermahnt, dessen Besorgnisse vor der verheerenden Cholera zu zerstören sucht, und es auffordert, fest auf ihn und die Behörden zu bauen, hat hier ungemein viel Freude erregt. [...] Die Verheerungen der Cholera scheinen etwas nachzulassen, doch sind bereits manche Personen aus den höhern Ständen ein Opfer derselben geworden. Vorzüglich hat man den Tod des gemüthlichen Componisten Wollank beklagt, der durch übertriebene Angst und den unzeitigen Gebrauch der von Hahnemann empfohlenen Camphermittel sein schreckliches Ende herbeigeführt haben soll. aus: M., Berlin [Ende] September 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 160, 6. Oktober 1831, Sp. 1278f. Fünf jüngere Aerzte in Berlin, von denen, welche die Ansteckungsfähigkeit der Krankheit abläugnen, haben die Kranken mit blossen Händen gerieben, sich Blut von denselben eingeimpft und sogar deren Blut getrunken. Einer von ihnen hat bereits diesen kühnen Versuch mit dem Leben gebüsst, doch schreibt man die Schuld mehr seinem schwächlichen Körper und einem heftigen Wortwechsel, als jenem Versuche zu. aus: Mannichfaltiges, Sp. 319.

in: Medicinisches

Conversationsblatt,

Nr. 40, 1. Oktober

1831,

Aehnliche Fälle sind von verschiedenen Seiten her berichtet worden, und auch hier schon vorgekommen. In den ersten Tagen der Epidemie erkrankte eine Frau an der Cholera. Den Bemühungen ihrer sehr achtbaren Aerzte gelang es aber, die gefahrdrohenden Symptome zu verscheuchen, und voll der besten und begründetsten Hoffnungen verließen sie ihre Patientin. Inzwischen war es bekannt geworden, daß hier eine arme Frau cholerakrank danieder liege, die wegen der ungünstigen Außenverhältnisse wohl ins Lazareth werde zu transportie-

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ren seyn, und es treten nun, bald nachdem die Aerzte weggegangen, Gensd'armen und Träger in das Zimmer, um die Patientin abzuholen. Voll Angst und Zorn richtet sich diese im Bette auf, redet heftig auf die Leute ein, läugnet ihnen, daß sie die Cholera habe, u.s.w. und veranlaßt sie wirklich sich zurückzuziehen. Von Stund an aber verschlimmern sich aber die Symptome wiederum, und die Kranke stirbt. Einen sich ganz wohl befindlichen Mann redet, vielleicht um ihn zu necken, ein anderer mit den Worten an: Wie sehen Sie denn so verändert aus? Sie bekommen gewiß die Cholera! In der folgenden Nacht entwickelt sich plötzlich die Krankheit, und am andern Tage ist der Mann todt. Vielleicht hatte aber auch der Frager einen praktischen Blick, und es war wirklich eine Veränderung der Gesichtszüge, als erstes Symptom der sich schon ausbildenden Krankheit bemerkbar. - Nichts desto weniger sind diese und ähnliche Aeußerungen: Sie sehen so blaß aus! wenn Sie nur nicht die Cholera bekommen, u. dgl. höchst unvorsichtig und tadelnswerth, namentlich, wenn sie an ängstliche und hypochondrische Personen gerichtet werden. Solche Leute quälen sich jetzt schon ohnehin mit der Choleraangst unaufhörlich ab, und sehen wirklich bleicher und angegriffener aus, als sonst. Hier kann eine solche unbedachtsame Aeußerung in der That das Erkranken herbeiführen, oder wenigstens die Disposition zu dem Uebel zu einer gefahrdrohenden Höhe steigern. Wem wäre es unbekannt, wie Angst und Furcht Diarrhöen veranlassen, und also unleugbar auf die Unterleibsnerven wirken? [...] Wie brauchte ich es wohl zu erörtern, wie diese Stimmung des Gemüths, durch die beiden Nervensysteme, auf die Ab- und Aussonderungen des Darmkanals wirkt? wie hochwichtig sie demnach auch bei der uns beschäftigenden Krankheit sey, eine theoretische Ansicht, deren Richtigkeit schon eine große Zahl von Fällen bestätigt, wo eben die Gemüthsstimmung sowohl vortheilhaft als nachtheilig auf den Verlauf, auf das Entstehen der Krankheit einwirkte? Die Wirkung aufgezwungener Schutzmaaßregeln auf die Psyche, und durch sie auf den Körper, ist einer von den Hauptgründen, welche die Gegner jener Einrichtungen aufstellen. Wir werden diesen Gegenstand noch öfter besprechen. [Dr. Albert Sachs], Nachschrift zu: Ueber die Einwirkung der Gemüthsstimmung auf die Entstehung und den Verlauf der bösartigen Cholera, in: Tagebuch Uber das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 15, 1. Oktober 1831, S. 58f. Von der Cholera sieht man hier nichts, als was sich dem ungewohnten Auge höchst komisch darstellt, eine Unmenge brennender Cigarren und Pfeifen auf allen Straßen. Die anständigsten Herren lustwandeln, ihre eleganten Damen am Arme, den Glimmstengel im Munde, durch die Residenz und im Thiergarten herum, und selbst auf mehren Bureaux soll vom Präsidenten bis zum Kanzleidiener bei der Arbeit geplatzt werden, als säßen die Leutchen in der Wachstube. - Alle Präservativmittel sind hier verworfen; man ißt alles (Kohl und Gurken sammt Schweinefleisch ausgenommen), lebt mäßig und hält sich warm. Jedes hat Kamillenthee, Lindenblüthenthee, Senfmehl, Kampherspiritus, ein Steckbecken, eine Klystirspritze und einen Bauchwärmer von Blech im Hause; dieß ist der ganze Apparat zum Gebrauch des Arztes im wirklichen Falle der Noth. Dabei ist man fröhlich und guter Dinge und kein Mensch würde an den Massen von Spaziergängern, die täglich die frische Luft genießen wollen und die daher zu mehr denn 20.000 an unsem Fenstern in den Thiergarten

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vorüber ziehen, der Residenz ansehen, daß sie von dem gefürchteten Uebel, von der Cholera, heimgesucht wäre. Die Leichen werden nicht mehr mit Zangen geschleppt, sondern anständig, im gewöhnlichen Leichenwagen und in Särgen begraben; jedoch nur des Nachts. Die Cholera-Leiche geht eine Stunde nach dem Tode in Fäulniß über; an die Schrecken des Scheintodes ist daher nicht zu denken. Die Krankheit dauert in der Regel nie über fünf Stunden; den Sterbenden verläßt die Besinnung nur in den letzten 5 Minuten. Das Gift der Ansteckung hält man für eine höchst flüchtige Substanz, die sich auf dem festen Lande augenblicklich verflüchtigt, auf dem Wasser aber wochenlang ihre Ansteckkraft behält; daher sind die Flußschiffer die gefährlichsten Gäste, denn sie tragen 14 Tage und länger das Gift bei sich und stecken an, mit wem sie in dieser Zeit in Berührung kommen. So viel von diesem Ungeheuer, das in der Nähe nicht so gefährlich aussieht als in der Ferne, und das spurlos verschwinden wird, je weiter es in Europa vordringt. Frankreich z.B. wird es nicht aus dem Festlande, sondern höchstens durch seine Häfen erhalten, wenn es überhaupt bis dahin kommt. [Anonym.] Aus Berlin. Am 1. October 1831, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 240, 7. Oktober 1831, S. 960. Die armen und unmündigen Kinder, welche durch die herrschende Cholera-Seuche vaterund mutterlos geworden, rufen um Hülfe. Für die vielfach erprobte Mildthätigkeit der hiesigen Einwohner genügt diese Anzeige um ihre Theilnahme für die nothleidenden Waisen zu erwecken. Die Unterzeichneten, mit der Bildung eines Vereins zur Unterstützung und Erziehung solcher verwaisten Kinder beschäftigt, bitten um milde Beiträge zu diesem Zwecke. Ueber die innere Einrichtung des Vereins, so wie über die Verwendung der eingehenden Beiträge, welche in dem Dienst-Lokale des Königl. Curatorii für die KrankenhausAngelegenheiten (Franz. Straße No. 42.) gegen Quittung in Empfang genommen werden, soll öffentliche Rechenschaft abgelegt werden. Berlin, den 25sten September 1831. v. Auerswald, Major. Bode, Justizrath. Dr. Kluge, Geh. Med.-Rath. Kunowsky, Justizrath. Marchand, Justizrath. Rust, Präsident. Schulze, Geh. Ober-Reg.-Rath, Dr. Wagner, Professor. [Anzeige], in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 230, 1. Oktober 1831, [S. 8]. Es ist zur Kenntniß der unterzeichneten Behörde gekommen, daß ein Individuum sich erlaubt hat, in den Häusern umherzugehen und Pränumeranten und Subsribenten zu einem Buche zu sammeln, mit dem Vorgeben, einen Theil der dadurch erzielten Einnahme zum Besten einer hiesigen Anstalt und der, an der Cholera Erkrankten, verwenden zu wollen. Da hierzu weder die Erlaubniß des Polizei-Präsidiums noch irgend einer andern Behörde ertheilt worden ist, und dadurch leicht die Mildthätigkeit des hiesigen Publikums gemißbraucht werden kann, so wird das Letztere hierdurch vor dergleichen unlegitimirte Kollektanten gewarnt und aufgefordert, dieselben in künftigen Fällen anzuhalten und sie den betreffenden Revier-Polizei-Commissarien, zur weitern Veranlassung, zu überliefern. Polizeiliche Bekanntmachung. Königl. Polizei-Präsidium, v. Arnim. Berlin, den lsten Oktober 1831, in: Beilage zur Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 234, 6. Oktober 1831, [S.l].

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Der Feind in unsern Mauern hat noch immer Gottlob! nur wenig Terrain, und findet auf allen Punkten seinen gehörigen Widerstand. Die Listen zeigen die Zahl der Erkrankungen abnehmend, die der Genesenden täglich steigend. Die hiesigen Cholera-Zeitungen (denn es kommen ihrer zwei heraus) geben durch Aufzählung von Namen, Stand und Alter der Befallenen zu statistischen Ueberblicken Anlaß, die für die meisten Leser nur beruhigend seyn können. Was die medizinisch-wissenschaftliche Ansicht betri[f]ft, so scheint man darin am hiesigen Orte bisher noch zu keinen weitern Resultaten gekommen, als die man schon in Warschau, Königsberg, Danzig und Posen hatte. Die Anste[c]kung ist noch immer der Streitpunkt. aus: [Anonym.] Berlin, 2. Okt., in: Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 281, 8. Oktober 1831, S. 1123. Seit gestern ist der Angabe der Staatszeitung zufolge die Cholerasterblichkeit bei uns von 24 bis 46 gestiegen, auch, was ein Wunder war, daß es so lange hielt, in Potsdam eingedrungen. Da helfen alle Vorsichtsmaaßregeln und Behutsamkeiten nichts, wo die Luft krank ist. Der klügste Arzt geräth bei der Mannichfaltigkeit der innern und äußern Mittel und Kurarten, und dem Thurme von Babel, der sich in dem sonderbarsten Widerspruche nie erbauet, auf den Punkt, seine Bücher ganz zuzumachen. Nur darüber kommen die meisten Stimmen überein, daß das Uebel nicht in der Kontagion liege. Unsre Finanziers bejammern die auf Gränzkordons und Kontumazanstalten verwendeten Summen. Was je[t]zt noch davon erhalten wird, geschieht dem väterlichen Willen des Königs gemäß, um den noch nicht infizirten Provinzen nicht den Verdacht der Vernachlässigung zu geben, nachdem die Hauptstadt ergriffen ist. [...]. Muth spricht sich und seinen Freunden ein Jeder zu. Das hilft besser durch, als alle, selbst die Schneiderschen Dampfapparate, Leibgürtel und Anhängselfabriken - auch hier tragen die Hahnemannianer Kupferbleche auf der Herzgrube - und andere Kasteiungen. aus: [Anonym.] Berlin, 4. Okt., in: Außerordentliche Beilage zur [Augsburger] Allgemeinen Zeitung, Nr. 400 und 401, 16. Oktober 1831, S. 1599f. Was nun zuvörderst die hier herrschende Cholera-Epidemie betrifft, so gereicht es mir zur besondern Beruhigung und Freude, Einer Königl. Hochlöbl. Regierung die Versicherung geben zu können, daß die Schrecken derselben lange so groß nicht sind, als man sich in der Ferne vorstellt. Eines Theiles ist die Menge der Erkrankten im Vergleich zu der großen Bevölkerung nicht so bedeutend, als daß die Zahl der Todten an sich einen durchgreifenden Eindruck und wesentlich bemerkbare Lücken verursachen könnte; andern Theils ist, da das Uebel nun da ist, an die Stelle der frühern Angst und der bangen Erwartung, Ruhe und Ergebung getreten. Die Magdeburger Aerzte haben ganz recht, wenn sie mir sagten, daß es ihnen lieb sei, wenn die Seuche je eher desto besser einrücke; der Zustand langer Erwartung und Furcht vor dem unvermeidlichen Uebel sei niederdrückender und grauenvoller als die Seuche selbst nur immer sein könne. In der That merkt man dem äussern Ansehn Berlins nicht im mindesten an, daß daselbst die gefürchtete Cholera-Seuche herrscht. Die Straßen sind belebt und von einer geschäftigen oder spazieren gehenden Menge durchwogt, aus deren Gesichtern man nichts weniger als Traurigkeit liest. Die Theater, Concerte, Kaffeehäuser und alle an-

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dem öffentliche Vergnügungsorte sind vor wie nach besucht, und man hört daselbst das Publikum nur selten sich über die Krankheit besprechen, und dann immer die Aeusserung, daß dieselbe doch lange nicht so schlimm sey, als man sich habe vorstellen müssen, und daß namentlich die Gefahr einer Ansteckung entweder gar nicht vorhanden oder jedenfalls nur höchst unbedeutend sey. Nur selten sieht man auf der Straße Trauerkleider; gesperrte Wohnungen habe ich nicht bemerkt und die Aerzte besuchen ihre Kranken in der gewöhnlichen Kleidung. Kurz man wird, wenn man nicht als Arzt die Kranken absichtlich aufsucht, durch nichts an das Dasein der Cholera äusserlich erinnert, als daß alle öffentliche Blätter den Stempel der Desinfection tragen. Es ist daher durchaus kein anderes Verhältniß, und auch in keiner Beziehung, als ob bei uns eine der gewöhnlichen, etwas heftigen NervenfieberEpidemien herrschte. So ist die Sache und anders brauchen und dürfen auch die Maaßregeln, Vorkehrungen und Unterstützungen nicht seyn, welche die Verwaltungsbehörden zu veranlassen haben. Dies ist der Eindruck, welchen Berlin im Allgemeinen gegenwärtig macht. Nichts desto weniger ist aber die Cholera selbst eine wahrhaft grauenvolle, scheusliche, und ich möchte sagen, dämonische Krankheit, an deren schauderhaften und ergreifenden Anblick man gewöhnt seyn muß, um nicht auf das Tiefste afficirt zu werden. Es gibt keine Krankheit, und hat seit Jahrhunderten im civilisirten Europa, keine gegeben, deren Schrecken mit der Cholera verglichen werden könnten. [...] Festhaltend an der Ansicht, daß hauptsächlich die Verbreitung der Cholera durch atmosphärische Verhältnisse bedingt werde, und daß darum der arme Mann, welcher diesen am wenigsten widerstehen und ausweichen kann, wie der reiche Schwelger, welcher keine ordentliche Diät befolgt, am meisten ergriffen werden, muß man hauptsächlich schützend und vorsorgend eingreifen. Der arme Mann muß gekleidet, genährt und beschäftiget werden, wenn man die Krankheit beschränken will; man muß vorzüglich für die Reinlichkeit der Wohnungen sorgen und Acht haben, daß die Menschen nicht zu gedrängt auf einander wohnen, wie man denn auch hier die Zahl der Bewohner der sogenannten Wiesekeschen Familienhäuser sehr verringert hat. Die Einrichtung der hiesigen 64 Schutz-Commissionen ist bekannt. Man ist von dem sehr vernünftigen Grundsatze ausgegangen, daß die Zahl derselben nicht zu groß seyn könne, und hat zu jeder derselben eine Anzahl angesehener Bürger gezogen, von denen jeder die spezielle Aufsicht über eine bestimmte Zahl Häuser hat. Bei dieser Schutzcommission muß jeder Cholera-Kranker sogleich angemeldet werden; sie veranlaßt die Aufnahme desselben in das Lazareth, wenn dieselbe gewünscht wird und sorgt überhaupt für die Ausführung aller vorgeschriebenen und ihr angemessen erscheinenden Maaßregeln. Der jeder Schutzcommission zugegebene (unbesoldete) Cholera-Arzt hat die Verpflichtung, jeden Cholera-Kranken schleunigst zu besuchen und von seinem Ausspruche hängt erst ab, ob die Cholera wirklich vorhanden ist und welche Maaßregeln ergriffen werden müssen. Uebrigens sind diese Kommissionen eifrigst bemüht, durch Berücksichtigung der Wohnungen der armen Leute, durch Austheilen von wollenen Kleidungstücken und warmer Nahrung wohlthätig auf den allgemeinen Gesundheitszustand einzuwirken. Viele entlegene und besonders von den Hauptlazarethen entfernte Viertel haben ihre eigenen kleinen Lazarethe errichtet, und gerade in diesen sieht man die glänzendsten Resultate in Betreff der Genesungen. Ehe ich die Einrichtung der vier hiesigen Hauptcholeralazarethe beschreibe,

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erlaube ich mir in Kurzem darauf aufmerksam zu machen, daß in der verspäteten und mangelhaften Einrichtung dieser Lazarethe mit ein Hauptgrund lag, wenn das Verhältniß der Gestorbenen zu den Genesenen eben nicht sehr günstig war. Als die Seuche plötzlich im Anfange des vorigen Monates ausbrach, mußte man geschwind als nur möglich, Hospitäler errichten, und dazu die ersten besten Gebäude nehmen. Hierdurch ist es gekommen, daß dieselben zum Theil zu weit entlegen sind, daß mit dem Transporte der Kranken eine große Zeit verloren geht, daß sie während desselben zu sehr erkalten, und daß dieselben, bei dem ungünstigen Verhältnisse der Genesungsfälle, höchst ungern sich aufnehmen lassen. So geht die beste Zeit der noch möglichen Heilung ungenützt vorüber. Aus diesem Umstände, dem ich größtentheils das gegen Wien so nachtheilige Verhältniß hiesiger Stadt zuschreibe, ist die wichtige Lehre zu ziehen, daß man nicht früh genug die Hospitäler anlegen kann. Sie können als dann mit Ruhe auserwählt, auf das beste eingerichtet und nach ihrer Einrichtung dem Publikum eine zeitlang geöffnet werden, damit es sich durch den Augenschein von der Beschaffenheit derselben überzeuge. Es befördert dies nicht nur das Vertrauen, sondern gewährt auch eine gewisse Gemüthsruhe und Befriedigung, welche das Verhältniß des Publikums zu den Behörden wesentlich erleichtert. Wie bereits erwähnt, giebt es vier Hauptcholera-Lazarethe, von denen No.l. unter Leitung des Dr. Romberg in der neuen Königstraße liegt, No.2. in der Louisen-Straße unter dem Dr. Boehr steht und No.3. als Abtheilung der Charite, von dem Dr. Bahn geleitet wird und ziemlich entlegen vor dem Thor ist. No.4. ist erst kürzlich errichtet, und von dem Medizinal-Rath Dr. Casper dirigirt. Die meisten Kranken hat immer No. 1. gehabt, weil in der Umgegend desselben die Seuche, in der Nähe der Spree, am ausgebreitetsten gewüthet hat. Ein solches Lazareth hat zwei Hauptabtheilungen, eine für die Kranken und eine für die Genesenen, die sogenannte Kontumaz. Beide Abtheilungen müssen von einander getrennt seyn, und die Kranken derselben müssen ausser aller Gemeinschaft gehalten werden. Die Apotheke, das sogenannte Rastell zum Verkehr mit dem Publikum, die Desinfektionsanstalt, das Leichenzimmer, die Wäscherei und die (sehr einfache) Oeconomie-Abtheilung beschreibe ich nicht weiter, da sie aus den betreffenden Instructionen bekannt sind und ihre Einrichtung nichts Besonderes weiter hat. Wird die Aufnahme eines Kranken von den Schutz-Commissionen verlangt, so begeben sich vier von den acht im Hause wohnenden angestellten und mit grober Wachsleinwand (nicht auffallend) bekleideten Trägern mit ihrem Tragekorbe dahin, um ihn zu holen. Einige Schutzcommissionen lassen ihre Kranken durch eigene Träger gleich in das Hospital bringen, was viel zweckmäßiger ist, indem dadurch Zeit gewonnen wird. Die Tragekörbe sind überall nach demselben Muster von Weiden dicht geflochten 7 Fuß lang, 2 Fuß hoch und mit einem gewölbten, mit einem Luftloche am Gesichtsende durchbrochenen Deckel bedeckt. Ueber denselben kommt noch Wachsleinwand. Innerhalb ist dieser Korb überall mit Wachsleinwand gepolstert und mit einem Kopfkissen versehn, in ihm befinden sich zwei wollene Decken zum Zudecken. Nach jedesmaligen Gebrauch werden Träger und Korb desinficirt (geräuchert). aus: Kreis-Physikus Dr. Carl Heinrich Ebermaier an eine Königliche Hochlöbliche Regierung zu Düsseldorf. Berlin, 6. Oktober 1831 [1. Situationsbericht], in: Landeshauptarchiv Koblenz, Abteilung 403, Oberpräsidium Rheinprovinz, Acta 2295.

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Alle oben angedeuteten übrigen Gründe, aus welchen Krankheiten verheimlicht wurden und werden, sind in diesem Falle ohne Einfluß oder wenigstens nicht mit Recht anzuwenden. Hier droht keine Buße, kein Todesurtheil, kein Verlust irgend eines Rechts. Allerdings giebt es manchen, dem jede Erinnerung an einen Krankheits- oder Todesfall ein unangenehmes Gefühl erweckt und der sich während der Trauer blos deshalb in sein Zimmer verschließt, um dem tröstenden Zuspruche Anderer zu entgehn. Dies aber kann der wahre Grund der Verheimlichung einer Cholerakrankheit kaum sein. Denn es machen oft die betreffenden Personen selbst den Tod eines ihrer Angehörigen in den öffentlichen Blättern bekannt: statt daß sie es aber frei aussprechen würden, wenn er an der Lungenentzündung gestorben wäre, suchen sie durch irgend eine künstliche Wendung den Krankheitsnamen hier zu umgehn und denken nicht daran, daß der Leser ihn bei allen solchen Wendungen sich selbst ergänzt und sogar in Fällen ergänzt, wo an Cholera gar nicht zu denken war. Was ist denn nun aber der wahre Grund jener Verheimlichung? Gehört das Uebel etwa zu der Klasse der sogenannen ekelhaften Krankheiten? Nicht im Entferntesten. Fast könnte bei einem stark transpirirenden Wechselfieberkranken, bei Lungensüchtigen und hundert anderen Krankheiten von Ekel eher die Rede sein, als bei Cholerakranken. - Oder ist es etwa das Ansteckende, was den Namen auszusprechen abhält? Warum nahm und nimmt man nicht einen gleichen Anstand beim ansteckenden Nervenfieber, bei den Blattern, beim Scharlach (Krankheiten, bei welchen die Contagiosität noch viel weniger bedingt, als bei der Cholera ist?) Ein Grund, den wir hin und wi[e]der haben aufstellen hören und der wenigstens den Schein mehr für sich hat, ist der: daß man von dem Kranken oder Verstorbenen den Verdacht abwenden wolle, als habe er die Krankheit durch Sünden in der Diät, also durch eigene Schuld, sich zugezogen. Einmal wäre indessen einer solchen Sünde, wenn sie im concreten Falle statt gefunden, immer nur ein Theil des Erfolgs zuzuschreiben, denn: - wo wurde früher Jemand, wo wird er noch jetzt jenseits der Elbe und des Rheins, von der asiatischen Cholera je befallen, wenn er Obst aß und Wasser nachtrank oder wenn er leichter, als er sollte, gekleidet ging? Muß denn nicht immer ein gewisses krankmachendes Agens, nennen wir es, wie wir wollen, zu allen diesen Schädlichkeiten noch erst hinzutreten, um die Cholera zu erzeugen? Ferner steht es nicht immer in unserer Macht, die diätetischen Vorschriften im vollen Umfange zu befolgen. Wer vermag es, Gemüthsbewegungen oder Erkältungen sicher zu meiden? aus: -k, Ist es eine Schande, an der Cholera zu sterben?, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr., 4, 1. Oktober 1831, S. 31f. Wilhelm Schmied aus Berlin, 7 Jahre alt, von schwacher Constitution, scrophulösem Habitus, war niemals einer schweren Krankheit unterlegen, wurde aber wegen großer Armuth der Eltern schlecht genährt, gekleidet und seine Gesundheit wenig gepflegt. Sein Vater, Musicus, mit Frau und vier Kindern, unter sehr unglücklichen Verhältnissen lebend, hatte eine sehr enge, schlechte Wohnung in der Judengasse, welche auf einer Insel, von der Spree und einem Canale gebildet, liegt, ziemlich breit, aber schmutzig ist und zu den ungesundesten Theilen Berlins, hinsichtlich der Lage gehört. Der Vater, dem Branntweintrinken sehr ergeben, starb den 29sten September in seiner Wohnung an der epidemischen Cholera, welche ihn ohne alle Vorbothen befiel, ohne daß man eine unmittelbare Berührung mit Cholera-

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Kranken nachweisen konnte. Die Mutter und drei Schwestern dieses Knaben sind jetzt (3. Octbr.) noch gesund. Der Knabe war immer in dem Zimmer an dem Bette des kranken Vaters, und befand sich wohl bis 1 Octbr. 8 1/2 Uhr Morgens, als er plötzlich erkrankte. Es befiel ihn ein plötzliches Unwohlseyn, große Mattigkeit, Angst, große Neigung zum Erbrechen, wirkliches, aber weniger Erbrechen einer bräunlichen, mit Schleim untermischten Flüssigkeit, Diarrhöe einer farblosen, flockigen Materie, leichte Krämpfe in den Waden. Der herbeigerufene Arzt erklärte es für Cholera, und ließ ihn um 10 Uhr in die Heilanstalt bringen, wo er sogleich in warmes, saures Band gebracht, und ihm eine Saturatio gereicht wurde. [...] Nachmittags 2 Uhr, 1. October. Die Augen sind mehr zurückgesunken und der Blick stier, die Pupille unbeweglich; der russige Anflug an den Nasenflügeln stärker; Ohren und Nase eiskalt; auffallend livider Ring um den Mund, kalte, livide Zunge, die Haut des Gesichtes mit einem visciden Schweiße bedeckt. Der Kopf zurückgebeugt, der Athem schnell, beschwerlich und zuweilen röchelnd. Marmorkälte der Extremitäten, brennender Durst, sonst keine Schmerzen klagend; der Bauch etwas eingezogen, beim Befühlen weich, unschmerzhaft. Unwillkürliche Ausleerungen von derselben Beschaffenheit wie oben, von denen 5 bis 6 Unzen aufgefaßt werden konnten; kein Brechen, kein Urin, starker Schwindel, aber Bewußtseyn. Unter diesen Symptomen starb er Nachmittags vier Uhr in der achten Stunde der Krankheit, ohne daß sich noch andere Symptome hinzugesellten, als daß das Zurückbeugen des Kopfes, einen beginnenden Opistothonus andeutend, stärker wurde. aus: Beobachtungen bayerischer Aerzte über Cholera Morbus. Erste Heften-Reihe [...]. Erstes Heft. Die Beobachtungen und Krankengeschichten von Dr. X[aver] Gietl, München 1832, S. 74ff.

Bereits seit vier Wochen ist unsere Stadt von der Cholera heimgesucht und der erste Eindruck, den das Erscheinen derselben hervorbrachte, verwischt; so wie oft im Leben die Gefahr, in der Nähe angesehen, viel von ihrem Schrecken verliert. Man dachte sich hier, so wie jetzt wohl noch in den süd- und westlichen Ländern, die Cholera als eine pestartige Seuche; allein die gegen die Bevölkerung unserer Stadt sehr geringe Zahl der Erkrankten hat unser Publikum darüber belehrt, und die Erfahrung, daß in der eigenen Lebensweise und in dem Verhalten kräftige Schutzmittel liegen, den verständigeren Theil desselben beruhigt. Man weiß auch größtentheils, daß die Cholera nicht anstekkender sey, wie etwa ein Nervenfieber und ähnliche Epidemieen, sondern ihre Ursachen einzig in dem Einfluß der Witterung und der Luft zu finden seyen. Wir sehen in unsern Mauern selbst, daß der auf dem linken Spreeufer, vom Wasser entfernt gelegene, aus breiten, geraden und etwas erhabenen Straßen bestehende Stadttheil nur sehr wenige Cholerakranke zählt, welches um so mehr auffällt, als alle Geschäfte, (zwar durch die Verhältnisse weniger lebhaft, alles Leben, Weben und Treiben wie gewöhnlich fortgehen, und Jedermann ohne Scheu mit dem Andern in Berührung tritt. Wir sahen ferner das vier kleine Meilen von hier gelegene Potsdam, mit dem die stärkste Frequenz ungehindert Statt findet, bis jetzt von der Cholera verschont bleiben.

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Diese Wahrnehmungen allein würden indeß noch nicht hinreichen, unser Publikum die Gefahr der Ansteckung nicht fürchten zu lassen; wir sehen jedoch unter unsern Augen Cholerakranke behandeln, und Aerzte und Krankenwärter bleiben gesund! Ja, die letzteren haben sich in ihren Funktionen selbst überzeugt, daß die Weglassung der ihnen von den Behörden empfohlenen Schutzmittel keine Ansteckung nach sich zog. Es sind zwar zwei hiesige Aerzte an der Cholera gestorben, doch hatten sich beide dieselbe durch Vernachläßigung vorangegangener Unpäßlichkeit zugezogen. Erkrankungen mehrerer Glieder einer Familie fallen vor, doch kann daraus nicht geschlossen werden, daß eines das andere angesteckt habe, da viel mehr einzelne Erkrankungsfälle vorkommen, wo der Patient mit seiner Familie in Berührung bleibt, ohne derselben die Krankheit mitzutheilen. Unter vielen Fällen dieser Art ist mir einer speciell bekannt geworden, der zu den merkwürdigsten gehört: Eine Frau wird von der Cholera befallen, in ihrer ärmlichen Wohnung ärztlich behandelt, theilt mit ihren sechs Kindern denselben Raum, säugt das jüngste Kind fortwährend in ihrer Krankheit, und keines derselben erkrankt! Solche Fakta sind den hiesigen Aerzten vielfach vorgekommen, mehrere der geschicktesten haben darüber geschrieben und den Medizinalbehörden ist die Nichtansteckung durch die Cholera unumstößlich bewiesen worden. Ich kann daher den Grund nicht recht einsehen, welcher die höheren, preußischen Medizinalbehörden veranlaßt, der Cholera einen pestartigen Charakter hartnäckig beimessen zu wollen. Befremdend ist es dabei, daß in der von der Medizinalbehörde hier redigirten, medizinischen Zeitschriften, welche der König theilweise liest, die Artikel nicht einmal aufgenommen werden, welche von Nichtansteckung durch die Cholera handeln, so daß, aller Ueberzeugung zum Trotz, der Glaube an die Ansteckung officiell aufrecht erhalten wird. Daher ist es denn natürlich, daß die höchsten Staatsbehörden zu vielerlei Verordnungen veranlaßt werden - wobei freilich die hohen Medizinal-Beamten an Einfluß und dergleichen gewinnen. Haben indeß alle Sanitäts-Cordons, die ungeheure Summen kosteten, haben alle Vorsichtsmaßregeln gegen Ansteckung, haben die Kontumaz-Anstalten uns vor der Krankheit geschützt? Wozu also die belästigenden Sperrungen, Desinfektionen und dergleichen? Alle diese Maßregeln haben nur dem Handel und Verkehr geschadet, das Unabänderliche geschah dennoch. Wozu überhaupt so vieles öffentliche Aufsehen von der Sache, das bis in's entfernteste Ausland dringt, und vor der Zeit Angst und Besorgnisse erregt, welche, wie ärztlich erwiesen ist, eine nicht unbedeutende Zahl von Personen a u f s Krankenlager und zum Theil in's Grab warfen? Und welche Anstalten werden in großen Städten getroffen? Hier beabsichtigte man früher bei Erkrankungen die Sperrung ganzer Häuser, welche doch oft von 40 und mehr Familien bewohnt werden. Durch die in Königsberg und Stettin Statt gehabten, furchtbaren Unruhen gewitzigt, verordneten die Behörden indeß nur fünftägige Wohnungssperrung, welches bei der Stimmung des Mittelstandes und der Menge brodloser, übel aufgelegter Arbeiter sehr rathsam war und gewaltsamen Scenen vorbeugte, da die in den sogenannten, inficirten Wohnungen zurückgehaltenen Personen überdies mit allem Nöthigen während ihrer fünftägigen Kontumaz gut und unentgeltlich versorgt werden. Das Verwerflichste jedoch, das was den Menschenfreund empört, ist das Fortschleppen Unbemittelter, welche die Kosten der Behandlung in ihrer Wohnung nicht decken können, der Personen, welche keine Angehörigen um sich haben, in die öffentlichen Lazarethe! Die Stunden, in welchen beim Erkranken

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an dem schnell tödtlich werdenden Uebel noch Hilfe möglich ist, gehen mit dem Herbeischaffen der, selbst dem Gesunden Grauen erregenden Transportmittel und auf dem Wege zum Lazarethe verloren, und den Unglücklichen erfaßt, während er fortgeschleppt wird, angstvolle Ahnung eines nahen Todes, dessen Beute er in der Regel auch wird. Es sey daher dem Nichtarzt vergönnt, hier nunmehr die Ueberzeugung auszusprechen: daß die Cholera viel weniger Opfer kostete, wenn statt aller anderen Anstalten und Abwehrungsprojekte überall dem Erkrankten auf seinem eigenen Lager die schleunigste Hilfe zu Theil würde. [Karl Gutzkow], Berlin, vom 3. Oktober 1831, in: Hesperus, Nr. 247, 15. Oktober 1831, S. 985f. Der von den Hinterbliebenen 5 Kindern der Wittwe Sachse in Berlin in der Anlage angezeigte Fall, daß die Absperrung ihrer irrthümlich als Cholera-Kranke behandelten Mutter durch den Schreck darüber den Tod [sich] zugezogen hat, wird nicht der einzige seyn; Ich veranlasse Sie daher, diese Anzeige bei der Immediat-Commission in Erwägung [zu] nehmen, u. die zur Vermeidung ähnlicher Vorfälle möglichen Vorsichts-Maaßregeln vorkehren zu laßen. König Friedrich Wilhelm III. an Ludwig Gustav v. Thile, Charlottenburg, 3. Oktober 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61. Mich traf das harte Schicksal, daß alle meine drei Kinder zugleich mit einer solchen Heftigkeit von der Cholera befallen wurden, daß das jüngste von ihnen, 7 Jahr alt, schon nach 6 Stunden dieser schrecklichen Krankheit unterlag. Von Angst und Trauer erfüllt, wandte ich mich nun an den Herrn Doktor Jaffe (Jüdenstraße No. 34.), dessen ausgezeichneter Sorgfalt und rastloser Thätigkeit es in weniger als acht Tagen gelang, meine vielgeliebten Kinder von ihrem fast hoffnungslosen Zustande gänzlich zu befreien. Indem ich hiermit diesem vortrefflichen Arzte meinen innigsten Dank abstatte, wünsche ich ihm, daß er sich stets der ungetrübtesten Gesundheit erfreuen möge, damit er nicht durch seinen grenzenlosen Eifer selbst ein Opfer dieser Krankheit werde. Kolhoff, Jüdenstraße No. 19. Danksagung, in: Beilage zur Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 231, 3. Oktober 1831, [S. 7], Auf meiner Reise war es mir auffallend, daß je mehr ich mich Berlin näherte, die große Angst desto mehr verschwand, in Berlin selbst aber von dieser Gespenster-Furcht kaum die Spur existirte. In den Gärten um Berlin fand ich bei meiner Ankunft die Menschen, gemeinen so wie vornehmen Standes, heitern Sinnes genießend, was die dortigen Einrichtungen darbothen. In der Stadt selbst sind Theater, Konzerte, Kirchen und Zusammenkünfte aller Art, vor welchen man im eingeschüchterten Westen unseres Staates ängstlich warnt, eben so häufig besucht, wie vorher. Nur will man bemerkt haben, daß eigentliche Trinkgelage und nächtliche Schwärmereien beinahe ganz eingestellt worden sind.

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Die Frage, ob die Cholera ansteckend sey oder nicht, ist natürlich hier der Gegenstand der eifrigsten Debatten, sowohl unter den Ärzten als unter den Laien. Der größte Theil jener wie dieser leugnet geradezu die Ansteckung. Da ich erst 10 Tage hier bin, so sind die von mir gesammelten Thatsachen noch nicht zahlreich genug, um mir zur Begründung eines Urtheils darüber dienen zu können. Was aber andere gesehen oder gehört haben, selbst wenn es amtlichen Berichten entlehnt wäre, hängt so sehr von der Individualität des Beobachters ab, daß ein wissenschaftliches Urtheil unmöglich darauf gegründet werden kann. Die Sache ist aber an uns für sich so schwierig, da die meisten Beweise für die NichtAnsteckungs-Fähigkeit, von einer andern Seite betrachtet, oft gerade für die Ansteckung zu sprechen scheinen, daß diese wichtige Frage wohl schwerlich bald entschieden werden wird. So viel aber [ist] Thatsache, daß nirgends die Kordons- und Kontumaz-Anstalten das Fortschreiten der Krankheit zu hemmen im Stande gewesen sind. [...] Als die Cholera in Berlin ausbrach, floh Jeder den Kranken, weil er in ihm seinen Mörder sah; ja selbst die Angehörigen hielten sich von dem Kranken entfernt und überließen den Verzweifelnden seinem Schicksal. - Und dies geschah bei einer Krankheit, wo die schnellste Hülfe fast nur allein retten kann! - Jetzt aber haben die Ärzte hier durchgängig ihre abschreckenden wachstuchenen Überzüge abgelegt und bringen den Kranken, wo Hülfe nicht mehr möglich ist, doch wenigstens Trost. Während sonst der Kranke seinem Schicksal, also dem gewissen Tode, überlassen wurde, bleiben jetzt seine Angehörigen bei ihm und wenden furchtlos und emsig die verordneten Mittel an. Die Folge davon ist, daß seit jener Zeit die Cholera hier nicht mehr für absolut tödtlich gehalten wird und auch nicht gehalten werden kann, wie dieses die Zahl der Genesenden beweist. Ja selbst die Leichen, welche man eine Zeit lang für viel ansteckender, als die Kranken selbst hielt, erwecken keine Furcht mehr. [...] Bisher konnte man selbst bei allen Kranken vorhergegangene Diätfehler, oder Erkältung nachweisen. Verhütung dieser beiden Schädlichkeiten scheint auch das einzige und beste Schutzmittel gegen die Cholera zu seyn. aus: Auszug aus einem Berichte des Herrn Dr. Härtung an die Königl. Regierung hierselbst, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 6, 18. Oktober 1831, S. 42ff. Amalia Charlotte Luise Wilde, fünf Jahr alt, wohl genährt und von ziemlich kräftiger Körperbildung, erkrankte plötzlich in der Nacht vom 3ten auf den 4ten October, fast gleichzeitig mit ihrer Mutter, welche schon früher ein Kind an der Cholera verloren hatte. Ob Erkältungen, ob Diätfehler vorangegangen, ist unentschieden geblieben. Um zwölf Uhr Mittags am 4ten October wurde sie in das Choleralazareth der Luisenstrasse gebracht, alle Symptome der Cholera vehementissima an sich tragend. Die Gesichtszüge waren entstellt, wie die einer Leiche, die Augen lagen tief und trocken in ihren Höhlen, von tiefen blauen Furchen umgeben, der Augapfel war nach oben gezerrt, die Pupille verzogen und erweitert, die Augenlider nicht geschlossen, der Puls klein und kaum fühlbar, die Nase trocken, der ganze Körper kalt und die erstarrt, die Stimme heiser und kaum vernehmbar, die Zunge weisslich belegt und kalt; heftige Brust- und Wadenkrämpfe quälten das Kind und erpressten ein ergreifendes Wimmern. Stuhlgang und Urinentleerung fehlte seit dem Augenblicke der Erkrankung, dagegen erbrach sie fortwährend eine reiswasserähnliche, mit weißen Flokken vermischte Flüssigkeit. Die Respiration war angstvoll, der Durst heftig und das Verlan-

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gen nach kühlen Getränken unüberwindlich, das Denkvermögen durchaus ungetrübt. Schmerz in der Magengegend war vorhanden, der durch den leisesten Druck gesteigert wurde. Die Hand und Fusswurzel, besonders aber die Nägel, waren blau und die Haut faltig, wie bei einer Wäscherin. Der Tod erfolgte unter heftigen Krämpfen und Erbrechen, nachdem sie zwei Stunden im Hospital zugebracht hatte, und mit Campher, Opium, Oleum chamomillae, Thee von Chamomillen, Dampfbädern und Frictionen behandelt worden war. aus: Dr. [Johann Ferdinand] Heyfelder, Beobachtungen über die Cholera asiatica auf einer [...] Reise und während eines mehrmonatlichen Aufenthalts in Berlin und Magdeburg, sowie im Cüstrin'sehen, Königsberg'sehen und Oberbarnim'sehen Kreise gesammelt, Bonn 1832, S. 7f Durch eine Verfügung des Hohen Königl. Preuß. Ober-Censur-Collegii vom 1. d. M. ist der Abdruck des in No. 13 Seite 49 erwähnten Schlusses des Kochschen Aufsatzes verstattet worden. Wäre die Krankheit nicht ein, in einer bestimmten, westlichen Richtung, aber in mehreren, nach Maaßgabe des, auf ihrem Wege vorgefundenen Urstoffes, getheilten Hauptzweigen, fortziehendes Miasma, sondern ein durch Menschen, Thiere und leblose Stoffe fortgetragenes Contagium - wie kommt es, daß dasselbe nur vorschreitet und nicht auch zurückgetragen wird, da auf dem weiten Wege vom Ganges bis zur Weichsel und dem finnischen Meerbusen, sich doch nicht alle Menschen, Thiere und leblose Gegenstände westlich, sondern auch rückwärts bewegen, wobei noch obenein nicht übersehen werden darf, daß ihrem Vorschreiten alle Maaßregeln der Quarantainen fruchtlos in die Wege traten, während ihrem Rückschreiten gar nichts hinderlich geworden wäre. Wo aber so viele tausend Erfahrungen für den miasmatischen und gegen den contagiösen Charakter der Cholera sprechen, warum denn durchaus auf dem Contagio bestehen? - Weil einzelne, sehr einzelne Fälle die Wahrscheinlichkeit geben: dem steht aber einerseits der Numerus zu sehr entgegen, denn gegen einen solchen Wahrscheinlichkeitsfall, werden immer mehrere hundert Fälle nachzuweisen seyn, die ganz entschieden für die Nichtcontagiosität sprechen; andrerseits aber lassen sich die einzelnen Fälle, die ein Contagium wahrscheinlich machen, durch miasmatische Vermittelung ganz vollkommen erklären, während die Tausend und aber Tausend Fälle verschiedener Nichtcontagiosität sich ganz und gar nicht erklären lassen; ein Contagium aber, welches, wie selbst die eifrigsten Vertheidiger dessen nachgeben, blos unter hundert Personen vielleicht einmal ein empfängliches Individuum finden solle, das ist doch wohl ein etwas zu weitläufiges Contagium. Und wie will man vollends durch ein Contagium die vielen Fälle erklären, wo plötzlich, aus der Mitte ganz gesunder Umgebungen, die Krankheit auftaucht, und ohne Nachwirkung verschwindet? Unter solchen Umständen dringt sich nun freilich die Frage auf, wie die Meinung, daß die Cholera contagiöser Natur sey, so viel Gewicht erlangen konnte? - Diese Frage ist so delicat, daß grade die schlagendsten Antworten die meisten Rücksichten fordern - eine Hauptursache ist wohl die, daß unter den Stimmen fur die Sache, viele von so entscheidender Bedeutung waren, daß ein Widerspruch nicht immer vorsichtig gewesen wäre: - übrigens ist es genug, daß, wo die Seuche bis jetzt auch noch herrschte, wenigstens ein großer

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Theil der Aerzte, wenn auch nicht alle, das Publikum aber durch und durch die Ueberzeugung gewann, daß die Krankheit nicht contagiös sei und selbst der medizinische Rath von Moskau, nach dem kaiserlichen Ukas vom 25sten August 1830, in gemeinsamer Berathung mit einer Mehrzahl von 21 Stimmen gegen 3 für die Mcftfcontagiösität entschied und dieselbe siegreichst durch unwiderlegliche Thatsachen erweist, ein Aktenstück, welches der Oeffentlichkeit übergeben worden und sich auch in meinen Händen befindet. Welche Vortheile hat es, das Publikum zu vergewissern, daß die Cholera nicht auf einem Contagio, sondern auf miasmatischen Einflüssen beruhe? 1) der Mensch wendet sich nicht vom Menschen, weil jede Berührung todesschwanger ist; die allerheiligsten Bande werden nicht gekränkt: der Gatte sieht nicht die Gattin, der Vater die Kinder, der Freund den Freund mit mißtrauischem Auge an, gleich dem Mörder, der bei nächtlicher Weile sein Haus beschleicht, den Dolch unter dem Gewände. 2) das Publikum wird nicht, indem es sich vor dem Contagio schützt, den rechten Weg des Schutzes verfehlen und es muß ihm weit beruhigender und tröstlicher seyn zu wissen, durch eine regelrechte Diät den Schutz von sich selbst abhängig machen zu können, als jeden Moment des Selbstvergessens, dem Liebsten und Theuersten gegenüber, mit Todesangst bezahlen zu müssen. 3) der Unglückliche, von der Seuche Ergriffene, ist nicht ein von kleinmüthiger Selbstsucht ausgestoßenes Opfer; die Hülfe nahet ihm rücksichtslos, mit unverzagtem Sinne und rascher, thätiger Hand und das, denke ich, ist ein großer Gewinn, denn wer könnte zu Gericht sitzen; wo die menschliche Regung einmal überwiegend würde, und - der berufsgetreueste Arzt, würde ihm am Lager der Seuche nicht manchmal das Bedenken überkommen, daß er Gatte, daß er Vater sei, selbst wenn er mit allem Heroismus edler Selbstverleugnung die Rücksicht für das eigne Leben zu Boden gekämpft hätte? - ich spreche aus reicher, sehr reicher Erfahrung!! Sind nach alledem Quarantainen nothwendig oder nicht? Ein anderes ist es, ob hier der Arzt oder die Staatsbehörde antwortet. Dem Arzte liegt ob, rücksichtslos seine auf Erfahrung begründete Ueberzeugung auszusprechen; dem Staate liegt die Pflicht ob, nach allen Kräften das Wohlseyn seiner Bürger zu sichern und dasselbe keiner andern als der nach Menschenkräften möglichst sichern Garantie anzuvertrauen. Nun erkennt es aber wohl das Preußische Volk und ganz Europa weiß es, daß kein König auf Erden mehr Vater seines Volkes ist, als eben der seinige. Eine Seuche aber rückt von den Küsten Bengalens, Millionen vor sich niedermähend, unaufhaltsam bis an die Grenzen Preußens vor - soll eine unentschiedene Meinung die einzige Schranke bleiben, die man ihr entgegensetzt? Und wären alle Aerzte der Welt einig, daß das kein Contagium sey, ihr darf eine sorgsame, weise Regierung, der das wohl ihrer Bürger näher am Herzen liegt, als die Millionen im Schatze, nicht versäumen, jedes Mittel zu versuchen, den furchtbaren Eindringling abzuwehren und jedes rechtlichen Unterthanen Pflicht ist es, das dankbar zu erkennen, und - so viel an ihm ist - zu unterstützen: durchbricht die Seuche dann mit unsichtbarem Flügel die Schranke - nun, dann walte Gott! das Bewußtseyn ist gerettet und der höhern Fügung beugt sich der Christ! -

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Uebrigens läßt sich mit freudiger Gewißheit vorausbestimmen, daß die Seuche in meinem lieben Vaterlande, bei dem in jeder Beziehung, polizeilich und bürgerlich, wohlgeregelten Lebens Verhältnissen seiner Bewohner, keine weite Verbreitung erlangen und rasch vorüberziehen wird. — Bataillonsarzt Koch, Die Cholera und ihre Quarantainen, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 17, 4. Oktober 1831, S. 65f. Europa zittert gegenwärtig vor einer Seuche, die von den schwülen Thälem Ostindiens aus im vorigen Jahre durch Persien nach Rußland sich verbreitete, ihre verheerenden Streifzüge nach Polen und Ungarn fortsetzte und jetzt, gleich einem drohenden Würgeengel, alle Schranken überspringend und aller Sicherheitsmaßregeln spottend, in dem Herzen Deutschlands festgesetzt hat. Alle Zeitungen sind unerschöpflich in Aufzählung der Opfer, welche dieser wüthenden Pest schon unterlagen; alle Regierungen treffen Anstalten zur Abwehrung derselben und die Russische Regierung hat eine Belohnung von 20.000 Rubeln für denjenigen ausgesetzt, der die Ursache dieser Krankheit auszumitteln und eine sichere, unfehlbare Heilmethode anzugeben vermöchte. Aber vergebens! so viele Aerzte auch ihr Leben daran wagten, so ist doch keiner derselben so glücklich gewesen, den Grund dieses Uebels zu entdecken, wenn es auch auf der andern Seite Einigen gelang, mehrere sich bewährende Heilmethoden zu erfinden. Indeß geht aus den einstimmigen Beobachtungen der Sachverständigen so viel für uns Tröstliches hervor, daß die Krankheit an ihrem gefährlichen Charakter verliert, je mehr sie nach Westen vorrückt, daß Mäßigkeit und Regelmäßigkeit der Lebensart, gute Kost und reinliche Kleidung wirksame Verwahrungsmittel gegen dieselbe sind, und daß im Verhältniß zur Volksmenge die Anzahl der Opfer doch nicht bedeutend ist. Vielleicht möchte es auch zur Beruhigung vieler unserer Leser gereichen, wenn wir ihren Blick aus der trüben Gegenwart auf eine noch weit trübere Vergangenheit richten. Es war nämlich einmal eine Zeit in Europa, in welcher eine noch viel schrecklichere Pest in allen Ländern wüthete, als im gegenwärtigen Augenblick. Manche alte Chronik erzählt davon, und selbst in einigen Volkssagen ist das Andenken an jene Schreckenszeit aufbewahrt. So erzählt man z.B.: „die Menschen seyen damals in den Straßen der Städte schaarenweise umgefallen und todt gewesen; vor den Häusern sey Gras gewachsen, und der Gebrauch, bei dem Niesen eines Andern: „Helf Dir Gott!" zu sagen, rühre aus jener Zeit her, weil nämlich die ersten Zeichen der Krankheit immer ein heftiges Niesen gewesen wären." [...] Das Unglück weckte bei vielen, in Sünden versunkenen Menschen die Besserung wieder. In der Verzweiflung wurden Bußübungen aller Art angestellt und besonders erhob sich eine neue Sekte, die Flagellanten oder Geißler. Haufen von Hunderten und bald von Tausenden derselben zogen von Stadt zu Stadt und stellten auf den Märkten ihre Geißelungen an, indem sie mit entblößtem Rücken und singend im Kreise umhergingen und sich selbst mit knotigen, stachligen Geißeln schlugen, oder von andern schlagen ließen. Sogar Kinder wurden von der Lust am Geißeln angesteckt und zogen auf ähnliche Weise umher. Als so die

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Sache in Schwärmerei und Wahnsinn ausartete, verbot es der Papst, und sprach sogar denn Bann dagegen aus. Es wurde indeß nicht ohne Mühe unterdrückt. [Anonym. ] Die schwarze Pest im vierzehnten Jahrhundert, in: Der Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, H. 19, [Anfang Oktober] 1831, S.149ff. Gleich einem bösen rächenden Geiste, schwebt die Cholera unsichtbar über den Mauern Berlins und bestraft leicht jedes Uebermaas, jede Erkältung mit schwerer Krankheit oder wohl gar dem Tode. Dabei ist es auf der anderen Seite aber auch eine beruhigende, sichere Erfahrung, dass, wer gleich weit entfernt von quälender Furcht und Aengstlichkeit wie von unbedachtsamer Vernachlässigung des Körpers, mit möglichster Heiterkeit eine einfache zweckmässige Lebensart zu führen weiss, gewiss von der Krankheit verschont wird, ohne nöthig zu haben, seinen Magen zu bepflastern oder mit Pfeffermünz-, Kamillen-Oel, Schaeferschen Tropfen und dergleichen zu überreitzen. Diese glückliche Mittelstrasse weiß nun freilich nicht ein Jeder zu treffen, und während die Einen aus Angst vor möglicher Ansteckung, Schrecken über eine Erkrankung in ihrer Nähe, in Fasten und trauriger Einsamkeit prädisponirt oder wirklich krank werden, werden Andere es durch übermässigen Genuss von Obst, Melonen, Erkältung, Schlafen in frisch gescheuerten Stuben u.s.w. Noch in allen Fällen, wo Personen aus höheren Ständen erkrankten, und diese kommen jetzt öfters vor, liess sich irgendein diätetischer Fehler nachweisen; bei der ärmeren Klasse, bei welcher an Beobachtung eines diätetischen Verhaltens ohnehin nicht zu denken ist, lässt sich das um so mehr voraussetzen. - Ich möchte es keinem rathen, der jetzt Diarrhöe, Kollern im Leibe, ziehende Schmerzen in den Waden und dergleichen bekommt, noch deutlichere Symptome abwarten zu wollen! In diesem ersten Stadium gelingt es in der Regel die Krankheit zu beseitigen, und einzelne derbe Naturen haben, ohne ärztlichen Beistand, einen solchen Anfall auch selbst durch eine Flasche warmen gewürzten rothen Wein und Schwitzen kurirt, was ich jedoch nicht einem Jedem empfehlen möchte. Ein spezifisches Mittel gegen die Krankheit hat man bisher noch nicht gefunden und wird auch keins finden, aus dem sehr einfachen Grunde, weil es keins geben kann. Dem Einen hilft ein Brechmittel, dem Anderen Säuren oder Opium, einem Dritten ein Aderlass, einem Vierten stärkende Mittel, ein Fünfter bedarf excitirende, ein Sechster beruhigende Arzneien, kurz die verschiedenen Modifikationen der Individualitäten erfordern eine verschiedene Behandlung, und nur der Arzt, der diese gut aufzufassen und zu berücksichtigen versteht und im übrigen ganz nach den Grundsätzen einer vernünftigen allgemeinen Therapie verfährt, wird die Cholera glücklich behandeln. Als allgemein anwendbare und nützliche Mittel kann man nur diejenigen nennen, welche die Haut erwärmen und Transpiration bewirken, wie z.B. Bäder, Reibungen, Sinapismen u. dergl.; nichts dagegen ist verderblicher als das Suchen nach einem Specificum, oder alle Patienten rücksichtslos dem Schlendrian einer Kurmethode unterwerfen zu wollen, die sich in gewissen Fällen oder an einzelnen Orten zufällig nützlich bewiesen hat. In Berlin hat sich zwar bisher der Kampher als Hauptmittel zur Unterdrückung eines stärkeren Cholera-Anfalles bewährt, aber leider erlagen die mei-

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sten dadurch Geheilten in kurzem einem typhösen Fieber mit bedeutender Hirn-Affection, welches sich bei den auf andere Art Geheilten, was aber nur in den leichtern Fällen ausgebildeter Cholera geschehen konnte, nicht einzustellen pflegte. Ob die in den letzten Tagen mit scheinbarem Erfolge angewandte Klaproth'sehe Eisentinktur (Tinktura Martis Klaprothii), den Kampher ersetzen wird, ohne diesen Nachtheil zu haben, muss erst die Erfahrung bestätigen. In dem Streite über Ansteckung und Nichtansteckung wird man auf beiden Seiten nachgeben müssen. Privatschreiben aus Berlin, Anfang Oktober 1831, in: Privatschreiben aus Berlin, Anfang Oktober 1831, in: Mittheilungen über die ostindische Cholera zunächst für Aerzte und Wundärzte Kurhessens. Herausgegeben von den ärztlichen Mitgliedern der obersten Sanitäts-Kommission, Nr. 2, 15. Oktober 1831, S. 31f. Auch hier in Berlin stellt sich den Angaben und allen Privatnachrichten zufolge das Verhältniß sehr günstig, indem auf (nicht ganz) 3 Todesfälle ein Genesungsfall kommt, die angegebene Zahl der Erkrankungen seit dem 21 sten zwischen 51 und 20 geschwankt, und die Epidemie sich ganz sicher nicht weiter verbreitet hat. Danken wir in Demuth unserm Schöpfer, und nur ihm allein dafür! Menschenwerk hat dazu nichts gethan. [Dr. Albert Sachs], Zur Beruhigung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 18, 5. Oktober 1831, S. 71. Als Resultat der bei einer bedeutenden Anzahl von mir selbst behandelter, und bei einer weit größern Anzahl nur beobachteter Cholerafälle gemachten Wahrnehmungen und zugleich zur Beantwortung mehrerer von außerhalb an mich ergangener Anfragen mögen einstweilen außer den obigen, auch die folgenden Bemerkungen hier eine Stelle finden. Schwelgerei und Erkältung begünstigen das Erkranken außerordentlich; freilich werden auch regelmäßig kränkliche Personen ergriffen, jedoch nur sehr selten. Angst, Furcht und Schrecken vermehren ohne Zweifel die Disposition zur Krankheit in hohem Grade. Auch hier mag sich wohl, eben so wie bei so vielen andern Krankheiten, eine Contagiosität entwickeln können; doch ist dieselbe auf jeden Fall äußerst bedingt. - Ueber die zweckmäßigste Heilmethode ist hier in Berlin einstweilen noch nichts Bestimmtes ermittelt worden. Individualisiren muß man bei dieser Krankheit ebensowohl wie bei jeder andern. Schnelle Hülfe ist am wirksamsten und in den häufigen Fällen, wo das Uebel sich unter der Form einer Diarrhoea cholerica gleichsam heranschleicht, die Beseitigung derselben mittelst des Kamphers (per os et anum) dringend wichtig. In Betreff der Frage: wie sich die hiesigen Aerzte vor Ansteckung schützen, darf ich antworten, daß wir unsern Schutz in unserem Beruf und unserer Pflicht suchen, und unsere Bekleidung nur die bei anständigen Staatsbürgern gewöhnliche ist. aus: Dr. L[udwig Friedrich] Hesse, Fall von glücklich geheilter bösartiger Cholera, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 19, 6. Oktober 1831, S. 75.

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Aus einem, in dem Blatte des (in Gotha erscheinenden) allgemeinen Anzeigers der Deutschen vom Dienstag den 21. September 1831 enthaltenen Aufsatze Uber die Verbreitung der Cholera nach Flußgebieten entlehnen wir folgende Stelle. „Einen höchst ungerechten und unwahren Vorwurf macht man jetzt der Königl. Preußischen Regierung: daß sie die Cholera durch den Verkehr mit russischen und polnischen Truppen herbeigeführt habe. Die Seuche ging, das behaupten wir, gestützt auf die Natur der Verbreitung des Seuchenstoffes, ihren ruhigen Gang, ohne sich durch Krieg und Frieden nur einen Zoll breit vom Wege abdrängen oder darauf beeilen oder verzögern zu lassen fort, und konnte durch nichts anderes, als durch Unterbrechung der Strömung und des Verkehrs in und auf den, die Flußgebiete verbindenden Kanälen abgehalten werden, und die Nichtigkeit der Verbreitung der Seuche durch Menschen und Waaren, wird grade jetzt in diesen Tagen durch unwiderlegliche Thatsachen erhärtet. Vom Finowcanale aus verbreitete sich die Seuche nach Charlottenburg (den 29. August) und Berlin (den 31. August). - Hier floh nun alles was fliehen konnte der Weser zu. - Kein Kordon, keine Kontumaz hielt (glücklicherweise) die Fliehenden auf, und am 24. September Abends unterredete sich Schreiber dieser Zeilen schon mit Berliner Flüchtlingen im Wesergebiete. - Hat man wohl aber schon von einem Verbreitungsfalle diesseits der Elbe gehört? - Durchaus nicht. Möge uns nun endlich auch diese Erfahrung um einen Schritt ferner von den Kontumazen, den Kordons und den derzeit bestehenden Desinfectionsmethoden entfernen, und uns lehren die mit Errichtung unnützer Kontumazen versplitterte Zeit zur Errichtung zweckmäßiger Hospitäler zu verwenden, wofür hierländig noch fast gar nichts geschehen ist. Sollten von den in das Elb- oder Wesergebiet Geflüchteten jetzt einige an der asiatischen Cholera erkranken, so fange man doch ja die Prophylaxis nicht gleich mit Häusersperren an, sondern überzeuge sich durch oft wiederholte Beobachtungen, ob ein sporadisch Kranker in einem noch gesunden Flußgebiete die Seuche verbreiten könne? die Erfahrung wird wahrscheinlich diese Frage mit Nein beantworten. Nachschrift. Zu diesem Aufsatze, in welchem sich auf eine merkwürdige Weise Richtiges mit Irrigem verkettet, werden wir nachträglich unsere Bemerkungen liefern, Einstweilen halten wir es für nützlich, die verschiedenen Ansichten, wie schroff sie auch sich mitunter darstellen, hier behufs fernerer freier Discussion aufzunehmen. [Korrespondenzauszug], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 19, 6. Oktober 1831, S. 75. Veranlaßt durch den Nothstand, in welchen so viele Bewohner der Monarchie durch die Verheerungen der Asiatischen Cholera und deren nachtheilige Folgen versetzt werden, und angefeuert durch die überaus günstigen Resultate, welche frühere ähnliche gemeinsinnige Unternehmungen gewähren, hat der hiesige Maler Herr C. Gebauer, das im Besitz Sr. Majestät des Königs befindliche Gemälde des Professor Hensel, Christus und die Samariterin am Brunnen darstellend, kopirt, und sich entschlossen, diese Kopie sowohl, als ein Brustbild Sr. Majestät des Königs, zum Besten der durch die Cholera in Nothstand gerathenen Bewohner der Monarchie, so wie der eingerichteten Armen-Speisungsanstalten, in Steinabdrucken auf Subskription herauszugeben.

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Die Wohlthätigkeit des Zwecks macht es mir zur angenehmen Pflicht, das Publikum auf dieses gemeinnützliche Unternehmen aufmerksam zu machen, und alle diejenigen, welche geneigt sind, zur Beförderung desselben beizutragen, zur Subskription auf die gedachten Bilder einzuladen. Uebrigens habe ich die Königl. Regierungen, so wie das hiesige Königl. PolizeiPräsidium veranlaßt, den Debit dieser Bilder, sobald das Nähere wegen der Preise festgestellt sein wird, durch Annahme von Subskriptionen möglichst zu befördern, und hoffe, daß das gegenwärtige Unternehmen des Herrn Gebauer, bei dem sich überall bethätigenden Wohlthätigkeitssinn, eben so allgemeine Unterstützung finden wird, wie seine frühern menschenfreundlichen Bemühungen zu Theil wurde. Der Minister des Innern und der Polizei. Freiherr von Brenn. Berlin, den 7. Oktober 1831, in: Amts-Blatt der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, 46. St., 18. November 1831, S. 322ff. War ein sehr trauriger Tag für mich und die ganze Familie. Ida hatte Krampfe und große Angst, Brust-, Magen- u. Rückenschmerzen, weint, Ernst Eimbeck [sieht] matt und sehr erbärmlich aus - Wilhelm war sehr niedergeschlagen, besonders auch deswegen weil sein Sohn nicht wohl war. Die Cholera lag uns allen in den Gliedern. Es sind doch ganz erbärmliche Zeiten! Ernst Ludwig Heim, Tagebucheintrag, 7. Oktober 1831, in: Ernst Ludwig Heim, Tagebuch 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung. Sig.: Ms. boruss. Qu 493, S. 42. Wenn Sie den Anfang einer Choleraepidemie in einem Orte beobachtet haben - wie entwickelte sich dieselbe? durch Uebergangsformen, oder brach sie gleich bei einem Individuo oder bei einigen zugleich in voller Heftigkeit aus, ohne daß man vorher verwandte Krankheitsfälle im Orte beobachtet hätte? Läßt sich mit Sicherheit nachweisen, daß das Individuum, welches zuerst als an der ächt asiatischen Cholera erkrankt aufgeführt worden ist, mit einem Cholerakranken in einem andern Orte, oder mit Menschen, oder Sachen, welche in einem andern Orte mit einem Cholerakranken in Berührung gekommen waren, ebenfalls in Contact oder auch nur in bedeutende Annäherung getreten ist? Gingen bei den zuerst erkrankten Individuen dem Erkranken Einflüsse voran, welche erfahrungsgemäß den Eintritt der Cholera begünstigen, als: Erkältung, heftiger Aerger, Diätfehler, Excesse in Baccho & Venere? Wie waren überhaupt die Constitution, die Lebensweise, die Außenverhältnisse des zuerst Erkrankten beschaffen? Wenn aber verwandte Krankheitsformen vorangingen, - unter welchen Symptomen traten diese auf? hatten die gastritischen Beschwerden eine andere Form als sonst, etwa in derselben Jahreszeit, waren sie mit ungewöhnlichen Nervenaffectionen, als Schmerzen in den untern Gliedmaßen u.s.w. vergesellschaftet? waren sie auffallend verbreiteter, als in anderen Jahren, und waren ihnen auch viele Personen unterworfen, die sonst nicht an dergleichen zu leiden pflegten? Wie war die Localität beschaffen, in welcher das erste Individuum erkrankte, oder mit einem Cholerakranken in Berührung trat? wie die Localität des Orts überhaupt, liegt er hoch oder niedrig, an einem Russe, ist das Erdreich sumpfig, trocken u.s.w. wie sind die Woh-

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nungen, Straßen etc. im Allgemeinen gebaut, welche Lebensweise führen die Einwohner, welche Krankheiten herrschten sonst vorzugsweise unter ihnen? Wie verbreitete sich nun das Uebel weiter? Schien die Verbreitung in der That von jenem Individuo auszugehen, welches zuerst an einer vollständig ausgebildeten bösartigen Cholera litt? Läßt sich mit Sicherheit nachweisen, daß alle später Erkrankten mit den Cholerakranken, oder deren Umgebungen in Berührung getreten sind? oder waren etwa die zunächst Erkrankten gleichen allgemeinen, dem Anschein nach das Erkranken begünstigenden Einflüssen ausgesetzt, wohnten sie am Wasser, in sumpfigen Gegenden, war ihre Lebensweise dieselbe u.s.w., und wie verhielt sich der Zustand der Atmosphäre? verbreitete sich die Epidemie etwa Schritt vor Schritt von Haus zu Haus, oder zeigte sie sich plötzlich zugleich an vielen voneinander entlegenen Stellen des Orts? hatten die Individuen, welche in Quartieren erkrankten, die von den am häufigsten heimgesuchten entlegen waren, sich - nicht etwa einer möglichen, sondern - einer erweislichen verdächtigen Berührung (in obgedachter Art) ausgesetzt? ist eine solche Berührung der Mehrzahl oder Minderzahl der Erkrankten vorangegangen? Glauben Sie, nach diesem allen, daß im Allgemeinen die Cholerafälle durch einen von Cholerakranken ausgegangenen Ansteckungsstoff bedingt worden seyen, oder nicht? und welche anderen Ursachen scheinen wohl hauptsächlich die Verbreitung der Krankheit begünstigt zu haben? Wurden Sperrungsmaaßregeln in Ausführung gebracht, und welche? Waren diese aufgezwungen, oder der Willkür der Abzusperrenden und der behandelnden Aerzte überlassen? Wurden dann die ersten Cholerakranken im Orte wirklich abgesperrt, oder fing man erst an zu sperren, nachdem bereits erweislich mehrere nicht abgesperrte Cholerakranke, die man als solche nicht anerkannte, längere Zeit im Orte gelegen hatten? Hat man überall streng gesperrt, oder nur unvollkommen, nachsichtig, und sind wohl viele Contraventionen vorgekommen und aus welchen Ursachen? Hat man überall früh genug gesperrt, oder waren etwa viele Personen schon längere Zeit, mehrere Stunden lang, krank, ehe die Absperrung vollzogen wurde, und woran lag es, daß dieß so spät geschah? Wurden wohl manche Kranke gar nicht abgesperrt, wenn die Schnelligkeit des Krankheitsverlaufs dies unmöglich machte, oder kamen solche Fälle auch vor, wo jene Unmöglichkeit keinesweges obwaltete? - Können Sie vollständige, oder nur ziemlich vollständige Beweise aufführen, daß die Absperrungen der Weiterverbreitung der Seuche Schranken gesetzt haben - (eine Frage bei deren Beantwortung jedoch alle sonstigen hier in Betracht kommenden Verhältnisse zu würdigen seyn würden)? Welchen Einfluß äußerten die Sperrungen auf die Kranken und deren Umgebungen? auf die Gemüthsstimmung, das körperliche Befinden, die bürgerlichen Verhältnisse derselben? Wie betrachtete die Mehrzahl der Laien, und die verschiedenen Klassen der Bevölkerung, die Sperrungsmaaßregeln? als eine Wohlthat, oder als einen unwillkommenen Zwang? gaben diese Maaßregeln Anlaß zu häufigen Inconsequenzen, unangenehmen Collisionen, Widersetzlichkeiten u.s.w. und welche Rückwürkungen hatten diese wiederum? Wenn die Sperrungsmaaßregeln wieder aufgehoben wurden, weshalb geschah dieß? welchen Einfluß hatte es auf die angebliche und wirkliche Zahl der Erkrankungen? auf den Verlauf der einzelnen Krankheitsfälle? auf das mehr oder minder häufige Vorkommen von

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Erkrankungen in derselben Wohnung? erachtete man eine solche Aufhebung für bedauernsoder dankenswerth? Sind Fälle vorgekommen, wo die Krankheit recht strenge Defensivsperren überschritten hat? Halten Sie demnach das Einsperren der Kranken und ihrer Umgebungen, so wie es geschah, und so wie es geschehen könnte, für absolut und relativ zweckmäßig und nöthig? und in wie weit, bis zu welchem Verbreitungsgrade der Epidemie und unter welchen Bedingungen, in Bezug auf die vorhandenen Sperrungsmittel, die öffentliche Meinung und die bürgerlichen Verhältnisse, erachten Sie die Durchführung derselben für ersprießlich und möglich? Nach welchen Grundsätzen wurden die Transportirungen der Kranken in die Lazarethe bewirkt? Hat der Transport wohl oft, mittelbar oder unmittelbar, theils rein körperlich, theils geistig, nachtheilig auf den Kranken eingewirkt, und in welchem Grade? Gaben die Normen, nach denen diese Ortsversetzungen bewirkt wurden, Anlaß zu gewaltsamen unbefugten Einschreitungen gesunder Personen gegen Kranke, gegen Miether und Untergebene etc.? Ließ sich bei dem Transportiren immer als Hauptzweck nachweisen, daß die Lage des Kranken dadurch verbessert werden sollte, wurde diese wirklich immer verbessert, und konnten Sie, als behandelnder Arzt, dem Kranken stets mit gutem Gewissen zu einer solchen Ortsveränderung rathen? Giebt es Zeiträume der Krankheit, und eigenthümliche Verhältnisse verschiedner Art, wo Sie den Transport für unbedingt schädlich erklären würden, und welche? Wie wurden die Desinfectionsvorschriften ausgeführt? recht streng und gründlich, so daß man davon eine vollständige Zerstörung des den Kleidern etwa anhaftenden Krankheitsstoffes erwarten durfte, oder in der Mehrzahl der Fälle nur unvollkommen, pro forma? Wie haben Sie und Ihre Collegen sich nach gemachtem Krankenbesuche desinficirt? Haben Sie Schutzkleidungen getragen, und wenn nicht, weshalb nicht? - Sind wohl Fälle vorgekommen, wo Personen, welche jene Vorschriften genau beobachteten, dennoch von der Seuche ergriffen wurden, und können Sie die Wirksamkeit der als Desinfectionsmittel empfohlenen Stoffe überhaupt nachweisen? Halten Sie auch manche derselben für direkt nachtheilig in Bezug auf die Gesundheit? und glauben Sie, daß durch die Desinfectionsmaaßregeln, so wie sie dermalen ausgeführt werden, die Weiterverbreitung der Seuche wirklich gehemmt werde, oder halten Sie dieselben für beinahe wirkungslos? Wie haben die Contumazirungen, namentlich nach Todesfällen, auf die Eingesperrten gewirkt? auf ihre Gemüthsstimmung, ihren Gemüthszustand, ihre bürgerlichen Verhältnisse? Wie die eigenthümlichen Leichenbegängnisse auf das Vorstellungsvermögen der Kranken, und der vor dem Erkranken besorgten Personen? Wie beurtheilen Sie demnach, vergleichend, die verordneten beschränkenden Maaßregeln in den verschiedenen Staaten, - abgesehen von der unleugbar guten Absicht, dem dankenswerthen Eifer, welchem alle diese Verordnungen ihr Entstehen verdankten nur - hinsichtlich ihrer Wirkungen auf die vorgekommenen Krankheitsfälle und Disposition zum Erkranken? Waren diese Wirkungen bis jetzt im Allgemeinen günstig oder ungünstig? Halten Sie, subjectiv, ein solches Einschreiten hier für nothwendig, und in wie weit? Wie glauben Sie, daß

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die vorhandenen Mittel am besten in Bezug auf die gedachten Verhältnisse benutzt werden könnten, und welche Vorschläge hätten Sie hier zu machen? Unter welchem Bilde hat sich Ihnen die Krankheit gezeigt? - Wir haben für die uns heimsuchende Seuche das Prädikat: bösartig einstweilen als das schicklichste erachten müssen; die ausgebildete Krankheit wurde wohl nie verkannt; aber es haben auch hier, wie an andern Orten, sehr viele Personen an einem Uebel gelitten, welches wir gutartige Cholera, Cholerine nennen möchten, bei welchem man nur die Vorbothen und die Symptome des ersten Stadiums der bösartigen Cholera wahrnahm, welches in sehr vielen Fällen ganz von selbst vorüberging. - Wie erscheinen Ihnen nun diese beiden hier aufgestellten Uebelseinsformen? Halten Sie beide für wesentlich voneinander verschieden, oder innig mit einander verwandt, oder glauben Sie, daß die bösartige Cholera nur ein höherer Entwickelungsgrad der gutartigen sey? daß für beide die nämlichen ursächlichen Verhältnisse gelten? - Vermögen Sie auch wohl die Zeichen festzustellen, welche den Uebergang dieser leichteren Zufälle zu den gefahrdrohenderen zum Ausbruch der wirklich bösartigen Cholera andeuten? Die Beantwortung dieser Frage ist für den gewissenhaften Arzt nicht allein in pathologischem, sondern auch in gesundheitspolizeilichem Bezüge, von der äußersten Wichtigkeit, so lange die Cholerakranken eingesperrt werden, indem es hier ja nicht auf eine bloß subjective Meinung, sondern auf eine objective Handlung ankommt, indem der Arzt, ohne über diesen Punkt klar zu seyn, nie mit Sicherheit bestimmen kann, wann er, den bestehenden Verordnungen zu genügen, einen Patienten als cholerakrank anmelden müsse. Welche Symptome mußten also vorhanden seyn, um Sie zu veranlassen, Ihre Patienten als Cholerakranke zu melden? Haben Sie, in jenen Fällen, wo sich das Uebel unter der Form eines dem Anschein nach nicht sehr bedeutenden Uebelbefmdens heranschlich, doch immer gleich erkannt, daß die nachher wirklich eingetretene Gefahr eintreten werde, und daß Sie es hier mit einem Falle von bösartiger Cholera zu thun hatten, und haben Sie demnach alle solche Fälle früh genug gemeldet? Nach welchen Grundsätzen verfuhren Sie, wenn Sie - (vorausgesetzt, daß dieß jemals Statt fand) - zweifelhaft waren? Haben Sie dann eher gemeldet, als nicht gemeldet, oder umgekehrt? Erklärten Sie ihre Patienten vielleicht, um sicher zu gehen, immer schon für gesundheitspolizeilich cholerakrank, wenn dieselben nur einige Mal Diarrhoe, Poltern im Leibe, etwas Ziehen in den Waden, Angst u. dergl. hatten, weil die bösartige Cholera sich aus solchen Zufällen herausbilden konnte? Haben Sie vielleicht Ihr Urtheil in gesundheitspolizeilicher Beziehung nach andern Grundsätzen gefällt, als in rein wissenschaftlicher? Alle Schutzmaaßregeln sind immer auf die Annahme, daß die Cholera nur durch Contagion und Verschleppung des Contagii gegründet; - hielten Sie es nun etwa nicht für nöthig, die Cholerakranken im Anfange der Krankheit, und so lange die Bösartigkeit noch nicht prononcirt war, zu melden, weil Sie vorausgesetzt, daß Sie die Krankheit für unbedingt contagiös halten - bestimmen konnten, wann sich die Ansteckungskraft bei Ihrem Patienten entwickeln würde? welche Zeichen machten Ihnen dieß möglich? und wie beweisen Sie deren Untrüglichkeit? Wie verlief die Krankheit im Allgemeinen? Welche Organsysteme schienen vorzugsweise zu leiden? Haben sich wohl die Erscheinungen so bestimmt verschieden gestaltet, daß Sie darauf die Annahme mehrerer Arten von Cholera begründen könnten? oder halten Sie die vorgekommenen Abweichungen in der Form des Uebels für unwesentlich, - namentlich in Betreff der Behandlung? Wie verhielt sich die von Ihnen beobachtete Choleraepidemie zu

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andern herrschenden, und sporadisch vorkommenden Krankheiten? Schien eine in die andere (als eine Nachkrankheit) überzugehen, die eine die andere aufzuheben, eine vor der andern zu schützen? Haben Sie einen Einfluß atmosphärisch-tellurischer Verhältnisse auf den Gang der Epidemie bemerkt? Sahen Sie deren Ende, und durch welche Ursachen schien Ihnen das Aufhören der Seuche bedingt? Nahmen Sie im Einzelnen eigenthümliche seltene Formen des Uebels wahr? Welche Zeichen erachten Sie für günstig, welche für ungünstig? Hatten Sie mit gewissen nachtheiligen Zufälligkeiten und Außenverhältnissen bei der Behandlung Ihrer Cholerakranken vorzugsweise zu kämpfen, und in wie fern haben diese die Heilung erschwert? Die Antwort auf diese letzte Frage wird sich zum Theil schon aus der Lösung mehrerer früherer aufgestellten ergeben; - jedoch ist es noch wünschenswerth zu erfahren, wie Sie den Gemüthszustand Ihrer Kranken durch die mannigfachen in Druckschriften ihnen zu Theil gewordnen Belehrungen vorbereitet fanden? hatten diese ihren Zweck erfüllt: die Gemüther auf eine passende Weise zur Bestehung der drohenden Gefahr zu kräftigen, und die Belehrten zu einem wirklich angemessenen Verhalten, und namentlich auch zu dem hier so notwendigen freudigen Vertrauen auf die Kunst ihrer Aerzte zu veranlassen? Empfing Sie der Patient und dessen Umgebung stets als einen willkommenen, die eigene Gefahr nicht achtenden Retter aus Lebensgefahr, oder wurden Sie auch wohl ganz anders behandelt, und was mag hie[r]zu veranlaßt haben? Welches Curverfahren haben Sie in der Mehrzahl der Fälle mit vorzugsweise glücklichem, welches mit vorzugsweise unglücklichem Erfolge angewandt? Heilten Sie überall im Allgemeinen mit denselben Mitteln, und trafen Sie nur die, wie überall auch hier, der Individualität des Falles angepaßten Modificationen, oder unterschieden Sie verschiedene Species des Uebels, und behandelten diese nach ganz verschiedenen Methoden? Haben Sie die als vorzugsweise als heilkräftig in Ruf gekommenen Mittel angewandt oder anwenden sehen, und mit welchem Erfolge? In wie weit schreiben Sie den verschiedenen Curen das Gelingen und Mißlingen der Heilung zu, und sind wohl auch reine Naturheilungen zu Ihrer Kenntniß gekommen? Welche Vorbauungsmaaßregeln, welches diätetische Verhalten des Körpers und der Seele empfehlen Sie? Was können Sie uns endlich im Allgemeinen tröstliches über das in Rede stehende Objekt sagen? aus: [Dr. Albert Sachs], Fragen, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 20-25, 7.-13. Oktober 1831, S. 77ff. Eine schwere, ernste Zeit hat uns, Geliebte in dem Herrn, getroffen, in welcher wir mannichfaltig durch eigne Trübsal und durch die Leiden unserer Mitbrüder niedergebeugt werden, und über den Druck einer Noth klagen, welche Wenige verschont hat. Ich habe nicht nöthig, weitläufig von den Schrecken der Krankheit und des Todes zu reden, der wider Erwarten hier und dort einen aus unserer Mitte reißt und manches theure Opfer unter Umständen fordert, die erschütternd sind, - ein Bild von der grauenhaften Gestalt der Seuche entwerfen, heißt ja schon bei Vielen sie herbeiführen; ich darf nicht erst viele Worte davon

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machen, wie Nahrungslosigkeit und Störung im Handel und Gewerbe sich durch alle Stände und Geschäfte hindurch verbreitet hat, da, wohin wir uns wenden, die Klage darüber laut gehört wird, wozu noch kommt, daß das Steigen des Wassers und das Kommen des Winters die Befürchtungen und die Schrecken der Zeit vermehren. [...] Sehet, wie ist so vielen der Tod so furchtbar und entsetzlich, daß es an den Tag kommt, sie haben den Fürsten des Lebens, Jesum Christum, nicht, der Leben und Auferstehung durch das Evangelium und seine Auferstehung von den Todten an das Licht gebracht hat. Rechtfertige doch Niemand seine Bangigkeit mit dem Ungewöhnlichen in dieser Todesart, sondern den wahren Grund suche ein Jeglicher in seinem Unglauben, in seiner Entfernung von Gott, in seiner Trennung von Jesu. Laß dich darüber strafen von dem heiligen Geiste, und glaube an Jesum, so wird er dich zum Vater führen und dich beten lehren: Gott ist für mich, wer mag wider mich sein! aus: [Anton] Hetzel, Predigt über Matth. 9,1-8. Gehalten am 19ten Sonntage n. Tr. [9. Oktober], in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholerd in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 48f., 50. Zimmerpolier Hr. J. F. L. Dölling. 31 J. Näherin A. Schulz. 19 J. Schuhmacher J. G. Bolte. 32 J. Zimmerges. F. Carre. 20 J. Instrmtmchr. Lexow S. 2 J. Weber Ulbrich T. 12 J. Weber Wolff S. 2 J. Dorothee Müller. 31. J. Logenschließer Otto. Dienstmädchen C. Schaper. 21 J. Schuhmacher F. W. Henkel. 34 J. Buchhalter Herrn Weich Frau. 59 J. Wittwe Große. 45 J. Arbtsm. C. Pierax. 28 J. Arbtsm. C. F. Diering. 40 J. Wittwe M. D. Voigt. 64 J. Arbtsm. C. Jäger. 36 J. Buchbinder Fierenkranz T. 29 J. Die F. Dendler. 29 J. Weber J. G. Klimpfel. 76 J. Arbtsm. C. Engels. 52 J. Gärtner J. Bürstenbinder. 49 J. Die H. Höhne. 32 J. Schuhmacher F. W. Saland. 55 J. Schuhmacher Hertel. 32 J. Arbtsm. Sprödemann T. 8 J. Posamentirgesell Domory S. 7 J.

Höhepunkt: Cholera in der Stadt Arbtsfr. H. Fiedler. 40 J. Arbtsm. F. Lamm. 36 J. Petinetfabrikant Hrn. Arnold Frau. 45 J. Arbtsm. M. Chorgaß. 70 J. Wärter M. Heymann. 60 J. Wärter M. Gorgas. 70 J. Arbtsm. H. Rumpel. 49 J. Gürtlermeistr. Hr. H. Hangerer. 45 J. Wilhelmine Heese. 20 J. Carl Prokusch. 33 J. Kupferschmied Beyer Fr. 57 J. Geh. Sekret. H. Titschow. Hausknecht C. Germann. 24 J. Weber Backert Fr. 38 J. Schuhmacher F. W. Seeland. 55. J. Caroline Cabusch. 26. J. M. D. Küpken. 64 J. Klugsberg. 11 J. Carl Bozesch. 34 J. Hospitalitin Μ. A. Docke. 78 J. Grenad. H. Stange. 21 J. Arbtsm. Stibbekohl T. 4 J. Hospitalit F. W. Barth. 25 J. Fr. Carl Reissinger. 45 J. Schiffer H. Dietrich. 43 J. Strumpfwirkerges. J. F. Gewinn. 54 J. Schneider Schmidt Frau. 38 J. Fr. S. Schwarzlose. 36 J. Dienstmädch. L. Theilers. 20 J. Posamentier A. C. Mücke. 48 J. Schiffer C. Schmiedt. 42 J. Tischlermeister Herr J. D. Mulack. 44 J. Weberges. J. C. Müller. 53 J. Schiffsknecht M. Seefeld. 37 J. Steuerm. J. C. Rudioff. Fr. M. C. Cragensky. 42 J. Wittwe L. Behling. 48 J. Rentier Hr. Dietrich. 63 J. Arbtsm. Wolff Frau. 38 J. Rentier Hr. C. H. Jander. 37 J. Weber Hoffmann Fr. 38 J. Webermstr. Hr. J. C. Lantz. 82 J. Arbtsm. M. Jorgas. 70 J. Arbtsm. C. Dahms. 34 J.

4 247) 248) 249) 250) 251) 252) 253) 254) 255) 256) 257) 258) 259) 260) 261) 262) 263) 264) 265) 266) 267) 268) 269) 270) 271) 272) 273) 274) 275) 276) 277) 278) 279) 280) 281)

282) 283) 284) 285) 286) 287) 288) 289) 290)

Panik-Kurve - Berlins Cholerajahr 1831/32 Dessen T. 2 J. Cadet Herr L. Α. A. von Wittcke II. 16 J. Die S. F. Kersten. 63 J. Arbtsm. A. Hartwig. 36 J. Arbtsm. Peschang Fr. 42 J. Seidenwirker Quack Frau. 30 J. Kammacher Lawal S. 6 J. Wittwe Dietrich. 50 J. Wittwe M. C. Stegemann. 44 J. G. Jahn. 64 J. Gärtner W. Ebel. 34 J. Wittwe L. Beuster. 68 J. Branntweinschänker Hrn. Schmidt S. 6 J. Wittwe L. Sachs. 60 J. Jgfr. A. Vetterlein. 23. J. M. D. Kunscherffe. 77 J. Arbtsm. Stapel S. 6 J. Schneiderwittwe Meyer. 42 J. Lederzurichter Panzer Fr. 43 J. Die verehel. Borges. 44 J. Tuchfabrikant Her J. F. Kapke. 56 J. Wittwe M. Koschinsky 46 J. Anna Rosier 50 J. Hospitalit C. F. W. Kickebusch. 69 J. Maurerges. C. L. Thimm. 62 J. Arbtsm. C. F. Berger. 30 J. Weber J. G. Ulbrich. 53 J. Wittwe Neuendorff. 76 J. Die C. Weber. 33 J. Statisten-Aufseher Hr. J. F. Waak. 59 J. Arbtsm. F. Malitz. Wilhelmine Tiedler. 3. J. Seidenwirker Strich Fr. 41 J. A. W. Hippekohl. 4 J. Wittwe M. L. D. Lüdecke. 71 J. Korbmacher Sammt S. 2 J. Wittwe W. Negitzky. 44 J. Schuhmacher J. C. Fischer. 63 J. Wittwe C. F. D. Jäger. 44 J. Fr. L. A. Holzwarth. 36 J. Steuermann C. Roßleben. 32 J. Arbtsm. J. C. Oelze. Schiffer C. F. Nieter. 29 J. Weber Buckert T. 9 J.

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291) Dessen T. 8 J. 292) Krankenwärter C. Kennemann 33 J. 293) Schiffsknecht Fischer. 31 J. 294) Wärterin Wolter. 45 J. 295) Webergesell J. C. Müller. 53 J. 296) Weber Kittelmann S. 4 J. 297) Grenadier Pfeiffer. 44 J. 298) Die D. Kühne. 27 J. 299) Zimmerges. C. Jürgens. 40 J. 300) Maurerges. W. Stephan. 32 J. 301) Tischler J. G. Krug. 38 J. 302) Die F. Eust. 38 J. 303) Tuchscheerer Silber Fr. 54 J. 304) Walkmüller F. Wühlisch. 43 J. 305) Buchhalter Herr J. J. E. Lebrün. 57 J. 306) Wittwe M. F. Krüger. 40 J. 307) Wittwe F. Studin. 56 J. 308) Die F. W. Sommer. 38 J. 309) Arbtsm. C. F. R. Steinhardt. 37 J. 310) Mäkler Hr. A. F. Raschin. 47 J. Liste sämmtlicher an der Cholera Verstorbenen. (Fortsetz·), in: Beilage zum Beobachter an der Spree [Berlin], 41. St., 10. Oktober 1831, S. 7f. Ew. Königliche Majestät wollen uns daher Allergnädigst verzeihen, wenn wir uns den ehrerbietigen Antrag erlauben: daß Allerhöchstdieselben geruhen mögten, das Gutachten anderer Aerzte, insbesondere des Staatsraths Hufeland zu erfordern, dem Ew. Königliche Majestät Ihr Vertrauen als Leibarzt Allergnädigst geschenkt haben und der im In- und Auslande eben so sehr als in vielseitig gebildeter Arzt, als ein ruhiger Beobachter und als wohlwollender Mann geachtet wird. Fällt dessen Urtheil auch dahin aus, daß die Krankheit nicht so kontagiös und pestartig, dann bitten wir Ew. Königliche Majestät allerunterthänigst, zu befehlen, daß alle die Maaßregeln, welche durch den früheren Glauben von Pestartigkeit der Krankheit herbeigeführt sind, auch sofort aufhören, und nur die, bei anderen ansteckenden Krankheiten schon vorgeschriebenen Sanitäts-Vorschriften in Kraft treten. Es fallen dann die Sperren, die ungewöhnliche Art der Begräbnisse, die Desinfektion der kaufmännischen Waaren ganz weg. aus: Magistrat der Stadt Berlin an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 11. Oktober 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 89. Geheimes Zivil-Kabinett. C. XX. Vol. I Nr. 15. Auch in Wien, wo voreilige Bekanntmachung von Angelegenheiten, deren Verheimlichung nur irgend wünschenswerth wäre, gewiß nicht an der Tagesordnung ist, hat man, von den obigen richtigen Gesichtspunkten ausgehend, gleich vom ersten Ausbruche der CholeraSeuche an, die gewöhnlichen Todtenlisten in den Wiener Zeitungen nach Name, Stand, Wohnung u.s.w. auch auf die Epidemie ausgedehnt, und man findet hier, wie es sich von

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selbst versteht, in unverschleierter Wahrheit die „Stern-Kreuz-Ordens-Dame" neben den , Arbeitsmann", den „Hof-Kammer-Präsidenten" neben der „Wäscherin" in den Todtenlisten als an der Cholera verstorben aufgeführt. [...] Daß es überall keine Schande sei, an der Cholera zu erkranken oder zu sterben, darüber hat sich unsre Zeitung schon neulich ausgesprochen. Aber haben nicht unsre Listen nicht einen wichtigen Nachtheil als den, eine irrige Schaam nicht zu schonen? Wirken sie nicht hier und da nachtheilig auf die gewerbetreibende Klasse? Leidet nicht der Verkehr in einem Gewölbe, wenn es bekannt wird, daß der Besitzer oder dessen Frau, dessen Magd an der Cholera gestorben? Wir glauben, daß es nur nöthig ist, auf einen einzigen Punkt hier aufmerksam zu machen, um jedes Bedenken hierrüber zu beseitigen. Wir theilen nämlich absichtlich - eben um Niemandem zu nahe zu treten, und da es höhere Zwecke gibt als eine etwanige Befriedigung der Neugier - unsre Listen immer erst frühstens vierzehn Tage nach dem gemeldeten Erkrankungsfalle mit, wovon Jeder, der die laufende Nummer der Listen mit den summarischen Tagesrapporten vergleicht, sich leicht überzeugen kann; so z.B. sind wir mit bis heute, den 11. October, mit Nummer 711 fortfahrend zur Nummer 770 fortgerückt, und dies war die Zahl der Erkrankten vom 24. bis 26. September. In dieser langen Zeit von 18 Tagen haben aber, wie bekannt ist, alle polizeilichen Maaßregeln in den erkrankten Familien längst aufgehört, und wenn die Behörden, denen noch Niemand eine zu wenig vorsichtige Berücksichtigung des allgemeinen Gesundheitswohles vorgeworfen hat, ein inficirtes Haus dann längst wieder gereinigt und gesund erklärt haben, so dürfen doch gewiß die Hausbewohner nicht besorgen, daß ein Einzelner das Gegentheil annehmen werde! aus: [Anonym.] Ueber unsre Listen, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Berücksichtigung amtlicher Quellen, Nr. 8, 11. Oktober 1831, S. 67f. Ich kann bei dieser Gelegenheit die Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Angst und Furcht vor der Krankheit, auch als krankmachende Ursache, viel zu hoch angeschlagen wird. Die Erfahrung lehrt gerade das Gegentheil. Noch hat Niemand aus Angst die Cholera bekommen. Bekanntlich werden die gebildeteren Stände von der Krankheit weniger ergriffen, als die ungebildeteren, während man nur bei den ersteren eine oft übertriebene Besorgniß vor der Krankheit beobachtet, was bei den letzteren ganz und gar nicht der Fall ist. Eben so werden Kinder, die weder Furcht noch Angst kennen, von der Krankheit häufig ergriffen und weggerafft. Ja, es ist die Frage, ob nicht gerade die Furcht vor der Krankheit und ihre unmittelbare Folge, „sich der Ansteckung nicht blindlings preis zu geben, schädliche Einflüsse zu vermeiden, geregelter und überhaupt den Sanitäts-Vorschriften gemäßer zu leben" eine der Hauptursachen mit sey, weshalb die höheren Stände von der Krankheit verschont bleiben. aus: [Johann Nepomuk] Rust, Ein Wort zur Würdigung der Schutzmittel gegen die Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 283, 12. Oktober 1831, S. 1548. Wenn also Trübsal, wenn Angst des Herzens das Verlangen nach dem Worte Gottes weckt, urtheilt denn, andächtige Zuhörer, ob ein solches Verlangen jetzt vorhanden sein werde, da eine Noth, wie wir sie nie sahen, eine Plage von unerhörter Art uns eben heimsucht. Wer ist, den diese Noth nicht drückte? den diese Prüfung nicht träfe? Ach, es sind ja

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nicht die allein, welche durch den schnellen Hintritt der vom Würgeengel Fortgerafften unmittelbar getroffen und gebeugt einhergehen; nein Alle theilen die Empfindungen des Schmerzes, denn Alle fürchten sich für das Aergste. Ach, es ist ja dieses Aergste nicht das Befallenwerden von dem äußerlichen Uebel, nicht der leibliche Tod; nein, was denen, die tiefer blicken, weit schwerer auf dem Herzen liegt, ist das Bewußtsein der Sünde, das ist die Ueberzeugung; wir haben alle diese Strafe verdient durch unseren Ungehorsam gegen den Herrn; wir leiden, was unsere Thaten werth sind! und Gott, nachdem er lange Geduld getragen, oft und ernstlich gewarnt und gedroht hatte, und dies Alle von der, dem eitlen Wesen ganz hingegebenen Welt übersehen oder gar verachtet war, Gott konnte nun, um seiner Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit willen nicht mehr umhin, er mußte sich der täglich mehrenden Frechheit ein Ziel setzen, auf eine Weise, die auch dem Leichtsinnigsten zum Nachdenken brächte, und ihn fühlen lehrte, daß der Höchste sich nicht ungestraft spotten läßt. aus: A[ugust] F[riedrich] Ideler, Predigt über Ps. 119, 81.82. Gehalten bei der 17ten Jahresfeier der Preußischen Haupt-Bibel-Gesellschaft, am 12ten October 1831, in der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin, in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 76f. Die Cholera läßt uns, seit sie hier ist, viel mehr in Ruhe als in der Zeit, wo sie uns fern war. Ihr Correspondent hat dies vorausgesehen, nicht etwa blos, weil er die Erfahrung für sich hatte, indem es in Moskau, Petersburg, Danzig, Königsberg u.s.w. nicht anders gewesen, sondern auch aus ganz allgemeinen Principien, aus dem trivialsten Grundgesetze für jeden Künstler, nämlich aus dem, daß die Phantasie mächtiger ist als die Wirklichkeit, und daß also jedes drohende Schicksal für den Zuschauer erschütternder ist als das hereingebrochene. So lange die Spitze des tragischen Dolches der Brust droht, zittern wir; ist sie eingedrungen, so sind wir über den Gipfel des Schrecks hinaus und gehen schon der Beruhigung entgegen. Es ist vielleicht nicht so lächerlich, als es scheint, daß ich meine Ansichten über die Cholera aus der Aesthetik geschöpft habe; die ganze Kunst hat zu ihrem Vorwurfe nichts als das menschliche Gemüth und seine wunderbare Natur; Alles, was daher in Beziehung zu diesen steht, soll der Künstler (der wahre) längst erwogen haben, und es dürfen ihm dabei weder in der Wirklichkeit noch in der Kunst fremde, unbegreifliche Erscheinungen aufstoßen, wenn er überhaupt ein Gesetz der Erscheinungen aufgefaßt hat. - Kurz und gut; das Facit der Sache ist, wir haben die Cholera hier und sehen sie viel minder gefährlich an als von weitem. Sie glich einer Wolke, die, aus der Ferne betrachtet, ein schwarzes, undurchdringliches Gebilde ist, das uns wie ein riesiges Gespenst droht, und kommt sie heran, so ist es ein Weniges von feuchtem Nebel, in dem wir noch sehr gut um uns schauen, leben und athmen können. So wahr aber dies Alles auch ist, so gibt es doch eine ganze Classe von Menschen, die das Entsetzen, daß ihr Leben bedroht seyn sollte, gar nicht fassen können. Das Wort Cholera klingt ihnen schon wie die Todtenglocke; die Krankheit setzt ihnen nach wie ein düsteres Gespenst, jeden Augenblick wähnen sie, es habe schon seine Krallen ausgestreckt und sie beim Schöpfe erwischt. Ihr Correspondent hat in der That Dinge gesehen, Aeußerungen gehört, die an das Unbegreifliche gränzen. Die Armesünderangst treibt die jammervollen Leute dermaßen an, daß sie als die lächerlichsten Figuren erscheinen.

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Gewiß ist die Cholera ein ernstes, fürchterliches Uebel, das Europa auf entsetzliche Weise heimsucht; denken wir an ihre Verheerungen in Galizien, in Rußland, zum Theil auch in Danzig und Königsberg; denken wir an die Lähmung alles Verkehrs, an die Stockung aller Gewerbe, die durch sie hervorgebracht wird, so empfinden wir die allgemeine Noth so tief als nur möglich. Aber sehen wir auf der anderen Seite, wie der Mensch in diesem großen Bilde des Unheils nichts sieht als seine eigene elende Gestalt; wie er Alles um sich her untergehen lassen kann, ohne davon bewegt zu werden, oder nur seinen eigenen Staubkörper aus dem Unheile zu retten bedacht ist: so glauben wir sehr gutmüthig zu seyn, wenn wir das als eine Narrheit und Thorheit belachen, was wir vielleicht eine elende Jämmerlichkeit des Kleinmuthes und des Eigennutzes verachten sollten. Wenn nun meine Feder Ihnen ein scherzhaftes Gemälde nicht von dem Jammer der Cholera, sondern von dem Jammer der menschlichen Natur entwirft, die jetzt nackt und bloß ans Tageslicht tritt, so halten Sie Ihren Correspondenten darum nicht für leichtsinnig. Er sagt dies Mal nicht difficile est satiram non scribere, sondern ut satiram non scribam fieri non potest - wenn er nämlich nicht ganz schweigen will. Was aber ist ein schweigender Correspondent, das frag' ich? Am besten teile ich meine Beobachtungen wohl in Wanderungen ein; ich könnte auch Capitel wählen, da man aber die trefflichsten Beobachtungen nur auf der Durchwanderung der Stadt, der Spaziergänge und der öffentlichen Orte macht, so scheint jener Titel zweckmäßiger. Erste Wanderung; auf der Gasse Ich saß ruhig in meiner Stube, als es plötzlich an die Thür donnerte und stürmte; rasch fahre ich auf, öffne und siehe, mein Barbier, der mich eben verlassen hatte, steht vor mir ganz außer Athem. „Was gibt's, Freund?" frage ich erschrocken, denn der Mensch sah so blaß aus wie ein Monarch, wenn er von der Preßfreiheit hört. „Herr" (hier brummte er etwas, weil er mir durchaus einen Titel geben wollte, ich aber keinen habe), „die Cholera ist in Charlottenburg! Eben sind 14 flüchtende Hofequipagen, alle mit Schimmeln bespannt, in vollster Carriere in die Stadt gerasselt!" „Seyd Ihr bei Trost, Freund?" frage ich, „14 Wagen mit Schimmeln?" - „Ja, Herr — ich habe sie selbst gesehen!" Zum Glücke kam mein Aufwärter hinzu, ein alter Husar, der mir das Räthsel löste. Es waren Rappen, Braune, Füchse gewesen, aber alle so mit Schaum bedeckt, daß man sie für Schimmel gehalten. - Hm! Hm! dachte ich, einer Heldenthat sieht diese Flucht nicht eben ähnlich, indessen, sie muß doch ihren guten Grund gehabt haben. Ich fuhr in den Ueberrock, setzte den Hut auf und ging aus, um das Neueste zu hören und zu sehen. Ich war nicht hundert Schritte vom Hause, als ich einen beleibten Hebräer, Jeremias will ich ihn wegen der Klagelieder, die er anstimmte, nennen, vor mir her gehen sah. „Herr Jeremias!" rief ich ihn an, „wohin so eilig?" Der dicke Mann mit seinem schwarzen Backenbarte und der heroischen Adlernase drehte sich um, trocknete den Schweiß von der Stirn und sprach: „Haben Sie nicht gehört? Wissen Sie nicht? Sind Sie noch nicht unterrichtet? Sie ist da, sie ist hier, nun geht's an! „Wer ist da, was soll ich wissen? Was geht an, Herr Jeremias?" - „Die schreckliche Krankheit, die Pest, die Seuche, das schwarze Ungeheuer, das blutgierige Gespenst, der Vampyr" - „Ja, ja; ich verstehe schon", unterbrach ich ihn, „die Cholera. Aber erzählen Sie doch, wie ist sie gekommen!" - „Gleich!" erwiederte Jeremias und zog das Schnupftuch aus der Tasche, mit dem er die Brille abwischte und sich den

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Angstschweiß von der Stirn trocknete. Dann nahm er aus der linken Westentasche ein Fläschchen mit Chlorauflösung, aus der rechten eins mit Essig ä quatre voleurs, roch an beide, besprengte sich mit beiden, besprengte auch seine Kleider, ja das Straßenpflaster, und hub dann an: „Gestern Abend ist in Charlottenburg ein Schiffer erkrankt; in sechs Stunden war er todt, er ist ganz blau geworden im Sterben. Heut hat man ihn secirt und die Cholera erkannt." „Ein Bischen spät," erwiederte ich. „Freilich! Jetzt muß man Hülfe haben, muß man schützen. Ich laufe nach Hause, ich schließe mich ein, ich sperre mich ab. Ich schließe einen dreifachen Cordon um mein Haus. Adieu, Herr Doctor (so nennt mich Jeremias stets), leben Sie wohl, hüten Sie sich, bewahren Sie sich, retten Sie sich!" - So schoß er dahin. Hat ihn die Tarantel gestochen, dachte ich und ging weiter. Da kam mir der Rath Pisperling entgegen, der in einem Schritte, als sey ein toller Hund hinter ihm, die Gasse herablief. „Guten Morgen, Herr Rath!" rief ich ihn an. „Zurück!" schrie er und verdrehte die Augen wild, indem er mir seinen Stock wie einen Spieß vorhielt. „Arrete traitre! Que voulez - vous de moi! Diable!" - „Bester Herr Rath," sprach ich erstaunt, „ich bin ja kein Räuber, kein Bandit, was scheuen Sie sich vor mir?" „Ich scheue Alles, ich scheue Jeden, meinen Freund, meinen Bruder, mein Weib, mein Kind! Alles ist verpestet, Alles vergiftet!" - Ich that, als wolle ich einen Schritt näher treten; der Rath aber sprang drei Sätze rückwärts und rief: Au secours! Au secours! Dann rannte er, wie von Windhunden gehetzt, in die nächste Quergasse und war mir bald aus dem Gesichte. Nicht dreihundert Schritt war ich gegangen, als ich einen Auflauf vor einer Ladenthür sah. Die Leute schlugen sich vor derselben wie in der Hungersnoth vor Bäckerthüren. Ich war neugierig, zu sehen, was es gebe. Von Zeit zu Zeit drang einer aus dem dichten Haufen heraus, schwang etwas Weißes, wir schien es ein Tuch zu seyn, wie eine Fahne, und eilte triumphierend davon. Endlich entdeckte ich den Grund der Sache. Ueber der Thür des Ladens las man mit ungeheuren Buchstaben: „Choleraleibbinden, mit einer besondern, unbedingt schützenden Vorrichtung." Wenn ich Ihnen nun erzähle, daß an diesem Tage alle wollene Decken aufgekauft wurden, die in der Stadt zu haben waren, daß die Camillen und der Flieder um etliche hundert Procent im Preise stiegen, daß man nur mit großer Mühe Kornspiritus haben kann, weil alle Welt sich Orhofte davon auf Lager legt: - so erzähle ich wahrlich nicht zu viel von dem, was ich auf meiner ersten Wanderung erfuhr. Die zweite Wanderung geschah an die Table d'Höte im Caffe Himmel, wie kreuzten sich hier die Gespräche, die Ausrufungen, die Nachrichten, die Besorgnisse! „Haben Sie schon gehört? - Wissen Sie schon? - Sind Sie schon mit einem Dampfapparat versehen? - Ich habe mir zwölf Dutzend wollene Leibbinden machen lassen! - Ich kaufte vier Ohm Kampherspiritus!" — Nachdem sich das Getümmel sich ein wenig gelegt hatte, bat ich um Auskunft über den gestrigen Cholerafall. Ein Mann, der mir ein wenig ironisch aussah, erzählte ihn mir folgendermaßen. „Je nun, es war ein Schiffer, der 14 Tage seine Diarrhoe mit Branntwein zu heilen gesucht hatte; endlich wurde aber doch das Uebel stärker als das Mittel. Er legte sich zu Bett, man holte den Arzt u.s.w. - Allein sein Begräbnis ist die Hauptsache. Die vier Cholerawächter, die den Sarg fortschaffen sollten, bedurften dazu allerdings des Muthes. Die Leute hatten muthmaßlich den Horaz gelesen, der in der 5ten Epistel sagt: In proelium trudit

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inertem, nämlich vis vini\ darum thaten wie wohl, einen tapfern Trunk zu thun, ehe sie den tapfern Strauß bestanden, mit der Choleraleiche über die unruhigen Fluthen der Spree zu steuern bis an den stillen Ort der Bestattung. Allein, nach dem Gesetze der Bewegung theilte sich das Schwanken der Fährleute auch dem Fahrzeuge mit; es kam endlich zu dem Schwerpuncte über seine Basis hinaus und mußte so nach allen mathematischen Gesetzen umschlagen. Daß nunmehr die Leiche im Sarge schwamm, die Fährleute aber untersanken, war aus physikalischen Gesetzen eben so leicht herzuleiten. Einer entrann, um das Unglück - nicht anzusagen; sondern man erfuhr es erst, als der Sarg, gleichfalls nach Naturgesetzen, nämlich dem Laufe des Flusses folgend, vor der Festung Spandau ankam und diese in einen größern Schreck setzte, als wenn ein ganzes Heer mit Belagerungstrain angerückt wäre. Die Thore wurden gesperrt, die Zugbrücken aufgezogen; die Mannschaft trat ins Gewehr — der Sarg wurde durch diese Vorsichtsmaßregeln glücklich aufgehalten, gefangen, und in seinen unterirdischen Kerker gebracht. Auf die drei Choleramänner soll aber ein gewisser Göthe ein Gedicht gemacht haben, das sie allerdings verewigen wird. Es lautet: „Den nenn ich brav und kühn! Ja, der entschließt sich gleich! Dem Regen zu entflieh'η Stürzt er sich in den Teich!" Mit diesen Worten endete mein ironisch lächelnder vis ä vis seine Erzählung, trank sein Glas aus und ging. - Die Andern aber blieben stumm und bleich sitzen, und wollte ihnen kein Bissen schmecken. Ein Nachbar stieß mich endlich an und fragte mich leise: „Sollte Göthe wirklich das Gedicht auf den Vorfall gemacht haben?" „Unbedingt," sagte ich, „nur etwas früher, wie denn jeder große Dichtergeist mit wahrsagendem Blicke in die Zukunft schaut. Die Verse stehen schon in seinen vor 15 Jahren herausgekommenen Werken." „Seltsam, in der That höchst seltsam!" sprach mein Nachbar und ging. Denn es wurde ihm in der That unheimlich zu Muthe. Als die Cholera nunmehr wirklich in Berlin wirklich ausgebrochen war, wollte ich meine dritte Wanderung antreten. Allein ein Wanderer muß unter Menschen, Menschen tragen das Contagium mit sich herum, das Contagium ist gefährlich, Gefahr ist bedenklich - kurz, ich bedachte mich und beschloß vor der Hand, nicht weiter zu wandern, sondern mich abzusperren, vor mein Haus ein dampfendes Gefäß mit Chlorkalk zu stellen, mich in Glanzleinwand zu hüllen, mir ein Magenpflaster von vier Quadratfüßen aufzutragen, meine Wäsche in Chlorwasser, meine Kleider in Essig a quatre voleurs zu tauchen, mir einen Dampfapparat, ein Orhoft Spiritus, einige Scheffel Camillen, kurz, alles das anzuschaffen, was ein vernünftig denkender Mensch jetzt haben muß, und vor allen Dingen Niemanden zu mir zu lassen. Sollte ich den nächsten Termin der Correspondenz noch erleben, so melde ich Ihnen, was mir Weiteres begegnet ist. Indessen behüte Sie Gott. L[udwig] Rellstab, Aus Berlin, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 198-200, 10.-13. Oktober 1831, Sp. 1574ff. Ich habe einen Plan, oder vielmehr Aufforderung: „Aufruf an alle Todesmuthigen, Freie und Unabhängigen in Deutschland und weiter, zur Bekämpfung der Cholera in Vereinigung, unter dem Namen: die Gesellschaft der Brüder und Schwestern vom heiligen Grabe, zu

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solchem Verein Allerhöchsten Ortes eingereicht, und als Krankenpfleger das erste Beispiel zu geben mich erboten, wofür ich ein gnädiges Schreiben empfing, und mich später von der hohen Immediat-Commission bescheiden ließ, da sich in Danzig und selbst in Jaffy ergeben, daß die Cholera nicht so ansteckend für Wärter als ich geglaubt, und in beiden Städten keiner derselben gestorben ist. Wo keine Gefahr - ist kein Verdienst. Auch war es überdies zu spät mit meiner Aufopferung, da inzwischen plötzlich die Krankheit Berlin, dem ich mich freudig weihen wollte, überzogen; man dort sie aber gar nicht fürchtet und es also nicht an Pflege fehlen kann. aus: Ffriedrich Joachim Philipp] v. Suckow, Schutzmittel gegen die Cholerapest, in: Sundine, Nr. 41, 13. Oktober 1831, S. 323. Von gar nicht geringer Bedeutung ist die psychische Behandlung in der Cholera. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß Viele aus Vernachlässigung dieser Seite des ärztlichen Wirkens an der Cholera starben. Man setze sich also in die Lage eines von dieser Seuche befallenen Laien, um seine psychische Stimmung recht lebhaft vor Augen zu haben. - Auf dem hoffnungslosesten Krankenlager anderer Art überläßt er sich mit vollem Vertrauen seinem vielerprobten Arzte, von dessen besonderer Geschicklichkeit er, trotz der Gefahr, in der er sich erkennt, dennoch Rettung erwartet. - In der Cholera sieht er den ältesten, berühmtesten, erfahrendsten, würdigsten Arzt für einen Anfänger an, der Versuche an ihm machen will, ja machen muß. Sein sonstiger Retter ist ihm jetzt ein Gegenstand, wo nicht des Mißtrauens, mindestens nicht des Vertrauens. - Man weiß, wenn man auch von jener andern Wirkung absieht, wie die Furcht, namentlich die Todesfurcht, die Säfte von der Peripherie nach den Centraltheilen, besonders nach dem Unterleibe, treibt, und an und für sich dort die Secretionen vermehrt, Durchfall erzeugt. - Diesem außerordentlichen, höchst verderblichen Einflüsse muß der Arzt mit allen Kräften entgegenwirken. Ich bin zu wenig der Mann dazu, dem es ziemte, seinen Collegen die Heiligkeit ihres Berufs vorzuhalten; wollen sie aber mit glückliches Erfolge die Cholera behandeln, so weiß ich, daß sie schon viel zu thun haben, um den Eindruck ihres Cholera-Mantels zu mindern. - Dreist trete der Arzt, wie zu einem andern Kranken, dicht ans Bette, Sicherheit und Hoffnung drücke sich in seinen Zügen, wie in seinem ganzen Wesen aus, er hebe einzelne gute Zeichen laut hervor, untersuche mit großer Aufmerksamkeit den ganzen Zustand, ohne irgend eine Vorsichtsmaaßregel zum eigenen Schutze sichtbar werden zu lassen; nur der Wunsch, schnell zu helfen belebe sein ganzes Handeln, damit der Kranke erkenne, es sey des Arztes einziges Streben jetzt, ihn zu retten. Bei einem solchen - wahrlich nicht Jedem leichten - Betragen kann es nicht lange dauern, und der Kranke, der zu leben wünscht, hofft auch seine Genesung. - Diese Hoffnung aber thut wahrlich mehr zur Rettung des Leidenden, als alle ärztlichen Kunstschätze der Apotheke, welche von einem Arzte gespendet werden, der, ängstlich in seiner fürchterlichen Vermummung, Schrittweit vom Krankenbette Halt macht, die einzige Öffnung, die die Maske seinem Gesichte läßt, mit der Riechflasche schützend, und sorglich nach Chlorwasser, Essig u.s.w., zu seiner eigenen Rettung, umhersieht! aus: Dr. [Julius] Leviseur, Praktische Bemerkungen über die Choleraepidemie [...], in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 25, 13. Oktober 1831, S. 99f.

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In der Nacht vom 14. auf den 15. October wurde die 65jährige Frau Weber von der heftigsten Cholera befallen, und Morgens 8 Uhr in das Hospital des Hrn. Dr. Bohr gebracht, mit dessen Genehmigung ich bei dieser Kranken die Transfusion anstellte. Der ganze Körper hatte eine Eiskälte und blaue Farbe, und war mit einer kalten Feuchtigkeit bedeckt. Die Augen waren tief in ihre Höhlen zurückgezogen und halb geschlossen, ihr Glanz völlig erloschen. Herz- und Pulsschlag waren nicht fühlbar; sämmtliche Hautvenen waren leer; das Athemholen beschleunigt; die Stimme sehr heiser, die Zunge weiß belegt und kalt; der Athem kalt. Die Kranke erbrach eine weißliche, molkenartige Masse; eine gleiche Farbe hatten auch die flüssigen Stuhlgänge. Unmittelbar nach der Aufnahme hatte Hr. Dr. Böhr ein Dampfbad und Reibungen des ganzen Körpers anwenden lassen. Die Waden wurden mit Senfpflastern bedeckt. Innerlich erhielt die Kranke schleimige Getränke. Die Transfusion machte ich in Gegenwart vieler fremden und mehrer[er] hiesigen Aerzte. Da ich der Kranken vor der Operation etwas Blut abzulassen wünschte, um dem überzuleitenden Platz zu machen, keine der Hautvenen aber etwas gegeben haben würde, so eröffnete ich die Arteria brachialis des linken Armes in der Länge von vier bis fünf Linien. Ich ging dabei sorgfältig zu Werke, indem ich mit gemachtem Hautschnitte das Gefäß von dem umgebenden Zellgewebe befreite. Es flöß aber kein Tropfen Blut aus der Arterie, sondern indem ich die Ränder der Arterienwunde auseinanderzog, zeigte sich ein schwarzes Blutklümpchen von der Größe einer Linse darin, als aber auch dieses hinweggenommen war, kam ebenfalls kein Blut. Da ich die Vene angefüllt sah, so öffnete ich diese, doch brachte ich durch Streichen des Armes nur einige Theelöffel voll heraus, gerade so viel, als sie enthielt; von neuem füllte sie sich nicht wieder, sondern die leere, zusammengefallene Vene lag nun als ein feiner Zellgewebsfaden neben der geöffneten Arterie. Die Hautwunde zeigte überall dieselbe Eiskälte, wie die äußere Oberfläche des Körpers. Während der Verwundung verrieth die Kranke keineswegs Unempfindlichkeit, sondern sie klagte über sehr lebhafte Schmerzen, sprach dabei mit vollkommener Besinnung, und antwortete auf das Bestimmteste auf alle an sie gerichteten Fragen. Nachdem ich nun in die Wunde eine kleine messingene Röhre eingebracht hatt, injicirte ich der Kranken Blut, welches der Hr. Dr. Phöbus dem Hrn. Dr. Wedding, Assistenzarzt des Hospitals abließ. In Zwischenräumen von 6-8 Minuten wiederholte ich die Einspritzung, so daß die Kranke ungefähr binnen 20 Minuten zwei und eine halbe bis drei Unzen Blut erhielt. Außer einer geringen wechselnden Zusammenziehung und Erweiterung der Pupillen veränderte sich anfangs nichts an der Kranken, bald darauf kehrte der Puls abwechselnd an der Arteria aviliaris und dem oberen Theile der brachialis wieder. Nach der zweiten Injection zählte man 55 bis 60 Schläge in der Minute; bald fühlte man ihn auch am linken Arme bis in die Gegend des Ellenbogengelenks. Nach fünf bis sechs Minuten hörten diese gleichmäßigen Schläge wieder auf, und es wurden nun bald an dieser, bald an jener größeren Arterie einzelne Schläge als leiser Nachhall bemerkt. Die Kranke starb zwei Stunden nach der letzten Einspritzung ganz sanft ohne Krämpfe. aus: Dr. J[ohann] F[riedrich] Dieffenbach, Versuche über die Transfusion des Blutes in der Cholera, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde [Berlin], Bd. 22, [Februar] 1832, S. 137ff.

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Der Marqueur Müller, 29 Jahr alt, litt seit 10 Tagen an einem Wechselfieber, als er am 14. Oct. von Durchfall, Erbrechen und Wadenkrämpfen befallen wurde. Am 15. Oct. um 2 Uhr Morgens wurde er mit den Erscheinungen einer intensiven Cholera ins Hospital gebracht. [...] Um 9 Uhr Morgens, als der Kranke schon so aussah, als wollte er jeden Augenblick zu agonisiren anfangen, machte Hr. Prof. DIEFFENBACH die Transfusion, indem er ihm die Vena jugularis externa der rechten Seite öffnete, etwas Blut aus derselben zu entleeren suchte, was aber so gut als gar nicht gelang, und nun einige Unzen des einem gesunden, kräftigen jungen Manne (Herrn Dr. PFEUFER jun. aus Bamberg) in dem Augenblick zuvor entnommen, in einer erwärmten Tasse aufgefangenen, Blutes in der Richtung nach dem Herzen zu einspritzte. [...] Sehr bald nach der Einspritzung bekam er starke klonische Krämpfe in allen Gliedmaßen zugleich, einem heftigen epileptischen Anfall ähnlich, wobei er auch die Augen verdrehte, und sich wiederholt so warf als wollte er die Lage des Opisthotonus (Hals hinten über gebogen etc.) annehmen; zu welcher es jedoch nicht kam; nicht lange darauf trat der Todeskrampf, in der Art wie bei Cholerischen gewöhnlich (Kinnbackenzucken usw.), ein; jetzt untersuchte ich das Herz wieder mit dem Stethoskop, und fand die einzelnen Schläge wohl auch noch schnell, aber sehr unregelmäßig aussetzend, dabei schwach. Im Ganzen lebte der Kranke nach der Transfusion noch etwa 10-15 Minuten. aus: Dr. P[hilipp] Phoebus, Ueber Leichenbefund bei der orientalischen Cholera, Berlin 1833, S. 303f. Zum Beweis, in welchem Grade die Furcht die Prädisposition für die Ansteckung der Cholera vermehrt, dient folgendes Beispiel. Vor einem Hause in Berlin stand eine Anzahl Menschen versammelt. Ein junger wohlgekleideter Mann tritt hinzu und fragt einen aus dem Hause Heraustretenden, was er hier zu thun habe? Der Befragte antwortet: „Hier ist so eben einer an der Cholera verstorben", und entfernt sich schnell. Darauf tritt ein Dritter zu jenem jungen Manne und sagt: „Wissen Sie, mit wem sie so eben gesprochen?" - Nein. - „Mit einem Cholerawärter, der jenen Verstorbenen eingerieben." - Der junge Mann entfärbt sich, sinkt vor Schrecken fast zusammen, wird nach Hause gebracht, und in der Zeit von wenigen Stunden liegt er an der Cholera heftig darnieder. aus: Mannichfaltiges, in: Medicinisches Conversationsblatt, Nr. 42, 15. Oktober 1831, Sp. 336. Da die in meiner Fabrik nach der von mir erfundenen neuen Methode gefertigte Potsdamer Dampf-Chocolade sich wegen ihrer eigenthümlich nahrhaften, stärkenden und heilsamen Eigenschaften, seit Kurzen in den mit der Cholera behafteten Ländern als Präservativ und auch als Genesungsmittel zu Gebrauch für die, die Krankheit überstandenen Personen als besonders heilsam bewährt hat, so habe ich keinen Anstand genommen, dem vielfach ausgesprochenen Verlangen von Liebhabern dieses jetzt allgemein berühmten Fabrikats hiermit entgegen zu kommen, und eine Chocolade als Präservativ wider die Cholera noch ganz besonders aus Bestandtheilen anzufertigen, welche von allen erfahrenen Aerzten in dieser Zeit als bewährt für diesen Zweck anerkannt wurden. Die Zweckmäßigkeit der gewählten Bestandteile dieser Chocolade, welche übrigens einen angenehmen und kräftigen Geschmack hat, ist, außer von mehreren andern angesehenen Herren Aerzten, auch von dem Königl. Geheimen Rath, Generals-Stabs-Arzt der Armee,

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ordentl. Professor und Ritter hoher Orden etc. Herrn Dr. von Gräfe in Berlin, nach damit angestellter Untersuchung, als richtig bestätigt, und führe ich nur mit erhaltener gütiger Erlaubniß zum Beweis das Urtheil des Letzteren hierüber wörtlich an: „Das von Herrn Miethe in Potsdam unter dem Namen Dampf-Chocolade wider die Cholera angefertigte Fabrikat, habe ich geprüft, und gefunden, daß derselben mehrere angemessene, die Verdauungswerkzeuge stärkenden Gewürze in sehr richtigem Verhältniß beigemischt sind. Es kann diese Chocolade besonders zum Frühstück unter den obwaltenden Umständen, wo man durch leicht verdauliche und etwas gewürzhafte Nahrungsmittel die Widerstandsfähigkeit des Organismus erhöhen muß, im Allgemeinen nur nützlich wirken. Geheim-Rath von Gräfe." Ich habe nun von dieser Chocolade zwei Sorten zu verschiedenen Preisen angefertigt, nämlich Chocolade wider die Cholera Nr. 1., a Pfund 15 sgr., und dergleichen Nr. 2, a 10 sgr. pro Pfund, und unterscheidet sich die Nr. 1. von Nr. 2. nur durch eine feinere Chocoladen-Masse, gewähltere Qualität der Ingredenzien, und Verpackung in feinen Englischen Zinnplatten. Dies Fabrikat ist sowohl im In- als Auslande von meinen sämmtlichen HauptNiederlagen zum Fabrikpreis zu beziehen, und haben mehrere derselben schon bedeutende Transporte erhalten. J. F. Miethe, Inhaber der ersten Dampf-Chocoladen-Fabrik. [Anzeige], in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 242, 15. Oktober 1831, [S. 6]. Es ist daher von der höchsten Wichtigkeit, dies erste Stadium zu kennen. Hierselbst ist es in allen Fällen, die zu meiner Kunde gekommen sind, ohne Ausnahme da gewesen, und niemals ist die Cholera ohne vorhergegangenen Durchfall, bei übrigens ganz gutem Befinden, eingetreten. Aus der eigenthümlichen Beschaffenheit der Excremente und der veränderten Physiognomie des Kranken kann man das Daseyn deselben erkennen, und hier wird das Feld seyn, wo die verschiedene Kapazität und das praktische Genie der Aerzte durch frühzeitiges richtiges Erkennen den glücklichen oder unglücklichen Ausgang der Krankheit bedingen. Hier ist warmes Verhalten, Schwitzen und mäßiger Genuß reizlicher schleimiger Nahrung, nebst der Anwendung Schweiß reibender Mittel, Spir: Minderer, Salmiak, Ipecacuanaha, Opium, und den Umständen nach ein Brechmittel, von der höchsten, und letztes häufig von lebenswirkender Wichtigkeit. Ich halte es für nothwendig, Publikum und Aerzte vorzugsweise auf das Daseyn dieses Stadiums, welches hier fast ohne Ausnahme beobachtet worden ist, aufmerksam zu machen, so wie, daß es von erfahrenen Aerzten leicht erkannt und mit Sicherheit geheilt werden könne. Es muß aber dabei gesagt werden, daß eine Vernachlässigung desselben, die um so leichter sei, weil die Kranken sich während desselben wohl und zu allen körperlichen Anstrengungen fähig fühlten, von den bedenklichsten Folgen stets begleitet werde. Auch in Rußland und Polen, so wie in Preußen, ist nach Aussage der daselbst beschäftigt gewesenen und jetzt hier befindlichen Aerzte der Durchfall dem Ausbruch der Cholera fast immer vorhergegangen, und so plötzliche Anfälle ganz gesunder Personen, wie in Indien Statt haben sollen, sind in Europa nur selten und ausnahmsweise beobachtet worden. Doch ist es häufig sehr schwer, das erste Stadium von einer gewöhnlichen rheumatischen Di-

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arrhoe zu unterscheiden. Das zweite Stadium der Cholera-Seuche ist das der eigentlichen Cholera, wie wir sie meistens in den Hospitälern, und zwar sterben, sehen: Es ist ein Tod bei lebendigem Leibe, und wenigstens die von der Heilkunde ausgehende Hülfe höchst precair. Dasjenige, was in Betreff der Mittel wie der ganzen Behandlung mir am wohlthätigsten und nützlichsten erschienen ist, habe ich in meinem vorigen Berichte bereits angegeben. Eine rationelle, einfache und darum auch von ziemlich günstigem Erfolge begleitete Behandlungsart habe ich in dem neu errichteten Cholera-Lazarethe No. IV. unter Direction des Medizinal-Rathes Dr. Casper gesehen. Wie bereits erörtert, es gibt keine Nüancen und Modifikationen der Krankheit; sie ist vielmehr überall dieselbe und durchaus von gleichem Character. Hier habe ich das gesehen, und von anderen Orten erzählen dasselbe die Aerzte, welche da waren. Es gibt nur verschiedene Grade der Heftigkeit und Bösartigkeit. Dagegen aber ist das Bild der Erscheinungen durch die Individualität jedes Kranken modificirt, und es ist eine wohl begründete Behauptung, daß eine glückliche Behandlung der Cholera noch mehr, wie die jedes anderen Uebels, auf Individualisirung der Kranken beruhen muß. Dies ist die Hauptsache und alsdann erst muß nach den sich vorfindenden und daraus sich ergebenden Indicationen gehandelt werden. Das dritte Stadium ist dasjenige, wo die Natur mit der Krankheit den Kampf beginnt, und dieselbe von sich abzustoßen versucht. Das Blut versucht wieder in den Adern zu circuliren. Es ist daher vorzugsweise durch Erscheinungen passiver Congestionen, besonders nach dem Kopfe und Bauche, neben ungemeiner Lebensschwäche bezeichnet. Oft wird dieser Kampf leicht, oft aber tritt das sogenannte (aber ganz eigenthümliche) typhöse Verhalten hier ein. Die Reconvalescenz ist meistens sehr langwierig, wie nach hartnäckigen Wechselfiebern. Die Kräfte kehren langsam zurück; das Aussehen bleibt lange cachectisch. Doch richtet sich auch dies nach der Heftigkeit und Dauer der Krankheit. Es ist auffallend, welch entschieden ungünstigen Einfluß das seit zwei Tagen eingetretene naßkalte feuchte Wetter auf Vermehrung der Cholerafälle gehabt hat. Man sieht jetzt wieder recht bösartige schnell tödtende Formen. Die von meinem Freunde Dieffenbach versuchte Transfusion des Blutes ist, wie zu erwarten, ohne Erfolg geblieben. [...] Es ist in Berlin für die Verpflegung und Aufnahme der Kranken in der That, unter den in meinem Berichte erörterten Verhältnissen und bei der Kürze der Zeit, wie bei der anfänglichen Ueberraschung, das Mögliche geleistet, und es greifen die eben so weise angeordneten als richtig organisirten Schutzcommissionen wöchentlich in Beschäftigung, Ernährung und Bekleidung der ärmern Klasse, so wie in Verpflegung der Erkrankten ein. Es ist hier schon mehrmals gesagt worden, man müsse eigentlich den Gesichtspunkt festhalten, daß diese Commissionen vorzugsweise für die Gesunden da seyen, und sie gesund erhalten müßten. Dies ist sehr richtig, denn in der That steht hier ein weites und wohl zu bestellendes Feld einer seegensreichen Wirksamkeit offen. Es müssen zu diesen Vereinen, wie ich bereits bemerkte, angesehene und beliebte Bürger gezogen, es müssen Vereine zur Austheilung warmer Speisen, zur Verbesserung der Wohnungen und Bekleidungen der Armen gebildet, so wie überhaupt alle Maasregeln möglichst zur Ausführung gebracht werden, welche auf das allgemeine Gesundheitswohl einen wohlthätigen Einfluß haben. Im Allgemeinen ist der Gesichtspunct feststehend, daß alle Vorkehrungen möglichst milde und wenigst beschränkend sein müssen. Die Hauptsache bleibt, wie ich bereits früher

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anmerkte, daß schleunigst die Schutzcommissionen gebildet, Lazarethe in völligen Stand gesetzt und überhaupt viel gehandelt werde. Wahrscheinlich wird in der neuen Verordnung die Einrichtung der Gesundheitspässe für Reisende, so wie die Wohnungssperre der Erkrankten beibehalten werden. Von der Nothwendigkeit der ersten Maasregel bin ich vollkommen überzeugt. Aus den in meinen Berichte angegebenen Gründen, insbesondere aber aus der fremdartigen, nicht auf unserm Boden entsprossenen, sich durch ihre eigenthümliche Erscheinung kund gebenden Natur der Cholera bin ich fest überzeugt, daß zwar die eigenthümliche, jeder Epidemie als solcher zum Mutterboden dienenden Beschaffenheit der Atmosphäre, die Verbreitung der Seuche bedingt und vornämlich begünstigt, daß dieselbe aber ursprünglich und meistens nachweisbar zuerst durch Verschleppung an einen Ort gebracht wird, mithin sich nicht von selbst erzeugt. Einmal erzeugt, ist aber das Contagium bei der Weiterverbreitung Nebensache. Nur durch Reisende kann dasselbe verschleppt werden, und zwar durch scheinbar, aber auch nur scheinbar Gesunde. Ich muß nämlich auf den ebenfalls schon früher erörterten Punkt zurückkommen, daß wahrscheinlich das erste Stadium der Cholera, der Durchfall eigenthümlicher Beschaffenheit, am meisten oder vielleicht ausschließlich ansteckt. Bei diesem Durchfall sind aber die Leute gesund gehen umher, essen, arbeiten, und haben dennoch die Cholera. Gute und kräftige Naturen kommen oft, besonders bei zweckmäßigem Verhalten, ohne weitere Zufalle davon. Die Natur befreit sich durch Krisen, besonders durch Schweiß davon. Ich muß bemerken, daß alle fremde Aerzte, welche sich hier zur Beobachtung der Cholera befinden, einstimmig über die starken nächtlichen Schweiße beklagen, und diese Erscheinung, welche aus keiner besondern in der Diät liegenden Ursache abzuleiten ist, vielmehr auch, den eingezogenen Erkundigungen nach, hierselbst jetzt häufig beobachtet wird. Ein interessantes Beispiel, wie auf diese Weise Gesunde oder gesund werdende anstekken können, steht in der letzten No. der Berliner Cholera-Zeitung. aus: Kreis-Physikus Dr. Carl Heinrich Ebermaier an eine Königliche Hochlöbliche Regierung zu Düsseldorf. Berlin, 15. Oktober 1831 [2. Situationsbericht], in: Landeshauptarchiv Koblenz, Abteilung 403, Oberpräsidium Rheinprovinz, Acta 2295. Lieber Bruder in Apoll, Mein Brief soll Dir Trost bringen. Du machst Dir, lieber Carl, von der Cholera etwas allzuschwarze Begriffe. Wahr ist's, daß sie täglich, im Durchschnitt angenommen, ein halb Schock Menschenleben wegrafft, man muß es aber dankbar anerkennen, daß sie auch viel Gutes gestiftet hat. Eine Melone, die sonst in unserm Sandtropen-Lande 20 Silbergroschen gekostet hat, ist jetzt für 2 Silbergroschen zu haben. Der arme Mann, der seinen Magen sonst mit Kartoffeln ausgefüttert hat, stillt jetzt seinen Hunger mit Melonen. Zwar soll diese Fruchtgattung zu jenen gehören, die mit der Cholera in geheimer Correspondenz stehen; dies hat aber nichts zu sagen, Leute, welche den Schiller gelesen haben, essen trotzdem Melonen, sie resigniren sehr gern auf jenen langweiligen Traum, den einige Murmelthiere Leben nennen, denn sie kennen die Verse: Das Leben ist der Güter höchstes nicht, Der Uebel größtes ist - die Schuld.

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Das Wort Schuld erinnert mich an Schulden, und die Schulden bringen mich rasch auf ein anderes Kapitel. Gleich bei der Ankunft der Cholera in Berlin, hat man für gut befunden, die sämmtlichen Schuldgefangenen ihrer Haft zu entlassen. Die Cholera hat vielen hundert Personen ihre Freiheit wiedergegeben, mithin abermals ein höchst gutes und vortreffliches Werk gestiftet. Man kann jetzt Schulden machen, ohne sich der Gefahr auszusetzen: eingesperrt zu werden. Carl Ruf, der geniale Lump in der Schachmaschine, behauptet: Schulden führen zur Unsterblichkeit. Er hat recht, darum kann ich's auch Keinem verargen, wenn er, um zur Unsterblichkeit zu gelangen, täglich neue Schulden macht, zumal jetzt, wo dabei wenig oder gar nichts zu riskiren ist. Auch jene, welche wegen verübter Real- und Verbalinjurien im Gefängniß saßen, sind großmüthig entlassen worden. Drei Monate früher hätte auch ich von dieser Großmuth der hochlöblichen Justiz etwas profitiren können. Der arme Mann kann jetzt Melonen essen, Schulden machen und Leute injuriren; gestehe selbst, daß er der Cholera Privilegien zu verdanken hat, die, um mit den Berlinern zu reden, gar nicht von Stroh sind. Das Beste kommt erst. Der Cholera verdanken wir's, daß endlich einer unser langgenährtesten und sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen. Wir dürfen jetzt - incredible dictu - nicht nur Cigarren, sondern auch Tabak rauchen, nicht nur auf offener Straße, sondern auch im Thiergarten rauchen, nicht nur rauchen, sondern gar paffen. Wäre dies schon vor einem Jahre erlaubt gewesen, so hätten wir die große Schneiderwoche und die September-Unruhen nicht erlebt, denn die allererste Forderung der preußischen Septembriseurs war ja „Tabakrauchen im Thiergarten". In den Straßen Berlins sieht man jetzt Leute von jedem Kaliber mit einem brennenden Glimmstengel im Munde. Man kann jetzt nicht drei Schritte weit gehen, ohne einer dicken Rauchwolke zu begegnen, die uns sans fagon ins Gesicht fährt. Unsere Damen hüsteln zwar, denn der blaue Dunst fällt ihnen gar sehr auf die Brust; dies Hüsteln nützt ihnen aber wenig, die Männer lassen sich nicht stören, hängen mit einer wahren Wollust ihrer Lieblingsneigung nach und rauchen jetzt nicht nur blos vor Zorn, sondern auch vor Freude. Pfeifen confisciren und Rauchende mit einer Straße von 2 Thalern zu belegen, dies ist einstweilen ganz aus der Mode gekommen. Die Zeit ist hin, wo Bertha spann und die Gensd'armerie Pfeifen wegnahm; und für die leidenschaftlichen Tabakraucher ist eine schöne Morgenröthe ausgegangen, und ein goldenes Zeitalter zurückgekehrt. Seitdem es erlaubt, auf den Straßen Tabak zu rauchen, seit dieser Zeit setzt Herr Muhr, der Matador der Tabakshändler, zehn Mal mehr Knöller und Varinas, Bremer und Havannah ab. Wohin wir unsern Fuß setzen - treten wir auf einen ausgebrannten Cigarren-Krater, auf die rauchenden Ruinen eines Glimmstengeis. Ganz Berlin ist jetzt ein großes Estaminet, in welchem Alles raucht, ohne Unterschied des Standes, des Alters und der Religion. Hier raucht ein modischer Ladenschwengel, dort ein pflastertretender Rentier, hier ein grübelnder Doctor, dort ein rechnender Sensal; Alt und Jung, Reich und Arm, Alles raucht. So oft ich einen Menschen sehe, der eine Cigarre oder Pfeife im Munde hat, fällt mir das Couplet aus dem Zinngießer ein: Ueber die Beschwerden dieses Lebens Klagt so manche dumme Schnack. Ach, es geht doch nichts auf Erden Ueber eine gute Pfeif Tabak.

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Heinrich hat Recht, und weil er Recht hat, sollte die Polizei das Rauchen, als GrillenVerscheuchungs-Mittel, nicht nur jetzt, sondern auch zu allen Zeiten gestatten. Die Seuche ist übrigens Gottlob nicht so furchtbar, als man sie ausgeschrieen. Sie verfährt, man muß es ihr nachsehen, in unsern Mauern weit milder und schonender, als in andern Orten. Dieu nous en garde! [Anonym.] Briefe über Berlin, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 241, 17. Oktober 1831, S. 974f. Die überaus große Zunahme der Kinder des Friedrichs-Waisenhauses, besonders solcher Eltern, die durch die Cholera-Epidemie dahin gerafft sind, veranlaßt die unterzeichneten Curatoren, bei einem verehrten Collegoi den dringenden Antrag zu machen, daß der Anstalt auf das Schleunigste ein Local angewiesen werde, in welches sie einen Theil der Kinder versetzen kann, um für die zuströmenden neuen Ankömmlinge Raum zu schaffen. Das Waisenhaus ist nur für 250 Kinder eingerichtet, hat aber davon jetzt bereits 260, und wöchentlich sind 15 bis 20 neu Eintretende zu erwarten; dabei ist das in Pflege geben der Kinder gegenwärtig fast ganz unmöglich [...]. aus: Curatoren des Friedrichs- Waisenhauses an die Armen-Direktion. Berlin, 17. Oktober 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 246. Am 5ten Juni c. befahlen des Königs Majestät das Zusammentreten eines GesundheitsComites für Berlin, welches unter der Leitung des Generallieutenants und Commandanten Herrn v. Tippeiskirch und des wirklichen Geheimraths und Oberpräsidenten Herrn v. Bassewitz, Excellenzien, diejenigen Gegenstände berücksichtigen und vorbereiten sollte, welche für Berlin und dessen Umgegend für den Fall eines Ausbruchs der Cholera hierselbst oder in Rücksicht der Communication mit schon verdächtigen oder inficirten Gegenden, wie z.B. mit Danzig, von Wichtigkeit sein möchten. Zu Mitgliedern des Comics wurden ernannt, und zwar militairischer Seits: die Abgeordneten der in Berlin befindlichen drei Generalcommando's, Herren Obersten v. Bötticher (als dessen Stellvertreter später: die Herren Majore v. Bonin und v. Döring) und Graf v. d. Gröben und Herr Major v. Gerlach (stellvertretend: Herr Major v. Auerswald), so wie der Herr Gen. Stabsarzt und Geh. Ob. Med.-Rath Dr. Büttner und der Gen. Arzt des Garde Corps Herr Dr. Starke·, von Seiten des Civils: der Herr Polizeipräsident (v. Esebeck, später v. Arnim), und der bei dem Polizeipräsidio fungirende ehemalige Polizeidirector Herr Titz, ferner der Herr Bürgermeister und Regierungsrath v. Bärensprung, Herr Staatsrath Vetter und Stadtverordneten Vorsteher Herr Desselmann, nächstdem die Herren Oberregierungsrath du Vignau, Regierungs-Medizinalrath Dr. Barez und Med.-Rath Dr. Eck. Später wurden noch zur Theilnahme an den Berathungen, welche im Lokale der Königl. Kommandantur gehalten wurden, eingeladen: Herr Bischof Neander und Herr Geh. Med.-Rath Dr. Kluge. Die Anforderung des Augenblicks war, der Einschleppung der Cholera aus den davon inficirten entlegeneren Orten entgegenzuwirken und für den Fall, das solche dennoch erfolgte, vorläufige Einrichtungen zu treffen. Zur Ergänzung der in den vorwärts gelegenen Regierungsbezirken angeordneten Maßregeln ward deshalb die Aufsicht über die einpassirenden Fremden an den Thoren und in den Gasthöfen verschärft, in dem, auf vier Monate gemie-

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theten, sogenannten Schlößchen vor dem Frankfurter Thore eine Contumazanstalt vorschriftsmäßig eingerichtet, und jeder aus einem inficirten Orte, ohne zuvor abgehaltene Contumaz ankommende Fremde darin untergebracht, die Ärzte wurden aufgefordert, jeden in seinen Symptomen der Cholera auch nur ähnlichen Fall sofort anzuzeigen, die die Beförderung der Reinlichkeit in den Straßen und Gebäuden bezweckenden polizeilichen Vorschriften wurden mit besonderer Beziehung auf die Zeitumstände erneuert und die sämmtlichen Armenkommissionen noch besonders von Seiten des Magistrats durch ein Rundschreiben (v. 18. Juni) aufgefordert, bei den Almosenempfängern ihrer Bezirke und den denselben, besonders in Beziehung auf die Befreiung von der Miethssteuer etc., gleichzustellenden Personen auf die Beobachtung von Reinlichkeit in jeder Hinsicht, und die Vermeidung jedes Übermaßes, besonders im Genuß hitziger Getränke zu wachen, die Wohnungen der Armen öfter als gewöhnlich zu inspiciren, die überfüllten anzuzeigen u.s.w. Für den Fall des plötzlichen Ausbruchs der Cholera wurde zur Unterbringung der ersten Kranken, in Übereinstimmung mit dem Königl. Curaturio für die Krankenhausangelegenheiten das sogenannte Pockenhaus in der Kirschallee vor dem Oranienburger Thore (eine Filialanstalt des Charitekrankenhauses) bestimmt und eingerichtet, der nöthige Bedarf an ärztlichen, öconomischen und Wärterpersonal, so wie an Transportmitteln für diesen Fall bereit gehalten, und den bei diesen Maßregeln besonders interessirten Beamten und Hauseigenthümern von den erlassenen „vorläufigen Bestimmungen" unterm 28. Juni c. Kenntniß gegeben. Nächstdem schritt das Comite zur Bildung derjenigen Behörden, welchen unter seiner oberen Leitung das Detail der Verwaltung sämmtlicher auf die Cholera hierselbst bezüglichen Angelegenheiten anheimfallen sollte. Als Centraipunkt für diesen Zweck ward eine „ Verwaltungsbehörde des Gesundheits-Comites" gebildet, welche, wie aus den öffentlichen Bekanntmachungen vom 6. Juli, 23. und 27. August hervorgeht, aus Deputirten vom Militair, aus Polizei-, Medizinal- und Communal-Beamten, bestehend unter dem Vorsitz des Hrn. Polizeipräsidenten, in vier Abtheilungen, die auf militairische, polizeiliche, Sanitätsund Communalverhältnisse sich beziehenden Gegenstände bearbeitet, und seit dem 2. August in Wirksamkeit ist. Als die Organe dieser Behörde, welche im Lokale des Königl. Polizeipräsidii ihren Sitz hat, wurden zur Wahrnehmung der Geschäfte in den einzelnen Abtheilungen der Stadt nach den Grenzen der Armenbezirke 61 Civil-Schutz-Commissionen gebildet. Die Communalmitglieder derselben wurden von der Stadtverordnetenversammlung gewählt, von dem Magistrate bestätigt und mit einer Bestallung versehen; die ärztlichen und polizeilichen Mitglieder aber, deren erste gleichfalls eine besondere Bestallung von der Verwaltungsbehörde erhielten, ernannte das Polizei-Präsidium, die Vorsteher der CivilSchutzcommissionen endlich und deren Stellvertreter wurden von den Mitgliedern selbst gewählt, von dem Magistrate bestätigt und durch diesen der Verwaltungsbehörde namhaft gemacht. Die Zahl der zu einer solchen Schutzcommission gehörenden Mitglieder mußte in den einzelnen Bezirken eben so verschieden ausfallen, als der Umfang der besonders mit Rücksicht auf die Verhältnisse der Armenpflege gebildeten Bezirke selbst verschieden ist. So wie namentlich die Häuserzahl in den letzteren circa von 25 bis 450 und die Seelenzahl von 1400 bis 12.000 variirt, so konnten in manchen Bezirken 15 Schutz-Commissionsmitglieder genügen, in anderen aber die Hülfsleistungen von 60 bis 80 die zur Theilnahme an den Berathungen selbst wieder einen Ausschuß von 15 wählten, recht sehr ersprießlich sein. Bei der Zutheilung der Ärzte an die einzelnen Commissionen mußte nebst dem Um-

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fang der Bezirke der letzteren auch auf die Wohnung der ersteren Rücksicht genommen werden, daher ist für manche Commissionen nur Ein Schutzarzt, für andere sind deren bis Neun ernannt. Nur ausnahmsweise und in Revieren, wo es an approbirten Ärzten fehlte, wurden Wundärzte mit herangezogen. Die Zahl der executiven Polizeibeamten wurde in Folge dieser Organisation gleichfalls verstärkt. Am 18. und 20. August erfolgte die Constituirung der einzelnen Civil-Schutzcommissionen, deren Mitglieder unterm 27. Aug. sammt denen der Verwaltungsbehörde öffentlich bekannt gemacht wurden. Von Seiten des Militairs sind für eine jede Kaserne und jedes besondere Militair-Etablissement aus dem daselbst befindlichen Truppentheile eigene militairische Schutzcommissionen aus einem Stabsoffizier als Präses, einem Capitain oder Rittmeister, zwei Lieutenants und einem oberen Militairarzte bestehend, gebildet und gleichfalls mit der Verwaltungsbehörde in Verbindung gesetzt worden. Zur Instruction der gesammten Schutzcommissionen hat das Gesundheits-Comite eine Verordnung abgefaßt, welche in derjenigen Form, wie sie von der Königl. Immediatcommission zur Abwehrung der Cholera nach mehrfachen Besprechungen und Modificationen genehmigt worden, unterm 23. Aug. erschien. Besondere Beilagen enthielten eine Belehrung über die gegen die Cholera anzuwendenden Schutzmaßregeln und ersten Hülfsleistungen, desgleichen eine Anweisung zu dem Desinfectionsverfahren, Schemata zu Rapporten u.s.w. In einem Auszuge aus der erwähnten Verordnung theilte die Verwaltungsbehörde mittelst öffentlicher Bekanntmachung vom 4. Septbr. nochmals die Hauptpunkte mit, auf welche die Einwohner überhaupt, insbesondere aber die Mitglieder der einzelnen Schutzcommissionen vorkommenden Falls zu achten haben, und eben so wurde unterm 6. ej. m. auch aus der die Schutzmaaßregeln und ersten Hülfsleistungen betreffenden Belehrung für das Publikum noch ein allgemein faßlicher Auszug mittelst Anschläge etc. zur öffentlichen Kenntniß gebracht. - Für das Militair hatte endlich des kommandirenden Generals Herzogs Carl von Mecklenburg Hoheit in Übereinstimmung mit dem Gesundheits-Comite unterm 24. August noch eine besondere Instruction erlassen. Zur unentgeldlichen Aufnahme von Cholerakranken, welche wegen Mangels der nöthigen Pflege in ihren Wohnungen nicht bleiben können oder wollen, sind besondere öffentliche Heilanstalten eingerichtet und mit dem nöthigen Bedarf auf das Vollständigste eingerichtet worden. Es sind dies namentlich: die Heilanstalt Nr. 1 in der neuen Königsstraße Nr. 13 (eröffnet den 6. Septbr.; vorstehender Arzt: Dr. Romberg), die Heilanstalt Nr. 2 in der Louisenstraße Nr. 32 (eröffnet den 9. Septbr.; vorstehender Arzt: Dr. Boehr), die Heilanstalt Nr. 3 in der Kirschallee vor dem Oranienburger Thore (eröffnet den 30. August; vorstehender Arzt: Hr. Stabsarzt Dr. Bahn), die Heilanstalt Nr. 4 in der Kochstraße Nr. 30 (eröffnet den 2. Oktober; vorstehender Arzt: Medic.-Rath Dr. Casper), endlich die Heilanstalt Nr. 5 in der Gartenstraße Nr. 92 (eröffnet gleichfalls Anfangs Oktober; vorstehender Arzt: Hr. Dr. Thümmet). [...] Um jedem Übelstande, welcher aus der Benutzung der gewöhnlichen, theils innerhalb der Stadt, theils an umbauten Stellen gelegenen hiesigen Begräbnißplätze erwachsen könnte, sicher zu begegnen, hat sich die Fürsorge der Behörde auch auf die Einrichtung von besonderen Begräbnißplätzen erstrecken müssen. Davon ist der eine zwischen dem Landsberger und Frankfurter Thore neben dem dort schon vorhandenen Kirchhofe, der zweite auf dem Wedding unweit des dortigen Armenkirchhofs, und der dritte in der Hasenheide neben dem

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sogenannten Franzosenkirchhofe gelegen. Alle diese Friedhöfe sind im Innern auf die herkömmliche Weise eingerichtet und am 1., 20., und 21. September sowohl nach dem evangelischen als katholischen Ritus resp. durch die Herren Superintendenten Schultz und Pelkmann, Prediger Ideler und den katholischen Probst Hrn. Fischer feierlich eingeweiht worden. Seitens der Vorsteher der Bekenner des mosaischen Glaubens ist ebenfalls eine eigene Begräbnißstätte, neben der bisherigen, eingerichtet. - Damit die Beerdigungen selbst ordentlich und anständig vollzogen werden, sind besondere Maßregeln, deren später näher gedacht werden wird, getroffen und die in dieser Hinsicht geäußerten Wünsche des Publikums möglichst berücksichtigt worden. Zur Unterbringung derjenigen Angehörigen von Cholerakranken, welchen die Verhältnisse nicht gestatten, die vorgeschriebene Contumaz in ihrer Wohnung abzuhalten, sind besondere öffentliche Contumazanstalten errichtet worden. Als erste Contumazanstalt wurde das früher für zu contumazirende ankommende Fremde und Waaren benutzte Schlößchen am Frankfurter Thor übernommen; eine zweite dergl. Anstalt ist in der sogenannten „neuen Welt" eingerichtet und zu gleichem Behuf noch das ehemalige Gebäude der geburtshülflichen Universitäts-Klinik in der Oranienburger Straße von des Königs Majestät der Commune für die Dauer des diesfälligen Bedarfs Allergnädigst bewilligt worden. aus: £., Was ist in und für Berlin gegen die Cholera geschehen, in: Berliner CholeraZeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 11, 18. Oktober 1831, S. 9 I f f . August Voigt. 8 Jahr alt. Recipirt den 17. Oct. 2 Uhr Nachmittags. Aetiologie. Seine Mutter heute, der Bruder vorgestern an der Cholera gestorben. Stat. praes. Physiognomie grünblau, charakteristisch; Leib nicht schmerzhaft; Puls fehlt; Athemholen beengt; Stimme heiser; Zunge gelb belegt, kühl; Erbrechen sehr häufig, molkig; der Durchfall ebenso charakteristisch; Urin fehlt; Hände blau, rugös. Verordn. Frict. acr. (aus Spirit, camph. Tinct. canth. und Tinct. capsici) Inf. camph. succ. (Inf. herbae menth. p. Unc. vj., Camph. Gr. vj., Pulv. gum. mimos. Drchm. jj., Liq. ammon. sue. Drchm. jß., Sach. albi Unc. ß.) stündlich einen Eßlöffel voll. Abends 8 Uhr. Der Zustand fast derselbe, nur der Puls fühlbar, härtlich. Verordn. Aderlaß von 6 Unzen und Sinapismen in die Herzgrube. 18. Oct., Vormittags 10 Uhr. Hände noch runzlich; Prostation groß; Leib schmerzlos; Wärme sehr gering; Bewußtsein vollkommen; kein Krampf; Stimme heiser; Erbrechen sehr häufig; dreimaliger flockiger Stuhlgang. Verordn. Bad von 30° R; Inf. Camph. succin. und Aderlaß von sechs Unzen. Um 3 Uhr Nachmittags. Schmerz im Leibe; sehr warme, weiche und trockene Haut; sopor. Verordn. Kalte Begießung im warmen Bade. 8 Uhr Abends. Wärme erscheint mehr; Puls mehr entwickelt, 120 Schläge, sehr voll, Heiserkeit verschwunden; Zunge warm; Erbrechen sehr häufig. Verordn. Clysma acid, aus einer Tasse Wasser und eben so vielem Wein-Essig. 19. Oct., 10 Uhr Morgens. Physiognomie wenig eingefallen, warm; Haut trocken; Finger nicht mehr rugös, Sopor dauert fort; Puls 120, klein; Stimme ziehend, Zunge belegt, warm, trocken; Erbrechen hat nachgelassen; Harnabgang hat sich eingefunden. Verordn. Kalte Begießung im Lauwarmen Bade und Inf. valer. acid, stündlich 1 Eßlöffel.

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Um 3 Uhr Nachmittags gras-grünes Erbrechen; sehr besinnlich; nicht mehr soporös; Puls 120, härtlich. Verordn. Um 4 Uhr kaltes Sturzbad. 8 Uhr Abends. Stuhlgang und Erbrechen mit Würmern. Zustand derselbe. 20. Oct., 10 Uhr Morgens. Haut warm; Bewußtsein vollkommen; Puls 100, klein; Athmen frei; Stimme gewöhnlich; Rumpf mäßig warm. Uebrigens der Zustand unverändert. Verordn. Wie vorher. 3 Uhr Nachmittags. Sturzbad. Inf. valer. acid. 21. Oct., Morgens. Stuhlgang flüssig, säkulent; Puls 120 härtlich, voll; hat Urin gelassen; Haut feucht; Zunge normal; Unterleib noch rugös; Augen klar; Zustand beruhigend. Verordn. Inf. valer. acid stündlich. 3 Uhr Nachmittags. Gesicht etwas roth; Puls voll. Verordn. Fußbad mit Senfpulver. 22. Oct., Morgens 9 Uhr. Es gehet besser; beruhigender Zustand; keine Arznei mehr. 24. Oct. in die Contumaz. Auguste Winterfeldt, 10 Jahr alt. Erkrankt den 18. Oct., Morgens um 5 Uhr. Recipirt denselben Morgen um 9 Uhr. Dieses Mädchen, das mit der ausgebildetsten Cholera paralytica, ohne Puls und Herzschlag, über den ganzen Körper kalt, marmorirt, mit heftigen Krämpfen, charakteristische Stimme und in höchstem Grade collabirt, ins Spital gebracht wurde, ließ höchstens noch zwei bis dreistündige Lebensdauer hoffen. Nach der Anwendung einiger Sturzbäder kehren Puls und Wärme schon am Nachmittage zurück, und so wurde es bis zum 25. unter ähnlicher Behandlung, wie die Zeiler, erhalten, wo es an den Folgen des typhösen Zustandes, nachdem sich noch zuletzt im Rumpfe der varizellartige Aus[s]chlag gezeigt hatte, Abends um 8 Uhr starb. aus: Dr. [David] Heilbronn, Mittheilungen über die Cholera-Epidemie in Berlin. Aus Berichten an die Königl. Regierung zu Minden, Minden 1831, S. 59ff., 75. Die Furcht vor der Cholera wird gewöhnlich als eine Ursache der Krankheit angeführt. Es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß in einzelnen Fällen eine übermässige Ängstlichkeit die schon vorhandene Disposition zur Cholera gesteigert haben mag; aber es kann die Furcht unmöglich weder als eine für sich hinlängliche, noch sonst als eine Hauptursache der Krankheit betrachtet werden. Es ist notorisch, daß fast Alle aus den höheren Ständen in Berlin, die sich vor der Krankheit entsetzten, davon frei geblieben sind, und andererseits zeigt die große Anzahl von erkrankten Kindern, bei denen gar keine Besorgniß angenommen werden kann, so wie von Leuten, welche der Krankheit gegenüber den entschiedensten Muth gezeigt haben, und doch von derselben ergriffen worden sind, daß der Gemüthszustand des Individuums über die Aufnahme des Choleragiftes und dessen innere Aneignung nicht wesentlich entscheidet. aus: Dr. [Ernst] Horn, [Seit dem 30sten August], Berlin, 18ten October 1831, S. lOf.

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Der Bach kann vertrocknen oder überströmen, und dadurch sich verlieren, das Weltmeer kann stürmen und ruhen, aber nicht vergehen; jenen regulirt menschliche Kunst, dieses erhält das ewige Naturgesetz. Hierin liegt der Schlüssel sowohl zu den einzelnen Krankheiten, als zu den in der Geschichte nicht selten vorkommenden Seuchen, zu welchen die jetzt herrschende Cholera gehört, die gleichsam als Reinigungskrankheit anzusehen ist, welche in Asien das quantitative Uebermaaß der Menschen verringert, in Europa die durch naturwidrige Lebensweise geschwächte Generation heimsucht, um einer neuen gesunderen Platz zu machen. Die Choleraepidemie als solche ist daher einer pathologischen Sündfluth vergleichbar, mit den Gewässern durch die Luft von ihrem ursprünglichen Herde aus, begünstigt durch die bei kriegführenden Armeen nicht zu vermeidenden Verhältnisse, zu uns hergekommen, und die Geschichte ihrer Wanderung in Raum und Zeit lehrt uns, daß sie, den ersten Theil des Weges sich selbst überlassen, wie ein reißender Strom mit furchtbarer Heftigkeit und Schnelligkeit fortbrauste, später aber in den civilisirten Ländern, durch die von der Heilwissenschaft geleiteten Staatsmaaßregeln bekämpft, zwar alle Hindernisse ihres Fortschreitens besiegt, aber um vieles milder und langsamer sich ausbreitete. aus: Dr. Mioritz] Kaiisch, Zur Lösung der Ansteckungs- und Heilbarkeitsfrage der Cholera. Der Beruhigung des Publikums und dem Fond für die durch diese Seuche Verwaisten gewidmet, Berlin [Herbst] 1831, S. 8. Sollte sich durch die vorliegenden Beobachtungen ein Einfluss der atmosphärischen Dunstmenge auf den Verlauf der Krankheit als sehr wahrscheinlich darstellen: so ist damit weder bewiesen, dass die Krankheit diesem Dunste ihr Entstehen verdanke, noch dass sie nicht auch andern atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt sei. Wir haben Gründe, zu vermuthen, dass auch die Luft-Electricität in einem gewissen Zusammenhange mit der Krankheit steht, da sich nach einigen Beobachtungen heftige Gewitterregen als heilbringend bewährt haben sollen, auch in Wien gerade beim Eintreten der Cholera nach den Zeitungsnachrichten schwache Luft-Electricität beobachtet sein soll. Es sind mit keine electrometrischen Beobachtungen bekannt, die hier am Orte in dieser Zeit angestellt worden wären. Ich selbst hatte nicht Gelegenheit, diese Untersuchungen vorzunehmen, die, wenn sie vergleichbar sein sollen, eine Einrichtung erfordern, welche von mir in der neu bezogenen Wohnung so schnell nicht bewirkt werden konnte. Deshalb weiss ich über das electrische Verhalten leider nichts anzugeben. Dass bei sehr feuchter Luft sich auch weniger electrische Spannung zeigt, ist übrigens eine bekannte, leicht erklärliche Thatsache. Dass ferner der Wind auf miasmatische Uebel einigen Einfluss üben könne, ist an sich deutlich, und wenn die Cholera durch ein Luft-Miasma verbreitet wird, wie es die Ansicht mancher Ärzte ist, so würde auch die Richtung des Windes in Erwägung zu ziehen sein. [...] Schade nur, dass die darüber in den Tagblättern enthaltenen Bemerkungen nicht recht specielle Data liefern. Wären die hier aus meinen Beobachtungen hergeleiteten Vergleichungen allgemein gültig, so würde auch der Wind, der mit der Cholera geht, der sie uns gewissermaßen gebracht hat, der schädliche, und sein Gegner der uns günstige sein. Über alle diese Punkte kann daher nur eine allgemein durchgreifende Untersuchung erst in Zukunft entscheiden. Mögen indes diese Zeilen zu ähnlichen Beobachtungen überall aufmuntern. [...] Gelänge es der Physicomathesis auf dieses Wege die Abhängigkeit jenes verheerenden Übels von atmosphärischen Einflüssen als Faktum festzustellen, so wäre dadurch ein nicht

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unbedeutender Schritt zur Aufhellung des bis jetzt noch so räthselhaften Wesens dieser Krankheit und vielleicht ähnlicher Epidemien geschehen; Rechtfertigung genug für den Beobachter, die Bemerkungen, welche sich ihm in dieser Hinsicht aufdrängten, möglichst rasch zu verbreiten. Deshalb möge der Leser dieser Zeilen es auch nicht missbilligen, wenn sie noch nicht den Charakter einer durchaus geschlossenen Anhandlung tragen, und sich nur auf die Beobachtungen in Berlin beschränken. Die Zusammenstellung eines grösseren und umfassenden Systems von Beobachtungen wird vielleicht erst möglich sein, wenn das gegenwärtig Europa durchzuckende Todesgrauen schon wieder der heiteren lieblichen Lebensfrische gewichen ist, und die Resultate der Forschung mögen dann späteren Geschlechtern für ähnliche Erschütterungen des Organismus zu Gute kommen. aus: Dr. E[rnst] F[erdinand] August. Direktor des Real-Gymnasii in Berlin, Luftfeuchtigkeit und Cholera, ein meteorologischer Beitrag zur allgemeinen Charakteristik der Krankheit, Berlin [Herbst] 1831, S. 16ff., 22.

Zur Verbesserung der Luft, die im Zimmer, besonders in Krankenzimmern, nicht sorgfältig genug gereinigt werden kann, habe ich an der Stelle der bisherigen unzureichenden Ventilatoren einen Apparat erfunden, dessen Construction die folgende ist. An einen Trichter von Blech (der Wohlfeilheit wegen von schwarzem Eisenblech) Fig. I. abcd, der auf vier Füßen steht, ist eine perdendiculaire Röhre bdef angeniethet und mit dieser durch ein Knie verbunden und gleichfalls angeniethet die Röhre efgh, und zwar unter einem stumpfen Winkel gfd, dessen Neigung nicht immer dieselbe zu sein braucht, der aber kein rechter sein darf, weil durch diesen die Wirksamkeit des Apparats gehemmt wird. Die Weite des Trichters und der Röhren richtet sich theils nach der Größe des Raumes, für den der Apparat bestimmt ist, theils nach der Zeitlänge, die zur Verbesserung der Luft verwendet werden soll. aus: F[riedrich] A[dolph] Schneider, Beschreibung eines neuen Luft-Reinigungs- und Erwärmungs-Apparats, Berlin [Herbst] 1831, S. 2.

Man nimmt Rauthe, Salbey, Krausemünze, Wermuth und Lavendel, von jedem eine Handvoll, gießt zwei Maaß guten weißen Weinessig darüber, setzt Alles in einen neuen, irdenen wohlbedeckten Topf auf heiße Asche, läßt es so vier Tage an der Wärme stehen, seihet dann den Essig durch, mischt jedem halben Maaß ein Loth Campher bei, und bewahrt so diesen Essig in gläsernen Flaschen mit einer Blase gut zugebunden zum Gebrauche auf. Eine andere Art den Räuberessig zu bereiten ist folgende: Man thut in eine gläserne Flasche Rauthe, Salbey, Krausemünze, Wermuth und Rosmarin, von jedem 3 Loth, dazu 4 Loth Lavendelblumen; sodann Knoblauch, Kalmuswurzel, Nelken und Muskatnuß, von jedem ein halb Loth, klein geschnitten und gestoßen, gießt vier Maaß Weinessig darüber, bindet die Flasche mit einer Blase gut zu, erhält sie 4 Wochen lang an der Sonne oder am Feuer in mäßiger Wärme, gießt dann das Flüssige ab, preßt es auch aus dem Rückstand heraus, seihet alles wohl durch, mischt ein Loth in Weingeist aufgelösten Campher bei, und verwahrt diesen Essig in gläsernen Flaschen zum Gebrauch.

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[Anonym.] Zur Haus- und Landwirthschaft. Vinaigre des quatre voleurs, in: Der Berliner Stadt- und Landbote ßr das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung ßr den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, H. 20 [Mitte Oktober] 1831, S. 159. Fast sämmtliche Aerzte Berlins haben die von der Schutzkommission empfohlene[n] Mäntel und Masken von Wachstuch nicht angelegt. Als Präservativ brauchen sie nichts als Waschen der Hände und Räucherungen der Kleider mit Chlor. - Hr. Med. Rath Dr. Wendt empfiehlt indeß sehr, einen leicht schliessenden Ueberrock von Wachstaffent oder Wachsleinwand, daneben sorgfältiges Umziehen, strengste Reinlichkeit und Waschen mit einer verdünnten Chlorkalk- oder Chlornatron-Auflösung. Auch haben die Aerzte Breslaus beschlossen, zur Zeit des Ausbruchs der Krankheit grüne Binden um den Arm anzulegen, damit sie überall erkannt und ihre Hülfe im Augenblick in Anspruch genommen werden kann. aus: [Anonym.] Miscellen, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, I. Heft, Nr. 8 [Herbst] 1831, S. 126. Hinz'. Kommst ja aus der Hauptstadt, Kunz! Ist denn die Cholera so ansteckend? Kunz: Ganz ungemein! Hinz: Der Himmel steh und bei! Wie sichert man sich denn? Kunz'· Man kann sich mit Wachs überziehen lassen, wie ein Ei, das nicht faul werden soll. Auch kann man sich aufdrucken lassen: Desinficirtl Hinz: Kann denn das Bischen Buchdruckerfirniß auch schützen? Kunz: Oooh! Wenn nur gedruckt wird! [Anonym.] Lückenbüßer [Herbst 1831], in: Cholera-Zeitung, herausgegeben von den Aerzten Königsbergs, 2. verm. Aufl. Königsberg 1832, S. 84. Die schlimmste Art der Verbreitung der Cholera, welche sich auch in medicinischpolizeilicher Hinsicht als die wichtigste herausstellt, ist die in den Häusern, wo bereits eine oder mehrere Personen von ihr befallen worden sind. Die Erfahrung hat unwiderlegbar gezeigt, daß in solchen Häusern die Luft in einem größeren Kreise inficirt wird, so daß nicht nur Mitglieder derselben Familie, sondern auch Nachbarn neben, über und unter derselben von der Cholera angegriffen werden. Es kommt also darauf an, den ursprünglichen Infectionsherd zu zerstören, wozu ich folgende Maßregeln als die sichersten und ausführbarsten, und zwar als solche, die ich zum Theil in meiner eigenen Erfahrung als zweckmäßig erprobt habe, in Vorschlag bringe. 1) Wenn der Kranke in seiner Wohnung behandelt werden kann, nur so viel Individuen bei ihm zu lassen, als zu seiner Wartung nothwendig sind, die übrigen aber in einer öffentlichen Anstalt zu contumaciren, oder ihnen zu erlauben, daß sie zu ihren Verwandten gehn, jedoch nur nach vorheriger vollständiger Desinfection. Bei wohlhabenden Familien, die eine größere Anzahl luftiger Zimmer bewohnen, und wo die Vorschriften der Reinlichkeit und vernünftige Lebensweise Eingang finden, ist es vollkommen hinreichend, den Gesunden entfernte Räume anzuweisen, und ihnen den Eintritt in das Krankenzimmer zu verwehren.

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2) Ist der Kranke nach einer Heilanstalt geschickt worden, was in der Regel nur bei der ärmeren Volksciasse geschieht, so ist zu unterscheiden, ob die Wohnung eine feuchte, von unverbesserlicher Luft erfüllte, oder ob sie eine gesunde ist. a) Im ersteren Falle sind sämmtliche Mitglieder des Hausstands vorläufig in einer öffentlichen Anstalt zu contumaciren und dürfen, wenn die Wohnung als vor der Hand unverbesserlich erkannt wird, diese gar nicht wieder beziehen, und sind die Wirthe zu verhindern, sie an andre Leute wieder zu vermiethen. Sollte aber die Wohnung als verbesserlich erkannt werden, so müßte man die Wände übertünchen, die Fußböden mit Chlorwasser scheuern, und den Familien das Wiedereinziehen nur erst nach vollendeter Austrocknung gestatten. Jedenfalls sind sämmtliche Effecten sogleich zu desinficiren, die werthlosen und besonders giftfangenden sogleich zu verbrennen, die desinficirten Gegenstände, sobald die Wohnung vor der Hand leer bleiben soll, alsbald wegzuschaffen. b) Im zweiten Falle ist es nicht nöthig, die Bewohner nach einer Contumazanstalt zu schaffen. Sie sind aber in ihrer Wohnung vollständig zu desinficiren, die Zimmer mit Chlorwasser zu scheuern, die Federn des von Kranken gebrauchten Bettes zu kesseln, wo nicht etwa das Verbrennen vorgezogen werden sollte, die unreine Wäsche schleunigst zu waschen und die äußerste Reinlichkeit zu empfehlen, welche überhaupt ein weit größeres Schutzmittel ist als die Chlorräucherungen. Ist die Desinfection vollständig geschehn, so hört alle Sperre auf. Die Sperre ist während der Krankheit eines Individuums und der Contumazzeit der Gesunden, die jedoch, ohne die Tage zu zählen, mit dem Augenblicke aufhört, wo die Desinfection vollendet ist, in sofern aufrecht zu halten, als alle Fremde verhindert werden, in die inficirte Wohnung einzutreten. Das Ausgehn der zum Hausstande der Kranken gehörigen Personen ist unbedingt zu gestatten, weil bei der nöthigen Vorsicht, worüber der Arzt die Leute zu belehren hat, die Gefahr der Verschleppung des Contagium sehr unbedeutend und die Bewegung der Kinder und Erwachsenen in freier Luft die unerläßliche Bedingung ihrer Gesundheit ist, und sie sich selbst am besten dadurch desinficiren, so daß also die Weiterverbreitung der Krankheit in derselben Familie dadurch zumeist gehemmt wird. Die bisherige Art der Sperre hat die Nachtheile, daß sie 1) wie bekannt, nie streng gehalten wird, auch nicht gehalten werden kann, daß sie ganz illusorisch ist; 2) daß sie Angst und Schrecken erregt, welche der Ansteckung recht eigentlich den Weg bahnen; 3) daß sie die Eingeschlossenen der Nahrungslosigkeit aussetzt, welche ihnen durch Unterstützung nur in seltenem Falle ganz vergütet werden kann; 4) daß sie bei der Übeln Stimmung der Eingeschlossenen dem Arzte sein Geschäft erschwert, wozu ohnehin mehr Hingebung erfordert wird, als bei irgend einer andern hier vorkommenden Krankheit, und 5) daß sie die Gesundheit der Eingeschlossenen sehr oft gefährdet, also auf eine indirecte Weise Opfer verlangt, die mit der immer unvollkommenen Erreichung des Zwecks nicht in Verhältniß zu bringen sind. Zur Warnung der Fremden halte ich es für unerläßlich, die Wohnung des Kranken, wenn auch nicht die Hausthüre, durch eine Tafel, mit der Inschrift „Cholera" zu bezeichnen, und will noch schließlich bemerken, daß man auf den guten Willen der Einwohner, welche für

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gute Belehrung sehr empfänglich sind, und auf die Einsicht und Menschenfreundlichkeit der Aerzte sich mehr verlassen kann, als auf äußere Zwangsmaßregeln und allgemeine Normen, die fast in jedem einzelnen Falle Abänderungen erleiden müssen, wenn sie überhaupt heilsam bleiben sollen. [Anonym. ] Sendschreiben aus Berlin, die Ansteckung und Sperre betreffend, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten Uber die asiatische Cholera (Allgemeine CholeraZeitung), Bd. 1, Nr. 14, 19. Oktober 1831, S. 108f. Ich halte es zuvörderst für Pflicht, Einer Königlichen Hochlöblichen Regierung dringend vorzustellen, daß die Cholera durchaus nicht in dem Maaße furchtbar und schreckenerregend ist, wie wir uns seither vorgestellt haben und wie ganz Europa mit Zittern und Beben glaubt. Wir dürfen ihr mit Besonnenheit und Ruhe entgegen gehen und durchaus keine andere Besorgnisse hegen, als sie bei einer einiger Maaßen heftigen Nervenfieber-Epidemie nothwendig sind. Ohne den in hiesigen Residenz unverkennbar bei dem größeren Publikum jetzt herrschenden Leichtsinn und die allerdings schädliche Geringschätzung der Seuche zu theilen, welche aber bei einer Menge natürlich ist, welche vor dem Ausbruche von unendlicher Angst gepeinigt war, nach demselben aber fand, daß die Gefahr nicht so groß sei und nun fast glaubt, daß eine Ansteckung nicht mehr Statt finden könne: so habe ich doch genug gesehen und erfahren, um mit ungleich größerer Zuversicht und Beruhigung nach Hause zu kehren, als ich noch irgend erwartet hatte. In der That merkt man das Herrschen einer so furchtbaren Seuche hie[r]selbst kaum anders, als wenn man die Kranken in den Lazarethen aufsucht. Sie herrscht in den wohlhabenderen Familien gar nicht; die Angst ist aus ihnen verschwunden und der gesellige wie der gewerbliche Verkehr vollkommen wieder hergestellt. Auf den Straßen herrscht das gewöhnliche Treiben, die Theater, Concerte und öffentlichen Vergnügungsorte sind wie früher besucht und an Vorsichtsmaaßregeln denkt man bei der gänzlich verschwundenen Furcht vor Ansteckung kaum mehr. Auch die Schulen und Kirchen werden vor wie nach gebraucht und es hat noch nicht die mindeste Unterbrechung Statt gefunden. Die Verbreitung der Seuche ist, im Verhältniß zu der Einwohnerzahl, höchst unbedeutend und kommt wenigstens gegen das, was man befürchtete, und was man zum Theil noch bei uns befürchten mag, kaum in Anschlag. Ueberdies steht aus vielen, zum Theil auch schon von mir angedeuteten Gründen zu hoffen, daß bei ihrem weiteren Vordringen die Cholera noch immer milder und gutartiger werden könne, daß wenigstens ihrer Verbreitung immer größere Schranken zu setzen seyen. Nichts desto weniger bleibt sie aber immer trotz dieser trostreichen Thatsache eine furchtbare Krankheit für die, welche davon befallen werden. Sie wird auch bei uns eine große Zahl Opfer fordern; die wahrhaft nützlichen und nothwendigen Vorkehrungen zu ihrer Beschränkung erfordern die ungetheilte und angestrengteste Berücksichtigung der Verwaltung. Die Cholera ist zunächst schon darum eine schreckliche Seuche, weil sie fremd und neu, und besonders den Aerzten, wohin sie auf ihrem Zuge gelangt, zuerst sowohl ihrer Natur und ihrem Wesen nach, als auch in Erscheinung und Verlauf gänzlich unbekannt ist. Jeder Arzt fühlt dies, wenn er ihr zuerst entgegen tritt; er sieht sich einem Feinde gegenüber, dessen Kampfweise er durchaus nicht kennt, dessen Wege er nicht ahndet und wo doch im Augenblick und auf der Stelle gehandelt werden muß, wenn nicht der Tod die unvermeidliche

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Folge seyn soll. Diese Befangenheit, dieser Schauder und diese Unkunde verlieren sich erst später, aber dann kommt man zur Erkenntniß, daß eben die Cholera es ist, auf welche alle unsere bisherigen Begriffe, unsere Ausdrücke, unsere Mittel und sogar unsere bisher bewährt befundenen Methoden nicht die mindeste Anwendung finden. aus: Kreis-Physikus Dr. Carl Heinrich Ebermaier an eine Königliche Hochlöbliche Regierung zu Düsseldorf. Berlin, 19. Oktober 1831 [3. Situationsbericht], in: Landeshauptarchiv Koblenz, Abteilung 403, Oberpräsidium Rheinprovinz, Acta 2295. Seit vielen Jahren hörten wir, daß in dem südwestlichen Theile Asiens, gegen Nordwest strömend, eine Epidemie wüthe, die ihren Symptomen und den Umständen nach, unter welchen sie sich verbreitete, eben so neu und räthselhaft, als furchtbar sich erweise. Man hatte sich aber seit Jahrhunderten so sehr an orientalische Pestnachrichten gewöhnt, daß man dieser neuen Art von Tod, obgleich das gelbe Fieber erst kürzlich mahnend aufgetreten war, keine besondere Aufmerksamkeit schenkte, und England und Rußland, die vor allen andern Staaten dabei interessirt waren, nichts thaten, was einer besonderen Wißbegierde oder Vorsorge ähnlich sah. [...]. Ich kann hier nicht weiter in die Details der neuesten Cholerageschichte eingehen, auch keine Kritik derselben liefern. Wollte man Alles einer Prüfung unterziehen, was Widersinniges in dieser Angelegenheit gesagt und gethan wurde, man müßte ein bändereiches Werk schreiben, welches nicht leicht zwei Dampfpressen in sechs Monaten zu Tage fördern könnten. Daher nichts von den hundert und abermal hundert Mißgriffen der Verwaltungen und Communen, nichts von der eitlen Beschuldigung, die man Preußen machte: die Cholera eingeführt zu haben, und die die Anarchisten mit so vollen Backen in den Wind bliesen, der ihnen jetzt zum beschämenden Gegenbeweise die Seuche über alle Barricaden Holsteins und Mecklenburgs bis an die Mündung der Elbe trug. - Auch nichts von Doctoren-Ignoranz und dem Skandale eines empörenden Schisma's unter den Staatsagenten der Medicin nichts davon! ich bin kein Freund von dergleichen Recensionen, die da hinterher kommen und ecce homo rufen, wenn das Kreuz schon abgenommen ist. Es wäre auch gänzlich unnütz, mit den Fehlern und Irrthümern, die der Seuche vorangingen und nachhinkten, im Einzelnen zu rechten; denn sie beruhen alle auf jener Prämisse, daß man die Medicin unwissend ließ; sie mußten begangen werden, wenn die Sanitätsbehörden von dem Wesen der Krankheit keine bessere Kenntnis hatten, als jeder gemeine Mann, der seine Zeitung bei einem Stümpfchen Licht las. Alle Unruhen und Todtschlägereien entstanden aus einer durch verkehrte Maßregeln herbeigeführten Erschütterung der Gemüther und der bürgerlichen Ordnung; diese Maßregeln entsprangen einzig und allein aus der Unwissenheit der Medicin, die die einzige Quelle war, aus welcher in diesem Falle die Staatsverwaltungen Rath schöpfen konnten. Es läßt sich daher Alles geschehene Unheil, aller Zwang, Zwiespalt, Argwohn und Ruin auf jenes eine Versehen zurückführen: die Wissenschaft nicht früher in den Stand gesetzt zu haben, jenen Rath und jene Hilfe ertheilen zu können, die die unnöthige und so schädliche Furcht vor dem entfernten Übel beschwichtigt und für das eingetroffene eine Masse von Verantwortlichkeit, Geld, und Menschenopfern erspart haben würden. Preußen mag hierin dem übrigen Europa als warnendes Beispiel dienen. Es hat mit der Schwächung seines Schatzes und mit momentaner Aufopferung eines Theiles seiner Industrie die unselige Lehre von der pestartigen Contagiosität der Brechruhr bezahlt. Aerger

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und zehnmal ärger, als der Einfluß des Uebels selbst, hat sich auch hier die panischschreckende Wirkung dieses blinden Theorems bewährt, dessen Befolgung den Kranken die muthige Pflege, dem Arzte Besonnenheit, dem Staate die Kraft seiner Finanzen, dem Volke Lebenslust, Thätigkeit und die Mittel seiner Existenz raubt. Es läßt sich einer durch ihre gräßlichen Symptome und ihren raschen Verlauf schon so furchtbaren Epidemie nicht bald eine mehr Angst einflößende Eigenschaft beilegen als [es] die Ansteckung durch Berührung ist. Ich will keineswegs damit der luftschiffenden Partei der Miasmaten das Wort geredet haben; denn ihre Lehre von der tödtlichen Potenz der Luft, auf die alle Wesen von dem Schöpfer angewiesen sind, und aus der nun der Todesengel seine Opfer unter den Dächern herausgreifend, von ihnen vorgestellt wird, enthält nichts, was tröstlicher wäre, als der Pestwahn ihrer Gegner. Obgleich der Anekdotenkram, der bisher alle unsere Erfahrung auf dem Felde dieser neuen (aber eigentlich alten) Epidemie ausmacht, für neue Theorien gleich sprechen wird: so muß die Vernunft sie beide verwerfen. Weder in der Luft, noch in den Wollsäcken allein mag dieses Fluidum gesucht werden, welches, meiner Meinung nach, eben so wenig erkannt werden wird, als die Natur des elektrischen Funkens. aus: - nn - nn, Berlin den 20. Octbr. 1831, in: Der Komet. Beilage für Literatur, Kunst, Mode, Residenzleben und journalistische Contro[l]le, Nr. 45, 12. November 1831, Sp. 356ff. Der Director des Königsstädtischen Theaters, Herr Cerf, hat die Güte gehabt, die Einnahme aus der, am 24. v. M. stattgefundenen Vorstellung: „Der Pirat", zu milden Zwecken zu bestimmen. Nach seinem Willen ist die Netto-Einnahme im Betrage von 133 Thlr. Gold und 216 Thlr. 1 Sgr. Cour., einschließlich eines von Sr. Majestät dem Könige allergnädigst gemachten Geschenkes von 20 St. Frd'or., in der Art vertheilt worden, daß davon 40 Thlr. Gold und 65 Thlr. Cour, dem Vereine für Suppen-Anstalten, 50 Thlr. Cour, dem Vereine für Bekleidung dürftiger Kinder, der Rest aber der unterzeichneten Behörde zur Verpflegung armer Cholerakranken hie[r] selbst überwiesen worden ist. Diesem neuen Act der Wohl thätigkeit bringen wir hierdurch zur öffentlichen Kenntniß. Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comite. v. Arnim. Mit Allerhöchster Genehmigung wird die Sing-Akademie zum Besten der hiesigen Armen, die durch die Wirkungen der Cholera-Seuche in Noth und Elend gerathen, am nächsten Sonntag, den 23. d. M., einige klassische Musikwerke, und zwar, damit der gesammte Ertrag ohne Kostenabzug dem Zwecke zu gute komme, in der Mittagsstunde von 12 Uhr an, in ihrem Lokal a capella öffentlich ausführen. Ohne daß hie[r]bei der bekannten Wohlthätigkeit des Berliner Publikums eine Schranke gestellt werden soll, wird der Preis der Eintrittskarte auf 20 Sgr. gestellt. Dergleichen Karten sind täglich im Singakademie-Gebäude beim Professor Zelter, und am Aufführungstage von 11 Uhr an bei der Kasse zu haben. Auch die nöthigen Texte werden im Vorsaal, zusammen für 2 1/2 Sgr., zu haben seyn. Die Vorsteherschaft der Sing-Akademie. Das durch die Cholera herbeigeführte Bedürfniß, die hiesigen Armen mit warmer und nahrhafter Speise zu versehen, hat die Errichtung einer vierten Suppen-Anstalt zur Folge gehabt. Um zu deren Erhaltung mitzuwirken, will, mit Allerhöchster Genehmigung, Hr. Organist Hansmann die Güte haben, das Oratorium „Das Weltgericht" von Friedrich

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Schneider, in der Garnisonkirche am Mittwoch den 26. October c., Nachmittags um 4 Uhr, aufzuführen und den Reinertrag der Einnahme jener Anstalt zu überlassen. Da dies Werk eine so gute Aufnahme hier gefunden hat, daß es nach der ersten Aufführung bei überfüllter Kirche gleich wiederholt werden konnte, so halten wir uns der regen Theilnahme, Seitens unserer Mitbürger um so mehr überzeugt, als nur dadurch der Zweck dieses gemeinnützigen Unternehmens erfüllt werden kann. [Bekanntmachungen.] Direktion der Armen-Speisungsanstalt, in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 246, 20. Oktober 1831, [S. 8). Es sind Fälle vorgekommen, daß Cholerakranke sich in den Heilanstalten zur Aufnahme gemeldet haben, ohne mit dem vorschriftsmäßigen Begleitscheine, oder einer sonstigen Anweisung von Seiten der betreffenden Schutz-Commission versehen gewesen zu seyn, desgleichen: daß an andern Krankheiten Leidende, gegen die ärztliche Bestimmung oder ohne daß eine hinsichtlich der Natur der Krankheit überhaupt Statt gefunden, nach den Choleraheilanstalten gesandt worden sind, endlich: daß in Letzteren Cholerakranke zu Fuß angekommen sind, wodurch wesentliche Verschlimmerung ihres Krankheitszustandes herbeigeführt ist. Durch solche Abweichungen von den bestehenden Bestimmungen wird nicht nur Ordnung in der Verwaltung, sondern auch das Gesundheitswohl der Kranken selbst in sofern gefährdet, als die Anwendung der ihnen nöthigen Pflege dadurch auf eine oder die andere Weise Verzögerung erleidet. Die Schutz-Commissionen sind deshalb ersucht worden, in ihren resp. Bezirken darauf zu achten, daß keine Kranken nach den Choleraheilanstalten gesandt werden, ohne von einem Arzte für cholerakrank erklärt und mit einem Begleitschein Seitens der Commission versehen worden zu seyn. In dringenden Fällen werden die Anstalten zwar einem Hülfesuchenden, wirklich Cholerakranken die Aufnahme, auch ohne daß jene Bedingungen erfüllt worden, nicht verweigern, doch wird auf die desfalls von ihnen der Verwaltungsbehörde zu machende Anzeige, letztere Veranlassung nehmen, einen jeden solchen Fall noch besonders zu verfolgen. Eben so ist es zum Besten der Kranken selbst nothwendig, sie nach den Heilanstalten in einem Tragekorbe, gehörig in Decken gehüllt, zu transportiren, damit nicht durch den Transport zu Fuße, theils wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes, theils wegen der Anstrengung des Kranken und der Einwirkung von Witterungsverhältnissen mehrfacher Nachtheil entsteht. [Bekanntmachung.] Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comite für Berlin, v. Arnim. Berlin, den 20. October 1831, in: Erste Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 255, 31. Oktober 1831, [S. 1]. Einem Hochedlen Magistrat benachrichtigen wir ergebenst, daß sämmtliche KirchenVorstände Berlins, auf deren abgegebene Erklärungen, sich den allgemeinen Anordnungen in Betreff der, für an der Cholera Verstorbenen besonders einzurichtenden Begräbnißplätze anschließen zu wollen, unter heutigem Datum von der geschehenen Einrichtung und Einweihung der verschiedenen Cholera-Kirchhöfe und davon in Kenntniß gesetzt worden sind, daß bis jetzt nach den höhern Bestimmungen eine ausnahmsweise Beerdigung auf den gewöhnlichen Beerdigungsplätzen und unter der in der Bekanntmachung der allerhöchst verordneten Immediat-Commission zur Abwehrung der Cholera vom 22ten August d. J. sub. 1

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enthaltenen Bedingung nachgelassen werden kann, und für jeden einzelnen Fall unsere specielle Erlaubniß eingeholt und abgewartet werden muß. Friedrich Wilhelm v. Arnim an den Magistrat von Berlin. Berlin, 20. Oktober 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 243. Der König zieht von Charlottenburg wieder nach Berlin und wird nach wie vor das Palais bewohnen. Auch der Kronprinz wird von Potsdam hierher zurückkehren. Die Anstalten zur Absperrung zur Cholera fallen täglich, da man nicht nur das Lästige, sondern auch das Unnütze davon immer mehr einsieht. Dagegen verdoppelt sich die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Lebensart des Volkes, man sorgt für den Erwerb, Nahrung und Bekleidung der Bedürftigen, für Reinlichkeit und für stete Bereitschaft augenblicklicher Hülfe. In Betreff der nicht abzuläugnenden, aber sehr beschränkt anzunehmenden Contagiosität der Krankheit wird Jeder am zweckmäßigsten seiner persönlichen Vorsicht überlassen. Für die SpeisungsAnstalt der Armen (eine vortreffliche Einrichtung) giebt der König 1000 Thaler monathlich und verhältnißmäßig zu noch vielen andern Hülfsmaßnahmen. Der Stadt selbst ist eine Anleihe von 150.000 Thalern bewilligt worden. Viele wackere Bürger widmen uneigennützig ihre Zeit und Kräfte jetzt ganz dem Gemeinwesen. [Anonym.] Berlin, vom 21. October, in: Tägliche allgemeine Hamburgisch-Altonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 10, 24. Oktober 1831, S. 39. Will man ein Dampfbad nehmen, so legt man den Kranken auf das Bett, entweder ganz entblößt, oder auch wohl in eine wollne Decke leicht eingeschlagen, oder mit einem wollnen Hemde bekleidet, oder - wenn er sehr unruhig ist - mit einem Sack umgeben, der aber Öffnungen haben muß, um den Kranken an verschiedenen Theilen des Körpers befühlen zu können; dann legt man den Röhrenapparat um ihn herum, und deckt das ganze, den Kranken und den Apparat, mit einer doppelten, oder doch einer starken, wollenen Decke zu, die man um das Korbgeflecht genau herumschlägt, wodurch man zugleich verhindert, daß ein unruhiger Kranke[r], wenn der Wärter einmal das Auge von ihm wendet, sich entblöße. Nun fügt man die beiden Schneiderschen Apparate an und setzt in jeden eine Schaale mit brennendem Weingeist. Die Wärme verbreitet sich alsdann äußerst gleichmäßig über den ganzen Körper des Kranken. (Will man, was jedoch nur selten angezeigt seyn dürfte, an einzelne Theile des Körpers die Dämpfe weniger unmittelbar treten lassen, so kann man die entsprechenden Theile der Röhrenleitung mit einem Tuche oder dergleichen umwickeln.) Wenn man sich durch das Thermometer oder durch die Hand überzeugt hat, daß ein hinlänglich hoher Wärmegrad erzeugt ist, so kann man entweder nach S. 8 (Note), den Weingeist in den Schaalen mit einer geringeren Oberfläche brennen lassen, oder - in der Regel noch einfacher - man setzt den einen der beiden Schneiderschen Windöfen ganz außer Thätigkeit, oder man nimmt sie auch wohl beide, während die erhitzte Röhrenleitung noch liegen bleibt, weg und setzt sie allenfalls nach einer Viertel- oder halben Stunde wieder an. - Will man endlich auch die Röhrenleitung entfernen, so legt man zuvor die um dieselbe nach außen herumgeschlagene Decke nach innen, so daß sie nun bloß den Kranken, enger als vorher, umgibt. Die Vorzüge dieser erweiterten Einrichtung sind, um es zu recapituliren: daß sie eine höchst vollkommen gleichmäßige Erwärmung des ganzen Körpers gewährt, daß sie äußerst

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leicht und rasch zu handhaben ist, und daß sie die Beaufsichtigung unruhiger Kranken, das wichtigste Geschäft des Wärters, ungemein erleichtert und deshalb auch bei nicht vorzüglich sorgsamen oder bei um mehrere Kranke zugleich beschäftigten Wärtern besonders passend ist. Die ganze Einrichtung kann von jedem Zeugschmidt, Schlösser oder Klempner mit Zuhülfeziehung eines Korbmachers angefertigt werden. Sie läßt sich, ohne die (oder den) dazu gehörigen Schneiderschen Windöfen für 7 bis 8 Thlr. herstellen. Dieser Preis macht sie freilich für viele Privatpersonen zu theuer; gewiß aber wird sie jeder Wohlhabendere dieses Preises werth finden; und ganz besonders geeignet ist sie wohl für Hospitäler, in denen es immer, zumal aber bei der Cholera, darauf ankommt, den Wärtern ihr mühsames Geschäft möglichst zu erleichtern. - Die in der Heilanstalt Nr. II. vorhandenen Exemplare hat der Klempnermeister Hr. Krug, Spandauer Straße Nr. 68, angefertigt. aus: Dr. P[hilipp] Phoebus, Abbildung und Beschreibung der in der Berliner CholeraHeilanstalt Nr. II eingeführten Erweiterung und Verbesserung des Schneiderschen Dampfbad·Apparates. Mit einer Steindrucktafel, Berlin [21. Oktober] 1831, S. 8 f f . Wir haben Seite 15 und Seite 23 dieses Tagebuchs angefangen, die Mittel und Wege zu beleuchten, deren man sich zur Beschwichtigung der so nachtheiligen Choleraangst bedient hat, und haben die Nachtheile, welche der Aberglaube, so wie die, welche der blinde Glaube herbeiführt, auseinandergesetzt, wie es damals recht dringend Noth that. Seit jener Zeit ist nun hier in der That eine sehr bedeutende und recht erfreuliche Veränderung in dieser Hinsicht vor sich gegangen. Der gesunde Sinn des hiesigen Publikums hat sich von beiden Arten des Irrglaubens so ziemlich losgerungen, und die Angst vor der Cholera selbst hat Gottlob! schon um Vieles abgenommen. Am deutlichsten zeigt sich dies in der Handelswelt. Während die auf die Cholera bezüglichen Druckschriften, Geräthe und Medicamente damals und mehrere Wochen vorher den bei weitem am stärksten Abgang habenden Artikel der Debitirenden ausmachten, werden diese Produkte jetzt ohne allen Vergleich seltener verlangt. Als Symptom hie[r]von gelten auch die Annoncen dieser Gegenstände, von denen früherhin die Zeitungsbeilagen größtentheils erfüllt waren, während man schon seit mehreren Wochen dergleichen nur noch sehr selten angekündigt findet. Man könnte entgegnen, daß der Abgang dieser Artikel jetzt deshalb so schwach sey, weil sich das Publikum schon hinreichend damit verproviantirt habe, und daß das Annonciren derselben den Verkäufern unnöthig erscheine, weil die Läger, wo dergleichen zu bekommen, schon zur Genüge bekannt seyen; und ohne Frage haben auch beide Verhältnisse zu der angegebenen Veränderung mitgewirkt, - jedoch durchaus nicht bedeutend, und noch weniger hauptsächlich. Denn einmal ist doch nur ein kleiner Theil der hiesigen Einwohner mit jenen Gegenständen versehen, und es müßten und würden die übrigen sich noch eine ungeheure Masse derselben beschaffen, wenn sie, sich nun schon auf die hier gesammelten Erfahrungen stützend, dieß für nothwendig hielten. Und würden die Artikel noch jetzt raschen Abgang finden, was geständig nicht der Fall ist, so würde man mittelst Ankündigungen das Eisen schmieden, so lange es warm ist. Ohne hier die Zweckmäßigkeit jener Artikel zur Vorbeugung und Heilung der Cholera untersuchen zu wollen, machen wir also nur darauf aufmerksam, daß der Glaube daran im Publikum bedeutend abgenommen hat; - dieß kann man z.B. auch riechen. Man findet die unangenehmen Räucherungsdämpfe, namentlich die

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vom Chlor, jetzt viel seltener in den Häusern, man wird beim Besuchen gesunder Personen viel weniger mit Desinfectionsproceduren ennuyrt, als dieß früherhin selbst da nicht selten der Fall war, wo auch Nichts den geringsten Verdacht begründete, man besucht Theater und andere Vergnügungsorte recht häufig, sobald man nur hier Vergnügen gewärtigen darf u.s.w., kurz, die große Mehrzahl im Publikum hat, für sich, sehr bedeutende Erleichterungen in den Maaßregeln getroffen, deren Beobachtung es sich freiwillig auferlegt hatte, so daß man, das ehemalige prophylaktische Treiben mit dem jetzigen vergleichend, meinen sollte, die Epidemie habe damals furchtbar gewüthet, und sey jetzt beinahe verschwunden. Es ist leicht, diese Veränderung zu erklären, wenn man den Geist des hiesigen Publikums kennt, und wir und viele Andere haben sie mit Bestimmtheit vorausgesagt. Wer uns die Angst empfiehlt, wird sich dadurch nicht besonders populär machen! Wir haben aber jene Veränderung eine erfreuliche genannt, und gewiß verdient sie diesen Namen; - denn - die Leute befinden sich dabei viel wohler als früherhin. Die Angst verbittert ihnen nicht mehr ihr Leben in so hohem Grade, und sie leben doch jetzt nicht ausschließlich für die Cholera. Auch ist man sehr Allgemein zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine heitere, ruhige, kräftige Gemüthsstimmung sehr geeignet sey, günstig zur Vorbeugung und während der Krankheit zu wirken, und wenn Jemand die entgegengesetzte Ansicht ausspricht, um durch ein kühnes Paradoxon zu imponiren, so darf man zum Glück hoffen, daß sie jetzt wirkungslos bleiben werden. Also wünschen wir dieser Sinnesänderung nicht nur das Bestehen, sondern auch den besten Fortgang. Jede Unvorsichtigkeit, jede gewagte Ausschweifung in Bezug auf die Diät des Körpers werde gemieden, aber man gönne sich auch Alles, was nicht offenbar schadet, und hüte sich, die Widerstandskraft des Körpers durch Herabstimmung der Geisteskraft zu schwächen. aus: [Dr. Albert Sachs], Zur Beruhigung. Betrachtung über den dermaligen Stand der Choleraangst in Berlin, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 33, 22. Oktober 1831, S. 131f. Also zuerst von ihr, der Cholera, die nun im Volke alle ihre Schrecken verloren hat. Es ist im öffentlichen Leben durchaus gar nicht zu spüren, daß die allgemein gefürchtete, schreckliche Krankheit in unsern Mauern wüthet, Vergnügungsörter und Spaziergänge sind so zahlreich besucht wie sonst, und sogar die Schauspielhäuser werden wieder voller. Der ganz unsinnige Wahn, der im Volke verbreitet war: Die Aerzte vergifteten die Kranken, fängt an zu schwinden, obgleich die Krankheit bei uns den Charakter einer aristokratischen bis jetzt beibehalten hat, denn noch ist niemand aus den höchsten Ständen gestorben, und die Namensverzeichnisse der Erkrankten - beigegeben der neuentstandenen (es ist hier schon die zweite) „Cholerazeitung mit Benutzung amtlicher Quellen" - nennen größtentheils nur Individuen aus der untersten Volksciasse. Allgemein ist die Erleichterung, in Hemmung des Verkehrs der Städte mit einander, dankend anerkannt worden, auch die Heilanstalten fangen an, mehr Vertrauen zu gewinnen. aus: Schauke [d. i. Moritz Gustav Bauschke], Berlin, Mitte Oktober 1831, in: Der Komet. Beilage für Literatur, Kunst, Mode, Residenzleben und journalistische Contro[l]le, Nr. 42, 22. Oktober 1831, Sp. 335.

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Die Erfahrung, daß der in Haufen geschichtete, mit Stroh untermischte frische Pferdedünger, wenn er nach einigen Tagen in Gährung übergegangen, einen so bedeutenden Hitzegrad in seinem Innern entwickelt, daß darin z.B. das zur Winterzeit in Fässern gefrorne Öl schneller und gleichmäßiger als in der Nähe des geheizten Ofens aufthaut, - so wie die von dem Herrn Grafen v. S. gemachte Beobachtung, daß ein an der Rose leidendes Pferd, welches durch keines der gewöhnlichen innern und äußern Mittel in den Schweiß gebracht werden konnte, dadurch sehr schnell zu einem starken Schwitzen gebracht und gänzlich hergestellt wurde, daß man es in einer Erdgrube, bis an den Kopf, mit in der Gährung begriffenem Pferdedünger umgab - erregte die Vermuthung, daß dergleichen Bäder von Pferdedünger vielleicht auch in der asiatischen Cholera anwendbar seien, da es bei der Kur derselben doch ganz vorzüglich darauf ankommen soll, allgemeine Erwärmung des Körpers, Wiederherstellung des Blutumlaufs und einen reichlichen allgemeinen Schweiß so schnell wie möglich zu bewirken. [...] Wenn nun nach diesen Versuchen feststeht, daß ein Bad von mit Stroh bereitetem, in Gährung begriffenem Pferdedünger, in sehr kurzer Zeit (und gewiß eben so schnell, wie ein Dampfbad) eine starke Durchwärmung des Körpers, so wie einen sehr vermehrten und verstärkten Blutumlauf und einen sehr profusen Schweiß zu bewirken im Stande ist, so dürfte es um so zweckmäßiger sein, mit diesen Pferdedüngerbädern Versuche bei Cholerakranken anzustellen, da es erstens scheint, daß man durch die Pferdedüngerbäder gleichmäßiger und die ganze Körperoberfläche wirken kann, als durch die gewöhnlichen, einfachsten Dampf-BäderApparate; zweitens: da es scheint, daß die Pferdemistbäder anhaltender die oben angegebenen Erscheinungen im Körper bewirken, als z.B. bloße Wasserdampfbäder, und drittens, da sie überall sehr leicht beständig bereit gehalten werden, und, ohne irgend einer weitern Zubereitung zu bedürfen, auf der Stelle benutzt werden können. aus: Dr. [Georg Theodor] Gieseler, Ein neues Erwärmungsmittel. Vorschlag für die Bewohner des platten Landes, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 13, 22. Oktober 1831, S. l l l f .

Gleichzeitig mit Ew. Hochwohlgeborenen Aeußerung, zufolge mehrseitig in Anregung gekommen, daß die Beerdigung der Leichen, der an der Cholera Verstorbenen auf den gewöhnlichen Kirchhöfen gestattet werden möge, ist eine Anzeige der Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comite an uns gelangt, Inhalts der die Bewilligung eines solchen Verfahrens Seitens der bestehenden Schutz-Commissionen in Antrag gebracht worden ist. Es haben sich indeß bei der Berathung über den Gegenstand so verschiedene Ansichten vernehmen lassen und es ist so zweifelhaft geworden, ob jene Bewilligung dem allgemeinen Wunsche entsprechend, auch in andern Rücksichten zweckmäßig zu erachten sein möchte, da schon eine große Anzahl der an der Cholera verstorbenen Personen auf den 3 vorhandenen Cholera-Kirchhöfen begraben, auch früher über die Ausführung der jetzt statt findenden Verordnung von Seiten des Magistrats mit den Parochialvorständen dieserhalb Verhandlungen statt gefunden, daß es uns nöthig geschienen hat, den Gegenstand zur anderweiten Er-

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örterung bei der Verwaltungs-Behörde zu verweisen, und insbesondere dabei zu veranlassen, daß die Parochialvorstände in der Sache gehört werden. aus: Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 22. Oktober 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Hl, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIII C. Nr. 26. Die Herren Hauptboisten des Kaiser Alexander Grenadier-Regiments werden Dienstag den 25. Okt. c. ein Concert von Blas-Instrumenten in meinem Sale, vor dem Rosenthaler Thor, an der Ackerstraßen-Ecke, zum Besten der durch Cholera erkrankten und Verstorbenen hinterlassenen Wittwen und Waisen der 57sten Schutz-Commission geben. Daß dieser Bezirk gewiß einer der ärmsten ist, kann ich versichern, daher ersuche ich ein hochzuverehrendes Publikum ihre milde Hand an diesem Tage nicht zurückzuziehen, und den Armen wohlzuthun. Der Anfang ist 6 Uhr. Entree a Person 2 1/2 sgr., jedoch ohne der Wohlthätigkeit Schranken zu setzen. Die Sammlung geschieht durch Deputirte des Bezirks. F. Dietrich, Vorsteher der 57sten Schutz-Comm. [Bekanntmachung], in: Zweite Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 249, 24. Oktober 1831, [S. 8]. Der Kunsthändler Bolzani (derselbe, dem wir das geschätzte Werk. „Wegweiser zum Seidenbau" verdanken) und der Maler Peliccia aus Rom geben auf Subscription (im Steindruck) eine Allegorie heraus, ein Erinnerungsblatt an die hoffentlich bald überstandene Zeit, in der die Cholera wüthete. Der Ertrag ist zum Besten der Wittwen und Waisen der durch die Cholera weggerafften Soldaten bestimmt. Die Darstellung ist folgende: Der Fürst giebt die in der bedrängten Zeit nöthigen Befehle, indem er die von der Last der Drangsale unterdrückte sinkende Nation, welche von Glaube, Liebe und Hoffnung unterstützt wird, tröstet und ermuthigt. An der Seite des Thrones erblickt man die Gerechtigkeit; das Auge des himmlischen Vaters erleuchtet das Haupt des Fürsten so wie das ganze Gemälde. - Das Blatt, in der königl. lithographischen Anstalt gezeichnet und gedruckt, wird im größten Folio erscheinen und alle Buch- und Kunsthandlungen nehmen Subscription an, die hoffentlich den besten Erfolg hat. Α., Berlin, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz [Berlin], Nr. 172, 25. Oktober 1831, S. 860. Privatschreiben aus Berlin, Ende Oktober 1831 Die Betten der Hospitäler bestehen aus hölzernen Spinden, am Kopfende mit einer Stange, woran die Tafel angehängt wird, versehen, einer Matratze, Kopfmatratze, einem linnenen Lacken, zwei wollenen Decken, wovon die eine in ein linnenes Tuch geschlagen ist; dann befinden sich in jedem Saale oder Zimmer eine bis drei Badewannen von Zink, 12-14 Eimer haltend, bei jedem Bette, oder zwischen zweien am Kopfende ein Tisch und ein Stuhl, auf diesem ein Brechnapf [...] der so gestellt ist, dass ihn die Kranken, sollte nicht gleich ein Wärter da seyn, selbst fassen können. Unter dem Bette befindet sich ein Stechbecken, ohne Deckel, an der Wand stehen die Nachtstühle. Dann findet man in jedem Zim-

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mer eine Wanduhr, Räucher-Apparate von Blech mit einer Spirituslampe zum Entwickeln der Essigdämpfe, Frottir-Handschuhe (gewöhnlich von Filz), Bürsten, Klystirspritzen, porzellanene Theekannen und Tassen. In jeder Etage ist auch wo möglich eine kleine Küche zum schnellen Bereiten des Thees. In jedem Krankenzimmer sind nach der Zahl der Kranken zwei bis drei Wärter oder Wärterinnen, die ausser einem linnenen Oberrocke, keine besondere Kleidung tragen; zweckmässig würde es seyn, denselben eine Schürze mit Brustlatz, von einem dem Wachstuch ähnlichen Stoffe verfertigt, tragen zu lassen, damit die Kleider nicht von den Ausleerungsstoffen der Kranken beschmutzt werden. Zu vermeiden würde aber seyn, diese Schürzen von schwarzem Wachstuch anfertigen zu lassen, indem dieses den Kranken sehr unangenehm zu seyn scheint, wie ich in den hiesigen Hospitälern mehrfach von den Kranken äussern hörte; auch sind hier die früher üblichen Kittel der Wärter, welche von schwarzem Wachstuch gemacht waren, ganz abgeschafft. Die Körbe zum Transport der Kranken sind hier meist viereckige hohe Kasten von Weiden geflochten, mit einem gewölbten Deckel, welcher mit grünem Wachstuch überzogen ist, in der Mitte des Deckels befindet sich ein Luftloch. Zu jedem Kranken-Transport nach dem Hospital gehören vier Träger. Die Träger haben jetzt meist grüne oder graue leinene Röcke. Sektions-Zimmer und Todtenkammer sind in einem abgesonderten Theile, welcher durch einen Corridor mit dem Hauptgebäude in Verbindung steht. Desinfections-Verfahren, welches man zu beobachten hat, ehe man eine hiesige Heilanstalt verlässt: Man muss, ehe man eine Heilanstalt verlässt, in einen auf dem Hausflur befindlichen Kasten von Holz treten, darin befindet sich ein durchlöcherter Sitz, unter welchem ein Gefäss steht, woraus Chlorgas entwickelt wird, in der Thür des Kastens befindet sich ein kleines Fenster, wodurch man frische Luft schöpfen kann. Im Kasten muss man, um völlig desinficirt zu werden, einige Minuten verweilen, den Rock aufknöpfen und lüften, den Hut abnehmen und die Haare durchstreichen. Ausserdem wendet man keine Waschungen mit Chlorwasser oder dergleichen an. aus: Privatschreiben aus Berlin, Ende Oktober 1831, in: Mittheilungen über die ostindische Cholera zunächst für Aerzte und Wundärzte Kurhessens. Herausgegeben von den ärztlichen Mitgliedern der obersten Sanitäts-Kommission, Nr. 4, 29. Oktober 1831, S. 63f.

Nach den bisher über die Natur der Cholera und ihre Verbreitungsweise gesammelten Beobachtungen und unter Berücksichtigung des Gutachtens der erfahrensten Aerzte haben Sr. Majestät der König, auf den Vortrag der Immediat-Commission zur Abwehrung der Cholera, Allergnädigst zu befehlen geruht, daß in den bisherigen Vorschriften, die Cholera betreffend, noch folgende Veränderungen eintreten sollen: 1) Die Desinfection der Waaren, Briefe, Gelder und überhaupt aller Gegenstände der Versendung hört unter dem sub 2, 3 und 4 bemerkten Ausnahmen ganz auf, da die Erfahrung nicht nur allgemein dafür spricht, daß durch Waaren-Versendung, Briefe und Geld keine nachweisliche Uebertragung der Krankheit stattgefunden hat, sondern auch die Theorie sich immer bestimmter darüber feststellt, daß keine Gefahr aus dem Verkehr mit denselben zu besorgen ist.

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2) Nur die bei Cholerakranken in Gebrauch gewesenen oder mit solchen in unmittelbare Berührung gekommenen Kleider, Betten und Effekten müssen, ehe sie wieder in Gebrauch kommen dürfen, einer vollständigen Reinigung unterworfen werden, wie sie sub. 5 näher angegeben ist. Die Kleidungsstücke, Betten und Effekten der Reisenden sind, sofern die Reisenden selbst gesund sind, überall als unverdächtig zu behandeln, und nur gebrauchte Gegenstände der Art, als Handels-Artikel, dürfen von außerhalb nirgend eingeführt werden. 3) Waaren, welche zu Wasser transportirt werden, oder deren Emballagen, sind der bisher vorgeschriebenen Reinigung nur dann, und zwar am Auslade-Ort, zu unterwerfen, wenn auf dem Schiffe, auf welchem sie sich befinden, die Cholera geherrscht hat. Die angeordneten Revisionen der Flußschiffer an bestimmten Stellen und der Ausweis der Schiffsrollen und der Schiffsjournale bei Seeschiffen gewähren darüber die hinreichende Kontrolle, und es muß jedem Fluß-Schiffer deshalb ein Revisions-Attest, von jedem Revisions-Ort visirt, ertheilt werden, mit welchem er an dem Auslade-Orte die Unverdächtigkeit der Waaren und des Schiffes zu beweisen hat. 4) Alle See-Schiffe, auf welche sich keine Cholera-Kranke befunden haben, werden nach Abhaltung der früher schon angeordneten viertägigen Beobachtungs-Quarantaine, ohne Weiteres in die Seehäfen eingelassen und zur Löschung verstattet. So lange die inländischen Hafen-Plätze selbst von der Cholera ergriffen sind, soll es diesen Häfen gestattet seyn, auch von solcher viertägigen Beobachtungs-Quarantaine abzusehen, wenn sie es ihrem Interesse angemessen erachten. Die sub. 3 angeordnete Waaren-Desinfection muß aber in den dort bezeichneten Fällen unbedingt stattfinden. 5) Die überall, wo die Cholera ausgebrochen ist, angeordneten Wohnungssperren werden - um die mit der Beschränkung des Verkehrs verbundenen Nachtheile mit den in sanitätspolizeilicher Hinsicht erwiesenen Vortheilen derselben in das wünschenswerthe Gleichgewicht zu setzen - dahin ermäßigt, daß sie nur so lange fortdauern sollen, wie die Cholerakranken selbst in der Wohnung sich befinden, und bis nach ihrer Entfernung aus derselben oder ihrer Genesung die Reinigung der Wohnung geschieht durch Waschen, Scheuern, Lüften und Räucherung, die der Kleider und Effekten durch Lüften, Waschen in Seifenwasser oder Chlorkalk-Auflösung, oder Räucherung; die Betten müssen gekesselt, die Personen durch Baden, Räucherung und Wechseln der Kleider desinficirt werden. Die Räucherungen geschehen in der bisher vorgeschriebenen Weise, wobei jedoch ausdrücklich erinnert wird, daß Menschen der Chlor-Räucherung gar nicht ausgesetzt werden dürfen, weil sie den Lungen leicht nachtheilig werden kann. Die Gesundheits-Kommissionen haben für die Erfüllung dieser Vorschriften überall zu sorgen. aus: Bekanntmachung. Der Chef der Immediat-Kommision zur Abwehrung der Cholera. v. Thile, Berlin, den 25. Oktober 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 302, 31. Oktober 1831, S. 1625.

Das Begraben der Choleraleichen, auf jedem, außerhalb der Stadt gelegenen, gewöhnlichen Kirchhofe ist schon durch §. 12. des Publikandums vom 22ten August d. J. a. 1. und 2. nachgegeben und der Beurtheilung der Sanitäts-Commission ist es überlassen, ob sie von dieser Erlaubniß Gebrauch machen will. Das hiesige Gesundheits-Comite hat indessen diese Vergünstigung bis jetzt nicht in Anspruch genommen und es vorgezogen, die Beerdigungen

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auf den 3 Cholera-Kirchhöfen vornehmen zu lassen. Es schweben indessen über diesen Punct jetzt Verhandlungen, zwischen der Verwaltungsbehörde der Gesundheits-Comitee's und den Parochial-Vorständen, deren Resultat ich entgegensehe [...]. aus: Ludwig Gustav v. Thile an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 25. Oktober 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. I. Nr. 15. Die Fahrpost aus Hamburg, deren Beförderung auf dem gewöhnlichen Wege durch die dänischer und mecklenburgischer Seits angeordneten Sperr-Maßregeln seit dem Ausbruche der Cholera in Hamburg verhindert ward, ist vorgestern Abend auf dem Wege durch das Hannoversche zum erstenmal hier eingetroffen, und es steht zu hoffen, daß während des Bestehens jener Maßregeln, ferner ein regelmäßiger Fahr-Post-Verkehr zwischen Berlin und Hamburg auf dem angegebenen Wege stattfinden werde. Die Bürgerschaft von Berlin hat in einer unterthänigen Darstellung Se. Maj. den König um Aufhebung der fünftägigen Contumaz und anderer durch die Immediat-Commission veranlaßten Beeinträchtigungen des freien Verkehrs gebeten. Se. Maj. haben über die geführten Beschwerden die nöthigen Gutachten eingefordert, und da dieselben zu Gunsten der Bittsteller ausgefallen, wird jede Contumaz und alles Desinficiren aufhören. Der König, welcher vom Anfange der Krankheit an mit der ihm eigenen Furchtlosigkeit sich für seine Person durch keinen Sanitäts-Cordon absperren ließ, besuchte nicht nur das Königl. Theater, sondern auch das Volkstheater der Königsstadt zu wiederholten Malen. In dem Königl. Schlosse zu Charlottenburg hat die Absperrung aufgehört, und der König ertheilt die gewöhnlichen Audienzen. [Anonym.] Berlin, vom 26. October, in: Tägliche allgemeine Hamburgisch-Altonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 15 und 19, 29. Oktober und 2. November 1831, S. 60 und 72. Nach den Krankheitsfällen, welche ich in Berlin beobachtet habe, muß ich mich dahin äußern, daß mir die epidemische Ursache der Cholera oder der Choleraeinfluß allerdings in Berlin wirklich in Thätigkeit zu seyn schien, jedoch in einem milden und sehr gemäßigtem Grade. Fast ausschließlich hat sie hier solche Personen ergriffen, auf welche Fieber erregenden Ursachen unmittelbar einwirkten, und so einen zusammengesetzten Krankheitszustand erregt, der, zwar milde in Bezug auf die Symptome der Cholera, doch häufig mit dem Tode endigte, da es an einer zweckmäßigen Behandlungsweise gebrach. Die Mehrzahl der Kranken stirbt jedoch, wie ich glaube, an dem der Cholera nachfolgenden bösartigen Fieber, oder vielmehr an den Entzündungen, welche sich aus ihr hervorbilden, namentlich an den Entzündungen des Kopfes oder des Darmkanals, als in welchen Theilen früher die Congestion bestanden hatte. aus: Andeutungen des Herrn Dr. Carl Searle in Betreff der gegenwärtig hier herrschenden Brechruhr, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 36, 26. Oktober 1831, S. 141.

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So drückend schwer, wie Quaderstein, Daß all zu großes Sorge tragen Und meinten schier, ein Gläschen würde Nicht Nutzen bringet bei Gefahr, Zur Stärkung recht willkommen sein. Das wird das Folgende Euch sagen, Gesagt, getan, Sie setzten nieder Wovon ich letzthin Zeuge war. Den Korb - es war vor Eulner's Haus Die Cholera, das große Uebel, Und schrie'n hinein: „O, bring uns wieder Das auch zu uns den Eingang fand, Ein großes Glas Liqueur heraus!" Rafft - gleich der Sündfluth in der Bibel Es gingen nämlich die Leute Uns fort, nicht achtend Rang und Stand! Vorbei schon fünfzehn Male hier Und, leider Gottes! wir vermehren Mit dem gefüllten Korbe heute, Durch Furcht und Angst das Uebel nur, Und ruhten stets - vor Eulner's Thür. Da wir auf ihre Stimme hören, Da öffnet sich zum großen Schrecke Wie auf die Stimme der Natur. Die Träger überfällt ein Graus D'rum wurden auch so viele Leute, Des Korbes grün behäng'ne Decke, Die keine Krankheit sonst gekannt, Der Kranke steckt den Kopf heraus, Der Krankheit, wie des Todes Beute, Und ruft herab auf das Gewimmel Durch Furcht und Angst und - Unverstand. Des Volkes, das zum Korbe drang: Denn wer sich nur verdarb den Magen „Bringt mich doch ooch für'η Jroschen (Wie's einem leicht wohl widerfährt), Der wurde flugs davon getragen, Kümmel, Und gleich als Cholerist erklärt. Mit etwas Bitterkeit dermang!" Zwei Träger, deren krumme Rücken Wer schon im Korb hat noch Behagen Sich beugten unter schwerer Last An aqua aromatica, Des Korbes, stellten meinen Blicken Dem kann ich's mit Gewißheit sagen, Sich dar, in sehr geschäftiger Hast. Er hat doch nicht die Cholera! Sie keuchten unter ihrer Bürde, [Anonym. ] Aus Berlin, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 172, 27. Oktober 1831, Sp. 1375f. Sie wünschen, mein Werthester, zu wissen, wie es zugeht, daß wir hier in Berlin nach Verhältniß der großen Volkszahl nicht allein so wenig CÄo/era-Kranke haben, sondern die Krankheit sich auch schon zur Abnahme bequemt. Hierauf erwidere ich Ihnen Folgendes: Unsere Behörden, so wie das ganze gebildete Publicum waren so vernünftig, an die große Ansteckungsfähigkeit dieser Krankheit nicht zu glauben, verbannten daher alle Furcht dafür, vermieden alle großen Diätfehler, Erkältung und Leidenschaften, als die vorzüglichsten Anreger dieser Krankheit. Die jetzt gemachte Erfahrung hat sich auch bewährt. Wenige der gebildeten Classe sind davon ergriffen worden, und nur die ärmere Classe, welche diese schädlichen Einflüsse nicht umgehen kann oder will - sind ein Opfer geworden. Uebrigens wissen Sie ja selbst, der Verkehr ist vom Anfange an nicht unterbrochen worden, Alles geht seinen gewöhnlichen Geschäftsgang und Tivoli wie Elisium werden besucht, Gesellschaften, Hochzeiten und Kindtaufen haben nicht aufgehört - und es ist nicht bekannt geworden, daß man sich unter einander angesteckt hätte. Was aber den größten Beweis für die Nichtansteckung dieser Cholera betrifft, so liefert ihn das Droschkenfuhrwerk. Tausende von Menschen benutzen täglich vor wie nach dasselbe, ohne daß bis jetzt ein einziger Fall vorgekommen wäre, was doch unfehlbar geschehen sein müßte, wenn die Cholera so unbe-

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dingt ansteckte. Denn es ist ganz zur Genüge bekannt, daß dies Fuhrwerk von allen Classen der Einwohner benutzt wird, und öfters an manchen Tagen so häufig, daß kaum die Sitze kalt werden. Sie sehen also, Werthester, daß man uns anfänglich mehr geängstigt und uns die Sache gefährlicher gemacht hat, als sie wirklich an sich selbst ist. aus: D. Marquette, Berlin den 28. October 1831, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 176, 3. November 1831, Sp. 1407. Dr. Searle ist in Berlin nicht sehr ehrenvoll bestanden, und daher auch bald abgereist. Man hatte ihm in einem Cholera-Lazarethe mehrere Kranke zugewiesen, die er behandeln sollte, die aber sämmtlich starben. Dabei ergab es sich, dass seine medicinischen Kenntnisse äußerst gering waren, so dass man Veranlassung fand, ihn sogar nach seinem Doctordiplom zu fragen. Im Unmuthe über dieses und ähnliche Begebnisse hat er daher gleich das Lazareth verlassen und erklärt, es sei diess gar nicht die Cholera, welche hier herrsche, und von welcher seine Kranken befallen gewesen wären. Die Lazarethärzte liessen aber darauf in Gegenwart von 6 anerkannt tüchtigen Aerzten die Leichen seciren, und es fand sich, dass dieselben unläugbar an der Cholera verstorben waren. aus: Persönliche Nachrichten, in: Medicinisches Conversationsblatt, Nr. 44, 29. Oktober 1831, Sp. 351. Alles, was ohne wesentlich mit den vorerwähnten Hauptzwecken aller Veranstaltungen in Beziehung zu stehn, Aufsehn herbeizuführen schien, ward in der Ausführung, nach eingeholter höherer Genehmigung, unterlassen. So unterblieb das Bezeichnen der Häuser mit Warnungstafeln; statt der Militairposten wurden zur Verhinderung des Verkehrs mit inficirten Localien zur Civil-Wächter (Schutzdiener) angestellt; die Transporte der Kranken und Todten wurden den sonst üblichen Formen möglichst genähert u.s.w. Wegen Abkürzung der Contumazzeit auf 5 Tage wurden, auf den Grund ärztlicher Gutachten, Anträge gemacht und genehmigt. - Mehr als ein Vorurtheil galt es übrigens noch in manchen Klassen zu überwinden, und darunter war die den Kranken selbst so verderbliche, wenn gleich aus der natürlichen Anhänglichkeit an das Familienleben erklärliche, Abneigung gegen öffentliche Heilanstalten keins der geringsten. Es ward deshalb in einer Bekanntmachung der Verwaltungsbehörde vom 11. September auf die Wohlthat dieser Anstalten, welche die darin Genesenden dankbar genug erkennen, nochmals mit dem ausdrücklichen Bemerken hingewiesen, daß solche nur aushelfen und zu ihrer Benutzung Niemand gezwungen werden solle. Daß einzelne Schutz-Commissionen durch die persönliche Einwirkung ihrer Deputirten und Ärzte, jenem Vorurtheile zu steuern, sich es vorzüglich haben angelegen sein lassen, ist unverkennbar. - Auch der Verheimlichung von Cholera-Erkrankungs- und Todesfällen ward durch das gleiche Bestreben der Schutz-Commissionen, durch Revision der Todtenscheine, Besichtigungen etc. möglichst entgegengewirkt; nicht minder wurde den Ärzten die Verpflichtung, einen jeden solchen Krankheitsfall anzuzeigen, wiederholt in Erinnerung gebracht. - Denjenigen Wärtern und Schutzdienern endlich, welche nach einem beigebrachten Zeugnisse zur Rettung und Genesung eines Cholerakranken der ärmeren Klasse durch vorzügliche Sorgfalt, Anstrengung und Ausdauer besonders beigetragen hatten, ward eine Belohnung von 1-5 Thalern gewährt. [...]

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Ganz insbesondere aber müssen wir, indem wir von den vorbauenden Maßregeln gegen die Cholera sprechen, schließlich hier noch der eben so umfassenden, als erfolgreichen Fürsorge erwähnen, welche dem Militair durch die Anordnung seiner hohen Behörden in dieser Beziehung zu Theil geworden ist. Es wurde nämlich nicht blos in den Kasernen die Aufmerksamkeit auf Reinlichkeit, Lüftung der Stuben etc. verschärft und eine veränderte Speiseordnung, mit Hinweglassung aller unter den jetzigen Umständen nachtheilig befundenen Speisen eingeführt, sondern auch darauf geachtet, daß die physischen Kräfte der Soldaten durch angestrengte Uebungen etc. nicht zu sehr in Anspruch genommen werden. Es ward außerdem durch die Gnade Sr. Majestät für die Dauer der Epidemie der Sold der Leute um die Hälfte erhöht und dadurch eine noch sorgfältigere Verpflegung derselben, namentlich auch warme Speisung an den Morgen und Abenden, möglich gemacht. Desgleichen sind die Soldaten mit Leibbinden versehn und hinsichtlich ihres Verkehrs unter eine strengere Control[l]e gesetzt worden. Die Resultate dieser wohlthätigen Anordnungen liegen zu Tage. aus: E., Was ist in und für Berlin gegen die Cholera geschehen?, in: Berliner CholeraZeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 16, 29. Oktober 1831, S. 13Iff. Daß am 19. Oktober d. M. mehr als 5.000 Menschen zum Concert in Tivoli für die 23. Schutz-Commission versammelt gewesen, haben unsere Leser in den öffentlichen Blättern gelesen; zwei Tage darauf war bei dem Caffetier Letz vor dem Oranienburger Thore ExtraConcert für die 60. Schutz-Commission, und zum 24. Oktober war in Faust's Wintergarten für die 49. ein Concert angekündigt, zu welchem durch die Stadtpost mit frankirten und lithographirten Briefen eingeladen ward. aus: C. S., Ueber die Cholera-Collecten, in: Neues Berlinisches Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben zum Besten der Wadzeck-Anstalt, Nr. 44, 29. Oktober 1831, S. 689. Wenn wir uns jetzt, meine geliebten Freunde, miteinander zu unserer sonntäglichen Andacht versammeln, so ist nichts natürlicher, als daß unsere Betrachtung sich jedesmal lenkt auf jenes furchtbare Uebel, von welchem unsere Stadt und unser Land ergriffen ist, und welches sich langsam immer weiter über die Länder unseres Erdtheils verbreitet. Wir haben es nun schon viele Wochen unter uns, es hat uns schon viel Trübsal gebracht, es hat gewiß auch manchem aus dieser Versammlung tiefe und schwere Wunden geschlagen, und gesetzt auch, das wäre nicht der Fall, so fühlen wir doch alle schmerzlich das Unglück mit, das so viele unserer Brüder getroffen hat, ja wir haben uns alle zu keiner Zeit in größerer Unsicherheit unseres Lebens befunden, indem wir alle umstellt sind von einem Verderben, das vielleicht heute diesen, morgen jenen aus unserer Mitte hinwegreißen wird. In einer solchen Zeit müssen wir alle das Verlangen haben, Muth und Kraft zu schöpfen aus der heiligen Quelle, die uns in dem Worte Gottes eröffnet ist. aus: Dr. W[ilhelm] Hoßbach, Predigt über Luc. 22, 32 u. 32. Gehalten am 22sten Sonntage n. Tr. [30. Oktober], in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. l f .

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Die Fragen waren von dem hiesigen Wohlöbl. Magistrat den 59 Vorstehern der hier bestehenden 61 Schutzcommissionen vorgelegt worden, und die Resultate des deßfalls von ihnen abgegebenen Gutachten sind nun in der Hauptsache folgende: 1. In einem Bezirke sind noch gar keine Krankheitsfälle vorgekommen; dessen Vorsteher hat sich daher jedes Urtheils enthalten. II. Sieben Vorsteher halten die Beibehaltung der Sperren für nützlich, besonders wenn die Krankheit so ansteckend sey, als man behauptet habe, und auch sonst um Ordnung zu erhalten. III. Ein und fünfzig Vorsteher erklären sich ganz gegen die noch vorgeschriebenen Sperrmaaßregeln, und wünschen entweder deren gänzliche Aufhebung, oder doch wenigstens deren bedeutende Modificirung, sowohl der Zeit, als der Art nach, besonders nicht in Form der Sperre, sondern in Form eines Schutzes und Beistandes der Familie, welche von einem solchen Krankheitsfalle betroffen wurde, und dann auch nur Behufs der Reinigung. Gründe zu dieser von ihnen abgegebenen Erklärung sind folgende: ]) Die Wohnungssperren erreichen den Zweck, d. i. Isoliren des Krankheitsstoffes zur Vermeidung einer möglichen, wenn auch nur sehr bedingten Uebertragung auf andere Personen nur höchst unvollkommen, indem: a) ehe der Arzt herbeigeholt werden kann, den Ausspruch thut, daß die Cholera vorhanden, und ehe dann die Absperrung der Wohnungen bewirkt werden kann, in der Regel mehrere Stunden vergehen, und viele Personen unterdessen mit dem Kranken und seiner Umgebung in Berührung gekommen, die beim Eintreten der Sperre nicht mehr mit abgesperrt werden können, weil man ihrer nicht habhaft werden kann, auch gar nicht weiß, wer sie sind, b) die Aerzte und Wärter überdieß ab- und zugehen, c) die Unsicherheit der Wächter den Erfolg der Sperre zu unsicher macht. Sie können nur aus der geringeren Klasse genommen werden, da man ihrer zu viel bedarf, und deshalb eine höhere Bezahlung, um zuverlässige Leute bekommen zu können, wohl unausführbar erscheint, d) selbst Widersetzlichkeit sich gezeigt hat, aus Furcht und aus Unmuth, daß den gesunden Angehörigen nicht erlaubt seyn solle, sich außer der Wohnung zu erholen und frische Luft zu schöpfen, e) Die Sperre aber auch ihren Zweck der Isolirung und Unterdrückung der Krankheit insofern verfehlt, daß sie die Verheimlichung derselben veranlaßt, daher auch die sonstigen Vorsichtsmaaßregeln unterbleiben, f) die Sperren auf die Dauer zu kostbar werden und sich daher noch auf die Länge nicht fortführen lassen, g) im Winter die Wärter nicht auf den Fluren ausdauern können, und dann, wie sie schon jetzt gethan, in die Zimmer der kranken Familien hineingehen müssen, daher selbst in die nächste Berührung mit dem etwaigen Krankheitsstoff kommen, und ihn weiter vertragen können, statt ihn abzuwehren. 2. Die Wohnungssperren schaden dem Erkrankten a) durch die Verheimlichung aus Furcht vor der Sperre und vor deren zum Theil schrecklichen Folgen. Die Leute suchen sich daher möglichst selbst zu helfen, es wird zu spät anderweitige, wirksamere Hilfe geholt, und der Kranke stirbt darüber.

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b) Da jeder, der einem Erkrankten beigestanden, fünf Tage eingesperrt wird, dadurch um seinen Erwerb kommt, wohl selbst darüber erkrankt und stirbt, so fliehen häufig die Leute die Gelegenheit, wo sie helfen könnten und sollten. Selbst wenn Leute durch Mitleid noch herangezogen werden zu helfen, und wenn sie sich auch vor der Krankheit und deren Ansteckung nicht fürchten, so suchen sie doch davon zu kommen, um nur nicht bei dem Kranken und dem Cadaver eingesperrt zu werden. Der Kranke geht daher ihres Beistandes verlustig und erhält die Hülfe, welche die bezahlten Wärter gewähren müssen, erst spät. c) Daß auch die Krankenwärter fünf Tage kontumazirt werden sollen, hält viele der besseren Leute von diesem Geschäfte zurück, zum großen Nachtheil für die Erkrankten. d) Für den Kranken selbst bringt dieß Verlassenwerden von so vielen Personen, die durch das Sperren nun eintretende Gewißheit, daß er nun wirklich an der so gefährlichen und schnell tödtenden Krankheit leide, Furcht und Schrecken, und eine Trost- und Muthlosigkeit hervor, die seinen Zustand nur um so gefährlicher macht, da eine Eigenthümlichkeit der Krankheit darin besteht, daß der Kranke bis zum letzten Augenblick seine Besinnung erhält, und der durch die frühere[n] Verordnungen erzeugte panische Schreck vor der Krankheit, der Gedanke von derselben befallen zu seyn schon allein tödtlich wirkt. aus: [Dr. Albert Sachs], Ueber die Sperrmaaßregeln in hiesiger Stadt, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 40, 31. Oktober 1831, S. 159ff. [Es] kamen mir schon vor dem Ausbruch der Cholera in Berlin, noch mehr aber seitdem dieser öffentlich bekannt geworden war, recht viele Kranke, ältere und jüngere Leute, Männer und Frauen aus verschiedenen Ständen vor. Dass man es hier lediglich mit einer durch Cholera-Angsi erzeugten Krankheit zu thun hatte, Hess sich hauptsächlich daran erkennen, dass die Kranken fast ohne Ausnahme in ihren Klagen deutlich vernehmen Hessen, dass sie durch die Leetüre dieser oder jener Schrift mit den Symptomen der Cholera vertraut geworden waren. Fast alle klagten über eine entsetzliche Herzensangst, über grosse Mattigkeit und Beklemmung, Poltern im Leibe, dem Gefühl, als sollten sie zu Stuhle gehen, Magendrükken, Uebelkeit &c. Mehrere derselben bekamen wirklich einige Male Durchfall. Die Meisten fand ich bereits wie angehende Cholerakranke behandelt, mit Betten, wollenen Decken, Krügen und Wärmflaschen überhäuft; sie hatten in der Regel schon mehrere Tassen heissen Kamillen-, Flieder- oder Pfeffermünzthee getrunken, und waren meistentheils in Schweiss gebadet; sie lagen da mit entsetzlicher Angst, stark geröthetem Gesichte, vollem, frequenten Pulse u.s.w. Nur mit Mühe konnte ich die Kranken überreden sich mit Vorsicht kühler zu legen und von dem Gebrauch der erhitzenden Getränke abzustehen. Ich entsinne mich keines einzigen Falles dieser Art bei jüngeren Kindern, da bei ihnen natürlich die Veranlassung dazu, die Cholera-Angst, fehlte. aus: Dr. [Martin] Steinthal, Vierteljährlicher Sanitätsbericht über die in den Monaten Juli, August und September 1831 von mir beobachteten Krankheiten [in Berlin], in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde [Berlin], Jahrgang 1831, September, October [Η. 5, Ende Oktober 1831 ], S. 879f.

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Bei dieser ihrer Wirksamkeit sahen die Schutzcommissionen sich wesentlich dadurch unterstützt, daß das Beispiel des Bürgersinnes und der Menschenliebe, welches sie selbst durch Aufopferung von Zeit und Kräften bei Verwaltung eines unbesoldeten und schwierigen Amts bereitwillig gaben, durch Opfer von so vielen anderen Seiten befolgt ward. Der Ertrag der milden Beiträge, welche die Commissionen gesammelt, hat schon binnen weniger Wochen die Summe von 20.000 Rthlr. überstiegen und eine große Zahl von Contribuenten noch einen fortlaufenden monatlichen Beitrag zugesichert, ein Resultat, da um so beachtungswerther erscheint, je mehr die Mildthätigkeit der Einwohner auch schon zuvor in Bezug auf die auswärtige Choleranoth und zur Unterstützung der hiesigen Armen sich auf gewohnte Weise geäußert hatte. Allerdings waren, je nach dem Vermögensstand der Bezirksbewohner, einzelne Schutz-Commissionen bei diesen ersten Sammlungen reichlicher, andere nur wenig bedacht worden, ein Mißverhältnis, welches schon einmal (in Nr. 10 d.Z.) zur Sprache gebracht, übrigens aber auch theils durch wiederholte Zuschüsse der Behörde, theils durch die wohlthätige Mitwirkung der Bewohner anderer Bezirke minder fühlbar gemacht worden ist. Sehr bald bestrebten sich fernen Künstler und Kunstvereine, mit Hülfe ihrer Talente das Werk der Liebe zu fördern. Theatralische und andere Kunstvorstellungen, musikalische Unterhaltungen, Gemäldeausstellungen und Schenkungen etc. zu diesem Zweck unternommen, gaben einen Ertrag, durch welchen die Wirksamkeit der Behörden, der Epidemie und ihren Folgen, namentlich in dem weiten Kreise der Armen, zu steuern, einen bedeutenden Vorschub erhielt. - Um dürftige und der Unterstützung würdige befundene Familien und einzelne Arme mit einer nahrhaften und schmackhaften Speise zu stärken, hat die aus hochachtbaren Männern bestehende Direction der Armenspeisungsanstalt ihre, auch auf milde Beiträge begründete Wirksamkeit noch weiter als sonst ausgedehnt, so daß nunmehr aus vier großen Küchen in verschiedenen Gegenden der Stadt (Landsbergerstraße Nr. 62, Große Hamburgerstraße Nr. 7, Wilhelmsstraße Nr. 30 und Köpnickerstraße Nr. 101) täglich zwischen 4 und 5000 Portionen Suppe unentgeldlich vertheilt werden. - Um Arme mit Kleidungsstücken aller Art zu versehn, haben in verschiedenen Gegenden der Stadt menschenfreundliche Frauen Privatvereine gebildet; jeder Mißbrauch aber mit diesen Geschenken wird durch besondere Beaufsichtigung der Armen verhütet. - Noch ein anderer Verein hat sich die Unterstützung und Erziehung von armen unmündigen Kindern, welche durch die Cholerakrankheit vater- und mutterlos geworden sind, zum schönen Ziele gesetzt und auch nicht vergeblich hierbei auf die Wohlhätigkeit des Publikums, als eine hier nie versiegende Hülfsquelle, gerechnet. - Selbst zur Entschädigung von solchen unbemittelten Leuten, welche durch die nothwendige Desinfection einzelner ihrer Effecten eine erweisliche Einbuße erlitten, sind aus solcher Quelle schon manche Spenden geflossen. - Sollen wir die Gaben der Milde, der Verzichtleistungen alle herzählen, mit denen so Viele noch sonst den gemeinsamen Zweck fördern halfen? Hier räumte der Eine freiwillig zum Theil seine Wohnung zum Geschäftslocal ein für die Schutz-Commision (für die meisten dieser Locale werden keine Entschädigungen gegeben), dort bot ein Anderer sein ganzes Grundstück zur freien Benutzung als Desinfectionsanstalt dar; hier ward Speise und Wein, dort Arznei für die Kranken einer Privat-Heilanstalt, letztere auch zur Füllung von Hausapotheken etc. unentgeldlich geliefert; hier ward auf die Kosten des Drucks, dort auf einen andern Vortheil verzichtet, um den Fond der Wohlthätigkeit nicht zu schmälern; selbst dadurch flössen die-

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sem Beiträge zu, daß Vereine, der geselligen Freude geweiht, ihren Zusammenkünften entsagten, um durch ihr Entsagen den Armen Freude und Trost mit bereiten zu helfen. - Damit den in den entfernteren Stadttheilen Wohnenden der Bedarf an Arzneien schleuniger als sonst beschafft werden könne, bedurfte es bei den hiesigen Herrn Apothekern auch nur einer Anregung von Seiten der Behörde, und es wurden von ihnen in solchen Stadttheilen mit nicht geringen Kosten drei Dispensiranstalten errichtet; es befinden sich solche namentlich, mit Apothekerschildern versehen und von sachkundigen Individuen verwaltet: in der Bellevuestraße Nr. 52, Ackerstraße Nr. 33 und Carlsstraße Nr. 8. - Auch zur Pflege der Kranken selbst haben sich noch besondere Vereine gebildet; so: der Verein zur Verpflegung der an der Cholera erkrankten Studirenden, welcher diesen in ihrer Behausung die nöthige Hülfe zuzuwenden beabsichtigt und nur dann die Unterstützung der Schutz-Commissionen in Anspruch zu nehmen gedenkt, wenn seine Mittel nicht ausreichen sollten, desgleichen der sogenannte Brüderverein u. a. - Ob und in wie weit endlich diejenigen, nach deren Rath und Hülfe man da, wo der Tod naht, sich zuerst umsieht, in ihren Leistungen und Entsagungen der Erwartung entsprochen haben, glauben wir dem Urtheile Anderer überlassen zu dürfen. - Daß übrigens von den Erfahrungen der hiesigen Ärzte, an welcher eine große Zahl beobachtender fremder Kunstgenossen den lebhaftesten Antheil genommen, auch der Wissenschaft ein bleibender Gewinn erwachse, dazu sind alle Vorbereitungen getroffen; für jetzt, wo das Handeln noch zu sehr die zum Schreiben nöthige Muße hinwegnimmt, muß sich die Mittheilung freilich auf mündliche Besprechungen, wie solche in mehreren ärztlichen Vereinen regelmäßig Statt finden, und auf kurze Notizen für amtliche Berichte, medizinische Zeitschriften, Tagesblätter und Tagebücher beschränken. Dies etwa wäre ein Überblick Dessen, was in und für Berlin gegen die Cholera geschehn ist. Den gemeinsamen Feind zu bekämpfen, haben sich wie sonst, zu Zeiten der Noth, die Kräfte Aller vereinigt. Der Himmel ließ ihre Anstrengungen gedeihn und, Seiner Gnade bei gleicher Ausdauer im Wirken und Dulden auch noch ferner gewärtigt, hofft ein jeder Unterthan mit seinem Könige „es werde sich die schwere Prüfung selbst in einen bleibenden Segen für uns verwandeln und wir bald vereinigt Dankgebete zu Gott, unsern Herrn, richten können." aus: E., Was ist in und für Berlin gegen die Cholera geschehen?, in: Berliner CholeraZeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 17, 1. November 1831, S. 142f. Mehrere der Herren Prediger unserer Hauptstadt haben sich, auf den Vorschlag des Kandidaten der Theologie, Herrn Paul Friedrich Voigt, entschlossen, demselben Predigten, welche sie, während der Dauer der Cholera-Seuche, in hiesigen Stadt-Kirchen gehalten haben, zur Vereinigung in einer Sammlung anzuvertrauen, welche bei Bechtold und Hartje (Jäger-Straße 27 a.) auf Subscription (zu einem Thaler das Stück) erscheinen soll. Der Ertrag dieser Predigt-Sammlung, nach Abzug der Papier- und Druck-Kosten, ist der dereinstigen Versorgung solcher Kinder hiesiger Bürger gewidmet, welche durch die Cholera ihre Eltern verloren und ihrer Dürftigkeit wegen die Aufnahme in das Große FriedrichsWaisenhaus erlangt haben. Indem wir dieses Unternehmen dem Publikum hierdurch empfehlend bekannt machen, bemerken wir, daß alle hiesige Buchhandlungen und die sämmtlichen Armen-Kommissionen Subscriptionen annehmen und solches auf unserer Anmel-

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dungs-Stube (im sogenannten Deutschen Thurm auf dem Gendarmen-Markt), Morgens von 9 bis 1 Uhr, geschieht. [Bekanntmachung.] Die Armen-Direktion. Berlin, den 2. November 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 329, 27. November 1831, S. 1735. Die Sperlinge und die Dohlen und der Cholera-Duft von Wien und Berlin haben mit einander nichts zu schaffen. Diese und andere Vögel verlassen die Wohnungen der Menschen, so oft der Landmann säet, erndtet, pflügt, egget und überhaupt die Erde rühret, der Sämereien und noch mehr des Gewürms wegen, das sie dann auf Aeckern und in Gärten überaus reichlich finden. Die unschuldigen Vögel werden nach Wien und Berlin wiederkehren, der Cholera zum Trotz. Warum doch die Luft noch cholerischer machen, als sie ist und schon geängstigte Gemüther noch mehr ängstigen? Dagegen ist es erschrecklich, in Berlin zu sehen, wie man Pestessig etc. bis auf die letzten Hefen verdampfet und verkohlet, dadurch die Luft brenzlicht, den Lungen und der Leber und dem Magen höchst verderblich und diese Eingeweide so recht zur Cholera geneigt macht. Der Landmann, in reiner Luft athmend, wird betäubt, so oft er in Berlin in einen Laden tritt. Täglich reinen scharfsauren Essig mit so viel Kampher-Spiritus vermischt, als man ertragen kann, auf flachen Schüsseln überall hinstellen, am andern Morgen mit dem Rest den Hausflur etc. sprengen, auf wieder gereinigte Schüsseln neuen Essig und Kampher-Spiritus gießen, dabei das ganze Haus mit Taback (einem Haupt-Anti-Cholera-Mittel) räuchern, ist sicherlich das einfachste, ganz unschädliche und beste Desinfections-Verfahren. Den Taback nannte ich ein Haupt-AntiCholera-Mittel wegen seiner krampfstillenden, jedes Miasma zersetzenden Eigenschaft; denn, als vor etwa 100 Jahren in Halle und somit auch in dem dasigen Waisenhause eine epidemische Krankheit herrschte, blieb ein Zimmer damit verschont, und es fand sich, bei der nähern Untersuchung, daß der, über eine gewisse Anzahl von Zöglingen darin die Aufsicht führende Lehrer (nachdem der Inspektor die Abendrunde gemacht und die Zöglinge im Bette waren) sich ganz im Stillen an einem paar Pfeifchen streng verbotenen Tabacks gütlich that. Mit Taback räuchern und in Maaßen, weil man wenige Beispiele hat, daß sehr starke Tabacksraucher ein hohes Lebensziel ereicht hätten; denn außer dem Säfteverlust schwächt der Ueberreiz die Luftröhr-, Schlund und Magennerven, macht um so mehr zur Cholera geneigter und zerstört die Zähne, diese Mühlen der Natur. [Korrespondenz·] Prediger B. in Sch... bei Berlin, in: Beilage zu den Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 258, 3. November 1831, [S. 1]. Einen Monat habe ich gewartet, um Ihnen was Angenehmes melden zu können, das Thema bleibt aber, dasselbe, das Ihnen binnen kurz oder lang, mögen Sie sich auch noch so sehr sperren, bevorsteht. Präpariren Sie sich lieber im Geist und im Gemüth, es zu empfangen, das ist die beste Abwehr. Dennoch wahren Sie sich dadurch nicht vor einer peinlichen Ueberraschung. Wir glauben auch, gewaffnet zu seyn mit Vernunft, Geduld und Apothekerwaaren; aber als es nun einschlug, da war es doch etwas ganz anderes, als wir erwartet, ein Gefühl, das den Muthigsten niederbeugte, den Vertrauensvollsten irremachte. Sie werden schon überzuviel von der Sache gehört haben, schließen Sie aber Ihre Ohren nicht zu, hören Sie lieber immer noch etwas, je früher abgethan, um so besser, und wir Alle müssen alle Stadien durchmachen: das Vorgefühl, das Daseyn und leider auch, wie uns je[t]zt deut-

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lieh wird, die - Nachgeburten. Ehe sie kommt, streitet der Leichtsinn mit der Hypochondrie. „Wer weiß, ob sie wirklich gerade zu uns kommt, ob sie nicht unterwegs erlischt, uns überspringt, matt wird durch Morden, daß man sie fassen kann!" das sind die Stimmen im Volke; man will so ungern vom guten Leben lassen. So haben die Wiener gedacht und Eis gegessen und Kirschkuchen und gewalzt, bis sie mitten unter ihnen war und mitwalzte. Sie kommt näher, man wird träger und spricht von ihr als von einer - Freundin, ungefähr wie die Griechen in ihrem Euphemismus den ungastlichen Pontus das Schwarze Meer nennen. Wer sich diät hält, heißt es, geht frei aus; man tro[t]zt auf seine Jugend. Nun ist sie plötzlich da, nachdem man die ersten Fälle abgeläugnet hat. Heulen und Zähneklappern ist mit ihr eingezogen. Man wagt nicht zu athmen. Jeder Todesfall, den man nicht Gurken und Melonen unterschieben kann, zumal der eines Bekannten, erregt Entsetzen, man fühlt den Tod in den eigenen Eingeweiden. Aber nun geht es langsam, gewöhnlich vorwärts. Die Sterbenden sind unbekannte Personen, es sterben auch gerade täglich nicht so viele, als man gedacht, die Sonne scheint dazu, und plötzlich ist der Muth wieder da. Der Furchtsame lacht über die Furchtsamen. Man vergleicht die Sterbetabellen von sonst und je[t]zt, und findet es ganz natürlich, daß Menschen sterben, da Niemand ewig leben kann. Einige gehen so weit, zu behaupten, die gefürchtete Krankheit sey gar nicht da; es sey eine Fiction der Aerzte, nichts Asiatisches darin, alles gewöhnlich, herkömmlich, europäisch; das Ganze ein Popanz, die Völker zu erschrecken. Mindert sich nun gar in den nächsten Wochen die Anzahl der Opfer, so ist der böse Gast schon auf der Retirade; man verachtet die Vorsicht, knöpft die Röcke auf, trinkt ein Glas Wein mehr, bleibt Abends länger aus und überläßt sich der Hoffnung. Da schlägt es bei einem Bekannten, einem Freunde ein; wir sehen ihn heute wohl und munter, und morgen existirt er schon nicht mehr; sie haben ihn über Nacht still, heimlich hinausgetragen; es wüthet in einem Hause, drei - vier - fünf Mitglieder fallen schnell hintereinander als Opfer; es wird schlecht Wetter, die Aerzte schütteln den Kopf - und die Angst ist wieder da. Auf dieser Stufe stehen wir je[t]zt. Die erste Furcht war überwunden, wir glaubten, mit ihr die Gefahr; aber diese pocht wieder an den Thüren der Palläste und den Hütten aequo pede - denn es gibt bekanntlich im Verhältniß mehr Tagelöhner als Feldmarschälle, und drei Feldmarschälle haben schon daran glauben müssen - die Zahl der Erkrankenden wächst, die Kenntniß der Aerzte nicht in gleicher Progression; die Heilungen sind noch immer Werke des Zufalls, und hinter uns kommt der graue Nachzügler, der allen Muth rauben könnte. Denn das Beispiel von Odessa, Moskau, Riga lehrt wohl, daß wir sie nicht mit einem Besuche los werden. Noch immer, mitten unter uns, nachdem sie schon an tausend Opfer mit sich genommen, wandelt sie im Schleier des Geheimnisses. Kaum, daß wir so viel gewonnen haben: daß sie keine Pest ist, die durch Berührung ansteckt. Aber was ist sie? Hier ein Wechselfieber, dort eine Ruhr, hier ein Krampf; hier schnell tödtend, oder schnell überwunden, dort eine längere Krankheit, mit dem Tode oder einer Nachkrankheit endend. Nicht einmal der Tod ist das sicherste Zeichen. Zur Kulturgeschichte unserer Zeit, und wie der Mensch ein übermächtiges Element, das er noch nicht kennt, anfaßt, dazu mag ihre Ankunft dereinst reichlich Stoff hergeben. So viel ist gewiß, hier ist nicht der erste Schiffer aufgetreten. Es lassen sich Bücher, wenn nicht Bibliotheken über die Mißgriffe schreiben. Verschwendete Millionen, das Leben von Tausenden liefern einen traurigen Beleg für die alte Wahrheit: daß kein Staat ein Wissenschaft-

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liches Prinzip, eine Theorie als alleinseligmachend adoptiren soll. Es ist die große Tragödie für die Statistiker, eine umgekehrte von der dramaturgischen; es zerschellt das vollkommenste Gesetz an dem Uebermenschlichen, das uns zur Zeit noch wie Willkühr und Zufall dünkt. Es scheint uns hier entsetzlich schwer zu werden, diese Wahrheit zu fassen, und wir, die wir die Kuhpocken, Pestalozzi, das Turnen und letztlich noch Hegel als Staatskrankheiten, Staats-Erziehungsmethoden und Staats-Philosophen adoptirt hatten, konnten uns die Cholera für unsern Erziehungsleisten nicht entgehen lassen und erklärten sie officiell für contagiös. Etwas officiell Registrirtes für einen Irrthum anzuerkennen, darf in einem wohlregistrirten Staate nicht vorkommen. Wir haben sie einmal für ansteckend erklärt, wir dürfen nun nicht wieder davon abgehen. Die Gelehrtenwelt, die Erfahrung, der helle Sonnenschein sprachen nun evident dagegen, aber es stand geschrieben und gedruckt und untersiegelt: „sie steckt an"; also darf man sich kein Dementi geben! Oesterreich ist dießmal so kühn und freisinnig vorangegangen, es hat erklärt, wir haben uns geirrt, und mit einem Federstrich sind alle hemmenden Maaßregeln aufgehoben. Bestehen konnten sie auch bei uns nicht bleiben, die Glieder arbeiteten nicht und der Magen verhungerte; aber man hat sich gedreht und gewendet und accordirt und Ausnahmen über Ausnahmen gemacht, um das Princip nur nicht zu verletzen. Ein ganzer künstlich organisirter, trefflich administrirter Staat muß sich aus seinen Gelenken und Geleisen rücken lassen, um den Anspruch eines Arztes nicht zu Schanden werden zu lassen! Ist das kein Wunder der Zeit, keine lebendige Satire? Lange genug hat sich unser medicinischer Präsident, Dr. Rust, gewehrt. Wäre es nach ihm gegangen so wäre Berlin jetzt eine Wüste, wo Gras auf den Straßen wüchse und nur die Leichenträger frei umhergingen; man hörte nur die Todtenglocke und eine gute Parthie Häuser läge schon in Schutt niedergerissen. So aber hat die gesunde Vernunft ihm eines nach dem andern abdispiturt, offene Kirchen, Schulen, Theater. Lange Zeit schützte ihn die Censur. Der Strom war aber zu mächtig, der Wall brach. Seit alle Zeitungen und Zeitschriften (und darunter die Staatszeitung) die gediegensten Aufsätze annahmen, welche evident das Gegentheil der officiellen Annahme bewiesen, sind die Contagionisten mit ihrem Präsidenten als eine völlig geschlagene Parthei zu betrachten. Zwar geschieht noch das Mögliche, durch allerlei aufgesammelte Histörchen die Ansteckung glaublich zu machen; indessen werden diese Anekdoten jedesmal durch eben so viele, welche das Gegentheil beweisen, gehörig widerlegt. Dem Dr. Rust ist am Ende nichts weiter übrig geblieben, als die Retraite zu blasen. Dieß ist durch einen langen Aufsatz in der Staatszeitung geschehen, wodurch er sein Verfahren zu rechtfertigen sucht. Dieß geschieht aber noch mit so sonderbaren Anmaßungen, z.B. mit der Behauptung, daß die Nützlichkeit der Contumazirung und des Desinfections-Verfahrens immer mehr den Berlinern einleuchte, (!) daß Angst vor der Cholera gar nicht schädlich, vielmehr insofern heilsam sey, als sie zur Vorsicht und Mäßigung antreibe, überdieß mit Gründen, welche sich wohl für den Advokaten einer mißlichen Sache, aber für keinen Vorsteher einer Prüfungs-Commission eignen, dergestalt, daß Dr. Rust durch diesen Rückzug nicht den Ruhm eines Xenophon, Moreau und Dembinski einernten wird; noch dazu, da das Publikum mit König Bolingbroke von Percy sagen kann: „Er gibt ja die Gefangenen nicht heraus", denn es wird noch immer contumacirt, wenn auch nur fünf Tage, und desinficirt, daß es zum Spott wird.

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Das Schloß von Charlottenburg ist auf diese Commissions-Vorstellung dergestalt contumacirt, cernirt und separirt, daß viele hundert von Schloßangehörigen und wachthabenden Militairs von der übrigen Welt und ihren Angehörigen wie durch ein Weltmeer getrennt sind. Der Boden ist feucht, den Leuten fehlt die Bewegung, und gegen Hundert von diesen Gesicherten und Sichernden lagen bereits an andern gefährlichen Krankheiten darnieder, als nun auch ein Bettmädchen von der entsetzlichen Krankheit befallen wurde, und alle Kosten, alle Entbehrungen sind nun für nichts! - Seine Majestät der König allein zeigt sich, was seine Person betrifft, gern dem Publikum, und mag den Eigensinn der gebieterischen Aerzte wie sein Volk bedauern. Man geht aber von dem einmal Angenommenen nicht gern ab. Der Herzog Carl von Mecklenburg hat (zum Theil wohl auch Prinz August von Preußen) keine der Restrictivmaaßregeln angenommen und tritt öffentlich ohne alle Vorsicht auf, was nicht wenig hier zur Popularität beiträgt. Besonders trefflich hat sich bei allen Choleramaaßregeln unser Polizeipräsident, Herr v. Arnim, benommen und dadurch Vieles von dem wieder gut gemacht, was bis dahin durch die Monate langen Kommissionsberathungen versäumt worden. Es existiren doch je[t]zt schnell errichtete Lazarethe in allen Theilen der Stadt, die Schutzkommissionen sind, wenn auch noch mit etwas zu viel Geräusch, thätig. Ihm verdanken wir die Abwendung der Fleischtheurung, indem er die Schlächter auf eine Weise, die ihm durch keine Instruction vorgeschrieben, billige Preise zu setzen nöthigte. Er hat nämlich sämmtliche Schlächtermeister zusammenkommen lassen, ihnen die Unbilligkeit, so hohe, für die Armen unerschwingliche Preise zu machen, vorgestellt, zumal da bei der freien Zufuhr keine Nothwendigkeit sie dazu treibe. „Wohl weiß ich", ist er dann hervorgetreten, „daß hier Gewerbefreiheit herrscht, und Niemand ist weiter als ich davon entfernt, durch ein improvisirtes Zwangsgesetz diese segensreiche Institution zu verkümmern, um einer augenblicklichen Noth abzuhelfen. Allein, meine Herrn Meister, kein Gesetz hindert mich, mir selbst auch ein Schlächterpatent zu lösen, und ich gebe Ihnen mein Wort, wenn die Fleischpreise nicht innerhalb von acht Tagen heruntergegangen, lege ich in jedem Viertel der Stadt einen Fleischscharren an, und ich versichere Sie, ich werde so billige Preise stellen, daß es Ihnen nachher schwer fallen soll, mit mir als Fleischer Konkurrenz zu halten." Dies argumentum ad hominem hat denn seine Wirkung nicht verfehlt. Die Schlächter bedankten sich für die Ehre, den Polizeipräsidenten in ihrer Zunft aufgenommen zu sehen, und die Armen konnten wieder anfangen, Fleisch zu essen, - Indessen konnte der Präsident den Hühnern nicht verbieten, zu krepiren, dem Wildpret nicht, blau und mager auszusehen, (man meint von dem giftigen Thau) und auch den Aerzten nicht gebieten, manches wieder zu erlauben, was sie vorhin verboten. Daher noch immer verhältnißmäßiger Mangel und Theuerung. - Wir haben zwei Cholerazeitungen, eine halb offizielle (von Dr. Casper) und eine gar nicht offizielle (von Dr. A. Sachs redigirt), beide, obwohl jene mehr das russisch-offizielle Contagionssystem zu vertheidigen suchen muß, weichen doch nicht so von einander ab, als unsere (und die allgemeinen) Diätvorschriften von denen jüngst durch Hahnemann publizirten; und da unser Publikum sich dato noch nicht zu dieser laxeren Theorie zu bequemen gewagt, ist der Kreis des Eßbaren zum Leidwesen unserer Schmecker und Hausfrauen immer noch äußerst eng. Die glühenden Abendbimmel gegen Ende vorigen Monats, Anfangs für Nordlichter gehalten, hatten uns schöne, aber unnatürlich warme Herbsttage gebracht, die aber das Schrekkenssystem nur genährt haben.

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Die Cholerawitze und Anekdoten wachsen auf üppigem Boden. Furcht und Graus, die Todesnähe selbst, kann sie nicht zurückschrecken. Ein Buchhändler Cosmar gibt ganze Heftchen davon heraus. Ich will diese Zeilen nicht damit beschweren. Nur ein dokumentirtes Curiosum finde hier Platz: In den Lazarethen wird mit jedem Eingebrachten ein kurzes Verhör, wenn er noch sprechen kann, vorgenommen, über Namen, Stand, Wohnung. Alsdann wird über sein Bett eine Tafel mit diesen Angaben gehängt. Nuncius Freimund, ein behaglicher Trinker, wird in einem choleraartigen Zustande auf der Gasse aufgelesen, in den Korb gethan und ins Lazareth geschafft. Dort ist zur gleichen Zeit der Arbeitsmann Gottfried angekommen. Der Wärter verwechselt die Tafeln über ihren Betten, und über dem des Freimund hängt Gottfrieds, über dem des Gottfried Freimunds Name. Der rechte Gottfried stirbt, kaum daß er ins Bette gekommen, und der Tod des Nuncius Freimund, denn Freimunds Name schwebt über des Todten Kopfe, wird seiner Behörde und seiner trauernden Witwe gemeldet. Indessen wacht der ächte Freimund sanft aus seinem Rausche auf, springt aus seinem Cholerabette auf, erklärt sich für ganz gesund und will nach Hause. Man findet den offiziellen Gottfried auch wirklich gesund, allein einmal in ein Cholerahaus gebracht, muß er seine fünf Tage Cuntumaz aushalten, während welcher Zeit es ihm ganz gleichgültig ist, ob er als Freimund oder als Gottfried gepflegt wird, denn es geht ihm nichts ab. Also erscheint er am sechsten Tage unvorbereitet, unangemeldet als ächter Freimund bei seiner Wittwe, von der man nicht weiß, ob sie damals oder je[t]zt erst untröstlich geworden. Ein in seinem Fache sehr bewanderter Gelehrter, der Universitätsprofessor Valentin Schmidt, ein gründlicher Kenner der Literatur des Mittelalters, besonders der romanischen, ist ein jüngstes Opfer der Seuche geworden. Weniger Diätfehler, als, wie man meint, allzugroße Aengstlichkeit, sich zu behüten, waren ihm vorzuwerfen. [Anonym.] Berlin, Oktober, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 263-265, 3.-5. November, S. 1052ff. Dem gestern mitgetheilten Artikel aus Wien zufolge „erhalten die an der Cholera Verstorbenen ein Leichenbegängniß und werden auf dem Gottesacker begraben." Auch diese Rücknahme ist wichtiger und bedeutsamer, als wohl mancher glauben mag. Vielen ist allerdings gleichgiltig, wie und wo sie begraben werden, der bei weitem zahlreicheren Majorität aber nicht. Diese Majorität ist unter den niedern Volksklassen am stärksten, aber auch unter den gebildeteren findet man nicht Wenige, denen dieser Punkt recht sehr am Herzen liegt. So mancher Arme verkauft und versetzt das Unentbehrlichste, um einem Verwandten ein anständiges Leichenbegängniß zu verschaffen; mag derselbe auch vielleicht während seiner ganzen Lebenszeit allen äußern Anstand gering geachtet haben, - in den letzten Augenblikken die er auf der Erde zubringt, soll er wenigstens unter achtbaren Verhältnissen erscheinen, er soll als ein anständiger Mensch aus der Welt gehen. [...] Hieraus erhellt nun schon die Bedeutung der für Cholera-Leichen angeordneten Begräbnisse. Mag man auch das Ganze noch so anständig eingerichtet, den Leuten die N o t w e n digkeit dieser Bestimmungen noch so sehr ans Herz gelegt haben, so werden jene Proceduren beim Begraben einer großen Menge von Menschen stets im höchsten Grade widerlich bleiben, die Gemüther im Allgemeinen und namentlich in Bezug auf alle angeordneten Sanitätsmaaßregeln verstimmen, und die Furcht vor der Krankheit sammt allen ihren nach-

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theiligen Folgen unterhalten. Die abgesonderte Ruhestätte, die gebotene Stille beim Begräbniß, die Nachtzeit, der besondere Leichenwagen, das Verweigern des Geleits der Trauernden, statt dessen die polizeiliche Begleitung u.s.w. - selbst ein Freigeist muß eingestehen, daß das Ganze sehr geeignet ist, die Schauer, die stets den Tod umlagern, zu mehren, und wenigstens recht herauszuheben. Das Bewußtseyn, an einer Krankheit zu leiden, die bei Allen, und namentlich bei befreundeten geliebten Personen Scheu und Angst erregt oder zu erregen geeignet ist, dieses für jeden Menschen furchtbare Gefühl, um dessenwillen allein schon alle Schutz- und Sperrmaaßregeln verwerflich wären - weil es durch sie hauptsächlich hervorgerufen und unterhalten wird, - dieses Gefühl steigert die Betrachtung, daß jener Widerwille auch noch im Tode nicht aufhören werde, durch den man ja alles zu versöhnen hofft, gar sehr. Wir wollen gern zugeben, daß nicht jeder, und namentlich in der niederen Volksklasse seine Gefühle so genau analysirt, als wir es hier thun, aber das Gefühl selbst ist nichts desto weniger da. Man sehe nur, wie bei einem solchen Begräbniß die gaffende Menge im weiten Kreise den harrenden Leichenwagen umsteht, den sie sonst dicht umringt hält, - und wer dieß nur einmal gesehen, wird uns Recht geben. [...] Die Leute hegen nun einmal einen Widerwillen gegen diese absonderlichen Ceremonieen; wir haben erwiesen, daß diese Abneigung nicht ohne Grund ist, und müssen dieselbe sonach der Berücksichtigung werth erachten. Sie wollen nicht auf eine andere Stelle begraben seyn, als eben da, wo ihre Verwandte und Freunde und ihres Gleichen liegen; daß sie just an dieser Krankheit und nicht an einer anderen gestorben sind, scheint ihnen nicht geeignet, Anderen die Berechtigung zu geben, sie wie Verbrecher und Selbstmörder - (dieser Vergleich drängt sich hier immer unabweislich dem Betrachtenden auf) - zu behandeln; der Tod macht Alles (wenigstens Vieles) gleich, und im Tode soll Niemand das Recht haben, sich ihre Gesellschaft zu verbitten. [...] Das einzige von Allem, was wir am zweckmäßigsten erachten müssen, und was wir beibehalten wünschten, wäre die für die Begräbnisse bestimmte Zeit. Es würde ohne Zweifel einen sehr unangenehmen Eindruck machen, bei einer stark wüthenden Epidemie, oder vor einem Hause, in welchem Viele gestorben sind, immerwährend den Leichenwagen zu sehen. * Es ist bekanntermaaßen kein geringer Grund zur Abneigung, welche die ärmere Klasse gegen manche öffentliche Heilanstalten hegt, daß sie weiß, die Leichname der nicht für die Cur zahlenden Kranken werden secirt und der Anatomie überantwortet. Sehr wohlthätig in diesem Bezüge wirkt daher gewiß jede Anordnung, welche den möglichsten Anstand bei der Behandlung dieser Cadaver bezweckt. - Ganz abstehen von solchem Verfahren kann man nicht, denn es ist nothwendig. Der Staat braucht Aerzte, und die Aerzte müssen Anatomie studiren; die hie[r]zu nöthigen Cadaver können auf keinem andern Wege beschafft werden, und wenn man so viele Kranke auf öffentliche Kosten geheilt und verpflegt, so kann es auch von denen, deren Rettung nicht gelingt, gefordert werden, von dieser letzten Ehre etwas nachzugeben. aus: [Dr. Albert Sachs], Betrachtungen über das Einsenken der an der Cholera Verstorbenen auf besondren Begräbnißplätzen, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 44 und 45, 4. und 5. November 1831, S. 175ff.

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- In der Schweiz hat sich die Natur ebenfalls umgekehrt. Die Schneekuppen waren im August warm und die höchsten Gletscher voll Insektenschwärme, die sonst nur in den Thälern sichtbar wurden. - Bei Stettin war im Juli das Wasser der Ostsee wärmer als die Luft. - In Berlin hatten Anfangs mehrere Leute solche Angst vor der Cholera, daß sie sich in ihre Stuben verschlossen, und die Lebensmittel mit Bindfaden durchs Fenster zu sich nahmen. Einige von ihnen schwitzen Tag und Nacht in Essigdämpfen und Chlorduft. Nichts desto weniger hat die Seuche den Weg zu ihnen gefunden, während sie Andere verschonte, die offen und frei sich jeder Gefahr aussetzten. - In Berlin erscheinen eine Cholerazeitung und ein Cholera-Journal. Die CholeraLiteratur macht reißende Fortschritte. - Die Choleraschriften müssen ungemein geistreich sein. Sie gehen reißend ab. - Die Cholerafurcht ist in Berlin bei den Meisten verschwunden., seit die Cholera da ist. Der Uebel größtes ist die Furcht. - In Charlottenburg hat kürzlich die Cholera auch unter den Hühnern gewüthet. Sie erbrechen sich, bekommen Krämpfe und sterben - wie gewöhnlich. [Anonym.] Aphorismen und Notizen, in: Der Berliner Stadtbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, H. 21 [Anfang November] 1831, S. 168. „Gewohnheit ist des Schicksals Zaubertasche"; sagte ein vielfach gelästerter, aber bis jetzt weder von den Lästerern selbst, noch von allen seinen Schülern und Aposteln ersetzter deutscher Bühnendichter: „um den Teufel lieb zu gewinnen, braucht man nur vierzig Jahre mit ihm an einem Tische zu sitzen" - und er hatte dieses mal, wie sonst viele andere Male, vollkommen Recht; man braucht nur mit der Cholera zwei Monate an einem Ort zu wohnen und man gewinnt sie zwar nicht gerade lieb, wird aber doch gleichgiltig gegen sie wie ein Minister Großbritanniens gegen die Schmeichelworte, Fenster-Atta[c]ken und Steinwürfe der edlen Briten. Welch Bild gewährt Berlin jetzt, und wie stellte es sich vor zwei Monaten dar! - Schon auf der Treppe jedes Hauses strömten dem Eintretenden Dämpfe von vinaigre de quatre voleurs und von Chlorkalk entgegen; in jedem Gemach brannte eine Opferschale, welche anticholerische Düfte um sich verbreitete, und jeder Freund, dem man im Vorübergehen einen guten Morgen wünschte, wandte sich etwas seitwärts, um Worte und Hauch des Wünschenden nicht direct zu empfangen; die Zeitungsleser faßten die Breterchen mit bewaffneten Händen an und berührten die Blätter nur mit den Extremitäten der Finger. „Cholera! Cholera!" ertönte aus jedem Munde, und fragte man Jemand: „Sind Sie gestern im Theater gewesen?" so erhielt man die Antwort: „Was fällt Ihnen ein, wer wird jetzt an Theater denken". - Von dem Allen ist nun keine Rede mehr; die Opferschalen sind verschwunden; man faßt die Journalbreter ohne Handschuhe an, man geht in das Theater, findet Parterre und das Parquet gefüllt, auch überfüllt, spricht vom Theater und nicht von der Cholera, und selbst den Cholera-Leichenwagen, welcher in den Tagen stets von einem bedeutenden Gefolge auserlesener Jugend begleitet, unter Zischen, Heulen, Pfeifen und anderen Beifallsbekundungen seine langweilige Fahrt vollbrachte, trabt ungestört, ungezischt und ungepfiffen zum Thore hinaus; enfin die Gemüther haben sich beruhigt und selbst der Mann, welcher vor

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einigen Monaten im Hesperus gegen die deutschen Regierungen zu Felde zog und sie bitter tadelte, daß sie gegen die Seuche nicht kräftige, wirksame Schutzmittel angewandt, nicht in größter Schnelligkeit die bedrohten Länder mit hohen Mauern und derben Pallisaden umgeben hatten, würde jetzt mit minder strengen und wohl auch leichter ausführbaren Maßregeln sich begnügen. Würde man nicht durch die, mit der Stadtpost kommenden, durchstochenen Briefe und in den Straßen Berlin's durch Leute, welche dampfende Pfeifen und hellglimmende Cigarren im Munde führen und so das Ihrige beitragen, die Luft zu reinigen, an eine verdorbene Luft erinnert, so fände man beinahe durch den ganzen Tag keine Gelegenheit, zu denken, daß nicht Alles ist wie es seyn soll, denn Alles geht den gewöhnlichen, ordnungsgemäßen Gang; die Universität hat ihre Vorlesungen angekündigt, Schulen und Gymnasien werden fleißig besucht und ich komme eben aus dem überfüllten, königl. Opernhause, wo Spontini's „Vestalin" gegeben wurde, Mad. Fischer vom großherzogl. baden'schen Hoftheater zu Karlsruhe - eine schöne, mit schönen Mitteln ausgestattete Frau - die Julia sang und dem dirigirenden Compositeur von wohlmeinenden, aber Effekt und Erfolg nicht gehörig berechnenden Händen ein Kranz an den Kopf geworfen wurde. Selbst dem Gotte mit den safrangelben Socken an den Füßen und der Fackel in der Hand wird gehuldigt wie zu jeder anderen Zeit, und es scheint, als ob Euterpens und Terpsichorens Jünger und Jüngerinnen sich ganz besonders bemühten, dem erwähnten Gotte ihre Aufmerksamkeit zu bezeigen, indem seit kurzer Zeit Herr Spitzleder sich mit Dlle. Betty Vio ehelich verbunden, der Tenorsänger des Königstädtischen Theaters, Herr Holzmiller, geheirathet, die Tänzerin der königl. Bühne, Dlle. Mees St. Romain, ihren wohllautenden Namen mit dem schlichten Namen Robert verwechselt hat. Zeitungen und Journale darf man freilich nicht zur Hand nehmen, wenn man an die asiatische Dame quaestionis nicht erinnert seyn will, denn da spukt sie noch immer in allen Winkeln, und jedes Blatt bringt entweder einen Rath, ein Schutzmittel, oder eine Frage über die Natur derselben und ob sie wirklich contagiös sei oder nicht; doch da man unter diesen Zeitungsartikeln manche recht beruhigende, brauchbare und auch was man so convenable zu nennen pflegt findet, so kann man sich wohl zuweilen erinnern lassen. Ich z.B. bin durch so einen Zeitungsartikel wunderbar gestärkt und beruhigt worden. Die hiesige Spener'sche Zeitung gab vor kurzer Zeit ein Sendschreiben eines Herrn Predigers, welcher erklärte, daß alle bis jetzt angerathenen Schutzmittel nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich sind, und daß nur das Tabakrauchen allein als ein kräftiges und unfehlbares Schutzmittel anzuerkennen sei. Sieben Minuten nach Lesung dieses Sendschreibens hatte ich bereits alle von Cholera handelnde Schriften, deren ich einige besaß, verbrannt und alle Tropfen und Essenzen aus dem Fenster geworfen und rauche nun vom Morgen bis zum Abend, weshalb ich auch bitten muß, nicht übel zu nehmen, wenn etwa diese Blätter einen unangenehmen Geruch mit sich führen. [...] Doch um wieder auf besagten Hammel, nämlich die Cholera - man hat sich schon erschöpft, ihr verschiedene sinnreiche Titel beizulegen, Göthe hat sie ein furchtbares Geheimniß genannt, was recht hübsch lautet, obwohl nicht viel dahinter steckt, ich will sie Hammel nennen, vielleicht nimmt sie das übel und packt sich fort - und auf das uns durch sie gewordene Privilegium des Tabakrauchens auf den Straßen zu kommen, so versichere ich nochmals, daß anständige Leute von diesem Privilegium - obwohl anständige Leute den Privile-

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gien nicht abgeneigt sind - keineswegs Gebrauch machen, weil man es mit den Gesetzen des Anstandes durchaus nicht vereinbar hält; wollte irgend Jemand sagen, daß das Tabakrauchen in den Straßen eben so anständig sey als in den Zelten der Theegärten und anderen öffentlichen Lustorten, indem in den Straßen Niemand dadurch belästigt wird, die Damen aber an den genannten Orten so durch und durch be- und geräuchert werden, daß die cholerische Cholera es nicht wagen würde, ihnen auf sechs Schritte sich zu nahen, so würde man ihm antworten, daß das ein verschiedener Casus sey, indem das mehrbesagte Tabakrauchen an den genannten Orten, selbst mitten, neben, zwischen und unter schönen Damen üblich, in den Straßen aber nicht üblich sey, wobei man es bewenden lassen und sich wieder zur Cholera wenden müßte. Ich muß um Vergebung bitten, daß ich dieses Mal das nicht beliebte Thema etwas weitläufiger behandle als in meinem letzten Schreiben, allein es ist so reichhaltig und so interessant, daß man es beinahe lieb gewinnen, endlich gar versucht werden könnte, der Cholera selbst eine kleine Lobrede zu halten. Sie staunen, geehrter Herr, Sie schütteln den Kopf, o! man muß über nichts staunen in der Welt, über nichts den Kopf schütteln; konnte sich ein Mann finden, der den Mut hatte, zu schreiben: „So lang' es Schwaben gibt in Schwaben, wird Schiller stets Bewundrer haben", so kann sich auch einer finden, welcher den Muth hat, der Cholera eine Lobrede zu halten; wer von Beiden mehr oder weniger rasend ist, bleibt zu entscheiden; ich halte eine Lobrede. Wenn man von irgend Jemand sagen könnte, er predigt laut und eindringlich die schönste der Tugenden: Mäßigkeit, er erinnert die Großen und Reichen, welche zuweilen zu vergessen pflegen, daß sie doch weiter nichts als Menschen sind, und mahnt sie zur Demuth und Wohlthätigkeit, er öffnet dem Erfindung-, dem Speculations-Geiste ein weites Feld und weckt schlummernde Kräfte. Würde ein solcher Jemand nicht eine Lobrede verdienen? Eh bien, die Cholera thut das alles und somit verdient sie eine Lobrede, und somit wird man mich, der ich ihr die wohlverdiente Lobrede halte, kaum mit dem Verfasser des erwähnten Epigramms in eine Klasse setzen. Zu beweisen, daß sie wirklich alles Angeführte thue, wird mich niemand auffordern, indem alle Zeitungen es hinlänglich beweisen; lesen wir nicht täglich die langen Verzeichnisse der Beiträge, welche zur Unterstützung der Erkrankten, oder zur Versorgung der Geschiedenen eingegangen sind? - lesen wir nicht auf großen Zetteln, wie Oratorien in den Kirchen, kleine, große, einfache, doppelte, ordinaire, extraordinaire Vokal- und Instrumental-Concerte in Tivoli, Elysium, in Faust's Wintergarten und in den zahlreichen Vergnügungsorten Berlins zu gleichem Zwecke gegeben werden? - lesen wir nicht, daß der rühmlichst bekannte Organist Hr. Hansmann, der königl. Concertmeister Henning, die talentvolle Dilettantin Madame Türrschmidt die mühevolle Leitung solcher Oratorien übernehmen, daß die Gesangkünstler der königl. Bühne, Hr. Mantius, das holde Fräulein v. Schätzet überall mitwirken, daß Hr. Cerf in seinem Theater, die Eigenthümer Tivoli's in ihrem Lokale Concerte zum Beßten der Armen geben, und endlich die Musikchöre der hier garnisonirenden Garde-Regimenter ihre Talente den Unglücklichen widmen? - und dann den Erfindungsgeist, die schlummernden Kräfte betreffend; welche Aufgaben haben die Herren Aerzte nicht schon gelöst und welche bleiben ihnen noch zu lösen übrig? - und wie hat der Wunsch, sich nützlich zu machen, die Menschen auf fremde, bisher nie betretene Bahnen

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geführt? So hat Hr. Cerf, welcher sich bis jetzt nur als einen umsichtigen, sein Geschäft wohl verstehenden und mit gehörigem Eifer betreibenden Director der Königstädtischen Bühne gezeigt hat, durch Erfindung eines Cholera-Sackes - eines Sackes nämlich, in welchen die Kranken gesteckt, und ohne der Gefahr einer Erkältung ausgesetzt zu seyn, gerieben werden können - bewiesen, daß er nicht nur die Kunst versteht, Menschen in sein Schauspielhaus zu locken, sondern auch Menschen zu erhalten, was unstreitig verdienstvoller ist, ohne dabei in Anschlag zu bringen, daß wohl frottirte und lebende Menschen weit geneigter sind, das Theater zu besuchen, als solche, welche unfrottirt an der Cholera verstorben sind; und so hat der italienische Kunsthändler Bolzani, der Verfasser des trefflichen Werkes über den Seidenbau im Norden Deutschlands, einen Essig bereitet, dessen Geheimniß ihm von dem griechischen Erzbischofe Paysio Zanato mitgetheilt worden, und welcher sich während 40jähriger Reisen des Erzbischofes im Oriente stets als ein treffliches Schutzmittel gegen ansteckende Krankheiten und die Einwirkungen einer, mit bösen Miasmen erfüllten Atmosphäre bewährt hat; ja, dieser thätige Mann hat den Behörden einen Vorschlag gemacht, welcher sich zwar auf den ersten Blick als unausführbar darstellt, aber keineswegs unausführbar sein dürfte; dieser Vorschlag war, durch große Räuchermaschinen, welche auf acht Wagen, sowohl bei Tage als bei Nacht, durch alle Straßen der Stadt gefahren werden sollten, die Luft zu reinigen und zu verbessern, da es, wie ich glaube, festgestellt ist, daß die asiatische Dame in der Luft residirt und von da ihre Pfeile auf uns nieder schießt, so können solche, unaufhörlich emporsteigende Rauchmassen ihr wohl endlich lästig fallen und sie zum Abzug bewegen. So wie es gewiß ist, daß durch häufige Kanonenschüsse die Luft erschüttert, Wolkenmassen zerstreut und aus trüben, regnerischen Tagen freundliche und helle geschaffen werden können, so dürften wohl auch einige hundert Kanonenschüsse irgend ein Etwas, so sich in der Luft etablirt hat, zu einem mouvement retrograde zwingen; wenn ich etwas zu befehlen und Pulver und Kanonen hätte, so ließ ich ohne weiteres täglich einige Stunden in's Blaue hinauf puffen; nützte es nicht, so könnte es doch nicht schaden, in jedem Falle wären es aber nicht die am übelsten angewandten Kanonenschüsse, welche seit Berthold Schwarz - über welchen ich keine Klage führen will, denn die Menschen haben auch vor ihm großes Vergnügen gefunden, sich methodisch todt zu schlagen - abgefeuert worden sind. Endlich muß man der Cholera noch danken, daß sie manchen edlen Männern Gelegenheit gab, sich im schönsten Lichte zu zeigen und die Achtung und Liebe des Publikums zu erwerben oder zu steigern. Die dankbare Stimme der Bewohner Berlins nennt als solche den Geheimrath von Gräfe, welcher Pyrmont, wohin er sich begeben hatte, um sich durch einige Wochen von den Beschwerden eines mühevollen Jahres zu erholen, bei der ersten Nachricht vom Ausbruche der Krankheit verließ und im Fluge nach Berlin eilte, um seine segenreiche Hilfe seinen Mitbürgern nicht zu entziehen; den Herrn Polizei-Director von Arnim, welcher mit unermüdeter Thätigkeit die wirksamsten Maßregeln ergreift, den Leidenden Hilfe zu bringen, die Hilfebedürftigen zu unterstützen und so viele Aerzte, welche in den öffentlichen Heilanstalten, die nicht mehr der Schrecken der unteren Volksklassen sind, rastlos uns erfolgreich zu wirken, dem Sensenmanne, welcher auch, so gut wie die polnischen Sensenmänner, Sensation zu erregen versteht, seine Beute zu entreißen. Zahlreiche Gerettete gehen aus den Heilanstalten hervor und segnen ihre Retter. Besonders zweckmäßig finde ich das Lob, welches Herr v. Arnim jenen Krankenwärtern, die durch Thätigkeit und Eifer zur

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Genesung Cholerakranker beigetragen haben, in den hiesigen Zeitungen spendet; da das Lob auch mit Belohnungen von 3 bis 5 Thalern begleitet ist, so kann die beßte Wirkung nicht zweifelhaft seyn. Seine Majestät der König weilt mitten unter seinem Volke; er zeigt sich öfter im Theater, was sehr wohlthätig auf uns einwirkt; auch Se. Κ. H. der verehrte Kronprinz, Prinz Karl, Sohn Sr. Majestät, Prinz August, Chef der Artillerie, und Herzog Karl v. Mecklenburg befinden sich hier; nur Prinz Wilhelm, dessen erhabene Gemahlin ihn und das hoch erfreute Land im verflossenen Monate mit einem Prinzen beschränkt hat, weilt noch, aus leicht begreiflichen Gründen, in seinem Sommer-Aufenthalte, wo vor einigen Tagen die Taufe des neugebornen Prinzen statt fand. Eine Schattenseite hat das schöne Gemälde doch auch; gewisse Handeltreibende haben manche Artikel und gerade solche, die beim ersten Erscheinen der Krankheit unentbehrlich waren, bedeutend gesteigert; darüber kann man sich nun freilich nicht lobend aussprechen und es ist nur einigermaßen beruhigend, durch öffentliche Blätter zu erfahren, daß das so ziemlich allerwärts geschah, und zu bemerken, daß die Berliner Handelstreibenden doch noch gemäßigter zu Werke gingen als jene anderer Städte. Die Weißbierbrauer allein haben sich dieses Verbrechens nicht schuldig gemacht, und zwar aus guten Gründen; alle von und über Cholera handelnden Schriften hatten häufig vor dem Genüsse saurer und schlechter Biere gewarnt; das Publikum mochte geglaubt haben, das Weißbier gehörte auch unter die erwähnten Gattungen, und so mochte es gekommen seyn, daß der Absatz dieses Getränkes bedeutend abnahm, und so mochten die Herren Verfertiger desselben es für gut befunden haben, ihre Produkte nicht nur nicht zu steigern, sondern auch ein Manifest zu erlassen, durch welches sie das genannte Corevogia als ein unschätzbares Mittel zur Stillung des Durstes vor, während und nach der Cholera empfehlen. [.··] Die Literatur betreffend, hat die Cholera noch immer das erste Wort. Berufene und Unberufene schreiben und die Herren Buchhändler stellen Alles an ihre Fenster, was nur das Wort Cholera an der Spitze führt (man erwartet mit nächstem Cholera-Walzer); auch versucht man den Leib vom Geiste aus zu präserviren; da ein heiteres Gemüth, nebst D. Schaefer's köstlichen Tropfen, das beßte Schutzmittel sein soll, so hat die Buchhandlung Cosmar und Krause eine kleine Sammlung Berliner Witze und antidiluvianischer Anekdoten unter dem Titel: „Brausepulver" und die Herren Gropius ein „Alles durch einander", ebenfalls Witze, Anekdoten, Räthsel etc., herausgegeben; das „Alles durch einander" dürfte wohl dem Zwecke entsprechen; die „Brausepulver" sind uns schon seit Jahren durch Bilder aus dem Volksleben der Herren Gropius bekannt; können daher nicht sehr ansprechen. Th-or Β. ν. Ν-ff., Schreiben eines Reisenden aus Berlin. Im November 1831, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 278-295,1.-10. Dezember 1831, S. 1148ff. Die jüngere Tochter Hygiea's, die sanfte Homöopathie, welche lange von der Welt, ungeachtet ihrer freundlichen Gaben, unberücksichtigt gelassen, ja von ihrer älteren Schwester oft verspottet und verachtet worden ist, findet je länger je mehr verdienstliche Anerkennung. So hat sich neulich, dankerfüllt gegen zwei oder eigentlich drei edle Menschenfreunde, den Herrn Dr. Stüler, Dr. Haynel aus Lommatsch und den Besitzer der Familienhäuser vor dem Hamburger Thore, ein Verein von Familien Vorstehern im Königl. Intelligenzblatte Nr. 160

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und den Berliner Zeitungen vom 31. October, durch eine öffentliche Danksagung einer schönen Pflicht entledigt, indem derselbe dem einzigen hier lebenden homöopathischen Arzte, für seine uneigennützigen Bemühungen und wundersamen homöopathischen Kuren in der fürchterlichen Cholera-Krankheit, eine gebührende öffentliche Anerkenntniß zollte. Wenn zwar gegenständlich erwiesen ist, daß die dort Unterschriebenen, bei Gelegenheit der wöchentlichen Abtragung ihrer Wohnungsmiethe, im Comptoir des Hauses, für die ihnen, so unaufgefordert gewordene, Hülfe sich mündlich bedankten, und daselbst einen Aufsatz zu unterzeichnen eingeladen wurden, von dem sie nicht wußten, daß er der Öffentlichkeit übergeben werden sollte - eine heimliche Freude, welcher der Buchhalter des Herrn Hausbesitzers den edlen Menschenfreunden bereitete, welcher oftmals Zeuge der glücklichen Kuren gewesen ist - so ist doch die schöne Absicht nicht zu verkennen, den im Schreiben und Abfassen eines zum Druck zu befördernden Aufsatzes ungeübten achtbaren Familienvorstehern, denen überdies das schöne allgemeine Resultat unbekannt sein mußte, beizustehen, um diese Großthaten nicht ungerühmt hinsterben zu lassen. Ja! es ist der homöopathischen Heilkunst auch hier gelungen, ein so herrliches Ergebniß, wie überall, bei der Behandlung der Cholera zu gewinnen, welches die Alleopathie zu erreichen sich vergeblich bemüht [...]. aus: Verus, Die homöopathischen Kuren in den Wieseken 'sehen Familienhäusern, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 19, 5. November 1831, S. 155. Die Preußische Regierung hat, als sich die Seuche den Gränzen näherte, redlich und gewissenhaft Alles gethan, was sie zum Schutze ihres Volkes und als Vormauer zum Schutze Deutschlands und des westlichen Europa's thun konnte. Sie hat theure Opfer an Geld und Menschen, Erwerbsquellen, öffentlicher und häuslicher Glückseligkeit gebracht, indem sie eine Gränzlinie von mehr als 200 Meilen zu Lande und zu Wasser streng absperrte und mit Gränz-Cordons und Quarantainen versah. Das ganze Volk, ja ganz Deutschland, dankte ihr damals für die väterliche Fürsorge, und ewig wird sie ein ehrenvolles Denkmal derselben und eines Königs bleiben, der sein Heer zur gleichen Zeit zur Erhaltung des Friedens und zur Erhaltung der Gesundheit und des physischen Wohls von Europa verwendete. Aber vergebens waren die kostbaren Anstrengungen. Theilweise aufzuhalten zwar, aber nicht abzuhalten vermochten sie die schreckliche Seuche. Sie überschritt die Gränzen nach und nach an mehreren Orten und ist nun in allen östlichen Provinzen des Reichs eingedrungen. Man ist nun allgemein überzeugt, - wie ich solches von Anfange an behauptet und öffentlich ausgesprochen habe, - daß diese Krankheit keineswegs, wie die Pest, bloß durch Ansteckung und Berührung sich mittheilt und keineswegs, wie diese, durch Gränz-Cordons und Kontumazen abgehalten werden kann, sondern daß sie auf doppeltem Wege sich fortpflanzt, theils durch Ansteckung, theils und mehr noch durch eine progressive epidemische Luftverderbniß, durch ein Miasma, was durch keine Absperrungen aufgehalten werden kann. aus: C[hristoph] W[ilhelm] Hufeland, Einige Worte zur Beherzigung über Sperren und Kontumazen bei der Cholera, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 307, 5. November 1831, S. 1647f.

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Das ist aber auch die Frage, die wir in dieser Zeit an einen Jeden unter euch richten. Was betrübst du dich, ο Christ, warum bist du so unruhig in dir? - Welch eine Frage! möchten Viele antworten. Bist du allein ein Fremdling, der nicht wisse, was in diesen Tagen geschehen ist? Haben wir nicht Ursache der Traurigkeit, Furcht und Besorgniß Raum zu geben? Leben wir nicht in einer Zeit, da viele Staaten, wie aus ihren Fugen gerissen, noch immer sich in Gährung befinden, daß wir noch keineswegs rufen können: Friede, Friede! Sind nicht viele Familien durch Brotlosigkeit der allerdrückendsten Noth ausgesetzt, nimmt nicht die Hülfsbedürftigkeit täglich zu, daß ein Jeder sich fragt: was soll endlich daraus werden? Und sind es denn bessere, segensreiche Zeiten, denen wir entgegengehen? Muß nicht die Aussicht auf den herannahenden Winter und die vielleicht noch größeren Leiden, denen wir in der dunkeln Zukunft entgegengehen, uns beunruhigen? Ist nicht die jetzt herrschende, verheerende Krankheit allein hinreichend, unsere Seele zu ängstigen; können wir nicht bei dem plötzlichen Abscheiden derer, die uns nahe stehen, und die wir in dieser Welt lieb haben, ohne Betrübniß bleiben; sollen denn die Wittwen und Waisen, die ihrer Stütze beraubt sind, ihre Thränen verbergen und heiter scheinen? Ist es möglich, daß wir, die wir noch von den Pfeilen des Todes verschont sind, sicher seien, daß er uns nicht treffen werde? Haben wir es doch an so Vielen gesehen, die mitten in der Blüthe des Lebens dahingerafft sind, daß weder Jugend noch Gesundheit, weder Kraft noch Weisheit schützt. Sind das nicht Ursachen genug, in dieser Zeit betrübt und unruhig zu sein? - Dessen ungeachtet müssen wir die erste Frage als einen ernsten, heiligen Vorwurf wiederholen: warum betrübst du dich, ο Christ? du hast ja noch einen Gott, der da hilft, und einen Herrn, der vom Tode errettet! aus: Edfuard] Kuntze, Predigt über Ps. 62,2. Gehalten am 23. Sonntage n. Tr. [6. November], in: Achtzehn Predigten während der Zeit der Cholera in den Kirchen Berlins gehalten [...]. Herausgegeben und gesammelt zum Besten derjenigen Armen Kinder, welche durch die Cholera verwaist, in dem großen Friedrichs-Waisenhause zu Berlin erzogen werden, Berlin 1832, S. 157f.

Die Zahl der Erkrankungen beträgt nach vorstehendem Tableau nur etwa 7/8 p. C., und wenn nach den in den öffentlichen Blättern erscheinenden Bekanntmachungen bei den Erkrankungen etwa 2/3 Sterbefälle eintreten, so würde die Sterblichkeit bis jetzt nur etwa 1/2 p. C. betragen. Diese 1907 Erkrankungen sind in 811 verschiedenen Häusern vorgekommen, in denen 7.904 Familien oder 31.616 Personen wohnen, die Familie zu vier Personen im Durchschnitt gerechnet. Bedenkt man nun, wie wenig es möglich gewesen ist, die vorgeschriebenen Sperren in Ausführung zu bringen, in wie mannigfaltige Berührungen daher die 31.616 Personen mit den Kranken und Verstorbenen mittelbar oder selbst unmittelbar in den verflossenen Wochen gekommen sind, so möchte man die bösartige Cholera fast eine gutartige nennen; wenigstens ergiebt sich, daß sie nur in einem geringen Grade oder gar nicht ansteckend seyn kann. Es war eine optische Täuschung, von welcher Kurzsichtige und Furchtsame am leichtesten erschreckt wurden. Von fern sah die Krankheit aus wie ein Riese, der Alles verschlingen wollte, je näher sie rückte, je kleiner wurde die Gestaltung, und nun sie uns ganz nahe

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gekommen, so daß man sie selbst mit der Brille recht besehen kann, so ist sie, wie viele andere es sind, so daß man sagen kann: tant de bruit pour? aus: [Eingesandt.] Berechnung des Verhältnisses der in Berlin angemeldeten Choleraerkrankungsfälle zur Einwohnerzahl der Stadt, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 46, 7. November 1831, S. 185.

Personen Erkrankt sind vom 31. August bis 8. Novbr. 1831 Dazu ein Ausländer als eiserner Bestand Überhaupt

2066 1 2067

Hiervon sind: A.) genesen und zwar 1) die nur betrunken waren 65 2) die ihre Familie auf einige Tage verpflegt wissen wollten 24 3) die an andern Uebeln litten, jedoch eine dauerhafte Natur hatten, und daher die Anwendung der verschiedenen Cholera-Mittel glücklich überstanden haben 84 4) während eines Transports sind davongelaufen 4 5) aus Versehen wurden in die Anstalt gebracht 6 6) nach der Anstalt wollten sich nicht bringen lassen und sind zufallig genesen 14 1) von Nichtäerzten ohne alle Apparate hergestellt sind 436 8) zu Fuß in die Anstalt gekommen sind und mussten daher zurückgebracht werden 10 9) Um ihre persönliche Freiheit wieder zu erlangen, wollten die Cholera haben 32 Summa 675

B.) Mit Todes abgegangen sind: 1) während die Träger sich unterwegs restaurirten 2 2) bei probeweisen Versuchen der verschiedenen Mittel gingen drauf 578 3) an übermässigem Gebrauch der Magenpflaster und der verordneten Umschläge verschieden 8 4) durch Anwendung des Dampf-Apparats verbrannt 1 5) aus Gram und Kummer über die kostspielige und nachher für unnütz befundene Anschaffung von Cholera-Apparaten starben 23 6) durch die aus Furcht veränderte Lebensweise starben, theilweise verhungert 241 7) vom Lesen der verschiedenen Vorschriften über die bei der Cholera anzuwendenden Mittel und das Begraben der Todten, haben den Geist aufgegeben 7 8) wegen vorhandener errerores calculi haben in den namentlichen Listen doppelt sterben müssen 5

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Panik-Kurve - Berlins Cholerajahr 1831/32 9) an andern Krankheiten, welche die Furcht für die Cholera ansah, mussten unterliegen 310 10) an der früheren zwanzigtägigen Contumaz und den damit verbundenen Bädern sind nachträglich verschieden 3 11) zur Füllung der Cholera-Kirchhöfe, auch um zu beweisen, dass die bedeutenden Einrichtungskosten nicht unnöthig gewesen sind, mussten nothwendig Kadaver in Kalk gelegt werden 56 12) die Chlor-Räucherung konnten wider Erwarten nicht aushalten und sind davon erstickt 13 13) an der später eingeführten Festschnallung im Tragekorbe sind draufgegangen 20 14) vor Schreck und Ekel über die Bekleidung der Aerzte und Träger starben 2 15) aus Kummer über den aufgehörten Absatz der Vorräthe zu Cholera-Apparaten wurden des Todes 1 16) vor Lachen über die ganzen Anstalten und die Kurmittel sind zerplatzt 10 17) zur Ersparniss der Begräbniskosten haben mehrere arme Familien ihr an andern Krankheiten verstorbenen Angehörigen als Cholera-Leichen geliefert 24 18) Brauer und Schänker, welche ihr Weissbier mit Gewalt allein austrinken wollten, um die Unschädlichkeit desselben darzuthun, haben sich aufgeopfert 6 Summa 1310

C.) In Bestand: 1) diejenigen, welche, um Vorrath in den Anstalten zu haben noch zurückbehalten werden müssen 30 2) diejenigen, welche widerspenstiger Weise nicht daran glauben wollen, dass sie die Cholera haben 22 3) diejenigen, von welchen es noch nicht erwiesen ist, dass sie verwechselt worden 5 4) Personen, welche nach dem Urtheil einiger Aerzte die Cholera nicht haben sollten, die aber, um den Gegenbeweis zu führen, in die Anstalt gebracht werden mussten 4 5) welche zwar bald als Betrunkene anerkannt wurden, jetzt aber erst Contumaz halten müssen 10 6) die, welche zur Ansicht fremder Aerzte noch in Vorrath gehalten werden müssen 10 7) der Ausländer als eiserner Bestand 1 Summa 82

Moritz B. von Olschen [d.i. Moritz Gustav Bauschke], Uebersicht des Zustandes der Cholera in Berlin am 8. Novbr. 1831, in: Cholera-Bonbons in bunten Papieren freundlich geboten von Moritz B. von Olschen, Berlin 1832, S. 25ff.

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Mit Bezug auf die öffentliche Bekanntmachung des wirklichen Geheimen StaatsMinisteriums des Innern und der Polizei, Herrn Freiherrn von Brenn, Excellenz, vom 7ten v. Mts. wird ein Hochedler Magistrat hiesiger Residenz, unter Uebersendung eines ProbeExemplars, das von dem hiesigen Maler C. Gebauer, zum Besten der durch die Cholera in Nothstand gerathenen Bewohner der Monarchie, so wie der eingerichteten ArmenSpeisungs-Anstalten, in Steinabdrücken für den Preis von 1 Rhl. auf Subscription herauszugebenden Brustbildes Sr. Majestät des Königs, und einer Subscriptions-Liste ganz ergebenst ersucht, die Subscription auf dieselbe, so wie auf die von demselben Künstler, nach dem, Sr. Majestät dem Könige gehörenden Gemälde des Professors Hensel „Christus und die Samariterin am Brunnen" angefertigte, und für denselben Zweck, in Steinabdrücken, zu dem Preise von 3 Rth. 10 Sg. abzuziehende Copie, geneigtest befördern und nach geschlossenen Subscription die Liste gefälligst anher zurück gelangen zu lassen. aus: Friedrich Wilhelm v. Arnim an den Magistrat von Berlin. Berlin, 9. November 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 250. Es haben sich, seitdem von Seiten des Staats, die ersten Veranstaltungen gegen das Eindringen der Cholera, an den Gränzen der Monarchie getroffen wurden, und während der weiteren Verbreitung der Krankheit in den östlichen Provinzen derselben, mehrfach Personen, durch Eifer-Thätigkeit, und Selbstaufoperung ausgezeichnet, deren Namen zuweilen auch durch die Behörden der Immediat-Commission angezeigt worden sind. Jedenfalls ist wohl zu vermuthen, daß auch viele Fälle der Art nicht zur Kenntniß derselben gelangten. Euer Hochwohlgeboren ersuche ich daher ganz ergebenst, mir ein namentliches Verzeichniß, derjenigen, Aerzte, Civilbeamten, und anderen Einwohner zugehen zu laßen, welche sich in den, auf die Cholera Bezug habenden Angelegenheiten, durch thätigen Eifer, für das Wohl ihrer Mitmenschen, mit edler Selbstaufopferung rühmlich ausgezeichnet haben, und dabei zugleich die näheren Umstände anzugeben, damit ich sie, wenigstens zur Ertheilung eines belobenden Anerkenntnißes, Seiner Majestät dem Könige in Vorschlag bringen kann. Ludwig Gustav von Thile an das Ober-Präsidium der Provinz Preußen, Berlin, 10. November 1831 (Entwurf), in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 4. Die Arbeitsanstalt in Berlin ist ein großes Gebäude, welches mehrere Flügel und Hofräume besitzt, und dicht an einem Arme der Spree liegt. Es ist mit Menschen überfüllt, deren sich über 700 (ohne Dienstpersonale) im Hause befinden. Sie theilen sich in Zwangsarbeiter und Pfründner. Die Zwangsarbeiter sind Menschen, welche wegen Arbeitsscheu, Vagirens, schlechten Lebenswandels in polizeilicher Strafe, und überhaupt aus polizeilichen Rücksichten hie[r]her gebracht, auf unbestimmte Zeit behalten, und zur Arbeit angehalten werden. Als Pfründner werden hingegen Leute aus der untersten Volksciasse aufgenommen, welche arbeitsunfähig und hülflos sind, und in keiner der übrigen Versorgungsanstalten Unterkunft finden können. Die Zwangsarbeiter werden größtentheils zum Spinnen und Weben von Baumwolle verwendet; nach Bedürfniß werden sie auch zu verschiedenen häuslichen und Tagelöhner-

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arbeiten gebraucht. Unter diesen Menschen, durch Ausschweifungen oder Elend, oder Alter und Gebrechlichkeit gleich erschöpft, in einem mit dem Dunste der Menschen und fabricirten Stoffe gleich angefüllten Locale, fand die Cholera reichliche Beute. Von ungefähr 700 Personen erkrankten 63, davon genasen 35, und starben 28. Der Arzt des Hauses machte mir hierüber folgende Mittheilungen: Die nächste Veranlassung zum Ausbruche der Krankheit war bei den meisten Erkrankten sehr in die Augen springend. Die meisten hatten ein durch Ausschweifungen, Elend und Krankheiten ganz erschöpften Körper; viele waren aus einem Zustande der größten Noth erst kürzlich ins Haus aufgenommen worden. Bei Vielen brach die Krankheit nach begangenen Diätfehlern oder erlittenen Verkältungen aus; bei einigen blieb jedoch die Ursache der Erkrankung, vorzüglich zur Zeit der größten Ausbreitung der Krankheit im Hause, unermittelt. Am 3. September ereignete sich der erste Cholerafall im Hause; nach Mitte des Monats hatte die Krankheit die größte Ausdehnung im Hause erreicht, und währte so fort bis zum 27. September, wo sie mit einem Male wie abgeschnitten schien. Aber am 14. Oktober ergab sich wieder ein Todesfall; nachdem nun weiter bis zum 21sten noch 5 Erkrankungsfälle vorgekommen waren, schien die Krankheit nochmals erloschen zu seyn. Es hat sich auch bis zum 3. November, wo ich Berlin verließ, kein Rückfall mehr zugetragen. Man konnte in der Verbreitung der Krankheit durchaus keine Regel finden, sondern sie ergriff, ohne Rücksicht auf Nachbarschaft, bald hier, bald dort die Menschen, und bei Vielen hatte weder unmittelbare, noch selbst mittelbare Berührung mit Kranken stattgefunden. 1) Der erste Kranke war ein 41 jähriger Mensch, der ins größte Elend versunken, an den nothwendigsten Bedürfnissen des Lebens Mangel leidend, einige Tage auf den Feldern zugebracht hatte; er kam in einem Zustande großer Erschöpfung in die Anstalt, und erkrankte bereits 2 Stunden nach seiner Aufnahme, wonach er in ein Choleralazareth abgeliefert wurde. 2) Tags darauf, am 4. September, erkrankte ein Mensch, der erst seit 2 Tagen aufgenommen, und wegen großer Entkräftung ins Hauslazareth verlegt worden war. 3) Am selben Tage erkrankte ein Pfründner im Schlafsaale, welcher mit keinem der vorigen in die geringste Berührung gekommen war, aber bedeutende Diätfehler Tags zuvor begangen hatte. 4) Am lOten ein Pfründner, nach begangenen Diätfehlern, keine verdächtige Berührung. (Sämmtliche Aufgeführte starben.). 5 und 6) Am Ilten und 12ten erkrankten zwei Pfründner, muthmaßlich Diätfehler in Veranlassung. Am 12ten 7) ein Arbeiter, geschwächter Körper, Erkältung. Am 15ten 8, 9 u. 10) ein Pfründner, erst seit kurzem aufgenommen; ein zweiter Pfründner ohne ermittelte Ursache; eine blödsinne Person, die mehrere Stunden im Hofe beim größten Regen gesessen hatte. Am löten 11 u. 12) Pfründner, Erkältung; Pfründner, war in der Stadt, wo er wohl Diätfehler begangen haben mag, kam nach Hause zurück, erkrankte nach 2 Stunden und starb. Am 17ten 13-15) Arbeiterin, heftige Erkältung im Waschhause - gestorben; Pfründner, Diätfehler; Arbeiter, 43 Jahre alt, litt an chron. Fußgeschwären mit der Lues verdächtigem Charakter - genas;

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Am 18ten 1 6 - 2 1 ) Pfründnerin, Erkältung und Diätfehler; Arbeiter, hatte lange an Durchfall gelitten und denselben vernachlässigt, dazu Diätfehler - Tod; Pfründnerin und Gefangener, Diätfehler - beide genesen; zwei erkrankten leichter und genasen. Am 19ten 2 2 - 2 5 ) Arbeiter an Gicht leidend, Erkältung - genesen; Arbeiter, Diätfehler und Erkältung - genesen; zwei Pfründner, ein leichter Erkrankter genesen, ein zweiter gestorben. Am 20sten 2 6 - 2 9 ) ein 80jähriger, ganz entkräfteter Mann aus der Strafabtheilung - gestorben; ein zweiter, seit langem an Verdauungsbeschwerden leidend - gestorben; ein Pfründner und ein Arbeiter, Diätfehler - genesen. Am 21sten 3 0 - 3 3 ) ein Mensch erkrankte 5 Stunden, nachdem er von außen, wo er in größtem Elende gelebt hatte, in die Anstalt aufgenommen worden war; ein entkräfteter und siecher Arbeiter - Tod; eine Arbeiterin im Waschhause, nach heftigen Erkältungen, Diätfehlern - gestorben; Arbeiter, erkrankte nach Verkältung, kam zwar von der Cholera genesen, aber wassersüchtig aus der Choleraheilanstalt zurück, starb bald an letzter Krankheit. Am 22sten 3 4 - 4 0 ) ein Säufer starb; ein erst kürzlich aufgenommenen Zwangsarbeiter gestorben; ein 50jähriger Strafarbeiter nach vernachlässigtem Durchfalle - gestorben; ein anderer, der länger an Diarrhöe gelitten hatte, genas; ein Strafarbeiter mit chron. kachekt. Fußgeschwüren - gestorben; zwei leichter Erkrankte genesen. Am 23sten 4 1 - 4 2 ) eine Pfründnerin, Erkältung beim Waschen - gestorben; eine Strafarbeiterin, welche genas. Am 24sten 4 3 - 4 6 ) eine Weibsperson, wegen Liederlichkeit hierhergebracht, 36 nach ihrer Aufnahme - genas; eine epileptische starb; eine Pfründnerin, 9 0 Jahre alt, überstand die Cholera, verfiel aber nachher in eine große Entkräftung, an der sie starb; zwei Zwangsarbeiter, von denen der eine, eine liederliche Person, schon krank ins Haus gebracht wurde, erkrankten leichter - genesen. Am 25sten 4 7 - 4 8 ) ein entkräfteter und siecher Arbeiter - Tod; ein Pfründner, der in die Stadt gegangen, und sich dort wahrscheinlich güthlich gethan hatte - genas. Am 26sten 5 5 - 5 7 ) eine Pfründnerin - gestorben; ein Arbeiter nach groben Diätfehlern und Erkältung - gestorben; eine Wärtersfrau, leichter erkrankt - genesen. Pause bis zum 14. October. 58) eine Pfründnerin, die schon seit lange[m] an Verdauungsbeschwerden und Magenkrämpfen litt - gestorben. Am 15. October. 59) eine Zwangsarbeiterin, einige Stunden nach ihrer Aufnahme erkrankt - Tod. Am 18. October. 6 0 - 6 1 ) ein Arbeiter, litt an Diarrhöe, Verkältung, und ein zweiter - beide genesen. Am 22. October. 62) ein Zwangsarbeiter mit chronischen Fußgeschwüren, hektisch - gestorben; eine Pfründnerin, nach Verkältung leichter erkrankt - genesen. Während der Herrschaft der Cholera erkrankte Niemand an andern Krankheiten im Hause. Es erkrankte ungefähr der eilfte Mann und starb der fünfundzwanzigte Mann. Die Epidemie währte im Hause circa 7 Wochen; nach der dritten Woche setzte sie 18 Tage aus, und erschien nochmals auf eine Woche. Nach der Zahl der an den verschiedenen Tagen Erkrankten ist deutlich ein schnelles Steigen, eine Acme und wieder ein schnelles Abnehmen der Epidemie bemerkbar. Somit war

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dieses Haus ein Herd der Epidemie geworden, welche hier einen von der übrigen Stadt unabhängigen Verlauf durchmachte. [..·] Diese [Familienbeschäftigungs-] Anstalt, der (unter Nro. 7) erwähnten Arbeitsanstalt nachbarlich, und wie diese nahe an einem Arme der Spree gelegen, ist mit circa 500 Menschen überfüllt, welche in engen Zimmern in drei Stockwerken übereinander wohnen. Die Bestimmung dieser Anstalt ist sehr wohlthätig; hier sollen nämlich solche arme Familien aufgenommen werden, welche in so thiefes Elend geriethen, daß sie ihre Wohnungen verlassen mußten, und an den nothwendigsten Lebensbedürfnissen, so wie an Gelegenheit zum Verdienste, Mangel leiden. Man gibt ihnen hier nebst ihrer Familie Wohnung, verschafft ihnen Arbeit, und behält sie so lange (ein Jahr und darüber) in der Anstalt, bis man hoffen kann, daß sie sich nun wieder selbstständig forthelfen können. Dieselbe Stube dient häufig zur Wohn-, Schlaf- und Arbeitsstube für Mann, Weib und Kinder. Es ist leicht begreiflich, daß hier nicht immer die strengste Reinlichkeit herrscht. Von etwa 500 Menschen sind während der Epidemie 53 an der Cholera erkrankt, und davon 21 gestorben und 32 genesen; unter den letzten kamen viele leichte Fälle vor. Nur 6 schwer Erkrankte wurden in die nahe Heilanstalt übertragen, die übrigen aber im Hause behalten. Sämmtliche Erkrankungsfälle ereigneten sich binnen einem Zeiträume von circa 6 Wochen, und hatten bereits in den letzten Tagen des Octobers gänzlich aufgehört. Der Verkehr des Hauses mit der Stadt blieb immer frei; die Sperren der Zimmer wurden zwar bestellt, aber - es schien mir - nicht sehr streng beobachtet.

[...] Diese Anstalt [Cadettenhaus], in welcher circa 300 junge Leute erzogen werden, liegt sehr ungünstig an einem Arme der Spree. Der Arzt des Hauses, Regimentsarzt Dr. Wolf., hat mir folgende Mittheilungen über das Erscheinen der Cholera in diesem Hause gemacht. Seit dem Ausbruche der Epidemie mußten die jungen Leute wollene Strümpfe, Leibbinden und, so oft sie ausgingen, Ueberröcke tragen. Des Morgens um 6 1/2 Uhr erhielten sie eine warme Suppe; um 10 Uhr eine Tasse Fleischbrühe mit einer halben Semmel. Der Genuß anderer Nahrungsmittel als der verabreichten, war strenge untersagt. Der Arzt bestimmte die Wahl der Speisen für Mittags und Abends. Er untersuchte jeden Tag um 6 Uhr Morgens den Gesundheitszustand sämmtlicher Zöglinge. [...] Die Cholera trat im Hause auf folgende Weise auf. Es befinden sich im Hause viele Kellerwohnungen für das Wärterpersonale mit ihren Familien. Sämmtliche mit Ausnahme von zweien wurden vor dem Ausbruche der Krankheit geräumt. Der erste Kranke war der 62jährige pensionirte Aufwärter Voigt, ein schwächlicher Mann, welcher sich in einer der zwei nicht geräumten Kellerwohnungen befand. In Folge einer Erkältung, welche er sich am 11. September, vom Regen durchnäßt, zugezogen hatte, traten die Symptome der Cholera in der Nacht vom Ilten zum 12ten ein. Aber seine Frau verhehlte die Anfänge der Krankheit aus Besorgniß vor den Maßregeln, welche angeordnet werden würden. Die Krankheit erreichte bald einen sehr hohen Grad, und der Kranke starb am 15ten. Am 13ten Abends erkrankte der Aufwärter Kühne, ein kräftiger Mann von 37 Jahren, aber ein starker Trinker; er hatte bereits den ganzen Tag über Kopf- und Magen-

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Beschwerden geklagt, dieselben aber als Folgen seines gestrigen Trinkens gehalten. Der Fall war sehr heftig; es trat schnell Paralyse der Lungen und am 14ten Morgens bereits der Tod ein. (Das aus der Ader gelassene Blut (8 Unzen) bildete 8 Stunden nach der Entleerung eine feste lederartige Masse, und enthielt keinen Tropfen Serum.) Der Transport des Kühne von der Wachstube, wo er erkrankte, in seine Wohnung zur Nachtzeit erweckte die in der Nähe wohnende Frau des Aufwärters Eckhart aus dem Schlafe; sie tritt aus der Thüre, erblickt den Vorübergetragenen, erschrickt darüber sehr heftig, und kehrt sogleich unwohl ins Bett zurück. Diese 25jährige kräftige Frau, welche sich im dritten Monate ihrer ersten Schwangerschaft befand, war bis zu diesem Tage wohl gewesen. Um 1 Uhr Nachts vom 13ten zum 14ten September zwei und eine halbe Stunde nach dem erlittenen Schrecken, bekam sie Erbrechen und Durchfall, und als gegen Morgen ärztliche Hülfe begehrt wurde, hatte die Krankheit bereits eine fürchterliche Höhe erreicht. Die Kranke starb Mittags um 1 Uhr. aus: Beobachtungen bayerischer Aerzte über Cholera Morbus. Zweites Heft: Dr. Georg Kaltenbrunner, Ueber die Verbreitung der Cholera Morbus und den Erfolg der dagegen in den k. preußischen und k. k. österreichischen Staaten ergriffenen Maßregeln [November 1831], München 1832, S. 252ffi, 259f, 267ff. Ferdinand Turau, Holzhauers-Sohn, ein blonder, wohlgenährter und blühender Knabe, 11 Jahr alt, erkrankte am 1 lten November Vormittags 11 Uhr und wurde 2 Stunden danach, Mittags um 1 Uhr, in die Heilanstalt aufgenommen. Am Tage zuvor war er noch ganz wohl und hat auch nicht einmal an Durchfall gelitten. Heute und noch vor seiner Aufnahme in die Anstalt, hat er starke Ausleerung von wässerigen, flockigen Stoffen durch Erbrechen und durch Stuhlgang gehabt. Der Knabe bietet ein caracteristisches Bild der asphyctischen Cholera in allen Symptomen dar. Er liegt ruhig und kraftlos. Das Gesicht ist blaßgelblich und livideblau, am obern Theil der Stirn und auf den Wangen noch leicht geröthet, die Augen sind etwas in die Augenhöhlen zurückgesunken, halbgeöffnet und etwas nach vorn gerollt, von einem livideblauen Ring umgeben; der Augapfel ist gespannt, glänzend, aber ausdruckslos; die Thränenabsonderung scheint vermindert, die Gefäße der Bindehaut des Augapfels sind stark injicirt und blau gefärbt. Neben der Nase sind die Weichtheile collabirt, so daß die Nase etwas stärker hervorragt, wobei die Nasenlöcher aber weit offen stehen und nicht zusammen gefallen sind. Mehr nach außen bemerkt man die Anspannung der mm. zygomatici, außerhalb deren die Wangen stärker eingefallen sind. Die Oberlippe ist stark in die Höhe gezogen, so daß die obere Zahnreihe, von den bläulichen Lippen entblößt, daliegt. In der Umgegend des Mundes und des Kinnes ist die Haut stellenweise lividebläulich. Nasen und Backenknochen sind kalt, das Kinn kühl. Die Zunge ist weißlich bestrichen, breit, naß, kühl; in der Mundhöhle zeigt das Thermometer 23°R.; es ist fast vollkommene Stimmlosigkeit und sehr großer Durst vorhanden und der Kranke klagt über lästiges Ohrensausen im linken Ohre. Am Halse sind die Muskeln, welche sich jedoch weich anfühlen und nicht contrahirt sind, durch die Haut hindurch zu erkennen. Die Respiration ist beschleunigt, flach, kurz; der Herzschlag und Puls am Handgelenk gar nicht zu fühlen, an den Carotiden bemerkt man eine undeutliche, schwach zitternde Bewegung; der Unterleib ist teigig und bei tieferem Drucke schmerzhaft; der Rumpf, wie der ganze Körper, ist kalt, schmutzig livide gefärbt, Hände und Füße sind auffallender blau

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und die Finger und Zehen sehr blau und runzlich, in den Händen zeigt das Thermometer 21°R. Die Haut im Allgemeinen ist ganz unelastisch, teigig und wie Wachs knetbar, so daß gekniffene Hautfalten jeder Form unverändert lange Zeit stehen bleiben. Die Stuhlentleerang beträgt bloß etwa ein Löffel voll fade riechender molkenähnlicher Flüssigkeit; bisweilen erfolgt etwas wässeriges, bitterschmeckendes Erbrechen. Urin fehlt. Wadenkrämpfe sind nicht vorhanden und der Knabe liegt regungslos und ohne Lebensausdruck da, so daß er, ohne die schwachbemerkbare Respiration für völlig todt gehalten werden könnte. Er giebt nur auf wiederholtes Anreden Antwort, klagt über kein Leiden. Er bekömmt sogleich ein kaltes Sturzbad, welches kaum einigen Eindruck auf ihn machte und keine Veränderungen irgend einer Art bei ihm hervorbrachte; es werden ihm auf Kopf, Brust und Unterleib kalte Umschläge gemacht, das Sturzbad alle Stunden wiederholt und alle 10 Minuten ein kleiner Eßlöffel von Vinum stabiatum gereicht. Alles dieß brachte auch nicht den geringsten Eindruck hervor. Der Knabe blieb in seiner Erstarrung regungslos und gab bloß durch ein leises Stöhnen zuweilen zu erkennen, daß er noch lebte. Nachdem er 5 Unzen Vinum stabiatum ohne Erfolg zu sich genomen hatte, starb er um 7 Uhr des Abends, also 8 Stunden, nachdem er erkrankt war. Zwölf Stunden darauf wurde das Taf. II mitgetheilte Portrait des Verstorbenen verfertigt, und es ist zu bemerken, wie in diesem Falle auch nicht die geringste Verschiedenheit des Gesichts vor und nach dem Tode aufzufinden war. aus: Robert Froriep, Symptome der asiatischen Cholera im November und December 1831 zu Berlin, abgebildet und beschrieben. Mit acht gemalten Kupfertafeln, Weimar 1832, S.25f Mittags speisten Eimbecks, Grolmans, Barners, Wilhelms mit ihren Frauen und Kindern, nebst beiden Arnims bei mir. Mich sehr gefreut Frau v. Grolman und Ida bei mir zu sehen und auch Ernst Eimbeck. Alle 3 aber doch immer noch schwach und leiden noch an den Folgen der Cholera und haben es blos meinem Sohn zu verdanken, daß diese Krankheit ihre ganze Wuth an ihnen nicht auswüthen konnte. Ernst Ludwig Heim, Tagebucheintrag, 13. November 1831, in: Ernst Ludwig Heim, Tagebuch 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung. Sig.: Ms. boruss. Qu 493, S. 46. Sie wünschen durch mich etwas über unsern verehrten König und seine Familie zu hören, insbesondere aber das, was sich auf die Zeit bezieht, seit bei uns, d.h. hier in Berlin, die Cholera zum Ausbruch gekommen ist. Es scheint Sie zu befremden, daß die öffentlichen Blätter darüber keine Kunde enthalten? Darauf weiß ich keine andere Antwort zu geben, als daß es nun einmal nach altem Herkommen so ist. Sehr gern mache ich jedoch den Versuch, Ihre Wünsche zu befriedigen, so gut ich kann und um so lieber, als ich aus authentischen Quellen zu schöpfen die Gelegenheit fand, und auf diese Weise manche entstellte Gerüchte zu widerlegen im Stande bin, die sich hin und wieder verbreitet haben möchten. In Charlottenburg, wie bekannt dem gewöhnlichen Hauptaufenthalt S. M. des Königs im Sommer und im Herbst, der bisweilen bis December verlängert wird, wurde das Schloß mit Garten und Zubehör abgesperrt, wie Sie das schon wissen werden. Die zum geheimen Cabinet gehörigen, d.h. die mit den laufenden Geschäften beauftragten, so wie die zur gewöhnlichen Hof-

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haltung nothwendigen Personen, erhielten in dem weitläufigen Schlosse, so gut es sich thun ließ, angewiesene Quartiere, durften aber in den ersten Wochen das Schloß mit seinen Umgebungen nicht verlassen. Von der Garde-Infanterie wurde ein Commando gegeben, um den Eintritt unberufener Personen zu verhindern; desgleichen wurde ein sogenanntes Rastell, in der Gegend des Schauspielhauses, mit dem nöthigen Apparat versehen, eingerichtet, durch welches alle Gegenstände, ohne Ausnahme, die zum täglichen Bedürfnisse oder sonst erforderlich waren, passiren mußten, um, wie man es nannte, dort desinficirt zu werden. Auch Personen, welche berufen waren, mit S. M. dem König Geschäfte abzuthun, kamen zwar nach wie vor, wurden jedoch zuvörderst daselbst geräuchert und mußten Kleider wechseln. Alle diese Einrichtungen geschahen zufolge des von der Cholera-Commission mit Zuziehung der Königl. Leibärzte getroffenen Uebereinkommens. Aehnliche Einrichtungen fanden in Sans-Souci und dem neuen Palais statt, welche Schlösser zur Aufnahme der Königl. Familie eingerichtet wurden. Wie schwer es S. M. dem Könige geworden ist, diese Maaßregeln gut zu heißen, können sie sich, bei seinen bekannten Grundsätzen und Gesinnungen, leicht vorstellen, daher auch nur die wiederholten dringenden Vorstellungen und Bitten obengenannter Personen es vermochten, den König zum endlichen Nachgeben zu bewegen. Bei allem dem änderte der König nichts in seiner gewohnten einfachen Lebensweise. In der Regel kam S. M. täglich ein oder zweimal zur Stadt (Berlin), wo man ihn häufig in den verschiedenen Theatern erblickte. Wöchentlich fuhr er entweder auf einige Tage nach Potsdam zum Besuch der anwesenden Mitglieder seiner Familie (der Prinz und die Prinzessin Albrecht waren seit dem Monat August zum Besuch der Königl. Niederländischen Familie in Haag) oder er besuchte, solange es die Jahreszeit zuließ, eine oder die andere seiner ländlichen Besitzungen in der Umgegend von Potsdam. Der gewohnte Geschäftsgang wurde keinen Augenblick unterbrochen, da, wie schon gesagt, Personen, die in Berufsgeschäften mündlichen Vortrag zu machen hatten, sogleich vorgelassen wurden. Was die Prinzen des Königl. Hauses betraf, so kamen auch diese, so oft es die ihnen obliegenden Geschäfte erforderlich machten, von Potsdam nach Berlin. Als etwas höchst erfreuliches ist zu bemerken, daß sowohl S. M. der König, als die sämmtlichen Mitglieder der K. Familie, während dieser ganzen Periode, sich des besten Wohlseyns zu erfreuen hatten. In den ersten Wochen wurde die Sperre mit vieler Genauigkeit gehalten; da indessen bald nachher die Ansicht der Sachkundigen über den contagiösen Charakter der Krankheit immer mehr nachließ, so ward nach eben diesem Verhältniß auch mit der Strenge der Sperrungsmaaßregeln nachgelassen, so daß nach einigen Wochen schon diese als aufgehoben zu betrachten war. Jetzt aber hat sie schon seit längerer Zeit aufgehört. Schließlich ist noch zu bemerken, daß während der Dauer der Absperrungszeit, Sonntäglich regelmäßig Gottesdienst gehalten wurde, sowohl in der Schloßkapelle zu Charlottenburg, als auch im neuen Palais. [Anonym. Korrespondenz, Berlin, 15. November 1831 ], nachgedruckt in: Tagebuch Uber das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 73, 8. Dezember 1831, S. 291f. Um einer an mich ergangenen Anfrage sobald als möglich zu genügen, bemerke ich, daß die Richtung und Stärke des Windes allerdings Einfluß auf die Cholera-Epidemie zu äußern scheint. N, NO und Ο sind in dieser Beziehung die schädlichste, S, SW und W als günstige Winde zu betrachten. Die Culminationspunkte der Cholera zeigten sich hier 1) zwischen

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dem lOten und 15ten Septbr. bei vorherrschendem Ν und NO, 2) zwischen dem lsten und 5ten Octbr. bei vorherrschenden O, 3) zwischen dem lOten und 20sten Octbr., wo sich auch oftmals N. zeigte. Die mildesten Epochen der Krankheit waren 1) zwischen dem 20sten und 25sten Sptbr. bei S und SW, 2) zwischen dem 5ten und lOten Octbr. bei SW und S, 3) seit dem 20sten Octbr., wo S und SW durchaus obwalten, und zwar in den letzten Tagen mit nicht geringer Heftigkeit. [Ernst Ferdinand] August, Bemerkung, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 54, 16. November 1831, S. 218. Von Paul haben wir sehr gute Nachrichten, v. Felix prächtige Briefe aus der Schweiz gehabt, u. den letzten aus München. Er ist außer sich über die Cholera, u. Vaters Verbot, herzukommen, ich habe noch keinen traurigem Brief von ihm gelesen als den aus München. Wir hatten einen Augenblick die Idee, mit ihm in Weimar zusammen zu treffen, allein der Quarantaine wegen geht es leider nicht. aus: Fanny Hensel, Tagebucheintrag, 16. November 1831, in: Tagebuch 1829-1832. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Musikabteilung. Sig.: Μ A Depos. Berlin 500, 22. Fot. 8835, S. 68. Die Wirkung der Cholera als Ansteckung, und ihre sich darauf gründende Verbreitung, hat noch so viel Geheimnißvolles und Räthselhaftes, daß und jeder Beytrag darüber willkommen sein muß, besonders wenn er von der Hand eines so einsichtsvollen und in dieser Sache so erfahrungsreichen Mannes kommt, als Herrn Mile. - Auch stimme ich in der Hauptsache Herrn Mile darin bey, wie ich es auch schon früher ausgesprochen, daß man jedes Contagium, und also auch das der Cholera, als ein belebtes, ein eigenthümliches Leben und Reproductionskraft in sich tragendes, Wesen betrachten müsse, ferner glaube ich, daß die Atmosphäre ein so unendlich lebensvolles und Leben gebendes, Element, auch solchen abnormen Lebenskeimen - wir wollen sie nicht Insekten, sondern contagiöse Lebensatome nennen - erzeugen kann, die sich dann nach gewissen Richtungen, die uns freilich noch nicht genau bekannt sind, verbreiten und dadurch die Krankheit forttragen können. Daß dazu der menschliche Organismus, besonders Anhäufung und Zusammendrängung vieler, und Feuchtigkeit, viel beitragen, ist gewiß, aber wie viel mögen meteorologische, vulkanische, elektrische und magnetische Verhältnisse hierbei beitragen. [Christoph Wilhelm] Η[ufeland], Anmerkung zu: Prof. Dr. Mile, Ansichten über die Verbreitung der Cholera, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], V. St., November 1831, S. 3f. Sowohl allgemeine als örtliche Blutentziehungen - örtliche, da wo allgemeine contraindicirt oder nicht vollkommen indicirt waren - sind in dieser Krankheit sehr häufig anzuwenden. Der Grad der Krankheit, die Leibesbeschaffenheit, die Lebensart, Gewohnheit, und besonders die sichtbare Erleichterung der wesentlichen Symptome der Cholera, die während allem Fließen des Blutes eintritt, bestimmen die Menge des abzulassenden Blutes. Würgen, Erbrechen und Abführen seriöser Massen werden weniger. Das lästige Gefühl im ganzen Organismus, das Schmerzgefühl um die Präcordien hören nicht selten vollkommen auf. Eine

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reichlichere Blutentziehung ist bei weitem wirksamer als wiederholte kleinere; sie macht überdies ein Schutzmittel gegen die Folgen der Cholera aus. aus: Dr. Paul von Kildjuschewski, Kurzgefaßte Beschreibung der Cholera und Methode, sie zu heilen. Uebersetzt und bevorwortet von Dr. Stucke, Berlin [Mitte November] 1831, S. 16. Es war nach langem Regenwetter, an einem schönen Octoberabend, die Sonne war eben am Horizont verschwunden und das purpurfarbene seltene Zodiakallicht erhellte den Abendhimmel. Karl lustwandelte an dem Arm seiner Geliebten, einem achtzehnjährigen Mädchen, die schön war wie Hebe und gut wie die Sonne. Ihr Name war Emilie. „Sieh'", sagte der Jüngling, „wie der Himmel schaamroth wird, da er seine Braut umarmt, ich wette, die keusche Terra erwidert seinen Kuß wärmer als Du. Es wird eine schöne Brautnacht werden." Statt der Antwort senkte die Schöne ihr Lockenköpfchen auf seinen Arm, den sie mit dem ihrigen fest umschlungen hielt. Thränen benetzten das Kleid, und ein leichtes Ach! entfloh den Lippen. „Gott, Du weinst", rief Karl erschrocken, „wie ist es möglich, daß Du so betrübt bist?" Er erhob bei diesen Worten ihr Antlitz und küßte das Auge, indem er sie mit der rechten Hand umschlang und heftig an seine Brust drückte. Aber immer trauriger und immer ängstlicher wurde die Geliebte. „Karl, Karl", sagte sie rasch und preßte sich krampfhaft an ihn - „Karl, ich kann die Luft nicht einathmen, es schwimmt mir vor den Augen, ich sehe Alles roth und Alles voll Sternenflimmer funkeln." „Setz' Dich hierher in der Linde Schatten", entgegnete er, „und bedecke das Gesicht. Es ist nichts als die Abendröthe, die Dich blendet." „Nein", spricht sie, sich niederlassend, „es ist nicht die Abendröthe; ich fühle mein Blut erstarren, das ganze Innere - ach, Karl, Karl! ich sterbe." Sie sank leichenblaß und konvulsivisch zur Erde. Entsetzen sträubte dem armen Jüngling das Haar, er schrie und tobte und lief umher nach Wasser, ohne welches zu finden. Da war keine Hülfe - er fing an sie zu rütteln und zu reiben und aufzulösen. Auch ohne Erfolg. Die schönen Augen schlossen sich krampfhaft, das schöne Antlitz wurde bleich, und die schönen Hände erstarrten. Der grauenvolle Tod entfärbte die ganze Gestalt. Er sah's und sein Blut gerann zu Eis. Der fürchterliche Gedanke, der in ihm aufstieg, wurde Gewißheit, und mit der Stimme eines Verzweifelnden rief er: „Gerechter Gott! sie hat die Choleral" Das Wort tönte wie eine Gerichtsposaune in dem Ohre der Unglücklichen wider. Sie bestrebte sich noch einmal die Augen aufzuschlagen und des Theuren Hand zu drücken. Er lag auf beiden Knien vor ihr und wehklagte in einem Odem fort: „Emilie, Emilie, stecke mich an, geh' nicht allein in jene Welt, nicht ohne mich." Ein heiseres „Karl!" und ein matter erlöschender Blick war die Antwort. Sie hatte die Besinnung wohl, aber die Kraft nicht, mehr zu sagen. Ihr Herz brach. Unterdessen kamen Leute und rissen den Wahnsinnigen von der Leiche, um ihn nach Hause und das theure Opfer der schrecklichen Seuche zu Grabe zu geleiten.

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Der Arzt fand den Armen im Fieber-Paroxismus. Er sprach von nichts, als Emilie, Tod und Cholera, und weigerte sich hartnäckig, Medikamente und Nahrung zu sich zu nehmen. So lag er drei Tage. Das Fieber nahm zu, und mit ihm der Wahnwitz. Am vierten starb er. [Anonym.] Das theure Opfer, in: Der Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, H. 22 [Mitte November] 1831, S. 173f. Es ist oft gesagt worden, niemand bekäme vor Schreck die Cholera. Mir selber ist der Fall vorgekommen, daß ein Drechslergesell ins Hospital gebracht wurde; auf mein Forschen nach der Ursache der Krankheit sagte er: er erinnere sich durchaus nicht, in einer Berührung mit Personen gekommen zu sein, die ihm hätten eine Ansteckung zuführen können; am vorigen Abend sey er gesund und Wohlgemuth in einen Keller gegangen, um sich Abendessen zu holen. Beim Hinabsteigen der Treppe sey eine Stufe unter seinen Füßen gewichen, worüber er sich so heftig erschrocken habe, daß es ihm wie ein Stein auf den Magen gefallen. Nach Hause zurückgekehrt bekam er Erbrechen und Durchfall; unter den Symptomen der heftigsten Cholera kam er in das Lazareth, und starb noch am selbigen Tage. aus: Dr. Aug[ust] Wilh[elm] Stosch, Die Frage über Contagiosität oder Nicht-Contagiosität der Asiatischen Cholera, wissenschaftlich erörtert, Berlin [Mitte November] 1831, S. 33f. Die vielfältigen Bedrängnisse der Zeit haben überall einen so großen Nothstand herbeigeführt, daß wirklich die Wohlthätigkeitsliebe der Bemitteltem in der höchsten Potenz in Anspruch genommen werden muß, wenn durch direkte Unterstützungen der Hülfsbedürftigkeit begegnet werden soll. Wie trübe aber auch jeder Hinblick auf die peinliche Wirklichkeit seyn mag, so gewährt doch der täglich sich mehrende Wettstreit, durch Veranstaltungen aller Art, der Wohlthätigkeit immer neue Richtungen zu geben, daß der Noth wenigstens bis dahin Schranken gesetzt werden, wo ruhigere Tage mit der allgemeinen Arbeitslosigkeit und der größern Hülfsbedürftigkeit ein Ende machen können. - Zu den größeren Veranstaltungen dieser Art gehört nun auch das Eröffnen einer kleinen Kunstausstellung, in einem der Säle des Akademie-Gebäudes. Zwar haben bis jetzt nur einzelne Maler und Bildhauer ihre Arbeiten hie[r]zu hergegeben, es ist indeß zu erwarten, daß bald noch Mehreres eingehn und die kleine Ausstellung sich mehr konsolidiren wird. Vorhanden sind bereits mehrere Bilder von Erhard, Blechen, Gärtner, Stürmer, Schröter, ein großes historisches Bild (Otto der Große in der Schlacht bei Augsburg) und Kolbe, wovon wir bereits eine ausgezeichnete Skizze auf einer der frühern Kunstausstellungen gesehn haben; ferner Bilder von Hensel, Grünler, Schulz und andern. Außerdem kleine vortreffliche Holzschnitte von Unzelmann und eine schöne Büste von Simoni. [Anonym.] Die gegenwärtige Kunstausstellung im Akademie-Gebäude, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 272, 19. November 1831, [S. 8]. Ew. Hochwohlgeboren habe ich verschiedentlich von denjenigen Mißverhältnissen unterhalten, welche bei der vorgeschriebenen Abholung der Cholera-Kranken aus den Privatwohnungen entstehen können. Ich halte mich daher verpflichtet, Ihnen in den Anlagen eine Abschrift der polizeilichen Verhandlungen mitzutheilen, welche über die Abholung der

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unverehelichten Caroline Moritz ergangen sind und ersuche Ew. Hochwohlgeboren mich bei Rücksendung der Anlagen gefälligst zu benachrichtigen, was von Ihnen in diesem Falle und um ähnlichen Ungebührnissen vorzubeugen, verfügt worden ist. Ew. Hochwohlgeboren werden mit mir darin einverstanden sein, daß durch solche Vorgänge die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährdet wird und ich daher dringende Veranlassung habe, zu wünschen, daß dergleichen Willkührlichkeiten, wie im vorliegenden Falle vorgekommen sind und anscheinend dem Dr. Ideler - nicht Iglisch - zur Last fallen, niemals wieder vorkommen. Gustav Adolph v. Brenn an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 19. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 76. ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61.

Marie John, 3 Jahre alt, Kind des oben sub II aufgeführten Arbeitsmannes, hatte seit drei Tagen laxirt (angeblich weißlich geruchlos) und mehreremale gebrochen, als sie am 21. Nov. in die Anstalt aufgenommen wurde. Das Gesicht war nicht eben sehr collabirt, die Augen aber tiefliegend und mit einem blauen Ringe umgeben, die Wangen gefleckt geröthet, die Körperfarbe livide, der Mund geschlossen, die Stimme heiser, der Unterleib sehr weich und knisternd-emphysematisch beim Druck, der Puls 120, klein und unterdrückt, der Herzschlag schwirrend; schwach fühlbar, die Respiration flach, nicht beschleunigt, Kopf und Rumpf mäßig warm, die Unterextremitäten dagegen sehr kalt, die Nase weich und biegsam, die Haut mäßig pastös, die Hautfalte stehen bleibend. Das Kind war äußerst unruhig und schwer zu zügeln, und namentlich schrie es ab und zu kreischend auf vor Wadenkrämpfen.[...] Nach Mitternacht aber nahm der böse Zustand eine günstige Wendung. Schon am 25. früh war der Sopor geschwunden, das Kind vollständig besinnlich, der Kopf und Blick frei, die Augen mehr hervorgetreten, der Puls (120) mäßig schlagend, die Zunge feucht und warm, etwas Appetit vorhanden, der Darm blieb aber sehr träge, und die Haut hatte ihre Elasticität noch nicht ganz wieder gewonnen. Das Kind hatte bis jetzt 23 Sturzbäder gewonnen. Die Rumpfumschläge wurden nun ausgesetzt, und eine ziemlich starke Salzmixtur verordnet, die aber mit Infus. Sennae compos, vertauscht werden mußte, wonach erst am folgenden Tag breiige Stühle eintraten. Die Besserung ging nun, wie immer in diesen Fällen, sichtlich steigend, und am 28. konnte das Kind geheilt entlassen werden. aus: Dr. Johann Ludwig Casper, Die Behandlung der asiatischen Cholera durch Anwendung der Kälte; physiologisch begründet, und nach Erfahrungen am Krankenbette dargestellt, Berlin [Januar] 1832, S. 112jf. In diesem Grade der Krankheitsentwickelung wurden geheilt: 1. Caroline Rudolph (Gartenstraße 92, Zimmer 50). 2. Frau Günther (Gartenstraße 92a, Zimmer 23). 3. Wilhelmine, Tochter des Arbeitsmann Seidler (Gartenstraße 92b, Zimmer 57). 4. Frau Langbein (Gartenstraße 92, Zimmer 72). 5. Seidenwirker Probst (Gartenstraße 92a, Zimmer 11). 6. Caroline, Tochter des Arbeitsmann Sperling (Gartenstraße 92a, Zimmer 11).

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starben: 7. der Bäcker Kagermann (Gartenstraße 92a, Zimmer 14). 8. der Weber Kiesewetter (Gartenstraße 92, Zimmer 44). 9. Frau Packhoff (Gartenstraße 92a, Zimmer 18). 10. Friederike Abelee (Gartenstraße 92, Zimmer 110). 11. Sohn des Maurer Paul (Gartenstraße 92b, Zimmer 63). 12. Marie, Tochter des etc. Seidler (Gartenstraße 92b, Zimmer 57). Schließlich habe ich noch zu erklären, daß wir durch diese Resultate der homöopathischen Behandlung keinesweges zufrieden gestellt sind, indem sie verhältnißmäßig viel minder günstig ausfielen, als mehr[re]e der bis jetzt von Lemberg und Wien namentlich bekannt gewordenen; zu berücksichtigen aber und daraus der minder günstige Erfolg zu erklären ist, daß: 1. theils bei dem vielgestaltigen Auftreten der Krankheit in Berlin, theils bei dem Mangel an speciellen Mittheilungen über die Form und homöopathische Behandlung der Krankheit, in vieler Hinsicht erst so zu sagen die Bahn gebrochen werden mußte, bevor man zu gewissen Normen in der Behandlungsweise gelangen konnte, daß 2. diese Erkrankungsfälle meistens unter sehr armen, ursprünglich schon aller guten Nahrung entbehrenden, großentheils cachectischen, durch Krankheit geschwächten Leuten vorfielen, und endlich 3. auch erweislich einige verderbliche Vernachläßigungen, oder zu großes Gutmeinen und daraus hervorgehendes allzugroßes Warmhalten durch die, anfangs wenigstens, nicht zuverlässigen und ungeübten Wärter und Pfleger in unserer Abwesenheit vorgefallen sind. aus: Dr. [Gottfried Wilhelm] Stiller, Die homöopathischen Kuren in den Wiesekeschen Familienhäusern, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 26, 22. November 1831, S. 214. Leider ist jedoch noch die Wohnungssperre vorgeschrieben und wenn sie gleich hier wohl nirgends in der angeordneten Art zur Ausführung kommt und auch nicht kommen kann, so ist es doch ein großer Uebelstand, daß fortdauernd Contraventionen gegen eine doch einmal gegebene Vorschrift begangen werden, daß manche sich daher doch auch vor den möglichen, schweren Folgen fürchten, welche nach dem Gesetz vom 15. Juny d. J. dennoch bestimmt sind, und daß daher doch noch fortdauernd Bedrückungen deshalb eintreten und um so mehr dadurch Unzufriedenheit herbeigeführt wird als die Maaßregeln in manchen Fällen gar nicht, in anderen nur gelinde und in wieder anderen im strengen Maaße zur Ausführung kommen. aus: Magistrat der Stadt Berlin an Karl Friedrich Heinrich v. Lottum, Berlin, 22. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. I. Nr. 15. Der Streit der Contagionisten und Miasmatiker ist heftig, der Kampf wird noch lange, wenn diese Seuche uns längst verlassen hat, fortgeführt werden. Wie er enden, wer den Sieg davon tragen wird, müssen wir der Zukunft anheim stellen. Zum Wohle meiner Mitbürger muß ich aber wünschen, daß dieser Streit sich zu Gunsten des Contagiums entscheiden möchte. Denn gegen eine Ansteckung kann man sich möglichst sichern, gegen miasmati-

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sehen Einfluß nicht. Wäre die Cholera allein Letzterem zuzuschreiben, so müßte nothwendig die Gefahr sich vergrößern, indem Niemand sicher wäre, ohne alle vorhergegangene Ursachen dieser Krankheit plötzlich zu erliegen; Tausende würden täglich in Gottes freier Natur, auf Straßen, Plätzen etc. erkranken, bei jedem Athemzuge müßte man befürchten, sich den Tod zu holen. Ist es aber dahingegen das Contagium, was den Ort inficirt, den Krankheitsstoff verbreitet, so wird Jedermann, schon aus angeborner Liebe zum Leben, aus Pflicht der Selbsterhaltung, Alles thun, um einer Ansteckung aus dem Wege zu gehen, und den diätetischen Vorschriften gemäß zu leben, damit nicht durch eine Überschreitung derselben die Prädisposition zur Ansteckung befördert wird. Dies würde der Krankheit den größten Damm entgegensetzen, und sie bald das Ende erreichen lassen. Ich frage daher: würde nicht ein mehr Beruhigung gewährendes Gefühl, und ein größerer Nutzen daraus entstehen, wenn sich der Streit über die Natur der Cholera für die Contagiosität entschiede, und ein miasmatischer Einfluß bei ihrer Erzeugung nur im geringen Grade, wie er zuletzt bei allen Epidemien Statt findet, anerkannt würde? aus: [Anonym.] Welche Ansicht ist die tröstlichere?, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 26, 22. November 1831, S. 215f. Und so wurde meine Abreise aus der nordischen Hauptstadt endlich auf den letzten August unwiderruflich festgelegt. Meine Freunde, welche mich in B. zurückzuhalten wünschten, gaben vor, als fürchte ich mich, nach zweifach bestandener Influenza, je[t]zt noch der berüchtigten Feindin in die Hände zu fallen, die mit Siebenmeilenstiefeln auf uns anrückte. Aber deßhalb gerade solle ich bleiben, meinten sie: es gebe nirgends größere Aerzte als hier, im Sitz der Brennpunkte aller Intelligenz, und selbst unter den Händen der Weisheit methodisch seinen Geist aufzugeben, sey erwünscht und beruhigend. Zugleich sprachen sie mir Muth ein und erzählten, es werde so eben an einer dicken Instruktion gegen dieselbe gedruckt, die auf Alles Rücksicht nehme, selbst auf die Schlüssellöcher, durch die sie sich einschleichen könnte; einer so kräftigen Beschwörung könne sie nicht widerstehen. Ich pries und glaubte, wie sich versteht; doch sah ich selbst ihre Zuversicht ein seltsames Mißbehagen hindurchblicken. Einige Autoritäten und Persönlichkeiten fanden sich durch jenes räthselhafte Ungeheuer gefährlich blosgestellt. Daß die Aerzte Nichts wissen - dieser Kernspruch der Gesunden, den sie aber erkrankend gern fahren lassen, wurde je[t]zt gar zu auffallend bestätigt, seitdem sie allzuviel darüber wissen wollten, und wirklich jeden Tag etwas Neues wußten. Nur war es schlimm für die künftigen Patienten, solchen zerfleischenden Hahnenkämpfen der Heilkundigen zuzusehen. Aber nicht nur die Aerzte hatten einen großen Theil ihrer Lunge und Reputation und bedeutende Druckerschwärze dafür aufgewandt - man nahm die Sache sogar officiell und militärisch, und ließ Heere gegen die Krankheit ausrükken, um sie, wie den bekannten Zeitgeist, an der Grenze einzufangen oder abzusperren. Sie dagegen, wie ein unsichtbarer Schwaden geheimnißvoll über den Häuptern dahinziehend, flankirte unaufhörlich alle gewählten Positionen, und wagte es sogar, mehrmals mit dem retirirenden Gegner das Nachtquartier an demselben Orte zu nehmen, ja wie zum Spiele ihn im Rücken anzugreifen. So unerhörte Regelwidrigkeiten liefen gegen alle Instruktionen, und wenn selbst Soldaten und Akten - die Höhe des menschlichen Verwaltungswitzes - Nichts mehr verfangen, muß man nicht glauben, die Erde selbst wanke in ihren innersten Wurzeln, ja die ewigen Naturgesetze seyen erschüttert? - Wirklich wurden die Gesichter der schwit-

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zenden Aerzte immer länger, wie die Kassen leerer; doch verordnete und receptirte man einstweilen noch fort, um zu sehen, was der Feind unterdessen mit uns vorzunehmen gedenke. Da, nach einem tückischen Bogenmarsche, um uns herum, als ob er uns gar nicht im Auge habe, traf er uns plötzlich in die Seite. Alles stäubte auseinander, wie die Gänseherde, wenn der Treiber Eins aus der Mitte herausgefangen, und die schreckliche, tausendmal abgeschworene Wirklichkeit war da - sie hatte das Fanggarn über uns zugezogen. Aber wie in langweiligen Gesellschaften nach einem tüchtigen Schrecken der stockende Discours sich belebt und die Lebensgeister sich ermuntern, so war auch hier mit der Unterhaltung eine vortheilhafte Veränderung vorgegangen: sie wurde mannigfacher, bunter, und selbst die fadesten Individualitäten hatten ein gewisses Interesse gewonnen. Ein plötzliches Erdbeben, eine Feuersbrunst enthüllt den Menschen bis in sein Innerstes; dieß war hier geschehen, und man sah seltsame Figuren daraus hervortauchen. Die paradoxe Behauptung, daß die Vornehmen von der Krankheit verschont bleiben, hatte besonders gezündet; aber statt zu beruhigen, diese aber nur noch aufgeregter gemacht. Sie glaubten nun förmlich ein Recht zu haben, nicht zu sterben, und eine Pflicht, durch ihren Reichthum sich zu sichern; da indeß auch dafür Niemand ein Mittel wußte, so gränzte ihr Zustand an Verzweiflung; sie fühlten sich beeinträchtigt in ihren wichtigsten Rechten und heiligsten Ansprüchen, und daß einige, aus Furcht zu sterben, nicht wirklich den Geist aufgaben, läßt sich nur daraus erklären, daß der Feingebildetete selbst in der Extremität den Anstand beobachtet und das Ridiküle vermeidet. Sonst gab es der Schutz- und Vorbaumittel genug, und selbst die trockensten Phantasien zeigten unerwartete Fruchtbarkeit an Entwürfen. Manche gedachten sich so lange unter eine Glaßglocke einzusperren und sich darunter ihre gesamte Atmosphäre selbst zu bereiten; andere wollten einen gewaltigen Rauch- oder Luftfang bis zur höchsten Höhe hinaufführen, um die bessern Regionen einathmend, von dem Gifte der niedern Luftschichten bewahrt zu bleiben. Die Meisten bepanzerten sich gegen den Traubenschuß der Cholera von Unten her mit Pflastern und Binden, sprachen mit den Ihrigen in einer Entfernung von zwanzig Fuß, und berührten Fremdes nur in Doppelhandschuhen mit großen Holzzangen. Dabei beklagten sie ganz ernsthaft, daß sie, auf einen Unterleib aufgepflanzt, je[t]zt beständig die gefährlichen Folgen einer Explosion zu befürchten hätten, und wünschten zum erstenmale, rein ätherisch und geistig zu leben. Doch bemerkte man auch seltsames Kleiderwechseln der Charaktere. Einige Fromme, die es wahrscheinlich auf Spekulation oder aus Langeweile geworden waren, neigten sich je[t]zt da es ohnehin zu Ende ging, einer ausschweifenden Kurzweil zu, während umgekehrt die Freigeister und Lustigen etwas inne hielten, um ihre Rechnung doch nicht allzugroß werden zu lassen. Nur einige verwaiste Bräute und Wittwen waren aufrichtig froh, auf diese Art der Vereinigung mit ihren Getreuen entgegensehen zu dürfen. Mein Wirth, ein halber Arzt, wie alle seine Landsleute, wollte mir auf die Reise allerlei Schutzmittel aufdringen. Ich antwortete, um ihn zu beruhigen, mir solle der blecherne Doppelharnisch von der Erfindung des Doktor A. genügen, der auf dem Leibe getragen und stets mit warmem Wasser gefüllt, mir die glänzendste Invention des menschlichen Scharfsinns und die nöthigste zugleich für die hiesige Gegend erscheine. Nicht nur, daß man sogleich das nöthige Theewasser zu jeder vernünftigen Konversation bei der Hand, ja auf dem Leibe

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hat, sondern auch in Gesundheitszeiten sollte jeder Cour- und Tafelfähige solchen Harnisch tragen, um beim Anklopfen, wie sich's gebührt, gehörig hohl zu klingen. aus: [Anonym.] Reisescenen aus den neuesten Tagen. Die Cholera, in: Morgenblattßr gebildete Stände, Nr. 281 und 282, 24. und 25. November 1831, S. 1121ff. Ew. Hochwohlgeboren beehre ich mich hierbei sämmtliche Beilagen des gefälligen Schreibens vom 23ten d. M., die angeblich bei verschiedenen Cholera-Fällen stattgefundenen Unregelmäßigkeiten und Excesse betreffend, mit dem ergebensten Dank und dem Bemerken zu remittieren, wie auch ich daraus die Überzeugung gewonnen habe: daß die einzelnen Vorgänge, und namentlich der mit der unverehelichten Caroline Moritz, durch das Gerücht sehr entstellt worden, und daß es nach der inzwischen bewirkten näheren Erörterung einer weiteren Rüge des Verfahrens des Dr. Ideler nicht bedarf. Gustav Adolph v. Brenn an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 28. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 76. ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 61. Nachdem nun endlich durch Polens Unterjochung, durch die ohne Zweifel friedliche Ausgleichung der belgischen Angelegenheiten, durch die Prorogirung des englischen Parlaments, durch die Interesselosigkeit der gegenwärtigen französischen Debatten die Theilnahme für die politischen Angelegenheiten erschöpft ist und wahrscheinlich noch ziemlich lange bleiben wird, nachdem der Schrecken und die Furcht vor der Cholera verschwunden ist, so daß fast Niemand mehr hiervon spricht, während dieselbe in Ihrem Anfange das alleinige Tagesgespräch in allen Cirkeln war, nachdem endlich durch eine mehr als einjährige, bisher ungewohnte Aufmerksamkeit auf öffentliche Angelegenheiten die Gemüther etwas abgespannt und ermüdet sind, fängt man wieder in Berlin an, auf die frühern Gegenstände der Unterhaltung zurückzukommen. Merklich, darf man sagen, wächst schon wieder das Interesse für literarische Dinge, besonders Streitigkeiten, und Berlin, das sich nun einmal gern als Mittelpunkt alles literarischen Treibens in Deutschland betrachtet, läßt nicht gern eine Gelegenheit vorübergehen, sein Primat geltendzumachen. [...] Außer dieser politischen Zeitschrift [Berliner politisches Wochenblatt] erscheinen jetzt noch zwei andere neue am hiesigen Orte, die gleichfalls Erzeugnisse der gegenwärtigen Zeit im strengsten Sinne sind, nämlich zwei Cholerazeitungen. Die eine wird von einem gewissen Dr. Sachs redigirt, die andere vom Medizinalrathe Dr. Casper. Der erstem wurden im Anfange von der Censur bedeutende Hindernisse in den Weg gelegt, weil sie das Nichtcontagiositätssystem vertheidigte; durch ein allerhöchstes Rescript aber wurden diese beseitigt, und seit dieser Zeit hat sie sich, besonders in einer Beleuchtung des vom Präsidenten und Geh. Stabsarzte Rust in der „Staatszeitung" geschriebenen Aufsatzes, sehr unumwunden gegen dessen Ansicht ausgesprochen, welche früher Veranlassung zu allen jenen strengen Sperrmaßregeln gewesen, die nunmehr sowo[h]l zum commerciellen als zum leiblichen Wohle der Unterthanen Gott Lob! alle aufgehoben sind. Die Cholerazeitung des Dr. Casper zeichnet sich mehr durch offizielle und detaillirte Berichte, besonders über die öffentlichen Heilanstalten aus. Der einzelnen Schriften über die Cholera, welche allein hier erscheinen, sind Legion. Von Allem aber was über diese Seuche geschrieben worden ist, hat nichts so sehr die allgemeine Zustimmung hier gewonnen, als ein Aufsatz des Dr. Lorinser, der zuerst

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in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik" gestanden und später in der „Staatszeitung" nachgedruckt wurde. Derselbe ist mit außerordentlicher Umsicht, mit der unparteilichsten Prüfung aller für und wider die Contagiosität sprechenden Gründe, mit genauester Kenntnis aller Details und mit seltener Unbefangenheit und Klarheit abgefaßt. Es wäre zu wünschen, daß jede einflußreiche Zeitung ihn weiter verbreite; er würde gewiß in Ländern, wo die Cholera noch nicht eingedrungen ist, die Regierungen vor manchen irrigen Maßregeln und die Unterthanen vor unnöthiger, oft gefährlicher Angst bewahren. [Anonym.] Berlin im November 1831, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 334, 30. November 1831, S. 1442f. Als der Hofschauspieler Κ von einer Kunstreise aus Danzig zurückkehrte, und wegen der in diesem Orte ausgebrochenen Cholera vor einem Thore Berlins ein und zwanzig Tage Quarantaine halten mußte, äußerte er nach überstandener Contumazzeit, daß er nie ehrenvoller von den Berlinern empfangen worden sei; schon vor dem Thore würden ihm die Pferde ausgespannt, man habe ihm Hierbleiben zugerufen, und Weihrauch gestreut. Als die Nachricht vom Tode des Feldmarschalls Diebitsch in derselben Woche in Berlin eintraf, in welcher der russische Gesandte Graf von Alopeus starb, entstand die Frage: Wer wird zuerst im Himmel ankommen, Diebitsch oder Alopeus? Antwort: Alopeus, denn da Diebitsch an der Cholera gestorben, muß er vierzig Tage Quarantaine halten. Als in Berlin der erste Cholera-Schnapps verkauft wurde, kam ein Sackträger in einen Branntwein-Laden und forderte: „Vor en' Sechser Cholera, - un en Bißken Morbus mang!" aus: [August Cosmar?], Brausepulver für Hypochondristen. Eine Sammlung Berliner Witze und Anekdoten. Erste Dosis [November 1831], 4. Aufl. Berlin 1832, S. 12, 27, 34. Wunderbar, wie die Cholera in ihrem ganzen Erscheinen und Verhalten, ist auch der Einfluß, den sie in unserm Vaterlande auf die wichtigsten Verhältnisse des menschlichen Lebens ausgeübt hat. Kaum hat sie sich irgend einer Stadt in drohender Nähe gezeigt, so ergreift ein panischer Schrecken fast alle Gemüther. Selbst die muthigsten und besonnensten werden, zum Theil wenigstens, in den Strudel der allgemeinen Angst und Verwirrung mit fortgerissen. Geheimnißvoll und emsig werden Veranstaltungen zur Empfangnahme dieses schauerlichen Gastes getroffen, und schon jetzt entdeckt man eine Spannung und Gereiztheit in den Gemüthern, die in der That Schlimmes besorgen lassen. Bricht nun die gefürchtete Krankheit aus, so scheinen alle Bande welche den Menschen an seine gleichgeformten Brüder knüpfen, gelöst zu sein. Ein rasender Wahn bemächtigt sich des Pöbels, welcher in der Behörde nur seinen Feind, in den Wohlthätigkeits-Anstalten und Lazarethen nur Mördergruben, im Arzt seinen Henker zu erblicken glaubt. Wahrlich, die Cholera ist contagiöser in dieser Idee, die sie allgemein erzeugt, als in wirklicher Mittheilung der Krankheit. Ordnung, Gesetz und Macht werden mehr oder weniger, auf kürzere oder längere Zeit suspendirt, die heiligsten Gefühle des menschlichen Herzens verläugnet. Unbarmherzig stößt dort ein Meister seinen erkrankten Gesellen auf die Straße, unbekümmert, ob er elendiglich ver-

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schmachte, erschrocken fliehen hier die Nachbarn unter lautem Jammergeschrei aus ihren Häusern, und lassen einen todtkranken ihnen sonst theuern Angehörigen hülflos zurück. Aengstlich weicht man einem geliebten Freunde, der etwas bleicher und weniger kräftig als sonst über die Straße schreitet, aus dem Wege, und statt barmherzig einem etwa plötzlich auf der Straße erkrankten Unglücklichen Hülfe zu leisten, sammelt sich in gemessener Entfernung ein neugieriger Haufe und starrt den Hülflosen müßig an, wie einen Geächteten, an den Niemand Hand anzulegen wagt. Nur schüchtern naht sich der Arzt, der sonst so willkommene Helfer, dem Kranken. Er kennt seine Ohnmacht und die Schrecklichkeit des Feindes, den er bekämpfen soll, er kennt die Vorurtheile des gemeinen Mannes gegen seine wohlgemeinen Hülfleistungen, er kennt nur offen, nicht ganz ohne unsere Schuld. Wir haben die dem Arzte so wohl anstehende und in jeder wichtigen Krankheit doppelt nothwendige Ruhe und Unbefangenheit verloren, und wie es dann geschehen muß, Blößen gegeben. Daß wir die morgenländische Seuche bisher nicht glücklicher bekämpft haben, werden nur Unbillige und Unverständige uns zuzurechnen wagen, denn redlich, wir dürfen es gestehen, haben wir alles endlich die (vermeintliche) Gefahr der Ansteckung, und sehr befangen nur erfüllt er seine Pflicht. Aber auch das Verhältniß des bessern Publikums zu seinen Aerzten erscheint in seinen tiefsten Grundlagen erschüttert. Eigenmächtig, ohne auch nur zu fragen, wählen Viele von den zahllos empfohlenen Präservativen, was ihnen gut dünkt, um sich vor dem grausen Feinde zu schützen. Pflaster, Mixturen, Pulver, Tropfen werden unverständig und unbesonnen ins Haus geschafft, und wie auch der Arzt warnen möge, seine Stimme wird nicht gehört. - Laien entblöden sich nicht, öffentlich Heilmittel gegen die Cholera vorzuschlagen und zu empfehlen, und in sonst nur der Politik gewidmeten Zeitschriften und Blättern ziehen die Aerzte auch das große Publicum in den Kreis ihrer Berathungen. Groß und vielfach sind die Verwirrungen, welche das orientalische Gespenst auch in das sonst so zarte Verhältniß des Arztes zu seinen Kranken gebracht hat. Woher nun dieser Umsturz aller Ordnung, diese Auflösung aller bestandenen Verhältnisse? Gestehen wir aufgeboten, was irgend in unsern Kräften stand. Aber daß die Berathung über diese Krankheit zur allgemeinen Sache des Publikums gemacht worden ist, daß wir polizeiliche Maaßregeln gebilligt und unterstützt haben, die im grellsten Widerspruche mit allen Gefühlen der Pflicht und Humanität stehen, daß durch unsere Vermittelung Erzählungen von der Contagiosität der Krankheit in's Publikum gekommen sind, die eben so abentheuerlich und grauenerregend als lähmend und verwirrend wirken müssen, das ist es, was einerseits die Behörden, anderentheils das große Publikum, nothwendig aus der gewohnten Fassung bringen, und so unsere eigene Stellung unsicher und schwankend machen mußte. Nun, wir haben uns bereits von dem allgemeinen Schrecken in etwas erholt, und fangen an unsere Unbefangenheit wieder zu gewinnen; wir fühlen, das heilige Paladium sei uns entrissen, und sind emsig bemüht, unsere verlorne Autorität wieder zu erobern. Die Furcht vor der Krankheit hat sich, bei den Aerzten, meistens gelegt, mehr, denn je zuvor, dringen wir auf wissenschaftliche Forschung, auf rationelle Behandlung, wir verlangen Indicationen für unser Heilverfahren. aus: Dr. Moritz Schlesinger, Ueber die specifische Behandlung der Cholera. Eine auf die Natur der Krankheit gegründete in der Erfahrung sich vorzüglich bestätigende Heilmethode, Berlin [November] 1831, S. I f f .

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4. Katastrophe und Läuterung: Hegels Tod 1.

H[au]sh. Frau 6 Tonnen Kohlen ä 10 Gr. Cour. Dienstmädchen Kostgeld C[arl] u. Imman[uel] Monatsgeld Chol [era] Requisit: Dampfapparat H[au]sh. Frau

11 2 6 2 3 12

10.

-

10

-

12. 16. 18. 20. 24.

18 Pf. Kaffee H[au]sh. Frau Frauen-Verein f. Arme 4tes Quart[al] H[au]sh. Frau desgl. Carl Mitglied] des Choleravereins Quartfal] Staatszeitung Miete für d. Gartenwohnung an Hn. Grunow, bei der Einmictung im Okt. 30 waren jedoch 2 oder 3 Taler vorausbezahlt worden—die 3 Tlr sind von Hn Grunow zurückgestellt worden. H[au]sh. dsgl. Stempelbogen zur Besoldung Allg. Witw[en-]Kasse 9 Frd'or 15 Sg

3 12 2 12 10 2 2 (60)

18 20 -

11 3 2

10 -

4.

29.

8.

-

10 15 5 5 -

-

1.

b[ar] 21 Frd'or; 106 Tlr Guthaben vom 28. August 9 Kassenanweisungen] Tivoli — 12, 4 daran von Marh[eineke] erhalten 6, 2 12. 1/2 Lotfterie] Los 1/2 Frd'or 13. Fak[ultäts-] Geb[ühr] - 1 Frd'or 18. Von Mde Schindelmeiser, das letzte Viertel des für 60 Tlr verkauften Flügels, mit 15 Tlr aus: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Kalendarium/Haushaltsbuch September 1831, in: Briefe von und an Hegel, Bd. IV.l, hrsg. v. Friedhelm Nicolin, Berlin 1978, S. 219f. Die Cholera hat, wie sie leicht denken können, einigen Stillstand in unsere öffentlichen Angelegenheiten, nemlich die des Theaters, gebracht. Indessen ist nach und nach der panische Schrecken vor allem Übel geschwunden, und man fängt an ein wenig freyer Athem zu holen. Wenn ich sag „man", so verstehe ich darunter, wie Kotzebue's Hettmann, sehr viele

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Leute, zu denen ich aber nicht gehöre, weil ich, Gott sey Dank, niemals frey zu athmen aufgehört habe. Am lächerlichsten aber ist es mir unter allen Erscheinungen, die die Furcht hier hervorgebracht hat, erschienen, daß ein berühmter Professor der Philosophie sich von der orientalische Seuche so hat ins Bockshorn jagen lassen, daß er sich vor aller Welt abgesperrt hat, und am Kreuzberge (wo unser Tivoli liegt) in einem eigens gemietheten kleinen Hause, das er mit einer Mauer umgeben, völlig isolirt wohnt. Sind das die Früchte der Philosophie? Ο guter Professor! du hast viele Gegner gefunden, viele haben dein System angegriffen, niemand aber schärfer als du selbst. Denn was hilft dir das Eindringen in die tiefsten Dinge, alle Ergründung dessen, was vor allem Leben und nach allem Leben deiner Seele begegnet ist und begegnen wird, wenn sie während des Lebens so jämmerlich zaghaft bleibt? Ist deine Demonstration so wandelbar, daß sie nicht diese leichte Probe ausgehalten hat? Du hast stets von allem Leben im Geiste geredet, und doch das Leben im Fleische so übermäßig lieb! Guter Professor! Auch ich war dein Schüler und habe manches Gute von dir gelernt, obwohl ich nie der Meinung deiner blinden Verehrer war, die da glaubten, ohne deine Systeme durchaus anzunehmen und zu durchdringen, könne man nicht einmal mehr ein sittlicher Mensch seyn, jetzt aber lerne ich das Beste von dir, nemlich den abgrundtiefen Unterschied zwischen Denken und Handeln! aus: [Anonym.] Berlin, 11. October 1831, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Nr. 149, 13. Dezember 1831, S. 1195f. Nun sind wir doch Gottlob nachdem wir 10 Wochen die Cholera haben die nun Gottlob sichtbar im Abnehmen ist, so weit, daß wir für unsere redlichen Beiträge Krankenhäuser errichtet haben. Soeben erhalte ich ein Circular von unserer Schutz-Comission, der Ausbau einer Heilanstalt für unseren Bezirk sey nun beendigt u. stünde bis Sontag, d. 6. zur Ansicht aller geehrten Bewohner offen. Die vielen Spenden die durch wohltätige Beiträge zusammen gekommen sind, sind nun nachdem die Noth beinah zu Ende ist, auf solche ungeschickte saumselige Weise verwendet worden - jetzt nutzt es nur noch wenigen. - 10 Wochen früher hätten solche Vorkehrungen vielleicht vielen Hundert das Leben gerettet. - Für Bekleidung der Armen wird nun zwar auch gesorgt, - die meisten Frauen stricken blaue wollene Strümpfe - es meinte sogar neulich eine reiche Jüdin es könne unmöglich so viele Arme geben als Strümpfe gestrickt werden - aber dieß alles hätte eben schon viel früher geschehen müssen. - Die Berliner sind wohlthätig es ist wahr u. geschieht unendlich viel würden diese reichen Mittel nur auf die rechte Weise verwendet. - Nun hab ich genug gescholten. - Förster kommt eben zu meinem Mann, der heute an einem regnigten Sontag Nachmittag im warmen Stübchen bei mir auf dem Sopha sitzt, während ich an mein Mütterchen schreibe. aus: Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 6. November 1831. Im Namen meiner tiefgebeugten Mutter übernehme ich die traurige Pflicht, Ihnen das heut um 5 Uhr erfolgte Dahinscheiden meines vielgeliebten Vaters anzuzeigen. Er entschlummerte nach kurzem, kaum zweitägigen Leiden und ohne Todeskampf an der Cholera. Das Begräbnis wird morgen Abend um 6 Uhr erfolgen. Immanuel Hegel an Friedrich Willcen, Berlin, 14. November 1831.

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Sanft und ruhig war das Ende unsres herrlichen Vaters: alle schrecklichen Symptome der Cholera fehlten bei ihm, mit wenigen Schmerzen ging es vorüber. Die letzten zwei Stunden blieben wir ganz an seinem Bette, Manuel an seiner Seite, ich unterstützte sein liebes Haupt. Der Atem wurde in den zwei letzten Stunden beklommen und tönte laut; mit einem Male wurde er schwächer; ein sanfter Schlaf, glaubten wir, käme über ihn - es war aber sein Todesschlaf: lange blieben wir ruhig in derselben Stellung, bis wir plötzlich von der schrecklichen Gewißheit überzeugt wurden. - Er starb am Montag, den 14. November um 5 1/4 Uhr Nachmittag; er sollte schon am Dienstag Abend begraben werden nach Bestimmung des Arztes: durch Vermittlung aber ist es auch zugestanden worden, daß erst morgen Nachmittag um 3 Uhr das Leichenbegängnis erfolgen wird. - Die Krankheit dauerte nicht länger als 30 Stunden. - In seinen herrlichen Vorlesungen der Religionsphilosophie hörte ich ihn einst sagen: „Von dem Größesten, was je gesagt worden, ist der Ausspruch Christi: Selig sind, die da reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." - Mein Vater, dieser edle, große Geist ist nun in der reinen Anschauung dessen, was er schon hier auf Erden als die alleinige und höchste Wahrheit erkannte. aus: Karl Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 15. November 1831. Du weißt es, welcher Todesstreich mich getroffen hat - ich hoffe, die lieben Geschwister haben Dich vorbereitet, haben Dir's schonend mitgeteilt und so werfe ich mich weinend in Deine Arme, weine mit mir, liebe gute Mutter, weine mit Deinem armen Kinde und flehe mit ihr den Allvater um Kraft [an], [...] Ich danke Gott, der ihn so sanft und selig allen Todeskampf und aller Schmerzen enthoben und ihm ein so herrliches Ende bereitet hat. Man hat durch Vermittlung unseres treuen Freundes Schulze (den ich zu seinem Ende holen ließ) es bewirkt, daß er mit allen Ehren, die seiner würdig, morgen als den dritten Tag nicht auf dem Choleraleichenwagen und Kirchhof, nicht bei Nacht, sondern Nachmittag 3 Uhr mit einem zahlreichen Gefolge auf den Kirchhof, wo Solger und Fichte ruhen, Marheineke eine Rede hält, begraben wird. - Welche Teilnahme, welche Bestürzung und Trauer von allen Seiten - sein Andenken lebt in Segen! aus: Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 15. November 1831. Ew. Hochwohlgeboren erst diesen Morgen erhaltene Zeilen von gestern haben mich tief erschüttert und mit unaussprechlichem Schmerz erfüllt. Kaum vermag ich noch die Wirklichkeit des unendlichen Verlustes zu fassen, welchen die Wissenschaft, der Preußische Staat und alle Verehrer und Freunde des Mannes erlitten haben, der gleich ausgezeichnet war als Gelehrter und in allen dem Höheren zugewandten menschlichen Verhältnissen. Je mehr der Verewigte mit seinem ganzen Wissen dem Höchsten angehörte und auf dieser Welt für solches mit treuer Hingebung und unermüdlicher Anstrengung segensreich wirkte, desto lebendiger drängt sich auch das Gefühl auf, daß er zur Erreichung seines Ziels, zur Vollendung von dem, der höher ist als alles, abgerufen sei, und in diesem Gefühl mildert sich der Schmerz, wenn auch der Verlust nur um so größer hervortritt. [...] Die Nachricht hat mich so sehr ergriffen, daß es Pflicht für mich ist, abzubrechen. Ganz fühle ich mit Ihnen, mein Theuerster, die Größe Ihres eigenen Verlustes! Sie sind ihm als Freund und in der Wissenschaft so nahe gestanden, daß nur Wenige, so wie Sie, richtig

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schätzen können, welcher Stern erster Größe in diesem Augenblick für diese Welt untergegangen ist! aus: Karl vom Stein zum Altenstein an Johannes Schulze, Berlin, 15. November 1831. An wen, geliebtester Freund! soll ich es schreiben, daß Hegel todt ist, als an Dich, dessen ich auch am meisten gedachte, so lange ich den Lebenden hören und sehen konnte? Zwar die Zeitungen melden es Dir wohl, ehe Dich mein Brief erreicht; aber auch von mir sollst und mußt Du es hören. Ich hoffte, Dir Erfreulicheres von Berlin aus schreiben zu können! Denke Dir, wie ich es erfuhr. Ich hatte Schleiermacher nicht treffen können, bis diesen Morgen. Da fragte er natürlich, ob mich die Cholera nicht abgeschreckt habe, zu kommen, worauf ich erwiderte, daß ja die Nachrichten immer beruhigender geworden, und sie jetzt wirklich auch fast zu Ende sey. Ja, sagte er, aber sie hat noch ein großes Opfer gefordert Professor Hegel ist gestern Abend an der Cholera gestorben. aus: David Friedrich Strauß an Christian Märklin, Berlin, 15. November 1831. Soeben erhalte ich die sehr traurige Nachricht, daß Hegel gestern den 14. November an der Cholera gestorben ist. Schon immer war seine Gesundheit, besonders seine Verdauungswerkzeuge angegriffen, und Diätfehler sollen hinzugekommen sein. Er ist der erste Mann von wahrer Bedeutung, der in Berlin dieser Pest erliegt. Sein Verlust ist zunächst unersetzlich. aus: Friedrich von Raumer an Ludwig Tieck, Berlin, 15. November 1831. Die hiesige Königl. Universität und mit ihr die ganze gelehrte Welt haben einen höchst empfindlichen Verlust erlitten. Der Professor Georg Wilhelm Friedrich Hegel starb gestern am Schlagflusse im 62sten Jahre seines Lebens. Mitten unter zahlreichen Arbeiten, die ihn anstrengend beschäftigten, und nachdem er wenige Tage vorher die Vorlesungen des Winter-Semesters begonnen hatte, wurde er plötzlich der Wissenschaft, der philosophischen Schule, die er begründet hatte, und der großen Zahl seiner Freunde und Verehrer entrissen. Sein Andenken wird fortleben, solange die Deutsche Philosophie genannt werden wird. * Ein Nekrolog des Verewigten ist uns von einem seiner Freunde zugesagt worden und wird demnächste unverzüglich mitgetheilt werden. Inland. Berlin, 15. Nov., in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 318, 16. November 1831, S. 1691. Der gestern Abend hier (nach einigen Angaben, an der Cholera) verstorbene Prof. Hegel soll mit feierlichem Aufzuge von der Universität auf den gewöhnlichen Kirchhof seines Stadtviertels vor dem Oranienburger Thore beerdigt werden, wo er seine Grabstätte unmittelbar neben seinem großen Vorgänger Fichte erhalten wird. [Anonym.] Schreiben aus Berlin, 15. Nov., in: Staats- und gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten, Nr. 273, 18. Nov. 1831, [S. 5].

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r. 15ten Nov. ausgegeben Rechnung von Hübner, darunter einen halben Frd., das übrige aus der 50-T[aler]-Rolle u. aus dem Beutel, worin lauter kleines Geld. 4 Anschaffung von schwarzem Zeug 12 Sarg 2 Lohnbediente 14 L[eichen]wagen u. L[eichen]träger 6 Ring für Frau Pr[of.] Marheineke 2 Briefe vom Montag 14 Nov. bis Sonntag 20ten 17 Schwarze Kleider f. Karl 1 Rock u. 2 Westen 3 Mittfwoch] 23. Mietsservis 1 Totenschein 4 Machen der Kleider für die Mädchen 10 Desinfektionsanstalt 2 Freitag d. 18. Chirurg Sophie 2 5 Montag d. 21 Sophie Donn[erstag] 24. Sophie 2 Sonn[tag] 27. Sophie 3 In der Kasse noch 16 r. 19 g aus: Marie Hegel, Kalendarium/Haushaltsbuch November 1831, Hegel, Bd. IV. 1, hrsg. v. Friedhelm Nicolin, Berlin 1978, S. 222f.

g

13 -

15 10 15 20 15 10 7 1/2 -

7 -

9 1/4 in: Briefe von und an

Dorotheenstädtische Kirche. Herrschaftl. Diener Weeber todtgeb. Zwill. Töchter. Kaufmann Hrn. Gerold S. 5 J. Stickfluß. Handlungsdiener Hr. G. Witzel 34 J. Schlagfluß. Königl. ordentl. Professor etc. etc. Hr. Dr. G. W. F. Hegel. 61 J. Cholera. aus: Todtenliste vom 11. bis 18. November 1831, in: Beilage zum Beobachter an der Spree [Berlin], 48. St., 28. November 1831, S. 6. Μ. H. Seitdem ich das letzte Mal zu Ihnen sprach, hat die Axt der Zeit uns, das Vaterland, die ganze Menschheit einmal wieder recht tief an der Wurzel getroffen. Bisher konnten wir Preussen es ruhig mitansehen, wie um uns herum in der Geschichte die Welt zusammenbricht. Unser Eigenthum, die Gedankenwelt der Philosophie, blieb unversehrt und unangetastet. Jetzt ist der Tod in unser Innerstes eingedrungen. Der späteste der grossen Genien, deren Gedanken ich Ihnen in dieser Vorlesung darzustellen bezwecke [Hegel], hat der Zeit das Zeitliche zurückgegeben. Ehren wir den grossen Mann, unser Aller Lehrer, und den Lehrer aller Philosophen für Jahrhunderte und Jahrtausende mit der letzten Ehre! Bestatten wir ihn heute feierlich! Doch zurückgekehrt vom stillen Grabe, worein wir sein Irdisches niedersenken werden, ehren wir ihn auch fortwährend durch unser Leben, indem wir das Ewige seines Geistes in uns zur Auferstehung bringen. aus: Carl Ludwig Michelet [Vorlesungsansprache, Vormittag des 16. November 1831 ], in: Carl Ludwig Michelet, Wahrheit aus meinem Leben, Berlin 1884, S. 143f.

Katastrophe und Läuterung: Hegels Tod

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Geliebte Collegen und Freunde, Der harte Schlag, der unersetzliche Verlust, der uns getroffen, läßt kaum zu, uns zu besinnen und zu erholen von diesem tiefen Schmerz, und es wird mir unendlich schwer, den ganzen Reichthum und die Tiefe Ihrer Empfindungen bei diesem außerordentlichen Todesfall in wenigen Worten auszusprechen. So viele theure Opfer hat unsre junge Universität schon dargebracht: auch dieser große, weltberühmte Mann ist uns nun abgefordert worden und was die tiefgebeugte Wittwe, was die zwei hoffnungsvollen Söhne, was wir alle jetzt empfinden, es ist besonders darum so viel, so schwer und tief, weil wir das Leid so vieler mitzutragen haben, die hier nicht gegenwärtig sind. Geliebte Freunde und Collegen! was ist das Leben, wenn der Unsterbliche selbst an diesem Leben sterben muß? Wir können dem Tode kein Recht vergönnen über ihn; er hat uns von ihm nur entrissen, was nicht Er selber war. Dieß ist vielleicht sein Geist - wie er hindurchblickte durch sein ganzes Wesen, das holde, freundliche, wohlwollende, wie er sich zu erkennen gab in seiner edlen, hohen Gesinnung, wie er sich entfaltete in der Reinheit und Liebenswürdigkeit, in der stillen Größe und kindlichen Einfalt seines ganzen Charakters, mit welchem auch jedes Vorurtheil, wurde er näher erkannt, sich leicht versöhnte; sein Geist, wie er in seinen Schriften, in seinen zahlreichen Verehrern und Schülern lebt und unvergänglich leben wird. Wer so, wie unser entschlafener Freund, schon mitten in diesem Leben sich von sich, vom Ich und dessen Sucht, vom Schein und aller Eitelkeit zu befreien, sich in die ewige Wahrheit denkend zu vertiefen wußte und aus dem Tode dieses irdischen Lebens geistig wiedergeboren und erstanden war, wer so den Schein des Wissens durchschauend sich stets allein an das wahrhaft Wirkliche zu halten wußte, welches das Wirken des ewigen Geistes ist hinter allen vergänglichen Erscheinungen des Lebens in der Natur und Geschichte, wer so, wie dieser König im Reiche des Gedankens, einen neuen Bau des Wissens gegründet hat auf dem unwandelbaren Felsen des Geistes, der hat sich eine Unsterblichkeit errungen, wie wenige, der hat seinen Namen den glänzendsten und unvergeßlichsten unseres Geschlechts hinzugefügt, der hat vollbracht, was er selbst in einem seiner Werke sagt: „Das Leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurtheilen, schwerer, es zu fassen, das schwerste, was beides vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen." Wir sollen ihn nun begleiten zu seiner Ruhestätte neben seinem großen Vorgänger. Aber so ist er doch nicht ganz von uns geschieden, der Theure, der Unvergeßliche; so lebt er selbst doch noch unter uns, ja von der irdischen Hülle erlös't reiner, denn zuvor, befreit von allem sinnlichen Erscheinen, der Mißkennung nicht mehr ausgesetzt, verklärt im Herzen und Geist aller, die seinen unvergänglichen Werth erkannten und künftig erst recht erkennen werden. Unserm Erlöser ähnlich, dessen Namen er stets verherrlicht hat in allem seinem Denken und Thun, in dessen göttlicher Lehre er das tiefste Wesen des menschlichen Geistes wiedererkannte, und der als der Sohn Gottes sich selbst in Leiden und Tod begab, um ewig als Geist zu seiner Gemeinde zurückzukehren, ist auch er nun in seine wahre Heimath zurückgegangen und durch den Tod zur Auferstehung und Herrlichkeit hindurchgedrungen. Darum geziemet es denn auch uns, die wir im Geiste zu leben berufen sind, unsern Schmerz um ihn zu reinigen und zu verklären zum lauteren Schmerz des Geistes, was er

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gewollt und nur angedeutet hat, muthig fortzusetzen und es in das allgemeinste Verständniß zu bringen, und können wir nicht alle ihn erreichen in der Tiefe seines Wissens, und in seiner außerordentlichen Gelehrsamkeit, ihm doch ähnlich zu werden in seiner Liebe, Sanftmuth und Geduld, in seiner Demuth und Bescheidenheit, in seiner treuen Nachfolge Jesu Christi, dessen Jünger zu seyn sein höchster Ruhm auf Erden war. Selig, selig sind die Todten, die so in dem Herrn sterben; der Geist ruht aus von seiner Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach. D. [Konrad Philipp] Marheineke, Worte der Liebe und Ehre, vor der Leichenbegleitung des Herrn Professor Hegel, im großen Hörsaal der Universität am löten November gesprochen, in: Zwei Reden bei der feierlichen Bestattung des Königl. Professors, Dr. Georg Wilh. Fr. Hegel, am löten November, gesprochen, Berlin 1831, S. 3 f f . Schon durften wir, geliebte leidtragende Freunde, uns der Hoffnung hingeben, das Gewitter, welches seit Monaten über unserer Stadt sich drohend lagert, sey vorüber, nur einzelne Blitze und zerstreutes Wetterleuchten verkündigten uns noch seine Nähe, als plötzlich und unerwartet ein zuckender Strahl herabfährt und ein gewaltiger Donnerschlag uns ein Unglück fürchten läßt. Ja, meine Freunde, der Wetterstrahl hat gezündet und welch' ein Haupt hat dieser Wetterstrahl getroffen! - Unser Freund, unser Lehrer ist nicht mehr! Diese hohe Ceder des Libanon, zu der wir staunend hinaufblickten, ist gefällt, dieser Lorbeer, der die Wissenschaft, die Kunst, der jegliches Heldenthum der Geschichte mit seinen Kränzen schmückte, dieser Baum der Erkenntniß, von dem kein neidisches Verbot uns die Früchte zu sammeln wehrte, ist seines Schmuckes beraubt, und mit bewegtem Herzen stehn wir an der dunkeln Kammer, wo dem großen Manne die enge Ruhestätte zugewiesen wurde! - Wie? diese finstre Höhle, dieses schmale Grab sollte den verschließen, der uns durch die Räume des Himmels führte? Diese Hand voll Staub sollte den bedecken, der uns die Geheimnisse des Geistes, die Wunder Gottes und der Welt offenbarte? Nein, meine Freunde, laßt die Todten ihre Todten begraben, uns gehört der Lebende an, der, die irdischen Banden abwerfend, seine Verklärung feiert und den gebändigten und besiegten Elementar-Mächten mit der Stimme des Meisters zuruft: Tod, wo ist dein Stachel: Hölle, wo ist dein Sieg? So soll denn keine unwürdige Klage an seinem Grabe laut werden; allein er selbst, der Verewigte, gönnte dem tiefen Gefühle, der reinen Empfindung ihr Recht; die ihm näher standen, sahen oft in seinem Auge die Thräne der Wehmuth und des Schmerzes glänzen, und wer, der ihn kannte, der ihn liebte wie wir, könnte bei diesem Abschiede sich der Thränen erwehren? Wie er aber uns aus der Nacht der Ahnung zum Morgenrothe des Bewußtseyns, aus dem Schlafe der Innerlichkeit zu dem wachen Gedanken, aus dem Glauben zum Schauen geführt hat, so darf auch die Trauer über seinen Verlust nicht ein dumpfes Hinbrüten, auch nicht der Schrei des Schmerzes, oder nur diese Thräne stiller Theilnahme bleiben; solch' ein Verlust will nicht bloß empfunden, er will ausgesprochen seyn und wahrhafte Beruhigung werden wir erst dann gewinnen, wenn wir für unser inneres Seelenleid das Wort finden, und uns des Vorzuges bewußt werden, daß dies unser Schmerz ist, daß wir es sind, die ihn verloren haben, daß uns dieser Stern in dem Sonnensysteme des Weltgeistes geleuchtet hat!

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Welcher Name wäre zu gewagt, den wir, seine Schüler, dem geliebten Lehrer nicht zutheilen könnten? War er es nicht, der den Unzufriedenen mit dem bunten Gewirre des Lebens ausglich, indem er uns in der Nothwendigkeit die Freiheit zu begreifen anwies? War er es nicht, der den Ungläubigen mit Gott versöhnte, indem er uns Jesum Christum recht erkennen lehrte? War er es nicht, welcher die, an dem Vaterlande Verzweifelnden zum Vertrauen zurückführte, indem er sie überzeugte, daß die großen politischen Bewegungen des Auslandes Deutschland den Ruhm nicht verkümmern werden, die bei weitem erfolgreichere Bewegung in der Kirche und in der Wissenschaft hervorgerufen zu haben? War er es nicht, durch den die Mühseligen und Beladenen selbst im Unglück diese Erde lieb gewannen, indem er auf ihr ein Reich unvergänglicher Wirklichkeit und Wahrheit errichtete? Ja, er war uns ein Helfer, Erretter und Befreier aus jeder Noth und Bedrängniß, indem er uns aus den Banden des Wahnes und der Selbstsucht erlös'te. Seine Lehre zu bewahren, zu verkündigen, zu befestigen, sey fortan unser Beruf. Zwar wird kein Petrus aufstehen, welcher die Anmaßung hätte, sich seinen Statthalter zu nennen, aber sein Reich, das Reich des Gedankens, wird sich fort und fort nicht ohne Anfechtung, aber ohne Widerstand ausbreiten; den erledigten Thron Alexanders wird kein Nachfolger besteigen, Satrapen werden sich in die verwais'ten Provinzen theilen, aber wie damals die griechische Bildung, so wird diese deutsche Wissenschaft, wie Hegel sie in mancher durchwachten Nacht, bei stiller Lampe ersann und schuf, welterobernd in dem Gebiete der Geister werden. Sein Name wird somit den anderen gefeierten Namen, welche Preußen berühmt machten, hinzugefügt; er war würdig nach dem Lande berufen zu werden, wo ein großer König die Philosophie auf den Thron setzte; wo Leibnitz und Kant mit dem Pflugschaar ihres Geistes den vertrockneten Boden aufrissen und den Keim der Wissenschaft pflanzten; wo der vertriebene Fichte Aufnahme und Anerkennung fand. Obschon in dem Süden Deutschlands geboren, hat unser Hegel dennoch erst hier bei uns seine wahre Heimath und nun auch neben seinem großen Vorgänger Fichte, wie es sein eigener Wunsch war, sein Grab gefunden. Fichte und Hegel! das sind die Säulen des Hercules, welche hier die Grenze bezeichnen und den wollen wir erwarten, welcher an dieser Stätte den Muth haben würde, das plus ultra auszusprechen! Heran denn, ihr Stürme des Winters, und bedeckt mit rauhem Frost und hohem Schneelager dies Grab, unsre Liebe wird nicht erkalten; heran ihr Pharisäer und Schriftgelehrten, die ihr hochmüthig und unwissend ihn verkanntet und verläumdetet, wir werden seinen Ruhm und seine Ehre zu vertreten wissen; heran Thorheit, Wahnsinn, Feigheit, Abtrünnigkeit, Heuchelei, Fanatismus, heran knechtische Gesinnung und Obscuratismus, wir fürchten euch nicht, denn sein Geist wird unser Führer seyn! Freiheit, Freude, Frieden hat er uns gegeben und diese drei Schutzgeister werden die Hüter seyn, welche dieses Grab bewachen. Nimm, theurer, entschlafener Lehrer, unsere Thränen, nimm unseren Dank mit dir in die Gruft, aus welcher du am Tage des Gerichtes eine herrliche Auferstehung feiern wirst! Friedrich Förster, An dem Grabe unseres Freundes und Lehrers, des in Gott ruhenden Königlichen Professors und Doctors der Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, am löten November im Namen seiner Schüler und Freunde gesprochen, in: Zwei Reden bei der feierlichen Bestattung des Königl. Professors, Dr. Georg Wilh. Fr. Hegel, am löten November, gesprochen, Berlin 1831, S. 9 f f .

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Mein sehr verehrter Freund! Wenn Sie diese Zeilen erhalten, werden Sie aus den Zeitungen bereits wissen, daß Hegel todt ist. Das unerwartete Ereigniß hat selbst seine wissenschaftlichen Gegner schmerzlich berührt, da eine gewisse Seite des Verdienstes allgemein anerkannt werden mußte, und der Verstorbene als Mensch und im geselligen Umgang geliebt wurde. Die Bestürzung seiner Gönner, seiner Freunde und seiner Schüler ist groß und begreiflich! aus: Karl Reichhelm an Johann Friedrich Herbart, Berlin, 16. November 1831. Beim Empfang dieses Blattes hat die harte Botschaft von dem unerwartet schnellen Ableben Hegel's auch Sie schon erreicht und gewiß tief getroffen. [...] Doch hatte er keine Ahndung seines herannahenden Todes, und entschlummerte, wie die Anzeige der Wittwe sagt, schmerzlos, sanft und selig. Das ist schön, daß er nicht gelitten hat! So war denn sein Tod so glücklich, als der Tod irgend sein kann. Ungeschwächten Geistes, in rüstiger Thätigkeit, auf der Höhe des Ruhmes und der Wirksamkeit, von großen Erfolgen rings umgeben, mit seiner Lage zufrieden, von dem geselligen Leben heiter angesprochen, an allen Darbietungen der Hauptstadt freundlich theilnehmend, schied er aus der Mitte dieser Befriedigungen ohne Bedauern und Schmerz, denn Bedeutung und Namen seiner Krankheit blieben ihm unbekannt, und das entschlummernde Bewußtsein durfte Genesung träumen. Aber uns ist eine entsetzliche Lücke gerissen! Sie klafft unausfüllbar uns immer größer an, je länger man sie ansieht. Er war eigentlich der Eckstein der hiesigen Universität. Auf ihm ruhte die Wissenschaftlichkeit des Ganzen, in ihm hatte das Ganze seine Festigkeit, seinen Anhalt; von allen Seiten droht jetzt der Einsturz. Solche Verbindung des tiefsten allgemeinen Denkens und des ungeheuersten Wissens in allen empirischen Erkenntnißgebieten fehlt nun schlechterdings; was noch da ist, ist einzeln für sich, muß erst die höhere Beziehung aufsuchen und wird sie selten finden. Auch fühlen es Alle, selbst die Widersacher, was mit ihm verloren ist. Die ganze Stadt ist von dem Schlage betäubt, es ist, als klänge die Erschütterung dieses Sturzes in jedem rohesten Bewußtsein an. Die zahlreichen Freunde und Jünger wollen verzweifeln. aus: Karl August Varnhagen von Ense an Ludwig Robert, Berlin, 16. November 1831. Gestern Nachmittag fand hier das feierliche Leichenbegängniß des Prof. Hegel statt. Die Leidtragenden hatten sich in dem großen Saale der k. Universität versammelt, wo der zeitige Universitäts-Rektor, der Prof. Dr. Marheinecke, dem Verstorbenen eine Gedächtnißrede hielt. Nach Beendigung derselben verfügten sich die Versammelten nach dem Sterbehause, von wo sich dann der Trauerzug von zahlreichen Freunden und Verehrern des Verstorbenen nach dem Begräbnißplatz in Bewegung setzte. Eine große Zahl von Studirenden war den irdischen Ueberresten ihres theuern Lehrers dahin gefolgt. Der Hofrath Fr. Förster hielt an dem offenen Grabe eine Rede, in welcher er der vielfachen Verdienste des Verstorbenen gedachte. Der Universitäts-Rektor sprach als Prediger den Segen über den großen Hingeschiedenen. Das Grab desselben erhebt sich dem mit einem eisernen Obelisk geschmückten Grabe Fichte's gegenüber, bedeckt von dem ersten Schnee des neuen Winters. Vermischte Nachrichten, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 270, 17. November 1831, [S. 8].

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In den heutigen Nachmittags-Stunden von 3 bis 5 Uhr fand das feierliche LeichenBegängniß des unter hinzugetretenem Schlagfluss der Cholera erlegenen Professors G. W. F. Hegel statt. Nachdem sich um 3 Uhr in der Aula des Universitäts-Gebäudes sämmtliche Professoren und Studirende der Universität, sowie zahlreiche Freunde und ältere Schüler des Verewigten versammelt hatten, sprach der zeitige Rektor der Universität, Prof. Dr. Marheineke, den die Bande innigster Freundschaft an den Entschlafenen knüpften, einige Worte des Schmerzes und der Liebe, welche einen tief erschütternden Eindruck auf die Menge hervorbrachten; er entwarf in wenigen, aber kräftigen Zügen ein Bild von der Persönlichkeit und dem Geiste des tiefsinnigen Denkers, der noch vor wenigen Tagen in der Mitte seiner Kollegen und Schüler freudig und kräftig wirkte, als ihn jene gespenstische Krankheit grausam hinwegraffte, und fügte die tröstende Betrachtung hinzu, daß der Verewigte als Gründer eines unvergänglichen philosophischen Systems ewig fortleben werde. Die Versammlung begab sich hierauf nach dem Trauerhause und ordnete sich hier hinter dem Leichenwagen in einen Zug, den die Studirenden unter Anführung von Marschällen eröffneten, denen eine lange Reihe von Equipagen folgte. Der Trauerzug bewegte sich durch die große Friedrichstraße zu dem Oranienburger Thore hinaus nach dem evangelischen Kirchhofe, wo der Entschlafene, dem von ihm öfter ausgesprochenen Wunsche gemäß, dicht neben seinem großen Vorgänger Fichte in die Gruft versenkt wurde. An dem Rande derselben trat der Königl. Hofrath Dr. Fr. Förster, der älteste unter den hier anwesenden Schülers des Verstorbenen, auf und schickte im Namen derselben dem zu früh entschwundenen Lehrer einige ergreifende Worte des Dankes und der Bewunderung nach. Nachdem der Prof. Dr. Marheineke das Grab eingesegnet, ging die Versammlung in stummer Trauer auseinander. Inland, Berlin, 16. Nov., in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung 17. November 1831, S. 1695.

[Berlin], Nr. 319,

Nun hat der Herr ihn abberufen, er hat die irdische Hülle abgestreift, ist den Beschwerden und Schwächen des Alters , die seinen Geist schmerzlich nidergedrückt hätten, überhoben im seligen Anschauen Gottes, den er schon hier im Geiste und in der Wahrheit erkannt hat. [-.] Seine himmlische Ruhe und sein seliges Entschlafen wurde durch keine äußrere Unruhe, durch keine laute Klage gestört. Mit verhaltenen Tränen und gepreßten Herzen waren wir leis und stille, möglichst ruhig scheinend, mit ihm beschäftigt, bis wir seinen letzten Schlaf belauschten, in dem der Übergang zum Tode nicht zu unterscheiden war. - Es war der Tod eines Heiligen, - wir konnten nur niederknien und beten. Durch die tätigste Vermittlung unserer Freunde wurde als erste und einzige Ausnahme aus Rücksicht für die Persönlichkeit des Verklärten nach unsäglichen Kämpfen und erst durch Vermittlung höherer Fürsprecher bewilligt, daß er nicht auf den Cholera-Leichenwagen, nicht schon nach 24 Stunden bei Nacht und Nebel auf den Cholera-Kirchhof gebracht wurde. Er ruht nun an der Stätte, die er sich auserwählt - und bei Solgers Begräbnis als die seinige bezeichnet hat, neben Fichte und nahe bei Solger. Gestern, Mittwoch Nachmittag um 3 Uhr war sein feierliches Leichenbegängnis. Die Professoren und Studirenden aus allen Fakultäten, seine älteren und jüngeren Schüler, versammelten sich erst in der großen Aula der Universität. Hier hielt sein treuer geistesverwandter Freund, der jetzige Rektor Marheineke, an die bewegte Versammlung eine Rede. Darauf begab sich der unabsehbar

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lange Zug der Studenten, die, weil sie ihn nicht mit brennenden Fackeln begleiten durften, die Fackeln mit Trauerflor umwunden trugen, - und eine unzählige Reihe von Wagen nach dem Trauerhaus, wo sie sich dem vierspännigen Trauerwagen anschlossen. Meine armen tief erschütterten Söhne fuhren mit Marheineke und Geheimrat Schulze der geliebten Leiche nach. Von dem Tore an wurde ein Choral von den Studenten angestimmt, - am Grabe sprach Hofrat Förster eine Rede, Marheineke als Geistlicher den Segen. aus: Marie Hegel an Christiane Hegel, Berlin, 17. November 1831. Gestern haben wir ihn begraben. Um 3 Uhr hielt Marheineke als Rektor im UniversitätsSaale eine Rede, einfach und innig, mich ganz befriedigend. Er stellte ihn nicht nur als König im Reich des Gedankens, sondern auch als ächten Jünger Christi im Leben dar. Er sagte auch, was er bei einer kirchlichen Feier nicht würde gesagt haben, daß er wie Jesus Christus durch den leiblichen Tod zur Auferstehung im Geiste, den er den Seinigen gelassen, hindurchgedrungen sei. Hierauf ging der ziemlich tumultarische Zug vor's Trauerhaus und von da zum Gottesacker. Dieser war mit Schnee bedeckt, rechts stand die Abendröthe, links der aufgehende Mond. Neben Fichte, wie er gewünscht hatte, wurde Hegel beigesetzt. aus: David Friedrich Strauß an Christian Märklin, Berlin, 17. November 1831. [Hegels Tod. An Heinrich Leo] In einsamer Klause saß ich gestern trüb ' gestimmt, Was das Leben giebt, bedenkend, und wie es der Tod uns nimmt; Wie so wohl es thut im Leben, nicht zu sein verwaist, verlassen: Mitgefühl, es stärkt zum Lieben, Mitgefühl, es stärkt zum Hassen. Und tief fühlt' ich das Vertrauen, was Du gestern mit gezeigt, Als Du jener Trauerkunde herben Kelch mir dargereicht; Und ich dachte, wie so Vieles Du bei mir gewirkt im Stillen, Angeregt entschied' ne Bildung, Kräftigung und schwanken Willen. Hieroglyphisch Dir zu zeigen, was ich stets für Dich empfunden, Send' ich dieses Buch Dir jetzo, Frucht von arbeitsel'gen Stunden, Denn es ist von dem Geliebten, der dahin nun, ausgegangen, Und zugleich von Deiner Forschung hat es manchen Keim empfangen. Lebe wohl und denk' bei diesem Buch an das, was wir verloren, Denke, wie durch seine Weihe viel im Geiste neugeboren, Und wie alles Thun und Wissen doppelt uns durchdringt das Herz, Wenn ein Andrer theilt des Wissens, wie des Lebens Freud' und Schmerz. Karl Rosenkranz, [Hegels Tod. An Heinrich Leo, 17. November 1831], in: ders., Von Magdeburg nach Königsberg, Berlin 1873, S. 461. Nach den Choleralisten ist der Professor Hegel auch an der Cholera verstorben, jedoch sollen keineswegs die vorgeschriebenen Sperr-Maaßregeln eingetreten sein, so wie derselbe denn auch mit einem großen feierlichen Leichenzuge zur Gruft begleitet und nicht auf ei-

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nem der Cholera-Kirchhöfe, sondern auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhofe vor dem Oranienburger Thore beerdigt sein soll. Demnach scheinen also die bisherigen Vorschriften, welche darauf Bezug haben, aufgehoben zu sein und das ist uns um so glücklicher, als dem Vernehmen nach, der RegierungsRath Dr. Barez, welches Mitglied einer pp. ist, der Arzt des Verstorbenen gewesen sein soll. Friedrich Wilhelm Leopold v. Bärensprung an Friedrich Wilhelm v. Arnim. Berlin, 17. November 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 257. Es ist schon gestern bemerkt, daß Hegel jetzt neben Fichte ruht, er hatte dies einst selbst begehrt. Der Wunsch des Verfassers dieser Zeilen, der sich keinen Schüler des großen Mannes nennen darf, obwohl er seinen Lehren gehört, der aber gern für einen innigen Verehrer des Verstorbenen gelten will, geht dahin, daß dieselbe dankbare Verehrung, welche Fichte's Grab mit kolossaler eiserner Denksäule schmückte, eine ganz gleiche auch auf sein Grab pflanzen möchte; es würde eine erhabene Pforte werden, durch welche die Besucher des Friedhofs nur mit hohen Empfindungen wandeln müßten. aus [Anonym.] Georg Friedrich Wilhelm Hegel [sie!], in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr.271, 18. November 1831, [S. 7], Hegels plötzlicher Tod hat die schlummern gehende Cholerafurcht unangenehm aufgeweckt. Er war bejahrt, er war kränklich, er hatte schon mehrere Krankheiten, die ihn an den Rand des Grabes gebracht, kaum überstanden; sein Tod ist daher nichts weniger als etwas Außerordentliches, und doch hat der Gedanke, daß die Seuche unter den Tausenden von Gleichgültigen und Nichtvermißten sich gerade ein solches Haupt als Opfer erwählte, etwas Entmuthigendes. Auch seine Gegner müssen eingestehen, daß sein Verlust bedeutend ist, wie es sein Einfluß, ganz gewöhnlich für einen deutschen Philosophen, im Leben war. Ob dieser zu weit ging, ob er hie und da an eine Art Druck grenzte, ob seine Doctrin zu einer Normaldoctrin auf den preußischen Universitäten gemacht worden, wer möchte dies entscheiden, wer, wann es wäre, daran denken, es im Augenblicke des Todes zu rügen? Die Zahl seiner Schüler ist groß, doch unter Allen ist keiner, der sich selbstschaffend und selbstthätig so heraufgearbeitet hätte, um nur leidlicher Weise an seiner Stelle zu vikariren. Wem daher die philosophische Professur für die Berliner Universität zu übergeben wäre, wird zur schwer zu entscheidenden Frage, wenn dabei das Verdienst berathen wird. Weit bedeutender als für die Universität ist der Verlust für den großen Schülerkreis, der ihn umringt oder sich an ihn gedrängt hatte. Sie lebten, bis auf wenige, nur durch ihn, und glücklich diejenigen, welchen er noch seine hülfreiche Hand gereicht. Ob aber der Name Hegelscher Schüler denen, die erst Aspiranten waren, noch lange helfen wird, ist mehr als zweifelhaft. Hegel war äußerst guthmüthig und ließ sich gern täuschen. Wer möchte die Strategie verkennen, welche ihn bewog, sich mit Anhängern zu umgeben, und diejenigen, die ihm gedient, vorzugsweise zu angesehenen und einträglichen Posten zu empfehlen. Zum Theil waren darunter wirklich mit Leib und Seele ihm Zugethane, während andre freilich nur zu seiner Fahne schworen, weil sie seinen ministeriellen Einfluß hoch berechneten. Hier wußte man übrigens wohl zu unterscheiden zwischen dem Meister und seinen Schülern. Sein Leichenbegängniß war so feierlich, als es die Umstände gestatteten. Hofrath Förster hielt an

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seinem Sarge eine treffliche Rede, welche die Gefühle der Dankbarkeit und tiefer Rührung unter den Anwesenden auf's höchste steigerte. - Ein anderer angesehener Beamter, der Bankdirektor Struve, fiel, kurz vor Hegel, ebenfalls als Opfer der Cholera. Zu große Vorsicht und Aengstlichkeit hat sich überall eben so schädlich bewiesen, als grobe Diätfehler. Den Tod des Erzbischofs Borowsky in Königsberg wird man schwerlich der bösen Zeit zuschreiben, da es der ehrenwerte Veteran, der schon im siebenjährigen Kriege Feldprediger war, bis zu einem Alter von 92 Jahren gebracht hat. Er war noch bis kurz vor seinem Tode rüstig und thätig. Man ist nun längst zur Einsicht gekommen, daß alle Verbote und Restriktivmaßregeln, welche auf der Annahme einer Contagiosität beruhen, nur schädlich wirken; doch ist erst vor Kurzem die le[t]zte auflösende Verordnung erschienen. Noch liest man auf den Titeln einiger Blätter das mysteriöse „desinficirt", was, eine lächerliche Sache an sich, je[t]zt sich besonders lächerlich ausnimmt. Es mag nie mehr geschehen seyn, als daß man mit einem Handbesen einige Essigtropfen auf einige Ballen Papier gesprengt hat. - Die Cholera ist, wir hoffen es, im Aufhören (man will sogar die offiziellen Angaben der täglichen Erkrankungen aufgeben), die Witze über sie sind es noch nicht. Jeder Tag erzeugt deren; ich will indessen nicht den Raum damit beengen. Sie können eine Parthie davon in den hier bei Cosmar und Krause herausgekommenen „Brausepulvern für Hypochondristen" nachschlagen. Der Editor sammelt unter diesem Titel die druckbaren Berliner Witze. Gedruckt nimmt sich freilich Vieles anders aus, als gesprochen. [Anonym.] Berlin, November, in: Morgenblatt fiir gebildete Stände, Nr. 291, 6. Dezember 1831, S. 1164. Es hat sich die Hochlöb. Verwaltungsbehörde in einer Verfügung vom 20. d. M. an die hiesigen Schutz-Commissionen folgendermaßen ausgesprochen: Von einigen Seiten ist es in Frage gestellt: ob es nicht zweckmäßig sein dürfte, das Beerdigen der Choleraleichen auf eigenen, dazu bestimmten Kirchhöfen jetzt aufzugeben, das Begraben auf den gewöhnlichen Kirchhöfen frei zu stellen, und die Beerdigung an keine bestimmte Tageszeit (bisher des Nachts) mehr zu binden. Die Verwaltungsbehörde hat die für die bejahende oder verneinende Beantwortung dieser Frage sprechenden Gründe sorgfältig erwogen, indeß bei der Berathung über diesen Gegenstand die Überzeugung gewonnen, daß es jetzt, nachdem bereits gegen 1400 Verstorbene jeden Standes auf den Cholera-Kirchhöfen ruhen, bedenklich erscheinen dürfte, ein Verfahren aufzuheben, welches nur durch die Zustimmung sämmtlicher Kirchenvorstände früher sanctionirt worden, und dies um so mehr, da die in Antrag gebrachte, das bisherige Verfahren abändernde Maaßregel doch nicht durchweg auszuführen; denn die Kirchhöfe, die innerhalb bewohnter Gegenden liegen, werden nach der bestehenden Vorschrift jeden Falls von dem Beerdigen der Choleraleichen ausgeschlossen bleiben müssen, und hierdurch würde für einzelne Parochieen doch die Nothwendigkeit bestehen bleiben, sich der CholeraKirchhöfe zu bedienen. Welche unangenehme Verhältnisse die hierdurch herbeigeführten Ausnahmen mit sich führen müssen, bedarf wohl keiner weitern Auseinandersetzung. Die Beerdigungen im Laufe der Nacht sind, unter einer strengen Controlle, so geordnet, daß keine Unordnungen dabei vorfallen können. Sie werden mit der größten Ruhe und der dem ernsten Acte gebührenden Würde ausgeführt, es wird kein Aufsehen erregt, wogegen es

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gewiß manches reizbare Gemüth sehr ergreifen würde, wenn es im Laufe des Tages stets den Leichenwagen auf der Straße umherfahren sähe. Niemals ist da, wo die Verwandten des Verstorbenen es gewünscht, es abgeschlagen worden, auch die Morgenstunden zum Begräbnis zu wählen, jede Familie kann sich eines Leichenwagens bedienen, je nachdem sie es ihrem Verhältniß angemessen findet, und nie ist es Familien-Mitgliedern verweigert, die Ihrigen, unter Beobachtung der vorgeschriebenen Sicherungs-Maaßregeln, zur Ruhestätte zu begleiten. Auf dem Kirchhofe selbst wird der Besuch Seitens der Angehörigen der dort begrabenen Individuen auf desfalsige Anzeige bei der Verwaltungsbehörde jedesmal bereitwillig gestattet; ein völlig ungehinderter Besuch der Kirchhöfe für das große Publikum hat indeß um deshalb noch nicht räthlich erschienen, weil eines Theils von einem gewissen ReinigungsVerfahren noch nicht ganz abstrahirt werden kann, anderntheils, durch das bei der Beschränktheit des Raums nicht zu vermeidende Betreten der Gräber, die zur nöthigen Controlle derselben eingeführte Bezeichnung leicht vernichtet und die Controlle dadurch gänzlich unmöglich gemacht werden kann. Über das Beerdigen von Choleraleichen, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 30, 6. Dezember 1831, S. 245. Einem Hochedlen Magistrat beehren wir uns auf die gefällige Zuschrift vom 17/19. d. M. ganz ergebenst zu erwidern, daß die Beerdigung des verstorbenen Professors Hegel auf dem Dorotheenstädtischen Friedhofe vor dem Oranienburger Thore, in Folge eines Antrages des Herrn geheimen Regierungs-Raths Schulz und des Herrn Professors Förster ausnahmsweise von uns gestattet wurde, weil der gedachte Beerdigungsplatz die jetzigen Bedingungen erfüllt, welche die Verordnung des Chefs der Königlichen Immediat-Commission zur Abwehrung der Cholera unterm 22. August d. J. festgesetzt hat. Die noch bestehenden Vorschriften wegen Anwendung eigener Cholera-Begräbnißplätze sei durch die Bewilligung gesetzlich begründeter Ausnahmen nicht aufgehoben, und bedauern wir, eine solche Aufhebung nach dem Wunsche eines Hochedlen Magistrats zur Zeit noch nicht bekannt machen zu können. Friedrich Wilhelm v. Arnim an Friedrich Wilhelm Leopold v. Bärensprung. Berlin, 20. November 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 257. In gleicher Uebereinstimmung mit den jetzt veränderten Ansichten und milder gewordenen Maasregeln will, wie mir bekannt geworden ist, die unter dem Gesundheits-Comite stehende Verwaltungs-Behörde in einzelnen von ihr zu bestimmenden Fällen veranlaßen, daß die an der Cholera verstorbenen Personen auch auf den gewöhnlichen Kirchhöfen, sofern diese außerhalb der Stadt liegen und nicht von nahe stehenden Häusern umbaut sind, beerdigt werden können. Ein Fall dieser Art ist bei er Beerdigung des Professors Hegel bereits vorgekommen. Ich verkenne nicht, daß unter den hinsichtlich der fraglichen Krankheit jetzt bestehenden Verhältnissen auch eine Aenderung jener früheren Maasregel nothwendig wird, ich kann mich aber nicht überzeugen, daß das beabsichtigte Specificiren in dieser wichtigen Sache das rechte Uebergangsmittel sey, und muß es vielmehr als ein auf die öffentliche Stimmung sehr nachtheilig wirkendes betrachten. [...]

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Ich habe daher geglaubt, daß es von dem wohlthätigsten Erfolge seyn würde, wenn Eure Königliche Majestät geruhen wollten zu befehlen, daß die Beerdigung der an der Cholera verstorbenen Personen von einer bestimmten Zeit an [...] auf den gewöhnlichen Begräbnisplätzen jeder Kirche stattfinden solle, wenn es die Hinterbliebenen wünschen, und Allergnädigst zu erklären, daß es Euer Königlichen Majestät Allerhöchste Absicht sey, zur Ausschmückung der Cholera-Kirchhöfe, die auf das ehrenvollste auszuzeichnen seyen, eine angemessene Summe huldreichst zu bewilligen. aus: Daniel Amadeus Neander an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 21. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36. In Bezug auf das Begräbniß des berühmten Hegel sind an uns von so vielen Seiten her Anfragen etc. ergangen, daß wir es namentlich in Bezug auf das Allgemeine nicht für unangemessen halten, den Gegenstand hier zu berühren. Wir nehmen ein anonymes Brieflein auf, worin jene Zweifel am vollständigsten ausgedrückt sind. „Ew. etc. haben Ihren ärztlichen Lesern so viele Fragen vorgelegt, daß sie es wohl nicht übel deuten werden, wenn man auch an Sie einmal dergleichen richtet. Was für Vorschriften gelten den eigentlich jetzt in Betreff der Begräbnisse der an der Cholera verstorbenen in hiesiger Residenz? Der Herr Prof. Hegel ist nach der Anzeige in der Staatszeitung an der Cholera verstorben, und doch auf dem gewöhnlichen Kirchhofe, am Tage, mit großem Gefolge, 2 mal 24 Stunden nach seinem Tode beerdigt worden. Für einen andern, auch sehr achtbaren Einwohner von Berlin soll die nämliche Vergünstigung nicht gewährt worden sein. Gelten nun noch die ursprünglichen Bestimmungen, oder sind neue getroffen worden? und im letzteren Falle - weßhalb hat man sie nicht bekannt gemacht? Man wird doch keine Ausnahme gemacht haben? wie hängt das Alles aber zusammen? Da im Publikum so viel über diesen Gegenstand gesprochen, und, ich darf wohl sagen, raisonnirt wird, so wäre es gewiß allen Ihren Lesern angenehm, wenn Ew. etc. in den nächsten Blättern des „Tagebuchs " diese Fragen beantworten wollten, da Sie sich so vorzugsweise mit der Prüfung der gesundheitspolizeilichen Maaßregeln beschäftigen etc. etc. Ν. N." Hierauf erwidere ich Folgendes: [...] Wenn aber die Behörde, welche die Ueberzeugung hatte, daß der Verblichene an der Cholera gestorben war, das Hegekche Begräbniß, in der Art, wie es geschehen, erlaubt hätte, so hätte sie ja selbst eine sehr starke Contravention, und zwar ganz öffentlich, gegen ein Gesetz begangen, was schon ohnehin Jeder gern umgehen möchte, was sie aufrecht erhalten, zu dessen Umgehung sie aber nicht das Beispiel geben soll. Demnach ist also nicht denkbar, daß die Behörde wußte: Hegel sey an der Cholera verstorben, als die das stattgehabte Leichenbegängniß erlaubte; auch sind wir gewiß, diesen Namen nicht in den öffentlichen Krankenlisten zu finden. Noch viel weniger können wir aber dem Gedanken Raum geben, daß man eine Ausnahme haben machen wollen. Vor dem Gesetze sind Alle gleich, - man lese nach, was wir in No. 44 und 45 des Tagebuchs über die letzte Ehre gesagt haben, auf die Jeder ein Recht hat, - es sind andere hochachtbare und gelehrte Männer hie[r]selbst nach den Verordnungen auf den Cholerakirchhöfen u.s.w. begraben worden, - und bei solchen Gelegenheiten muß man ja wohl bei Personen, die höherer oder gar einer besonderen Beachtung im Volke genießen, mit gutem Beispiele vorangehen, aber nicht Begünstigungen für sie in Anspruch nehmen.

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Am allerwenigsten hätte dieß bei einem der berühmtesten Philosophen des Jahrhunderts bei dieser Gelegenheit gepaßt. Eine Ausnahme können wir hier also durchaus nicht gelten lassen. [...] In Erwiderung des obigen Briefes haben wir nur noch zu bemerken, daß schon seit mehreren Wochen das Nachfolgen von einer beliebigen Anzahl von Trauerkutschen gestattet worden ist, was im Anfange der Epidemie nicht erlaubt war. aus: [Dr. Albert Sachs], [Antwort auf eine Anfrage], in: Tagebuch über das Verhalten der bösarigen Cholera in Berlin, herausgegeben von Dr. Albert Sachs, Nr. 60, 23. November 1831, S. 239ff. Nach den Choleralisten ist der Professor Hegel auch an der Cholera verstorben, jedoch sollen keineswegs die vorgeschriebenen Sperrmaaßregeln eingetreten sein, so wie derselbe denn auch mit einem großen feierlichen Leichenzuge zur Gruft begleitet und nicht auf einem der Cholera-Kirchhöfe, sondern auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhofe vor dem Oranienburger Thore beerdigt ist. Wir durften demnach voraussetzen, daß sowohl die bisherigen Sperrmaaßregeln, als das Verbot eines zahlreichen Leichengefolges, so wie Anordnung der Beerdigung auf besonderen Begräbnißplätzen aufgehoben sein, und ersuchten daher die Verwaltungsbehörde, eines pp. die Aufhebung dieser Bestimmungen schleunigst bekannt machen zu laßen. Wir erhielten jedoch die abschriftlich beiliegende Antwort vom 20. d. Mts., wonach die Beerdigung des Professors Hegel auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhofe ausnahmsweise nachgelassen worden [...]. So wie die Sache jetzt steht, ist bei dem ferneren Festhalten an die jetzt bestehenden Vorschriften, die Beerdigung des Professors Hegel eine rein persönliche Begünstigung. Persönliche Begünstigungen sind aber bekanntlich sehr gefährlich, und machen auf das gewiß sehr zu ehrende Rechtsgefühl des hiesigen Publikums den übelsten Eindruck. - Wenn daher, wie es durch die zur Beerdigung des Professors Hegel ertheilte Erlaubniß anerkannt ist, die Beerdigung der Cholera-Leichen auf den gewöhnlichen Begräbnißplätzen zulässig, so muß dies auch für die Allgemeinheit gestattet werden [...]. Friedrich Wilhelm Leopold v. Bärensprung an Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewit, Berlin, 23. November 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 257. Dies letztere scheint allerdings der Fall zu sein, denn wie wir erfahren haben, nicht mehr auf Ausführung der Sperr-Maaßregeln gehalten wird, besonders, wenn sie bei Personen von bedeutenden Verhältnissen angewandt werden sollen, bei den erfolgreichen Einwendungen gegen diese nicht passenden und nachtheiligen Maaßregeln zu erwarten stehe. Bei dem Professor Hegel hat man nun gar sich indirect um so bestimmter durch die That für diese Auffassung der Sache ausgesprochen, als in den öffentlichen Blättern ausdrücklich angezeigt ist, daß er an der Cholera verstorben und daß dem ohngeachtet, obgleich sogar das Mitglied Euer pp. Herr Regier. Rath Barez dort Arzt gewesen, dem Vernehmen nach gar keine Sperre eingetreten, ja sogar ein ganz öffentliches Leichenbegängniß auf dem gewöhnlichen Kirchhofe eingetreten ist.

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Wem will man unter diesen Umständen noch ferner eine Sperre aufdringen oder das Begräbnis in der gewöhnlichen Art, und auf dem Kirchhofe der Parochie abschlagen? Geschieht dies dennoch, so ist es wohl nicht nötig, hier näher zu entwickeln, welchen Eindruck dies beim Publico machen und welchefr] unangenehme[n] Stellung sich die betr. Behörde gegen dasselbe befinden würde. Desselmann an v. Tippelskirch/v. Bassewitz. Berlin, 24. November 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 226. Das quest. Leichen-Begängnis war vielmehr die Beisetzung des Professors Hegel auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhofe, ist ausnahmsweise in Folge eines Antrages des Geheimen Regierungs-Raths Schulz und des Professors Förster auf dem Grund der Verfügung der hiesigen Immediat-Commission zur Abwehrung der Cholera am 22. August d. J. gestattet. Es heißt darin, daß die Beerdigung der Cholera-Leichen auf den gewöhnlichen Kirchhöfen zulässig sey, wenn diese eine freie nicht umbaute Lage hätten. Der für den Hegel gewählte Beerdigungs-Platz genügte nach vorgängiger Untersuchung diesen Bedingungen und wurde deshalb gestattet. Die übrigen, bei Beerdigung von Cholera-Leichen zu beobachtenden Vorschriften, sind auch beim Leichenzuge selbst beobachtet. Er fand bei eintretender Dunkelheit gegen 5 Uhr Nachmittags statt, wo in den jetzigen kurzen Wintertagen des Sonnenlicht so gut wie verlassen ist [gemieden wird]. Das Leichengefolge ist schon lange, zwar nicht ausdrücklich aber doch mit Wissen des hiesigen Gesundheits-Comite und der Verwaltungs-Behörde in einiger Entfernung vom Leichen-Wagen gestattet, weil es ganz gefahrlos ist. Dem Grab selber hat sich aber Niemand eher nähern dürfen, als bis der eingesenkte Sarg wenigstens mit 4 Fuß Erde bedeckt war. aus: Friedrich Wilhelm v. Arnim an Gustav Adolph v. Brenn, Berlin, 24. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36. Die Anordnung über die Begräbniß-Plätze der an der Cholera verstorbenen Personen, auf welche der Bischof Neander in der beigesandten Eingabe vom 21sten d. Mts. bei Mir anträgt, ist bereits durch die von Mir genehmigte Verfügung der Immediat-Commission vom 22sten August d. J. insofern getroffen, als es in die Hände der Communal-Behörden gelegt ist, nach der Lage jedes Orts hierüber zu bestimmen. Das von dem Bischöfe Neander angezeigte Verfahren der Verwaltungs-Behörde von Berlin, die Beerdigung der Cholera-Leichen auf den gewöhnlichen Begräbnißplätzen ausnahmsweise in einzelnen Fällen zu gestatten, ist dagegen nur zu mißbilligen, weil überall, wo das Bedürfniß besonderer Kirchhöfe für die Cholera-Leichen nach der Oertlichkeit nicht mehr anerkannt wird, unter den Verstorbenen kein Unterschied gemacht werden darf. Um dergleichen Mißbrauch abzuschaffen, setze ich hierdurch fest, daß fortan in Berlin die Bestattung der Choleraleichen auf den gewöhnlichen Begräbnisplätzen jeder Kirche geschehen soll, sobald die Hinterbliebenen es wünschen. aus: König Friedrich Wilhelm III. an Ludwig Gustav v. Thile, o.O., 27. November 1831 (Abschrift), in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36.

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Einzelne Ausnahmen von allgemeinen Bestimmungen eintreten zu lassen, ist allerdings nicht angemessen, und Ich habe daher die Immediat-Commission angewiesen, bei dem jetzigen Stand der Sachen, für Berlin die Beerdigung der Choleraleichen auf den gewöhnlichen Begräbnisplätzen jeder Kirche für zulässig zu erklären, sobald die Hinterbliebenen es wünschen. Ich bezweifle übrigens nicht, daß jede Gemeinde, die einen besonderen Begräbnisplatz für die Choleraleichen eingerichtet hat, nach ihren Kräften bemüht sein werde auch durch die nähere[n] Umgebungen der Ruhestätte ihrer Toten das Andenken derselben mit christlicher Pietät würdig zu ehren. aus: König Friedrich Wilhelm III. an Daniel Amadeus Neander, o.O., 27. November 1831 (Abschrift), in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36. Da den öffentlichen Anzeigen zu Folge der Professor Hegel an der Cholera gestorben und gleichwohl feierlich zur Erde bestattet worden war; so fand ich mich veranlaßt das PolizeiPräsidium zu einem Berichte über die Gründe dieser Ausnahme von den ergangenen Anordnungen aufzufordern. Was mir hieraus berichtet worden ist, beehre ich mich Ew. Hochwohlgeboren im Anschluß ganz ergebenst mitzutheilen. Ew. Hochwohlgeboren wollen daraus gefälligst ersehen, daß nur aus Rücksichten auf einige Freunde des verstorbenen Professors Hegel für ihn diese Ausnahme gemacht worden ist und im Allgemeinen über die Bestimmungen wegen der Bestattung der Cholera-Leichen sehr geklagt wird. Diese Klagen werden sich noch vermehren, wenn in einzelnen Fällen Ausnahmen gemacht werden und ich stelle Ew. Hochwohlgeboren daher ganz ergebenst anheim, die nach dem anliegenden Berichte ganz unbedenkliche Modification der Bestimmungen über die Bestattung der Cholera-Leichen zu bewirken und dadurch Unruhen und Aufregungen vorzubeugen, welche leicht eintreten dürften, wenn man auf Ausführung jener Bestimmungen künstlich streng bestehen wollte. aus: Gustav Adolph v. Brenn an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 28. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 76. ImmediatKommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36. Die in der letzten Zeit bei Beerdigung der Cholera-Leichen vorgefallenen Anomalien, und Abweichungen, haben dem Bischof Neander Veranlaßung gegeben hierüber, zur Erlangung eines festen Anhalts, so wie zur Vermeidung der Specification und der Willkühr, die Befehle Seiner Majestät des Königs zu erbitten. Was Allerhöchstdieselben in dieser Beziehung für Berlin zu bestimmen geruht haben, wollen Ew. Hoheit geneigtest aus der in Abschrift hier beiliegenden, an mich ergangenen Cab. Ordre vom 27. d. M. ersehen, und ersuche ich Höchstselben ganz ergebenst, den Inhalt so bald als möglich, dem hiesigen Consistorium, der Verwaltungs-Behörde des hiesigen Gesundheits-Comite's, dem PolizeiPräsidenten, und dem Magistrat hierselbst zur weiteren Mittheilung an die einzelnen Parochien, bekannt zu machen, damit der Allerhöchsten Absicht gemäß Gleichförmigkeit und Uebereinstimmung in dieser Hinsicht, so bald als möglich eingeführt werde. Ludwig Gustav v. Thile an Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz, Berlin, 29. November 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36.

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Ew. Hochwohlgeboren haben uns mittelst gefälligem Schreiben vom 29. d. Mts. die Allerhöchste Kabinet[t]s-Ordre vom 27. d. M. zugehen lassen, wodurch bestimmt worden, daß fortan in Berlin die Bestattung der Cholera-Leichen auf den gewöhnlichen Begräbnisplätzen jeder Kirche geschehen soll, sobald die Hinterbliebenen es wünschen. [...] Indem wir Ew. Hochwohlgeboren hiervon in Kenntniß zu setzen uns beehren, bemerken wir zugleich, daß die Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comite zwar der Meinung gewesen, und solche mittelst Beschlusses vom 20. October c. ausgesprochen hat: die im §. 12 sub. 1. der Bekanntmachung der Königlichen Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera vom 22. August c. enthaltene Bestimmung nicht blos auf einzelne Kirchhöfe, sondern auch auf einzelne Beerdigungsfälle beziehen zu können, diese Ansicht aber, sobald solche zu unserer Kenntnis gekommen, von uns für nicht richtig erklärt worden ist. Sollte übrigens die der Allerhöchsten Kabinet[t]s-Ordre angeschlossene, uns nicht mit zugegangene Eingabe des Bischofs Neander die Anführung von Thatsachen enthalten, welche auf die Beerdigung des an der Cholera verstorbenen Professors Hegel Bezug haben, so würden wir ganz ergebenst bitten, uns solche mittheilen zu wollen, um bei der schon stattgefundenen vollständigen Erörterung des in diesem Falle von der Verwaltungs-Behörde beobachteten Verfahrens, die zur richtigen Beurtheilung desselben nöthige Aufklärung geben zu können. Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an Ludwig Gustav v. Thile, Berlin, 1. Dezember 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η1, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36. Einem Hochedlen Magistrat beehren wir uns auf das gefallige Schreiben vom 23ten v. M. wegen der bei der unlängst statt gefundenen Beerdigung des an der Cholera verstorbenen Professors Hegel eingetretene Abweichung von den desfalls im Allgemeinen bestehenden Vorschriften ganz ergebenst zu erwidern, wie bereits aus anderweiter Veranlaßung dieses Gegenstandes wegen bei der Verwaltungsbehörde des Gesundheits-Comite Rückfrage gehalten worden ist, und hierbei sich ergeben hat, daß die obengedachte Behörde der Meinung gewesen, und solche bereits mittels Beschlusses vom 20ten October c. ausgesprochen hat, die in § 12 sub 1 der Bekanntmachung der Königlichen Immediat-Commission zur Abwehrung der Cholera vom 22. August c. enthaltene Bestimmung nicht bloß auf einzelne Kirchhöfe, sondern auch auf einzelne Beerdigungsfälle beziehen zu können. Diese Auslegung der vorangeführten Bestimmung ist nicht richtig und wir haben der Verwaltungs-Behörde solches auch zu erkennen gegeben. Ein Hochedler Magistrat wird aber daneben zugleich die Ueberzeugung gewinnen, daß nur diese unrichtige Ansicht und nicht weil diejenige Beerdigungen betrafen, welche die Verwaltungs-Behörde an die vorbehaltene Bewilligung knüpfen zu müßen geglaubt hatte, nicht aber eine Begünstigung in dem einzelnen Falle dem Verfahren der Verwaltungs-Behörde zum Grunde gelegen hat. Was das bei Beerdigung der Cholera-Leichen in Zukunft zu beobachtende Verfahren betrifft, so nehmen wir dieserhalb auf unsere heutige durch die inzwischen ergangene Allerhöchste Bestimmung vom 27ten v. M. herbeigeführte Mittheilung Bezug. aus: Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an Friedrich Wilhelm Leopold v. Bärensprung, Berlin, 1. Dezember 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 257.

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Ein Hochedler Magistrat empfängt beikommend aus Veranlassung einer Bestimmung der Königlichen Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera vom 29. v. Mts. Abschrift der Allerhöchsten Cabinets-Ordre vom 27. v. Mts., wodurch bestimmt worden, daß fortan in Berlin die Bestattung der Cholera-Leichen auf den gewöhnlichen Begräbnißplätzen jeder Kirche geschehen soll, sobald die Hinterbliebenen es wünschen. Die Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comitee ist angewiesen worden, zur Ausführung dieser Allerhöchsten Bestimmung, wenn Seitens eines Hochedlen Magistrats den einzelnen Parochien Mittheilung gemacht werden soll, ungesäumt die nöthigen Einleitungen zu treffen, auch unter Rücksprache mit einem Hochedlen Magistrate und den Parochialvorständen, diejenigen, die jetzt bestehenden Vorschriften modificirenden, Anordnungen zu erlassen, welche das Verfahren beim Begräbniß zum Gegenstande haben. Ernst Ludwig v. Tippelskirch/Magnus Friedrich v. Bassewitz an den Magistrat von Berlin, Berlin, 1. Dezember 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 243. Der Bericht des Königl. Polizei-Präsidii wegen des Leichenbegängnisses des Professor Hegel, welchen Ew. mir unterm 28. d. M. zu annonciren geneigt haben, kann meines Ermessens die Ausnahme nicht rechtfertigen, welche die Verwaltungs-Behörde des GesundheitsComite's in Abweichung von der unterm 22.t Aug. rücksichtlich der Begräbnisse von Cholera-Leichen erlassenen Bestimmungen eintreten zu lassen für gut befunden hat; denn dieselben bestanden noch und konnten noch nicht nach dem Antrage der gedachten Behörde vom lO.t October aufgegeben oder modificirt werden, da derselbe erst unterm 14. d. M. bei der Immediat-Commission eingegangen ist, u. daher von derselben bei der vorliegenden neuen Redaktion der Vorschriften über das rücksichtlich der Cholera zu beobachtende Verfahren auch erst jetzt berücksichtigt werden kann. Was indessen des Königs Majestät in Veranlassung eines Immediat-Berichtes des Herrn Bischof Neander wegen der Bestattung von Cholera-Leichen mittelst Allerhöchster Cabinets-Ordre vom 27. d. M. inzwischen anzubefehlen geruht haben, wollen Ew. aus der abschriftl. Anlage zu entnehmen geneigen. aus: Ludwig Gustav v. Thile an Gustav Adolph v. Brenn, Berlin, 1. oder 2. Dezember 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 36. Marh[eineke] sagte mir, er hätte sich in diese Arbeit so hineingeworfen, weil es das Einzige wäre, was ihn starken, u. seinen Schmerz beruhigen kann. So sagen auch die andern. Und diese wahre innere Begeisterung für das was Hegel für die Wahrheit geleistet hat, daß er den denkenden Geist mit dem Glauben versöhnt u. die wahre Vernunft u. Erkenntniß Gottes und Jesu Christi („dessen Jünger zu seyn sein höchster Nutzen auf Erden war") im Geist u. in der Wahrheit gelehrt hat, dies nennen die Frommen „ihn vergöttern" u. im falschesten Mißverstehen und Mißverstehen wollen, sagt die gute ehrliche Feig, was sie von Mann u Vater gehört hat „Er wäre zu Christus erhoben u mit ihm in Parallele gestellt worden". Da hab ich recht bereut, daß ich diesen frommen Leuten, die sich in ihrer geist. Demuth solches alles für Nichts gelten lassen, u sich unendlich viel höher stellen, diese Reden zugeschickt habe. Die jugendliche Rede von Förster geb ich ihnen Preiß, aber was Marhei-

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neke ohne eitle Ruhmredigkeit, tief erschüttert u tief empfunden, vor einer Versammlung ausgesprochen hat, wo er wohl wußte was er sagt, u was er vor Gott u der Welt zu vertreten hat, dieß Zeugniß hat mich wahrhaft erhoben u beglückt. aus: Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 14. Dezember 1831. Hegel's plötzlicher Tod (er starb, wie nunmehr gewiß ist, an der Cholera) war wie ein Donnerschlag bei heiterm Wetter. Alle Parteien, die an der Wissenschaft und ihrem Gedeihen Theil nehmen, wurden von dieser Nachricht ergriffen. Fast in eines Jeden Munde war die Frage: Wer wird den Unersetzlichen ersetzen? Zwei Veteranen unter seinen Schülern, die Herren Marheineke und Förster, hielten Reden bei seinem Leichenbegängniß. Der Erstere verglich ihn mit Christus und meinte, seine Jünger und Schüler würden nunmehr ausgehen und seine Lehre in alle Welt verbreiten. Ihn, den großen Stifter aber, würde die Menschheit schmerzlich vermissen. Herr Förster war nicht so sublim in seinem Gleichnisse, nannte Hegel blos Alexander den Großen, seine Schüler dessen Feldherren, die nunmehr das große Reich unter sich theilen würden. Hegel selbst soll aber (so wird erzählt) wenige Tage vor seinem Tode geäußert haben: er empfinde ein eignes Unbehagen, wenn er an sein dereinstiges Dahinscheiden denke; denn von seinen Schülern habe ihn nur ein einziger verstanden, dieser Eine aber habe ihn /m'i/^verstanden. Diese allgemein verbreitete Anekdote ist wo[h]l erfunden, enthält dennoch aber etwas sehr Wahres. [...] aus: [Anonym.] Berlin, Dezember 1831, in: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 351, 17. Dezember 1831, S. 1518. Viel Thränen hatt' ich schon geweint Um meinen Lehrer, meinen Freund, Den großen Hegel. Um mich zu zerstreu'n Und nicht zu lesen all' die Litaney'n, Wollt' in Politicis ich mich ergeh'n. Des Preuß'schen Staates Zeitung nehm' ich mir, Doch - was erblick' ich! - Hegel wieder hier! Ich will nicht wecken neuer Thränen Quell' Und werf unwillig fort sie auf der Stell'. Da eben tritt Freund Momus bei mir ein Und spricht: Laß deinen Vorleser jetzt mich seyn. Wenn es zu sehr die Schmerzen sollt' entfachen, Will ich dazu dir meine Glossen machen. Darauf begann er. Wörtlich, wie er sprach, Schreib' ihm ich seine Randesglossen nach. [...] „Denn die Philosophie hat für's Erste ihren Kreislauf vollendet." Z. 5. v. u. Und nun ihr Philosophen, groß und klein, Geht jetzt zur Ruh' und packet ein! Ihren Kreislauf vollend'te die Philosophie -

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Habt Dank für eu're vergebliche Müh'. Der Wahrheit ist abgezogen der Schleier, Sie strahl überall jetzt, ein großes Feuer, So daß Keiner mehr Müh' sich zu geben braucht, Zu erforschen, wo's unter der Asche noch raucht. So muß denn auch ich abziehen in Demuth, Nur schließlich noch bittend: Nehmt nichts für ungut. Und hiermit schloß Freund Momus seine Glossen. In meine Trauer hatt' er Freud' ergossen, So daß bei diesem Nekrolog Auf Augenblicke die Trauer entflog. Doch als ich ihm meinen Dank wollte sagen, Erwidert' er: den mußt du dem abtragen, Der mit so großer Geistesmacht Den Nekrolog hervorgebracht. Ο kennt' ich doch den großen Mann, Daß meinen Dank ihm ich sagen kann, Daß er verscheucht mein Herzeleid, Mir wiedergegeben die Freudigkeit. Auch Momus hatt' ihm gewunden den Kranz Und rief: Hoch lebe der große [Gans]!

Nachschrift. Damit der Verfasser vorstehender Glossen nicht etwa dem Mißverstande ausgesetzt werde, als wohne ihm nicht eine gerechte Anerkennung der großen Verdienste seines verewigten Lehrers bei; erlaubt er sich in den nachstehenden Strophen das Gefühl auszusprechen, welches ihn bei der überraschenden Nachricht von Hegel's Tode überwältigte. Auf Hegel's Tod „Wen suchst du, Jüngling, mit dem Thränenblicke Auf dieses Friedhofs öder Todtenflur? Das Haupt gebeugt von herbem Mißgeschicke, Umwandelst du der frischen Gräber Spur. Ist's die Geliebte, die im Liebesglücke Des Todes starren Herrscherruf erfuhr, Ist's der Vater, Mutter, Freund, zu deren Schlummer Dein Schritt geleitet dich in schwerem Kummer?" Ja! Vater, Lehrer, Freund darf ich dich nennen, Dich, theurer Mann, den jetzt das Grab umfängt. An deinem Hügel laß mich dir bekennen, Wie oft zu dir mein Herz sich hingedrängt,

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Wie oft du meinen Jünglingsgeist entbrennen Gemacht, wenn du zur Wahrheit ihn gelenkt! Verzeih', daß ich auch weihe meine Zähre Dir, Hegel, Deutschland's Stolz und Ruhm und Ehre. Und in dem Grabe muß ich dich begrüßen, Der ich gehofft, mit neuer Jugendkraft Zu sitzen wiederum zu deinen Füßen, Von dir zu lernen hohe Wissenschaft! Ο keine Freude kann mein Leid versüßen, Da dich des Todes Arm hinweggerafft. Wer wird, wie du, der Weisheit Bahn mir zeigen, Wer, so wie du, die höchste Höh' ersteigen? Ach leer, verödet stehet jetzt die Stät[t]e, Wo freudig sonst dein Weisheitsruf erscholl! Mit keckem Fuße Keiner sie betrete, Der dir gebracht nicht seines Dankes Zoll: Denn du erforschtest da, wo Keiner spähte Des Geistes Gang, und deinem Mund entquoll Der höchsten Weisheit höchste Geistesblüthe. Du einziger an Geist und an Gemüthe! Denn wer, wie Du, des tieffsten Wissens Früchte Gesammelt und dabei Bescheidenheit Und Demuth paart, wer bei dem hellsten Lichte Zugleich bedenkt des Auges Sicherheit, Wer nur der Wahrheit ew'gem Glanzgesichte Sein ganzes Seyn, sein Leben, Denken weiht; Der hat der Menschheit höchstes Ziel errungen, Sein hoher Namen lebt auf allen Zungen. Doch jetzt! - Ο klaget Deutschlands Söhne, Klagt alle Völker! Sehet dort sein Grab! Der heil'gen Klage Weheruf ertöne; Denn wer wird geben uns, was er uns gab? Doch klagen, Brüder? - Nein! in ew'ger Schöne Schwebt dort sein Geist, er blickt auf uns herab Uns ruft uns zu: Nicht ziemet euch das Klagen; Zur Wahrheit ward mein Geist emporgetragen! Ja, großer Meister, du hast nun errungen, Wonach gestrebt du ohne Rast und Ruh'. Was du geahnt, was dir von fern erklungen, Das strömt in Glanzesfülle jetzt dir zu. Uns strahlen ewig die Erinnerungen, Die durch dein Leben uns erwecket du:

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So lange Wahrheit noch den Geist durchglühet, In ew'ger Jugendzier dein Namen blühet! Umschwebe mich mit deiner Geistesfülle, Du Sel'ger, sey hinfort mein Lehrer noch, Daß ich, wie du, in Demuth stets mich hülle, Zersprenge stets der Geistesfeßler Joch, Der Wahrheit Schleier mehr und mehr enthülle; Denn ewig, ewig bleibt die Wahrheit doch! Daß deiner würdig meinen Lauf ich schließe, Einst an der Wahrheit Busen dich begrüße. aus: [Anonym.] Auf Hegel's Tod, in: Nothwendige Glossen zu besserem Verständniß des Hegel'sehen Nekrolog's in der allgemeinen Preuß. Staatszeitung Nr. 333, Berlin [Dezember] 1831, S. 3, 12ff.

[Auf Hegels Tod] Graunvoller Dämon ohne Myrt' und Urne! Der schmerzgefüllt auf unerkanntem Pfad, Mit wüstem Schritt auf tragischem Kothurne In dieses Leben voller Ordnung trat Grausamer Todesengel, deßen Hauche Das süße Kind an Mutterbrust erliegt; Der mit dem Blick aus tiefversunknem Auge Des Jünglings Muth, des Mannes Kraft besiegt Ο finsterer Engel, welcher voll Begierde Hineindrang in der stillen Geister Haus Und mit der Fackel seine Stirn berührte Welch ein Geist losch diese Fackel aus! Gab nicht genug zu trinken und zu bleiben Des Ganges Aue, Persiens Lebensbaum? Fand zu verheeren in den weiten Reisen Von Skythia dein wilder Fuß nicht Raum? Warum der Menschheit schönsten Kranz zertreten, Den ihre Kunst und ihre Liebe flocht! Ach! seit du nahtest, trauern alle Stätten, Und jedes Herz voll Angst und Kummer pocht. Was gab dir Kraft an dieses Weisen Hülle, Aus der Natur zum Geiste sich verklärt; Durch deßen Mund der Menschheit Tief und Fülle Als Gottesbild in Menschenform bewährt? -

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Gnaade mir, dem erdgebornen Menschen, Ο Dämon, wohl, wohl ich erkenne dich: Dein Angesicht läßt mich die Antwort lesen Sieh mich nicht an - dein Blick erschüttert mich! Dich mißt mein Aug: es schaudert mein Gebeine; Mein Blut erstarrt, und all mein Denken ist: „Dieß Fleisch ist Saat nur in des Todes Scheune; Gedenke, daß du Staub und Asche bist!" Die Erde grünet; froh ist das Gemüthe; Die Sinne spielen; und der Geist ist klar Des Todes Hand streift jede Erdenblüthe, Des Kindes Locke und das greise Haar; So dringt Vernichtung ins Gebet der Frommen, Und selbst des Sehers Wort und Form verwest. Doch! - Geist und Leben bleibet unbenommen: Die Urne birgt des höhern Lebens Nest. Aus diesem Reich, wo Kunst und Menschenliebe Erschafft des Daseins schönste Wirklichkeit, Wo alle Götter für des Staats Getriebe Die rasche Hand, das rege Herz bereit Bist edler Geist, du nun hinaufgegangen, Wo schon die Kindheit ihren Himmel baut, Wonach schon hier Herz und Gemüth verlangen, Wo man verklärt der Menschen Seelen schaut Ins Reich des Glaubens, wo mit Friedenskronen Die hochbegabten Seher alle stehn, Und, mit dem Bruderkuße dir zu lohnen, Erwartungsvoll dir längst entgegensehn. Du hast gerungen und geschmerzt - hienieden, Weil an der Gottheit nur dein Auge hing, Der dir Natur den Götterblick beschieden, Dein Geist der eignen Sphäre Bahnen ging Wohlan! so wandle mit der Lorbeerkrone, Die lang bereit im Reich des Glaubens lag, Hinauf zu deines Ideales Throne! Wer, Freunde, eilt dem wackren Seher nach? [Heinrich Stieglitz?], [Auf Hegels Tod], Ende 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Hegel 14.2, Bl. 9-11.

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Nachruf an Hegel Den schönen Stolz der Erde zu verderben Ruft eifersüchtig eine bess're Welt Den hohen Denker zu sich - er muß sterben, Weil er dem Kreis der Seeligen gefällt; Denn um an Ihm sich himmlisch zu entzücken, Muß jene Welt den Theuern uns entrücken! Die Hoheit seines Geist's, des Herzens Tiefe Führt' ihn auf eine wundervolle Rur: Daß er den Glauben und das Wissen riefe Zu einem Seyn; - ein Priester der Natur Hat göttlich groß der Wissenschaft das Leben In ihrem Seyn sein göttlich Seyn gegeben! Er hat's vollendet - ist von uns geschieden An seinem Grabe trauert eine Welt — Wohl wußten wir von ihm, daß uns hienieden Kein süßes Band auf immer feste hält. Es ist das Ufer nur von Ewigkeiten, An dem wir stehn, uns himmlisch zu bereiten. Doch ihm ist wohl. Er hat sie nun gefunden Des Geistes Hoheit, die er hier erkannt. Die Hoheit Gottes, die in heil'gen Stunden Er vor sein Auge zog mit Geister-Hand Schaut er erstaunt! - Ihm ist die Macht gegeben, Unendlich hier, unsterblich dort zu leben! Franz Adam Löffler, Nachruf an Hegel, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 297, 19. Dezember 1831, Erste Beilage, [S. 4].

Der frühere Polizeipräsident v. Esebe[c]k, welcher, obwohl zu einer solchen Stellung total unfähig, viel guten Willen zeigte, hat sich bei dem Herannahen der Cholera mit einer Pension von 1800 Rhtr. zu Ruhe begeben, und lebt in ländlicher Muße auf seinen Gütern. Sein Nachfolger, Herr v. Arnim, hat alle diejenigen trefflichen Eigenschaften, die nie einem hohen Beamten fehlen dürfen; Thätigkeit, gründliche Kenntnisse, Takt und Charakterfestigkeit kann ihm Niemand absprechen. Er wird allgemein geliebt, lebt aber mit dem Minister des Inneren wegen des feierlichen Begräbnisses des Professors Hegel, wozu er die Erlaubnis gegeben hat, im Streit, ist jetzt auf seine Güter verreist, und droht, den Abschied zu nehmen, wenn ihm nicht freie Hand gelassen wird. aus: [Anonym.] Berlin, den 23. December 1831, in: Deutsche Tribüne, Nr. 1, 1. Januar 1832, S. 6.

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Seitdem die deutsche Philosophie sich aus den Kreisen des praktischen Lebens, oder wie wir auch sagen können, von der Gesellschaft und dem Publikum zurückzog, dürfte sie auch nicht mehr den Anspruch machen, daß die Gesellschaft und das Publikum ihr besondere Theilnahme schenkte, oder ihr dahin folgte, wo der Geist in stiller und ernster Zurückgezogenheit sich in sich selbst vertiefte und eine ideale Welt aufbaut. Wir sind deßhalb weit entfernt, den Lesern d. Blätter, welche mehr der bunten Oberfläche des Lebens, den holden, wenn gleich vorübergehenden Erscheinungen gewidmet sind, einen Vorwurf darüber zu machen, daß sie von der Wirksamkeit und den Werken eines Mannes, welcher zu den größten Geistern unseres Jahrhunderts gezählt wird, bis jetzt nur wenig erfahren haben. Dennoch hoffen wir, daß man hier einige Nachrichten über das Leben Hegel's, dessen Tod in der wissenschaftlichen Welt ein so tief betrauertes Ereigniß ist, wohlwollend aufnehmen werde. Er erkrankte Sonntags am 13. Novbr. des Mittags, die gerufenen Aerzte fanden ihn durchaus nicht bedenklich, am folgenden Morgen ging er aus seinem Schlafzimmer noch in das Zimmer seiner Frau, wo er nach 5 Uhr des Nachmittags, ohne daß Erbrechen, Entleerung, Krämpfe oder Schmerzen vorangegangen, sanft verschied. Sein Todestag ist auch der Leibnitzens und Jean Paul's. Erst nach dem Verscheiden erklärten die Aerzte, daß er an der Cholera verstorben sey. Dennoch wurde ein feierliches Leichenbegängniß und die Beerdigung auf dem gewöhnlichen Kirchhofe gestattet, wo er neben Fichte seine Ruhestätte erhalten hat. - Die Leichenbegleitung von vielen Hunderten seiner Schüler und Freunde versammelte sich in der Universität, wo der Professor Marheineke eine Rede hielt; am Grabe sprach im Namen der Schüler der Hofrath D. Förster einige herzliche Worte. Beide Reden sind im Druck erschienen, zur Herausgabe der Werke Hegel's hat sich ein Verein gebildet. aus: [Anonym.] Georg Friedrich Wilhelm Hegel [sie!], in: Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften. Beilage zur [Dresdener] Abend-Zeitung, Nr. 3, 4. Januar 1832, S.lf. Wenn überall der Tod eines Mannes, der in seinem Hingeben an ein menschheitliches Werk Eigenthümlichkeit des Geistes beurkundet hat, die Trauer der Bessern erregt, so muß dies gewiß auch der Tod des kürzlich verstorbenen Philosophen Hegel. Es ließ sich hoffen, daß sein Lob, der letzte Dank für den Dahingeschiedenen, auf eine seiner würdigen Weise erschallen würde. Daß aber ein Schüler, der den Meister verstanden zu haben vorgiebt, einen so schülerhaften Nekrolog zu Tage befördern möchte, als in der preußischen Staatszeitung vom 1. Dezember wirklich geschehen ist, - daß dieser Schüler seinen, für Hegel selbst, wollte man sie ihm zuschreiben, beleidigenden, und die ihm gezollte Achtung schmälernden, Meinungen und Aussprüche mit allzugroßem Selbstvertrauen, oder richtiger mit ungebührlicher Frechheit, den Charakter der Allgemeingültigkeit aufzudrücken versichern könnte, das durfte man eben so wenig vermuthen, als daß ein Blatt, welches auf eine umsichtige Redaktion, ja auf Wissenschaftlichkeit Anspruch macht, seine Spalten den, - wir können nicht anders sagen - unwissenschaftlichen Anmaßungen des Herrn G-s öffnen würde, um dieselben als eine dem gebildeten Publikum genügende Sprache zu würdigen. aus: [Anonym.] Winke zur Kritik Hegels bei Gelegenheit der unwissenschaftlichen Anmaßungen des Herrn G-s in der preußischen Staatszeitung, München [Anfang] 1832, S. 3.

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Wir glauben zur Genüge dargethan zu haben, wie, sowohl die ganze Zeit vor, als auch bei dem Ausbruche der Cholera in Berlin, das Benehmen der eigensinnig contagios gesinnten Obermedicinalbehörde, besonders aber deren Verordnungen in Bezug auf die zu ergreifenden Maßregeln, vom Anfang bis Ende im eigentlichen Sinne sans rime et sans raison gewesen. Der gesunde Sinn des Volkes und der executiven Behörden hat allen den Unsinn am besten zu würdigen gewußt, und wir wollen nur unserer westlichen Brüder in der Cholerafurcht wegen nochmals in Erinnerung bringen, daß von allen den vortrefflichen, scharfsinnigen Absperrungs- u.s.w. Maßregeln, welche ihnen vielleicht gedruckt zu Augen gekommen sein könnten, auch fast Nichts in Berlin ausgeführt worden ist. Man hat freilich hin und wieder, besonders im Anfange, ganze Häuser abgesperrt, aber gewiß immer erst, wenn schon der meiste Ansteckungsstoff von einer Menge von Leuten fortgetragen war, welche während der 3, 6, ja 12 Stunden bis die Wachen ankamen, aus bloßer Neugier regelmäßig bis ins Kranken- oder Sterbezimmer eingedrungen waren; man hat wohl hin und wieder in den ersten Tagen einmal einen Arzt in Wachstuchmäntelchen und Maske gesehen, welche jedoch in billiger Rücksicht auf die berliner Gassenjungen bald wieder verschwanden; ja im Gegentheil könnten wir Fälle genug namhaft machen, wo selbst Stockcontagionisten unmittelbar von Krankenbetten, ja aus den Lazarethen, ohne alle Desinfection, wieder in den Kreis ihrer Familie geeilt sind, so am besten bekundend, daß sie eigentlich selber nicht recht an ihr Gespenst glauben. [...] Doch wollte das Verhängniß, daß in der letzten Zeit der Epidemie noch der berühmte und von oben wohlangesehene Philosoph Hegel der Cholera unterliegen mußte; einer der oberen Medicinal-Beamten war sein Hausarzt, die Staatszeitung bekannte offen, daß er an der Cholera gestorben, und doch wurde er mit großem Gefolge am Tage, auf dem gewöhnlichen Kirchhofe begraben. Hier trat also im November der Fall, den jene um Abschaffung bittenden Aerzte im Julius vorhergesagt hatten, buchstäblich ein; und man muß sich billig über die eigene Naivetät der Oberbehörden wundern, welche thaten, als sei hier alles in der Ordnung. aus: [Anonym.] Freimüthige Beleuchtung des Benehmens der Berliner verordnenden Contagionisten in Bezug auf die Cholera, vor und nach erfolgtem Ausbruch der Epidemie in Preußen. Von einem reisenden Cholera-Arzte, Altenburg [Anfang] 1832, S. 54, 60.

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5. Ausklang und Versöhnung Mit meinet Frau und der Christiane nach Charlottenburg gefahren, und uns von dem Gastwirth Mohcau, der dicht am Schloß wohnt alle die Gebäude und Anstalten die der König gegen die Cholera hatte errichten lassen zu zeigen, und welches wir bewundern mußten. Da iezt keine cernirung mehr Statt findet, hat der König dem Mohcau alle die Gebäude und noch 1000 Rthl. als Miethe für dieses Haus und Garten geschenkt. Ernst Ludwig Heim, Tagebucheintrag, 3. Dezember 1831, in: Ernst Ludwig Heim, Tagebuch 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung. Sig.: Ms. boruss. Qu 493, S. 50. Die hochachtbaren Frauen, welche sich dem unterzeichneten Vereine angeschlossen haben, um einen wesentlichen Teil der Sorge für die Pflege und Erziehung der Waisen zu übernehmen, haben beschlossen, zum Besten dieser Letzteren die Erzeugnisses ihres Kunstfleißes in den Tagen vom 15sten bis 20sten d. M. zu einer noch näher zu bestimmenden Tageszeit zum Verkauf auszustellen. Das mitunterzeichnete Mitglied des Vereins, Präsident Rust, wird zu diesem Zweck ein Lokal in seiner Wohnung, Französische Straße Nr. 42 im ersten Stock, einrichten und den Käufern öffnen. Im wohlbegründeten Vertrauen auf den wohlthätigen Sinn unserer Mitbürgerinnen, laden wir Frauen und Jungfrauen, die unser Vorhaben zu unterstützen bereit sind, freundlich ein, zu dem milden Zweck mitzuwirken, indem wir sie auffordern, zum Besten unserer Pflegebefohlenen die beabsichtigte Ausstellung durch ihre kunstreichen Arbeiten zu zieren. Eben so ergeht an die geehrten Künstler, welche unserem Frauen-Verein Beiträge zu dieser Ausstellung zugesagt haben, und an die Gelehrten und Dichter, welche das am Schlüsse der Ausstellung zu versteigernde Stammbuch durch ihren Geist und ihre Handschrift schmücken wollen, die ergebenste Aufforderung, die zugesagten Beiträge bis zum 13ten d. M. abzuliefern. Frau Wittwe Auguste Baudouin, Niederlagstr. Nr. 4, wird alle diese Spenden in unserem Namen dankbar empfangen. [Mittheilung.] Der Verein zur Unterstützung und Erziehung der in Folge der Cholera verwaisten Kinder. Berlin, den 3. Dezember 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 338, 6. Dezember 1831, S. 1772.

Zum Besten der, in Folge der Cholera verwaisten, Kinder hat der Hr. M. D. Moeser einen sogenannten Carlsbader Brunnenwalzer für das Pianoforte arr. herausgegeben, dessen Composition sich durch Frische, Eleganz und zweckmäßigen Rhythmus vor manchen ähnlichen Tänzen auszeichnet, und daher den Damen und Freunden der Tanzmusik, schon in Hinsicht des wohlthätigen Zwecks, empfohlen wird. Musik, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 286, 6. Dezember 1831, [S. 8]. Die sämmtlichen Bezirks-Armen-Commissionen benachrichtigen wir hierdurch, daß die Nachlaßsachen der Allmosen-Empfänger nunmehr wieder zum neuen Hospitale abgeliefert werden können.

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Wir müssen aber bei dieser Gelegenheit die frühere Bestimmung in Erinnerung bringen, daß bei jedesmaliger Ablieferung ein ärztliches Attest darüber, daß der Verstorbene an keiner ansteckenden Krankheit verstorben und daß die Sachen ohne Nachtheil anderweitig benutzt werden können, an die Administration des neuen Hospitale mit abgeliefert werden. aus: Verfügung der Armen-Direktion, 6. Dezember 1831, in: Landesarchiv Berlin. Städtische Armendirektion. A Rep. 003-01, Nr. 630. Wie gehts doch in unserer Stadt zu, und wie ist man mit dem Christenthume so rein fertig geworden, daß man in allen Dingen jetzt Christenthum hat! Und nun der Schluß! Preis und Ehre gebühret Gott allein, und er will seine Ehre keinem Andern geben. Aber wie oft ist es jetzt nicht der Fall, daß in öffentlichen Danksagungen der Menschen rühmend gedacht und Gottes vergessen wird, oder daß statt seiner das Schicksal figurirt! Könnte, sollte das nicht anders sein lieben Freunde? Es meinen Einige, nun sei es mit der Cholera aus, so daß es an der medicinischen und geistlichen Hülfe bald nicht mehr bedürfen würde. Gott gebe, daß die Züchtigung aufhöre, aber ist es mit der Cholera aus, so ist es bestimmt mit dem, was Gott der Herr Euch und uns durch die Cholera hat sagen wollen, nicht aus, und darauf mögen wir also achten. aus: C. S., Der Kampf gegen die asiatische Cholera, in: Neues Berlinisches Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben zum Besten der Wadzeck-Anstalt, Nr. 50, 10. Dezember 1831, S. 786f. Das von der unterzeichneten Schutz-Commission am 24. v. M. in dem Wintergarten des Herrn Faust zum Besten der durch die Cholera in Noth und Elend versetzten Familien veranstaltete Concert hat einen Ertrag von 134 Thl. 12 Sgr. gewährt, und auf's neue den erhebenden Beweis geliefert, daß das Vaterwort unsers allverehrten Königs auf empfänglichen Boden gefallen ist und hundert fältige Frucht trägt. Die Menschenliebe hat ein neues und herrliches Fest gefeiert, und wir erfüllen eine süße Pflicht, indem wir gegen die Edlen, welche sie in so reichem Maaße übten, unsern tiefgefühlten Dank hiermit öffentlich aussprechen. Wo sich die Lehren des Christenthums so unzweideutig bethätigen, bedarf es der prunkenden Worte nicht, und ebensowenig die Namhaftmachung der edlen Geber, da ein Jeder von ihnen in dem eigenen Bewußtsein den genügendsten Lohn findet. Der Eigenthümer des Wintergartens hat durch die unentgeltliche Hergabe seines geschmackvollen Lokals sich ein neues Verdienst um die leidende Menschheit erworben. Ihm und den Mitgliedern des Musikchors des Kaiser-Alexander-Grenadier-Regiments, deren Edelsinn mit ihrem Künstlertalent so herrlich wetteifert, unsern wärmsten und innigsten Dank! aus: Danksagung, in: Neues Berlinisches Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben zum Besten der Wadzeck-Anstalt, Nr. 50, 10. Dezember 1831, S. 786. In der freudigen Hoffnung, den Mitteln des Vereins zur Unterstützung und Erziehung der in Folge der Cholera verwaiseten Kinder einen Zuwachs zu verschaffen, sind die unterzeichneten Frauen zusammengetreten, um theils Erzeugnisse weiblichen Kunstfleißes, theils andere ihnen zum Besten der Waisen zugekommene Spenden der Milddtätigkeit der Einwohner Berlins zum Kauf anzubieten. Die Anzeige des oben bezeichneten Vereins vom

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3. Dezember c. in diesen Blättern ist nicht ohne Erfolg geblieben. Mit desto lebhafterer Zuversicht soll die wohlgemeinte Absicht zur That geleitet werden. In der Wohnung des Präsidenten Rust, Französische Str. Nr. 42, im ersten Stock, wird einschließlich vom 15ten bis 20sten d. M., in den Stunden von 11 bis 3 Uhr, ein Lokal geöffnet seyn, in welchem die gesammelten Gegenstände, aufgestellt und geordnet, für Rechnung der hülfsbedürftigen Waisen, deren der Verein sich annimmt, verkauft werden. Das Gelingen unseres Zwecks legen wir in die Hände des wohlthätigen Publikums und laden dasselbe freundlichst hiermit ein, zu kaufen. Dem so oft erprobten Wohlthätigkeitssinn unserer verehrten Mitbürger wird es hoffentlich nicht widerstreben, wenn ein Eintrittsgeld von 5 Sgr. für die Person gesammelt wird. Die in der Anzeige vom 3. Dezember c. angekündigte Versteigerung des von mehreren Gelehrten und Künstlern, auf welche Deutschland stolz ist, reich ausgestatteten Stammbuches, wird am 20sten um 2 Uhr stattfinden. Möge das mit Liebe begonnene Vorhaben recht Vielen das schöne Gefühl gewähren: Wohlthun gehört zu den höchsten Lebensgenüssen! [Mitteilung.] Präsidentin Rust, Wittwe A, Baudouin, Banquier Marianne Mendelssohn, Kriegsräthin Kramer, Justizräthin Langerhans, Justizräthin Bode, Nathalie Werner, Justizräthin Marchand. Berlin, den 12. Dezember 1831, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 345, 13. Dezember 1831, S. 1800.

Ich weiß nicht mehr genau, war es Xerxes oder Darius, der sich einen Sklaven hielt, welcher ihm täglich unter der Suppe zurufen mußte: „Herr, gedenke er Atheniens!" aber ganz genau weiß ich, daß dieser Gedanke des persischen großen Königs einer der vernünftigsten war, welcher jemals aus der menschlichen Hirnkammer entsprungen sind, und daß er noch nach Jahrtausenden dem Geschlechte der Menschen nützlich werden kann. Er macht es nämlich anschaulich, daß der Mensch auch das Wichtigste, das, was ihm selbst am meisten am Herzen liegt, in irgend einem von bösen Sternen influencirten Augenblicke vergessen kann. Ich habe den Einfall des Persermornarchen in einer verbesserten Ausgabe angewendet, um mich gegen die vielleicht gefährlichsten Minuten unsers jetzigen Daseyns, gegen die des Mittagessens, gehörig zu waffnen und zu schützen. Mit dem gewissenhaften Fleiße der angesehensten Lexikographen habe ich nach allen vorhandenen Materialien ein systematisches Lexikon derjenigen Speisen entworfen, welche, so lange die Cholera unsere Atmosphäre vergiftet, nicht genossen werden dürfen. Freilich machte ich mir zu viel Mühe, denn ich hätte besser gethan, mein Lexikon auf die erlaubten Speisen einzurichten; indessen der Mensch bedarf immer der Erfahrung zu seiner Belehrung. Das Werk ist jetzt vierzehn enggeschriebene Seiten stark geworden, ich hätte es aber vielleicht mit 14 Zeilen abmachen können. Dieses Verzeichniß liegt stets neben meinem Suppenteller; ich lese es vor Tische zwei Mal laut der ganzen Familie vor. Mein Bergelchen ist angewiesen (und schon hierin ahme ich den Xerxes nach), mir jeden Mittag mit dem Schlage zwölf Uhr zuzurufen: „Schmelzele, gedenke der verbotenen Speisen!" Sofort greife ich nach dem Sanitätslexikon, und das Lesen beginnt. Jetzt wird die Suppe aufgetragen. Die Magd (und hierin übertreffe ich oder verbessere ich den Xerxes) hat, bei Verlust ihres Dienstes, die Instruction, mir zuzurufen: „Herr, sehet, daß diese Speise Euch nicht schädlich werde." - Ich antworte darauf: „Das will ich, mit Hülfe Gottes, aber woraus besteht sie?" Alsdann nennt mir die Magd

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jeglichen Bestandteil der Suppe, so wie der übrigen Gerichte, und ich nehme ihr am Schlüsse des Berichts einen Eid ab, über die Richtigkeit desselben. Mein Bergelchen hat übrigens alle Zuthaten und Gewürze selbst unter Verschluß und muß mir vor Tische ein genaues Verzeichniß dessen, was sie der Magd geliefert, vorlegen. Jetzt vergleiche ich den schriftlichen Rapport mit dem mündlichen, und nur dann esse ich ruhig, wenn beide stimmen. Es versteht sich jedoch von selbst, daß ich (denn sonst würde ich ein ärgerer Wagehals seyn als Ludwig der Springer) mir erst die Zeit nehme, zuvörderst die Specialia, als Petersilie, Salz, Pfeffer u.s.w., in meinem Lexikon aufzuschlagen, und mich zu überzeugen, daß sie nicht darin stehen; denn wer wollte sich in solcher Sache auf sein Gedächtniß verlassen? - Es ist stets meine Ansicht gewesen (und ich habe sie nicht blos als Geistlicher), daß der göttlichen Hülfe in menschlichen Dingen nicht zu entrathen ist. Deshalb habe ich, und empfehle es zur Nachahmung, für mein ältestes Töchterchen ein kleines Tischgebet aufgesetzt, welches das Kind vor und nach der Mahlzeit mit Aufmerksamkeit zu sprechen hat, und worin ich folgendes sage: „Lieber Gott, bewahre uns vor allem Uebel, und besonders in jetziger bösen Zeit, die Deine schwere Hand, unserer Sünden wegen, mit Pestilenz und Elend geschlagen, behüte uns vor dem schwarzen Unheile. Wende Alles ab, was uns dahin führen kann. Bewahre uns vor Kälte und Hitze, vor Nässe und Dürre, vor Hunger und Durst, vor traurigem und freudigen Schrecke. Vor allem aber behüte uns beim Mahle und halte von unserm Tische fern: Aale, Krebse, saure Gurken, Erbsen, Bohnen, Kohl, Milch, Schweinefleisch, Gänsefleisch und andere giftige Speisen, dergleichen Getränke!" Ich denke, für die Allwissenheit Gottes wird eine nähere Specification des Schädlichen nicht nothwendig seyn, und daher habe ich mich auf diese Generalcharte der Speisen beschränkt, damit mein Bergelchen dieselbe wenigstens in der Hauptsache inne habe. [Ludwig Reilstab], Die Cholera im Fürstenthume Scheerau, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 243, 12. Dezember 1831, S. 1940f.

Wenn wir diese Erfolge, nächst der Hilfe Gottes, den mildern Anordnungen verdanken, welche Ew. Königl. Majestät huldreichst eintreten ließen, so gebührt es uns, Allerhöchstdemselben den tiefgefühltesten Dank der hiesigen Bürgerschaft darzubringen, der besonders die weise Anordnung, deren wir uns kürzlich erst noch zu erfreuen hatten, wonach die an der Cholera Verstorbenen bei ihren Gemeindegenossen ein Begräbniß in früherer Art, nach dem Wunsche ihrer Familie, erhalten können, den herben Schmerz der Hinterbliebenen so trostvoll mildert. So hat es sich denn auch a u f s Neue bewährt, daß in den Prüfungen, welche Gott über unser geliebtes Vaterland verhängt, Ew. Königliche Majestät liebendes Herz tief den treuen Unterthanen immer mehr offenbart, und was ist daher natürlicher, als die Bitte zu Gott, daß Er uns den geliebten Landesvater zu unserm Heile recht lange noch erhalten und Allerhöchstdenselben, wie das ganze Königliche Haus, segnen und beglücken möge. aus: Magistrat der Stadt Berlin an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 15. Dezember 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Η I, Rep. 89. Geheimes Zivilkabinett. C. XX. Vol. I. Nr. 15.

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Die jetzige Zeit ist ganz besonders geeignet, einen Vorschlag, wie wir ihn thun wollen, ins Leben treten zu lassen, denn die allgemeine Noth ist die beste Beförderin des Gemeinsinns, und die meisten Anstalten, die diesen bekunden, sind wohl zu einer Zeit entstanden, wo ein festes Zusammenhalten, ein gegenseitiges Unterstützen, die äußern Umstände ganz besonders wünschenswert, wenn nicht nothwendig machten. Krankheiten sind ein Uebel, welches die ganze Menschheit betrifft, denn davon sich nicht befreit der Mächtige, noch der Schwache, nicht der Reiche, noch der Arme. Langwierige Krankheiten jedoch sind die furchtbarsten aller Uebel, denn sie untergraben, vernichten den Wohlstand einer Bürger-Familie, theils durch die großen Kosten, welche die ärztliche Hilfe verursacht, ganz besonders aber, wenn die Krankheit einen fleißigen Hauvater, eine sorgsame Hausmutter ergriffen hat, und die nothwendige, schreckliche Folge davon, eine Vernachlässigung, Unordnung der Berufsgeschäfte oder des Hausstandes ist. Der Vorschlag aber, den wir thun wollen, gilt hauptsächlich dem Bürgerstand, der großen Anzahl wenig bemittelter, die nicht in die Klasse der Armen - für welche die Wohlthätigkeit schon längst durch zahlreiche, segenbringende Anstalten gesorgt hat - gebracht werden können, und der eben so großen Anzahl Wohlhabender, welche doch nicht im Stande sind, die Beschwerden eines langen Krankseins zu ertragen, die vielen Ausgaben, welche eine lange Krankheit nothwendig macht, zu erschwingen, ohne eine Zerrüttung ihres häuslichen Wohlstandes eintreten zu sehen. Es bestehen eine Menge Versicherungs-Anstalten, deren Zweckmäßigkeit allgemein anerkannt ist, was wohl unbestreitbar die große Theilnahme beweist, welche solche Anstalten gefunden haben; warum sollen nicht die Bürger einer Stadt - von den wohlhabenden Beamten bis zum armen Bürger, der nur durch Fleiß und Arbeitsamkeit sich seiner, oft so zahlreichen Familie den nöthigen Unterhalt erwirbt - einen allgemeinen Verband schließen, indem sie sich gegenseitig verpflichten, den Schaden, den der Einzelne oft so ganz unverschuldet durch Krankheit erleidet, gemeinschaftlich zu tragen! aus: [Anonym.] Aufforderung an unsere lieben Mitbürger zur Errichtung einer allgemeinen Versicherungsanstalt in Krankheitsfällen, in: Der Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, H. 24 [Mitte Dezember] 1831, S. 191f. Warum aber, das möchte ich Dich fragen, verlangst Du von mir, daß ich Dir immer über die Krankheit schreibe, die noch immer gleich einer dunklen Gewitterwolke über unserm Haupte steht? - Weißt Du, Bruder, was mich bei dem Unglücke am meisten tröstet? Daß es einmal ein Uebel ist, welches Reiche und Arme zugleich trifft. Du findest es vielleicht sonderbar, aber mir liegt darin ein Beweis der Gnade und Güte Gottes. Denn wird nicht der, der Allen ein gleiches Leiden schickt, für Alle einen gleichen Trost haben? Die Uebel in der Welt, die den Einen treffen, aber den Andern verschonen, sind durch den Menschen selbst verschuldet. Was aber nicht von Menschenhand bereitet wird, Gutes und Böses, das trifft ja Alle gleich, nur daß wir's gewohnt werden und es nicht mehr recht lebendig empfinden. Denn was Gott sendet, sind ja meistens nur überschwengliche Wohlthaten, wir aber sind so ungenügsam geworden, daß wir sie nicht mehr fühlen, uns mit dem Glücke, das sie gewähren, nicht mehr genügen lassen. Seine milde Sonne, ihr Licht und ihre Wärme, der Lenz, der Sommer, der Herbst, die Düfte, die Blumen, Wälder und Fluren, die holden Sterne, der sanfte, liebe Mond - alles das hat ja Gottes gnädige Hand über die ganze Erde ausgeschüttet

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und erquickt uns Alle damit. Wir aber gewöhnen uns daran, und weil wir Menschen andere Güter ungleich unter einander theilen, so empfinden wir's bald gar nicht mehr, daß Gott seine Gaben so reich und so gleichmäßig gespendet hat. Da kommt denn plötzlich ein neues, unbekanntes Uebel; anfangs gibt es wohl viele, die da glauben, sie dürften ausgenommen werden und könnten sich dem entziehen; bald aber sehen sie, daß Gott keinen Unterschied macht. Und soll das den Armen nicht trösten? Soll es ihm nicht ein neues lebendiges Gefühl erwecken, daß Gott keines seiner Kinder vorzieht, daß er, wie mit dem Schrecken seiner Macht, auch mit dem Segen seiner Gnade allen gleich nahe ist? Sieh, Walt, so habe ich mir's gedacht; und ich glaube, ich habe nicht Unrecht. Wenn ein reicher Mann, der im Ueberflusse lebte, der nie den Druck des Lebens fühlte (oder dem es die Armen aus ihrer Hütte heraus wenigstens nicht ansehen konnten), wenn der nun plötzlich von dem Uebel ergriffen wird, wenn er alle Aerzte rufen läßt und Gold über Gold spendet, - dann denkt der Unglückliche, der stets mit dem Leben kämpft, doch (wenn er ihn gleich bedauert): „Siehe, Gottes Hand schlägt die Mächtigen; sie wird hülfreich seyn den Schwachen!" Und so kehrt neues Vertrauen, neuer Muth zum Leben in die arme verwundete Brust zurück. Ach, Vult! Es sind der Schmerzen so viele, es ist des Jammers ein so unendliches Maß, daß wir schon deshalb die ganze Stärke auf Gottes ewige Güte und Gnade richten müssen, weil wir's ohne ihn so gar nicht zu tragen vermöchten. Ich habe jetzt ein Amt übernommen, wobei mein Herz oft blutet, was mir aber dennoch oft die süßesten Freuden gewährt. Du wirst lachen, Bruder, wenn ich Dir erzähle, daß ich der Vater vieler kleiner Waisen geworden bin; aber es ist so. Wir haben nämlich hier ein Pflegehaus für die armen kleinen Engel errichtet, die auf den Flügeln der Unschuld und Gesundheit dem schwarzen Ungethüme, das ihre Eltern würgte, entflattert sind. Sie sind bang und scheu und weinen, aber doch sind sie so zutraulich, so lieblich, wenn man ihnen sanft thut. Die armen Vöglein, denen ein blutgieriger Raubvogel die Mutter vom Neste würgte, und die nun ängstlich umherflattern und nicht wissen, wohin in der weiten öden Welt! Aber Gott hat ihnen einen Engel gesandt soll ich ihn Dir nennen, Bruder? Es ist Wina! Sie geht in die Hütten der Armuth und ritt ohne Scheu an das Lager der todtkranken Mutter und spricht: „Tröste Dich, Du treues Mutterherz, ich will für Deine Lieben sorgen!" Und wenn der Todesengel die Geängstigten hinweggeführt hat, und die armen Würmchen bleich und zitternd mit Thränen in den Augen dastehn, dann nimmt das freundliche hohe Wesen sie in die Arme und ans Herz und küßt ihnen den bitteren Schmerz von den Lippen weg. Sie ist die Stifterin des Pflegehauses, Vult, und auch mir hat sie ein Vorsteheramt ertheilt. Du kannst Dir denken, wie dankbar ich war. Ihr Auge ist überall, jeden Mangel sieht sie zuerst und hilft ihm ab, noch ehe darüber geklagt wird. Und wie sie die Menschen erkennt, Vult! Ich glaube, so heilige, reine Seelen wie die ihrige finden die ähnlichen überall durch ein ganz besonderes Wissen aus und täuschen sich niemals. Sie hat drei Wärterinnen geworben, und alle sind sie die Treue und die Liebe selbst. Und doch wählte sie wohl aus zwanzigen, ohne eine einzige früher gekannt zu haben. Jeden Morgen tritt sie mit der siebenten Stunde in das Pflegehaus, und die Kammerjungfer trägt ihr einen großen Korb nach. Nun theilt sie die Gaben aus! Die kleinen Strümpfe, Röckchen, Tücher und Mützchen für die Mädchen, und eben so Vieles, was die Knaben gebrauchen. Sie vertheilt so gleich, so gerecht, so zweckmäßig und immer so freundlich, daß jede Gabe aus ihrer Hand den dreifachen Werth bekommt. - Ich muß die Rechnungen über die Einnahmen und Ausgaben führen und beaufsichtige die Knaben. Wina geht aber

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mit mir auch zu diesen, und als habe Gott sie bestimmt, der Engel aller Kinder zu seyn, so bringt sie auch dahin Freude und Heil. Selbst die kleinsten Kinder lieben und ehren sie, und die wildesten Buben sind lenksam, gefügig und reuig, wenn sie eintritt und ermahnt und gebietet! - Mich haben die Kinder auch lieb, aber sie gehorchen mir nicht; für Wina, glaube ich, stürzen sie sich alle in den Fluß. Glaubst Du aber wohl, Vult, daß in ganz Haslau keine einzige Dame ist, die ihr nachahmt? Nicht einmal in unser Pflegehaus kommen sie, aus Furcht vor der Krankheit, vollends aber daß sie, wie das hohe muthige Wesen, an das Marterbett der sterbenden Mutter in die Hütte der Armuth treten sollten! Aber Wina hat sie doch zu zwingen gewußt, denn sie ist zu allen hingefahren und hat sie um Beiträge ihrer Hände Arbeit gebeten. Allen war sie freundlich, alle überredete sie mit sanftem Feuer, und konnte sie die eigensüchtige Aengstlichkeit nicht besiegen, so hat sie doch in allen einen lebhaften Eifer, das Werk aus der Ferne zu unterstützen, angeregt. Nun näht und strickt ganz Haslau auf ihren Befehl, wenn ich so sagen will. Denn daß die Kindlein arm und bloß zu uns kommen, kannst Du Dir wohl denken. Aber Wina bringt ihnen allen Trost und Hülfe; Gott segnet ihr Thun wunderbar, denn die bleichsten, kränklichsten Geschöpfe sind gewöhnlich am dritten Tage schon so blühend und frisch wie die Engelsköpfchen; zumal früh, wenn sie in ihren reinlichen Kleiderchen zu der neuen Mutter, die jeden Morgen etwas Gutes bringt, heranhüpfen. - Aber werde ich nicht zu weitläufig, Vult? So Bruder, blutet zwar mein Herz täglich, wenn ich alle die kleinen Waisen sehe, aber es erquickt mich auch täglich, wenn ich sehe, wie sie alle so schnell eine Mutter gefunden haben, und wie unschuldig sie an dem jähen Rande es großen Unheils, das sie betroffen, spielen, ohne in ihren kleinen Herzen zu ahnen, wie tief der Abgrund ist. Aber, Vult, aus dem tiefsten Abgrunde sieht man ja doch immer wieder Gottes reinen blauen Himmel voller ewig leuchtender Sterne! aus: [Ludwig Reilstab), Die Cholera im Fürstenthume Scheerau, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 249 und 250, 20. und 22. Dezember 1831, Sp. 1985ff. Nach gerade erwacht der Sinn für öffentliche Vergnügungen wieder, und vielleicht hatten die Choleraconcerte das Gute, ihn geschickt wieder zu beleben. Denn Jedermann fand es am Ende langweilig, zu Hause zu bleiben, allein, da Jeden seine Angst als reine Vernunft (nur möchte diese nicht wie die Kant'sehe eine Kritik vertragen) dargestellt hatte, so war man sehr in Verlegenheit, wie man's anfangen sollte, sich von der verwünschten Vernunft zu dispensiren, ohne ausgelacht zu werden. Da erschienen als wahre rettende Engel die Choleraconcerte. Jetzt wurde Vergnügen Pflicht, und man eilte sich pflichtgemäß aus reiner Wohlthätigkeit zu zerstreuen; es wäre ja beschämend gewesen, wenn man sich aus Furcht hätte von so gemeinnützigen Unternehmungen ausschließen wollen. Zwar blieb noch ein Ausweg, nämlich der, das Billett zu kaufen, und doch nicht ins Concert zu gehen; allein, Geehrtester, zu einer solchen abstracten Tugend und Resignation hat es der Berliner noch nicht in der Vorstellung gebracht, viel weniger in der Wirklichkeit. Das fiel also Niemandem ein, als höchstens mit dem Zusätze: „ich müßte ja verrückt seyn!" - Durch die Choleraconcerte hatte man also die Erstlingsscheu glücklich überwunden, und nun konnte man sich schon eher etwas gestatten. Als daher Hr. Moser seine Soireen für dieses Jahr recht zur glücklichen Minute wieder eröffnete, so war das ganze Publicum sofort zur Theilnahme bereit, um seinen Muth zu zeigen. Etliche betrachteten es als eine Art von Trost, daß diese Soireen doch zu Stande kämen, und sahen darin eine Art Bürgschaft, daß es mit dem Un-

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heile der Krankheit doch nun wohl am Ende seyn müsse, wovon sie selbst sich zu überreden gar nicht den Muth hatten. Kurz, die Soireen kamen zu Stande und sind besuchter als jemals. L[udwig] Reilstab, Aus Berlin, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 250, 22. Dezember 1831, Sp. 1999. Auch eine Gemäldeausstellung hat uns die Cholera verschafft. Indessen haben bis jetzt noch so wenige Künstler Producte ihres Fleißes dahin geschickt, daß das Publicum ein wenig verwundert über die geringe Anzahl von Bildern ist, die man daselbst findet. Allein nicht in der Quantität, sondern in der Qualität können wir den Werth derselben suchen und dürfen uns in dieser letzten Hinsicht befriedigt erklären. Es ist eine kleine Auswahl zum Theil sehr guter Stücke dort. Als Koryphäe aber ragt ein großes historisches Bild von Kolbe, die Magyarenschlacht am Lechfelde, hervor, welches ein Meisterstück in der Composition und in der Ausführung genannt werden kann. L[udwig] Rellstab, Aus Berlin, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 251, 23. Dezember 1831, Sp. 2007f. Warum erfindet der Mensch so wenig? Zwar hat Herr Schneider in Berlin einen Dampfapparat erfunden, Herr Geh. Rath Gräfe (wollt' ich sagen von Gräfe) desgleichen einen nach dem Searle'sehen Werke anfertigen lassen, der Doctor Mangold und sein Badekasten sind gleichfalls der Mit- und Nachwelt wichtig, vorzüglich aber die Erfindung des Theaterentrepreneurs Herrn Cerf, dessen Flanellhabit fast der Buchdruckerkunst und dem Schießpulver gleich zu setzen ist - doch alles das genügt mir noch nicht. Ich sinne auf eine Maschine, die ich kurzweg Choleraheilungsmaschine nennen werde, und deren Einrichtung folgende sein müßte. Sie hat die Form eines Bettes. So wie Jemand einen Anfall verspürt, zieht er die Maschine auf, zündet nämlich die Lampe, die Alles treibt, an und legt sich hinein, nicht in die Lampe, sondern in das Bettlager. Jetzt geht der Teufel los. Der unterm Bette angebrachte Dampfkessel fängt an sich zu erhitzen und einen Stempel zu treiben. Dieser treibt wieder zwanzig Räder, diese wiederum zwanzig Bürsten und Flanelllappen, die jetzt an dem Kranken ohne weiteres Zuthun eine Friction beginnen, als sey er ein Stück Zucker, auf dem man eine Citrone abreiben wolle zum Punsch. Aus den Dämpfen, die die Maschine treiben, entwickelt sich zugleich das nöthige Dampfbad. Alle Viertelstunden öffnet sich ein gerade über dem Mundes des Kranken befindliches Ventil, und zugleich schnappt seitwärts desselben ein Knebel heraus, der selbst dem widerspenstigsten Kranken (der gutwillige könnte ja auch in Krämpfen liegen und nicht Herr seiner Muskeln seyn) den Rachen aufsperrt wie Simson den des Löwen. In das aufgesperrte Maul träufelt durch das offene Ventil sogleich das erforderliche Quantum Arznei, Pfeffermünzöl, Kampher, oder was sonst verordnet ist, ein. Da verschiedene Behälter angebracht sind, so läuft abwechselnd dem kranken Arzenei, Bouillon, starker Caffee, oder was sonst ordinirt ist, in die Gurgel, und er muß es verschlucken, er mag wollen oder nicht. - Die Maschine arbeitet zwei Stunden. Alsdann muß der Kranke entweder genesen seyn, oder todt, oder keins von beiden. Im letztern Falle braucht man nur seitswärts an einem Knöpfchen zu drücken, worauf ein chemisches Feuerzeug die Lampe (in die durch einen mittelst desselben Drucks geöffneten Hahn Spiritus läuft) aufs neue anzündet. Alsdann geht der Tanz von vorn wieder an. Diese Choleraheilungsmaschine, die

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ich auch z.B. Authhygioposeua nennen könnte, würde für Celibataires beiden Geschlechts, die allein wohnen, ferner für Eremiten, ja selbst auf dem Lande, wo ein guter Arzt oft nicht schnell und nicht langsam zu haben ist, von unschätzbarem Werthe seyn. Indeß vor der Hand ist's nur noch Idee, und ich suche einen Künstler, der ein brauchbares Modell dazu macht. Wäre nicht auch dadurch schon etwas zu verdienen, wenn man mit dieser Maschine, wie mit einer Elektrisirmaschine, in alle Städte zöge, wo die Cholera herrscht, und gegen ein Billiges als Miethsgeld Kranke damit heilte und andere zuschauen ließe, zur Tröstung und Beruhigung? Die Zuschauer könnten ein mäßiges Entree zahlen für den Anblick der Maschinenkünste. Ein Hausirkram mit lauter Choleraartikeln wäre auch nicht zu verachten. Es ist wahr, einige Leute in Berlin haben dergleichen Magazine angelegt, aber wie unvollständig! Nichts war zu haben als vielleicht die Krankheit selber. Man müßte aber als officiell führen: alle Specifica, alle sonstigen Mittel, alle Gerätschaften, als: meine obige Maschine, die Badeapparate, den Mangoldkasten (mancher wäre mit den drei letzten Sylben zufrieden und ließe den Man gern laufen), Bürsten, Spiritus, Flanell, Cerf s Frictionsflanellfutteral, ein paar Cerfe selber, die darin steckten und jeden Augenblick den Gebrauch zeigten, alle Schriften über die Cholera, alle Specialinstructionen, die die Aerzte für ihre Kranken haben lithographieren oder drucken lassen, ja endlich ein hübsches Sortiment von Aerzten, Hülfschirurgen und Krankenwärtern selber, kurz Alles. Wenn man auch nicht gerade Summen Geldes mit der Cholera gewinnen könnte, leben ließe sich doch davon. Ich bin durch einen heruntergekommenen Schneider auf die Idee gekommen. Dieser, weil er nichts mehr zu leben hatte, beschloß zu sterben, und zwar an der Cholera. Er ging mit seinem letzten Groschen in einen Branntweinladen und abonnirte sich auf Discretion, d.h., er wollte so indiscret seyn als möglich und dann an den Folgen der Völlerei sterben, da Säufer, wie bekannt, von der Cholera ohne Erbarmen gepackt werden. Man sieht leicht ein, daß der verzweifelnde Schneider dem Himmel ein χ für ein u machen und das Verbrechen des Selbstmordes durch eine Art von reservatio mentalis von sich abwälzen wollte. Der Mann hätte Jesuit werden sollen; dabei würde er nicht verhungert seyn. Es glückte ihm aber auch auf seine Art. Zwar starb er nicht, wie er hoffte, an der Cholera, allein der Branntwein, den der arme Schlucker sonst selten geschluckt hatte, erzeugte verdächtige Symptome bei ihm. Sofort schleppte man ihn in das Choleralazareth, rieb, bürstete, erwärmte ihn und brachte ihn so bald wieder zu sich selbst. Indessen hatte die Cur ihn krank genug gemacht, um für einen Lazarethcandidaten gelten zu können, und man verpflegte ihn daher aufs beste. Am dritten Tage gefiel's dem Schneiderlein, und als er am 20ten aus der Quarantaine entlassen wurde, war er am 21 ten schon wieder besoffen vor einem andern Lazareth, so daß er sich wieder auf 20 Tage in Kost und Wohnung daselbst geben konnte. Was der Schneider en detail trieb, könnte man en gros nachahmen. Von Moskau hätte man so der Krankheit schon folgen können bis Magdeburg. Das einzige Bedenkliche dabei scheint mir, daß man den Teufel doch etwas zu oft an die Wand malen würde. Wenn er aber nun erschiene, wäre es denn so etwas Absonderliches? [Ludwig Reilstab], Die Cholera im Fürstenthume Scheerau, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 252, 24. Dezember 1831, Sp. 201 I f f .

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Der neue Würgeengel, den Asien, die Wiege der Menschheit und die Geburtsstätte der Weltseuchen, in unsre Zonen sandte, hat, so viel Schrecken er auch verbreitete, doch viel minder gewüthet, als mancher seiner Vorgänger. Uns Nordländern, die wir die Pest nur aus Beschreibungen kennen, die wir höchstens alle Menschenalter einmal von einer bedeutenden Epidemie heimgesucht werden, mußte er allerdings als in furchtbarer Gast erscheinen; die Spanier werden aber diesem finstern Wanderer gewiß mit minderer Angst entgegen sehen, denn bei ihnen ist schon eine Würgerin heimisch, die weit unersättlicher ist als die viel gefürchtete Cholera. Wenn diese einem verwegenen Bettler gleicht, der mit Ungestüm an dieses oder jenes Haus klopft, und nur selten eher weicht, bis er etwas empfangen hat, so ist das gelbe Fieber einer Räuberbande ähnlich, die, wo sie sich hinwirft, fast alles aufzehrt, und nach ihrem Abzüge noch die füchterlichsten Spuren der Zerstörung zurückläßt. aus: [Anonym.] Verheerungen des gelben Fiebers, in: Beilage zum Beobachter an der Spree [Berlin], 52. St., 26. Dezember 1831, S. 833.

Und mit dem Ende der Epidemie nehmen auch wir Abschied von unsern Lesern; denn wenn gleich sich diese Blätter in einem weitern Kreise Bahn gemacht haben, so konnte und mußte doch ihr nächstes Ziel nur Berlin bleiben, und die Mittheilung der Thatsachen, welche die Epidemie unter uns liefern würde. Wir beantworten hiermit zugleich die zahlreichen ehrenvollen Aufforderungen zu einer noch fernerweiten Fortsetzung dieser Zeitung. Soll sie ein geschlossenes Ganze[s] bilden, einen in sich abgeschlossenen Beitrag zur Geschichte der Cholera - und diesen Charakter glauben wir der nun vollständig vorliegenden Sammlung beilegen zu dürfen - so mußte sie schließen, wenn, was dem Himmel sei Dank! nun der Fall ist, über die Cholera in Berlin dem In- und Auslande nichts wirklich Wissenswerthes mehr mitzutheilen war. Nichts ist heut zu Tage leichter, als schreiben und immer schreiben und drucken lassen; grade deshalb aber müssen die, denen das hohe Ziel des wahren, wissenschaftlichen Schriftstellers unausgesetzt vor Augen steht, immer schüchterner im Gebrauch der öffentlichen Rede werden, es Andern überlassend, die in der öffentlichen Achtung nichts zu verlieren haben, jene Gefügigkeit der Druckerpresse für rein persönliche Zwecke zu mißbrauchen. So viel nur, um uns vor unsern Lesern, vor allen Denen, die uns noch bis zu diesem Augenblick mit Beiträgen beehrt haben, wegen des Schlusses der Zeitung zu rechtfertigen. Was läge uns wohl nun hier näher, als der gefühlteste Dank, zu dem wir uns vor Allen den höchsten und hohen Behörden verpflichtet sind, die unsre Sammlung so liberal und unausgesetzt unterstützt haben? Nicht mindern Dank zollen wir den Männern, und wir zählen unter ihnen so Manchen in der Wissenschaft mit Recht Gefeierten, die durch ihre werthvollen Beiträge die Cholera-Zeitung geehrt haben. Nur durch dieses Miteinanderwirken war es möglich, diese Blätter ihrem Ziele näher zu führen, das, wir gestehen es, kein Geringeres war, als einerseits ein Ganzes zu liefern, das des wissenschaftlichen Rufes der Hauptstadt des erleuchteten Preußens, auf welche das gesammte Ausland in dieser Weltangelegenheit hinsah, nicht ganz und gar unwürdig wäre, so wie wir andrerseits die fortwährende Aufklärung des Publikums, durch möglichst reiche Mittheilung von Thatsachen, bezweckten. Wenn gar Vieles daran fehlt, daß dieses Ziel überall ganz erreicht worden, so will sich der unterzeichnete Herausgeber mit den Meisten von Denen, die diese Zeitung grade

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am thätigsten unterstützt haben, durch die ungewöhnlichen praktischen Anstrengungen in dieser Zeit des Drangsais, hiermit, wenn nicht gerechtfertigt, doch einigermaßen entschuldigt haben. Wir haben eine ermuthigende, ermunternde Aufforderung, auf dem eingeschlagenen Wege rüstig nach besten Kräften fortzuschreiten, täglich neu durch den Beifall eines großen Kreises von Lesern aus allen Klassen der gebildeten Gesellschaft erhalten, denen wir gleichfalls hier beim Abschiede unsern ehrerbietigsten und gefühltesten Dank zollen. Möge für ewige Zeiten die Veranlassung zur Herausgabe einer „Cholera-Zeitung" von unserm theuren Vaterlande fern gehalten blaiben! [Johann Ludwig] Casper, Schlußwort, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, Nr. 36, 27. Dezember 1831, S. 300.

Wenn gleich im Allgemeinen beim ersten Auftreten der Cholera die in so hohem Grade aufgeschreckten Gemüther unserer Residenz-Bewohner sich bald in etwas beruhigt hatten und zu der Ueberzeugung gelangt waren, dass man die Gefahren der Krankheit und der daraus zu gewärtigenden Folgeübel überschätzt hatte; wenn gleich schon nach einer mehrwöchentlichen Dauer der Seuche, Handel und Wandel sich allmählig wieder in ihre alten Formen zurückzogen, so brachte doch jede neue Steigerung der Cholera wieder neue Schrecken hervor und bis auf den letzten Moment ihrer Existenz in der Stadt fehlte es nicht an Einzelnen, die eine unüberwindliche Angst vor dem blossen Namen der Krankheit beibehielten, und den ärztlichen Beistand und Trost unaufhörlich begehrten. Das grösste Interesse unter den hierher gehörigen Subjecten gewährten mir diejenigen, bei denen diese unüberwindliche Cholera-Angst mit ihrem ganzen übrigen Wesen und Character in dem sonderbarsten Widerspruche standen: gesunde, kräftige Individuen, Leute aus den gebildeten Ständen, determinirte Charaktere, die zu andern Zeiten Muth und Ausdauer bei kühnen Unternehmungen und Gefahren vielfältig bewährt hatten, und bei denen man in Versuchung gerieth, irgend etwas ganz Eigenthümliches in ihrer Constitution als Causa praedisponens jener Angst zum Grunde zu legen, in ähnlicher Art, wie bei der ganz analogen, fast kindischen Angst mancher Individuen bei herannahendem Gewitter, wovon ich ebenfalls recht merkwürdige Beispiele erlebt habe. aus: Dr. [Martin] Steinthal, Vierteljährlicher Sanitäts-Bericht über die in den Monaten October, November und December 1831 von mir beobachteten Krankheiten [in Berlin], in: Archiv für medizinische Erfahrung im Gebiete der praktischen Medizin, Chirurgie, Geburtshülfe und Staatsarzneikunde [Berlin], Jahrgang 1831, November, December [Η. 6, Ende Dezember 1831], S. 1102f.

Ich erkenne mit besonderem Wohlgefallen, daß die Einwohner von Berlin ihre mildthätigen Gesinnungen zur Linderung der Leiden ihrer erkrankten Mitbrüder während der Dauer der Cholera von neuem löblich bewährt und daß wir, nächst der Gnade des Höchsten, diesem christlichen Sinn der Einwohner und der hierdurch wirksam unterstützten Bemühungen der Verwaltungs-Behörde die mildere Erscheinungen der Krankheit in der Residenz und ihrer Umgegend hauptsächlich zu danken haben. Ich nehme daher von der Eingabe v. 15. d. Mts. gerne Veranlassung Meine Zufriedenheit über Ihre Theilnahme und den für die Kran-

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kenpflege und zur Erhaltung der Ordnung getroffenen Einrichtungen zu bezeigen, und die Bürgerschaft der Residenz Meines fortwährenden Wohlwollens zu versichern. König Friedrich Wilhelm III. an die Stadtverordnetenversammlung Berlins. Berlin, 31. Dezember 1831, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 218. Dies ereignißreiche Jahr wäre den[n] wieder zu Grabe getragen, nachdem es noch durch den Tod der lieben, guten Eva bezeichnet worden. Ueber Allem, was wir verloren, war mir dies das Schmerzlichste. Soviel einzelne Familien auch jetzt in Trauer u. Schmerz versetzt sind, so hat man doch im Allgemeinen Weihnachten u. Neujahr mit frohem Herzen begangen, man hatte [den] Winter überstanden, erwartetes Schlimme war nicht eingetreten, u. die Meisten hatten Ursach[e], Gott im Herzen zu danken. So auch wir. [...] Von Vaters Geburtstag habe ich noch gar nicht gesprochen, der bei uns durch meine Cholera-Musik [„Cholera-Kantate"] gefeiert wurde. aus: Fanny Hensel, Tagebucheintrag, 1. Januar 1832, in: Tagebuch 1829-1832. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Musikabteilung. Sig.: Μ A Depos. Berlin 500, 22. Fot. 8835, S. 69f. Nach so eben (am 31sten Abends in der 6ten Stunde) eingehender Mittheilung sind heute Nachmittag die beiden nach Vorstehendem noch als krank aufgeführten Individuen als genesen angemeldet, und eben so ist ein am 29sten erkranktes nachträglich angezeigtes Individuum wieder genesen, so daß heute mit dem Schlüsse des Jahres die Residenz frei von Cholerakranken ist. Nachtrag, in: Beilage zur Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 1, 2. Januar 1832, [S. 2]. Mit Bezug auf die in der gestrigen Zeitung gemachte Bemerkung, daß die in den letzten Tagen angemeldeten Cholera-Kranken sämmtlich in der Charite erkrankt sind, sehe ich mich zur Beruhigung des Publikums veranlaßt, zu erklären, daß obige Bemerkung allerdings seine Richtigkeit hat, daß aber die in den letzten 4 Tagen vorgekommenen 4 Cholera-Fälle sich sämmtlich auf einer Kranken-Abtheilung des Hauses, der Abtheilung für Krätz-Kranke, sich ereignet haben. [...] Da gegenwärtig die Zimmer, worin sich Cholera-Erkrankungen ereigneten, geräumt sind und die übrigen darin befindlich gewesenen Kranken in besondere Zimmer außer aller Gemeinschaft mit dem übrigen unverdächtigen Theile der Hausbewohner gesetzt sind und streng beobachtet werden, auch namentlich die ganze Abtheilung für Krätz-Kranke für neu ankommende Kranke dieser Art unzugänglich gemacht ist, so ist mit allem Grunde zu hoffen, daß weder eine weitere Ausbreitung der Cholera Im Innern der Charite, noch eine weitere Mittheilung von hier aus in die Stadt vorkommen wird. [Johann Nepomuk] Rust, Amtliche Bekanntmachung, Berlin, den 4. Januar 1832, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 6, 6. Januar 1832, S. 24.

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(Einzuschalten nach den Worten: „vorzüglich Deiner Gläubigen.") Wir preisen Dich für allen Schutz und die Hülfe, welche Du uns bey der verheerenden Krankheit, mit welcher Du uns heimgesucht, hast lassen angedeihen. Herr, Du hast nicht mit uns gehandelt nach unsern Sünden, und uns nicht vergolten nach unserer Missethat. Auf Dich, Du Gott der Gnade, hoffen wir. Du wirst auch ferner, bey allem, was Du uns zuschickst, Dich unser erbarmen, und uns im Leben und im Sterben ein treuer Helfer seyn. Möchte es Dir gefallen, die schwere Seuche von unserm Lande bald völlig hinwegzunehmen, und die Wunden zu heilen, die sie geschlagen hat. Doch wir unterwerfen uns Deinem guten und gnädigen Willen. Verleihe uns nur, in gottseliger Sorgfalt, heiliger Furcht und Wachsamkeit vor Dir zu wandeln, das Kreuz, das Du uns auflegst, geduldig zu tragen, und Deine väterlichen Züchtigungen uns zum Wachsthume in der Heiligung dienen zu lassen. Königl: Consistorium der Provinz Brandenburg. Circular-Verfügung an sämmtliche Herren Superintendenten der Provinz Brandenburg. Berlin, den 5ten Januar 1832, in: Domstiftsarchiv Brandenburg, Sig. Ne 166/434. Wir stehen jetzt vor einem wichtigen Anhaltspunkte im ewigen Zeiten-Cyclus. Der Menschheit erblüht nun bald eine neue Generation, und eben dieser Wechsel mahnet auch uns ernstlich auf die im Zeitenstrome dahingegangenen Geschlechter zurückzublicken, da jedes vorübergehende dem Kommenden für Alles verantwortlich ist. Ohnehin ist unsere Gegenwart eine sehr merkwürdige in allem Betrachte. Wenn sonst nur wenige Forscher, nur eingeweihte Seher die heilige Einheit der Natur und Geschichte erkannten, so wird dagegen jetzt ihr tiefer Zusammenhang fast von jedem denkenden Beobachter unter unseren Zeitgenossen geahnt. Wir hatten lange keinen Zeitraum, in dem auf einer Seite das politische Leben der Völker in so auffallend gespanntem und Zustande wildbewegter Entwickelung sich befand, während in merkwürdigem Conflicte auf der anderen Seite das leibliche Leben von der Natur mit aussergewöhnlichen Uebeln bedroht ward; denn fürwahr, im öffentlichen wie im häuslichen Leben, überall erscheint Irrsal und Zwietracht, Angst und Noth im engsten Bündnisse! Wohin das Auge sich auch wendet, überall politische und ärztliche Streitfragen Hand an Hand! Überall nur verhüllte Elemente im Kampfe mit unversöhnlichen Zerwürfnissen und unbegreiflichen Missverständnissen, die auch den in sich gekehrtesten Forscher aus seinen ruhigen Contemplationen, aus seiner friedlichen Versenkung in die Tiefen der inneren Welt aufschrecken, und ihn als Wissenschaftsheld zu thatkräftigen Entschlüssen und lebendigem Eingreifen in seine Zeit dringend auffordern. Unter solchen Umständen wird man wohl leicht von jener Wahrheit durchdrungen, dass die ewig rastlose Kraft mit ihren so verschiedenartig fluthenden Elementen im Ocean des Lebens, die stürmischen Wogen in der Geschichte, wie in der Natur für immer wild und aufgeregt hin und her treibt, dort weil es dem Menschen an Unschuld und Frömmigkeit zur Freiheit, hier weil es der Materie an der Freiheit selbst gebricht. Wer nun hie[r]von die Ueberzeugung in sich trägt, der bedarf nun freilich nicht erst solcher Erörterungen, wie sie uns noch im weitern Verfolge des hier zu liefernden Entwurfs zu einem Zeitgemälde der Wissenschaft für den Beweis beschäftigen werden, dass Natur- und Weltgeschichte sich wechselseitig Vor- und Abbild sein. Er weiss sehr wohl, wie nur der in den Grund dieses zwiefachen Spiegel Schauende jedes Bild in seinem Gegenbilde, die Nichtigkeit, so wie die Bedeutung jeder einzelnen Erscheinung des Lebens auf die rechte

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und bündige Weise zu erkennen vermag. Allein dem, der noch nicht zu der Ueberzeugung von dem oben angedeuteten gelangt ist - den müssen wir vorweg hier, gleich beim Eingange als Point des depart des Ganzen hinstellen: wie die Behauptung mehrerer sogenannten Geschichtsforscher, dass die geistige Natur nur in kreisförmigen Bahnen sich bewege, und die Fortschritte unserer Zeit in den Wissenschaften nichts als eine Wiedergeburt einer ewigen Wahrheit in den Schriften der Alten sei, uns als eine sehr einseitige und irrige erscheint. Schon ein blosser, flüchtiger Blick auf die zeitherigen, so überaus glänzenden Fortschritte der Naturwissenschaften, vermag überg[e]nügend darzuthun, dass der menschliche Forschungs-Geist, keine hemmende Schranke seiner Wirksamkeit kennend, in einem unaufhaltsamen Weiterschreiten begriffen ist, und dass man überhaupt den Begriff der einwirkenden Wissenschaft eben nicht bei den Alten zu suchen hat. aus: Johann Jacob Sachs, Blicke auf die gesammte Natur- und Heilkunde b. J. 1832, in: Berliner Medizinische Zeitung, Nr. 1, 7. Januar 1832, Sp. l f . Aber warum sage ich Euch soviel davon? Ihr könnt Agrigent ja doch nicht sehen! Tröstet Euch indeß mit vielen unbemittelten Kindern, die hier sind und es auch nicht sehen können! Da ich aber an sie denke, so muß ich Euch vor Allem noch Eines mittheilen, wodurch das Christfest hier auch von den Menschen zu einem Feste der Liebe gemacht wird. Die Vorsteher und Lehrer der hiesigen Armen- und Waisenanstalten, deren Pflegekinder und Schüler Niemanden haben, der ihnen ein freundliches Christgeschenk machte, fordern vor Weihnachten gewöhnlich die wohlthätigen Menschen auf, der armen Kinder zu gedenken. Das thun denn auch viele gute Menschen, und zur Ehre dessen, der da sprach: „Was Ihr thut an einem der geringsten meiner Brüder, das thut ihr mir", tragen sie gern etwas bei, um die Armen zu erfreuen. Ja selbst gute Kinder wollen hierin nicht zurückbleiben, besonders die kleinen Mädchen. [Anonym.] Erinnerung an die Weihnachtszeit, in: Berliner Kinder-Wochenblatt, Nr. 3, 15. Januar 1832, S. l l f . In großen Seuchen offenbart sich die allwaltende Macht, welche den Erdball mit all seinen Geschöpfen zu einem lebendigen Ganzen gestaltet hat. Die trockene Schwüle des Luftkreises, die unterirdischen Donner, die Nebel der übertretenden Wasser verkünden Zerstörung, die Kräfte der Schöpfung treten in gewaltsamen Widerstreit, der Natur genügt nicht der gewöhnliche Wechsel von Leben und Tod, und über Menschen und Thiere schwingt der Würgeengel sein flammendes Schwert. Diese Umwälzungen geschehen in großen Umläufen, die dem Geiste des Menschen in seiner Beschränkung auf einen kleinen Kreis der Erkenntnis unerforschlich bleiben. Aber sie sind größere Weltbegebenheiten, als irgend andere, die nur aus der Zwietracht, oder der Noth, oder den Leidenschaften der Völker hervorgehen. Sie erwecken durch die Vernichtung neues Leben, und wenn der Aufruhr über und unter der Erde vorüber ist, verjüngt sich die Natur, und der Geist erwacht aus Erstarrung und Versunkenheit zum Bewußtsein höherer Bestimmung. Wäre es menschlicher Forschung noch irgend erreichbar, ein historisches Bild so mächtiger Ereignisse in lebendigem Zusammenhange zu entwerfen, wie die Geschichtschreiber von Kriegen und Schlachten und Völkerwanderungen entworfen haben, so würde die geisti-

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ge Entwickelung des Menschengeschlechts auf klare Anschauungen zurückzuführen sein, und die Wege der Vorsehung würden deutlicher erkannt werden. Es würde nachzuweisen sein, daß der Geist der Völker durch das zerstörende Widerspiel der Naturkräfte tiefe Eindrücke erleidet, und daß in der allgemeinen Gesittung durch Niederlagen hervortretende Wendepunkte herbeigeführt werden. Denn alles was in dem Menschen liegt, Gutes und Böses, wird durch die Gegenwart großer Gefahr gesteigert, sein Inneres geräth in Aufruhr, wie seine Nerven bei dem Anblick eines jähen Abgrundes, - der Gedanke der Selbsterhaltung beherrscht die Gemüther, die Selbstverleugnung wird auf härtere Proben gestellt, und wo irgend Finsterniß und Roheit walten, da fliehen die geängsteten Sterbenden zu den Götzen ihres Aberglaubens, und göttliche wie menschliche Gesetze werden frevelhaft übertreten. Ein so gewaltsamer Zustand bringt nach einem allgemeinen Naturgesetz Veränderung hervor, eine heilsame oder nachtheilige, wie die Umstände sich gestalten, so daß die Völker entweder höheren sittlichen Werth erringen, oder tiefer versinken. Dies alles aber geschieht nach einem viel größeren Maaßstabe, als durch den gewöhnlichen Wechsel von Krieg und Frieden, durch das Emporkommen oder den Fall der Reiche, weil die Naturkräfte selbst die Seuchen hervorbringen, und den menschlichen Willen unterjochen, der in den Kämpfen der Völker gewöhnlich allein eintritt. aus: Justus Friedrich Carl Hecker, Der schwarze Tod im vierzehnten Jahrhundert. Ein historischer Versuch, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde [Berlin], Bd. 22, [Januar] 1832, S. l f .

Es ließ sich erwarten, daß an einem Orte, der so viele treffliche wissenschaftlich gebildete Aerzte vereinigt, und der so viel Stoff zu Erfahrungen darbot, diese neue, schreckliche, und geheimnißvolle Naturerscheinung auch geistig und wissenschaftlich aufgenommen werden, und manche gedeihliche Frucht für Wissenschaft und Kunst darauf entsprießen würde. Dieß ist nun auch geschehen, und wir haben hier das Vergnügen, mehrere davon anzuzeigen [...]. aus: [Christoph Wilhelm Hufeland], Wissenschaftliche Früchte der Choleraepidemie zu Berlin, in: Journal der practischen Heilkunde [Berlin], I. St., Januar 1832, S. 133.

Wenn wir durch diese Berichte den Doppelzweck zu erstreben uns vorgesetzt, die leidenschaftliche Aufregung des Publikums zu beschwichtigen und die gewonnenen Resultate, durch Hinweisung auf dieselbe, möglichst schnell allgemein zugänglich zu machen, so hat die Natur selbst uns in unserm Vorhaben unterstützt, indem die krankhafte Ueberreizung der Gemüther während und besonders am Ende der Epidemie fast in den entgegengesetzten Zustand einer vielleicht allzugroßen Erschlaffung, und nicht selten nachtheiligen Gleichgültigkeit übergegangen ist, und hierdurch diese ganze Angelegenheit, bei uns wenigstens, in ihre richtige Sphäre der rein wissenschaftlichen Betrachtung versetzt worden. [...] Diese besteht aber darin, daß sich die in unserm letzten Berichte (Allgm. Preuß. StaatsZeitung 1831. Nr. 352.) aufgestellte erfreuliche Behauptung, nach welcher die Wissenschaft der Cholera ihre grauenhafte Dunkelheit und gespenstische Furchtsamkeit abgestreift hat,

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täglich mehr bewährt, und daß die Aerzte am Krankenbette wie am Schreibtische in jenes polymorphische Chaos der Cholera-Erscheinungen und Cholera-Behandlungen ein sicher leitendes Licht gebracht haben, angezündet an den pathologischen Grundwahrheiten und erhalten durch fortgesetzte Beobachtung. aus: K., Cholera-Literatur. Fortsetzung, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 18, 18. Januar 1832, S. 72.

Euer Königl. Majestät überreiche ich allerunterthänigst die heutige Uebersicht der in Allerhöchst Ihrer Residenzstadt Berlin an der Cholera erkrankten, genesenen und gestorbenen Personen. Sämmtliche seit dem 16ten d. M. vorgekommenen Cholera-Erkrankungsfälle haben sich in der Charite ereignet, wo um eine Uebertragung der Ansteckung von dort her nach der Stadt zu verhindern, seitdem die zweckmäßigsten Anstalten getroffen sind u. zum Theil auf das strengste abgesondert worden ist, so daß die nicht ungegründete Hoffnung zu hegen, die Ausbreitung der Krankheit noch im Keime zu ersticken falls nicht in der Stadt selbst mehrere Cholera-Kranke vorkommen. Ludwig Gustav von Thile an König Friedrich Wilhelm III., Berlin, 19. Januar 1832 (Entwurf), in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI, Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 60.

Die in jüngster Zeit erschienenen Monographien in Betreff der allgefürchteten „orientalischen grossen Unbekannten" zeichnen sich von den früheren mit zu geschäftiger Eile vom Stapel gelassenen Schriften dieser Art dadurch wesentlich aus, dass bei weitem der grössere Theil ihrer respectiven Verfasser mit dem heimtückischen Feinde, der so gierig an dem blühenden Baum des Lebens nagt, und seine Opfer bei der diskretesten wie inhumansten Behandlung sich wählt, einen offenen und redlichen Kampf am Krankenbette selbst bestand. Gelang es diesen wackern Streitern auch nicht, dem verkappten feindlichen Ritter sein hermetisch verschlossenes Visir zu lüften, und auf das verhängnisvolle „Wer bist du" von dem überwundenen selbst die alleinrichtige geneaologische Antwort zu vernehmen: so haben sie doch mindestens sein Portrait mit allen den kenntlich machenden Pockengruben und starkmarkirten Auswüchsen auf dem Schlachtfelde, mitten unter seinen Todesopfern, und nicht selten selbst schwer verwundet, naturgetreu litographirt, die eigenthümliche Art und Weise seines Auftrittes, Angriffs, Sieges, und durch welche Mittel letzterer ihm entrissen wurde, mit schwarzer und weisser Kreide aufgezeichnet, und post festum einige nicht unerbauliche Leichenreden gehalten. Nichts ist hierbei so erquicklich, als dass jene durchweg im Rembrand[t]schen Style gehaltenen Gemälde, wie sie beim ersten Auftauchen der Seuche in Europa von der leichtbeweglichen Phantasie nur allzufreigiebig entworfen wurden, in einem weit milderen Lichte uns entgegentreten, und der treuen, wenn gleich noch immer rauhen, Wirklichkeit den Platz einräumen. aus: Dr. [Joseph Friedrich] Sobernheim, Zur Cholera-Literatur dieses Jahres, in: Berliner Medizinische Zeitung, Nr. 3, 21. Januar 1832, Sp. 39.

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Der Reisende erzählte ferner, daß die Stände des Sensburgschen Kreises (Gumbinner Regierungs-Bezirk) eine Summe von 300 Thlr. durch freiwillige Beiträge unter sich aufgebracht und zur Disposition des Kreislandraths gestellt haben, um solche zur Ausbildung und Belohnung von Krankenwärtern und zur Unterstützung nothleidender Kranken zu verwenden, auch im Falle des Mehrbedarfs sich bereit erklärt haben, die Beiträge noch zu erhöhen. Ein anwesender Rheinländer erzählte, daß ähnliche Beschlüsse in der Preußischen Rheinprovinz gefaßt worden wären und man dort überhaupt um geeignete Krankenwärter vorzugsweise besorgt sei. „Die sind doch eine Hauptsache" fuhr er fort, „und nach der Choleraerfahrung wird man hoffentlich auf ihre Ausbildung und Anlernung von Amtswegen überall bedacht sein. Ich freue mich sehr, daß gerade während meiner Anwesenheit hier [in Berlin] von dem Herrn Dr. Dieffenbach eine Anleitung zur Krankenwartung erschienen ist, die werde ich am Rhein zu verbreiten bemüht sein." - Daran werden Sie sehr recht thun, versetzte einer der Gäste aus unserer Stadt, ich will hoffen, daß wir uns die Benutzung dieser Schrift hier eben so angelegen sein lassen, damit das Wärterwesen auf einen anderen Fuß komme; es ist unendlich viel werth, daß dies von einem großen Hospital-Arzte geschehen und die Aufmerksamkeit von neuem darauf geleitet worden ist. aus: [Anonym.] Probe aus einer ungedruckten Wochenschrift zunächst für Berlin, in: Der Berlinische Zuschauer, Nr. 3, 21. Januar 1832, S. 20. Ich muß es als eine besondere Gunst des Schicksals erkennen, daß es mir heute nach längerer Zeit vergönnt ist, den Geburtstag des großen Königs [Friedrich II.] in Ihrer Mitte zu feiern, der ewig in den Herzen der Preußen fortleben wird. Sein Beispiel möge dem Nährstande stets vorleuchten, indem er auf zeitgemäße Weise auf der Bahn fortschreitet, welche der große Mann uns eröffnete; besonders aber in den Zeiten der Noth sollen wir, wie er, nie verzagen, und in uns die Mittel finden, das möglich zu machen, was unmöglich scheint. Mögen wir in solchen Zeiten die große Lehre nicht vergessen, daß unser eigenes Wohl in unsern eignen Händen liegt; daß wir es, im Vertrauen zu Gott, durch gewissenhafte Erfüllung unserer Pflichten zu erwarten haben, daß keine äußeren Institutionen den Mangel innerer Grundsätze und eigener moralischer Kraft ersetzen können. Ansprache des Vorsitzenden [Christian Peter Wilhelm Beuth] zur diesjährigen Feier des Stiftungsfestes des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes in Preußen. Berlin, 24. Januar 1832], in: Zeitblatt für Gewerbetreibende und Freude der Gewerbe, Nr. 1, 16. Februar 1832, S. 14f. Die allgemeine Freude, mit der die Bewohner Berlins, die Choleraepidemie seit dem 5ten Januar in ihren Mauern als erloschen angesehen haben, ist durch die seit dem 16. Januar angezeigten neuen Erkrankungsfälle sehr getrübt worden. Die Furcht hat aufs neue die Gemüther ergriffen; zwar gleicht sie nicht jenem panischen Schrecken, von dem bei dem ersten Ausbruche der Epidemie die ganze Stadt befallen war, zu dessen Erzeugung und Steigerung die Gründe von allen Seiten sich lange gehäuft hatten, und der dahinschwand, sobald man dem gefürchteten Feinde näher ins Auge geschauet hatte; dennoch aber ist sie größer, als die Umstände sie erheischen und entschuldigen. Eine jede Epidemie muß man von ihrem Entstehen bis zu ihrem Ende, nicht bloß in Hinsicht auf die Anzahl der von Ihr Ergriffenen, sondern auch in Hinsicht auf ihre Intensität, in Hinsicht auf die Heftigkeit, mit der sie die einzelnen Krankheitsfalle ausprägt, beobachten;

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und so läßt sich denn nicht allein aus der Anzahl der Erkrankten, sondern auch aus dem Gepräge, das die Mehrzahl der Erkrankungsfälle an sich trägt, über den jedesmaligen Stand der Epidemie mit Gewißheit urtheilen. Dies auf den jetzigen Stand unserer CholeraEpidemie angewendet, läßt mit Gewißheit den erfreulichen Schluß ziehen, daß dieselbe im Hinscheiden begriffen ist. aus: Dr. August Berend, [Mitteilung], in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 25, 25. Januar 1832, S. 100. Wenn irgendwo, so hat es sich in unsrem Vaterlande, und besonders in unsrer Stadt, bewährt, wie viel die Macht der Gesittung über die zerstörende Gewalt furchtbarer Naturkräfte vermag. - Nicht hat sich hier wie bei den rohen Völkerstämmen Asiens und des östlichen Europas die traurige Scene wiederholt, daß der Trieb der Selbsterhaltung alle besseren Gefühle besiegte, oder die Macht blinder Vorurtheile bis zur zerstörenden Wuth des Aufruhrs stieg, sondern aufopfernde Hingabe der Verwandtenliebe, tüchtiger Bürgersinn, reges Pflichtgefühl, alle wahrhaft menschlichen Empfindungen sind im Augenblicke der Gefahr höher gesteigert, alle Bande, welche die Gemeinschaft der Menschen schon im gewöhnlichen Leben umschlingen, durch die allgemeine Noth enger geknüpft worden. Unser Verein hat an diesen gemeinschaftlichen Bestrebungen Aller in seinem Wirkungskreise redlichen Antheil genommen, ja er ist ihnen sogar vorausgeeilt, und nicht nur hat er sich seines edlen Berufs würdig gezeigt durch das, was er gethan, und die Art, wie er es gethan, sondern auch durch die vorsorgliche Eile, mit der er es in's Werk gesetzt. Nicht hat uns das gemeinsame Uebel unvorbereitet überrascht, wir sind ihm vielmehr mit allen Mitteln, die Erfahrung und Beobachtung bis dahin als die wirksamsten zu seiner Bekämpfung erwiesen hatten, wohlgerüstet entgegen getreten, und wir haben die Genugthuung gehabt, zu sehen, wie diejenigen Vorkehrungen, die aus einem schnellgereiften Entschlüsse frühzeitig hervorgegangen, späterhin durch Nachahmung und Weiterverbreitung allgemeine Anerkennung gefunden. aus: Dr. Heinrich Arndt, Rede zum 40. Stiftungsfest der „Gesellschaft der Freunde". Berlin, 29. Januar 1832, in: Ludwig Lesser, Chronik der Gesellschaft der Freunde in Berlin, zur Feier ihres fünfzigjährigen Jubiläums, Berlin 1842, S. 75f. Wenn auf der einen Seite nicht geläugnet werden kann, daß noch heute, trotz der zu Gebote stehenden Erfahrungen, die Cholera-Literatur manches Einseitige, Leidenschaftliche und Vorurtheilsvolle producirte, so können wir auf der andern freudig und stolz behaupten, daß es gleich beim Auftreten der Cholera im Preußischen Staate nicht an Aerzten gefehlt hat, die im Bewußtseyn ihrer Kraft dem tückischen Feinde mit einem sehr verständigen Kriegsplan entgegentraten und diesen auch mit Umsicht und Ausdauer durchführten, so daß in der Rechenschaft, welche sie jetzt über ihr Verfahren ablegen, nicht nur ihre wissenschaftliche Ehre vollkommen gerettet erscheint, sondern gar vieles enthalten ist, dessen heilsame Richtigkeit die später gemachten Erfahrungen bestätigt haben, und dessen frühere und allgemeinere Bekanntmachung um so wünschenswerther gewesen wäre, als wir darin Ansichten und Heilregeln antreffen, die später bei uns von Neuem, aber erst durch theure Opfer, haben gefunden werden müssen. aus: K., Cholera-Literatur. Fortsetzung, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 30, 30. Januar 1832, S. 120.

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Als die asiatische Cholera sich den Landes-Grenzen mehr und mehr nahte, wuchs lawinenartig die Masse von Schriften über die räthselhafte Krankheit, und, der Influenza gleich, lief ein Heer von Broschüren als Vortrab ihr voran, ihre Zeichen, den Verlauf, die Ausgänge, die nothwendige Behandlung beschreibend, die ganze medicinische Rüstkammer von Arzneimitteln und Apparaten genau angebend und empfehlend. Bald folgten diesem Schriftheer die amtlichen Vorschriften, die, wie dies nicht anders sein konnte, auf die vorliegenden, und bis dahin bekannt gewordenen Mittheilungen basirt waren. So viel Widersprüche, Verwirrendes nun auch in den, gegeneinander gehaltenen, empfohlenen Heilmethoden - und damit haben wir es hier zu thun - sich vorfand, so ging doch Ein gewisser Plan, eine Indication durch Alle Schriften, wie der rothe Faden, hindurch, und allgemein war die schnellste Erwärmung des Kranken, ohne den Zeitverlust, wo möglich auch nur Eines Augenblicks, das schleunigste Hervorrufen einer profusen Transpiration durch innere und äußere Mittel, und Belebung des gelähmten, halb ertödteten Organismus durch die allerstärksten Reizmittel dringendst empfohlen. So las man denn von Camphor, von Bernstein-Ammonium, die in Verbindung mit heißen Steinen, Kruken, Wärmflaschen, reizenden Einreibungen der Haut u. dgl. angewandt, und deren Wirkung durch wärmstes Bedecken und Umhüllen des Kranken, und Ströme heißer Thees innerlich genommen, unterstützt werden sollte; so las man in Schriften und Zeitungen so viel und wiederholt, daß es kaum noch der Ärzte zur, ohnehin fest vorgeschriebenen, Behandlung der Cholera-Kranken nöthig geschienen hätte, wenn nicht andererseits jenes mächtige Treffen von sogenannten specifischen und Reiz-Mitteln beordert worden wäre, deren Handhabung man füglich nur dem Arzte zutrauen konnte, mit deren abermaligen Aufzählung indeß ich nicht ermüden will. Die gewerbliche Industrie ihrereits suchte bald darauf ihrem östlichen Feinde einige gute Seiten abzugewinnen, und erschöpfte sich in geistreich ersonnenen Erfindungen, wie man mit den geringsten Kosten und in der allerschnellsten Zeit einen unglücklichen CholeraKranken „erwärmen und in Schweiß bringen," oder besser, ihn quälen könne, denn was es mit dem Erwärmen für eine Bewandniß habe, werden wir alsbald beweisen. So häuften sich denn noch zu dem riesigen Arzneischatz Kisten und Kasten, Schränke und Betten, Bürsten und Handschuhe u. dgl. zum Räuchern, Dämpfen und Frottiren, und manches CholeraZimmer in Berlin, wie in Hamburg und andern größern Städten, würde einem heutigen Teniers ein vortreffliches Modell zum Laboratorium eines Alchymisten geworden sein. Diese Apparate waren die erste Folge des Eintretens der neuen Krankheit in civilisirte deutsche Länder, - in den östlichen Gegenden hatte man sich noch mehr mit Dampfbädern von Essig auf glühende Steine gegossen u. dgl. beholfen - und es scheint mir nichts weniger als überflüssig, hier, wo es auf die ernsteste Bekämpfung ihrer Aller, im Interesse der Menschheit, abgesehen ist, diesen wahren Ursprung des Cholera-Armamentariums an's Licht zu ziehen, da, wenn nur Jeder sich erst die Frage vorgelegt haben wird: „wie kam ich denn eigentlich dazu, meinen Kranken alle diese Apparate u.s.w. zu empfehlen?" und er in der Beantwortung derselben hauptsächlich auf - die Intelligenz-Blätter, die Anpreisungen der Handwerker und die Verfertiger hingewiesen wird, für den Zweck dieser Blätter schon Manches gewonnen ist. Auch mir ist es ja selbst so gegangen, und der epidemische Schwindel, in dem sich bisher jede Bevölkerung und ihre Ärzte beim nähern Heranrücken der

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„Choleramorbus" befunden, macht die Entstehung solcher Traditionen, deren Ursprung sich dann bald gar verliert, begreiflich, den Irrthum verzeihlich. aus: Dr. Johann Ludwig Casper, Die Behandlung der asiatischen Cholera durch Anwendung der Kälte; physiologisch begründet, und nach Erfahrungen am Krankenbette dargestellt, Berlin [Januar] 1832, S. If Der erste und große Schreck durch einen bösen - uns ganz neuen Feind über einen großen Theil von ganz Europa, und weiter hinaus, ist bereits zum Theil überstanden, nachdem dieser Feind seine Opfer in nicht geringer Anzahl und ohne Ansehen der Person abgeholt hat. Schwerlich darf ich diesen Feind erst nennen, um gekannt zu sein, ja, um allgemein gekannt zu sein; denn wer wird hier nicht sogleich ausrufen; ha! die Cholera! Und diese ist allerdings der gemeinte Feind. [...] Wenn in unserm Urtheile über die Natur, über das Wesen der Cholera, über ihre Entstehung und Verbreitung zugleich eine viel beruhigendere Aussicht enthalten ist, als diese bisher allgemein war, so glauben wir uns deshalb nicht fürchten zu dürfen, als hätten wir den Adler zur Mücke verkleinert. Wir haben das abgehandelte Uebel nicht von seiner Stelle verrücken wollen, indem wir es an seinem wahren Entstehungsorte zu würdigen, zu beschreiben suchten. Die Cholera wandert nach unserer Meinung nicht von Ort zu Ort, weder schwimmend, fliegend, noch hüpfend, sondern sie wird, wo sie sich zeigt, erzeugt, und zwar in dem Umfange, als sie vorhanden ist; daher ist sie epidemisch, endemisch, pandemisch, sporadisch. [...] Hinweg also mit einem Kreuzzuge ins Ausland, um die Cholerawürmchen noch als Eierchen in den Nestern aufzusuchen und sie heldenmüthig zu zertreten. Was auf der großen Wallfahrt nach Asien wir zu entdecken, zu erfahren und über unsern Python uns schmeicheln, uns einbilden, ist eitel; solches können wir, wie Sancho Pansa zu seinem Herrn sagt: Daheim im Trocknen sehen und erfahren. Das heißt nun hier: Wir glauben, daß unsere Cholera eben so aussieht, als die indische, ohne die indische zu sein; wir halten dafür, daß unsere Cholera, wie jede andere epidemische Krankheit, als Pocken, Masern, Scharlach und andere, ärztlich behandelt werden müsse, ohne wie diese, ansteckend zu sein. aus: S. S-nn, Ueber die asiatische Cholera, ein Programm, Berlin [Januar] 1832, S. 1, 86ff. Ueber die Cholera weiß ich weiter nichts zu sagen; sie hat sich empfohlen, möge sie uns nie wieder mit ihrer Gegenwart erfreuen, oder wenigstens nicht schnell wiederkehren, indem, wie eben ein neuestes Beispiel beweist, zu schnell Widerkehrende nicht immer gleich günstige Aufnahme finden. Man hat über den Abzug der berüchtigten Madame einen Witz gemacht und gesagt, „sie habe Berlin nur darum so schnell verlassen, weil sie zu schlecht behandelt worden sey", was allerdings recht hübsch lautet, doch nicht ganz Stich halten dürfte, indem die geringe Zahl der ihr Gefallenen und die bedeutende Zahl der ihr Entrissenen beweisen, daß man sie nach Verdienst - sey es nun mit den heißesten Dampf- und Schwitzbädern, oder mit eiskalten Begießungen - behandelt habe. Nichts mehr von ihr. Th-or Β. ν. Ν-ff., Aus Berlin [Ende Januar 1832], in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 29, 3. Februar 1832, S. 116.

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Das Erscheinen einer periodischen Schrift über die Cholera zu einer Zeit, wo die Krankheit im Lande fast erloschen ist, wird vor der allgemeinen Meinung schwerlich so für sich selbst sprechen, daß eine erklärende Rechtfertigung, ein Vorwort entbehrlich sein möchte. Die Krankheit ist durch ihre abschreckende Gestalt, und nicht minder durch die Beschränkungen in ihrem Gefolge so gehässig geworden, daß, wo sie verschwunden ist, kaum noch ihr Name genannt werden darf. Die Schriften über Cholera theilen im Allgemeinen das Schicksal der Krankheit, und verdanken dies der abschreckenden, d.h. unwissenschaftlichen Gestalt ihrer Mehrzahl. Dennoch hat die Cholera nicht weniger, als manche Klasse von Geschöpfen des Thierreichs, gegen welche der Abscheu fast eben so allgemein ist, auch ihre glänzende, anziehende Seite, die nur herauszustellen allzuoft versäumt worden ist: die Erforschung ihrer geheimnißvollen Natur, die wissenschaftliche Bearbeitung des Gegenstandes. Diese Andeutungen, durch welche die neben der großen Zahl ephemerer Schriften erschienenen gediegenen Werke achtbarer Gelehrten und selbst solche Zeitschriften nicht herabgesetzt werden sollen, die nur der Nothwendigkeit, allgemeinen Eingang zu finden, einen Theil ihres wissenschaftlichen Werths zum Opfer brachten, mögen den Zweck erkennen lassen, welche die Unterzeichneten bei Herausgabe des Cholera-Archivs vor Augen gehabt haben. Der von ihnen gefühlte Mangel einer von Berlin, der Residenz- und Universitätsstadt, aus noch nicht hinreichend gegebenen wissenschaftlichen Aufklärung bei dem vorhandenen Bedürfniß einer solchen; die nach ihren Dienstverhältnissen ihnen mehr als Andern obliegende Verpflichtung zur Lösung zweifelhafter und Ausgleichung strittiger Punkte durch Mittheilung ihrer Erfahrungen und Benutzung der ihnen vorliegenden Materialien nach Kräften zu wirken; die ermunternde nahe Aussicht, in den Stand gesetzt zu werden, durch genauere, als bisherige Untersuchungen auf nur wenig betretenen Wegen zur Förderung der Wissenschaft noch besonders beizutragen, führten sie auf die natürlichste Weise zu einem Verein zusammen, der, zur unausgesetzten Verfolgung des vorgesteckten Zieles entschlossen, nur über die Mittel dahin zu gelangen sich zu berathen hatte. So begann und entwickelte zu einer Zeit, wo die wiederkehrende Ruhe ungetheilt wissenschaftlichen Forschungen einen um so günstigeren Erfolg versprach, der ärztliche Verein seine Thätigkeit. aus: Vorwort, in: Cholera-Archiv mit Benutzung amtlicher Quellen [Berlin], Bd. 1. Erstes Heft [Februar] 1832, S. I f f . Die Krankheit läßt sich absperren. Dies ist durch tausendfältige Erfahrung bewiesen, so sehr auch der Schein und ein oberflächlicher Blick auf die statt gefundenen Ereignisse dagegen spricht. Wenn unsere Sanitätscordons die Krankheit nicht abhalten konnten, so beweist dies nichts dagegen, denn das Mißlingen dieses großartigen Unternehmens war unter den gegebenen Umständen sehr füglich vorauszusehen, weshalb ich auch gleich anfänglich gegen dasselbe gestimmt habe. Nichts desto weniger glaubte Preußen, diese Vorkehrungen zu treffen, dem gebildeten Europa schuldig zu sein. Welche Vorwürfe würde man wohl auch Preußen, und nicht ganz mit Unrecht, gemacht haben, wenn sich dasselbe wegen des wahrscheinlich mißlichen Erfolges hätte abhalten lassen, alles aufzubieten, was das Vordringen der Seuche nach medicinisch-polizeilichen Grundsätzen hätte verhüten können? Preußen hat daher, unbekümmert um den Erfolg und kein Opfer scheuend, seine Verpflich-

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tung gegen Europa ehrenvoll gelöst. Aber die Ziehung eines Grenz-Cordons auf beinahe 200 Meilen Länge und auf einer durchaus offenen Grenze, nicht gegen wandernde Handwerksgesellen und Schmuggler, sondern gegen zwei kriegführende Völker, ist eine Aufgabe, die noch kein Staat zu lösen hatte, und die wohl schwerlich je genügend gelöst werden dürfte. Trotz aller statt findenden Inconvenienzen wäre dennoch das Unternehmen zum größten Theile gelungen, wäre nur wenige Monate früher der Friede zu erreichen gewesen. Nicht die Natur der Krankheit, sondern die Macht der Verhältnisse ist an dem Mißlingen dieses Unternehmens Schuld, und ich bin fest überzeugt, daß wir unter denselben Verhältnissen das Eindringen der Pest eben so wenig wie die Cholera abzuhalten im Stande gewesen wären. Der Satz: Oesterreich habe 100 Jahre lang durch seine Sanitäts-Cordons die Pest abgehalten, aber deshalb doch nicht die Cholera abhalten können, letztere müsse daher anderer (miasmatischer) Natur sein, ist, meines Erachtens, grundfalsch. Hätten wir die Cholera durch die Türkei über Siebenbürgen bekommen sollen, so würde Oesterreich durch seine Sanitäts-Anstalten uns eben so vor der Cholera, wie bisher vor der Pest, bewahrt haben. Die Lage der dortigen Grenze, die Pässe, welche die Natur dort gezogen hat, die von Jugend auf mit dem Geschäfte vertraute Grenzbewachung und der unbedeutende, schon durch ein Jahrhundert geordnete und geregelte Grenzverkehr zwischen beiden Staaten würde auch hier den Erfolg gesichert haben. Dies konnte aber an anderen Grenzen und unter ganz entgegengesetzten Verhältnissen weder Oesterreich noch Preußen gelingen. Ein halbes Jahrhundert lang hat man sich Mühe gegeben, den Handelsverkehr zwischen cultivirten Völkern nach Möglichkeit zu erleichtern; Kunststraßen führen aus einem Lande ins andere; mit Dampfschiffen und Schnellposten durchfliegt man gleichsam ganze Länder; Zoll- und Handelssysteme sind mit einander verschmolzen; dem geistigen und materiellen Verkehr ist jeder mögliche Vorschub geleistet worden, und Alles dies soll auf einmal abgeschnitten, jedes Land, jede Provinz für sich isolirt werden? Dies ist selbst unter günstigeren AußenVerhältnissen, als unter welchen Preußen und Oesterreich ihre Sanitäts-Cordons zu errichten hatten, ganz unmöglich. Wenigstens kann dies kein Land, keine Provinz, selbst kein einzelner Ort, in die Länge aushalten. Deshalb haben die Sanitäts-Cordons die Seuche auch nur aufluilten, aber nicht abhalten können, deshalb werden wir aber auch die Pest, falls die Cholera nur ein Vorläufer von ihr sein sollte, ebenfalls nur höchstens aufhalten, aber unter gleichen Verhältnissen nie ganz abhalten können. [...] Endlich sind die Opfer, die sie [die Cholera] sich bereits auserlesen, auch nicht so unbedeutend, als unsere leidigen Tröster versichern. Sie hat nach einer sehr mäßigen Berechnung in 14 Jahren bereits 200 Millionen Menschen hingerafft. Gallizien und Ungarn haben allein in einem halben Jahr ganze Heere von Menschen daran verloren und man kann sicher annehmen, daß Preußen bereits 30.000 Menschen durch sie eingebüßt hat, obgleich noch kaum der lOte Theil der Monarchie von der Krankheit befallen worden ist. In einzelnen Ortschaften ist der 9te, ja sogar der 7te Mensch der Einwohnerzahl gestorben. Für den Statistiker mag dies bei seinen kalten Berechnungen hinsichtlich der Stärke der Populationen der verschiedenen Staaten zu einander, immerhin unbedeutend bleiben, für das Menschengeschlecht, für die Orte und die Familien die es trifft, ist dies aber keineswegs der Fall. aus: Sendschreiben des Präsidenten Dr. [Johann Nepomuk] Rust an Se. Excellenz den königl. preuß. wirklichen Geheimen Rath und Kammerherrn, Freyherrn Alexander v. Humboldt in Paris, in: Cholera-Archiv mit Benutzung amtlicher Quellen [Berlin], Bd. 1. Erstes Heft [Februar] 1832, S. 65f„ S. 77f.

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Die anticontagiös gesinnten Aerzte Berlin's, welche von ihrer Würde einen zu guten Begriff haben, um weiter auf das Dilemma einzugehen, womit man, statt eine noch lange nicht entschiedene Frage gründlich zu beantworten, den größten Theil der andersdenkenden Personen abfertigen zu können geglaubt hat, erklären hiermit, daß ihr College, Herr Dr. Rust, ihnen weder zu hoch noch zu niedrig steht, um die von ihm verfochtene Meinung von der Contagiosität der Cholera zu bestreiten, oder vielmehr, daß sie weder der Persönlichkeit des Herrn Dr. Rust, noch der „amtlichen Stellung" desselben irgend einen Zusammenhang mit der Ansteckungsfrage zugestehen können; daß sie aber, so weit es an ihnen ist, sich zu zeigen bemühen werden, wie man, ohne in die erste der von Herrn Rust aufgestellten Kategorie zu gehören, die Contagiosität der Cholera bestreiten könne, ohne die Pest zu leugnen. So einen ungerechten, und die Wahrheit zu sagen, durchaus ungehörigen Angriff von sich zurückweisend, wollen sie sich zugleich einer Pflicht gegen das wissenschaftliche Publikum entledigen, indem sie einen Theil ihrer Beobachtungen und Erfahrungen während der fünfmonatlichen Dauer der Cholera in Berlin zur Entscheidung einer höchst wichtigen Frage verwenden und zugleich zeigen wollen, daß man nicht mit Unrecht auch ihren Kenntnissen vertraut, auch ihre Thätigkeit vielfach in Anspruch genommen hat. Sie fürchten hierbei das Unglück nicht, daß Niemand durch die Erfahrungen klüger werden dürfte, wenn sie gleich zugeben, daß Manche auch aus der evidentesten keinen Nutzen ziehen wollen. Vielmehr wissen sie, und sprechen es mit Stolz aus, daß die Kunst, welche sie üben, auf die Erfahrung zweier Jahrtausende gegründet ist und daß das Menschengeschlecht, dem sie angehören, seine Geschichte nicht umsonst bis zu den heiligen Urkunden Mosis zurückführt. aus: Dr. August Vetter, Beleuchtung des Sendschreibens die Cholera betreffend, des Präsidenten Herrn Dr. Rust an den Freiherrn Alexander von Humboldt. In Uebereinstimmung mit mehreren praktischen Aerzten Berlin's, Berlin [Februar] 1832, S. Vf. Diese im polemisch-didaktischen Tone gehaltende compendiöse Schrift begreift eine scharf aufgefasste und lichtvoll dargestellte Recapitulation alles dessen, was bereits von verschiedenen Seiten in der Ferne und Nähe für die Contagiositäts-Meinung eruirt worden, mit Hinzufügung einiger neuer Data. Dahin gehört z.B., dass in der hiesigen Epidemie während des Wohnungswechsels die meisten Erkrankungsfälle vorkamen, wodurch auch die Seuche in Stadtviertel verschleppt wurde, die bis dahin ganz verschont blieben; dass die sumpfige Lage des Thiergartens, weit entfernt, um, der miasmathischen Theorie zufolge, schädlichen Einfluss auszuüben, vielmehr den sich dahin Flüchtenden Schutz gewährte; dass sich auch in Berlin einzelne Häuser durch Umzäunung und Bewahrung vor jedem unmittelbaren Verkehr nach aussen gesund erhielten, während die Gebäude in der Nachbarschaft angesteckt waren; dass sich die Krankheit nicht nach den verschiedenartig modificirten klimatischen Verhältnisse des Orts, wohl aber nach seiner stärkeren oder schwächeren Population richtet, und sich demnächst von den Haupt- und Handelsstädten excentrisch in die Umgegend verbreitet, die Winde mögen dabei aus einer Richtung blasen, aus welcher sie wollen; dass ferner Personen, welche den ganzen Tag eine angeblich verdorbene Luft athmeten, weniger als die in den Häusern Verkehrenden an der Cholera zu erkranken Gefahr liefen (es wurde kein einziger Droschkenfuhrmann, kein Postillion davon befallen); dass in

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sehr zahlreichen Fällen sich die Personal-Infection ganz evident erweisen liess (durch Schwangere wurden mehrere in einem anstossenden Nebenzimmer befindliche Säuglinge angesteckt, während im ganzen Hause kein Cholera-Kranker sich befand); und dass die Seuche, gleich anderen contagiösen Krankheiten, zwar extensiv sich vermindern und verstärken kann, intensiv aber immer dieselbe bleibt; (doch ist zu bemerken, dass die in letzter Zeit in einer der Stationen des Charite-Gebäudes grassirende Seuche, sowohl hinsichtlich der äussern Form, als innern Intensität - wohin namentlich das auffallend geringe Mortalitäts-Verhältniss gehört - im allgemeinen einen auffallend milden Deflex gemacht hat und ihren im Laufe der Epidemie so deutlich geoffenbarten heimtückisch bösartigen und perniziösen Charakter nicht mehr zu behaupten im Stande ist.) aus: Dr. [Joseph Friedrich] Sobernheim, [Rez• zu: Einiges über die Cholera. Ein Sendschreiben des Präsidenten Dr. Rust an Alex, von Humboldt], in: Berliner Medizinische Zeitung, Nr. 5, 3. Februar 1832, Sp. 75f. Folgende Speisen und Getränke sind mehr oder weniger als der Cholera verdächtig und dieselbe erzeugend und befördernd anzusehen, daher verboten: Das Ochsenfleisch, weil es sich vielen menschlichen Körpern mittheilt. Wenn der Ochse nicht vor den Kopf gestoßen, sondern, wie die Juden es thun, nieder gestochen, folglich durchstochen wurde, so ist er unschädlich. Das Fleisch von Schafen, weil Schafe erz gutmüthig und dumm sind, Dummheit und Gutmüthigkeit zunächst aber der Gefahr ausgesetzt sind. Alles Hochwild, weil es keinen festen Wohnsitz hat. Gänse, ohne Ausnahme, weil sie eine große Leber haben. Stockfische, in der Voraussetzung, daß die Cholera danach einen großen Appetit hat, und ohnehin viele unter uns findet. Krebse, solche, die man Buchhändler-Krebse, oder Bücher nennt, die keinen Absatz finden. In diesen Makulatur-Ballen wüthet die Pest seit einem Jahrhundert schon. Eier, mit Ausnahme der Windeier, die die Menschen selbst legen und ausbrüten. Würste aller Art - die Schlagwürste und Hanswürste ausgenommen. aus: [Anonym.] Verordnungen der Krähwinkler Sanitäts-Kommission, in: Erinnerungsblätter fiir gebildete Leser aus allen Ständen, Bd. 1, Nr. 2, Berlin [Anfang] 1832, S. 22. Jene Verschiedenartigkeit der Ansichten, welche die gerühmte Weisheit des neunzehnten Jahrhunderts so unvorteilhaft heraustellt, und dem verständigen Publikum so üble Begriffe von der ärztlichen Kunst beigebracht, hat einen bekannten Pseudonymus veranlaßt, seine Satyre über die Thorheiten unseres Zeitalters zu schreiben, die sich in der Cholera wie in einem Brennpunkte concentrirt haben. Gewiß wird vielen der Humor, der sich durch sein ganzes Schriftchen: Schutzmittel für die Cholera, nebst einem Anhange, enthaltend die vornehmsten Meinungen der Aerzte über den Sitz und das Wesen oder die nächste Ursache, die Contagiosität oder Nichtcontagiosität dieser Krankheit. Von Dr. Mises. Nr. 5. Leipzig, Verlag von L. Voß, 1832,12.,

ergießt, eine ergötzlicher Aufheiterung gewähren, und die narcotische Langeweile verscheuchen, die das Lesen unzähliger Cholerazeitungen und Flugschriften verursacht hat. Der

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Geist bedarf nach den vielen Gaben, mit denen die zudringliche Litteratur ihn bis zur Erstikkung beschwert hat, einer Auffrischung, und diese gewährt ihm die Satyre, so launig sich regend, wie von dem Verf. des Panegyrikus der jetzigen Medicin nur irgend zu erwarten war. [Justus Friedrich Carl] H[ecker], Schriften über die Cholera, in: Litterarische Annalen der gesammten Heilkunde [Berlin], Bd. 22, [Februar] 1832, S. 261. Die gewöhnlichsten Vorläufer dieses die Erde umziehenden Würgeengels, wie ein achtbarer Landwirth in der Nähe Berlins diese sogenannte Choleraseuche treffend nennt, sind bekanntlich überall Angst, Furcht und Besorgnisse in vielfacher Beziehung; obgleich nach unserer jetzigen Erfahrung und Überzeugung - ohne Grund und ohne Noth\ dazu tragen aber meistens die vielen Beschreibungen und oft so unklugen Rath und untaugliche Mittel an die Hand gebende Abhandlungen bei, welche man daher für würdige Trabanten jener Vorläufer selbst halten muß und die, anstatt zu belehren und zu beruhigen, das gerade Gegenteil bewirkten, Angst und Furcht nur noch vermehren halfen. So wie ferner die unzertrennlichen Begleiter dieser an sich zwar furchtbaren Krankheit selbst, überall Bestürzung, Tod und Entsetzen sind, welchen unläugbar aber in vielen, vielleicht in den meisten Fällen durch sorgfältige Vermeidung der Gelegenheitsursachen hätte vorgebeugt werden können; so sind es ebenfalls auch wieder zahlreiche Schriften und Berichte, die, jenen unglücklichen Begleitern ganz würdig, größtentheils das Elend nur vermehrten, wenigstens zur Linderung desselben und zur Belehrung des geängstigten Publikums nichts beitrugen. Und Wehe dem! der es damals, ehe das Übel an manchem Orte zum Ausbruche kam, gewagt hätte, zur Beruhigung des fortwährend gequälten Publikums einige Worte öffentlich zu sagen. aus: Theodor Friedrich Baltz, Meinungen über die Entstehung, das Wesen und die Möglichkeit einer Verhütung der sogenannten Cholera, aus der Natur und Erfahrung entnommen [...], Berlin, im Februar 1832, S. 3f. Am 29. v. M. Abends wurde der am 28. verstorbene letzte hiesige Cholerakranke, der Maurermann Sanftleben, beerdigt und die Desinfektion sämmtlicher mit dem Beerdigungsgeschäfte beauftragten Personen, so wie der dabei gebrauchten Geräthschaften erfolgte noch an demselben Abende. Mit gestern ist daher der lOtägige Zeitraum verstrichen, in welchem sich nach den übereinstimmenden Anzeigen sämmtlicher Civil- und Militair-Schutz-Kommissionen, so wie der Administration der Charite kein neuer Erkrankungsfall an der Cholera in hiesiger Residenz ereignet hat. aus: Verwaltungs-Behörde des Gesundheits-Comite für Berlin an die Immediat-Kommission zur Bekämpfung der Cholera, Berlin, 9. Februar 1832, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), HI., Rep. 76. Immediat-Kommission zur Abwehrung der Cholera. VIIIC. Nr. 60.

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Inhaltlich der täglich bekannt gemachten Notizen ist für Berlin heute derjenige zehntägige Zeitraum ohne einen neuen Krankheitsfall verstrichen, nach dessen Ablauf ein von der Cholera ergriffener Ort wiederum für gesund und unverdächtig erklärt werden darf, sobald seit der Beerdigung oder der vollständigen Genesung des letzten Cholera-Kranken, so wie nach vollendeter Vollziehung der vorschriftsmäßigen Reinigung, ein neuer Krankheitsfall sich nicht ereignet hat. Die Stadt Berlin wird daher wiederum für rein und unverdächtig erklärt, und es treten mithin alle Vorschriften und Beschränkungen außer Anwendung, welchen ein von der Cholera ergriffener Ort, insbesondere bei dem Verkehr nach Außen, unterliegt. Bekanntmachung. Gesundheits-Comite. v. Tippeiskirch, v. Bassewitz. Berlin, den 9. Februar 1832, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 41, 10. Februar 1832, S. 165. Berlin. Am Donnerstag (9. Februar) wurde in der Singakademie nach zwei strengen, würdigen Motetten von Seb. Bach Mozart's Wunderwerk, das Requiem, aufgeführt. Aus den tiefsten Tiefen der Kunst geschöpft, muß es die Seele eben so tief erschüttern und ergreifen. Durch die Zusammenstellung mit zwei der gediegensten Arbeiten eines von vielen zu ausschließlich geschätzten Meisters, bewies es uns, daß kein Werk, keines Meisters, eine Zusammenstellung mit dieser letzten Schöpfung des größten Genius aller Zeiten verträgt. [Anonym.] Ueberblick der Ereignisse, in: Iris im Gebiete der Tonkunst, Nr. 3, 17. Februar 1832, S. 28. Wie viel Unheil die Cholera auch gebracht, wie sehr sie auch manche Blößen der Medizin aufgedeckt, so hat sie doch auch, von einer anderen Seite betrachtet, wiederum wohlthätig gewirkt, in so fern durch ihr Erscheinen die Sorge der Menschen manches ins Leben rief, das sich gewiß für die Folgezeit segensreich erweisen wird. Hier wollen wir nur daran erinnern, wie viele Menschenleben durch die Errichtung von Cholera-Lazarethen gerettet worden sind. Die Nachtheile, die das Zusammensein der Cholerakranken in großen Krankenhäusern, der Transport, die etwanige Verbreitung des Contagiums u.s.w. brachten, leuchteten bald so sehr ein, daß die einzelnen Glieder der Communen nach Kräften beitrugen, ein Werk zu fördern, das am besten geeignet schien, bei der Krankheit, die urplötzlich den Gesündesten erfassen und wegraffen konnte, die schleunigste Hülfe und Rettung zu gewähren. Es haben sich aber seit dem Erlöschen der Epidemie, diese Anstalten auch noch in anderer Richtung heilbringend erwiesen; so geschah es neulich, daß in Kohlendampf-Erstickte, Erhängte, Apoplectische und andere die in augenblicklicher großer Lebensgefahr sich befanden, schnell die zweckmäßigste Hülfe erhielten, und die in dieser Zeit so gewaltig beschäftigten und darum nicht aufzufindenden Aerzte sahen, bei ihrem gewiß zu entschuldigenden späten Kommen, zu ihrer Freude schon alles gethan, was die Kunst gebot, um das fliehende Leben zurückzurufen. Daher dürfte wohl der Wunsch, Anstalten dieser Art im kleinern Maaßstabe fortbestehen zu lassen, auch wenn die Cholera längst verschwunden ist, zu beherzigen sein. Für eine große Stadt, wie die hiesige, könnte dies unendlich viel zum Heil der plötzlich Verunglückten und der schnellsten Hülfe Bedürfenden beitragen. aus: [Anonym.] Vorschlag zu öffentlichen Lebensrettungs-Anstalten, in: Berliner Medizinische Zeitung, Nr. 6, 11. Februar 1832, Sp. 92.

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Die furchtbare asiatische Geißel, welche Geschlechtern und Völkern mit Verderben drohte, und auch unsere schöne Stadt nicht verschonte, ist endlich aus ihren Ringmauern entfernt, wir athmen wieder frei, und in den Gott geweihten Tempeln erklingt unser freudiges Gebet für Errettung aus großer Gefahr. Auch diesmahl hat sich der edle, gemeinnützige Sinn, der von jeher Berlins Bürger und Einwohner auszeichnete, aufs Herrlichste bewährt. Ein allgemeiner Wetteifer, den bedrängten Mitbürgern zur Zeit der Noth mit Rath und That beizustehen, beseelte die Gesammtheit. Jeder Gefahr wurde getrotzt, jede noch so beschwerliche Arbeit mit Freuen übernommen, jedes Opfer liebevoll gebracht, um den leidenden Mitbürger zu unterstützen, und wenn er der furchtbaren Krankheit erlag, den unglücklichen Hinterbliebenen Trost und Hülfe zu gewähren. aus: Der Verein zur Unterstützung und Erziehung der in Folge der Cholera verwaisten Kinder an eine Berliner Schutz-Kommission. Berlin, 12. Februar 1832 (Abschrift), in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 242.

Durch die Verordnung vom 23. September 1831 ist das Tabackrauchen auf den hiesigen öffentlichen Plätzen und Straßen, so wie im Thiergarten, erlaubt worden, um denjenigen, welche ein Schutzmittel gegen die Cholera zu finden glaubten, dasselbe nicht zu entziehen. Dabei wurde ausdrücklich bemerkt, daß nach dem Aufhören der Cholera in Berlin, die früheren Bestimmungen, rücksichtlich des Tabackrauchens, in voller Kraft bleiben. Dieser Zeitpunkt ist eingetreten, nachdem nunmehr nach Inhalt der öffentlichen Bekanntmachung des Allerhöchst verordneten Gesundheits-Comite, vom 9. d. Mts. die Residenz Berlin, als von der Cholera befreit erachtet, und in dieser Beziehung für rein und unverdächtig erklärt worden ist, und es bleibt fortan, nach den früheren desfalligen Bestimmungen, das Tabackrauchen auf den Straßen, öffentlichen Plätzen und Promenaden innerhalb der Stadt sowohl, als in deren nächsten Umgebungen und im Thiergarten, bei zwei Thalern Geldbuße oder verhältnismäßiger Gefängnisstrafe verboten. Berlin, den 13. Februar. Bekanntmachung. Königliches Gouvernement und Polizei-Präsidium hiesiger Residenz, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 39,15. Februar 1832, [S. 1].

Richten wir unsern Blick auf unser Vaterland, das wohlverwaltete Preußen, so finden wir, daß es in dieser bewegten Zeit überall von den besagten Uebeln frei geblieben ist. Wir sehen aller Orten einen ruhigen, ungestörten Gang des Handels-Verkehrs und der Gewerbe. Nirgends im Lande den Eintritt bedeutender Störungen, keinen Stillstand von Fabrikanstalten, die außerordenliche Unterstützungen nöthig machen und dieserhalb die Hilfe der Regierung in Anspruch nehmen. Ueberhaupt zeichnet sich unser Fabrikstand durch Solidität aus, und man hört selten nur von Bankerotten in denselben. Der Einfluß der politischen Ereignisse ist natürlicherweise bei uns ebenfalls bemerklich, aber nicht in dem Maaße, daß das Vertrauen in den Geschäften gänzlich untergraben und der öffentliche Credit völlig vernichtet worden wäre. Wenn auch der Absatz der preußischen Fabrikate und Manufakte, unter den obwaltenden Umständen, nothwendig erschwert und vermindert werden mußte, so erhielt er sich doch immer in einem solchen Grade, daß die Beschäftigung in den vorhandenen An-

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stalten fortgesetzt werden konnte, und wenn hier und da Einschränkungen eintreten mußten, so gingen sie nicht so weit, daß sie durch eine Menge brodloser Arbeiter bemerklich wurden. Theilweise waren die ausgebrochenen Unruhen und Aufstände selbst den ungestören preußischen Fabriken vortheilbringend. [Anonym. ] Ueber die Lage der Gewerbe im Preußischen Staat in der gegenwärtigen bewegten Zeit, in: Zeitblatt für Gewerbetreibende und Freunde der Gewerbe [Berlin], Nr. 1, 16. Februar 1832, S. lOf.

Nachdem die auf Allerhöchsten Befehl ausgearbeitete neue Instruction über das beim Ausbruche der Cholera in allen Provinzen des Staats künftighin zu beobachtende Verfahren die Allerhöchste Bestätigung erhalten hat, haben Se. Majestät der König die Auflösung der wegen der Maßregeln zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten Immediat-Kommission Allergnädigst zu befehlen geruht, was hierdurch mit dem Bemerken zur allgemeinen Kenntniß gebracht wird, daß von heute ab die bisherigen Geschäfte der Immediat-Kommission an die betreffenden Königl. Ministerien übergehen. Bekanntmachung. Der Chef der wegen der Maßregeln zur Abwehrung der Cholera niedergesetzten Immediat-Commission. v. Thile, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 48, 17. Februar 1832, S. 193.

Die Erwartungen, mit welchen wir dem Erfolge der in diesen Blättern unterm 12. Dez. v. J. bekannt gemachten Anzeige würdiger Frauen entgegen gesehen, - sind übertroffen worden! Der Verein verdankt mittelbar der gemeinsamen Thätigkeit jener Wohlthäterinnen, welche sich demselben angeschlossen haben, unmittelbar aber jenem Wohlthätigkeitssinne, der vorleuchtend von den Allerhöchsten Personen herab durch alle Stände sich bewährt hat, eine Einnahme von 175 Rtl. Gld. u. 987 Rtl. - Sgr. - Pf.C. welche in den Tagen vom 15. bis 20. Dez. v. J. zum größten Theil als Erlös der Produkte weiblichen Kunstfleißes sich ergeben hat. Außerdem sind seit unserer Bekanntmachung vom 13. November 1831 bis heute eingegangen: 315 Rtl. Gld. u. 1147 Rtl. - 6 Sgr. - 6 Pf.C.: Summa: 490 Rtl. Gld. u. 2134 Rtl. - 6 Sgr. - 6 Pf.C. Nach unserer Anzeige vom 13. Nov. v. J. hatten wir eine Einnahme von: 321 Rtl. Gld. u. 2753 Rtl. 23 Sgr. - Pf.C, so daß mit Hinzurechnung vorstehende 490 Rtl. Gld. u. 2134 Rtl. 6 Sgr. - 6 Pf.C., die Gesamtsumme bis heute 811 Rtl. Gld. u. 4887 Rtl. - 29 Sgr. - 6 Pf.C. beträgt. [...] Schwer ist die Aufgabe, für Wohlthaten, wie die bezeichneten, würdig in Worten zu danken. Die sorgsamste Verwendung der empfangenen Gaben wird unseren Dank bestätigen. Wir erfüllen zugleich noch eine Pflicht, indem wir von der rastlosen Thätigkeit öffentlich zeugen, mit welcher Herr Maisan, Schutz- und Armen-Vorsteher, durch seine Ermittlungen über die Hülfsbedürftigkeit der sich meldenden Individuen, dem Vereine höchst nützlich gewesen ist, wie nicht minder von der Bereitwilligkeit des Herrn Hofrathes Bergemann, so wie der Herren Schüttler und Humblot, mit welcher diese in gleicher Beziehung dem Vereine entgegengekommen sind. Die Mittel des Vereins haben denselben in den Stand gesetzt, bis jetzt 203 Kinder in seine Obsorge zu nehmen. Die zweckmäßige Verwendung der verabreichten Unterstützungen, Erziehungs- und Verpflegungsgelder ist durch die fortwährende

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Aufsicht, welche die zum Verein gehörigen Frauen und einige Mitglieder desselben übernommen haben, gesichert. Oeffentliche Danksagung und Anzeige. Der Verein zur Unterstützung und Erziehung der in der Folge der Cholera verwaisten Kinder, v. Auerswald, Blesson, Bode, Friebe, Keibel, Klein, Knoblauch, Dr. Kluge, Kunowsky, Marchand, Joseph Mendelssohn, Odebrecht, Paalzow, Roß, Rust, Schulze, Dr. Wagner, in: Allgemeine Preußische Staats-Zeitung [Berlin], Nr. 48, 17. Februar 1832, S. 196. Nach der Bestimmung des Königlichen Consistoriums vom lOten d. M. soll am nächsten Sonntag, den 19ten d. M., das Allerhöchst angeordnete kirchliche Dankfest, für die glückliche Befreiung unserer Stadt von der Cholera, in allen hiesigen evangelischen Kirchen gefeiert werden. Indem wir diese Bestimmung hierdurch zur allgemeinen Kenntniß bringen, bemerken wir zugleich, daß die betreffenden Kirchenvorstände von uns veranlaßt worden sind, in allen Kirchen unseres Patronats Veranstaltungen zu treffen, um in der Nähe des Altars so viel Plätze, als der Raum es nur irgend gestattet, für die in ihren Parochien fungirenden Herren Stadt-Verordneten, Bezirks-Vorsteher, Servis-Verordneten, so wie für die Herren Vorsteher der Schutz- und Armen-Commissionen, bereit zu halten, und laden wir daher die betreffenden Personen ein, dieser gottesdienstlichen Feier beizuwohnen. Berlin, den 16ten Februar 1832. Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königlichen Residenzen. Bekanntmachung. Ober-Bürgermeister, Bürgermeister und Rath hiesiger Königlichen Residenzen. Berlin, den löten Februar 1832, in: Der Berlinische Zuschauer, Nr. 9, 3. März 1832, S. 65. Denkmünze zur bleibenden Erinnerung für Zeitgenossen, und kommenden Geschlechtern zum steten Andenken, an die Heimsuchung der Stadt Berlin mit der Asiatischen Cholera, deren Ertrag die hiesige Medaillen-Münze des Hr. G. Loos, nach Abzug der Kosten, größtentheils zum Besten des Fonds für die, durch die Maaßregeln gegen die Seuche, der Stadt entstandenen Kosten, bestimmt hat. Es gibt kaum etwas Natürlicheres als den Wunsch: das, was uns so recht herzlich erfreute oder so ernstlich besorgt machte, daß es uns zur wichtigen Begebenheit wurde, unsern Kindern und Nachkommen durch ein bleibendes Denkmal im Gedächtniß zu erhalten. Daher auch die Reihe von Denkmünzen, welche, auf glücklich überstandene Gefahren, als schwere Belagerungen, Feuersbrünste, Ueberschwemmungen, Pestplagen u.a.m., ja selbst drohende Kometen, die betroffenen Städte nur höchst selten zu schlagen lassen, verabsäumten. Gewiß wird ebenso auch jetzt, nach überstandener Cholera-Plage, ein Jeder gern seinen Kindern ein solches Erinnerungszeichen an die überstandene Sorge, wohl gar Noth, hinterlaßen wollen [...]· Auf der ersten Seite der Denkmünze ist der Beschluß Gottes in der Gestalt des Engels der Vernichtung vorgestellt. Er hat sich, von Osten her, der erschreckt niedersinkenden Stadt genahet, welche, persönlich vorgestellt, den Entsetzlichen mit der Hand abzuwehren strebt, der schon das verderbende Flammenschwerdt in seiner rechten Hand aufgehoben hat und in der linken die Schaale der Trübsal, wenn auch noch zurück, doch schon bereit hält. Die

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persönlich vorgestellte Stadt ist an der Mauerkrone und dem Mauerschilde neben sich zu erkennen. Als Umschrift lieset man die Worte des Apostel Petrus 1. Brief Kap. 5. V. 6. „Demüthiget Euch nun unter die gewaltige Hand Gottes " im Abschnitt ist aber der Tag der begonnenen Plage mit den Worten angegeben: Berlin von der Asiat. Cholera erreicht den 31. Aug. 31. Die andere Seite zeigt, als Gegenbild, die erlösete Stadt, ebenfalls personifizirt und an den nemlichen Emblemen wie auf der Hauptseite kenntlich. Sie ist knieend dargestellt und die Hände dankend zum Himmel emporgehoben, an welchem sich der Friedensbogen, dieses ewige Zeichen der wiederkehrenden göttlichen Huld, wölbet. Die Worte aus Psalm 130 V. 7: Bei dem Herrn ist Gnade und viel Erlösung geben hier die Umschrift, im Abschnitt aber lieset man: Von der Plage erlöset d. 30. Jan. 32. aus: G[ottfried Bernhard] Loos an Friedrich Wilhelm Leopold v. Bärensprung, [Entwurf für eine Cholera-Gedenkmünze]. Berlin, 18. Februar 1832, in: Landesarchiv Berlin. Generalbüro des Magistrats. A Rep. 001-02, Nr. 249.

Das Gebet. Wir geben dies einhundert und zwanzig Jahr alte Lied als Beitrag zu dem Berliner CholeraDankfeste. Der Verfasser ist M. Gottfried Gottschling, welcher im Jahre 1712 als Senior und Deutscher Pastor in Medczibor lebte, einem an der Polnischen Grenze liegenden Schlesischen Städtchen, im Fürstenthum Oels. Ich will beten, Gott wird hören, Denn er hat es zugesagt. Mich soll Zweifel nicht bethören, Und ich werde nicht verzagt, Wenn er nicht zu hören scheint; Denn ich weiß wohl, wie's gemeint: Es soll die Geduld sich mehren. Ich will beten, Gott wird hören. Ich will beten, Gott wird geben, Denn von ihm kommt alles her. Aus der Fülle kann man heben, Als aus einem reichen Meer, Was für Leib und Seel' ist Noth. Droben lebt der reiche Gott, Der hat Segen, Brot und Leben. Ich will beten, Gott wird geben.

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Ich will beten, Gott wird schonen, Wann mich mein Gewissen quält, Und der Sünden Millionen Mir aus seinem Schuldbuch zählt: Gott, der keinem Sünder flucht, Wenn er herzlich Gnade sucht, Wird mir nach Verdienst nicht lohnen. Ich will beten, Gott wird schonen. Ich will beten, Gott wird stärken, Wann der Glaube wanken will. Werd' ich Unglückswetter merken, Ist Gebet mein Saitenspiel. Beten und des Glaubens Kraft Ist der Christen Ritterschaft. Hab' ich Gott bei meinen Werken, Will ich beten: Gott wird stärken. Ich will beten, Gott wird heilen; Wann der Leib die Schmerzen spürt, Will ich zu dem Helfer eilen, Der mit einem Wort curirt. Wenn Hiskias fleht und schreit, Wird des Lebens Kraft erneut. Sollte sich's auch was verweilen: Ich will beten, Gott wird heilen. Ich will beten, Gott wird retten. Ich will, neigt mein Lebenslicht, In des Vaters Schoß mich betten Mit Gebet und Zuversicht. Wer im Sterben beten kann, Ist gewiß recht wohl daran, Und zerreißt des Todes Ketten. Ich will beten, Gott wird retten! Das Gebet, in: Der Berlinische Zuschauer, Nr. 7, 18. Februar 1832, [S. 49].

Ausklang und Versöhnung

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Gebet für den König 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Solo. Gott! König der Könige! O, segne den König! Beschirme Deinen frommen Diener, Unsern Vater, den König, Friedrich Wilhelm! Hilf Deinem gesalbten, Mit der Hilfe Deiner Rechten!

9. Chor. 10. Gott, höre unser Flehen, 11. Für das Heil unsers Königs, 12. Der unsers Landes Ruhm ist! 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Solo. Die Tage des Königs vermehre, Laß viel sein seiner Jahre Zahl! Er sehe nur das Heil seines Hauses. Das Heil seines Volkes immerdar. Es wachse fort und fort sein Ruhm, Seiner herrlichen Regierung Glanz. Ewig stehe fest sein Thron!

9. Chor. 10. Der Thron unsers Königs 11. Ist fest begründet durch seine Frömmigkeit, 12. Durch die Liebe seines Volkes. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Solo. Denn er regiert nach Gerechtigkeit, Richtet sein Volk mit Gradheit, Nur ein Scepter der Huld, Ist das Scepter seiner Herrschaft. Ein treuer Vater ist er uns, Fürst der Gnade wird er genannt.

9. Chor. 10. Wir erheben unsere Hände, 11. Zu Gott unsere Herzen, 12. Für unsern König! aus: Baruch Auerbach, Psalmen zum Dankfeste für die Befreiung Berlins von der Cholera, gefeiert in der Jüdischen Gemeindeschule von den Zöglingen derselben, Berlin, den 18ten Februar 1832, S. 8 f f .

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In der Königl. Preuß. Residenz Berlin predigen am Sonntage Septuagesimae, den 19ten Februar 1832, als am Dankfeste der Befreiung dieser Stadt von der Cholera, in sämmtlichen Kirchen der Deutschen Gemeinen: Kirchen. ParochialSt. Nicolai-

Vormittag. -

Hr. Hülfs-Pred. Beneke. Hr. Archidiakonus Pischon. Hr. Probst Dr. Roß, Schlußwort und Segen. (Festmusik) Graue Kloster- Hr. Pred. Schirmer aus Prenzlow, 11 U. St. MarienHr. Prediger Berduschek. Heil. Geist - Hr. Pred. Berduschek um 12 Uhr. Garnison- Hr. Garn.-Pred. Ziehe. Gr. Friedr. Waisenhaus Hr. Pred. Rötscher. Instrumental-Musik. St. GeorgenHr. Pred. Rolle. Musik. Hr. Pred. Couard Donnerstag 9 Uhr nach der Predigt Abendmahl. SophienHr. Superintend. Schultz. Dom Hr. Sup. Pelkmann 7 U. Hr. Bischof Dr. Neander 9 U. Hr. Hof-Pred. Theremin 11 Uhr. Hr. Pred. Helm Montag 9 Uhr Hr. Pred. Lisco. St. GertraudtLuisen-

-

Hofgerichts- - Dorotheen-Stadt Jerusalems-

-

-

NeueDreifaltigkeits-

-

Böhmische

-

-

Hr. Div.-Pred. Bollert. Hr. Prediger Schweder.

Hr. Pred. Stahn.

Hr. Cand. Otte Hr. Pred Couard.

Hr. Pred. Ideler.

Hr. Pred. Helm u. 2 Uhr. Hr. Pred. Lisco. Hr. Pred. Lisco Mittwoch um 4 Uhr.

-

Friedr.-Werder

Nachmittag.

Hr. Pred. Hetzel. Musik Hr. Pred. Bachmann. Musik. Hr. Pred. Hetzel Freitag 9 Uhr, Predigt und Communion. Hr. Pred. Vater fr. 7 1/2 U. Vorbereit, u. Com. Hr. Superint. Küster. Hr. Pred. Vater. Hr. Consist.-Rath Cosmar 11 Uhr. Hr. Pred. Brunnemann fr. 7 1/2 U. Vorbereit, u. Com. Hr. Pred. Pauli. Hr. Pred. Brunnemann. Hr. Cand. Peterssohn fr. 7 Uhr Sonnabend 2 Uhr Vorbereitung. Hr. Pred. Deibel. Nach d.Pred.Abendm. Hr. Pred. Bräunig. Hr. Consist.-Rath Marot. Hr. Cand. Oberheim. Hr. Dr. u. Prof. Schleiermacher 7 U. Hr. D. u. Prof. Marheineke 9 U. Hr. Pred. Kober. Hr. Pred. Goßner. Hr. Pred. Goßner 4 Uhr. Hr. Pred. Goßner Montag um 4 U.

Hr. Pred. Typke. Charite- Hr. Pred. Gossauer Hr. Pred. Typke. Invaliden-Haus- Nota. Diese Nachricht ist alle Sonnabende bei den Küstern jeder Kirche zu bekommen. in: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. Fischbacher Archiv. Nachlässe Prinz Wilhelm von Preußen und Prinzessin Marianne geb. von Hessen-Homburg, Abt. D 22, Nr. 34/16.

Ausklang und Versöhnung

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Text. Hebr. XII., 11 und 12. Alle Züchtigung, wenn sie da ist dünkt sie uns nicht Freude sondern Traurigkeit zu sein: aber darnach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen die dadurch geübt sind. Darum richtet wieder auf die lässigen Hände und die müden Kniee. M. a. Fr. Die Schrekkensgestalt der verheerenden Krankheit, welche so lange in dieser Stadt umhergetobt, hat uns nun verlassen, und wir sehen ihr nach, nicht mit einer vollen Zuversicht als ob sie nicht wiederkehren könnte, denn es wäre nicht das erste Beispiel daß sie an einem so eng mit Menschen angefüllten Ort zum zweiten Mal erschiene, um ihre Verheerungen zu wiederholen; aber wohl mit Recht benu[t]zen wir die wahrscheinliche Ruhe, welche uns durch die gütige Fügung Gottes geworden ist, um ihm unsern Dank darzubringen - dafür daß die Züchtigung vorübergegangen ist? Aber nein! das würde die Worte des heiligen Schriftstellers, die wir eben vernommen haben, nicht erschöpfen. Wenn auch diese Krankheit eine solche Züchtigung gewesen ist, aus der eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit hervorgeht, sofern wir uns nur haben zur Uebung gereichen lassen; so gebührt uns ja wo[h]l nicht nur dafür zu danken, daß sie vorübergegangen, sondern auch dafür daß sie da gewesen ist. So redet der Verfasser auch vorher von den göttlichen Züchtigungen, indem er sagt wenn wir ganz ohne dieselben blieben, da doch alle Kinder Gottes derselben theilhaftig geworden wären, so dürften wir uns selbst nicht für Söhne achten, sondern für unächte. Darum gebührt uns wo[h]l bei einer Gelegenheit wie diese[r], die göttlichen Fügungen, auf die es hie[r]bei ankommt, in ihrem ganzen Zusammenhang zu betrachten. [...] Was nun das erste betrifft, m. a. Z., wenn der Verfasserer unseres Briefes sagt, die Züchtigung, wenn sie da ist, dünke sie uns nicht Freude zu sein, sondern Traurigkeit, hernach aber bringe sie hervor eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit: so laßt uns doch zuerst einen Augenblikk dabei verweilen, wie natürlich auch er es findet und es keineswegs verwirft, daß die Züchtigung uns dünkt Traurigkeit zu sein. Wenn bisweilen starke Geister die Forderung aufstellen, der Mensch solle unerschütterlich sein, auch das schwerste solle ihn nicht beugen, auch das herbste und bitterste solle keine Spur in seinen Gesichtszügen zurükklassen: die Schrift verlangt das nicht von uns! Unterbricht irgend ein schweres ungewohntes Uebel den ruhigen Lauf des menschlichen Lebens; machen wir unerwartete, verlustreiche Erfahrungen davon, wie ohnmächtig alle Kunst und Wissenschaft sich noch immer zeigt gegenüber den unerforschten Kräften der Natur; will es uns gemahnen, als ob der edlen Herrschaft über die Erde, zu der uns Gott berufen hat, gleichsam alle Sehnen durchgeschnitten wären, und als werde sich der Geist von einer großen Niederlage die er im Kampf mit der Natur erlitten hat nur langsam erholen können: die Schrift begehrt nicht, daß uns das solle Freude dünken; sondern, wie das in der menschlichen Natur liegt, es darf uns Traurigkeit sein. Nur dürfen wir die Worte unseres Textes auch nicht so beschränkt verstehen, als ob die friedsame Frucht der Gerechtigkeit nicht eher zum Vorschein kommen könne, bis die Traurigkeit ganz vorüber sei. Das könnte nur gelten von schnell vorübergehenden Leiden, wie sie freilich oft den Einzelnen treffen, nicht von solchen die längere Zeit hindurch, sei es auch von einem zum andern wandernd auf derselben Gesellschaft von Menschen lasten, und die Traurigkeit sich also täglich erneuert. So ist es uns ergangen in diesen Monaten! Wenn wir den in öffentlichen Blättern die tägliche Zahl der Erkrankten, der Gestorbenen lasen, und von ganz geringem anfangend nur sehr allmählig sich mehrend die Liste der Genesenen, das große Mißverhältniß erregte uns Traurigkeit: hatte uns schon ein

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Schimmer von Hof[f]nung gedämmert, die Gewalt der Krankheit werde sich brechen, und sie griff dann aufs neue mit verstärkter Wuth um sich, das beugte uns in tiefer Traurigkeit: aber die friedsame Frucht der Gerechtigkeit keimte schon zwischen dieser wechselnden Traurigkeit auf und nährte sich an ihr. [...] Das, m. a. Z., ist ja die segensreiche Erfahrung, die wir schon gemacht haben in der je[t]zt vorübergegangenen Zeit, als jene herbe Züchtigung wahrlich schwer und drückend genug auf uns lag. Ja, was ich eben ausgesprochen, das war die Ansicht und Gemüthsstimmung, welche im ganzen angesehn überall herrschte! und wie haben wir uns gefreut, diesen Samen der Gerechtigkeit überall nicht nur keimen zu sehen, sondern so gedeihen, daß wir bis auf wenige leicht zu vergessende Augenblikke einer vorübergehenden Aufwallung, welche sich vielleicht hie und da zeigte, überall in unserm Lande bewahrt geblieben sind vor allerlei Frevelthaten, wie sie häufig genug aus großen allgemeinen Leiden hervorzugehen pflegen. Und das sind gewiß Viele zu ihrem Segen inne geworden, es sei nur der, wenngleich im gewöhnlichen Leben sich oft verbergende, überhaupt nicht überall äußerlich hervortretende aber doch durch Gottes Gnade unserm Volk tief eingeprägte, und in dessen Sinn und Geist wohl unterhaltene und gepflegte Sinn der Frömmigkeit und der Ergebung in den göttlichen Willen, der uns in dieser schweren sorgenvollen Zeit von allem frei gehalten hat, was uns hindern würde, izt im reinen Gefühl der Dankbarkeit auf die Züchtigung zurükkzusehen, die Gott von uns genommen hat. Ach! wenn sich zu allem Elend, das wir gesehen und mitgetragen haben, auch das Verbrechen gesellt hätte! wenn Ungehorsam gegen die Gese[t]ze, sei es nun gegen die welche immer unser Leben beherrschen, oder gegen die Anordnungen, die in dieser schweren Zeit für nöthig erachtet wurden, um die verderbliche Verbreitung der Krankheit zu beschränken, wenn dieser Ungehorsam in gewaltthätige Handlungen ausgebrochen wäre, so daß innerer Friede und Sicherheit wäre gestört worden: wie gewaltig würde der Vorwurf, der auf unserm gemeinen Wesen dann lastete, uns niederdrükken, daß wir nicht vermöchten Gebet und Flehen wohlgefällig vor Gott zu bringen! und wie wenig würden wir mithin auch im Stande sein, die lassen Hände und die müden Knie wieder aufzurichten! Also wohl und, und laßt uns Gott dafür besonders danken, daß mitten unter der Trauer und den Leiden dieser schweren Zeit die friedsame Frucht der Gerechtigkeit unter uns gewachsen ist, daß der Sinn für christliche Milde und Wohlthätigkeit sich so regsam bewiesen hat, daß selbst die, welche bei unserm verwikkelten gesellschaftlichen Zustande am meisten zu kurz kommen, doch mit Freude und Dank eingestehen mußten, ihre Mitbürger seien nicht unwürdige Verwalter der zeitlichen Güter, und seien ihnen getreu zu Hülfe gekommen in der Zeit der Noth. So hat sich denn auch durch diese Prüfung jedes schöne Band der Eintracht und des Vertrauens fester geknüpft. Laßt uns nur nicht von irgend etwas, was der Augenblikk bringt, zu stark bewegt, der Züchtigung die Gott über uns gebracht hat und uns wieder abgenommen hat, leichtsinnig vergessen: so dürfen wir hoffen, daß der Baum der Gerechtigkeit von einer Zeit zur andern noch reichere und schönere Früchte tragen wird, daß wir uns immer reichlicher schmükken werden mit allen bürgerlichen und christlichen Tugenden, und daß wir uns durch Gesetzlichkeit und Gemeingeist, durch Rechtschaffenheit und reines Wohlwollen würdig zeigen werden der göttlichen Züchtigung. Denn der Vater züchtigt die er lieb hat, und will sie durch seine Züchtigung üben in der Gottseligkeit. [... ]

Ausklang und Versöhnung

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Und daraus wird dann auch denen - damit auch diese schmerzliche Seite nicht unberührt bleibe in unserer festlichen Betrachtung - deren Angehörige als Opfer dieser verheerenden Krankheit gefallen sind, ein besonderer Trost erblühen. Sterben doch die Menschenkinder immer und werden aus der Mitte der ihrigen herausgerissen! ja das gewöhnliche Maaß des Todes wird, schon wenn wir auf einen Umfang wie der unseres Landes ist sehen, durch diese Seuche nur um ein geringes erhöht worden sein. Sterben sie doch immer aus allen Lebensaltern bald schnell bald langsam, nach mehr oder weniger Leiden; und das eine oder andere macht, wenn die ersten Bilder etwas verbleicht sind, für die Zurükkbleibenden in Bezug auf das wesentliche ihres Verlustes nur einen geringen Unterschied. Laßt uns also diesen als minder bedeutend bei Seite stellen, und dafür einen andern ans Licht ziehen. Jeder Todesfall soll auf einen Theil unserer Gemeinen wenigstens immer auch einen lehrreichen und erhebenden Eindrukk machen, und uns von der äußeren Erscheinung auf das innere Geheimniß und die tiefere Bedeutung des Lebens zurükkführen; und dies ist gleichsam der le[t]zte Dienst, den jeder der Gemeinschaft leistet, in der er selbst des göttlichen Wortes theilhaftig geworden ist. Aber das einzelne Sterben der Menschen auf die gewöhnliche Weise bringt diese wohlthätige Wirkung in einem weit geringeren Grade hervor, und verbreitet sie immer nur in einem weit geringeren Kreise, der größtentheils schon seit längerer oder kürzerer Zeit vorbereitet den Eindrukk nur allmählig in sich aufnimmt. Und wenn nun Angehörige und Freunde die entseelte Hülle eines geliebten Todten zur Ruhe begleiten: kommen sie wo[h]l leicht dazu, im Gefühl ihres Verlustes sich über das einzelne zu erheben? denkt man wo[h]l leicht daran, wieviel solche Trauerzüge täglich unsere Stadt durchwandeln? denkt man dabei an die im großen betrachtet so feste und geregelte Ordnung des Abgelöstwerdens aus dem Leben wie des Eintritts in dasselbe? Aber diese große Ernte des Todes, wie allgemein hat sie das Bewußtsein von der Unsicherheit dieser irdischen Wanderschaft gewekkt und erhöht! wie hat sie durch die ungewohnte Gestalt der Krankheit, die schon immer selbst als ein Tod erschien, durch die unbegreifliche Schnelligkeit, mit der das Leben sich löste, Allen das geheimnisvolle dieses Ueberganges nahe gerükkt! wie dringend Allen ans Herz gelegt, daß wir anders nicht würdig und heiter in dieser Nähe des Todes wandeln können, als wenn das Gemüth zu jeder Zeit in wohlgefälliger Ordnung gehalten und der Friede Gottes ungestört bewahrt wird, so daß wir uns der Bereitschaft bewußt sind, zu jeder Zeit und wie es der Herr befohlen haben mag, in Frieden dahin zu fahren als seine Diener. Und so haben die Opfer dieser Krankheit, auch die welche fern von den Ihrigen der öffentlichen Pflege anvertraut den le[t]zten Athem ausgehaucht haben und auch abgesondert von ihren Vorangegangenen nur unter denen, die dasselbe Loos getheilt, ruhen, diesen le[t]zten und wichtigen Dienst auf eine ausgezeichnete Weise geleistet. aus: Dr. Fr[iedrich] Schleiermacher, Predigt am Sonntage Septuagesimae [19. FebruarJ 1832 als am Dankfest der Befreiung von der Cholera in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen, Berlin 1833, S. 3f., 6 f , 13ff., 20ff.

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6. Nachklänge Im Jahre 1830. Victoria. Im Jahre 1831. Cholera. Im Jahre 1830. Aufruhr. Im Jahre 1831. Brechruhr. Im Jahre 1830. Egalite et liberte. Im Jahre 1831. Fliederthee und Camillenthee. Parallele zwischen 1830 und 1831, in: Berliner Don Quixote. Sonntagsblatt ßr Männer, Frauen, Kinder, Greise, Jünglinge, Mütter, Väter, Söhne und Töchter [herausgegeben von Adolph Glassbrenner], Nr. 9, 26. Februar 1832, S. 70. Nach so schmerzlichen Opfern, welche die früheren Jahre uns abforderten, können wir heute unseren Bericht wenigstens mit der beruhigenden Kunde beginnen, daß im vorigen Jahre keiner aus dem Lehrerverein durch den Tod abgerufen ist, und daß nur zwei Lehrer der Anstalt durch Kränklichkeit zu wochenlangen Unterbrechungen ihrer Lehrstunden genöthigt waren. Selbst die bedrohlichen Monate der Seuche, welche unsere Stadt heimsuchte, sind an uns gnädig vorübergegangen; wir blieben furchtlos in dem gewohnten Geleise unserer Thätigkeit, indem wir unseren Schülern dasselbe ruhige Antlitz zeigten, so gelang es uns auch, diejenigen, welche nicht die Besorgniß der Älteren aus unserer Anstalt abgerufen hatte, in der gewohnten Ordnung und Thätigkeit erhalten [...]. Auch unsere Schüler, bis auf einen, welcher für Alle als Opfer gefallen ist, sind von den Anfällen der Cholera verschont geblieben, wiewohl diese in den Häusern, ja in den Familien Einiger gewürgt hatte. Jener Eine war Albert Rudolf Ernst Seile, 13 Jahr alt, seit einem halben Jahr in Quinta, Sohn eines hiesigen Apothekers, ein fleißiger, sittlicher, bescheidener und liebenswürdiger Knabe, welcher nach kurzem Leiden hinweggerafft wurde, ohne indessen seinen Angehörigen (sein jüngerer Bruder besucht noch jetzt die Anstalt) von dem tödtlichen Krankheitsstoffe mitzutheilen. aus: Georg Gustav Samuel Köpke, Zu der öffentlichen Prüfung der Zöglinge des Berlinischen Gymnasiums zum grauen Kloster, welche Sonnabend den 14. April 1832 [...] veranstaltet werden soll, Berlin 1832, S. 38f. Während wir hier in Berlin das Dankfest für Befreiung von der Cholera begangen haben, hat das Ungethüm urplötzlich seine Siebenmeilenstiefel angezogen und seine unsichtbaren Geisterarme bis nach Paris ausgestreckt, und raset und wüthet mit gesteigerter Wuth. Während deutsche Fürsten und Prinzen sich wider die Cholera verpalisirten, besuchte der Kronprinz von Frankreich die Cholerakranken im Hotel de Dieu. Der Erzbischof von Paris hat Kirchengebete wider den asiatischen Unhold angeordnet, und die Pariser - beten und rasen wie Wahnsinnige, welche ihre Ketten zersprengt, durch die Straßen. Drob jubeln gar Viele in Deutschland. Aber sie bedenken nicht, daß die Cholera, die Harpyre unter den Seuchen die Länder säubert von Taugenichtsern, Schlemmern und Trunkenbolden, den dichten Menschenwald lichtet vom hohen Adel bis zum niedern Pöbel, unbarmherzig, aber partheilos. Auch viel Köpfe hat sie gereinigt von schlechten Ansichten und erbärmlichen Ideen -

Nachklänge

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besonders in Deutschland. Nie war der große Aderlaß, der gewaltige Schröpfkopf der deutschen medicinischen Literatur, das Kaleidoskop der heterogensten ärztlichen Gedankenbilder [wichtiger]. Kaum erfreuten wir uns eines einfachen, vielversprechenden Gedankenbildes, so ward das Glas gerüttelt, und eine andere komplicirte Ideenfigur trat vor unsre Augen. aus: [Friedrich Arnold Steinmann], Briefe aus Berlin. Geschrieben im Jahr 1832, Bd. 2, Hanau 1832, S. 8 I f f . Die Seuche überschritt endlich, aller Abwehrungen spottend, die Gränze, und wo sie hinkam, da starben die Kranken in recht unangenehm grossen Massen. Beides konnte wiederum nur dazu dienen, die Achtung vor den Aerzten zu mindern. Zugleich aber veränderte sich die Scene auf eine ganz eigenthümliche, neue Weise. - Der Arzt trat nicht, wie bisher, allein als ein freundlich helfender Rathgeber, sondern wie ein mit der Ausführung beauftragter Polizeibeamter an das Krankenbett, veranlaßte die Gefangennehmung der Kranken uns seiner Umgebungen, vermehrte so die Noth des Uebels durch Hinzufügen unerhörter Unbilden, und - was das Schlimmste war - die Kranken starben sehr häufig und schnell. Niemand wußte, wie stark sich die Seuche ausbreiten werde, alles Vertrauen schwand, die Reichen mieden die Begegnung der Armen, die Arbeiten kamen ins Stocken, die Noth trat zu der Angst und zu dem Zorne; - so war es denn ein starker Beweis für den im Allgemeinen trefflichen bescheidenen Sinn des Preußenvolks, daß nicht mehrere und bedeutendere Aufstände und Beleidigungen der Obrigkeiten und Aerzte erfolgten, als sich wirklich ereignet haben. In Frankreich und England würden sich unter gleichen Umständen die Verhältnisse wohl etwas bedenklicher gestaltet haben. Wer das künstliche Unglück dem natürlichen zugesellt hatte, darüber konnte das Volk nicht lange zweifelhaft seyn: die Aerzte hatten die Pestcontagiosität der Cholera proclamirt, die Aerzte konnten nur die Schutzmaaßregeln angegeben haben; die Aerzte führten sie aus. Längst verschollene, aberwitzige Ideen, die man in Aegypten begraben glauben durfte, vom Vergiften der Kranken, um die Weiterverbreitung der Krankheit zu verhüten, - gleich als ob man nicht auch ohne allen ärztlichen Beistand recht bequem an der Pest und der Cholera sterben könnte - kamen hinzu, und gegen die Aerzte richtete sich also vorzugsweise der Unwille des Volks. So ereigneten sich im In- und Auslande die beklagenwerthen Vorgänge, deren Gleichen uns noch niemals berichtet worden war. Es war noch glücklich, daß das Volk doch zuletzt nur immer von den Aerzten Heil und Rettung erwarten konnte; sonst wäre es diesen auch noch schlechter ergangen. aus: Dr. Albert Sachs, Betrachtungen über die unter dem 31. Januar 1832 erlassene Instruction, durch welche das in Betreff der asiatischen Cholera im Preußischen Staate zu beobachtende Verfahren festgesetzt wird, Berlin [Frühjahr] 1832, S. 19. Einer rühmlichen Erwähnung verdient das Verfahren der jüdischen Gemeinde zu Berlin. In derselben befanden sich 900 arme Individuen, die von öffentlichen Almosen leben. Beim Ausbruch der Cholera in der Residenz wurde eine Commission von mehreren GemeindeMitgliedern errichtet, welche beauftragt war, zur Abwehrung der Cholera unter den jüdischen Armen, die nöthigen Maassregeln zu ergreifen. Zu diesem Ende wurden milde Beiträge von dem wohlhabenden Theil der Gemeinde eingesammelt, die dem beabsichtigten Zwecke völlig genügten. Die Mitglieder der vorer-

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wähnten Commission hatten es übernommen, den Zustand der Armen, also ihr Wohnungslocal, ihren Bedarf an Kleidungsstücken, Brennmaterialien und Nahrungsmitteln genau zu untersuchen, um die Unterstützung danach abmessen zu können. Nach dieser geschehenen Ausmittelung wurde folgende Einrichtung getroffen: 1) Alle Armen, die ein ungesundes Local bewohnten, wurden andere Wohnungen eingeräumt. 2) Wurden ihnen die erforderlichen warmen Kleidungsstücke nach einem von der Commission angefertigten Verzeichniss vollständig übergeben. 3) Wurde ein besonderes Local dazu bestimmt, aus dem die Armen, mittelst einer von der Commission erhaltenen Karte, ihre Beköstigung täglich in Empfang nahmen, und zwar in folgender Art: Anständige Arme erhielten die ihnen bestimmten Lebensmittel in natura, um solche in ihren Wohnungen zubereiten zu können. Die minder anständigen holten sich die bereits sehr nahrhaft zubereiteten Speisen aus dem gedachten Locale, nach ihren Wohnungen ab, und die gemeinen Armen wurden im Speiseiocale selbst beköstiget. Sämmtliche Arme erhielten täglich Fleisch und Fleischbrühe zu ihrer Beköstigung. Diese einfache und zweckmässige Anordnung hatte den günstigen Erfolg, daß von den 900 Armen-Individuen nicht Einer an der Cholera erkrankte. aus: C. v. Rau, Geschichte der Verbreitung der Cholera und ihrer Verheerungen in Asien, Afrika und Europa vom Jahre 1817 bis zum Ende des Jahres 1831. Mit einer Karte, Berlin [Frühjahr] 1832, S. 176f. Auch hier hat es sich bestätigt, daß die ärmere Volksklasse von der Krankheit am meisten heimgesucht wird und daß es durch zweckmäßige Einrichtung der Lebensweise und deren strenge Aufsicht gelingen kann, ganze Einwohnerclassen vor der Cholera zu schützen. Außer den vielen hier dadurch gesund gebliebenen stark bevölkerten Anstalten führe ich das Militär und die Judenschaft an. Die Vorschriften für das erstere sind zu bekannt, als daß ich ihrer erwähne. Die wenigen darunter Erkrankten haben ihre Krankheit größtentheils selbst verschuldet, dahingegen ganze Bataillone, Regimenter, z.B. das königl. Garde-Regiment Kaiser Franz, welches in drei Kasernen vertheilt war, gänzlich freigeblieben sind. So haben die Vorsteher der Judenschaft in Berlin durch Unterstützung, Ermahnung und Leitung ihrer Glaubensgenossen es dahin gebracht, daß nur ein Erkrankungsfall unter ihnen vorgekommen ist; wo die Juden zusammengedrängt wohnten, wurden sie in geräumige luftige Wohnungen versetzt, mit Geld, Kleidungsstücken, Brennmaterial unterstützt u.s.w. Es ist nicht zu verkennen, daß überhaupt die Wohlthätigkeit in Berlin zur Minderung der Seuche sehr viel beigetragen, so wie auch, daß vorsichtiges Benehmen und bessere Ernährung die Wohlhabenden vor dem Erkranken auf eine auffallende Weise geschützt hat. aus: Dr. P. DeGreck, Ueber die asiatische Cholera in Berlin. Reisebericht an die Hochlöbliche Regierung zu Köln, als Resultat seiner Beobachtungen, Köln [Sommer] 1832, S. 39.

Hat der Tod einmal seine Verheerungen begonnen, so sieht sich der Arzt in seinem Wirkungskreise mehr und mehr eingeengt. Von allen Seiten nimmt Hülferuf sein Mitgefühl und seine Einsicht in Anspruch, seine Kraft verzehrt sich in allzugroßer Anstrengung, und seine besten Waffen verlieren dadurch ihre Wirkung, daß er sie nicht zur rechten Zeit gegen den

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Feind zu kehren vermag. Nur Einzelne kann seine rettende Hand schirmen, wo ihn nicht selbst die Seuche niederstreckt, oder in langem Siechthum seinen hellen Geist umdüstert, gleichwie allgemeines Mißgeschick auch den Tapfersten mit fortreißt, wenn in stürmischer Entscheidung das trügliche Kriegsglück sich wendet. Nie haben Volkskrankheiten ihre ganze Wuth entfaltet, ohne die Unzulänglichkeit menschlicher Hülfe zu offenbaren. Daher der Tadel, mit dem man die Aerzte und ihre Kunst von jeher mit so großem Unrecht überhäufte. Sie sollen einen losgebrochenen Sturm beschwören, einen reißenden Strom, einen herabstürzenden Felsen aufhalten, und weil ihnen hierzu nur menschliche Kräfte zu Gebote standen, die man noch überdies durch kleinmüthiges Mißtrauen hemmte, so hielt man sich für berechtigt sie der Verachtung zu weihen, ja sie wurden nicht selten gefährlichem Verdachte ausgesetzt, und für den Erfolg ihrer Hülfe verantwortlich gemacht, wie denn in Zeitaltern der Finsterniß Aerzte wohl selbst mit dem Tode bestraft worden sind, weil sie mächtige Kranke von neuen und ihnen unbekannten Seuchen zu retten außer Stande waren. Den Feind also auf offenem Schlachtfelde zu erwarten ist nicht gerathen. Der Führer einer kleinen Schaar kann nicht die Niederlage von einem ganzen Heer abwenden, wenn Tausende in wilder Flucht über einander stürzen. Aber die Angriffsweisen des hinterlistigen Feindes zu erspähen, frühzeitig die angreifbaren Stellen hinter Wall und Graben zu verbergen, das ist die Sache menschlicher Weisheit, und hier ist es, wo die Aerzte - wir können uns dessen mit Freude und Befriedigung rühmen - der Menschheit unendliche Dienste geleistet, wo sie den Völkern und Staaten in stiller Wirksamkeit, ohne Waffengeklirr und Eroberungen, ihre innere Gestaltung gesichert haben. aus: Dr. J[ustus] F[riedrich] C[arl] Hecker, Ueber die Volkskrankheiten. Eine Rede zur Feier des acht und dreissigsten Stiftungstages des Königlichen medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts, am 2ten August 1832, Berlin 1832, S. 9 f f . In den 15 von der Cholera befallenen Regierungsbezirken (mit 45.577 Ortschaften) kam sie überhaupt in 2.103 Ortschaften zum Ausbruch. Diese Ortschaften enthalten 17.851.94 Einwohner, von denen 54.267 erkrankten, 32.840 starben und 21.419 genasen (8 blieben Bestand.) [...] Hieraus geht hervor, daß die heilende Kunst bei der zu Stande gekommenen Krankheit leider nur wenig vermag. Um so mehr müssen wir es uns angelegen sein lassen, dem Uebel vorzubeugen. Daß die zur Erreichung diess Zweckes in Preußen aufgestellten Grundsätze die richtigen waren, hat sich bei erweiterter Kenntniß von der Natur der Krankheit mehr und mehr erwiesen, und die Erfahrung hat den Nutzen der darauf gegründeten Maaßregeln auf das Vollkommenste bestätigt. aus: Dr. [Wilhelm] Wagner, Die Verbreitung der Cholera im Preußischen Staate; ein Beweis ihrer Contagiosität. Nach amtlichen Quellen bearbeitet, in: Cholera-Archiv mit Benutzung amtlicher Quellen [Berlin). Bd. 2. Zweites Heft [Herbst 1832], S. 270f. Die Schriften über die orientalische Cholera sind zu einer solchen Fluth angewachsen, daß man sie nicht mehr übersehen kann. Man kann mit Recht sagen: die Weltseuche hat einen Weltcongreß der Aerzte hervorgebracht, worin ein Jeder sich berufen und berechtigt fühlt, seine Beobachtungen oder seine Meinung auszusprechen, über einen Gegenstand, der so viel Neues, Räthselhaftes und Unbegreifliches mit sich führt.

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Gewiß, wir müssen uns freuen über diese allgemeine Aufregung und Theilnahme der Geister, und gewiß ist es das einzige Mittel, Aufklärung zu erhalten. Aber wer vermag alle diese Schriften, die sich schon auf viele Hunderte belaufen, zu lesen, und, was noch schwieriger ist, wer vermag darin das Wahre, factisch Begründete, von der großen Menge des Erdichteten und Hypothetischen zu sondern? Wer vermag aus den mannichfaltigen, verworrenen, oft sich widersprechenden Chaos der unzähligen Stimmen das Ergebnis der allgemeinen Berathung herauszufinden? - Und so bleibt der große Gegenstand noch immer in Dunkel und Verworrenheit liegen, und die wohl noch nie in dem Grade dagewesene gleichzeitige medicinische Bearbeitung eines medicinischen Gegenstandes von Seiten aller civilisirten Nationen ist noch ohne feste Resultate. Es würde daher ein großes Verdienst um die Wissenschaft, ja das einzige Mittel, aus dem reichen Schatz der nun vorliegenden Erfahrung für den Gegenstand und die Wissenschaft bleibende Früchte zu ziehen und Licht in das Dunkel zu bringen, seyn, wenn jemand die Mühe übernähme, alle Stimmen des großen Congresses zu sammeln, und daraus die Endresultate der Erfahrung, in welchen die meisten übereinstimmig, über die wichtigsten Puncte der Aufgabe zusammenzustellen, - mit einem Worte, eine Generalubersicht des Ergebnisses der gesammelten Erfahrung über die Cholera zu liefern. Schon eine bloß historische Zusammenstellung der Thatsachen würde von großem Werthe sein. Dieses Bedürfnis fühlend, und von dem Wunsche beseelt, durch dessen Befriedigung die Wissenschaft zu fordern, hat sich die medicinische Gesellschaft von Berlin entschlossen, es zum Gegenstand einer Preisaufgabe zu machen, und zwar in folgendem Sinne und folgenden Fragen: 1) Ist die orientalische Cholera eine neue Krankheit? 2) Ist sie von Außen mitgetheilt, oder erzeugt sie sich örtlich von selbst? 3) Im ersten Fall, welches sind die Wege ihrer Mittheilung und Verbreitung? Miasmatische Fortpflanzung? Oder persönliche Ansteckung? Oder Beides zugleich? 4) Welches ist die von den meisten Aerzten am wirksamsten befundene, und durch die geringste Mortalität bewährte, Heilmethode? Die Gesellschaft wünscht, daß einer oder mehrere Gelehrte vereint diese Aufgabe übernehmen, und zwar in der Art, daß sie alle über diese Hauptpuncte in Rußland, Polen, Deutschland, England und Frankreich ergangene[n] Stimmen sammeln, doch nur von solchen Aerzten, die die Krankheit selbst gesehen und beobachtet haben (wodurch ein großer Theil der erschienenen Schriften abgesondert wird), daß sie nicht Meinungen, sondern Erfahrungen aufnehmen, und daß sie über jeden der vier ausgestellten Puncte die darin factisch begründeten Resultate herausziehen, und in dem allerdings vorkommenden Falle der sich widersprechenden Erfahrungssätze die Majorität der Zahl über das Resultat entscheiden muß: als den einzigen Weg, der in Sachen der Erfahrung und Naturforschung anwendbar und entscheidend ist. Wir fühlen ganz die Schwierigkeit der Arbeit, die wir dem Verfasser auflegen, aber wir vertrauen seiner Liebe zur Wissenschaft, um die er sich dadurch ein großes und dauerndes Verdienst erwerben würde, daß sie ihm den Muth und die Ausdauer geben wird. Auch wird kein wissenschaftlicher Auszug der Schriften, sondern nur die Angabe der factischen Resultate verlangt.

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So wenig wir glauben, eine solche Arbeit belohnen zu können, so wird doch ein Preis von 50 Ducaten auf die beste Bearbeitung ausgesetzt. Die Preisschriften werden vor dem Monat April des Jahres 1833, in Teutscher, Französischer oder Lateinischer Sprache, und mit versiegeltem Namen des Verfassers, an die Directoren der Gesellschaft, entweder Staatsrath Hufeland oder Präsident Rust eingesandt. Preisaufgabe der medicinisch-chirurgischen Gesellschaft zu Berlin für das Jahr 1833, in: Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde, Nr. 751 (Nro. 2. des XXXV. Bandes), October 1832, Sp. 31f. * Unter den vielen Satyren auf die Behandlung einer Krankheit, welche wir jetzt - Dank der Erfahrung - mit ruhigerm Blute und wie jede andere Erdenplage betrachten, dürfte diese Posse, die auch ohne ihre Anspielungen immer ein unterhaltender dramatischer Scherz bleibt, nicht ganz hintenan stehen. Sie ist eine Nachbildung der Pariser Farce „le mort sous scelle", welche zugleich einen Beweis geben mag, mit welcher Leichtigkeit die französischen Theater-Dichter auch die ernstesten Stoffe zu behandeln wissen. Mit einigen Veränderungen ließe sich diese Posse leicht auf einer Privat-Bühne darstellen. [...] Doktor. Sie ist glücklich angekommen - die längst erwartete ist endlich da Arthur. Wer? Doktor. Sie kommt direkt von Indien, hat in Rußland zum Frühstück eine halbe Million Menschen verzehrt, darauf in Deutschland schlecht zu Mittag gespeist und gedenkt nun in England ihr Souper einzunehmen. Sie wird sich, so zu sagen, für das schlechte Diner bei uns zu entschädigen suchen. Arthur. Aber sagen Sie mir doch nur erst, von wem Sie reden? Wer ist die, die Heißhungrige? Doktor. Wer anders als die berüchtigte Apoplexia morbus, die moderne Pest, welche wie eine schon vor 200 Jahren gedruckte Prophezeiung verheißen - die Bevölkerung von Europa so zu sagen, ohne alle Verminderungs-Systeme, excerpiren soll. Fanny. Haben wir von dieser Krankheit zu fürchten? Ist sie ansteckend? Doktor. Darüber sind die Gelehrten nicht einig; so eben stecken sie im Parlament die Köpfe zusammen, um sich über die Empfangs-Feierlichkeiten zu berathen. Die medizinische Fakultät hat, nach meiner Ansicht, alle Ursache, die Ankunft der Fremden zu feiern; denn seitdem die todten Menschen in England beinahe besser bezahlt werden, als die lebendigen, wird es mit Sterben nicht mehr so genau genommen. Fanny. Wie äußert sich denn die böse Krankheit? Doktor. Die ganze Krankheit dauert kaum 5 Minuten. Zwei Minuten leidet der Patient an Kopfschmerzen, eine Minute am Schwindel, in der vierten fällt er um, und in der fünften rührt ihn der Schlag. Nach Aussagen berühmter Aerzte, welche, ohne grade dergleichen Kranke behandelt zu haben, viel über die Apoplexia geschrieben, soll sie ansteckend sein; andere, welche die Krankheit eben so wenig kennen, behaupten, sie läge in der Luft. Arthur. Wenn sie wirklich hier ist, so werden unsere geschickten Aerzte das große Räthsel bald lösen. Doktor. Ich erwarte die Giftmischerin, so zu sagen, mit der Gluth eines Bräutigams. Daß sie übrigens ansteckend ist, muß ich beinahe glauben; denn denken sie sich, ein Arzt aus Sunderland schreibt mir, daß ein Jäger daselbst eine Gans geschossen hat, welche wahr-

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scheinlicher Weise aus Deutschland herüber geflogen sei. Des Jägers Hund apportirte diese Gans, die alsbald gebraten und von des Jägers Familie gespeist wird; die Federn jedoch werden zu Schreibfeder benutzt. Was geschieht? Das ungeheuerste Beispiel von Contagion wird offenbar. Der Jäger, welcher die Gans schoß, bleibt gesund, der Hund, welcher sie apportirte, ebenfalls, die Familie, welche sie gebraten verzehrte, nicht minder; der älteste Sohn aber, welcher mit einer Feder der Gans schrieb, bekommt die Masern und - stirbt. Ist das nicht - so zu sagen - unerhört? Die Krankheit ist ansteckend bis ins vierte und fünfte Glied. Arthur (mit Ironie). Wahrlich, ein unzweideutiger Beweis von Ansteckung! [...] aus: Der Künstler nach dem Tode. Posse in einem Aufzuge, in: Berliner Modenspiegel. Eine Zeitschrift für die elegante Welt, Nr. 48, 1. Dezember 1832, S. 377, 379f. So flössen die Tage dahin in friedlicher, bald heiterer, öfter noch wehmüthiger Stille, ohne daß sich der panische Schrecken unser bemächtigen durfte, der durch alle Lande ging. Wir hielten ihn auch von uns fern, als die Cholera uns schon ganz nahe, ja selbst in unsere Mauern eingezogen war. Jene von Osten heranschleichende Seuche mochte wohl mit einem Basilisken zu vergleichen sein, dem die Allermeisten zitternd und daher schon halb verloren in das unheimliche, todbringende Auge schauten; er beängstigte indeß ganz Süddeutschland noch weit mehr als unsere Mark. Züge von Familien verließen ihre Heimath, um im eigentlichen Süden oder in der Schweiz ganz hochgelegene Wohnungen zu suchen, und glaubten sich nur auf diese Weise geborgen. [...] Am 1. September waren wir zu einer Taufe bei Stosch geladen, wo mein Mann bei dem kleinen Hans Gevatter sein sollte. Eben vorher hatte sich die Nachricht von dem Ausbruch der Cholera in unserer Stadt verbreitet; es war ein Todesfall auf einem Schiff unweit der Marschall-Brücke eingetreten. Natürlicherweise fanden wir die Gesellschaft sehr aufgeregt, und die gemeinsame Besorgniß brachte die sich bis dahin beinahe fremd gebliebenen Theilnehmer einander nahe. [...] Theremins Rede war herrlich und die Beziehung auf das über uns schwebende Unglück fast zu ergreifend. Als er in seinem Gebet auch der Gefahr erwähnte, welcher unser Hauswirth als Arzt doppelt ausgesetzt sei, da zerfloß die Arme Frau in Thränen. Doch entging ihr ebenso wenig wie uns der Segen einer großen und über alle Schrecken siegenden Beruhigung, die wir aus Theremins trostreichen Hinweisungen schöpften. Wir bedurften solchen Trostes; denn nur zu bald traf uns eine tief erschütternde Nachricht, die des Heimganges unseres theuren Feldmarschalls Gneisenau. [...] Wir mußten erwarten, daß der Berliner Pöbel sich ebenso wie der aller anderen Städte, welche die Seuche berührte, gegen den Zwang der Gesundheitspolizei auflehnen werde, noch ehe er sich ihm unterwerfen mußte! Wo der gorgonische Name der Cholera genannt worden, überall war Streit, Hader, Unfriede entstanden! Durften wir allein hoffen, verschont zu bleiben? Waren doch auch bei uns Schauer der Furcht vor der Seuche hergegangen, hatten doch auch die Zeitungen und die Provinzialblätter schon ihre Opfer aufgezählt, und hatte ihre düstere Erscheinung nicht für die Meisten von ferne schon ihre schwarzen Schatten in die sonst heitere Gegenwart hineingeworfen? Ganz im Gegensatz zu anderer Gefahr, welche das friedsame Band der Gemeinschaft nur enger um die Bürger eines Ortes schlingt, entzweiten jetzt todesängstliches Bangen und herbe durchgefochtene Meinungsverschiedenheit die Menschen. Die Einen glaubten an Ansteckung, die Anderen verwarfen sie! Erstere

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dankten der Regierung für ihre Maßregeln, Letztere verhöhnten oder tadelten sie doch wenigstens, feindeten sie an, und wie gesagt, von den unteren Klassen war Alles zu fürchten. Und wahrlich, ich mochte ihnen den Unwillen nur halb verargen; denn grauenerregend und höchst lästig und gefährlich waren die von der Behörde getroffenen Anstalten. Die vielen ungesunden Räucherungen, das Absperren jedes infizirten Hauses, welches so weit gehen sollte, daß man Briefe und Rezepte, Arzneien und Lebensmittel mit langen Stangen in die Fenster hineinzureichen hatte, und dergleichen Abgeschmacktheiten mehr. Das Volk murrte, die höheren Stände räsonnierten, und was that die Regierung? Sie schaffte schon in diesen Tagen der allgemeinen Bestürzung alle ihre vorigen Uebertreibungen ab und befriedigte so Stadt und Land. [...] Die Sonntagskirchen besuchten wir nach wie vor, vermieden im Uebrigen alle öffentlichen Orte und gingen Menschenhaufen aus dem Wege; wir machten auch keine Besuche, setzten uns nicht der Abendluft aus und waren mäßig bei Tisch und vorsichtig in der Wahl der Speisen. In dem einen Flügel unseres Hauses standen nicht nur eine kleine Apotheke, Badewannen und Räucherungsmaschinen in Bereitschaft, sondern auch mehrere Zimmer zur Aufnahme von Kranken. Auf dem Flur war eine Anstalt zum Durchräuchern aller Briefe, Zettel, Rechnungen und dergl. im Gange. Wir hatten auch den Rath des Räucherns mit Chlor in den Zimmern befolgen wollen; doch die ersten Versuche bekamen mehreren Mitgliedern des Hauses so übel, daß es unterlassen ward. Das ganze Hauspersonal war mit wollenen Binden und Decken versehen, und so gingen wir getrost der nahen Zukunft entgegen. [...] Wir hatten es uns gewissermaßen zum Gesetz gemacht, das Revier unseres Hauses und Gartens so wenig wie möglich zu verlassen. Dem sehr lebenslustigen Mariechen ward indeß die Beschränkung bald lästig. An diesem Tage namentlich ließ sie mit Bitten nicht ab, bis ich mich mit ihr hinausstahl und unter den Linden auf und ab spazierte. Doch ein Regen überfällt uns, so daß wir den Flur eines Hauses aufsuchen, wo indeß so viele verdächtig aussehende Menschen aus- und eingehen, daß ich es verlasse, um mir ein ruhigeres Obdach aufzusuchen. Solches finde ich auch in dem offenen Thorweg des benachbarten großen Hauses. Kaum stehen wir da, als ein von Kopf bis Fuß in schwarzes Wachstuch gekleideter Mensch wie rasend die Treppe hinunterstürzt, die Hausthür, die wir offen gelassen hatten, zuschlägt und wieder verschwindet. Gleichzeitig mit uns war eine gutgekleidete Dame eingetreten, die mit uns den Regen dort abwartete. Sie trat an die Thür heran, doch diese ist verschlossen. Ο weh! Wir waren in großer Angst, aus der uns jedoch die Unbekannte befreit, indem sie den Mechanismus des Schlosses entdeckt und es öffnet. Auf der Straße sieht Marie mich fragend an, und da ich noch immer nicht gesonnen bin, unser Stillschweigen zu unterbrechen, sagt sie: „Die Cholera war in dem Hause! Der schwarze Mann muß ein Krankenwärter sein." Ich suche sie zu beruhigen und lasse mir von ihr das Versprechen geben, zu Hause nichts von diesem unangenehmen Vorfall zu sagen. Nur unser Portier wird gefragt, wer in Nr. 17 wohnt und ob er wisse, wer dort krank sei. Das sei ja das Haus des sardinischen Gesandten Breme, der um seiner unbegrenzten Furcht vor der Cholera willen sich ganz abgesperrt, seinen Portier vollständig in Wachstuch gehüllt und ihm zur strengsten Pflicht gemacht habe, die Hausthür stets verschlossen zu halten. aus: Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath. Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896, S. 206ff.

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In jener verhängnissvollen Zeit, als die Cholera in ihrem verheerenden Zuge die Grenzen des geliebten Vaterlandes überschritten hatte, und mit allen ihren Schrecknissen sich schnell auch dieser Königsstadt nahete, war man von allen Seiten her bemüht, auf alle mögliche Weise der furchtbaren Krankheit entgegenzuwirken. Auch ich erachtete es als eine heilige Pflicht, in der, meiner Leitung anvertrauten jüdischen Gemeindeschule, die sorgfältigsten Veranstaltungen zu treffen, um das Leben und die Gesundheit der armen Kinder möglichst sicher zu stellen. Zu den von mir in dieser Hinsicht ergriffenen Maassregeln gehörte auch eine besondere religiöse Belehrung der Zöglinge, durch welche ein zuverlässiges Vertrauen auf Gottes Hilfe eingeflösst und jene gefährdende Aengstlichkeit, die Begleiterin der schrecklichen Krankheit, benommen wurde. Um das religiöse Gefühl der Zöglinge zu stärken, sind ihnen die Psalmen 91. 103. 121. übersetzt, erklärt, mit passenden Melodieen versehen und von den Kindern bei ihrem Gottesdienste abgesungen worden. Bei dieser Gelegenheit verfasste ich auch das nachfolgende Gebet für Se. Majestät den König, um Gottes Schutz für das geheiligte Haupt unseres unbegrenzt geliebten Landesvaters, dessen Leben jedem seiner treuen Unterthanen so überaus theuer ist, heranzuflehen. Es war ein erhebender Anblick, so viele unschuldige Kinder für das Leben des Besten der Könige in tiefster Andacht beten zu sehen. Gott hat den geliebten König, wie das ganze Königliche Haus vor jedem Unfall geschützt, und auch über uns hat die Gnade Gottes gewaltet, dass uns kein einziges Kind erkrankte. Als nach dem Verschwinden der Cholera auf allerhöchsten Befehl das Dankfest für die Befreiung Berlins von derselben begangen wurde, begingen auch unsere Zöglinge im Hörsaale der Lehranstalt in Gegenwart ihrer edlen Gönner und Wohlthäter diese Feier, zu welcher ich die Psalmen wie das Gebet, zum Besten der dürftigen Schüler, abdrucken liess. Die Kinder feierten nun öffentlich in frommer Gemeinde, was ihnen während jener verhängnisvollen Zeit Gegenstand der stillen Andacht war. Die Psalmen, vorzüglich aber das Gebet für Se. Majestät den König, fanden eine so freundliche Aufnahme, dass im Verlauf von 8 Tagen die erste Auflage von 500 Exemplaren vergriffen und eine zweite Auflage dringend gefordert wurde; diese erschien in eben so viel Abdrucken, und wurde gleichfalls sofort vergriffen, so dass eine dritte stärkere veranstaltet werden musste. Diese drei Auflagen haben den armen Kindern 300 Rthl. 6 Sgr. 3 Pf. eingebracht, über deren Verwendung in den Programmen zur Prüfung der Zöglinge der hiesigen jüdischen Gemeindeschule von 1832 und 33 Seite 41. und 48. so wie im ersten Jahresbericht über das von mir gegründete jüdische Waisen-Erziehungs-Institut Seite 27. Rechenschaft abgelegt worden ist. Hier zeigt es sich auf eine höchst erfreuliche Weise, wie allgemein unser frommer König nicht nur in allen Theilen seines Reiches, sondern auch im Auslande verehrt und geliebt ist. Fast nach allen Gegenden Deutschlands wurde und wird das Gebet verlangt, so dass jetzt eine vierte Auflage zu dem bevorstehenden Allerhöchsten Geburtstage dringend gefordert wird. aus: Baruch Auerbach, Gebet für Se. Majestät den König Friedrich Wilhelm III. Gebetet in der Jüdischen Gemeindeschule zu Berlin von den Zöglingen derselben. Zum Besten des hiesigen jüdischen Waisen-Erziehungs-Instituts. (Vierte unveränderte Auflage), Berlin 1837, S.3ff.

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Unterdessen rückte ein höchst unwillkommener Gast, die asiatische Cholera, Berlin immer näher. Vergebens waren die östlichen Grenzen des Reiches mit ungeheuren Kosten durch einen Sperrcordon gesichert, vergebens waren die strengsten Verordnungen erlassen und in Ausführung gebracht, um die Ansteckung zu verhüten. Alle diese Mittel versagten ihre Schutzkraft, die Krankheit brach in Preußen ein, und verbreitete sich in regellosen Sprüngen allmählig weiter. Am 1. September brach sie in Berlin aus; überall forderte sie viele schmerzliche Opfer, und in manchen Städten brachen Volkstumulte, gegen die Ärzte gerichtet, aus. Am 6. September erließ der König von Charlottenburg aus, wo er mit dem Hofe sich aufhielt, eine auf die angeordneten Maaßregeln bezügliche Kabinetsordre, hob den Gesundheitscordon auf, und setzte andere Maaßregeln an die Stelle. Die bisher bestandenen Anordnungen und Instructionen wurden demnächst abgeändert und umgearbeitet. Es war eine trübe traurige Zeit, und der herrschende Gedanke die Cholera, und das Unglück, welches sie anrichtete. aus: K[arl] F[riedrich] Klöden, Lebens und Regierungsgeschichte Dritten, Königs von Preußen, Berlin 1840, S. 333f.

Friedrich Wilhelms des

Es war eine düstere Zeit. Noch tobte der Dämon der Revolution durch die Staaten, und außerdem war eine furchtbare Seuche auf der Schwelle Europas erschienen, entschlossen, wie es schien, jener Schranken zu spotten, durch welche die orientalische Pest aus Europa verdrängt worden war. Preußen, der nächste Nachbar Rußlands, war den Angriffen und Einwirkungen beider Übel zuerst ausgesetzt, denn die Cholera, durch Rußlands Heere nach Polen gebracht, drang von hier aus in Preußen ein, und die Polnische Revolution bedrohte nicht nur die Integrität der Preußischen Monarchie, sondern versetzte diesen Staat auch in eine höchst peinliche Stellung [...]. Wir haben bereits erwähnt, daß fast gleichzeitig mit der moralischen Pest der Revolution auch eine physische, die Cholera, über Europa hereingebrochen und, wie die meisten Staaten, so auch Preußen heimgesucht habe. Jedermann weiß noch, wie groß der Schrecken und die Angst waren, mit welchen man das verderbliche Ungeheuer aus dem fernsten Norden sich langsam heranwälzen sah. Nichts war natürlicher, als daß man die neue Pest gleich der alten orientalischen abzusperren gedachte, obwohl der Kriegszustand Europa's ein solches Unternehmen um Vieles erschwerte. Da die Krankheit selbst und viel mehr noch ihre Natur den Europäischen Ärzten ganz unbekannt war, so war über die Möglichkeit der Absperrung noch kein sicheres Urtheil zu fällen, und man mußte zunächst wenigstens versuchen, ob man durch Vorsicht von dem drohenden Übel sich befreien könne. Preußischerseits geschah in dieser Beziehung Alles, was irgend geschehen konnte. Eine eigne Immediat-Kommission unter dem General Thile und dem Präsidenten Rust ward beauftragt, alle Maaßregeln, welche die Abwehr der Cholera nöthig machte, zu treffen, und diese Maaßregeln waren um so mehr alle auf eine strenge Absperrung gerichtet, als der Bericht der nach Rußland gesendeten Preußischen Ärzte einhellig die ansteckende Natur der Cholera aussprach. Demnach wurden strenge Sperr-Linien und Quarantainen angeordnet, jede Kommunikation mit inficirten Gegenden untersagt und verhütet, und demnächst den Oberpräsidenten der zumeist bedrohten Provinzen Posen, Preußen und Schlesien die nöthigen Instruktionen für den Fall der bedrohlichen Annäherung des Übels gegeben.

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Unterdeß schritt die Cholera unangefochten vor, und brach an verschiedenen Orten, zuerst in Ostpreußen, in die Preußische Monarchie ein. Jetzt fing die Meinung der Ärzte, und demgemäß auch des Publikums an, sich über die Nützlichkeit der Absperrungs-Maßnahmen zu heilen, und, wie immer, waren die Partheien nicht säumig, jeden Übelstand, der sich zeigte, einander gegenseitig Schuld zu geben. Während die Einen behaupteten, die Cholera sei bei Thorn durch Russische Schiffer eingeschleppt, Andere erzählten, der Kommandant von Thorn habe mit dem Russischen Haupt-Quartier kommunicirt, beklagten sich wieder Andere über die Härte der Sperrmaßregeln, die jeden gewerblichen Verkehr fast unmöglich machten. Der König seinerseits stand ruhig zwischen beiden Partheien, obwohl er mit Strenge darauf bedacht war, daß die Maaßregeln der Vorsicht genau ausgeführt würden. Daher war er sehr entrüstet, als der Russische Courier Graf Orloff ohne, oder doch nach abgekürzter Quarantaine-Zeit aus dem Russischen Hauptquartier in Preußen eingelassen worden war. Graf Orloff mußte Berlin sofort verlassen, und der König befahl, wegen dieser Verletzung der Quarantaine eine strenge Untersuchung einzuleiten. Andererseits wies der König eben so streng das ungeeignete Gesuch der Königsberger Kaufmannsschaft zurück, welche sich durch den Schiffsverkehr zum Behuf der Verproviantirung der Russischen Truppen in Polen, trotz der angeordneten Vorsichts-Maaßregeln gefährdet glaubten. [...] In der That schien es, als ob nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch die verwirrenden moralischen Einwirkungen derselben sich mit ihr von Land zu Land, von Ort zu Ort fortwälzten. Was in Moskau, was in Petersburg und sich beim Ausbruche der Cholera zugetragen, das wiederholte sich in Königsberg, in Stettin, und an vielen anderen Orten, namentlich aber späterhin in Paris und anderen Französischen Städten. Der Schrecken und die Angst, welche rohe Massen stets zu Excessen treiben, der Triumph einer Anzahl von Taugenichtsen, welche hofften, daß die Pest alle Schranken der Gesetze niederreißen werden, bei einigen Thörichten die wahnsinnige Annahme von Brunnenvergiftungen, von Tödtung der Erkrankten in den Lazarethen, diese und ähnliche Ursachen waren freilich so fest an das Grundübel geknüpft, daß sich nothwendig allenthalben auch einerlei Wirkungen äußern mußten. Um so erfreulicher ist die Bemerkung, daß in Berlin sich jene abscheulichen Auftritte nicht wiederholten, obgleich dort die beängstigenden Sperr- und Vorsichts-Maaßregeln anfangs mit aller Strenge gehandhabt wurden. Der Kondukt eines Erkrankten in jener Zeit, der in seinem sargähnlichen Korbe von schwarzgekleideten, verlarvten Trägern getragen wurde, während Polizeibeamte vorausschritten, zur Seite gingen und folgten, um von allen Seiten die Annäherung eines Jeden abzuwehren, ebenso die strenge Cernirung eines Hauses, in dem ein Erkrankungs- oder Sterbe-Fall vorgekommen, alles dieses war allerdings nicht ungeeignet, die Leidenschaften eines rohen Pöbels zu provociren. Dennoch aber blieb, wie gesagt, Berlin zur Freude des Königs von allen Tumulten verschont, was zum Theil gewiß durch die frommen, väterlichen Worte des Königs, zum andern Theil aber durch zeitig getroffene zweckmäßige Maaßnahmen bewirkt wurde. Diese bestanden nicht nur in den vielen, von der Immediat-Kommission getroffenen Einrichtungen zur Unterbringung der Kranken, zur Sicherung schleuniger ärztlicher Hilfe und zur Versorgung der armen Familien, die ihres Ernährers durch die Cholera beraubt würden, sondern hauptsächlich auch in den Anordnungen des Königs zur hinreichenden Beschäftigung der arbeitenden Klasse, wodurch dieser ein genügender Erwerb gesichert, und sie zugleich von Müßiggang und Excessen abgehalten wurde. So befahl der König die bereits vorher beabsichtigte Erweiterung des

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Charite-Krankenhauses nunmehr sofort in Ausführung zu bringen, und dabei hauptsächlich die in Berlin ansässigen Arbeiter zu beschäftigen, und demnächst noch mehre[re] andere Bauten vorzunehmen. Der Königliche Hof begab sich nach Potsdam, wo die einzelnen Mitglieder der Königlichen Familie die verschiedenen Schlösser in der Umgebung der Stadt bezogen, und wo diejenigen Vorsichtsmaaßregeln in Anwendung gebracht wurden, die man damals noch für zweckdienlich, ja für unerläßlich hielt und die, so weit es sich thun ließ, jeder einzelne in seinem Hausstande beobachtete. Der König wohnte während dieser Zeit in Parez, kam aber nicht nur sehr häufig nach Berlin, sondern besuchte daselbst auch das Theater, in welchem, nachdem der erste Schreck vorüber war, die Zuschauer sich wieder so zahlreich wie früher einzufinden anfingen. Bekanntlich war die Sterblichkeit in Berlin bei dieser ersten Cholera-Epidemie sehr gering, was auch mit dazu beigetragen haben mag, daß die untersten Volksklassen sich keinen Ausschweifungen hingaben. Die Epidemie herrschte vom Anfange September's 1831 bis etwa Mitte Januar's 1832, und raffte im Ganzen etwas über 1400 Personen fort. - Indessen waren unter den Opfern, welche die Seuche gefordert hatte, doch mehre[re] Männer, deren Tod den König ergriff und betrübte. Wir nennen in dieser Beziehung - indem wir auch diejenigen anführen, die an anderen Orten, aber in demselben Jahre, der verheerenden Krankheit erlagen - nur den Grafen Diebitsch, den Grafen Gneisenau, diesen hochverehrten Veteranen des Freiheitskrieges, der am 24. August zu Posen an der Cholera starb, und den Professor Hegel, der derselben Krankheit in Berlin erlag. [...] Während die Cholera in Berlin herrschte, arbeitete die Immediat-Kommission im Auftrage des Königs eine neue Instruktion im Begriff des Verfahrens beim Ausbruche der Cholera aus, und wenn diese Instruktion in Folge der Erfahrungen, die man nunmehr gemacht hatte, die früheren Bestimmungen auch um vieles milderte, so herrschte darin doch noch immer die Idee der Kontagiosität der Krankheit vor. Dennoch fand die neue Instruktion ungeteilten Beifall, denn selbst die Gegner der Kontagiosität fanden die angeordneten VorsichtsMaaßregeln, denen das Harte und Drückende der früheren genommen war, zweckdienlich und lobenswerth. Der König bestätigte durch Kabinets-Ordre vom 5. Februar 1832 diese Instruktion, weil die bisherigen Erfahrungen zwar eine Milderung des Sperrsystems zuließen, das Dunkel dagegen, in welches die eigentliche Natur der Krankheit noch immer gehüllt sei, zugleich verböte, alle Vorsicht aufzugeben. * Wir erinnern nur noch daran, daß kein Kaufmann anderes Geld annahm, als nur welches der Käufer in ein Gefäß mit Essig geworfen hatte. - Der Verfasser selbst, welcher damals täglich die Cholera-Lazarethe besuchte, unterwarf sich nicht nur, ehe er wieder in seine Wohnung ging, der vorschriftsmäßigen widerwärtigen Desinfektion durch Chlor, sondern nahm überdies noch jedesmal ein Bad, und ließ unterdeß seine Kleider desinfiziren; ein Verfahren, das alle Ärzte aus Rücksicht auf ihre Familien beobachten zu müssen glaubten. Wie anders war es bei der zweiten Epidemie! aus: Dr. Afdalbert] Cohnfeld, Ausfiihrliche Lebens- und Regierungs-Geschichte Friedrich Wilhelms III. Königs von Preußen. Dritter Band, Berlin 1842, S. 601, 622ff., 628ff.

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Als in diesem Jahre die schreckliche Geißel der Cholera in Europa eindrang, und bald auch, über die Gränzen Rußlands hinaustretend, in Preußen zu wüthen begann, fühlte der e. Ausschuß den ganzen Umfang seiner Pflicht, daß er, bevor die fürchterliche Krankheit Berlin erreiche, alle die Maaßregeln treffen müsse, welche den Mitgliedern der Gesellschaft wenigstens in soweit Schutz und Hülfe gewähren könnten, wie es die bisherige mangelnde Kenntniß von den Ursachen der Epidemie und den dagegen anzuwendenden Mitteln gestatteten. Er setzte daher die Freunde zu ihrer Beruhigung schon unterm 10. August durch ein gedrucktes Rundschreiben von seinem Vorhaben und von der Ernennung eines außerordentlichen Gesundheitsausschusses in Kenntniß. Dieser, aus den Freunden Dr. Arndt, Dr. Fürst, Dr. Michaelis, J. Goldschmidt und Λ. F. Heydemann bestehend, widmete sich seiner Bestimmung ungesäumt mit einer nicht genug zu lobenden Energie und Umsicht. Er stellte zwei Chirurgen und zwei Krankenwärter an, die Tag und Nacht zur Verfügung der Gesellschaft sein mußten, besorgte eine Anzahl von Krankengeräthschaften, Badewannen, Dekken, Präservativmittel u.s.w., miethete einen besonderen Aufbewahrungsort dazu und machte vom Geschehen allen Freunden eine gedruckte Anzeige, worin außerdem, um aller Verzögerung der Krankenpflege im Bereiche der Gesellschaft möglichst vorzubeugen, jedem in einem Cholerafalle herbeigerufenen Chirurg für seine Hülfsleistungen das Doppelte des Honorars nach Maaßgabe des höchsten Satzes der Medicinal-Taxe zugesichert wurde. Der e. Ausschuß glaubte aber bei den getroffenen Vorkehrungen nicht stehen bleiben zu dürfen. Auswärtige Erfahrungen hatten der Besorgniß Raum gegeben, daß in Folge der Epidemie große Theurung, Unterbrechung der Gewerbe und sonstige Leiden eintreten könnten, welche auch im Kreise der Gesellschaft die Ansprüche auf Unterstützung vermehren möchten. Der Vorstand hielt es daher für nöthig, die Genehmigung der Freunde für die etwa erforderliche Benutzung eines Theils des Grundkapitals einzuholen, und beeilte sich also die Mitglieder zu einer Generalversammlung auf den 22. August zusammen zu berufen. In derselben legte der e. Ausschuß die Pflichtmäßigkeit einer genügenden Fürsorge dar, und verlangte dem entsprechend die Vollmacht, im Nothfalle bis zur Summe von 3.000 Rthlr. vom Grundvermögen nehmen zu dürfen, was unverzüglich und einstimmig bewilligt wurde; ein erhebender Beweis, wie sehr Alle vom Wesen der ächten Freundschaft durchdrungen waren, die in den Zeiten der Bedrängniß keine Opfer scheut. [...] Die grausenerregende Epidemie war auch in Berlin ausgebrochen, ringsum schnellen Tod verbreitend, und mit ihrer Schreckensgewalt plötzlich die Prachtgewänder der Reichen wie die Leidenskammern der Armen überfallend. Jede Brust war von peinlicher Furcht vor dem entsetzlichen Feinde erfüllt, auf allen Gesichtern malte sich Kummer und Sorge, wenn auch die Cholera in Berlin in nicht so hohem Grade verheerend erschien, wie an den andern Orten, wo sie bisher gehaust hatte. Auch die Mitglieder der Gesellschaft, des allgemeinen Leids theilhaftig, waren aus ihrer friedlichen Ruhe herausgerissen, auch sie mußten jede Stunde mit banger Furcht erwarten, ob sie selbst, ihre Angehörigen oder Freunde nicht schon in der kommenden Stunde der giftigen Seuche zum Opfer fallen würden. Um so weniger durften sie hoffen, am Tage der nächsten Generalversammlung, dem 29. Januar, sich alle noch vereinigt zu sehen. Und doch gewährte ihnen der gütige Gott diese große Freude. Keinen Einzigen von allen Freunden hatte die Epidemie befallen [...]. aus: Ludwig lasser, Chronik der Gesellschaft der Freunde in Berlin, zur Feier ihres fünfzigjährigen Jubiläums, Berlin 1842, S. 72f, 75.

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Die asiatische Cholera hat in Berlin so viel Sensation veranlasst, ihr Auftreten daselbst bot sowohl für die Geschichte und Kenntnis der Epidemie, als für die Chronik und medicinische Statistik der Stadt so viel Interesse dar, dass eine kurz gefasste Darstellung des Verlaufs und der Erscheinungen dieser Seuche am hiesigen Orte in vorliegendem Abschnitte nicht umgangen werden kann. [...] Das Publicum war nun natürlich im Anfange beklommen und geschäftig, sich mit allen möglichen Praeservativen zu proviantiren; die Apotheker hatten eine goldene Ernte und Kaufleute jeder Art, die ihren Waaren nur irgend eine Beziehung zur Cholera herauszugrübeln vermochten, überschütteten die Zeitungen mit anpreisenden Annoncen. CholeraEssenzen, -Räucherungen, -Liqueure, -Tabake, -Cigarren, -Leinwand, -Wolle, -Papier und unzählige andere Artikel gingen reissend ab. Dagegen war für die Obsthändler, Restaurateure und Bierschänker Ebbe eingetreten. Der gemeine Mann ward zwar der Enthaltsamkeit bald überdrüssig, unter den Gewählteren aber gab es nur Wenige, die sich in ihren Genüssen nicht einigermassen hätten stören lassen. Der Gang der Epidemie war der Art, dass sie, wie erwähnt, zuerst auf den Schiffen ihr Quartier aufschlug, dann sich an der Spree und ihren Kanälen hinzog, an der oberen Spree, auf der Sonnenseite der Fischerbrücke, des Schleusen-Quais und Schiffbauerdamms ausbrach (die Sonnenseite als solche hatte wohl keinen Einfluss, sondern lediglich der Rapport zwischen ihr und dem Strome), darauf im Arbeitshause, in der Holzmarktstrasse, an der Friedrichs-Gracht, in der v. Kottwitz' sehen Armen-Beschäftigungs-Anstalt, bald auch in den vom Wasser abgehenden Strassen, z.B. der Fischer-, Alexander-, Wallstrasse. Nach wenigen Tagen hatten alle Stadttheile Kranke, doch war das Vogtland noch übergangen und die Friedrichstadt zählte, besonders nach dem Halleschen, Potsdamer und Brandenburger Thore hin, wo das Treiben der arbeitenden Klasse sich verliert, äusserst wenige Todesfälle, deren Anzahl auf der Spandauer Vorstadt und kurz darauf auch in dem nördlichen Theile der Friedrichstadt täglich wuchs. aus: Dr. H[ermann] Wollheim, Versuch einer medicinischen Topographie und Statistik von Berlin, Berlin 1844, S. 324, 328f. Ein Gast war uns damals angemeldet worden, vor dem Berlin zitterte und dem besonders meine arme Frau, wie er sich langsamen, aber sichern Ganges näherte, jeden seiner Schritte verfolgend, ängstlich entgegen bebte: ich meine die Cholera. Vielleicht trugen die zum Theil widersinnigen Voranstalten, über die man schon lange vorher deliberiren hörte und die, wenn sie zur Ausführung gelangt wären, größeres Unglück über die Bevölkerung der Residenz gebracht haben dürften, als der gefürchtete Todfeind selbst, mehr zu der unruhigen Aufregung bei, als die beunruhigenden Berichte, die ihm den Weg bahnten. Ich, für meine Person, von Natur aus gar nicht geneigt, mich um mein liebes Selbst zu ängstigen, wurde doch durch einige abergläubische Andeutungen erschreckt. Gerade in die Tage wo die Furcht vor der Cholera, durch eine entschiedene Wendung ihrer unregelmäßigen Laufbahn, in Berlin zur höchsten Höhe gesteigert war, fiel das Begräbnis des nicht lange nach unserer Ankunft aus Darmstadt, verstorbenen Schauspielers Wegener. [...] Seine Collegen wünschten, daß ich ihm die letzte Ehre erweisen und an seinem Grabe reden möge, wozu sie bereits die erforderliche Erlaubnis der Behörden und des Predigers eingeholt. Ich konnte diesen Antrag unmöglich von mir weisen. Während ich beschäftigt war, eine Rede für diesen

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Zweck auszuarbeiten, trat meine Frau, Thränen in Augen, zu mir. Sie hatte im Theater vernommen, welches Amt die Herren mir zugedacht, und bat mich nun um Alles in der Welt, davon zurückzutreten. Sie führte an, wie sich in Berlin der alte Aberglaube forterhalten habe, daß Jeder, der ohne berufen zu seyn, am Grabe spricht, binnen Jahresfrist dem Begrabenen folgen müsse. Nun gebe sie zwar nichts auf solche Mährchen, aber weil die Cholera vor der Thür, sey sie doch ängstlich; auch wär' es doch immer seltsam, daß der Verstorbene, Wegener, gerade vor einem Jahre, dem damals verstorbenen Schauspieler Haas auch die Leichenrede gehalten habe! - Dieser letzte Umstand war mir unbekannt, und - warum soll ich's leugnen? - ich stutzte, und schwankte einen Augenblick. Doch sagt' ich mir bald, daß ich mich lächerlich machen würde, wenn ich mich abschrecken ließe. Ich tröstete meine Frau mit allen auf der Hand liegenden Vernunftgründen, wobei ich, wie oft in ähnlichen Fällen, hören mußte, daß ihr dieselben eben so geläufig waren wie mir, daß sie mir durchaus Recht gab, schlüßlich aber doch ihre Bitte widerholte. Dennoch ging die Sache vor sich. Als wir Leidtragende am Begräbnißtage paarweise und in langem Zuge hinter dem Sarge herzogen, hörte man vor und neben und hinter sich nur von der Cholera flüstern; wo sie wieder ausgebrochen, wie viel Opfer gleich am ersten Tage gefallen, und wie viel näher sie uns wieder gerückt sey! Und dergleichen Süßigkeiten mehr. Auf diesem Wege überkam mich zuerst ein Gefühl der unsäglichen Besorgniß, welches mir eine Art von Herzklopfen zuzog, wie ich es sonst nie empfunden. Doch wich es bald der Spannung, welche wohl niemals ausbleibt, wenn man vor einer großen Versammlung, sey es nun, vor einem Soufleurkasten, sey es vor einem offenen Grabe, auftreten und reden soll. Die fungirenden Leichendiener wiesen mir meinen Platz auf einem der um das Grab liegenden Bretter an. Kaum hatt' ich ihn eingenommen, kaum einen Blick auf die umgebende Menge geworfen, kaum die erste Silbe auf meine Lippen gebracht, als der lockere Sandboden zu weichen begann, und das Brett, welches mich tragen sollte, mit mir hinabglitt, so daß ich versank, bis an die Achseln im Grabe verschwand, und eben nur noch zur Noth von meinen nächsten Nachbarn emporgezogen werden konnte. Als ich wieder Grund gefaßt und mich sicher auf den Füßen fühlte, vernahm ich rings umher ein dumpfes Gemurmel. Doch ließ ich mich nicht aus der Fassung bringen, sondern haspelte meine Rede rüstig ab, wie ein wirklicher Leichenprediger. - Daß unter den Opfern, welche die Cholera in Berlin fordern würde, sich auch meine Wenigkeit befinden müsse, darüber konnte wohl kein Zweifel mehr obwalten. Einigermaßen war ich auch von dieser Meinung berührt, und sah der Ankunft des höllischen Legaten nicht ohne besorgliche Erwartung entgegen. Viele Bewohner Berlin's, unter diesen auch einige unserer näheren Bekannten, entflohen und suchten Schutz vor der Seuche in fernen Gegenden. Merkwürdig! Drei Familien, deren ich mich jetzt eben erinnere, fanden am Rhein den Tod, den sie in Berlin vermeiden wollten. Eine Mutter verlor ihre schöne, blühende Tochter, ein Elternpaar seinen einzigen Sohn, Ludwig Robert und seine Frau starben aber beide selbst. Alle diese fielen dort, wo sie Schutz suchten, als Opfer des Nervenfiebers, während von unseren Freunden und näheren Bekannten in Berlin, Niemand der Cholera unterlag! Am 28. August feierte die literarische Gesellschaft, wie gewöhnlich, Göthe's Geburtstag, in größerem Kreise, mit Gästen und Damen. Auch ich hatte deren eingeladen, unter ihnen Casper's; doch das spät beginnende Souper nahte fast schon seinem Ende, als er, verstört und zerstreut sich erst einfand. Er hatte in seiner Eigenschaft als Geheimer-Medizinalrath

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amtliche Abhaltungen gehabt und das erste Wort welches er mir in's Ohr sagte war: die Cholera ist ausgebrochen. Kaum hatte ich diese Meldung vernommen, als mich die Reihe traf, mein Festlied anzuheben. Dies Lied an und für sich schon düster gehalten, weil es mehr der Vergangenheit wie der Gegenwart galt, und in seinem Refrain: „Er steht mit seinem Glück und Ruhm allein", den greisen König unsres Festes eher beklagte, als besang, bewegte mich, so zum feierlichen Ernste vorbereitet, selbst ganz gewaltig und machte folglich, durch meinen wehmüthigen Vortrag auch einen tieferen Eindruck; - wie ihn Gelegenheitsgedichte sonst selten hervorbringen. Die ganze Versammlung befand sich in todesahnender Stimmung und von Ohr zu Ohr schlich das leise weiter gegebene Wort: sie ist dal Schon in den nächsten Tagen bestätigten einzelne Fälle ganz in unserer Nähe die ärztliche Anzeige und weil man immer noch nicht sicher war, ob Rust in seiner Eigenschaft als passer-rusticus (Hms-Sperrling), mit seiner Ansicht bei'm König durchdringen werde, so suchten wir auf unserer Halbinsel uns so gut als möglich zu verproviantiren, indem wir Vorräthe jeder Gattung aus Specerei-Handlung, Kramladen, Viktualien-Keller und Apotheke zusammenkauften. Um nun das Schöne dem Nützlichen zu vereinen, traf ich eilige Anstalten zur Vervollständigung des Personal-Bestandes für ein Policinell-Theater, mit dem ich, wenn wir wirklich längere Zeit vom Verkehr mit andern Menschen abgeschnitten werden sollen, im Stande seyn würden, uns wie den Kindern die langen Herbstabende zu verkürzen. Dann rief ich unsere Dienstboten, die, wie alle Leute dieses Schlages, Todesangst vor den öffentlichen Krankenhäusern hegten, feierlichst zusammen und indem ich ihnen das Versprechen gab, im Fall einer Erkrankung Niemand fortbringen, sondern mich lieber mit absperren zu lassen und sie zu pflegen, ließ ich mir von ihnen geloben, daß sie auch uns nicht verlassen wollten. Nachdem dies Alles geschehen war, fühlt' ich mich vollkommen beruhigt, und vergaß, sehr bald an das Rumpeln des nächtlichen Leichenwagens gewöhnt, sogar meinen ominösen Grabsturz. Minder wollte dies meiner Frau gelingen; es brauchte mehrere Monate, bis sie mit dem Gedanken an die Anwesenheit der Cholera sich befreunden konnte. Was ich zu jener Zeit schon bedauerte, worüber ich mich heute noch nicht zufrieden geben kann, ist daß Jean Paul die Cholera und die Verwirrung, welche dadurch hervorgebracht worden, nicht mehr erlebt hat! Welche Ausbeute für ihn! Welch' reicher Stoff zu einem Büchlein ä la Katzenberger! War es doch wirklich, als ob auch die zartesten, verschämtesten Jungfrauen ihre zierliche Schüchternheit abgestreift und sich, von Besorgniß getrieben, der unverhülltesten Natur in die Arme geworfen hätten. Gegenstände, welche sonst in Damengesellschaft nur anzudeuten ein Verbrechen gegen Schicklichkeit und Anstand gewesen wäre, wurden jetzt mit unverstellter Aufrichtigkeit detaillirt und waren den prüden Frauen geläufig. Man durfte ohne Gefahr von flanellnen Leibbinden, von Pflastern auf der Magengegend, von Klystierspritzen und Stuhlgängen reden und sicher seyn, daß ähnliche Gespräche, waren sie nur einigermaßen instruktiv und gaben sie nur entfernte Aussicht auf Hilfe oder Schutz, unbezweifelten Widerklang fanden. Es trat während den ersten Schreckenswochen völlig jener Zustand in der Gesellschaft ein, der uns im Krankenzimmer eines hoffnungslos-aufgegebenen Familienvaters entgegentritt, wo Mutter und Töchter, in Gegenwart fremder Zuschauer, ihrem aus dem Herzen dringenden Pflichtgefühl folgend, Alles thun, was zur Pflege des Leidenden gehört, rücksichtslos gegen die anwesenden Zeu-

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gen. Was dort aufopfernde Hingebung wird, wurde hier Besorgniß um das eigene Selbst und der mächtige Trieb zum Leben fand in Unterhaltungen über Präservative und Hilfsmittel momentanen Trost. Für mich bot jene Zeit häufige Gelegenheit dar, tiefere Blicke in das sonst künstlich gemachte, oft verlogene Wesen verschiedener Personen zu thun. Die Cholera hat mir manchen feigen Egoisten gezeigt, dem ich bis dahin geglaubt hatte, wenn er es verstand, sich als edelgesinnten Menschenfreund zu präsentiren. Der einzige Einfluß, den die Herrschaft der Cholera auf mein Daseyn ausübte, gab sich in noch größerer Enthaltsamkeit von Trank und Speise, wie sie mir sonst schon immer eigen und in angestrengterem Fleiße kund, welcher letztere nicht ausbleiben kann, sobald eine öffentliche Niedergeschlagenheit die Zahl und Auswahl verlockender Zerstreuungen vermindert. aus: Karl von Holtet, Vierzig Jahre. Fünfter Band, Breslau 1845, S. 238ff. Rust war Leibarzt des Kronprinzen, und als derselbe zu Charlottenhof einmal eine große Mittagsfete gab, war ich zugegen. Der König kam; als Er seiner vor der Thür ansichtig wurde, redete Er in schneidendem Tone ihn folgendermaßen an: „Habe diesen Morgen eine Piece gelesen, in welcher behauptet wird, die Cholera sei nicht ansteckender Natur. Offenbar achtet sie nicht der Sperre, springt darüber hinweg, und Alles, was die gelehrten Herren über ihre Contagiosität mit gesagt haben, wird durch die Erfahrung widerlegt. Die Sache der Sperrung kostet viel Geld; und am Ende bin ich wider der Düpe von der Affaire." Rust antwortete ehrerbietig, aber unerschrocken und fest: „Man kennt leider noch nicht ganz diese geheimnißvolle Krankheit; ich bin aber der Ueberzeugung, daß sie ansteckender Natur ist, auch finde ich die besten Aerzte in Petersburg derselben Meinung. Ihre weitere Verbreitung muß also durch Absperrung verhindert werden. Wenn dieselbe viel Geld kostt, so haben Ew. Majestät durch Ihr landesväterliches Wohlwollen thatsächlich wieder bewiesen, daß das Beste ihrer Unterthanen Ihnen am Herzen liegt. Diese a u f s Neue bestätigte Erfahrung im Volk ist mehr werth, als Millionen." Der König schwieg und ging weg. Leider kam die Cholera in's Land, auch nach Berlin und Potsdam, und verbreitete sich nach allen Richtungen. Man sah das Gespenst aus dem fernen Norden sich nahen, und auf einmal war es mitten unter uns, ohne daß man das Wie erforschen konnte. Furcht, Angst und Schrecken umgaben das Ungeheuer, und leidenschaftliche Gemüthsbewegungen machten das Leiden ärger. Ein jedes Haus, in welches die Cholera, ohne sich vorher, wie andere Krankheiten, durch Uebelbefinden anzukündigen, plötzlich einbrach, wurde streng zernirt und von allem Verkehr abgeschnitten. Der Befallene, in der Regel ein schnelles, gräßliches Opfer des Todes, wurde, die Angehörigen mochten wollen oder nicht, in einem sargähnlichen Korb nach der für diesen Zweck eingerichteten Anstalt sofort weggetragen. Die Träger waren schwarzgekleidete maskirte Männer; und Andere, ebenso gestaltet, gingen vorauf, daneben und dahinter, und hielten einen Jeden, auch den nächsten leidenden Verwandten, ab, sich zu nahen, und er durfte nicht folgen. Jeder blieb daheim, wenn sein Beruf es gestattete; die sich aber begegneten, gingen mit zugehaltenem Munde, um sich gegen das Contagium zu schützen, in sich gekehrt, stumm nebeneinander her. Die Kirche, deren Trost und Ermunterung man in dieser trüben Zeit vorzüglich bedurfte, hielt man, wegen der vielen in derselben versammelten Menschen, für gefährlich; sie wurde aber dennoch fleißig, besonders aus der mittleren Volksklasse, besucht. Der Hof hielt während dieser Heimsuchung

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sonntäglich im Neuen Palais, in einem dazu eingerichteten Saale, Gottesdienst. Der König, welcher sich in Paretz und Charlottenburg so viel wie möglich absonderte, erschien mit Seinen Kindern regelmäßig und die böse Zeit erleichterte die jedesmalige Auswahl des biblischen Textes, die ganze Stellung des Thema's, und unterstützte Ausführung und Anwendung. Gern denken die Hofprediger an diese Tage zurück; so oft sie aber die kleine ausgesuchte Gemeinde erbaueten, mußten sie, ehe Sans souci betreten wurde, sich in einem nahe gelegenen Hause mit Chlor durchräuchern lassen. Das dauerte viele Wochen hindurch, und da Rust und seine Kollegen bei ihrer ausgesprochenen Meinung des Contagiums beharrten, so vermied der König mit den Seinigen Alles, was derselben nicht gemäß war; an der Königlichen Tafel wurde mit Vermeidung aller Speisen, die untersagt waren, die genaueste Diät beobachtet. Als aber, der sorgfältigen Vorsicht ungeachtet, ein Diener in der nächsten Umgebung des Königs plötzlich an der Cholera erkrankte und starb; als, aller kostspieligen Bewachung der Grenze ungeachtet, sich das Uebel im Lande verbreitete, seltsam sprang und ganze Oerter übersprang, als die Krankheit in ihrer fürchterlichen Praxis alle Theorien widerlegte: da mußte man gestehen, daß sie zu den vielen Erscheinungen der Natur gehöre, die mit einem dem menschlichen Scharfsinne undurchdringlichen Schleier umhüllt sind. Die Schlagbäume, welche Provinzen voneinander trennten, wurden niedergelassen, Handel und Wandel wieder hergestellt, die lästigen Sperren aufgehoben, und Dr. Rust, der die Anordnung vorzüglich betrieben, bekam von den witzigen Berlinern den spottenden Beinamen: der - Sperling. Die Cholera verschwand; kam wieder, aber schwächer; und hörte, Gott sei Lob und Dank! endlich ganz auf. Als sie so recht im Wüthen war und Anfangs nur Menschen größtentheils aus der untersten Volksklasse hinwegraffte, schrieb ein reicher, aber bornirter Bürgerlicher (Stolz und Dummheit sind gewöhnlich miteinander verbunden) an den König, und bat: „Er möge ihn in den Adelsstand erheben, da dieser ja, als solcher, gegen die Cholera durch vornehme Abkunft geschützt sei; nur gemeines bürgerliches Pack raffe sie dahin. Er wolle gern das schützende Adelsdiplom doppelt bezahlen." Es starben übrigens an der verhängnißvollen Cholera der Großfürst Constantin, der Feldmarschall von Diebitsch, der General Graf von Gneisenau, und König Charles X. Das waren doch wohl vornehme Leute. Der Tod klopft ohne Unterschied an die Hütten der Armen und die Paläste der Reichen. aus: R[ulemann] F[riedrich] Eylert, Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelm III., Bd. 2, 1. Abt., Magdeburg 1845, S. 359ff. „Wissen Sie, meine Herren, welches Unglück uns droht? Noch ist es nicht hier, aber es wogt aus dem fernen Asien herüber, eine Pest, gegen die der schwarze Tod, das gelbe Fieber, und was sonst den Namen führte, unbedeutend erscheinen werden. Eine Krankheit, die ganze Ortschaften, Landstriche hinwarft, entwickelt sich in dem britischen Indien. Die englischen Aerzte geben entsetzliche Schilderungen und behaupten, daß sie ihren Siegerzug durch die ganze Welt halten werde. Sie nennen sie Cholera morbus, und was das Schrecklichste, es ist kein ärztliches Mittel dagegen zu entdecken. Sie fängt mit Volieren an, heftiger Dyssenterie, dies steigert sich in wenigen Stunden bis zum Tode. Der geringste Diätfehler, namentlich der Genuß von unreifem, ja selbst von reifem Obst ruft sie hervor. Ich kann Ihnen meine Besorgnis nicht verhehlen, ich hörte durch Seile vorhin von Fällen, die

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mich fürchten machen, daß sie schon in den Ringmauern von Berlin ist. - Ich bitte, lassen Sie sich nicht ängstlich machen, meine Herren, aber hüten sie sich ja vor jeder Erkältung, vor Obstgenuß. Ja, ja, meine Herren, wir wissen Alle nicht, was uns bevorsteht, und welche neue Wendung das Schicksal nimmt. Wo diese Krankheit grassirt, hört der Krieg von selbst auf. - Sie fühlen sich doch nicht unwcM, liebster Baron, Sie fassen sich an den Magen?" [.·.] „Ein Arzt!" - „Einen Wagen!" „Die verdammte Melone! Habe ich ihn nicht gewarnt?" Herr Dallach reichte dem Kranken wieder ein Glas Portwein. Er wehrte es mit der Hand ab, Wandel schenkte ihm ein Glas Wasser. Er athmete wieder auf. „Ach, das Wasser, sagte Wandel, wenn die Ärzte erst seine wunderbare Heilkraft ganz kennten! - Jetzt nur frische Luft!" Es kam kein Arzt, kein Wagen. „Die Stadt ist in Verwirrung." „Würden Sie sich stark finden, teuerster Baron, zu Fuß nach Ihrer Wohnung - ich führe Sie." Der Baron war aufgestanden: „Es wird gehn, es wird schon besser werden. Ich erhole mich." „Die verfluchte Melone!" knirschte Wandel und stampfte; er stülpte den Hut auf. Er zog den Wirt noch einmal bei Seite: „Herr Dallach, habe ich's nicht gesagt? O, es wird noch ärger kommen, wir können uns gratuliren." „Was ist denn, Herr Legationsrath?" „Die Cholera! schrie er ihm in's Ohr. Ein Anfall der asiatischen Cholera morbusl Und der Leichtsinn! Aber still, liebster Dallach, erschrecken Sie nicht Ihre Gäste; wir werden bald mehr hören." aus: Wfillibald] Alexis, Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder vor fünfzig Jahren. Vaterländischer Roman, Bd. 5, Berlin 1852, S. 330f, 339f. Diese Steigerung nahm fortwährend zu, bis ihr durch die allgemeine Störung aller Verkehrs-Verhältnisse in den Jahren 1830 und 1831 ein Ende gemacht wurde, und es ist wohl sogar in jener Zeit dem kaufmännischen Verkehr, namentlich dem Handel mit den freien Wechseln, eine übertriebene Ausdehnung gegeben worden. 1830 übten die revolutionairen Bewegungen in allen Nachbarländern und der Ausbruch der Cholera auf den öffentlichen und Privatkredit in Preußen die nachtheiligsten Wirkungen aus; jedermann suchte sich solcher Forderungen zu entledigen, die im Falle eines Krieges erheblichen Verlusten ausgesetzt waren, und der Staat bedurfte seiner ganzen disponiblen Bestände zur Bestreitung der durch die politischen Verhältnisse nothwendig gewordenen Leistungen und der außerordentlichen durch die Cholera veranlaßten Ausgaben. [...] Diesem Sturme zu begegnen blieb der Bank kein anderes Mittel, als sich möglichst geschlossen zu halten. Jeder andere Weg schlug fehl. Sie war in der Nothwendigkeit, ihre Kassenbestände, die in Folge des starken Wechselhandels schon bisher zu schwach gehalten worden waren, so viel als möglich zu ergänzen, dazu aber blieb kein Mittel, als die Papierbestände zu verkaufen, oder die Masse der Kassenscheine zu vermehren, oder endlich den Diskont und die Darlehen einzuschränken. Jenes erste Mittel wurde versucht, und 1830 bis

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1832 etwa für circa 2 1/2 Millionen Effekten verkauft, aber der Verlust an dieser Summe war so groß, daß der Verkauf größerer Bestände, die die sinkenden Preise noch mehr geworfen haben würden, gänzlich unmöglich schien. Auch weitere Kreationen von Kassenscheinen wurden versucht, sie waren aber bei der beständigen Abnahme der Baarwerthe ein sehr gewagtes Mittel und konnten von nachhaltigem Erfolge sein; zwar ward im November 1831, nachdem der erste Sturm vorüber, eine neue Emission von 3 Millionen gemacht, aber sie konnte sich nicht im Verkehr halten, 1831 waren noch nicht einmal 2/3, und 1832 3/4 der Masse, die 1830 im Umlauf gewesen war, im Publikum. [...] Von 1832 an belebte sich wieder das Vertrauen, die Belegungen wuchsen rasch und auch die Bestände aus Staatskassen mehrten sich [...]. aus: [Marcus C. v. Niebuhr], Geschichte der Königlichen Bank in Berlin. Von der Gründung derselben (1765) bis zum Ende des Jahres 1845. Aus amtlichen Dokumenten, Berlin 1854, S. U9f.

Die Cholera ringelte sich, kaum nach dem Verhallen der letzten Kampfgetöse, wie eine giftige Schlange durch Europa: fast möchte man meinen, die Barbarei Asiens hätte sie aus Grimm herübergeschleudert; mindestens war ihr Charakter um so schreckenvoller, als sie aus dem Oriente kam und sich, über ein Feld von zahllosen Leichen, nach dem Westen wälzte. Die Pest wüthete mit grausamer Erbarmungslosigkeit. Fast lösten sich alle socialen und politischen Bande; das öffentliche Leben stockte gänzlich, besonders in Paris, wo eben die Freiheit gekrönt worden war; eine furchtbare, entsetzliche Nemesis, raffte sie ihre Opfer hinfort; ein todbringendes Schreckbild, erblickte sie den Standhaftesten; - sie war, in Hütten und Palästen, der große gemeinsame Feind, gegen den sich Jeder zu schützen und zu verbarrikadiren suchte. Fast hungerte man aus Diät, um nicht das gierige Ungeheuer zu locken; man präparirte sich eigene Luft, um nicht den Athem zu schlucken, mit dem die Pest die Luft Gottes vergiftet hatte; man räucherte, wie um einen Satan zu vertreiben; man dampfte sich in Bernsteinrauch, Steinkohlentheer und Wacholder ein; man sprengte mit Essig und sog ihn in Schwämmen ein; man that, als sei man entsetzlich krank, packte sich in Flanell von Oben bis Unten; legte sich Löschpapier auf Rücken und Fußsohlen; man scheuerte nicht, man reinigte nicht; man trank kein Wasser, welches die Cholera vergiftet hatte; man rieb sich die Haut wund und glaubte trotz aller dieser Maßregeln noch immer nicht genug gegen die vielköpfige Hydra geschützt zu sein. Aber die Cholera hatte auch ihr Gutes; sie zeigte furchtbar großartig, wie gleich alle Menschen seien, und diese Lehre war unendlich heilsam, weil sie nöthig war. Die Regierungen wurden gezwungen, um sich selbst zu schützen, für die Wohlfahrt des Volkes bedacht zu sein; sie sahen streng auf Reinlichkeit und Lüftung der Wohnungen, auf die Bekleidung der armen Leute und wurden durch große Calamität zu Mitleid und Hülfe der Bedürftigen getrieben, durch die strafende Gottesgeißel zu Dem, was ein Element der Zeit geworden war: sie wurden unnwillkürlich socialistisch. aus: Eduard Schmidt-Weißenfels, Rahel und ihre Zeit, Leipzig 1857, S. 248ff.

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Bereits im Anfange des Jahres, als die oberste Behörde über die gegen die Cholera zu treffenden Sicherheitsanstalten das Gutachten der Departements-Regierungen erforderte, hatte ich mich aus voller Ueberzeugung gegen die Anwendung der Grenz-Cordons und Contumazen erklärt und diese Meinung begründet, ohne die Ansteckung geradehin in Abredung zu stellen. Wäre mein Rath befolgt worden, so würden dem Staate Millionen erspart worden sein, die auf ein nutzloses, unwissenschaftliches und landverderbliches Experiment verschenkt wurden. - Der Minister, von Rust präoccupirt, und bestärkt durch die Berichte einiger Aerzte, die man nach Rußland geschickt, vielleicht auch eine schwere Verantwortung im Fall der Unterlassung fürchtend , - dieser intelligente Herr v. Altenstein beschloß, in Uebereinstimmung mit seinen Collegen, der Cholera mit allen Mitteln der Pestpolizei entgegenzutreten. [...] Auf den unruhigen und sorgenvollen Sommer war schon der Herbst gefolgt, als ein Ereigniß eintrat, welches für mich ein großer Triumph, aber auch eine Quelle von neuen Widerwärtigkeiten gewesen ist. Die Soceität für wissenschaftliche Kritik in Berlin, deren Mitglied ich schon seit ihrer Gründung war, hatte mich zur Recension einiger Choleraschriften aufgefordert, um in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik" die große Frage des Tages ebenfalls zur Sprache zu bringen. Diesem Verlangen fügte ich mich um so lieber, da sich hier eine erwünschte Gelegenheit darbot, mein geistiges Gewissen zu entlasten, und vor den Männern der Wissenschaft auszusprechen, was ich als wahr und heilsam erkannte oder für irrig und schädlich hielt. Das nächste Bedürfnis im Auge behaltend, ging mein Bestreben vorzüglich dahin, klar zu zeigen, daß die Cholera keine pestartige Krankheit und mit Cordons und Contumazen nicht zu bekämpfen sei. Das Manuscript wurde zu Ende September an die „Redaction der Jahrbücher" gesandt. Wie sehr aber erstaunte ich, als ich meinen langen Aufsatz schon nach wenigen Tagen in der Staatszeitung vom 4., 5. und 6. Oktober unter dem Titel einer „trefflichen" Recension abgedruckt fand, in derselben Staatszeitung, die bisher die eifrigste Contagionistin gewesen und officiell alle Regierungsmaßregeln zu rechtfertigen beflissen war! Dieser großen Umstimmung entsprachen auch die Entschlüsse und Thaten, die unmittelbar folgten. Den 11. Oktober wurden der Oder- und Elb-Cordon, und wenige Tage später auch die Grenz-Cordons mit sämmtlichen Contumaz-Anstalten aufgehoben. aus: Carl Ignatius Lorinser, Eine Selbstbiographie, hrsg. v. Franz Lorinser, Bd. 2, Regensburg 1864, S. 13, 18f. Ein ander Mal, als Potsdam sich bereits abgesperrt hatte gegen das von der Cholera heimgesuchte Berlin, schmuggeln wir uns, aller Wege und Stege kundig und stets mit dem leichtesten Gepäcke versehen, auf einem Umwege die Wächter täuschend ein, und verbringen dann, triumphirend über die gelungene List, einige frohe Tage, ohne daß irgend ein Bekannter ahnet, wohin wir gerathen. - Den Cholera-Winter 1831-32 blieben wir getrost und muthig mitten in der allgemeinen Bestürzung und Entmuthigung, gerüstet zwar mit allen Vorsichtsmaßregeln und Vorkehrungen für etwa eintretende Fälle, aber ohne auch nur einen Augenblick uns zu ängstigen. Das Wort „Cholera" zu nennen, war zwischen unseren Wänden bei Strafe verboten; aber wir scheuten nicht den Besuch bei Freunden, die man von der abergläubisch gefürchteten Feindin befallen glaubte. Ein äußerst ernster, beinah tragischer Moment ist eine Novembernacht, in welcher wir, heimkehrend von einem Hochzeits-

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feste, einem Leichenzuge begegnen, den wir sofort auf den entlegenen Cholerakirchhof begleiten. Dieß schauerliche Nachtstück habe ich später für die „drei Jahre auf Reisen und in der Heimath" treu geschildert. aus: Heinrich Stieglitz. Eine Selbstbiographie. Vollendet und mit Anmerkungen herausgegeben von L[udwig] Curtze, Gotha 1865, S. 13lf. [...] ist an das Jahr 1831 zu denken: es machte sich berüchtigt durch den Antrieb, die längst bekannt gewesene, in allen ärztlichen Büchern geschilderte Cholera noch erschrekkender, vermöge des gesteigerten Einflusses der Angst noch gefährlicher und um sich greifender werden zu lassen. Auch in Berlin entstand ein überschwängliches Fürchten und Rathgeben aus verschiedenem Bereich, besonders solcher Waarenhändler, die in Hinsicht auf angepriesene Gegenmittel ihre Einnahme erhöhen wollten. Für meine Familie schaffte ich herbei, was als Vorkehrung und Schnellhülfe bezeichnet wurde, erachtete aber bei dem Hauwesen in aller Hinsicht jede Veränderung für unzulässig, und bei uns zeigte sich keine Spur von Cholera. Andrerseits hatten aber Viele alle Besonnenheit so gänzlich verloren, daß sich auf Manchen, der von jener Angstseuche in's Grab gejagt wurde, wahrhaft die oft bespottete Verszeile anwenden ließ: „Aus Furcht zu sterben ist er gar gestorben". Dies auch auf Leßmann bezüglich zu finden, konnte mir nicht einfallen; um so mehr überrascht war ich, als er eines Morgens in mein Arbeitsgemach eintrat, nach dem Gruß eine Mütze in die Höhe schleudernd, sie dann auffangend bei den Worten: „Die hab' ich mir so eben gekauft zu meiner Wanderschaft!" Etwas verwundert kam ich in's Befragen, er äußerte: „Ich bin ein freier Mann, weshalb soll ich der Cholera den Gefallen thun, hier zu bleiben!" - und ich erfuhr nun, daß er fürerst nach Leipzig, dann nach Dresden wolle. Zufolge seiner Angabe entzog er sich also der Cholera, und am nächsten Tage hatte er sich unterwegs erhängt. aus: Erlebnisse von F[riedrich] W[ilhelm] Gubitz- Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen. Bd. 3, Berlin 1869, S. 2f. Mitten in diese philosophischen Abende hinein brach bald eine Schreckenszeit, die nicht nur uns, sondern die ganze damalige Welt an die Endschaft aller idealen Träume und Gott sich gleich und verwandt fühlenden Stimmungen erinnerte. Die Cholera, der „asiatische Gast", wie sie hieß, die „Seuche", wie sie auf den Kanzeln genannt wurde, besuchte zum ersten Male Europa. Sie war das Schreckbild der Menschheit. Auf einem dürren Kosakenklepper schien sie zu kommen, die sieben Plagen als siebensträhnige Knute in der Hand, diese asiatische Giftmischerin, die in alle Brunnen, alle Ströme, in jede Nahrung den Keim des Todes warf. Ein hageres, fahles Weib mit zersaustem Haar - Schmutz an den Kleidern - das personifizierte - Erbrechen - ! Das war wahrscheinlich ein Gegensatz zur - Idealitätsphilosophie! Die Welt des Lichts, der Ahnung, der Schönheit in unserer Brust, und nun diese Cholerapräservative, diese wollenen Leibbinden, diese mit dunklem Wachstuch überzogenen Totenkörbe, diese besonderen, der Ansteckung wehrenden Anzüge der Wärter, diese Tafeln, die an die Häuser geheftet werden sollten, diese Cholerastationen in jedem Stadtviertel! Man glaubte an Ansteckung und Einschleppung. Man hatte gewiß recht. Denn sie war ja auf der Wanderung von Indien her, über den Ural, durch die Steppen Rußlands gekommen. Rußlands Freundschaft für uns, die heilige Allianz, die soeben den polnischen Aufstand niedergeworfen hatte, schien uns ein Geschenk des Dankes damit machen zu

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wollen. Von dem Elend, das zu erwarten stand, hatte das Volk entsetzliche Vorstellungen. Es fürchtete die Brunnen vergiftet, glaubte die Reichen von den Krallen der Harpyie verschont und sah ein Strafgericht Gottes verhängt über die Welt für all die Sünden, die sich seit dem durch Gottes Gnade verhängten Sturz Napoleons so bedenklich gemehrt hätten, besonders für den Unglauben. Und die Denker litten nicht minder. Diese standen unter dem gefährlichen Einfluß ihrer Phantasie - und ihrer Gelehrsamkeit. Die Seuche kam aus Indien, dem Lande der freiwilligen Selbstvernichtung. Es wurden Szenen des Entsetzens, der Verzweiflung, des Aufruhrs berichtet, die ganze Städte ergriffen haben sollten, andrerseits wieder Szenen des absoluten Gleichmuts, der dumpfen Ergebung in Leben und Tod, wo sich die Bande der Freundschaft und Liebe lockerten, die Mutter die Kinder vergaß, der Gatte die Gattin. Die Bilder der Pest, des „englischen Schweißes", des „Flagellantismus" entrollte unseren Gelehrten des Kastanienwäldchens Professor Hecker, der Historiker der Medizin. Für die Philologen, für Schleiermacher, Boeckh, entrollten sich die Blätter des Thucydides, die Bilder der Pest, die einen Denker, wie Anaxagoras, hatte bestimmen können, den freiwilligen Hungertod, das gräßlichste Sterbenwollen, dem noch gräßlicheren Sterbenmüssen vorzuziehen, der Pest, die einen Perikles, die göttliche Gestalt, als sie selbst schon von den Pfeilen des erzürnten Helios geritzt war, noch über die Opfer des Krieges und der Seuche seine berühmte Trauerrede halten ließ, in welcher sich auch nicht ein Hauch einer Hoffnung auf ein jenseitiges Widersehen und nur lediglich die Verstörung durch irdische Unsterblichkeit findet - ! Mit trüben Ahnungen gingen diese Männer. Schleiermacher predigte Liebe und Geduld; er beschwor seine Gemeinde um die Bewährung christlicher Tugend. Wie eben Berlin ist, so suchte es auch im Witz eine Hilfe und Zerstreuung. Man sprach damals von Boccaz, der sein Dekamerone für die Pest geschrieben hätte. Man verspottete den Chef des Medizinalwesens, Professor Rust, der eine absolut hermetische „Sperre" nach Osten angeordnet hatte, und ließ eine Karikatur erscheinen, einen Vogel mit dem Kopfe Rusts und der Unterschrift ,J>asser rusticus. Gemeiner Landsperling." Aber die Cholerastationen Thorn, Danzig, Frankfurt an der Oder kamen immer näher, und die Gebete in den Kirchen, sogar Schleiermachers Tränen (denn damals hat Schleiermacher, die kalte Natur, am Schluß jeder seiner Pedigten geweint) halfen nichts. Ich sah wiederum am Kastanienwäldchen die ersten sicheren Zeichen, daß - „sie" da war. So sprach man von ihr, wie jetzt vom „Er". Am Ende der Dorotheenstraße, im letzten Hause am kleinen Arm der Spree, die noch lange kein Eis ansetzen und eine Anti-Cholera-Temperatur einleiten wollte, lag das „Klinikum", ein bescheidener Anfang jener großen Schmerzensstätten, die jetzt der wundärztlichen Kunst in anderen Gegenden der Stadt aufgeschlagen sind. Auch dort war eine Cholerastation. Schon wurden mit fieberhafter Eile durch das welke Kastanienlaub die langen Cholerakörbe von Männern, die an die Totenbrüderschaft Roms erinnerten, getragen. Wen die gespenstige Giftmischerin nicht mit ihrer Geißel unmittelbar berührte, den ergriff ihr moralischer Einfluß, die Furcht, die bloße Vorstellung von ihren Schrecken. Die Krankheit sprang aus der Phantasie in den Unterleib. Das war eine satanische Ironie des Denkens=Sein! Die Raben krächsten in den Wipfeln. Kein jugendlicher Nachwuchs baute noch Laubhütten unter den alten Bäumen oder sammelte ihre braunen glänzenden Früchte, um sie zu Kränzen aufzureihen, die über die Schultern geworfen wurden. Alles schoß angstvoll aneinander vorüber und stand unter dem Druck der neuesten Nachrichten, die in den morgens erschienenen Zeitungen gestanden hatten über die Progression der Zahl der Erkrankten und Gestorbenen. Bald

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ging diese in die Tausende. Saphir schickte den Berlinern von München aus, wohin er gegangen war, den „Witz": Man sage nicht mehr: „Wie geht's Ihnen?", sondern: „Wie schwitzen Sie?" aus: Karl Gutzkow, Das Kastanienwäldchen in Berlin (1869), in: Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen, hrsg. v. Reinhold Gensei, Berlin, Leipzig, Wien o. J., Bd. 8, S. 46jf.

Trübe Herbsttage waren im Jahre 1831 über Berlin gekommen. Totenstille herrschte in den Straßen, Der „asiatische Gast", die Cholera, hatte zum erstenmal Europa berührt. Nichts hatte die Annäherung zurückhalten können. Keine Absperrung gegen Rußland und Polen, kein „Cholerakordon" in der Provinz Posen, der, da er zugleich Kordon gegen die Pest der Revolution sein sollte, die soeben in Polen nach den mörderischen Schlachten von Ostrolenka und Praga von Paskiewitsch niedergeworfen war, dem dazu verwendeten Militär als Kriegsjahr angerechnet wurde; umsonst, die Geißel Gottes, wie sie auf den Kanzeln genannt wurde, war da und sogar in Berlin, in der Hauptstadt der Intelligenz, einer Stadt wo Schinkel und Rauch und Humboldt lebten und das abstrakte Denken die Materie vergessen lehrte! Schleiermacher fand diesen Gegensatz zwischen Geist und Materie so fürchterlich, daß er darüber krank wurde, und Hegel erlag ihm unmittelbar. Trüber Gedanken voll stand ich in einer der Straßen Berlins, wo es empfindliche Gehörnerven jetzt vor dem Geräusch der Wagen nicht aushalten können. Damals wuchs in der Kochstraße ländlich ungestörtes Gras. Berlin zählte wenig über 200.000 Einwohner. Dennoch war die Zahl der täglichen Opfer, welche die Cholera fortraffte, schon auf 200 gestiegen. In jedem Viertel gab es Choleraspitäler. Diesen wurden die Kranken in langen mit Wachstuch überzogenen Körben überantwortet. Die Begräbnisse fanden des Nachts statt. Man hatte sich auf eine Haltung eingerichtet, wie sie im Mittelalter stattgefunden haben mochte, wenn die Pest hereinbrach. Alle Träger und sonstige Bediente beim Transportgeschäft trugen grüne wachstuchene Überkleider. Alles, was man berührte, roch nach Chlor. Wer Berlin verlassen konnte, entfernte sich. Auch für mich galt es damals, an der totenstillen Friedrichs- und Kochstraßenecke Abschied zu nehmen. Dort wohnte der Gegenstand meiner Liebe; dort auch der Freund, der mir noch einige Schritte vom Hause Nr. 70 das Geleit gab. Das Segel sollte gelichtet, die hohe See des Wagens und Erprobens der jugendlichen Kraft befahren werden. Die Blüte der Studentenzeit war schon lange verwelkt; jetzt vollends, wo alles „Mäßigkeit" predigte. Die Vorlesungen waren verödet, die Professoren einsilbig. Professor Hecker, der eine Geschichte der Medizin geschrieben, Monographien über den „Englischen Schweiß", über die Flagellantenwahnkrankheit, war in aller Munde. Was konnte nicht noch alles kommen an ähnlicher Ekstase! Schon hatte es Aufruhr um die Brunnen gegeben. Die Reichen vergifteten diese, hieß es, um die Armen zu vertilgen. Die Berufungen auf den Zorn des Himmels, die öffentlichen Voraussetzungen von der Kraft des Gebets wurden unerträglich. aus: Karl Gutzkow, Rückblicke auf mein Leben (1875), in: Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen, hrsg. v. Reinhold Gensei, Berlin, Leipzig, Wien o. J., Bd. 9, S. 40f.

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In diesen märchenhaften Zustand sollte nun eine fürchterliche Prosa, die Cholera, einbrechen. Ich übergehe eine Beschreibung der Beängstigung der Gemüther, welche das Herannahen dieser geheimnißvollen Krankheit damals verbreitete. Sie wurde der unaufhörliche Gegenstand der Unterhaltung. [...] Gegen Ende August reiste ich nach Berlin und erlebte hier den Ausbruch der Cholera. Wer irgend die Stadt hatte verlassen können, war entflohen. Dr. Matthies, später Professor in Greifswald, wollte sich als Licentiat der Theologie habilitiren. Da es an Opponenten mangelte, that ich ihm den Gefallen, ihm bei der Disputation in der großen Aula der Universität zu opponiren. Die Thesen dazu hatte ich Tags vorher per Stadtpost durchstochen und durchräuchert zugeschickt erhalten. Marheineke fungirte bei der Feierlichkeit als Dekan. Hegel wohnte vor dem Halleschen Thor im sogenannten Schlößchen im Kreuzberge, und ich erlebte die Feier seines letzten Geburtstages in Tivoli, die ich in seiner Biographie beschrieben habe. Ich war ganz sorglos und beobachtete mit Interesse die Wirkungen, welche die Krankheit in der Stadt hervorbrachte. Ich nahm sie als eine sociale Studie und hatte mich bald an den Anblick der in schwarze Wachsleinwand gehüllten Männer gewöhnt, welche die Kranken in verhüllten Körben zu den Hospitälern trugen. In dieser traurigen Zeit war es, wo ich Hegel und Marheineke persönlich näher trat, weil die meisten ihrer Bekannten verreist waren und sie deshalb mir eher ein Stündchen schenken konnten. - Ende September nahm ich Wohlgemuth Abschied von Ihnen und reiste mit der Schnellpost bis nach der Stadt Mailand, d.h. bis zu einem Gasthof dieses Namens auf einer Anhöhe vor Wittenberg, wo die Regierung eine Quarantaineanstalt eingerichtet hatte, die sich, wie ich erfuhr, unter der Leitung eines meiner ehemaligen Schulkameraden vom Kloster, des Regierungsrathes Daniell, befand. - Der Gasthof war ein großes viereckiges Gebäude, das einen Hof einschloß, in dessen Mitte eine kleine Fontaine plätscherte. Sie sollte vielleicht die italienische Benamsung des Hotels rechtfertigen; denn - gewissere Schmu[t]zereien ausgenommen - erinnerte sonst nichts hier an Italien. Neben diesem Hauptgebäude lagen Stallungen und Scheunen. Die letzteren waren zur Aufnahme der Handwerksburschen eingerichtet, die hier mit einem Strohlager vorlieb nehmen mußten. An jeder Ecke des Gasthofs und der Scheunen stand ein Wachposten mit scharf geladenem Gewehr. Ich war von Berlin aus der einzige Passagier in der Post gewesen. Im Dämmergrauen des Morgens, bei einem kalten Herbstnebel, langte ich an. Mein Koffer war schon in Berlin desinficirt und mit einem Kreuz von Chlorkalk bemalt. Ich selbst wurde sogleich in eine Kammer geführt, die man hinter mir zuschloß. Man entwickelte darin Chlordämpfe. Ich mußte so lange darin bleiben, bis ein an Erstickung grenzender Husten aufmerksam machte, mich herauszulassen, wenn man mich nicht tödten wollte. Nun wurde ich in das mir bestimmte Zimmer geführt, wohin mein Koffer bereits gebracht war. Hier fand ich zwei Personen vor, die nicht sehr zufrieden waren, sich so früh in ihrem Schlaf gestört zu sehen. Ich setzte mich stillschweigend auf einen Stuhl vor dem dritten, mir bestimmten Bett. Es verflossen nun ein paar sehr unerquickliche Stunden, bis wir beim Kaffee Bekanntschaft miteinander machten. Da ergab es sich denn, daß wir, im Ganzen genommen, gut zu einander paßten. Der eine der Herren war ein Pädagoge, Dr. Friedmann, der von einer Reise nach Rom und Neapel zurückkam, der andere ein Assessor Grimm. Wir hielten nun in unserer Gefangenschaft zusammen, gingen auf den Hof und die Chaussee, so weit die Schildwachen es erlaubten, zusammen spazieren, beobachteten die neu Ankommenden und die Abreisen-

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den, kritisirten die Einrichtungen, rauchten viel Cigarren und tranken viel Rothwein, den wir uns durch einen Boten von Wittenberg bringen ließen. Zuweilen erwischten wir auch ein Exemplar der Zeitung, die uns von der übrigen Welt und von dem weiteren Vorrücken der Cholera Kunde gab. Wenn wir Abends vor dem steilen Rande der einen Chausseeseite die Stadt Wittenberg in der Ferne vom Sonnenschein überglänzt als ein verbotenes Paradies vor uns erblickten, so hätte ich nie geglaubt, daß sie mir so poetisch erscheinen könnte, als meine Situation mir jetzt ihre Mauern und Thürme vorführte. Acht Tage mußte ich in derselben aushalten. Am fünften Tage reiste Dr. Friedmann, am sechsten Assessor Grimm ab, so daß ich am siebenten das Gefühl der Gefangenschaft in meiner Vereinsamung nicht stärker empfand, bis ich am achten mit der Schnellpost nach Halle abfahren durfte. Hier trat ich nun in den gewöhnlichen Lauf der Dinge ein, bis Leo mir am sechzehnten November die Nachricht brachte, daß Hegel am vierzehnten an der Cholera gestorben sei. Dies war ein harter Schlag, der mich in's Innerste traf, denn Hegel war nicht nur ein großer Philosoph und großer Lehrer, er war auch ein höchst rechtschaffener, liebevoller Mensch, den ich bei meinem letzten Aufenthalte in Berlin, wo ich ihn auch in seinem glücklichen Familienleben kennen lernte, tief in mein Herz geschlossen hatte. aus: Karl Rosenkranz, Von Magdeburg nach Königsberg, Leipzig 1878, S. 458ff. Recht augenscheinlich wurde das innige Bündnis mit Rußland im Jahre 1831 bei den vielfachen Verletzungen der Neutralität, welche Preußen im Kampfe zwischen Polen und Rußland einzunehmen sich verpflichtet hatte. Auch der Berliner Bürgerschaft, welche sich sonst doch so wenig um äußere Politik bekümmerte, flößte gerade damals die blinde Theilnahme der Regierung für Rußland ernste Besorgnisse ein, denn sie drohte ihr einen fürchterlichen Gast, die Cholera, zu bringen. In Rußland und Polen hauste die Cholera mit entsetzlicher Wuth, sie entvölkerte den Osten Europas und näherte sich mehr und mehr den deutschen Grenzen. Noch heute hat die Wissenschaft diese räthselhafte Krankheit weder in ihren Ursachen noch ihrer Natur nach zu ergründen vermocht. Noch immer streiten die Aerzte darüber, ob und in welcher Art die Cholera ansteckend sei, damals aber wußte man fast nichts über das Wesen jener Krankheit. Der allgemeine Glaube neigte sich dahin, daß sie, wie die Pest, durch den Contakt anstecke, daß ihre Verbreitung durch strenge Abschließung der Länder, in denen die Krankheit herrsche, verhindert werden könne. Gerade in Berlin hatte der Glaube an die kontagiöse Ansteckung am festesten Wurzel gefaßt, weil er hier durch einen der ersten und berühmtesten Aerzte, den Geh. Rath und Präsidenten Rust, gepredigt wurde, weil auch die Staatsbehörden, durch den Einfluß dieses Mannes veranlaßt, sich für die Ansteckungstheorie erklärten und hiernach die Maßregeln trafen. Nur durch die strengste Grenzsperre gegen Rußland und Polen konnte, so glaubte man in Berlin fast allgemein, die fürchterliche Krankheit von Deutschland ferngehalten werden. Daß die preußische Regierung einen militärischen Grenzkordon zog, der den russischpreußischen Handel fast vernichtete, verargten deshalb auch nur wenige vorurtheilsfreie Männer den Leitern des Staats, um so bitterer aber wurde es empfunden, daß Preußen seine Neutralität verletzte, daß zwischen den in Polen kämpfenden russischen Truppen und den preußischen Grenzfestungen ein reger Verkehr stattfand, daß die Russen von hier aus mit Kriegsmaterial und Lebensmitteln vielfach reichlich unterstützt wurden.

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Dem einfachen gesunden Verstände des Volkes erschien es widersinnig, wenn auf der einen Seite Handel und Verkehr des ganzen Landes gestört wurden, um die Ansteckung abzuschneiden, während auf der anderen Seite jede solche Vorsichtsmaßregel außer Augen gesetzt wurde, wenn es galt, die russischen Truppen zu unterstützen. Der Magistrat von Königsberg richtete deshalb eine Adresse an den König, in welcher er sich darüber aussprach, daß eine solche Maßregel, die Sperrung der Grenze, welche zur Vernichtung des Handelsverkehrs führe und dagegen die Aufhebung der Sperrung behufs Verpflegung der russischen Truppen jeder gesetzlichen Ordnung Hohn spreche. Er erhielt eine höchst ungnädige Antwort. Der König, so hieß es in derselben, habe aus der Eingabe des Königsberger Magistrats mißfällig ersehen, wie ungemessen sich der Magistrat über die höheren Behörden äußere. Der Magistrat habe als Obrigkeit der Stadt die Verpflichtung, das Vertrauen der Bürger zu den Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung zu wecken und zu erhalten, deshalb sei es seine Pflicht gewesen, das Volk zu beruhigen, statt mit vermeintlicher besserer Einsicht Besorgnisse laut werden zu lassen. Aehnlich wurden auch Adressen aus andern Städten auf das ungnädigte beantwortet; aber die Königlichen Worte trugen in keiner Beziehung zur Beruhigung bei. Die Unzufriedenheit über die Regierung vergrößerte sich, und sie erhielt um so mehr Nahrung, als nun wirklich die Cholera nach Preußen kam, als sie in Danzig, Posen und Königsberg zu wüthen begann und als jetzt plötzlich die Behörden gegen die Krankheit Maßregeln ergriffen, welche ganz geeignet waren, den Wohlstand der unglücklichen, von der Cholera ergriffenen Städte für viele Jahre zu vernichten. Besonders schwer wurde Danzig betroffen. Man schnitt die Stadt von jedem Verkehr mit dem übrigen Lande ab und ruinirte dadurch den Handel auf lange Zeit, ohne das Geringste zu erzielen, denn unaufhaltsam drang die furchtbare Krankheit weiter. Noch war die Krankheit von Berlin viele Meilen weit entfernt, und doch herrschte in der Residenz eine fabelhafte Furcht vor derselben, welche durch die Regierungs-Behörden fortwährend genährt wurde. Es gab damals nur ein Thema des Gesprächs in allen Kreisen der Gesellschaft Berlins: die Cholera! Wird sie auch nach der Hauptstadt kommen? welche Maßregeln sollen ergriffen werden, um sie abzuhalten, welche, um sich vor ihr zu schützen, wenn sie dennoch kommt? Eine Fluth von Schriften überschwemmte den Büchermarkt; die meisten waren ohne den geringsten wissenschaftlichen Werth, aber sie wurden trotzdem eifrig gekauft, ebenso die zahlreich feilgebotenen und angepriesenen, oft geradezu unsinnigen Heil- und Vorbeugungsmittel. Die ganze Broschürenmasse aber folgte einer Richtung, in allen Schriften wurde die Ansteckungstheorie gepredigt, in allen die strengste Abschließung der von der Cholera ergriffenen Ortschaften, die hermetische Absperrung der Häuser, die Desinfizirung und das Heer der andern Maßregeln, auf welche wir nicht zurückkommen werden, gefordert. Die Ausschließlichkeit der einen Theorie hatte ihren Grund in der engherzigen Anschauung der Medizinal-Behörden. Der Geh. Rath Rust, der das preußische Medizinalwesen damals fast despotisch beherrschte, duldete keine der seinigen entgegengesetzten Ansicht. Seinem Einfluß gelang es, jede Meinungsäußerung zu unterdrücken, welche der Anstekkungstheorie widersprach. Die Censoren wurden angewiesen, mit unbarmherziger Strenge Alles zu streichen, was die Ansicht des Herrn Rust bekämpfte.

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Eine wirklich eingehende und wissenschaftlich fruchtbringende Erörterung wurde hierdurch natürlich unmöglich gemacht. Die Kontagionisten, die Anhänger der Ansteckungstheorie, durften schreiben, was sie wollten, während die Censur ihre Gegner mundtodt machte. Schon im Winter hatte die Regierung eine Deputation von Aerzten nach Moskau gesendet, um sich über das Wesen der Cholera zu unterrichten. Als einer dieser Aerzte das Resultat seiner Beobachtungen, welches einer kontagiösen Ansteckung widersprach, veröffentlichen wollte, nahm weder die Preußische Staatszeitung den Aufsatz auf, noch durfte er in einem andern Blatte erscheinen; der preußische Arzt mußte, um ihn drucken zu lassen, zum Hamburger Correspondenten seine Zuflucht nehmen. [...] Dem Gesetze über die Sperre und Quarantaine zum Trotz kam die Cholera immer näher nach Berlin. Die Contagionisten hätten vernünftigerweise einsehen sollen, daß alle ihre Sperrungsmaßregeln nur den gewerblichen Verkehr hemmten, ohne den Fortschritt der Krankheit aufhalten zu können. Zu solcher Erkenntnis aber kamen sie noch nicht, sie glaubten im Gegentheil, die bisherige Sperrung des Landes sei nicht streng genug gewesen; trotz derselben hätten einige Uebertretungen stattgefunden, also sei eine noch größere Strenge geboten. Vor Allem sei es nöthig, das Volk von Berlin in die höchste Furcht vor der Cholera zu jagen, dann werde es willig sich allen den gehässigen Sperrungs-, Contumazund Desinfizirungs-Maßregeln unterwerfen. In Berlin wurde auf Königl. Befehl aus hohen Militair-, Staats- und städtischen Beamten ein Gesundheits-Comite gebildet, welches unter Leitung des Stadt-Kommandanten GeneralLieutenant von Tippeiskirch über die zu ergreifenden Maßregeln berathen sollte; zu den Mitgliedern dieses Comite's gehörten außerdem noch mehrere Aerzte. Ueber alle in die Stadt einpassirenden Fremden wurde die strengste Kontro[l]le geübt; an den Thoren standen Wachen und Polizeibeamte, welche zu prüfen hatten, ob etwa die Fremden aus verdächtigen Gegenden kamen. Auch die Gasthöfe wurden zu diesem Zwecke extrascharf überwacht. Der Unglückliche, dessen Heimath der Cholera verdächtig war oder der auf seiner Reise einen verdächtigen Landstrich passirt hatte, wurde ohne Weiteres in die Kontumaz gebracht, um dort 10 Tage Quarantaine zu halten. Darauf, ob ihm aus dieser Maßregel die schwersten Verluste erwuchsen, nahm man nicht die geringste Rücksicht. Zur Kontumaz-Anstalt war das sogenannte Schlößchen vor dem Frankfurter Thore eingerichtet. Wichtiger wäre es wohl gewesen, Fürsorge anderer Art zu treffen, z.B. CholeraLazarethe in genügender Zahl einzurichten, um für den Empfang des schauerlichen Gastes gerüstet zu sein. Dies aber geschah nur in höchst unzureichendem Maße, weil Stadt und Staat im Streite lagen, von welcher Seite die Kosten solcher Einrichtungen zu tragen seien. So wurde denn vorläufig nur das Pockenhaus in der Kirsch-Allee, sage 13 Betten!! - eingerichtet und erst als die Krankheit wirklich ausgebrochen war, kam man dahin, weitere Fürsorge für die Aufnahme der Kranken zu treffen. Wenn man saumselig mit wirklich praktischen Maßregeln beim Ausbruch der Krankheit war, so zeigte man sich um so fleißiger mit dem Erlaß von Verordnungen, mit Warnungen an die Einwohner, mit Verbreitung von Schriften über die Cholera und des bei der Krankheit anzuwendenden Heilverfahrens, durch die man nichts erzielte als eine Vergrößerung der allgemein herrschenden Unklarheit und Furcht. Lesen wir heut die am 28. Juni 1831 erlassenen Verordnungen für den Fall eines plötzlichen Ausbruchs der Cholera in Berlin, dann wird es uns wahrlich schwer, zu glauben, daß

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noch nicht 50 Jahre zwischen jener Zeit und dem heutigen Tage liegen, einen solchen wunderbaren Mischmasch von vernünftigen Anordnungen und kaum zu glaubenden Unsinn, dessen geistiger Urheber der Herr Präsident Rust war, bildeten jene Gesetze. Wir müssen zur Charakteristik jener Zeit auf dieselben etwas näher eingehen. Unter der Oberleitung des bereits erwähnten Gesundheits-Comite's wurde unter dem Vorsitz des Polizei-Präsidenten von Berlin ein Lokal-Comite eingesetzt, und diesem die Aufgabe ertheilt, für Anschaffung und Beaufsichtigung von Cholera-Heil-Anstalten und Cholera-Kirchhöfen, von Contumaz-Anstalten etc. zu sorgen. Das Cholera-Comite hatte außerdem für die Verpflegung der Armen in ihren Wohnungen und in den ContumazAnstalten zu sorgen, Aufsichts- und Wärter-Personal anzustellen und überhaupt die Oberaufsicht über alle für Berlin zu treffenden Maßregeln zu führen, auch bildete es die vorgesetzte Behörde der Bezirks-Schutzkommissionen. Die Bezirksschutz-Kommissionen wurden von den Stadtverordneten aus Bürgern der Stadt erwählt, um ihrerseits in ihrem Bezirke die sanitätspolizeiliche Aufsicht zu führen. Zu jeder Bezirksschutz-Kommission gehörten außer den Bürgern auch ein Arzt und ein Polizeibeamter, die vom Polizei-Präsidenten zu ernennen waren. Die Schutz-Kommission hatte sich nach dem etwaigen Ausbruch der Krankheit täglich zweimal zu versammeln, ihren Mitgliedern wurden die Befugnisse obrigkeitlicher Personen gewährt. Gleich nach ihrem Zusammentreten waren die Kommissionen verpflichtet, die Häuser und Wohnungen in ihrem Bezirk zu untersuchen, um über die Gesundheitsverhältnisse ihrer Bewohner Bericht zu erstatten. Sie hatten für die höchste Reinlichkeit im Bezirk Sorge zu tragen, ihren Befehlen mußten die Einwohner gehorchen. Jeder Hauseigenthümer wie jeder Miether war verpflichtet, den Mitgliedern der Schutzkommissionen unweigerlich Eintritt in sein Haus und seine Wohnung zu gestatten, ihm auch jede gewünschte Auskunft zu ertheilen. Die Schutz-Kommission hatte ihre Aufmerksamkeit auch auf diejenigen Fremden zu richten, welche nach Berlin kamen. Sollte es je einem Reisenden gelungen sein, die Wachen zu umgehen, und so der gehaßten Quarantaine zu entfliehen, so mußte die SchutzKommission dies sofort der Polizei mittheilen, damit der Verdächtigte noch nachträglich zur Contumaz befördert werden konnte. Nach dem Ausbruch der Krankheit in Berlin hatte die Schutz-Kommission außerdem das Amt, ihre Aufmerksamkeit auf die erkrankten Personen zu richten. Sie hatte zu diesem Behufe das Recht, sich von dem Befinden jedes einzelnen Einwohnern des Bezirks zu überzeugen. Konnten schon diese weitgehenden Befugnisse der Schutz-Kommissionen manche Besorgnisse erregen, so waren doch weit bedenklicher die Maßregeln, welche zur Vermeidung der Verbreitung der Cholera in den Verordnungen anbefohlen wurden. [...] Die seltsamen und widersinnigen Anordnungen, von denen wir nur einen kleinen Theil aus der Vergessenheit hervorgezogen haben, erregten in der Hauptstadt eine wahrhafte panische Furcht vor der entsetzlichen Krankheit. Ein Reisender der unmittelbar vor dem Ausbruch der Cholera das leichtfertige Berlin besuchte, erzählt, daß er die preußische Residenz gar nicht wiedererkannt habe. Es sei nicht möglich gewesen, von einem Berliner ein vernünftiges Wort herauszubringen, „spricht man von Politik, so ist die Antwort: man soll schon in Charlottenburg einen Cholerafall beobachtet haben; fragt man nach dem Theater, so wird erwidert: einen Dampfapparat müsse doch jeder vorsichtige Mann im Hause haben. Cholera! Cholera und nichts als Cholera! Wo man geht und steht, hört man von Cholera! Im

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Gasthofe an der Mittagstafel, im Theater während der Zwischenakte, im Familienkreise des Handwerkers wie auf Hofbällen, giebt es nur ein Gespräch: die Cholera! ja selbst in der Kirche hört man während der Predigt hier und da das leise geflüsterte Wort: Cholera!" Die Cholerafurcht nahm so überhand, daß sie zum Wahnsinn ausartete. Eine alte Frau erhängte sich, um nicht die Cholera zu bekommen. In allen Familien wurden Vorbereitungen getroffen, um für den Ausbruch der Krankheit gerüstet zu sein. Man verproviantirte sich, um so wenig wie möglich mit andern Menschen in Berührung zu kommen. Cholera-Apotheken wurden angeschafft, Dampfapparate konstruiert, und alle Präservativmittel, welche die Staatszeitung in reicher Fülle anpries, hatten einen hohen Preis. Am 29. August wurde der erste Fall gemeldet: Auf einem Torfkahn bei Charlottenburg starb ein Schiffer, und schon am folgenden Tage brach die Krankheit auf einem Kahn, der am Schiffbauerdamm lag, in Berlin selbst aus. Das Heer der Verordnungen sollte nun in Kraft treten, Berlin völlig abgesperrt werden, um nicht das übrige Land zu verpesten. Von diesem Schicksal, welches schwere Verluste für den gesammten Handel und Verkehr unausbleiblich zur Folge gehabt haben würde, blieb indeß die Hauptstadt verschont. Die Nutzlosigkeit der Militair-Cordon's hatte sich so augenscheinlich gezeigt, daß König Friedrich Wilhelm III. mit dem ihm eigenen klaren Verstände wohl erkannte, es sei nöthig, der unsinnigen Sperre ganzer Ortschaften und Landstriche Einhalt zu gebieten. Er hätte vielleicht auch die übrigen seltsamen Verordnungen aufgehoben, denn er soll selbst nicht recht an den Erfolg derselben geglaubt haben, - das aber gab der Herr Geheime Rath Rust nicht zu. Er verharrte noch immer fest bei seiner Ansicht, daß die Verbreitung der Krankheit nur durch strengste Absperrungsmaßregeln gegen Kranke und der Ansteckung Verdächtigte verhindert werden könne. Die meisten der unsern Lesern bekannten Verordnungen blieben deshalb in Kraft, während durch eine Kabinets-Ordre vom 6. September wenigstens die militairischen Cordon's beseitigt wurden. Die Krankheit nahm nach dem Ausbruch in Berlin langsam zu. Es erkrankten in den ersten drei Tagen 17 Personen, am 5ten Tage 20, am 8ten 26, am 13ten 43 etc. Die Berliner hatten sich die Seuche viel schlimmer vorgestellt, trotzdem zeigten sie in den ersten Wochen der Epidemie noch immer jene wahnsinnige Furcht, welche von dem Geheimen Rath Rust und seinen Gesinnungsgenossen erzeugt und genährt worden war. Ich war beim Ausbruch der Cholera in Berlin ein Knabe von 8 Jahren. Mein Gedächtniß ist nicht besonders stark und viele wichtigere Ereignisse meiner Kindheit sind mir entschwunden, aber die Eindrükke, welche die erste Cholerazeit in Berlin machte, sind unverlöschlich geblieben. Ich sehe noch den traurigen Zug* eines Kranken, der im Korbe nach dem Lazareth getragen wurde. Vor der warnenden Klingel flüchteten voll Grauen alle Begegnenden in die nächsten Häuser, aber die Neugierde trieb sie doch, aus den halb geöffneten Thüren dem Zuge nachzuschauen, dessen Aeußeres, das abenteuerliche Kostüm der in schwarzen Glanz-Taffet gekleideten Träger, schon Entsetzen erregte. Unvergeßlich wird mir ein kecker, übermüthiger Schusterjunge sein, der neben dem Zuge her bald auf den Füßen, bald auf den Händen, den Bürgersteig entlang lief und dabei unaufhörlich schrie: „Man nicht jraulich machen, ick kriege keene Cholera", bis ihn endlich der vornangehende Polizist durch ein paar tüchtige Jagdhiebe verscheuchte. Die Berliner Straßenbuben zeigten sich in jener Zeit mit ihrer naturwüchsigen Unverschämtheit am tapfersten und haben wesentlich dazu beigetragen, die alberne Cholerafurcht zu verscheuchen. Die

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unglücklichen Aerzte, welche in den ersten Tagen mit Wachstuchmantel und Maske in den Straßen erschienen, um ihre Cholerakrankenbesuche zu machen, wurden so unbarmherzig von den Gassenbuben verspottet, daß sie bald genug sich gezwungen sahen, die auffallende Tracht zu Haus zu lassen. Mehr und mehr brach die gesunde Vernunft sich Bahn, als die Bürger von Berlin beobachteten, daß einerseits die Krankheit so fürchterlich, wie sie geschildert, gar nicht sei, und daß andererseits alle die unsinnigen Absperrungsmaßregeln, Räucherungen, Desinfizirungen des Geldes und der Waaren sich als völlig nutzlos erwiesen. Der gute Muth kam bald den Berlinern wieder, der alte Berliner Witz machte sich geltend und wendete seine Schärfe gegen die Kontagionisten, am meisten gegen den Herrn Geheimen Rath Rust, den Urheber aller unsinnigen Verordnungen. Es erschien eine viel verbreitete Karikatur. Sie zeigte einen Sperling mit dem Gesicht des Geh. Rathes, der in das berühmte Cholerakostüm gekleidet war und die einfache Unterschrift passer rusticus trug. Herr Rust erhielt seitdem den Spottnamen des „Cholera-Sperlings". Während beim Anfang der Epidemie die Furchtlosen eine seltene Ausnahme in Berlin gewesen waren, wurden bald die Furchtsamen verlacht und verspottet. In den ersten Wochen hatten alle über die Cholera handelnden Druckschriften, die Präservative, die Dampfapparate und Medikamente einen so starken Absatz gehabt, daß die Handeltreibenden mit diesen Artikeln die glänzendsten Geschäfte machten. Bald aber hörte der Verkehr darin fast ganz auf, man hatte sich von der Nutzlosigkeit derselben überzeugt. Ja, man konnte es sogar riechen, daß der Glaube im Publikum an die Zweckmäßigkeit der Desinfizirungen etc. gewichen sei, denn in den ersten Tagen drang aus allen Häusern dem Spazierengehenden der Dampf von Chlor und anderen Räucherungsgegenständen in die Nase. Wohin man kam, wurde man mit Desinfektionsprozeduren ennuyirt, weil jeder in dem Verdachte stand, er könne die Ansteckung bringen. Davon war schon im Oktober wenig, im November fast gar nichts mehr zu spüren. Die Theater und anderen Vergnügungsorte, welche anfangs leer gewesen waren, füllten sich wieder, die große Zahl des Publikums ging wie früher den Geschäften und den Lustbarkeiten nach. Ein wesentliches Verdienst für die Befreiung der Berliner von der albernen Furcht hat sich eine eigenthümliche Zeitschrift erworben. Gleich nach dem Ausbruch der Krankheit in Berlin wurden zwei Cholerazeitungen gegründet, welche nichts brachten, als Nachrichten über den Stand der Krankheit, Geschichten bemerkenswerther Kuren etc. Die eine dieser Zeitungen wurde von dem Medizinalrath Casper, die andere von dem praktischen Arzt Dr. Sachs redigirt. Die erste war das amtliche Organ, die zweite hingegen ein freies Unternehmen, welches sich die Aufgabe stellte, der gesunden Vernunft das Wort zu reden. Anfangs hatte Dr. Sachs schwere Kämpfe zu bestehen. Die Censur strich unbarmherzig alle Artikel, welche sich gegen die contagiöse Ansteckung, gegen Sperrungsmaßregeln etc. richteten. Bald aber änderte sich die herrschende Strömung, die Redaktion erhielt größere Freiheit und kämpfte nun mit beißendem Witz und glänzendem Erfolg gegen die Theorie des Herrn Geh. Rath Rust. Sie bewies so unwiderleglich die völlige Nutzlosigkeit der meisten angeordneten Sperrmaßregeln, der Kontumazen etc., daß die Behörden nach und nach weniger peinlich in der Durchführung derselben wurden. Der Magistrat fühlte sich veranlaßt, die Vorsteher der Bezirksschutz-Commissionen über die Nützlichkeit der Sperrmaßnahmen zu befragen. Er erhielt eine überraschende Antwort.

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Von 59 Vorstehern erklärten 51 sich für die vollständige Aufhebung, weil diese Maßregeln 1) niemals vollständig durchzuführen und schon deshalb unnütz, 2) wahrscheinlich nicht nothwendig, 3) kostbar und störend für den Verkehr und 4) sogar schädlich für die Kranken seien, indem vielfach Bürger aus Furcht vor den Kontumaz-Anstalten, nicht vor der Cholera, sich weigerten, den Kranken hülfreiche Hand zu leisten, da sie durch solche Hülfe 5 resp. 10 Tage lang ihren Geschäften entzogen würden. Auch am Königlichen Hofe hatte sich am Beginn der Epidemie die kleinliche in ganz Berlin herrschende Furcht geltend gemacht. Schloß und Park von Charlottenburg, wo die Königliche Familie residirte, waren von jedem Verkehr mit dem Publikum abgesperrt worden, aber der gesunde Sinn des Königs ließen diesen bald das Thörichte der Cholerafurcht erkennen, die Absperrungsmaßnahmen wurden deshalb schon nach kurzer Zeit aufgehoben. Da der Hof sich vorurtheilsfrei zeigte, glaubten die Behörden auch nachsichtig sein zu müssen. Als Anfang November der berühmte Philosoph Hegel an der Cholera erkrankte und starb, gaben sie dem allgemeinen Wunsche seiner vielen Verehrer nach. Hegel wurde 48 Stunden nach seinem Tode am Tage ganz in üblicher Weise ohne die albernen für Choleraleichen gebotenen Formalitäten auf dem gewöhnlichen Kirchhof begraben und zahllose Freunde folgten dem Dahingeschiedenen. Das Gesetz war damit durchbrochen, es wurde nicht wieder in voller Strenge zur Durchführung gebracht. Alle die von uns erwähnten Verordnungen wurde eine nach der andern entweder förmlich aufgehoben oder stillschweigend nicht mehr ausgeführt, bis sie endlich durch das Erlöschen der Epidemie von selbst sich erledigten. * Der Anblick des ersten Cholera-Krankentransports hatte zwar auf mich und meine, einige Jahre älteren Brüder einen tiefen, schauerlichen Eindruck gemacht; dies hinderte uns aber nicht, und, als wir nach Hause zurückgekehrt waren, mit vollem Appetit an die unreifen Pflaumen im Garten zu wagen, ohne daß wir davon einen andern Nachtheil gehabt hätten, als den einer recht empfindlichen körperlichen Strafe. Der Vater überraschte uns bei unserer angenehmen Beschäftigung und machte uns die Schädlichkeit unreifen Obstes bei Cholerazeiten auf schlagende Weise klar. aus: Adolf Streckfuß, 500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt. Geschichte und Sage, 3. Aufl., Bd. 2, Berlin 1880, S. 775ff. Diese erste politische Bewegung im Volke ward jedoch sehr bald in den Hintergrund gedrängt durch die Nachricht, daß in Rußland ein verheerendes Sterben ausgebrochen sei, welches, von Innerasien herübergekommen, westwärts fortschreite, die ahnungslosen Menschen überfalle und dezimiere. Die Cholera war im Anzüge. Was fremde Erfahrung bekannt gegeben, was die medizinische Wissenschaft dem fremden Gaste entgegenzustellen wußte, ward seitens der staatlichen Behörden veranlaßt. Die russische Grenze wurde durch einen Militärkordon abgesperrt, jeder russische Flüchtling abgewiesen, der Handelsverkehr aufgehoben. Trotz allem erschien die Krankheit in Berlin am 29. August und nahm täglich einen heftigeren Charakter an. Der Schrecken war ein gewaltiger. Viele Familien verließen die Stadt, weil sie meinten, der Seuche entfliehen zu können; andere verproviantierten sich und sonderten sich, so gut sie konnten, vom öffentlichen Verkehr ganz ab. Die Furcht aber blieb allen. Erst nach langen traurigen Erfahrungen kam man zur der Erkenntnis, daß Reinlichkeit

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der Wohnungen und Häuser sowie eine angemessene Diät am besten gegen die Verbreitung der Krankheit zu schützen vermöchte. Es erschien als großes Übel, daß der Chef des preußischen Medizinalwesens Geh.-R. Dr. Rust von der fernwirkenden Übertragungstheorie so durchdrungen war, daß er andere Meinungen gar nicht aufkommen ließ. Die lächerlichsten, kaum glaublichen, des 19. Jahrhunderts unwürdigen Verordnungen sind damals erlassen worden; sie trugen nicht zur Beruhigung, sondern zur Aufregung der Gemüther bei und wurden zuletzt, weil unausführbar, zurückgenommen. Mit Recht war schon vor dem Ausbruch der Krankheit in Berlin ein Gesundheitsrat gebildet worden, welcher für die einzelnen Polizeibezirke sogenannte Schutz-Kommissionen eingerichtet hatte. Ich war Vorsteher einer solchen im Kottbusertor-Bezirk innerhalb der Grenzen meiner Armen-Kommission. Allwöchentlich, nach Bedürfnis öfter, tagten die Vorsteher derselben zu gegenseitiger Belehrung mit den Mitgliedern des Gesundheitsrates, dessen Vorstand Geh.-R. Dr. Rust, Geh.-R. Dr. Casper, Polizei-Präsident von ArnimGerswalde, Stadtrat de Cuvry und Stadtsyndikus Möves bildeten. Rust und Casper verlangten strengste Absperrungsmaßregeln im Verkehr etc.; der Polizei-Präsident v. Arnim aber verwarf von Anfang an die geforderte Strenge als unausführbar und willigte nur in die gebotene Kontrolle, je nachdem die Umstände sie rechtfertigte. Dem Widerstande dieses Mannes gebührte der Dank, daß Maßregeln, wie die Absperrung der Straßen mittels eiserner Ketten, der Verschluß der Häuser, in welchen Personen erkrankten, daß Erschweren der Zufuhr von Lebensmitteln zu denselben nicht zur Ausführung gelangten. Doch konnte niemand hindern, daß öffentliche Blätter die Namen der erkrankten Personen mitteilten, die infizierten Häuser mit schwarzen Tafeln versehen wurden, die Ärzte sich in wachstaftene Kleider steckten, und die einziehenden Fremden in die sogenannte Kontumazanstalt zu zehntägiger Beobachtung verwiesen wurden. Für Einrichtung besonderer Lazarette, Kranken träger-Kolonnen, für Krankentragkörbe, mit Wachstaft ausgeschlagen, war rechtzeitig gesorgt und ein besonderer Kirchhof für die an der Cholera verstorbenen Personen eingerichtet worden. An jedem Krankenkorbe und Leichenwagen befand sich eine Klingel zur Mahnung, dem Zuge auszuweichen. Alle Briefe und Paketsendungen von außerhalb wurden durchstochen und durchräuchert. Der König und der Hof wohnten in Charlottenburg. Niemand durfte dort das Schloß oder den Garten betreten; der Verkehr wurde durch ein mit sehr hohem Bretterzaun umschlossenes Nachbarhaus vermittelt. Dennoch erkrankten Personen vom Hofgesinde. Es gab während dieser Zeit ängstliche Gemüter, welche die ihnen innewohnende Furcht nicht überwinden konnten. Ich hatte in dieser Hinsicht mit meinem Revierleutnant Mahlo viel zu kämpfen, der sich in dem Gartenhause des Bäckermeister Seifert zurückgezogen hielt. Zeit und empfangene Lehren milderten die anfänglichen Härten, machten die Menschen vertrauensvoller und aufmerksamer auf sich selbst und gaben den Anstoß zu den verschiedenen Maßnahmen sanitärer Verbesserungen in den Zuständen Berlins. Nach eingetretenem Erlöschen der Seuche atmeten die geängsteten Menschen wieder auf. Die bis dahin geschlossenen Schulen wurden geöffnet, und die Bevölkerung suchte und fand das Gleichgewicht wieder in dem regeren Verkehr mit der zur Zeit im herrlichen Blütenschmuck prangenden Gottesnatur. aus: Heinrich Eduard Kochhann, Tagebücher, Bd. 2 [Berlin 1905], S. 5 I f f .

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Der erste Krankheits- und Todesfall im Berliner Gebiet ereignete sich in Charlottenburg; ein Schiffbauer fiel ihm zum Opfer. Etwas tragikomisch wirkte der weitere Bericht: Zwei Schifferknechte sollen die Leiche in einem Kahn fortschaffen. Von fürchterlicher Angst befallen, tranken sie sich zunächst Mut an und gleich in solchem Maße, daß beim Einsteigen der Kahn umkippte und beide samt der Leiche ins Wasser fielen. Nach anderen Berichten sollen sie ertrunken und nur die Leiche gerettet worden sein; im Tagebuch wird hierüber aber nichts erwähnt. Charlottenburg war voll besetzt mit Sommergästen; eilig räumten sie ihre Quartiere und flohen in die Stadt. Auch der König, der sich mit seiner Gemahlin, der Fürstin Liegnitz, im Charlottenburger Schloß aufhielt, siedelte auf Drängen des Hofstaats und besonders der Ärzte nach Berlin über. Als man zur Eile mahnte, soll er gesagt haben: „Sie erlauben doch, daß [ich] wenigstens erst noch frühstücke." Man stand dem Wesen der Krankheit ganz unwissend gegenüber. Die Sperrmaßnahmen des Präsidenten Rust waren abwegig und völlig wirkungslos, hemmten zudem jeden Handel und Wandel in einer Weise, daß alles ins Stocken geriet. Bald war Rust die bestgehaßte Persönlichkeit im Staate. Der Berliner Witz nannte ihn den gemeinen Hausperrling oder den preußischen Sperrling. - Eine Unmenge Schrifttum über die Krankheit erschien, aber ohne Klarheit zu bringen. Mit der Mehrung der Krankheitsfälle wuchs die allgemeine Aufregung, die Cholera wurde zum Tagesgespräch. „Cholera und immer wieder Cholera", heißt es im Tagebuch, oder „Cholera wieder einziger Gesprächsstoff. Auch im Poststraßenhaus wird ein Choleraschrank eingerichtet, mit Wolldecken und Medikamenten reich ausgestattet; die Kinder erhalten Leibbinden. Im übrigen erkennt Knoblauch richtig, daß eine streng geregelte Diät das beste Schutzmittel sei. Für ein erfolg versprechendes Mittel setzte sich Frau Dr. August, die Gattin des Directors des Cöllnischen Realgymnasiums, ein; ihr Bruder war in der Türkei an Cholera erkrankt und hatte Rettung in der dort oft geübten Behandlung gefunden, indem ihn alte Weiber in Wolldecken gepackt und ihn förmlich „gemangelt" hätten, so daß er mächtig in Schweiß gekommen. Es sei dort auch üblich, Schwefelfäden um Leib, Brust und Arme zu tragen. Nach dem Tagebuch fand das auch in Berlin viel Nachahmung. Weiter stieg die Zahl der Erkrankungen und Todesfalle. In der Gewerbeschule erkrankten so viele Lehrer, daß man vor der Frage stand, die Schule zu schließen: „Scharfe und bittere abweichende Meinung über das Schließen der Gewerbeschule zwischen Bärensprung und Klöden. Die schroffe Art Bärensprungs kränkte Klöden wieder sehr. Klöden kam recht bekümmert zu mir; ich suchte ihm gut zuzureden. Er wird nun vorschlagen, unter den obwaltenden Umständen einen halben Tag Schule zu halten. Sehr beklagenswert ist der Tod des Schreiblehrers Scholle, eines rechtschaffenen und sehr thätigen Mannes. Noch vormittags hat er mit Klöden über die Choleraangelegenheit gesprochen und geäußert, daß das Übel doch nicht so schlimm sei, wie man allgemein annähme, und daß die Milderung der Maßnahmen zu begrüßen sei. Tags darauf war er tot." Im Magistrat wurde mit Ernst der Lage Rechnung getragen, aber die Verschiedenheit der Meinungen brachte große Verwirrung. Die Sperrmaßregeln Rusts hielt man für undurchführbar. „Man ist auf die Stadtverwaltung, ihre Teilnahmlosigkeit, Langsamkeit und Unbereitwilligkeit in der Cholerasache bei Hofe sehr ergrimmt. Ohne Grund. Warum ist die Finanzangelegenheit so lange unbeachtet geblieben, weshalb ist die Choleraangelegenheit

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dadurch so in Verwirrung gebracht, daß man sie den ordentlichen Behörden aus der Hand nahm und sie nicht halb, nicht ganz bevollmächtigten Zwischenbehörden übergeben hat." Hielten die strengen Absperrmaßregeln und die Verordnungen über den Verkehr mit den Erkrankten die Bevölkerung in Erregung, so wurde diese weiter gesteigert durch den Anblick der Krankentransporte und der Leichenwagen. Die Zahl dieser war nur den normalen Verhältnissen angepaßt; jetzt mußten sie zwei und drei Särge aufnehmen. Verdüstert wurde das Bild weiter durch die Träger der Krankentransporte und die Begleiter der Leichenwagen, die in schwarzen wachsleinenen Mänteln und Handschuhen und Masken ihres Amtes walteten. Die Leichentransporte wurden deshalb auf die Nacht verlegt. Knoblauch beschreibt einen solchen nächtlichen Zug, als man die Leiche des an der Cholera verstorbenen Justizrats Wollank nach dem Cholerakirchhof überführte, wie schauerlich der Choral der kleinen Musikkapelle „Jesus, meine Zuversicht" durch die Nacht geklungen, bis man vor der Friedhofspforte anlangte; hier mußten die wenigen Leidtragenden zurückbleiben, den Friedhof durften sie nicht betreten. Grausig sei der Anblick der Toten, die schnell eine schwärzliche Färbung annähmen und denen die Verkrampfungen der Züge ein gewisses Leben gäben, während die Erkrankten wieder wie Tote aussähen. So furchtbar sei der Anblick der an der Cholera Verstorbenen, daß die Angehörigen oft bäten, die Toten so schnell wie möglich abzuholen. Am 19. Oktober gab Herr v. Bärensprung eine kleine Abendgesellschaft, zu der auch Knoblauch und Klöden, der wieder ausgesöhnt war, eingeladen waren. In sehr angeregter Unterhaltung, in der das Cholerathema einmal ganz ausgeschaltet war, saß man bis 11 Uhr bei Tisch. In angenehmster Stimmung verließ Knoblauch um Mitternacht das gastliche Haus. Klarster Vollmondschein gab dem alten Stadtbild etwas ungemein Friedvolles. Da aber kreuzte auf dem Alexanderplatz ein Choleraleichenzug seinen Weg und rief ihn in die Gegenwart zurück. Ernste Gedanken überkamen ihn, er mußte an die Opfer denken, die die Seuche auch im Kreise seiner Bekannten gefordert hatte, und wie schnell der Tod an diese getreten war. ,Media in vita sumus in morte." Aber aus seinem Sinnen wurde er herausgerissen durch einen Mann, den er taumelnd vor sich niederstürzen sah. Er wollte ihm zu Hilfe kommen, merkte aber gleich, daß es kein Kranker sei, sondern nur ein Trunkener, der in der Cholerafurcht zum Alkohol seine Zuflucht genommen. Aber als dieser den dunklen Mantel über sich sah, glaubte er, ein Leichenträger bemühe sich um ihn; dadurch wurde er plötzlich nüchtern: „Weg, oller Schwarzmantel", rief er entsetzt, sprang auf und suchte das Weite. Von vielen erschütternden Familientragödien berichtet das Tagebuch, doch finden sich auch viele Eintragungen heiteren Inhalts. Geklagt wird auch über die zahlreichen unsinnigen Gerüchte, die die Stadt durchliefen: „Es ist ein großer Fehler, daß in den ersten Nachrichten immer davon die Rede gewesen, die Krankheit raffe nur die Armen, nicht die Wohlhabenden, gut lebenden Leute hinweg. Das Verbot des Obstes, der Gemüse und der Fische hat die Höker und Fischweiber, diese eingefleischten Klatschmäuler, gegen die öffentlichen Maßnahmen aufgebracht, und von dort schreibt sich gewiß der meiste Unsinn, der über die Sache unter den großen Haufen gebracht war, her. In der Tat hat ein armer Mann aus dem Voigtlande, der gehört hat, daß nur geringe Leute an der Cholera sterben, den König gebeten, ihn in den Adelsstand zu erheben, um seines Lebens sicher zu sein, da er garnichts besäße und eine große Familie zu ernähren habe." - „Im Pockenhause, das jetzt als Choleralazarett dient, wird ein Erkrankter als verstorben gemeldet. Seine Frau trauert um ihn, und

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kommt in die Contumaz. Als sie von dort nach Hause entlassen zurückkommt, findet sie zu ihrem Schreck den von Branntwein aufs neue Seligen taumelnd mit seinem Contumazgutschein, mit dem er als „genesen" entlassen. Dies und viel anderer Unsinn bei den Anmeldungen wie: eine unbekannte Kutscherfrau." Recht witzig ist folgende Eintragung: „2 Eckensteher lesen die bekanntgemachten Verhaltungsmaßregeln. Der eine liest und referiert dem Anderen: 1) Du sollst Aufregung meiden und Dich nicht unnütz ärgern. 2) Du sollst keinen Branntwein trinken!, worauf ihn aber schon der andere unterbricht mit den Worten: nu hör uff, ick ärjere mir schon." Im November war die Seuche erloschen. Im ganzen hatte Berlin 2271 Choleraerkrankungen zu verzeichnen, von denen 1426 tödlich verliefen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl waren diese Zahlen recht niedrig, verglichen mit denen anderer Städte. Man könnte daraus schließen, daß die allgemeinen hygienischen Verhältnisse in Berlin nicht ungünstig lagen. aus: Richard Knoblauch, 175 Jahre Knoblauchsches Haus. Aus Tagebüchern und Akten des Familienarchivs, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, NF Bd. 56, Jg. 1939, S.20ff. Die Cholera kam immer näher, und leise sagte man, sie sei jetzt schon in Schöneberg eine Stunde von Berlin ausgebrochen. Um diese abzuhalten, hatte man allerlei törichte Dinge angefangen, namentlich wurde vom Militär ein Cordon gezogen und niemand mehr in die Stadt gelassen. Der Preis der Milch stieg auf das Zehnfache, es kam nur mehr das Allernotwendigste zum Verkauf für die Säuglinge; so war es auch mit andern Lebensmitteln, weil die Bauersleute nicht mehr auf den Markt hereinkamen. In den Zeitungen und an allen Straßenecken war zu lesen, daß Krankenwärter für die Cholerakranken gegen hohe Bezahlung gesucht werden, ebenso Ärzte, dazu die Bestimmung, daß jeder Arzt seine Praxis jetzt freiwillig aufgeben könne, wenn er sich fürchte, mit Cholerakranken in Berührung zu kommen, daß aber jeder Arzt hoch bestraft werde, wenn er einem Cholerakranken die Hilfe später versage, daß er in diesem Falle als Arzt seiner Praxis verlustig erklärt werde. Wenn ein Krankenwärter im Dienst sein Leben verliere, so übernehme der Staat die Erziehung seiner Kinder und erhalte die Frau eine anständige Pension. In den Straßen wurden Lokale eingerichtet mit Bädern und allem, was zur Bekämpfung dieser schrecklichen Krankheit dienlich sei, und durch rote Laternen bei Nacht wurden jedermann diese Spitäler kenntlich gemacht. Die Krankenträger, Sesselträger erhielten eine eigene Kleidung, über diese grünen Wachstuchüberzug und solche Handschuhe. Alle sauren Speisen, namentlich Gurken, Obst und Sauerkraut waren verboten und auf dem Markt konfisziert. Aber noch immer hatte man nichts von dem Einzug der Cholera in die Stadt gehört, solches wurde streng verschwiegen. Da las man endlich morgens, daß in der Dorotheenstraße ein Mann daran gestorben sei. Wer Berlin verlassen konnte, eilte von dannen, um sein Leben zu retten, und diese Angst hatte auch wirklich etwas Komisches. Natürlich kamen auch keine fremden Maler mehr hierher, und die meisten zogen fort. Die Geschäfte wurden beinahe eingestellt, nur das Nötigste wurde gemacht. Von zwanzig Arbeitern in unserem Geschäft waren nur noch drei in Arbeit, worunter ich, und wir gingen unserer Arbeit ruhig nach. Einige der Arbeiter waren über Nacht krank geworden und morgens schon tot. Nun folgten rapid die Verlustlisten. In der ersten Woche starben täglich 10 Personen, sodann 20,

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dann 30-50 Menschen. Der Kirchhof konnte sie nicht mehr aufnehmen, und ein eigener Platz wurde dazu ausersehen, an welchem Tag und Nacht 15 Fuß breite Gräber durch Zuchthaushäftlinge ausgehoben wurden. Es sah dieses bei Fackelschein des Nachts recht schauerlich aus. Die Leichen wurden bei Einbruch der Nacht auf große vierspännige Wagen, die Särge aufeinandergeschichtet und mit Stricken festgebunden hinausgefahren, und immer zu zweit, Füße gegeneinander, hineingelegt, natürlich ohne Sang und Klang und ohne Begleitung. Diese abendliche Fahrt der Särge hat viel Personen krank gemacht, desgleichen der Anblick der Sesselträger, welche durch die Straßen mit ihren Cholerakranken im Korb im Trab zur nächsten Krankenstation liefen. Dort wurden sie sofort entkleidet, in ein heißes Bad gelegt, gerieben und gebürstet und bekamen Tee. Wenn das Erbrechen nachließ und nicht zu Krämpfen überging, war der Patient gerettet, in dem andern Falle steigerte sich solches so stark, daß in der Regel in einer Stunde schon der Tod unter größten Schmerzen eintrat. Die Glieder waren öfters krampfhaft ganz verzogen, und die Toten sahen erschrecklich aus. Morgens wurden solche beiseite gelegt, bis abends die großen Wagen herumfuhren, um sie aufzuladen. Die Särge bestanden natürlich nur aus vier Brettern, und auch kein Angehöriger konnte mehr seine Verstorbenen sehen. Immer schrecklicher hat der Tod seinen Einzug gehalten, die Menschen starben zu Hunderten, und zwar so schnell, daß, wenn man abends mit solchen zusammen war, sie am Morgen tot waren. Diese wachten in der Regel mitten in der Nacht mir Übelkeit auf, mit Laxieren, worauf Brechreiz kam, und so steigerte sich dieses fort, bis großer Frost und Fieber mit Krämpfen eintrat und den Tod beschleunigte. Konnten diese schwitzen, war in der Regel die Krankheit überwunden. Eine Verordnung stand überall angeschrieben, daß, wenn in einem Haus ein Cholerafall eintrat und der Kranke im Haus starb, dieses Haus auf vierzehn Tage geschlossen wurde und Lebensmittel an Stangen nur durchs Fenster gereicht wurden. Niemand wurde herausgelassen, auch Leute nicht, welche zufällig im Hause anwesend waren, während jemand starb. Es war daher natürlich, daß jedermann im Hause sofort Anzeige machte, wenn jemand erkrankte. Diese Personen wurden sofort ohne Ansehen der Person von Sesselträgern abgeholt, in den Korb gelegt, und fort ging es zur nächsten Krankenstation. Meistenteils sah und hörte man nichts mehr von diesen, denn viele, namentlich Frauen, sind vor Angst gestorben. Dieses war auch teilweise bei uns der Fall. Die Tochter der Frau Blumberg hatte eine Freundin nur zwei Häuser entfernt, mit welcher sie häufig zusammenkam, ein freundliches liebes Mädchen. Diese kam eines Abends auf Besuch und sah ganz verstört aus, denn als sie ins Haus hereinwollte, rannten Sesselträger mit einem Cholerakranken aus dem Nebenhaus heraus und an ihr vorbei. Anderntags war dieses Mädchen auch eine Leiche, und man hat nie mehr von ihr gehört. Frau Blumberg und ihre Tochter klagten darüber. Man wird aber nach solchen täglichen Auftritten hart, und so ging auch dieser Fall anscheinend ruhig vorüber. Da wurde in der nächsten Nacht an meine Tür leise angeklopft, und auf meine Frage, wer geklopft habe, sagte mir Frau Blumberg, ihre Tochter sei schwer erkrankt, sie wisse sich vor Angst nicht zu helfen. Ich kleidete mich sofort an und ging ins Wohnzimmer, das auch als Schlafzimmer diente, da saß nun das Mädchen todkrank und machte Anstrengungen sich zu [er]brechen. Sofort erkannte ich die Gefahr. Frau Blumberg ersuchte ich sofort, heißes Wasser zu machen. Sie war aber so erschrocken, daß ich es selbst tun mußte. Alles mußte ganz still geschehen, da man beim ge-

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ringsten Geräusch zu gewärtigen gehabt hätte, daß die Leute im Haus Anzeige machen würden, und die Kranke geholt würde, womit ihr Tod schon vor Schrecken gewiß war. Ich holte eine Flasche Rum, den ich glücklicherweise zu Hause hatte, und ließ grünen Tee machen, in welchen ich den Rum schüttete. Auf meine Bitte versuchte nun die Tochter den heißen Tee zu trinken, und meinem Zureden gelang es, sie zu überzeugen, daß sie die Cholera nicht habe. Der kalte Schweiß stand ihr auf der Stirn, und häufig mußte sie auf den Nachthafen, weil sich das Laxieren einstellte. Ich half hie[r]bei, soviel ich konnte, denn die Mutter warf sich auf die Knie nieder, weinte und betete und war gänzlich unfähig, etwas zur Linderung zu tun. Ich reichte immer die Tasse mit heißem Tee und viel Rum und erklärte ihr auf ihre Angst, daß sie die Cholera durchaus nicht habe, da ich ja selbst mich der Gefahr der Ansteckung nicht aussetzen wolle, was sie beruhigte. Ich durfte sie aber keinen Augenblick verlassen und sprach viel mit ihr über andere Sachen, bis ich sah, daß ihre Augen zufielen und der Schlaf kam. Ich entfernte mich nun leise, sagte der Mutter, wenn es wieder schlimmer würde, sollte sie mich wecken, und legte mich zu Bett. Es wurde aber besser. Als ich morgens nach ihr sah, lag sie gänzlich ermattet wie nach einer schweren Krankheit im Bett, sie hat sich aber in einigen Tagen wieder vollständig erholt, und die Mutter dankte mir als Lebensretter; es war klar, ich hatte sie von der Cholera errettet. [...]. Man kann schwer den Zustand beschreiben, der nun in dem früher so lebhaften Berlin eintrat. Eine schlimme Sache war es, daß man eigentlich gar nicht genau wußte, wie man sich gegen die Krankheit schützen könnte. Nur soviel wurde immer klarer, daß mit dem hohen Sommer mehr Menschen starben. Mehr als 3 Tausend sind daran gestorben, und es wurde später um den Totenacker eine Mauer gezogen. Alle Schulen wurden geschlossen, die Kirchen gleichfalls und zuletzt auch die Theater. Man wollte letztere noch offen halten, um die Menschen zu erheitern, aber die Furcht derselben angesteckt zu werden hat die Theater eingehen lassen. Man fürchtete sich, einem andern zu nahe zu kommen, und deshalb hat man auch Kranken, welche in den Straßen lagen, keine Hilfe geleistet, bis sie von den Sesselträgern aufgehoben wurden. Ich selbst habe einen solchen Fall mitangesehn. Als ich abends von der Arbeit nach Haus ging, überraschte mich ein Gewitter, und ich suchte unter dem Portal des Opernhauses Schutz, wo schon mehrere Personen sich befanden. Jeder suchte vom andern sich entfernt zu halten, ein Tuch vor dem Mund, den Rock zugeknöpft. Das Wasser schoß in Strömen hernieder, und ein Mann, anscheinend von der Cholera befallen, lag vor uns wenige Schritte entfernt am Rinnstein der Straße. Der Kopf war in der Rinne, und das Wasser kam immer höher. Man sprach darüber, daß es gut wäre, wenn er beiseite gelegt würde. Wer sollte aber sein Leben für diesen gänzlich Unbekannten riskieren? Wenn täglich Hunderte starben, oft gute Freunde und Bekannte schnell dahinfliehen wie ein Schatten, dann wird man gleichgültig für diese Schrecken, und auch hier hat sich niemand dazu verstehen wollen, ihn vom Wasser wegzuziehen, umso mehr, als man mit Sicherheit annahm, er werde der Cholera doch erliegen. Jetzt purzelte er, das Wasser läuft ihm in Mund und Nase, und er stirbt, von einer Anzahl von 30 Menschen angesehen; keiner rührt einen Finger um ihn, weiß man ja doch selbst nicht, ob man morgen noch am Leben ist. Der Tod reitet furchtbar schnell. aus: Elend und Aufstieg in den Tagen des Biedermeier. Erinnerungen und Tagebuchblätter von Friedrich Maurer (1812-1906), hrsg. v. Walter Meyer, Stuttgart 1969, S. 80ff.

Olaf Briese Angst in den Zeiten der Cholera III

OLAF

BRIESE

Angst in den Zeiten der Cholera Auf Leben und Tod. Briefwelt als Gegenwelt Seuchen-Cordon III

Akademie Verlag

Abbildung auf d e m Einband: Gustave Dore, Illustration zu Ariost, „Roland Furieux", Hachette, Paris 1879

ISBN 3-05-003779-2

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Inhalt

Einleitung 1. Ein Berg-Drama von 1866 2. Der asiatische Gast 3. Briefwelt a) Monolog b) Dialog c) Ensemble 4. Schweigen

Briefe Anhang: Ein Berg-Drama von 1866

Quellen

7 7 9 10 12 15 17 19

22 287

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Einleitung

1. Ein Berg-Drama von 1866 Am Ende? Im Herbst 1866 ereignete sich in den österreichischen Bergen ein tragisches Drama. Adalbert Stifter, der hochrangige Verwaltungsbeamte und bekannte österreichische Schriftsteller, wurde plötzlich von einem Wetterumschwung betroffen. Von Schnee und Sturm gefangen, war er abgeschnitten von der Zivilisation. Verzweifelt fügte Stifter sich und hoffte zwei Wochen inständig auf Besserung. In zahlreichen Briefen an seine Frau, die er nur wenige Reisestunden entfernt in Linz wußte, schilderte er seine aussichtslose Lage und versuchte, seiner Panik Herr zu werden. Ebenso zählt diese Berg-Tragödie - zumindest für den Betrachter - aber zu den komischsten, die sich je ereignet haben. Denn Stifters Weg nach Linz zu seiner unmittelbar zuvor erkrankten Frau war tatsächlich frei. Aber seine Cholera-Furcht hielt ihn zurück. In immer lächerlicher werdenden Briefen, mitunter mehrmals täglich, versuchte er, Gründe für sein Fernbleiben vorzuschieben. - Stifter war Cholera-Phobe. Das Kriegs- und Cholera-Jahr 1866 hatte für ihn ziellose Reisen quer durch das Land auf der Flucht vor der Krankheit gebracht, und nun, nachdem Linz Anfang November für cholerafrei erklärt wurde und er schon beschlossen hatte, aus dem Bergexil seiner Frau zu folgen, erreichte ihn am 8. November die Schreckensnachricht, sie sei an einem gallichten Magenfieber erkrankt. Dahingestellt, ob diese ärztliche Note den Tatsachen entsprach oder es nur ein beruhigender Euphemismus war, sie also tatsächlich an der Cholera erkrankte - für Stifter war es zweifellos diese Seuche. Noch später schrieb er, sich rechtfertigend: „Zwei Tage nach ihrer Ankunft in Linz erkrankte meine Gattin. Essenwein schrieb mir, und suchte die Sache zu verschleiern, ich erkannte sie aber doch." Stifter also diagnostizierte die Cholera, klammerte sich an sein Bergexil und schob in Briefen das Wetter und die katastrophalen Transportmöglichkeiten vor. Das Leben seiner erkrankten Frau gab er auf. Ein vermeintlicher Glückwunsch· und Liebesbrief vom 11. November 1866 hat, im kulminativen, verräterischen Perfekt geschrieben, schon die Form eines letzten Lebewohls und eines läuternden Nachrufs: Ich danke dir für deine wandellose Treue und für deine unbegrenzte Liebe in diesen neunundzwanzig Jahren. Ich danke dir für alles Gute und Herzliche, das du mir zugewendet hast. Die Verbindung mit dir ist das Glü[c]k meines Lebens geworden. Die Hochachtung, die ich für deinen Wandel faßte, hat auch mein Wesen besser gemacht, und ich danke dir dafür. Verzeihe mir die eine oder andere Kränkung, die ich dir zugefügt habe. Mein Herz wußte nichts davon, und wenn es in Übereilung geschah, so ist die schwere Reue in meinem Gemüthe darauf ge-

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt folgt. Du hast mir alles Liebe in größerem Maße zu Theil werden lassen, als ich es verdiente. Vergib mir dieses Geschenk auch für die Zeit, die uns noch miteinander zu leben vergönnt ist. Ich werde dich ehren und lieben, so lange ich lebe, und wenn wir das Schönste, das wir hie[r]nieden haben, auch in ein Jenseits mitnehmen können, so werde ich dich auch in diesem Jenseits ehren und lieben.

Stifter verkroch sich - Liebe in den Zeiten der Cholera. Als sich der ohnehin nie ernste Zustand seiner Frau wieder besserte, gestand er dem behandelnden Arzt dieses Zaudern ein. Zwar führte er dabei, nach Verständnis heischend, ein eigenes Nervenleiden an. Aber er selbst war sich über seine Phobie und über sein Versagen schonungslos im klaren. Für Außenstehende versuchte er zwar in mehreren Briefen, die Legende seines plötzlichen Eingeschlossenseins in den Bergen aufrechtzuerhalten. Die eigens dazu verfaßte DokumentarNovelle „ A u s dem bairischen Walde" verbreitete nochmals diese Version. Gegenüber seiner Ehefrau aber äußerte Stifter sich ehrlicher. Nachdem er zu ihr zurückgekehrt war, aber nur, um danach sofort wieder in sein Bergexil zu flüchten, bekannte er ihr: Ihr sollt in Freud und Leid mit einander tragen, war der Spruch bei der Vermählung, und ich

verlasse dich aus thörichter Furcht vor einer möglicher Weise ausbrechenden Krankheit. Das darf ich nicht thun. Mein Herz macht mir Vorwürfe, und erregt mir bittere Unruhe. Es ist auch ganz unnütz, daß ich fort bin. Breitet sich die Seuche nicht aus, so ist es an und für sich ein Unding; daß ich fort bin, breitet sie sich in Linz aus, und ich wüßte dich in Gefahr der Erkrankung, so ertrüge ich das Gefühl in meiner Einsamkeit nicht, und eilte zu dir, um dir in der Gefahr beizustehen, dich vor Erkrankung zu hüthen, oder dich, wenn du erkranktest, zu pflegen. So ist mein Gefühl, und so ist es auch Pflicht. Es wurde daher mein Entschluß gefaßt, daß ich wieder zu dir zurü[c]k kehre. Abschließender Satz: „Um Aufsehen in Kirchschlag zu vermeiden, nehme ich mir vor, ein paar Tage hier zu bleiben." Bemerkenswert ist, wie Stifter der Choleragefahr, in einer Zeit, wo der öffentliche Diskurs über sie eigentlich trügerisch ruhte, zu begegnen versuchte: mittels Briefen. Natürlich hatte die aus dem „Bergexil" an seine Frau gerichtete Briefkaskade zuvörderst den Zweck, sein Ausbleiben zu begründen. Insofern waren seine Briefe pragmatisch. Aber das allein erklärt Stifters psychotisches Schreiben, sein besessenes Warten auf Post und die ständige Selbstreflexion dieses Briefverhältnisses nicht. Stifter, in seiner Angst, erbaute sich eine Briefwelt, so wie er sich oft genug in eine Textwelt hineingeflüchtet hatte. Er schuf sich eigenständige Räume und Zeiten und spann sich darin ein. Er zitierte ehemalige und er versprach kommende Briefe, er führte Stellen aus früheren und malte sich Passagen künftiger Briefe aus. Vergangenes wurde vergegenwärtigt, Zukünftiges antizipiert. Zeitlicher Schwerpunkt war nicht mehr die Folge der Tage und der naturhafte Wechsel von Tag und Nacht. Sondern der Rhythmus war nunmehr der durch die Briefe geschaffene - von Schreiben und Ergänzungsschreiben, von Referenzen und Vorverweisen, von Postabsendung, Transport und Erhalt. Briefe agierten in einem anderen Kosmos - in dem, der durch sie selbst konstituiert wurde, in einem Referenznetz, das sich in idealem Fall zu einem homogenen zeitlichen Universum Schloß. Diese Briefkaskade veränderte auch die Raumstruktur. Über die verschiedenen Beförderungswege spannten sich imaginäre Brücken, wurden natürliche Gegebenheiten assimiliert. Hindernisse wurden aufgesaugt, die Entfernung imaginär überwunden. Schließlich verschwand nicht nur der Makrokosmos - unerbittlich drängende Zeit und unüberwindlicher

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Raum. Selbst der menschliche Mikrokosmos, Körper und Leib, wurde nach anderen Gesetzen regiert. Nicht Herz und Puls, Krankheit oder Gesundheit trieben das Leben. Jede Zeile wurde zum Herzschlag. Jeder geschriebene Brief wurde zur Neugeburt. Jeder erhaltene gab weitere Nahrung zum Leben. Ich schreibe, also bin ich - und die Supposition, das erkrankte Gegenüber mit in diesen Rhythmus zu ziehen: Heute Morgens habe ich dir einen Brief geschrieben, welchen du am Donnerstage erhalten wirst. Auf diesem Blatte fange ich jetzt, des Abends [...], einen neuen an, den ich morgen forts e t z e n und schließen werde, damit du ihn Freitage erhältst.

Schreiben und leben - leben und schreiben. Am Ende waren Stifters Briefe nicht nur bloßes Lebenszeichen, nicht nur abgezwungene Lebenspraxis. Vielmehr: Sie wurden zum kalkulierten Lebensersatz, zu einer transzendenten aseptischen Briefwelt. In diese sublimierte Stifter seine Krankheiten und die seiner Gattin hinein. Die „reale" Welt, Krieg, Krankheit, soziale Not, hatte für ihn ihr Zentrum verloren, driftete ins Unheil. Auch „ideell" konnte er sie, geplagt von Nervenanfällen und Panikattacken, nicht mehr ordnen. Selbst Gott hatte ihn verlassen. Stifter stand vor Zusammenbruch und Chaos. Es blieb ihm entweder die völlige Flucht in eingebildete Krankheiten und Wahnsinn - oder der Schwur auf eine anstrengende Praxis der Selbsterhaltung, welche die selbstgeschaffenen und fremden Dämonen beschwor. In dieser Situation verbürgten Briefe eine objektive Ordnung, indem sie diese selbst schufen: eine Briefwelt. In dieser für keine Krankheiten anfälligen Sphäre avancierten Briefe zum Fetisch, zum magischen Artefakt, das die andrängenden Gespenster ohnmächtig anrufen und ihnen machtvoll gebieten konnte. In einer heillosen Welt waren sie es, die den Tod aufschoben. Sie strukturierten die Phänomene des Lebens, und sie vermochten, seine Natur und seine Leiden zu bannen.

2. Der asiatische Gast Das große Sterben? Als sich die Cholera Frühjahr 1831 zum ersten Mal überhaupt den preußischen und habsburgischen Grenzen näherte, nahm davon anfangs kaum jemand Notiz. Sie wurde, wenn man dennoch öffentlich reagierte, abgetan. Das zivilisierte Europa habe nichts zu befürchten. Die Länder der Aufklärung und des Fortschritts waren sich ihrer Errungenschaften sicher. Eher bereiteten politische Ereignisse Sorgen: Die französische Julirevolution von 1830, der anti-zaristische Aufstand in Polen, der drohende Krieg gegen Frankreich und Belgien. Der „asiatische Gast", wie man die Cholera euphemistisch nannte, würde an den östlichen und südlichen Grenzen von selbst umkehren oder nachdrücklich gestoppt werden. Um so schockierender trat das Gegenteil ein. Unerbittlich setzte die Seuche ihren Gang fort. Die eilig ausgeführten Abwehrmaßnahmen richteten nichts aus. In den habsburgischen Städten Ofen und Pesth bzw. in Elbing, Danzig und Königsberg im preußischen Osten hielt sie verheerend ihren Einzug. Im Verlauf des Sommers 1831 starben dort und an anderen Orten Tausende, wenn nicht Zehntausende von Menschen. Briefe, wie der folgende aus Mitau, der nachweislich in mehreren Abschriften in Deutschland kursierte, beförderten einen dramatischen Stimmungsumschwung:

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt Es erkrankten 80-100 Menschen täglich, nun konnte die Cholera nicht mehr verheimlicht werden, doch denke - denke die Schändlichkeit, alle Straßen von Riga blieben offen, es wurde niemand gewarnt und die Schiffe - wie man allgemein behauptet - gingen mit Gesundheitspässen - ganz Europa zu verpesten! [...] Täglich erkrankten und starben 80-100, sogar mehr Menschen und nicht so, wie man so menschenfreundlich sich tröstete, nur Soldaten und gemeine Menschen. Wie Regierungs-Rath Klein schreibt, wüthet die Cholera am stärksten unter der bemittelten Klasse. [...] Ich mache es Dir beste Tante zur Pflicht, diese Nachrichten in ganz Europa zu verbreiten; wenn Ihr Deutschland retten wollt, so muß Preußen die strengste Quarantaine halten lassen.

Staatliche Verhütungsmaßnahmen wurden nunmehr eilig ergriffen. Sogenannte Kordons, die jeglichen Kontakt mit den verseuchten Gebieten verhinderten und nur nach mehrwöchiger Quarantäne ein Passieren erlaubten, wurden von Habsburg und Preußen schleunigst eingerichtet. Aber auch diese Grenzsperrungen und die Sperren im Innern der Länder halfen nichts. Daraufhin wurden individuelle Abwehrmaßnahmen favorisiert. Eine maßvolle diätetische Lebensweise, ein ausgeglichener Lebenswandel und eine sorgsame Ernährung beziehungsweise Körperhygiene würden die Begüterten und Gebildeten bewahren. Auch dieses Trostversprechen zerstob. Nicht nur die angeblich Liederlichen und die Armen wurden Opfer der Krankheit, sondern auch Wohlhabende. Ein letzter Trost lag bei Abwehrtechniken wie Vermeidung sozialer Kontakte, Desinfektionsräucherungen in den Wohnungen oder in bevorzugten, garantiert helfenden Arzneien. Auch diese Mittel schlugen nicht an. Nicht einmal die Flucht half. Spätestens, als die Cholera Ende 1831 und Anfang 1832 auf dem Seeweg auch England und Frankreich erreichte, war ganz Europa ein Schauplatz dieser Epidemie.

3. Briefwelt Kordons? Isolation? Tod von allen Seiten? In dieser Situation waren es gerade Briefe, die panischen Ängsten Ausdruck gaben. Sie artikulierten sie und konnten sie gleichzeitig bannen. Sie wirkten wie Heiligtümer, wie Reliquien. Wortwörtlich wurden sie damals so bezeichnet. Der Bruder erinnerte sich nach langen Jahren der Trennung unversehens an den Bruder (Wilhelm von Eichendorff an Joseph von Eichendorff); ein Greis entsann sich sentimental seiner Jugendliebe und suchte nach Jahrzehnten des Schweigens wieder Kontakt (Friedrich von Gentz zu Rahel Varnhagen). Freunde und Kollegen, die sich völlig aus den Augen verloren hatten, dachten plötzlich aneinander (Adalbert von Chamisso an Friedrich de la Motte Fouque). Brieflich wurde über eilige testamentarische Verfügungen berichtet (Johann Friedrich Herbart, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Johann Bartholomäus Trommsdorff, Clemens Brentano, Charlotte Diede). Und vor allem: Briefe wurden von Bekannten und Verwandten inständig gefordert. Briefe wurden inständig versprochen. Folgerichtig löste das Ausbleiben brieflicher Nachrichten dramatische Hilferufe aus, wie denjenigen Ferdinand Raimunds: Sie werden sich wohl verwundern einen Brief aus Hamburg zu erhalten, da unsere Korrespondenz sich bisher nur auf gegenseitige Grüße beschränkte. Verzeihen Sie meine Bitte, aber ich

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beschwöre Sie mir Nachricht, über Ihr und der ganzen Familie Wohlbefinden, so schnell als möglich zu geben, denn mit Entsetzen las ich gestern, die Krankheitsberichte aus Wien [...]. Seit meiner Abreise, schrieb ich vier Briefe an die Toni und fand einen einzigen in Hamburg liegen als ich ankam, und seit dem keine Zeile. Am 22ten erhielt ich einen Brief von HR Joseph Schuster, welcher vom 14ten datirt war, ich habe aus diesem Briefe nichts ersehen, als daß es dem armen Manne an Geld mangelte, aber ich habe die Überzeugung erhalten, daß die Posten ungehindert eilen, da ich den Brief in einem Zeiträume von 8 Tagen erhielt. Ich kann mir dieses Schweigen also nicht erklären, und meine Liebe und Theilnahme ist zu groß, als daß mich die Ungewißheit, über euer Schicksal nicht im höchsten Grade, beunruhigen und quälen sollte.

Warum dieser Ruf nach Briefen? Sie dienten in dieser gefahrvollen Zeit hauptsächlich drei Zwecken: zu informieren, zu instruieren und zu beruhigen. Erstens informierten sie über den Stand der Seuche, über ihr Vorrücken und über staatliche und kommunale Abwehrmaßnahmen. Zweitens instruierten sie und empfahlen individuelle Vorsorgeregeln, angefangen vom Speiseplan über Körperpflege bis zur Gestaltung des Tagesablaufs. Drittens schließlich beruhigten sie. Sie bezeugten, daß die unmittelbaren Angehörigen und Freunde am Leben waren. Zwar waren sie angefüllt mit Klagen und Mahnungen, aber auch mit Trost und beruhigenden Versicherungen, man brauche sich nicht zu fürchten. So schlimm stehe es mit der Seuche nicht. Über Briefe ist damit aber kaum etwas gesagt. Diese drei pragmatischen Aspekte erklären nur ihre Äußerlichkeiten. Denn Briefe und Briefwechsel sind Bestandteile und Medium sozialer Identitätsbildung. So war der Wechsel, der sich im 18. Jahrhundert von bis ins Detail reglementierten rhetorischen Brieffiguren hin zu einer freien, unbändigen Subjektivität vollzog, ein Ausdruck von bürgerlichen Individualitätsansprüchen. Sie brachen mit höfischen Verhaltensstandards. Bereits hier, an stilistischen Wandlungen, sind soziale Aspekte der sogenannten Briefkultur unübersehbar. Der weitaus wichtigere soziale Funktionswandel - die kommunikative Annäherung von Adels- und Bürgerkreisen per Brief kann hier nur erwähnt werden. Spätestens mit den Kriegen gegen die Napoleonischen Eroberungen gewannen Briefe aber auch nationale Bedeutung. So, wie sich unter dem Druck der äußeren Annexion feudale und bürgerliche Schichten eher zwangsweise näherten und sich im Preußischen Reformwerk begegneten, näherten sich auch die beiden „Briefkulturen" in dieser Krisenzeit an. Darüber hinaus rückten die verschiedenen Landesteile qua Brief aneinander. Deutschland, ein Bündel von okkupierten Kleinstaaten - das soll hier gegen alle Einwände seitens einer politischen Ereignisgeschichte behauptet werden - formierte sich als Briefnation. Obwohl nach dem Sieg über die französischen Armeen auf dem Wiener Kongreß die soziale und nationale Zersplitterung nochmals zementiert wurde, bestand Deutschland zumindest in dieser Form weiter. Eine gemeinsame Sprache, Kommunikationsnetze über trennende Zollund politische Grenzen hinweg und die Entwicklung gemeinsamer Normen und Werte antizipierten per Brief ideale Staatsglieder. Auf diese Weise bildeten sich nationale Citoyens. Für sie wurden, zumindest in dieser Briefwelt, die Grenzen von Kasten und Klassen einerseits und politisch-geographische Grenzen andererseits durchlässig. Das war, als ein praktischer Handlungsvorgang, mehr als ein nur ideeller Entwurf eines gemeinsamen Staats. Nicht zuletzt deshalb wurde die Erinnerung an diesen einstigen Nationalaufschwung vor

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und nach der Reichsgründung mit einer fast unzählbaren Reihe von Briefeditionen beständig wach gehalten. Natürlich traten die adligen und die bürgerlichen Briefkreise in der Restaurationszeit wieder stärker auseinander, wie insgesamt in Deutschland nur ein komplizierter Weg zur nationalen Einigung führte. Aber ein Ereignis trat ein, das zumindest für eine bestimmte Zeit erneut eine Art nationalen Zusammenrückens bewirkte und auch Briefen wieder einen anderen Stellenwert zuwies: das Nahen der Cholera. Als naturhafter Gegner drang sie gegen die habsburgischen und preußischen Gebiete vor. Sie erschien als ein heranrückender Verband wie einst die fremden Okkupanten. Sie war genauso übermächtig. Eine Gegenwehr war ebenso nicht möglich. Auf die militärische Konnotation dieser Seuche wurde im ersten Band dieser Studien bereits eingegangen, auch darauf, daß man damals bewußt die Parallele von militärischer Drohung durch Napoleon und naturhafter Bedrohung durch die Cholera zog. Als Beispiel sei hier ein Huldigungsgedicht an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. vom 3. August 1831 genannt, vier Wochen, bevor die Cholera auch die preußische Hauptstadt erreichte: „Den alten Glauben sehn wir wiederkehren,/ Der in dem Jahre dreizehn sich bewährt,/ Den Glauben an die siegbekränzten Ehren,/ An unsers Königs Wort und an sein Schwert." Wie bereits in der zurückliegenden Periode nationaler Ohnmacht eine Briefnation entstanden war, so formte sich nun eine Gegenwehr erneut per Brief. Es entstand eine Welt, die ich analog dazu als Briefwelt bezeichnen möchte. Der Natur wurde, Materialität der Kommunikation, eine künstliche Schöpfung, eine künstliche Gegenwelt entgegengestemmt: eine Briefwelt. Anders ist diese ebenso imaginäre wie reale Sphäre nicht zu bezeichnen. In ihr konnten sich Menschen gemeinsam formieren. Sie entrückte den fragilen sozialen Organismus den naturhaften Bedrohungen der Krankheit. Eine der Natur enthobene, unabhängige Ebene kultureller Aktivität ließ sich installieren. Die Arbeit an einer anthropomorphen aseptischen Brief welt war die Antwort auf die Bedrohungen der Natur.

a) Monolog Als die Seuche im Herbst 1831 auch in Wien ausgebrochen war, hielt Franz Grillparzer unter dem Datum des 21. September fest: Die Cholera ist in Wien. Als sie entfernt war, fürchtete man sich; als sie zögerte zu kommen, ward man leichtsinnig, als sie eintrat, und von einzelnen wenigen Erkrankungsfällen mit einem ungeheuren Sprunge an einem Tage anderthalb Hundert erkrankten und verhältnismäßig viele daran starben, und noch dazu fast alle aus den besseren Ständen, ward das Entsetzen allgemein. Ich verhielt mich ziemlich gleichgiltig. Aber als ich im Gasthause mich an den Tisch setzend plötzlich hörte, daß der Advokat Dor. Götz, mit dem ich seit 5 Jahren täglich zu speisen gewohnt war, und auch noch den Tag zuvor gespeist hatte, denselben Morgen nach einem kurzen Übelbefinden gestorben sei, schlug es plötzlich grauenhaft in mich. Ich konnte nicht essen, und die folgende Nacht bekam ich selbst einen Anfall, der, obschon nicht heftig, doch schon ein bedenkliches Symptom zeigte.

Diese Mitteilung war allerdings kein Brief, sondern ein Tagebucheintrag. Dem Aufbau und Inhalt nach ähnelte er aber unzähligen anderen brieflichen Erlebnisberichten. Vergleicht

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man etwa die Briefe Karl Immermanns mit seinen Tagebucheintragungen oder Karl von Clausewitz' Briefe und Tagebücher, so fällt auf, daß die Nachrichten, die in der CholeraZeit zwischen Briefpartnern gewechselt wurden, nicht selten Tagebucheintragungen glichen. Das zeigt vorderhand aber nicht an, daß Tagebuchnotizen dialogisch angelegt sind und auf einen möglichen Leser zielen. Vielmehr umgekehrt: Jeder Brief kann immer auch als Tagebucheintrag verstanden werden. Immer haftet Briefen etwas von einem monologischen Bekenntnis an. Sie sind immer auch Selbstbespiegelung und Selbstgespräch. Die Zeichen, zu Papier gebracht, sind an den Schreibenden selbst gerichtet. Nicht das Gegenüber, sondern das Selbst empfängt sie. Diese Eigenschaft von Briefen, ihre „narzißtische Komponente", wird von Briefautoren gelegentlich selbst zur Sprache gebracht. So bezogen Ludwig Börnes Briefe an Jeanette Wohl - die berühmten „Briefe aus Paris" von 1832 - ihre Energie hauptsächlich aus dem Pakt, daß sie diese zur Veröffentlichung bearbeitete. Mitunter spottete Börne selbstironisch über dieses Bündnis. Letztlich verstand Jeanette Wohl sein Brieffeuerwerk aber falsch. Sie nahm das, was sich für ihn als eine selbstbezügliche Briefwelt entfaltete, die ihm öffentliche Reputation als Autor einbrachte, dermaßen für Realität, um sich spätestens bei ihrer beabsichtigten gemeinsamen Cholera-Flucht Aussichten auf eine Ehe zu machen. Andere Briefe bezeugen eine solche narzißtische Ausrichtung verdeckter, nämlich dort, wo es nur um scheinbar selbstverständliche Rhetoriken geht. Standen Hierarchien eindeutig fest, unterstreichen politische, wissenschaftliche oder familiäre Autoritäten unverhüllt, daß Machtstrukturen auch ihre Briefe bestimmen. Insofern könnte man von einem institutionell sanktionierten Narzißmus sprechen. Zu denken wäre an die Cholera-Briefe von Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, an die Briefe Samuel Hahnemanns, des Begründers der Homöopathie, an seine Schüler oder an die CholeraBriefe des Bildhauers Christian Daniel Rauch an seine Tochter Agnes und deren Mann Eduard. Ein Briefwechsel des preußischen Kultusministers Karl vom Stein zum Altenstein mit einem Mitarbeiter seines Ministeriums, Johannes Schulze, zeigt dieses subtile, aber für damalige Zeitgenossen völlig evidente Machtgefälle an: Am 15. November 1831 antwortet Altenstein auf die Mitteilung Schulzes, Georg Wilhelm Friedrich Hegel sei an der Cholera verstorben, mit einem denkwürdigen Kondolenzbrief - an Schulze. Altenstein schildert seinen Schmerz, würdigt die Verdienste des Denkers, kommt auf Hegels Gottvertrauen und schlägt daraufhin einen Bogen zum Trost der Unsterblichkeit. Anschließend bedauert er den Schmerz der Witwe und äußert den Wunsch, der tiefgebeugten Gattin durch sein Mitgefühl wohltätig zu sein. Er selbst freilich könne diesen Versuch gar nicht wagen, da seine Äußerung so unendlich gegen das zurückbleibe, was ihn allein befriedige. Deshalb bittet er Schulze, der Leidtragenden seine Teilnahme auszudrücken. Überdies habe er durch den überwältigenden Schmerz, der ihn nun überkomme, die Pflicht, abzubrechen ... In der Tat ist dieser Brief ein rhetorisches Meisterwerk. Im Lob des toten Hegel - ein Stern erster Größe, der der Welt nun auf immer verloren - feiert der Briefschreiber sich selbst. Er gibt seinen Gedanken geschliffenen Ausdruck und zieht einen Bogen von sich selbst über Hegel und das Reich der Wissenschaft bis zum Universum Gottes, um schließlich mit Verweis auf seine Pflichten abzubrechen. In diesen edlen Sphären wird der Schmerz einer aus Nürnberg stammenden Professorenwitwe belanglos. Sie ist des Briefs eines Stein

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vom Altenstein, ältester preußischer Adel und sendungsbewußter Minister, nicht würdig. Schulze möge das regeln. Jener verstand denn auch, worauf es ankam. In seinem Antwortschreiben bekräftigte er den unbeschreiblichen Segen, den das mehrmalige Verlesen dieses gnädigen Briefs auslöste. Er wäre für die Angehörigen kopiert worden, und die Urschrift habe er persönlich - wie Schulze in devoter Untergebenheit einerseits und narzißtischer Eitelkeit andererseits hervorhebt - als heiliges Zeugnis des hohen Geistes seiner Exzellenz des Ministers für die Nachwelt für immer aufbewahrt. Diese selbstbezügliche narzißtische Prägung, die jedem Brief zu eigen ist - weswegen es stets mehr passionierte Briefschreiber als Briefleser geben wird - , erwächst allerdings nicht nur aus dem tatsächlichen Inhalt eines Briefs. Sie ist auch nicht nur Ergebnis seiner stilistischen Form. Denn zu schreiben ist an sich schon eine elementare Form des Selbstbezugs. Es ist ein Lebenszeichen an sich: Ich schreibe, also bin ich. Die Zeichen auf dem Papier sind untrüglich. Sie sind geronnene, unzerstörbare Lebenskraft. Auf diese Bedeutung von Sprache, Schrift und Rhetorik für die Selbsterhaltung in einer gefahrvollen Welt haben zum Beispiel Ernst Cassirer und Hans Blumenberg ausführlich hingewiesen. Cassirer vollzog den Übergang von einer neukantianisch orientierten Erkenntnistheorie zu einer umfassenden historisch angelegten Kultur- und Symboltheorie. Er arbeitete heraus, wie sich Menschen durch kulturelle Techniken, durch Sprache, Schrift, Mythen, Religion, Philosophie und Kunst (die er zusammenfassend als „symbolische Formen" bezeichnete), von ihrer animalischen Herkunft und von der natürlichen Umwelt emanzipieren. Sie bilden sich einen Schutzpanzer und schieben diese Formen distanzbildend zwischen sich und die Natur. Auf ähnliche Weise hat Blumenberg auch die Funktion der Rhetorik erklärt, wobei er ungleich fortschrittsskeptischer als Cassirer - der Selbsterhaltungs- und Schutzfunktion sogar einen primären Stellenwert zuwies. Mittels Rhetorik und ihren Regeln vollziehe sich, wie er unter anderem in seinem Aufsatz .Anthropologische Annäherungen an die Aktualität der Rhetorik" annimmt, eine aktive Selbsterzeugung des Menschen. „Identität" sei nicht substanzhaft gegeben, sie werde denkend und handelnd immer wieder entworfen. Da Menschen zu sich selbst kein unmittelbares, kein rein „innerliches" Verhältnis hätten, sei ihr Selbstverständnis das der „Selbstäußerlichkeit". Das sei - und ähnliches ließe sich auch für Briefe behaupten - eine rhetorische Selbstschöpfung. Da der Mensch aber ein grundsätzlich bedrohtes Wesen sei, diene Rhetorik darüber hinaus noch der „Selbsterhaltung". Sie sei ein wichtiges Mittel, um sich angesichts einer „genuin tödlichen Wirklichkeit" von der Welt zu distanzieren. Mittels „rhetorischer Abschirmung" läßt sich der Ort des Menschlichen halb handelnd, halb fühlend und denkend behaupten. Die Cholera zeigt, wie auch Briefe eine solche Abschirmung bewirkten. Sie schienen Leben zu retten. Selbst da, wo sich angesichts der Epidemie resignative Todesahnungen bekundeten (wie etwa in den Briefen August von Platens, Neidhardt von Gneisenaus oder Paul Johann Anselm von Feuerbachs), bedurfte es des Briefs, um diese Gefühle selbstbestimmt zu formulieren. Wo sich angesichts der Seuche gar deutlich Todessehnsucht zeigte (wie bei Adele Schopenhauer oder Nikolaus Lenau), war ein briefliches Credo ebenso wichtig. Sogar beim ultimativen Freitod setzen Briefe häufig einen letzten unabdingbaren Schluß.

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b) Dialog Jeder Brief ist neben einem Bekenntnis stets auch eine Botschaft, neben Monolog stets auch Dialog. Er bedarf eines Adressaten. Für sich genommen sind Briefe zwar ultimative Marksteine. Ein jeder könnte der letzte sein. Dennoch ergibt sich die Logik des Briefs aus dem zu erwartenden Respons, dem erneut geantwortet werden kann. Im gelungenen Fall knüpft sich diese Folge zu einem Briefwechsel. Dann reihen sich Schreiben und Gegenschreiben nicht mehr äußerlich aneinander. Sie ergänzen und inspirieren sich: Monologe werden zu Dialogen. Erstens können zwei Briefpartner sich gegen den Rest der Welt verbünden. Sie bestätigen sich gegenseitig ihre Exklusivität. Die Welt, die Zeit und die Mitmenschen sind im Niedergang begriffen. Der Briefwechsel zweier Ausgezeichneter hingegen ist der Ort, wo das Humanum sein letztes Residuum hat. In der Cholera-Zeit findet sich das etwa in dem Briefwechsel zwischen den Medizinern Johann Stieglitz und Karl Friedrich Heinrich Marx, Hofärzte in Hannover und Göttingen. Vor allem Stieglitz war, was seinen wissenschaftlichen Standard und seinen Zeithorizont betraf, im 18. Jahrhundert stehengeblieben. Neuerungen interessierten den saturierten Leib- und Hofarzt nicht. Dennoch glaubte er, aufgrund seiner herausgehobenen Position in der Cholera-Gefahr einen wissenschaftlichen Standpunkt vertreten zu müssen. Zu diesem war er „nach und mit vielem Nachdenken" gekommen, wie er im Brief vom 28. August 1831 tiefsinnig bekundet. Empirischen Materials oder gar weiterer Fachliteratur bedurfte es nicht. Selbst die wissenschaftliche Ablehnung war einkalkuliert. Nach beständigen, wiederholten Klagen über das jetzige oberflächliche Geschlecht der Ärzte und das ungebildete Publikum tröstet er am 13. Mai 1832 sich und seinen Briefpartner erneut über mangelnden Erfolg: Mich befremdet es, dass so wenige derer, die über die Cholera schreiben, Ihre Schrift benutzen und im Ganzen so wenige günstige Recensionen darüber erscheinen. Ich sehe nur 3 Gründe: 1) Alles Literarische, Geschichtliche, selbst die lehrreichste und geistvollste Benutzung anderer Schriftsteller ist der jetzigen Generation zuwider, oder sie verkennt doch den Werth davon; 2) die bei weitem grössere Zahl der Ärzte sind gegen die Ansteckung und fühlen sich zurückgestossen, sobald sie diese vertheidigt finden; 3) fast allgemein ist man des Lesens von Choleraschriften überdrüssig und auch die besten, selbst die aus eigener Beobachtung geschöpften, werden nicht gekauft, oder doch nicht gelesen. Es ist überhaupt eine sonderbare Zeit, und wer das Höchste leistet, kann darum doch nicht erwarten, dass man ihn hören oder ihm Aufmerksamkeit widmen werde. Die Menschen sind in der Tat übersättigt und so flach, dass sie Anstrengung und Studium scheuen. Einen solchen Pakt gegen die Welt verfochten nicht nur diese beiden Partner. Er findet sich ansatzweise auch in den Briefwechseln des späten Goethe mit Zelter und Humboldt oder in der bis heute nicht veröffentlichten Korrespondenz zwischen den „positiven" Philosophen Immanuel Hermann Fichte und Christian Hermann Weiße. Auch übte sich Friedrich Karl von Savigny in der Cholera-Zeit vor verschiedenen Briefpartnern in dieser Pose. Ein solcher Pakt bestärkte persönliche Solidarität. Sie vollzog sich aber durch ein Ausschlußverfahren. Nur die Korrespondenzpartner haben die Qualitäten, die sie - qua Briefwechsel - sich zuund anderen absprechen. Das sind, wie an der später einsetzenden Korrespondenz von Karl

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Marx und Friedrich Engels zu sehen ist, symbolische Handlungen, die fehlenden theoretischen und praktischen Einfluß kompensieren. Andere Briefdialoge verliefen weit problematischer. Partner, in ihrem Briefwechsel und im Leben gegenseitig aufeinander angewiesen, müssen anhaltende Konflikte und Mißverständnisse bewältigen. Private, familiäre oder berufliche Bande knüpfen sie auf längere Zeit aneinander. Gerade deshalb kann der briefliche Dialog nicht abgebrochen werden. Er wird vielmehr zum Ort, wo diese Konflikte geschlichtet werden und sich beständig erneuern. Das zeigt sich zum Beispiel an den Cholera-Briefen der Schopenhauers - Adele, Johanna und Arthur - oder an den Briefen zwischen dem Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, Theodor von Schön, und dem Leiter der preußischen „Immediats-Kommission zur Abwehrung der Cholera", Ludwig Gustav von Thile. Daran gemessen, verlaufen andere Dialoge harmonischer. Sie beruhen nicht auf gewollt gewichtigen Nachrichten. Sie leben gerade von persönlichen und „unbedeutsamen" Mitteilungen. Es geht schlicht darum, bestehende Bindungen zu pflegen, Vertrauen und Rat zu geben, Neuigkeiten auszutauschen. Uneigennützige Zuneigung wird gespendet und empfangen (wenn es sie, mit Blick auf Georges Batailles ernüchternde Thesen über den emotionalen und erotischen „Tausch", überhaupt gibt). Gegenseitige Anerkennung stärkt einander, ein sich begegnender Zuspruch verdoppelt Widerstandskraft. Das zeigen etwa die CholeraBriefwechsel zwischen Susanne von Tucher und ihrer Tochter Marie Hegel, zwischen den Grimms und Karl Lachmann oder Karl Immermanns Familienbriefwechsel. Schließlich gibt es noch verhinderte Briefwechsel, die, die gar nicht zustande kommen. Denn mitunter reagieren Briefpartner überhaupt nicht. Oder eine begonnene Korrespondenz bricht abrupt ab. Das war zum Beispiel beim Briefwechsel Arthur Schopenhauers mit seiner Berliner Geliebten, der Berliner Sängerin und Schauspielerin Ida Caroline Richter, der Fall. Der Auftakt gestaltete sich geradezu operettenhaft: mit verschwundenen Briefen. Schopenhauer floh vor der Cholera aus Berlin, seine Reisebriefe an die Richter legte jemand achtlos beiseite. Denn inzwischen war ganz anderes auszustehen: Sie erkrankte schwer an der Cholera. Schopenhauer hingegen wartete ungeduldig auf Antwort. Seine Erkundigungen bei einem Berliner Freund zerstreuten dann zwar seinen eifersüchtigen Verdacht, sie habe ihm den Laufpaß gegeben, und um ihre Treue nachzuweisen, sandte sie die inzwischen aufgetauchten Briefe ungeöffnet zurück. Mittlerweile aber schien Schopenhauer seine neue Einsamkeit im süddeutschen Cholera-Exil zu gefallen. Die inständigen Bitten seiner einstigen Geliebten, nach Berlin zurückzukommen, wies er zurück; sie sei durch die Cholera für eine Ehe bedauerlicherweise viel zu geschwächt. Weitere ihrer Briefe blieben unbeantwortet. Wo andere Verbindungen sich in der Cholera-Zeit intensivierten, brach diese also, tragisch für beide Beteiligten, ab. Aber noch aus dieser Zurückweisung und diesem verhinderten Briefwechsel muß Schopenhauer in seiner bekannten egozentrischen Art Energie bezogen haben, um seinen hypochondrischen Anwandlungen und Cholera-Ängsten zu trotzen. Bisher wurde hauptsächlich nur Inhaltliches angeführt, durch das ein brieflicher Dialog in Krisenzeiten bestärkend wirkt. Aber bereits die Form des Briefwechsels an sich trägt dazu bei. Wie das Schreiben von Briefen an sich schon ein Akt der Selbstkreation und des Selbstschutzes ist, so auch der Briefwechsel. Zum einen ist er ein gedoppelter Monolog: Man spiegelt sich, man reflektiert sich im Empfänger. Das, was man sich bereits selbst beim Schreiben erarbeitet hat, wird bestätigend zurückgegeben. Zum anderen enthält jeder abge-

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sandte Brief aber auch ein Zukunftsversprechen. Der Absender setzt den Empfänger und dessen Antwort zwingend voraus. Briefe zu schreiben bedeutet von daher auch, den Tod aufzuschieben. Jeder Briefwechsel schafft, allein seiner Form nach, eine Briefwelt, worin das Leben anderen Gesetzen gehorcht. Auch die Todesgesetze verändern sich. Denn in einer solchen Briefwelt wird jeder Brief nicht nur zum Zeichen, das weiteres Leben verspricht. Sondern: Jeder Brief ist allein der Form nach in potentia ein letzter; dem Inhalt nach ist jeder Brief stets ein Abschiedsbrief. Irgendein Brief ist garantiert einmal ein letzter. Wer von beiden Partnern es auch sein wird, den die Cholera oder ein anderes Todesleiden ereilt - damit wird auch der Briefaustausch erliegen. Wenn ein Briefpartner stirbt, stirbt er als ßneypartner nie allein. Er zieht sein Gegenüber im Modus des Briefwechsels tragisch mit in den Tod. Die oftmals dramatisierenden Abschiedspassagen von Cholera-Briefen, wie die eines Briefs von Ernst Moritz Arndt an seine Schwester vom 6. August 1831, zeigen diese Ahnungen gewollt oder ungewollt an: Möge der gute gnädige Gott euch doch vor diesem Satanas bewahren und zu allem Tüchtigen femer Muth und Kraft geben! [...] Doch weg mit diesen Gedanken! Was wollen wir fürchten und sorgen um Dinge, die ganz außer und über unserer Macht liegen? Wir wollen nur beten, daß Gott es gnädig mit uns mache und daß er uns Muth und Kraft gebe, Glück und Unglück aus seiner Hand zu empfangen und christlich zu ertragen. [...] Schreibet mir doch recht bald und recht viel und recht umständlich. Dies ist jetzt doppelt Pflicht, weil in so geschwinder Zeit man leichter und schneller aus einander gerissen werden kann.

c) Ensemble Sich einen Briefschreiber isoliert vorzustellen, ist logisch unmöglich. Und ein isolierter Briefwechsel zwischen zwei Partnern wäre zumindest eine Fiktion. Briefe gibt es nicht getrennt voneinander. Sie sind Teile eines Ensembles. Sie überkreuzen sich, überschneiden sich, verknüpfen sich. Sie bilden ein zusammenhängendes Netz. Hier nur ein Beispiel eines solchen verwobenen Netzes: Am 9. September 1831 schreibt Johann Wolfgang von Goethe aus Weimar an Felix Mendelssohn-Bartholdy in München, er möge sich vor der Seuche in Acht nehmen, und am 16. November erhält Goethe aus Berlin die Nachricht, daß dort Henriette Mendelssohn und Georg Wilhelm Friedrich Hegel verstarben, letzterer an der Cholera. Drei Tage später sendet Rebecka Mendelssohn-Bartholdy, eine Nichte der Verstorbenen, dieselbe Nachricht beider Todesfälle an Friederike Robert, die vor der Cholera aus Berlin nach Baden-Baden flüchtete. Diese Botschaft von Hegels Tod hatte letztere bereits aus einem drei Tage vorher, am 16. November aus Berlin, an sie und ihren Mann Ludwig Robert adressierten Brief erfahren. Absender war Karl August Varnhagen von Ense, der Schwager des letzteren. Bereits in Briefen vom 7. und 9. Juli an eine Bekannte nach Baden-Baden hatte seine Frau, Rahel Varnhagen, geäußert, gemeinsam mit Familie Beer ihrem Bruder Ludwig von Berlin dorthin zu folgen, um so der Epidemie zu entgehen. In Briefen vom 27. September und vom 19./20. Oktober informiert Ludwig Börne aus Paris seine Frankfurter Muse Jeanette Wohl über die Ankunft dieser Familie Beer als Cholera-Flüchtlinge in Paris, und darüber, daß ein anderer Teil der Familie Beer nach Teplitz flüchtete (einem Brief Börnes vom 11. April 1832 zufol-

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ge entwich er dann gemeinsam mit den Beers der sich auch Paris nähernden Cholera in die Schweiz). Giacomo Meyerbeer (Jacob Liebmann Beer, über den Börne ebenfalls, zum Beispiel am 22. November, nach Frankfurt berichtet), informiert im Frühling 1832 aus London seine in Nancy zurückgebliebene Frau über prominente Todesfälle in Paris und beruhigte sie über die Cholera in England. Am 15. September, inzwischen wieder in Paris, erhält er ein Schreiben Michael Beers aus Frankfurt, der ihn von einer brieflichen Nachricht Friedrich Davids - des Schreibens wird kein Ende! - unterrichtet, die Cholera sei in Aachen ausgebrochen. Bereits am 19. April 1832 hatte David eine sorgenvolle Anfrage Lea MendelssohnBartholdys aus Berlin erreicht, wie es Felix Mendelssohn-Bartholdy während der Cholera in Paris ergehe (der, wie seine späteren Briefe aus London berichten, in der Seine-Metropole bald darauf tatsächlich schwer an der Cholera erkrankte). Wiederum einige Tage vor jener genannten Anfrage, am 2. April 1832, mußte Mendelssohn-Bartholdy von Paris aus Goethes Tod schmerzlich bedauern, dem er für den eingangs erwähnten Brief nicht mehr danken konnte ... Das ist eine Referenzschleife, ein offener Kreislauf, ein Netzwerk. Denn natürlich stand jede der hier genannten Personen auch in brieflicher Verbindung mit anderen „Kreisen" - Goethe mit Naturwissenschaftlern und Medizinern, Varnhagen mit Politikern und Diplomaten, Mendelssohn-Bartholdy mit Musikern. Selbst ein und derselbe Brief konnte verschiedene Kreise durchwandern. Die eingangs zitierte, an Elise von Recke gesandte Warnung vor der unerbittlich nahenden Cholera wurde nachweislich multipliziert: Aus Kurland wurde sie ins Rheinland geschickt, von dort kam sie, wie die nachstehende Dokumentation zeigt, nach Berlin, und aus der preußischen Hauptstadt gelangte sie in einer Abschrift in die östlichen Regionen Preußens in die Nähe ihres Ursprungsortes zurück. Das ist allein der heute noch zu rekonstruierende Weg. Desgleichen ein Cholerarezept aus Lemberg: Fürstin Lobkowitz sandte es an Frau von Ihne, von da gelangte es an Marie von Clausewitz, von dieser an Gunda von Savigny, über wahrscheinlich weitere Zwischenstationen erreichte es Bettina Schinas, die es Franz von Savigny übermittelte. Auch hier sind noch weitere Schnittstellen zu vermuten. Was waren das für Kreise, in denen Personen sich mittels Brief untereinander verbanden? Erstens Familienkreise: Schopenhauers, Varnhagens und Mendelssohns, die von Kuegelgens oder die von Hohenzollem. Briefe erhalten und stärken die Familienidentität. Trost und Rat wurden gespendet, Unstimmigkeiten ausgetragen. Zweitens erhielten sich wissenschaftliche Zirkel über Briefnetze. So spannten sich, wie allein die hier vorgestellten CholeraBriefe belegen, um die Philosophen Herbart und Hegel und zwischen ihren Schülern feste briefliche Netze, ebenso um den Philologen Lachmann und die Grimms. Aber nicht nur um Geisteswissenschaftler knüpften sie sich. Zu denken wäre an die entsprechenden Kreise um den Mathematiker Gauss oder um den Chemiker Berzelius, nicht zu vergessen die der Mediziner etwa um Hahnemann. Drittens konstituierten sich auch Dichterschulen über briefliche Netze - die Schwäbische Dichterschule, die süddeutschen katholischen Romantiker oder das Junge Deutschland (die ersten brieflichen Kontakte zwischen Karl Gutzkow und Wolfgang Menzel knüpften sich während der Cholera-Zeit 1831). Viertens bestehen und erhalten sich auch politische Zirkel per Brief: der süddeutsche, rheinländische oder ostpreußische Liberalismus auf der einen, die Höfe und ihre Amtsträger in Wien, München und Berlin auf der anderen Seite.

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In diesen Kreisen oder Netzen bewirken Briefe das, was in einem Briefwechsel problematisch bleibt. Sie gleichen aus. Das, was an einer Korrespondenz allein unbefriedigend bleibt, wird in ein ganzes schützendes Netz von Briefen gebettet. Die Vorzüge von Briefwechseln summieren sich. Vor allem aber gleichen diese Kreisläufe aus, was ein Briefwechsel allein definitiv nicht leisten kann: Sie setzen ihn ins räumlich und zeitlich Unendliche fort. Das geschieht durch Kräfteausgleich und Umverteilung. Man kann, wenn man die Besonderheiten einer Briefwelt betrachtet, von einem humanen Energiehaushalt sprechen. Zwischen Briefsender und Empfänger fließt Energie. Diese strömt durch briefliche Netzwerke. In diesen Netzen gibt es Übertragungswege und Relaisstationen (um einen altertümlichen Ausdruck für Poststationen zu benutzen). Bei Störung lassen sich Staustrecken umgehen. Ausfallstellen werden überbrückt. Aus der Sicht des Netzes treten nach und nach andere Sender und Empfänger an die Stelle der alten. Aus der Sicht von Menschen sind in der Briefwelt alle Teilnehmer mit allen Toten und Ungeborenen gegenständlich verknüpft.

4. Schweigen Davongekommen? Nach der geradezu panikartigen Aufwallung, mit welcher der ersten Cholera-Welle von 1831/32 begegnet wurde, flaute die Erregung ab. Allenfalls gab es 1836/37 in Bayern, das beim ersten Mal noch verschont worden war, vergleichbare Reaktionen. Aber das blieb eine lokale Ausnahme. Auch hier erfüllten sich die Erwartungen nicht, die Seuche medizinisch oder auf anderem Wege „auszutilgen". Wissenschaft, Religion und Staat blieben rat- und machtlos. Das öffentliche und private Gespräch über die Cholera verebbte. Ein solches Sinken des Erregungspegels war zweifellos normal. Sozialpsychologisch gesehen, folgte auf Anspannung ein Spannungsabfall. Dennoch muß man, wenn man die rund fünfzig Jahre bis zur „Neu"-Entdeckung des Cholera-Bazillus durch Robert Koch betrachtet, von einem erzwungenen Konsens des Schweigens sprechen. Die Seuche suchte in mehreren pandemischen Wellen Europa immer wieder heim, und diese waren weitaus heftiger als die erste. Im Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 zum Beispiel starben weitaus mehr Militärangehörige an der Cholera als im Kampf. Ein Waffenstillstand wurde eilig geschlossen, um eine beiderseitige Selbstvernichtung abzuwenden. Dennoch gab es in der Öffentlichkeit ein abwehrendes Schweigen. Es schien mitunter, als hätte es die Ereignisse von 1831/32 und die nachfolgenden katastrophalen Epidemien nicht gegeben. Erst mit Kochs befreiender Neu-Entdeckung löste sich diese Wahrnehmungs- und Redeblockade. Wie in der ersten dieser Abhandlungen dargelegt, wurden nun, im Rahmen einer „Religion des Bakteriozismus", die einstmals drohenden Gefahren nachträglich und aufwendig gebannt. Das geschah so aufwendig und erfolgreich, daß, wie ebenfalls dort bereits dargelegt wurde, die kulturelle Erinnerung an Cholera bis heute im Grunde verdrängt ist. Um diese aufstörende Erinnerung an die Jahre 1831/32 und überhaupt an den anhaltenden epidemischen Ausnahmezustand, in dem wir nach wie vor unwissentlich leben, wach zu halten, werden hier Auszüge aus 750 Cholera-Briefen, also exakt einem Dreivierteltausend,

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vorgestellt. Chronologisch angeordnet, zeigen sie, wie diese Epidemie die Öffentlichkeit bewegte, und sie verdeutlichen, wie mittels Briefen und in einer Briefwelt dennoch Gegenwehr möglich war: anthropomorph-aseptische Enklave, rhetorischer Grenzwall, magischfetischhafte Beschwörung, einigender menschlicher Verbund. Die zeitlichen Grenzen sind dabei der Herbst 1830, als die ersten Briefe mit erschreckenden Nachrichten über den Moskauer Cholera-Ausbruch in Deutschland einliefen, und der Herbst 1832, wo etwa Börne brieflich schon einen ironischen Abschied von den Cholera-Ängsten zu vollziehen versuchte. Auf inhaltliche Aspekte dieser Briefe konnte hier gar nicht näher eingegangen werden. Interessant wäre zum Beispiel, welche Metaphern und rhetorische Figuren stereotyp wiederkehren. Auch ganze Briefstrukturen scheinen sich mitunter zu gleichen - in Zeiten der Unsicherheit offenbart sich ein starker rhetorischer Ordnungszwang besonders. Mit Blick auf Inhalte wären aber natürlich auch Unterschiede herauszuarbeiten. So zeigen Briefe von Bartholomäus Kopitar, Karl Friedrich Gauss oder Gustav Magnus an, wie sie die Cholera in ihnen geläufige, völlig unterschiedliche Wahrnehmungsweiten übersetzen: philologische, mathematische oder chemische. Ausgewählt wurden aus dem überwältigenden Fundus relevanter Briefe solche, die ein möglichst breites Spektrum eröffnen. Man sieht in die Kabinette der Macht und auf Generalstabstische, in die Bürgerstuben und die Kammern der Ärmsten, in Reiseherbergen oder Quarantäneanstalten und Hospitale. Diese Briefe sind zwar zuallererst für das Verständnis der Cholera-Ängste relevant. Darüber hinaus präsentieren sie aber auch Ausschnitte einer Sozial- und Kulturgeschichte von Familien sowie privaten, beruflichen oder politischen Zirkeln. Als Briefe gelten dabei ausschließlich Dokumente mit Privatstatus, nicht offene Sendschreiben, offizielle Huldigungsbriefe oder fingierte literarische Beiträge. Auch ausdrücklich amtliche und verwaltungstechnische Briefe mit Berichtscharakter sind nicht berücksichtigt (obwohl eine scharfe Trennung hier nicht immer getroffen werden kann, man denke z.B. an die Briefe Gneisenaus oder Clausewitz' an den preußischen König). Unter all diesen Briefen befindet sich - i^vitable - genau eine von mir vorgenommene Fälschung, die einzige, wenn die anderen siebenhundertneunundvierzig Briefe denn authentisch sein sollten. Sie fügt sich unauffällig in ihren Reigen, gibt sich aber am Absender leicht zu erkennen. Mit diesem Hinweis soll der übertriebenen Andacht vor historischen Quellen entgegengewirkt werden. Dazu bedürfte es aber nicht einmal einer Fälschung. Allein der Blick auf einige Goethe-Briefe zeigt, wie ehrfurchtslos der Meister eigene Briefe kopierte bzw. kopieren ließ. Die Mehrzahl der hier vorgestellten Dokumente liegt veröffentlicht vor. Deshalb wurde auch auf erklärende Anmerkungen zu Personen usw. verzichtet. In vereinzelten Fällen wurde, um Mißverständnisse zu vermeiden, die Rechtschreibung aktualisiert. Unter den Nachlaßentdeckungen sind besonders die Briefe von Jeanette Wohl, Henriette Schleiermacher, Bettina Schinas, Lulu Brentano, Marie Hegel, Susanne von Tucher, Meline von Guaita, Marie von Clausewitz und Alexandra Feodorowna, also vor allem Frauenbriefe, hervorzuheben. Auch die „Wiederentdeckung" der Briefe Amalie Sievekings, die Richard J. Evans bei seiner Studie über die Cholera in Hamburg als ungemein wichtige Quelle übergangen hat, sei hier erwähnt. Damit ist ein Dilemma angesprochen, dem fast jede Briefdokumentation, zu welchem Thema auch immer, ausgesetzt ist. Aufbewahrt bzw. veröffentlicht sind

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vor allem Briefe von Männern. Frauen haben keine legitime Stimme. Gerade deshalb ist ein Blick auf Unterschiede der hier veröffentlichten Männer- und Frauenbriefe interessant. Ein weiteres Dilemma besteht darin, daß hier fast durchgängig nur Bürger- und Adelsbriefe vorgestellt werden können. Wenn Bauern, Tagelöhner, Schiffer oder Handwerker überhaupt schreiben konnten und Briefe schrieben, sind diese bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen nicht erhalten. Die bahnbrechende Edition von Briefen deutscher Auswanderer durch eine Bochumer Historikergruppe um Wolfgang Heibich hat für dieses Thema leider keine relevanten Dokumente ergeben. So ist der Blick auf diese sogenannten Unterschichten fast durchweg bürgerlichen und adligen Perspektiven verpflichtet. Das heißt nicht, daß der quellenmäßige Zugang zu ihnen unmöglich ist. Aber Briefen kommt dabei kein primärer Stellenwert zu.

Briefe

Wilhelmine Haas an ihre Schwester in Köln, Moskau, 27.-30. September 18301 Schon seit einem Monat gieng das Gerücht daß die tödtliche Krankheit Cholera morbus genannt, die diesen Sommer in Astrachan, anfangs Sept. in Saratoff sehr regiert hat, auch wohl über Moscou herziehen könnte. Die Ärzte glaubten für dies Jahr sey nichts zu befürchten, weil doch der Winter vor der Thür sey, und diese Krankheit bey herannahender Kälte sich verliert. Die Ärzte haben sich getäuscht und die Krankheit ist leider in der Stadt, welches so einen allarme gemacht hat, daß die welche die Mittel hatten, die Stadt verlassen haben. Beinahe alle Fabriken stehen still, entweder giengen die Arbeiter von selbst oder sie wurden weggeschickt. Mehr als 30tausend Arbeiter sollen die Stadt verlassen haben. Vor 8 Tagen fieng man an die Stadt zu sperren und quarantaine zu machen. Man hat dieselbe wieder aufgegeben, weil die meisten Ärzte versicherten die Cholera morbus sey jetzt epidemisch aber nicht ansteckend. Dieser Meynung ist besonders Fritz; er findet aber vielen Widerspruch, [im] besondern jetzt wo die Krankheit sich mehr ausbreitet. Sonntag, d. 19. Sept. war die erste Sitzung eines großen medicinischen Conseil, wo der Erzbischof, der Generalgouv., 12 Senatoren, 10 Ärzte, Kaufleuthe etc. zugegen waren. Täglich hat das Conseil der Ärzte statt. [·..] Also heute schicke ich diesen Brief ab den ich vor acht Tagen schon bereit hielte, noch damit zögerte, hoffend etwas beruhigenderes über unsere Lage wegen der Cholera morbus melden zu können. Aber dies ist leider nicht der Fall, und die Krankheit nimmt zu, und überfällt plötzlich tödlich. Seit gestern hat mich die Angst recht ergriffen, und ich sagte diesen Morgen zu Fritz, daß man auch mit jedem Tage seine Stunde zu erwarten habe. Ja, sagte er, ganz sicher, denn es ist schrecklich mit dieser Krankheit. F. war selbst nicht wohl vorgestern u. gestern, doch mußte er aus, denn jetzt ist für den Arzt kein bleiben. Sonntag Morgen 5 Uhr wurde er gerufen; ich sah ihn Nachmittag 2 Uhr zuerst wo er seinen Thee trank, ausfuhr bis 6, wo er zu Mittag speiste und in einer halben Stunde wieder ausfuhr, wo er Nachts halb 2 Uhr nach Hause kam, und in der nemlichen Nacht noch 2 mal aufgeweckt wurde, aber nicht ausfuhr. Der Senator und Mitaufseher des Spitals wovon F. der Arzt ist hat sich so viele Mühe und Sorge gegeben ein Haus zum Spital zu finden, selber einzurichten und mit allem Nöthigen zu versehen, daß er Sonnabend krank befiel (zu ihm wurde F. Morgens 5 Uhr gerufen). Diesen Morgen, Dienstag, ist er gestorben. [...] Wenn unser Bruder F. der Gefahr glücklich entgeht so ist dies ein Wunder der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, dem wir nicht inbrünstig genug danken können ...

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Privatschreiben aus Moskau, [September] 183Ö2 Furcht hat hier so manchen getödtet, indem er entweder an ihren Folgen starb, oder weil sie ihn der Ansteckung mehr preisgab. So nur zwei Beispiele. Ein Gensd'armerieobrist, ein Mann wie ein Goliath, mit tüchtigem Knebelbart, bildete sich so fest ein, die Cholera zu haben, dass er anscheinende Zufälle davon bekam, sich zu Bette legte und Jedermann warnte, ihm zu nahen, bis seine Freunde ihn aus dem Irrthume rissen, indem sie ihn umarmten, küssten, nicht angesteckt wurden und so ihm zeigten, dass er die Cholera nicht habe. Ein Anderer schloss sich ein, umstellte sich rings mit Chlorkalkauflösung und hielt auf seinem Tische die Lanzette bereit, um sich bei dem ersten Krankheitssymptome gleich zur Ader zu lassen. Als er dann wirklich einen Anfall zu spüren glaubte, öffnete er sich schnell die Ader und starb plötzlich, wahrscheinlich nicht an der Cholera, sondern an seinem Schrecken, der einen Schlagfluss herbeiführte. Friedrich von Gentz an Joseph von Pilat, Preßburg, 11. Oktober 183& Sie legen zu viel Gewicht, liebster Freund, auf eine unruhige Nacht. Sie scheinen mir überhaupt etwas zu viel über Ihren Gesundheitszustand zu speculiren. Sie sind, so wenig als ich, ein Cholera-Candidat. Und was geht uns am Ende der Cholera-Stand an? Wenn ich die Cholera-Artikel aufsuchen müßte, würde ich schon längst keine mehr gelesen haben; daß ich solche in Zeitungen nicht vermeiden kann, ist eine große Calamität für mich. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, Potsdam, 19. Oktober 183& Wie besorgt waren wir nicht alle, als wir von der Reise unsers so theuren Nikolai nach Moskau hörten, der sich mitten in die Gegend begab, wo die pestartige Cholera-morbus herrschte, um dort selbst unter seiner Aufsicht Anstalten zum Einhalt derselben zu treffen. Wie sehr charakterisirt das den lieben Kaiser! Gott segne ihn und erhalte ihn seiner Familie, seinem ungeheuren Reiche und allen die auf bessere Zeiten hoffen, denn diese ist hiebei ausgerufen: - Unerforschlich sind die Wege des Herrn! Friedrich von Gentz an Joseph von Pilat, Preßburg, 22. Oktober 183(f Wir sind diesen Morgen durch einen Bericht aus Petersburg vom 8. d. M. gewaltig alarmirt worden. Es ergiebt sich durchaus, daß die Cholera Morbus in Rußland die furchtbarsten Fortschritte macht, daß sie sogar Moskau erreicht hat, daß die Provinzen am Asowschen Meer davon heimgesucht sind, Georgien beinahe ausstirbt, daß man in Petersburg öffentliche Gebete verordnet hat, und sich ohne Unterlaß mit Vorkehrungen gegen die schreckliche Krankheit beschäftigt. Noch vor ein paar Wochen unterhielt man sich davon bei uns, nur um Spaß damit zu treiben, und besonders mich, wie man sich einbildete, zu schrecken, oder vielmehr, sich darüber zu ärgern, daß auch diese neue Gefahr mich in meiner vermeinten Ruhe so wenig störte. Heute ist es voller Ernst, und kein Zweifel mehr, daß das Uebel unsre höchste Aufmerksamkeit fordert. Ich hatte diesen Morgen eine lebhafte Debatte mit dem Fürsten, sowohl über diese, als die moralische und politische Noth der Welt, zuletzt aber die Satisfaction, daß mir der Fürst vollkommen eingestand, daß es, wie er auch über die Größe und Nähe der Gefahren denken möge, offenbar in seinem Interesse

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liege, wenn seine Diener und Vertrauten keine alamirende Sprache führen, und folglich meine heutige Stellung und Sprache ganz so sei, wie sie sein soll. Friedrich von Gentz an Joseph von Pilat, Preßburg, 24. Oktober 183& Die Cholera kömmt nicht bis nach Wien. Der Fürst ärgert sich gewaltig über mich, daß ich selbst beim Anmarsch dieses neuen Feindes die Contenance nicht verliere. Er hat jedoch gestern, am Schlüsse einer langen Debatte, recht freudig eingestanden, es sei ihm viel lieber, daß ich so wäre, wie ich bin, als wenn ich in die Lärm-Trompete mit einstimmte. Ich sagte ihm: Sie thun ja genug, um den Leuten die Hölle heiß zu machen; lassen Sie doch Ihre Diener und Vertrauten die Sprache der Beruhigung führen! Da gab er mir lächelnd Recht. Friedrich von Gentz an Joseph von Pilat, Preßburg, 27. Oktober 18301 Sie sollen aus beiliegendem Briefe, unter dem Titel: Privatschreiben aus St. Petersburg, einen Artikel für den Beobachter machen. - Die Cholera hat wenigstens das Gute, daß sie ein Antidot gegen die Kriegslust ist; man müßte nach russischen Armeen verdammt lüstern sein, um sie jetzt zu begehren. Wenn die Krankheit weitern Fortgang haben sollte, müßte man vielmehr bald einen Cordon gegen Rußland ziehen. Privatbrief aus Moskau, 21. November 183(f Im Waisenhause war die Krankheit ausgebrochen, aber nicht erkannt, so daß unser allgeliebter Monarch bei seinem Besuche großer Gefahr ausgesetzt wurde, denn an demselben Tage starb General Tuschoff und den Tag darauf der den Kaiser begleitende Beamte des Waisenhauses, Schumow; bald darauf der Dr. Albini, dem die Besorgung der Kranken in diesem Hause übertragen war. In der medicinischen Akademie wurden dreizehn Zöglinge krank, wovon drei starben. Nach dem Generalrapport sind: erkrankt 7328, genesen 2471, gestorben 3959, bleiben 890. Clemens Brentano an Luise Hensel, Frankfurt/Main, 27. November 183(f Du siehst schweren Zeiten entgegen wie alle Leute, Du vielleicht mehr, weil Du an der Grenze mitten unter Soldaten sitzest: Sabatkansky Cholera morbus wird mehr entscheiden, als Sabalkansky Diebitsch [...]. Es ist etwas in der Gesinnung der ganzen Welt, das heraus muß, und das geht schwerlich ohne Wunden, weil auch wieder was Anderes hinein muß. Clemens Brentano an Joseph Dietz, Frankfurt/Main, November 183010 Alles dieses muß jedoch noch die Entwicklung der drohenden Zeitereigniße einigermaßen abwarten, ob Gott die unglücklichen blinden Menschen sich einander will mit dem Schwerte erwürgen lassen, oder ob sein Sabalcansky Cholera Morbus allein den Feldzug fortführen soll, und die Herrscher nur die Schlachtopfer zusammentreiben, und einzäunen sollen.

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Wilhelm Olbers an Friedrich Wilhelm Bessel, Bremen, 30. November 1830n Neulich verbreitete sich hier das freilich keinen Glauben findende Gerücht, dass die sogenannte Cholera in Ihrem Königsberg ausgebrochen sei. Bald erfuhr man indessen die völlige Grundlosigkeit und Nichtigkeit dieser läppischen Sage. Sollten Ihnen indessen bestimmtere Nachrichten über die weitere Verbreitung dieser Krankheit zukommen, so würde die Mittheilung mir sehr interessant sein. Ich hoffe, der Winter und die Thätigkeit des russischen Gouvernements werden den weitern Fortschritten dieses, wie es scheint, so furchtbaren Uebels Einhalt thun. Hat man sich in Königsberg, oder überhaupt von Seiten der preussischen Regierung schon veranlasst gefunden, einige Vorkehrungen zur Abhaltung dieser Seuche zu machen? Freiherr Karl vom und zum Stein an Henriette von Giech, Cappenberg, Anfang Dezember 183012 Man überzeugt sich, wie mir scheint, immer mehr, daß die Französische Revolution ein Unglück ist, herbeigeführt durch die groben Fehler der beiden Parteyen, und unberechenbares Unglück herbeigeführt hat, und daß man davon nur durch eine sehr friedliche Regierung gerettet werden kann; aber können Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit die Kraft und den Frieden gewähren? Da bedroht und also ein neues Unglück, die Cholera morbus, unser gemäßigtes Clima sichert uns dagegen nicht; das Petersburger Schloß umgiebt sich mit einer Sicherheitslinie!! Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 1. Dezember 1830й Der Zeuner hat mich erst darauf aufmerksam gemacht, daß im Falle eines Kriegs, und wenn Rußland den Deutschen zu Hülfe käme, die russische Armee die Cholera morbus mitbringen würde. Ich versichere Sie, daß es mit der Cholera morbus gar kein Spaß ist, und bei unserer liebenswürdigen deutschen Zensur würde man nicht eher erfahren, daß die Pest schon im Lande ist, bis alle Zensoren schon daran krepiert wären. Packen Sie ein und machen Sie sich fertig, mit mir nach dem Rigi zu flüchten. Johann Karl Friedrich von Diebitsch an Job von Witzleben, St. Petersburg, 7. Dezember 1830u Unsere Cholera hat im Norden ganz aufgehört, dagegen zeigen sich in den südwestlichen Provinzen noch immer Spuren und haben sich auch nach Podolien ausgedehnt, jedoch ist sie daselbst weder so contagiös noch so tödtend als im Osten und begnügt sich gewöhnlich an einem Orte und auf wenige Individuen. Ernst Moritz Arndt an Friedrich Schleiermacher, Bonn, 7. Dezember 183015 Man kann die Bauchdünnheit nicht brauchen in einer Zeit, wo manchen das Herz vor all den Kollern, welche die Welt eben erschüttern, dünn werden und in die Eingeweide fallen will. Noch kann man nicht wissen, welcher Koller der ärgste werden will, ob der in Asien oder in Gallien ausgebrütete. Freilich schlimm genug, daß in Wien, - am meisten aus klein-

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lichem Neid gegen Preußens Größe, freilich auch nicht ohne zu große Sorglosigkeit des Staatskanzlers weiland - so leichte Arbeit gemacht ist. Theodor Heinrich Rochus von Rochow an Karl Ferdinand Friedrich von Nagler, Berlin, 13. Dezember 183016 Es unterliegt keinem Zweifel, daß Unruhen in Moskau stattgefunden, veranlaßt durch die energischen Sicherheitsmaßregeln gegen die gefahrvolle Verbreitung der cholera morbus. Die unerwartete Ankunft des großartigen Kaisers wird die Ruhe in Moskau hergestellt haben. Petersburg ist mit Quarantaine-Anstalten umgeben; in allen Stadtvierteln der russischen Hauptstadt sind Hospitäler eingerichtet und in allen Häusern wird mit Chlorkalk geräuchert. Melchior Diepenbrock an Joseph von Görres, Regensburg, 24. Dezember 183017 Und die Cholera morbus - das ist am Ende die große Contrerevolution, die dem Schwindel ein Ende macht, und das Rechte und Gute auf die Beine bringt. Gott gebe es, und gebe auch, daß wenn sie kommen sollte, die Kirche ihre Aufgabe löse, d.h. daß die Priester sich in ihrer eigentlichen Würde und Bedeutung, als pontifices, Brückenbauer über das Grab, zeigen! Doch daran hat es wohl eigentlich nie ganz gefehlt! Michael Josef Fesl an Anna Hoffmann, Graz, 3. Januar 183718 Zum Unterhalt Ihres schätzbarsten Herrn Gemahls aber sollten die Gnädige Frau (Kortums) Jobsiade zu erhalten suchen; sie wird durch angenehme Erschütterung des Zwerchfells ein Beitrag sein, der Cholera vorzubeugen, vor welcher ich mich überhaupt weniger fürchte, seit ich weiß, daß sie Personen verschont, welche mäßig genießen, gesund wohnen, und heitern Geistes sind, besonders wenn sie kleine Vorsichtsmaßregeln nicht vernachläßigen. Doch im Ernst davon zu sprechen, so haben die in Rußland stattgehabten Verheerungen dieses Pestengels mich sehr beängstigt, und ich fand nur in dem Gedanken an Gottes väterliche Waltung Trost für die Zukunft, so wie ich ihm dankte für die thätige Sorgfalt, welche er in den gelehrten Ärzten und in den Behörden erweckt, des Übels Natur, Quelle und Heilung zu erforschen. Diese Cholera scheint die Schattirung im Bilde unserer Zeit zu sein, welches durch die glückliche Geltendmachung öffentlicher Freiheit in jugendlichen Farbglanz gekleidet ist. Charlotte Hassenpflug an Dorothea Grimm, Kassel, zw. 10. u. 16. Januar 183719 Ich habe meiner Freundin lange nicht geschrieben aber was ja irgend ein Interesse hatte wurde auch vom Ludwig berichtet. Viel Glück zum Neuenjahr, ich wollt aber es wär zu Ende, ich fürchte mich u ist mir ganz bange zu Muth wenn ich daran denke, besonders auch wegen der Cholera Morbus, ihr lacht gewiß über mich, aber es ist wahr, so eine Krankheit ist mir entsetzlich, nicht daß ich für mein liebes Leben so in Noth wär das fällt mir nicht ein.

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Anna Hoffmann an Michael Josef Fest, Prag, 23. Februar 183120 Auch wir sind hier in Böhmen froh, daß die so böse Cholera nur langsam uns näher rückt, und wie man nun sagen will sogar ihren bösartigen Charakter ändert; Gott gebe es sie möge ganz verschwinden, auch ohne ihr bleibt noch des Schattens genug in der kaum angebrochenen Morgenröthe unserer Zeit! Und wer kann wissen, ob wir nicht bald sagen werden: Morgenroth mit Regen droht! Alexander von Humboldt an Georg von Cancrin, Paris, 3. April 183121 Für ihre geistreichen Ansichten über die Cholera danke ich sehr. Die Sprachen haben immer früher Worte, als die Ideen die sie bezeichnen sollen, ins Klare gese[t]zt sind. Was sind Ansteckungsstoffe? Ich weiß nur was sie nicht sind. Carl Löwe an Auguste Löwe, Berlin, 7. April 183l22 Bei Trautwein habe ich gehört, dass Preussen bereits einen Cordon um ganz Polen gezogen habe, wozu auch unsre ausmarschirten beiden Bataillone gebraucht werden. - Die Cholera und der Typhus wüthen in ganz Polen auf das Furchtbarste. Alle Brief kommen durchlöchert, durchstochen und durchräuchert hier an, damit die Luft durchziehe. Man ist hier nicht ohne Sorge. Es sind Verhaltensbefehle gegeben, im Falle sich die Krankheit hier zeige. Nichts leidet mehr darunter als die Kunst; kein Verkehr. Ernst von Feuchtersieben an Romeo Seligmann, Wien, 23. April 183123 Gestern fand ich in der allg. Zeit, ein Ruf an Aerzte nach Pohlen, wie ich höre mit den vorteilhaftesten Bedingungen; ich kann die Zeitg. nicht mehr bekommen; vielleicht hat sie doch Jemand bei Euch, des Nähern wegen; indeß, denk' ich, wird eine slavische Sprache gefordert werden; erkundige Dich [...]. Neidhardt von Gneisenau an Wilhelm von Scharnhorst, Posen, 1. Mai 18312A Die Cholera ist nicht allein in der russischen, sondern auch in der polnischen Armee und zuletzt auch in Warschau ausgebrochen. Der hiesige Oberpräsident hat auf Sperrung der Grenzen und Einrichtung von Contumazorten angetragen und wir sehen desfalligen von Berlin uns zukommenden Bestimmungen entgegen. In dieser Art des Dienstes hat man bei uns weder die nöthige Erfahrung noch auch die rücksichtslose Strenge der österreichischen derartigen Anstalten, und niemand bei uns wird sich entschließen, auf eine mit ihren Kindern sich flüchtende Mutter Feuer geben zu lassen. Ich erwarte demnach, die Cholera werde ohne Sanitätskordon oder trotz demselben unsere Grenze überschreiten. Ich meinerseits halte die Cholera weder für so sehr ansteckend, noch für so gefährlich. In Moskau soll sie nur 1 Prozent der Bevölkerung hinweggerafft haben. Mehrere Ärzte behaupten sogar, sie sei gar nicht ansteckend. In hiesiger Provinz sind die Gemüther sehr gesteigert. Von geschehenen Wundern wird erzählt, Prophezeiungen werden daraus hergeleitet.

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Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 9. Mai 183125 Wir haben kürzlich hier einen Oberst Omolossow gehabt [...]. Er hat uns viel von Rußland und von der Cholera erzählen müssen. Diese kannte er deshalb genau, weil er in Kasan gegen sie kommandiert hatte. Die Herrnhutergemeinde von Saratow hat sich durch eine sehr strenge Sperre mitten in ihrem Verwüstungskreisgange frei davon erhalten. So kann man freilich einen Ort sperren, aber nicht ein ganzes Land. Hier ist der gegen die Krankheit gezogene Kordon ziemlich dicht, und doch bin ich überzeugt, daß wir sie in drei bis vier Wochen hier haben. Daß die Anstalten zu spät getroffen sind, glaube ich nicht; denn bis jetzt, wo die Sperre schon vollendet ist, hört man noch nichts davon, daß sie über die Grenze gedrungen sei. Übrigens sind die Stimmen ziemlich einig darin, daß sie an Intensität ziemlich abgenommen und keinen sehr heftigen Charakter hat. Wenn die Furchtlosigkeit und Gemütsruhe dagegen schützen, so bekomme ich sie gewiß nicht; denn die Vorstellung davon macht mir bis jetzt noch gar keinen Effekt. Ich habe aber das Schreiben eines vornehmen Beamten an den Minister Lottum gesehen, in welchem er anfragt, ob das Kollegium zusammenbleiben solle, oder ob jeder sich retten solle, wo und wie er könne, und ob er ihnen einen viermonatlichen Gehalt zu diesem Behufe vorschußweise auszahlen lassen solle - das Kollegium war eine Regierung, die bei einer solchen Landplage der Schutz des Bürgers sei, ihm in Rat, Tat und Beispiel vorangehen soll. Justus Christian von Loder an Christoph Wilhelm Hufeland, Moskau, 10. Mai 183126 Von der Cholera ist nunmehr bey uns seit einigen Wochen gar nicht mehr die Rede. Die von Ihrer Regierung hergeschickten Ärzte haben Gelegenheit genug gehabt, diese Krankheit genau zu beobachten, und man hat ihnen dazu allen Vorschub geleistet; - keiner aber von ihnen - unter uns offenherzig gesprochen - hat sich den Zweck seiner Reise so ernstlich angelegen seyn lassen, als der Dr. Barchewitz, welcher seine ganze Zeit unermüdet darauf verwandt, und sich schon dadurch, so wie durch seine Gelehrsamkeit und Anspruchslosigkeit, allgemeine Hochachtung erworben hat. Die anderen Alle, zusammengenommen, haben bey weitem dasjenige nicht gethan, was er allein gethan hat; davon bin ich ein Zeuge: man wird sich daher auf seine Berichte am meisten verlassen können. Er hat nicht allein alle noch vorhandenen Cholera-Hospitäler täglich besucht und alles Merkwürdige genau beobachtet und notiert; sondern er hat auch sich die Erlaubniß ausgebeten, mehrere Kranke, gemeinschaftlich mit den Hospital-Ärzten, selbst zu behandeln, welches man ihm gern zugestanden hat. Er wohnte sogar einige Wochen lang in einem der größten Krankenhäuser von dieser Art, und vermied alle Gesellschaften und Vergnügungen, um die Krankheit in allen ihren Formen kennen zu lernen, und die beste Heilmethode derselben sich bekannt zu machen. Auch hat er keine Leichenöffnung versäumt, und bey keiner seiner Hilfsleistungen versagt. Uno verbo, Keiner hat das „die cur hic" so ernstlich vor Augen gehabt, als er. Machen Sie es sich zur Pflicht, Ihre Regierung auf diesen vortrefflichen Mann besonders aufmerksam zu machen; nennen Sie mich, wenn Sie es nöthig finden, als unbefangenen Zeugen, aber ohne mich in Absicht der anderen Herren zu compromittieren [...].

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Justus Christian von Loder an Johann Wolfgang von Goethe, Moskau, 10. Mai 183127 Wir sind durch die Cholera in große Furcht und Unruhe versetzt gewesen, zumal da sie hier ungewöhnlich lang, über sieben Monate, gewährt und eine bedeutende Zahl von Menschen weggerafft hat. Da uns diese Krankheit anfangs fast ganz unbekannt war, indem niemand von uns sie früher zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte, und da man sie als eine Art von Pest ausschrie: so war die Furcht groß und allgemein. Bald aber gewannen wir Muth, als wir wahrnahmen, daß es mit ihr nicht so arg war, und daß man sich gegen sie schützen und sie sogar heilen konnte. Es war eigentlich nur die niedrigste Volksklasse, welche von der Cholera angegriffen ward und ihr häufig unterlag; von vornehmeren und wohlhabenderen Personen starben wenige, und diese theils durch eigene Schuld, theils durch Erschöpfung der Lebenskraft von vorhergegangenen anderen Krankheiten. Indessen hatte das Miasma in der Luft doch fast auf jedermann einen größeren oder kleineren Einfluß, welches auch bei mir der Fall war. Ich habe mich darüber in einer kleinen Schrift, welche ins Russische übersetzt worden und gedruckt erschienen ist, ziemlich ausführlich erklärt und noch manche Erläuterungen in einem Zusätze hinzugefügt. Einer von meinen Bekannten hat eine Abschrift davon genommen und sie nach Deutschland geschickt, wo sie vermuthlich gedruckt werden wird; in diesem Falle will ich auch den Zusatz dahin schicken und dafür sorgen, daß Ew. Excellenz ein Exemplar davon erhalten sollen. In Absicht der Contagiosität der Cholera sind die Aerzte, und selbst die hiesigen, welche sie in allen ihren Formen hinlänglich zu beobachten Gelegenheit gehabt haben, noch nicht einig. Ich bin überzeugt, daß sie nicht durch Waaren fortgepflanzt werden kann, und habe daher am meisten dazu beigetragen, daß der zum Räuchern schon gegebene Befehl nicht zur Ausführung gekommen ist, auch daß man endlich die Quarantänen, wie sie bei der Pest eingeführt sind, aufgehoben hat. Es ist genug, die aus einem angesteckten Orte kommenden Personen einige Tage aufzuhalten, sie zu isoliren, wenn sich Zeichen der Krankheit bei ihnen äußern, und ihre Kleider zu lüften und allenfalls mit Essig zu durchräuchern. Daß die Mittheilung durch Menschen geschehen kann, ist nicht zu leugnen, daß diejenigen aber, welche keine Disposition dazu haben, und nicht durch grobe Diätfehler, Erkältung, Furcht dazu Gelegenheit geben, nicht angesteckt werden, ist auch wahr. Ich selbst habe mich der größten Gefahr ausgesetzt, ohne angesteckt zu werden. - Doch, Sie werden dieses Alles in meiner Schrift umständlich lesen. [...] Der Hospitalbau ist im September des vorigen Jahres dadurch plötzlich unterbrochen worden, daß gleich beim ersten Erscheinen der Cholera alle Bauern, welche bei den Handwerkern und in den Fabriken arbeiten, auf einmal die Stadt verließen. Wir verdoppeln nun unsere Kräfte, und ich hoffe, daß diese Anstalt dennoch im December des künftigen Jahres wird eröffnet werden können. Neidhardt von Gneisertau an Wilhelm von Scharnhorst, Posen, 12. Mai 18312g In Warschau sterben im Durchschnitt täglich 100 polnische Soldaten an der Cholerakrankheit. Wir hier haben unseren Pestkordon bereits gebildet; Briefe und Zeitungen, aus östlicher Gegend kommend, sind durchstochen und durchräuchert; auf die, die die Grenze an unerlaubten Strecken überschreiten wollen, wird Feuer gegeben, glücklicherweise ist nur erst ein Pferd getötet worden. Demnach besorge ich, daß die Krankheit auf Fußsteigen und durch Wälder ihren Weg zu uns finden werde. Was vor der Hand noch beruhigt, ist der

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Umstand, daß wir nicht erfahren können, wo im Königreich Polen, mit Ausnahme Warschaus und der jenseitigen Weichselgegend, die Krankheit ausgebrochen sei. A. Humboldt, der in den damit verpesteten Gegenden gereist ist, vermeint, sie sei nicht abzuwehren, und hat sie den Parisern zum Jahre 1832 angekündigt. Zarin Alexandra Feodorowna an Prinz Wilhelm von Preußen, St. Petersburg, 13./14. Mai 183129 Ängstigt man sich nicht schon bei Euch über die Cholera die sehr stark in Warschau herrschen soll? Es scheint wirklich daß diese Krankheit ihren Zug nach Preußen nehmen will und sich nicht will aufhalten laßen. Übrigens ist sie weit weniger gefährlich geworden, sie nimmt ab in Kraft (Intensität) je weiter sie sich erstreckt. Wilhelm Olbers an Friedrich Wilhelm Bessel, Bremen, 14. Mai 1831го Leben Sie wohl, mein theurer Bessel, der Himmel bewahre Ihr Königsberg vor der Cholera! Sollte dieses fürchterliche Uebel Ihnen noch näher kommen, so bitte ich recht sehr um baldige Benachrichtigung. Man ist auch hier schon nicht ganz ohne Sorgen. Möchte der heillose polnische Krieg bald endigen und das arme Polen unter leidlichen Bedingungen zur Ruhe kommen! Ich befinde mich bei der so abwechselnden Witterung ganz erträglich. An Elise von der Recke von einem Neffen, Mitau, 22. Mai 18311[ Meine theure Tante, wir und alles was Dir hier lieb und nahe steht, ist in bester Gesundheit, dieses sind die beruhigendsten Worte, die Dir ein Brief bringen kann, dessen durchstochenes Papier Dir schon ankündigt daß grenzenloser Jammer über unser armes Kurland einzustürzen drohet. Lange schon zogen sich die schwarzen Wolken über uns zusammen, den Winter über wüthete die orientalische Cholera in Moskau, zog sich in die nachlässig bewachten Provinzen und kam in einen Theil der Armee. Als das Korps des General Paul Pahlen durch Minsk marschirte, kam die Pest auch dorthin, dann nach Wilna, - ach wie oft schon bangte mir damals davor! nachdem die Revolution in Litthauen ausgebrochen, kehrte die Offenbergsche Brigade aus Polen zurück, kam nach Schaval und brachte so die Cholera uns schon auf 12 Meilen in die Nähe. Die Sorge unserer Aerzte, die Angst vieler und auch die meinige, wurde nun oft weggestritten, verlacht. Doch meine gute Schwester, Sophie Pahlen, seit einem Jahr an rheumatischen Kopfschmerzen leidend, wurde durch den Ausbruch der Cholera in Schaval zu einer schleunigen Abreise nach Dresden bewogen. Wie wohl hat sie gethan und wie bedauere ich es, mich nicht auch zu diesem einzigen Rettungsmittel entschlossen zu haben. Seitdem, geliebte Tante, ist die gräßliche Krankheit noch auf einem anderen Wege in unsere Nachbarschaft gebracht worden. 500 Strusen (eine Art Böte mit Getreide beladen) kamen aus dem Innern Rußlands nach Riga herab. Alle Aerzte und vernünftig denkende Menschen, unser trefflicher General-Gouverneur, hatten vor diesen Strusen, der Cholera wegen gewarnt, doch die dabei interessirten Kaufleute fanden besseres Gehör. - Die Böte wagten die Düna herab, mit ihnen wohl 8000 verpestete oder zum Theil angesteckte Strusenfahrer. Während drei Wochen hörte man nichts von der Ansteckung, es wollte wohl hier und da von schnellen Sterbefällen verlauten, doch da die Leichname in die Düna und nicht in die Hände der Aerzte gelangten, so blieb dies verheimlicht. Bald nahm

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aber die Krankheit zu, doch die reichern Kaufleute (des Handels wegen) und andere Personen, ich will nicht sagen, warum, läugneten die Existenz der Cholera; bis diese selbst die Leute auf der Straße befiel und unter schrecklichen Konvulsionen in Ъ-Л Stunden wegraffte. Es erkrankten 80-100 Menschen täglich, nun konnte die Cholera nicht mehr verheimlicht werden, doch denke - denke die Schändlichkeit, alle Straßen von Riga blieben offen, es wurde niemand gewarnt und die Schiffe - wie man allgemein behauptet - gingen mit Gesundheitspässen - ganz Europa zu verpesten! Die traurigen Folgen zeigten sich bald in unserm lieben Kurland, hunderte von Bauern - nichts von der Cholera ahndend - fuhren nach Riga und einige von diesen brachten die schreckliche Krankheit zurück. Das Gut der Gräfin Elmpt Schwitten (bei Bauske) - Buschhof bei Mitau und Zehden bei Bauske, Wesfaten (der Müller oder Müllerjunge) haben schon die Todesopfer gezählt und da jetzt von den meisten Gütern Bauern in Riga waren, so ist wohl fast ganz Kurland verpestet. Bornsmünden und wie ich höre, die Autz'sehen Güter, auch Weitenfeld hatten keine Getreidesendungen gemacht. Man hatte die Unwissenheit unserer armen Bauern so mißbraucht, ihnen bei der Fahrt über die Brücke einige Cholera-Leichen in die Wagen zu legen, damit sie so weggeschafft wurden! Ach, beste Tante, in welcher gräßlichen Gestalt hat sich die Geldgier in Riga gezeigt, der Gewinn an Geld hat jede Humanität erstickt, aber sie sind so hart dafür gestraft, daß man sie Gott überlassen muß. Täglich erkrankten und starben 80-100, sogar mehr Menschen und nicht so, wie man so menschenfreundlich sich tröstete, nur Soldaten und gemeine Menschen. Wie Regierungs-Rath Klein schreibt, wüthet die Cholera am stärksten unter der bemittelten Klasse. Durch das Jammerbild von Riga theure Tante, habe ich Dich vorbereitet zu hören, daß auch leider unsere Stadt schon einige Cholera-Kranke hat. Doch sind wirklich von unsern trefflichen, redlichen Aerzten, von uns Einwohnern und den hiesigen Angestellten (fast alles Deutsche) so die Vorkehrungen getroffen, daß wir hoffen dürfen, die Cholera werde hier nicht zu einer Epidemie, wie in Riga werden. Auf unsere Kosten ist ein Lazareth eingerichtet, und sind 3000 Rubel Silber von Mitau's Bewohnern eingesammelt, die armen Familien, die Juden sind in geräumige Wohnungen gebracht, für ihre Nahrung gesorgt. Mitau ist in 13 Stadtviertel getheilt, die besten Bürger machen täglich Haussuchungen wegen der Kranken, unsere trefflichen Aerzte opfern sich für die Menschheit, Gott lohne es ihnen. Dr. Bidder, ein Kurländer, nach alter Art, als Präsident der Medizinal-Behörde, hat durch Oeffentlichkeit und unermüdeten Eifer, eine Quarantaine für Mitau erlangt, der Gouverneur hat diese geordnet und die wird sehr streng - nach deutscher Art bewacht. Riga ist immer offen, es fährt dort ein und aus, wer will und so wird wohl bald auch ganz Liefland verpestet werden. Zur Ehre des Baron Pahlen muß ich hinzufügen, daß er nicht in Riga ist und dort jetzt andere das Regiment führen. Pahlen hätte gewiß kein Geheimniß aus der Cholera gemacht und das arme Kurland anstecken lassen. Nach Mitau, so wie nach Bauske ist die Krankheit durch die aus Riga geschickten Soldaten gekommen; durch beigehendes Bülletin (das erste der Art in Rußland) wirst Du sehen, wie offen, gut und vorsichtig unser Gouverneur Bemen handelt, doch immer bleibt das Verdienst der Aerzte, die so laut schreien und wir Kurländer mit ihnen, daß man wohl unsern gerechten Wünschen nachgeben muß. Leider aber ist alle Ansteckung aus Riga gekommen und die dortige Cholera ist sehr böser Art, trotz aller ärztliche Mühe sterben doch fast alle Kranken. Ich mache es Dir beste Tante zur Pflicht, diese Nachrichten in ganz Europa zu verbreiten; wenn Ihr Deutschland retten wollt, so muß Preußen die strengste Quarantaine halten lassen,

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schreibe darüber nach Berlin, denn mit Ausnahme Kurlands ist kein Gesundheitspaß ehrlich. Dr. Bidder giebt seit sechs Tagen keinen solchen Paß mehr, doch in Riga geht der Unfug fort. Alles schreit über den dortigen Preußischen Konsul Wöhrmann, der immerfort Gesundheitspässe giebt; das müßte der brave König von Preußen erfahren! - In Immersatt ist die Quarantaine sehr streng, und das ist recht; Preußen kann Europa noch retten! Fast ganz Rußland ist nun verpestet, und wenn nicht andere Anstalten getroffen werden, wird wohl die Cholera wie die Pest in der Türkei sich festsetzen. N. S. In Schenowel ist die Cholera, da sich aber die Insurgenten da noch immer herumschlagen, so kommt niemand von dort her. Die Preußische Staatszeitung meldet, die Revolution in Litthauen sei gedämpft, auf unsern Grenzen sieht es anders aus. Das Lager von 2000 Litthauern ist auf zwei Meilen von Bauske, aber die Litthauer bleiben auf ihren Grenzen und kommen nicht nach Rußland. Die russischen Soldaten sterben sehr an der Cholera. Neidhardt von Gneisenau an Wilhelm von Scharnhorst, Posen, 22. Mai 183l32 Diesseits Warschau ist die Cholera noch nicht ausgebrochen. Unser Kordon ist gezogen, die Kontumazhäuser organisirt und bereits von Reisenden bewohnt. Dem ungeachtet glaube ich nicht, daß der Krankheit der Eingang verwehrt werden könne. Auf einer so langen Grenzstrecke als die von Nimmersatt bis Pleß würde unsere gesammte Armee nicht hinreichen, um nur mit einiger Wahrscheinlichkeit alle Eingänge und Wälder zu bewachen. Die Krankheit hat übrigens in Warschau vor der Hand noch einen milderen Charakter, und die Sterblichkeit ist nicht so sehr groß. In ihrem Fortgang indessen könnte sie bösartiger werden. Den unteren armen Ständen ist sie gefährlicher als den höheren. Man behauptet, diese Krankheit dringe nicht in die höheren Gebirgsgegenden, ich habe deswegen meiner Frau den Vorschlag gemacht, wenn dieselbe in Berlin eindränge, und Ihre Söhne nach Berlin von ihrer bevorstehenden Reise zurückgekehrt wären, diese, mit Ihrer Genehmigung, sofort in unser Gebirg sammt Herrn Gebel zu versetzen. Karl Leberecht Immermann an Friedrich Immermann, Düsseldorf, 26. Mai 183133 Ja wohl, mein lieber Ferdinand, das war ein factischer Brief, laß mich Dir praktisch darauf antworten. Zuerst von der Influenza oder wie die Krankheit sonst bei Euch getauft wird. Nehmt Euch um Gotteswillen in Acht, besonders Hermann, deßen Körper durch die vorangegangenen Leiden reizbar ist, und unsre Mutter, die Neigung zu Erkältungen und Rheumatischen Übeln hatte. Davon geht die Sache aus. Wollne Binden tragen, Abwechslung der Temperatur gemieden, mäßig im Eßen, ein Glas starken rothen Wein alle Tage, vor allen Dingen, Gemühtsbewegungen vermieden! - Wir dürfen uns die Gefahr gar nicht verschweigen, es sind gewiß wenigstens Vorboten der Cholera, trotz allem, was die Zeitungen dagegen sagen. Allein auch diese ist nach dem Urtheile der Ärzte nur für die in Schmutz versunkne Plebs gefährlich, und bei einer anständigen reinlichen Lebensweise, wie die Gentlemen sie führen, sehr leicht zu vermeiden. Daß sie aber kommt, ist mir ganz gewiß, und je fester man dem Feinde entgegensieht, desto beßer.

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Dorothea Grimm an Charlotte Hassenpflug, Göttingen 28. Mai 1831м [...] es ist mir aber heute besonders ein bischen leidermüthig, wir bekommen diesen Morgen einen Brief vom Wigand daß ihm am 21 ten ein kleines Mädchen von 6 Jahren gestorben ist mit dem Auftrag es seinem Sohn zu sagen. Da ließ ich ihn eben kommen der arme Mensch ist sehr traurig darüber, er sagt es wär so ein Engel gutes Kind gewesen und das hübscheste von allen, nur einen Tag war es krank, es geht gesund in die Schule wie es nach Hause kommt, hat es erbrechen was durch nichts kann gestillt werden, heftiges Fieber und phantasieren, nach kaum elf Stunden ist es schon tod, der Artzt dort hat gesagt es wär ihm noch nie ein ähnlicher Fall vorgekommen, er hielt es für C[h]olera, es sollen dort noch mehr Kinder an dem selben Übel krank sein. Neidhardt von Gneisenau an Friedrich Wilhelm von Brühl, Posen, 31. Mai 183135 Auf unserem Sanitätskordon sind schon einige Polen, welche, die Drohung unserer Schildwachen mißachtend, dennoch durchdringen wollten, tot niedergestreckt und einer verwundet worden, dieser Strenge ungeachtet langen doch noch mehrere in hiesiger Provinz aus Polen an, ohne die Quarantaine gehalten zu haben. Zwar läßt der Oberpräsident diejenigen, von denen dieses bekannt wird, aufgreifen und nachträglich Quarantaine halten, aber viele mögen unentdeckt bleiben, und somit mag die Cholera wohl unabwehrbar bleiben, wovon ich von jeher überzeugt war. Neidhardt von Gneisenau an Carl von Canitz und Dallwitz, [Posen, Anfang Juni] 183736 In Danzig soll die Cholera ausgebrochen sein, manche wollen noch daran zweifeln, indessen sind fünf Straßen daselbst bereits gesperrt. Vor einer Stunde habe ich die dienstliche Mitteilung erhalten, daß in Kaiisch ein Konditor, der soeben von einer Reise nach Lenczye zurückgekommen war, Tages darauf erkrankte und selbigen Tages schon verstarb mit allen Kennzeichen der Cholera. Ich bezweifle, daß wir dieser Krankheit abwehren können ungeachtet unseres Sanitätskordons, der, ohngeachtet mehrere Eindringlinge totgeschossen worden sind, denn doch von Zeit zu Zeit durchbrochen wird. Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, Tegel, 3. Juni 183P1 Ernsthafter ist die Cholera. Ich halte es für sehr möglich, daß sie in unsere Gegenden kommt, und dann durch das ganze westliche Europa geht. Es ist indeß zu hoffen, daß sie in diesen Ländern, wo man nicht so eng zusammenwohnt, reinlicher ist, und bessere Aerzte hat, viel weniger verheerend seyn wird. Für mich persönlich fürchten Sie ja nicht. Ich würde zwar nicht weggehen; man ist nirgends sicher; mir ist für mich nichts so lieb, als meine häusliche Einsamkeit und Ruhe, jede Reise ist mir zuwider; endlich ist es ja auch nicht würdig so seine Mitbürger zu verlassen. Ich habe aber von jeher in meiner Natur eine bestimmte Trägheit gegen Ansteckung gehabt, und bin nie von etwas angesteckt worden. Die Cholera steckt übrigens nicht heftig an, und ich habe gar keine gallichte Disposition.

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Charles von Grey an Dorothea Christorovna von Lieven, London, 3. Juni 183138 Daraus, daß Ihre Armee zu keinen weiteren Vorstößen kommt, schließe ich, daß entweder die Cholera oder Bedarf nach Proviant oder die Unterbrechung der Nachschublieferungen durch die Aufständischen ihre Operationen behindern. Chad sandte einen Zwischenstand über die Cholera in Warschau, der mir sehr alarmierend scheint. Er sagte, daß vom 23. April bis 5. Mai 2.580 Patienten mit Cholerabeschwerden ins Hospital gebracht wurden; von diesen wären 192 genesen, 1.110 sind gestorben, und 1.278 blieben krank. Er schließt jedoch, daß letztere Zahl sich täglich verkleinere. Friedrich Schleiermacher an eine Freundin in Galizien, Berlin, 5. Juni 183P9 In Ihrer Provinz haben Sie nun freilich die Cholera; indeß sind die Anstalten in den Kaiserl. Staaten in diesem Punkt von einer solchen anerkannten Vortrefflichkeit, daß mir gar nicht bange werden will, diese Krankheit könne bis nach Biela gelangen. Wir haben sie leider in Danzig, und sind in Quarantaine Sachen bei weitem nicht so geübt, so daß wir ohnerachtet der größern Entfernung fatale Ursache haben dürften bereit zu sein. Wir hoffen aber allgemein, sie werde wenn sie je kommt ihren gefährlichen Charakter großentheils abgelegt haben. Mich hat vorigen Herbst in Basel eine dort einheimische Brechruhr ergriffen, die aber gegen mich den Ausländer viel grimmiger war als gegen die Einwohner, denn ich bin den ganzen Winter die Ursachen davon nicht los geworden. Uwe Jens Lornsen an Franz Hermann Hegewisch, Friedrichsort, Juni 183140 So[l]lte die Cholera uns hier am Orte wirklich heimsuchen, so sind wir in mancher Hinsicht etwas übler als gewöhnlich daran. Namentlich ist der Mangel einer Apotheke um so schlimmer, als es bei der Cholera darauf anzukommen scheint, daß gleich in der ersten Stunde die zweckdienlichen Mittel angewandt werden. Unser hiesiger Arzt ist gewiß ein guter Chirurg; daß er aber auch die Cholera gehörig zu handhaben verstehe, bezweifle ich; er ist unausgesetzt Tag und Nacht in Thätigkeit und ich sehe nicht, daß er sich um die Choleralitteratur bekümmert. Dies könnte beunruhigen. Auf der anderen Seite sind wir hier in der Lage, uns gegen das Eindringen der Cholera mehr sicher zu stellen, als irgendwo anders. Wenn Sie darüber [so freundlich] sein mögen, so könnten Sie mir die Ihrer Ansicht nach beste Schrift über die Cholera mittheilen und zugleich Ihre Ansicht über die zweckmäßigste Behandlungsweise der Krankheit; ich würde beides dann unserm Arzt zustellen. Friedrich Perthes an Unbekannt, Gotha, Juni 1831м Ich bin überzeugt, daß, wenn nicht Naturkräfte den Lauf dieser Krankheit hemmen, sie ganz Europa überziehen wird, und jeder Versuch des Entfliehens unmöglich ist. Es liegt nicht in meiner Natur, besondere Scheu vor Gefahren zu haben, die Gott verhängt; aber grauenvoll stehen mir die Ereignisse vor der Seele, von denen die menschlichen Verhältnisse unfehlbar durch die egoistischen Hemmungen und Abschließungen betroffen werden müssen. Die Selbstsucht im Kleide der Angst ist etwas Entsetzliches und wird an Nation, Gemeinde und Familie nagen. Ein Zerreißen und Zertrümmern des ganzen socialen Organismus kann eintreten, von dem wir jetzt noch keine Vorstellung haben. [...] Gott wolle durchhelfen!

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an Gunda von Savigny [Juni] 183142

Beikommendes Schutzmittel gegen die Cholera das sich in Lemberg so bewährt haben soll daß nicht eine Person die sich deßen bediente von dem Uebel ergriffen worden ist hat meine Cousine Gräfin Ihne von der Fürstin Lobkowitz Gemahlin des Gouverneurs von Galizien erhalten. Sie haben gewiß Gelegenheit es der Frau von Krünitz nach Danzig zu schicken beßte Frau von Savigny, ich bitte Sie daher es zu thun u. meinen herzlichsten Gruß hinzuzufügen. Mit treuer Ergebenheit Donnerstag Vormittag Ihre Marie Clausewitz [Zeichnung:] Ein Leder von dieser Form und Größe wird mit Tannen oder Fichtenholz dünn bestrichen, über Kohlen heiß gemacht u. auf den Magen gelegt wo man es fortwährend läßt. - Zugleich nimmt man täglich 1 höchstens 2 Tropfen Camillen-Dost und Zucker. Frauen können statt dieses letzteren täglich mehrmals Krauseminz-bonbons u. KrauseminzThee nehmen. Nb. Den oberen Ausschnitt des Pflasters kommt auf die Magengrube. Jons Jacob Berzelius an Friedrich Wähler, Stockholm, 10. Juni 1831Ai Ich vermute, dass die Cholera in diesem Augenblick den Gesprächsstoff in Berlin, ebenso wie bei uns, bildet. Alle Menschen fangen ihre Conversation mit mir mit der Frage an: „Ob wohl die Cholera auch zu uns kommen wird?" Preußen ist jetzt in nächster Nähe der Krankheit, und für die wirklich vorzüglich erdachten Veranstaltungen von Preußen, die wir hier befolgen wollen, wird es ein wahrer Triumpf sein, wenn es gelingt, nach der Landseite hin die Krankheit abzuhalten. Neithardt von Gneisenau an Carl von Canitz und Dallwitz, Kleczewo, 10. Juni 183Iй Ew. Excellenz habe ich die sehr betrübte Nachricht zu melden, daß der Feldmarschall Graf Diebitsch diese Nacht plötzlich sehr gefährlich krank geworden ist, so daß in diesem Augenblick die Aerzte sehr wenig Hoffnung zu seiner Rettung geben. Er befand sich gestern vollkommen wohl, war bei Tische mehr als gewöhnlich heiter und ging Abends, als das regnigte Wetter sich etwas aufgeklärt hatte, spatzieren. Um 2 Uhr in der Nacht brach die Krankheit aus mit allen Symptomen der heftigsten Cholera; um 12 1/2 Uhr Mittags hat ihn Gott zu sich gerufen, der Feldmarschall starb nach heftigen Leiden ganz ruhig. Franz Skoda an Josef Skoda, Lemberg, 11. Juni 183145 Ich fand die Cholera, die furchtbare Seuche, schon 4 Meilen vor Lemberg zu Grodek. Ein noch so graphisches Bild bleibt weit zurück, wenn man selbe zum erstenmale erblickt [...]. Die Stimme ist ganz charakteristisch, ähnlich der von sehr furchtsamen oder von Schreck ergriffenen Kindern. Man muß sie aber gehört haben, um sie sich selbst vorstellen zu können. Marmorkälte, Blausucht und diese vox cholerica machen alle die Merkmale der asiati-

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sehen Cholera [aus]. Alle übrigen Symptome sind nach meiner Ansicht unzureichend und können sehr leicht täuschen. Eine außerordentliche Angst verhindert das Athemholen, das convulsivische Auge und ein hypokratisches Gesicht verkünden die baldige Erlösung von dieser furchtbaren Krankheit. Bewußtsein behalten die Armen bis zum letzten Augenblicke.

Ludwig Friedrich August Wissmann an Friedrich August von Stägemann, Frankjurt/Oder, 13. Juni 183146 Die Täuschungen, welche man sich dort wegen der Cholera überlässt, machen mir die ängstlichste Sorge, H. v. Thile, der Kabinets-Ordres in militärischen Angelegenheiten zu schreiben versteht, glaubt, mit Befehlen in diesem Stil sei alles abgethan, und das Uebrige stellt er in seiner Frömmigkeit dem lieben Gott anheim. So geht es aber nicht, die polnischen Juden haben nicht den Thileschen Gott, sondern nur den Schacher vor Augen, und gehen diesem auf allen Schleichwegen nach, die Thileschen Militärstrassen werden daher fast lächerlich werden. Es ist die unvernünftigste Idee, die man fassen konnte, die hiesige Messe unter den vorliegenden Umständen abhalten zu lassen. Ich habe die dringendsten Vorstellungen gemacht, aber Herr v. Thile hat mir durch die Zeitungen geantwortet, und statt meiner wird ihm von hier die Cholera antworten, denn ich sehe ihre Verbreitung in der Messe sicher, und von hier über ganz Deutschland und das übrige Europa als unvermeidlich voraus, da man sie ohne Messe auf ihrem nordwestlichen Gang hätte beschränken können. Es ist unzweifelhaft, dass der Gränz-Kordon gegen Polen täglich gebrochen wird, die ostpreussische Regierung publicirt dies geradezu, wir haben hier einen polnischen Juden gehabt, der in ... gewesen, aus dem Lazareth entwischt ist, und sich in mehreren Posenschen Städten aufgehalten hat, ohne angehalten worden zu sein, der Minister des Innern will nach einer Verfügung an mich wissen, dass es Fuhrleute giebt, die ein Gewerbe daraus machen, über die polnische Gränze heimlich Reisende hin und her zu bringen, und demungeachtet glaubt man, durch Verfügungen wie die vom 10. d. M. gesichert zu sein. In Preussen wird jeder ein- oder zweitägige Krammarkt verboten, und hier soll drei W o chen über eine Messe gehalten werden, zu der aus fast allen Ländern von Europa Menschen kommen. Bricht, wie kaum zu zweifeln ist, die Krankheit während der Messe hier aus, so weiss ich durchaus nicht, was zu thun sei, einige Tausend Fremde müssen hier eingesperrt werden, was ganz unausführbar ist, und die vortrefflichen Anstalten in Berlin, wohin die Cholera sich unbedenklich zunächst verbreitet, werden nicht im Stande [sein], sie abzuhalten. Herr v. Thile scheint von der Sache sehr wenig Begriff zu haben, und daher ist es zu verwundern, dass er nicht wenigstens eine Bereisung der Kontumaz-Anstalten unternommen, und es vorgezogen hat, in Berlin zu bleiben, wo er bei den Anstalten in Vogelsdorf auch nicht sicher gewesen, wenn die Danziger Reisenden die Cholera im Leibe gehabt hätten, welche man, mit ausserordentlicher Vorsicht in dem Kontumaz-Orte an der table d'hote speisen lassen, zur Ergötzlichkeit aller Durchreisenden. Ich habe noch gestern an Herrn v. Bassewitz geschrieben und erklärt, dass ich um jeden Preis mein Gewissen retten wolle, und gemeint sei, an den König zu schreiben, wenn der Beschluss wegen der Messe nicht geändert werde. Doch ist jetzt schon alles publizirt und verfügt, ich bitte Sie, mir zu rathen, auf welchem W e g e noch etwas auszurichten sein möchte. Können sie nicht in meinem Namen mit dem Grafen von Lottum und Herrn Albrecht sprechen? Die Zuverlässigkeit der Kontumaz-Anstalten, wenn sie gegen Kaufleute,

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nicht einmal gegen polnische Juden agiren sollen habe ich besser als hier Einer schon im Jahre 1805 bei Gelegenheit des gelben Fiebers in mehreren Ländern kennen gelernt. Aber die Cholera wird so höflich nicht sein als jenes. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 14. Juni 183147 Die traurige Nachricht von dem Tode des Feldmarschalls Diebitsch wird Dich sehr erschüttert haben. Welche Fügung des Himmels, daß der erste Mann, welcher aus den höheren Ständen dieser Krankheit erliegt, gerade er sein muß! Wie wird der König davon betroffen sein! Da die Krankheit sich im russischen Hauptquartiere eingefunden hat, so ist allerdings die größte Besorgnis vorhanden, daß sie dort noch neue Opfer fordern werde, und es ist nicht zu übersehen, was daraus für Unglück entstehen kann. General Toll ist der einzige zum Kommando geeignete Mann - wie, wenn auch er in wenigen Stunden fortgerafft würde! Für Diebitsch selbst finde ich seinen schnellen Tod kaum zu bedauern; sein Ruhm war dahin, und er ging vielleicht einer Periode eigentlicher Schmach entgegen. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 16. Juni 1831*% Gestern erhielt ich Deinen Brief vom 14., teure Marie, der so traurig und verstimmt ist, daß er mich ganz unglücklich gemacht hat. Ich bitte, teures Weib, laß Dich nicht von den Begebenheiten so überwältigen und verliere die schöne Fassung nicht, die Dich so sehr ausgezeichnet und so ganz Deinem Wesen gehört, daß ich sie mir gar nicht getrennt davon denken kann. Seitdem wird nun der Tod von Diebitsch ein neuer heftiger Schlag für Dich gewesen sein, und ich sehe Deinem nächsten Briefe mit wahrer Besorgnis entgegen. Für die allgemeinen Angelegenheiten, gestehe ich, kann ich den Tod des Generals Diebitsch nicht für ein großes Unglück ansehen. Zwar ist er in meinen Augen immer ein tüchtiger Mann, und ein solcher weniger auf unserer Seite ist ein fühlbarer Verlust; allein dies wird einigermaßen dadurch ausgeglichen, daß er die Stelle, welche er jetzt innehatte, offenbar ausfüllte, und daß der Kaiser doch nicht entschlossen schien, sie ihm zu nehmen. [...] Deine Herreise, teure, liebe Marie, nicht wünschenswert zu finden, ist mir in höchstem Grade schmerzlich; aber ich gestehe, daß ich jetzt dies noch weniger kann als früher. [...] Die Annäherung der Cholera, die Du für einen Grund der Vereinigung anführst, ist in meinen Augen gerade das Gegenteil. Glaubst Du denn, daß ich Dich gern mit auf ein Schlachtfeld nehme? Und doch wäre das nichts als eine Steigerung dieser so plötzlichen Gefahr. Hier denken die Leute daran, ihre Frauen und Kinder wegzuschicken - und ich sollte Dich in ebendiesem Augenblicke herkommen lassen? Weibliche Pflege ist in dieser so kurzen Krankheit, wo man aus den Händen der Ärzte und Chirurgen gar nicht loskommt, ohnehin so gut wie gar nicht möglich - und glaubst Du denn nicht, daß ich zehnmal eher ein Opfer der Krankheit werden würde in der Angst, sie Dir mitzuteilen, als wenn ich wegen Deiner ruhig sein kann? Nein, wenn mich etwas dagegen schützt, so ist es meine völlige Gemütsruhe. Neben mir an ist eine Fremdenstube; gestern abend, als ich schon im Bette lag, hörte ich jemand sich sehr heftig übergeben; was war natürlicher, als dabei an die Cholera zu denken, und doch bin ich gleich darüber eingeschlafen. Und wenn Du, geliebtes Weib, nun hier von der Krankheit befallen und ein Opfer derselben würdest, welche elenden Sophismen sollten mich dann in dem lebenswidrigen Schmerze über meinen Leichtsinn beschwichtigen? Nein,

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teure Freundin, für eine solche Inkonsequenz habe ich doch ein zu klares Vorstellungsvermögen. [...] Jetzt muß ich schließen, ich bin etwas müde; denn ich habe sehr eifrig an meinem Berichte an den König geschrieben. Halte mir den Daumen in den nächsten acht Tagen. Die Anordnung des Danziger Kordons wird gewiß in Berlin in diesem oder jenem Stücke nicht recht sein, ob es gleich ganz von ihnen abgehangen hätte, die Sache in Berlin zu bestimmen; aber dort schiebt man gar zu gern eine andere Autorität dazwischen, um sich die Freiheit der Kritik vorzubehalten. Das wird viel Ärger geben, darauf mache Dich nur in meinem nächsten Briefe gefaßt. Ich würde es weniger besorgen, wenn sie in Berlin nicht wüßten, daß die Dinge von mir ausgehen, und Du kannst glauben: man ist mir dort nicht grün. Raphael Jakob Kosch an Johann Jacoby, Königsberg, 17. Juni 183149 Unser Oberpräsident [von Schön] soll mannigfacher Ursachen wegen in Ungnade gefallen sein und verabschiedet werden, doch ist darüber noch nichts offiziell bekannt. ... Von Deinen Berichten über die Cholera an Schön hat dieser nur kurze Auszüge in unserer Zeitung (die übrigens jetzt täglich erscheint), bekanntgemacht, sammle daher jetzt sorgfältig, um uns Deine Erfahrungen recht ausführlich nächstens mitzuteilen. Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, Leipzig, 17. Juni 183150 Von Ihnen, verehrter Gönner und Freund, und von Ihrer Frau Gemahlin hoffe ich tröstlichere Nachrichten zu vernehmen, wenn gleich die Besorgniß vor der Cholera, die ja das benachbarte Danzig ergriffen hat, und vor der dort mir schon bange zu werden anfangt und gegen die man hier bereits die kräftigsten Gegenrüstungen vornimmt, eben nicht geeignet seyn kann, zur Heiterkeit zu stimmen. [...] Ich bin überzeugt, wenn nicht Krieg, Seuche, Aufruhr etc. nach Niebuhrscher melancholischer Ansicht uns einem zweiten Zeitalter der Barbarei und des Vandalismus zuführen, Ihre Philosophie wird nicht so wenig beachtet bleiben wie bisher. Hannchen Sieveking an Karl Sieveking, Hamburg, 17. Juni 183151 Die böse Cholera beschäftigt hier alle Köpfe. Die Influenza und Fieber sind in allen Häusern. Was aber die Folge der Angst für die Cholera ist, zeigt sich mit mancherlei Sorge an der Börse. Alle Handelsoperationen stocken. Mancher kann wohl das Opfer davon werden, was dann weiter um sich greift. Man muß sich ergeben und tragen, was der Himmel schickt. Nebenher werden Gurken und Erdbeeren am Tore weggenommen, weil man sie schädlich hält. Franz Berwaldan seine Schwestern, Berlin, 18. Juni 183752 Ich reise aufs Land, um besser arbeiten und nachdenken zu können. Gern würde ich Euch berichten, wenn das, was ich vorhabe, Euer Fassungsvermögen nicht überstiege. Cholera Morbus fängt an, in Deutschland bedeutend um sich zu greifen. Das beste Mittel dagegen ist Unerschrockenheit. - Die Epoche ist voll großer Ereignisse. Laßt uns dementsprechend vorwärtsschreiten!

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Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, Berlin, 18. Juni 183153 Hören doch von der cholera? die sich uns nähert - ich dachte in meiner convallescenten Schwäche vor Schrek zu sterben - . sprechen Sie mit Hoffr: Pitschaft laßen Sie sich das erklären, erzehlen. Obgleich ich nicht über's Zimmer schreiten konnte, nach 5. Wochen Influenza mit Brustkrampf.\\\ wollte ich gleich fliehen, reisen. Varn: aber wollte nicht mit er sagte er könne wie ein Offizier seinen Posten nicht verlaßen: das Kind hätten sie mir auch nicht mitgegeben: was half mir fliehen; auch sagen alle Ärzte und Menschen die cholera käme weiter allenthalben hin. Auch bin ich noch zum Reisen zu schwach: ich fahre nur alle Tage für Millionen Thaler aus. wir sind gegen Rußland Pohlen - in Warschau wüthet sie in contumance wie gegen Pest: alle Briefe durchstochen. - Es ist auch Pest in wenigen Stunden stirbt man an Brechen; und Schmerzen! 3. Tage das längste, wird abgesperrt; muß allein sterben. Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, Düsseldorf, 19. Juni 1831s* Ferdfinand] schreibt mir, daß Du einen Anfall der Influenza gehabt hast. Ich hoffe, daß es nichts Bedeutendes gewesen ist. Es ist ganz natürlich, daß in einem Sommer wie der dießjährige, wo beständig schwüle Hitze mit feuchtem Wetter abwechselt, sich epidemische Krankheiten erzeugen müssen. Nur keine Furcht vor der Cholera! Alle Ärzte stimmen wirklich darin überein, daß sie nur das gemeine Volk auf eine gefährliche Weise ergreift, u. nichts zu sagen hat, wenn im Anfange ärztliche Hülfe gesucht wird. Ich hoffe diese Lustbarkeit dort mit Euch durchzumachen, d.h. wenn sie höflich noch bis zum September warten will. Leopold Leo an seine Eltern, Warschau, 23. Juni 183155 Ich kann Sie übrigens, bei allem was mir heilig ist, versichern, daß mir bis jetzt kein einziger Cholerakranker, der von mir mit Wismuth behandelt worden ist, ohne vorher andere Medikamente genommen zu haben, gestorben ist, obgleich ich nur die vollständig ausgebildete asiatische Cholera mit dem Wismuth behandelt, und die hier mitunter vorkommende Cholera biliosa ohne Wismuth mit leichten Mitteln heile. Der Dr. Searle, der über Berlin hierher kam, hat seine Behandlungsversuche eingestellt, da sie unglücklich waren, und beobachtet jetzt meine Methode so wohl in den Hospitälern als in der Arztpraxis. Es ist dies ein sehr geschickter und bescheidener Mann. Friedrich Wähler an Jons Jacob Berzelius, Berlin, 25. Juni 1831st Ich sende heute die Abdrücke von 5 Kupfertafeln, nebst Aushängebogen an Koch in G., zur Absendung mit der Briefpost, jedoch mit der Bemerkung, dass er den Pack nur dann weiter expediren soll, wenn wegen der Cholera-Anstalten keine Durchstechung oder lange Quarantaine desselben zu befürchten ist. [...] Dass Sie diesen Sommer nicht kommen werden, thut uns von Herzen leid; indessen so wie die Welt jetzt durch Cholera und Krieg im Argen liegt, ist es Niemand zu verdenken, wenn er zu Hause bleibt.

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Ludwig Gustav von Thile an Theodor von Schön, Berlin, 25. Juni 183151 Graf Orloff hat hier bey seiner Durchreise ehrlich eingestanden, daß er durch Berlin gehe, um der Russischen Quarantaine vor Petersburg und in Kurland auszuweichen, weil man ihn dort nicht ohne langwierige Quarantaine durchlassen würde. So sind wir auf Kosten eigener Sicherheit willfähriger gegen das Russische Interesse gewesen, wie die Russen selbst, die, während sie uns mit Theorien und Betheuerung der Nichtcontagiosität aus dem Hauptquartier unterhalten, um Petersburg eine dreyfache Schutzwehr ziehen, und alle unsre Vorsichtsmaßregeln weit überbieten. Die Angelegenheit des Russischen Approvisionements hat mir viele Sorgen und Kopfschmerzen gemacht, weil sie zweymal durch veränderte Gesichtspunkte umgearbeitet werden mußte, die mir gegeben wurden. Ich hoffe, daß es nun zur möglichsten Zufriedenheit aller Theile abgemacht seyn wird. In einigen Tagen wird der Professor Wagner, Medizinal-Rath und Physikus von Berlin, ein sehr geschickter geistvoller Arzt, nach Danzig gesendet werden, mit Auftrag, die dortige Hospital-Quarantaine und andern Medizinischen Anstalten zu revidiren und, wo er's nöthig findet, einzugreifen. Hoffentlich werde ich in Kurzem noch einen andern berühmten Arzt von hier flott machen und nachsenden können, was bis heute leider nicht ausführbar gewesen ist. Ich muß kurz seyn, weil ich noch nie in meinem Geschäftsleben den Bankerott an Zeit und Kraft so empfunden habe, wie er mir jetzt nahe tritt. Auch darum schon bitte ich Sie doppelt inständig, theure Exzellenz, mir Frieden zu gönnen, damit nicht unsere beiderseitigen besten Kräfte sich ohne Noth und ohne Furcht erschöpfen. Sophie Tilebein an Amalie von Gerstenbergk, Züllchow/Stettin, 26. Juni 183l5i Ich will nicht als Kandidatin der Cholera fallen ... Für jetzt bleiben alle und auch ich. Gewissenlos wäre es, seinen Freunden die möglich tödliche Pflege eines Choleriden aufbürden zu wollen, leichtsinnig aber, sich selbst der Gefahr auszusetzen, auf der Landstraße zu erkranken und fern von jeder häuslichen Bequemlichkeit und unwiderruflich von seinem gewohnten Arzt getrennt, in gänzlicher Vernachlässigung und Verlassenheit zu sterben. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 27. Juni 183159 Was die Cholera betrifft, so bleibe ich bei meiner Ansicht, liebe Marie, daß es ein Grund wäre, Dich von hier wegzuschicken, nicht aber, Dich herkommen zu lassen. Darin werden mich die Damen, welche Du kennst, nicht irremachen. Da die Krankheit gewöhnlich nur einen bis zwei Tage dauert, so ist von weiblicher Pflege gar nicht die Rede; der Kranke, wenn er gut behandelt werden soll, muß immer unter den Händen der Chirurgen und Wärter sein und befindet sich in einem Zustande, wo ihm die Gegenwart seines Freundes gar nichts nutzen kann. Die Gefahr, diesen mit in das Grab hineinzuziehen, ist also eine ganz unnütze. Übrigens ist es fast eine Torheit, sich viel mit dem Falle der Ansteckung zu beschäftigen, da wir sehen, wie äußerst selten solche Menschen von dieser Krankheit befallen werden, die unter guten Bedingungen leben.

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Ludwig Gustav von Thile an Theodor von Schön, Berlin, 27. Juni 183160 In der Einlage schicke ich Ihnen einen interessanten Bericht eines Kurländers an die Gräfin Elise v. d. Recke, die ihn hier mitgetheilt hat. Er enthält ein Bild des dortigen Treibens, was man aus dem Leben genommen, und uns darum sehr belehrend ist, wenn wir uns daraus überzeugen, was wir zu beachten, und was auch wir nicht zu versäumen haben, wenn wir uns vor den traurigen Folgen wahren wollen, die dort eingebrochen sind. Erlauben Sie mir daran noch eine beyläufige Bemerkung zu knüpfen. In unserer öffentlichen Mittheilung kommt viel zu häufig die an sich gewiß wahre aber für die große Menge der Menschen sehr niederschlagende Betrachtung vor, daß die Cholera sich ihre Opfer nur aus der niedrigen und hungrigen Klasse der Menschen aussucht. Meinem Gefühl hat diese Bemerkung, wo sie öffentlich ausgesprochen wird, öfter schon wehe gethan, denn eben diese Menschenklasse ist wahrlich schon unglücklich genug, und man schärft ihnen das Gefühl ihres Elendes durch solche Ankündigungen auf eine furchtbare Art; demungeachtet ist auch die Staats-Zeitung gar nicht frey von eben diesen Wiederholungen, theils durch, theils ohne meine Schuld. Der Umstand, daß ich diesen Gegenstand in dem Kurländischen Briefe auch mit angeregt finde, veranlaßt mich, ihn gegen Sie, theure, Exzellenz, hier einmal zu erwähnen, und Sie zu bitten, daß wir vereinigt dahin wirken mögen, einer Härte, die uns beiden öfters im Gedränge andrer Arbeit und Sorge entgangen ist, wenigstens für die Folge soviel möglich entgegen zu arbeiten. Was die Leute über die Sache zu wissen brauchen, um sich vorzusehen, das wissen sie jetzt bereits zur Genüge, und die Widerholung ist also auch zur Belehrung nicht mehr nöthig. Erhalte Sie Gott, und schenke Ihnen Gesundheit und Kraft. Zarin Alexandra Feodorowna an Prinz Wilhelm von Preußen, St. Petersburg, 29. Juni 183161 Orlof[f] ist eben angelangt. Deinen Brief erhielt ich vorgestern wo Du ihn gesehen den Gefürchteten den Vergifteten. Er fällt von einer Cholera in die andere. Denn denke Dir unser Unglück, in Petersburg zeigte sich diese Plage seit 9 Tagen, es sind schon 6 Kranke; ganz ohne Ursache, ohne Ansteckung. Ich sagte es mir schon lange - daß wir ihr nicht entgehen würden, aber es ist hart, Gott prüft uns auf alle Art. [...] Wir sind ganz v. d. Stadt abgeschnitten doch was kann das helfen, man muß sich keine Illusionen machen, 20 Werst weniger oder mehr machen keinen Unterschied, besonders in der Sommerhitze die diesmal groß bei uns ist. Ludwig Friedrich August Wissmann an Friedrich August von Stägemann, Frankfurt/Oder, 29. Juni 183162 Im Hintergrund droht die Cholera, gegen welche wir zwar alle möglichen Vorkehrungen treffen, die aber doch nach meiner Meinung, keine völlige Sicherheit gewähren. Anderen Sinnes bin ich in Rücksicht der Abhaltung der Messe nicht geworden, und ich halte die deshalb erlassene Bekanntmachung noch immer für einen grossen Fehler. Aber leider habe ich mich überzeugen müssen, dass eben durch diese unglückliche Bekanntmachung in der Sache schon so weit vorgegriffen war, dass man bei einer späteren Aufhebung

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der Messe, sich endlosen Entschädigungs-Ansprüchen ausgesetzt, und einen Aufruhr zu besorgen gehabt haben würde, den die hiesigen Arbeiter, von den habsüchtigen und unzufriedenen Hauseigenthümern aufgehetzt, gewiss unternommen hätten. Unsern hiesigen polnischen Soldaten vertraue ich im Punkte eines Tumults nicht viel; sie betrachten die Anstalten gegen die Cholera schon als friedfertige Massregeln gegen die Polen [...]. In dieser politischen Ansicht beruht meine Sinnesänderung, immer aber werde ich die erste übereilte Bekanntmachung für verwerflich achten, und begreife nicht, wie sie durch eine Rücksicht auf die rheinländischen Fabrikanten hat entschieden werden können, welche unmöglich in ihrer Existenz von der hiesigen Messe abhängig sein können und die in der zu haltenden Messe gewiss so schlechten Absatz finden werden, dass ihnen noch jeder Vorwand zur Entlassung von Arbeitern offen stehen wird. [...] Es ist mir erzählt worden, es sei nahe daran gewesen: mich nach Danzig zu senden, um dort gegen die Cholera zu Felde zu ziehen. Wenn dies wahr ist, und dass Sie dazu beigetragen haben, solches abzuwenden, so bin ich sehr dankbar [...]. Friedrich Jacobs an Friedrich Wilhelm Thiersch, Gotha, 29. Juni 183163 Von Emil habe ich fortdauernd gute Nachricht, aber der unselige Krieg und die verheerende Krankheit in seinem Gefolge macht mich sehr ängstlich. Es kömmt mir vor, als lösten sich alle Fugen der bürgerlichen Gesellschaft auf, so daß es nur eines Stoßes von Außen bedarf, um Alles zum Einsturz zu bringen. Diesen Stoß kann ein Krieg geben, der an den Thoren Deutschlands steht, und wenn er seinen Fuß über den Rhein setzt, die Anarchie, als eine politische Cholera, mit sich bringen wird. Vielleicht erwächst dereinst aus diesem Samen der Baum einer schönen Freiheit - vielleicht auch ein wildes Dornengestrüpp, langdauernder Gesetzlosigkeit. Auf keinen Fall werde ich die Früchte sehen, die sanguinische Gemüther erwarten, sondern mein Leben wird untergehen, ehe der Strahl der neuen Sonne die Düsterkeit zerstreut. Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, Buchwald (Schlesien), 1. Juli 1831м Ich erhalte manchen Brief - sogar Fragen und Mahnungen, ob ich bleiben würde, wenn die Cholera hereindringe; sie ist mir wahrlich nicht gleichgültig, und Du weißt, daß ich mich immer ernst deßhalb aussprach, aber soll man deßhalb Haus, Hof, Unterthanen, Beruf fliehen, weil des Herrn Hand eine Zeit der Prüfung herbeigeführt und auch vielleicht über uns? Ich komme immer auf David zurück und wüßte nicht, wohin zu fliehen wäre, wo seine Allmacht mich nicht alsbald treffen könnte - und vor ihm fliehen scheint mir auch das Allerschwerste. - Aber Alles thun, sie abzuwenden oder minder gefährlich zu machen, durch Vorsichtsmaßregeln, Alles bereiten, was Noth thut, wenn sie erscheinen sollte, und die besten Mittel zur Heilung anwenden, ohne Aufschub, das scheint mir die höchste Pflicht für mich und meine 14.000 Angehörigen, so weit meine Kräfte reichen. So fängt in diesen Tagen meine Suppenanstalt an - einen Tag 100 Portionen für die Quirler, den andern für die Buchwalder. Es beschäftigt mich sehr.

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Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 1. Juli 183165 Sehr wünsche ich zu wißen, wie es Dir, u. meinem lieben Carl mit der Gesundheit geht, auch hoffe ich ist Hegel durch die schönen Tage von seinem letzten Fieberanfall ganz hergestellt. Kommt die Cholera näher, so hoffe ich braucht sie dazu noch einige Zeit, dann packst Du aber Mann u. Kinder auf, u. kommst zu uns. Zwar hat uns Hr. von Reden versichert, er möchte ordendlich wünschen sie zeige sich in Berlin, denn er sey versichert, dort würde die Kunst der Aerzte ihrem weiteren Fortschreiten ein Ziehl setzen - aber bei der größten Hochachtung vor diesem Wißen [...] möchte ich Dich und die Deinigen doch nicht im vertrauensvollsten Glauben der furchtbaren Krankheit a u s g e s e t z t wissen. Von der Cholera fallen mir die politischen Krankheiten, u. Uibel ein, u. oft sagen wir zusammen, wir möchten nun Hegel darüber hören. - Er wird sich nun der Gegenwart Cousins freuen, der wie uns die Zeitungen sagen, in Berlin ist. Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, Königsberg, 2. Juli 183166 Ja! Krieg haben wir, aber Krieg offen und klar geführt, verändert nicht das Verhältniß der wechselseitigen Achtung, im Gegentheil kommt der gute Wille noch klarer zu Tage. Krieg mußte kommen, denn den Gegenstand kennt noch Niemand genau, und die Phantasie hat freien Spielraum. Daher kommen auch 9/10 aller Schriften und Meinungen daher, wo man die Sache gar nicht kennt. Aber offen und klar wollen wir kriegen, und daher müssen Sie mir es erlauben, daß ich zwei Punkte anführe, wo Sie sich meine Persönlichkeit anders denken, als sie ist. 1. In dem Bericht an den König nehmen Sie an, daß meine Meinung mir höher stehe als die gesetzliche Vorschrift. Gerade das Gegentheil ist aber in mir. Ich bin Pedant in der Legitimation, und thue keinen Schritt, wo nicht die Legitimation unbedingt vorher feststeht. In unserer Sache hatte ich Friedrich Wilhelm, für den Altenstein, Hake und Brenn weichen. Dies wäre genug. Aber auch Altenstein, Hake und Brenn können nicht wollen, daß wenn am schlesischen Thore 20-30 Menschen sterben, aus Berlin Niemand herausgelassen und die Residenz gesperrt sein soll. Ausdehnung und Richtung können hier wohl erst entscheiden. 2. Sie trauen mir zu große Nachgiebigkeit und zu große Willfährigkeit gegen die Russen zu. Das ist aber meinem Wesen ganz zuwider. Sollte durch eine Maßregel unserm Lande Schaden werden, so liegt es in mir, lieber die ganze russische Armee zu Grunde gehen zu lassen, als diese Maßregel zu ergreifen. Kant würde sich im Grabe umdrehen, wenn ich eine andere Philosophie haben und üben könnte. Ew. etc. bemerken in Ihrer gefälligen Zuschrift, daß alle Stimmen aus Preußen eine andere Theorie äußerten, als ich befolgte. Dies zeigt aber nur, da ich die Provinz genau kenne, daß nach Berlin Berichte von Männern gekommen sind, deren Meinung in der Provinz keinen Werth hat. Von Danzig wird der Postmeister gräßliche Sachen geschrieben haben, der Polizeipräsident nicht weniger. Aus der Beamtenkaserne Marienwerder werden zitternde Berichte nach Berlin gekommen sein, und so wird mancher echter Büreaubeamter heillosen Lärm gemacht haben. Aber es ist ein Unglück für Ew. etc. daß Sie die Berichterstatter nicht kennen können. Andere wieder verstecken unter Cholera ganz andere Absichten. So schreibt die Danziger Kaufmannschaft: Von Ansteckung sei nicht die Rede, ansteckend sei die Krankheit nicht, aber die russischen Schiffe wolle man fort haben. Der Schlüssel zur Sache ist, daß das Haus Soermanns et Söhne enorme Summen bei dem russischen Geschäfte verdient, der Gegenstand des allgemeinen Neides ist, und man

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dies Geschäft durchaus vertheilt haben will. Derselbe Fall ist mit der Eingabe der Stadtverordneten in Königsberg, in Absicht des Hauses Behrend Lork. Ich kenne alle diese Sachen im Entstehen und würde wenn ich gesund gewesen wäre, die Kabale vernichtet, und ebenso den furchtbaren Postmeister zu Danzig zur Ruhe gebracht haben. Der Graf Orloff hätte die russischen Anstalten nicht scheuen dürfen, denn der Dr. Barchewitz, der sie genau untersucht hat, sagt: alle Chainen und Sperren dort, sind Spiegelfechterei. - Ein guter Schnaps führt durch alle Militairlinien, und in Moskau ist keine Spur von polizeilichen Maßregeln bemerkbar gewesen. Frederic Soret an Johann Wolfgang von Goethe, Jena, 2. Juli 183161 Herr Meyer ist heute zwischen 7 und 8 Uhr durch Jena gekommen; es regnete in Strömen, er hielt sich nicht auf, und wir sahen ihn nicht; ich fürchte, der Sommer wird regnerisch bleiben, und unglücklicherweise wird jetzt, wie man hört, um Böhmen und Österreich ein Kordon [gegen die Cholera] gezogen; die Badegäste werden also erst nach einer langwierigen Quarantäne zurückreisen können; wie wird sich S. Hoheit der Großherzog [in Karlsbad] damit abfinden? Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, Oschersleben, 3. Juli 18316% Zu dem Allem kommt die Ungewißheit der Zeiten. Man weiß nicht, was sich an dem Ort der Heimath zutragen kann, indeß man sorglos abwesend ist; man weiß nicht einmal, ob sich nicht ein vielleicht wegen der Cholera morbus nothwendig werdender Cordon der Rückreise entgegenstellen kann. Sie werden in den Zeitungen gelesen haben, daß die so sehr gefürchtete Krankheit in Danzig ist. Ich habe mehrere Briefe von daher gelesen, und es ist merkwürdig zu sehen, wie wenig traurig oder bestürzt die Leute schreiben. Sie stellen das Uebel gar nicht so furchtbar vor, und klagen fast mehr über die Sperre. Wo ein Haus von der Krankheit ergriffen wird, trifft es in der Regel nur Ein Individuum. Man kennt nur äußerst wenige Beispiele vom Gegentheil. Auch dies bestätigt die schon sonst gemachte Beobachtung, daß die Krankheit zwar gewiß ansteckend ist, aber nur solche Personen ansteckt, die schon durch innere Disposition eine größere Empfänglichkeit dafür haben. Furchtlosigkeit halte auch ich für sehr günstig, der Krankheit zu entgehen; diese kann aber niemand mehr haben als ich. Es ist mir immer eigen gewesen, mich vor keiner Krankheit zu scheuen. Ernst Wilhelm Hengstenberg an Karl Hengstenberg, Berlin, 4. Juli 183169 Die Furcht vor der Cholera, die hier zu einem lächerlichen Grade gestiegen war, hat sich jetzt schon sehr gelegt. Es scheint doch, daß die Maßregeln der Regierung wenigstens für einige Zeit von Erfolg sind. Käme sie nach Berlin, sie würde wahrscheinlich große Verheerungen anrichten. Die Universität würde sogleich geschlossen werden. Johann Ulrich Ewertz an Carl Friedrich von Gräfe, Dünaburg, 4. Juli 183110 Ew. Hochwohlgeboren wollen gütigst entschuldigen, daß ein Unbekannter ein empirisches Heilverfahren gegen die Cholera mitzutheilen wagt, das hier sehr erfolgreich gewesen, und vielleicht auch schon längst Ihnen bekannt ist. Da ich indeß aus öffentlichen Blättern

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ersah, daß auch in Danzigs Umgegend das Verhältniß der Gestorbenen zu den Erkrankten sehr groß ist, so halte ich es für meine Pflicht, das einfache sichere Verfahren Ihrer Verfügung zum Wohl der Menschheit zuzustellen. Wollen Sie, was durch Ihre Stellung Ihnen leicht möglich sein wird, dasselbe irgendwo, sei es auch nur versuchsweise, anwenden lassen, wo werden Sie sich bald von dessen glücklichen Erfolge überzeugen. Die Cholera oder die Ostindische Brechruhr ist weder so ansteckend, als auch so bösartig und hartnäckig, als leider bisher das Verhältniß der an derselben Gestorbenen zu den Erkrankten zu ergeben scheint, wenn nur die günstige Zeit, derselben entgegen zu wirken, nicht ungenutzt vorüber streicht. Sie wird aber tödtlich durch die Angst, die die Umgebung eines Erkrankten ergreift und sie hindert dem Erkrankten beizustehen. Die medizinische Polizei und die Polizei insbesondere tragen in allen größeren Städten durch die pünktlich gewissenhafte und unabänderliche Absonderung der Erkrankten, und dadurch gesteigerte Furcht der Gesunden dazu bei, daß eine große Anzahl der Ersteren als Opfer der Krankheit fallen. Während der Ausführung aller vorschriftsmäßigen Vorsichtsmaaßregeln gegen die Cholera, als vorausgesetzt anstekkende Krankheit und die an derselben Erkrankten verstreicht nämlich unnütz und unwiederbringlich die Zeit, in welcher allein der Krankheit mit Erfolg entgegengewirkt werden kann. Die strenge Absonderung der Erkrankten von den Gesunden muß also unterlassen werden, dagegen dem Erkrankten von seiner nächsten Umgebung ohne alle Furcht vor Ansteckung, die schnellste Hülfe geleistet werden.

Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, Königsberg, 4. Juli 183171 Ew. etc. habe ich für Viel zu danken, angelegentlich zu danken, und recht herzlich zu danken. Und zwar zuerst für die Bemerkung in Absicht der größern Sterblichkeit in der arbeitenden Klasse. Allerdings ist es grausam, den Menschen welche ohnedies wenig Freuden im Leben haben, noch Unglück zu prophezeien. Ich ehre das Gefühl mit hoher Achtung, welches Sie veranlaßt hat, deshalb an mich zu schreiben, und theile es von ganzem Herzen. Einmal an einem Tage, wo ich sehr unwohl war, hat sich leider! eine unpassende Aeußerung in dieser Beziehung, in meiner Bekanntmachung durchgeschlichen. Als ich diese darauf gedruckt las, empfand ich gleich selbst den unangenehmen Eindruck. Ich wiederhole meinen größten und verbindlichen Dank. Zweitens habe ich zu danken für die gefällige Mitheilung des Briefes aus Kurland an die Frau v. d. Recke, Alles was in dem Briefe steht, ist nicht allein wahr, sondern die Sache steht nach meinen Nachrichten, noch viel übler, für das russische Gouvernement. In Riga läßt man die Strusen und deren Besatzung, auf dem Strome in der Stadt, und es soll ein Gestank sein, der, wenn die Cholera nicht da wäre, andere ansteckende Krankheiten erzeugen müßte. Das Einquartieren der cholerakranken russischen Soldaten, in kurländische Dörfer, ist gräßlich, und die Anzeige, welche ich nicht als möglich denken kann, daß man ein russisches Cholera-Lazareth angesteckt habe, übersteigt die Grenzen unseres Denkvermögens. Drittens habe ich sehr zu danken für die gefällige Mittheilung des ausführlichen Schreibens an den Obristen von Canitz, wegen der Couriere, wegen Ansteckung und Nichtanstekkung. Das Schreiben hat mich sehr interessirt, obgleich ich nicht beistimmen kann, halte ich es für ein dialektisches Meisterstück. Der Schüler einer philosophischen Universität, muß aber zu dem Lieutnant, der seinen Zug in der Schlacht führt, den alten Spruch anzuführen

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sich erlauben, daß jedes Gleichnis hinkt. Kennt der Lieutnant den Feind, das Terrain, die Armee, den Schlachtplan, so muß sein Urteil, trotzdem, daß er nur einen Zug führt, richtiger sein, als das des Feldherrn, der weder den Feind kennt, noch von dem Terrain etwas weiß, auf welchem geschlagen wird. Die Erkenntniß α posteriori muß immer der α priori vorhergehen, und wenn es richtig wäre, daß man um so richtiger urteile, je weniger man von der Sache wisse, oder in ihr lebe, dann wäre der Idealismus der Welt gegeben. Die große Frage über Contagiosität oder Nichtcontagiosität ist bei mir entschieden. Nach dem Begriff, den wir mit dem Worte: ansteckend verbinden, spricht alle Erfahrung gegen sie. Nimmt man sie an, so verbindet man mit dem Worte einen andern Begriff, als die deutsche Sprache zeither damit verbunden hat. Daß die Krankheit den Verkehrstraßen und den Armeen gefolgt ist, ist unbedenklich, aber dies entscheidet hier nichts, denn die Epidemie ist da; wer sie zurückschlagen kann, dem kommt sie nicht nahe, unstetes unregelmäßiges Leben, wie Soldaten und Karavanen führen müssen, hemmen und nehmen die Mittel, die Epidemie von sich schlagen zu können, und so folgt sie den Heerstraßen und den Armeen, aber sie geht auch rechts und links dahin, wo sie will und so ist sie nach Danzig und nach Archangel gekommen. Ich gehe noch weiter, und nehme an, daß cholerakranke Personen besonders Träger der Epidemie sind, und daß, wer sich diesen nähert, und sonst noch das Ungeheuer von sich geschlagen hätte, hier vielleicht die mehrere Kraft nicht hat, um die Epidemie zurückzuweisen. Ich setze sehr großen Werth auf unsere Sanitäts-Commissionen und unsere Landesgrenzensperre, aber im Verkehr selbst werden wir in Absicht der Sachen wohl unbedenklich bald, aber auch in Absicht der Personen, zu mildern Maßregeln kommen müssen. Ich wiederhole aber, daß mich der Brief an den Obristen v. Canitz sehr interessirt hat. Gott erhalte Ew. Hochwohlgeboren wohl! Kommen Sie nur bald zu uns, auch zu meiner großen Privatfreude. Der Ausbruch der Cholera in Danzig war am 28. Mai erfolgt, zwei Tage früher, bevor das erste aus Rußland kommende Schiff auf der Rhede angekommen war. Trotz der genauesten Nachforschungen konnte nicht einmal ein entfernter Verdacht aufkommen, daß die Krankheit von außen eingeschleppt worden sei. Arbeiter, welche beim Baggern beschäftigt waren, wurden die ersten Opfer derselben. Aber den einmal geltenden Vorschriften entsprechend wurden sofort alle Sperrmaßregeln mit voller Strenge in Vollzug gesetzt. Aber schon am 2. Juni erklärte die dortige Sanitätskommission der Regierung, daß jede enge Sperrung der Stadt oder eines einzelnen Stadttheils nutzlos sei. Diese Kommission bestand übrigens nicht aus Aerzten sondern aus gut geschulten Beamten, dem Polizeipräsidenten Baron von Vegesack, einem alten an pünktlichen Gehorsam gewöhnten Offizier, dem Oberbürgermeister v. Weickhmann und einem jüngeren Regierungsrath Kries. Da die Regierung nicht ermächtigt war, die vorgeschlagenen Milderungen zu gestatten, so mußte bei dem rigorosen Verfahren verharrt werden. Aber am 3. Juli wiederholte die Sanitätskommission ihre Einwendungen und Bitten um Erleichterung. Ihr Bericht ist in dem von uns allegirten Buche p. 425 abgedruckt, und gewährt einen genauen Einblick in den Nothstand, welcher durch die strenge Ausführung der Berliner Vorschriften hervorgerufen worden war. Man sperrte zuerst die einzelnen Stadtteile von einander ab. Man hinderte den Umzug aus den verseuchten Stadtteilen, den Umzug des Gesindes, man sperrte die Bewohner eines Hauses, in dem ein Krankheitsfall sich ereignet hatte, vollständig ein, man sperrte dann in diesen Häusern jede einzelne Wohnung wieder ab, und kam zuletzt dahin, daß man den

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eingesperrten Bewohnern alle Bedürfnisse zutragen mußte. Man schleppte jeden Kranken in die eingerichteten Lazarethe, seine Angehörigen hielt man in der gesperrten Wohnung zurück, und trennte den Mann von der Frau, die Mutter von den Kindern. Man kam auf diesem Wege dahin, daß die Stadt zuletzt über 1000 Personen buchstäblich zu ernähren und zu bewachen hatte, und man sah zuletzt, daß all diese Sperrmaßregeln nichts nützten. Die Sanitäts-Kommission berichtete, daß sie sich schon nach den ersten acht Tagen von der Nutzlosigkeit der Sperrmaßregeln überzeugt, und diese ihre Ueberzeugung ausgesprochen habe. Sie hatte aber bemerkt, daß die Furcht nicht vor der Krankheit aber vor der Absperrung diese letztere vollständig in ihrer etwaigen Wirkung paralysirte. Wer auf der Straße erkrankte, blieb dort hülflos liegen, bis die öffentliche Hülfe ihn erreichen konnte. Niemand mochte ihn berühren, niemand ihn aufnehmen, um nicht selbst eingesperrt zu werden. Ja! man trieb Erkrankte auf die Straße, um das Haus vor der Absperrung zu sichern. Man zeigte eine Erkrankung nicht eher an, nahm nicht eher ärztliche Hülfe in Anspruch, als bis es zu spät war, und nicht länger verheimlicht werden konnte, und schaffte alle Sachen bei Seite, um sie vor der Vernichtung zu retten. Aller Verkehr stand still, die eingesperrten Personen verloren jede Möglichkeit, etwas zu verdienen. Die Sanitäts-Kommission erklärte rundweg, daß sie den Moment herannahen sehe, wo die gesunden Menschen nicht mehr ausreichen würden, „die abzusperrenden zu bewachen, geschweige denn sie mit ihren Bedürfnissen zu versorgen." Um die Vernichtung des Wohlstands einer großen Stadt zu verhüten, bat die Kommission um Erleichterung der Sperre, um Aerzte für die Lazarethe, und Geldmittel zur Bestreitung der Kosten etc. Kaiser Franz I. von Österreich an Palatin Josef, Wien, 5. Juli 183172 Die Cholera ist eine große Geißel, vorzüglich wegen der Angst, welche sie verbreitet, und dem Zeitpunkt, in dem sie eingetroffen, wo die Truppen in Bereitschaft gegen allfällige feindliche Unternehmungen gegen die westlichen Grenzen der Monarchie aufgestellt bleiben müssen. [...] Ob die Kordone die Cholera abhalten werden, weiß Ich nicht; thun sie es nicht, so sind erstere eine große Plage ohne Not. Das Wichtigste und Nothwendigste dürfte sein, da, wo Cholera in Orten ausbricht, dort Hilfe leisten, wo Mangel ist, die gehörige Unterstützung zweckmäßig leisten und die Kranken absperren und gleich zu selben sehen um sie zu heilen. Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, Berlin, 7. Juli 183173 Mein Wunsch ist nach Baden: und zu Ihnen: mich endlich ausruhen, damit ich noch etwas weiter zu leben vermag; Varnh: kann nicht mit; das Kind würden sie mir nicht mitgeben: auch wäre ich entschloßen ohne das Kind zu reisen; ich habe nur den Wagen mit Ledern den Sie mir kennen, und kein coupe mit Scheiben welches ich nothwendig brauchte: ich kann keinen Abendthau, noch Gewittersturm jetzt ertragen: jeden Abend sterbend davon. Nun würde ich mir für Geld einen Scheib: Wagen miethen oder kaufen - einen gebrauchten aber ich kann mir die Mühe nicht plötzlich noch dazu, geben: und V: würde mich todt questioniren, und es unnöthig finden das kann ich jetzt nicht mehr vertragen, vor Brustpochen, wenn ich auch schweige mit Worten; und in der Seele. Plötzlich müßte ich mich fertig machen: denn Dienstag reist nach Baden M[ada]am Beer mit ihrem Mann; Wilhelm, Bruder

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des componisten den Sie kennen [...]. Wir Wollen noch Leben. Auch ich denke oft: ich muß bald sterben. Alles stirbt, und stirbt, und stirbt. Friedrich von Gentz an Lisette von Gentz, Wien, 8. Juli 183 774 Fürs erste war ich über die außerordentliche Angst, mit welcher Du von der herannahenden Cholera sprichst, nicht wenig verwundert. Es ist nicht zu leugnen, daß die Gefahr wirklich besteht, und daß die Oesterreichischen Provinzen so gut wie die Preußischen davon bedroht sind. In den letzten vier Wochen sind wir sogar mehr als zuvor durch die aus Galizien (besonders aus Lemberg, wo die Krankheit furchtbar wütet) und aus Ungarn eingelaufenen Nachrichten - wiewohl die letzteren wo nicht ganz apokryphisch, doch gewiß sehr übertrieben, waren - beunruhigt worden. Indessen sind nun in beyden Ländern, früher noch in Preußen, welches der dortigen Regierung sehr zum Lobe gereicht, neuerlich aber auch bey uns, so strenge und so umfassende Maßregeln ergriffen worden, daß es in der That Gottes ausdrücklicher Wille seyn müßte, wenn wir mit dieser neuen Pest gestraft werden sollten. Mein letzter Trost gegen dieses Übel ist immer der, daß es bisher durchaus nur in halb-barbarischen, verwahrlosten, ihres Schmutzes wegen berüchtigten Ländern geherrscht hat, und daß es diesseits der Linien, welche diese von der Region der civilisirten trennen, entweder keinen Eingang finden, oder seine Kraft bald verlieren wird. Freylich ist es in einem Zeitpunkt, wo die Welt von allen Seiten so verschüttet und zerrissen ist, daß man täglich auf die erschrecklichsten Catastrophen gefaßt seyn muß, wohl erlaubt, auf jeden neuherantretenden Feind mit Zittern zu blicken; daß aber die Cholera alle Verbindungen und selbst „briefliche Mittheilungen" zwischen uns abschneiden sollte, das ist mir noch nie eingefallen, und kan[n] auch Dir nur in seiner sehr melancholischen Stunde vorgeschwebt haben. Friedrich von Gentz an Rahel Varnhagen, Wien, 8. Juli 183175 Ein halbes Jahrhundert ist verflossen, seit wir einander nicht geschrieben haben, meine theuerste Freundin; die Schuld war mein, wenigstens fällt der Schein davon auf mich; denn in der Wahrheit gehört sie ganz der furchtbaren Zeit, in welcher wir leben, und welche zu Mittheilungen, wie die unsrigen, nicht blos Ruhe und Muße, sondern Besonnenheit und Aufschwung versagt. Es wird immer wilder und finstrer auf Erden. Niemand kann mehr das Schicksal seines Landes, seiner nächsten Umgebungen, sein eignes, auf vier Wochen hinaus mit Sicherheit berechnen. Niemand weiß mehr recht, zu welcher Parthei er gehört; die Meinungen, die Wünsche, die Bedürfnisse durchkreuzen sich so sonderbar, und begegnen sich auch wieder in dem allgemeinen Getümmel, daß man kaum Freund und Feind mehr unterscheidet; es ist ein Krieg Aller wider Alle, dem Donnerschläge von oben, und Erdbeben von unten allein ein Ende machen können. Zu den moralischen Plagen gesellen sich nun auch noch materielle Geißeln, und was Revolutionen und Kriege nicht aufreiben, droht die Cholera zu verschlingen. [...] Denken Sie sich nur - Sie begreifen es ja! - daß ich heute nicht eine einzige Depesche lesen oder schreiben kann, die mich nicht aufs peinlichste bewegte, mir nicht das Bild des allgemeinen Verfalls von einer oder der anderen Seite anschaulich machte. Denken Sie sich dabei, daß auch diejenigen, die so lange im Rufe leichtsinniger Optimisten standen, jet[zt]

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die schwärzesten aller Schwarzseher geworden sind, und mir jeden Morgen zehnmal betheuert wird: „daß alles unser Thun und Treiben vergeblich, daß die Welt ohne Rettung verloren sei, daß uns nichts übrig bleibt, als uns auf unsern nahen Tod zu bereiten". Heinrich Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, Carlsbad, 8. Juli 183176 Mein Aufenthalt hier wird nicht über die mir in Weimar schon vorgesetzte Zeit von drey Wochen dauern; denn da der oben erwähnte Herr Zahlbrückner aus erhaltenen Briefen von Wien die Mittheilung gemacht, daß die Cholera sich in Ungarn weit verbreitet und man nicht ferne von Wien gegen Ungarn einen Cordon zu ziehen vorhabe, indessen doch besorgt sey, das Übel möchte schwer von der Hauptstadt abzuhalten seyn, so läßt sich mit Grund vermuthen, die jetzt schon bestehenden Nachfragen und geforderten Ausweisungen auf der bayerischen Gränze gegen Böhmen möchten noch verschärft werden, die Schwierigkeit durchzukommen immer mehr sich anhäufen. Karl Ernst von Baer an Robert Froriep, Königsberg, 9. Juli 183177 Sie werden vielleicht schon häufig Eilfertigkeit in meinen schriftlichen Mittheilungen bemerkt haben. Diesmal aber treibt mich die Cholera ganz besonders. Da man diese Harpyra hier täglich erwartet, so hat man das neu erbaute zoologische Museum (ein ansehnliches Gebäude) zu einem Lazareth ausersehen. Aus diesem Grunde mußte ich es sehr eilig beziehen, um vor solchem Vandalismus Königsberg zu bewahren. Sie glauben nicht, wie alle Gemüther entsetzt und alle Verhältnisse durch diese Erwartung der Cholera gestört werden. Das größere Publicum verlangt die strengste Sperre, und schon darf man ohne Gesundheitsattest nicht über den Wall gehen. Die Ärzte und einige wenige Nicht-Contagionisten aus dem Publicum schreiben und schreien gegen die policeilichen Störungen und behaupten, daß der Staat in Danzig die Menschen mordet. Es ist ein bellum omnium contra omnes. Niemand fühlt sich behaglich, und viele wünschen: Wenn nur die Cholera erst da wäre. Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, Berlin, 9. Juli 1831n Wärme, ohne große Hitze; alles schön und gut: nur die Cholera die da naht. [...] Mam Beer [...] sagte mir, ihre Reise habe sich um 14. Tage aufgeschoben: des Mannes Geschäfte wegen, und auch um die Frankfurth=oder Messe abzuwarten, wo man mit den Waaren die cholera trotz der ungeheueren Maasregeln fürchtet. Nun habe ich selbst dadurch noch 14 Tage Zeit, mich Beers anzuschließen, und dadurch viel größere Hoffnung noch zu kommen. Heinrich Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, Carlsbad, 12. Juli 183179 Man ist wegen der Cholera, die bis Preßburg vorgedrungen seyn soll, ein paar Tage sehr beunruhigt gewesen, nun hat sich aber der erste Schreck schon wieder verzogen und ruhigem Ansichten Platz gemacht. Auf der nördlichen Seite scheint es leidlich zu stehen; es kommen mehrere Brunnengäste von Berlin, Potsdam, wie auch aus Schlesien an, und ich höre nicht, daß dieselben irgend üble Nachrichten mitgebracht.

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Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 13. Juli 1831ю Die Cholera hat nun bereits an drei Punkten, nämlich bei Polangen, bei Schirwindt und bei Kempen an der schlesischen Grenze unseren Kordon überschritten, aber immer nur in einzelnen Sterbefällen, so daß bis jetzt noch keine Verbreitung bemerklich ist. Wenn sie wirklich ins Land vorrückt, so werden unsere Verhältnisse sehr verwickelt. Wegen der für den Danziger Kordon getroffenen Anordnungen haben wir keine Unannehmlichkeit gehabt, vielmehr haben sie sich hinterher bewährt. Der König ist in allen Dingen sehr rücksichtsvoll gegen die Anordnungen und Meinungen des Feldmarschalls, und wir sind bis jetzt noch in nichts gemißbilligt worden. Vor einigen Wochen hatte der Feldmarschall darauf aufmerksam gemacht, daß der Sanitätskordon die gegen die Polen disponiblen Truppen um 8-9000 Mann geschwächt hätte; er hielt eine Verstärkung nicht gerade für notwendig, sagte aber, er könne freilich auch nicht dafür stehen, daß Fälle eintreten könnten, wo man sie lebhaft gewünscht hätte; er müsse es also dahingestellt sein lassen, ob die noch an der Oder stehenden Truppen des Kronprinzen nicht etwas näher herangezogen werden sollten. Das hat der König nun genehmigt. Wahrscheinlich macht diese Bewegung in Berlin viel Lärm; es ist aber eine bloße Vorsichtsmaßregel. Der Tod des Großfürsten Konstantin [an der Cholera] ist ein rechtes Glück; denn er wäre später gewiß noch ein gefährliches Instrument der Parteien geworden.

Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, Mailand, 14. Juli 1831u Tausend Dank für Euern frohen Brief vom 20 Juny; gerade jetzt wo mir doch ein wenig bange zumuthe ist, bei den immer vorrückenden Cordons, u. wo ich jeden Brief mit doppelter Ungeduld erwarte, jetzt ist es gar zu schön von Euch mir so liebe, vergnügte Briefe zu schreiben. Die machen mich dann auch wieder lustig, u. das heitert Euch dann vielleicht wieder auf, u. so ist es viel besser, als umgekehrt. Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, Buchwald (Schlesien), 15. Juli 1831s2 Caroline machte mir am Montag einen wahren Schreck, indem sie Nachmittags auf einmal Erbrechen bekam - dreimal sich übergab und Leibweh hatte - sie legte sich früh. Soll man wahr sein, so muß man gestehen, daß ein Jeder ein bißchen mehr oder weniger Г esprit frappe vor der Cholera hat und man also, was nicht gut ist, mehr auf sich Acht giebt und die leisesten Symptome ernster deutet. Sulpiz Boiseree an Johann Wolfgang von Goethe, München, 16. Juli 183Iю Ich freue mich in dieser argen Zeit, wo um uns herum furchtbares Unheil droht, jeden Tag, wo ich etwas weiter fördere, mit doppelter Dankbarkeit. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß unter diesen Umständen die Theilnahme der Wenigen, die noch für etwas anderes Sinn haben als für die Verwirrung des Augenblicks, einen um so größern Werth für mich hat, und daß Sie unter diesen Wenigen obenan stehen, wissen Sie auch.

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Frederik Chopin an die Familie, Wien, 16. Juli 1831м Aus dem letzten Brief ersehe ich, daß Ihr Euch mit dem Unglück abgefunden habt. Glaubt mir, auch mich vermag nichts mehr so leicht aus der Fassung zu bringen ... Hoffnung, о teure Hoffnung. Endlich habe ich den Paß. Aus der Abreise am Montag wird jedoch nichts, erst am Mittwoch werden wir nach Salzburg aufbrechen, und von dort nach München. Eine Sorge ist uns noch dazugekommen: Für die Ausreise nach Bayern brauche ich einen Cholera-Gesundheitspaß, sonst läßt man uns nicht über die Grenze des bayrischen Staates. Schon bin ich mit Kumelski einen halben Tag wegen dieser Sache herumgelaufen, nachmittags soll das erledigt sein. Mich freut, daß wir auf diesen Amtstreppen wenigstens in guter Gesellschaft waren, denn nach dem guten Aussehen, der schönen Aussprache und dem Paß zu urteilen, war es gerade Aleksander Fedro, der sich zugleich mit uns um diesen Paß bemühte. Vor der Cholera hat man hier schreckliche Angst. Es ist zum Lachen. Gedruckte Gebete gegen die Cholera werden verkauft, man ißt kein Obst, und vor allem flieht man aus der Stadt. [...] Gott gebe Euch Gesundheit! Möchte doch keiner von unseren Bekannten sterben. Schade um Gucio! Eure Briefe werden durchstochen und mit einem gewaltigen Gesundheitsstempel versehen, so sehr fürchten sie sich hier: eine panische Angst!

Johann Friedrich Herbart an Moritz Wilhelm Drobisch, Königsberg, 16. Juli 183185 Als die Cholera in Danzig auftrat, machte ich mein Testament. Gestern fiel mir ein, jetzt noch ein zweytes Testament folgen zu lassen, nämlich Ihnen meine philosophischen Angelegenheiten zu vermachen. Das unterlasse ich jedoch; und zwar aus dem einzigen Grunde, weil es noch zweifelhaft ist, ob diese Erbschaft willkommen seyn würde, die gewiß mehr abschreckend als einladend aussieht.[...] Vor der Cholera, die ohne Zweifel nach der Meinung hiesiger Aerzte, sowohl Königsberg als Leipzig, und jeden andern Ort bis Lissabon erreichen wird - und die leider! in Polen ihre ganz furchtbare Intensität, wie in Ostindien, wieder erlangt zu haben schein[t], sind die hoffentlich persönlich sicher, durch Jugend, Gesundheit und Leb[ensordnung], Was mich betrifft: so wohne ich hoch, und geräumig; und der hiesige Chef der Gensd'armerie ist mein Miethsmann, so daß mein Haus den möglichsten Schutz genießt. Aber meine Gesundheit zeigt sich diesen Sommer auffallend schwächer als sonst; und es bedarf gar keines heftigen Stoßes, mich umzuwerfen. Jedenfalls steht eine traurige Zeit bevor, wegen der Sperrung und der großen Theurung. [...] Ein Geistlicher, der mich gestern besuchte, um, wie er sagte, sichs gewiß zu nehmen, daß er mich noch einmal sähe, bevor ihn vielleicht sein Amt zu gefährlichen Tröstungen berufe: erzählte mir, die Cholera sei in Riga, von wo sie nach Danzig kam, wochenlang aus Gewinnsucht verheimlicht worden! - Man trägt sich aber mit einem Gerücht, als hätte Oesterreich, veranlaßt durch die Gefahr der Cholera, die offenbar durch den polnischen Krieg immer furchtbarer wird, auf Vermittelungen angetragen [...].

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Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, Königsberg, 16. Juli 1831se Euer etc. haben mir unter dem 11. d. M. Abschrift des Schreibens mitzutheilen geruhet, welches Dieselben an den Hrn. Minister Gr. v. Lottum, wegen Bestätigung der CholeraInstruktion von Seiten Sr. Μ. des Königs zu erlassen geruhet haben. Diese gefällige Mittheilung veranlaßt mich Euer etc. dringend und angelegentlich zu bitten, dafür zu sorgen, daß diese Instruktion nicht von Sr. Maj. dem Könige bestätigt werde. Die Erfahrung zeigt, wie der Danziger Bericht darthut, daß die vom Ministerio aufgestellte Instruktion so unvollkommen ist, daß sie ihren Zweck nicht allein nicht erreicht, sondern nachtheilig ist. Die Anordnungen sind von einer ganz andern Krankheit, nämlich von der Pest, sie sind aus Ländern genommen, welche ganz andere Einrichtungen haben, in ganz andern Verhältnissen sich befinden, und im Verkehr und Cultur-Stande weit hinter uns zurückstehen. Es sind einzelne Begriffe verwechselt, und so ist eine Composition entstanden, welche in ihrer Anwendung Verderben für uns bringen muß. Die Instruktion geht von dem bei der Cholera, durch die Erfahrung unrichtigen, bei der Pest aber richtigen Satz aus, daß die Krankheit allein von Personen und Sachen fortgepflanzt werden kann. Alles was daraus gefolgert ist, muß dahero Widersprüche enthalten. Sie setzt Alles an die Absperrungen, und diese haben, wie sie vorgeschrieben sind, in Petersburg schon Aufstand, und bei uns hohe Unzufriedenheit und Unglück erzeugt. Man ist dabei von dem Satze ausgegangen, daß Petersburg durch eine 3fache Chaine Soldaten gerettet sei, der Dr. Barchewitz, der diese Chaine untersucht hat, behauptet aber, daß diese 3fache Soldaten-Aufstellung keine Chaine gewesen sei, indem der Verkehr nach wie vor, ohne Hinderniß stattgefunden habe. Die Instruktion stellt die Sanitäts-Kommissionen bei weitem nicht wichtig genug da, da diese doch unser erstes und sicherstes Mittel sind. Sie behandelt die Sache nach russischer Art als eine Militair-Angelegenheit, und nimmt den oestreichischen Grenzer für einen Soldaten, der er doch nicht ist. Was in dem uncultivirten Rußlande ganz gut sein mag, paßt aber nicht für uns, in Rußland sind die Feuer-LöschAnstalten dem Militair übergeben, und Moskau brannte deshalb ab, und das mag dort recht gut sein, paßt aber nicht für uns. Die Militairs sind bei uns in der größten Verlegenheit bei diesem Cholera-Auftrage, denn, mit den Landes-Polizei-Angelegenheiten unbekannt, sollen sie hier alleinstehend etwas verwalten, was ihnen nicht allein fremd und neu ist, sondern auch mit ihren sonstigen Verhältnissen in offenbarem Widerspruch steht. Die Landräthe, welche die Kreis-Polizei zu verwalten haben, treten zurück, und so wird so viel unterlassen, oder verkehrt gemacht, daß Unheil die Folge davon sein muß. Die Instruktion bedarf meines Erachtens einer gänzlichen Umarbeitung, und sie bedarf der Umarbeitung des Allerschleunigsten, wie der höchst interessante Berichte der Danziger Sanitäts-Kommission vom 3. d. M. zeigt. Meines Erachtens müssen die negativen Sperrmaßregeln mehr zurücktreten, und dagegen sind ernstlichere und strenge positive Maßregeln im Innern nothwendig. Die Sanitäts-Kommissionen bedürfen einer wirksameren Stellung, und strengerer Normen, das Militair müßte in sein Verhältniß der Wache [zurück]treten, und die medizinischen Maßregeln sind bedeutend auszudehnen. Bleiben die jetzigen Instruktionen und geht die Sache in ihrem Geleise fort, so müssen, wie der Bericht der Danziger Sanitäts-Kommission vom 3. d. M. zeigt, nähere Anordnungen unabsehbares Unglück herbeiführen, wogegen, wenn die Sache mit mehr Ernst bei uns an-

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gefaßt, und consequent geführt wird, die Cholera bei uns, in einem cultivirten Lande, niemals Unglück anrichten kann. Die Sache ist so wichtig, daß ich Euer etc., der Sie meiner vollen Ueberzeugung nach, nur das Gute, auch hier unbedingt wollen, nicht dringend genug empfehlen kann. Neidhardt von Gneisenau an Wilhelm von Scharnhorst, Posen, 16. Juli 1831ю Vorgestern erkrankte hier ein Soldat des 33. Regiments, ein Pole von Geburt, und die Zeichen der Cholera traten nacheinander hervor; im Laufe des Vormittags starb er. Noch bei seinem Leben hatte ich dem Generalarzt aufgegeben, dessen Leiche sogleich nach dem Tod zu öffnen. Aus Furcht vor Ansteckung war dies unterlassen worden. Meine darüber geäußerte Unzufriedenheit vermochte die Ärzte, die Leiche wieder ausgraben zu lassen und die Obduktion vorzunehmen. Diese zeigte denn auch die inneren Kennzeichen der Cholera. Wir haben nicht entdecken können, auf welchem Wege ihn die Ansteckung ergriffen hat; vermuthlich ist er in der entfernten Stadtgegend, worin er einquartirt war, und die Contrebande Ort ist, mit aus dem Königreich Polen eingeschlichenen Contrebandiers zusammen gekommen: er war übrigens ein Säufer. Seit seinem Tode hat sich kein neuer Krankheitsfall ergeben. Dr. Beumelburg an Samuel Hahnemann, Preußisch Holland, 17. Juli 1831™ Die so schreckliche, schnell tötende ostindische Cholera morbus, die von Persien auf Rußland überging, hat sich leider auch Preußen namentlich auch der ungefähr 15 Meilen von hier entlegenen Handelsstadt Danzig, wie es heißt, vermittelst eines dahin gekommenen russischen Schiffes mitgetheilt und wohl schon 500 Menschen dahingerafft. Ja selbst, wie ich soeben vernehme, sollen in der drei Meilen von hier entfernten Stadt Elbing sich auch schon Spuren dieser verheerenden Krankheit gezeigt haben. Unser so hochgesinnter Monarch, der so liebevoll für seine Unterthanen sorgt, hat sich der Sache sehr lebhaft angenommen und läßt für seine Rechnung die erkrankten Individuen heilen. Auch in dem Pr. Holländer Kreis sind acht Ärzte dieserhalb angestellt, zu denen ich auch gehöre. Jedem von uns hat man eine Menge von Medicinalien ins Haus zu einer fahrenden Apotheke geschickt, von denen ich Spaßeswegen ein Verzeichnis [von 39 Arzneien] beigesetzt habe. Eine bestimmte Methode, welche mit Gewißheit dieser schrecklichen Krankheit entgegengesetzt werden könnte, wissen die hiesigen Ärzte selbst nicht anzugeben, und die Mittel und Belehrungsart sind so verschieden und widersprechend, daß man selbst nicht weiß, welche man wählen soll. Vom Collegium medicum des Königreichs Pohlen wurde eine Nachricht über die Cholera, so wie auch von unserem Collegium medicum zu Königsberg eine kurze Anweisung zur Erkenntniß und Heilung derselben bekannt gemacht. Ebenso gab ein dirigirender Arzt, Dr. Bernstein zu Warschau, eine Methode an, die aber bald wieder von einem dortigen Dr. Leo verdrängt wurde, indem dieser ein Mittel und Verfahren angiebt, wodurch er die mehrsten Kranken geheilt haben will. [...] Für's erste würde ich sehr bitten, mir zu rathen, wie man sich sicher vor Ansteckung zu schützen habe; fürs zweite um Angabe eines homöopathischen Specificums, womit man sicher und geschwind als Antidot den Ansteckungszunder im Körper vernichten könne und wie die Nebenbehandlung einzurichten wäre. [...] Selbst auch über den Ansteckungsstoff

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sind die hiesigen Ärzte nicht im Reinen. Einige sagen, die Cholera werde durch die Luft verbreitet, andere hingegen, sie sei contagiös, so daß durch nahe Berührung ein Mensch dem andern sie mittheile. Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, Jüterbogk, 17. Juli 1831*9 Was Ihren Vorschlag anlangt, den Campher gegen Cholera anzuwenden, so stößt sich das Publikum daran, daß Sie - anscheinend gar nicht im Geiste der Homöopathik - dieses Specifikum in so starken Dosen, noch stärkeren als die Allöopathen geben, angewendet wissen wollen, und glaubt, daß das Mittel, wenn es homöopathisch paßte, den Kranken vollends töten müßte. Gott gebe, daß die Seuche wegbleibt; denn schon die Anstalten, welche der Staat vorschreibt, machen uns unglücklich und den Arzt namentlich zum wahren Kreuzträger und Sklaven, der sich für andere geradehin aufopfern soll - und doch ist nirgends wie's doch billig wäre, ausgesprochen, daß der Staat die Familie eines hingeopferten Arztes ex officio erhalten will. Ernst von Feuchtersieben an Romeo Seligmann, Wien, 17. Juli 183190 [...] da aber L. keine Ruhe gibt, u. durchaus Deine Ansiedlung an den Quellen der Thaya „mit Augen" sehen will, so muß ich Dich doch fragen, was für Reisegelegenheit Du uns anräthst, - wo sie ist, - was sie kostet, - ob man Paß oder Schein braucht, - u. wann man Dir gelegen kommt, - etc. Quoad Contumanciam (teutsch: Schimpf und Schande) gelten bis dato noch Gesundheits-Zeugniße aus мм verdächtigen Gegenden - aus verdächtigen 3, aus gefährlichen 8-10 Tage Quarantaine (beim Eintritt in die Hauptstadt). Wenn wir Mammon genug haben, bleiben wir ein paar Tage bei Dir, u. gehen dann mit o. ohne Dir noch wo anders hin, de quo dubitare fast est; Beyer, Bauernfeld u. Grillparzer gehen zusammen nach Ober-Östreich; Schober geht morgen, rosenfarb angezogen, nach München. Nikolaus von Rußland an Alexej von Orlow, Zarskoje, 18. Juli 18319i Aus dem Bericht Eulers und Suthofs, den Dir Tschernyschew geschickt hat, wirst Du, mein lieber Alexej, die volle Wichtigkeit dessen ersehen, was in den Militärkolonien geschehen ist. Ich bitte Dich unverzüglich hinzufahren und in meinem Namen zu handeln. Das österreichische Regiment ist an der Straße unmittelbar vor Nowgorod, mit ihm muß man beginnen, denn hier wurde, wie es scheint, das erste Beispiel des Zusammenwirkens der Truppen mit den Ansiedlern gegeben, die sich bisher durch vortrefflichen Geist auszeichneten. Man muß sofort, und wenn möglich, mit denselben Bataillonen die Ungehorsamen zur Unterwerfung führen, den falschen Glauben an Vergiftung ausrotten, und versuchen, der Anstifter und Mörder habhaft zu werden. Wilhelm von Humboldt an August von Hedemann, Norderney, 18. Juli 183192 Die Cholera in Petersburg zu wissen, hat mich sehr erschreckt, außer Berlin selbst hätte ich sie kaum von einem andern Ort so gern entfernt gesehen. Das größeste Unglück für Europa wäre jetzt der Tod des Kaisers von Rußland, und wie sehr hängt dies am Zufall?

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Franz Anton Ries an Ferdinand und Joseph Ries, Bonn, 18. Juli 183193 Der neue König der Belgier wird uns wohl den Krieg vom Hals halten. Heute verbreitet sich dagegen das Gerücht, die C[h]olera sey in Antwerpen ausgebrochen. Der [niederländische] König Wilhelm in Köln habe schon zwei Ärzte dahin abgeschickt, um genaue Nachrichten zu haben. Sie hat das Gute, daß man geschwind davon kommt, und das ist alles, was ich wünsche. [...] Theres wird nicht mehr besser und kann ihr Brod nicht mehr verdienen. Deine übrigen Geschwister sind wohl und grüßen Euch herzlich. Berchem baut wieder an seinem Haus und bleibt sich immer gleich thätig und brav. Md. Delimon, die jetzt manchmal kränkelt, läßt Euch herzlich grüßen, wir wollen sehen, wehn die C[h]olera zu erst mitnim[m]t. Kaspar von Sternberg an Johann Wolfgang von Goethe, Brzezina, Juli 183194 Mit der Versammlung der Naturforscher in Wien sieht es etwas problematisch aus. Es scheinet als habe sich in dem exheiligen Römischen Reich eine panische Furcht vor der Cholera Morbus verbreitet welche viele Naturforscher von der Reise abhalten dörfte. Man würde wohl diese Krankheit ebensowohl als die Pest seit 118 Jahren in engere Gränzen beschränkt haben, wenn man gleich Anfangs gleich strenge Vorkehrungs Mittel eingeleitet hätte. Der polemische Streit der Herrn Ärzte die sich heute noch über die Art der Ans t e c k u n g dieser Seuche nicht geeinigt haben gab Veranlassung daß die Regierungen mit weniger Strenge verfahren sind, und der dazwischen getretene Krieg in Pohlen hat manches vereitelt, und die Krankheit verbreitet; dem ungeachtet lebe ich in der Hoffnung daß wenn bis Ende August die Krankheit die Gränze von Mähren, Schlesien und Oestreich nicht überschreitet wir in dem heurigen Jahr nichts mehr zu besorgen haben, es wäre dann daß die Armeen in Bewegung gesetzt werden müßten, wozu jedoch in dem gegenwärtigen Augenb l i c k noch keine Veranlassung vorhanden ist. Es wäre allerdings sehr zu bedauren wenn alle getroffenen Voreinleitungen durch eine unheilbringende Ursache vereitelt würden - wir wollen das Bessere hoffen. Meine Gesundheit hat sich wieder hergestellt, die Witterung, welche bei dem Genuß des Selterser Wassers viele Bewegungen im Freien gestattet, [hat] meiner an solche gewöhnt e ^ ] Natur besonders zugesagt. Möge es dem verehrten Freunde und allem was ihm häuslich umgiebt auch stets Wohlergehen. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an Karl Schelling, München, Sommer 183195 Du kannst Dir leicht denken, daß auch hier die Besorgnis wegen der von der Donau sich nähernden Cholera nicht gering ist. Ich meine zwar, daß die hohe Lage und die gesunde Luft von München dem Uebel etwas von seiner Gewalt benehmen werde, indes sind die Anstalten, welche man dagegen zu treffen beabsichtigt, beinah schlimmer als die Krankheit selbst. Jedenfalls sehen wir eben keinem besonders vergnüglichen Herbst oder Winter entgegen. Große Besorgnis erregt mir der Gedanke, daß dieses Uebel sich auch nach Würtemberg fortpflanze, wo Epidemieen aller Art so leicht verheerend wirken, zumal in Stuttgart. Hast Du vielleicht über die Natur und die Heilung der Krankheit Dir schon eine eigne Ansicht gebildet? Weißt Du auch uns für den Fall der fast unzweifelhaften Ankunft des Uebels irgend einen guten Rath zu geben? Ich gestehe, daß ich von innern Mitteln bis jetzt immer

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noch wenig erwarte, und nächst der Hülfe Gottes mir fast blos von äußern Mitteln etwas verspreche. Es gibt schon Leute bei uns, die ihr Testament machen. Auch ich denke daran zwar nicht um über mein Hab und Gut zu verfügen, dessen es nicht bedarf, aber um so viel von meinen wissenschaftlichen Schätzen als möglich noch in Sicherheit zu bringen [...]. Johann Gottfried Macarius von Rein an Dietrich Georg Kieser, Warschau, 19. Juli 183196 Es ist kaum glaublich, welche ungeheure Arbeit man mit einem Cholerakranken hat. Daher ist es auch wohl gekommen, daß ich meh[re]re Tage unpäßlich geworden war. - Ja nach dieser Einleitung kann ich sagen, daß ich so eben selbst die Cholera überstanden habe. Indem ich meinte, ich werde ein katarrhalisches Fieber bekommen, von der feuchten, kalten Witterung, kümmerte ich mich nicht um den schlechten Appetit, den ich hatte, und verrichtete meine Geschäfte, bis den 14. Juli plötzlich ein Zustand eintrat, wo ich es schon selbst aufgab, nur etwas für mich thun zu lassen. Nachdem ich in der Nacht schlaflos phantasirt und die fürchterlichste Hitze im Leib, im Kopf ausgestanden hatte, nahm ich mir am 14. Juli morgens ein Pfund Blut, was aber gar nichts half; an demselben Tage machte ich mir noch zweimal Venäsection mit eigner Hand, und ließ jedesmal 1 Pfund Blut hinweg. Das Blut war kochend heiß, schwarz. Ich erbrach eine unglaubliche Menge serum gleichzeitig mit solchem Durchfall. Ich kann Ihnen diesen jämmerlichen Zustand nicht beschreiben. Vor Allem ein entsetzlicher Druck in der untern Hälfte der Brust, Krampf in den Wadenmuskeln, Schmerz im Kopf, im Rückgrat etc. etc. Hätte ich dem Rathe meiner Collegen zu Folge die Aderlässe nicht gemacht, mir nicht 80 Stück Blutegel auf Brust und Bauch gelegt, nicht stündlich 5 gr. Calomel genommen, bis Krisis in der Leber eintrat; hätte ich mir nicht den 15. Juli Abends noch eine vierte Venäsection von 1/2 1. Blut gemacht, ich wäre durch die Cholera umgekommen. Johann Wolf gang von Goethe an Heinrich Meyer, Weimar, 20. Juli 183197 Durch Schaller will ich Ihnen wenigstens ein vorläufig-freundliches Lebenszeichen gebothen haben! Im ganzen finden Sie alles an der alten Stelle. Der Tod des Großfürsten Constantin [an der Cholera] hat übrigens in Belvedere trübe Tage verursacht, welche durch die Gegenwart Ihm Majestät des Königs von Württemberg glücklicher Weise erheitert wurden. Johann Gottfried Macarius von Rein an Dietrich Georg Kieser, Warschau, 21. Juli 18319t Wie sehr meine Kräfte seit vorgestern zugenommen haben, werden Sie an dieser Schrift erkennen. Heute bei dem freundlichen Wetter werde ich in die Stadt fahren. Eben so schnell als ich, reconvalesciren alle Cholerakranke; und denen, welche ich hergestellt habe, sieht man schon gar nicht mehr an, daß sie krank gewesen sind. [...] So oft die polnischen mit den russischen Truppen in Berührung kommen, wird die Cholera stärker. In der letzten Woche sind wohl 60 Cholerakranke in mein Lazareth gekommen, die ich aber nicht selbst behandeln konnte. Alle, die man nicht antiphlogistisch behandelt hat, sind gestorben. Von denen, welche antiphlogistisch behandelt worden sind, hat man 8 Genesende.

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Hannchen Sieveking an Karl Sieveking, Hamburg, 21. Juli 183199 Daß die Furcht vor der Cholera alles lähmt, ist wohl noch schlimmer als die Sache selbst. [...] Dr. Spangenbergs Meinung ist, bei dem gringsten Zeichen der Krankheit müsse man sich auf einen Rethstuhl wenig bekleidet setzen - ein Gefäß mit glühenden Backsteinen unten, und heißem Essig und Wasser aufgießen, sich in Decken hüllen, damit der Dampf starke Transpiration hervorbringe. Dann im Bette viel reiben, aber ja nicht aufdecken. Hernach tut Moschus mit etwas Opium gute Wirkung, auch Campher in Camillen aufgelöst. Der Krampf muß nur erst gestillt sein, und das meint er mit dem Schweiß zu bewirken. Jeder Arzt ist anderer Meinung. Ich schreibe dies als Hausmittel, was man gleich anwenden kann. Gott wird uns davor behüten. Doch muß man der Sache gerade ins Auge sehn. Das habe ich mir von jeher zur Pflicht gemacht. Ferdinand Raimund an Karoline Wagner, Innsbruck, 21. Juli 1831100 Wir fühlen uns recht behaglich und gesund hier in dem freundlichen Innsbruck, in dessen Nähe wir gestern die Martinswand bestiegen haben, und heute Nachmittag unsere Rückreise nach Wien über Salzburg antreten werden. Hier hört man nichts von der Alles erschreckenden Cholera, wenn man nicht zufalliger Weise ein Zeitungsblatt in die Hand nimmt, doch bald werden wir die Besorgnisse unserer Vaterstadt wieder theilen, denn wir hoffen am 30ten dieses Monats in Wien einzutreffen [...]. Karl von Clausewitz an Elise von Bernstorff, Posen, 22. Juli 1831101 Erlauben Sie, verehrte Gräfin, daß ich Ihnen selbst danke für die Innigkeit, mit der Sie an Marie geschrieben haben, als Sie hörten, daß die Cholera ihren giftigen Hauch auch über uns verbreitet hat. Die Gefahr, in welche wir dadurch kommen, ist wahrlich nicht groß, und ich möchte sie schon viel größer bestehen, um ein solches Zeichen Ihrer Theilnahme zu gewinnen. Das hat mir sehr wohlgethan, theure Gräfin, und ich kann Ihnen meinen Dank dafür nicht lebhaft genug ausdrücken. Jacob Grimm an Karl Lachmann, Göttingen, 22. Juli 183Iю2 Der sommer ist bisher leidlich verstrichen; doch habe ich mich öfter als sonst im allgemeinen, ohne daß ich sagen könnte, wo der fehler steckt, unbehaglich und müde gefunden. Zöge die cholera hierher, ich würde ihr eine leichte beute! Doch habe ich immer leichten muth! [...] Wilhelm muß dann um die selbe zeit [Herbst] nach Berlin, er soll nämlich Arnims papiere ordnen. Sie sehen, wie wenig wir auf die sündliche wette geben, daß die cholera bis zum 18 august in Berlin sein solle! Dorothea Christorovna von Lieven an Alexander von Benckendorff, Richmond, 22. Juli 1831m Teurer Alexander - Du schreibst mir nicht länger. Die Ereignisse gestalten sich schlimmer als je, müssen beruhigt werden. Ich warte ängstlich auf Nachricht von Dir - die cholera morbus in unserem Land erfüllt mich mit furchtbaren Sorgen und nimmt so sehr all meine Gedanken ein, daß ich darüber fast die Vistula vergesse. Doch auf diesen Fluß sollte unsere

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Aufmerksamkeit und die der Welt am meisten gerichtet sein. Hat Paskiewitsch ihn überschritten? Ich gehe nicht fehl, in den unerwarteten und dicht aufeinanderfolgenden Todesfällen Diebitschs und des Großfürsten Constantin zwei unabweisliche Beweise des himmlischen Willens zu sehen, diese furchtbare polnische Revolution schnell zu beenden. Diebitsch hätte sie nie beenden können, im Grunde sah es so aus, als hätte er nie damit begonnen. [...] Paskiewitsch kommt nun an die Front, und schließlich hat die russische Armee auch wieder ein Ziel im Blick. Sie marschiert auf Warschau - Himmel, hilf und führe sie! Eine innere Stimme sagt mir, es ist bereits vollbracht - wir sind dort. Ich bin voller Hoffnung, fast sogar voller Sicherheit - aber die Cholera kann alles wieder zunichtemachen. Schreibe mir schnell, und sage mir, daß all meine Lieben außer Gefahr sind. Friedrich Wähler an Jons Jacob Berzelius, Berlin, 23. Juli 1831104 Hierbey lege ich eine Cholera-Chlor-Anweisung bey, die ich auf die Veranlassung von Bärensprung für die hiesigen städtischen Cholera-Districts-Vorsteher schreiben musste. Man erwartet diesen bösen Gast mit grosser Gewissheit hier, empfängt ihn aber mit allen möglichen Vorkehrungen. Denn bereits ist er bis Posen vorgedrungen. August von Platen an Friedrich von Fugger, Neapel, 23. Juli 1831ю5 Sollte ich übrigens in den Bereich der Cholera kommen, so werde ich ihr gewiß nicht entgehn, da ich ganz zu dieser Krankheit disponiert bin. Da derselbigen nicht wohl mehr lange zu entgehen sein wird, so soll es mir lieb sein, die Abbassiden gedruckt zu wissen, und auch eine zweite Auflage meiner sämmtlichen Gedichte noch veranstalten zu können. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 24. Juli 1831m Die Verlegung der Mannschaft aus dem Städtchen, wo die erste Krankheit ausgebrochen war, nach der übrigen Stadt ist wahr, und die Klagen der Bürgerschaft beim Könige darüber auch; das letztere ist aber eine wahre Infamie. Als der erste Krankheitsfall bekannt wurde, welches ein Soldat war, der mit 16 anderen in einem Quartiere lag, wurden diese 16 Mann sogleich in die dazu bestimmte Anstalt unter Kontumaz gesetzt, die übrigen Leute aber, 50 an der Zahl, aus dem Stadtviertel aus quartiert. Gegen diese Maßregel kann kein vernünftiger Mensch etwas einwenden; denn wenn man nicht sogleich nach dem ersten Krankheitsfalle eine Truppe herausziehen soll, so kann man es überhaupt nicht, und doch werden die Truppen von allen Seiten begehrt, um Sperrlinie zu bilden, und der König selbst hat es übel vermerkt, daß man die Garnison von Danzig nicht sogleich bis auf den möglichst kleinsten Stand vermindert hat, als sich die Krankheit zuerst zeigte. Sollten jene 50 Soldaten aber aus dem infizierten Viertel herausgenommen werden, so mußten sie irgendwo ein Unterkommen finden, und jede andere Ortschaft, wohin man sie verlegt hätte, konnte sich ebensogut beschweren als die Stadt Posen, daß sie dadurch der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt würde. Eine solche Konsequenzmacherei in einer Sache, die schon tausend Schwierigkeiten hat, ist abgeschmackt. Auch ist von jenen 50 Mann erwiesenermaßen auch nicht ein einziger erkrankt, und nicht in einem einzigen Hause, wohin diese Leute verlegt worden sind, ist die Krankheit ausgebrochen. Was nun die Klage der Stadt (d.h. der Munzipalität, was in hier gebräuchlicher französischer Einrichtung ungefähr so viel ist wie bei uns die Stadtverord-

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neten) betrifft, so ist es doch unerhört, daß sie, abgesehen von der Unvernunft der Klage, diese durch Stafette an den König schickte, ohne vorher gegen diese Maßregel protestiert zu haben, ohne sich bei der Regierung, die im Orte ist, bei dem Oberpräsidium, was im Orte ist, bei dem Kommandierenden General oder beim Feldmarschall beklagt zu haben, und um Dir die Böswilligkeit dabei klar zu zeigen, brauche ich nur zu erzählen, daß der Vorsteher dieser Munzipalität, ein Kaufmann ..., der beim Oberpräsidenten war, ehe die Stafette abgegangen war, und sich damit entschuldigte, daß er überstimmt worden wäre, während es eine bekannte Sache ist, daß er allein die Klage recht lebhaft betrieben hatte, daß dieser, nachdem der Oberpräsident ihm gesagt hatte, die Sache wäre einmal nicht mehr zu ändern, wie er sähe; er würde indes der Immediatkommission sein Gutachten gleich mitsenden und bäte, daß die Stafette ein paar Minuten aufgehalten würde, nach der Post hinläuft und verlangt, daß die Stafette auf der Stelle abgehen solle, er habe sie bezahlt, und kein Mensch habe das Recht, seine Stafette eine Sekunde aufzuhalten. Jeremias Rudolph Lichtenstädt an Julius Theodor Steinitz, St. Petersburg, 25. Juli 1831'07 Ihr liebes Schreiben vom 20sten Juli fand mich im Bette. Uebermäßige Anstrengungen an dem großen Cholera-Hospital, dem ich vorstehe, und eine ausgebreitete Privat-Praxis, wahrscheinlich auch die von mir in vollen Zügen aufgefaßte, aber Gott sey Dank, nicht zur vollen Entwickelung gebrachte Cholera-Contagion hatte mich niedergeworfen so daß ich nicht fern davon war, das Loos 13 hiesiger an der Cholera verstorbener Collegen zu theilen. Jetzt bin ich wieder ganz rüstig und kann meinen Geschäften um so mehr vorstehen, als die Abnahme der Krankheit eine geringe Zahl bedingt. Vielleicht gelange ich nun bald dazu, meine Erfahrungen an fast 1000 Individuen, die ich theils selbst behandelt, theils unter meiner Leitung behandeln ließ, bekannt zu machen. Ich habe pathologisch und therapeutisch sehr viel mitzutheilen, bin jedoch in Beziehung auf die wesentlichen Grundsätze (Contagion, Sitz der Krankheit) beim Alten geblieben. Sie halten die Cholera für eine intermittens perniciosa und unterstützen diese Ansicht mit scharfsinnigen Gründen. Indessen muß ich ihnen gestehen, daß ich diese Ansicht nicht theilen kann. Indem ich meine Schriften über diesen Gegenstand nicht zur Hand habe, weiß ich auch nicht, in wie fern in den von Ihnen angeführten Fällen eine Intermission stattgefunden habe, allein in Allem, was ich nunmehr selbst beobachtet habe, sind mir immer nur Remissionen und kaum diese, nie Intermissionen vorgekommen. - Sobald Jemand von der Cholera befallen ist, bleiben diejenigen Zeichen, die die Krankheit charakterisiren, anhaltend. Freilich bricht oder purgirt der Mensch nicht unaufhörlich, eben so dauern die krampfhaften Bewegungen, wo sie überhaupt vorkommen, nicht anhaltend fort. Allein die kühle Temperatur der Haut und der Zunge, der kleine oft unmerkbare Puls, die cholerische Stimme, das bläuliche Ansehen u.s.w. sind anhaltend und zwar je nach dem Verlauf steigend oder abnehmend. [...] In einer praktischen Beziehung haben mich die frühern Berichte ganz getäuscht, und zu einer Empfehlung verleitet, die ich gern zurücknehmen möchte, und auch werde, sobald ich nächstens etwas über diesen Gegenstand drucken lasse. Es sind die warmen Bäder. Sie sind sehr selten anwendbar, und rauben oft dem Kranken noch die letzten Kräfte. Viel brauchbarer sind die Essigdämpfe, die man sehr leicht bei jedem Bette entwickeln kann, dessen Unterlage nicht von Holz ist. Aus den Protokollen der hiesigen ärztlichen Gesellschaft erhellet, daß im November 1830 zwei Wilnaer Professoren dieselbe von Ihnen aufgestellte Ansicht

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und die darauf gegründete Behandlung ebenfalls erörtert haben. Auch in Riga sind Versuche mit Chinin angestellt worden. An Samuel Hahnemann von einem Neffen, St. Petersburg, 25. Juli 1831m Mitten in den Bedrängnissen der Cholera schreibe ich Ihnen, theils um Ihnen für die, durch Trinius mir zugekommene Nachricht zu danken, theils Ihnen eine nach Umständen genaue Beschreibung der Krankheit zu geben und über das zu berichten, was wir bisher haben thun können. Bei dem ersten Auftreten der Krankheit ward Adams durch eine Quarantaine, die um Peterhof gezogen war, von uns getrennt; Trinius mußte die Befehle des Herzogs und der Prinzeß von Württemberg erst erwarten und so war ich für freie Ausübung der Homöopathik fast allein übrig, da zwei, nur bedingungsweise behandelnde Ärzte, Dr. Werther beim Oxuchowschen Spitale und Hofrath Kleinenberg, als Arzt in der Bank angestellt und somit für ein gemeinschaftliches Unternehmen paralisirt waren. Ernst Moritz Arndt an Friedrich Schleiermacher, Bonn, 26. Juli 1831m Bei uns ist gottlob seit mehr als Jahr und Tag alles wohl auf den Beinen gewesen - denn einige kleine und leichte Anstöße von Influenza, die auch wir gehabt haben, rechnen wir für keine Krankheit - und so gehen wir in Zuversicht auf die himmlische Entscheidung, der sich endlich jeder unterwerfen muß, den Schrecken der Zeit, die in dem Würger Cholera drohen, getrost entgegen. Denn dieser Pestteufel scheint einmal den europäischen Rundlauf halten zu sollen. Mögen wir, wenn er uns näher kömmt, Muth behalten zu thun und zu leiden und mitzuleiden, was Gott verhängt hat! Amen! Was die andern Pesten der Zeit anbelangt, so sind die beinahe noch unheilbarer, wenigstens ihre ersten und letzten Gründe und Ursachen noch mehr in Dunkel und Verwirrung gehüllt, als die Cholera. Was namentlich unser Vaterland d.h. Deutschland (denn Preußen muß wohl in und mit Deutschland bleiben) betrifft [...] scheint vielmehr Manches mehr und mehr aus einander gehen zu wollen [...]. Was nun meine arme Person angeht, so nehmen mich die beiden Pesten, die politische und die Cholera, auf eine etwas unappetitliche Weise zwischen sich, so daß mein Fleisch und mein Geist dabei allerdings in einen etwas wunderlichen Kampf gerathen. Ich wollte grade vor einem Jahr alles Ernstes dran gehen und ratschlagte mit meinen Sachwälden, wie ich meine mir noch immer vorenthaltenen Schriften und Papiere meinen Drängern, wenn nicht anders, allenfalls auf gerichtlichem Wege entpressen mögte - da kam die Erschütterung in Paris, und in dem Augenblick schien die Forderung oder Klage uns unangemessen. Nun aber kommt die Cholera von der andern Seite, und kann allenfalls auch mit Unsereinem geschwind abmarschieren. Ludwig von der Marwitz an Carl Knoblauch, Friedersdorf, 27. Juli 1831u0 Bis dato haben wir die Cholera noch nicht hier, sie kommt aber, und da sie immer von Zeit zu Zeit Todessprünge macht, so wird sie wohl von Frankfurt über uns hinweg nach Berlin springen, und Berlin wird dann wieder einsehen lernen, daß es einen guten König und ihm viel zu verdanken hat.

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Briefe Sommer 1831 Rahel Varnhagen an Auguste Brede, Berlin, 27. Juli

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Ich höre von allen Orten her das Gleiche: dabei prosperiren Blumen, Früchte, Gemüse, Bäume. Menschen sollen gelichtet werden; denen thut es nicht gut. Ich habe, und hatte viel zu leiden davon; ich fühlte es den Andern weit voraus. [...] Theure Auguste: was soll man wohl jetzt anders sagen, als was wir immer denken müssen: daß der Tod ein Moment, ein Hauptmoment des Lebens ist: daß dies ein Räthselgeschenk ist, Gottes tiefstes Geheimniß; weil es auch den Grund unserer Erschaffniß enthält; seiner Tiefe nach, auch die größte Beruhigung. Bin ich doch gut, und vernunftbedürftig: wie muß sich das bei höheren Geistern steigern: ich unterwerfe mich in Neugierde - im höchsten Sinne - und im Mangel des Vorstellungsvermögens. Welcher Mangel, bei unsern andern, eine schöne gnädige Gnade ist. Sonst wär' ich lange von Cholera-Furcht in Krämpfen todt. Dieser Tod, an sich, ist nur der Eine, und der selbe: aber die Anstalten, die Leiden der Unglücksaufruhrl - Fest war ich entschlossen hier zu bleiben, gab jede Reise auf, und tauchte in Gedankenlosigkeit, und des Tages Gewöhnlichkeit - Wellen genug! - unter. Aber da sie rückt und rückt; und so auch die Vorkehrungen; und mein Arzt sie wird behandeln müssen: und alle Leidende abgesperrt werden sollen; nur die Ärzte nicht von ihren Familien: so weiß ich doch nicht: ob ich nicht in wenigen Tagen mit meiner Nichte und den Kindern nach Baden gehe. Varnh. will nicht mit: er kann nicht. Henriette Schleiermacher an Charlotte von Kathen, Berlin, 27. Juli 183Iй2 Wie gerne säße ich an Deinem Bette u verständigte mich mit Dir über die liebsten Erfahrungen des Herzens! Würdest Du doch noch einmal zu uns kommen! Doch alles wie der Herr will, „es ist eine böse Zeit", wie der Apostel sagt u uns kann irgend einer trennen machen. Wir können nichts als bethen, daß wir den klugen Jungfrauen gleichen mögen, wenn der Herr auf irgend eine Weise unerwartet kommt oder verhängt durch seinen Rathschluß daß auch uns die böse Zeit ereilt. Johann Hinrich Wichern an Karoline Wichern, Berlin, 28. Juli 1831113 Was die Cholera betrifft, so bitte ich Dich, keinen Gerüchten, die von Berlin oder dessen Nähe etwas erzählen, zu trauen, ehe Du von mir Nachricht erhältst. Und hier noch einmal mein Versprechen: sobald sie sich diesseits der Oder zeigt, schreibe ich Dir und reise dann möglichst bald von hier ab. Du kannst also wegen meiner ruhig sein. O, Gott bewahre Euch Lieben und gebe Euch und mir seinen Geist, der uns stark macht, alles zu tragen und zu dulden, und uns wissen macht, daß dieser Zeit Leiden, so erschrecklich sie dem Unglauben auch bleiben, nicht wert sind der zukünftigen Herrlichkeit! Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, Leipzig, 29. Juli 1831ш Hochverehrter Gönner und Freund! Zwei, Gott sey Dank, noch nicht durchstochene und durchräucherte Briefe Ihrer werthen Hand liegen vor mir, ein kurzer heiterer und ein längerer mit etwas Cholerageruch. In der That kann ich Ihre gerechte Besorgniß wohl denken, fühlen doch wir in Leipzig sie schon, wenn auch in minderem Grade. Posen ist schon nahe genug, Frankfurth, wo sie, nach gestrigen Privatnachrichten, ausgebrochen seyn soll, liegt

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noch näher, Prädisposition scheint genug vor Händen zu seyn, denn vor sechs Tagen ist in Alt-Jaßnitz bei Düben, also etwa vier Meilen von hier, ein Schenkwirth unter Symptomen nach kurzem Erkranken gestorben, die der asiatischen Cholera sehr ähnlich sind. Übrigens schleppen sie uns unsre Messen früher oder später sicher zu: denn die Vorsichtsmaßregeln lassen sich nicht aufs Einzelne ausdehnen. Leipzig ist dicht bevölkert, hat manche enge Straßen und Gäßchen, kellerartige Höfe, in den Vorstädten zumal viel armes Volk; die Lage ist etwas sumpfig, die Gefahr also nicht unbedeutend. Ich selbst wohne zwar im 3ten Stokke, aber nicht im höchsten Stadttheil, das Haus, das ich bewohne, hat in seinen weitläufigen Hintergebäuden viel arme Familien; in den Messen kehren in unserer Straße viel Juden ein, das sind bedenkliche Umstände. Der Unterleib ist übrigens meine schwache Seite, ich habe schon mehrere Jahre Mineralwasser brauchen müssen, ich leide an Leberbeschwerden und bin schon zu den Zufällen der europäischen Cholera geneigt: ich bin also keineswegs vor der asiatischen sicher - und dann Gott befohlen! Indeß fürchte ich mich nicht und beängstige mich nicht durch unzeitige Phantasien. Ein mäßiges Leben, das ich stets geführt habe, soll ein gutes Schutzmittel seyn. An Anstalten aller Art wird es hier nicht fehlen, nur vor dem Sperren der Häuser fürchte ich mich, da ich tägliche Bewegung in freier Luft gewohnt bin und leicht dadurch krank werden könnte. - Doch hinweg mit diesen Möglichkeiten, lassen Sie, Verehrtester, uns alles ruhig abwarten, da einmal zu handeln nicht vergönnt ist. Wo dies letztere statt findet, da müssen wir, dünkt mich, unsre Schicksale der Vorsehung ganz anheim stellen. Karl von Clausewitz

an Marie von Clausewitz,

Posen, 29. Juli 1831115

Was mich sehr beunruhigt, ist der Zustand von Petersburg. Offenbar hat man dem Pöbel nachgeben müssen; denn alle Sperren sind aufgehoben, und dafür erkranken nun täglich zwischen 5 und 600 Personen. Das ist ja ärger wie die Pest. Wenn sich nur nichts Politisches an diesen Leidenszustand anknüpft! Wie oft ist mir Manzonis Roman eingefallen! In 200 Jahren, die seit der von ihm geschilderten Zeit verflossen sind, scheint sich das Volk gar nicht verändert zu haben. Derselbe Zweifel, dasselbe Mißtrauen, dieselben Vergiftungsgeschichten, dieselbe Mischung von Angst und Unvernunft wie in Mailand tragen sich hier täglich zu; in Petersburg scheint es noch ärger gewesen zu sein. [...] Die Cholera, die gestern sich hier wieder ganz gnädig gezeigt hat, da wir nur acht neue Kranke hatten, verbreitet sich im Lande immer mehr und ist jetzt die Warthe abwärts schon bis Lissen vorgedrungen, was nur einige 20 Meilen von Berlin ist. Es ist jetzt ziemlich erwiesen, daß sie vorzugsweise dem Laufe der Flüsse und ihrer Niederungen folgt; sie wird also in Küstrin und Frankfurt ankommen und von da vermutlich durch die Niederung des Friedrich-Wilhelms-Kanals an die Spree gelangen. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß Ihr bis zum Herbst hin diesen Gast bei Euch eintreffen seht, und so ist es wohl der Mühe wert, in Überlegung zu nehmen, ob Du und Deine Mutter nicht wohltun würdet, Euch alsdann von Berlin wegzumachen. Ich glaube nicht, daß sie in Berlin sehr heftig um sich greifen werde, und in einer großen Stadt ist alsdann die Gefahr sehr gering; nichtsdestoweniger, mein' ich, wird jemand, der wie Ihr durch nichts gefesselt ist und Mittel des Fortkommens ziemlich in Händen hat, sich viele Unruhe und viele unangenehme Eindrücke ersparen, wenn er Berlin verläßt. Ich meine, Ihr solltet nach einer kleinen schlesischen Stadt am Fuße des Gebirges gehen und dort das Weitere abwarten; versteht sich nicht eher, als bis sich der

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erste Fall gezeigt hat, und wenn dieses geschehen sollte, ehe über meine Rückkunft etwas bestimmt ist. [...] Gräme Dich nicht zu sehr um ein Leben, womit nicht mehr viel anzufangen war. Die Torheit nimmt überhand, kein Mensch kann ihr wehren, so wenig wie der Cholera. Es ist wenigstens ein kürzeres Leiden, an dieser zu sterben als an jener. Ich kann nicht sagen, mit welcher Geringschätzung ich aus der Welt gehe. Es muß diese Krankheit ausrasen, und ich hätte es doch nicht erlebt; also ist wenig verloren. Rahel Varnhagen an Frau von V., Berlin, 29. Juli 1831m Warmes ängstigendes Wetter mit Feuchtigkeit, und jetzt Sonne. Ich sage, die Krankheiten kommen rein daher. Es ist seit Jahren, die ich fühle, und leide, die größte Wetterrevolution. Wer giebt Ihnen diesen Brief, theure Einzige? Ludwig, Rike. Ja, die kommen nach Baden: die bleiben dort. Ich gratulire euch Allen. Und - unmöglich ist es nicht, daß wir uns diesen Herbst noch sehen. Kommt die Cholera nicht her, so mache ich noch eine Reise. Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, Teplitz, 29../30. Juli 1831ηη Nachher, als wir, Gottlob schon um 9 Uhr, zurückkehrten, fanden wir Nachrichten aus Posen, die uns sehr betrübten: 7 Leute im Hause haben die Cholera bekommen! [...] Und nun unsre liebe Blanche in der verpesteten Stadt! Sie wohnt glücklicherweise in ihr[em] Quartier [nicht im Statthalter-Palais] und fürchtet sich garnicht. [...] Das sind alles Mahnungen, daß wir nicht leichtsinnig uns durch irgend etwas trösten lassen als durch Gottes Geist allein. Nicht der Welt, sonder Ihm allein müssen wir leben, und unter Welt verstehe ich selbst was unser reinstes Glück ausmacht und uns doch von ihm entfernen kann. Franz Karl Druffel an Gertrud Druffel, Berlin, 30. Juli 1831118 Aber auf jeden Fall werde ich bald von hier abreisen müßen, und es ist schwer zu sagen wann gerade der passende Zeitpunkt ist. In Birnbaum ungefähr 20 Postmeilen von hier war die Krankheit schon vor einigen Tagen. Gestern hörte ich sie wäre schon in Königsberg in der Neumark und auch in Crossen diesseits der Oder; ob beides verbürgt ist weiß ich nicht, hoffe ich aber noch nicht. Vorgestern marschirten viele Truppen von Potsdam nach der Oder ab um an der Oder einen Cordon zu bilden. Es ist möglich, daß dieser das Eindringen der Cholera noch ein paar Wochen, ja vielleicht ein paar Monate aufhält; ehe die Cholera ins Preußische Gebieth kam wurde sie, meine ich 3 Monate lang an der Grenze durch den Cordon abgehalten. Daß aber die Cholera noch hier kommt halte ich für so sicher als daß morgen früh die Sonne wieder aufgeht. Die Cholera ist ja noch immer vorangeschritten trotz der Abhaltungsmaßregeln. Die Luft und die abwechselnde Witterung ist hier der Cholera auch gewiß sehr günstig, und dann wüßte ich auch gar nicht warum das tugendhafte christliche Berlin zum Lohne seiner Heiligkeit und Sittlichkeit die Cholera nicht auch vom lieben Gott empfangen sollte. Wenn sie hier kommt so mögen zuerst vielleicht ein oder ein paar Häuser davon befallen und diese abgesperrt werden; aber ich glaube daß sie sich sehr bald über die ganze Stadt verbreiten wird denn des unordentlichen Volkes gibt es so vieles, ja ich glaube

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keine Straße ist von diesem Gesinde eines öffentlichen Namens frei, daß gewiß bald jedes Haus als angesteckt wird anzusehen sein. Ob ein, auch vor Dasein der Cholera von einer öffentlichen Behörde versiegelter Koffer nachher als nicht inficirt angesehen wird weiß ich nicht, ich möchte es aber bezweifeln; übrigens aber weiß ich nicht warum ich nicht früher meine Sachen wegschicken soll, denn daß ich den Winter wieder herkomme, ist ja doch ganz unmöglich. Die Krankheit mag allenfalls Ende Oktober noch nicht hier sein, aber jeden Tag kann sie doch kommen.

Prinz Wilhelm von Preußen an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, Potsdam, 30. Juli 183ln9 In militärisch-cholerischer Beziehung melde ich nur noch, daß auf Aufforderung des Generals v. Thile von gestern der Oberst v. Neumann angewiesen worden ist, eine Compagnie des Kaiser Franz Füselier-Bataillons und eine Escadron jenseits Stettin zu detachieren, indem die dortige Garnison nur 100 Mann disponibel bis zum Haff machen kann, daher die verlangte Aushülfe notwendig wurde. Das Füselier-Bataillon des ersten Garde-Regimentes wird, wenn jene Lücke links geschlossen werden muß, auf dem rechten Flügel des Cordons diese Links-Schiebung ersetzen. Die Bataillone sind guten Muts ausmarschiert, um so mehr, weil die Soldaten nicht glauben, daß sie blos gegen die Krankheit, sondern gegen die Polen marschieren, wovon die nur mitgenommenen 15 scharfen Patronen sie nicht zu detrompieren vermochten. Die Bemerkung hörte man allgemein, daß man nach 16 Friedensjahren nicht erwartet hätte, zum ersten Male nach Osten und gegen die Seuche wieder auszumarschieren und daß die westliche Richtung lieber eingeschlagen worden wäre, einen andern Feind findend. Wer weiß, was über kurz oder lang uns bevorsteht, dann ist die jetzige Zeit ein gutes Aguerrieren ...

Karl August Varnhagen von Ense an Hermann von Pückler-Muskau, Berlin, 31. Juli 1831m Zu unserem Leidwesen hat er [Ludwig Robert] in diesen Tagen mit raschem Entschlüsse sich aufgemacht, und ist mit seiner Frau spornstreichs nach Baden abgereist, um fürerst dort zu bleiben. Wir Alle sind betrübt über die unerwartete Lücke, zumeist aber meine Frau, die bei allen solchen Anlässen am empfindlichsten leidet, und doch am uneigennützigsten einwilligt; sie wollte selbst nach Baden reisen, hatte schon Wohnung dort, und glaubte nur hier bleiben zu müssen, um nicht mich allein der Cholera Ankunft entgegensehen zu lassen. Noch aber ist die Hoffnung nicht aufgegeben, daß diese Seuche uns verschone. Ich für meinen Theil habe wenig persönliche Besorgniß, was aber stünde uns hier für ein trauriges, verwirrtes, widerwärtiges Leben bevor! Eine gewöhnliche Brechruhr ist hier sehr häufig in diesem Augenblick, und dient vielleicht, wenigstens den betroffenen Personen, als eine Schutzkrankheit gegen jene! Der arme Graf Lottum, der zum Geburtstage des Königs eine große Mittagstafel geben wollte, ist auch in solcher Art erkrankt und recht leidend. Der Himmel erhalte ihn uns, er ist gewiß in dieser Zeit höchst wichtig.

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Prinz Wilhelm von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, Potsdam, 31. Juli 1831m En attendant breitet sich die unglückliche Cholera immer bei uns aus. Es ist nun ein zweiter Kordon längs der ganzen Oder aufgestellt worden, zu dem auch die 4 GardeFüsilierbataillone und drei Eskadrons abmarschiert sind. Doch dies alles wird nichts helfen, höchstens nur aufschieben die Gefahr. General Thile ist auch der Meinung, daß, wenn die Oder erst überschritten ist, man weiter keine Kordons mehr zu ziehen vermag, höchstens noch an der Elbe, um die deutschen Länder nicht schreien zu machen, daß man die Krankheit ungehindert zu ihnen lasse. Die Truppen der Garde sind glückselig über den Ausmarsch, weil die sich einbilden, daß es gegen die Polen geht. Hedwig von Grolman an ihre Schwester, Krotoschin, 1. August 1831122 Sonnabend, an Grolmans Geburtstag, war große Unruhe, die mir aber einen angenehmen Eindruck zurückließ. [...] Eine Unzahl Offiziere, der Magistrat der Stadt, sogar eine Judendeputation. Letztere benutzte die Gelegenheit, bei der nahen Choleragefahr die Stadt Grolman zu empfehlen, er sprach sehr hübsch mit ihnen. [...] Die Cholera kommt näher, in Pieschen ist 1 Soldat gestorben, 5 erkrankt. Grolman ist nach D., zwei Meilen von dort, um militärische Anordnungen zu machen; wenn die nasse Witterung aufhört, sollen die Truppen ein Lager beziehen. Mir ist unheimlich, Grolman dort zu wissen, aber in solchen Zeiten muß der Führer sich zeigen, um die Truppen aufzurichten. Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, Buchwald (Schlesien), 1. August 1837123 Die angreifende Grenzbewachung hat zur großen Freude vor drei Tagen aufgehört auf einen Befehl unsers Königs aus Teplitz, dem bewiesen wurde, daß die Oesterreicher einen dreifachen Cordon gegen Galizien und Ungarn gestellt, und von Böhmen, Mähren nichts zu fürchten ist. Ich will wünschen, daß dem so sei. Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, Wien, 2. August 1831m Wenn ich einige Zeit verstreichen ließ, um Ihnen zu schreiben, so war dieß allein die Folge meiner über die Maßen gehäuften Geschäfte, zu denen sich die Unordnung, welche die Maßregeln in Beziehung auf die leidige Cholera in so viele Branchen der inneren Verwaltung gesellt, nicht hatte gesellen sollen, um mir die Last beinahe unmöglich zu machen. Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, Berlin, 3. August 1831125 Was sagst du zu dem [Cholera-] Auflauf in Königsberg? Wie ich vor acht Tagen sagte: sie lesen's in der Zeitung und machen's nach. Mir abgestritten. Richtig geschehen. Lies die Staats- und Spener'sche von gestern datirt. Kein Spaß! das geht nun weiter, wie Hepp, Hepp. Aber unsre Verbrecher sind es wirklich, und verdienen zur Besinnung bringende körperliche Strafe. Denn, ich behaupte in unserm Lande ist kein Einziger so zurück, daß er glaubte, man wolle ihn von einer Behörde aus vergiften, oder dgl. Also ist es Lug, Bosheit, Ausgelassenheit: und das nach diesen Warnungen, und gütigen Anstalten, bei Gefahr solcherNoth! [...]

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Denk dir, daß Einem hier die Domestiken erzählen, 2 Juden hätten hier\ die Brunnen vergiftet. Adalbert von Chamisso an de la Foye, Berlin, 4. August

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Das nächste, was nun zu erörtern wäre, möchte die Seuche sein, die wir erwarten, und der Ihr auch vielleicht nicht entgehen werdet. Ganz Preußen ist inficirt, und ein Versuch soll noch gewagt werden, die Oder gegen das Unheil zu vertheidigen. Ich fürchte weniger das Uebel als die Zwangsmaßregeln, die es bedingt, und die mir, so wenig man dagegen haben kann, den Untergang alles Handels und aller Industrie, so eine größere Zerstörung zu drohen scheinen, als das freiere Spiel des Unholdes. Schon jetzt leidet alles und alle Lustigkeit ist aus dem Leben verschwunden. Bei uns, mein lieber Freund, wird sich noch die Seuche auf Privatelend beschränken, und die Welt wird wenig Notiz davon nehmen. Der Blitz trifft eine Scheune, sie lodert in Flammen auf, der Wind verweht die Asche, und man vergißt, wo sie gestanden. Wenn er aber in einen Pulverthurm fährt, so geht eine ganze Welt unter - ich mag mir nicht denken, daß die Seuche in einer der Welthauptstädte, in Paris oder London, ihren Sitz aufschlage. Was erfolgen würde, scheint mir außer aller Berechnung zu liegen; aber gewiß eine Welterschütterung, wieder etwas der Art, wie der Weltsturm, die vor einem Jahr die Namensunterschrift eines Esels bewirkt hat. Wir haben hier, mein lieber Freund, keinen Antheil an den Bewegungen genommen, die aller Orten die Erneuerung einer Epoche der Geschichte bezeichnen und begleiten, die Wellen haben sich ringsher an unsern friedlichen Gränzen gebrochen. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, Charlottenburg, 4. August 1837127 Meinen Geburtstag brachte ich diesmal in Schönhof zu, zwischen Teplitz und Karlsbad, ein herrlicher und mit recht berühmter Park, im grandiosen genre, dem Grafen Czernin gehörig, der aber abwesend ist. Leider nur mußte ich Abends vorher in Saatz, wo ich nächtigte, von den traurigen Ereignissen, die sich in Königsberg а Г instar der Petersburger, zugetragen, Anzeige erhalten. Wie ich leider höre, haben auch in den Kolonialisierungen bei Nowgorod ähnliche Auftritte statt gehabt. Diese dumm-tolle Furcht vor Vergiftungen, die auch selbst in Memel Anlaß zu Tumult gab, ist auch an mehreren andern Orten schon gespürt worden und rührt sicherlich von Instigationen her, denen man aber durchaus nicht auf die Spur zu kommen vermag. [...] Daß die Cholera in Petersburg im Abnehmen ist, ist für mich eine wahre Beruhigung. In Preussen und im Posenschen macht sie leider Fortschritte und schon ist sie nahe bei Land[s]berg a/Warthe. Gebe Gott, daß sie nicht bis hierher vordringe. Welche Zeiten! Paul Bernhard an Samuel Hahnemann, Hannover, 4. August 1831128 Ich muß im Voraus Sie gantz Gehorsamst um Gütige Entschuldigung bitten, das ich mir die Freiheit Nehme mit diesem Schreiben Sie zu belästigen, Aus Ihren Vortreflichen Übersetzungen der ersten Liquoristen Frankreichs, eines Demachy und Dübuisson, so wie aus der Übersetzung des Essig Fabricanten von Demachy

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habe ich schon seit Viellen Jahren mich Stets bej Bereitung meiner Liquere und in das Fach des Limonadiers gehörige Getränke bei dem Größten Nutzen obiger Wercke bedient, Da nun in diesem Augenblick die Lejdige Kranckheit, von den Ärzten Cholera genant, in einem großen Theille von Europa Grasirt, und es Lejder zu befürchten Steht, daß diese fürchterliche Kranckheit das Nördliche Deutschland nicht unverschont Lassen wird, so ist der Wunsch in mir rege Geworden, von einem in Renommee Stehenden Arzte Deutschlands, ein Recept oder eine Anweisung zur Bereitung eines Elixirs als Schutz und Verwahrungs Mittel gegen die Ansteckung dieser Kranckheit zu erhalten. Aus so Viellen überwiegenden Gründen bin ich der festen Überzeugung, das Niemanden als Sie im Stande sind eine solche Composition anzugeben. Daher trage ich an Euer Wohlgeboren die Gehorsamste Bitte, mich recht bald mit einer solchen Schriftlichen Anweisung zu erfreuen, und im Fall dass Sie meine Gehorsamste Bitte und Wunsch erfüllen, ob Sie es mir Gütigst erlauben wollen, das zu Verfertigende Elixir unter dem Nahmen Hahnemannsch'es Elixir gegen Ansteckung der Cholera verkaufen zu dürfen. Ihre Gütigste Antwort recht sehr bald entgegensehen habe ich die Ehre mit der Vorzüglichsten Hochachtung zu sein [...].

Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, Bonn, 6. August 1831129 Doch werden wir ermahnt durch die Pflichten gegen die Unsern und gegen die mitlebenden Menschen, so lange Gott will, rüstig und thätig zu seyn und Licht im Haupte und Besonnenheit im Sinn und Muth im Herzen zu bewahren, kurz immer den Sonnenschein einer höheren Welt auf die Trümmer der Vergänglichkeit zu werfen, von welchen wir mitten umfangen sind. Dies wird nun dreifach Noth und Pflicht, da vielleicht Krieg droht und da das andre Unheil, das unter dem Namen Cholera doch eine Art Pest ist, vom Osten her immer näher heran rückt und euch, geliebte Freunde, leider schon nah genug gekommen ist. Muth und Besonnenheit helfen auch da am besten durch, und zum Glücke werden überhaupt nicht Viele davon befallen. Indessen wenn man so seine nächsten Köpfe um sich zählt und mit stillen Wünschen und Beten so unter ihnen hinwandelt, wenn man alle seine andern nahen und entfernten Lieben mit einrechnet, so kann es einem wohl oft recht ernste Gedanken machen. Möge der gute gnädige Gott euch doch vor diesem Satanas bewahren und zu allem Tüchtigen ferner Muth und Kraft geben! und vor allem möge der mildere und wärmere Sommer, der hier wirklich recht schön gewesen ist, Deine Gesundheit wiederhergestellt und gestärkt haben! Denn freilich, der kranke Mensch, zumal wenn auch das Herz noch krank ist, kann kaum ein halber Mensch heißen. [...] Doch weg mit diesen Gedanken! Was wollen wir fürchten und sorgen um Dinge, die ganz außer und über unserer Macht liegen? Wir wollen nur beten, daß Gott es gnädig mit uns mache und daß er uns Muth und Kraft gebe, Glück und Unglück aus seiner Hand zu empfangen und christlich zu ertragen. [...] Schreibet mir doch recht bald und recht viel und recht umständlich. Dies ist jetzt doppelt Pflicht, weil in so geschwinder Zeit man leichter und schneller aus einander gerissen werden kann.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegen weit

Privatschreiben aus Konstantinopel, 7. August 1837130 Die Nachrichten von den herrschenden Krankheiten in der Moldau und Wallachei haben uns bisher hier zurückgehalten und uns bestimmt, den ganzen Reiseplan zu ändern. Schon waren Tartarensättel gekauft, die Koffer mit ungeheuren Reittaschen vertauscht und alle sonstigen Veranstaltungen zur Reise zu Pferd getroffen, als die sichern Nachrichten von der Ausbreitung der Cholera in der Wallachei, besonders in Giurgewo und Bucharest, und die unendlichen Unannehmlichkeiten der Quarantainen und Lazarethe uns die Landreise aufgeben und den Weg durchs schwarze Meer wählen ließen. Noch einmal muß ich also das hölzerne Seeroß besteigen, und darauf bis an die Mündungen der Donau und stromaufwärts bis Gallacz galloppieren, wo die Krankheit, gegen die Regeln ihrer klimatischen Verbreitung, abgenommen oder aufgehört haben soll.

Privatschreiben aus St. Petersburg, 7. August

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Hier im Hause starben drei. - Einer meiner Bekannten, der ebenfalls hier wohnt, hatte einen ganzen Tisch mit Cholera-Medicamenten auf seinem Zimmer stehen, und dabei seinen Bedienten unterwiesen, wie er ihn, im Ereignißfalle, zu behandeln habe; denn da thut schleunige Hülfe Noth, und oft ist schon das Schicksal des Kranken entschieden, ehe der Arzt herbeigeschafft werden kann. Mit diesem meinem Bekannten hatte ich schon Rücksprache genommenen für den Fall, daß auch ich erkranken sollte. Die Hauptsache ist immer, das Blut in schnellere Cirkulation zu bringen, sei es durch Frottiren mit spanischem Pfeffer auf Spiritus, oder durch schweißtreibende Mittel. Sind schon die Glieder erkaltet, so können sie nur durch Frottiren wieder ins Leben gerufen werden. Ein Knabe in einem Hause, das ich frequentire, dem schon die Beine bis zum Obertheile der Schenkel erkaltet waren, ward durch angestrengtes Reiben noch gerettet [...] Privatschreiben aus Wien, 7. August 1831132 Alle Bürger werden exerzirt, um, im Fall das Militär nicht reichen wollte, den Dienst in der Stadt zu übernehmen. Man kann sich nicht auf drei Stunden entfernen, ohne mit Gesundheitspässen hieher versehen zu seyn. Zugleich sieht man Reihen von Reisewagen in die Schweiz und ins Tyrol gehen. In den Kirchen ist die Cholera der Hauptgegenstand der Predigten. Auf den 16. sollen alle Theater geschlossen werden. Man sieht einer verhängnißvollen Zeit entgegen; doch hoffe ich immer noch das Beste und bereite mich jeden Augenblick zu Allem. - Handel und Gewerbe liegen darnieder, die Fabriken stehen still, die Arbeiter sind ohne Brod; Ausländer sollen, wenn sie binnen 8 Tagen keine Arbeit haben, die Stadt verlassen; die Inländer beschäftigt der Kaiser mit dem Graben eines Kanals. [...] Ein Komplott ist angeblich entdeckt worden, das dahin zielte, die Garnison zu entwaffnen; was beim Gelingen dieses Komplotts entstanden wäre, läßt sich leicht schließen. Der Kaiser mit dem Hof begiebt sich nach Schönbrunn, wo bereits schon alle Fenster nach Außen vermauert und verbret[t]ert werden. Eine Fronte des Gartens wird ausgehauen, um ein Regiment Grenadiere hinzulegen und 4 Batterien mit Bedienungsmannschaft. Ebenso wird das Belvedere und Schwarzenbergs Schloß verschanzt.

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Briefe Sommer 1831 Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, Regensburg, 7. August 1831133

In Gefell sah ich die erste Cholera Fatalität, viele, viele Frachtwagen versammelt, wurden nicht über die Bayerische Grenze gelassen, sogar ein Preuß. Schnellpost Conducteur wurde zurückgewiesen, weil sein Paß keine Bayerische Visa hatte, und mein Paß ohne solchen würde auch mich dieselbe Zurückweisung veranlaßt haben. Privatschreiben aus St. Petersburg, 8. August

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Ich wohnte etwa 3 Werste oder beinahe 1/2 Meile von der Stadt [Reval] im Catharinenthal, welches ein kaiserlicher Lustgarten ist, ganz nah bei dem Civilgouverneur, Baron Budberg, und war an diesem Tage zum Abend bei ihm in Gesellschaft gebeten. Während wir bei Tische saßen, bekam er von dem Vorgefallenen Nachricht, und kurz nachher kam der Polizeimeister und zwei Aerzte, die zu diesen Kranken gerufen worden, und machten ihm die Mittheilung, daß die vorgekommenen Todesfälle bei den verschiedenen Personen in verschiedenen Vorstädten unmöglich durch etwas anders als durch die Cholera herbeigeführt sein könnten. Die ganze Gesellschaft wurde durch diese Nachricht sehr bestürzt, aber sie bestätigte sich leider nur zu gewiß, und da beschloß ich sogleich mit den Meinigen nach Hause zu reisen. Neidhardt von Gneisenau an Karoline von Gneisenau, Posen, 9. August 1831135 Wenn mir die Wahl gelassen wäre, welcher Todesart ich sterben wolle, so würde ich mir, nächst einer Kanonenkugel oder einem sanften Schlagfluß die Cholera wählen. Wenn man 71 Jahre alt geworden ist, die geistige und Körperkraft sich gemindert haben und Erfreuliches nicht mehr zu erwarten ist, oder wenigstens nicht viel mehr, jedann kann man wohl wie ich, mit Recht, in Hinsicht auf sich selbst, inmitten der Seuche diese mit Gleichgültigkeit betrachten und seine Besorgnisse nur den andern Bedrohten widmen. Gottlob Benjamin Jäsche an Johann Friedrich Herbart, Dorpart, 10. August 1831136 Mit dem Vorbehalte einer nächstkünftigen ausführlichen schriftlichen Unterhaltung mit Ihnen, wozu ich mir schon im Voraus die Erlaubniß ausbitte, schließe ich für dieses Mal mit dem innigsten Wunsche meines Herzens, daß diese Zuschrift Sie wiederum in dem Zustande einer vollkommen hergestellten Gesundheit, und der wiedergekehrten und neuerstarkten Lebenskraft und Rüstigkeit antreffen; und daß die Vorsehung Sie nun insbesondre auch vor den Angriffen des feindseligen Dämons der Cholera glücklich bewahren möge, welche ja schon, wie wir aus den Zeitungen und Privatbriefen vernommen, in Ihrem Königsberg erschienen ist. Bis jetzt sind wir hier in unserm kleinen Städtchen noch ganz von der Seuche verschont geblieben, die in Riga und Petersburg eine Zeitlang nicht geringe Verwüstungen angerichtet hat. Neithardt von Gneisenau an Alexander Gibsone, Posen, 10. August

1831ni

Die Mittheilung, die Sie mir über Schöns Zwist mit den Königsberger Aerzten gemacht haben, ist sehr interessant, aber sie beweist auch, wie sehr jener durch die Gunst der Umstände verzogen worden ist und überall seine Meinung durchzuführen sucht. Es ist wohl

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

erlaubt, an der unbedingten Kontagiosität der Cholera zu zweifeln, aber diese zu behaupten und sich dabei öffentlich auf das Zeugniß der Aerzte zu berufen, die nun solches ebenso öffentlich abläugnen, war wohl nicht der Klugheit gemäß. Darin stimme ich mit Schön überein, daß die Absperrung ein Uebel ist, vielleicht größer als die Krankheit selbst. Auch hat er in Königsberg bereits die Beschränkungen des Verkehrs aufgehoben oder doch gemindert und ich wünsche, daß er Recht behalten möge. [...] Seit einigen Tagen sind der Erkrankungen hier weniger, vielleicht ist die Seuche schon im Abnehmen. Einen daran verstorbenen Hauptmann ausgenommen, hält sie sich in den unteren Ständen, die sich weniger um die Vorschriften der Diätetik bekümmern können. Wie sollte der gemeine Mann dem Genuß von Sauerkraut, Sauergurken, schwachem Bier und starkem Branntwein entsagen können? Karl August Varnhagen von Ense an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 10. August 183 l m Wir sehen hier mit zunehmender Fassung den Übeln entgegen, die uns von Osten bedrohen, und zwar langsam, aber doch schrittweise näher kommen. Die Hoffnung eines natürlichen Stillstandes, so wie die einer kunstkräftigen Abwehr, sind uns noch nicht verschwunden, übrigens wird auch gegen den möglichen Einbruch gute Vorkehr zum Kampf an Ort und Stelle getroffen. Ich für meinen Theil habe so gut wie gar keine Apprehension. Georg Friedrich Christian Fikentscher an Johann Bartholomäus Redwitz, 10. August 1831m

Trommsdorff,

Am vorigen Sonnabend kam ich ganz wohl hier an, und traf auch alle Geschwister recht gesund. Auf der Reise hatte ich nur eine einzige Unannehmlichkeit. [...] an der bairischen Grenze, wo man mir, weil ich meinen Paß nicht von der Sanitätskommission in Erfurt unterschrieben hatte, den Eintritt verweigerte, bis ich von der nächsten preußischen Behörde beigebracht haben würde, daß „während meines Aufenthalts in Erfurt daselbst ein guter Gesundheitszustand geherrscht habe". - Da ich von meiner und der Erfurter Gesundheit noch den besten Begriff hatte, so machte ich mir kein Gewissen daraus dem Scheine nach umzukehren und auf einem andern Wege nach Hause zu gehe ohne einige Tage zu verlieren, nahm mir aber vor Ihre Güte deßwegen in Anspruch zu nehmen, um Unannehmlichkeiten auszuweichen. - Dürfte ich Sie bitten, mir vom dortigen Sanitätsrathe ein ganz kurzes Zeugniß zu besorgen, des Inhalts: „daß während meines Aufenthalts in Erfurt vom 2ten bis zum 5ten August daselbst und in dessen Umgebung von χ Meilen keine anste[c]kende Krankheit geherrscht habe." Dieses reicht vollkommen aus, die Zollbeamten, welches sehr rechtliche Leute sind, und mich, gegen Inquisitionen zu verwahren. Hier, und, wie ich höre, in Böhmen herrscht die beste Gesundheit; aber aus Ungarn lauten die Nachrichten nicht gut, indem in Pesth und Ofen täglich gegen 30-40 Menschen [an der Cholera] sterben sollten. In München hat man viel Vertrauen zu allgemeinen Chlorräucherungen.

Briefe Sommer 1831

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Wilhelm von Kuegelgen an Carl von Kuegelgen, Hermsdorf, August 1831140 Die Pollschen schrieben, daß die Cholera noch nicht nach Estland gedrungen, wiewohl das Ländchen von der Krankheit ganz eingeschlossen ist und man sie täglich dort erwartet. Die Unsrigen sind sehr gefaßt und haben ihre Herzen in Gott festgemacht, sodaß ihre Briefe klingen wie Psalmen und Orgelton. Sie schreiben, daß dort viele sind, die an ihre Brust schlagen, Buße tun und sich zum Herrn wenden. Oh, wie ganz anders sieht es hier aus! Wer denkt bei uns an Buße tun? Die Leute vertrösten sich, die Krankheit werde nicht bis hierher kommen! Wenn sie so fortschreitet wie bisher, so möchten wir sie wohl im Spätherbst hier haben. Wir wollen hier auf dem Lande bleiben, und meine Mutter und Adelheid werden auch zu uns ziehen, um in der schweren Zeit mit uns vereint zu sein. Ärztliche Hilfe ist hier zwar fern, aber unser Arzt ist der Herr, er wird uns bewahren vor den giftigen Pfeilen des Bösewichts. Dieser Sommer ist sehr giftig naß und neblig, und bei heiterem Wetter steht die Sonne bisweilen am Himmel wie ein bleiches Bild. Es ist hier viel Krankheit, fast jedermann wird angepackt - und der Krieg hängt am Himmel wie eine schwarze Wolke. Es sind erste Zeiten. Karl Otto Magnus von Brünneck an von Neischütz, Berlin, 11. August 1831ш Auch überschicke ich hiebei ein bewährtes Schutzmittel gegen die Cholera, was kürzlich über Carlsbad hie[r]her gelangt ist, und unbezweifelt für die ärmere und gläubige Klasse, die zu äußeren Mitteln immer das meiste Vertrauen hat, von Werth sind. Ich bin in so weit ganz Schön seiner Meinung, daß man durch das viele Aufheben, was man von dem Uebel gemacht, und die dadurch verbreitete Furcht vor demselben, sehr geschadet und das Uebel bedeutend verschlimmert hat, weshalb man auch alles, mithin auch jenes Mittel benutzen muß, dem entgegen zu wirken. Auf der anderen Seite kann ich aber dem Benehmen von Schön, was man hier davon hört, nicht beistimmen, mir dasselbe wenigstens nicht erklären. Er scheint in Widersprüche zu verfallen und mit ganz besonderem Eigensinn in unwesentlichen Dingen zu opponiren, dadurch einen anarchischen Zustand der Behörden unter sich, der freilich mit von hier aus veranlaßt worden, noch zu bestärken. - Es wäre mir lieb, deshalb von Dir unbefangenen Aufschluß zu erhalten. Ich hoffe daß der Pöbel-Auflauf an Dir ohne Gefahr vorübergegangen, und daß es mit dem Befinden Deiner Mutter besser geht. - Der Himmel möge Euch alle ferner beschützen! Friedrich von Gentz an Anton von Prokesch-Osten, Baden, 11. August 1831142 Seit einem Monat schwebt die Furcht vor dem Einbruch der Cholera über unseren Häuptern. In dieser Krisis, welche selbst den politischen Verwicklungen einen Theil unserer Aufmerksamkeit entzieht, hat der Fürst plötzlich - ob in Bezug auf diese Gefahr oder aus anderen zufälligen Gründen, weiß ich selbst nicht genau - den Entschluß gefaßt, ein Haus in Baden zu miethen, woselbst der Kaiser noch durch diesen ganzen Monat, wenn die Umstände es erlauben, bleiben will. Der Fürst bot mir in diesem Hause eine Wohnung an, und hier sind wir nun seit acht Tagen etablirt. So weit wäre nun alles noch erträglich, obschon der Aufenthalt in Baden bei meiner eingewurzelten Antipathie gegen diesen Ort, und da er mich von Wien entfernt, nichts sehr erwünschtes hat. Das Schreckliche ist aber, was uns bevorsteht. Es ist nämlich beschlossen,

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

daß wenn die Cholera den leider schon ziemlich nahen Cordon, der uns von dem angesteckten Ungarn trennt, überschreiten sollte, der Kaiser, der Fürst Metternich, das nöthige Geschäftspersonal und sogar ein Theil des diplomatischen Corps sich in Schönbrunn einquartieren und dort von aller Welt abgesperrt, solange bis die Gefahr vorüber ist, wohnen sollen. In welche Perplexität mich dieses Project versetzt, kann ich Ihnen unmöglich beschreiben. Noch habe ich keinen definitiven Entschluß gefaßt, noch weiß ich nicht, ob ich mich dieser grausamen Gefangenschaft unterwerfen oder, was auch geschehen möge, meine Freiheit reclamiren werde. Da man sich immer noch mit der, vielleicht eitlen, Hoffnung schmeichelt, von dieser Extremität verschont zu bleiben, so suspendire ich gegen mich selbst und andere jeden Ausspruch über ein so höchst peinliches Dilemma. Indessen können Sie sich leicht vorstellen, wie sehr die Unwissenheit, in der ich schwebe, und demnächst die ewigen Gespräche über das, was uns erwartet, die fast jede andere Unterhaltung verdrängt haben, mir jede Stunde meines hiesigen Aufenthaltes verbittern. Die Krankheit selbst fürchte ich wenig oder gar nicht. Es fällt mir nicht ein, daß sie bei meiner eintönigen und mäßigen Lebensweise mich treffen könnte. Aber die Gegenanstalten, die Trennungen, die Entbehrungen, die fürchterliche Dunkelheit der nächsten Zukunft, die Verwirrung und Auflösung aller öffentlichen und Privatverhältnisse - die machen mich zittern, und ich betrachte wirklich als ein Wunder, daß meine Gesundheit unter diesen Umständen bisher unerschüttert geblieben ist. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 12. August 1831Ш Wir leben hier in der größten Kontroverse über die Nützlichkeit der Sperren. Sie haben allerdings sehr große Nachteile; doch ist meine Meinung, daß sie das Übel oder vielmehr seine Ausbreitung vermindern, wenn ihm gegen den Westen hin immer in neuen Sperrungslinien Widerstand getan wird, es sich in immer dünneren Spitzen ausbreiten und zuletzt verlieren wird. Dies wird nun von anderen und namentlich dem Feldmarschall ganz geleugnet, und hätten diese Recht, so wären freilich die großen Übel, welche die Sperren aller Art herbeiführen, sehr zu bedauern. Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Theodor von Schön, Fürstenstein, 12. August 1831ш Wie gerne! wäre ich jetzt mitten unter Ihnen und theilte Freud und Leid mit Ihnen!!! Ich gestehe, daß ich von der Hoffnung nicht lassen konnte, als würde mir des Königs Gnade noch diese schöne Freude gestatten. Seit heute jedoch scheint es als sey von nun an solche Hoffnung eine thörigte. Im Westen bereiten sich Dinge, die, ist's möglich Pohlen und Cholera vergessen machen werden. - [ . . . ] So ist nach menschlicher Wahrscheinlichkeit an dem Krieg kaum zu zweifeln. So darf ich es denn kaum mehr wünschen, mich einer langwierigen Quarantaine auszusetzen. Ich muß Zeit und Kraft theuer halten, denn ich meine, es wird bald die Freiheit und Ehre des teutschen Nahmens gelten und Sie werden wissen, daß uns nach altem teutschen Recht, Kraft Besitzes des Herzogthums Westphalen der Titel: Vorfechter von Deutschland zukommt. [...] P. S. Verzeihen Sie mir, verehrter Freund, da kommt noch ein Blatt - ich kann aber der Sucht nicht widerstehen, Ihnen etwas die Epistel zu lesen. Man sagt mir Sie haben sich zu

Briefe Sommer 1831

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verschiedenen Malen der Ansteckung ausgesetzt durch Besuchen der Krankenhäuser. Ist das nun wirklich wahr, so muß ich Ihnen sagen, daß das unrecht, sehr unrecht ist. Ja ich kämpfe gewaltsam nieder was mir dabey von Bewunderung aufsteigt und sage mit recht reifer Überlegung, daß ich Sie hierin tadle; denn Einmal ist es gegen die Allerhöchst sancionirten Verordnungen, folglich ein Beispiel von Ungehorsam das Sie geben und ich fürchte weniger, daß Ihre Feinde das benutzen werden, als daß es Ihre Freunde mit Recht betrüben wird. - Zum Zweiten setzen Sie sich und Andere wirklichen Gefahren aus, ja, theuerster Schön, Sie setzen das Land der Gefahr aus, Sie zu verlieren - und ohne besondere Eigenliebe müssen Sie wissen (das fordere ich von Ihnen) welch eine Calamitaet Ihr Verlust allermeist unter den gegebenen Umständen seyn würde. Reißen alle Stücke der Ueberführung bey mir, so wünschte ich Sie kleiner als Sie sind, so wünschte ich Sie für Privatrücksichten influenzirungsfähig - So möchte ich mit 1 Wort, daß Sie das Gerügte aus Rücksicht für mich unterließen, daß Sie recht oft an mich, an meine Wünsche, an meine Besorgniß um Sie, an meine Freundschaft dächten und sich ein kleinwenig danach richteten - Ich gehe noch weiter, denn ich bin im guten Zuge und mein Muth wächst mit dem Vorschreiten. Hüten Sie sich mehr als sonst vor dem Aussprechen des Tadels über die von den höchsten Behörden getroffenen Anordnungen. Wahrscheinlich (und das wissen Sie) bin ich nicht der welcher glaubt, daß Ihr Tadel auf Irrtum beruht. Ich rede hier nur von dem Aussprechen. Aendern Sie, wo es Ihnen dringend erscheint, es fehlt Ihnen dazu nicht an Macht und Ansehen, aber leiden Sie unter keiner Bedingung das Laut-werden der Abneigung. Grade Sie können dadurch doppelt und 3fach segensreich wirken - Was in den 15 verstrichenen Friedensjahren gleichgültig, oder gar fördernd seyn mochte, das ist seit July 30 und namentlich in diesen jetzigen Tagen nicht mehr unschuldig und führt nothwendig zu Rückschritten auf der Bahn des allgemeinen Wohls. Sehen Sie, vereintester Freund, das ist so meine Ansicht, daß ich mich der schmerzlichen Gefahr aussetze einem rechten Manne gegenüber als Gelbschnabel zu erscheinen. Darin kennen Sie mich, daß wahrlich bey mir die Freundschaft kein leerer Schall ist - Nun denn, ich bin Ihr Freund und ich weiß daß Sie der meinige sind - halten Sie es dieser meiner tief begründeten Freundschaft zu gut, wenn ich Sie jetzt vielleicht dazu gebracht habe, mir ein saures Gesicht zu ziehen - Da - meine Hand - Schlagen Sie ein und nun eine herzliche Umarmung - Geben Sie mir (was mir leid thäte) auch nicht recht, so mißverstehen Sie mich doch gewiß nicht und ich hoffe zu Gott, unser Verhältniß soll nie getrübt werden, am wenigsten durch Aufrichtigkeit. Ist es denn wahr, was man hier sagt, daß ein Theil des Pöbels bis in's Schloß gedrungen war, und, daß Ihre Wohnung und sogar Ihre Familie in Gefahr gerathen ist? Bettina Schinas an Franz von Savigny, Berlin, 12. August 1831145 Gestern erhielten wir durch die Clausewitz folgendes Schutzmittel gegen die Cholera, sie hat es durch Fürstin Lobkowitz Frau des Gouverneur in Gallizien, welche dazu schreibt „in Lemberg hat von den Personen die es tragen nicht einer die Ch. bekommen. Ein Leder von der Form und Größe wie die Zeichnung hier wird dünn mit Tannen- oder Fichten-Harz bestrichen über Kocher heiß gemacht u. auf den Magen gelegt, die breite Seite nach dem Leib zu, die einzelne Spitze gerade in die Magengrube. Dabei nimmt man täglich 1 höchstens 2 Tropfen Camillen-Oel auf Zucker, Frauen können auch Krausemünzbonbons oder Thee von Krause[münze] nehmen".

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Karoline von Gneisenau an August von Scharnhorst, Erdmannsdorf, 13. August

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Ja wohl, lieber Gustel bin ich recht besorgt um den Großvater und beide Oncels, denn Hugo ist zwar nicht in Posen sondern bei dem Cordon gegen die Krankheit gezogen, dies wird Dir Herr Göbel erklären, aber auch in jener Gegend ist die Krankheit. Der Schulz vom Großvater hat die Cholera gehabt, ist aber genesen, der Reitknecht des General Clausewitz hingegen ist gestorben, als Schulz in der Besserung sich befand, war er doch so schwach, das er phantasirte, und dabei auf dem Krankenwärter spazieren reiten wollte. Johann Bartholomäus Trommsdorffan Christian Wilhelm Hermann Trommsdorf, Erfurt, 13. August 1831147 Indeßen hängt ja alles davon ab, ob ich gesund u. am Leben bleibe, und ob die fürchterliche Cholera nicht auch bei uns hereinbricht. Niemand ist dafür [vor der Cholera] sicher, und nicht nur ich, sondern alle meine Freunde sind darauf gerüstet, d.h. jeder hat sein Haus bestellt, sei Testament niedergelegt, und überläßt sich willig den Fügungen der Vorsehung, ohne sich durch große Furcht oder Angst seine Tage zu verkümmern. Karl Philipp von Wrede an Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich, München, 13. August 1831m Da zu Folge der uns gestern aus Petersburg zugekommenen Nachrichten man dorten der C[h]olera Herr geworden seyn will, so wird dieses zum Besten der Menschheit um so mehr Ihnen gelingen. Sollte es der Fall seyn, daß Sie Ihre zum Cordon verwendete[n] Truppen wieder rechts um kehrt machen lassen können, so erlaube ich mir, lieber Fürst, die Frage, ob es nicht gerathen seyn dürfte, daß für alle Fälle Verhaltungs-Grundsätze und Normen in Betreff der Administrations- und Verflegungs-Gegenstände im Falle der Offensive [gegen Frankreich] verabredet werden. Privatschreiben an ein befreundetes Handelshaus, Pesth, 13. August 1837149 Seit einem Monat haben wir den schrecklichen Gast in unsern Mauern. Schon gegen 800 Opfer hat er gefordert, ohne Rücksicht auf Geschlecht, Alter und Vermögensumstände zu nehmen. Wir glauben, die Krankheit werde nun ihren Culminationspunct erreicht haben und sich bei eintretender gleichmäßig heiterer Witterung allmälig verlieren. Furcht und Angst und die getroffenen Vorkehrungen und Anstalten haben größeren Schaden angerichtet als die Cholera selbst. Jakob von Henning an Wilhelm Gottlieb von Tilesius, St. Petersburg, 14. August 1831150 Über die Contagiosität läßt sich bis jetzt, wie ich oben schon bemerkte, Nichts mit Gewißheit bestimmen, es giebt Gründe dafür und dawider. In einer Nachricht aus Riga lese ich so eben, daß zwei säugende Frauen mit der Cholera befallen nach dem Hospitale gebracht waren. Um die Milchabsondrung zu unterhalten, legte man statt der weggenommenen Kinder einen jungen Hund an die Brust. Die Frauen wurden gesund, aber der Hund starb nach drei Tagen an der völlig ausgebildeten Cholera (Erbrechen, Laxiren und Krämpfe). Hier

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Briefe Sommer 1831

möchte man wohl fragen, ob dieser Hund von einem tellurischen oder epidemischatmosphärischen Einflüsse erkrankte? Prinz Johann von Sachsen an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, Pillnitz, Mitte August 183lm Was sagst du zu der Cholera? In Pillnitz ist ein Gesetz passirt sie bei Tafel nicht mehr zu nennen. Glaubst du, daß wir sie kriegen oder wird der Kordon helfen? Ich weiß nicht, seit die Belgier Prügel bekommen haben, habe ich in allen Dingen wieder guten Muth bekommen, selbst wegen der Cholera. Privatschreiben aus Königsberg, 16. August 1831х52 Alle unsre Aerzte sind völlig darüber einig, daß die Krankheit nicht ansteckend und jede Sperre dieserhalb nicht allein unnöthig sondern sehr gefährlich ist, indem Nichtbeschäftigung und daraus entstehender Mangel die wahren Leiter dieses Übels würden. - Als Beweis dieser Behauptung ist hier am besten anzuführen, daß bis jetzt noch keiner der hiesigen Krankenwärter und Träger, alle aus der niedern Volksciasse, und am allerwenigsten einer der Aerzte gestorben ist, wenn gleich es kein Wunder wäre, wenn einer oder der andere dieser Leute durch zu große Anstrengung dahin käme. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 16. August

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Sollten sie mich, wenn der hiesige Auftrag beendigt ist, wirklich wieder in der Breslauer Artillerie in eine Kontumaz verweisen? Ich glaube, doch nicht eher, bis man über Krieg und Frieden ganz im klaren ist; denn solange sie den Feldmarschall nicht ganz beiseite setzen, und das werden sie wohl jetzt weniger als je tun, können sie mich nicht entbehren; auch glaube ich, daß der König jetzt allenfalls selbst etwas darauf gibt, mich so lange in Berlin zu wissen, wie die unruhigen Verhältnisse dauern [...]. Karl Lachmann an Joseph von Laßberg, Berlin, 16. August 183f54 Ich weiß nicht wie weit in dem schönen stillen Eppishausen Sie die Stürme der Welt erreichen, wir kommen hier kaum zur Besinnung, und jetzt haben wir gar die Angst vor der Cholera die nach den heutigen Nachrichten die Oder soll überschritten haben. Wenn man sich auch gebührend faßt - und allerdings fühle ich gar keine besondre Furcht - zu ruhiger und behaglicher Arbeit kommt man wenig. Hr. v. Meusebach und ich sind auf den September nach Göttingen geladen: aber wer weiß ob auch daraus etwas werden kann? Prinz Wilhelm von Preußen an Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin, Potsdam, 16. August 1831155 Statt meiner kommt ein dritter Sohn Charlottens hier an! Am 8. wurde sie glücklich von einem kleinen Nicolas entbunden! Gott sei dank! Charlotte, der Kaiser, alles ist selig; seit langer Zeit wieder einmal Freude. Das ist ein wahrer Dieu donne-, in dieser Schreckenszeit so glücklich noch alle Gefährlichkeiten der Schwangerschaft zu überstehen! - Leider habe ich mein Projekt, zu Dir zu kommen, nicht ausführen können; denn die Geschäfte von

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Wichtigkeit mehren sich täglich, und stündlich sehe ich dem Befehl entgegen, Landwehr meines Korps einzuziehen oder Truppen von der Elbe hermarschieren zu lassen, alles wegen der Cholera! Da begreifst Du wohl, daß ich mich nicht entfernen konnte. [...] Wann kommst Du denn einmal zu uns? Die Welt ist rasend konfus, und da muß man recht enfamille zusammenhalten. Darum komme doch! Friedrich Ludwig Jahn an Dr. Schwabe, Erfurt, 16. August 1831156 Unsere cholerische (richtiger wohl choleraische) Zeit, räumt doch hin und wieder auf. So ist, weil das Justizministerium Feuer dahinter gemacht, überall in den unfreiwilligen Aufenthaltsorten geweisset und gescheuert worden. Auf meinem 15 Schritt langen und 10 Schritt breiten zweifenstrigen Vorsaal lag auf den Unterzugsbalken noch der Staub von vor Luthers Geburt her. [...] Auf die Cholera ist man hier vorbereitet, mit Vorbau- und Bekämpfungs-Anstalten. Das bürgerliche Krankenhaus, was recht luftig und frei am Kämpferwalle liegt, soll Contumaz werden. Das Geräth ist schon hingeschafft, auch die großen Zangen der Todtengräber. Für Hahnemanns Meinung streiten die neuen Betheiligen. Sie nehmen an: die Cholera sei der leibhaftige Gott sei bei uns. Das glaubt sogar ein Kriegsmann, der wider die Cholera den Oberbefehl führt. Dr. Abendroth an Dr. Kneschke, Odessa, 17. August 1831х51 Die schon seit Jahr und Tag hier herrschende Cholera hat mich Tag und Nacht vom Hause entfernt, allein desto mehr genieße ich jetzt die wieder eintretende Ruhe, indem die Epidemie nachläßt. Im Nov. v. J. ward ich vom Gouvernement nach dem Districte am Bug geschickt, um die nöthigen Maßregeln gegen die Krankheit zu nehmen, und die dortigen Kranken zu behandeln. Ich war sechs Wochen dort und hatte Gelegenheit, die Krankheit im Großen zu beobachten. Ein einziges Mal im vorigen Jahre auf dem Lande, wo ich mir durch die schlechte und rohe Nahrung des russischen Bauers, welche ich genöthigt war zu genießen, um nicht zu verhungern, den Magen verdorben und gleich darauf tüchtig erkältet hatte, bekam ich plötzlich einen heftigen Brechdurchfall mit Fieber. Mein Kreischirurg, ein guter ehrlicher Russe, welcher mein Begleiter und Adjutant war, bekam in der Nacht, wo ich etwas dirilirte, Angst, zapfte mir eine reichliche Portion Blut ab, und gab mir 10 gr. Kalomel. Er dachte: viel hilft viel. Wirklich verwandelte das Kalomel schon am Morgen den wäßrigen Durchfall in schwarzen, breiigen Stuhl, das Brechen hörte auf und 24 Stunden später fuhr ich schon wieder aus, um Kranke zu besuchen. Neidhardt von Gneisenau an Friedrich Wilhelm von Brühl, Posen, 17. August 1831l5S Die Cholera ist hier etwas im Abnehmen, und wir glauben demnach an ein fortschreitendes Erlöschen derselben. Übrigens haben wir sie, in Hinsicht auf Gefahr, geringschätzig behandelt und uns durch sie in unserer Heiterkeit und Gemüthsruhe nicht stören lassen. Die dadurch veranlaßten Schreibseligkeiten sind das Unangenehmste bei ihrem Erscheinen. Man kann sich vor ihr durch Mäßigkeit hüten, hier haben fast immer Diätfehler die Veranlassung dazu gegeben, indem sie die Empfänglichkeit dafür vermehren; an der Kontagiosität derselben darf man nicht mehr zweifeln. Clausewitz befindet sich wohl, sowie meine Umgebun-

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gen. Mein Bereiter befindet sich noch im Lazareth und die Ärzte können über dessen nachgebliebene Schwäche nicht Herr werden. Ernst Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, Rauschen bei Königsberg, 18. August 1831i59 Schon war ich mit dem, was ich Ew. Excellenz recht ausführlich darüber sagen wollte, im Reinen, als die Nachricht vom Ausbruch der Cholera, und gleich darauf von einem Volksaufstande in Königsberg jedes andere Interesse auf einige Zeit zurückdrängte. Jetzt ist die Ruhe in der Stadt längst wieder hergestellt, die Cholera hat seit acht Tagen beträchtlich nachgelassen, und unser Dorf und seine Umgegend blieben von physischer wie sittlicher Krankheit gänzlich verschont [...]. Ob aber ein durchstochener durchräucherter Brief Ew. Excellenz nicht zuwider seyn wird? In der festen auf Thatsachen gegründeten Ueberzeugung, dass die Cholera selten oder nie ansteckt, glaube ich schreiben zu dürfen; sollten Ew. Exzellenz anderer Meinung seyn, so wäre es auch kein grosser Verlust, wenn Sie meinen Brief ungelesen ins Feuer werfen liessen. Franz Grillparzer an Katharina Fröhlich, Gastein, 18. August 1831m Mein Aufenthalt in Gastein geht zu Ende. Ich werde Montag den 22ten dM. von hier abreisen, und gedenke, wenn kein besonderes Hinderniß eintritt (worunter besonders die Geschäfte meines Bruders wegen in Salzburg gehören dürften) bis 26ten in Wien einzutreffen. Sollte ich diesen letztgenannten Tag noch nicht angekommen seyn, so ist, eben der Geschäfte wegen, darum nicht geradezu von besorgten Leuten auf meinen Tod oder einen sonstigen Unglücksfall zu schließen. Übrigens wollen wir unsere Gesundheit möglichst wahren um in unsern Personen der Cholera doch wenigstens einen annehmbaren Bissen vorsetzen zu können. Jacob Ernst von Reider an Justus Radius, Wien, 18. August

183lm

Ihrer mir im verflossenen März gemachten Aufforderung, Sie von Zeit zu Zeit über den Gang der Cholera und dahin zielende Erfahrungen und Thatsachen unsere Monarchie betreffend zu unterrichten, konnte ich bisher kein Genüge leisten; alle glaubwürdige Nachrichten wurden mir meist erst durch öffentliche Blätter bekannt, wo sie dann durch ihre Allgemeinheit nicht mehr zur Privatcorrespondenz von Werth sind. Die Privatbriefe und Nachrichten über diesen Gegenstand aus von der Seuche ergriffenen Gegenden und Orten waren meist so widersprechend, daß ich Anstand nahm, sie weiter mitzutheilen. Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, München, 18. August 1831162 Wien wo die Cholera in der Entf. von 2 Stunden bereits eingetreten ist, macht sehr viele Reisende von daher hier eintreffen, und [man] fängt an ohne sichtliche Vorkehrungen zu treffen lebhaft Furcht zu äußern. Pitt Arnim geht nach Mailand mir scheint auch aus diesem Grunde, ich sehe ihn oft und ist er mir sehr interessant lehrreich unterhaltend so wie ich ihn früher nicht ganz so kannte.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Friedrich Karl von Savigny an Friedrich Creuzer, Berlin, 19. August 1831163 Jetzt rückt nun, wie ein grausiges Ungeheuer, langsam die Cholera heran. Und wollte Gott, daß sie das größte Übel dieser Zeit wäre. Mehr noch ist es der stets steigende Mangel an edler rein menschlicher Gesinnung, an ruhigem besonnenen Verstand, den ich fast überall schmerzlich erblicke. Überall Leidenschaft, von keiner inneren Kraft entzündet, sondern von der schnödesten Selbstsucht, neben der größten Flachheit, ja neben einer Art bewußtloser Verzweiflung. Christian Daniel Rauch an Ernst Rietschel, München, 19. August

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P. S. viele Wiener Familien kommen täglich aus Furcht vor der Cholera hier an, und gehen nach der Schweiz; so werde ich in meinem Vorhaben gestört nach Teplitz zu gehen, indem Sachsen gewiß bald die böhmische Gränze sperren wird, und somit auch ich ausgesperrt würde. Joseph Dietz an Christian Brentano, Frankfurt/Main, 19. August 1831165 Endlich [...] ist das Buch fertig geworden [C. Brentano, Die barmherzigen Schwestern, Coblenz 1831]. Es ist zwar eine schlechte Zeit für den Absa[t]z geworden, aber wenn die Leute wüs[s]ten, was alles in dem Buche steth, so wäre es vielleicht die Allerbeste. Krieg und Verwirrung und obendrein die Cholera, die nach den heute hier coursirenden Gerüchten in Breslau, Mailand und Wien ausgebrochen seyn soll, ein schönes Trio. Michael Josef Fesl an Anna Hoffmann, Graz, 20. August 1831Ш So eben heißt es, daß die Cholera nach Wien eingebracht wurde, durch einen von Lemberg gekommenen Lastwagen. Glücklich wer von Herzen sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Mögen wir alle in dieser christlichen Gesinnung von oben gestärkt werden. Gott ist Vater nicht nur unser, sondern auch der Unsrigen. [...] Die Wallfahrt nach Mariazell am 15. Aug. wurde diesmal den Gräzern nicht gestattet, die Wiener durften noch am 2. Juli der ihrigen obliegen. Noch weiß man nicht, ob der Egidimarkt abgehalten werden kann, die Juden dürfen nicht kommen. Der Handelstand in Wien ist geschäftslos, Häuser fallen. Der Fremden erwartet man hier wenige. Leopold Zunz an Meier Isler, Berlin, 20. August 1831167 Wenn die Polen in Wilna, die Cholera in Lissabon, Rothschild mein Freund und Ancillon auf dem Himalya wäre, so ginge es hier und mir vortrefflich; da dies aber nicht der Fall ist, so muß man sich in Geduld fassen, die Bücher, die man nicht hat, leihen; das Geld, das man nicht hat, ignoriren, und sich im übrigen damit trösten, daß Alles eitel ist. Neithardt von Gneisenau an Agnes von Scharnhorst, Posen, 21. August 1831m Ich hoffe, daß du dich in dieser bedenklichen Zeit vor dem Obst hüten wirst, denn auch da, wo die Cholera nicht herrscht, ist es in diesem Jahr gefährlich, davon zu essen, indem auch andere Krankheiten daraus entstehen.

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Hier starb ein Mädchen von 9 Jahren an der Cholera. Man konnte nicht erforschen, auf welche Weise sie angesteckt worden war, und sie verschwieg es, endlich als sie in den letzten Zügen lag, gestand sie, daß sie in des Nachbars Garten geschlichen und sich da an Birnen sattgegessen hatte; eine harte Strafe für einen so vorübergehenden Genuß! Eine halbe Stunde von Posen liegt ein Dorf, Namens Jerzice. Die ganze Gegend umher war schon von der Cholera angesteckt, während dieses Dorf frei blieb. Die Dorfbewohner triumphirten darüber und die Posener Einwohner wanderten dahin, in der Meinung, daselbst recht gesunde Luft einzuathmen. Die Bewohner von Jerzice wollten sich den Vortheil ihrer vemeintlich so sehr gesunden Lage sichern und veranstalteten eine abergläubige Ceremonie. Ein Paar Zwillings Stiere wurden vor einen Pflug gespannt und durch ein Paar Zwillings Knaben geleitet. Ein Priester trat voran, der Pflug folgte und die sämmtliche Einwohnerschaft hinter ihm. Es wurde nun eine Furche um das ganze Dorf gezogen, und die Leute glaubten, nun werde die Seuche diese Furche nicht überschreiten, aber des anderen Tages wurden drei Einwohner des Dorfs von der Cholera befallen und verstarben desselben Tages, seitdem noch viel mehr. Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, Altona, 21. August 1831169 Wir würden ein paar Tag zusammen verleben, ohne recht frei und froh zu seyn, dahingegen wenn Sie zu mir kommen, wo Gottlob noch Alles gesund ist, wir des Wiedersehens uns freuen können, und wenigstens für diese Zeit alle politische Verkehrtheit, und die Krankheiten des gesunden Menschenverstandes, so wie die Seuchen des Körpers vergessen können. Ich setze nichts hinzu, mein theuerster Freund! Sie sehen, wie glücklich Sie mich machen würden, und ich überlasse Alles Ihrer Entscheidung. Unsern theuern Bessel hat der Königsberger Magistrat von der Sternwarte vertrieben. Sie haben ihm den Kirchhof für die Cholera-Kranken 19 Ruthen vom Meridiankreise angelegt, und fahren die Leichen den ganzen Tag hindurch (gesetzlich sollen sie nur von 8 Uhr Abends bis 8 Uhr Morgens beerdigt werden) um die Sternwarte herum. Er hat protestirt, der Ober-Praesident Schön ebenso, er hat ihnen einen bequemeren Platz gezeigt, wo die Leichen gar nicht durch die Stadt gefahren zu werden brauchen, - alles umsonst. So hat er die Sternwarte verschliessen und versiegeln müssen, und ist a u f s Land gezogen. Gott gebe, dass der heftige Aerger ihm nicht geschadet habe! Privatschreiben aus Elbing, 22. August 1831m Ich bin wenigstens mit den Meinigen bis jetzt gesund geblieben; überhaupt hat man die Cholera viel weniger zu fürchten, als es in der Entfernung von ihr den Anschein hat. Die hiesigen Aerzte sind Mann für Mann durchaus der Meinung, daß sie nur in so fern anstekkend sey, als die Prädisposition zu dieser Krankheit vorhanden ist und Unordentlichkeit und unreinliche Lebensart ihr entgegen kommen. Was meine Meinung und die fast aller hiesigen Einwohner betrifft, so halten wir von der Cholera nichts mehr, als von jeder andern bösen Krankheit, der man mit einiger Vorsicht aus dem Wege gehen kann. An hiesigem Orte ist noch kein Arzt einmal erkrankt, obgleich diese mit unendlicher Anstrengung Tag und Nacht gleichsam mitten in der Atmosphäre der Krankheit sich bewegen und viel weniger Erholung haben, als alle übrigen Menschen. Ich muß freilich gestehen, daß die ersten acht Tage,

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nachdem die Krankheit ausgebrochen war, fast unerträglich waren, was aber überall der Fall sein soll. Der schreckliche, schon früher mit Entsetzen gehörte Name, die häufigen Menschengruppen, von denen Jeder etwas Schlimmes gehört oder gesehen haben will, die Wachen an den Häusern, in denen ein Leidender oder Todter sich befindet, die Verzweiflung in den Mienen der ärmern Klasse, deren Broderwerb mit Einem Male völlig aufgehört, indem Niemand mit ihnen etwas zu thun haben will, und denen es doch unmöglich gemacht wird, außerhalb der Stadt ihr Brod zu verdienen, das ewige Hin- und Herfahren der Aerzte, das nächtliche Rollen der Leichenwagen: dieses Alles erregt Anfangs eine solche Spannung in den Gemüthern, daß fast Keiner ernstlich an sein Geschäft denkt, und nur bemüht ist, die Resultate der um sich greifenden Krankheit zu erfahren. In allen Gesichtern ist Besorgniß, Furcht, Angst oder erkünstelte Gleichgültigkeit, die eigentlich Furcht vor der Furcht genannt werden kann; überall klagt man über Beklemmung, Magendrücken, Mattigkeit, Schmerzen in den Füßen, Neigung zum Erbrechen, besonders in den Morgenstunden, Mangel an Eßlust, Schlaflosigkeit bei unausstehlicher Hitze und großem Schweiß, und Anfälle von Diarrhöe. Alle diese Uebel stellen sich fast bei Jedem ein, und werden meistens nur durch die Furcht erzeugt. [...] Wie wenig die Krankheit sonst gefürchtet zu werden braucht, beweist der Umstand, daß mit drei oder vier Ausnahmen nicht Einer hier erkrankt ist, der mir auch nur persönlich bekannt wäre. Kein einziger Schüler aus dem Gymnasium, kein Mädchen aus den beiden Töchterschulen, ist auch nur krank geworden, und wenn jetzt einige Kinder in den Listen der Erkrankten angeführt sind, so sind dies solche, die halbnackt mit bloßen Füßen im kalten Wetter auf den Straßen liegen, zu ihrer Nahrung fast nichts weiter als unreifes Obst und verdorbene Ueberreste von Speisen zu sich nehmen, und so der Krankheit nothwendig erliegen müssen. Die Obstzeit mag wohl mit die gefährlichste für die Krankheit sein-, aber dennoch ist bei uns die Sterblichkeit jetzt geringer als früher. Was nun aber die durch die Sperre veranlaßte Nahrungslosigkeit betrifft, so ist diese nach der allgemeinen Meinung viel schlimmer, als die Krankheit selbst. Rahel Varnhagen an Rose Asser, Berlin, 22. August 7557171 Meine Angst wegen der Seuche geht noch an. Unser ganzes Dasein ist ein ununterbrochenes Wunder; wir sind immer, und Alle, a la dicretion du bon Dieu. Todesnöthe habe ich schon oft ausgestanden: erst diesen Frühling an der Influenza. Bis tief in den Sommer hatte ich keine Kräfte zu reisen: später näherte sich das asiatische Übel: all mein Reisegeld muß ich zu Vorbereitungen für mich, und meine bekannten Armen anwenden: die Hälfte habe ich hier schon für Miethswagen ausgegeben; und Gott muß man noch, sich freuend, danken, daß man das kann. Er hat uns durch den dunklen Mutterleib geholfen, auch durch dies Dunkel werden wir kommen: todt oder lebendig. Sterben muß man ja doch. Leiden gebären sich auf der Erde immer von neuem. Gott gebe uns gute Gedanken!!! Meist habe ich sie. [...] Viel Zeit habe ich nicht: Decken, Medizinen, Speisevorräthe, alles besorge ich; Holz, Kohlen etc. Ich bin Mann und Frau in meinem Hause. [...] Ludwig Robert ist Gott Lob! nach Baden abgereist: dahin wollte ich auch: aber Varnhagen wollte nicht mit! - !!! Nun sitz' ich hier im Elendsmuß. Gott ist klüger als wir. Vielleicht geht's auch glimpf vorüber. Alles fährt, läuft, theatert, dinirt, musizirt hier wie immer: ich auch.

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Briefe Sommer 1831 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 23. August

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Der Feldmarschall ist lebensgefährlich krank - ich bedarf aller Fassung, um Dir diese Zeilen zu schreiben. Er hat in dieser Nacht eine heftige Diarrhöe, mit einer Ohnmacht verbunden, bekommen. Um 2 Uhr rief er seine Leute, es wurden schnell die Ärzte, namentlich Gumpel, herbeigeholt; sie erkannten die Gefahr, daß die Krankheit in die Cholera übergehen könnte, und wandten alle Mittel an; durch diese haben sie die Diarrhöe auf der Stelle gehoben und die Gefahr der Cholera entfernt; aber es ist seitdem eine Schwäche eingetreten, die jeden Augenblick einen Nervenschlag erwarten läßt. Die Ärzte geben die Hoffnung noch nicht auf, aber die Gefahr ist sehr groß. Ich schreibe jetzt nach Berlin, weil eine Stafette dahin geht, die die Nachricht doch verbreitet haben würde. Du erhältst aber im Laufe des Tages noch eine Nachricht von mir. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 23. August

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Es ist keine Hoffnung mehr, teure Marie, und ich werde diesen Brief wahrscheinlich mit der Nachricht seines Todes schließen. Seit 2 Uhr liegt er in einem lethargischen Zustande, und keine Medizin wirkt mehr. Daß er leidet, ist nicht anzunehmen, auch hat er noch einiges Bewußtsein, aber ohne alle Geistestätigkeit; er achtet auf keine Menschen mehr. In der Nacht um 3 Uhr hat er zum letztenmal die Rede an mich gerichtet; seitdem liegt er immer in einem lethargischen Schlafe, der aber seit mittags 2 Uhr so zugenommen hat, daß auch die Ärzte ihm keine Aufmerksamkeit abgewinnen können. Ich bin wohl und suche Halt zu finden in dem Gedanken und Gefühle an mein teures, geliebtes Weib. Noch lebt der Feldmarschall, aber ich habe nicht die mindeste Hoffnung, und die Ärzte haben auch keine andere, als weil er noch atmet. Heinrich von Brandt an Karl Ernst Job Wilhelm von Witzleben, Posen, 23. August

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Der Feldmarschall befand sich schon seit gestern nicht wohl. Etwas, das er jedoch durchaus nicht wahrhaben wollte. Beim Vortrag gestern morgen kam es mir vor, als befinde er sich nicht ganz wie sonst. Bei Tische selbst war er stiller wie gewöhnlich, auch schien ihm das Essen nicht zu schmecken. Nach Tische jedoch nahm er mehr Anteil am Gespräch. Abends arbeitete der Feldmarschall mit seiner gewöhnlichen Tätigkeit bis 11 Uhr nachts und legte sich dann, dem Anschein nach wohl, schlafen, nachdem er einige Pillen von Aloe und Eisen, die er seit langer Zeit gebraucht, genommen. In der Nacht befällt den Feldmarschall darauf eine plötzliche Diarrhöe, die so heftig wird, daß er aus Entkräftung in Ohnmacht fällt und auf dem Fußboden liegen bleibt. Wie lange er in diesem Zustand gelegen, ist nicht bekannt. Um 2 Uhr ruft er seinen Leuten und befiehlt, den Regimentsarzt Krajewski des 33. Regiments zu holen - zugleich wurden der General Clausewitz, der Graf August, Major Chlebus und ich gerufen. Da keiner von uns auch nicht das Mindeste von der Krankheit geahndet, so waren wir natürlich auch wie vom Donner getroffen. Es wurden natürlich sofort alle ersinnliche Maßregeln getroffen, der Dr. Gumperts, der Geheimrat Schwickardt herbeigeholt pp. Unter diesen Veranstaltungen war es 2 1/2 Uhr morgens geworden. Der Feldmarschall schien sich wieder recht wohl zu befinden. Wie er mich in seinem Bette gewahrte, sagte er: „Nun, lieber Brandt, ich mache es Ihnen nach, aber ganz so toll ist es noch

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nicht." , . E x z e l l e n z werden sich daher auch rascher wieder erholen" entgegnete ich. Mit dem Dr. Krajewski sprach er sehr ausführlich über seinen Zustand. „Sagen Sie mir, Herr Dr., was werden Sie mir geben?" „Kampfer mit Opium." - „Gut! Das ist ein vortreffliches Mittel, ich verspreche mir davon eine gute Wirkung", und als er die Medizin genommen hatte, sagte er sehr freundlich: „Ich danke Ihnen schön." An Major Chlebus, der in diesem Augenblick hereintrat, richtete er ebenfalls noch einige freundliche Worte. Darauf sprach er wieder mit dem Doktor. „Sehen Sie", sagte er, „die Krankheit ist doch miasmatisch, denn wo sollte ich mir die Cholera geholt haben? Ich muß doch dazu disponiert gewesen sein." Zugleich sagte er auch, daß er schon vormittag die Diarrhöe gehabt, aber daß er aus Furcht, wir möchten uns zu sehr ängstigen, es verheimlicht habe. Wir alle glaubten das Übel bereits behoben, der Durchfall und Schwindel blieben ganz aus. Das Auge des Feldmarschalls war heiter, sein Gesicht sehr freundlich, der Puls ging, nach der Versicherung der Ärzte, ruhig. Gegen 5 Uhr jedoch stellten sich Ohnmächten wieder ein - Krämpfe in den Waden folgten, es zeigte sich eine eisige Kälte an den Händen, die Doktoren meinten, es sei ein Anfall der Cholera. Zugleich ward der Feldmarschall so schwach, daß er von nun an aufhörte zu reden. Zwar gab es hin und wieder einige Momente, die Besserung hoffen ließen, aber jeder derselben ward dann durch neue und verdoppelte Anfälle von Beängstigungen, Ohnmächten und Schwindel wieder aufgewogen. So ward es 2 Uhr nachmittags. Da zeigten sich plötzlich mehrere beruhigende Symptome; die Doktoren meinten, Herren des Übels geworden zu sein, aber kurze Zeit darauf, gleichsam als habe das Schicksal ihnen zeigen wollen, wie unzulänglich menschliche Kräfte sind, wenn es gebietet, verdoppelten sich die Anfälle, die Kräfte des Feldmarschalls schwanden sichtbar, und um 5 Uhr hegten die Doktoren keine Hoffnung mehr. Wie es schien, ward die Lebenskraft nur durch starke Dosen von Moschus und anderen Mitteln aufrechterhalten. Dennoch blieb der Feldmarschall bei voller Besinnung, und obwohl sein Auge erloschen und die Stimme sehr schwach war, so antwortete er dennoch auf die ihm von den Ärzten vorgelegten Fragen. Um 8 Uhr abends ist jedoch der Feldmarschall so schwach, daß die Doktoren jede Hoffnung aufgeben. Sie meinten, daß sonst jedes Übel gehoben sei, daß alle Funktionen in voller Tätigkeit wären, aber daß der verehrte Kranke einer gänzlichen Abspannung aller Kräfte erliegen werde. Der Abgang der Post befiehlt mir, meinen Brief zu schließen. Ew. Exzellenz wollen mir das wenig Geordnete an meiner Erzählung dieses betrübten Ereignisses verzeihen. Ich schreibe von tausend Gefühlen bestürmt und unter einem Gewirre Gehender, Kommender und Fragender, denn die Krankheit des Feldmarschalls hat ganz Posen in Bewegung gebracht. Friedrich Wähler an Jons Jacob Berzelius, Berlin, 23. August 1831175 Indessen bin auch auf der anderen Seite froh, beyde, Frau und Kind, um 50 Meilen weiter von der verdammten Cholera zu wissen. In 8 bis 14 Tagen wird sie aller Wahrscheinlichkeit hier seyn. Der nächste Ort, wo sie nach einer gestrigen officiellen Anzeige ausgebrochen ist, ist nur 7 Meilen von hier entfernt, - kurz sie hat die Oder überschritten. Es ist ausgemacht, dass sie nach Preußen nur durch die Schifffahrt, und besonders die Flussschifffahrt, eingeschleppt worden ist. In der gestrigen Sitzung der Immediat-Commission, in der ich, für Link in der technischen Section substituirt, zugegen war, wurde die Sperrung der OderSchifffahrt decretirt; mehrere der inficirten Orte liegen an der Oder. Man hat keine Vorstel-

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lung, mit welchen ungeheuren Schwierigkeiten, besonders in Betreff des Handels und Verkehrs, bey Ausführung dieser Sperrungs-Maßnahmen zu kämpfen ist. Auch wird bald kein Geld und kein Militär mehr dazu da seyn. Wenn sie hier her kommt, kann es wohl möglich seyn, dass die Post keine Pakete mehr annimmt. [...] Mitscherlich ist gestern mit Frau und Kindern nach Karlsbad gereist. Wilhelm Grimm an Friedrich Karl von Savigny, Göttingen, 23. August 1831m Liebster Savigny, meine Absicht war, Mitte September, gleich mit Anfang der Ferien abzureisen und ich würde dann wenigstens vier Wochen in Berlin frei gehabt haben; die Cholera würde mich nur dann abgehalten haben, wenn sie bis dahin so weit vorgerückt wäre, daß man ihren Ausbruch in Berlin hätte erwarten müssen; an sich wär es wohl einerlei gewesen, wo ich sie erlebt hätte, aber ich hätte mich doch nicht von meiner Familie dürfen abschließen lassen; meine Frau würde eine solche Trennung und fortwährende Besorgnis nicht ertragen haben. Indessen scheint es bei dem langsamen Vorrücken nicht, daß sie vor dem Winter dort eintrifft. Wolfgang Menzel an Karl Gutzkow, Stuttgart, 23. August 1831m Lieber Freund! Wenn Ihnen die Cholera nicht unterdeß den Weg absperrt, so thun Sie wohl am besten, hierherzureisen und sich des Orts Gelegenheit anzusehen. Gefallt es Ihnen, so bleiben Sie da, wo nicht, reisen Sie zurück. Sie können hier nur als Fremder und von Ihrer Feder leben und müssen insofern die freundliche Gewöhnung der Heimath und die Vortheile der Anstellung im Nest und einer Wirksamkeit unter Mitbürgern aufgeben. Friedrich Ludwig Jahn an Dr. Schwabe, Erfurt, 24. August 1831m Hier sollen diese Tage, an alle Thore, Wachposten gestellt werden, um die Eingehenden, nach Gesundheitsscheinen zu fragen. Mein Sohn hat zur Rückreise nach Cölleda, schon einen solchen Nachweis bekommen, den Sie, da er ihn bei der Ortspolizei abgeben muß, dort zu sehen bekommen können. Im Allgemeinen Anzeiger (das Stück kann ich nicht beziffern) werden dem General v. Thile bittere Vorwürfe über seine Nachlässigkeit gemacht. [...] Die Französische Überziehung halte ich übrigens noch viel gefährlicher, als die Indische Brechruhr. Karl von Clausewitz an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, Posen, 24. August 1831179 Ew. Κ. M. muß ich leider die mir so unaussprechlich schmerzliche Meldung allerunterthänigst machen, daß in der verflossenen Nacht 3/4 auf 12 Uhr Se. Exc. der Herr General Feldmarschall Gr. v. Gneisenau sein Leben an einem Lungenschlage geendigt hat. Seit meiner 2ten an Ew. K. Maj. Flügeladjutanten den ObL. v. Lindheim gestern 8 Uhr Abends gemachten Meldung hat der Verewigte in einem fortwährenden lethargischen Schlage sich befunden, die Schwierigkeit ihn auf Augenblicke zur Anwendung der arzneilichen Mittel demselben zu entreißen wurde immer größer. Um 9 Uhr bildete sich plötzlich eine bedeutende rosenartige Geschwulst im Gesicht. Die Aerzte fanden darin das Zeichen der wieder-

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erwachten Thätigkeit der Natur, und da sich zugleich der Puls merklich gebessert hatte, so schöpften wir alle eine bessere Hoffnung. Allein schon um 11 Uhr trat der Todeskrampf ein, der 3/4 Stunden währte, aber dennoch nach der Behauptung der Aerzte dem Verewigten keine Schmerzen und Leiden verursacht haben wird da ihm das Bewußtsein schon früher verloren gegangen war. Ew. königliche Majestät kann ich die beruhigende Versicherung geben, daß es an der sorgfältigsten ärztlichen Behandlung und Pflege nicht gefehlt hat. Der Regimentsarzt Dr. Krajewski vom 33ten Inf.Rgt., welchen der Feldmarschall zuerst hatte rufen lassen, war sehr schnell erschienen, hat sich ihm mit der höchsten Anstrengung und Aufmerksamkeit gewidmet und sein Bett nicht verlassen. Der G. M.R. v. Gumpert und der Gen.Arzt Dr. Schwikert haben die Kur geleitet, alle 3 sind nie einen Augenblick zweifelhaft oder verschiedener Meinung gewesen über die Natur der Erscheinungen und die anzuwendenden Mittel. Allein alles war vergebens. Nachdem die Krankheit selbst schnell überwunden und in allen ihren Erscheinungen beseitigt war, war die Erschöpfung der Kräfte nicht zu heben und die Neigung zu Nerven-Schlägen, welchen der Verewigte ausgesetzt war, ließ sehr bald befürchten, daß er in der Lähmung irgend eines edlen Organs den Tod finden würde. Ob ich gleich weiß, daß es mir nicht ziemt, vor Ew. К. M. den Verlust auszusprechen, den Allerhöchstdieselben und das Vaterland an diesem heldenmütigen und edeln Mann machen, so wird doch Ε. К. M. edles Herz dem vieljährigen Freunde des Verewigten huldreich nachsehen, wenn ich es mir nicht versagen kann seiner auch in dieser Weise zu gedenken. Niemand, Ew. К. M. unter Ihnen, kann besser als ich die Gesinnungen und die Treue, Liebe und Verehrung gekannt haben, womit er Ew. К. M. recht in der Tiefe seines warmen und edlen Herzens ergeben war. Eduard Heinrich von Flottwell an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, Posen, 24. August 1831m Eure Königliche Hoheit empfangen zwar durch den Generalmajor v. Clausewitz den offiziellen Bericht über das Dahinscheiden des verehrten Feldmarschalls; ich kann es mir aber nicht versagen, Ε. К. H. auch noch selbst die Empfindung des tiefen Schmerzes auszudrükken, den dieser Verlust in jedem erweckt, dem des Königs und des Vaterlandes Wohl wahrhaft am Herzen liegt. Die einzige Beruhigung liegt für mich in dem Bewußtsein, daß nichts versäumt und unterlassen worden ist, was nach menschlichen Einsichten und Kräften diesen betrübten Ausgang der Krankheit hätte abwenden können, und daß überhaupt derselbe mehr auf dem durch das vorgerückte Alter herbeigeführten natürlichen Erlöschen des Verewigten als der Beschaffenheit der Krankheit zuzuschreiben ist. Es waren ganz augenscheinlich nur die eine jede rheumatische Diarrhöe begleitende und auch der Cholera angehörige Symptome vorhanden; es fehlten dagegen alle der letzteren eigentümlich und vorzugsweise angehörigen Erscheinungen, und selbst die ersteren wichen sogleich den einfachsten Mitteln, während die Andeutungen eines Nerven- und Lungenschlages sich gleich nach den ersten vier Stunden äußerten und im ganz gewöhnlichen Verlauf der Krankheit den Tod herbeiführten. Auch das äußere Ansehn des Kranken war, wie ich mich öfters selbst überzeugte, nicht von dem eines an der Betäubung der Nerven leidenden Kranken verschieden und trug am wenigsten die bekannten furchtbaren Zeichen der Cholera an sich.

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Ich habe mich verpflichtet gehalten, Ε. К. H. diese Versicherung ehrerbietigst abzugeben, um von den hiesigen Ärzten jeden auch nur scheinbaren Vorwurf einer Versäumnis abzuwenden. Möge des Vorsehung S. M. den König und das erhabene Königliche Haus vor jedem ähnlichen Verlust bewahren und möge bald ein heiterer Sonnenstrahl die trübe Zeit erhellen, welche uns jetzt umgibt. Carl von Roeder an Carl von Grolman, Posen, 24. August 1831m Ew. Excellenz theile ich die betrübende Nachricht von dem in der vergangenen Nacht erfolgten Ableben des Feldmarschalls Grafen Gneisenau mit. Leider hat er sich seinen Tod durch zu spätes Nachsuchen ärztlicher Hülfe selbst zugezogen. Schon am 22. bei Tage wurde er von einer starken Diarrhöe befallen, ohne Jemandem etwas davon zu sagen oder irgend etwas dagegen zu gebrauchen, in der Nacht vermehrte sich das Uebel und er ging gegen neunmal, ohne einen Bedienten zu rufen, durch mehrere Stuben auf dem zugigen Hausflur zu Stuhl, bis er endlich bei der Rückkehr in seine Schlafstube ohnmächtig zu Boden sank und so eine ganze Weile bewußt - und hülflos liegen blieb. Erst aus dem Erwachen aus diesem Zustande legte er sich zu Bette und klingelte seinen entfernt von ihm schlafenden Leuten. Es wurden nun unverzüglich mehrere Ärzte herbeigerufen, deren Behandlung das Uebel selbst bald hob, allein die Lebenskraft des Patienten hatte einen so heftigen Stoß erlitten, daß sie durch kein Mittel der Kunst wieder gehoben werden konnte, sie sank vielmehr unaufhaltsam schnell und nur der Kampf mit der sonst so starken Konstitution verzögerte das Ende bis Mitternacht, wo auch der letzte Funken erlosch. [...] Sollte sich, wie leicht möglich, das Gerücht verbreiten, daß er an der Cholera gestorben sei, so bitte ich Ew. Excellenz, demselben bestimmt zu widersprechen, denn wenn gleich der Anfang der Krankheit einige Ähnlichkeit mit dem der Cholera hatte, so hat sich doch kein einziges Symptom der Krankheit gezeigt, welches diese letztere charakterisirt. Bettina Schinas an Franz von Savigny, Berlin, 24. August 1831182 Am Sonnabend war alle Communication im Bruch gesperrt, die Brücke bei Kunersdorf besetzt etc. auf die Nachricht die Cholera sei in Kuner[s]dorf zwischen Wrietzen u. Freienwalde. Am Montag war wieder alles frei, weil folgende gräßliche Geschichte den Glauben an Cholera erregt hatte. Schliebauer ist meine Quelle der die Verstorbenen selbst gekannt: Der Mann betrinkt sich, fällt hin sprengt sich eine Ader u. wird todt ins Haus gebracht, die Frau seit 2 Tagen in Wochen stirbt augenblicklich vor Schreck, das kleine Kind aus Mangel an Nahrung; 2 größere Kinder deren sich niemand annimmt essen aus Hunger Stechäpfel, in Folge dessen sie an Zuckungen verschieden. Ein Arzt decretirt die ganze Familie sei an Cholera gest: ein Regimentarzt kommt dazu dringt auf Section wobei sich obige Resultate ergeben. - Muhmann hat vor ein paar Tagen einen Brief von seinem Bruder gehabt worin der ausdrücklich anmerkt der Kaiser u. die ganze Familie sei sehr wohl.

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Bettina Schinas an Franz von Savigny, Berlin, 25. August 1831183 Sie [Mutter] ist besser als gestern wo sie das Bett gar nicht verlassen konnte, nur ist sie sehr niedergeschlagen durch die Trauerpost die heute um 8 [Uhr] hier anlangte und die wie ein Lauffeuer durch die Stadt ging. Der Feldmarschall ist gestern um 1 Uhr gestorben ob an der Cholera ist nicht ganz klar, sein Ende war ein Schlagfluß, Diarrhoe war da aber kein Erbrechen 1 1/2 Tage hat er gelegen, soll aber nach einem Brief mehrere Tage verheimlicht haben daß er Leibweh und Durchfall hatte. Jacob Grimm an Karl Lachmann, Göttingen, 25. August

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Sie müssen kommen und sich sogleich aufmachen, das alte weib, die cholera, schleicht, und langt, wenn ihr nicht vor Berlin der athem ausgeht (ich halte gar nicht für unmöglich, daß sie plötzlich, mit einem zug erlischt), erst in vier wochen dort an, bis dahin habt Ihr zeit genug, heimzukehren. Wir wollen aber vorher noch einmal vergnügt sein. Ignaz Franz Castelli an Theodor Hell, Wien, ca. 25. August 1831m Ich kann Dir von allen übrigen Lebensverhältnissen nichts schreiben; denn Alles verschwindet in Nichts vor dieser Geißel Gottes, und wer kann noch an etwas anderes denken, wenn er stets für sein Dasein zittern muß. Hätte ich die Korrespondenznachrichten nicht schon vor dem Ausbruch der Krankheit geschrieben, jetzt wäre ich es nicht mehr imstande gewesen. Lebe wohl - vielleicht auf ewig - ist dies der Fall, so setze mir ein kleines Denkmal aus Deiner Feder und aus Deinem freundschaftlichen Herzen in der Abendzeitung, deren Getreuer ich seit ihrem Entstehen war. Leb' ich, so schreib ich Dir bald wieder. Im Leben und Tode. Dein I. F. Castelli. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz [?], Posen, 26. August 183lm Diesen Morgen um 5 Uhr ist die stille Beisetzung unseres theuren, unvergeßlichen Freundes gewesen, die in mancher Hinsicht schöner war als die feierlichen, welche ich gesehen habe. Gegen eine solche waren mehrere Gründe vorhanden; der erste, daß es ganz gegen das Polizeigesetz gewesen wäre, welches jetzt verbietet, große Versammlungen zu gestatten; der Oberpräsident fand, daß man ein übles Beispiel gebe, wenn man sich über das Gesetz hinwegsetzte; der zweite, daß ein feierliches Begräbnis nicht nach seinem Sinn gewesen wäre, er hatte noch kürzlich bei Tisch gesagt: „Wenn ich sterbe, so zieht mir meinen Ueberrock an und schickt mich nur gleich nach Erdmannsdorf." Dies kann nun wegen der Sperre nicht sogleich geschehen, und eine einstweilige Beisetzung mußte in jedem Falle eintreten. Den Platz, wo er beigesetzt ist, finde ich rührend schön; er ist dicht an dem größten und schönsten katholischen Friedhofe an einem Bergabhange einer Schanze gelegen, welche zur interimistischen Befestigung Posens gehört. Man glaubte anfangs, sie sei zum Kirchhofe selbst gehörig gewesen; dies fand sich aber nicht, obgleich sie dicht daran liegt, und sie hat daher erst geweiht werden müssen. Der Eingang zu dieser kleinen Schanze ist über den Kirchhof durch eine kleine Allee und zwischen geschmückten Gräbern. In dieser

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Schanze nun ist zwischen zwei Appareillen eine Gruft über zwei Tage schnell aufgemauert und mit einem ägyptischen Fronton versehen worden. Zwei Geschütze, die zur Vertheidigung der Schanze dort aufgestellt sind, dienen diesem Eingange wie Schildhalter zur Verzierung. Ich habe mich nicht enthalten können, dem König in meinem Berichte zu sagen: „Zwischen geschmückten Gräbern und Zeichen der Andacht, doch auf einem Waffenplatz, zwischen Brustwehr und Kanonen, ruht der Mann, den Euer Königlichen Majestät Vertrauen an die Spitze des Heers gestellt, der im Wirken der Waffen, am Tage der Schlacht stark und im Tempel Gottes fromm und andächtig war." Morgens 5 Uhr wurde der Verewigte in einem mit seinem Wappen in getriebener Arbeit und vielen anderen Zieraten geschmückten, mit Hut, Degen, Schärpe und Orden versehenen, recht schönen Sarge auf einem sechsspännigen Leichenwagen bis zum Eingang des katholischen Kirchhofs gefahren. Der zweite Kommandant führte den Wagen, August Gneisenau und der Lieutenant Skal, der Oberst Sommerfeld, als Verwandte, und vier Mitglieder seines Stabes folgten dem Wagen. Auf dem Kanonenplatz, der vor dem Kirchhof liegt, standen zwei Bataillone in Waffen aufmarschirt, die das Gewehr präsentirten und mit gedämpften Trommeln den Trauermarsch schlugen, als die Leiche vorübergeführt wurde. Am Eingange des Kirchhofs stand der Erzbischof mit der gesammten Domgeistlichkeit, die wegen des damit verbundenen Seminariums zahlreich ist. Sie waren Alle im geistlichen Gewände und zogen nun unter Chorgesang der Leiche voran, die durch den Kirchhof von acht Unteroffizieren getragen wurde. Da der Weg wohl 300 bis 400 Schritte beträgt und durch eine Allee zwischen vielen sehr grünen und geschmückten Gräbern führt, so hatte der Zug etwas sehr Schönes. Als der Sarg in der Gruft auf eine Estrade niedergesetzt war, wo man ihn gut sehen konnte, verrichtete der Erzbischof die Einsegnung, und ein Chorgesang, abwechselnd mit den üblichen Gebeten, vollendete die Handlung. Die Generalität und die vornehmen Civilbeamten hatten sich bei der Gruft eingefunden. Das Schönste aber ist, daß heute der 26. August, also der Tag der Schlacht an der Katzbach ist. Morgen wird die Bürgerschaft einen Trauerzug nach dem Dom halten, wo der Erzbischof eine Totenmesse lesen wird. Johann Friedrich Herbart an Moritz Wilhelm Drobisch, Königsberg, 26. August 1831187 Die Furie wüthet fortdauernd; in vier Wochen hat sie ein Hunderttheil unserer Bevölkerung ins Grab gestürzt. Auf die geringste Vernachlässigung in der Lebensordnung steht Todesstrafe. Häufige kleine Unpäßlichkeiten treffen auch den Vorsichtigsten; ich bemerke manchmal Säure im Magen. Dagegen sogleich Grütze, Kaffee, Camillenthee, etwas Pommeranzenextract mit Wein, Vermeidung der Abendluft, - das hat bisher mich und meine Hausgenossen erhalten. Mein Miether, Oberst Zielinski, hatte schon einen Anfall, doch nicht deutlich; und in wenig Tagen durch die gewöhnliche Schwitzkur überstanden. - Ihre zahlreiche, dicht gedrängte Bevölkerung in Leipz. macht mir Sorge. - Die ersten Tage sind die schlimmsten. Volksauflauf wegen der ungewohnten Sperrungen pp. verbreiteten hier das Uebel. Wenig discret hatte man verbreitet, die Krankheit treffe meist die niederen Klassen; das ist wahr, aber was war natürlicher, als daß nun eben diese niedern Klassen sich eine teuflische Erfindung dachten, die gegen sie gerichtet sey?

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Privatschreiben aus Pesth, 26. August 1831m Möchten doch andre Regierungen sich ein Beispiel an uns nehmen und zweckmäßigere Anstalten treffen, als Cordons ziehn u.s.w. Daß diese zu nichts nützen, beweist der dreifache Cordon von Petersburg und der jetzt gegen uns von Oesterreich aufgestellte und höchst streng gehaltene. Die Cholera überspringt alle. Diese Seuche wird ganz Europa durchziehen und besser wärs, alles zu thun, um sie unschädlicher zu machen, als zu versuchen, sie aufzuhalten, was nicht möglich ist, wie die Erfahrung lehrt. - Man müßte den Leuten die Furcht vor der Ansteckung zu benehmen suchen. Hier sind viele Kranke zu Grunde gegangen, weil, aus Furcht angesteckt zu werden, alles sie verließ.

Prinz Wilhelm von Preußen an Karl von Clausewitz, Berlin, 26. August 1831189 Mit tief bewegtem Herzen ergreife ich die Feder, um Ihnen für Ihre unendliche traurige Meldung zu danken! Der Himmel türmt ein Unglück nach dem andern über uns zusammen. Aber der Verlust unseres herrlichen Feldmarschalls, an den sich noch aller Erinnerungen und das Vertrauen der glorreichen Jahre knüpfte, ist ein Ereignis und für die Armee und für das Land einer der härtesten Schläge, hauptsächlich in diesem Moment, wo alles mit neuem Vertrauen auf ihn blickte.

König Friedrich Wilhelm von Preußen an Karoline von Gneisenau, Berlin, 26. August 1831m Die Nachricht von dem plötzlichen Tode Ihres Gatten hat Mich mit der tiefsten Betrübnis erfüllt. So wie das Heer und das Vaterland den unersetzlichen Verlust beklagen, so betraure Ich in dem Verewigten den ausgezeichneten Feldherrn, der in den Tagen des Glücks wie der Gefahr mit Festigkeit Mir zur Seite stand. Es ist Meinem Herzen Bedürfnis, Ihnen dieses Gefühl meines gerechten Schmerzes auszudrücken und die Versicherung hinzuzufügen, daß Ich in treu bewahrtem Andenken an die seltenen Verdienste des Verewigten das Wohlwollen, welches Ich ihm gewidmet, auch auf die Seinigen gern übertragen werde.

Franz Anton Ries an Joseph Ries, Bonn, 26. August 1831m Er [Nikolaus Simrock] klagt über schlechte Zeiten, ich glaube ihm selbst, denn die Unruhen und die C[h]olera, die sich immer nähert, wird gewiß dem Musikhandel nachtheilige Folgen bringen. Man flüchtet sich aus Wien und Berlin, wo sie von beyden Orten nur noch 10 Stunden entfernt ist. Ich glaube, daß sie nun ganz Deutschland durchziehen wird. Wir bleiben gewiß nicht frey davon. Doch ist bisheran noch alles wohl bey uns. [...] Weiter kann ich Dir nichts sagen, was Du nicht besser wissen kannst, nur hoffen wir, jetzt keinen Krieg zu bekommen. Die C[h]olera wäre schon zuviel. Ich fürchte mich nicht für meine Person dafür, weil man geschwind davon kömmt.

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Briefe Sommer 1831 Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, Berlin, 27. August

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Grüßen Sie Roberts: wenn sie nach Baden kommen: alle meine Anstalten zur großen Krankheit sind getroffen; für Küche, Keller, Medizinen. Mein Gemüth Gott befohlen: noch schi[c]kt er mir gute Gedanken. Ich danke jede Stunde, daß Robert weg ist. Lebt Wohl, und sorgt nicht. Riekens Bruder ist wohl; ich habe ihn gesehen. Alle unsre sind gesund. Jakob Grimm an Bartholomäus Kopitar, Göttingen, 27. August

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Eben verbreitet sich das Gerücht, die Cholera sei bis nach Wien vorgedrungen. Wenn es auch grundlos ist, so wird sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach einige Wochen später nicht abweisen laßen, mit ihrem tückischen, aber langsamen sicheren Vorschritt. Es war heute ein schöner Tag, der Himmel ganz heiter und rein, ich ging einsam nach ein paar Dörfern auf Pfaden, die mein Fuß noch nie betreten hatte; alles war friedlich und ruhig; vielleicht zieht ein paar Monate später die Pest auch durch unsere Luft. Die Mehrzahl der Leute hält sie jetzt nicht für contagios, bloß für epidemisch. Mit sorgenfreiem Gemüth und mäßigem Leben soll man sich ziemlich davor sichern. Laßen Sie sich also die nächsten Monate Reiß, Kartoffeln und Rindfleisch in aller Einförmigkeit behagen [...]. Theodor von Schön an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, Königsberg, 28. August 1831m Zu meinem Besuche der Cholera-Kranken kann ich nur sagen: was Zieten nach der Schlacht bei Torgau gesagt haben soll, mein Kopf liegt zu den Füßen meines Königs und Herrn; aber ich konnte nicht anders handeln und der Himmel hat meine That gesegnet. Durch die Berlinischen Cholera-Instruktionen, war das Volk, und ist zum Theil noch so eingeängstigt, und in eine so verzagte Stimmung gesetzt, daß, als die Cholera hier im Dey'sehen Hofe ausbrach (ein Hof neben dem Millionendamm, in welchem hundert und eine sechzig arme Leute wohnen) alles den Hof vermied und man mir nicht einmal genaue Nachricht von der Lage der Sache geben konnte. Ich hatte darüber eine Conferenz, alles drückte Angst und Verzagtheit aus; wurden hier nicht schnell Maßregeln genommen, so mußte dieser Dey'sehe Hof eine furchtbare Pestgrube für Königsberg werden. Ich hielt es jetzt für meine Pflicht, in meinem Verhältnisse vortreten zu müssen, und mit vollem Bewußtsein dessen, was ich that, ging ich in den Dey'sehen Hof. Ich besuchte die Stuben der Armen, ich überzeugte mich von der Lage der Kranken, und von der Einrichtung dieses Hofes, und traf gleich zur Stelle Anstalten, daß ein Theil der dicht wohnenden Leute in andere Wohnungen kamen, daß der Hof voll Unrath, gleich gereinigt wurde, daß ein fauler Graben mit Kalk beschüttet ward, und daß die Leute Salz zu ihren Speisen bekamen. Und gnädigster Herr! der Himmel hat meinen Schritt gesegnet; die übergroße Aengstlichkeit hat nachgelassen, man scheut sich nicht den Kranken und Armen beizustehen, und im Dey'sehen Hofe hat die Cholera ganz aufgehört. Loyal war mein Schritt allerdings nicht, aber über Loyalität steht noch die Liebe, und der Ober-Präsident muß in solchen Fällen handeln, wie der König unser Herr handeln würde, der über positiv geschriebene Gesetze erhaben ist. Hätte mein Besuch bei den Cholera-Kranken irgend eine üble Folge für mich

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gehabt, so würde ich mich selbst abgesperrt haben, aber in solchen Fällen beschützt der Himmel wunderbar, und so bin ich gesund geblieben. Die Sache hat aber auch nicht so viel auf sich, als es nach der Berlinischen Theorie, wo man ohne die Krankheit zu kennen, eine unbedingte Ansteckbarkeit annimmt, scheint, denn hier wo wir die Krankheit jetzt kennen, sind wir der Meinung, daß sie nur unter gewissen zusammentreffenden Umständen mittheilbar sey. Das Bedenklichste für mich war, daß ich Nerven-krank bin, aber der Himmel ist bisweilen auch dem Schwachen mächtig. Besonders muß ich danken für Ε. K. Hoheit wohlwollende gnädige Aeußerungen über meine, vielleicht manchmal zu scharfe Kritik der Berlinischen Anordnungen. Das Bild des Königs unsers Herrn, steht mir so hoch und erhaben da, daß ich mir da niemals eine Kritik erlaube, ja sie nicht einmal von Andern dulde. Die Meinung, daß ich hier scharf in meiner Kritik sey, kommt wohl daher, daß jeder Berliner Beamte, sich als Theil der Majestät betrachtet haben will, und den, der sich darauf beruft, daß er auch unserem König diene, und ihm auch treu und ergeben sey, für einen Hochverräther erklärt, wenn er nur eine andere Meinung aufstellt. So hat Rust geschrieben: also setzen, ordnen und wollen wir, daß die Cholera eine unbedingt ansteckende Krankheit seyn soll. Nun kennt man aber diese Krankheit in Berlin nicht, und als wir nun, die wir die Krankheit kennen, vorstellen, daß sie nicht unbedingt ansteckbar sey und daß die befohlenen Sperrmaßregeln die Krankheit nur noch mehr verbreiten, und das ganze Land ruiniren, da soll Herr Rust über Hochverrath klagen. In unwichtigen Dingen lasse ich jede Meinung der Berliner Beamten hingehen, aber hier, wo so vieler Menschen Leben auf dem Spiel steht, wo der Ruin des Lands unabwendbar ist, wenn die Berliner Cholera-Instruktionen ausgeführt werden, da glaubte ich mich gegen Gott und meinen König zu versündigen, wenn ich nicht vorträte. Leider! ist schon viel Menschenleben durch jene Instruktionen vernichtet und viel Elend über einige Gegenden gebracht, wie die armen Danziger klar beweisen. Aber Ε. K. Hoheit gnädiges und höchst wohlwollendes Wort, wird bei mir seine gute Stelle finden, und ich kann nicht genug dafür danken. Den Aufruhr hier, am 28. v. M. sah ich mehrere Tage vorher kommen, denn die Berliner Cholera-Instruktionen sind mit totaler Unkenntniß der Sache aufgestellt und verletzten und zerrissen dermaßen alle moralische und religiöse Gefühle der Menschen, daß der rohe Haufe zur Verzweiflung kommen mußte. Ich nahm daher die erste Gelegenheit wahr, als das General-Commando kein Militair mehr stellen konnte, also die Berlinischen Cholera-Instruktionen hier in sich zerfielen, das, was offenbar gegen das Wesen der Krankheit war, und den edlen Empfindungen Hohn sprach, zu mildern. Dadurch gewann ich die Bürgerschaft, und das gebildete Publikum. Bis zur untersten Klasse war aber noch nicht die vollständige Kenntniß dieser neuen Maßregeln gekommen als ein unbedeutender Fall Veranlassung gab daß sich Menschen vor dem Criminal-Gerichte auf dem Schloßhofe versammelten. Die Zahl derselben war aber nicht groß und als ich den Polizei-Präsidenten rufen ließ, ging Alles auseinander. Man versammelte sich aber wieder außerhalb des Schlosses und fing nun an, das Polizei-Haus zu stürmen, weil Polizei-Beamte beim ersten Ausbruch der Cholera, nach den bestimmten Vorschriften der Berliner Instruktion, Männer von ihren Frauen, Kinder von ihren Eltern gerissen und nach dem Lazareth gebracht hatten. Als der Lärm los ging hatte der General v. Krafft Bedenken, dessen Zustimmung ich in diesem Falle nöthig habe, die Bürgerschaft, auf welche ich mich verlassen konnte, von mir aufrufen zu lassen. Auf meine

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Vorstellung gab er indeß zu, daß die Garnison zu schwach sey, wie auch die Erfahrung bald zeigte, und nun rief ich die Bürgerschaft auf, und diese stellte Ruhe und Ordnung her. Durch das Unterhandeln war aber Zeit verloren, und bis die Bürgerschaft, die Studenten und Referendarien kamen, ward viel Unheil verübt, besonders nachdem der Pöbel die Cavallerie zurückgedrängt hatte. Man erzählt von einer Frau, die wie eine Furie gefochten habe und zuerst erschossen wurde, ihr sey erst der Mann als der Cholera verdächtig weggeschleppt und dann sey ihr ein Kind genommen. Am heftigsten regte das von Berlin aus vorgeschriebene schimpfliche Begräbniß auf, obgleich kein Arzt, der die Krankheit kennt, eine Anstekkung durch eine Leiche auch nur für möglich hält. Jetzt, da die von mir angenommenen Maßregeln allgemein bekannt sind und angewendet werden, ist Ruhe und Frieden, und diese Maßregeln bewähren sich vollkommen, denn die Krankheit nimmt ab, und verbreitet sich bei weitem nicht in dem Grade um Königsberg als sie sich um Danzig verbreitet, wo die Berlinischen Vorschriften mit der Gewalt der Waffen unbedingt angewandt wurden und eine Menge von Häusern beinahe hermetisch geschlossen, und eine Masse gesunder Menschen so eingesperrt ist, daß sie davon die Cholera bekommen müssen. Was mich betrifft, so habe ich bei dem Auflaufe auch nicht die geringste Unannehmlichkeit erfahren, im Gegentheil manches erfreuliche Zeichen des Vertrauens erhalten. Das Zurückdrängen des Militairs machte einen höchst traurigen Eindruck, die Bürgerschaft hatte die Ruhe wiederhergestellt, für die Stadt war man daher unbesorgt, aber in den Köpfen waren noch Reste der Besorgniß, und daher erfand man am Abende die Sage: daß die Chaussee-Arbeiter jenseitfs] Arnau rebellirten, plündernd nach der Stadt zögen und Arnau plündern und niederbrennen würden. Meine Familie war in Arnau und ich konnte von den Chaussee-Arbeitern am wenigsten etwas feindseliges gegen mich vermuthen. Die Bürger vom Sackheim und vom Anger traten indeß gleich zusammen und ließen mir sagen sie würden mich nicht verlassen und Arnau schützen. Es war, wie ich vermuthet hatte nicht nöthig, denn es ist auch nicht der geringste Versuch gemacht worden, gegen mich oder mein Landgut aufzutreten. Durch Alles dies, glaube ich Ε. К. H. Befehle erfüllt zu haben und ich kann nur meinen untertänigsten, treusten und ehrfurchtvollsten Dank wiederholen. Wäre ich nur gesund, aber Russen, Polen und Cholera haben so heftig auf meine Nerven losgestürmt, daß mein Nerven-Leiden vom vorigen Winter in ganzer Stärke wieder eingetreten ist. Die Aerzte wollen, daß ich eine Zeitlang ohne Geschäfte lebe, aber das darf ich jetzt nicht, ich darf nicht weichen und werde nicht weichen, wenn von einem Gange auf eine Batterie die Rede ist, aber um Erleichterung habe ich gebeten und darauf angetragen, daß der Graf Dohna von Coeslin zu meinem Beistande hieher geschickt werde. Dr. Friedrich Hempel an Großherzog Friedrich-Franz I. von Mecklenburg-Schwerin, Berlin, 28. August 1837195 Ew. Königlichen Hoheit väterliche Fürsorge für das Wohl Höchst Ihrer Unterthanen läßt mich als Fremden auf Nachsicht hoffen, wenn zu Höchst Ihrer Kenntniß ich ungesäumt die Entdeckung eines für Jedermann höchst leicht anwendbaren, rettenden ErwärmungsVerfahrens bringe, welches in meinem Vaterlande augenblicklich mit der größten Zuversicht von Seiten meines Landesvaters, Allerhöchst dessen Behörden, der ärztlichen und des großen Publikums entgegen genommen wurde.

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Wollten Ew. Königliche Hoheit eigene Kenntniß von dem Inhalte der unterthänigst beigefügten Beschreibung jenes Verfahrens zu nehmen geruhen, so darf ich der unzweifelhaftesten Hoffnung Raum geben, daß Ew. Königliche Hoheit in Höchst Ihrer Weisheit die größte Publizität derselben für alle Unterthanen beschließen werden, welche sich des Glükkes erfreuen, in Ew. Königlichen Hoheit einen Vater des Landes zu verehren. Prinz Wilhelm von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, Potsdam, 28. August 1831196 Unser herrlicher Gneisenau hat nur in der letzten Stunde die Besinnung verloren und noch gesagt: Nun habe er doch auch die Feldmarschallskrankheit bekommen! - Übrigens ist die Cholera nicht ganz zum Ausbruch bei ihm gekommen, indem man dem Leiden wirklich Einhalt getan hatte, aber dadurch, daß er die heftigen Diarrhöeanfälle fast 12 Stunden vorherig, dadurch also entsetzlich ermattet war, so waren, als man diesem Übel Einhalt getan hatte, seine Lebenskräfte so gesunken, daß der Tod bald erfolgte vom Lungenschlag, der hinzutrat. - Sein Verlust ist in diesem Moment unersetzlich!! Welch ein Verlust für Europa möchte ich sagen, denn mit welchem Vertrauen sah das Ausland auf einen Mann, der sich solchen Namen gemacht hatte, und der an der Spitze der preußischen Armee nun stand! - Es ist eine 8tägige Armeetrauer befohlen worden. Karl Philipp von Wrede an Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich, München, 28. August 1831197 Ich glaube mich des von Sr. Mt. dem König, meinem Herrn, mittels eygenhändigen Schreibens vom 26. ten aus Berchtesgarden erhaltenen Auftrages nicht besser entledigen zu können, als wenn ich Ihnen den Inhalt nachstehend wörtlich mittheile. „Lieber Fürst! Drücken Sie doch dem Fürsten Metternich meine Empfindlichkeit darüber aus, daß, während man dem sardinischen Gesandten eine Wohnung innerhalb des Schoenbrunner Cordon anweist, dem Meinen von Standes wegen keine ertheilet wird, obgleich Bayern ebenfalls ein vol[l]wi[e]gendes Königreich gegen Frankreich ist, überdieß sein König des Kaisers Schwager, Unterkunft in genanntem Cordon hat Gf Bray vorgefunden, aber bey seinem Schwiegersohn, also nur auf Privatwegen. Keine Hintansezung darf mit Stillschweigen übergangen werden. Ludwig." Haben Sie die Güte mir sobald möglich etwas ostensibles über diesen Gegenstand zu schreiben. Graf Spiegel wird Ihnen geschrieben haben, daß unser Cordon gegen die C[h]olera (vertraulich möchte ich sagen mehr um die Deputirten-Kam[m]er zur schnellen Abstimmung des budgets zu veranlassen), aber noch zur Zeit nicht streng und ohne die Verbindung mit den Kaiserstaaten zu hemmen, aufgestellet ist. Nur wenn sich die C[h]olera würklich in Ostreich verbreiten sollte, wird das Gouvernement zur engeren Sperre, jedoch im[m]er mit möglichster Schonung schreiten. Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 28. August 1831198 Ich schicke Ihnen anbei den versprochenen [Cholera-] Aufsatz, den ich nach und mit vielem Nachdenken geschrieben habe. Möge er Ihren Beifall haben. Mich freut, dass Sie eine öffentliche Vorlesung über die Cholera halten. Diese Krankheit macht mich dumm. Ich muss mich ewig damit beschäftigen und finde keinen Genuss des Geistes in ihrer For-

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schung; diese bringt nicht weiter. Ich habe seit 14 Tagen an meiner Schrift keine Reihe geschrieben, nicht die Allgemeine Zeitung, kein gelehrtes Blatt lesen können. Johann Friedrich Herbart an Christian August Brandis, Königsberg, 29. August 1837199 Nur in einer Stunde möchte ich in Ihrer noch reinen Atmosphäre mich selbst erholen können von dieser Luft, die man beym schönsten Wetter drückend fühlt, von diesen ewig wiederkehrenden kleinen Unpäßlichkeiten, die selbst dem Gesunden die Cholera anzukündigen scheinen; von diesen Trauer-Nachrichten und Kranken- und Todtenlisten, die uns den besten Theil des Sommers ungenießbar machen. Möchte nur die Furie nicht unaufhaltsam westwärts wandern; sie droht auch Ihnen; und dann, mein theurer Freund! werden sie ein ängstliches Leben führen, wenn Sie für sich und die Ihrigen jeden Morgen und jeden Abend gegen die kleinsten Unordnungen der Verdauung, und gegen die geringsten Erkältungen Wache stehen müssen! Möchte dieser Kelch an Ihnen vorüber gehen! Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Heinrich Beer, Berlin-Kreuzberg, 29. August 1831200 Man sagte, daß Sie sich mit Ihrer Familie gleichfalls nach Paris begeben wollen; von Herrn Geh[eim] R[at] Schulze aber hörte ich, daß Ihnen wie Mde Beer die Kur und Reise wohl zugeschlagen und Sie Anfangs September wieder hier zu sein gedenken. Ihre Gesundheit ist befestigt, und gegen die bei uns Tag und Nacht immerfort besprochene Cholera, die langsam herankriecht, ist nach allem Gesundheit und Konduite nebst einigen Präservationen das zuverlässigste - soweit in solchen Dingen Zuverlässigkeit überhaupt stattfinden kann Mittel. Hier ist alles mit Privat-Anstalten dagegen beschäftigt; auch öffentliche sollen nun bestätigt werden. Ich bin noch immer des Glaubens, daß wir sie gänzlich entfernt halten können. Ich habe Freitags geschlossen, mich auf mein Schlößchen einquartiert und werde hier abwarten, was da werden soll; unter anderem bin ich überzeugt, daß, wenn wir sie von hier nicht abhalten, sie den Kurs von Deutschland durchläuft; deswegen auch halte ich den Sturm, wenn er kommen soll, lieber hier aus. Privatschreiben aus St. Petersburg, 30. August 1831Ш Eine Hauptsache bei einem Cholerakranken ist schnelle und gute Hülfe, dann ist die Sache gar nicht so schrecklich gefährlich; ein paar Stunden Versäumniß können aber die schlimmsten Folgen haben, der Magen spielt hierbei eine Hauptrolle; hütet man sich vor Erkältung und hält den Magen in Ordnung, so hat man nicht so leicht etwas zu befürchten, es sey denn, daß man von Haus aus einen ganz schlechten und schwachen Magen habe. Von den meisten Bekannten, die gestorben, oder genesen sind, weiß man die Ursache der Krankheit, entweder hatten sie immer am Magen Beschwerden gelitten, oder ihren Magen erkältet durch übermäßigen Genuß von saurer Milch, rohen Gurken u. dergl. und darauf manchmal sogar Bier oder Quast getrunken, oder erhitzt viel Eis gegessen, oder dergl. Viele Leute haben allerhand, selbst mitunter lächerliche Präservative gebraucht; ich habe nichts dergleichen gethan und habe mich immer ganz wohl befunden. - Die schlimmste Zeit war Ende Juny, wo täglich über 500 Menschen erkrankten und davon die Hälfte starb; jetzt erkranken nur noch einige zwanzig und 10-12 sterben. Daß die Krankheit nicht kontagiöse sey, will ich nicht behaupten; sie ist es aber gewiß nicht in dem Grade wie viele Menschen glauben.

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Einer meiner Freunde wurde Abends im Komptoir plötzlich von der Cholera befallen; ich habe ihn die ganze Nacht hindurch gepflegt und gerieben, ohne die geringste Folge. Ängstlich darf man aber durchaus nicht seyn. Hier ist ein Mann aus der gebildeten Klasse gestorben, wovon die Doktoren behaupten, er habe die Cholera bloß aus Angst vor derselben bekommen. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bernburg, 30. August 1831ш Wir freuen uns sehr, daß Sie uns noch diesen Herbst Ihren Besuch schenken wollen und wir wünschen daß Sie Ihren Entschluß bald verwirklichen mögen, da es jetzt sehr günstige Witterung zum Reisen ist u. auf diesem Wege Gottlob auch noch keine Gefahr abgesperrt zu werden droht. [...] Hier ist man mit allen Anstalten gegen die Cholera noch sehr zurück, so daß es ein gr[oßes] Unglück wäre, wenn sie bald zu uns käme, indeß glaube ich das Uebel ist so schlimm nicht als es in der Entfernung aussieht. Mein Bruder Gustav schreibt [...] daß nach Briefen aus Ungarn [...] sie selbst in Ungarn nicht so arg sei und man sich dort nicht dafür fürchte. Ludwig Hassenpflug an Wilhelm Grimm, Kassel, 30. August 1831ш Wir sind alle wohl und freuen uns von Euch das Gleiche zu wissen. Vor der heranziehenden Cholera hebe ich wenig oder eigentlich keine persönliche Besorgniß und darin hat mich Conradi's neuliche Recension noch bestärkt, so daß mir nicht viel darin liegt, daß man im Preußischen die Cordons Anstalten, so wie Waitz mitgebracht hat, aufgeben wird, wenn die Krankheit nach Berlin kommt. Carl Nisse an Unbekannt, Leipzig [Ende August] 1831Ш In Halle konnte einem wirklich Angst werden, so viel wurde davon [von der Cholera] gesprochen; auch hieß es, der Lektionskatalog für die Universität Berlin sei diesmal nicht gedruckt worden, weil man der Meinung sei, daß im nächsten Semester die Universität werde geschlossen werden müssen. Ich dachte noch, es sei nun Zeit, sich nach und nach ein wenig mehr um diese Hexe von Ostindien zu bekümmern, und habe seit gestern wenigstens 30 Schriften über die Cholera auf der Stube. Ich habe mich dabei von neuem überzeugt, daß man nicht nötig hat, so angst und bange zu sein, und daß man ihr doch nach und nach auf die Spur zu kommen scheint. Gottfried Wilhelm Stüler an Samuel Hahnemann, Berlin, 31. August 1831205 Demnächst habe ich Ihnen neue, höchst auffallende und erfreuliche Belege für die untrügliche Wirksamkeit des von Ihnen empfohlenen Mittels gegen die Cholera mittheilen wollen, welche teils in beiliegendem Sendschreiben an Gräfe, was Ihnen vielleicht noch nicht zu Gesicht gekommen ist, theils in einem bis jetzt noch nicht im Druck erschienenen Schreiben enthalten sind, was mir heute der Herausgeber der Staatszeitung, Geh. Rath Philippsborn, der mir heute seinen Besuch abstattete, mittheilte. Diesem nach sind in einem Pohlnischen Orte 260 Kranke blos mit Einreibungen eines Gemisches von Campher, Senf

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und Pfeffer mit Weingeist und Essig mit so glücklichem Erfolg behandelt worden, daß nur zwei davon gestorben sind, die sich dieser Behandlungsweise nicht fügen wollten. Der glänzendste Triumpf aber für Sie und Ihr Werk ist in einem Artikel der heutigen Staats-Zeitung enthalten, der, wie mir der Herausgeber berichtete, auf Veranlassung der Cholerakommission darin aufgenommen worden ist. Die Anempfehlung des Mittels (Campher) an die Ärzte von Seiten jener ist, wie mir Philippsborn sagte, in einer lithographirten Schrift enthalten. Prinz Wilhelm von Preußen an Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-WeimarEisenach, Berlin, 31. August 1831206 Ich war im Begriff zu meiner Inspektionsreise aufzubrechen, und ich hatte meine Abreise schon für übermorgen festgesetzt, und hoffte, teure und gute Mama, mich am 3. September mich zu Ihren Füßen zu setzen, als die unglückliche Krankheit so an uns heranrückte, daß ich, wegen all der Berichte, nicht mehr daran zu denken wagte, mich von hier zu entfernen. Ich sehe mich folglich in der Notwendigkeit, Ihnen durch diese Zeilen zu sagen, was ich mir für die mündliche Mitteilung aufgehoben hatte, daß der König sich sehr über den Gedanken freut, Sie anläßlich der Niederkunft Augustes zu sehen und daß er Ihren Wunsch, sich in diesem Moment nahe Ihrer Tochter zu befinden, nur zu gut versteht. Aber, liebe Mama, sollten Sie wirklich zu diesem Zweck hierher nach Berlin kommen, trotz der Cholera? Wenn auch Auguste und ich uns nur schwer über den Umstand trösten können, Sie in so einem Moment wie die erste Geburt fern von uns zu wissen, - so muß uns dennoch gesagt werden, daß Sie Ihrer Familie und Ihrem Land gegenüber viele andere Pflichten zu erfüllen haben, die es nicht erlauben, sich einer so großen Gefahr auszusetzen! Seit gestern ist Berlin in Unruhe, zwei Personen sind unter alarmierenden Symptomen gestorben; die Ärzte zögern, zu verkünden, daß sie an Cholera gestorben sind, wahrscheinlich um die Öffentlichkeit an den Gedanken, diese unglückliche Epidemie in ihren Mauern zu haben, zu gewöhnen, denn meiner Ansicht nach gibt es keinen Zweifel, daß die obengenannten Personen an Cholera gestorben sind. In diesem Moment erhalte ich den Befehl, einen Beobachtungskordon entlang der Elbe einzurichten! Gott gebe, daß wir die Krankheit an diesem Fluß anhalten können - aber ich glaube es nicht; alle ergriffenen Maßnahmen so vernünftig sie sind, können diese Plage aufhalten, aber nicht abhalten. Der König wird sich in Charlottenburg einrichten und wir alle in Sanssouci und im Neuen Palais. Diese Zufluchtsorte werden von Truppen umstellt sein, und man kann nur kommunizieren, indem man sich vorgeschriebenen Vorsichtsmaßregeln unterwirft. Unsere Paläste hier in der Stadt werden gleichermaßen isoliert sein, nach den gleichen Vorkehrungen wie dort, aber wir werden sie soweit wie möglich intakt halten. Meine Brüder und ich werden viel hierherkommen, um zu beweisen, daß die ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen nur für unsere Familien sind, und nicht für uns. Wenn wir zurückkehren, ist eine gänzliche Reinigung jedesmal erforderlich. Wenn Auguste nicht vorzieht, hierherzukommen, wird sie ihre Niederkunft im Neuen Palais haben; ich werde heute mit ihr darüber sprechen, wenn ich zu ihr zurückkehre. Denn alle diese Entscheidungen sind erst an diesem Morgen in einer Konferenz von uns Brüdern mit Dr. Rust gefallen.

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Karl Lachmann an Jacob Grimm, Berlin, 31. August 1831207 [Vorgestern] gegen Abend kam Nachricht, in Charlottenburg sei ein Schiffer an der Cholera gestorben. Gestern Morgen 1000 Schritt von mir auf der Spree wieder ein Schiffer. Über diesen scheinen die Ärzte uneins zu sein, denn in der Staatszeitung von gestern Abend steht noch nichts, weder Warnung noch Beruhigung. Meine Ansicht ist, die Ärzte werden endlich aufhören ihre logischen Gegensätze der Natur zuzutrauen: ich denke, die Krankheit ist seit mehreren Tagen hier, wer wie der Schiffer auf dem Schiffbauerdamm für 7 Silbergroschen Bra[n]ntwein trinkt oder sich sonst zum Cholerafutter macht oder schon gemacht hat, der wird gefressen. Daß wir nicht reisen können, versteht sich. [...] Es ist recht unserm ganzen heutigen raschen Leben gemäß, daß ich mich früh entschließe und Abends gehts nicht mehr. Um dieses prächtige Vergnügen wären wir also für dies Mahl gekommen, im nächsten Jahr müssen wirs aber noch möglich machen: denn glauben Sie nicht daß ich etwa sehr überzeugt bin, die Cholera werde sehr unter uns aufräumen. Karl August Varnhagen von Ense an David Assing, Berlin, 31. August

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Schon als ich Euch zuletzt schrieb, umzog uns die Cholera östlich und nördlich in geringen Entfernungen, am 28. erschien sie durch einen Fall auf einem Schiffe zu Charlottenburg, Tages darauf hier ebenfalls auf einem Schiffe, und gestern auch mitten in der Stadt, an der Schleuse, wiederum dem Wasser nahe. Diese drei einzelnen Todesfälle sind bis jetzt die einzigen, von denen ich weiss; was heute für Meldungen eingehen, muss sich erst zeigen. Alles aber lässt uns hoffen, dass die Krankheit hier nicht heftig wüten, sondern höchstens eine Anzahl solcher Leute hinraffen wird, die durch psychische und moralische Beschaffenheit sich recht eigentlich darauf bereitet haben und auch jetzt noch fortfahren, sich der Krankheit gleichsam anzubieten. Der Schiffer in Charlottenburg war schon wochenlang krank, litt an Durchfall und arbeitete bis zum Tage, da er starb. Viele gemeine Leute sehen die Sache mit Trotz und Widerspruch an, wollen nicht an die Gefahr glauben und betäuben sich nur noch mehr durch Branntwein. Diesen wird schwerlich zu helfen sein; die ordentlichen und vorsichtigen Leute aus der gebildeten Klasse scheinen dagegen wenig bedroht. Der Schrecken ist viel geringer als man dachte, auch nimmt die Furcht vor der Ansteckung schon sehr ab. Wir vernachlässigen gleichwohl keine Vorsicht. Im übrigen geht das Leben seinen Gang. Sollte das Uebel bedeutende Verbreitung finden, so würde man freilich seinen Wandel nach Verhältnis einschränken müssen. Auf mich hat der nun wirklich erfolgte Eintritt der so lange fernhin erspähten und befürchteten Cholera so gut wie gar keinen Eindruck gemacht; ich hatte erwartet, sie würde mich doch einen Augenblick erschrecken. Ich mache ihr ein ernstes und finsteres Gesicht, weil sie eine Besudelung, eine gespensterhaft dunkle Erscheinung, eine tiefhässliche Lebensstörung ist, aber sonst erschüttert sie mich gar nicht. Ich würde ohne Scheu die Kranken besuchen und pflegen können; an eine Ansteckung muß ich wohl glauben, aber ich halte sie an vielfache Bedingungen geknüpft und im Ganzen wenig zu fürchten. Der Unsinn gegen die Aerzte regt sich auch hier im unteren Volke; doch fürerst nur in boshaften Worten, und ich hoffe zur Ehre Berlins, dass solcher Wahn und solche Pöbelhaftigkeit wie in Königsberg oder gar St. Petersburg hier nicht in förmliche Tat übergehen können. Die Anstalten sind übrigens sehr herabgestimmt; alles Vexatorische und Hemmende bleibt möglichst entfernt; für öffentliche Arbeiten wird gesorgt.

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Der König wollte anfangs in Charlottenburg bleiben und Schloss und Garten streng mit Wachen umgeben. Jetzt ist aber der Aufenthalt in Berlin gewählt, auf dem Palais, wo natürlich ebenfalls die nötigen Vorsichtsmaassregeln stattfinden. Theater, Gesellschaften und dergl. sind bis jetzt noch nicht unterbrochen; dass man im Ganzen doch weniger Lustbarkeiten und Feste haben wird, als sonst, lässt sich erwarten. Kaum habe ich diese letzten Zeilen geschrieben, so muss ich sie fast zurücknehmen. - Ich erfahre nämlich über die Stimmung der Berliner ganz neue Nachrichten! Die Leute scheinen sich das Wort gegeben zu haben, an das wirkliche Dasein der Krankheit noch gar nicht zu glauben. Man leugnet die Sache mit Bestimmtheit, verlacht die Aerzte, die sich so grob getäuscht hätten, behauptet fröhliche Stimmung, lässt den König über die voreilige Bekanntmachung sehr böse sein und dergl. Gewiss ist es, dass Charlottenburg gestern besuchter war als je. Der Medizinalrat Barez feierte gestern seinen Geburtstag, nachdem er vorgestern mit dem Medizinalrat Dr. Eck die Choleraleiche in Charlottenburg secirt hatte, und ebenso hielt Dr. von Stosch einen grossen Kindtaufschmaus. So geht um die Welt! Das Widerstreitendste immer dicht zusammengepackt! Friederike von Reden an Prinzessin Marianne von Preußen, Buchwald (Schlesien), 1. September 18312№> Nach Tisch kam die traurige Nachricht von Erdmannsdorf [Choleratod Gneisenaus], die uns alle unbeschreiblich bewegte - Gröben fuhr gleich dorthin und kam erst spät wieder - er war der Gräfin ein großer Trost. Nach einem Spaziergang wurde im Pavillon Thee getrunken, und dann recht still und heimlich der Abend in gewohnter Weise zugebracht. [...] Während der Zeit war Steffens beim Kronprinzen und dann unterhielt er sich mit uns Schwestern, Ernestine, Graf Gröben, Ferdinand Stolberg recht gemüthlich und für uns erfreulich, unter Anderem über das Allgemeine Gebet zur Abwendung der Cholera, wenn es Gottes Wille ist - wie es vor Alters geschah, wie noch neuerlich in Sarepta, was so wunderbar bewahrt wurde. Die wenigen Worte, die im Kirchengebet eingeschaltet werden, genügen ihm nicht - er sprach darüber und manchen Gegenstand ganz vortrefflich und wir hatten unsere innige Freude über ihn. Charlotte Dorothea Rassow an Ernst Moritz Arndt, Buchholz (Pommern), 1. September 1831210 Ja wohl, allerliebstes Vadrußige, leben wir in einer ernsten, feierlichen Zeit, wo alle unsre körperlichen und geistigen Kräfte nicht auszureichen scheinen, das unerhörte gräßliche zu ertragen. In dieser Noth werden wir nun kräftig auf unsern höchsten him[m]lischen Beistand und Tröster verwiesen, und wohl uns, wenn wir ihn schon längst erkannt, wenn wir uns vertrauensvoll in seine Arme werfen können. Ich hoffe es auf den Tod und das Leiden unsere Erlösers, daß mich in der Zeit der Trübsal die Zuversicht und Ergebung eines frommen christlichen Sinns nicht verlassen werde. - Dies sei auch Dir zum Tröste gesagt, bester Bruder, wenn Du das Unglück über uns hereinbrechen siehst, und dann Deiner lieben Schwester gedenkst, die von ihrer Kindheit an Dir so nahe am Herzen gelegen hat. Denn ich weiß es, daß Ihr ängstlich um uns bekümmert seid, so wie ich es längst schon um den guten Carl Treu gewesen, von dem uns in 2 Monaten alle Nachrichten fehlen.

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Noch geben wir die Hoffnung nicht auf, die Cholera von unsrer Provinz abzuhalten, bis die kalte Jahrszeit heranrückt, wo sie dann nicht so ansteckend und gefährlich in ihren Ausbrüchen sein dürfte. Käme sie je[t]zt, so würde sie wie ein Funke in den Zunder fallen, da schon seit 6 Wochen die europäische Cholera oder das sogenannte Augustfieber unter der arbeitenden Classe herrscht in dem Grade, daß in jedem Dorfe fast zwey drey Menschen daran krank liegen, und an manchen Orten, namentlich den Baerenwalder Gütern, 40-50 Kranke sich befinden. Die Symptome dieser Krankheit sind, daß sie plö[t]zlich von heftigem Schwindel mit Erbrechen und Durchfall befallen werden, bei schnell angewandter Hülfe, die der Curart der Cholera gleich kommt, oft in einigen Tagen, ja gar Stunden wieder hergestellt sind, öfter aber auch mehrere Wochen liegen müssen. Dies le[t]ztere ist besonders an den Orten der Fall, wo die Leute durch Armuth und schlechte Nahrungsmittel abgemattet und kraftlos sind. Wir haben unsern Leuten während der Erndte 3 bis 4 mal des Tages guten bittern Bran[n]twein und gutes Essen gegeben, und den guten Erfolg gesehen. Sonst ist es mit den Vorkehrungs Maßregeln zur Abwehrung der Cholera eine eigne Sache. Am Rüden sind Wachschiffe stationirt, so wie auch bei Barhöft, die ganze rügensche Küste so wie der Darß sind mit Wachen umstellt. Als nun am 28ten die Krankheit in Stettin ausbricht, erscheint am Mittwoch im Hafen vor Stralsund ein Dampfboot, worauf 40 Stettiner Frauen sich befinden, die hier Schutz suchen wollen. Sie werden natürlich zurück gewiesen, so wie darauf in Putbus, wo sie auch anlegen wollen, und müssen wieder in die See zurück, wo sie ihr ferneres Schicksal erwarten können. Wie sind sie aber nun die Wachtschiffe unbemerkt vorbei passirt? - So köm[m]t denn auch unser Präsident Rohr eiligst von Stettin in Stralsund an, ohne sich einer Contumaz zu unterwerfen, er versichert auf sein Ehrenwort, daß die Cholera in Stettin nicht ausgebrochen ist. Da das Volck das Gegentheil erfährt, wird es so aufgebracht, daß es seine Wohnung umlagert hält und er wohl schwerlich fürs erste sich auf der Straße sehen lassen darf. Je[t]zt soll die Peene bese[t]zt werden, und nur bei Anklam und Loiz Ueberfahrt sein; aber es fehlt an Leuten, da durchaus kein Militair hier ist, und die Landwehr mit der Erndte beschäftigt, und überhaupt, als Eingeborne, nicht zuverlässig ist. Du kennst wohl das Vorurtheil unsrer Leute, die durchaus an keine Ansteckung glauben, und daher alles überflüssig und sogar gottlos erachten, was dagegen gethan wird, so daß sie sich eine Absonderung der Kranken und ein schnelles Begraben ihrer Todten wohl schwerlich gefallen lassen werden. Um vernünftige Anordnungen zu treffen, sind Kirchspiels Commissarien ernannt. Rassow ist auch für das Franzburger und Richtenberger Kirchspiel gewählt. Jedem Commissarius wird ein Arzt beigegeben, der bei ihm am Orte wohnen muß. Für den Franzburger Kreis sind 12 Aerzte erforderlich, und bisher kaum drey dazu angeworben, weil keine Aerzte zu haben sind. Privatvereine auf dem Lande haben eine Summe als Gehalt des Arztes zusammen geschossen um zu ihrem eigenen Nutzen welche kommen zu lassen; haben Haselberg und andern berühmten Aerzten Auftrag gegeben, aus Berlin welche zu verschreiben, aber es wollen sich keine finden. Unser Kreis Physikus Held, den Du wohl kennen wirst, ist so elend und angegriffen, daß er nur in kläglichem Tone und mit weinerlichen Mienen von der Cholera spricht, und der alte Behse, der Kreischirurgus, ist eben in der vorigen Wochen zu seinem guten Glücke verschieden, - also, wo nun Hülfe hernehmen? - Das ist doch gewiß eine Noth! - Rassow will nun morgen wieder eine Zusammenkunft mit den benachbarten Herren veranstalten, aber alle Vorschläge werden unzureichend sein, wenn nicht Aerzte und Soldaten zu haben sind. Bei solchen Zuständen giebt

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es auch für mich unangenehme Anregungen, da ich gewissermaßen Rassows Rathsherr und Secretair bin. Nun muß auch daran gedacht werden, unser Haus zu bestellen, unser Vermächtniß zu machen, unsere besten Sachen zu künftigem Gebrauch zu verwahren und zu versiegeln, unsre Schlafstellen einzurichten, wie sie für die Gesundheit am zuträglichsten sind. Dies alles giebt eine Veränderung im gewöhnlichen Gang des Lebens, die die Gefahr schon dem Sinne jeden Tag nahe bringt, und mit dem Gefühl eines auf dem Leben und Tod Gefangenen sich vergleichen läßt. Besonders wenn es dunkel wird, und Nacht sich auf die Fenster legt, so ist es, als wenn die Cholera in ihrer ganzen Scheußlichkeit mit dem Haupt einer Gorgone uns anblickt und ihre Opfer auswählt. Zudem haben wir beständig eine schwüle drückende Luft, keine Gewitter seit Pfingsten und das Gewölck steht oft so niedrig, daß es über der Erde wegzukriechen scheint, eine eigne Färbung des Dunstkreises läßt sich wahrnehmen, und 14 Tage unaufhörlich hatten wir einen furchtbaren Heer Rauch, wo die Sonne trübe und blutroth am Himmel stand. Da gehört nun wirklich Kraft dazu, seine Stelle zu behaupten, und sich so zu zeigen, wie es einer Hausfrau und Mutter geziemt. Wenn ich meine Kinder ansehe, mögte mir das Herz brechen, und doch darf ich nur eine heitre Stirne zeigen, um keine Angst zu erregen, die ohnehin nur zu oft bei Groß und Klein laut wird. Ueberhaupt sind die Cholera Gespräche an der Tages Ordnung. [...] Unsre Kinder sind gesund und glücklich. Sie haben noch kein Ohr für Gefahr und Sorge, und einen so festen Glauben an den lieben Gott, daß ihnen alles aus seiner Hand lieb und angenehm ist; so wie sie von ihrem kleinen Rudolph mit Freudigkeit sprechen, wie er wohl her[r]lich unter den Engeln im Himmel spielt. Also Vertrauen auf Gottes Fügung halte uns aufrecht, und tröste uns Alle in Noth und Anfechtung. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolf gang von Goethe, Berlin, 1. September 18312n H[egel], den ich diesen Abend zu mir einladen lassen, läßt mir sagen: er sey verstimmt, melancholisch; das soll wohl philosophisch seyn. Sie will nach Nürnberg, Er will bleiben! Man möchte verreden mit Lebenden zu verkehren, lauter Vernunft-Menschen, die sich nicht zu fügen wissen. Wer nicht an der Cholera stirbt, von dem ist so wenig die Rede als wenn er über die Straße hingeht. Gestern war ich zu freundschaftlichem Mahle eingeladen; fünfzehn ehrenwerthe lauter Männer. Ehe man sich zu Tische setzte, wurde ausgemacht, nicht von der Cholera zu reden. Wir saßen zwey Stunden und keiner wußte was anderes herauszubringen als Verbotenes. Das Essen war auserlesen und die Hausfrau sagte: Meine Herren! wie genießt Ihr denn? Ihr redet ja gegen Euren Willen nur von dem was erst kommen soll. Ich gestehe daß mir das ewige Leben auch lieber wäre wenn ich's gleich hier haben könnte; da es aber einmal ist wie es ist, so laß ich kommen und gehn was nicht dableiben will. Von mir sag' ich nur daß ich lebe und gesund bin; schreib' auch Du fleißig und gehab Dich wohl. Ludwig Robert an Johann Friedrich Cotta, Baden-Baden, 1. September

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Unter so obwaltenden Umständen rückte die Cholera näher und näher. Hatte ich früher an eine Badereise gedacht, so bewog mich jetzt ein Gefühl von vaterländischer Pietät, meine Geburtsstadt, Verwandte und Freunde in solcher Zahl nicht zu verlassen; und so oft mich diese auch mahnten zu reisen, indem ich ihnen bei eintretender Gefahr ja doch nicht beistehen könnte, und also meine glücklich-unabhängige Lage benutzen möchte, so widerstand

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ich doch während dreier Monate allen diesen herzlich gemeinten Versuchungen. Da geschah es, fünf Tage vor meiner Abreise, daß ich einige der ersten Beamten der neuerrichteten Cholera-Kommission über die zu nehmenden Maßregeln sprechen hörte. Sie gestanden sich einander selbst, daß man nicht wo aus, noch wo ein wisse, daß projektiert, gestritten, deliberiert und vorzüglich viel geschrieben würde, daß aber so gut wie noch gar nichts beschlossen und noch viel weniger geschehen wäre. Dies unter uns!! Da nun zudem die Nachricht[en] von den Greuel-Szenen in Petersburg bereits bekannt waren, so war nach langem Zögern mein Entschluß schnell gefaßt: der Cholera zu entfliehn halte ich noch heute für unmöglich; denn unaufhaltsam wird sie ihren Weg über Europa nehmen - aber ich wollte der Cholera in einer großen Stadt ausweichen, ich wollte vor der Absperrung in einem von 50 Menschen bewohnten Hause, ich wollte wahrscheinlichem Pöbel-Aufruhr, künstlicher Teurung und den vielfachen Leiden und Gefahren bevor der Krankheit entgehen - und so saß ich fünf Tage später in meinem Wagen und eilte hierher nach Baden-Baden, wo ich auch den Winter über bleiben werde.

Friederike von Reden an Prinzessin Marianne von Preußen, Buchwald (Schlesien), 2. September 1831™ Diesen Morgen war ich lange auf dem großen Gewende beim Feldspathbruch und wohnte der Ernte bei, deren Einbringen dieses Jahr wegen der Unbeständigkeit des Wetters sehr schwierig ist. Von der Stelle, wo ich auf den Garben sitzend ruhte, übersah ich das ganze liebe Fischbach, aber keine Fahne, kein Zeichen von der lieben Bewohner Gegenwart! - Alles still - es stimmte mich zu ernstem Nachdenken, wie in kurzer Zeit so Alles anders werden kann - ! О wer nicht sein ganzes Hoffen in den Herrn setze - an seine uns so gern fassende Hand sich nicht anklammerte und festhielte!! wie gut hat man es bei ihm, und nur er giebt Ruhe und Zuversicht. In jetziger Zeit wird doch jede Trennung von unsern Lieben, finde ich, doppelt schwer - man möchte gern mit Allen vereint sein - vereint beten, hoffen und leiden, was des Herrn Hand uns auferlegen wird. [...]. Man glaubt, es werden Schwärme von Flüchtlingen aus Breslau und andern Gegenden nach Warmbrunn und Hirschberg ziehen, wenn die Cholera bei ihnen ausbrechen sollte, - die Thoren - sind sie denn hier sicher?! wenn es der Herr nicht beschlossen hat, aus Barmherzigkeit zu schützen; nur zu ihm, zu seinen Füßen, in seine Arme fliehen - es giebt keinen andern Ausweg.

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an Pauline Schelling, Wessobrunn, 2. September 18312U Gneisenau's Tod ist schrecklich, noch schrecklicher, daß sie die wahre Krankheit zu verleugnen suchen, weil sie nicht ganz der gewöhnlichen (obwohl nichts weniger als ganz ungewöhnlichen) Form erschien. In einer Augsburger Zeitung, die hierher kommt, steht dies ganz deutlich. Es ist ein Unglück für ganz Deutschland; er war der einzige, auf den man im Fall eines Krieges ein Vertrauen setzen konnte.

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Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 2. September 1831215 Bis jetzt merkst Du wohl aus allem diesem meine gute Mari[e], daß wir uns wegen der Cholera noch ganz frei bewegen; demohngeachtet sind wir nicht müßig, sondern es werden hier, wie mir scheint recht zweckmäßige Vorkehrungen u Anstalten getroffen, um Leute aus der ärmeren Klasse, Dienstboten etc. unterzubringen, u zur Wartung u Pflege zu versorgen. Der Sebastians Hospital bei St Johannis ist dazu eingerichtet, u mit allem versehen worden, was zur Behandlung der Cholerakranken erforderlich ist. Leider müssen wir unsere Kleinkinderschule verlegen, die Hospitalkranken werden im Catharinenkloster aufgenommen, um den Sebast. Hospital zu leeren. Doch haben wir wirklich für unsere Kinder ein Locale gefunden, u sind bereit auszuziehen, wozu wir täglich den Befehl entgegen sehen. Daß auch von uns ein Cordon gegen die Osterch. Grenze bereits besteht, u wie ich höre noch erweitert wird, wißt Ihr wohl aus der allgem: zeitung. Bei alle dem scheint man sich hier weit weniger als irgendwo vor dem Uibel zu fürchten; mit schwerem Herzen zwar führe ich als Beweis unser Volksfest an - denn wirklich die ungemeinste u unmäßige Lust die 10 Tage lang unsere Einwohner aller Classen, unsere Nachbarn von Bareuth, Ansbach, Bamberg, Weißenburg, Neustadt berauschte, war doch nichts weniger als lobenswerth bei den ernsten Mahnungen unserer Zeit, welche mir wenigstens so vorkommt, als wollte sie sagen: wachet, u betet! Nicht nur wegen der Cholera, aber überhaupt, ist es doch eine ernste, viel bewegte Zeit, eine Auflösung von Ordnung hie u da, u man sieht nicht ein, wie das wieder in' s Geleise kommen soll, wenn man vergessen könnte, daß die Vorsehung Mittel u Wege finden wird, gar oft liebe Mari[e] bete ich wie Du: ihn laß thun u walten er ist ein weiser Fürst etc. Ihn befehle ich aber auch Dich u die Deinigen je[t]zt besonders Du meine gute Mari[e], wo die Cholera wirklich in Berlin ausgebrochen seyn soll. Es ist mir ein schrecklicher Gedanke, wie wohl ich viel auf Gottes Schu[t]z u Gnade vertraue, u auf die guten Anstalten, die gemacht wurden, u die Vorsichtsmaßregeln die Du selbst zu beobachten vor hast. Nur der unglückliche Keller u seine Bewohner in Deinem Hause machen mir Sorge. Wollte sich Hegel noch zur Reise zu uns mit Frau u Kindern entschließen, wie gern wollte ich alle aufnehmen; noch einmal sey es von Herzen angebothen, nur kann ich nicht zureden; ich muß den Entschluß dem ehrenwerthen verständigen Man[n] überlassen, der so treu das wahre Beste der Seinigen besorgt. - Habe ich doch vor einigen Monaten recht unbedarfter weise Dir geschrieben, bis die Cholera zu Euch kommt kann es ruhig ferien zeit seyn, dann packt auf u kommt zu mir. Ach! ich dachte in der That nicht daß es möglich wäre. Ich will aber nun auch von keiner guten, noch schlimmen Zukunft einherreden, sondern wie es kommt, einer höhern Leitung überlassen. [...] Ich lege hier eine Abschrift des Preservatif mittel bei, mit welchem Fürst Lobkowitz bei täglichen Besuche der Lazarethe sich vor der Cholera bewahrt erhalten hat. [...] Ich verlange nicht, daß Du nur, wie Du versprochen, fast alle Posttage schreibst, aber wenn wirklich die Cholera ausgebrochen ist, so schreibe mir nur alle 8 Tage. Darum bitte ich ernstlichst! Jons Jacob Berzelius an Friedrich Wähler, Stockholm, 2. September 1831116 Auch hier arbeiten wir an den Vorbereitungen zum Empfang der Cholera, wiewohl sie uns nicht so nahe ist, wie Berlin. Wir geben uns doch immer mehr der Hoffnung hin, sie

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fernhalten zu können, bis das Eis auf dem Meere die Seefahrt verhindert und dann wenigstens bis zum Frühjahr in Frieden leben zu dürfen; wir werden sehen, ob es gelingt. Was für ein schrecklicher Mist ist es, den Poggendorff von Herrmann in Moskau über das Blut u.s.w. bei Cholerapatienten gedruckt hat? [...] Grüßen Sie Frau Franziska und lassen Sie sie fortbleiben, bis die Cholera vorüber ist.

Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, Buchwald (Schlesien), 3. September I831211 Heute hoffen wir endlich hier Gerste und Sommerroggen einzubringen. - Es liegt mir in dieser Gabe des Herrn, die er wieder reichlich, und doch wenigstens für unser Gebirge hinreichend schenkt, ein so tröstliches Unterpfand, daß er diesem Thale doch viel Einwohner lassen wird, die sie genießen können! Ich zittre nicht, aber mir ist doch oft vor Zeitung und Briefen bang, und weil ich mich oft unwohl fühle und der Magen gar nicht gut ist - so habe ich oft mit Bangigkeit oder Herzklopfen zu kämpfen, die vorzüglich Nachts einwirken - ich danke dem Herrn, wenn ich sie verbergen und in stetem Gebet mich beruhigen kann - das ist die einzige wahre Hülfe. Was Anderen bei der Krankheit angenehm erscheint, ist gerade für mich das Peinigende die Schnelligkeit des Weggerissenwerdens - ein längeres Siechbett fördert uns im Glauben, in der Geduld. - Ich sammele alle bewährten Recepte. Wilhelm von Eichendorjf an Joseph von Eichendorff, Trient, 3. September 1831ш Mein heißester Wunsch indessen ist, Dich, liebster Joseph, einmal wiederzusehen und er wird jetzt lebhafter als jemals, da ich Dich von Gefahren umringt weiß, denen ich selbst stündlich entgegensehe. Allen Nachrichten zufolge herrscht die Cholera schon seit mehreren Wochen in Königsberg und in ihrem Gefolge, nebst dem Tode, auch Unruhe und Verwirrung, wie sie nur immer die Aufregung eines unwissenden Pöbels erzeugen kann. Wir sind daher sehr um Dich und die Deinigen besorgt und erwarten mit Ungeduld ein Lebenszeichen von Dir. Von Trient ist die abschreckende Krankheit zwar noch über hundert Meilen entfernt, wir sind aber demungeachtet schon mit allerlei Vorkehrungen eifrig beschäftigt, um den furchtbaren Feind nicht unvorbereitet zu empfangen. Privatschreiben aus Warschau, 3. September 1831219 Die Cholera brach vor einiger Zeit mit erneuerter Wuth hier aus, und wüthete besonders in der Stadt und unter den Vornehmen. Ihr höchster Grad ist bis jetzt unheilbar gewesen, die niedern und jetzt vorkommenden Grade werden gewöhnlich in wenigen Tagen geheilt. Alles nur Mögliche ist mit dem größten Eifer versucht worden; von milden Versuchen schritt man natürlich zu gewagtem fort, wir sahen einmal die Acupunctur in das Herz. Jetzt wird in der Choleraabteilung des Alexanderhospitals das glühende Eisen auf den Kopf angewendet.

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Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 3. September 1831220 Die Facius ist gestern bey mir eingezogen, alles bemüht sich das schwache Kind furchtsam zu machen; ich habe zu schelten und zu fluchen über solch jämmerliches Wesen; sie sind nicht zu retten und sterben vor langer Weile. Heute ist Mittwoch der dritte und ich will nach Charlottenburg, wo sich die Majestäten und Hoheiten cernirt haben. [...] Nimm's nicht übel, sie haben mich auch confuse gemacht: es ist nicht Mittwoch, es ist Sonnabend und morgen hoffe ich die Sonne bey guter Zeit zu sehen. Gustav Magnus an Jons Jacob Berzelius, Berlin, 3. September 1831221 Seit etwa 14 Tagen habe ich meine Laboranten entlassen [...]. Dafür habe ich, aufgefordert von einer hiesigen Behörde, einige Desinfectionsversuche angestellt. Man begnügt sich hier nämlich nicht mit Räucherungen von Essig, sondern fängt immer mehr an Chlor anzuwenden, und das erregte die Besorgnis der mit der Ausfertigung der Staatspapiere beauftragten Behörde. Ohne Zweifel sind Ihnen Guyton-Morveau's ältere Versuche bekannt, dieser giebt an, dass Salzsäure und Essigsäure den Geruch von faulem Fleisch so gut zerstörten als Chlor. Ich habe diese Versuche wiederholt und sie wirklich bestätigt gefunden, doch zeigte sich mir auch ebenso wie ihm, dass Räucherungen mit gewöhnlichem Essig oder mit Schiesspulver-ähnlichen Verbindungen (wie sie von der hiesigen Cholerabehörde vorgeschrieben sind) den Geruch von faulem Fleisch nicht zerstörten. Ich habe aus diesen Gründen für die Desinfection unseres Papiergeldes eine Räucherung mit Acetum concentr. vorgeschlagen. Ob dieser Vorschlag angenommen werden wird, bezweifle ich, doch wird er wohl jedenfalls die Chlor-Räucherungen verhindern, und das war der eigentliche Zweck desselben. [...] Ohne Zweifel hat Ihnen Wöhler schon aus Cassel angezeigt, dass er Berlin noch vor Eintritt der Cholera schleunigtst verlassen hat; ich habe während seiner Abwesenheit die Hälfte seines Unterrichts an der Gewerbeschule übernommen. [...] Die Cholera tritt hier sehr mässig auf, es erkranken im Durchschnitt 20 Personen täglich, doch sowohl aus den niedrigen als aus den höheren Ständen. Dabei scheint es, als ob gewisse Häuser ganz aussterben sollten; so sind in der kurzen Zeit ihres hiesigen Aufenthalts und unter den 150 Gestorbenen in einem Hause sechs von ihr hingerafft, in einem anderen mir bekannten Hause drei. - Abgesperrt werden jetzt nur höchstens einzelne Wohnungen, niemals ganze Häuser, weil die Absperrung von vielen Personen auf längere Zeit unausführbar ist. Jetzt fängt man schon an, sich an die Krankheit zu gewöhnen, und wenn man nicht ewig und ganz unausgesetzt davon reden hörte, so ginge alles an, aber dies letzte ist wirklich fürchterlich. In einigen Häusern wird man durchräuchert beim Eintritt, und ich habe selbst an vielen Stellen Vorrichtungen machen müssen, um diese Durchräucherungen ganz gemächlich vornehmen zu können. Das beste und unschädlichste Räucherungsmittel scheint mir auch hier Acetum conc. zu sein. Dass Mitscherlich nach Carlsbad ist, wissen Sie ohne Zweifel; seine Bekannten nehmen an, dass er unter den jetzigen Umständen nicht zurückkehren werde.

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Jakob Grimm an Friedrich Karl von Savigny, Göttingen, 3. September 1831222 Unter den jetzigen umständen hätte auch ohne meine reise Wilhelm nicht nach Berlin gehen dürfen. Dortchen wäre vor angst, deren sie sich jetzt schon allzuviel macht, vergangen. Auch mir verbittert der gedanke, daß uns das übel schnell näher rücken könne, meine reise, obwohl ich es für unwahrscheinlich halte. Ist aber gefahr, so kann ich von jedem ort in drei bis vier tagen wieder zu hause sein. Wilhelm Grimm an Ludwig Hassenpflug, Göttingen, 3. September 1831223 Nach Lachmanns Brief vom 29t August war aller Wahrscheinlichkeit nach die Cholera schon seit einigen Tagen in Berlin, er kommt nun nicht, wie sein Plan war u. Meusebach wird seine Familie noch weniger verlassen wollen. Die Cholera wird ohne Zweifel weiter schreiten, und sie ist gewiß ein Bedrängniß, indessen fürchten wir uns nicht sehr, nach Conradis u. aller verständigen Leute Meinung ist die Cholera practisch betrachtet nicht ansteckend: d.h. es gibt Fälle, wo man eine Ansteckung annehmen muß, sie sind aber so selten, daß sie nicht in Betracht kommen. Und dann werden in der Regel nur Leute hingerafft, die ihre Gesundheit schon auf irgend eine Art zerstört hatten. Den Mittelweg, den man ietzt in Berlin einschlägt, ist der vernünftigste u. schon aus politischen Gründen sehr zu empfehlen. Albrecht hat Briefe aus Königsberg und Elbing, die sehr merkwürdig waren, die Autorität war fast ganz geschwunden, die Anordnungen der Immediat Commission wurden nicht befolgt u. konnten nicht befolgt werden, weil sie unsinnig waren u. die honetten Leute übernahmen die Regierung, sie gingen so weit, daß sie einmal 25-30 Mann Soldaten, die angerückt waren, einsperrten. Hernach, als man eingesehen, daß sie vernünftig, rechtlich u. für das gemeine Beste sehr ersprießlich gehandelt, sind Belobigungsschreiben von Berlin gekommen u. das ehrt nach meiner Meinung die Regierung sehr. [...] Gestern war hier ein Postillion an der europäischen Cholera erkrankt. Heute ist er wieder beßer. Aber die Extremität war schon blau u. erkaltet. So etwas pflegt aber häufig die Vorgeschichte zu seyn - offenbar liegt in der Luft das Übel. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 4. September 1831224 Einen Hauptspaß kann ich Dir unmöglich schenken. Gestern in Charlottenburg tret' ich in ein Haus. Es wurde, zu Abwendung des Choleragesprächs, Dein Werther gelesen. Ich setzte mich stille zu den Andern. Ein sechzehnjähriger Knabe las: „Lieber Wilhelm, ich habe allerley nachgedacht über die Belgier" - über die Belgier? - riefen alle Stimmen. - „Nun ja! sich auszubreiten" - Alles lachte aus vollen Kehlen und ich ging meines Weges und ward naß. Siehst Du, mein Unsterblicher, desgleichen findest Du weder in der Staatszeitung noch im Moniteur; aber „wenn einer eine Reise thut, so kann er was erzählen." Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, Darmstadt, 4. September 183122S Aus Agnes letztem Brief No. 33 wirst Du ersehen haben wie der Plan zu meiner Rückreise entstanden ist, so bin ich nun hier, jedoch nicht ohne neue Beruhigungen welche mich schon im ersten Gespräch mit der Frau Köster anfochten, bei welcher ich durch Christian eingeführt wurde, daß näml. in Charlottenburg der asiatische Mann tödtend eingetroffen sey,

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näheres darüber und authentischeres gestern Abend hier ich sogleich erfuhr, daß es nemlich auf einem Kahn einen Schiffer ergriffen habe etc. Wenn bis heute Abend nichts bestimmteres eingeht, so fahre ich noch nach Mainz übernachte daselbst und gehe mit dem Dampfboot nach Bonn verweile ein paar Tage bei den lieben Deinigen und berathe dann nach Umständen das Weitere ob ich über Mainz (wo mein Wagen stehen geblieben) nach Berlin, oder ruhig nach Wiesbaden gehen kann. [...] Sehr leid ist mir auch keine Adresse geben zu können um Nachrichten daselbst zu erwarten, ja hoffend daß die Preuß. Allgem. St[aats]. Zeitung die man fast überall trifft der einzige Trost ist wie es in В. steht, auch bei den Eltern höre ich wohl etwas Neueres als Eure letzten Briefe an mich besagten. Meline von Guaita an Friedrich Carl von Savigny, Bonn, 4. September 1831226 Es ist mir ganz recht, daß Karl Berlin verlaßen hat, und mündlich werden wir nun mit ihm überlegen, wohin er seine Schritte lenken soll [...]. Ich bitte Euch alle angelegentlichst, uns öfters Nachricht von Euch zu geben, sowie auch von der Tante Bettina, denn in der jetzigen Zeit finde ich es noch nöthiger als gewöhnlich, immer bestimmt und klar den Stand der Dinge zu wißen. Noch bin ich ganz guten Muths und erwarte mit Vertrauen, wie Gott alles fügen wird. Wenn es uns auch nicht augenscheinlich für unser Bestes erscheinen könnte, so ist es doch gewiß immer so der Fall, und daher mag alles kommen und werden wie es will. Privatschreiben aus Conitz, 5. September 1831227 So hat denn auch uns das Ungeheuer heimgesucht, das vielköpfig gleich einer Hydra den Süden und Norden Europas zugleich verwüstet, und dem, je mehr Köpfe man ihm abschlägt, um so mehr zu erwachsen scheinen. Und gerade, nun wir uns am sichersten dagegen verpallisadirt zu haben glaubten, und meinten, daß wir alle Eingänge so verrammelt hätten, daß kein Pförtchen mehr übrig sey, durch das es hereinschleichen könnte, stand es plötzlich mitten unter uns. Aber wie man sich jedes Übel, das Jahre lang droht und immer näher und näher rückt, stets größer und furchtbarer denkt, wie es sich zeigt, wenn es nun endlich wirklich da ist, so ist es auch uns mit der Cholera ergangen. Jetzt fürchtet sich kein Mensch mehr vor ihr; jeder geht seinen gewohnten Geschäften nach; die Vergnügungsörter sind so besucht wie früher, ja seit langer Zeit ist man nicht so unbefangen gewesen, wie jetzt; selbst die gesellige Unterhaltung, der dieser Unhold sich Monate hindurch so ausschließlich bemächtigt hatte, daß keiner mehr sich um belgische und polnische Fragen bekümmerte, beginnt wieder sich auf andere Gegenstände zu wenden. Hier hat sich recht bewährt, daß jeder Feind nur halb so furchtbar ist, wenn man ihm dreist ins Auge zu schauen wagt. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Kobylepole, 5. September 1831228 Da sitze ich nun als Gefangener in einem verfallenen polnischen Landhause, wo sich zu der ursprünglichen Liederlichkeit die verwesende Kraft der Zeit und der Verwirrung gesellt hat; auch bin ich ganz ungewiß, wer mehr Recht auf meine Wohnung hat, das Heer der Mäuse, was darin groß geworden, oder ich. Bei allem dem ist Kobylepole gewiß noch eine

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der besten Kontumazen; ich habe wenigstens ein Zimmer für mich, und ein schattiger Park umgibt das Haus; wenn das Wetter schön bleibt, so wird uns dieser von einem großen Nutzen sein. Übrigens werden wir hier in jedem Falle nur zehn Tage bleiben und dann entweder nach Glogau gehen oder vielleicht noch in eine zweite näher gelegene Kontumaz wandern; denn der Merkel bewacht sein Schlesien wie ein Zerberus und bildet sich ein, daß, wenn die Cholera bis jetzt dort noch nicht weiter um sich gegriffen hat, dies sein Verdienst sei; es liegt aber offenbar darin, daß kein Fluß und mithin keine Schiffahrt von Polen nach Schlesien führt. Er hat mir geschrieben, daß er nicht glaube, wie eine hier so weit von der schlesischen Grenze abgehaltene Quarantäne die hinreichende Sicherheit gebe; ich habe darauf an Thile geschrieben, daß er, bei der großen Schwierigkeit, die es hätte, von der Quarantäne aus das Armeekommando fortzuführen, mit seiner Machtvollkommenheit dazwischentreten möchte. Darauf habe ich noch keine Antwort; ich fürchte aber, sie wird abschlägig sein ... Was übrigens der Welt, wenn auch nicht mir, noch auffallender sein muß, ist das gänzliche Schweigen der Staatszeitung. Ist der Tod eines solchen Mannes [Gneisenau] kein Staatsereignis? War es nicht natürlich, die Zeitung vom 27. mit dieser Trauerbotschaft anzufangen? Muß die Staatszeitung eine Nachricht von solcher Wichtigkeit einer elenden Provinzialzeitung entlehnen? General Röder glaubt, daß wir mit unseren Ausdrücken des Bedauerns den Widerspruchsgeist rege gemacht haben, und das ist ein Urteil großer Menschenkenntnis. Damit Du nun aber nicht glauben mögest, ich hätte mich zu einer übel angebrachten Empfindsamkeit verleiten lassen, so will ich dir diejenigen Ausdrücke meines Berichts wörtlich wiederholen, die vom Gefühle ausgegangen sind und an das Gefühl gerichtet waren. [...] Ich frage Dich, ob in dieser Stelle etwas enthalten ist, was einen solchen dedain verdient hätte, wie in dem gänzlichen Schweigen des Königs liegt. Ich gestehe, daß ich diese Behandlung noch nicht verschmerzen kann. [...] Leider raubt mir eure Cholera die letzte Hoffnung, Dich in Glogau zu sehen, teure Marie; denn Du müßtest ja drei Wochen Kontumaz halten, und das wäre doch zu arg. Vielleicht ist die Sperre zwischen Berlin und Schlesien von keiner langen Dauer. Lebe wohl, geliebtes Weib. Nehmt Euch vor Diätfehlern und Erkältungen in Acht, das ist die beste Schutzwehr.

Major***

an Generalleutnant von Jaski, Danzig, 5. September 1831229

Hereingeschleppt scheint die Cholera auch nicht zu seyn, sondern das Ansteckungsprincip schien in der Atmosphäre zu liegen, wie sie denn auch in den Straßen, wo die Leute sehr zusammengedrängt wohnen, rücksichtslos mäßig lebende Leute des mittlem und höhern Standes und unordentlich lebende Menschen aus dem Pöbel ergriffen hat. - Es sind bis heute 879 Wohnungen gesperrt gewesen und 1401 Menschen erkrankt. Bei meinem Bataillon sind 132 Soldaten abgesperrt und beobachtet worden, weil sie im Quartier lagen, wo sich die Cholera zeigte, aber es sind davon 127 gesund geblieben und nur 5 erkrankt. - Die Aerzte haben bei uns nicht viel Glück gehabt. Wir haben deren Russische, Englische und Preußische gehabt, und Charlatans curiren auch. Es gelang jedem Etwas, und noch mehr fielen als Opfer der Kunst, an den krampfstillenden Tropfen eines Schuhmachers, Namens Haman. Eine Menge Präservative kamen zum Vorschein als unfehlbare Mittel, und der Branntwein ward in allen Farben als heilbringend angekündigt. Die Krankheit nahm trotz dem immer zu. Endlich erbarmte sich die Natur am 12ten Aug., und gab uns wohlthätiges Gewitter und Regen, was bis dahin nicht stattgefunden hatte,

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vielmehr lag dicker Heerrauch über der Gegend. Nun ward die Luft rein und die Krankheit fing an abzunehmen. Dagegen kehrten mit Abnahme der Cholera die gastritischen Fieber ein, die sich in Nervenfieber endigen. So habe ich z.B. beim Bat. von dem lOten August 40 Fieberkranke, seit dem 20sten August aber mehr als 100, und die Zahl vergrößert sich noch täglich. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 5. September 1831Ш Du verzeihst, wenn ich solche Windigkeiten schreibe um zu zeigen daß in meiner Umgebung alles im Alten lebt. Da mir die Bewegung wohlthut, so bin ich gestern gegen Abend, nach zwanzigstündigem Regnen, wieder nach Charlottenburg gelaufen ohne mich zu erhitzen und zu ermüden, und bin gegen 8 Uhr schon wieder in meinen Wänden gewesen. Man sieht bey solcher Gelegenheit was vom Weltleben übrig bleibt. Der Thiergarten war so still (am Sonntage) als ob der große Pan gestorben wäre; ein Paar Waldschnepfchen zirpten über den Wipfeln der Bäume hinweg. Alles übrige Politische und Medicinische mögen unsre Zeitungen besagen, heute so, morgen so. Nicht daß man verheimlichen oder verstellen will: vielmehr findet die beschränkte Erkenntnis den hellen Tag. Wenn das Gewächs über der Erde ist, fragt man nicht nach der Wurzel, und als gepflanzt und gesäet ward, gab es Hände genug aber kein Ohr. Gölte der Prophet in seinem eignen Lande, wo sollte die Geschichte herkommen? So nehmen wir denn was jedem zugemessen und ausgeladen wird der still hält, oder fechten und (wo möglich) überwinden. Laß mich wissen ob meine Briefe ordentlich ankommen. Unsre Post ist im Rufe der Ordnung, doch das Gewühl zu den Anordnungen so groß, daß es verzeihlich wäre wenn manches in die Rappuse ginge. Deine Briefe erhalte ich ziemlich regelmäßig nach 36 Stunden. Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, Darmstadt, 5. September 1831231 Gestern Abend um 5 Uhr wurde ich zu I. M. der verwittw. Königin und der Frau Großherzogin befohlen, wo ich aufs allerfreundlichste empfangen wurde und zwei Stunden verweilte, jedoch durch die Ankunft des G. R. Kopp daselbst erfuhr daß in Berlin auch schon 2 Cholera Todte und ernstliche Zeichen dieses Übels sichtbar geworden seyen, der König sey nach der Elbe, der Kronprinz nach San Souci abgereist etc. Du kannst Dir nun wohl denken mit welchen Gedanken ich meine Besuchsreise nach Bonn heute antrete, wozu mich nur der große Genuß die guten Eltern und Marie zu sehen und die Schnelligkeit der Reise am früheren Plan festhalten. Denn Morgen hoffe ich dort einzutreffen und ein paar Tage zu verweilen. Gewiß zu spät erinnere ich daran daß die nötigen Heizungs Mittel Torf und Holz in Zeiten angefahren sind, weil solches nun mit großen Schwierigkeiten und Kosten geschehen kann. Das Bad in Wiesbaden werde ich nun zu meinem Leidwesen aufgeben müssen da ich mir eure Beunruhigung ehe ich zurück bin denken kann und halte die Gartenwohnung wenig angemessen, dem Übel der Cholera entgegen zu sehen. In Bonn höre ich wohl etwas Neues von euch und ich werde von da auch gleich schreiben. Kann ich meinen Wagen wohlfeil mit auf dem Dampfboot einschiffen so geschiehts, um 2 Tage früher dadurch in Berlin eintreffen zu können. [...]

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Feldmsch. Gr. v. Gneisenaus Todt hat mich seit München so beschäftigt, daß ich diesen betrübenden Gedanken nicht los werden kann, und fürs Allgemeine nicht minder wirklich trostlos bin, da die alten Aspiranten für meine Einsicht, eine recht trostlose Aussicht geben und Hochmuth mit Widerwärtigkeit uns zu rechten argen Dingen führen können. Zarin Alexandra Feodorowna an Prinz Wilhelm von Preußen, Zarskoe Selo, 6. September 18312}2 Wo Ihr nur bleiben werdet während der Cholera? Das Marmor Palais ist unmöglich bewohnbar im Späthherbst. Ob Papse nicht Potsdam wählen wird als Refuge. Es wird mir so bange wenn ich denke daß die Seuche mein liebes Berlin mit allen meinen Geliebten heimsuchen wird! Gott, beschütze sie Alle! Der Tod von Gneisenau ist zu betrübt! Unersetzlich! Als ich es in Deinem Brief las, stieß ich einen schmerzlichen Schrei aus u Nikolai war so frappirt u so durchdrungen von dem Verlust. Rosa Maria Assing an Karl August Varnhagen von Ense, Hamburg, 6. September 1831233 Du erhältst diesen Brief durch Herrn Professor Osann, an welchen Assing gleichzeitig einen Aufsatz schickt: Skizze betreffend die etwaige Aehnlichkeit der von ältern Aerzten beschriebenen Cholera mit der Cholera orientalis. Es ist dieses eine Vorlesung, welche Assing im hiesigen ärztlichen Verein gehalten hat und welche sehr viel Beifall erhielt. Nicht nur von seinen Freunden, sondern auch von andern Seiten sind ihm sehr schmeichelhafte Dinge gesagt worden. Er wurde hier aufgefordert, sie drucken zu lassen, was er jedoch ablehnte; da ihn nun auch Hufeland und Osann dringend um den Druck ersucht haben, hat er sich dazu entschlossen, was mich ungemein erfreut. Karl Hieronymus Münchhausen an Luise von Echter, Sondershausen, 7. September 18312M Wie begierig warteten wir auf Nachrichten von Euch, in dieser Zeit ungewissen Hoffens! Nun ist uns endlich die Gewißheit, daß Ihr dort allen bitteren Unbilden zum Trotz eine Häuslichkeit pflegt, die uns recht vertraut erscheint und Euch, bei unveränderlicher Lebensweise, vor dem Uebel bewahren wird. Diese Cholera ist gar zu gräßlich! Eine Schrekkensnachricht folgte der anderen, nun aber will es scheinen, als ob guter preußischer Grund und Boden auch dieser Furie den Athem nimmt. Unsere Gegend ist gottlob, wie Ihr aus den Journalen entnommen habt, noch verschont geblieben. Aber Niemand soll sich in Sicherheit wiegen. Wo die Zeit aus den Fugen geraten, kann Jedes heut oder morgen getroffen werden. Vertrauet auf Gott, wie wir, der gerechte Hirte! Privatschreiben aus St. Petersburg, 8. September 18312ЪЬ Wir sind hier jetzt ziemlich von der Cholera frei, obgleich noch täglich einzelne neue Fälle vorkommen. Seit dem 15. Juni bin ich heute zum erstenmale ohne Cholerakranke. Auf Allerhöchsten Befehl werden diejenigen in den Cholerahospitälern verbliebenen Kranken, welche an Nachübeln ohne den Charakter der Urform leiden, in andere Hospitäler gebracht, doch bleiben auch nach völligem Erlöschen mehrere Krankenhäuser für die Cholera einge-

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richtet. Seit den Unruhen im Anfange des Uebels ist Nichts der Art mehr vorgefallen, die Leute haben die Hospitäler nicht mehr gefürchtet, sondern gesucht. Die Zahl der während der Cholera-Seuche in St. Petersburg verstorbenen Aerzte beträgt fünfzehn, doch bemerkt man diese Lücke bei der ungeheuern Anzahl der hiesigen Aerzte fast gar nicht. Hier erscheint nächstens eine Sammlung von Abhandlungen über die Cholera, von den verschiedenen Aerzten, welche dieselbe am häufigsten beobachtet haben. Lichtenstädt und Seydlitz, deren Abhandlungen aus den Petersburger Sammlungen bekannt sind, haben die Redaction übernommen. Aus einem Schreiben von Königsberg geht hervor, daß die dortige medicinische Gesellschaft auch die Herausgabe der während der Cholera-Zeit gemachten Beobachtungen beabsichtigt, diese sollen nicht als die Beobachtungen Einzelner abgedruckt werden, sondern es ist eine Redaction ernannt worden, welche in jedem Aufsatze über einen einzelnen Gegenstand die dahin gehörenden Bemerkungen Aller sichten und so weit es ihr ersprießlich scheint, benutzen wird. Burdach ist Mitglied dieser Redaction. Rahel Varnhagen an Ludwig und Friederike Robert, Berlin, 8. September 1831236 Zehnter Tag der großen Krankheit. Besinnungskrankheit nenn' ich's. - Ich will mich wenigstens besinnen - besinnen sollen wir uns: dazu will ich sie anwenden; die dummen Phrasen immer mehr auszurotten: „Ich muß doch nach meinem Stande leben" und solche unsinnige Sünde mehr: „Der hat mich so traktirt, nun muß ich ihm auch so und so viele Gerichte und den und den Wein geben." Das sag' ich Ihnen, liebe Rike, die Sie diese Tendenz, theils aus Generosität, theils aus schlechter Ambition haben. Lassen Sie sich im Badischen nicht von der Wohlfeilheit verleiten zu traktiren, und die Sitte Berlins dorthin zu verpflanzen; ich weiß, es ist schön so aufzutreten; aber man muß es sich verbeißen; um nicht in Sorgen zu verfallen [...]. Jetzt nur lauter Diätregeln! Die Oder ward von ihr übersprungen, und die große Krankheit senkte sich auf unsre Spreestadt. Mache sich also jeder gefaßt! Obgleich ich das Konversationshaus in Baden für göttlich halte, und zwanzigmal Tags Gott danke, mich einzig freue, daß ihr weg seid. Diät ist die Hauptsache. Nur, daß man nicht hungert, essen - du lobst dies immer so - nur Fleisch. Suppe stärkeren Kaffee, Ingwer eingemachten, und rohen geriebenen an Brühe. Kein Obst, da es nur in Luftschichten liegt: - sich Luft präparirt! Sonne in's Zimmer scheinen lassen; dann zu! Wenn sie Abends noch ganz verführerisch scheint, die Fenster zu! Will man später noch Luft, Sternenluft: - die mit Bernsteinrauch gemildert! Behutsam beim An- und Ausziehen, keine Sorte Schweiß unterdrückt: sich verhalten, als wäre man krank: möglichst für seine Leute eben so sorgen, ihnen Essen zumessen; sich bei Gott alles von ihnen schwören lassen; ihnen Flanell auf den ganzen Vorderleib, Löschpapier auf Rücken und Fußsohlen geben. Ich allen Armen, die ich erreichen kann. Haben sie nichts anders, Schnäpse Wein mit gestoßenem Ingwer, eine Stunde nach dem Kaffee: nicht in Abend- und Morgenthau nüchtern ausgehen lassen. Tuch mit Essig vor Nase und Mund. Abends nur Suppe, und sei sie von etwas Brot, und etwas Ingwer. Kein frisches noch grobes Brot. Sauer Bier, Essig, Säuren - der Tod. Nicht Schäuern erlauben; ein Mädchen starb eine Stunde drauf. Nicht früh Wasser holen, vom Abend verwahren. Nachts warmes haben. Gleich reiben, reiben, reiben; ehe der Arzt kommt, gefüllte Säcke mit Kleie, und Flanelle bereit liegen haben. Gott ergeben sein, hoffen: den Kopf behalten: sich nicht fürchten: sondern Acht nehmen. Die Binden im Bette umbehalten; Hauptsache.

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Hierbei ein gedrucktes, sehr kluges Verhaltensedikt. Casper ist sehr guten Muths. Die Menschen im Ganzen brav: wie immer bei großen Kalamitäten. Die dritte, vierte Volksklasse verständig, vorsichtig, folgsam: Kutscher, Waschfrau, Ladenleute, Bediente, Schauerfrauen, - in allen Laden Räucheranstalten seit dem ersten Tag. Schütz' uns Gott und gebe uns erhellte Gedanken! jetzt wein ich. Seid ganz ruhig. Apotheker Riedel giebt seit heute alle Mittel für Arme umsonst. [...] Casper führt sich vortrefflich auf; war schon muthig und vergnügt zweimal am Finowkanal zu Hülfe. - Komisch waren die Berliner wie immer; die ersten sechs Tage wollten sie's nicht glauben: und wallfahreten zu den Kranken nach Charlottenburg, wie nach dem Stralauer Fischzug. Wachen mußten sie vor den Spreeschiffen abhalten. Schütze, Kreaturen-Vater, Schöpfer! Ich denke, auch das ist gut. Gewiß werde ich's einsehen. Schreiben aber kann ich nicht mehr; zu präokkupirt. Komödie, Musiken, alles geht seinen Gang. Die Zeitungen sind der Erfindungen wegen merkwürdig, diese Anerbietungen! Gute darunter; als: Steinkohlentheer aus der Gasanstalt, aber in der Stadt zu Kaufe, ein Quart drei Silbergroschen. Ich will all meinen Bedürftigen welchen schicken. Alle haben sie Binden, Essig des quatre voleurs, Kaffee, Wein, Ingwer, Geld; B.'s Binden, Holzvorrath, Medizinen, alles wie ich; N. Geld und gute Nahrung. Gott, Gott! Gott dank' ich in Staub gekehrt! Λ11 с Nachbarn gut gesinnt. Lebt wohl, lebt wohl! Gott erlaube dereinst die Erzählung. Und dann nie wieder! Varnhagen grüßt noch Einmal; er ist spaziren. Der Vogel gällert, Sonne scheint! Baumwipfel ihr entgegen, wie ich zum höchsten Geist, zur großen Einsicht mich zu schwingen suche! Mein Ehrenwortl unsre ganze Familie gesund! Besuchen mich alle. Ich gehe nicht aus, weil mir das Ausgehen bei dem ersten Anfall von Influenza so schlecht bekam. Gott befohlen! Ferdinand Ries an Hubert Ries, bei Bonn, 8. September 1831237 [Ich reise] heute noch nach Bonn, reise aber heute abend 11 Uhr wieder weg und hoffe morgen abend in Frankfort zu seyn und in 14 Tagen wahrscheinlich auf meiner Reise nach dem südlichen Frankreich oder Italien - obschon ich jetzt wegen der Cholera nicht weiß, was ich thuen soll - ich habe heute gehört, daß sie schon wirklich in Berlin ist, es ist schrecklich, aber es war vorher zu sehn, ich habe keine Idee, als daß sie durch ganz Europa geht, Ihr habt sie also früher - Gott möge Dich und die Deinigen in einer so schweren Prüfung wohlerhalten: ich vermuthe, daß Theater & & alles geschlossen wird. Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, Wien, 8. September 1831238 Auf Ihren Brief vom 28. August kann ich nur mit dem Ausdrucke der Verwunderung über das Bestehen einer Irrung antworten, für welche der Schlüssel mir ganz fehlt. Am Tage selbst, wo der Kaiser die Aufnahme einer geringen Zahl von Diplomaten in den HofSanitäts-Rayon beschloß, stund Graf de Bray auf der Liste. Ich ersuchte Baron Maitzahn dieß an selben zu schreiben, da er eben eine Gelegenheit hatte, und es galt, die wenigen im Rayon vorhandenen Wohnungen zu vertheilen. Die Familie wünschte beysammen zu wohnen; ich konnte nichts dafür, noch dagegen haben. Mit einem Worte, nie war die Rede vom

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Ausschließen des Grafen de Bray aus dem Cordon und eingeladen ist er geworden, wie alle aufgenommenen Diplomaten [...]. Angewiesen ist keinem der Gesandten eine Wohnung worden. 5 Häuser stehen zu Grünberg. Man hat den Botschafter und Gesandten gesagt: Wählet und theilet Euch in die beschränkten Lokalitäten; das einzige, wo die Regierung intervenirte, ist, daß man die Preiße der Häuser moderirte, denn wie natürlich suchten die Eigenthümer die Gelegenheit zu benützen, um dieselben exorbitant zu steigern. Von Polizeywegen wurde festgesetzt, daß der Zins für den Winter den für den Sommer nicht übersteigen dürfe; eine sehr billige und für alle Theile befriedigende Verfügung. [...] Wenn der König der Wahrheit gemäß unterrichtet seyn wird, so wird dessen Empfindlichkeit gegen mich wegfallen, denn wahrlich, wenn ich keine andere als die mir zugeschriebene Schuld auf mir trage, so werde ich geradezu in den Himmel fahren, zu dem die Cholera - als eben die veranlaßende Ursache der Häuser Miethungen - das Thor recht breit öffnet. Unser Sanitätsstand ist merkwürdig. Heute ist der 28te Tag, seitdem ein Mann an der Brechruhr starb. Diese Krankheit kömmt hier jährlich öfter vor. Seitdem haben sich die Fälle aber ganz sprungweise vermehrt, d.h. sie sind auf über 40 Köpfe angewachsen, welche theils zu Hause, theils in den hiezu längst bereits bezeichneten Spitälern behandelt wurden. In dieser Zahl hat sich ein Drittheil als Cholerakranke bewiesen. Der Rest bot andere Fälle, als Nervenfieber u.s.w. dar. Was ist denn die Krankheit? Die Cholera haben wir; haben wir aber den morbus, die Seuche? Warum ergreift sie auf unserer so ausgedehnten Population nur so wenig Individuen? Nur zwey Möglichkeiten bestehen hier. Entweder ist es nur sporadische Cholera oder übt die große Fürsorge, die Festigkeit, mit der die Regierung die Sanitätsmaßregeln in tempore utili, d.h. lange vor sich Spuren der Krankheit zeigten, verordnete und ausführte, eine solche Wirkung, daß sich die Seuche unter solchen Maßregeln ersticken laßt. - Den Schlüßel wird die Zeit liefern. Die ganze Gegend ist gesund, und in den Orten, wo wirkliche Cholera bestund, Rohrau, Wüstenfeld u.s.w., ist sie sogleich erstickt worden. Die Orte sind gereinigt und als gesund wieder eröffnet. Im Ganzen hat die Krankheit zu den harten Prüfungen der Zeit gehört. Ich fürchte die moralische Cholera weit mehr als die physische. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Kobylepole, 9. September 1831219 Wir befinden uns hier alle körperlich wohl, und die frische Luft, die wir genießen, tut uns allen gut. Über unsere weitere Verpflanzung schwebt immer noch weitere Ungewißheit. Ich habe heute an General Witzleben geschrieben, daß, nachdem die Krankheit in Posen so weit abgenommen, daß gestern, wie ich höre, gar keine neuen Erkrankungen vorgekommen sind, sie dagegen Glogau schon auf wenige Meilen genähert, es mir zweckmäßiger schiene, das Armeekommando wieder nach Posen zu verlegen. Ich werde seine Antwort in jedem Falle hier abwarten. Bleibt man eigensinnig bei der Bestimmung, uns nach Glogau zu schicken, so werden wir den Vorzug in der Monarchie haben, die Krankheit zweimal in ihrem ganzen Verlaufe zu erleben; anstatt uns zu schützen, wie es doch wohl im ersten Augenblick die Idee war, wird man uns einer neuen Gefahr aussetzen. Ich für meinen Teil bin so voll Resignation, daß ich mich in alles füge. [...] Vom Prinzen Wilhelm Bruder habe ich einen zwar nicht eigenhändigen, aber doch gewiß selbstverfaßten Brief, der so schön ist, daß ich ihn Dir abschreibe:

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„Mit der tiefsten Betrübnis vernahm ich den Tod unseres hochverehrten Feldmarschalls, dessen Ruhm unvergänglich bleibt, solange als man gedenken wird der großen Zeiten, darin wir lebten, und der verhängnisvollen Tage, deren Ausgang uns noch verborgen ist. Das Vaterland verlor, wie Sie ganz richtig bemerken, in diesem Sterne erster Größe ein nicht zu ersetzendes Kleinod, die Armee einen Führer, dem keiner an Erfahrenheit, Talent und Ruf in unserem Heere an die Seite zu stellen ist, der König selbst den aufrichtigsten, treuesten, uneigennützigsten Untertan, wir alle, die ihn kannten, ein Vorbild des Heldenmutes und jeglicher Tugend. Wie sehr er Ihr Freund war, weiß ich und ehre Ihren Schmerz auch in dieser Hinsicht. [...]" Ich schreibe jetzt einen Kondolationsbrief an die Gräfin. Ich gestehe, und Du wirst das begreifen, wie er mir sehr schwer; denn unsere Empfindungen treffen sich eigentlich in keinem Punkte, und da ist es denn sehr schwer, das Passende herauszufinden. Johann Wolfgang von Goethe an Felix Mendelssohn Bartholdy, Weimar, 9. September 1831240 Damit dieses Blatt nicht länger verweile, will ich schließen und Dir in München gute Tage wünschen. Was die Deinigen dir schreiben, weiß ich nicht; ich aber würde dir rathen, einige Zeit noch im Süden zu verweilen. Denn die Furcht vor dem hereindringenden unsichtbaren Ungeheuer macht alle Menschen, wo nicht verrückt, doch verwirrt. Kann man sich nicht ganz isoliren, so ist man diesem Einfluß von Stunde zu Stunde ausgesetzt. Wilhelm Hermann Remer an Justus Radius, Breslau, 9. September 1831м Merkwürdig bleibt das Verhalten der Krankheit in Schlesien, wo immer nur einzelne Puncte davon ergriffen sind, und es gelungen ist, in diesen selbst durch strenge und zweckmäßige Maßregeln das Uebel genau einzusperren. Von diesen früher angesteckten Orten ist man so glücklich gewesen einige wieder zu entsperren und die Communication mit ihnen, ohne Nachtheil, wieder herzustellen. Seit drei Monaten haben wir die Cholera auf 10 Meilen Entfernung von hier im Adelnauer Kreise im Posenschen, und doch ist seit dieser Zeit auf dieser Seite die Gefahr uns nicht näher gerückt, dagegen auf der minder bewachten Seite, nach der Mark hin, die Oder sie uns in ein Dorf, Maltsch, 5 Meilen von hier, glücklich gebracht hat. Doch hoffen wir auch hier noch immer uns schützen zu können, obschon ich bekenne, daß diese Hoffnung fast verwegen zu sein scheint; doch geschieht, was irgend geschehen kann, und die größte Aufmerksamkeit wird auf Alles und Jedes, was Gefahr drohen könnte, verwendet. Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, Bonn, 9. September 1831242 In einer Zeit, wo viele Menschen von Furcht erfüllt sind und andre anfangen auf ihre Testamente zu sinnen, werde ich mit sehr ernsten Gefühlen und Gedanken zu dem hingeführt, was mir am liebsten ist, und also auch zu Dir, mein liebes Kind. Ihr sitzt der bösen Cholera nah, der arme Karl Treu mit seinem Häuflein mitten darin, und wer kann wissen, was Gott in seiner Weisheit über jeden einzelnen beschlossen hat? Wenigstens giebt es keine andere Rettung von der Furcht, die tausendmal schlimmer und gefährlicher ist als das Übel selbst, als sich im hohen Vertrauen und festen Gebete dem

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himmlischen Vater und seiner unendlichen und unergründlichen Barmherzigkeit in die Arme zu werfen und von seiner Liebe, Freud und Leid, wie er es sendet, tapfer zu empfangen. [..·] Wie ich die Krankheit ansehe? Sie ist ein noch ziemlich unbekannter Satanas, gegen welchen bei seinem ersten Erscheinen an einem Orte die ärztliche Kunst sehr wenig vermag. Unleugbar ist es eine ansteckende Krankheit, doch auf keine Weise in dem Maaße, wie viele andere gewöhnliche Krankheiten, z.B. Masern, Nervenfieber etc. etc. Es werden in der Regel keine große Zahl davon ergriffen, und meist auch nur die, welche durch Völlerein und Säuferei oder Schmutz und Unordnung ihr Verdauungssystem ruiniert haben. Damit man ihr nun wenig Blößen darbiete, beobachte man Folgendes. Reinlichkeit, Lüftung und Erheiterung der Zimmer, gesunde, stählende Luft. Man esse wohl verdauliche Sachen und überlade sich nie mit Essen und Trinken; ein gut Glas Wein, ein einzelner Schluck guter Branntwein sind gesund; aber das allergesündeste ist sich nicht zu fürchten; bange Furcht steckt am meisten an. [...] Liebes Kind. Nun bitte ich Dich, mir recht bald und recht viel zu schreiben - wolle Gott, Du könnest es ruhigen und heitern Muthes! - Man muß sich wenigstens in solchen geschwinden Zeiten vorstellen, daß irgend eines bald abgerufen werden kann, und also der Zeit weise gebrauchen, auf Erden noch ein wenig miteinander zu plaudern.

Ludwig Robert an Rahel Warnhagen, Baden-Baden, 9. September 1831243 So war es denn wohl unvermeidlich; denn es ist geschehen: die Cholera ist in Berlin. Ein großes Wort Aber ich spreche es keineswegs gelassen aus; es liegt mir physischdrückend auf der Brust. - 17 Krankheitsfälle, 13 gestorben und keiner geheilt. So berichtet die Gestern hier angekommene St. Zeitung. Man kann jeden Tag sterben, jeden Tag seine liebsten Menschen verliehren, es vergeht seit geraumen Jahren kein Tag, an dem ich nicht an Sterben dachte, oder an den Verlust, den ich durch den Tod der Geliebtesten erleiden könnte; ich bin also - ich will mit Seelenkraft nicht prahlen - wenigstens vertraut mit diesem Gedanken, mit diesen Bildern. Auch ist es weniger die Todesgefahr, in welcher Ihr schwebt, noch die eigene, in die ich unfehlbar auch gerathen werde, was mich ängstigt und zu jedem ruhigen Beginnen unfähig macht; sondern die Besorgniß vor Pöbelaufruhr und momentaner Auflösung aller Ordnung in einer so großen Stadt wie Berlin, in welcher so viel Gesindel, so viel aufgeputzte Armut und ein bis an Naivität gränzende schlechte Polizei existirt. Mein erster Blick in die Staats-Zeit: ist daher auf die Course, als auf den Barometer der öffentl Ordnung gerichtet, und die hohen Course der Preuß Papiere und daß noch Theater ist, bleibt mein einziger Trost bis heute. Und auffallenderweise, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß Einer von uns von der Krankheit ergriffen werde; denn ich denke immer Diät und Vorsicht und im Nothfall schnelle Maaßregeln bewahren den Wohlhabenden, Gebildeten und mit Krankheit Bekannten. Auch die Angst, denke ich, weicht wenn das Gefürchtete nun wirklich da ist; damit gleicht die Natur entgegengesetzte Übel aus, daß eines Wunsches Erfüllung weniger schön ist, als es inmitten des Wunsches, dessen gehoffte Erfüllung in der Ferne war.

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Otto von Bismarck an Bernhard von Bismarck, Kniephof, 10. September 18312M Meine Reise war abenteuerlich. Ich führte einen armsdicken Knüppel als Stütze. In Königsberg und Werneuchen durften wir garnicht aus dem Wagen und wurden von Gensdarmes bewacht. In W. bekamen wir garnichts zu Essen und in K. tranken wir Thee auf der Straße. Ich fuhr mit einem Rittmeist. von Papstein nebst Frau, einem Studenten, einem Gymnasiasten und einer recht hübschen Gouvernante. Letztere brach sich von Freienwalde bis Stargard ohne Aufhören, wurde ohnmächtig und fiel mir auf den Schoß, so daß wir in Stargard nur mit genauer Noth der Quarantäne entgingen. Wir vier Herrn spielten die ganze Reise über Karten. In Naugard wurde ich geräuchert, gebadet und blieb die Nacht in dem Contumazhause. Unsre Gegend ist bis auf Stettin und Gollnow, wo 3 gestorben und 1 genesen, noch frei. In Stettin hat man sogar mit Kartätschen schießen müssen, und 17 sollen geblieben sein; die ganze Stadt ist noch unter Waffen. In Stargard haben ebenfalls bedeutende Aufläufe stattgehabt; auch die Bauern hier und anderswo zeigen bei jeder Gelegenheit Ungehorsam und widersetzen sich geflissentlich den Anordnungen; da man ernstliche Unruhen befürchtet, so ist die Landwehr fast überall marschfertig. Der gemeine Mann glaubt steif und fest, daß alle Kranke vergiftet werden. Wir entwerfen schon Pläne zur Befestigung Kniephofs. In Külz und Zechelin stehen Wachen mit Landsturmpiken, die mich bei meiner Ankunft gar nicht durchlassen wollten. Friedrich Peter Ludwig Cerutti an Justus Radius, Berlin, 10. September 1831м5 Seit 48 Stunden nimmt bei uns die Cholera, die im ersten Ausbruche überall so schnell verläuft, daß die schnellste ärztliche Hülfe zu spät kommt, schon denjenigen gelinden Verlauf an, wo sie dem Arzte Zeit läßt zu helfen. Löblich ist die Mortalitätszusammenstellung, die der „Beobachter an der Spree" heute giebt. Die Cholera beurkundet sich auch hier, wie anderwärts, als Mortalitätsmesser: sie erfaßt fast lediglich Fehlerhafte, d.h. solche, die entweder jetzt oder in früherer Zeit unmäßig lebten oder die, welche bei irgend einer Körperschwäche kürzlich einen großen oder kleinen Diätfehler begingen, welcher Natur er auch sein mochte. Das Treiben des Pöbels bei dieser Seuche ist psychologisch fast unerklärlich. Daß das im Elende lebende Volk nicht an die Existenz oder Gegenwart der gefährlichen Cholera glauben will, - nun das ist allenfalls erklärlich, denn was man nicht wünscht, das glaubt man nicht gern; aber daß man die Aerzte, die freilich in Gemeinschaft mit der Bürgerschutzcommission bei Erkrankungen Sicherheitsmaßregeln in den Häusern und, wo es die kärgliche Localität durchaus zum Wohle der Kranken und der Gesunden erfordert, die Fortschaffung der Kranken nach den öffentlichen Heilanstalten anordnen, daß man die Aerzte fast insultirt, den Krankenkörben und den Leichenwagen in der Dunkelheit mit Geschrei, z.B. Vivat die Cholera nachläuft, - das erkläre mir einer! - Ja wenn erst durch Zuschließen mancher Fabriken die Brotlosigkeit neben der Theuerung mancher Gegenstände des gewöhnlichen Lebens noch mehr über Hand nimmt, dann wird ein frevelhaftes, unruhiges Beginnen weniger befremden. Dr. Kablow, ein junger Arzt, der die Contagiosität läugnete, kostete, um seinen Satz zu beweisen, das Blut eines Erkrankten und starb 12 Stunden darauf mit dem schmerzhaftesten Tode.

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Johann Bartholomäus Trommsdorffan Christian Wilhelm Hermann Trommsdorf, Erfurt, 10. September 1831ш Wir sind bis jetzt noch Gottlob! alle gesund. Daß die Cholera in Berlin ist, wirst Du aus den Zeitungen wissen. Sie rückt uns immer näher. Das beste Vorbauungsmittel ist wohl Furchtlosigkeit, frische Luft, Reinlichkeit und sehr strenge Mäßigkeit. Besonders schädlich hat sich der Genuß des Obstes, auch des reifen, u. des Brandeweins gezeigt. Die, welche gleich Anfangs dazu gethan haben, schnell ein warmes Bad nahmen, und warmen Pfeffermünzthee nebst Liq. ammo[n]ii acetici, u. andere schweißtreibende u. tonische Mittel verbunden mit Opiaten gebrauchten, sind meist davon gekommen. Sollte die Krankheit bis Frankfurt kommen, so wird es ja dort wohl auch an tüchtigen Ärzten nicht fehlen. Die Pfeffermünze macht sich sehr rar u. theuer, ich reiche nicht aus, sieh zu ob Du von Frankfurter Materialisten oder dortigen Apothekern noch 1 oder 2 Centner für mich kaufen kannst, wenn Du nämlich den Centner zu 50 Thalern bekommen kannst. Um sich vor der Cholera möglichst zu schützen ist durchaus nöthig: sich für jeder Erkältung zu hüten, besonders Unterleib und Füße warm zu halten, was man für jetzt allgemein thut. Die Mutter trägt Dir daher auf, daß Du wollene Strümpfe trägst, u. ein Jäckchen von feinem Flanell auf den bloßen Leib. Ferdinand Ries an Hubert Ries, Frankfurt/Main, 10. September 1837247 Vater habe ich recht wohl gefunden - Hier auch alles - meine Frau ist viel besser - so eben kömmt Ferdinand von Marburg an - ich ließ ihn kommen, weil ich in 10 Tagen nach Italien reisen wollte - habe mich aber jetzt entschlossen, wegen meinen Kindern hier zu bleiben und die Cholera ruhig abzuwarten - Die Nachrichten von Berlin scheinen besser zu seyn, als man erwartete - und man beruhigt sich mehr. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 10. September 1831Ш Ich danke Dir meine liebe gute Mari[e] daß Du Deinem Versprechen so getreu nachgekommen bist, u mir gleich nach Ausbruch der traurigen Cholera in Berlin geschrieben. Hauptsächlich hast Du mich durch den glücklichen Entschluß den Dein lieber Hegel gefaßt hat, mit Dir im Garten wohnen zu wollen außerordentlich beruhigt. Die Nähe des Kupfergrabens u der von so manchen Leuten bewohnte Keller machte mir große Sorge. Ich tröste mich, wie so oft schon in meinem Leben mit der treuen Aufsicht Gottes der da über alles wacht, u die Seinen im Leben führt, u im Tode beseligt. Seine Wege sind unerforschlich u höchst weise, wir sind sie zu begreifen nicht im Stande, aber dennoch können wir ihnen vertrauen, er wählt die besten Mittel zu Errichtung seiner Endzwecke, die uns ebenfalls verborgen liegen, u über alles menschliche Wissen u Suchen reichen. Mit vieler Thätigkeit bereitet man sich auch hier zum Empfang der traurigen C[h]olera. Gottlob aber ängstigt man sich nicht so sehr damit. Mit der Einrichtung der Spitäler wird man in nächster Woche fertig, u da wie ich Dir schon sagte unsere Meinkinderschule nebst dem ganzen Locale des Katharinenklosters zur Aufnahme eines Spitals bereitet wird, so sah ich gestern dort die Körbe nach Menschengröße gemacht, vorn mit einer Bedeckung über dem Kopf, in welchen die Kranken transportiert werden, u welche dann zugleich zum Dampfbad für die Patienten gebraucht werden. Die Polizei hat mehrere Maßregeln angeord-

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net für Reinlichkeit der Straßen u Häuser u hält darüber. Die Districtsärzte sind ernannt, - u überhaupt scheint alles vorbereitet zu seyn, wir u unsere Anstalten werden nicht überrascht werden. - Wirklich war Dein Brief nicht in Berlin, sondern nach dem daran befindlichen Zeichen, an unserer Gränze in Hof durchstochen u geräuchert. Schwarzens hoffen mit einem Präservatif welches ein Toback-Fabrikant in Lemberg mit bestem Erfolg nehmen ließ, ihre Fabrick zu bewahren. Unter anderem macht ihnen Luise wollene Leibbinden - über Hals u Kopf. Ich hoffe wiederholt Briefe von Dir zu erhalten liebe Mari[e], Lulu Brentano an Gunda von Savigny, Paris, 10. September 183Iй9 Ich habe Deinen Brief nicht sogleich beantwortet weil ich mir wohl denken konnte daß Du Deinen Sohn nicht der langweiligen Quarantaine aus[zu]setzen wünschst und also nichts in diesem Augenblick versäumt seie. [...] Nun muß ich Dir noch bemerken daß es wahrscheinlich ist daß wir zu seiner Zeit auch mit der Cholera heimgesucht werden. Findest Du es nun rathsamer Deinen Sohn wenn er wie wir zu Gott hoffen wollen einmal glücklich durch die Anstekkung gekommen ist, noch einmal der Gefahr auszusetzen - welche vielleicht bei dem Wechsel der Wohnung und des Climas bedeutender sein könnte? Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, Posen, 11. September 1831250 Die erste Frucht dieses herrlichen Sieges [über Polen] ernte ich selbst; denn so Gott will, wird man nun keinen neuen Oberbefehlshaber mehr ernennen, zu dem man ja den Prinzen August schon ganz allgemein bezeichnete. In dieser Voraussetzung habe ich es auch nicht mehr für nötig gehalten, nach Glogau zu gehen. Da nun dadurch meine Kontumaz unnötig wurde, in diesem Augenblicke aber die Führung des Oberbefehls aus der Kontumaz sehr bedenklich war, weil dabei viel versäumt werden konnte, ich auch in meiner Stellung die Sachen mit dem General Röder immer möglichst mündlich abzumachen oder wenigstens vorzubereiten suchen muß, so hat mich das alles bewegen müssen, die Kontumaz aufzugeben und hierher zurückzukehren. Ich war dazu um so mehr berechtigt, als der König mir damals durch Thile schreiben ließ, daß, wenn ich zuviel Schwierigkeiten dabei fände, die Geschäfte von der Kontumaz aus fortzuführen, ich vorderhand in Posen bleiben könnte. Alle diese Gründe habe ich in meinem gestrigen Berichte an den König vorgetragen. [...] Ich denke, daß mein hiesiger Auftrag noch etwa vierzehn Tage dauern kann; dann werde ich wohl noch eine dreiwöchige Kontumaz zu überstehen haben, um nach Breslau zu kommen. Leider wird damit noch nicht der Zeitpunkt unserer Wiedervereinigung bezeichnet sein; denn bevor Ihr nicht mit der Cholera über den Berg seid, und Du wegen Deiner Mutter ganz beruhigt sein kannst, was doch wenigstens noch auf zwei Monate hinauszuschieben ist, kann ich nicht wünschen, daß Du Berlin verlassest. Ob Du alsdann auch noch eine dreiwöchige Kontumaz zu überstehen haben wirst, um nach Breslau zu kommen, läßt sich nicht übersehen.

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Johann Wolfgang von Goethe an Johann Friedrich Rochlitz, Weimar, 11. September 1831251 Wir erhalten die Briefe von Berlin durchstochen, wie sonst nur von Constantinopel: von Nordosten droht uns ein unsichtbares ungeheures Gespenst, von Südwesten ein halb sichtbares aufgeregter Völkerschaften von welchem Übel sogar in Leipzig die gefährlichen Symptome nicht fehlen. Und so haben wir nur Ihrer edlen Weise zu folgen, still und gefaßt auf unserm Flecke zu stehn und das Unvermeidliche über uns weg und, wenn das Glück gut ist, an uns vorbeygehn zu lassen. Prinz Wilhelm von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, Potsdam, 11. September 183l252 So habe ich Dir also noch gar nicht schreiben können, seitdem die leidige Cholera bei uns ist! Noch ist sie auffallend gelinde in Berlin hinsichtlich der Ausbreitung, wenngleich die Zahl der Sterbenden bedeutend ist, wie fast immer anfangs. Wir sind, fürchte ich ä la veille vor Erneuten so gut wie bei Euch und in anderen Städten bei uns. Noch tut sich die Stimmung der basse classe nur in Ungezogenheiten, die aber nur einer profunden Immoralität und Irreligiosität entspringt, kund, indem bei den Beerdigungen der an der Cholera Verstorbenen sich stets eine Masse Menschen versammeln, die Hurrah, Vivat die Cholera etc. rufen! Es ist ordentlich scheußlich, Beerdigungen so zu begleiten, abgesehen davon, ob das Publikum nun gern an die Krankheit glauben will oder nicht. Die Polizei soll sich dermaßen für Aufläufe fürchten, daß sie diese Ungezogenheiten ungestraft gehen läßt, nicht beachtend, daß dadurch der große Haufen grade kühner gemacht wird und sich zu sehr ärgerliche[n] Szenen bereitet, wenn endlich zwischengefahren werden muß. Papas Konklave in Charlottenburg ist bereits ganz abgesperrt. Es wäre der Ort, den ich zuletzt gewählt hätte, auch sind alle Ärzte außer sich! Gott wird schützen! - Wir sind nun hier im vorbereiteten Konklave. Geschlossen ist es noch nicht, indem Potsdam noch ganz gesund ist. Caroline von Egloffstein an Julie von Egloffstein, Marienrode, 12. September 1831253 Du hast in Gneisenau einen treuergebenen Freund verloren, er ist jedoch nicht an der Cholera, sondern an Lungenlähmung im 71. Jahr gestorben - une maladie dont on ne guerit jamais. Es soll kein Krieg werden auf der Welt, darum läßt die Vorsehung alle Generale sterben und darum muß eine große Epidemie einmal die Menschenmenge verringern. Hans Ernst von Kottwitz an Johann Hinrich Wichern, Berlin, 12. September 1831гьА Überall wo Seine ärmsten Kinder gehen - auf Ihm nach Seinem Wort vertrauen, nicht nach andern Göttern schauen - läßt Gnade wehen, zeigt ihnen den besten Weg um Seines Nahmens willen, daß sie Sein inne werden - es ist der Herr - schon auf dieser armen Erden. - Bricht dan[n] auch die Cholera ein, so giebts wohl nur mehr oder weniger, in dieser Zeit der Abwendung von ... und Recht, von Christo und dem Glauben an Sein Wort, (der den Weisen dieser Welt so ferne liegenden Einfalt in Jesu Christo Jesu), sehr schwere Zeiten, doch im Genuß seiner Allgenügsamkeit, sehr seelige Zeiten!

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Privatschreiben aus Wien, 12. September 1831255 Was soll ich Ihnen, mein werther Freund, über die sich unsern Mauern immer mehr nähernde Cholera sagen, wie soll ich Ihnen die Angst der meisten Menschen und die thätige Vorsicht der Regierung beschreiben? Man hört fast kein anderes Gespräch, als von ihr, der Grausamen, die uns verheerend droht. Schon hat sie sich in Ortschaften in Ungarn, welche nur wenige Meilen von unserer Hauptstadt entfernt sind, gezeigt. Der Cordon ist zwar strenge gezogen, allein kluge Aerzte behaupten, wenn die Krankheit auch durch dieses Mittel längere Zeit zurückgehalten werden kann, so theile sich der Ansteckungsstoff am Ende, wenn seine Wuth auf das höchste steigt, doch auch selbst der Luft mit, und überfliege auf diese Art Mauern und Cordone. Wir sind übrigens darauf gefaßt und alle Vorbereitungen sind getroffen. Moritz Veit an Leopold Schefer, Berlin, 13. September 1831256 Die Cholera ist hier in Berlin im Ganzen umgänglicher als in der russischen Wildniß; ja die Aerzte hoffen ihr den elementaren Schrecken zu rauben, der ihrer Erscheinung vorausgeht. Es wäre ein Sieg der Civilisation, dies Ungethüm gezähmt zu haben, und er würde uns, als den Grenzhütern des Westens, wohl anstehen. Aber wo sie trifft, ist sie fürchterlich, nicht allein für den Kranken, sondern, selbst im besten Falle, auch für die Umgebung. Denn alle Schrecken und Jubel der Krankheit, die gespannte Furcht, die dämmernde und gekrönte Hoffnung, die sonst Tage, Wochen und Monde auseinander liegen, drängen sich hier in die Enge weniger Stunden zusammen. Erhalte Ihnen der Himmel die Gesundheit Ihrer Stadt. Gerade in dem Hause, welches ich bewohne, sind bereits sechs Krankheitsfälle vorgekommen und darunter einer meiner nächsten Verwandten erkrankt, der aber durch die schleunigste Hülfe gerettet worden ist. Rechts und links schlägt die Krankheit blitzartig ein. Ich schreibe Ihnen dies ganz in der Eile, wie in der Schlacht, und fast gemahnt mich's wie Jünot vor Toulon, den die Kanonenkugel, die dicht neben ihm einschlug, den Sand auf das nasse Papier streute. Hans Ernst von Kottwitz an Johann Hinrich Wichern, Berlin, 13. September 1831257 In meiner Anstalt haben sich bis jetzt drey Cholera Fälle jedoch also ereignet, daß Seine Geduld, Heben und Tragen nicht zu sagen ist. - Professoren und Studenten sind was nur reisen kon[n]te, abgereist. Wie bald oder wie ferne, der Gesundheitszustand al[l]hier wieder gantz unverdächtig erklärt werden dürfte, läßt sich nicht bestimmen, doch ist seit gestern in mehrerer Beziehung, einer beruhigenderen Hoffnung Raum zu geben. (Nachschrift: jedoch heute v. 14ten ist die Hoffnung eher geschwunden) ich mußte gestern dieses Schreiben abbrechen, indem ich durch den Theuren Prediger Rolle dem Begräbniß seines Neffen eines 22 jährigen Jünglings beizuwohnen eingeladen war. [...] Seit die Cholera eingebrochen ist, hat sich die Zahl der Communikanten außnehmend vermehrt und es gibt ein mehr sich darlegendes Fragen und Flehen, ach wo krieg ich ... wen[n] Er doch mein Heyland wär! Alles Äußere ist zwar an sich nur ein äußeres, doch ist das Hände-Falten ein Beßeres als groß und breit da stehen ohne in Wahrheit zu flehen, den[n] wen[n] einer sich selbst helfen kan[n], so sehe er zu, wie er mit solchem Handel gelehrten Truges zu rechte komme und bleibe lieber auß der Kirche zurück. - Anderer Seits wird von der Mehr-Zahl, die schon in der Schule

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vom richtigen Wege ab und zu eitler Lehre verführt wurden, nur Leichtsin[n] und Spot[t] getrieben, so daß es scheint, daß das Unkraut der Ernte schnell entgegen reifte. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 13. September 1831258 Die Tage rennen vorüber und den kürzesten entgegen, die auch ihr Gutes haben mögen. Unsere Singakademie hat kurz nacheinander zwey Requiem unter sich selber zu bestehen gehabt. Zwey Mitglieder sind plötzlich gestorben und der letzte, der Justizrath Wollank, an der erklärten Asiatischen Cholera, in wenigen Stunden; doch ist keiner in unsern Wänden erkrankt. Oeffentliche Gebäude werden hier geräuchert bis zum Ekel und Ueberdruß. Hier im Hause wird allein für frische gesunde Luft gesorgt; verständige Nachfolger thun das Gleiche. Justus Liebig an Friedrich Wähler, Gießen, 13. September 1831259 Ich freue mich unendlich, Dich wieder in meiner Nähe zu wissen, weil mir dies Hoffnung giebt, Dich auch hier zu sehen. Daß Du nicht ohne Ueberwindung von Schwierigkeiten von Berlin weggekommen bist, kann ich mir denken, jedenfalls ist es von Magnus sehr honett, daß er sich entschlossen hat, Dich für die Zeit Deiner Abwesenheit zu vertreten. Welche Angst mag Deine arme Frau ausgestanden haben, bis sie Dich wieder in Cassel sah. Friedrich von Uechtritz an seine Eltern, Düsseldorf, 13. September 1831260 Vor allen Dingen den herzlichsten Dank für Eure guten lieben Briefe, die mir die größte Freude gemacht haben. Ich denke in diesen Tagen besonders viel an Euch, da ich ja voriges Jahr um diese Zeit in Eurer Mitte so glücklich war. Leider wird dieser Gedanke durch die Euch und auch uns hier immer näher rückende Cholera sehr getrübt, die nun bereits in Berlin zum Ausbruch gekommen ist. Aber so weit die Nachrichten von dorther gehn, dort bei weitem milder als an andern Orten zu verfahren scheint. Man muß nur überhaupt nicht vergessen, daß der Tod immer unter uns ist, daß immer tödtliche Krankheiten herrschen und daß die in jedem Augenblick über uns schwebende Todesgefahr durch die Cholera wahrhaftig nicht so vermehrt wird, daß es die große Furcht, die man überall davor hat und des Aufhebens, das man davon macht, verdiente. Zumal es sich immer mehr herausstellt, daß man sich durch Diät u.s.w. in einem solchen Grade davor schützen kann, wie z.B. weder vor Nervenfieber noch Ruhr. Vergeßt nur nie, wenn Ihr die Krankenliste aus Berlin seht, daß Berlin 240 000 Einwohner hat. Ich schreibe Euch dies, weil ich gern das Meinige beitragen möchte, um Euch wegen unsres lieben Theodor zu beruhigen, denn was Euch selbst betrifft, so habe ich noch immer die Hoffnung, daß das giftige schmutzige Scheusal sich in Eure Berge nicht verirren wird. - Mir für meinen Theil kommt die Cholera noch von einer andern Seite in die Quere, indem ich nicht weiß, wie es unter diesen Umständen mit der Aufführung der Rosamunde in Wien werden soll, wo das Unthier auch schon mehrere Wochen vor den Thoren lauert. Jedenfalls muß ich die Zeit für sehr ungünstig dazu halten und war schon entschlossen an West zu schreiben und selbst um Aufschub zu bitten, aber theils ein gewisses Vorurtheil, das ich habe, so wenig als möglich in die Räder meines Schicksals zu greifen, theils der Umstand, daß ich aus den Berliner Zeitungen ersah, daß dort, der Cholera ungeachtet, die Theater noch immer besucht und neue Stücke mit Beifall aufgenommen

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werden, hielt mich zurück. Glaube deshalb nicht, beste Mutter, daß meine Sorge wegen der Rosamunde so weit geht, um meine Gesundheit darunter leiden zu machen. Julius Goldberg an Johann Nepomuk Rust, Kaiisch, 14. September 1831261 Ich hatte Gelegenheit diese Krankheit in allen ihren verschiedenen Graden zu beobachten und zu behandeln indem ich als ordinirender Arzt am Militär-Cholera-Hospital in Powazek bei Warschau vom 28. Juni bis 30. Juli fungirte und in dieser Zeit 864 Kranke behandelt habe, von denen nur 214 gestorben sind. Als sich die Cholera-Epidemie in der Wojewodschaft Kaiisch verbreitete, wurde ich von der Regierung hierher gesandt, um in den Kreisstädten Spitäler anzulegen und den Cholera-Kranken Hülfe zu leisten; in dieser Gegend hatte ich wieder Gelegenheit mehr als hundert Kranke zu behandeln. In Powazek hatte ich meine Kranke in zehn Säle (Barraken) und in jedem Sale wurde eine andere Kurmethode eingeschlagen. Allein nur zu bald sah ich ein, daß es verwerflich ist eine Methode bei allen Kranken anwenden zu wollen; ich fing an zu individualisiren, und dies krönte meine Bemühungen. Auguste Fürstin von Liegnitz an Marie Therese von Harrach, Charlottenburg, 14. September 1831262 Den Tag vor meinem Geburtstag ereignete sich der erste Cholerafall in Charlottenburg. Die Ärzte befahlen uns, nach Berlin zu ziehen, was auch geschah. Bald nachher trieb uns die Cholera wieder hierher, wo wir nun in Geduld warten müssen, was uns der Himmel schickt. Manche Dir nur nicht zu große Sorgen um mich wegen der Cholera. Ich gestehe wohl, daß mir der erste Fall großen Eindruck machte, und daß ich auch in manchen Momenten recht ängstlich bin, allein im ganzen habe ich mich schon mehr an den Gedanken gewöhnt, da ich doch leider nichts dagegen tun kann, als uns alle dem lieben Gott zu empfehlen. Er bewahre Euch vor dieser Plage. Wir leben hier sehr Diät und regelmäßig, das ist das beste Präservat. In meinem letzten Brief hatte ich auch das Muster eines Pflasters eingelegt, was von der Lobkowitzischen Familie in Galizien sehr angepriesen wird, und sie, wie es heißt, vor der Cholera bewahrt hat. Hier ist es noch einmal. Sehr gut soll es sein, warme Binden um den Leib zu tragen; auch wird jetzt ein sehr einfaches Mittel als untrüglich empfohlen, man stellt nämlich Teer am liebsten Steinkohlenteer, in einem Gefäß an die Haustür oder auf den Flur und wirft von Zeit zu Zeit einen, ich glaube, heißen Stein hinein, damit ein Rauch daraus aufgeht, und diese soll die Krankheit ganz abhalten. Der König ist im ganzen recht wohl, natürlich betrüben ihn alle diese Ereignisse sehr. Die Unruhen in den verschiedenen Städten waren auch nicht erfreulich. Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, Jüterbogk, September 1831263 In Berlin sollen bereits die Kupferkügelchen Cholera-Kranke gerettet haben. Man sagt, namentlich durch eine verwittwete Frau von Arnim, geb. Brentano, die von Ihnen selbst unmittelbar sich das Kupferpräparat habe schicken lassen, sey diese segensreiche Behandlung angestellt worden. Ich kenne diese ingeniöse Frau persönlich. Sie lebt und webt für die Homöopathie.

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Briefe Sommer 1831 Christian Wilhelm Hermann Trommsdorffan Johann Bartholomäus Frankfurt/Main, 15. September 18312M

Trommsdorff,

Es thut mir sehr leid, Dir in diesem Augenblick Deinen Auftrag nicht besorgen zu können, da die Pfeffermünze wohl nirgends spärlicher sein kann, als gegenwärtig in unserer Gegend. Man sieht jedoch bedeutenden Sendungen von den Niederlanden und England entgegen, so dass ich Dir vielleicht in einigen Wochen eine bedeutende Qualität besorgen kann. Von dem Tage an als die Nachricht von dem Ausbruch der Cholera in Berlin hier eintraf, wurden die gegen dieselbe empfo[h]lene Mittel so sehr verlangt, dass nicht nur in einigen Tagen der Preis von mehreren Gegenständen aufs drei und vierfache stieg, sondern bald viele Materialisten ganz ausgekauft worden, und die Apotheker, um dieses vorzubeugen, nicht mehr als 1/2 Pf. von mehreren Kräutern auf einmal verabreichen. Herr Hörle hat nach allen Gegenden um Pfeffermünze und Melisse geschrieben, bis Strassburg, Cölln und Duisburg, bis jetzt sind aber lauter abschlägige Antworten eingelaufen mit dem Bemerken, dass überall ein gleicher Mangel herrsche. [...] Vor der Cholera haben die reichen Frankfurter grosse Furcht und eine Menge Broschüren mit Verhaltensmaassregeln und Mittel aller Art sind hier erschienen. Im Geschäft haben wir seit einiger Zeit mehr mit der Cholera als mit Receptur zu thun; erwähnte Kräuter, Chamillenöl, Pechpflaster, und der in den Zeitungen anempfo[h]lene Spiritus, hier unter dem Namen Choleraspir. officinel sind so die gangbarsten Artikel. - Wollene Strümpfe und Jäckchen zu tragen, war ich selbst schon Willens, und habe mir von ersteren bereits 1/2 Dutzend zugelegt. Übrigens sind wir hier noch ganz ruhig und erwarten die Cholera ohne Furcht, besonders da sie in Berlin nicht so um sich zu greifen scheint, wie an vielen anderen Orten, und die Anzahl der Erkrankten jetzt noch nicht bedeutend ist. Nikolaus Lenau an Matthias Leopold Schleifer, München, 16. September 1831265 In trüberer Zeit hat wohl nie ein Freund dem anderen geschrieben, als ich Dir heute. Warschau ist über, die Cholera ist in Österreich und verheert die Menschheit in dem geliebten Lande. „Es ist halt nichts!" muß ich ausrufen wie jener Wilddieb. [...] Es ist halt nichts, sag' auch ich, mein lieber Schleifer, wenigstens diesseits nichts! - Mir ist fürchterlich wehmütig ums Herz. О mein Schleifer! könnte ich Dir je[t]zt die Hand drücken, und diese Thräne an Deiner Brust vergießen! [... ] Es sind vielleicht Briefe an mich nach Gmunden adressirt worden, ich wollte Dich nämlich diesen Herbst auf einige Wochen besuchen. Das muß nun leider unterbleiben, weil ich sonst Contumaz halten müßte auf meiner Rückreise. Es müßte mich denn das Heimweh und die Sorge um euch so greifen, daß ich auf einmal unter euch stünde. Gott sei mit euch. Ich umarme Dich nochmal, mein geliebter Freund. Gott sei mit euch! - Binnen fünf Tage schreib' ich Dir wieder, ganz gewiß. Christian Daniel Rauch an Agnes Rauch, Aachen, 16. September 1831266 Seitdem ich durch die freundliche Bemühung des Abschreibens der guten Marie Nachricht von Euch habe, bin ich um vieles beruhigter, obgleich dieser Brief schon am 7. d. Mots, von Eduard an die Mutter geschrieben war und seitdem die Besorgnis um Euere Ge-

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sundheit (nach der Allgem. Staatszeitung vom 12.) in wechselnder Spannung erhalten wird und sehnlicher als je einigen Zeilen von Euch auf meine vielen Briefe entgegensehe. [...] Bitte Rietschel doch daß er mir ein Wort über das Arbeiten im Atelier Nachricht gibt und Herrn Tieck, welchem Du hiervon nichts zu sagen brauchst, wäre es gut zu bemerken daß, wenn die Arbeiter durch die Cholera von den Arbeiten abgezogen würden (ich meine dadurch zerstreuet daß sie nicht arbeiten) die Wochenzahlungen darnach einzurichten und nicht unnöthig mich mit schweren Ausgaben in dieser Zeit zu belasten. Eduard habe ich auch schon darüber geschrieben und Du brauchst also nur zu erinnern. [...] Der Universitäts Richter Krause rief mich diesen Morgen ins Bad, daß Wollank, eine Geheim Rätin und ein behandelnder Arzt, welcher das Blut eines Cholerakranken vergleicht, in Berlin gestorben seyen, und die Ärzte namentlich große Besorgnisse über das Übel aussprächen. Dem Himmel sei es nur gedankt, daß die polnischen Geschichten beendigt und hoffentlich für immer getilgt sind und nur noch das zur Zeit böse Prinzip im Westen herrscht, gegen welches nun auch eine andere Sprache geführt werden kann. Auch den betrübten Zustand in Bayern und Baden, dieser Landplage ein Ziel gesetzt werden kann, denn sonst fürchte ich, sitzen die Deputierten bis nächstes Jahr und verschwatzen den Schweiß der Untertanen um dieselben mit Majestät selbst und ihren Fürsten zu entzweien. Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, Bonn, 16. September 1831267 Eben hatte ich meinen Brief in Angelegenheiten der berüchtigten Cholera an Dich aus dem Hafen laufen lassen, als Dein dießmal recht ausführlicher Brief ankam, der uns recht viel Freude gemacht hat [...]. In Hinsicht meiner Ansicht wegen der Cholera, geliebtes Kind, bleibt es bei dem in meinem vorigen Briefe Geschriebenen ... Nicht mörderischer übrigens ist diese Seuche, als manche gewöhnliche; sie schreckt nur ungewöhnlich wegen ihrer häufig entsetzlichen und geschwinden Todesfälle. Vertraut ihr nur dem höchsten und lichtesten Hort und Retter, der euch dieses Jahr wieder mit seinem Segen heimgesucht hat - hoffentlich wird er euch und eure lieben Kinder noch lange der Freuden dieses irdischen Daseins genießen lassen. Wir aber alle wollen herzlich für euch hoffen und beten, so oft wir für unsre eignen Schätze die Hände und Herzen zum Himmel erheben. Nun bitte ich Dich, schreibe mir, sobald Du diesen Brief in die Hände erhältst, sogleich und zwar recht ausführlich wieder, und so immer fort. Wir fürchten uns vor keinem unschuldigen Blättchen Papier, das aus einer verdächtigen Gegend kommt. Ja wir bitten recht sehr, wie sehr wir auch wünschen müssen, jetzt öfter als früher von euch zu hören. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bernburg, 17. September 18312№ Also auch bei Ihnen hat die anrückende Cholera alles geschäftig gemacht u. wahrscheinlich wird man dort eher zum Ziele kommen als bei uns, wo man bereits seit 6 Wochen Anstalten getroffen u. dennoch der größte Wirrwar entstehen würde, wenn sie plötzlich erscheinen sollte, was doch so leicht möglich ist. Das Gerücht, daß sie in Burow beim Anhalt[ischen] Städtchen Coswig jenseits der Elbe sei, ist noch nicht gehörig aufgeklärt. Es

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sind 3 Menschen unter ähnlichen] Symptomen gestorben, der Physicus hat es auch für d[ie] asiatisch[e] Ch[olera] gehalten, ein bedeutender Arzt aus Dessau dagegen nicht. Man glaubt hier, daß sie sich noch jenseits der Elbe eine Weile halten werde, bevor sie auf das dießeitige Ufer gelangt; ja Viele meinen sie wird den Fluß nicht überschreiten. Hier ist alles was irgend ein Arzt dagegen verordnet hat in Aufnahme gekommen u. wir haben besonders einige Tage außerordentlich viel Geschaffte gehabt, jetzt läßt's wieder etwas nach da man sich sicher wähnt. Friedrich Wähler an Jons Jacob Berzelius, Kassel, 17. September 183l2m Wenn nicht Magnus schon eine Explication gegeben hat, so werden Sie sich wundern, von mir einen Brief zu bekommen, der nicht durchstochen und nicht durchräuchert ist und dessen Datum „Cassel d. 17. Sept. 1831" heißt. In der That bin ich schon seit 14 Tagen hier, obgleich ich keine Ferien, aber doch Urlaub auf unbestimmte Zeit habe. Ich habe von Berlin Reißaus genommen, so wie dort die Cholera ausbrach, aber nicht aus persönlicher Furcht, wie ich wohl kaum zu erinnern brauche, sondern wegen der auf keine andere Weise zu beruhigenden Besorgnisse meiner Frau und meiner Anverwandten um meinetwillen. Die Angst, die sich meiner Franziska bemächtigt hatte, war so bedenklicher Art, dass für Ihre Gesundheit Alles zu befürchten war, und durch die Alternative, die sie auf eine sehr entschlossene Art gestellt hatte, dass ich entweder hierher kommen, oder sie zu mir nach Berlin reisen müsse, geriethen auf der einen Seite ihre Eltern, die sie nicht fortlassen wollten, und auf der anderen Seite ich in nicht geringe Bedrängniss, da ich sie um ihrer selbst und den Eltern wegen eben so wenig unter solchen Umständen nach Berlin wollte kommen lassen. Dieser fatalen Lage war nur dadurch ein Ende zu machen, dass ich mich kurz entschloss, um Urlaub nachzusuchen, was auch für mich dadurch in Beziehung auf meine Stellung entstehen und in wie zweifelhaftem Lichte ich dadurch auch Vielen erscheinen mochte. [...] Dass ich schon so früh wegreiste, noch ehe die Cholera officiell ausgebrochen war, hatte darin seinen Grund, dass ich später nicht ohne eine 3 wöchentliche Quarantaine über die Elbe gekonnt hätte. Jetzt ist diese Quarantaine freilich nur in eine 5tägige verwandelt worden. So sitze ich nun hier, zwar nicht in aller Ruhe, sondern ziemlich bekümmert, um alle meine Verhältnisse in Berlin, weil ich nicht einsehe, was am Ende aus der Geschichte werden soll, da die Krankheit in Berlin natürlicherweise in stetem Fortschreiten begriffen ist, und meine Frau mit der größten Bestimmtheit auf ihrer Alternative beharrt [...]. Wenn Sie eine Vorstellung von der lächerlichen allgemein verbreiteten Angst hätten, die sich Aller gerade an den Orten, wo die Cholera noch nicht ist, bemächtigt hat, Sie würden es eher begreiflich finden, wie eine kleine Frau, die ihren Mann 50 Meilen weit entfernt und allein in einer Stadt weiß, wo die Krankheit wirklich ausgebrochen ist, aus Besorgniss um ihn geistig und körperlich krank werden und diesen Mann zu solchen tollen Schritten bewegen kann. Es ist aber auch wirklich zum toll werden, man hört und sieht, selbst hier, noch 50 Meilen weit von dem Übel entfernt, den ganzen langen Tag nichts Anderes als Cholera. Alle Menschen bereiten sich wie zum Tode, machen Testamente, kaufen alle möglichen Arzneymittel, Decken, Dampfapparate etc. etc. Viele Arzneymittel sind im DroguerieHandel um das Doppelte und Dreifache im Preis gestiegen; in Berlin waren manche an gewissen Tagen in den Apotheken gar nicht mehr zu haben, so namentlich Camillen, Pfeffermünze, Campher. Es ist gewiss ein sehr großer Verstoß in den allgemeinen Anordnungen

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der Behörden, dass sie dadurch in dem Publicum eine zu große Aufmerksamkeit auf die Krankheit und eine Angst vor derselben erregen, deren psychischer Einfluss ganz unstreitig für das allgemeinere Umsichgreifen des Übels viel gefährlicher und befördernder ist, als wenn man es mehr wie andere ansteckende Krankheiten behandelte. Das aller Verkehrteste in der Hinsicht scheint mir zu sein, wenn die Medicinalbehörden Symptome und sogar Anlagen und Constitutionen zur Cholera detaillirt und officiell bekannt machen lassen, und durch solche Belehrungen, und all die Anstalten hinsichtlich der Behandlung der Todten etc. die Phantasie des schwachköpfigen Theils des Publicums - und das ist der größere - mit grausenhaften, ängstlichen Bildern erfüllen und so die Leute für Ansteckung empfänglicher machen, als wenn sie sie hinsichtlich der Vorsichtsmaaßregeln in ihrer Unwissenheit gelassen hätten. Doch Punctum von diesem Capitel. Nur noch das, dass bis zum \Aten d. M. in Berlin 256 erkrankt, und 155 gestorben waren, ein für Berlin gegen Erwartung günstiges Resultat. Vielleicht interessirt es Sie einen in B. zu vielen 1000 angefertigten HausDampfapparat kennen zu lernen, vermittelst dessen der Kranke in seinem Bett, augenblicklich nach dem Ausbruch der Krankheit, zur Erregung der Transpiration, einer hohen Temperatur ausgesetzt werden kann (siehe beyliegendes Blatt). Wilhelm von Gerlach an Ernst Ludwig von Gerlach, Berlin, 18. September 1831210 Sei mit Deinen Gedanken und Gebeten bei uns in dieser schweren Zeit. Mir hat sie der HErr erleichtert; ich würde gern sterben, da mich hier nur meine Kinder zurückhalten, die Gott nicht verlassen würde, wenn Er mich abriefe. Was mich hier anzöge und festhielte, habe ich nicht. Damit ist es aber freilich noch nicht gethan. Der Ueberdruß an der Erde ist noch nicht die Sehnsucht nach dem Himmel und macht auch noch nicht dazu geschickt, er erleichtert aber doch die Vorbereitung zum Sterben. Der HErr gebe uns die Gnade, daß wir, was so dringend nöthig jetzt erscheint, in jedem Augenblick gerüstet seien, seinem Beispiel zu folgen, wenn er uns abruft. Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 18. September 1831271 Ich habe Ihre [Cholera-] Schrift bis zu dem Abschnitt über die Heilung gelesen. Das Verdienst derselben ist gross, besonders durch Sammlung und Beurtheilung und zweckmässige Zusammenstellung, wovon so vieles keinem zugänglich und ein solcher nicht so leicht sich finden werde, der so viel Fleiss und Kritik darauf verwenden würde. Viele Ansichten, fast alle Resultate, die Sie in den Abschnitten, die ich gelesen habe, ziehen, haben meine Beistimmung; in verschiedenem weiche ich indess von Ihnen ab. Ganz besonders muß ich den Styl rühmen, der leicht und einfach und doch geschmackvoll ist. [...] Verborgene Kräfte, d.h. Einwirkungen und Einflüsse, die nicht näher zu bestimmen sind, deren Daseyn man sich aus Ereignissen und Veränderungen, die aus uns bekannten Eigenschaften sich nicht ergeben, vermuthen lässt, muss doch jeder Forscher anerkennen. Ein anderes ist, wenn er den Dünkel hat, durch die Annahme einer qualitas occulta wahren Aufschluss zu geben und meint, das sey eine Erklärung. Ein Contagium vaporosum ist ein solches, das durch Ausathmen, Hautausdünstung, die Aushauchungen der Ausleerungen sich mittheilt. Das Contagium der Cholera kann nur letzterer Art seyn und erklärt einzig die schnelle Verbreitung der Krankheit nach mehreren

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Gegenden der Stadt. Der Choleradunst verbreitet sich durch Winde in einem Ort und befällt so Menschen, die sich wahrhaftig isolirten. Ohne eine solche Verbreitungsart ist die Annahme eines Contagii nicht gut durchzuführen. ... Leben Sie wohl und freuen Sie sich, so weit gekommen zu seyn. Philipp Liepmann an Herrn von Tr., Strzelce, 19. September 183l272 [...] demgemäß lasse ich entweder ein warmes Bad machen, oder Essigdämpfe, die ganz besonders wirksam sind, unter einer gewölbten Decke bereiten, oder heißen Spiritus umschlagen, oder auch die Haut reiben, oder endlich, ich mache einen halbstündlich zu wechselnden Umschlag von heißem Grützbrei über den größten Theil des Körpers. Auf die Herzgrube lege ich unverzüglich, oder nach vorgängiger Reibung mit Salmiakgeist, ein spanisches Fliegenpflaster von der Größe einer Hand, durch das Pulver der spanischen Fliege noch verstärkt, lege ferner um Hände und Füße Senfteige, die ich aber immer mit Salmiakgeist bereite, weil die andern gewöhnlich keine Wirkung äußern. Karl von Holtei an Ottilie von Goethe, Berlin, 19. September 1831m Schon längst, meine gnädige Frau, hätt' ich Ihnen schreiben wollen und sollen. Da ich aber immer wähnte, für „Chaos" Etwas mitsenden zu können, so verschob ich es; thörigter Weise - wie sich jetzt zeigt; denn ich habe nichts zu senden. Meine Lieder sind verstummt. Nicht der Ernst der Zeiten allein, ihr Grauen, ihr Schauder hat mir den Mund geschlossen. Möcht' ich Warschau's Fall besingen, wer will, wer darf es hören!? Oder soll ich Rußlands treue Bundesgenossin, die Krankheit, besingen, die ihre Fittige über uns schwingt!? Es ist Nacht geworden, um uns her. Johann Gottlob von Quandt an Johann Wolf gang von Goethe, Dresden, 19. September 1831274 Meine verehrte Freundin, Fräulein Seidler, ist eiligst von hier abgereist, weil sie von der Furcht vor der Cholera durch einige bejahrte Damen, bey welchen sie wohnte, angesteckt worden war, obwohl Dresden nicht mehr, ja, leicht viel weniger von diesem Uebel zu fürchten hat, als andere Orte, zumal solche, welche in einer niederen Gegend liegen. Johann Wolfgang von Goethe an Adele Schopenhauer, Weimar, 19. September 1831115 Hab ich Sie nun einen Augenblick in das mittelländische Mittelland gerufen, so besuche ich Sie nunmehr am hellen Rhein, wo Sie gewiß mit einigem Zwiespalt in sich selbst sind: ob es wohl räthlich sey gegen Nordosten zu ziehen? wo die asiatische Hyäne uns täglich näher die gräßlichen Zähne weis't. Hier kann niemand dem andern rathen; beschließe was zu thun ist jeder bey sich. Im Islam leben wir alle, unter welcher Form wir uns auch Muth machen.

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Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Straßburg, 19. September 1831276 Ich bin aufs beste hier angekommen; aber der Conrad hat einen leichten Anfall von Cholera gehabt. Bald nach der Abreise ward ihm übel, und auf der Station angelangt, sagte er mir, er hätte sich auf dem Wege erbrechen müssen, worauf ihm besser geworden. Er hat sich wahrscheinlich erkältet. [...] Adieu liebes Cholorinchen. [...] Börne, geb. Cholera. Charlotte Stieglitz an ihren Bruder, Berlin, September 1831211 Unverzeihlich erscheint in diesem Augenblicke mir selbst mein langes Schweigen, indem ich keinen andern Grund anzugeben weiß als den, daß ich in all dieser Zeit nicht dazu aufgelegt war [...]. Jetzt, wo nun ein lange drohendes, schwüles Gewitter sich über uns entladet, erwacht man recht eigentlich aus seiner Trägheit, und nun gilts Gottvertrauen und guten Muth haben; und damit sind wir beide, mein Stieglitz so wie ich, gut versorgt. Dazu genießen wir schöne freie Luft in unsrer Wohnung, tägliches Schrankbad, leben sehr diät, ärgern uns einander nicht, haben auf ein Vierteljahr Lebensmittel angeschafft, außer Fleisch und Brot, um das Mädchen nicht so viel herumzuschicken in die Läden, haben uns außerdem auch versehen mit einfachen aber nothwendigen Mitteln für einen etwaigen eintretenden Fall, als da sind: Kamillen-, Pfeffermünz-, Fliederthee, Senf, Essig, Spiritus, Wärmeflaschen, wollene Decken - dieß alles, um sogleich Schweiß hervorzubringen, denn dann ist der Kranke gerettet. Außerdem räuchern wir mit guten Hoffnungen, sprengen die Stuben mit der Aussicht auf bessere Zeiten ein, und geben uns gegenseitig Pillen guten Trostes zu verschlucken. Da hast Du die Antwort auf Deinen lieben, eben sowohl erfreulichen als beruhigenden gestrigen Brief [...]. Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, Berlin, 20. September 1831m Ich lag krank seit fünf Tagen zu Bette - meine Übel: Nerven, Brechen u.s.w. Welchen Effekt dies jetzt macht; soll niemand erfahren! [...] Täglich gebe ich, Kamisöler, Pakete Sachen; zwei, drei, vier, fünf, auch sechs Thaler, Kaffee allen Menschen; dem Zeitungsmann, Allen die kommen; meinen Domestiken (Könige!), der Schauerfrau; allen Einsammlungen: allen ärmeren Bekannten: den Kindern, Nahrung, Binden, Ermel; meinen Leuten jede Bekleidung. Alle Menschen sporne ich an. Gott weiß, ob ich prahlen will: ich bitte ihn um Erleuchtung, wie ich künftig sein soll. Verschweigen will ich aber mein Thun jetzt nicht: ich will sie anspornen: vielleicht hilft's. Leider schämen sich Viele nicht; und schenken ihren armen Dienstboten nicht Erquickung, — aber ich bin übertrieben - und sie vernünftig! Dies dereinst mündlich. O! könntest du nur alle Tage die Spener'sche lesen! Diese Industrie, dieser schnelle Fleiß: auch wird Gott erlauben, daß der Krankheit besser begegnet werden kann. Die Wohlthaten sind noch nicht allgemein genug; doch schon stark. Juden geben in jeder Liste mit größerm Muthe. Eines ist gewiß gut: daß nämlich jetzt von Seiten der Stadt, des Governements, der Kommissionen, richtig und streng auf die Reinlichkeit, die Lüftung, und Bekleidung der armen Klasse gesehn wird: es kommen täglich Leute, und sehen nach. Die Wirthe sind auch dazu verpflichtet. Bliebe dies auch in gesunden Tagen so! [...] Du siehst, Gott ist uns gnädig, die Krankheit nimmt nicht sehr zu, mehrere als bis jetzt,

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genesen. Gestern stand ein schöner Artikel in der Staatszeitung, aus Baden bei Wien, über das Übel. - Da das Miasma in der Luft umherschleicht, so muß man sich welche präpariren; Fenster öffnen, wo man nicht ist: ist heiße Sonne, mit Essig sprengen von hoch her mit einem Gießkännchen; ist feuchte Luft, mit Bernstein räuchern, force! die Fenster zu; und das so fort. [...] alle klügeren Arzte wissen nun schon daß es ein concentrirtes kaltes Fieber mit einem acces ist. Der innere Schweiß unterbrochen. Meist von Diätfehlern gereitzt. Pitschfaft]: den ich mit Vorliebe grüße hat ganz recht: man muß zu Hause bleiben. [...] Wir trinken nur Kafee. Essen Fleisch und Fleischsuppe - du lobst immer Diät - Brükartoffeln merrettig am Fleisch; Schwade, Reis, Hirse, SemmelkloQt - alles äußerst wenig. Rothen Wein Morgens mit Zuker und Pomeranzenessenz: Kafee Nachmittag; Abends Thee, oder Gries Perlgraupe etc: in Brühe: nur Semmel. Zum Durst habe ich erfunden: Haffergrütze abgekocht - nicht araraimehl es steht vor dem Magen - darüber rothen Wein vortrefflich! Die anderen nehmen noch Zuker; ich nicht: ich liebe ihn nicht; auch schlagt er durch. Ordinärer Thee als Hauptmittel gegen das Übel. Viel Tabaksrauch - rauche dich aber nicht t o d t Kamperreiben und einnehmen wenn das Übel da ist; behaupten die Arzte, die ich zu lesen empfahl. Kein Schweiß auch nur im geringsten unterbrechen: immer Warmflaschen - wahrend sie nur herrscht - und warme Steine (: und gefüllte Kleisäke, letzteres zum Übel selbst:) bereit halten um jedes und sich zu wärmen: Lieber ein Pedant. Hättet ihr mir von meinem Muskatbalsam aus der hallischen Apotheke lasse dir welchen von Pitschfaft]: erfunden; Krauseminze ist auch drunter. Den Leib stärken ist vom größthen Vortheil. Rieke Sie! Und zur Suppe des 2t Frühstücks: dikere Grütze gekocht, wie zu anderer Suppe; aber nur eine Priese Sak hinein, ein gut Stük Zimmet und Nelken etwas Ingfer; dazu Wein nach Belieben gegossen, und so auch Zuker dran. Eine starke beschwichtigende: dageröstete Semmel. Mehr braucht man nicht. Fraget Pitschfaft]: Wir immer: eine Scheibe Zitrone lasse ich auch dran machen mit Schahle. Friedrich Carl von Savigny an Friedrich Bluhme, Berlin, 20. September 1831279 Wir sind hier wohl und guten Muthes, spüren auch von der Anwesenheit des Uebels nicht viel, außer daß ich jetzt meine juristischen Studien ganz aufgegeben habe und in die Dienste eines Frauenvereins getreten bin, der sich mit Verfertigung und Vertheilung von Kleidern an die Armen beschäftigt. So wird noch Curioses aus mir in meinen alten Tagen.

Ernst von Brunnow an Samuel Hahnemann, Dresden, 20. September

1831ш

Welch ein unsterbliches Verdienst haben Sie sich wieder um die leidende Menschheit erworben, indem Sie die homöopathischen Mittel zur Heilung und Vorbauung der Cholera entdeckten und bekannt machten! Möchte doch die Welt den großen Fund besser benutzen, als sie es zur Zeit gethan zu haben scheint! Welches schreckliche Verhältniß der Verstorbenen zu den Erkrankten ergiebt sich aus den Berliner Nachrichten. Das ist nun die hochgepriesene, stolze, rationelle Heilkunst! Wo sind ihre Waffen, wo ihre Thaten? Auch bei uns in Dresden hört man fast von nichts, als von der Cholera reden, und eine allopathische Broschüre jagt die andere.

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Jacob Grimm an Friedrich Christoph Dahlmann, Karlsruhe, 20. September

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Mit der Reisegesellschaft werden eben keine näheren Verhältnisse eingegangen; mehrmals dachte ich daran, daß mir fremde Männer zur Seite säßen, die sich unmittelbar aus Preußen eingeschlichen hätten, und, ohne selbst cholerisch zu sein, mir die gute Ulla-Pe, wie die Chinesen die Cholera nennen, schönstens einimpfen könnten, wiewohl zur Stunde noch nichts an mir ausgebrochen ist. [...] Vor Frankfurt saß ein rechter Frankfurter vor mir, der behauptete: Frankfurt habe bisher noch aus allen Unglückern in der Welt Vortheil gezogen, so werde ihm wahrscheinlich auch die Cholera, so schlecht wie sie sich anlasse, einen gewissen Nutzen bringen. Schreiben eines Apothekers an ein befreundetes Handelshaus, Riga, 21. September 18312Ю Vor allem ist es aber nothwendig, des Morgens früh beim Kaffee oder Thee (welcher mit wenig Sahne getrunken wird) etwas zu essen, und wenn man außer dem Hause zu thun hat, vorher ein Glas feurigen Wein oder Branntwein zu trinken. Cubeben, Calmus, Angelica im Munde zu halten, ist für die Dauer höchst lästig, und macht den Körper nur zum Unwohlsein geneigt, daher dergleichen hier in Riga bald bei Seite gelegt wurden. Leichte weiße Weine, Champagner etc. sind nicht zu rathen, hingegen alle portugiesischen und gute französischen Rothweine. In Riga wurde fast ausschließlich nur roter Portwein und Madeira getrunken, zu den feinen französischen Rothweinen neigte man sich erst später. [...] In meiner Apotheke, wo die erste Zeit das Local Tag und Nacht von Hülfesuchenden gedrängt voll war, und ich selbst 72 Stunden nicht aus den Kleidern kam, haben zwar in Folge der Anstrengungen Cholerazufälle stattgefunden, keiner ist aber gestorben. Nur ein Apotheker und ein Gehülfe fanden in Riga ihren Tod an der Seuche; beide Herren hatten sich aber sehr starke Diätfehler zu Schulden kommen lassen. Das furchtbare Geschäft in den Apotheken war indessen nur zum kleinsten Theil für eigentliche Cholerakranke; die beängstigten Gemüther und die Präservative führten den größten Theil der Arbeit herbei. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Heidelberg, 21. September 1831ш [...] die Aerzte hier in Heidelberg machen nicht viel Lärm aus der Cholera, man soll sich nur warm kleiden, in Wolle, und Leibbinden tragen, es werde bei uns, wenn sie auch käme nicht schlimm werden, und Veit und Stiebel in Ffurt, wären aber so gesinnt, und gar nicht ängstlich. Die Badische Regierung hat zwei Aerzte nach Berlin geschickt, und gestern hat ein Student bei Wolff Abschied genommen, welcher nach Berlin geht, Collegien dort zu hören. Auch kam gestern ein junger Mann zu Besuch, dessen Verwandte alle in Berlin wohnen, sein Bruder ist Arzt dort, und er erzählte den Inhalt eines Briefes, den er vor wenigen Tagen von diesem aus Berlin erhalten habe, worin er ihm sage, er solle sich wegen der Cholera nur nicht ängstigen, dazu sey gar keine Ursache, nur Leute, die schlecht ungesund, und feucht wohnen, kurz - die aermere Klasse, sey von dem Uebel heimgesucht. Prinz August von Preußen an Juliette Recamier, Berlin, 22. September 1831ш Ich bin merklich berührt von dem Interesse, daß Sie mir anläßlich der Cholera bezeugen, an der wir hier seit mehr als drei Wochen leiden. Sie hat schon mehr als 30.000 [?] Men-

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sehen hinweggerafft, aber sie ist hier weniger gefährlich und weniger verbreitet als in den orientalischen Ländern. Die gesunde Luft, der sich Berlin erfreut, die Weite und Reinlichkeit der Straßen und die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die Ansteckung zu verhindern, lassen uns hoffen, daß diese Geißel hier weniger gefährlich sein wird. Ich war damit beschäftigt, unsere Artillerie und die Festungen zu inspizieren, als ich die Nachricht erhielt, daß die Cholera Berlin erreicht habe, und ich eilte Nacht und Tag, um mich im Augenblick der Gefahr hier zu befinden, in der Hoffnung, meine Anwesenheit könnte von irgendeinem Nutzen sein. Bis jetzt hat der Tod uns hier keinen Menschen entrissen, der mir teuer ist; aber durch den Tod des Marschalls Gneisenau haben der König, der Staat und besonders die preußische Armee einen unersetzlichen Verlust erlitten, der unter den gegenwärtigen Umständen noch größer ist. Er trifft mich um so empfindlicher, weil er mir immer viel Freundschaft bezeugt hat. Wenn diesen Herbst der Krieg gegen Frankreich nicht ausbricht, glaube ich, liebe Juliette, haben Sie wenigstens für dieses Jahr diese Krankheit in Paris nicht zu fürchten. Prinz Wilhelm von Preußen an Großherzogin Maria Pawlowna von Sachsen-WeimarEisenach, Potsdam, 22. September 1831liS Sicher, die Gefahr der Ansteckung in Berlin existiert, und unser Palast ist zu klein, um alle Welt dort für länger zu beherbergen und einzuschließen, wie es für die Zeit der Niederkunft nötig wäre. Nichtsdestotrotz glaube ich, daß es Wege geben wird, sich dort einzurichten. Ich werde morgen nach Berlin gehen, um eine letzte Inspektion durchzuführen. Der Grund, der mich dennoch wahrscheinlich dazu verpflichtet, hier im Neuen Palais zu bleiben, ist dieser, daß Auguste die Idee, uns in Berlin einzurichten, nicht zu gefallen scheint. Ohne es auszusprechen, und ohne es sich einzugestehen, daß sie aus Furcht vor der Krankheit nicht nach Berlin zu gehen wünscht, - glaube ich trotzdem, daß dies der Grund dafür ist, daß sie es bevorzugt, ihre Niederkunft hier zu haben. Es scheint mir also bei ihrem Zustand gefährlich, sie zu einer Sache drängen zu wollen, die sie fürchtet. - Für den Fall, daß wir hier bleiben, sind alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Wohnungen gegen die Härte der kommenden Jahreszeit zu schützen, und seien Sie überzeugt, liebe Mama, daß ich nichts versäume, in dieser wichtigen Zeit unter allen Umständen für Auguste Sorge zu tragen. Samuel Hahnemann an Clemens von Bönninghausen, Kothen, 22. September 1831Ш Beiliegende, neueste Vorschrift wird Ihnen zeigen, daß dieselben Kupfer-Streukügelchen, die zur Vorbauung angewendet wurden, auch zur Heilung des zweiten Stadiums am besten dienen. Wenn der Kranke des Gebrauchs der Schutzkügelchen ungeachtet von der Cholera befallen würde (aus eigner Schuld - wenn er etwa im Trünke pp sich übernommen oder durch eine große Gemüths-Erschütterung ausser sich gebracht worden, oder auch wenn er durch Camphergenuß die feine Gabe Kupfer antidotisch zu nichts gemacht hätte), so muß er sogleich bei seiner Erkrankung, ich möchte sagen, gleich in den ersten Augenblicken und Minuten, wo doch jedes mal noch erstes Stadium, wenn auch auf noch so kurze Zeit, vorhanden ist, gleichwohl mit Campher (als dem antipathischen Hauptmittel) behandelt werden. Gewöhnlich erreicht man damit schnell die gute Absicht; in kurzer Zeit bekömmt der Kranke wieder Wärme und Munterkeit und verliert alle Aengstlichkeit. Dann hört man mit

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dem Campher-Gebrauche sogleich auf - bedeckt den Kranken locker mit einem großen Tuche und läßt bei Oeffnung der Türen und Fenster von Luftzug allen Campherdunst hinwegnehmen, oder man bringt den Genesenden in ein andres, von Campherdunst freies Zimmer, weil der antipathische Campher sobald er seine Dienste, das Lebens-Spiel wieder auf den Niveau der Gesundheit zu erheben, gethan hat, beim fernem (Miß) Gebrauch zu schaden anfängt. Wäre nun dennoch das zweite Stadium nicht abzuwenden gewesen, entweder wegen letztern Mißbrauchs des Campher über das Ziel ansehnlicher Besserung, oder weil man zu spät nach der ersten Erkrankung mit dem selben zu Hülfe kam und kommt nun Durchfall und Erbrechen in drohendem Maße, da wird dem Kranken dieselbe Kupfer-Arznei zu ein oder zwei Kügelchen alle halbe Stunde (oder wenns anschlägt, nach einer Stunde) mit etlichen Tropfen Wasser eingegeben, bis beides sich legt, nicht länger. Jeder kann ohne Gefahr den Campher bei den erkrankten Seinigen selbst anwenden, weil er dabei durch den Campherdunst und so lange er damit fortfährt, unangesteckt bleibt. Hinterdrein bedarf er freilich wieder, ein Streukügelchen einzunehmen, da ihn kein Campherdunst weiter schützt und er Campher nicht lange Zeit zu seiner Schützung gebrauchen kann, ohne andre (CampherBeschwerde) sich zuzuziehen. Deshalb ist es schlechthin nothwendig, daß jeder seine erkrankten Angehörigen gleich selbst mit Campher behandle. [...] Über Rust's Attentat, Vossische Zeitung 211 No, gegen Auffindung specifischer Mittel gegen Cholera werden Sie von mir im Anz. der Deutschen ein kräftiges Wort lesen. Wenn die Akten über die Cholera geschlossen sein werden, (jetzt wärs noch zu vorzeitig) wird wohl im Archive etwas Gediegenes zu finden seyn. Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, Wien, 23. September 1831287 Die Krankheit ist in einem so regelmäßigen Abnehmen, daß man sich schmeicheln darf, daß die höchste Periode die war, welche für die Invasion galt. Gestern erkrankten auf die beinahe 400.000 Menschen starke Bevölkerung 60 Personen; die Zahl ist also von 170 in vier Tagen auf letztere 60 gesunken, und in dem selben Verhältniße nimmt auch die Intensität des Uibels ab, d.h. es werden die meisten sehr schnell curirt. In Ungarn und Galizien geht die Krankheit ebenmäßig zu Ende. Jons Jacob Berzelius an Gustav Magnus, Stockholm, 23. September 1831ш Ich habe mich leider nicht im geringsten mit Desinfectionsversuchen befasst. Dass Chlor, Salzsäure und Salpetersäure wirksame Mittel sind, daran zweifle ich nicht, aber ob Essigsäure in Dampfform das geringste zur Zerstörung des Ansteckungsstoffes beitragen könnte, kann sehr zweifelhaft sein, denn es wirkt nicht zerstörend und ziemlich schwach durch Verbindungsverwandtschaft. Setzen wir voraus, dass ein Cholerakranker einen Stoff ausdünstet, der gleich Wassergas mit der Luft vermengt sich halten kann, so kann man sich dabei auch wohl denken, dass sich Essigsäure damit vereinen kann; aber wird es in dieser Form als Ansteckungsstoff wirkungslos? Darüber kann man jedoch nicht das Geringste wissen. Was für Uebelstände bereitet die Chlorräucherung, nachdem sie so wenig angewendet wird? Sie hat keinen zerstörenden Einfluss auf trockene Schrift. Alle unsere Briefe aus Russland

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und Finnland werden mit Chlor geräuchert, ohne vorher in eine Säure getaucht zu werden. Auch hier wird ungeheuer viel von der Cholera geredet, obgleich wir bisher davon verschont geblieben sind. [...] Dazu ist mir die unangenehme Aufgabe zugefallen, mit zwei Anderen die Gesetze über die Cholera, die im Sommer herauskamen und deren Statuten getadelt worden sind, durchzusehen und zu redigiren. Diese Arbeit ist jedoch seit ein paar Tagen beendet. Privatschreiben aus St. Petersburg, 24. September

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Was mit den Ärzten sich ergab, fand auch bei allen Bewohnern Statt, die allerfurchtsamsten nur etwa ausgenommen, die, nicht selten, trotz der höchsten Vorsicht, und gerade in Folge deren Übertretung ein Opfer der Krankheit geworden sind: und dieses Ergebniß war nach wenig Wochen der herrschenden Epidemie in Riga und Mitau das nämliche wie in den beiden Hauptstädten; das heißt also: in allen Städten Rußlands, in welche die Krankheit bisher eingedrungen und die, Hinsichts ihrer Verhältnisse, mit anderen europäischen Städten vollständig in Vergleich gesetzt werden können, ist die Umstimmung der öffentlichen Meinung, wodurch fast alle Einwohner den Glauben an eine besondere Ansteckungs-Gefahr bei der Cholera aufzugeben sich bewogen fühlten, alsbald erfolgt, was dagegen mit so viel andern an ärztlicher Hülfe Mangel leidenden, oder von Fatalisten bewohnten, oder von Juden überfüllten Städten in Alt- und Neu-Rußland durchaus nicht der Fall ist. Wilhelm Olbers an Carl Friedrich Gauss, Bremen, 24. September 1831290 Die sich stets mehr nähernde Cholera erfüllt auch den grössten Teil meiner Mitbürger mit banger Furcht. Mich dünkt, es muss in vieler Hinsicht, wenn diese böse Krankheit doch einmal kommen soll, beruhigend für jedes Individuum sein, 1) dass sie ansteckend, nicht bloss epidemisch ist, und nur durch ein contagium befallen kann, 2) dass die Wirksamkeit dieses contagii sehr beschränkt scheint, sich also leichter vermeiden lässt, 3) dass das contagium nur bei denen die Krankheit hervorbringt, die dazu prädisponirt sind, und das sich durch ein schickliches Regime diese Prädisposition fast ganz beseitigen läßt. [...] Von unserem Bessel habe ich kürzlich nichts gehört. Den letzten Nachrichten zufolge befand er sich auf dem Landsitze wohl, wohin er sich nach verschlossener und versiegelter Sternwarte, durch das unverantwortliche Benehmen des Königsberger Stadt-Magistrats gedrängt, zurückgezogen hatte. Ich hoffe, er ist dort sicher. August von Platen an Louise von Platen, Neapel, 24. September

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Bis zum Mai bin ich dann in jedem Fall in München. Ob ich diesen Winter noch hinkommen werde, ist sehr die Frage. 1) konnte ich mein Quartier noch nicht anbringen. 2) mag ich der Cholera, die schon in Berlin und Wien ist, nicht geradezu in die Hände laufen. Denn da ich die größte Anlage zu gastritisch nervösen Krankheiten habe, so würde ich ihr nicht entgehn, und wenn ich stürbe, so würde es mir zwar gleichgültig sein, aber dir wäre dadurch wenig geholfen.

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Buchhändler Thierry an einen Geschäftsfreund, Hermannstadt, 24. September 1831292 Sollte daher diese Krankheit je wieder bei uns erscheinen, so habe ich die erfreuliche Gewißheit, und Ihnen sey es zur Beruhigung gesagt, daß bei augenblicklicher einfacher Hülfe, d.h. Gebrauch schweißtreibender Mittel und warmer Umschläge, dieselbe äußerst selten tödtlich und gewöhnlich binnen wenigen Stunden gehoben ist. Diese Erfahrung machten mehre[re] von dem Personale meines Bucharester Hauses, von denen zwar einige daran erkrankten, aber keiner starb, obgleich die Krankheit dort verheerender als irgendwo wüthete. Daß übrigens die Krankheit durchaus nicht ansteckend ist, davon gab mir die neuere Zeit Beweise in so großer Anzahl, daß ich bei Erscheinung derselben in Ihrer Gegend Ihnen nur das wünsche, daß Sie nicht durch Quarantainen, Einstellung der Schulen, Jahrmärkte u.s.w. wie es bei uns stattfand, einen solchen Geschäftsstillstand, wie ich ihn durch drei Monate hatte, erleben mögen. Ferdinand Raimund an Karoline Wagner, Hamburg, 24. September 1831293 Sie werden sich wohl verwundern einen Brief ms Hamburg zu erhalten, da unsere Korrespondenz sich bisher nur auf gegenseitige Grüße beschränkte. Verzeihen Sie meine Bitte, aber ich beschwöre Sie mir Nachricht, über Ihr und der ganzen Familie Wohlbefinden, so schnell als möglich zu geben, denn mit Entsetzen las ich gestern, die Krankheitsberichte aus Wien, in dem Hamburger Korrespondenten. Wie ganz fremde, für Wien kalt fühlende Menschen, muß ich in Zeitungen forschen, wie es mit meiner Vaterstadt steht, die so geliebte Wesen umschließt. Seit meiner Abreise, schrieb ich vier Briefe an die Toni und fand einen einzigen in Hamburg liegen als ich ankam, und seit dem keine Zeile. Am 22ten erhielt ich einen Brief von HR Joseph Schuster, welcher vom 14ten datirt war, ich habe aus diesem Briefe nichts ersehen, als daß es dem armen Manne an Geld mangelte, aber ich habe die Überzeugung erhalten, daß die Posten ungehindert eilen, da ich den Brief in einem Zeiträume von 8 Tagen erhielt. Ich kann mir dieses Schweigen also nicht erklären, und meine Liebe und Theilnahme ist zu groß, als daß mich die Ungewißheit, über euer Schicksal nicht im höchsten Grade, beunruhigen und quälen sollte. Ich spiele in Hamburg, aber meine Seele ist in Wien. [...] 12 Meilen von hier im Dänischen zeigt sich auch ein sonderbarer Brechkrampf, ich glaube daß die Cholera Hamburg nicht lange mehr verschonen wird, und hier möchte sie, der engen Straßen, Kellerwohnungen, Nähe des Meeres, und der feuchten Luft wegen, große Sterblichkeit bereiten. Johannes Müller an Nanny Müller, Paris, 24. September 1837294 Von der Cholera spricht hier kein Mensch; die Zeitungen enthalten fast kein Wort, um so begieriger bin ich auf die Nachrichten, die Du mir giebst. Gieb Dich keinen unnützen Sorgen hin, wenn ich wieder da bin, wollen wir schon vorerst das Nöthige bedenken und dann getrost auf die Güte Gottes vertrauen, die uns durch mancherlei Unglück blühend erhalten hat, blühender als je, glücklich, geliebt, begabt mit allem, was beglücken kann.

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Rahel Varnhagen an Wilhelnfine von Zielinski, Berlin, 25. September 183129S Wie muß diese Nacht erst bey Ihnen gewesen seyn! - wenn die Oder etwa nicht zu stark dünste; und man nicht schlechte Luftklumpen zu befürchten hätte! welche die Athmosphere nicht verdauen kann, und wir Erdwürmer es für sie müßten, aber nicht können; (: meine theorie dieser Krankheit:) [...]. Also, recht gründlich innig freute ich mich als ich höhrte, Sie seyen abgefahren: und auch nicht einen einzigen Moment war es mir eingefallen daß sie hätten Abschied von mir nehmen sollen; ich dankte Gott je geschwinder Sie wegkommen konnten!!! Denn, konnte ich Sie nicht während der ganzen Dauer des großen Uebels - ich nenne nie den Krankheitsnahmen - wie ich mich bey mir habe, aufnehmen; hüthen, pflegen: so will ich Sie nur in Ihrem hause, bey mama wißen. [...] Nehmen Sie sich auch recht in Acht? Abenthau ist die Cohl:[era] - da steht das Wort: es muß hier stehn - wenn die Sonne noch ganz da ist müßen die fenster zu: und mit bernstein alles geräuchert. Nachts die binde umbehalten: keine Sorte transpiration unterbrochen: nie, nicht Tag, nicht Nacht. Nie zu kalt getrunken: nur bey wirklichem Durst. Mehr Kafee als sonst. Kein kaltes fleisch; nie, etwa beym Thee; hat man leises Abweichen, ordinären thee; schon Vormittag. Kein fenster geöfnet bis die Sonne hell scheint, und aller Morgenthau weg ist. ist flaue Luft, mit Bernst:[ein] geräuchert, force! ist es Sonnenheiß - sie ist jetzt trügerisch, immerfort - mit Eßig gesprengt. Nie ganz satt gegeßen. Vormittag einen Schluk bischoff; nie bloßes Waßer; dies abgekocht. Privation! ja, ja, ja dies ist die Abwehr. Knoblauch auf den Magen, oder Kampher. absolut. Und Gottes Segen von mir angerufen immerdar! Meine furcht, mein Schrecken waren gränzenlos sich infizirt wißen. etc.: etc: ich litt das wiedervergeßene gränzenlose war auch krank, lag 5. tage an Nerfen, fieber Erbrechen, und Lag - wie immer - zu bette, als Ihr brief kam! Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, Hanau, 25. September 1831m In Marburg steht mir nun statt des gehofften ruhigen Winters wieder neue Unruhe bevor. Man hat mich nämlich leider zum Mitglied der Orts-Sanitäts-Kommission in Choleraangelegenheiten bestellt, und ich darf gesetzlich diese Mitwirkung nicht ablehnen. Sie ermessen leicht wie in mehr als einer Rücksicht dieser Auftrag mir unangenehm ist, wenn er am Ende auch als nicht gefährlich sich ausweisen sollte. Bettina von Arnim an Unbekannt, Berlin, September 1831297 Alles ist fort wegen der Cholera ... Alles stirbt wie die Fliegen. Gestern zweihundert erkrankt, heute zehn weniger als gestern, dies hieß man Abnehmen der Cholera; meine Kinder sind alle nach Frankfurt, Savignys sind eben abgereist, ich bin allein im Haus mit der traurigen, furchtsamen, schwarzgekleideten Russin, diese legt sich ins Bett und will auch sterben, nun braucht nur die Polizei auch noch zu sterben, dann bin ich König von Berlin ... Tages Arbeit, nachts Wachen bei Kranken, jeden Augenblick andere Forderungen, Trost für kranke Herzen, die keine Sprache verstehen, Trost für Schmerzen, die mit dem Blick um Erbarmung flehen; ... also darum schrieb ich nicht, weil Särge zu bestellen waren, russische Totenfeiern zu halten ... und ich fragte mich, bin ich müde? - Wie sollte ich müde sein! Laß den Leib liegen und setze Dich mit dem Geist darauf.

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Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, Berlin, 27. September

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Die Berliner sind froh wie immer. Ein Arzt wird gesagt, habe das Abführen einer Patientin nach dem Lazareth befohlen, weil sie schon ganz schwarze Extremitäten habe: die Mme habe ihn aber belehrt, das seyen nicht Extremitäten sondern blaue Strümpfe. Übrigens klagt alle Welt fürchterlich über gestörten Verkehr mit Ausnahme der generis ch[olera] phoborem. Ich kann noch recht kein Urtheil tref[f]en; allein mir erscheint die Gefahr ganz unbedenklich, und ich wünschte beynahe Sie wären hiergeblieben, und hätten nur die nöthigsten Sicherheitsanstalten getroffen. Hedwig von Olfers an Adolf von Kleist, Koblenz, 27. September 1831299 Ihr Rat, abzureisen, ist fast befolgt. Ich war fort von Berlin, ehe Ihr Brief kam. Nach langem Schwanken, als die Cholera sich wirklich auf dem Schiffbauerdamm gezeigt hatte, ward meine Abreise beschlossen und denselben Tag noch ausgeführt; den folgenden schon hätte ich mein Gesundheitsattest nicht mehr bekommen. Ich reiste mit den Kindern in der Nacht ab. Welch ein wehmütiger Abschied von meinen Eltern es war, die ich lange - wer weiß wie lange - nicht wiedersehe, können Sie denken. Olfers konnte mich auch nicht begleiten; ein Geschäft, was er durchaus beendigen muß, hält ihn noch in Berlin; mich schickte er früher fort, weil er fürchtete, daß ich später Quarantäne halten müßte, eine Sache, welche mit drei Kindern kaum zu bewerkstelligen wäre. Ich ängstige mich seinetwegen fast unaufhörlich [...]. Joseph von Görres an seine Tochter Sophie, München, 27. September 1831m Wir anders sind gleichfalls wohl und hoffen, dieser Brief werde auch euch wohlbehalten in Frankfurt treffen. Von der Cholera in Wien kommen uns um etwas weniges bessere Nachrichten zu, sie scheint sich langsam von dort vorwärts zu bewegen. In der Kammer hat man dem König 700.000 fl. an der Civilliste gestrichen, was dieser sehr übel empfindet. Die Häuser um uns her füllen sich mehr und mehr mit Flüchtlingen, die vor der Cholera aus Oesterreich und vor den Russen aus Polen Reißaus nehmen. Gott befohlen euch und uns! Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 27. September 1831Ш Unter anderen [traf ich] einen Baron von Liebenstein aus Wien (ein getaufter Jude), der mit großer Familie vor der Cholera geflüchtet. Es ist der nämliche, von dem man mir auf meiner Reise auf vielen Poststationen erzählt, es seien drei Kutschen von Wien gekommen, wobei man mich fragte, ob ich auch von Wien käme? In Wien soll die Cholera schrecklich hausen unter den höchsten Ständen. Da man dies an keinem andren Orte gehört, so kann nur die bekannte Schlemmerei der Wiener an dieser Bösartigkeit schuldig sein. Zwar wird sie die Furcht mäßiger gemacht haben; aber die Mäßigkeit eines Wiener Fressers ist noch immer eine halbe Indigestion. Auch gestehen sie dort selbst, daß ihre Krankenanstalten noch nicht vollendet gewesen, weil sie von der Cholera überrascht worden. Ich aber bin überzeugt, daß die verdammte Scheu der österreichischen Regierung vor jeder Öffentlichkeit die Cholera dort verderblicher gemacht hat als sonst überall. Der Österreichische Beobachter, den ich erst gestern gelesen, sagt kein Wort von der Cholera und teilt keine Krankenliste

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mit, wie es überall geschehen, selbst in Petersburg. Der Tod wie das Leben ist dort ein Staatsgeheimnis. [...] Die ganze Familie Beer ist jetzt hier, und da diese eines der ersten Bankierhäuser in Berlin bilden, müssen sie ihre Geschäfte einstweilen eingestellt haben. Die haben schreckliche Angst vor der Cholera, - nach Malta wollen sie flüchten. - Rothschild in Frankfurt soll ja sein Landhaus verproviantiert und ganz in Belagerungsstande gesetzt haben. Wie Humboldt behauptet, würde die Cholera im Mai nach Paris kommen. Schönes Maiblümchen! Privatschreiben aus St. Petersburg, 28. September

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Wie wenig die Cholera ansteckend ist, davon nur ein Beispiel. Von 2 Arbeitsbataillons des Generals Wasiltschikoff wurde das eine zur Aufwartung und Dienstleistung in den Cholerahospitälern commandirt, und es erkrankte von diesem Bataillon nicht ein Mann; das andere dagegen, welches in der Caserne blieb, hatte 30 Cholerakranke und eine verhältnismäßige Zahl Todter. Leopold Ranke an August von Platen, Berlin, 28. September

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Die obengedachten Bayern [Kronprinz Maximilian von Bayern und Graf Fugger] sind an dem Tage abgereist, als die Cholera hier ausbrach. Die Furcht, die früher allgemein war, hat sich seitdem von Tag zu Tag gemindert. Nur in einigen Häusern wird man geräuchert. Seltsamer Zustand, wenn das Dienstmädchen Einen mit dem Rauchfaß umwedelt. So stelle ich mir vor, war den homerischen Göttern zu Muth, wenn sie Knisse schlürften. Auch sonst giebt es hier Urzustände. Ein amerikanisches Volk nimmt an, daß alle Krankheiten von dem Thier Ayaqua kommen, welches unsichtbar ist, aber seine Pfeile hat. Wären Sie nun Berlinischer Homeride, hätten Sie zu beschreiben, wie diese Pfeile (denn die Cholera ist ein ähnliches Thier) durch die Unterweste, den Hosenbund, Nachtjacke, Ober- und Unterhemd, Leibbinde, Magenpflaster etc. zu dringen haben, ehe sie bis auf die Haut kommen. Indessen ist es doch garstig, wenn sie bis dahin dringen. Mit Poesie, Politik und Historie ist es binnen wenig Stunden aus. Franz Theremin an Prinzessin Marianne von Preußen, Berlin, 28. September 1837304 Es ist mit ein Bedürfniß des Herzens Euer Königlichen Hoheit zu danken für alle die Beweise von Güte und Aufmerksamkeit die ich in Cöln von Ihnen empfangen habe; wie werden mir, so wie alle die früheren unersetzlich seyn. Schon seit mehreren Wochen ist nun auch unsere Stadt von dem so weit verbreiteten göttlichen Strafgericht heimgesucht worden. Doch wir haben auch in dieser Züchtigung Ursache, Gottes Milde zu preisen, denn die Krankheit hat bisher noch nicht so furchtbar gewüthet als man es vielleicht gedacht hatte. Sie erscheint auch deshalb weniger schrecklich, weil die Meinung, daß sie durchaus anstekkend sey mehr und mehr verschwindet, und die Maßregeln, zur Absperrung der Kranken von der übrigen Gesellschaft, die so gewaltig auf die Einbildungskraft einwirken müssen, nicht mehr streng ausgeführt werden. Dessen ungeachtet seufzen wir, daß Gott die Plage bald von uns nehmen wollte! Besonders aber möge er mit ihr recht viele, langnachwirkende günstige Segnungen verbinden!

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A m ersten Sonntag nach dem Ausbruch der Krankheit in Berlin habe ich eine Predigt gehalten, die ich mir die Freiheit nehme, Eurer Königlichen Hoheit, und Seiner Königlichen Hoheit Prinz Wilhelm unterthänigst zu überreichen.

Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 28. September 1831305 Vor der Cholera fürchtet man sich jetzt wenig noch hier, man glaubt sie werde nicht schlimm, vielleicht auch gar nicht kommen. Dies sagte mir auch heute der Teis [?]. Der Humboldt soll schon voriges Jahr für gewiß bestimmt haben, daß die Cholera im Februar 1832 in Paris wäre, also kommenden Februar, was sagen Sie dazu.

Bartholomäus Kopitar an Jakob Grimm, Wien, 28. September 1831Ш Auch von der Cholera hab' ich gekostet, aber mit Ihrem Recept, was ich, mit Ausnahme der Kartoffel schon eher befolgte, hoffe ich von weitern Besuchen frey zu bleiben. Sie wissen aus unseren Zeitungen, daß wir sie ganz erträglich finden. [...] Ihr Recept hab' ich auch an Vuk mitgetheilt, der mir sehr erschrocken zuschrieb, denn auch in Serbien und Bosnien ist die Cholera. Hoffentlich wird man das Übel in Berlin ergründen; wo nicht, so hole der T * * die Prahler! [...] In einem slavonischen Pamphlet über die Cholera von 1831 wird, nescio an satis vere, angeführt, diese indische Cholera sey 1663 schon im Banate gewesen, und von den Madjaren weiße Pest (=Ьё1а kuga), von den Serben aber neduga genannt worden, was der Verfasser für поп longa nimmt [...]. 1663 und selbst noch 1831 hätte man sich dagegen durch Aushängung einer Faßdaube (duga) zu verwahren gesucht, also alloepathisch duga gegen neduga, aber, wie bemerkt wird, wenigstens 1831 mit geringem Vortheil = malom koristjom.

Karl Friedrich Schinkel an Peter Beuth, Berlin, Ende September 1831го1 [...] ich war mit Geh. Rath Schmid auf dem Lustgartenbau zur Conferenz zusammen, und es entstand uns die Frage, ob nicht bei der vom Könige gemachten Äußerung: bei den jetzigen bedrängenden Umständen durch Bauten die arbeitende Volksklasse zu unterstützen - von unserer Seite darauf angetragen werden könnte: die fehlende Summe von 125000 Rtlr. für Vollendung des ganzen Lustgarten-Baues jetzt gleich zu bewilligen. Womit denn der Bau des Dampfmaschinengebäudes, die Aufstellung der Maschinen selbst, die PflasterungsArbeiten, das hohe Gitter um die Granitschale pp ganz vollendet würden, und sich diese Sache nicht noch ins künftige Jahr hineinzöge, wo es neue Hindernisse und jedenfalls mehr Kosten geben würde, wie schon die jetzt eingetretene Verzögerung etwas mehr Kosten veranlaßthat. [...] [Randnotiz von Beuth:] Über die Mittel, die arbeitende Klasse zu beschäftigen, sind dem Könige viele Vorschläge geschehen. Von diesen hat er einige ausgewählt, andere ausgesetzt, bis die Noth größer sein würde. Er hat besonders Arbeiten berücksichtigt, wobei gemeine Arbeiter, nicht sowohl Handwerker benutzt werden können.

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Adolph Schnitzer an Karl Wilhelm Wagner, Galizien, Ende September 1831308 Was die Übertragung des Ansteckungsstoffes von Person zu Person betrifft, so erlauben Sie mir hier vorläufig nur einige Facta mitzutheilen, deren Augenzeuge ich war. In Lemberg gieng ein Mädchen aus einem Hause, wo sämmtliche Personen gesund waren (aus dem Hause der Frau von W...) heimlich weg, um eine in der Nachbarschaft an der Cholera verstorbene Freundin zu sehen. Bei ihrer Nachhauskunft fühlte sie sich unwohl, und nach einigen Stunden schon brach die Cholera aus, sie wurde sogleich ins Hospital gebracht, und sämmtliche Hausbewohner blieben fortwährend gesund. Mad. В... besuchte ihren schwerkranken Vater kurz vor seinem Tode, an demselben Tage noch erkrankte sie an der Cholera, während ihre Umgebung ebenfalls gesund blieb. In dem Hause der Mad. В... starb eine Dame, die Krankenwärterin entwendete der Todten die Ohrringe aus den Ohren und ein Halstuch, verwahrte es 14 Tage, und erst an einem Sonntag des Morgens machte sie Gebrauch von diesen Effecten, noch an demselben Tage erkrankte sie an der Cholera und starb. Dr. Samel an Karl Wilhelm Wagner, Conitz, Ende September 1831ъю Am 22. August erkrankte in der Stadt die 16jährige Esther Moses, Morgens 1 Uhr, suchte und erhielt Hülfe 6 1/2 Uhr, und starb Mittags 12 1/2 Uhr. Wodurch bei ihr die Krankheit erzeugt wurde, konnte nicht mit Bestimmtheit ermittelt werden; verschiedene schnell verbreitete Gerüchte hierüber erwiesen sich nachmals als falsch. Der Vater der Verstorbenen treibt Handel mit kurzen und Schnittwaren, welche in der Regel von Frankfurt a.O. entnommen werden, neben diesem Geschäfte besteht ein kleiner Schänk, welchen Durchreisende gemeinen Standes häufig besuchen. Kurz zuvor war von Landsberg a.W. ein Paquet mit gewebten, wollenen Strümpfen eingegangen, welche die Verstorbene auspackt, und davon mehrere ausprobirt hat. Kein Mitglied der Familie ist an verdächtigen Orten gewesen, oder mit verdächtigen Personen erweislich in Berührung gekommen. Die Verstorbene hat sich stets sehr fest geschnürt, oft mit der Schnürbrust geschlafen, und dieselbe auf dem Leibe, Morgens und Abends, mit kaltem Wasser befeuchtet, damit sie fester sitze. Den 20. und 21. August hatte sie Abends viel halbreifes Obst genossen, und in einem leichten Anzüge spät im Freien gesessen. Wilhelm Grimm an Charlotte Hassenpflug, Göttingen, 29. September 1831ш Es ist offenbar nicht so schrecklich in Berlin, obgleich man wohl Gelegenheit hat, zu sterben, allein daran fehlt es ja zu keiner Zeit; wenn, wie ich eigentlich nicht bezweifle, der böse Geist auch zu uns zieht, so wollen wir tapfer aushalten u. von dir weiß ich auch im voraus, daß du dich ordentlich benimmst. Der schrumpelige Schlegel ist von Bonn nach London gegangen u. vielleicht aus dem Regen in die Traufe; ich denke nicht, daß andere Professoren ihm das nachmachen werden. Die Bettine in Berlin benimmt sich trefflich. Sie ist eben auf der Straße, als in der Nähe eine Frau von der Krankheit betroffen, niedersinkt; sie hebt sie mit ihren doch schwachen Kräften auf, trägt sie in ihr Haus, reibt sie u. hat sie gerettet. Savigny steht einer Gesellschaft vor, welche sich gebildet hat, um mit Kleidungsstücken u andern nothwendigen Dingen die Dürftigen zu unterstützen u. schreibt: ich bin gesund u. heiter.

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Paul Johann Anselm von Feuerbach an Elise von der Recke, Ansbach, 29. September 1831 Die Cholera steht nun so gut wie an unserer Grenze. In Wien rast dieser Würgeengel aufs entsetzlichste, weit mehr, als man es in den Zeitungen liest. Sie befolgt daselbst ganz das Prinzip der absoluten Gleichheit vor ihrem Gesetze und würgt unter den Privilegierten ebenso unbarmherzig wie unter den Nicht-Privilegierten. Der hiesige Regierungspräsident v. Mieg hat von seiner Schwiegermutter, welche zu Wien begütert und ansässig ist, Briefe darüber, welche so arg sind, daß man sie nicht lesen kann, ohne daß sich die Haare sträuben. In meinem Hause sind schon alle Vorbereitungen getroffen, um die Bestie zu empfangen, ohne daß wir besondere Furcht vor ihr hätten. Für mich hat das Leben ohnehin nur noch wenig Wert; ich ertrage es aus Pflicht, ohne es zu lieben. Die Freuden, die es mir bieten konnte, habe ich alle genossen; was ich allenfalls von ihm noch fordern möchte, wird es mir nicht gewähren. Daß die Cholera unvermutet kommt und auf der Extrapost mit ihren Passagieren davonfährt, hat für diejenigen nichts Schreckliches, der seine Koffer schon gepackt hat und für jeden Augenblick reisefertig ist. Nach einer hier seit gestern verbreiteten Nachricht ist die böse Freundin bereits in der bayerischen Grenzstadt (gegen Österreich), Passau, eingetroffen. Diese Nachricht ist zwar noch nicht bestätigt, doch ist es mehr als wahrscheinlich, daß, wenn die Cholera, wie zu erwarten, von Österreich her zu uns kommt, sie ihre Eintrittsstation nirgend anderswo als zu Passau nehmen werde. Denn diese Stadt, feucht und niedrig, am Fuße der Festung Oberhaus und am Zusammenfluß von zwei großen Flüssen und einem Flüßchen gelegen, ist für diese am Delta des Ganges geborene und großgezogene Asiatin ein höchst willkommenes Absteigequartier. Heinrich Eduard Dirksen an Friedrich Daniel Sanio, Berlin, 29. September 1831312 Herr von Savigny und Klenze stehen an der Spitze eines Vereins zur Bekleidung der Armen, und die Frauen sammeln in Person die Geldbeiträge in den Häusern, während die Männer die Probe'n von Flanell und Moltong, Schäferstrümpfen und Pantinen mustern. Das sichtbare Oberhaupt der historischen Juristenschule versicherte mich, diese neuerworbene Curatel nöthige ihn vorläufig, auf jede literarische Beschäftigung zu verzichten. Karl August Varnhagen von Ense an David Assing, Berlin, 30. September 1831313 Ich sende Dir hier die gediegenste, klarste, übersichtlichste und ergebnisreichste Abhandlung, die mir bisher noch über die Cholera zugegangen ist; mir scheint es nützlich, dass die darin ausgesprochene Ansicht frühzeitig ausgebreitet werde und der Krankheit vorangehe; viel Besorgnis und Unheil kann dadurch gespart werden. Dass es uns hier im allgemeinen leidlich ergeht, wirst Du aus den öffentlichen Blättern wissen, die Krankheit hält sich in mässige Schranken, man gewöhnt sich mit ihr zusammen zu leben und hofft nicht minder, sie bald wieder los zu werden. Ihr orientalischer Karakter fand schon in dem slawischen Stamme einigen Widerstand, mehr noch in dem germanischen, vielleicht noch grössern in den romanischen, ich rechne natürlich Boden und Bildung des Lebens dieser Stämme mit zu dem Wesen derselben.

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Briefe Herbst 1831 Johann Michael Sailer an Friederike von Reden, Regensburg, 30. September

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Mein gestriger Namenstag, St. Michael, hat mir das freundlichste Geschenk gebracht Ihr Schreiben, das zwar durchstochen wie zur Pestzeit, aber uneröffnet ankam. So sehr ich mich nach Ihrem ersten Berichte von Ihrem Wirken und Leiden sehnte, so bekenne ich doch, daß Ihr Sehnen nach einem Briefe von uns als pari mit dem meinen ging, wo nicht voransprang ... Die Weltseuche bedroht auch uns. ... Es ist Gottes Zeigefinger in ihr sichtbar. Wir beten an und hoffen auf ihn in Ergebung. Da Ihr Haus als Christenhaus mit dem Blute des Herrn bezeichnet ist, so wird der Würgeengel vor demselben vorübergehen dürfen. Amen. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 30. September 1837315 Dr. Donndorff war Nachmittag bei mir, nachdem er eben von Frankfurt zurückgekommen. Er erzählte, er habe dort keine sonderliche Ängstlichkeit vor der Cholera bemerkt. In Berlin ist sie wirklich nach Verhältnis sehr gelind, und bis sie zu uns käme, würde die Gefahr sehr unbedeutend werden. [...] Ist es wahr, daß Metternich an der Cholera krank liegen soll? Auch in Frankfurt hat man es gesagt. Gott soll ihn gesund lassen, denn ich hoffe, daß er noch großen Ärger erlebt an den Zeiten. In Wien ist ja die Cholera ganz jakobinisch, sie ruft ä bas la noblesse! Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, Berlin, 30. September

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Alle Menschen haben jetzt Kaffee vor sich, nie Bier; führen sich exemplarisch auf. Alles haben wir Stettin zu danken, weil dies Respekt vor der Sperre einflösst. Alles ist frei und als Freie betragen sich die Menschen vortrefflich. Weissbierbärme die ich zu Kuchen wollte, ist garnicht zu haben. Wir bleiben streng Diät: Nur Ertofflen, Grütze, Reis, Hirse, Fleisch, Suppe, Ertofflenklösse; abgekochtes Wasser, Wein, Zucker, Tee, Kaffee .... man muss in Achtsamkeit und Diät 6 Wochen nach der Krankheit nicht nachlassen. Vielleicht wird sie doch hier abgeschnitten. Privatschreiben aus Riga, Anfang Oktober 1831m Weil nun aber der Seuche wegen ein jeder Schiffer so schnell als möglich expedirt seyn wollte, so strengte sich die arbeitende Klasse, verlockt durch sehr hohen Arbeitslohn bis zur Erschöpfung an und suchte, wie es von unvernünftigen Menschen nicht anders erwartet werden kann, seine Kräfte zu unterhalten, theils durch verderbliche Restaurationsmittel jeder Art während der Arbeit, theils durch übermäßigen Genuß des Branntweins nach derselben. Sie ließ mithin die mächtigsten Gelegenheitsursachen zum Cholera-Anfall ununterbrochen auf sich einwirken. Amalie Sieveking an eine Freundin, Hamburg, Anfang Oktober 1831ш Im Begriff einen sehr ernsten Schritt zu thun, halte ich es für meine Pflicht, Dich davon zu benachrichtigen. [...] Ich habe mich für die Zeit, daß die Cholera hier herrschen wird, und seit acht Tagen ist sie bestimmt ausgebrochen, - dem Hospitaldienste gewidmet. Meine Mutter, die gute, liebe Mutter, hat mir ihren vollen Segen dazu gegeben [...].

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Furcht vor Ansteckung empfinde ich durchaus nicht, und gehe in dieser Hinsicht so ruhig in's Hospital, wie sonst in meine Schulstube. Solche Furchtlosigkeit gilt ja nun aber gerade nach dem einstimmigen Urtheil der Aerzte für das beste Präservativ gegen die Krankheit, daher auch Krankenwärterinnen verhältnißmäßig nur äußerst selten daran sterben. Du siehst also, daß kein Grund vorhanden, Dir meinethalben ängstliche Sorge zu machen. Die Möglichkeit daß der Herr mich vom Hospitaldienst zu seinem Dienst da droben berufe, kann ich freilich nicht wegleugnen; aber siehe, wäre das denn eben nicht ein sicheres Zeichen, daß ich hier auf Erden genug gelebt, und meinst Du nicht, daß, wenn mein Gott mich zum Sterben ruft, er mich auch dazu bereiten würde? meinst Du nicht, daß durch die Gnade meines Heilands das Sterben für mich nur der Anfang eines schöneren Lebens würde? Ja, es steht fest bei mir: Leben wir, so leben wir dem Herrn; darum, wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn - und in dieser Gewißheit kann auch der Gedanke an den Tod im Hospital mich nicht erschüttern. Privatschreiben aus Lemberg, Oktober 1831m Das medicinische Publicum konnte übrigens während der Choleraepoche, wenn es nicht ohnehin schon zu den Wohlhabenden der Stadt zu rechnen wäre (wollte Gott das wäre in mehre[re]n Städten der Fall), sein Scherflein ins Trockne bringen; denn man belohnte dessen unwirksame Hilfe sehr reichlich, die Juden leisteten ansehnliche Pauschalzahlungen, und die Gastwirthswittwe Pach bot sogar, obgleich vergeblich, 20.000 für ihre Rettung. Die Zahl der Erkrankten u.s.w. in öffentlichen Blättern ist nicht eben von großer Gewißheit; denn die große Aengstlichkeit ließ schon bei geringem Unwohlsein nach dem Arzte umsehen, der den Patienten unverzüglich auf die Choleraliste brachte, und dadurch die Zahl der Genesenden mit Leichtigkeit vermehrte, während im Gegentheile leider sehr viele, die als von der Cholera genesen aufgeführt wurden, sich bald darnach, als Folge der mit ihnen, besonders durch Chlorkalkbehandlungen, vorgenommenen heroischen Curen, an der Wassersucht, dem Nervenfieber, Abzehrung, an Entzündungen u. dergl. sich zu ihren Vätern gesellten. Tilesius jun. an Wilhelm Gottlieb von Tilesius, St. Petersburg, Oktober 1837320 Der Umstand, daß beim Beginn der Krankheit diese sich ausschließlich in den niedern Volksclassen zeigte und nach dem hiesigen Ausdruck nur das tschorne Narod (gemeine Volk) wegfraß, hatte dieses gewaltig pikirt, und da es nicht begreifen konnte, daß die Natur selbst privilegirte Stände anerkenne, so war bald der Glaube allgemein, man schleppe die Menschen nur in die Hospitäler, um sie dort zu vergiften, welches auf Anstiften der Polen geschehe, welche die Polizei und die Aerzte zu diesem Behufe erkauft hätte[n], kurz der von letzteren betriebene Speditionshandel für die Ewigkeit werde nicht mehr en detail sondern en gros betrieben. Man reagirte also, und anfangs mit einigem Erfolge, das heißt, man prügelte die Polizei, machte Jagd auf die Aerzte und erstürmte die Hospitäler, die halbtodten Kranken wurden auf die Straße geschleppt, wo man ihnen Milch eingoß, um ihnen das vermeintliche Gift aus dem Leibe zu treiben, hierauf trug man sie in Triumph wieder in ihre Behausungen zurück (aus denen sie gewaltsam ins Hospital gebracht worden waren). Bei der Erstürmung des Heumarkthospitals hätte es bald dem armen W. Fuss das Leben geko-

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stet, nachdem man ihn nämlich im Hause selbst arg zerprügelt hatte, schleifte ihn der untenstehende Menschenhaufe noch einige Zeit auf dem Pflaster herum, trat ihn mit Füßen etc., so daß es ein halbes Wunder ist, daß er mit dem Leben zugleich noch seine gesunden Glieder erhalten hat. Sein College, der Dr. Seemann, wurde an seiner Seite erschlagen und aus einem Fenster des dritten Stockwerks herabgestürzt. Albrecht Lührs an Friedrich August Gottreu Tholuck, Berlin [Oktober] 1831321 Gebel ist jetzt wieder abgezogen. [...] Soeben erhalte ich einen glaubensfreudigen Brief von ihm aus Berlin, der alle Schrecken der Cholera malt. In seinem Hause erkrankten drei Personen, von denen er selbst dem einen durch treuste Pflege das Leben rettete. Leider muß ich den Brief noch mehreren mitteilen, sonst packte ich ihn gleich ein und schickte Ihnen denselben .... О Geliebter! Der Augenblick, der zwischen Zeit und Ewigkeit liegt, ist vielleicht auch einem von uns beiden nahe, und mir zuerst! Er wird uns hinüberführen sanft und leicht, wenn es Sein Wille ist, und drüben gibt es ein freudiges Wiedersehen!

Privatschreiben aus Wien, 1. Oktober

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Mehre[re], auch Aerzte, behaupten, die Gesundgebliebenen der niedern Stände verachteten die vorgeschriebenen diätetischen Maßregeln und überließen sich ganz der gewohnten Unmäßigkeit im Obstessen, Trinken etc. Unter dem Militär sind sehr wenig Kranke, da man sie in den Casernen streng beaufsichtigt. In den Vorstädten fangen die gemeinen Leute an, sich selbst zu behandeln, und rufen selten den Arzt; heiße Hafendeckel, heißer Hafer, Thee, auch nur warmes Wasser, mitunter auch wohl recht stupide Mittel helfen oder tödten. Die Spitäler sind sehr gut besorgt, aber nicht häufig belegt, da die Scheu dagegen noch immer nicht überwunden ist. Friedrich List an Ernst Weber, Paris, 1. Oktober 1831323 Der Himmel verschone Dich und die Deinigen vor der abscheulichen Seuche, die jetzt Europa in Schrecken setzt. Lasse mich ja recht bald von Dir hören, wenn sie glücklich an Euch vorüber gegangen. Sollte inzwischen ein tüchtiges Mittel (homöopathisches oder nicht) dagegen gefunden werden, so wirst Du [mich] durch die Mitteilung desselben (über Havre) sehr verbinden. Am 10. Oktober werde ich mich in Havre einschiffen. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 1. Oktober 1831324 Gestern erzählte man mir von einem Cholera-Gedichte, das Dr. Stiebel in Frankfurt in Frankfurt verfaßt und an seine Patienten verteilt, um den vielen Anfragen über das Verhalten bei der Cholera zu begegnen. Schicken sie mir doch das Gedicht, wenn es nicht zu sehr ins Porto fällt. Sie können ja bei Stiebel in meinem Namen eines für mich fordern lassen. [..·] Ich habe schon zu zwei Aufsätzen hier viel notiert. 1. zum Cholera-Aufsatz, wovon ich schon in Baden gesprochen, und dann über eine Fortsetzung von Goethes Leben [...].

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Anton Schmit an Samuel Hahnemann, Prag, 1. Oktober 1837325 Die Paar Homöopathen in Wien machen gute Sachen, wenige sterben ihnen, man will wissen, fast keiner, dahingegen die Allöopathen fast alle in die andere Welt schicken. Ein Paar der gar großen hatten das Unglück keinen einzigen retten zu lassen, machten sich dann krank, um nicht immer Todtenzettel schreiben zu müssen, oder gingen aufs Land. Es geht so zu, daß das Volk sich unter einander sagt: Holt keinen Arzt, wenn ihr die Cholera bekommt, sonst seyd ihr geopfert; behandelt euch selbst, wenn ihr wollt gerettet werden. Von den höheren Ständen kommt der Rath, sich keinen alten Arzt zu nehmen, einen Homöopathen oder doch wenigstens einen jungen Allöopathen, die weniger eigensinnig gegen den Campher sind. - Die ganze Garnison in Wien trägt Kupferplättchen, und der größte Theil der Bevölkerung auch. [...] Ewig schade, daß die schönsten, für die Homöopathie sprechendsten Beweise von der Heilsamkeit des Camphers nicht bekannt werden, da die Leute ganz im Stillen den Campher anwenden, und bey der schnellen Heilung oft im Hause selbst Niemand außer den Familiengliedern davon erfährt. 3 Fälle von solchen Heilungen sind mir mitgetheilt worden, wovon nichts bekannt geworden ist, nicht einmal die im Hause nebenan Wohnenden erfuhren etwas davon. [...] In Wien will man mit Teufelsgewalt, daß sie epidemisch, nicht contagiös sey; die Bauern auf den nahen Dörfern kehren sich aber nicht daran, sondern drohen jeden Wiener todt zu schlagen, der sich auf ein Dorf hinauswagt. Jedes Dorf um Wien schließt sich für sich ab und die Einwohner sind dabei so strenge, daß sie mit Todtschlage jeden bedrohen, der ins Dorf herein will, selbst wenn er vom Dorfe selbst herstammt. So wie in Wien hat man sich auf mein Anrathen mit Kupfer und Campher auch auf dem Lande herum versehen. [...] Daß Ihr Büchelchen gelesen wird, ist gewiß, aber im geheimen, und was diese Kerls Allopathen dazu sagen, geschieht wieder nur unter sich; denn sie fürchten, daß es von Layen gelesen werden würde, wenn sie laut dagegen sprächen. Karl Gutzkow an Wolfgang Menzel, Berlin, 2. Oktober 183P26 Sie müssen sich zuerst recht freundlich und munter von mir grüssen lassen und das um Ihrer selbst willen, damit Sie ja nicht glauben, man könne bei so bewandten Krankheitsumständen seines Orts nicht mehr froh werden. Man kann es freilich nicht so recht aus dem Sinne bekommen, mit dem Dichter ängstlich zu sprechen: „Denn der noch jetzo blühend vor Dir steht, trägt schon vielleicht in sich der Seuche Keim". Allein wo sich das einmal nicht abzuändernde Unglück so anläßt wie bei uns, da läßt es sich schon ertragen. Hans Ernst von Kottwitz an August Tholuck, Berlin, 2. Oktober 1831m Seit einigen Tagen wird die Hof[f]nung belebt, daß in der Anstalt die Zucht der Cholera sich nicht mehr so afficirend erweisen dürfte. Vom 7.-26.v. M. sind 36 erkrankt, 15 - einige in wenigen Stunden - verstorben. Welch eine das Herz gewaltig ergreifende Predigt ... ist die Cholera. - Und zugleich unter allen Drangsahlen, ist diese Rede des Herrn allen - auch den ärmsten - die Seinem Worte vertrauen „rufe Mich an" Trost, Errettung und ein beseligender fest begründeter Anker. - Den[n] wa[h]rlich was Sein - nicht von Menschen - und

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wärs auch die Kirchen Zeitung - instruirtes - Wort verspricht, dem fehlts an der Erfüllung nicht! Privatschreiben

aus Warschau, 3. Oktober

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Hier hat die Cholera ganz aufgehört und in Eurer Nähe wüthet sie. Da wir vieles darüber gesehen und auch aufgeschrieben haben, besonders aber über die streitige Ansteckungskraft schöne Erfahrungen gesammelt haben, so halten wird es für unsere Schuldigkeit, dies Alles Euch und unsern Mitbürgern mitzutheilen. Für jetzt wollen wir nur versichern, daß keine Quarantaine die Cholera aufhalten wird, daß die Ansteckung gewiß nicht durch Kleidungsstücke oder andere Berührung fortgepflanzt wird, und daß höchst wahrscheinlich in der Luft ein Ansteckungsstoff verborgen ist, der aber, um aufgenommen zu werden, eine Disposition erfordert, welche ziemlich selten stattfindet. Leopold Ranke an Ferdinand Ranke, Berlin, 3. Oktober 1831329 Die Seuche rückt nun auf die Elbe los. Flüsse hindern sie nicht; in kurzem kann sie auch im Harz ankommen. Ihr werdet Euch nicht fürchten; wenigstens ist hier alle ängstliche Furcht verschwunden, seitdem sie da ist. Es ist ein einziger Mensch hier, der in seinem Vorzimmer eine Art Reinigungsanstalt eingerichtet hat. Wer ist das wohl? Varnhagen. Seitdem komme ich gar nicht mehr hin. Henriette Paalzow an Sibylle Mertens-Schaaffhausen, Berlin, 3. Oktober

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Die öffentlichen Nachrichten werden Dir den geringen Umfang der Cholera im Verhältnis zur Bevölkerung dartun. Wie aus meiner Seele sprichst Du Deine Ueberzeugung aus, daß jeder jetzt mit Festigkeit den Platz wahrnehmen und behaupten soll, auf den ihn Gott gestellt hat. Edles, liebes Wesen! Wie liebe ich Dich in dieser kräftigen Erhebung! Adalbert Stifter an Adolf von Brenner, Friedberg, 3. Oktober 183 l

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Vor allem ist es mir, wie Du Dir denken kannst, außerordentlich angenehm zu wissen, daß aus euerer Familie kein Opfer genommen wurde, was auch der Herr in Zukunft nach seiner Gnade verhüten wolle. Auch ohne Dein le[t]ztes Schreiben würde ich Dir ohnefehlbar heute geschrieben haben, da ich in immerwährenden Sorgen schwebte, wie es in euerem Hause stehen möge, ob gut, ob traurig, da durch Dich, den ich wohl von meiner innigen Liebe und Achtung nicht erst durch Worte zu überzeugen brauche, und dann durch so vielfältige Güte, die ich von euerem Hause genoß, so an alle Deine Angehörigen gebunden bin, daß ein Uebel, das einem aus Ihnen begegnen würde, tiefen und schmerzlichen Eindru[c]k auf mich machen müßte. Ich ersuche Dich daher, mir vor 1. November noch einmal zu schreiben, wie es bei euch steht. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 3. Oktober 1831332 Meine Schwester fürchtet die Cholera wie - nun - sie komme zu noch mehr furchtsamer Leute aus der Verwandtschaft - übrigens Sie sind am meisten Schuld, an alle der Angst die

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ich Ihnen ausgestanden, Sie haben mir schön die Cholera in den Kopf gese[t]zt! Es geht mir jetzt viel besser als in Baden. Auch erwartet man, wenn die Cholera gar kommen sollte, daß sie sehr milde seyn würde. Gestern kamen Nachrichten aus Wien sehr erfreulichen Inhalts. [··.] Auch hörte ich heute, die Cholera komme gar nicht in unsere Gegend, sie ginge von Wien wieder zurück dem schwarzen Meer zu. Dr. K. A. R. an Dr. Lehmann, Berlin, 4. Oktober

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Die Cholera ist bei Weitem kein so furchtbares Uebel als der hier 1813 grassirende Typhus; man hat nur von ihr zuviel Geschrei gemacht. Sie ist nicht eine Epidemie, die nichts schont, sondern sie will eine bestimmte Disposition; die ansteckende Kraft ist da, wo sie unter günstigen Umständen sich entwickelt; in der Regel kann sich aber Jeder durch Vermeidung von Diätfehlern a) durch Erkältung; b) durch Genuß rohen Obstes, durch Uebermaß an Speisen und Getränk; c) durch feuchte Wohnung; d) durch Angst, davor sicher stellen. Zwei Doctoren sind hier nach groben Diätfehlern gestorben; noch ein paar höherer Stände auf ähnliche Art. In Wien, wo viel mehr gegen die Diät gesündigt wird, sterben auch viel mehr die höheren Stände. Der geringe Mann kann sich oft nicht in Acht nehmen, gewöhnlicher aber verachtet er jeden Rath und folgt dem rohen Trieb und dem Fatalismus. Man hat zuviel Lärm gemacht. Das Bekanntmachen aller Todesfalle, strenge und nicht auszuführende Maßregeln, die man thörichter Weise ankündigte, hatte Anfangs viel Furcht gemacht; allgemach wird man vernünftiger. Man hat das Uebel an der Wurzel angegriffen, indem man für Abhelfung der großen Noth bei den Armen sorgt; der Unvernunft ist nicht zu steuern, und der Pöbel ist und bleibt Pöbel, nicht, weil er in Lumpen geht, sondern weil er aus Lumpengesindel besteht. Wo gleich gegen die Krankheit gethan wird, bei Diarrhöen u.s.w. vorsichtig eingeschritten wird, da geht es gewöhnlich schnell vorüber; wird das Uebel vernachlässigt, da ist der Tod unausbleiblich, und was ihn bringt, wissen wir nicht. Die Sectionen, die hier ununterbrochen fortgesetzt werden, geben ein Resultat, wie ich glaube, das mit dem des Leichenbefunds der vom Blitz Erschlagenen zu vergleichen ist. Die Arterien voll Blut! Daß es vom Ergriffenseyn des Blutes ausgehe, kann ich mir nicht denken; sondern das Nervensystem muß von dem Gift so ergriffen werden, daß die plötzliche Lähmung des Herzens u.s.w. erfolgt. Daß Sie von dem Uebel verschont bleiben, wünsche ich von Herzen, glaube es aber kaum. Suchen Sie aber mit allen Ihren Freunden, der Sache das Gräßliche möglichst zu benehmen, und alle strenge, auffallende Maßregel zu verhüten. Die Leichen können überall beerdigt werden; es bedarf keiner schwarz gekleideter Leichenträger, mit Polizeisoldaten u.s.w. Man war hier anfangs so thöricht, ohne die Krankheit zu kennen, sie in der Ansteckung mit der Pest für identisch zu halten; das hat viel Uebles hervorgebracht. Lassen Sie keine Cholera-Bülletins und Zeitungen erscheinen: dazu hat ja wohl Ihr immer so humaner Magistrat das Recht? Wenn die Besseren, d.h. die wirklich Aufgeklärten, sich verbinden, der großen Noth derer abzuhelfen, die dem Uebel sonst nothwendig erliegen müssen, und dadurch dieses Allen gefährlicher machen, wenn sie dem Tode das Schreckliche wegnehmen, und freundliche

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Belehrungen über Vermeidung des rohen Obstes, des übermäßigen Trinkens, der Erkältung öfters bekannt machen, so werden Sie sehen, es ist nicht so arg damit. Verhüten Sie vor allem alle Vorbauungsmittel durch Pulver, Tropfen; das macht nur Furcht, und diese ist der wahre Boden der Cholera. Carl Gustav Schmalz an Justus Radius, Pirna, 4. Oktober 1837334 So eben erhalte ich noch folgende Nachrichten aus Baden bei Wien, wohin sich, einer Sage wegen, daß dieser Ort von epidemischen und contagiösen Krankheiten seit Menschengedenken verschont worden sei, Viele geflüchtet hatten: „In der Nacht des 14. Septembers brach auch hier die Seuche aus und ergriff zuerst die Gemahlin des Prof. Bischoff, jenes bekannten und gewandten Praktikers, die mit ihrer Familie sich dahin begeben hatte. Zum Glücke war ihr Mann gerade anwesend, und seinen Bemühungen gelang es, sie zu retten. Kaum aber war sie in den heilsamen Schweiß gebracht, so wurde er zu einem zweiten Falle gerufen, wo er eben so glücklich war. Den folgenden Tag erkrankte der Diener des letztern Kranken, und wurde ein Opfer der Seuche." Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 4. Oktober 1831335 Übrigens bin ich willens, wenn hier die Cholera sich nähert, mich nach einem andern Orte zu begeben. Hier wäre es dann gar zu schlimm. Ein Arzt ist wegen der Größe der Stadt schon bei gewöhnlichen Zeiten nicht gleich zu haben, wie wird es während der Cholera sein. [...] Versäumen Sie nicht, mir mitzuteilen, wo in Deutschland u. an welchen Orten die Cholera ausgebrochen, damit ich die Richtung frühzeitig erfahre. Übrigens, wenn Hoffnung da ist, daß sie nicht nach Frankfurt kömmt, ist die Hoffnung, daß sie nicht nach Frankreich kömmt, noch viel größer, da der Cordon sehr streng gehalten wird. Johann Wolfgang von Goethe an Karl Friedrich Zelter, Weimar, 4. Oktober 1837336 Von den modernsten Deutschen Dichtern kommt mir wunderliches zu: Gedichte von Gustav Pfizer, wurden mir diese Tage zugeschickt, ich las hie und da in dem halbaufgeschnittenen Bändchen. Der Dichter scheint mir ein wirkliches Talent zu haben und auch ein guter Mensch zu seyn. Aber es war mir im Leben gleich so armselig zu Muth und ich legte das Büchlein eilig weg, da man sich beym Eindringen der Cholera vor allen deprimirenden Unpotenzen strengstens hüten soll. Wilhelm von Kuegelgen an Gerhard von Kuegelgen, Hermsdoif, 4. Oktober 1831ΏΊ Unsere gute Mutter, die mit Adelheid der Cholera wegen im Herbst auch herausziehen wollte und für die wir schon einige Zimmer in Bereitschaft gesetzt hatten, muß nun auf Carus Anordnung, den wir noch zu Rate gezogen haben, von Loschwitz nach Dresden statt hierher übersiedeln, weil Carus das Übel für höchst bedenklich hält und Mutter in der Stadt unter genauer ärztlicher Aufsicht haben will. Von ihrer Krankheit hat Dir ja Adelheid schon geschrieben. Die Ärzte meinen, es sei ein Nervenschlag gewesen, der sie teilweise gelähmt hat.

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Hermann von Pückler-Muskau an Karl August Varnhagen von Ense, Görlitz, 5. Oktober 1831m Wie geht es Ihnen denn, mein vereintester Freund, inmitten der abscheulichen Cholera? Von weitem sehen zwar dergleichen Dinge immer schlimmer noch aus, als wie von nahem, indessen ängstige ich mich doch zuweilen um meine lieben Berliner Gönner, und denke sie mir ein wenig hypochondrisch in ihrem einsamen Hause - denn das gesellschaftliche Leben ist doch wohl sehr beschränkt worden. Vor einiger Zeit schrieb ich Ihrer Frau Gemahlin, und übersandte einen Brief über Amalienhof, um dessen Remittierung ich bat. Es ist mir aber keine Antwort darauf geworden, so daß ich nicht einmal weiß, ob Sie nicht vielleicht gar Ihrem Schwager Herrn Robert, nach Baden gefolgt sind, welche Untreue von Muskau ich sehr schmerzlich empfinden würde. Sind Sie aber in Berlin, so lassen Sie doch etwas von sich hören und beschreiben Sie mir, wie es dort hergeht. Johann Wolfgang von Goethe an Karl Friedrich Zelter, Weimar, 5. Oktober 1831m Schon seit drey Monaten les' ich keine Zeitungen und da haben alle Freunde bey mir das schönste Spiel. Ich verfolge den Ausgang, den Abschluß, ohne mich über die mittlem Zweifel zu beunruhigen. Wenn ich denke was man der Belagerung von Missolounghi für unnützen Antheil zugewendet, würde ich mich schämen, wenn ich nicht meine besten Freunde in gleicher Thorheit am heutigen Tage befangen sähe. Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, Teplitz, 5. Oktober 1831340 Du kannst mir glauben, daß ich seit dem 29ten keinen andren Brief geschrieben habe und ich in einer ordentlichen inneren Angst bin, bis daß dieser Brief gesiegelt und fortgeschickt ist. Seit diesen 6 Tagen ist nun die Cholera in Breslau ausgebrochen und Wilhelm, anstatt zur Taufe nach Mantze, [ist] durch Güte seiner Chefs auf Flügeln der Liebe in Teplitz angelangt. Nikolaus Lenau an Anton Schurz, Stuttgart, 5. Oktober 1837341 Ich habe die Briefe, die mir allenfalls nach Heidelberg geschi[c]kt werden sollten, durch eine dortige Buchhandlung nach Gmunden adressiren lassen, weil ich einen Ausflug zu Schleifer zu machen glaubte, was aber wegen der Conf«»wzgeschichten unterbleiben mußte. Nun liegen diese Briefe, wenn Ihr mir anders geschrieben, entweder noch in Heidelberg oder in Gmunden. Schreibe mir doch auf der Stelle, lieber Anton. Privatschreiben aus Magdeburg, 5. Oktober 183Iм2 Die Cholera ist nun wirklich bei uns eingekehrt. Sie sprang von Berlin nach Rathenow, von dort nach Buckow, einem Dorfe dicht an Magdeburg, gegen Süden. Ein Schiffer, welcher 5 Tage Contumaz an der Parccyer Schleuse (im Plauen'sehen Canal der die Elbe mit der Havel verbindet) gehalten hatte, starb daselbst ohne ärztliche Hilfe. Ein Geselle ward in der Trunkenheit Abends hier von der Cholera befallen, war am andern Morgen schon ganz kalt und starb darauf. Ein anderer Geselle lag schon seit einigen Tagen an choleraähnlichen Zufällen darnieder, ward vorgestern von der Cholera in ganzer Form ergriffen und starb

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darauf. Die Frau des Botenmeisters auf dem Stadtgerichte zankte sich, am Fuß eines mit Wein bewachsenen Hauses stehend, mit einer andern Frau die aus dem Fenster desselben hinaussah, wohl eine Stunde lang und beide aßen Weintrauben dabei, um sich die Kehle anzufeuchten. Die Botenfrau, welche sich wahrscheinlich am meisten geärgert hatte, starb 12 Stunden nachher an der Cholera. Heute sind 2 Personen erkrankt und nach dem Lazareth geschafft. Bei allen diesen Leuten, welche in den verschiedendsten Theilen der Stadt wohnen, ist, mit Ausnahme des Schiffers, keine Spur der Mittheilung von erkrankten Personen oder fremden Gegenständen nachzuweisen. Ja noch mehr. Vom Anfang des Septbr. an bis zum 20. Septbr. war West-Wind und bis dahin blieb die Cholera in Berlin stehen, dann kam Ostwind und sie brach in Rathenow aus; Tags darauf bis zum 3. d. M. wieder Westwind, und keine Verbreitung zeigte sich; mit dem Ostwinde vom 2. d. M. ist sie nun bei uns eingerückt. Dieß spricht wieder ganz dafür, daß die Krankheit epidemisch sey, und dieser Meinung sind so viele Personen aus den angesteckten Provinzen, daß man nur noch einzelne Anhänger der Contagion findet. Mein Arzt der Anfangs für die Contagion, später für die Epidemie war, sagt er habe jetzt gar keine Meinung, und müsse sich die seinige erst durch eigne Beobachtungen bilden. Aber er erklärt, daß die bisherigen Erfahrungen zum bei weitem größten Theil für das Epidemische sprächen; lesen Sie die Cholera-Zeitung welche in Berlin herauskömmt, und alle Namen und Wohnungen der Verstorbenen enthält, und Sie werden finden, daß die Krankheit wie von einem Hauch nach allen Weltgegenden hin zerstreut ist; das einzelne Erkranken von mehrer[e]n Menschen aus einer Familie kann dagegen gar nicht in Anregung kommen. Die neuste Aufhebung der Österreichischen Sperren spricht auch für mich. Übrigens behaupte ich nicht, daß Contagion unmöglich, nur daß sie selten sey. - Von Berlin meldet mir mein Vetter G., daß der Nebel besonders nachtheilig sey, und man daher Morgens spät ausgehen, nur Mittags spazieren gehen (aber recht tüchtig) und Abends zu Hause bleiben müsse. Ferner hat man dort gefunden, daß Personen, welche als gewöhnliches Getränk Wasser tranken, seit dem Ausbruche der Cholera davon incommodirt werden; man läßt deshalb jetzt das Wasser kochen bevor man es trinkt und verspürt dann kein Übelbefinden. - Unsere Krankentragen bestehen hier aus Blechkasten worunter Spirituslampen, so daß die Kranken die ins Lazareth getragen werden, sich nicht erkälten können. Privatschreiben aus Berlin, 6. Oktober

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Alle Verwandte und näheren Freunde sind wohl und ich fürchte durchaus keine Anstekkung. Wer nur aufmerksam auf sich bleibt, und nichts thut und genießt, was ihm auch sonst nicht gut bekam, hat so leicht nichts von der Cholera zu befürchten. Bis jetzt hat die Krankheit mehre[re]ntheils Leute aus der arbeitenden und dienenden Volksklasse getroffen, welche nie gleichmäßig, sondern bald zu gut, bald zu schlecht leben. Besonders befällt die Krankheit diejenigen, welche sich Unmäßigkeit vorzüglich im Genüsse des Branntweins zu Schulden kommen lassen. Auch wird die ärztliche Hülfe von diesen Leuten gewöhnlich zu spät gesucht und muß daher ohne Erfolg bleiben. Diejenigen welche bei Zeiten die ärztliche Hülfe suchten und zweckmäßige Mittel, zu welchen besonders die Erwärmung des Körpers, vorzüglich der Füße und des Unterleibes gehört, anwandten, wurden auch gerettet. Überhaupt erscheint der Charakter der Krankheit hier viel milder und weit weniger gefährlich als in Polen u.s.w.

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Eigentliche Präservative, welche gegen die Cholera schützen, sind noch nicht bekannt. Die sogenannten Lobkowitzschen Pechpflaster, welche anfänglich hier in Unzahl angefertigt wurden, hat man längst schon als nachtheilig anerkannt und gebraucht sie nicht mehr. Bei feiner und reizbarer Haut erzeugen diese Pflaster Ausschlag und Blasen und verhindern die Ausdünstung. Erstere machen eine lange und schmerzhafte Behandlung und Heilung nothwendig. Wenn aber auch wirklich die Haut durch das Pflaster nicht angegriffen wird, so muß das Pflaster doch bei der Erkrankung abgenommen werden, weil der Leib mit Salbe eingerieben werden muß. Die Haut ist dann auf jeden Fall so gereizt, daß ein anhaltendes Reiben gar nicht auszuhalten ist. Weit zweckmäßiger ist eine Leibbinde von weißem Flanell, bei welcher ich mich sehr wohl befinde. Jeden Morgen ehe ich ausgehe, trinke ich ein Glas guten Portwein und fühle mich danach immer erwärmt und gestärkt. Mehrere Leute sind gestorben, die in gescheuerten Stuben geschlafen, Käse, Gurken, Melonen u. dergl. gegessen hatten. Die Lüftung der Zimmer und Betten ist vorzüglich anzurathen. Herr Professor Reich soll mit gutem Erfolge Brechweinstein bei Cholerakranken angewendet haben. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 8. Oktober 1831ш Ein Aufsatz über die Cholera, den die „Allgemeine Zeitung" in den letzten Tagen enthielt, hat mich von meiner Unwissenheit in den Naturwissenschaften recht betrübt überzeugt. Der Verfasser hat ganz meine Ansicht, daß die epidemischen Krankheiten der Menschen mit Krankheiten der Erde zusammenhängen. Nun spricht er von feuerspeienden Bergen, von Erdbeben, Elektrizität, ungewöhnlicher Abweichung der Magnet-Nadel und andern Dingen, die ich gar nicht verstand und was Sie mir in Ihrem nächsten Briefe, wie ich hoffe, alles erklären werden. Der Verfasser kömmt zu dem Resultate: daß die Cholera höchstens in sehr gelinder Art, vielleicht aber gar nicht nach dem westlichen Europa vordringen würde. Er meint, die unterdessen stattgehabten Erdbeben und Ausbrüche der Vulkane sowie die Entstehung neuer vulkanischer Reise-Inseln in Sizilien hätten diesen Teil der kranken Erde geheilt. Auch macht er den Vorschlag, Kamillen- und Pfeffermünzetee, statt ihn den Menschen einzugeben, lieber der Erde einzugießen, indem man große Löcher in die Erde macht, und man solle um die ganze Erde in der Gegend des Aequators eine Flanellbinde legen, sie vor Erkältung zu schützen. Dann würde die Cholera aufhören. Was sagen Sie dazu?

Karl August Varnhagen von Ense an Hermann von Pückler-Muskau, Berlin, 9. Oktober 183Iм5 Das Merkwürdigste ist, wie alle Kräfte der Hauptstadt wetteifernd und erfolgreich dahin arbeiten, das Ungewöhnliche und Gewaltige schnell zum Gewöhnlichen und Schlaffen herabzustimmen, und wirklich fügt selbst die Cholera sich diesem Loose! Wir leben schon friedlich mit ihr zusammen, und die entsetzlichen Zurüstungen gegen sie haben sich eingestellt; man unterhandelt, wie in Polen und Belgien, und mit noch größerem Erfolg. Dagegen ist ein Meinungsstreit an der Tagesordnung, und spaltet Hof, Stadt, Militair und Litteratur, am meisten die Aerzte, die aber diesmal ihre medizinischen Waffen in obrigkeitliche zu verwandeln suchen. Unser Präsident Rust wüthet für die Kontagion, und stimmt

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seine hohen und höchsten Patienten für diese Meinung, die Zensur muß Bollwerke dafür aufwerfen, die Polizei ihre Wachsamkeit aufbieten. Aber vergebens, die entgegenstehende Meinung gewinnt täglich Boden, und ist neulich sogar in der „Staatszeitung" durchgebrochen, welche einen Aufsatz von Lorinser aus unseren „Jahrbüchern" aufgenommen hat, worin meines Erachtens die richtige Ansicht bündig und klar dargelegt ist, eine Ansicht, die, nach meiner Ueberzeugung, immer mehr den Sieg davon tragen und in ganz Europa behaupten wird. Ungeachtet nun die Krankheit im Allgemeinen hier sehr mäßig auftritt, und wir sie mit Fassung und Stärke ansehen, so bringt doch ihre Gegenwart, wie Ew. Durchlaucht ganz richtig voraussetzen, einige Befangenheit in allen Lebensarten, und die Geselligkeit empfindet merkliche Stockungen. In unserem Hause jedoch eben so sehr aus anderen Ursachen, als wegen der Cholera unmittelbar; der Herbst wirkt mit seinem, wenn auch schönen, doch nicht gefahrlosen Wetter auf unsere Kränklichkeit ein, viele Personen sind verreist, die Stimmungen sind ungünstig u.s.w. [...] Die Berliner Gesellschaft leidet an früheren und tieferen Uebeln als die Cholera, und diese wird längst wieder geschwunden sein, wenn man noch über jene forschen und an ihrer Heilung herumversuchen wird! Unabhängige Geister und Verhältnisse fehlen uns, aller selbständige Lebensmuth ist in der Beamten-Dienstbarkeit erstickt. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 9. Oktober 1831Ш Donndorff hat Ihnen richtig berichtet, man fürchtet die Cholera nicht mehr viel. [···] Eben höre ich, in F[rank]furt ist der oder die Cholera ausgebrochen, und so mancher schon daran gestorben. Sie helt also doch uns noch, was Sie versprochen, ein schlechter Trost! Aber wieder sollen sehr befriedigende, und beruhigende Nachrichten von Wien und Berlin, über die Cholera eingetroffen seyn. Rahel Varnhagen an Hermann von Pückler-Muskau, Berlin, 9./10. Oktober 1831M1 Stockiges Berlinerleben, und dann die gräuelmachende, dumpfe, unbekannte verschrieene Annäherung des großen Uebels - ich nenn' sie nicht, die infamirende Krankheit, sich angesteckt zu fühlen, zu meinen, nicht mehr fliehen zu wollen, könnte man es auch noch; dies ist mir, was mir ein neues lähmendes, nie bedachtes, ganz verworfen fremdes Bewußtsein. Und was hab' ich alles entdeckt! daß ich der größte Aristokrat bin, der lebt. Ich verlange ein besonderes, persönliches Schicksal. Ich kann an keiner Seuche sterben; wie ein Halm unter anderen Aehren auf weitem Felde, von Sumpfluft versengt. Ich will allein an meinen Uebeln sterben; das bin ich; mein Karakter, meine Person, mein Physisches, mein Schicksal. [...] Nie bleibe ich mehr in solcher Pest, wenn ich fliehen kann. - Jetzt ist alles gut; bloß noch ennuyanter. Viele Wohlthaten richtig, sogar klug - also viel Oekonomie; sogar eingestanden. Stille Stagnation. Straßenleere. Theater geht; diese große Maschine treibt der König allein durch sein bloßes Erscheinen. [...] Wir leben fast eingemauert in unserer Mauerstraße; außer Fahrten nach Schöneberg. [...] Jedoch müssen Sie noch eines von mir wissen; ich bin unheilbar überzeugt, daß nur die Unart Stettins uns vor einem gräuelhaften Aufruhr schützte; dem eingefleischten Abscheu vor diesem allein verdanken wir die weisen Maßregeln, in denen wir athmen.

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Privatschreiben aus Konstantinopel, 10. Oktober 1831ш Der Monat August war für uns schrecklich. Wir hatten schon die Pest und die Cholera und dazu kam noch die Feuersbrunst... Bis jetzt ist die Cholera hier nicht sehr heftig gewesen und wir hoffen, die gute Luft des Bosphorus werde uns durchhelfen. Aber für Deutschland fürchte ich sehr! In feuchten und sumpfigen Gegenden richtet sie die meisten Verwüstungen an. Die besten Präservativmittel sind Diät und gar nicht daran zu denken, daß die Krankheit herrsche. Joseph von Görres an seine Tochter Sophie, München, 10. Oktober 1831м9 Die Choleraangst mindert sich etwas unter den Leuten, seit sie sehen, daß die Wiener doch noch größtentheils am Leben sind. Vernünftige Anstalten werden getroffen und von dem Choleramandat wird wohl wenig ausgeführt werden. Mir will es beinahe scheinen als sollten wir diesen Winter noch von diesem Gaste verschont bleiben. Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, Wien, 10. Oktober 1831m Von der Cholera schreibe ich Ihnen Nichts, denn die Zeitungen sagen alles. - So viel ist sicher, daß die Krankheit entweder im Vorschreiten an Intensität, oder vielmehr an Ausdehnung abnimmt, oder daß unser Publikum in Folge seiner geregelten Lebensweise weniger Perceptibilität für die Aufnahme des Krankheitsstoffes hat. Das beste, was sich über den letzteren sagen läßt, finden Sie in der Beylage der Allg. Zeitung vom 6. d. M. in einem von Dr. Hufeland unterzeichneten Artikel. In selbem ist alles wahr. Privatschreiben aus Wien, 10. Oktober 1831351 Man erklärt sich hier häufig für die Hypothese, dass die Cholera rein tellurisch sey, durch mephitische Dünste erzeugt werde, die im Innern der Erde gebildet, sich zunächst dem Wasser mittheilen. Man hat den ersten Ausbruch der Cholera hier einem mehrtägigen Regen zugeschrieben. Allein der Regen fiel eben so gut in den Vorstädten wie im ganzen Kessel des Donauthales. Die Ursache, warum die Cholera zuerst ganz allein im Innern der Stadt selbst ausgebrochen sey, müsse darin gesucht werden, dass hier die Brunnen und Keller weit tiefer liegen, als in den flachern Vorstädten. Vom Wasser soll es auch herrühren, dass öfters in demselben Hause zehn und mehr Erkrankungen vorkommen, während die Bewohner anderer Häuser gesund blieben, weil dort das Wasser nicht mit tellurischem Miasma geschwächt ist. Hier trinken daher viele Personen nur abgesottenes Wasser und glauben hierin das Arcanum gegen die Ch. gefunden zu haben. Vielleicht rührt auch von dieser Verderbniss des Wassers der fast überall verbreitete Volksglaube von der Brunnenvergiftung her. In manchen Landwirtschaften und Bauerhöfen kam ein Sterben unter die Hühner und Tauben. Steht diess auch damit in Verbindung? - Die grosse Zahl von todten Fischen in der Ostsee würde noch erklärbarer seyn, wenn sich die Erfahrung bestätigte, dass auch in Teichen und süssen Wassern viele todte Fische gefunden würden. - In Prag sind, wie anderwärts, Personen der niedrigsten Klasse, zuerst in der Regel die Stromanwohner, ergriffen worden. Diätfehler und Erkältungen im Wasser sollen auch dort prädisponirt haben. - Hier in Wien sind

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wir fürs erste durch; selbst in den Vorstädten sind die Erkrankungen höchst unbedeutend, und fliessen mit lebensgefährlichen Fiebern zusammen. Alexander von Humboldt an Guillaume Dupuytren, Paris, 10. Oktober 1831352 Das Vorrücken der Cholera hat Hamburg und Magdeburg erreicht. Die erschreckendsten und irrigsten Ansichten sind in der Öffentlichkeit verbreitet. Es wäre wünschenswert, daß das Amt von M. d'Argout eine kleine Summe opfern würde, um die Fakten und die Abwehrmaßnahmen in den Orten zu veröffentlichen, in denen die Krankheit regiert. [...] Ich übersende Ihnen heute, mein lieber Freund, das Beste aus vier Berliner Staatszeitungen, das ich innerhalb eines Jahres über die Cholera und die enormen Unterschiede, die sie zu ansteckenden Krankheiten überhaupt aufweist, gelesen habe. Amalie von Helvig an Fritz von Stein, Berlin, 11. Oktober 183lm Was die Zeit schmerzliches, bedrohliches hat, hat Ihr Gemüth wohl auch ergriffen. Die Geis[s]el unter welcher wir uns bereits 6 Wochen beugen, trat doch zu meiner Verwundrung erst kürzlich bei Ihnen ein - mögen die vorzüglichen Anstalten der sich Breslau zu rühmen hat die Prüfung gelind vorüberführen. Gewiß haben Breslaus tüchtige Einwohner auch meinen lieben Freund ein Amt bei der allgemeinen Wirksamkeit angewiesen dessen er sich gewiß so thätig als glü[c]klich befleißigt - . Wolle Gott die armen Masslers verschonen, da auf dem Lande ohne Arzt der Zustand noch viel ängstlicher ist. Das theuerste Opfer hat die Cholera uns allen in der Person des herrlichen Gneisenau abgefordert - Noch kann ich mich kaum überzeugen das[s] diese Gestalt von der Erde verschwunden ist und das milde Lächeln seiner Züge, wie es in seiner Büste täglich vor mir steht, scheint mir jetzt der Gruß aus einer bessern Welt. Deiner würdigen Freundin Gräfin Rheden wird die Trauer in Erdmannsdorff gewiß auch sehr nahe gehn; denn der Geist ist dahin, welcher jenen lieblichen Ort belebte. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Beringersdorf, 11. Oktober 183135Λ Ich verdanke Deinem Fleiß meine gute liebe Mari[e] die große Beruhigung mit Nachrichten von Dir erfreut zu werden, u wie danke ich Gott, daß Du mich wirklich damit erfreuen kannst. - Zwar konnte ich an demselben Tag, wo die bestimmte Nachricht hier eintraf die C[h]olera sey in Berlin ausgebrochen, mich nicht entschließen mit Rosenhainchen in's Theater zu gehen, wo ein fremder berühmter Tenorist in der Stummen v. Portici auftrat, ich hielt es für besser, Dich u meine Sorge dem zu empfehlen der alles wohl macht, ich fand meine Beruhigung darin, nicht nur für Dich u die Deinen, - aber auch für mich selbst u was da kommen soll. Ich bin vollkommen Deiner Meinung meine gute Marie, daß bei ordentlich einfacher Lebensweise, Gemütsruhe, im Vertrauen auf Gott, - u daher rührender ununterbrochener Heiterkeit, des Geistes, man weniger der Krankheit ausgesetzt ist, als im Gegentheil. In dieser erfreulichen Stimmung bin nicht nur ich; aber Gottlob ist auch keiner der meinigen mit unnöthiger Furcht geplagt, aus der häufig eine übergroße Sorge sich vor der Krankheit zu bewahren steht, die ihre Zuflucht zu allen möglichen Präservativen nimmt, u wahrscheinlich damit die Nerven reizt, u dadurch empfänglicher für die Krankheit macht: Solcher angebothener Mittel in den Zeitungen nehmen kein Ende, - vielleicht je[t]zt, wo mehrere Aerzte warnende Mahnungen dagegen einrücken ließen. Uibrigens bereitet man die

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Armen auf eine wie es scheint sehr zweckmäßige Weise vor. Dies sey keineswegs meinem lieben Manuel zu Gehör geredet, dem ich gar gerne einräume: daß eine Stadt wie Berlin großartig in so vielen Dingen ist, also es auch in ihren Anstalten hätte seyn können, wenn nicht wie überall durch die menschliche Unvollkommenheit in ihren Ansichten über das Wesen einer Krankheit solches noch nicht ergründet ist, sich dargetan hätte. So sind auch unsere Anstalten nur menschlich, daher vielleicht unvollkommen, - doch kann ich dieselben nicht anders als zweckmäßig, soweit unser Auge reicht erkennen, ganz abgesehen davon, daß ich eine gute Nürnbergerin bin. Allen Armen - verschämte u unverschämte, sind vom Armenpflegschaftsrath der aus 14 Mitgliedern besteht, besucht u ihre Wohnungen, wie ihre Bedürfnisse an warmen schützenden Kleidungsstücken aufgezeichnet worden. Die Hausherrn dieser armen Miethbewohner werden angehalten, die nöthigen reparaturen in den Miethwohnungen zu veranstalten, wo dies nicht möglich ist, sorgt der Magistrat für die Herstellung. Die Armen werden auch mit Betten Matra[t]zen u wollenen Decken versehen, für jedes Kind 2 wollene Leibbinden bestimmt, - u dies alles wird schon verfertigt. 2 Spitäler sind für die alleinige Aufnahme von C[h]olerakranken eingerichtet. Da aber von den meisten Armen so große Scheu vor diesen Häusern ist, so werden in 8 Häusern zwei in jedem District 16 männliche u weibliche Krankenwärter unter der Aufsicht von 4 Bürgern welche Tag u Nacht sich dort bei den Wärtern aufhalten werden - bereit seyn, mit den nöthigen Mitteln zu Einreibungen etc. versehen zu den Kranken zu eilen, u sie nach der Verordnung des Arztes - wovon jeder seine Section für C[h]olerakranke angewiesen hat zu pflegen. Sowie die Krankheit uns näher kommt erhalten die Armen ohne Ausnahme die wärmenden Kleidungsstücke, täglich Essen u Holz. Diese Bekanntmachung war kaum erschienen, nebst einem Aufruf an die wohlhabenden Bewohner der Stadt zu dem außerordentlichen Bedarf außerordentliche Beiträge zu spenden, so kamen Beiträge von 1000 ja von 15000f - u ich freue mich darauf, die Summe zu erfahren, die wirklich beigeschossen wurde. Für unsere zahlreichen Armen kann dies nur zu großen Trost u Beruhigung gereichen; ja mancher mag wohl hoffen, wenn nur die C[h]olera käme, ich bleibe doch vielleicht verschont, die Unterstützung wird mir aber gewiß zu Theil. Diese schwere Zeit, liegt mir aber doch in einer Beziehung recht am Herzen, - u zwar für Deine liebe Duscha. Sie will bis Ende Oktober wieder zurück nach Prag, wo sie nun ganz allein steht [...]. Nun ist zwar die C[h]olera noch nicht in Böhmen, nun hat unser Rosenhainchen zwar dort viele u treue Freundinnen, die ihr nah wohnen, - wird sie aber nicht, wenn eine allgemeine Noth hereinbricht, wo jeder nur an sich - gemeiniglich denkt nicht allein stehen? [...] Dann macht der Transport u die Mauth viele Kosten - u vielleicht kommt die Cholera nicht nach Prag, die Winteraufenthaltung ist dort nicht gestört - u was können wir hier für diese Entbehrung anbieten? - u doch geht es mir zu nahe sie von hier weggehen zu sehen. - Sie hat nun beschlossen den 20ten hier abzuwarten u wenn bis dahin die C[h]olera nicht in Böhmen ist, abzureisen. [...] Wirst Du noch lange in Deinem Schlößchen bleiben? Daß es dem lieben Hegel u Deinen guten Kindern so zusagt, wird Dir sehr angenehm seyn. Manuel grüße ich besonders u danke ihm für seinen lieben Brief. Er soll mir nur nicht übel nehmen, daß ich ihm nicht geantwortet habe, aber mein Brief ist ja für Alle, nicht allein für den guten Patrioten Manuel. Von Nürnberger Tand und Witz, bei Gelegenheit der Cholera, will ich suchen Proben mitzuschicken.

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Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 11. Oktober 1831™ In den 8 Wochen, die ich etwa hier bin, hat die freudenlose Beschäftigung mit dieser Krankheit, deren wissenschaftliches Studium so wenig weiter bringt und Interesse einflösst, als die Erfahrung über dieselbe, die wir bald aus eigenem Anschauen und Wirken erlangen werden, uns viel lehren wird, meine Zeit und Kraft zu allem andern geraubt. Gestern wo die Nachricht hierher gelangte, dass Hamburg ergriffen ist und Preussen den Elbcordon u.s.w. aufhebt, ist auch hier alles zur Krise gekommen. Das Resultat werden Sie in den Bekanntmachungen finden. Was es noch günstiges enthält, dessen ist sehr wenig, ist unter grossem Widerstand und Streit endlich errungen worden. Alles ist vergeblich und man muss daher nichts, was zuviel Geld kostet und zu Übeln Einfluss auf Handel und Staatseinnahme hat, unter den jetzigen Umständen mehr anrathen und ergreifen. Wie niederschlagend. Ich bin und bleibe ein steifer, hartnäckiger Contagionist, obgleich die nähere Ausführung dieser Lehre grosse Schwierigkeiten darbietet und mancherlei bald hinzugezogen, bald modificirt werden muss. Auch das ist Eckelhaft. Der hiesigen neuen Anordnung liegt der Gedanke zu Grund, den die Erfahrung ergiebt, dass der Ausbruch der Krankheit schnell nach dem Ansteckungsmoment erfolgt, innerhalb der ersten Tage. Eine höchst kleine Anzahl wird erst in späteren Tagen befallen, selbst nach dem 14ten. Gegen diese nun schützen die 4 Tage nicht, die jeder an einem gesunden Ort verleben soll, ehe er weiter reisen darf. Hermann von Pückler-Muskau art Karl August Varnhagen von Ense, Görlitz, 12. Oktober 183 P56 Ueber Berlin sprechen Sie meine Gedanken aus, über die Cholera hatte ich mich schon ungemein über den Aufsatz aus den „Jahrbüchern" gefreut, und es als besonders merkwürdig notirt, daß er unter den obwaltenden Umständen seinen Weg in jenes zahme Blatt, die „Staatszeitung", gefunden. Karl Leberecht Immermann an Ferdinand Göring, Magdeburg, 12. Oktober 183Ρ57 Die Deinigen und Meinigen sind wohl, leichte SchwindelAnfälle und Unbequemlichkeiten ausgenommen, woran fast Jeder leidet. Fritz hat diese namentlich in den ersten Tagen gehabt, auch Hermann. Ich hatte gestern einen solchen Anfall, legte mich zu Bette und schwitzte. Vieles ist psychisch bei der Sache. Wenn erst ein Paar Genesungen gemeldet werden können, wird Alles ein freyeres und heitreres Ansehn gewinnen. Die Sünden der Vorzeit und Gegenwart werden an uns heimgesucht. Gott gebe, daß die Geißel nicht zu lange und zu schwer auf dem armen Lande laste! Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, Berlin, 13. Oktober 1831ш Daß Sie fortgegangen sind, finde ich sehr natürlich, und wenn ich über die Choleraphobie spöttle, so denke ich dabey nicht an Sie. Allein daß Sie sich abängsten sollten für nur Andere, fruges consumere natos, das ist mir auch nicht im Traum eingefallen. Kann man denn an der Cholera sterben? - ich dachte, das thäten nur unvernünftige Leute, die nichts Klügers zu thun wünschten? Ein solcher Mann wie ich glaubt nicht mehr den Ammenmährchen. Vor ein paar Tagen wohnte ich einem sehr lebhaften Streite bey, nicht über die Contagiosität,

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sondern ob überhaupt eine Cholera existire, wobey ich hier für die verneinende Parthei mit sehr scharfsinnigen Gründen stritt. [...] Übrigens kleide ich mich warm, trinke täglich ein paar Gläser alten Wein, eße gut, mäßig und öfters, um wie Hermann sagt, den Magen beständig in einer gelinden Thätigkeit zu erhalten, habe erst einmal die Runde bey meinen schönen Freundinnen gemacht und mich gebährdet wie ein Heiliger (wenn aber ein Mädchen an mein Bette kommt, wie es mir neulich irgendwie passirt ist, so heißt das, versucht werden) - fürchte Gott, und scheue Niemand. - Bangen Sie doch nicht wegen der Ida. Die ausgestandene Brechruhr, dächte ich, möchte wohl bei ihr alle Dispositionen zur Krankheit aufgehoben haben, auch ißt sie mäßig und gesund. [...]. Daß Ihre Ida perfide sey, kann und will ich nicht glauben. Ich glaube die Weiber zu kennen, und habe doch nie daran gezweifelt, daß das Mädchen aufrichtig gegen Sie sey. So mancher gute Zug von ihr hat sie mir sehr werth gemacht und ich weiß wie unentbehrlich sie Ihnen ist; ich wüßte nichts, was mir schmerzlicher seyn könnte, als wenn Ihre Verbindung getrennt würde. Denken Sie doch, wie leicht die alte Katze von Tante die Briefe unterschlagen haben kann. Kann ich etwas in dieser Sache thun, so rechnen Sie ganz auf mich; ich werde jetzt wieder gesund und werde alles Mögliche thun. Eduard Waldeck an Johann Jacoby, Berlin, 13. Oktober 183 Ρ59 Du wirst staunen, wenn ich Dir im Vertrauen sage, daß Du einen nicht geringen Anteil an dieser Erleichterung des Landes hast. Deinen Brief nämlich, der in den wütendsten Äußerungen die Verfahrensweise der Immediatkommission beleuchtete, konnte ich mich nicht enthalten, mit einigen Modifikationen in Abschrift Dieffenbach mitzuteilen ... Dieffenbach scheute jedoch den Krach, darum versuchte er [es] weniger offen, doch gescheiter: er zeigte Deinen Brief, der trotz meiner zweiten Modifikation altpreußisch genug blieb, einem Hofmarschall, zu Dir im strengsten Vertrauen gesagt, dem des Prinzen Karl, Herrn von Schoening, der bei dem Hofe viel gilt, machte diesen zum strengsten Antikontagionisten und Demagogen, dieser stempelte den Prinzen und dieser den König, so daß Rust, der zwar durch den König gedeckt immer standzuhalten vermag, eine bedeutende Nase erhalten haben soll. Die Gemeinheit in der Verfahrensweise ging hier so weit, daß die Kommission dem Redakteur der nicht offiziellen Cholerazeitung, einem Dr. Sachs, die Aufnahme und Fortsetzung eines Aufsatzes verweigerte, der die Kontagiosität bestritt. Sachs hatte Wind von der umgeänderten Stimmung, verklagte die Zensurbehörde und diese bekam einen bedeutenden Rüffel, ich habe durch den Hofmarschall und Dieffenbach die Abschrift bekommen, worin die Behörde sehr heruntergerissen, ihr Parteilichkeit, unrechtsmäßiger Gebrauch des Zensurrechts und Wankelmut vorgeworfen und eröffnet wurde, daß der Druck jener Aufsätze gestattet sei. Robert Reinick an Franz Kugler, Halberstadt, 13. Oktober

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Fürs erste - ich bin wie meine Reisegefährten gottlob gesund und gerade in diesem Augenblicke ungemein froh. Soeben ist die Nachricht eingelaufen, daß Braunschweig seine zwanzigtägige Kontumaz aufgehoben und wir, wenn das Glück uns günstig ist, noch diese Nacht durchkönnen. Das ist eine ungemeine Freude, denn schon hatten wir uns auf ein schlimmes Gefängnis in Hannover gefaßt gemacht, das wenigstens 10 Tage gedauert hätte,

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eine Frist, die uns in diesen Umständen schon ungemein gering erschien. Wenige Minuten habe ich noch zum Schreiben, daher erhältst Du heute nur Überschriften von Kapiteln, die in späteren Tagen ausgeführt werden sollen; male dir diese Skizzen recht malerisch aus, und du wirst vielleicht eine noch schönere Fahrt zustande bringen, als unsere war. Erstes Kapitel. „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt." Letztes Ade vor dem Großen Kurfürsten. - Zwei stille stumme Maler in der großen Postkutsche zwischen Berlin und Potsdam. - Die Cholera fürchtende Frau aus Brandenburg. Polizisten und Gendarmen schreien zu Genthin in den Kasten hinein: Nicht aussteigen! Die Cholera in Magdeburg - Kontumaz vor Magdeburg, mit Zäunen, Baracken und Soldaten. - Der Räucherkasten. Gefangen! - Der liebenswürdige Graf Westerhold mit seinen Gefährten. Die Gefangenschaft ist milde und freundlich, die Stube nett. Da liegst du schönes Magdeburg, und wir - können nicht hin! Graf Westerhold und ein Kerstenberg schließen sich uns an; mein Barett renommiert, unsere Zeichnungen machen Furore - wir werden bewundert. Der Kontumaz-Kommandant von Winzingerode besucht uns. Der junge Arzt macht den Morgenbesuch. - Die ausgestorbene Chaussee. - Die Kontumaz ist zu ertragen; wir fühlen uns wohl und gemütlich, nachdem ein Tag verflossen. - Der amöne Kaffee im Garten wird unterbrochen durch den Kontumazkommandanten: „Meine Herren, Sie sind frei! Die Kontumaz ist aufgehoben!" - Erstes Glück. Fort in der Extrapost! - aber um Magdeburg. - Die Kontumaz in Herrenkrug. Kein Schiff. - Endlich! - Wie die Grafen, die Helden und Maler in der Dämmerung über die Elbe fuhren. - Nacht. - Wir tragen durch Moor und Schilf das Gepäck zum Wachfeuer. - Kordonposten. Bivouac am wüsten Ufer der Elbe. Karl Philipp von Wrede an Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich, München, 13. Oktober 1831м Von unsern nördlichen Gränzen ist gestern und heute die Anzeige eingelaufen, daß die Cholera sich auf dem linken Elbufer ausgebreitet hat, daher auch die Sperre dahin angelegt worden. Die zum Zweck des Cholera-Cordons mobil gemachten 5 Infanterie-Regimenter und 3 Jäger-Bataillons werden wir aus bewegenden Ursachen nebst 48 Escadrons längere Zeit in diesem Zustand erhalten. Privatschreiben aus St. Petersburg, 14. Oktober 1831ш Mitunter zeigt sich die Krankheit in voller Wuth. So starb vor einigen Tagen ein Fruchthändler, nachdem er des Morgens um 11 Uhr Früchte gehandelt und dabei etwas rohes Obst genossen hatte, einige Stunden nach dem wenig Minuten nach dem Genüsse des Obstes erfolgten Ausbruche der Cholera. Ebenso kam dieser Tage ein Schiffscapitän von Kronstadt herauf, speiste in einem Gasthause zu Mittag, wobei er mäßig gewesen, wurde bald darauf krank und starb nach 5-6 Stunden. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bernburg, 14. Oktober 1831363 Hier geht es noch immer sehr stark mit allen Choleramitteln. Sie sagten mir neulich Sie hätten einfen] sehr gr[oßen] Vorrath von Campfer. Im Fall Sie nun selbigen nicht zu gebrauchen dachten u. davon ablassen wollen, so würde ich gern 5-10 Pf nehmen zu dem laufenden Preise. [...] Pfeffermünze hatte ich Auftrag noch 2 [Ztr] nach Bremen zu besor-

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gen, hab indeß nur 1/4 Ztr a Pf 20 Gr erhalten da ich selbst nichts weggeben wollte. Auf Chinin habe ich starke Bestellungen wenn Sie Ihrfen] Vorrath davon los sein wollen, so kann ich ihn bis zu 30 fl das Pf jetzt mit verkaufen u. Sie dürfen ihn mir nur mit zu senden, es wird aber steigen. [...] Bei uns ist nun alles für Cholera Kranke bereit, ich habe in meinem Hause auch ein Zimmer für etwaige Erkrankende eingerichtet mit Dampfapparat zur Erwärmung des Bettes u. allen nöthigen Geräthen versehen, d.h. mit einem mittelst Spiritus zu heizenden Wärmeapparate durch welchen man in 7-10 Minuten eine Temperatur von + 64° R[eaumur] hervorbringt, wie ich mich durch [...] Versuche überzeugt habe. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 14. Oktober 1831Ш Die gestrigen Cholera-Berichte aus Berlin waren nicht gut: 36 erkrankt und 34 gestorben, indessen hier ist man nicht ängstlich. Wie und was denkt man denn in Paris darüber, und was denken Sie? Und wenn die Krankheit vielleicht auf anderem Wege nach Frankreich käme als man bis jetzt erwartet, statt über Straßburg, von Hamburg nach Holland, und von da nach Calais, oder sonst einen französischen Hafen? Wo würden Sie dann hingehen? In keinem Falle würden Sie doch in Paris bleiben - da ist nur eine Stimme darüber, daß Paris der ärgste Ort dann sey, und Sie selbst denken so - würden Sie dann zu uns kommen, oder wo sonst Sie gehen - vielleicht wäre unsere Gegend immer noch die Beste - aber in dem schlimmen Fall, wenn sie einträfe, würden Sie wohl selbst am Besten wissen, was Sie zu thun haben - und Sie wissen, daß ich - zu nichts rathe, noch rathen kann, da ich meinem Stern nicht traue - Sie kennen das ja. [...] Ihre Idee, die ganze Erde mit einer Flanellbinde zu umwickeln, ist nicht übel - ist sie auch nicht so leicht auszuführen, ist sie doch wenigstens zum lachen, wenigstens habe ich, recht herzlich darüber lachen müssen. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 14. Oktober 1831ъ65 Meine innig geliebte Mutter, den ersten Augenblick der Muße, welchen ich hier finde es ist Morgens 10 Uhr, - treibt mich mein Herz, Ihnen Bericht zu erstatten, wie es mir hier geht. [...] Zwei weibliche Kranke sind jetzt meiner Pflege übergeben; doch habe ich mit meiner Wärterin dabei vollauf bisher zu thun gehabt. Auf dem männlichen Krankensaal sind mehr Krankenwärter als Kranke, und ich höre, wie der Arzt geäußert, eigentlich müßten für jeden Kranken zwei Wärter sein. [...] So viel ich weiß, sind seit meinem Hiersein im Hospital zwei Todesfälle vorgekommen; für meine beiden Kranken hoffen die Aerzte Genesung. Diese Nacht habe ich mich von 4-6 1/2 Uhr etwas a u f s Bette gelegt; meine liebe Mutter mag sich versichert halten, daß ich meine Kräfte nicht mit Wachen erschöpfen werde, wogegen mich Dr. Siemers auch freundlich warnt. Anwandlungen des Ekels habe ich nicht zu überwinden; mein Frühstück schmeckt mir bei meinen Cholerakranken nicht minder gut als sonst. [...] Gestern Abend, bei der Transportation der zweiten Kranken in's Lazareth, soll es einen etwas unruhigen Auftritt gegeben haben, da einige der Nachbarn sich dem widersetzt; als aber nun eben einige ihrer Angehörigen sie besuchten, gab ihnen meine Soldatenfrau die Versicherung: „Keen Graf kann beeter uppaßt war'n, as wie hier."

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Wenn die Cholera so langsam nach Frankfurt fortschreitet, wie sie von Berlin nach Potsdam geschlichen, wird es 2 Jahre dauern, bis sie dahin kömmt. Da sind nur 4 Stunden, und es hat 5 Wochen gedauert, bis sie in Potsdam ausgebrochen. Frankfurt an der Oder geht uns nichts an, das liegt jenseits Berlins. Von Wien aus hat sie auch vier Wochen gebraucht, bis sie nach St. Pölten gekommen, welches nur 2 Posten davon entfernt ist. Ich freue mich, daß unser kalt Wasser so zu ehren kömmt. Robert Bunsen an Unbekannt, Berlin, Mitte Oktober 1831367 In Ansehung der Heilung können die in den Hospitälern erhaltenen Resultate keineswegs günstig seyn, denn bei der rasch verlaufenden bösartigen Krankheit wird ein grosser Theil der Erkrankten theils schon todt, theils in agone daselbst abgeliefert; selten kommt einer im Stadio prodromorum dahin. Die Gebäude der Hospitäler sind mit einem hohen Bretterverschläge umgeben, so dass man sich ihnen nicht mehr als auf zehn Schritt nahen kann. Die Oekonomie und Kontumaz hat jede ihren besondern Ausgang. Der Portier hat dafür zu sorgen, dass Niemand die Anstalt verläßt, ohne sich desinficirt zu haben, auch kömmt man in das eigentliche Hospital nur vermittels einer Eintrittskarte. Ausser der gewöhnlichen Absonderung der Geschlechter, sind die Zimmer unter drei Abtheilungen gebracht, nämlich für die eigentlichen Kranken, für die Rekonvaleszenten und für die Kontumazisten. Diese Einrichtungen sind beiden Hospitälern gemeinschaftlich; in beiden befolgt man auch eine ähnliche Heilmethode, mit dem Vorsatze, so viel als möglich zu individualisiren. Maximilian Heine an Heinrich Heine, St. Petersburg, 15. Oktober 1831ш Außerdem liegt ein schönes Werk, aber rein medizinisch, in Manuskript. Ich habe 5 der seltensten, wichtigsten und gefährlichsten Krankheiten ganz nach meinen Beobachtungen, Erfahrungen und Curmethoden abgehandelt - Nemlich 1) die Pest, wie ich sie in der Türkey, 2) die Leusesucht (Phtiriasis) wie ich sie zu Adrianopel, 3) das moldauische tödtliche Wechselfieber (Hemitritaeus), wie ich es in der Moldau und Wallachey 4) die Cholera morbus, wie ich sie in Bessarabien und Podolien und 5) den Weichselzopf (Plica Polonica) wie ich ihn in Pohlen und Litthauen sah - Es hat wohl selten ein junger Arzt, in ein Paar Jahren so viele Länder mit den ganz eigenthümlichen Krankheiten gesehen - Leider hat aber auch wohl kein anderer so viel davon an seinem eigenen lieben Leibe davon erfahren müssen, als ich - In Pohlen überstand ich glücklich die Cholera - [ . . . ] . Friedrich Wilhelm Bessel an Karl August Steinheil, Königsberg, 15. Oktober

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Am 28sten Juli war hier der Aufstand der Ihnen bekannt geworden sein wird; Sie wissen aber vielleicht nicht, daß man der Sternwarte einen Theil davon zugedacht hatte. Als der Pöbel auseinandergejagt wurde, hörte man auf der Straße das Geschrei, am Abend wolle man die Sternwarte stürmen. Der Grund hiervon lag in der Nachricht, welche in der Stadt umlief, auf der Sternwarte seien Versuche mit silbernen Kugeln gemacht, welche, der Luft ausgesetzt, schwarz geworden seien und das Dasein des Krankheitsstoffes gezeigt haben.

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Dafür wollte man die Sternwarte demoliren - eine Drohung, welche nicht leicht aufzunehmen war, da alle Mittel zum Schutze fehlten. Militär war viel zu wenig hier; die Studenten hatten das Beste gethan, indem sie sich einig und entschlossen benahmen; auch die Bürger traten zusammen und sicherten die Ruhe durch Patrouillen. Alles dieses aber hätte der entlegenen Sternwarte nicht geholfen, wenn nicht die Studenten sich bereit erklärt hätten, während der Nacht in meinem Garten zu bivouakiren. Dieses erfolgte wirklich, nachdem ich die meinigen geflüchtet und alles was ich an waffenfähiger Mannschaft zusammenbringen konnte bewaffnet hatte. Das Bivouak wurde drei Nächte lang fortgesetzt, und so ging der Sturm, der mir viele Unruhe gemacht hatte, ohne Folgen vorüber. Inzwischen fing die Krankheit an, hier verderblich zu wüthen; Alles war beunruhigt und jeder Einzelne fühlte mehr oder weniger starke körperliche Unbequemlichkeiten, welche vermuthlich eine Folge der verpesteten Luft sind, woran man sich aber später so gewöhnt hat, daß man sie nur beachtet um, falls sie zu arg werden, zeitig gegen sie einschreiten zu können. Anfangs konnte man das nicht, weshalb man nirgends ein ruhiges Gesicht sah. Inzwischen hatte ich mir vorgenommen, der Krankheit auf keinen Fall zu weichen, und dieser Entschluß, verbunden mit der freien Lage der Sternwarte, gab mir ein ziemliches Gefühl der Sicherheit. Am 2ten Aug. Abends nahm ich Frau und Kinder zum Spazierengehen zusammen, allein meine Heiterkeit und der Spaziergang erlangten schon beim Heraustreten aus der Hausthür ihr Ende: unmittelbar neben meinem Hofe hielten Wägen mit Balken und Brettern, deren Zweck kein anderer war, als den Begräbnisplatz für ein nahes Cholera-Hospital unmittelbar unter der Sternwarte einzuzäunen. [...] Die Cholera wird auch zu Ihnen kommen; sie läßt sich nicht aufhalten. Sein Sie ruhig, mäßig vorsichtig, und halten Sie den ersten Stoß, wenn es möglich ist, nicht in der Stadt, sondern auf Ihrem Gute aus. Sie werden bald sehen, daß man sehr wenige Gefahr hat. Hier ist sie nicht glimpflich verfahren; dennoch ist von allen meinen Bekannten, bis auf die Kinder herab, nur eine Frau gestorben, welcher das Uebel durch einen heftigen Schreck zugebracht wurde. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 15. Oktober 1831370 Unsere Hoffnung für die beiden weiblichen Kranken ist nicht in Erfüllung gegangen: die arme Soldatenfrau ist gestern Abend, die andere schon Nachmittags verschieden. Da nun keine neue weibliche Kraft gebracht war, so machte ich den beiden Herren Aerzten Siemers und Siemssen den Vorschlag, sie sollten mich einstweilen zu armen Kranken außer dem Hospital schicken und mich zurückberufen, wenn es hier wieder etwas zu pflegen gäbe. Aber davon wollten beide nichts hören, und behaupteten dagegen, daß ich mich viel nützlicher im Hause machen könnte, zumal wenn ich einwilligte, die Oberaufsicht auch über die männlichen Kranken und Krankenwärter zu übernehmen. Ich wandte ein, die Männer würden sich wohl meiner Autorität nicht unterwerfen mögen; die Herren aber erwiderten, dafür solle ich sie nur sorgen lassen. Die zehn Krankenwärter wurden mir darauf vorgestellt, und so nachdrücklich, unter Androhung augenblicklicher Entlassung, mir zum Gehorsam verpflichtet, daß ich so leicht wohl keine offenbare Widersetzlichkeit besorgen darf. Hier glaube ich nun allerdings einigen Nutzen stiften zu können, da es wenigstens mehreren dieser Wärter an Erfahrung in der Krankenpflege zu fehlen scheint. Die vorige Nacht brauchte ich natürlich nicht zu wachen, nur mußte ich zweimal aufstehen, die Runde bei den Kranken

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machen und nachsehen, ob die Wärter ihre Schuldigkeit beobachteten. Heute morgen um halb sieben ward denn auch wieder eine weibliche Kranke in's Hospital gebracht, mit der es aber schon so schlimm stand, daß Siemssen wohl gleich Anfangs die Hoffnung aufgab, sie durchzubringen. Sie litt den auch so gewaltig, daß sie nach dem Tode als einer Erlösung seufzte, und nach 5 Stunden etwa fand ihr Seufzen Erhörung. Unsere Krankenwärterin hat das Ding schon satt, und heute Nachmittag den Dienst gekündigt, und so bin ich jetzt allein. Heute Abend aber kommt eine andere, da, falls etwa eine schwere Kranke während der Nacht gebracht würde, durchaus zwei zur Stelle sein müßten, damit die Pflege gehörig besorgt werden könne. Bei dem besten Willen wird es für eine zu viel. Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, Oschersleben, 16. Oktober 183lm Wir sind heute nach Hohensleben gewesen, u. haben dort erfahren, daß der Braunschweigische Cordon wirklich in der Art aufgehoben worden sei, daß wenn man sich durch ein Gesundheitsattest von einem noch gesunden Orte legitimiren kann, man durch das Braunschweigische hindurch gelassen wird. Ich werde daher am Dienstag meine Reise in Gottes Namen von hier antreten. Nun ist es aber mein sehnlichster Wunsch, Euch meine Geliebten noch einmal zu umarmen. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 16. Oktober 1831372 Ehe die neue Wärterin erschien, kam schon eine Kranke, und bald darauf noch eine; aber auch diese beiden konnten nicht gerettet werden. Bei der Einen, einer Vierländerin, erreichte das Leiden, welches die ganze Nacht hindurch währte, einen Grad, wie ich ihn noch nie gesehen. Meine neue Wärterin ist etwas sehr einfältig; sobald aber noch eine zweite erfordert wird, hat mir Dr. Siemers versprochen, die R. zu schicken, von der ich durch einen unserer ordentlichsten Wärter erfahren, daß sie die Anstellung wünscht. Mein Verhältniß zu den Krankenwärtern gestaltet sich so günstig, wie ich es nur wünschen kann. Da sie alle von Haus aus eigentlich eine andere Profession getrieben, so nehmen sie denn um so williger Zurechtweisung von mir an; und weil ich ihnen in billigen Dingen natürlich auch gerne willfahrig bin, auch schon Einiges zu ihren Gunsten habe vermitteln können, so scheint es, daß sie sich mit allen ihren Anliegen gerne an mich wenden. Aber dann merken sie's wohl auch, daß ich die Ordnung ihres Dienstes genau kenne, und jede von mir bemerkte Abweichung dem Arzte referirt wird. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 16. Oktober

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Daß Du meine gute Mari[e] in der Zeit der Noth meinen Sorgen auf so wohlthuende Weise durch öfteres Schreiben, so wohlgethan hast, das möge Dir der liebe Gott vergelten, u Dir u den Deinigen die genommenen Vorsichtsmaßregeln gegen die garstige Cholera zum Besten dienen lassen. Alle Nachrichten die uns aus der Ferne kommen sind so übereinstimmend, u beruhigend, - ich möchte sagen sie halten gleichen Gang mit der Civilisation. Die Berichte aus dem rauben Norden über die Krankheit u ihrer Lebensgefahr waren so gräulich

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wie die Behandlung unwirksam, weil sie wie es scheint dort ganz verkannt wurde. So verliert sich denn einesteils bei uns immer mehr die Sorge, welche jedoch auf andere Weise bedauerlich, u wohl ohne baldige Abhülfe erst recht beginnt. Dies sind nemlich die beiden, die Handel, Gewerbe u Fabricken durch die Quarantaine erleiden. Es möchte wohl ein Frevel seyn zu wünschen: wäre doch die Cholera schon da, dann würden doch diese Anstalten wieder aufgehoben, aber dies mag wohl Manchen in Versuchung führen, diesen frevelhaften Wunsch sich zu erlauben. Uibrigens sind die Lazarethe schon seit sechs Wochen völlig eingerichtet, u wirklich mit allem einem Kranken Hülfe u Erleichterung verschaffenden versehen. Sie sind dem Publicum zur Ansicht geöffnet u in den schönen Octobertagen ist man häufig dahin spazieren gegangen. Das Spital bei Johannis soll in Zukunft für die Dienstboten u fremde Handwerkgesellen errichtet bleiben, was bis je[t]zt ein unerfülltes Bedürfnis geblieben ist. - Mit dem 2ten Lazareth im Catharinenkloster haben wir aber unser angenehmes Locale für die Kleinkinderschule aufgeben müssen, wir haben zur Aushülfe im Kieweishof hinterm Tetzel einen Saal gemiethet, wobei wir aber den Hof zum Spiel- u Tummelpla[t]z für die Kinder nicht benü[t]zen können. Uibrigens freuen wir uns des guten Fortgangs derselben [...] Ich freue mich von Herzen für Dich daß Freund Schlesinger seine Furcht vor der Cholera überwunden hat, u vielleicht um sich recht zu zerstreuen eine Arbeit: das Bild des lieben Hegels zu malen unternommen hat, was seine ganze Fähigkeit u Kunst in Anspruch genommen hat, u nach Deinem Zeugnis so vortrefflich gelungen ist. - Mit Deinem Aufenthalt war das schöne Wetter zu Ende, u eben so gieng es Luise u Mari[e], die beide an dem selben Tag wie Du in die Stadt gegangen sind. Nun kommt aber auch der Winter mit einemmale - u ich kann Dir recht bald wahrscheinlich bis Dienstag Würste wie bestellt schicken. Dorothea Tieck an Friedrich von Όechtritz, Dresden, 17. Oktober 1831ш Wir erwarten jetzt die Cholera täglich; doch ist man hier nicht so ängstlich und spricht nicht so viel davon als in Berlin. Ich kann diese Furcht nicht begreifen, da wir doch überzeugt sind, daß wir keinen Augenblick eher oder später sterben, als es Gottes Wille ist, und daß, auch ohne Cholera, uns der Tod täglich so nahe steht. Doch viele Menschen thun wirklich, als wären sie bis jetzt unsterblich gewesen, und das Sterben eine ganz neue Erfindung von 1831. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 17. Oktober 1831375 Ich will's versuchen, ob ich jetzt, wenn auch nur abgebrochen, meiner lieben Mutter einigen Bericht erstatten kann. Den Tag über konnte ich keine Viertelstunde dazu finden. Ehe ich aber von meinem Leben hier erzähle, Dank, innigen Dank meiner geliebten Mutter für Ihre Zeilen, die mir so große Freude gemacht. - Mehrere weibliche Kranke sind wieder gestorben, und diesen Augenblick liegt meinem Schreibtisch gegenüber eine 74jährige Alte im Sterben; wenn mich nicht Alles trügt, ein recht böses, böses Weib, die uns auch viel Noth gemacht hat; aber jetzt ist die Kraft, die sie nur in tobendem Unmuth auslief, wohl auf immer gebrochen; sie liegt still, und ich warte auf ihren letzten Athemzug, da ich von dem erfolgten Verscheiden einer Kranken sogleich Anzeige machen muß.

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Zwei Stunden später: Die Alte ist verschieden, und nun sind auf dem weiblichen Krankensaal wieder nur zwei Kranke. Die Eine, 32 Jahre alt, die wohl etwas leichtfertig gelebt hat, aber mir doch für das Bessere noch nicht ganz erstorben scheint; die Andere, etwa eine Fünfzigerin, ist dagegen gewiß eine sehr rechtliche Frau, und interessirt mich lebhaft durch ihre Bescheidenheit und Dankbarkeit. Sie ist Wäscherin, und hat sich die Krankheit wohl durch heftige Erkältung zugezogen. Dr. Siemssen giebt mir die bestimmte Hoffnung, daß er sie durchbringen werde, wie er dasselbe auch, obgleich minder zuversichtlich, für die Andere hofft. Das wären denn unter den weiblichen Kranken die ersten Genesenden. Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, Altona, 17. Oktober 1831Ш Wir haben jetzt, mein theuerster Freund, auch die Cholera hier. Am 7ten brach sie in Hamburg aus, und seit gestern sind auch hier ein paar Fälle dazu gekommen, was nicht ausbleiben konnte, da alle Sperre zwischen Hamburg und Altona aufgehoben ist, und in Hamburg selbst kein Haus gesperrt wird, in dem jemand erkrankt. Sie hängen nicht einmal eine Warnungstafel an. Die Anzahl der in den 11 Tagen Erkrankten ist eben im Verhältniss der Population nicht sehr gross (129), allein die Zahl der Genesenden ist gegen die der Gestorbenen sehr klein 5:66. Dies ist indessen so ziemlich überall der Fall; die Erkrankten in der ersten Periode sterben fast Alle; wahrscheinlich weil zuerst die disponirten Subjecte befallen werden. Uebrigens werden Sie kaum das Daseyn der Krankheit merken, wenn Sie hier wären. Alles geht im alten Gleise fort, und im Allgemeinen ist viel Muth und Zutrauen, eben weil die Regierung nicht durch eingreifende Maassregeln, Furcht den Leuten einjagt. Ich bin die ganze Zeit, die sie hier geherrscht hat, und schon ein paar Tage vorher unwohl gewesen. Mit Gottes Hülfe hoffe ich aber bald durch strenge Diät, und Aufmerksamkeit mich fester zu fühlen. [...] Von Bessel habe ich endlich einen Brief wieder. Er ist zu seiner Sternwarte zurückgekehrt, nachdem dem Magistrate befohlen ist den Kirchhof dabei zu schliessen. Von allen 400-500 Studenten in Königsberg ist kein einziger erkrankt. Von den Stadt-Einwohnern ist bis jetzt von 70 Einer gestorben. Die Krankheit ist fast ganz schon verschwunden gewesen, als unglücklicherweise das Volk sie für beendigt angesehen, und das Versäumte in Bier und Branntewein nachgeholt hat. Augenblicklich ist sie wieder erschienen, und es erkrankten am 9. October, als Bessel schrieb, 18 bis 19 täglich. Wahrscheinlich wird es hier ebenso gehen, wenn sie sich zum Abzüge neigt, bis wohin indessen noch Zeit ist. Das Maximum fällt gewöhnlich in die dritte oder vierte Woche. Leider hat die Kurve aber mehrere maxima. Sollte die Krankheit nach Göttingen kommen, so hoffe ich, wird Ihre freie Lage, mein theuerster Freund! Sie vorzüglich vor den andern Einwohnern schützen. Sie können sich, wenn Harding es auch strenge hält, fast ganz einsperren, und haben, ohne in die Stadt zu gehen, Gelegenheit zu Spaziergängen, und Bewegung, die von allen Aerzten vortheilhaft gehalten wird. Alle sind sich auch, soviel ich weiss, darüber einig, dass man bei den ersten Symptomen zu Bette gehen, und Melissen- oder Krausemünzethee trinken soll, um in Transpiration zu kommen, und dass so der Ausbruch der Krankheit verhütet wird. Ist die Krankheit aber einmal ausgebrochen, so laufen leider die Behandlungswege nach allen möglichen Azimuthen und beweisen die Unkenntnis des richtigen Courses nur zu deutlich.

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Karoline von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, Tegel, 17./18. Oktober 1837 377 Ich kann, lieber Welcker, dem Verlangen, Ihnen zu schreiben und Ihnen selbst Nachricht von mir zu geben, nicht länger widerstehn, und gewiß hätte ich dies schon längst getan, hätte ich gewußt, daß Sie es gern sehn, bester Freund. Nun muß ich Ihnen aber meinen Schmerz darüber ausdrücken, daß die leidige Cholera uns um die Freude gebracht hat, Sie bei uns zu sehn. Möchten Sie wenigstens diesen schönen Vorsatz nicht lange aufzuschieben nötig haben! [...] Hegen Sie nur unsertwegen keine Angst wegen der Cholera. Hier bei uns und in den umliegenden Dörfern ist noch alles gesund. Der Vater hat gleich im Anfang ein Haus, welches ganz von uns abgesondert liegt, zum Lazarett eingerichtet mit einer Wärterin und einem Wärter, sowie alle möglichen Apparate und die nötige Arzenei angeschafft. Auch hat er einen jungen Arzt hier angenommen, da in einem unglücklichen Fall schnelle Hülfe nötig ist. Wir selbst sind innerlich ruhig und haben keine Angst, brauchen aber doch alle nötigen Vorsichtsmaßregeln: In dem kleinen Lusthäuschen, welches Sie sich vielleicht noch entsinnen, ist die Räucherungsanstalt, und alles, was aus der Stadt kömmt, Sachen und Menschen, werden erst dort desinfizirt. Der Vater hat keine Scheu vor Berlin, aber wenn er keine Geschäfte da hat, so bleibt er viel lieber hier, und die Ruhe und Stille, die er hier in hohem Grade genießt, ist äußerst wohltätig. Anna Hoffmann an Michael Josef Fesl, Prag, 17. Oktober/8. November 1831Ш Lieber Freund, auch um Sie ist uns itzt doppelt bange, schon vor mehreren Wochen hörten wir, daß in den Grätzer Gebiet in einem Städtchen die Cholera ausgebrochen sey; freylich ists seit dieser Zeit wieder ganz stille geworden, doch wird es uns alle sehr beruhigen wenn Sie uns bald eine Nachricht von sich, so gütig wären, zu geben. Auch hier in Böhmen ist alles in gespannter und nicht sehr angenehmer Erwartung der Dinge die da kommen sollen - unsere Gräber sind schon aus lauter Vorsicht gegraben, werden aber jetzt wie man hört, wieder verschüttet, vermuthlich die Spitäler und die andern Anstalten mit Aufhebung der Cordons dasselbe Loos treffen und wer weiß ob nicht am Ende den bösen Geist noch abschrecken, in ein Land einzukehren, wo man die guten Vorbereitungen zu seinem Empfang, so schnell wieder rückgängig macht. Was mich anlangt so habe ich keine Furcht, wenn es mich trifft, kömmt das Übel aber auf einen meiner Angehörigen, oder auf - Sie wissen schon wem ich meyne, dann würde ich wohl den Kopf verlieren. Wir gehen heuer nicht in die Stadt, auch unser theurer Freund bleybt hier bey uns, gebe nur Gott daß er gesund bleybt! [...] Mein Mann und Kinder empfehlen sich Ihnen auf das freundschaftlichste, und ich drücke Ihnen in Gedanken herzlich die Hand, und sollte dieser Brief vielleicht der lezte seyn, den ich an Sie schreibe, so vergessen Sie, wenn wir auch nicht mehr denselben Himmelskörper bewohnen nicht die Freundin Privatschreiben aus Berlin, 18. Oktober 1831m Den vielfachen Trennungen, Absonderungen und Beschränkungen, welche sich als natürliche Folgen der hier herrschenden Krankheit zeigen, ist es vielleicht beizumessen, daß mir bis jetzt die gewünschte Gelegenheit gefehlt hat, mit Hrn. L. irgendwo zusammen zu

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treffen. Eine merkliche Hemmung des gesellschaftlichen Verkehrs, vorzüglich des öffentlichen, entspringt daraus, daß die meisten Familien es für Pflicht halten, so wenig als möglich auszugehen, und besonders die Abendluft zu meiden. Bei Erfüllung dieser und der sonst üblichen Vorsichtsmaßrgeln geben die Meisten sich einem gewissen Indifferentismus hin, und sind sogar, wenn ihnen in ihren Wohnungen Raum und Mittel zu ihrer behaglichen Existenz nicht fehlen, schon sehr geneigt, sich zu den Eximirten zu zählen. - Die jetzigen, heiteren und sonnigen Herbsttage mildern, wie es scheint, die Wirkung der Seuche; - aber, bekannt mit den Sitten oder Vielmehr Unsitten der hiesigen ärmeren Volklassen, mit ihrer Neigung für enges Zusammenleben, für Cichorienkaffee, Branntwein, Kartoffeln, u.s.w. kann ich die Furcht nicht unterdrücken, daß die Krankheit im Monat November zu ihrem Culminationspunkte gelangen und zerstörender, als bisher, auftreten werde. Ohne einige Empfänglichkeit für dieselbe ist fast kein Berliner; man verdauet merklich schwerer als sonst; den Meisten poltert's im Leibe, und es kann keine Gesellschaft zusammen kommen, ohne daß die kritischen Töne einer colique ventriloque sich knurrend in das heiterste Gespräch mischen. Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, Baden-Baden, 18. Oktober

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Ich, der ich sonst nie träume, habe heut Nacht einen ecklichen Traum gehabt. Ich wachte am Weinen auf, daß Moritz gestorben war, welches Dir verheimlicht wurde. Rike, der ich es erzählte, schlug sogleich - Du kennst sie! - das Traumbuch nach, und es bedeutete Gutes. Gott gebe es! Es ist und bleibt ängstlich, wenngleich Mama seel sagte: Über Feld muß man nicht sorgen - es bleibt doch immer ängstlich, den Tod so sichtbar einherschreiten zu sehen, und seine Liebsten in steter Gefahr wissen. Zwar habe ich in der Cholera-Zeitung die Nahmen der Kranken gelesen und gesehen, daß meistens nur Leute, die! sich nicht schonen können, befallen werden; und doch hatte ich in den ersten Tagen schon erfahren, daß ein Freund (Wollank) gestorben war; und muß doch immer denken, daß Ihr, und vielleicht auch Du ängstlich bleibst. Gutes bewirkt aber die Krankheit gewiß, wie alles, was von oben kommt, und wär es das Furchtbarste. Wir sind ja auch nur krank und sterbend geworden, um in uns selbst zum Höchsten zu kommen. Vielleicht soll die heutige europäische Christenwelt, die weder Himmel noch Erde, sondern nur Theater und Politik, nehmlich in Beiden nur die Dekorationen sieht, vielleicht soll sie einmal gezwungen werden, an Erde und Himmel, an Grab und höheres Leben zu denken! Joseph von Görres an Joseph von Giovanelli, München, 18. Oktober 1831ш Ich sende Ihnen beiliegend das Buch über die barmherzigen Schwestern, das Brentano geschrieben. Der Verein in Coblenz hat mir eine Anzahl Exemplare gesendet, um sie zu seinem Vortheil anzubringen. Ich schreibe Ihnen in seinem Interesse das Exemplar zur Last: es ist ein fernes Almosen, das Sie spenden, aber in der Zurechnung macht Ferne und Nähe keinen Unterschied. Können Sie noch andere anbringen, wirds um so besser sein. Noch lieber wäre mir, wenn Sie sich von dem Buche erwärmen ließen und darauf dächten, die Institution nach Bozen, und dadurch in weiterer Ausbreitung nach Tirol zu verpflanzen. Die Cholera gibt die beste Veranlassung dazu, Mittel sammeln sich dabei, die wenn nicht zusammengehalten, sich hernach wieder zerstreuen, aber von einem Manne von Einsicht und

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Einfluß gesammelt hernach auf Jahrhunderte wohlthätig sich erweisen. Ueberlegen Sie sich die Sache, ich habe überall hin den Vorschlag ins Große gemacht, in einer Anzeige des Buches, die ich Ihnen nächstens senden will [Staat, Kirche und Cholera, Speyer 1831].

Hermann Lövy an Samuel Hahnemann, Prag, 18. Oktober

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Ich habe vor Kurzem eine Menge Fragen in Betreff der homöopathischen Behandlung der Cholera nach Wien gesendet, und erhielt von Pater Veith ein eigenhändiges Schreiben [...]. Die Homöopathik hat viel von ihm zu hoffen. Er war anfangs willens, mir eine Abhandlung über die hom. Heilung der Cholera für Herrn Hofrath einzusenden, fürchtete aber die Censur, und schrieb den Gegenstand in Briefform, die keiner Censur unterliegt. Der Einsender des Veithschen Briefs, ein Freund von mir und Cousin von Veith, sagte mir, ich könne nicht nur V.s Brief Herrn Hofrath einsenden, sondern V. stellt es Herrn Hofrath frei, den Brief, ganz so wie er ist, dem Druck zu übergeben, was für die bedrängte Menschheit und die Homöopathik von unendlichem Nutzen wäre. Ferner weiß ich, daß es P. Veith sehr angenehm wäre, mit Ihnen, verehrtester Herr Hofrath, in Verbindung zu kommen, und es würde ihn gewiß unendlich freuen, wenn er von Ihnen mit einem Schreiben beehrt würde, welches auch ich als den schönsten Lohn seines uneigennützigen Eifers ansähe. Auch Veiths Bruder, der Professor der Veterinärkunde, ist Homöopathiker und hat keinen Cholerakranken verloren. Ignaz Franz Castelli an Theodor Hell, Wien, 18. Oktober 1831m Bis jetzt hat mich die fürchterliche Cholera verschont. Ich bin nicht einmal unter den 2300 Personen, welche bis heute erkrankt sind, aber dennoch fühl ich mich unwohl und mußte mehrere Tage das Bett hüten, welches von der in diesen Zeiten so notwendigen Veränderung der Lebensweise herrührt. Ich war gewohnt, jeden Abend ein Glas Bier zu trinken, ich mußte dieses mit Wein vertauschen, der mir nicht gut bekommt. Kurz jeder Mensch fühlt gegenwärtig eine Unbehaglichkeit, und es ist wahrhaft ein elendes Leben. Die allgemeine Bestürzung ist nicht mehr so groß, wie sich der Wiener leicht an alles, selbst an das größte Übel bald gewöhnt, auch ist die Madame Cholera wirklich gnädiger als sie anfangs scheinen ließ, allein wir werden doch noch lange an ihr zu kauen haben, und leben auf diese Art doch immer unter dem Schwerte des Damokles. Gott behüte Euer schönes Dresden vor ihr. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 18. Oktober 1831ш Morgens früh habe ich dafür zu sorgen, daß vor dem Besuche des Arztes die Krankensäle gereinigt, die Betten aufgemacht sind, und alles in seiner bestimmt vorgeschriebenen Ordnung sich befinde. Dreimal täglich, Morgens, Nachmittags und Abends, besuche ich die Kranken gemeinschaftlich mit dem Arzte, dem Chirurgen und dem Apotheker, wo Dr. Siemssen dann einem Jeden von uns die betreffenden Anweisungen giebt. Im weiblichen Krankensaal habe ich mir natürlich alle ärztlichen Vorschriften genau zu merken, da ich hier zunächst für pünktliche Befolgung derselben einstehen muß. In den Sälen der Männer merke ich mir besonders nur, was an Speise und Getränk für die Kranken verordnet

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wird, wonach ich dann der Oeconomin den Küchenzettel entwerfe. Auch giebt es sonst zuweilen noch etwas für mich zu schreiben, um nämlich den Angehörigen die nöthige Anzeige zu machen, daß die Kranken uns manchmal ohne Wissen derselben gebracht werden. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 19./20. Oktober 1831ж Der König von Bayern, den man neulich fragte, welche Anstalten man für ihn und sein Haus gegen die Cholera treffen solle, hat darauf zur Antwort gegeben: „Gar keine. Bin ich nicht an den Ständen gestorben, wird mich auch die Cholera verschonen." Also Stände und Pest sind ihm ganz einerlei. [...] Daß die Cholera in Magdeburg sei, erfuhr ich aus der Berliner Zeitung, und daß in Hamburg, aus Privatbriefen, die man mir mitgeteilt. Das konnte nicht ausbleiben. Nach Hamburg wäre sie von angesteckten Matrosen geschleppt. Überhaupt hat man noch gar kein einziges Beispiel, daß an einem Orte die Cholera ausgebrochen, wo man nicht nachweisen konnte, daß sie durch Ansteckung dahin gekommen. Es bleibt also immer noch zu hoffen, daß Frankreich durch seine strengen Quarantäne-Anstalten sie von sich abhalten wird. Freilich ist jetzt die Gefahr größer, und sie wird eher über Holland, Belgien und England als von Deutschland hierherkommen. Besonders ist Holland und Belgien zu fürchten, da dort die Quarantäne-Anstalten schlecht sein sollen. Was ich in eintretendem Falle tun werde, weiß ich wahrhaftig noch nicht. In Paris zu bleiben, finde ich freilich nicht ratsam, besonders darum nicht, weil es so schwer hält, einen Arzt zu bekommen. Zwar ist in der Cholera ein Arzt das Allerentbehrlichste, man muß sich durch die genug bekannten Mittel selbst hüten und helfen. Allein ich kann das berechnen, daß die Fassung und Ruhe, die man bei Ferne der Gefahr noch hat, bei näherkommender Gefahr aufhört, daß man dann den Kopf verliert und nach einem Arzte seufzt. Es wird also besser sein, Paris zu verlassen, sobald es die Cholera bedroht. Die Schweiz ist für jeden Fall die geeignetste Zuflucht. Von dort kann man nach Deutschland, Frankreich und Italien weitergehen und sich nach beliebiger Richtung wenden. Ich freue mich schon auf meine Flucht! Nach Basel oder Genf ist von hier nicht weiter als nach Straßburg. Dahin würde ich also reisen. Mein Werk: „Meine Flucht vor der Cholera" wird sehr schön werden. Wegen der Möglichkeit, Paris früher oder später und vielleicht unvorhergesehen verlassen zu müssen, wünsche ich auch, daß Sie mir 6000 fr. schicken. Nach Frankfurt zu gehen, hätte ich aber in keinem Falle die geringste Lust. Die dortige Philisterei fürchte ich mehr als die Cholera. A propos Cholera und kaltes Wasser. Ich habe einen gesprochen, der den Wasserdoktor [Oertel] persönlich kennt. Er trinkt nie einen Tropfen Wasser, sondern nur Bier und Wein. Ich denke, daß darum seiner Empfehlung des Wassers um so mehr zu trauen ist. Sie ist unparteiisch. Sein Werk über die Cholera ist jetzt hier übersetzt worden. [...] Die Familie Beer hat in diesen Tagen ein zweites Unglück betroffen. Einer der Söhne flüchtete sich mit seinem einzigen Kinde, einem zwölfjährigen Knaben, der Cholera wegen von Berlin nach Teplitz. Dort starb das Kind am Nervenfieber, und jetzt sind die Eltern trotz der Cholera mit der Leiche ihres Kindes nach Berlin zurückgereist, es dort begraben zu lassen.

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Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, Hannover, 20. Oktober

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Seitdem ich mich in Halberstadt zum erstenmale wieder ordentlich satt gegessen, befinde ich mich ganz wohl. Du darfst indessen nicht glauben, daß ich nun wieder darauf los lebe. Nein, ich bin ganz mäßig, u. die Scheu vor allem Schweren u. Unverdaulichen ist mir geblieben. K[ohlrausch]'s Frau scheint bereits an den Vorboten meines Zustands zu leiden. Sie ist sehr reizbar u. auch mit ihrem Blute genirt, dieß ist ein Fall, in dem ein Poltron Muth einsprechen kann. Ich habe ihm u. ihr meine Zustände geschildert, u. sie überzeugt, daß man daran nicht stirbt. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 21. Oktober 1831гю Ein paar Tage konnte ich nicht dazu kommen, meiner theuren Mutter zu schreiben; mitunter blieb wohl eine halbe Stunde übrig, aber wenn ich mich dann sehr ermüdet und ein dringendes Bedürfniß nach Ruhe fühlte, gedachte ich der Ermahnung meiner lieben Mutter, übermäßige Anstrengung zu meiden, und legte mich lieber etwas a u f s Bett. Der Nachtwachen kann ich natürlich nicht überhoben sein, da ja bis jetzt meine Thätigkeit wider Erwarten mehr für den Männer- als für den Frauensaal in Anspruch genommen wird, und meine Aufsicht dort am nothwendigsten ist, wenn die andern Beamten schlafen. Ich habe mich nun, um die Sache nicht zu übertreiben, folgendermaaßen eingerichtet. Ich wache bis 1 1/2 Uhr, lege mich dann nieder und lasse mich um 3 Uhr wieder wecken, wo ich nach Befinden der Umstände mich etwa eine Stunde im Männersaal aufhalte, und dann noch bis um 6 Uhr zu Bette lege. Carl Otfried Müller an seine Eltern, Göttingen, 21. Oktober 183lm Jetzt ist nun der so lange gefürchtete Zeitpunkt gekommen, wo wir uns unsere Lieben in unmittelbarer Nähe der Cholera denken müssen, und wir bitten deswegen gar sehr, uns die Nachrichten etwas häufiger, auch wenn nur kurz, zukommen zu lassen. Auch wir wollen, wenn sie erst hier ist (jetzt wird ihre Ankunft in Lüneburg gemeldet), recht oft über unsre Gesundheitsumstände schreiben. August von Behr an Herzog Heinrich von Anhalt-Kothen, Kothen, 21. Oktober 1831ш Ew. Herzogl. Durch, überreiche ich, höchstem Befehl gemäß, anderweit die zum Druck allhier eingereichte, der Censurbehörde präsentierte Flugschrift des Hofr. Dr. Hahnemann. Würden die pag. 4 und 5 sub a); pag. 6 sub. b, с und d angedeuteten Stellen gestrichen, so scheint mir die Erlaubniß zum Druck unbedenklich; ja es möchte selbst die Verbreitung nützlich sein, da die höchsten Orts angeordneten Sperren - wogegen sich manche unberufene Stimme erhoben, - empfohlen und die Leute durch Warnung vor Contagion vorsichtiger gemacht werden. [...] Noch besseren Succeß - bei hierdurch vermiedener Verbitterung - würde meines Erachtens an denselben aus herzogl. Cabinet zu richtendes in wohl wollenden Ausdrücken verfaßtes Schreiben haben, in welchem seinen Bemühungen um die leidende Menschheit in Betreff der Cholera Gerechtigkeit zuerkannt und derselben lobend erwähnt, ihm aber doch auf

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das Bestimmteste angedeutet würde, sich aller Bekanntmachungen zu enthalten, welche den Zweck hätten, Erbitterung gegen die allöopathischen, für jetzt doch keinesfalls zu entbehrenden Ärzte zu erwecken, und noch mehr sich gegen polizeiliche Verfügungen und die oberste Staatsgewalt aufzulehnen [...]. Bartholomäus Kopitar an Jakob Grimm, Wien, 21. Oktober 1831390 Die Cholera dürfen Sie, bei Mäßigkeit und gutem Muthe, vor allem bei angenehmer, interessanter Lectü[re] auslachen. Für contagios hält sie unsre Regierung gar nicht; Beweis: die Aufhebung aller Cordons, die freilich auch andre, politische Gründe mithaben mag. Aber das Kollern im Bauche habe ich selbst; und fast alle meine Bekannten mehr oder weniger seit dem Ausbruche immerfort; als ich ihre Grammatik las, hatte ich keines, oder merkte es nicht? Kurz timetur cholera, ubi nondum est; wir sind froh, sie hoffentlich in 4 - 6 Wochen weiter spedirt zu haben: besser ist halt besser, nicht wahr? Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen an Samuel Hahnemann, Kothen, 22. Oktober 1831391 Es ist Mir von Meinen Behörden darüber Bericht erstattet worden, wie der hiesige Fleischhauermeister Kayser bei der wegen der Cholera-Angelegenheiten niedergesetzten Orts-Commission hiesiger Residenz zu Protokoll gegeben, daß er in der Eigenschaft als Distriktsvorsteher zu Ihnen gerufen worden, und von Ihnen ein Glas mit Campherspiritus und eins dergl. mit Sträukügelchen mit der Weisung erhalten habe, davon, ihrer mündlichen Instruktion gemäß, bei Erkrankungen an Cholera in seinem Distrikte Gebrauch zu machen. Ebenso sollen Sie noch andere zu Distriktrevisoren bestellte hiesige Bürger ohne weitere Veranlassung zu sich beschieden, denselben jene Medicamente ausgehändigt, und ihnen zur Pflicht gemacht haben, bei Krankheitsfällen in ihren Distrikten nach mündlicher Instruktion davon Gebrauch zu machen. Wie sehr Ich nun auch Ihre mir bekannten eifrigen Bemühungen, Ihren Mitbürgern bei der drohenden gefahrvollen Krankheit durch die Resultate Ihrer wissenschaftlichen Forschungen Hülfe und Beruhigung zu gewähren, anerkenne und es hochschätze, daß Sie dazu selbst eigene Opfer bringen; so kann ich doch nach Einsicht der bestehenden Gesetze über die Pflege der Medicinal-Polizey in Meinem Herzogthume nicht umhin, Ihnen bemerklich zu machen, wie Ihr oben bezeichnetes Verfahren mit diesen Gesetzen durchaus nicht im Einklänge steht, weshalb Ich wünschen muß, daß Sie die Ihnen nachgelassenen Bevorrechtungen bei Betreibung Ihrer ärztlichen Praxis nicht über deren Umfang ausdehnen möchten, indem Sie nur dann erwarten können, bei denselben geschützt zu werden. Ebenso wünsche Ich, daß Sie bei den Darlegungen Ihrer Heilmethode der Cholera in Flugschriften und sonstigen öffentlichen Bekanntmachungen Ihre eifernden Äußerungen gegen die allöopathischen Ärzte nicht einmischen möchten, indem dadurch der Wissenschaft schwerlich genützt, wohl aber dem Publicum bei den jetzigen bedrängenden Zeitumständen sehr leicht Veranlassung zu gesetzwidrigen Aufregungen gegeben werden kann. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 22. Oktober 1831392 Vor einigen Tagen ward mir ein seltsames Ansinnen gestellt. Eine mir unbekannte Frau forderte mich allein zu sprechen, und beschwor mich, wenn mir wirklich daran liege, Menschenleben zu retten, bei den Kranken von einem Mittel Gebrauch zu machen, das sie mir

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zu dem Ende, und zwar ganz unentgeltlich, vertraun wolle. Es sei erfunden worden von einem Professor Muth, der vor etwa 100 Jahren in Frankfurt a. M. während einer dort grassirenden Pest dadurch viele Hunderte vom Tode errettet; sie aber habe dessen Wirksamkeit auch gegen die Cholera, sowohl an sich selbst, als auch an einem Tochterkinde erprobt. Ich erklärte ihr natürlich, daß ich ohne Einwilligung des Arztes nichts thun dürfe; da, vermuthlich in der Hoffnung, mich ihrem Wunsche willfährig zu machen, eröffnet sie mir, wie sie, zur Familie des Professors Muth gehörig, die Mutter jenes unglücklichen Malerburschen sei, der eines Mordes wegen zu einer 23jährigen Gefängnißhaft verurtheilt worden, und daß sie in ihrem unaussprechlichen Jammer nun noch ihre letzte Hoffnung darauf gesetzt, um des Verdienstes willen, den sie durch jenes Mittel um die Vaterstadt sich zu erwerben hoffe, eine Milderung der Strafe zu erlangen. Es jammerte mich ihres in allen Zügen tief eingeprägten Grames in der Seele, aber natürlich konnte ich deshalb doch auf ihren Vorschlag nicht eingehen, und so erlaubte sie mir endlich, Dr. Siemssen von der Sache zu unterrichten. Dieser ging freundlich darauf ein, so weit er es durfte, indem er sich zuletzt bereit erklärte, mir die Anwendung des Mittels zu gestatten in Fällen, wo er durchaus nicht mehr zu helfen wüßte. Einmal ist es denn wirklich gebraucht, aber leider, wie zu vermuthen, ohne Erfolg. Robert Reinick an Franz Kugler, Düsseldorf, 22. Oktober 183lm Haben wir bei dieser Fahrt zwar das meiste einem günstigen Geschick zuzuschreiben, so ward doch auch von unserer Seite nicht versäumt, das Glück zu benutzen. Gesundheitsstempel, schwarz und rot und möglichst groß waren eine Hauptsache dabei, alle Behörden wurden dabei in Anspruch genommen. Rathäuser, Polizeistuben und Postämter von uns berannt, Erkundigungen von allen Seiten eingezogen und keine Minute versäumt, eine Post einzuholen. Wir sind mit allen Arten Fuhrwerken gereist, mit Extra-, Schnell- und ordinären Posten, auf Bretterwagen und per pedes, die Hauptsache aber war ein Schein von der Halberstädter Polizei, daß wir dort zur Zeit ansässig wären und Halberstadt rein wäre. Damit fuhren wir bei Nacht über die hannövrische Grenze. Der Tyrann, der dort alle Leute, auch den armen Hildebrandt einsteckte, schlief; ein halbwacher Korporal hielt unsern Extrapostwagen für die Leipziger Schnellpost, nahm unsere Scheine, bestempelte sie, unterschrieb sie halb und - wir konnten fort! Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 22. Oktober

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Bei der Gelegenheit jenes Hamburger Reisenden habe ich auch erfahren, wie schlecht Frankreich durch seine Quarantäne geschützt ist. Holland und Belgien hatten bis jetzt gar keine Quarantäne und Frankreich gegen jene Länder auch nicht. Jener Hamburger verließ Hamburg, als dort die Cholera zwar noch nicht erklärt, aber schon ausgebrochen war, und ist ohne Hindernis und Aufenthalt bis nach Paris gekommen. Beste, was sagen Sie dazu, daß wir nach der Cholera als Dessert die Pest bekommen werden? In Moskau ist sie schon, und nach dem gestrigen Journal des Debats haben sich Pestspuren sogar schon in Danzig gezeigt. Ich zweifle nicht, daß sie sich verbreitet, denn schon vor einem halben Jahr wußte man, daß die russische Reservearmee, die man aus Asien gezogen, um sie nach Polen zu schicken, die asiatische Pest mit sich führte. Die Pest ist noch viel schrecklicher als die Cholera. Zwar insofern ist sie weniger gefährlich als unser

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lieber Gast, als sie nur durch Ansteckung, nicht durch die Luft sich verbreitet, man also durch strenge Absonderung sich vor ihr hüten kann. Aber eben die Möglichkeit, sich durch Absperrung zu schützen, macht die Pest in ihren moralischen und politischen Folgen weit verderblicher als die Cholera. Land verteidigt sich gegen Land, Stadt gegen Stadt, Haus gegen Haus, alle Bande der Freundschaft, der Geselligkeit werden aufgelöst, aller Verkehr, aller Handel hört auf, und Hungersnot, Armut und Jammer aller Art werden die Welt durchwüten, Rußland überhäuft uns mit Wohltaten! О es ist zu schrecklich! Es ist die Büchse der Pandora, nur ohne die Hoffnung. Gestern las ich etwas von der Cholera, worüber ich lachen mußte. Sie ist schlau, Sie werden schon merken warum. Man hat nämlich immer behauptet, daß große Furcht vor der Cholera zur Ansteckung besonders disponiere. Nun macht aber der bekannte Dr. Rust in der Berliner Zeitung bekannt, daß dem keineswegs so sei. Es wäre in Berlin noch nicht ein Fall vorgekommen, daß jemand durch Furcht sich die Cholera zugezogen habe. Da nun aber in Berlin, wie bekannt, sich die meisten Menschen sehr vor der Cholera gefürchtet haben, so würde, wenn keiner der Furchtsamen die Krankheit bekommen, daraus folgen, daß nicht allein die Furcht zur Cholera nicht geneigt mache, sondern daß sie sogar davor schütze. Darum beschwöre ich Sie, angebe[te]ter Husar, daß, wenn die Cholera in Ihrer Nähe kömmt, Sie sich ßrchten sollen. Es wird Ihnen zwar schwer fallen, aber durch Fleiß und Behaarlichkeit erlangt man alles. Ja, Sie sollen jetzt schon anfangen sich zu fürchten, vor diesen und jenen und allen möglichen Dingen, damit Sie in die Übung kommen. Wollen Sie das tun, liebe Seele? Es wird mir sehr zu meiner Beruhigung gereichen. Amts-Sanitäts-Kommission der Grafschaft Warmsdorff an Samuel Hahnemann, Gästen, 23. Oktober 183P95 Sie haben die Güte gehabt, die Residenzstadt Cöthen mit dem für die Cholera schützenden Präservative unentgeltlich zu versehen, und wie uns, von dem bei Ihnen gewesenen Maurermeister Buße von hier angezeigt ist, werden und wollen Sie, auf Ersuchen, dasselbe für hiesige Stadt ebenfalls bewerkstelligen. Wir verfehlen nicht, von diesem patriotischen Anerbieten Gebrauch zu machen, und Ew. Wohlgeb. um die für hiesige Stadt nöthigen Medicamente ergebenst zu ersuchen, und Sie zugleich bitten, gütigst bestimmen zu wollen, wann und wie solche abgeholt werden sollen. Johann Friedrich Herbart an Friedrich Nasse, Königsberg, 24. Oktober 1831m Hochwohlgeborener Höchstgeehrter Herr geheimer Rath! Sie werden zwar dieses Blatt ohne Zweifel durchstochen finden, doch hoffentlich nichts von giftigem Dunste darin fürchten. Denn als Arzt werden Sie hinreichend berichtet seyn, daß die Cholera, wenn ja auch zuweilen ansteckend am Krankenbette, doch von pestartiger Ansteckung durch Papiere aus gesunden Händen durchaus nichts weiß. Sophie Tilebein an Amalie von Gerstenbergk, Züllchow/Stettin, 24. Oktober 183P91 Nachdem die Cholera in der vergangenen Woche schlimmer als je gewüthet, nimmt sie nun wieder ab, und die Ärzte hoffen, in 10 bis 14 Tagen Stettin für desinfizirt erklären zu können. Dieu veuille, Dieu! In Torney rafft sie ganze Familien weg. Unser früherer Nachbar

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Wolff hier in Züllchow ... ist an der Cholera gestorben, von vier Erkrankten der einzige. Von dem allen steht nichts in der Zeitung. Auguste Brede beschämt aber in Güstow alle Ärzte Stettins: 26 gestorben, 22 genesen, es gibt kein zweites so günstiges Resultat. Caroline von Eglojfstein an Julie von Egloffstein, Marienrode, 24. Oktober 1831ш Bei uns geht es, gottlob! so gut wie möglich, und die Sorge vor der Cholera verschwindet überall. In Berlin leben die Leute so ruhig fort wie vorher, in Potsdam ist Prinzeß Augusta am 18. gerade mit einem Sohn niedergekommen, und die Freude gewinnt nun ganz die Oberhand. Gottlieb Friedländer an Friedrich Christian Wilhelm Jacobs, Berlin, 24. Oktober 1831399 Die Epidemie ist bei uns intransigent] sehr stark, ja die Zahl der Erkrankungen wohl größer, als sie die Listen unserer Blätter angeben, es scheint auch nicht, daß man die Zahl der Genesenden sehr genau berichtet, man wünscht dem großen Haufen das Übel nicht in seiner ganzen Furchtbarkeit zu zeigen, das mag ganz gut sein, nur hat es auf der anderen Seite den wesentlichen Nachtheil, daß man gar oft die vorgeschriebene Mäßigkeit nicht mehr beobachtet, daher die größere Zahl der Erkrankenden in den letzten Tagen. - Wir beklagen an unserer Anstalt den Tod des rühmlichst bekannten Prof. V. Schmidt, eines rechten Collegen, zu große Besorgniß fesselte ihn an sein Zimmer wochenlang, er hatte der Luft jeden Zugang versperrt, fürchtete das Übel stets und erlag der Seuche in einer Stunde. Mit der göttlichen Hülfe, mit Muth und Mäßigkeit hoffen wir, dieser trüben Zeit bald Lebewohl sagen zu können. Heinrich Meyer an Johann Wolf gang von Goethe, Belvedere/Weimar, 24. Oktober 1831400 Nachdem ich Ihnen schon heute Morgen ein Blättchen übersendet, erhielt ich von der Frau Großherzoginn Kaiserlichen Hoheit den beyliegenden Plan von Sanssouci und dem neuen Pallast bey Potsdam, worauf mit Roth angedeutet ist, wie die Gebäude nebst dazu gehörigem Raum mit einer Kette von Posten und Schildwachen umgeben worden. Die Frau Großherzoginn glaubt, daß Sie diesen Plan gerne ansehen und sich aus demselben einen deutlichem Begriff von den dort eingerichteten Sicherungsanstalten für die Königlich Preußische Familie machen könnten. Jacob Grimm an Joseph von Laßberg, Göttingen, 24. Oktober 1831401 Die Göttinger Briefe waren zu frühzeitig geräuchert und durchstochen worden, denn noch ist uns das ungeheuer ziemlich fern, es hat Hamburg und Magdeburg, weiter keinen näheren ort erreicht. Zu Berlin ist prof. Valentin Schmidt, der sich um die romanische (romantische?) poesie verdient gemacht hat, als ein opfer gefallen.

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Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 24. Oktober 1831402 Nach einer gestrigen Zeitung wäre die Cholera in Amsterdam und Groningen. Ist die Nachricht zu voreilig, wird sie doch bald wahr werden. Von Holland hierher hat sie dann nicht weit. Ich bin eingetretenen Falles immer noch willens, nach Genf zu gehen. Sie wird zwar dorthin auch kommen, aber doch nicht mit den Beängstigungen begleitet sein wie in Paris. Genf hat ein mildes Klima, himmlische Gegend und soll der angenehmste Aufenthalt von der Welt sein. [...] Wenn aber eine Familie darum ihren Wohnort verläßt, ist es wirklich närrisch. Die Krankheit ist so mild, es ist so leicht, sich davor zu hüten, und so ungewiß, durch die Flucht ihr auszuweichen, daß es am besten ist, man bleibt zu Hause. Die Wiener Familie hier, von der ich Ihnen schon geschrieben, bereut es sehr, Wien verlassen zu haben. Von ihren vielen hundert Bekannten in Wien ist nur einer krank geworden und dieser eine wurde geheilt. Die Familie besteht aus 14 Personen, worunter viele kleine Kinder. Und gestern sagten sie mir, daß, wenn die Cholera nach Paris käme, sie der Kinder wegen doch nicht Weiterreisen würden, und die jetzt also in der Fremde ausstehen müßten, was sie zu Hause leichter hätten ertragen können. Stern sagte mir, er glaube, wenn die Cholera käme, würden die Rothschildschen Damen auch wegreisen. Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, Jüterbogk, Oktober /857 403 Wenn man nur ein wenig mehr Zeit hätte, so fände sich jetzt die schönste Gelegenheit, die Herren Allöopathen gehörig abzutrumpfen. Überall wenden die Kerls den Campher an und weil sie noch allerlei Zusätze machen, so nennen sie das eigene Erfindung und die Regierung benimmt sich gegen uns wie kleine Kinder. Sie überschwemmt uns mit Anordnungen und Vorschlägen, die ich kaum des Lesens werth achte. Erst neulich empfahl sie uns zur Nachahmung ein in Polen ganz spezifisch erwiesenes Verfahren, das ein Dr. N. N. erfunden haben sollte, der seine Kranken mit einem Gemische aus ungeheuren Portionen Bilsenkraut und Campher behandelt hätte. Man würde nicht begreifen, warum die Kranken an so vielem Bilsenkraut nicht gestorben wären, wenn nicht der Campher diesen Zusatz ganz unschädlich machte. Das wissen aber die klugen Herren nicht und solchen Mischmasch geben sie für ihre Erfindung aus, die großen Esel! Friedrich Ludwig Kreysing an Ernst Horn, Dresden, Ende Oktober 1831ш Ein Resultat meines Forschens muß ich Ihnen aber noch mittheilen. Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, daß das Choleragift (der Ansteckungsstoff) sich in den menschlichen, überhaupt thierischen Auswurfstoffen multiplicirt, und so die Luft in Orten vergiftet, wohin ein Cholerakranker gekommen ist. - Die Cholera scheint sich besonders zum Schmutze zu neigen, denn sie ist im Schmutze in Indien erzeugt und empfangen worden, sie sucht - wenigstens vorzugsweise gern - die schmutzigen Hütten und Cajüten auf, worin die organischen Abgänge in Menge aufgehäuft sind, - sie sucht die Kloake der Menschen, den Darmkanal auf, - ja was toller noch ist, sie hält Urin und Gallensecretion im Blute zurück, als ob sie die größte Wahlverwandtschaft zu diesen Stoffen hätte; dies thut keine andere Krankheit, daher die Reinlichkeit der Straßen, Wohnungen, Latrinen: dann der Menschen, die Bewahrung vor Alteration, besonders des Verdauungs- Apparats vor Zerrüttung, so wichtig werden.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Oberlehrer K. an Johann Christian August Heinroth, Magdeburg, 25. Oktober 1831405 Daß die Krankheit miasmatisch ist, dafür spricht ein besonderer Umstand, daß nämlich in den Gegenden, wo sie am ärgsten hauset, alle Sperlinge und Dohlen verschwinden und sich überhaupt die Vögel sehr unruhig zeigen, hoch fliegen und sich sehr vermindern; dieselbe Erfahrung hat in Wien und Berlin stattgefunden, auch zeigt sich bei allen Menschen ein Zustand, der sich zu choleraartigen Fällen hinneigt; wäre sie ansteckend, so müßte ich sie längst haben, da ich ohne alle Präservative als eine strenge Diät die Kranken besuche, mehrere Male schon mit bloßen Händen, weil es an Mitteln fehlte, frottirt habe, daß mir der Schweiß vor der Stirn stand, und wenn ich das Desinficiren noch mitmache, so thue ich es nur, um meine Umgebungen zu beruhigen.

Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 25. Oktober 1831406 Die einzige interessante Seite dieser Krankheit, über die mit Geist und einem Anspruch auf Zustimmung sich schreiben lässt, ist der Ansteckungspunkt. Dieser muss aus den Vorgängen bei andern ansteckenden Krankheiten, mit denen er theils übereinstimmt oder von denen er in wesentlichen Punkten abweicht, erläutert werden. Die grosse Darstellung des Verlaufs des Übels in St. Petersburg in einer Beilage der Preussischen Staatszeitung war mit Wahrheitsliebe und treuer Angabe der Thatsachen, soweit sie der Verfasser erkannte, geschrieben und enthält einen Gang, der nicht übersehen werden darf. Vortrefflich war in der Cholerazeitung der Aufsatz eines Majors. Das Übel scheint in Norddeutschland eine kleinere Zahl von Menschen zu befallen, aber das Kunstvermögen gegen dasselbe immer mehr zu sinken. Dabei sind unter den Genesenden ohne Zweifel viele, bei denen die Cholera anfänglich nur vermuthet wurde. Ob Ihre [Cholera-] Schrift wohl vielen Absatz findet? Man legt jetzt so wenig Werth darauf, zu wissen, wie eine Lehre sich entwickelte, was andere fanden und thaten, und begnügt sich mit einer dürftigen Anweisung zum Curiren. Das jetzige Geschlecht der Ärzte ist in der grösseren Masse sehr oberflächlich.

Friedrich Wähler an Jons Jacob Berzelius, Kassel, 25. Oktober

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Dass ich noch hier bin, und dass in Berlin die vermaledyte Cholera noch nicht abgenommen hat, im Gegentheil im Zunehmen ist, zeigt ihnen, daß sich die Umstände und Gründe, welche mich hierher zu reisen nöthigten und wovon ich Ihnen im vorigen Briefe schrieb, noch nicht geändert haben, und wollte ich jetzt wieder nach Berlin zurückreisen, so würde ich meine Franziska und meine Familie in dieselbe Verzweifelung versetzen, worin sie waren, als sie mich bewogen, den Urlaub zur Wegreise von dort zu nehmen. Auf der anderen Seite ist aber die Zeit dieses Urlaubs schon verstrichen, und nur dem freundschaftlichen fortwährenden Vicariiren von Magnus verdanke ich es, dass man mir für mein längeres Ausbleiben durch die Finger sieht.

Briefe Herbst 1831 Samuel Hahnemann an Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen, Kothen, 26. Oktober

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In der Hauptsache aber ist die an Ew. Herzogl. Durchlaucht gelangte, gegen mich gerichtete Denunciation unrichtig und ungegründet, daher ich mir erlaube, das Faktum darzustellen, wie es in der Wahrheit ist. In meiner hier in Cöthen gedruckten Vorschrift steht, daß nicht bei mir die Schutz-Arznei zu bekommen, sondern von verschiedenen andern homöopathischen Apotheken zu beziehen sei, die ich da nenne. Da erschienen aber eine Menge hiesiger Einwohner, die mich baten, ihnen diesen Umweg zu ersparen, zumal da sie auf Niemand ein solches Vertrauen, es aufs beste bereitet zu erhalten setzten, als auf mich. Solcher einzelnen Bittenden waren Hunderte, die zu befriedigen meine Zeit nicht zugereicht haben würde. Ich schlug es daher meist mit der Weisung ab, daß ich es nur den Distriktsaufsehern geben würde, wenn sie mich darum ersuchten, die es dann allen Familien einzeln zutheilen könnten, so daß niemand leer ausginge. Dieß mein Anerbieten benutzten die Distriktsaufseher, kamen und baten mich um die Schutz-Arznei, um sie beim Eintritt der Cholera den ihrer Aufsicht untergebenen Familien einzeln zu vertheilen und sich derselben selbst zu bedienen. Keinen dieser Aufsichts-Bürger habe ich zu mir rufen lassen, keinen habe ich zu mir beschieden, und ebensowenig den Fleischhauermeister Kaiser. Wer, wie ich, kein Amt hat, kann nicht einmal jemand zu sich bescheiden. Alle sind aus eigenem Triebe zu mir gekommen, um die Schutz- und Heilarznei zu erlangen. Jedem Individuum aber steht es gesetzlich frei, sich von einem legitimirten Arzte Hülfe auszubitten für eine jetzige, sowie für eine zu befürchtende Krankheit; niemand außer im Hospitale ist gezwungen, einen bestimmten genannten Arzt zu gebrauchen, niemand kann verhindert werden, die Hülfe von demjenigen legitimirten Arzt sich zu erbitten, auf den er das meiste Vertrauen hat. Da es nun natürlich Jedem freisteht, selbst die von mir gegen die Cholera erbetenen Arzneien ungebraucht zu lassen, so sehe ich nicht ein, worauf sich des Fleischermeister Kaiser's Klage gegen mich gründen könne, oder wie man Ew. Herzogl. Durchlaucht deßhalb gegen mich hat aufrufen können. [...] Es ergehet daher an Ew. Herzogl. Durchlaucht die unterthänigste Bitte, mir gnädigst zu gestatten, während des kleinen Restes meiner Tage noch soviel Gutes meinen hülflosen Mitmenschen anthun zu dürfen, als meine Befugniß mir zugesteht, und mir daher ferner zu erlauben, die mich um meine Hülfe gegen die drohende asiatische Pest bittenden Bürger und Einwohner mit den von mir erfundenen und sich überall einzig heilsam bewährenden, specifischen Schutz- und Heilmitteln unentgeltlich versorgen und mir die Freude machen zu dürfen, meine Mitbürger aus augenscheinlicher Gefahr des Todes gerettet zu haben. Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, Düsseldorf, 26. Oktober 183lm Gestern Abend, meine geliebte Mutter, bin ich hier gesund u. wohlbehalten eingetroffen, u. hatte die Freude F[e]rd[inand]s Brief vorzufinden, u. in demselben die Nachricht von Eurem Wohlbefinden. Gott erhalte u. beschütze Euch! Ich rechne fest darauf allwöchentlich zum bestimmten Tage einen Gesundheitsbericht zu erhalten; meine Sorge u. Unruhe würde sonst zu groß seyn. Ich habe nur noch einmal in Iserlohn in einer abscheulichen windigen Kneipe einen Krampf überstanden, sonst habe ich mich immer wohlbefunden. Hier, in meiner gewohnten

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Lebensweise werden sich diese Anstöße bald verlieren, u. ich werde im Kreise meiner Pflichten u. Geschäfte hoffentlich dem Übel getrost begegnen. Karl August Varnhagen von Ense an Rosa Maria Assing, Berlin, 27. Oktober 1831m Ich hoffe, und vertraue, dass Ihr alle wohlauf und getrost seid und euch von dem ersten Schrecken der Anwesenheit des unholden Gastes schon grösstenteils erholt habt. Ein Schrecken ist es immer, wenn es nun wirklich heisst, das langbefürchtete Uebel sei da, doch ein Schrecken, der meines Erachtens sich alsbald wieder mässigen und zu den gewöhnlichen Gemütsstimmungen niedersenken muß. Mich traf es fast, als ich, nach ängstlichen Tagen, in der Zeitung wirklich las, nun ist auch Hamburg befallen, ich war bei und mit Euch und erlebte im Geiste zum zweitenmale den Einzug des düstern Uebels. Da nun aber die ersten Tage überstanden sind, hoffe ich für Euch dieselbe Wendung, die wir hier erfahren haben, und deren ich gleich in der ersten Zeit teilhaft werden konnte. Ich sehe in der Cholera nichts mehr als einen der vielen Feinde, die unser Leben täglich bedrohen, und mit denen wir leben und uns nach besten Kräften herumschlagen, grossenteils auch gar nicht abgeben, und wenn ihr erstes Auftreten vorüber sein wird, dürfte sie unter diesen Feinden nicht einmal den furchtbarsten beizuzählen sein, besonders wenn auch die ärztliche Wissenschaft und Kunst erst vertrauter mit ihr geworden. Unsere hiesigen Aerzte werden hiezu nicht eben das Meiste beitragen, wie mich dünkt; sie zeigen sich im Ganzen nicht von sehr vorteilhafter Seite in dieser Krisis, am wenigsten die grossbenannten und hochbetitelten, die lieber auf dem obrigkeitlichen Stuhl oder im vornehmen Saal als am Krankenbett sitzen und die Belohnungen und Ehrenauszeichnungen sich gelüsten lassen, welche vielleicht von Untergebenen verdient werden. Das medizinische Licht über die Cholera wird von hier nicht ausgehen, es müssten denn im Stillen junge Männer sinnen und arbeiten, deren Namen man noch gar nicht kennt. Schon dass keiner unserer Aerzte die Krankheit, welche man erwartete, an ihren früheren Aufenthalten zu sehen bemüht gewesen, sondern alle ihre Bekanntschaft hier abgewartet, gereicht der Behörde wie den Einzelnen zum Vorwurf. Auch lässt sich nur hieraus der unselige Irrtum erklären, dass man gegen sie nach Analogie der Pest verfahren wollte, ein Irrtum, auf dem der sonst so geniale und gewandte Rust unglücklicherweise zu lange verharrte und nun, da der Augenblick des glimpflichen Einlenkens versäumt worden, mit Eigensinn und mit allen Kräften seines Ansehens und Einflusses fortbesteht. Die Maassregeln zwar hat man abgeändert, aber die Lehre will man nicht aufgeben und wohl durch die Tat, aber nicht mit Worten sich im Irrtum bekennen. Rust hat den Kronprinzen, den Minister Altenstein, den General Thile und andere Personen dieser Art, die zum Teil seine Kranken sind, so von der Ansteckungslehre überredet, dass diese nun gleichsam ein wirkliches Ansehen hat, eine amtliche Gültigkeit, und die Gegenmeinung wird wie eine politische Opposition mit Leidenschaft unterdrückt und aus der hohen Gesellschaft verbannt. Sogar die Zensur übte in dieser Hinsicht Gewalt. Der Dr. Sachs hat zwar mit Mühe für seine Cholerablätter sich einige Freiheit erkämpft und die Staatszeitung, andern Einflüssen folgend, auch der Opposition eine Stätte gewährt. Allein die amtliche Ansicht hält sich als solche fest, wie die päpstliche gegen Galilei, und wer in der Kirche auf Würden hofft, muss wenigstens zum Scheine die Sonne um die Erde laufen lassen. Ich will nicht gerade sagen, dass niemand, der die Ansteckung der Cholera leugnet, den Roten Adlerorden dritter oder vierter Klasse für seine ärztlichen Verdienste erhalten wird, aber ich für meinen Teil, wäre mir ein solcher

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Orden höchstes Lebensglück und höchstes Ziel des Mühens, würde doch lieber die Anstekkung bekennen; besonders, da mich dies gar nicht verpflichtete, auch meine Handlungen in diesem Sinne einzurichten!! Unsere andere Cholera-Zeitung, vom Medizinalrat Casper herausgegeben, und von der Regierung unterstützt, legt überall die Contagion zu Grunde, wiewohl Dr. Casper selbst, ehe er die Zeitung herausgab, die vorherrschende miasmatische Eigenschaft mit Heftigkeit aufstellte; er hat, was man nennt, umgesattelt, aber, wie mich dünkt, nicht in günstigem Augenblick, da die Seite, auf die er sich gestellt, unwiderruflich zur Niederlage bestimmt ist, freilich mit hiesigen Siegeszeichen vielleicht! Am meisten bedauere ich aber Rust, der wenig mehr gewinnen kann und viel zu verlieren hat; sein Irrtum und Eigensinn werden ihn verderben; er bekömmt durch den Gang der Krankheit und durch die Urteile, die bald ganz Europa über sie abgeben wird, eine Schlappe, von der er sich vielleicht nicht wieder erholt. [...] Leider sehe ich die Erkrankungsfälle in den Hamburger Listen ziemlich hoch angegeben, indess möchte doch das Verhältnis mit dem hiesigen nicht so ungleich ausfallen, wenn man nicht die Bevölkerung überhaupt, sondern die Klasse der Bevölkerung in Anschlag bringt, denn der Kreis der untern biossgestellten und mittel- oder bildungslosen Lebensart scheint doch hauptsächlich das Uebel anzunehmen, diesem Kreis gehören hier z.B. 6000 Soldaten, die man in Berlin zählt, eigentlich nicht mehr an, und so noch viele andre Stände, die unter Aufsicht und Fürsorge leben. Adele Schopenhauer an Arthur Schopenhauer, Bonn, 27. Oktober 1831Ш Ich weiß nur einen, den ich heirathen kö[n]nte ohne Widerwillen, u. der ist verheirathet. Ich bin stark genug um diese Öde zu ertragen, aber ich wäre der Cholera herzlich dankbar, wenn sie mich ohne heftige Schmerzen der ganzen Historie enthöbe. Daher ist mir Deine Angst, da auch Du Dich unglücklich fühlst und oft dem Leben entspringen wolltest durch irgend einen Gewaltschritt - seltsam. Ich meine: nun man kan[n] es abwarten, ich kan[n] recht gut leben und bin oft sehr heiter, aber es trifft mich - eh bien! einmal endigt es [...]. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 27. Oktober 1831412 Über die Hamburger Cholera schreibt mir Campe folgendes: „Um eine dumme Seuche wird ein Trödel gemacht, der namenlos ist. Und was ist sie denn? Unsere Straßen sehen heute so und so angefüllt mit Menschen aus wie sonst. Ob die 300 Trunkenbolde mehr leben oder nicht, denn bis jetzt sind nur Säufer und lüderliche Dirnen gestorben; wer vermißt sie? Der Branntweinbrenner ... Die bessern Stände werden auch ihren Tribut geben müssen und [es] werden auch Unschuldige mit zur großen Armee abgehen. Aber man bedenke, das Scharlachfieber warf hier in diesem Sommer 1500 Menschen auf das Krankenlager, und gegen 7 bis 800 Leute verloren das Leben. Deswegen hat kein Hund gebellt. Aber dieses exotische Übel wird angestaunt." Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, Altona, 28. Oktober

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Die Krankheit scheint hier bis jetzt milde zu seyn. In Altona sind im Ganzen nur 14 Erkrankungsfälle angegeben (worunter 2 unbezweifelt keine Cholerakranken waren) von vorgestern auf gestern ist Niemand erkrankt. An demselben Tage sind in Hamburg nur 11 er-

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krankt, 10 genesen, 13 gestorben, so dass sie dort schon ihren Behalt verringert haben, der von etwas über 180 auf 156 gekommen ist. Obgleich wir nun recht gut wissen, dass diese günstigen Umstände noch keine Sicherheit der Abnahme geben, so freut man sich doch über jeden kleinen Gewinn. Diätfehler scheinen hier die vorzüglichsten Ursachen zur Erkrankung zu seyn, mehr als Erkältungen, und sie bringen einen sehr summarischen Verlauf. Senator Dämmert's Bedienter (der sich mit Austern überlud) war 5 Stunden nachher todt. Ein Komptorist, der um der Krankheit zu trotzen (in bester Gesundheit) 7 Stück oder Portionen Karpfen ass, überlebte seine Abendmahlzeit nur 3 Stunden. Furcht gegen die Krankheit zeigt sich im Allgemeinen wenig, was wohl, wie ich schon geschrieben zu haben glaube, den vernünftigen Anstalten unserer Obrigkeiten zuzuschreiben ist, die die Cholera wie jede gewöhnliche Krankheit behandeln, und alle Sperre der Häuser u.s.w. unterlassen. Es ist eine sonderbare Sache mit dieser Krankheit, z.B. der Umstand, dass fast Alle in der Nacht erkranken. Früher glaubte ich, da ich eben das aus Petersburg und Riga hörte, es käme daher, weil dort die geringeren Volksklassen (alle Domestiken miteinbegriffen) nie Betten haben, sondern auf Bänken und Oefen sich zum Schlafen legen, wo also eine Erkältung in der Nacht wahrscheinlich ist. Allein das ist nicht hier der Fall. Wäre es blos Diätfehlern bei dem Abendessen zuzuschreiben (die übrigens auch wohl Antheil daran haben), so müssten Erkrankungen des Nachmittags und nach dem Mittagessen (wo gewiss die meisten Diätfehler gemacht werden) am häufigsten seyn. Dass ausser der Fortpflanzung durch Ansteckung, ein Miasma in der Luft seyn muss, scheint mir durch die plötzlichen furchtbaren Folgen eines Diätfehlers erwiesen, den man sonst nur mit leichter Unpässlichkeit büsst. Ebenso durch das allgemeine sonderbare Uebelbefinden fast Aller, die nicht an der Cholera erkrankt sind. Da sehr wenige Personen der Ansteckung von Mann zu Mann fähig sind (wenn man die aus Diätfehlern, Erkältungen u.s.w. erkrankten abzieht, wahrscheinlich in den schlimmsten Fällen nicht 1 unter 100), so glauben Alle, die eben nicht an Schärfe im Discutiren der Beobachtungen gewöhnt sind, sie sey gar nicht ansteckend, und der Glaube scheint auch hier schon allgemein. Man darf ihn wohl eigentlich nicht stören, da er wenigstens das Gute hat, den Kranken die nöthige Pflege zu sichern. Clemens Brentano an Joseph Maria Settegast, Frankfurt/Main, 28. Oktober 1831414 Aergern Sie sich nicht, Görres schreibt heute an Sophie, Veith in Wien behandelt viele Cholerakranke homöopathisch und noch keiner ist ihm gestorben. Wollten Sie wohl bei Veith anfragen lassen, wie er sie behandelt, er ist doch ein Priester und tüchtiger Arzt und kein Charlatan, es wäre doch höchst interessant und sehr gesund! Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 28. Oktober 1837415 Doch ernstlich, wenn so viele Schrecken auf einmal kämen, hört eigentlich die Furcht auf. Weder in Amsterdam noch Groningen ist die Cholera, so viel wir hier dazu wissen, Ihre franz. Blätter lügen aber auch gar zu viel.

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Privatschreiben aus Wien, 28. Oktober 1831ш Die Cholera brach hier nach vielen einzelnen Fällen vom Anfang August, endlich in der Nacht vom 13. zum 14. September mit großer Heftigkeit aus; der 14., 15., und 16. Septbr. waren hier Schreckenstage, man begegnete in der eigentlichen innern Stadt nichts als Tragbahren mit Erkrankten und Todten. Alles war von Schrecken und Entsetzen ergriffen; viele Menschen, zumal in jenen 3 Tagen, bekamen nur aus Furcht und manche augenblicklich beim Anblick der Tragbahren u.s.w. die Cholera und wurden ihr Opfer. Nach wenigen Tagen verbreitete sich der Glaube im Publikum, daß die Seuche gar nicht ansteckend sey und nur von der Luft komme; und die Furcht vor der Krankheit ist seitdem gänzlich und so sehr verschwunden, daß man sie kaum anders, als jede gewöhnliche Krankheit betrachtet und in Hinsicht vom Umgang, Vergnügen, jetzt nicht die geringste Vorsicht gebraucht. Theater, Tanzsähle, Soireen, Gesellschaften sind wie vor besucht. Die Krankheit ist nun hier seit 14 Tagen etwas, aber langsam im Abnehmen. Die Cordone sind aufgehoben und Handel und Verkehr mit Ungarn und Gallizien wieder frei. Die Cholera-Spitäler werden auch alle aufgehoben und die an der Cholera Verstorbenen dürfen mit Leichenbegängnissen zur Erde bestattet werden. Von vorgestern Mittag bis gestern Mittag hatten wir hier nur 52 Erkrankte und 22 Gestorbene. Indessen scheint es doch, daß uns die unglückliche Seuche nicht so schnell, wie in vielen andern Städten verlassen will, wo sie nach 4 bis 6 Wochen aufhörte. Wir haben bisher, seit Anfang dieser unglücklichen und durch die Cholera erzeugten Periode und Geschäftshemmung, die nun gehoben ist, auch nicht ein Falliment am Platz, noch wurde irgendjemand unserer Groß- und Spezereihändler ein Opfer der Seuche. Privatschreiben aus Ratibor, 29. Oktober 1831лп Vor allen Präservativen, sogar den Binden von Flanell, warne ich Dich, solange die Cholera nicht bestimmt in Aachen selbst ist; sie nützen Dir zu nichts, schaden Dir und verweichlichen. Erst beim Eintritte in Aachen tragt alle, auch die Kinder, auf dem bloßen Leibe eine diesen ganz bedeckende Flanellbinde. Jede Verhütung der geringsten Erkältung und die größeste Mäßigkeit, besonders des Abends, (wo man am besten nur Thee trinkt) sind dann die besten Präservative. Daß die Cholera nur die Armen besucht ist eine Fabel, sie herrscht unter diesen mehr, weil es deren am meisten giebt und weil sie der Verkältung und der Berührung mit Kranken sich am meisten aussetzen und auch nicht einmal an die Größe des Übels glauben und blind in die Gefahr gehen. Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, Berlin, 29. Oktober 183 l m Soeben spreche ich Ihre Ida. Sie ist nicht perfide, sondern krank gewesen und zwar - an der Cholera am 31sten August, wo sie nur einen Tag krank gewesen ist, und durch Schwitzen genesen, und dann in einem hitzigen Fieber 4 Wochen lang - das letzte wie es scheint meist aus Angst. Sie ist sehr abgefallen und schwach, was sie Alles der Cholera zuschreibt. Ihre 18jährige Cousine ist gestorben und sehr Viele in der Straße. Von Ihnen hat Sie keinen Brief erhalten, war sehr um Sie bekümmert, glaubte auch, daß Sie sehr böse seyn würden. Sie wird Ihnen morgen schreiben, und ich habe Ihnen nur die Freude einen Tag früher gönnen wollen. [...]

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Überlegen Sie doch, ob Sie nicht vielleicht am besten thäten nach Aufhören der Cholerakrankheit wieder nach Berlin zu kommen. Daß Sie von ihr eingeholt werden, sind wo[h]l keine Zweifel mehr. Ich werde Ihnen mehr davon schreiben wie sehr die Sterblichkeit schon abnimmt, wißen Sie aus den Zeitungen; vielleicht aber nicht, daß die ganz verschwundenen gruehnen Sperrlinge sich seit gestern wieder einzuleben anfangen. Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, Berlin, 29. Oktober 183 l

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Du wirst Dich wundern erst jetzt einen Briew vo[n] mir zuerhalten jedoch war es mir nicht eher möglich bei meiner jetzigen Krankheit, erst heut morgen habe ich den Baron in Schöneberg aufgesucht um Deine Adrese habhaft zu werden, zugleich erzählte er mir daß Du zweimal an mich geschrieben wo von mir nichts bewußt wahr, seit dem wir uns nicht gesehn hab ich viel Leiden gehabt [...] gern würd ich zur Tante ziehn allein man flieht sich hier förmlich. О der glückliche Baron, der die Sache so leicht nimt weil Schöneberg bis jetzt ganz verschont geblieben, ich weiß mehr von der Krankheit zu sagen. Wo ich wohne sind in 10 Häuser 22 Cholera Leiche gewesen, wer dieses greul entfliehn kan, der reise bis an der Welt ende, ich habe am 31 sten August den ersten Ausbrug vor meinem Fenster gehabt, man schreibt in Zeitung von genesungen, doch wer die erste Asiatische bekömt ist augenblicklich Schwartz und Todt, ich selbst habe den Anfall überstanden meine Cousine Marie ist Todt, die übrigen sind Gesund, bei allem dem ängstige ich mich noch immer entsetzlich, ich werde alle Nächte aufgeschreckt wan der schwere Leichen wagen vorüber fährt, wer daß erst gesehn der Lacht nicht mehr. [...] Schreib ja recht bald waß Du machst, im fall daß bei Dir im Ort die krankheit ausbricht, gebrauch nur gleich die Schäferschen Tropfen und flieh das Wasser. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 29. Oktober

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Die Cholera schleicht wie ein Drache durch die Straßen, den ein Priester Apolls daher gebetet hätte, und braucht zur Nahrung einen Tag um den andern mehr und weniger. - Auch daran gewöhnt man sich - wird besprochen auf Kanzeln, Kathedern und bey Bier und Taback. Jeder will davon was verstehn, jeder sieht aus sich hinaus; Alles will selig werden und kein Hund will sterben. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 29. Oktober 1831A2[ Obgleich ich in der vorigen Nacht fast gar keinen Schlaf bekommen, da wir mehrere sehr schwere Kranke hatten, unter andern einen, den vier Wärter beständig halten mußten, so fühle ich doch keine sonderliche Ermüdung, und da treibt mich mein Herz, einen freien Augenblick zu benutzen, um meiner geliebten Mutter Nachricht von mir zu geben. [...] Am Mittwoch mußte unser guter Doctor, nachdem er schon einige Tage an starker Erkältung gelitten, das Bette hüten, bekam Erbrechen u.s.w., daß Einige schon zu fürchten begannen, es möchte ein Anfall der Cholera sein; ein junger Dr. Möller, der an jenem Morgen die Besuche statt seiner machte, ward gegen Mittag so unwohl, daß er zu Hause mußte; einer der Wärter litt an ähnlichen Beschwerden, und mehrere fingen an zu klagen, wodurch sie sich möglicherweise einige Erleichterung ihres schweren Dienstes verschaffen wollten. Die Zahl der männlichen Krankenwärter beläuft sich jetzt auf 16, die der Wärterinnen auf 4, und

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sind die neu hinzugekommenen von Dr. Siemssen eben so förmlich mir zum Gehorsam verpflichtet, wie die früheren; da habe ich also ein ganz neues Reich. Frederic Soret an Line von Egloßstein, Weimar, 29. Oktober 1831A22 Ich glaube nicht, daß der Gedanke an die Cholera Goethe ängstigt; alles was er seit einiger Zeit tut und sagt beweist, daß er ernstlich an den Tod denkt und dachte, ehe noch die Cholera in Sicht war; er weiß sehr gut, daß seine 82 Jahre eine viel größere Gefahr sind, und scheint ihr mit Ruhe entgegenzusehen; seien Sie versichert, daß die Wichtigkeit, die man jetzt politischen Fragen auf Kosten der Literatur und Wissenschaft beilegt, ihn weit mehr bekümmert, und daß ihn, ohne Übertreibung, Goffs „Creation" oder meine „Creation" eher verstimmt als das Heranrücken der Cholera. Übrigens geht es ihm gut, und manchmal ist er glänzend aufgelegt. Friedrich Carl von Savigny an Franz von Savigny, Berlin, 30. Oktober 183 lm Du bist in großem Irrthum, wenn Du das Choleraschicksal von Wien für günstiger hältst als das von Berlin. Die einzig sichere Rechnung ist die, welche von der Vergleichung der Todtenzahl mit der Einwohnerzahl hervorgeht, und diese steht zu unserm größten Vortheil. Alles Andere ist höchst unsicher, hier z.B. ist unter den geheilten Kranken vielleicht nicht ein Viertel oder ein Fünftel angezeigt worden, multiplicire die Columnen der Erkrankten und der Genesenen jede mit 4 oder 5, so ist das Verhältniß ein höchst günstiges. Du verlangst bekannte Namen aus den hiesigen Cholerakranken; ich will Dir Alle nennen, die ich weiß. Gestorben: Justizrath Wollanck, Professor Valentin Schmidt (der von der Bibliothek). Geheilt: der alte Hermbstädt, Frau Präsident v. Grolman, der junge Eimbeck, Lieutenant Danko von Plehwe. Privatschreiben aus Wien, 30. Oktober 1831424 Es läßt sich nicht beschreiben wie viel die Aerzte bei Behandlung der Cholerakranken hier gethan haben - und wie überhaupt vom Kaiser an bis auf den Geringsten im Volke, ein jeder nach seinem Stande, Stellung und Pflicht das Beste und zweckmäßigste gethan hat. Hingebung, Muth, Hülfeleistung, Sorgfalt jeglicher Art für die Bedürfnisse der Leidenden, Vertrauen, guter Willen und Anerkennung dessen, was für sie gethan worden, von den Uebrigen - kurz, meine Wiener haben sich wieder als das gutmüthigste, treuste, aber auch vernünftige Volk bewährt, das sie immer waren. Von dem Muth und der ächten Menschenfreundlichkeit des Kaisers, läßt sich nicht genug sagen, er hat sich überall gezeigt, überall die Gemüther getröstet, ermuthigt, ist enthusiastischer geliebt als er es je gewesen, und hat seine ganze Familie zu gleichem Betragen veranlaßt. Er hat für Arbeit, Wohnung der Armen gesorgt und die Aerzte ermuntert. Auch haben die Bürger mit angestrengter Aufopferung für das Volk gesorgt und in die Verwaltung der Krankenpflege und Sorge für die Hinterbliebenen eingegriffen und geholfen; - kurz, es ist alles vortrefflich bis auf die Krankheit selbst, diese infame Indianerin, die wohl nicht als Emigrantin in fremde Länder herumzustreifen brauchte. - Im Ganzen sind wir bis jetzt noch milde behandelt worden, und wenn nicht noch etwas nachkömmt, sobald sich das schlechte Wetter einstellt, so können wir von Glück sagen.

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Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 30. Oktober 1837425 Der Herzog von Montemart, französischer Gesandte in Petersburg, hat dort alle Erfahrungen über die Cholera sammeln und in einer in populärem Vortrage abgefaßten Broschüre bekanntmachen lassen. Gestern ist sie erschienen und wird für 10 sous verkauft. Gelesen habe ich sie noch nicht. Die Blätter der Regierung empfehlen die Schrift dem Volke und verkündigen, auch sie würden sie in Auszügen mitteilen. Daraus schließe ich, daß man die Hoffnung, die Cholera von Frankreich entfernt zu halten, aufgegeben hat. Vielleicht kommt sie von Bayern, wo sie jetzt schon ist, über Württemberg und Baden früher nach der französischen Grenze als selbst in eure Gegend. Ich weiß nicht, ob ich nicht lieber in Paris bleiben soll. Aus Schwaben wird sie bald auch nach der Schweiz kommen. Ich könnte mir eine freie, geräumige, gesunde Wohnung mieten, obzwar meine jetzige auch schon vorteilhaft gelegen ist. Ängstlich bin ich gar nicht; denn ich würde mich durch zweckmäßige Diät schon zu bewahren wissen. [...] In der Hamburger Zeitung werden in den Kranken- und Totenlisten auch die Verhältnisse der Geschlechter angegeben. Auf vier Kranke und 4 Tote kömmt immer nur eine Frau. Was werden die Männer im Preise steigen, die Weiber im Preise sinken! Man kann jetzt drei für eine haben ... Soll ich mir eine wollene Decke anschaffen? Wozu braucht man die denn eigentlich? ... Merkwürdig ist das Zahlenverhältnis der abnehmenden Verderblichkeit der Cholera, wie sie in den kultivierten Ländern weiter fortschritt. In Lemberg sind gestorben von 1000 Einwohnern 51 Personen; in Mitau 34; in Riga 31; in Posen 16; in Petersburg 12; in Königsberg 11; in Elbing 9, in Danzig 8; in Stettin 5; in Berlin 4. Also im Österreichischen, in dem glücklichen Reiche, wo die meiste Unwissenheit herrscht, sind auch die meisten gestorben! In Wien soll die Sterblichkeit weit größer sein, als in den dortigen Zeitungen angegeben wird. Friedrich Carl von Savigny an Friedrich Bluhme, Berlin, 31. Oktober 1831426 Ich hätte Ihnen schon früher geantwortet, mein theurer Freund, wenn ich vor Tuch und Flanell dazu hätte kommen können. [...] Unsere Universität hat 2 Krankheitsfälle gehabt: Hermbstädt, der wieder ganz hergestellt. Und Valentin Schmidt (Mittelaltersliteratur), der gestorben ist. In unseren Auditorien werden wir schöne Plätze in Hülle zu vergeben haben. Friedrich Wilhelm Kreusleran Karl Theodor Menke, Arolsen, 1. November 1831427 Mir scheint es, daß die Cholera allerdings durch ein Contagium sich verbreitet, aber nicht durch ein im menschlichen Organismus bereitetes, sondern durch ein Contagium des Erdkörpers. Hier bietet sich eine Vergleichung mit ansteckenden, exanthematischen, hitzigen Krankheiten dar. Wie Blattern, Masern u. dgl. in einer bestimmten räumlichen Progression, vom Kopfe abwärts zum Rumpfe und zu den Gliedmaßen hin ausbrechen, so wandert dies Choleramiasma in einer bestimmten Richtung des Erdkörpers, von S. O. nach N. W.; wie es aber dort nicht nothwendig ist, daß die zweite Pustel in genauer Continuität neben der ersten entsteht, sondern vielleicht an der Lippe hervorbricht, wenn die erste an der Stirn sich zeigte, so befällt auch die Cholera nicht gerade neben einander liegende Gegenden ohne Raumunterbrechung, sondern springt von Magdeburg nach Hamburg über, ohne jedoch in ihrer Verbreitung so wenig die ihr vorgezeigte Norm zu verlassen, als solches bei dem Ausbre-

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chen des Exanthems vom Kopfe zu den Gliedmaßen geschieht. Es ist also die Erde krank, und wir, ihre Kinder, empfangen unsern Anheil an ihrem Leiden. Johann Gottlieb Siegmeyer an Samuel Hahnemann, Berlin, 2. November 183lm Während des Drucks erhielt ich erst Ihre Schrift über diesen merkwürdigen Gegenstand; hätte ich sie früher erhalten, so hätte ich die Meinige gar nicht, oder wenigstens ganz verändert drucken lassen. Doch habe ich eingeschaltet, was ich konnte, weil ich Ihren Ausspruch in Betreff des Kamphers für tief begründet halte. [...] Herr Medicinalrath Stüler [...] läßt Sie herzlich grüßen; er wird Ihnen einen ausführlichen Bericht über den Gang der Krankheit und die Anwendung der homöopathischen Mittel baldigst zusenden [...]. Ich habe hier viel Gelegenheit gehabt, die sonderbaren Wendungen und verschiedenartigen Ausbrüche der Cholera im Stillen zu beobachten und ich muß noch heute bei meiner Meinung bleiben, daß es der mit dem Luftstoff verbundene blausaure Kalistoff ist, dem ich eine magnetische Eigenschaft zuschreiben muß; denn wenn man die Winde stets aus dem Körper abtreibt, so fallen allemal die Krämpfe, das Coaguliren des Bluts, die Kälte, die flüchtigen Stühle, der Schmerz in der Herzgrube, der Krampf im Magen u.s.w. weg. Dr. Danzel an Karl Theodor Menke, Hamburg, 2. November 1831429 Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß eine briefliche Mittheilung über die herrschende epidemische Cholera, von einem auswärtigen Kollegen, aus einem bereits inficirten Orte, da, wo man noch gesund ist, aber mit banger Erwartung auf das Erscheinen der Krankheit aussieht, ein wahrer Labetrunk zu nennen ist. Wem lieber als Dir, alter Freund, könnte ich einen solchen zu bereiten suchen! Ich läugne nicht, daß die Cholera bei ihrem ersten Auftreten hierselbst mich mit Schrekken erfüllt hat. Sie ist etwas gar zu auffallend Fremdartiges, um nicht jeden, selbst den geübtesten Practicus, unmittelbar in banges Erstaunen zu versetzen. Es ist etwas nie gesehenes, die Symptome so heterogen von allen bekannten Erscheinungen, daß man gleichsam versinkt im Anschauen. [...] Auch Du, th. M., wirst zuerst erschrecken, bald aber nur erstaunen, und dann Dich unwiderstehlich gefesselt fühlen an das Lager der Leidenden, frei von Furcht, nur erfüllt von Liebe und Wohlwollen, unermüdet durch Anstrengungen, stets gleich eifrig und fähig zu betrachten und zu beobachten, nachzudenken, Hülfe zu versuchen und Trost zu geben. Der Aerzte Aufgabe ist es, in der Furchtlosigkeit voran zu gehen der Regierung und dem Volk. Samuel Hahnemann an Johann Emanuel Veith, Kothen, 3. November 183lm Schon hatte ich Ihre erfolgreiche Thätigkeit in homöopathischer Bekämpfung der in Wien herrschenden Cholera vernommen, als ich aus Ihrem Schreiben an meinen Freund Dr. Lövy in Prag über diesen Gegenstand mich überzeugte, daß Sie ein würdiger Schüler unsrer wohlthätigen Kunst seyen, welcher der Meisterschaft nahe stehe. Empfangen Sie daher meinen warmen Händedruck und die Versicherung meiner vorzüglichen Achtung. Sie haben uns von der asiatischen Seuche noch entfernten Ärzte mit der Natur jener halben Erkrankungen, jenes Widerscheins von Cholera an schon von der Seuche ergriffenen Orten, mit den Zeichen der von Ihnen so genannten Cholerine, die jenen mäßigen aus verdünnten

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von an Cholera schwer und tödlich Befallenen umher verbreiteten Ansteckungsstoffe entstehenden Übeln zuerst bekannt gemacht, und mit Ihrer trefflich homöopathischen Heilung (des Polterns und Kollerns in den Gedärmen mit lientrischen Durchfällen) mittelst Phospor und mäßiger Anbringung von Kälte, so wie eines ähnlichen Verfahrens in ähnlichen Zuständen bei weiter gediehener Cholera selbst. Die homöopathische Heilkunst ist Ihnen vielen Dank schuldig, aber Ihr schönes Selbstbewußtseyn kann allein Sie belohnen. Ich aber freue mich, an Ihnen einen so rührig thätigen und nützlichen Mitarbeiter an unserm Menschenwohl bauenden, großen, unsterblichen Werke gefunden zu haben, dem ich hiemit meine ganze Ergebenheit bezeige. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 3. November 1831m Beim Anbruch der Nacht, nach einem sehr unruhigen Tage mit einer Wärterin bei meinen Kranken wachend, die aber jetzt eben ungewöhnlich ruhig sind, möchte ich mich noch einmal im Geiste mit meiner lieben Mutter unterhalten. Wie haben mich Ihre Zeilen von gestern gerührt, und wie gern hätte ich gleich einige Worte erwidert! Aber Oberkrankenwärterin im Hospital sein und des Morgens Briefe schreiben, das ist nicht wohl mit einander zu vereinigen. - Ich befinde mich fortwährend sehr wohl, und ist es mir wirklich merkwürdig, welches Maß körperlicher Kraft mir von oben geschenkt wird. In diesem Punkte wenigstens habe ich mir denn doch nicht zu viel zugetraut. So ging ich in der vorigen Nacht, da eine Kranke ankam, die sehr vieler Aufwartung bedurfte, erst um 4 Uhr zu Bette; um halb 7 Uhr stand ich auf; um 7 Uhr ward mir der Kaffee gebracht, aber um 11 Uhr hatte ich wohl noch keine Zeit gefunden, ihn zu trinken, und mit Ausnahme der Zeit, wo ich die DiätenTabellen schrieb, einer halben Stunde bei Tische, einer halben Stunde Nachmittags auf meinem Stübchen beim Thee, und einer halben Stunde Abends, da ich auf meinem Krankensaal etwas Geistliches vorlas, habe ich den ganzen Tag nicht 10 Minuten auf einem Flecke sitzen können, und doch spüre ich jetzt nicht die mindeste Ermüdung. Ferdinand Raimund an Karoline Wagner, München, 3. November 18314Ъ2 Gestern erhielt ich einen Brief von Hamburg in welchen man mir schreibt, daß die Direction bey den, durch die Cholera veranlaßten, schlechten Einnahmen, sich für unfähig erklärt die ganze Gage zu bezahlen, und es den Mitgliedern frey stellt, unter sich zu spielen. Ein Beweis daß wenn ich länger verweilt hätte, ich doch nichts erzwecken hätte können, als Gastrollen in der Contumaz. Die Witterung war bis jetzt wundervoll schön, erst seit gestern, stürmt und schneit es, daß man mit der Cholera schon Bekanntschaft machen könnte, ohne daß sie uns noch mit ihrer Visite beehrt hat. Ich hänge nun ganz von der Ungunst dieser Dame ab, welche die Zahl meiner Gastrollen bestimmt, denn je mehr sie mich flieht, desto liebevoller behandelt sie mich. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 4. November 183 l

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Was Sie thun sollen im Falle die Cholera sich Frankreich oder gar Paris nähert? Da ist folgendes rathsam. Was würden denn in dem Falle, Ihre deutsche Bekannte dort thun? Vielleicht wäre am besten, sie kämen in dem Falle hierher nach Ffurt. Ich will noch darüber nachdenken, und ausführlicher im nächsten Brief darüber sprechen. Was der Grund sage ich

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nur noch zu Ihrer Belustigung, aber doch in vollem Ernste, daß ich noch zu nichts gerathen haben will. Karl Ernst Rincolina an Unbekannt, Brünn, 4.-6. November 1831лм Die Ärzte in Wien sind jetzt über die Natur der Cholera als eine febr. perniciosissima oder nach Dr. Searle und von Reider, Vivio, Professor Bischoff in Wien als nervöses Sumpffieber einig geworden, nehmen keine Ansteckung per contactum an, sondern nur jene, welche die gewöhnlichen Nervenfieber wahrnehmen lassen. [...] Die ersten Grade der Erkrankungen werden mit sehr warmen Bedeckungen, durch warme Tücher, Sandsäcke, Warmflaschen, Einreibungen mit Campher, häufiges Trinken von Thee, halb Krausemünze und Chamillenthee schnell gehoben. Zu heftiger Reibung mit Bürsten und starken geistigen Einreibungen wird in Wien nicht geschritten, wo die Cholera überhaupt nur in einem milderen Grade als Diarrhöe anfängt. Nachkrankheiten werden, ausgenommen, daß einige schnell nach gehobener Cholera in Nervenfieber übergehen, nicht beobachtet. Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, Teplitz, 4. November 1831435 Es hat mich sehr interessiert von Georgens desespoir über die Diät und das Streichen des desserts zu hören. Clarys haben seit der Cholera in Wien dieselben Anstalten getroffen, aber Papa will sich durchaus nicht dazu bequemen, und alle Augenblicke kommen zum Entsetzen der Leichtsinnigen Erdbeeren-Geleen, und Cremen, Champignons, Schweine- und Gänsebraten und dergl. horreurs, von denen ich mich denn auch zuweilen tentiren lasse zu essen. Privatschreiben aus Neapel, 4. November ]831416 Hier plagt uns nichts als die Furcht vor der leidigen Cholera, diese geht aber in der That zu weit, und stände sie bereits vor den Thoren Neapels, so könnten die Anstalten nicht strenger sein, um uns davor zu bewahren. In allen Provinzen, und nun auch hier, sind die Bürger (Fremde nicht ausgenommen) aufgeboten, auf die Wache zu ziehen, um die Küsten zu schützen. Der Dienst ist sehr anstrengend, und lange kann es wohl nicht so dauern, denn man Ende würden diese 24 Stunden langen Wachen in den dazu errichteten schlechten Barraken an der Küste bei herannahendem schlechten Wetter mehr Krankheiten hervorbringen und Unheil stiften als die Cholera selbst. Man sagt hier, daß die Krankheit in Albanien ausgebrochen sei und besonders in Janina sehr wüthe. [...] Am 23. Octbr. wurde hier ganz in der Nähe ein Fisch von ungewöhnlicher Größe (Delphinus orca hin.) gefangen. Auf Befehl der Sanitätscommission wurde er vier Miglien ins Meer hineingezogen und dort versenkt, wahrscheinlich aus Angst, er möchte uns die Cholera bringen. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 5. November 1831437 Der Bestand auf dem weiblichen Krankensaal wechselt so zwischen 5 und 7. Mein kleiner Johann Lindner ist auf dem Wege der Genesung, wogegen ein achtjähriges Knäblein, das vorgestern neben ihn gebettet wurde, schon nach wenigen Stunden verschied. Hannes schlief eben, und das war mir lieb, da der Tod seines kleines Nachbars auf sein weiches Gemüth sonst wohl einen gefährlichen Eindruck gemacht hätte. Er ist wirklich ein lieber

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Junge. Wenn er sein Frühstück oder Mittagessen verzehrt hat, und ich komme wieder seinem Bette nahe, so vergißt er niemals, für das schöne Essen zu danken, und gewöhnlich wiederholt er den Dank auch noch dem Doctor. Einnehmen thut er mit der größten Willigkeit; nur einmal, da ich ihn aus dem Schlafe wecken mußte, wehrte er sich gewaltig dagegen, indem er behauptete, daß ich ihn vergiften wolle. Als ich ihn endlich doch dazu gebracht, kam eine Wärterin und fragte: „Hannes, kennst du denn die Mamsell nicht?" Die Augen aufreißend, antwortete er: „Ach ja, nu seh ick all!" und mit dem bittendsten Ton fügte er unmittelbar hinzu: „Ach, vergeben Sie mi doch!" An seiner Mutter hängt er mit großer Liebe, und rechnet die Stunden aus, wenn er auf ihren Besuch hoffen darf; aber doch erklärte er ihr gestern, er wäre lieber hier als zu Hause, denn - hier bekäme er satt zu essen. - Uebrigens trägt der arme Junge, wenn er schon jetzt von der Cholera genest, vermuthlich in einer vorherrschenden Neigung zur Auszehrung, den Keim des Tods in sich. Nur wenn es möglich wäre, ihn in eine günstigere Lage zu versetzen, wo er hinreichende Nahrung bekäme, dürfte es nach Dr. Siemssen's Erklärung noch möglich sein, ihn zu retten. Privatschreiben aus Hamburg, 5. November 183lm Vier Wochen, lieber Freund, sind nun bereits vergangen, seitdem die Dame Cholera sich bei uns eingefunden hat. Sie scheint in Hamburg in der letzten Zeit einen mildern Character angenommen zu haben, oder, was ich eher glauben möchte, unser Publikum scheint mäßiger und vorsichtiger geworden zu seyn, und das ist es gerade, was sie wünscht und verlangt. Getreu dem Character ihres Geschlechts, will sie, daß man sich ihren Launen füge, und ist Feindin aller Unordnung - ja, lieber Freund, auf Ordnung hält die Dame, und wer dagegen nur im geringsten sündigt, der wird ihren Unwillen sogleich empfinden. [...] Nein, lieber Freund, ein paar Zeilen über die thörichte Furcht, von der Cholera angesteckt zu werden. Während mehrere reiche Leute hier und überall, von dieser Angst gequält, von Ort zu Ort fliehen, wie dies bei einem hiesigen Matador der Fall ist, der von Hamburg nach Lübeck, und von Lübeck nach Oldesloe eilte, und dort oder anderswo gewiß vor lauter Furcht endlich doch die Cholera bekommen wird, scheuen wir es nicht, uns selbst mit den CholeraTodten abzugeben, sie zu Grabe zu begleiten und selbst Zeuge ihrer Section zu seyn. Nikolaus Lenau an Gustav Schwab, Heidelberg, 5. November 183]419 So eben bin ich nach Hause gekommen aus einer Vorlesung über die Cholera. Professor Puchelt, ein ausgezeichneter Arzt, hält nämlich eine Reihe von Vorträgen über diese Pest. Das ist gut: werden die Candidaten der Medizin heut o. morgen requirirt, so haben sie doch wenigstens eine Ahnung von der Krankheit, gegen die sie ihre leichten Waffen kehren sollen. Der König von Bayern soll bereits solche Requisition gemacht haben für den Fall der Noth. Außer dieser Choleraworlesung hab' ich von heute her noch eine über Geburtshülfe, eine über Anatomie im Leibe, so wie ein doppeltes Klinikum. Karl Leberecht Immermann an Charlotte Bertog, Düsseldorf, 5. November 1831м0 Seit acht Tagen, mein liebes Lottchen, bin ich nun wieder zu Hause, in meinem gewöhnlichen Gleise, u. sende viele Gedanken inniger Liebe zu Euch, meine Theuern, die ich in so verhängnißvoller Zeit verlassen mußte. Ich muß mich oft in der Stille u. Einförmigkeit, die

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mich jetzt umgiebt, fragen, ob ich alle die Noth u. Bedrängniß, u. dazwischen auch so viel Gutes u. Schönes, wirklich erlebt, oder nur einen bunten Traum gehabt habe? Möge der Himmel Euch, meine Geliebten, beschützen! Ich sehe aus der Zeitung, daß die Krankheit die kleinen Städte u. Dörfer um Magdeburg auch schon zu ergreifen beginnt, von Ofschersleben] habe ich aber, zu meiner Beruhigung, noch nichts gelesen. Auch scheint sie doch, Gott Lob, in den kleinen Orten nur in einzelnen Fällen aufzutreten. Hier macht man schon allerhand große Anstalten, die, wie überall, gegen den eigentlichen Choc des Übels nichts helfen werden. Es befindet sich aber hier ein homöopathischer Arzt, von dessen Behandlung u. Kuren in andern Krankheiten (durch ganz kleine Dosen höchst einfacher Mittel) Wunderdinge erzählt werden. Mit diesem will ich über die Sache reden, u. wenn er mir etwas Vernünftiges mittheilt, es dorthin berichten. Für gewiß ist mir erzählt worden, daß in Wien, wo bekanntlich das Verhältniß der Gestorbenen weit gelinder steht, die meisten Kuren durch die Homöopathie gemacht worden. Privatschreiben aus Wien, 5. November 1831441 Die Krankheit befällt zwar in manchen Häusern niemanden, in einem daneben stehenden wohl gleich mehrere; doch gaben immer Verkältung, Übermaß im Essen und Trinken, Gemüthsaffekt von außerordentlicher Art, und Alles, was die Lebenskräfte erschöpft, hierzu Veranlassung. Onkel Vering bekam die Krankheit von einer 4 Tage und Nächte anhaltenden Strapaze. Die Tante, der Bediente des Onkels, ich, die wir immer an seinem Bette waren, blieben verschont. Sicherlich macht die Furcht den Menschen für die Ansteckung empfänglich, deren Stoff in einer gewissen atmosphärischen Veränderung liegt. Seitdem die Cholera hier ist läßt sich täglich eine auffallende gelblich-rothe Färbung des beinahe halben Himmels nach Sonnenuntergang bemerken [...]. Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 6. November 183Iй2 Ich habe wieder ein recht böses Gewissen wenn ich bedenke, daß ich diesmahl selbst den verlängerten Termin von 14 Tagen übergangen u. Dir nicht zu der Zeit, zu der Du billig einen Brief von mir erwarten konntest, geschrieben habe - wir sind aber geradhe um diese Zeit in die Stadt gezogen u. diese Woche ist mir unter Räumen u. Wirtschaften u. Visiten machen wie eine Wäsche [?] vergangen, ich weiß selbst nicht wie geschwind - ich hoffe, Du hast Dir das alles ohngefähr gedacht u. hast Dich über Dein ungerathenes Kind u. über ihr unartiges Schweigen nicht beunruhigt. Es geht uns allen Gottlob recht wohl, wir genießen alle die guten Folgen unseres gesunden Landaufenthalts in unserer, ich will nicht eben sagen, stillen - doch geregelten Lebensweise - Spazieren gehen, zeitig Schlafen gehen, kein Gehetz. Das alles hat mir besonders wohl gethan u. soll auch so viel wie möglich ferner so gehalten werden. Hegel rühmt vor allem die schöne reine gesunde Luft dort außen u. meinte in den ersten Tagen in der Stadt, es sey ihm wie einem Fisch, den man von seinem Quellwasser in Faulwasser versetze - inzwischen [meint er], wir befinden uns doch so wohl wie ein Fisch im gesunden Wasser. Es ist uns in unseren schönen u. eleganten Zimmern bei größerer Ordnung u. Bequemlichkeit wieder recht behaglich. Ich betrachte meine schönen Bilder u. meine schönen sieben Sachen, die ich inzwischen entbehrt habe mit erneuter Freude u. räumte mit wahrer Lust meine Vorräthe u. Habseligkeiten in meine Speisekammern,

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Schränke u. Komoden ein u. freue mich wie ein Kind über die größere Ordnung u. Räumlichkeit. - So ist der Mensch - Veränderung will er haben, u. was er eine Zeitlang entbehrt hat, wird ihm doppelt lieb. - Wir haben es mit dem Wetter recht glücklich getroffen, bis zum Tage wo wir herein gezogen sind, war es unvergleichlich schön. - Diese Woche ist es nun schon rauh u. herbstlich naßkalt. - Ob wohl unsere Herzliebste nun auf dem Weg nach Prag oder schon in Graz ist! oder ob sie nach der betrübenden Nachricht, daß in Brünn die Cholera ist, ihre Reise nach Böhmen aufgegeben hat? - Täglich denke ich so oft u. vielmahls an sie u. Dich u. wünsche, bliebe sie doch in Nürnberg! Was zusammengehört, muß in Zeiten gemeinsamer Noth nicht getrennt seyn, wie wär es beruhigender, wüßte ich sie bei Dir u. Dich mit ihr. - Ich begreife auch, wie schwer Dir geradhe jetzt der Abschied von ihr werden mußte. - Ist sie abgereist, dann muß ich mirs zurecht legen u. von geschehenen Dingen das beste reden oder vielmehr denken - aber ich hoffe sie ist geblieben u. sehne mich herzlich danach es bestätigt zu hören u. von der schweigsamen Geliebten selbst ein Wort zu hören. Ihr habt doch alle meine Briefe erhalten. Ich sandte sie mit verschiedenen Gelegenheiten nach der Stadt. Bei Deiner Ankunft in Nürnberg mußt Du einen Brief an Dusika u. einen 10 Tage späteren an dich vorgefunden haben (letzteren von 10 oder 12 Oct.). - Wie freut es mich, daß Du mit unserer Herzliebsten noch einmahl in Simmelsdorf warst u. daß Euer Aufenthalt dort durch so schönes Wetter begünstigt wurde. - Was schreibt denn unsere gute Tante Lissi aus Brünn über die Cholera? ist das Uebel noch nicht bei ihr u. hat sie ihr Wochenbett glücklich überstanden u. sind ihre Kinder gesund? Jetzt hat sie gedoppelte Cholera-Sorgen, ein gutes Mütterchen. - Wärst Du mit uns mitten darin, Du wärst gewiß ruhiger; man denkt es sich in der Ferne weit furchtbarer, nimmt es weit ängstlicher; uns ist es wenigstens so gegangen u. Du glaubst nicht wie ruhig die ängstlichsten Gemüther geworden sind, man sieht ja es trifft keinen als den, der arge Diätfehler zu Schulden kommen läßt u. von denen kann man sich ja hüten. Ich glaube aber auch man hütet sich aus Furcht vor der Cholera hier in Berlin ganz besonders ängstlich - es geht so weit, daß das, was als der Gesundheit nachtheilig verbothen wurde, als zum Beispiel Obst, Kohlarten, Salat pp., beinahe gar nicht gekauft werden - Worüber die Gärtner-Leute ganz jammern, den schönsten Kopfsalat brachte unsere Gärtnerin (Madame Grunow u. Mademoiselle Grunow) wieder nachhause ohne für einen groschen davon verkauft zu haben, sie fütterten die Gänse u. Teiche damit. Die schönsten Melonen werden für gewöhnlich zu 1/2 gr. feilgeboten u. selbst dadurch nicht verkauft - aber so alles andere Obst - die Menge Birnen, die sonst 10-12 gr. kostet, kostet jetzt 4. - Dieser allgemeinen streng beobachteten Diät haben wir es gewiß zu danken, daß verhältnißmäßig hier so Wenige aus höhern u. mittleren Ständen erkranken - man könnte beinah sagen, bisher verschont geblieben sind, die wenigen Ausnahmen von denen ich Dir erzählte, abgerechnet, denen man freilich die größten Diätfehler nachweisen könnte. Rust sagte neulich in einem Artikel über die Cholera, die Furcht vor der Cholera hätte noch keinem geschadet, vielmehr geholfen, denn die Furcht die die höheren Stände dafür haben macht, daß sie sich dieses vernünfthige Diätdasein bewahren. Sonderbar ist es, daß man fast durchgängig Klagen hört über Schwäche des Magens, Neigung zur Diaroe, Anwandlung von Ängstlichkeiten, Krampf in den Waden. Richtig, daß bei den meisten Menschen das kleinste Versehen gegen die Diät solche Beschwerden herbeiführdt - man wird dadurch immer daran gemahnt, u. von der Nothwendigkeit, eine strenge Diät zu halten u. alle Erkaltung zu vermeiden, überzeugt. Auch wir hatten diese allgemeinen

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Magenbeschwerden u. zwar in sehr geringem Grad an uns verspürt u. an uns selbst bemerkt, daß unser Magen jetzt andere [Bewegungen] macht als sonst. Seit ich uns das leicht verdauliche auftische u. alles verbothene weglasse, ist es gut. Aber welche Noth hat jetzt die Hausfrau mit dem Küchenzettel - so wenig Auswahl u. alles so theuer — Ich dank es Dir recht schön wenn Du mir Pflaumen von Rentweinsdorf mitschickst. Möchte Dich wohl auch wenn es kaltes trocknes Wetter ist ein mahl uns 1 dug Bratwürste, die Hälfte frisch u. die Hälfte geräuchert u. 2 dug Räucherwürste per Postwagen mir zu schicken bitten: Jetzt wo es so wenig kostet kann man sich wohl mit Nürnberger Würsten manchmahl was zu Gute thun. Ich möchte auch meinen Körners u. Hermstädts, bei denen ich alle sechs Wochen meine Wäsche trockne, etwas davon mittheilen. Nun aber mache mir auch meine Rechnung herzliebste Mama, Du bist in starker Auslage für mich - soll ich Dir vielleicht statt dem Gelde [unleserlich] oder sonst was von Berlin schicken, so befiehl! - Was Du mir von den Anstalten der Nürnberger schreibst - was dort alles gethan wird im Einzelnen u. Allgemeinen die Gefahr durch vernünftige Vorkehrungen zu mindern u. der Noth abzuhelfen - hat mein gutes Nürnberger Herz mit Stolz u. Freude erfüllt - ich erzähle es auch überall - u. sage „ja so muß man sorgen" - wollte Gott es wäre bei uns nur die Hälfte von dem allen geschehen. Es gereicht unserer Comision, unserem Ministerium der Medizinalangelegenheiten u. Herrn Präsidenten Rust a la tete, unserem Magistrat u. jenen Ärzten zur ewigen Schande - daß bei so reichlichen Mitteln so wenig gethan wurde. - Ich sollte als gute Berlinerin gegen meine Leutchen außerhalb ganz still davon seyn, u. es nicht weiter erzählen - aber ich kann den Ingrim darüber nicht bergen - es ist gar zu arg. Von vorn herein war angenommen, u. von den Herrn mit Ordensbändern am grünen Tisch behauptet, „der Cordon hält uns die Cholera ab - wozu den unnützen Kosten-Aufwand, wozu Spitale, wozu Ärzte hinschicken u. der Unannehmlichkeit u. Gefahr preisgeben, wozu brauchen wir die Cholera kennen zu lernen wir bewachen die Gränzen u. sie kommt nicht hierher". Dabei wurde aber vergessen, den Finow-Kanal zu schließen - später mußten die Schiffe Quarantaine halten, aber die Schiffer durften nach der Stadt. - Wollte ich Dir ein Gemähide machen von all der Inconsequenz diesen Mißgriffen diesen halben Maaßregeln, diesem Zwiespalt der Meinungen u. Ansichten - man weiß selbst nicht, was man glauben u. davon denken soll (O menschliche Weisheit!) - Noch ist man über den Hauptpunkt nicht einig - ist sie ansteckend oder nicht ansteckend. Die Briefe werden auf der Stadtpost noch durchstochen, die Zeitungen desinficiert - die Bürgerschaft u. Magistrat machte eine Vorstellung wegen der Aufhebung aller Sperren, weil die allgemeine Überzeugung, sie ist nicht ansteckend, alle polizeilichen Sperren für eine unnöthige u. unnütze Maßregel erklärt - diese unglückselige Maßregel der Absperrung wurde noch zeitig genug bei uns nach 20 Tagen auf 5 herabgesetzt, aber die Armen in Danzig u. Königsberg haben unendlich dadurch gelitten - ihr Elend ist durch eine Maaßregel, die nun für zwecklos u. falsch angesehen wird, auf das grausamste vermehrt worden. Wir wollen nun sehen, ob das südliche Deutschland, ob Frankreich klüger ist als wir - ob sie unsere Erfahrungen sich zu nutze machen oder ob sie dieselbe Rabenkur anfangen. Ich freue mich in das Herz der Tante, wie verständig die Anordnungen sind, die sie in Wien machen. Nun sind wir doch Gottlob nachdem wir 10 Wochen die Cholera haben die nun Gottlob sichtbar im Abnehmen ist, so weit, daß wir für unsere redlichen Beiträge Krankenhäuser errichtet haben. Soeben erhalte ich ein Circular von unserer Schutz-Comission, der Ausbau einer Heilanstalt für unseren Bezirk sey nun beendigt u. stünde bis Sontag, d. 6. zur Ansicht

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aller geehrten Bewohner offen. Die vielen Spenden die durch wohltätige Beiträge zusammen gekommen sind, sind nun nachdem die Noth beinah zu Ende ist, auf solche ungeschickte saumselige Weise verwendet worden - jetzt nutzt es nur noch wenigen. - 10 Wochen früher hätten solche Vorkehrungen vielleicht vielen Hundert das Leben gerettet. - Für Bekleidung der Armen wird nun zwar auch gesorgt, - die meisten Frauen stricken blaue wollene Strümpfe - es meinte sogar neulich eine reiche Jüdin es könne unmöglich so viele Arme geben als Strümpfe gestrickt werden - aber dieß alles hätte eben schon viel früher geschehen müssen. - Die Berliner sind wohlthätig es ist wahr u. geschieht unendlich viel würden diese reichen Mittel nur auf die rechte Weise verwendet. - Nun hab ich genug gescholten. - Förster kommt eben zu meinem Mann, der heute an einem regnigten Sontag Nachmittag im warmen Stübchen bei mir auf dem Sopha sitzt, während ich an mein Mütterchen schreibe. Er kündigt uns den Besuch von Frori[e]p aus Weimar, der eine nette Schwäbin aus Tübingen zur Frau hat, an. Er ist Mediciner u. habilitiert sich in Berlin. - Nun muß mein Brief noch geschwind vorher zur Post. Leb wohl, liebes liebes Mutterherz. Grüße mir alle Geschwister u. meine Duschka, wenn sie noch bei Dir ist, viel tausend mahl. Was macht mein Wilhelm, schreib mir doch was von seinen Herzensangelegenheiten. Hegel wird sich von Schwager Schwarz nächstens Tabak ausbitten. - Die arme Speier! - ich möchte Speier helfen [?]. Grüße mir Luisa, wo könnte er eine bessere Mutter für seine Kinder finden. Grüße mir meine gute Gottliebine. Nun adieu. Liebe Liebe! Deine Marie Friedrich Alexander Simon an Wilhelm Ehrenfried Friedrich, Hamburg, 7. November 1837443 Ungeduldig werden Sie fragen: was und wie viel vermag die Kunst dagegen? Meines Erachtens gegen die schlimmste Form der Krankheit sehr wenig, oder vielmehr gar nichts. Ist der Puls gleich weg, die Zunge kalt, das Gesicht verfallen, die Gliedmaßen eisig und eingeschrumpft, so kann man thun, was man will, der Kranke stirbt doch; aber auch, wo man meint, es gehe gut, wo die stürmischen Ausleerungen, die Krämpfe nachlassen, der Puls wiederkehrt, die Oberfläche des Körpers wieder warm wird, auch da triumphire man nicht, sondern sei darauf gefaßt, daß der Kranke sanft entschläft, oder am darauffolgenden typhösen Zustande heimgeht. Christian Gottlob Barth an Felb, Möttlingen, 7. November 1831Ш Nach der letzten Zeitung greift die Cholera in Hamburg ziemlich um sich; ich hoffe aber, daß Du noch am Abend des Tages etwas arbeiten kannst im Weinberg, da die Zeit so nahe ist, wo der Schaffner den Arbeiter rufen wird, ihnen den Lohn zu geben. - Er wolle selbst Deine Pfosten zeichnen, daß der Würgeengel vorüber gehe. - Bei uns macht man auch bereits Anstalten gegen die Cholera, und heute muß ich als Präsident der hiesigen CholeraCommision eine lange Sitzung halten, Krankenwärter wählen u. dgl. - Nun der HErr breite Seine Schwingen über Dir aus, und lasse Dich unversehrt hindurch kommen.

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Die Cholera ist in der That seit Ende July, officie[l]l und amtlich seit 10. August in Wien!! Sie fing successive sporadisch quasi an, hatte aber einen böseren Charakter als sie sonst in anderen Jahren zu haben pflegte und der Kenner ließ sich nicht irre machen; die Staats-Verwaltung wollte noch nichts davon wissen, denn der Cordon war gezogen, und somit der Cholera der Zutritt nach Wien untersagt!! Am 14. Sptbr., nach drei stürmischen Wind- und Regentagen brach sie in ihrer ganzen Furie im Innern der Stadt und zwar unter der vornehmeren Klasse, aus, man hatte nicht Füße und Köpfe genug um eiligst überall zu seyn; genug daß ich in einem Tage 70 Kranke zu versorgen hatte, jedoch nicht lauter Cholerakranke, die Furcht hatte manchen krank gemacht. Todtenblässe war auf jedermanns Gesicht. Die gebacknen Hänel sogar; verloren ihren Reiz, und wenn ein Wiener diese Lieblingsspeise nicht mehr goutirt, ja Freund! dann ist wenigstens der jüngste Tag vorhanden mit einem Worte es war stürmisch arg. Leopold Zunz an Samuel Meyer Ehrenberg, Berlin, 8. November 1831446 Wenn ich meine politischen Geschäfte abgemacht habe, eile ich zu meinem Buche, damit es versprochenermaßen fertig werde. Unsere Sonnabende sind noch immer besucht. Manche hatten bei dem ersten Erscheinen der Cholera dergleichen Cirkel eingestellt; allein bei uns ist nichts davon gespürt worden. Der Himmel bewahre Sie und die Ihrigen vor diesem Übel. Karl Sieveking an Casper von Voght, Frankfurt/Main, 8. November 1831441 Mit gewohnter Schärfe haben Sie das Resultat Ihrer Beobachtung der Cholera in Hamburg zusammengestellt. Ich habe es unserm Hausarzt mitgeteilt, der darin mehr Belehrung als in den meisten ärztlichen Berichten gefunden, die ihn bisher zu Gesicht gekommen waren. Die meisten dieser Berichte leiden an dem, was Sie mit Montaigne so richtig als Ignorance acquise bezeichnen, ein Ausdruck, der wohl für nichts besser paßt, als für die mit vornehmen Redensarten bekleidete Pfuscherei der Ärzte. Bei diesem Anlaß kann ich nicht umhin, Sie aufzufordern, dem Organon der Heilkunst von Hahnemann einen müßigen Tag zu schenken. Da Sie bereits die von ihm vorgeschriebene Diät befolgen, so wird auch vielleicht der positiv Teil seiner Lehre bei Ihnen einigen Eingang finden. Mit scheint er der größten Aufmerksamkeit wert. [...] Ein vortreffliches Präservativ gegen die Cholera scheint mir in dem durch die sittlichen Wirkungen derselben begründeten Optimismus zu liegen, der Sie wie Candide ausrufen läßt: Tout est pour le mieux. Wer seinen 79. Geburtstag in einer verpesteten Stadt mit diesem Ausruf feiert, dem hätten die Alten neben den sieben Weltweisen eine Bildsäule gesetzt. Nikolaus Lenau an Anton Schurz, Heidelberg, 8. November 183lm Ich bin je[t]zt in Heidelberg und bleibe den Winter über hier, weil ich in Würzburg vor einem Jahr nicht promoviren könnte, was hier bis zum Frühling möglich ist. Mir geht es recht gut, und wohlbekommt mir jetzt der Übergang aus dem bewegten Gemüthsleben zu Stuttgart, wo Alles nur den Dichter haben und genießen wollte, in das strengere Leben der Wissenschaft. Ich besuche die Kliniken nebst einigen Vorlesungen, und erwarte große

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Ausbeute für mein Wissen. Das freie, selbständige Studiren sagt mir besser zu, als das zwangsmäßige. Überdies fällt hier ein großer Theil des Gedächtnißkrames, z.B. Mineralogie, Zoologie etc weg. Was ich nach Beendigung meines Curses thun werde, wissen die Götter. Vielleicht findet sich dann eine Aussicht, als Choleraarzt nach Frankreich, England zu reisen. Ich würde so etwas annehmen, um recht in der Welt herumzufahren. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 8. November 1831м9 Uebrigens, meine theure Mutter, naht jetzt gewiß die Zeit unseres Wiedersehens mit schnellen Schritten heran. Der Herr hat es gnädig, sehr gnädig gemacht mit unserer Vaterstadt, und ich zweifle nicht daran, daß die Cholera-Hospitäler in Kurzem werden eingehen können. Unsern Dr. Siemssen aber wegen nöthiger Reinigungsmittel zu befragen, wird überflüssig sein, da ich zum Voraus seine Antwort weiß, daß er nämlich gar keine nöthig hält. Er selbst ist, auch als es am Schlimmsten bei uns stand, ohne besondere Vorkehrung zu treffen, mit den Seinigen in und außer dem Hospital zusammengekommen. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 9. November 1831450 Vorigen Sonntag hatte ich einen rechten Schrecken. Es kam jemand zu mir, der mir erzählte, Rothschild hätte den nämlichen Tag durch einen Kurier die Nachricht erhalten, daß die Cholera in Frankfurt sei. Ich schrieb gleich Ihrem Neffen Stern ein Billet, um das Nähere zu erfahren. Dieser kam aber erst gegen 11 Uhr nach Hause, und erst im Bette erhielt ich seine Antwort: daß es gelogen ist. Vorgestern waren hier auf die Nachricht, daß die Cholera in England ausgebrochen, die Renten gefallen. Sie war wirklich in Sudermanland, hat aber schon wieder aufgehört und sich nicht weiterverbreitet. Es ist sonderbar, daß am nämlichen Orte vor einigen Monaten schon einmal die Cholera war. Es scheint also doch, daß strenge, rücksichtslose Sperre sie aufhält. Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, Berlin, 10. November 7&?7451 Zum Beweiß das Du mir unrecht thust schike ich Dir einen Deiner Briewe unerbrochen zurük, erst gestern habe ich sie erhalten, seit dem 31. August habe ich daß Zimmer nicht verlassen, der alte Mann, der alles bei D'heureuse besorgt hatte sie in empfang genommen und in meinen Tisch gelegt, gleich darauf abgereist, er außerhalb, ich hier [cholera-] krank, und somit blieben sie vergessen, ich beabsicht[ig]e keineswegs, dadurch bei Dir meine Ehre zu retten, den wo mein Wort nicht mehr gilt, da tauge ich nicht hin, es schmerzte mich nur zu sehr deine beleidigung. Auch scheine ich das Schlimste erduldet zu haben, die Krankheit scheint hier mit einmal verschwinden zu wollen. Die Hospitäler werden schon aufgehoben, so mit fängt jedes geschäft wieder an [...]. Friedrich Adolph Krummacher an Meister, Bremen, 10. November 1831452 Und Gottlob, die Cholera, die asiatische Schlange, eine Tochter der alten, hat bis jetzt Anhalt verschont, und das gegen sie aufgebotene Kriegsheer wird wohl in seine Standquartiere zurückgekehrt sein. Uns ist sie seitdem näher gerückt, jedoch nur bis Hamburg; denn Harburg ist noch frei. Wenn sie, wie unsere Zeitung sagt, in Halbe ausgebrochen ist, so hat

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Bernburg sie nahe genug. Die peinliche Angst vor der Krankheit hat sich gemildert, indessen sind die Aerzte ihr nicht näher auf den Grund gekommen, und müssen ihr Wissen als Stückwerk anerkennen. Käme sie nach Kothen, so könnte Hahnemann seine Kunst bewähren. Uebrigens scheinen die Menschen jetzt durch das viele Beschwatzen mit dem drohenden Untier vertrauter geworden zu sein, wie der Fuchs in der Fabel, nachdem er den Löwen etlichemale gesehen, und aus der bisherigen Furcht streckt sogar der Witz die spitzen Ohren hervor, wie die Cholera-Zeitungen bezeugen. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 10. November 183145i [Zitat aus Brief eines Arztes] „... würde ich jedem rathen, wo die Cholera hinkömmt, im Anfange, die Stadt zu verlaßen, und in eine andere Gegend zu gehen, da die Krankheit immer am Anfange nur so verheerend ist, und dann immer milder wird". Dies ist auch Ihre Ansicht, so viel ich mich erinnere. Karl Leberecht Immermann an Friedrich Kohlrausch, Düsseldorf, 10. November 1831Α5Λ Hoffentlich treffen Sie diese Zeilen wohl und heiter: der damalige Vorspuk von Lüneburg ist nun freilich wahr geworden, indessen scheint doch das rasche Fallen der Seuche nach kurzer Heftigkeit in Magdeburg und Hamburg auf eine Veränderung des Caracters und auf ein Versiegen ihrer Wuth zu deuten. In Magdeburg hat sie nach zwei starken Gewittern nachgelassen. Mir waren auch hier noch sonderbare Beklemmungen, Unruhen im Blute und nervöse Eingenommenheit des Kopfes geblieben. Da habe ich mich denn an einen Homöopathen gewandt, und dieser hat mir mit Mitteln, so klein, daß sie kaum sinnlich wahrnehmbar sind, geholfen. Ich werde daher ihn gebrauchen, wenn das Übel herkommen sollte. Friedrich von Gentz an Lisette von Gentz, Wien, 10. November 1831455 Fannys Reise nach Berlin wird in einigen Tagen Statt finden. Sie konnte nicht länger verschoben werden, ohne daß sie das contractmäßige Recht eines dreymonatlichen Urlaubs, der nach den Worten des Contracts vom 18. September an laufen sollte, und den der TheaterDirector Duport durchaus nicht bis ins Frühjahr verlegen wollte, gänzlich verloren hätte. Unter diesen Umständen konnte ich, da Dir meine Grundsätze über diesen Punkt bekannt sind, nichts anderes thun, als mich dem Schicksal unterwerfen. [...] Die Furcht vor der Cholera, von welcher ich, wie Du weist, nie sonderliche Notiz genommen habe, kömmt heute so gut als gar nicht mehr in Anschlag; und es sind übrigens von Berlin aus so wiederholte und dringende Einladungen an sie ergangen, daß sie schon in dieser Beziehung, wenn auch Duport sie weniger gedrängt hätte, nicht viel länger hätte zögern können. Hermann Lövy an Samuel Hahnemann, Prag, 10. November 1831m Soeben komme ich von meiner Reise nach Wien zurück und beeile mich, meine glückliche Ankunft in Prag anzuzeigen. Der Zudrang so vieler Bekannter und Verwandter erlaubt mir noch nicht, einen ausführlichen Bericht mitzutheilen. Nur so viel im Allgemeinen, daß die Homöopathie in der Cholera das Außerordentliche leistet, und die Todesfälle bei der homöopathischen Behandlung zu den seltenen, durch besondere Umstände leicht zu ent-

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schuldigende Ausnahmen gehören. Sowohl Kampher, als Veratrum, als das Kupfer, und in gewissen Fällen Arsen sind trefflich, doch Veratrum das herrlichste Mittel. Jacob Berzelius an Friedrich Wähler, Stockholm, 10. November 1831457 Ich danke Ihnen für den Brief vom 25. October. Dass Ihre Familie sie genöthigt hat, wegen der Cholera Berlin zu verlassen, ist sehr bedauerlich. Ich kann mir denken, welchen Kampf es Ihnen gekostet haben mag zwischen der Rücksicht, die Sie auf die Ihrigen zu nehmen hatten, und der Pflicht, Ihr Amt nicht zu verlassen. Uebrigens ganz abgesehen von dem geringeren Einkommen, so ist in wissenschaftlicher Hinsicht eine Stelle in Cassel wohl schwerlich mit einer in Berlin zu vergleichen [...]. Privatschreiben aus Lüneburg, 11. November 1831m Bei den raschen Fortschritten, welche die Cholera hier in den letzten 8 Tagen machte, dankten wir Gott, wenn wir uns alle Morgen wieder sahen, denn mancher Familie wurde dies Glück nicht zu Theil. Man legte sich anscheinend gesund zu Bette, und am andern Morgen war der Mann oder die Frau, oder ein Kind von der unglücklichen Krankheit hinweggerafft. Wodurch hier die Krankheit entstanden, weiß Keiner mit Gewißheit. Von Schiffern, welche von Hamburg, nachdem sie wegen der Quarantaine 8 Tage in ihren Fahrzeugen auf der Elbe hatten zubringen müssen, erkrankt hier ankamen, kann sie eingeschleppt seyn; doch wollten die Aerzte nicht zugeben, daß diese Leute die Cholera gehabt haben sollten. Vielleicht haben aber auch die von der Krankheit Ergriffenen, schon lange den Stoff in sich getragen, denn sie ergriff zuerst Leute der niedern Klasse, welche in Häusern wohnten, die im letzten Frühjahr vom Wasser überschwemmt gewesen waren. Meistens hat sie sich unter dieser Klasse erhalten, doch mitunter sind einige Personen vom mittleren Stande ergriffen, die sehr rasch, und zwar in einem Zeitraum von 4 bis 6 Stunden endeten. Die Vorläufer der Krankheit waren hier wie an andern Orten gleich, nämlich: krampfhafte Zufälle, Erbrechen, Purgiren, plötzliche Erkaltung oder Schwindel. Wer jedoch bei der geringsten Spur zu Bette ging und durch Thee zum Schwitzen gebracht wurde, dem war bald wieder geholfen. Es ist dies eine ganz besondere Krankheit: ansteckend ist sie nach menschlicher Ansicht nicht; und doch sind in einem Hause mehrere Menschen hinter einander gestorben. Nikolaus Lenau an Gustav Schwab, Heidelberg, 11. November 1831459 Du bist gewiß sehr heiter in Deiner geistigen Regsamkeit. Diese sichert Dir, glaub' ich, eine lange Lebensdauer, uns sollte die cholera nach Stuttgart kommen, laß nicht ab von Deinen Arbeiten. Man führt zwar Ruhe von geistigen Anstrengungen als Präservativ gegen diese Pestilenz an; allein ich glaube, man geht darin zu weit. Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, daß nach dem Ausweise der Sterbelisten die Mortalität auffallend gering sey unter Gefangenen, die sich in einer Criminaluntersuchung befinden, also in beständiger gespannter Erwartung auf den Ausgang ihres Prozesses sind. Schwangere Frauen sind weniger empfanglich für Krankheiten, weil bei ihnen die Körperkräfte in erwartungsvoller Span-

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nung sind. Hier wie dort scheint mir die beschäftigte Natur, ihre Kräfte eifrig nach einem gewissen Ziele kehrend, nicht Muße zu haben, sich mit Krankheiten abzugeben. Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, Bonn, 11. November 1831460 Weil alles kollert und cholerisch redet und denkt, so beginne auch dieser Brief wieder damit. Ich will Dich in keine falsche Sicherheit einwiegen über Dinge, wovon selbst die Ärzte so wenig Gescheidtes zu sagen wissen; aber es ist allerdings auffallend, daß die Cholera, die nun seit länger als einem Vierteljahr in Stettin ist, nicht schon zu euch über die Peene nordwestlich weiter marschiert ist; es wäre ja möglich, daß die sporadische Cholera bei euch den Stoff gleichsam vorweg genommen hätte und daß sie allmählig weiter gegen Westen laufend im Osten anfinge auszusterben; was Gott gebe! Es ist aber auch nicht unmöglich, daß dieses Übel, wenn vielleicht unter milderen und nicht so gespenstischen Formen, länger in Europa weilte. Wie dem sey, Gott gebe jedem, zu dem es naht, Muth und Tapferkeit und jene Besonnenheit, die manche Plagen, wenn nicht überwindet doch leidlicher macht. Wir fürchten hier für Bonn nicht viel, falls es an den Rhein kommen sollte, wegen der ziemlich hohen und frischen Lage der St[a]dt, doch wer kann es wissen? Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 12. November 183V461 Ueber Ihre Reise und Ihre Anfrage darüber - nach Italien, wenn auch nur nach dem nördlichen, wie nach Genua, sollen Sie in keinem Falle, es soll jetzt ärger als je dort seyn. Also dahin gewiß nicht. Aber eine andere Frage ist - nach dem südlichen Frankreich - ich würde es ohne weiteres dazu rathen, wenn ich nicht die Cholera befürchtete, die jeden Tag, durch einen Zufall, ganz unerwartet, da oder dort eingeschleppt, erscheint. Karl Leberecht Immermann an Julius Eduard Hitzig, Düsseldorf, 12. November 1831462 Leider muß ich Ihnen, verehrtester Freund, schriftlich für Ihre gütige Erinnrung, die mir H. Reinick überbrachte, danken, ich hatte gehofft, mich Ihnen persönlich im Herbste überbringen zu dürfen. Ich war in Dresden und Magdeburg und meine Ferienreise war auf Berlin mitberechnet. Vierzehn Tage wollte ich dießmal im October dort seyn. Die böse Cholera, die so Vieles hemmt, hat es nicht haben wollen. Gottlob erwähnen Ihre Zeilen dieser Furie nicht einmal, ein Zeichen, dass Sie von der allgemeinen Stimmung wenig afficirt sind - wie mir solches auch H[err] Reinick bestätigte. In einer großen Stadt ist die Sache bei dem Zudrange von verschiedenartigen Eindrücken wohl auch nicht so schlimm, in einem mittleren Orte wird es ganz unerträglich. Auf mich wirkte in Magdeburg die Idee, in der Gewalt so eines dummen, blinden Ungeheuers zu seyn, so gewaltsam, dass ich bald die imaginaire Cholera bekam, die Sie in Berlin wohl auch kennen gelernt haben. Privatschreiben aus Danzig, 13. November 1831m Mehre[re] Aerzte untersuchten den Fall, es ergab sich, daß nur unschädliche Speisen genossen worden waren, Buchweizengrütze mit etwas Speck und Fett war die Hauptnahrung am Tage vor dem Erkranken gewesen. Von den Birnen blieb es zweifelhaft, ob und wie viel die Kinder davon genossen, auf jeden Fall waren es nur wenige gewesen, so daß sie von

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keinem besondern Einflüsse sein konnten. - Die Polizeibeamten ermittelten gleichfalls nichts, was nachtheilig genug gewesen wäre, um als Krankheitsursache angesehen werden zu können; dessenungeachtet verbreitete das handelnde Publicum der größten Unwahrscheinlichkeit und aller Untersuchung zum Trotze die Sage, die Menschen hätten nicht an der Cholera gelitten, sie hätten sich durch Pflaumen in Töpfergeschirr gekocht vergiftet; diese Nachricht ging sogar über Berlin bis in die Allgemeine Zeitung, wie ich so eben sehe. Ernst Wilhelm Hengstenberg an Karl Hengstenberg, Berlin, 13. November 1831464 Aus dem ganzen Kreise unserer Bekannten ist kein einziger befallen worden. Leider scheint aber die große Gnade Gottes auf Muthwillen gezogen zu werden und der Anfangs gehoffte gesegnete Eindruck der Krankheit spurlos zu verschwinden. Julius Campe an Heinrich Heine, Hamburg, 14. November 1831465 Die infamen Cordons haben in diesem Jahre sehr störend gewirkt, wie Sie von Lewald gehört haben werden. 2 Monate hindurch erhielten wir nicht einmal Zeitschriften von Leipzig. Denken Sie wie das ruinirt! Nach Dännemark geht seit Sept. kein einziges Blatt. Nichts ist lächerlicher wie diese Cholera-Furcht; denn hier genirt sich kein Mensch mehr darum und alles geht gut, so daß diese Geschichte als nicht vorhanden betrachtet wird. Marie Hegel an Johannes Schulze, Berlin, 14. November

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Mein Hegel ist so krank, daß ich für sein Leben zittere. Kommen Sie lieber Freund, eh es zu spät ist. Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, Berlin, 14. November 1831467 Ew. Excellenz melde ich im Auftrage der Frau Professor Hegel den heute Nachmittag um fünf erfolgten Tod ihres edlen Gatten. Kaum war ich von Ew. Exc. nach Hause zurückgekehrt, als ich ein offenes Billet von der Frau Professor Hegel erhalte, worin sie mich von der plötzlichen Krankheit ihres Gatten unterrichtet und mich bittet, zu kommen, denn bald möchte es zu spät sein. Bestürzt eilte ich fort und fand die Mutter und beide Söhne in ruhiger Haltung am Sterbebette ihres Gatten und Vaters, ungewiß, ob er noch lebe oder bereits geendet habe. Bald überzeugte ich mich, daß der Todeskampf schon vorüber sei; gemeinschaftlich schlossen wir die Augen des geliebten Freundes und verweilten still trauernd bei seiner Leiche. Die wenigen Äußerungen der Frau Hegel ließen mich die Natur der Krankheit, woran ihr Gatte gestorben, ahnden, allein ich wagte nicht den Namen auszusprechen. Erst nach der Ankunft der Herren Barez, Horn und Wagner erhielten wir die traurige Gewißheit, daß unser Freund an der intensivsten Cholera gestorben. Er war nur dreißig Stunden krank und bei vollem Bewußtsein bis zum letzten Atemzuge, ohne auch nur im entferntesten seinen nahen Tod zu ahnden. Seine Züge waren unentstellt und glichen denen eines ruhig Schlafenden. Noch am letzten Freitage des Abends hat er mit ungewöhnlicher Kraft eine Vorlesung gehalten, von welcher alle Anwesenden tief ergriffen waren. Nach der Vorlesung ging er ungeachtet des ungünstigen Wetters zum Buchhändler Duncker, um mit demselben den Vertrag wegen der neuen von ihm beabsichtigten Ausgabe der Phänomeno-

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logie abzuschließen. Heute ist der letzte Druckbogen des ersten Bandes der neuen Ausgabe der Logik ihm übergeben worden. Morgen abend um sechs Uhr werde ich ihn zur letzten Ruhestätte begleiten. Sein Wunsch, auf dem Kirchhofe, wo Fichte und Solger ruhen, auch sein Grab zu finden, wird nun nicht erfüllt. Ew. Exzellenz danken die Universität und die Freunde des Verstorbenen die segensreichen Wirkungen und die edlen Freuden alle, welche er in seiner hiesigen Stellung verbreitet hat. Er war mit inniger Verehrung für Ew. Exc. erfüllt und hat dieses Gefühl Hochderselben treu bis zum Tode bewahrt; in meiner letzten Unterredung mit ihm, als ich ihn von der Berücksichtigung vorläufig unterrichtete, deren Ew. Exc. ihn gewürdigt hatten, äußerte er sich über Ew. Exc. und Hochdero Wirksamkeit auf eine Weise, die Ew. Exc. und seiner würdig war. Sein Verlust ist für die Universität unersetzlich; ich verliere mit ihm einen Freund, der sich mir in allen Verhältnissen bewährt hat. Immanuel Hegel an Friedrich Wilken, Berlin, 14. November

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Im Namen meiner tiefgebeugten Mutter übernehme ich die traurige Pflicht, Ihnen das heut um 5 Uhr erfolgte Dahinscheiden meines vielgeliebten Vaters anzuzeigen. Er entschlummerte nach kurzem, kaum zweitägigem Leiden und ohne Todeskampf an der Cholera. Das Begräbnis wird morgen Abend um 6 Uhr erfolgen. Heinrich Rose an Jons Jacob Berzelius, Berlin, 15. November 1837469 Die Cholera scheint uns nun allmählich zu verlassen. Gleichsam wie alle Gefahren weniger furchterregend werden, wenn man sich mit ihnen vertraut macht, so gilt das nun auch für die Cholera. Die meisten Opfer gehören den ärmeren Schichten an. Doch wurden auch verschiedene Wohlhabende fortgerissen. Der Todesfall, der größtes Aufsehen erregt, ist der von Hegel. Er starb vorgestern und wurde heute begraben. Es ist lächerlich, daß man es für eine Schande hält, an der Cholera zu sterben, den allgemeinen Zeitungen zufolge starb Hegel deshalb nicht an der Cholera, sondern an einem Schlaganfall. Es war indessen die bösartigste Form - cholera sicca - die ihn tötete. Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 15. November

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Du weißt es, welcher Todesstreich mich getroffen hat - ich hoffe, die lieben Geschwister haben Dich vorbereitet, haben Dir's schonend mitgeteilt und so werfe ich mich weinend in Deine Arme, weine mit mir, liebe gute Mutter, weine mit Deinem armen Kinde und flehe mit ihr den Allvater um Kraft [an]. Er hat mir Schweres auferlegt, es muß ertragen werden, er wird es mir ertragen helfen und in der Schwachen mächtig sein. Auch Du hast diese schwerste aller Prüfungen erduldet, und tröstend und stärkend steht mir jetzt Dein Bild und die Erinnerung an Deine fromme standhafte Ergebung vor Augen, Du hast unter Gottes Beistand und mit einem starken frommen Herzen es überwunden, Ruhe, Heiterkeit und Frieden wieder erlangt - Du wirst auch starken Herzens diesen gemeinschaftlichen Verlust, dies gedoppelte Leiden, das Du um Deines armen Kindes willen und als eigenen Verlust schmerzlich tief empfindest, ertragen und Dich auch jetzt wieder als fromme standhafte Christin bewähren - bete mit mir um Kraft zu dem ewigen Gott der Liebe, dessen weise Vaterhand uns nicht mehr auferlegt als wir ertragen können; der besser weiß, als wir es

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wissen, was zu unserem Besten dient und alles herrlich hinausführt, wenn uns auch dunkel und unbegreiflich. Ich murre nicht, ich klage nicht mein Schicksal an, es war mir in diesem herrlichen Manne viel gegeben. Das Schicksal hat mich hoch begnadigt, daß es mich diesem edlen herrlichen Menschen an die Seite gestellt hat. [...] Er ist glücklich und über alles selig im Anschaun Gottes, den er in sich getragen und im Geiste und der Wahrheit erkannt hat er wandelt unter den Seligen und ist aller Erdennot, allen Plagen und Beschwerden des Alters enthoben - so mitten aus heiterem Himmel, so mitten aus seiner vollen Kraft, aus seinem gesegneten Wirken heraus ist er nach 1 1/2 Tage langem Kranksein, bei dem er anfangs nur über Magenschmerz und Reiz zum Erbrechen geklagt hat, nach hinzugetretener (o warum muß ich das gräßliche Wort aussprechen) Cholera (die aber ihren Symptomen nur innerlich sein teures Leben zerstört und äußerlich uns allen nicht erkennbar war) - leicht, schmerzensfrei, sanft und selig ohne Todeskampf, ohne eine Ahndung seines Todes und mit hellem Bewußtsein bis zum letzten Entschlafen hinübergeschlummert. Solche Cholera ist der seligste Tod, - solche ist nicht Schauder erregend. Er hatte keines von den Symptomen, an der wir das tödliche Übel hätten erkennen können, keinen Krampf in den Waden, keine Kälte an den Extremitäten und an der Brust - er lag erwärmt im Schweiße, hatte keine Diarrhöe, wenig Erbrechen, und zwar von Galle - keine Todesangst, er schlummerte ruhig und sagte an seinem Todstag, er sei ganz schmerzensfrei - aber in den letzten Stunden war über dem lieben Gesicht eine eisige Kälte, kalter Schweiß auf der Stirn, die erwärmten Hände wurden blau, und der Urin versagte. — Unser Arzt war inzwischen nicht getäuscht, er hat alle Mittel angewendet, die sie kannten - Senfpflaster über den ganzen Körper, die aber nicht zogen, drüber warme Kamillenumschläge Lavement - er zog auch Horn zu Rate, der alles billigte - wo aber Gott ein Ziel gesetzt, was vermag da menschliche Kunst und Wissenschaft! - Ich danke Gott, der ihn so sanft und selig allen Todeskampf und aller Schmerzen enthoben und ihm ein so herrliches Ende bereitet hat. Man hat durch Vermittlung unseres treuen Freundes Schulze (den ich zu seinem Ende holen ließ) es bewirkt, daß er mit allen Ehren, die seiner würdig, morgen als den dritten Tag nicht auf dem Choleraleichenwagen und Kirchhof, nicht bei Nacht, sondern Nachmittag 3 Uhr mit einem zahlreichen Gefolge auf den Kirchhof, wo Solger und Fichte ruhen, Marheineke eine Rede hält, begraben wird. Welche Teilnahme, welche Bestürzung und Trauer von allen Seiten - sein Andenken lebt in Segen! - Ich werde von seinen Söhnen und treuen Freunden mit Liebe, Sorge und Teilnahme getragen und aufrecht erhalten, meine gute Schindelmeister ist ganz bei mir. Morgen bringen sie mich trotz meines Widerstrebens zu Schlesinger. - Er liegt verschlossen in meinem Wohnzimmer, wo er verschied, mein seliger Engel wandelt im Lichte. Ich darf ihn nicht mehr sehen. О mein teures Mutterherz, wäre es nicht Winter, hätten wir nicht die Cholera, ich flehte, komme und tröste Dein Kind - aber Du mußt Dich für Deine andern Kinder erhalten — Gott wird mich trösten und mich Deiner würdig erhalten. Karl Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 15. November 1831471 Ein fürchterlicher Schlag hat uns getroffen: so hart er aber für uns Kinder sein mag, so überwiegt der Schmerz der Mutter doch alles - sie, die ganz Liebe, ganz Gefühl ist. Wir haben uns so viel mit ihr zu beschäftigen, daß wir kaum noch Zeit haben, unsrem eignen Verlust recht nachzudenken und ihn recht zu begreifen: darüber werde ich mein ganzes

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Leben zu denken haben - ich, der ich eben erst anfing zu verstehen, was ich an ihm hatte. Sein Geist lebt in seinen Werken, diesen mir zu dem eignen zu machen, sei nun mein Bestreben. Schon hatte der Vater angefangen, seine beiden Vorlesungen zu halten, mit der größten Erwartung und Liebe ging ich daran - und nun ist es aus, alles aus. - [ . . . ] Die nächste Beruhigung, welche unsere Mutter findet, ist jetzt die allgemeine Teilnahme an unserem Unglück, und insbesondere die der näheren Freunde: sie alle sind wie vom Donner gerührt; wie viele haben nicht aus seinem Geist geschöpft und darin Beruhigung gefunden! - Soeben höre ich, daß unsere Freunde es durchgesetzt haben, daß unsere geliebte Leiche nicht nach dem Kirchhof der an der Cholera Verstorbenen gebracht werden soll; er wird seine Ruhestätte unweit des Grabes von Fichte und Solger finden, wie er es selbst einmal zufällig als Wunsche geäußert hat: dies war doch gewissermaßen eine Freude, die der Mutter in ihrem Schmerz zuteil wurde. Sanft und ruhig war das Ende unsres herrlichen Vaters: alle schrecklichen Symptome der Cholera fehlten bei ihm, mit wenigen Schmerzen ging es vorüber. Die letzten zwei Stunden blieben wir ganz an seinem Bette, Manuel an seiner Seite, ich unterstützte sein liebes Haupt. Der Atem wurde in den zwei letzten Stunden beklommen und tönte laut; mit einem Male wurde er schwächer; ein sanfter Schlaf, glaubten wir, käme über ihn - es war aber sein Todesschlaf: lange blieben wir ruhig in derselben Stellung, bis wir plötzlich von der schrecklichen Gewißheit überzeugt wurden. - Er starb am Montag, den 14. November um 5 1/4 Uhr Nachmittag; er sollte schon am Dienstag Abend begraben werden nach Bestimmung des Arztes: durch Vermittlung aber ist es auch zugestanden worden, daß erst morgen Nachmittag um 3 Uhr das Leichenbegängnis erfolgen wird. - Die Krankheit dauerte nicht länger als 30 Stunden. - In seinen herrlichen Vorlesungen der Religionsphilosophie hörte ich ihn einst sagen: „Von dem Größesten, was je gesagt worden, ist der Ausspruch Christi: Selig sind, die da reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen." - Mein Vater, dieser edle, große Geist ist nun in der reinen Anschauung dessen, was er schon hier auf Erden als die alleinige und höchste Wahrheit erkannte. Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, Berlin, 15. November 183lm Ew. Exzellenz verfehle ich nicht, ganz gehorsamst zu melden, daß das Polizeipräsidium gestattet hat, den Leichnam des Professors Hegel auf dem Kirchhofe vor dem Oranienburger Tor und erst morgen Nachmittag um 3 Uhr zu beerdigen. Die Professoren der Universität und die Studierenden werden dem Leichenzuge folgen. Karl vom Stein zum Altenstein an Johannes Schulze, Berlin, 15. November

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Ew. Hochwohlgeboren erst diesen Morgen erhaltene Zeilen von gestern haben mich tief erschüttert und mit unaussprechlichem Schmerz erfüllt. Kaum vermag ich noch die Wirklichkeit des unendlichen Verlustes zu fassen, welchen die Wissenschaft, der Preußische Staat und alle Verehrer und Freunde des Mannes erlitten haben, der gleich ausgezeichnet war als Gelehrter und in allen dem Höheren zugewandten menschlichen Verhältnissen. Je mehr der Verewigte mit seinem ganzen Wissen dem Höchsten angehörte und auf dieser Welt für solches mit treuer Hingebung und unermüdlicher Anstrengung segensreich wirkte, desto lebendiger drängt sich auch das Gefühl auf, daß er zur Erreichung seines Ziels, zur

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Vollendung von dem, der höher ist als alles, abgerufen sei, und in diesem Gefühl mildert sich der Schmerz, wenn auch der Verlust nur um so größer hervortritt. Nur mit der innigsten Wehmuth kann ich an die verehrte Gattin des theuren Entschlafenen denken. Sie, die im Gefühl des höhern Werthes des Gatten ihr größtes Glück fand, wird auch darin die Stärke finden, den unersetzlichen Verlust zu ertragen; allein sie muß auch, das irdische Loos teilend, um so tiefer den unendlichen Schmerz der Trennung fühlen. Der Verewigte war mir bei dem schmerzlichsten Ereignisse meines Lebens durch die Aeußerung seines so unendlich tiefen, zarten und erhebenden Mitgefühls unendlich wohlthätig. Ich wünschte, der tiefgebeugten Gattin in gleicher Art durch den Ausdruck des tiefsten Mitgefühls wohltätig sein zu können, darf aber einen Versuch gar nicht wagen, da meine Äußerung so unendlich gegen das zurückbleiben würde, was mich allein befriedigen und mir einigermaßen eine angemessene Wirkung verbürgen könnte. Inzwischen bitte ich Sie, solches der Leidtragenden, wann wie Sie es für das Beste und Angemessenste halten, auszudrücken und ihr in meinem Namen über meine herzlichste Theilnahme zu sagen, was für solche nur immer tröstend und beruhigend sein kann. Sie dürfen nicht befürchten, in meinem Namen zu viel zu äußern. Es wird immer gegen das, was ich solcher zu sagen wünschte, zurückbleiben. Die Nachricht hat mich so sehr ergriffen, daß es Pflicht für mich ist, abzubrechen. Ganz fühle ich mit Ihnen, mein Theuerster, die Größe Ihres eigenen Verlustes! Sie sind ihm als Freund und in der Wissenschaft so nahe gestanden, daß nur Wenige, so wie Sie, richtig schätzen können, welcher Stern erster Größe in diesem Augenblick für diese Welt untergegangen ist! Friedrich von Raumer an Ludwig Tieck, Berlin, 15. November

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Die Cholera nimmt hier gottlob so ab, daß es nicht mehr nöthig ist, ihrer zu erwähnen. Auch der Streit über Contagiosität und Nichtcontagiosität ist längst langweilig und dadurch unbeendet, daß man mit und über Worte streitet, was sie bedeuten und bedeuten sollen. Was heißt also Ansteckung? Muß eine Empfänglichkeit dafür vorhanden sein? Ist das andringende Gift unwiderstehlich? Auf welche Entfernung und welche Zeit wirkt es u.s.w. Auf alle diese medicinischen Betrachtungen sehen unsre Puritaner hinab und rühmen sich des höhern Standpunkts: die Krankheit sei eine Strafe Gottes, zugefügt in dem Maße der Sünden. Allerdings steht alles, was geschieht, in Gottes Hand und kommt von ihm. Ist's aber nicht absurd daß der General, welche die Cordons geleitet hat, so spricht, als könne er durch Soldaten und Häusersperren Gottes Strafgericht vereiteln? Gewiß ist die Cholera eine sehr ernste Hinweisung auf die Hinfälligkeit und Eitelkeit alles Menschlichen, auf die Verdammlichkeit mancher Genüsse, Faulheit u.s.w. Verkehrt aber ist es, wenn jemand daraus, daß eine Krankheit erscheint, die Verdammlichkeit mancher Beschäftigungen, z.B. der Kunst, ableitet. Sind denn die Ueberlebenden tugendhafter als die Gestorbenen, die Alten tugendhafter als die Kinder? Obbesagter General leitete die geringere Sterblichkeit in Berlin davon ab, daß hier weniger gesündigt und gestraft werde, als anderwärts, bleibt aber die Antwort auf die Frage des Herrn von Knobelsdorf schuldig: ob er glaube, daß das arme Wriezen zwanzigmal so gottlos sei, weil daselbst im Verhältniß zwanzigmal mehr Menschen gestorben sind. Ich habe keinen Begriff, wie man glauben kann, Gott und die göttliche Gerechtigkeit zu erkennen und zu ehren, wenn man ihm ein Verfahren beilegt, wofür man

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jeden menschlichen Richter cassiren würde. - Niemand will demütig anerkennen, daß die meisten göttlichen Anordnungen höher sind, als die menschliche Einsicht; war doch schon das Nichtwissen der Alten auf richtigerem Wege. Doch genug hievon. An Berliner Witzen und Caricaturen über die Cholera fehlt es, trotz der Ernsthaftigkeit der Sache nicht; z.B. ein Mann mit allen Präservativen behangen, sodaß kein Fleck seines Leibes frei bleibt. - Ein Kranker, der beim Bürsten immer schwärzer und vom Arzt aufgegeben wird, bis der Bürstende sagt: ich habe in der Eil' die Schuhbürste gegriffen. - Eine Köchin fragt den Fleischer: „Warum wird das Kalbfleisch nicht wieder wohlfeil?" Antwort: „Weil die Kälber so lange an der Grenze aufgehalten werden, daß sie als Ochsen ankommen." Ein Schneider stellt sich viermal krank, um nacheinander in vier Lazarethen aufgenommen zu werden und beiläufig zu stehlen. Endlich erkennt man seine Gesundheit an der ganz vortrefflichen Verdauung. Die Acten lauten: „Gegen den N. N. wegen angemaßter Cholera." [...] Soeben erhalte ich die sehr traurige Nachricht, daß Hegel gestern den 14. November an der Cholera gestorben ist. Schon immer war seine Gesundheit, besonders seine Verdauungswerkzeuge angegriffen, und Diätfehler sollen hinzugekommen sein. Er ist der erste Mann von wahrer Bedeutung, der in Berlin dieser Pest erliegt. Sein Verlust ist zunächst unersetzlich. Selbst seine Gegner müssen zugestehen, daß er eine ungemeine Kraft des Geistes besaß; er war ein starker Denker und wenn von seinem dogmatischen und dialektischen Standpunkte aus manches minder beleuchtet und klar erschien, so darf man eine solche Beschränkung auch der größten menschlichen Naturen, nicht zu stark hervorheben. [...] Es wäre unbillig Herrn Ritter nicht zum Ordinarius zu machen, wen man auch sonst berufen will. Mich schmerzt Hegel's Tod persönlich sehr, stets vertrug ich mich gut mit ihm, immer war sein Gespräch, selbst sein Examinieren (trotz der unbequemen Form) interessant und lehrreich. Wie vergänglich ist der Mensch, vor vier Tagen saß Hegel drei Stunden abends im Tentamen neben mir, und wir sprachen heiter über sehr viele Gegenstände, und morgen um drei Uhr soll ich mit zu Grabe gehen und um sechs Uhr bei einer Cousine Gevatter stehen!! David Friedrich Strauß an Christian Märklin, Berlin, 15. November 1831475 An wen, geliebtester Freund! soll ich es schreiben, daß Hegel todt ist, als an Dich, dessen ich auch am meisten gedachte, so lange ich den Lebenden hören und sehen konnte? Zwar die Zeitungen melden es Dir wohl, ehe Dich mein Brief erreicht; aber auch von mir sollst und mußt Du es hören. Ich hoffte, Dir Erfreulicheres von Berlin aus schreiben zu können! Denke Dir, wie ich es erfuhr. Ich hatte Schleiermacher nicht treffen können, bis diesen Morgen. Da fragte er natürlich, ob mich die Cholera nicht abgeschreckt habe, zu kommen, worauf ich erwiderte, daß ja die Nachrichten immer beruhigender geworden, und sie jetzt wirklich auch fast zu Ende sey. Ja, sagte er, aber sie hat noch ein großes Opfer gefordert Professor Hegel ist gestern Abend an der Cholera gestorben. Denke Dir diesen Eindruck! Der große Schleiermacher, er war mir in diesem Augenblick unbedeutend, wenn ich ihn an diesem Verluste maß. Unsere Unterhaltung war zu Ende, und ich entfernte mich eilig. Mein erster Gedanke war: nun reisest du ab, was thust du ohne Hegel in Berlin? Bald aber besann ich mich und bleibe nun. Hergereist bin ich einmal, - auf eine weitere Reise komme ich nicht mehr, und hier ist Hegel zwar gestorben, aber nicht ausgestorben. Ich freue mich, daß

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ich den großen Meister noch gehört und gesehen habe vor seinem Ende. [...] Am Freitag hatte er beide Vorlesungen noch gehalten; Samstag und Sonntag fielen sie ohnehin weg; am Montag war angeschlagen, daß Hegel wegen plötzlicher Krankheit seine Vorlesungen aussetzen müsse, aber am Donnerstag ihre Fortsetzung anzeigen zu können hoffe, aber noch an eben dem Montag war ihm das Ziel gesetzt. Vorigen Donnerstag besuchte ich ihn. [...] Nun Morgen Mittag um 3 Uhr wird er begraben. Die Bestürzung ist allgemein auf der Universität; Henning, Marheineke, selbst Ritter lesen gar nicht, Michelet kam fast weinend auf den Katheder. Mein Stundenplan ist nun ganz zerrissen; ich weiß nicht, ob nicht vielleicht jemand die Hefte der zwei angefangenen Collegien abzulesen unternehmen wird. [...] Warum bist Du so eigensinnig fortgerannt, ohne auf uns zu warten? wirst Du sagen. Um Hegel noch zu sehen und ihm mit der Leiche zu gehen, antworte ich. Sende diesen Brief Bührern, damit er meinen Eltern sagt - worauf sie begierig sein werden, - was ich jetzt nach Hegel's Tode zu thun gedenke. Oder kürzer kannst Du ihn an meinen Vater und durch den an Bührer senden, der ihn in jedem Fall bekommen soll und einen eigenen. Ferdinand Raimund an A. W. Just [?], München, 15. November 1831*16 Ich vermuthete wohl, daß Sie meine nächtliche Abreise überraschen würde, auch mir hat es sehr wehe getan, das gute Hamburg so feig und abschiedslos verlassen zu müssen. Furcht, die sich auf die Beine macht, bleibt doch immer etwas Lächerliches und die lieben Hamburger haben etwas Besseres um mich verdient, als diese Cholera-Desertion. [...] So eben erhalte ich die Nachricht, die Cholera sei in München - noch glaub' ich es nicht. Ich habe einen Cholera-Text im Aschenlied gesungen, der sehr gefallen hat. Wenigstens war die Dame so galant, mich durch ihr Erscheinen nicht zu hindern ihrer zu spotten. Carl Otfried Müller an seine Eltern, Göttingen, 15. November 1831477 Dass die Cholera immer mehr in Schlesien um sich greift, ängstigt mich sehr, und leider liefert die Staatszeitung so wenig Nachrichten über diese Gegend, dass man Raum genug hat sich das Schlimmste zu denken. Von uns ist sie noch weit entfernt, da Lüneburg, wo sie seit einiger Zeit ist, in einem ganz andern Flussgebiet als Göttingen und dazu noch durch Wüsteneien von Hannover und unsern Gegenden getrennt ist. [...] Auch unsre Universität leidet durch die Cholera-Furcht; man rechnet etwa 800 Studenten. Karl Reichhelm an Johann Friedrich Herbart, Berlin, 16. November 183lm Mein sehr verehrter Freund! Wenn Sie diese Zeilen erhalten, werden Sie aus den Zeitungen bereits wissen, daß Hegel todt ist. Das unerwartete Ereigniß hat selbst seine wissenschaftlichen Gegner schmerzlich berührt, da eine gewisse Seite des Verdienstes allgemein anerkannt werden mußte, und der Verstorbene als Mensch und im geselligen Umgang geliebt wurde. Die Bestürzung seiner Gönner, seiner Freunde und seiner Schüler ist groß und begreiflich! Am Sonnabend war der Hingeschiedene noch frisch und munter bey Stuerkes (?), mit welchem er durch Schulze's Vermittlung neuerlichst in literarischen und dem zufolge auch in häuslichen Verkehr getreten war. Sonntag soll er sich geärgert, erkältet und unwohl gefühlt haben. Montag Nachmittags 5 Uhr endete er. Ob an der eigentlichen asiati-

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sehen Cholera, oder an gewöhnlicher Magen-Entzündung, darüber streiten unsere Ärzte wie gewöhnlich umsonst. Leicht sei ihm die Erde! Karl August Varnhagen von Ense an Ludwig Robert, Berlin, 16. November 1831479 Beim Empfang dieses Blattes hat die harte Botschaft von dem unerwartet schnellen Ableben Hegel's auch Sie schon erreicht und gewiß tief getroffen. Die Nachricht in der Staatszeitung sagt fälschlich, er sei am Schlagflusse gestorben, die Anzeige von Seiten der Wittwe nennt keine Krankheit; es war aber die Cholera, die ausgebildetste, unbezwingbarste Cholera, welche, schon im Abnehmen, tückisch noch dies theure Opfer uns dahingerafft! Hegel hatte von Anfang her gegen den furchtbaren Unhold eine tiefe Scheu und Aengstlichkeit, die er später bezwungen zu haben schien, und dann zu dreist wurde; so versagte er sich am Tage vor seiner Erkrankung den Genuß von Weintrauben nicht, die erkältend auf seine Eingeweide wirkten, andre nachtheilige Einflüsse mögen seinen Körper für das Uebel schon vorbereitet haben, es trat mit stärkster Gewalt und schnellstem Verlaufe ein. Doch hatte er keine Ahndung seines herannahenden Todes, und entschlummerte, wie die Anzeige der Wittwe sagt, schmerzlos, sanft und selig. Das ist schön, daß er nicht gelitten hat! So war denn sein Tod so glücklich, als der Tod irgend sein kann. Ungeschwächten Geistes, in rüstiger Thätigkeit, auf der Höhe des Ruhmes und der Wirksamkeit, von großen Erfolgen rings umgeben, mit seiner Lage zufrieden, von dem geselligen Leben heiter angesprochen, an allen Darbietungen der Hauptstadt freundlich theilnehmend, schied er aus der Mitte dieser Befriedigungen ohne Bedauern und Schmerz, denn Bedeutung und Namen seiner Krankheit blieben ihm unbekannt, und das entschlummernde Bewußtsein durfte Genesung träumen. Aber uns ist eine entsetzliche Lücke gerissen! Sie klafft unausfüllbar uns immer größer an, je länger man sie ansieht. Er war eigentlich der Eckstein der hiesigen Universität. Auf ihm ruhte die Wissenschaftlichkeit des Ganzen, in ihm hatte das Ganze seine Festigkeit, seinen Anhalt; von allen Seiten droht jetzt der Einsturz. Solche Verbindung des tiefsten allgemeinen Denkens und des ungeheuersten Wissens in allen empirischen Erkenntnißgebieten fehlt nun schlechterdings; was noch da ist, ist einzeln für sich, muß erst die höhere Beziehung aufsuchen und wird sie selten finden. Auch fühlen es Alle, selbst die Widersacher, was mit ihm verloren ist. Die ganze Stadt ist von dem Schlage betäubt, es ist, als klänge die Erschütterung dieses Sturzes in jedem rohesten Bewußtsein an. Die zahlreichen Freunde und Jünger wollen verzweifeln. Gans begegnete mir gestern mit verweinten Augen, und vergoß dann bei mir, mit Rahel in die Wette, heiße Thränen, indem er seinen Jammer nicht zurückhielt. Mich hat der Fall tief ergriffen, ich fühle fortwährend sein Wühlen und bin fast krank davon; doch entsteht meine Empfindung mehr aus den allgemeinen Umrissen des Geschehenen, als aus einer unmittelbaren persönlichen Beziehung desselben zu mir. [·.·] Seltsam! Fichte starb hier an Typhus, Hegel an der Cholera, Beide auf großen politischen Wetterscheiden, deren bedenklichsten Prüfungen sie zu rechter Zeit entrückt wurden. Hegel stand wirklich in Gefahr, mit seiner Zeitgenossenschaft in großen Widerspruch zu gerathen; sich gegen die Wendung der Dinge arg zu verbittern, und selbst mit Freunden und Schülern in offne Feindseligkeiten zu kommen. Ich habe Gans aufgefordert, nun rasch den Schmerz in Thätigkeit überzuleiten, ein Leben Hegel's zu schreiben, und eine Sammlung seiner Werke zu veranstalten. Wenn nicht in den

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ersten sechs Monaten die Sache zu Stande kommt und sogleich Hand an's Werk gelegt wird, so geschieht wie gewöhnlich nichts. [...] Von Rahel empfangen Sie gewiß ein eignes Blatt mit diesem. Sie hat sich tapfer gehalten, obwohl unter großen Leiden; sie war, auch in der schlimmsten Zeit, mehr noch von Theilnahme und Fürsorge erfüllt, als von Furcht und Schrecken. Ich könnte übrigens auch mich selbst loben. Ich entdeckte frühzeitig, daß man mitten in der Kalamität doch das gewohnte Leben fortsetzen könne. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 16. November 1831m Eben sind sie dabey den guten Hegel unter die Erde zu schaffen, der vorgestern plötzlich an der Cholera gestorben ist; denn am Freytage Abend war er noch bey mir im Hause und hat den Tag darauf noch gelesen. Ich soll der Leiche folgen, doch habe ich eben Akademie und den Schnupfen dazu. Mein Haus hat wöchentlich gegen 400 Personen regelmäßig aufzunehmen, und wenn mir was zustieße, so leidet meine Anstalt und ich hätte den Vorwurf das Uebel eingeschleppt zu haben, um so mehr da ich gegen den allgemeinen Gebrauch weder räuchere noch desinficire, wie es ungeschickt genug heißt. [...] Hermbstädt hat angefangen und weil er nur sieben Zuhörer hatte wieder aufgehört, welche unter 777 vielleicht die besten gewesen wären. Da wäre dann der abgeschiedene Hegel zu loben, der's nicht lassen können frisch anzufangen und sich todt zu lesen. So lernt man den Werth der Männer kennen wenn sie davon sind. Als Gesellschafter mag Hegel eben keinen Beyfall gefunden haben; wir spielten am liebsten ein Whistchen zusammen, das er gut und ruhig spielte. Das ist mir nun für die bevorstehenden langen Abende auch dahin, da wir nicht weit zu laufen hatten um uns zu sehn. Eine junge Frau sagte vor nicht langer Zeit im Beyseyn anderer Frauen: sie habe noch nie ein recht bedeutendes Wort aus Hegels Munde gehört. Nach einer Pause antwortete ich: das wäre wohl möglich, denn es war sein Metier zu Männern zu reden. Hier ist eine besondere Geschichte im Umlauf. Ein stämmiger, eifriger Wärter einer Cholera-Anstalt, wird endlich selber vom Uebel befallen und gehörig beseitigt. Man giebt ihm zwey Wärter, die in der Nacht einschlafen. Der Patient, im Paroxysmus, dem sich das angeborne Pflichtgefühl zugesellt, entspringt seinem Lager halb nackend, geht zu seiner Anstalt, schlägt an Thür und Fenster und schreit, ihm aufzumachen. Die Leute sind erschrocken über das Gesicht, erkennen ihn und wollen ihn zurückbringen, er entspringt ihnen aber. Unterdessen sind jene Wärter erwacht und da sie den Kranken nicht auf seinem Lager sehn, laufen sie ihn zu suchen. Endlich kommen die Leute aus der Anstalt und finden den braven Kerl auf seinem Bette todt. Daß sich solch ein Vorfall in eine Spukgeschichte metamorphosirt wirst Du denken. Dann ist auch gestern die jüngste Tochter Moses Mendelsohns begraben worden. Sie war unter allen Geschwistern ihrem Vater am ähnlichsten, auch eben klein und schwächlich, dabey feinen stillen Geistes und über alles liebenswürdig. [...] Deine Einladung auf die schönsten Weintrauben nehm' ich wohl an, wenn ich mich auch jetzt nicht von hier entfernen mag, wo mich so manches bindet indem ich mich frey genug weiß. Was die Trauben betrifft, so hab' ich es dieses Jahr besser damit als je, indem der Genuß derselben verdächtig gemacht worden. Darüber erhalt' ich fast täglich die schönsten Trauben geschickt und kann ihre Süßigkeit und Herzigkeit nicht genug loben.

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Eine der vorigen ähnliche Cholerageschichte erzählt mein Schwiegersohn aus der U[c]kermark: Ein Ackerknecht wird, krank und erstarrt, vom Kreisarzte für todt ausgegeben. Der Mann wird aus dem Hause geschafft und auf die Tenne gelegt. In der Nacht richtet er sich auf, geht ans Haus und klopft und ruft nach seiner Frau. Diese in der Angst ihres Herzens ruft ihm von Innen zu: Vaderken! blif doch da - Du bist ja doht! - Der Mann ist genesen und lebt. Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, Berlin, 16. November 1831m Ew. Exzellenz gnädiges Schreiben vom 15. d. M. habe ich heute morgen der verwitweten Frau Professor Hegel mitgeteilt; es hat ihr unbeschreiblich wohlgetan, sie wahrhaft gestärkt und erhoben, so daß sie Kraft gewonnen hat, mit würdiger Haltung alle die Schmerzensszenen zu ertragen, welche von der Bestattung ihres heimgegangenen Gatten nicht zu trennen waren. Drei Male mußte ich ihr das Schreiben vorlesen, und immer wohltätiger wirkte dasselbe durch die lautere Wahrheit und edle Einfachheit seines Inhalts auf die tiefgebeugte Gattin. Sie hat mir aufgetragen, Ew. Exzellenz ihres innigsten Danks für den Trost und die Ruhe, welche ihr durch dieses Schreiben in reichem Maße geworden ist, zu versichern; eine von meinem Sohne angefertigte Abschrift habe ich ihr zugleich eingehändigt, die Urschrift werde ich heilig aufbewahren als ein wahrhaftes Zeugnis für die Nachwelt von dem hohen Geiste und dem tiefen, liebevollen Gemüte, mit welchem Ew. Exzellenz alles umfassen und verklären. Darf ich noch des Gefühls gedenken, welches in mir durch den Inhalt dieses Schreiben zum klarsten Bewußtsein kam, so war es das des Dankes gegen Gott, daß dem Preußischen Staate in dieser Zeit zur Leitung seiner heiligsten Interessen ein Minister verliehen und bisher erhalten worden, der in seinem Denken und Tun nur dem Höchsten zugewandt ist und zugleich so menschlich milde, weil er alle Schmerzen des Daseins ermessen hat, das Leid des Einzelnen würdigt. Johann Ludwig Deinhardstein an Johann Wolfgang von Goethe, Wien, 16. November 1831m Die Cholera ist hier fast ihrem Ende nahe. In den Ringmauern der Stadt stirbt seit mehreren Tagen Niemand an jener Seuche, und auch in den Vorstädten ist die, durch sie verursachte Sterblichkeit nur sehr gering. Marie Hegel an Christiane Hegel, Berlin, 17. November 1831m Nun hat der Herr ihn abberufen, er hat die irdische Hülle abgestreift, ist den Beschwerden und Schwächen des Alters , die seinen Geist schmerzlich niedergedrückt hätten, überhoben im seligen Anschauen Gottes, den er schon hier im Geiste und in der Wahrheit erkannt hat. ... Ich will mich fassen und Dir kurz erzählen, wie alles kam. Mein seliger, geliebter Mann fühlte [sich] von Sonntag vormittag an, nachdem er noch ganz heiter mit uns gefrühstückt hatte, unwohl, klagte über Magenschmerz und Übelkeit, ohne daß ein Diätfehler oder eine Erkältung vorausgegangen war; er hatte mit voller Kraft und Heiterkeit am Donnerstag vorher seine Vorlesungen begonnen, Sonnabend Abend noch examiniert und für Sonntagmittag sich einige liebe Freunde gebeten. - Diesen ließ ich es absagen und widmete mich ganz seiner Pflege. - Der Arzt kam durch ein glückliches Begegnen augenblicklich, verord-

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nete, - aber keines von uns fand etwas Bedenkliches in seinem Zustand. - Sein Magenschmerz war erträglich, es kam Erbrechen, - erst ohne, dann mit Galle - (er hatte schon öfter ähnliche Zufälle gehabt). Die Nacht hindurch brachte er in der größten Unruhe zu, ich saß an seinem Bette, hüllte ihn mit Betten ein, wenn er im Bette aufsaß und sich umherwarf, - obgleich er mich wiederholt auf das freundlichste bat, ich solle mich niederlegen und ihn mit seiner Ungeduld allein lassen: „Sein Magenschmerz wäre nicht sowohl heftig, aber so heillos wie Zahnweh! Man kann dabei nicht ruhig auf einer Stelle liegen bleiben!" Montagmorgen wollte er aufstehen, wir brachten ihn ins nebenanstoßende Wohnzimmer, aber seine Schwäche war so groß, daß er auf dem Wege nach dem Sopha fast zusammensank. - Ich ließ seine Bettstelle dicht nebenan setzen; wir hoben ihn in durchwärmte Betten hinein; er klagte nur über Schwäche, aller Schmerz, alle Übelkeit war verschwunden, so daß er sagte: „Wollte Gott, ich hätte heute Nacht nur eine so ruhige Stunde gehabt." - Er sagte mir, er sei der Ruhe bedürftig, ich sollte keinen Besuch annehmen, - wollte ich seinen Puls fassen, so faßte er liebevoll meine Hand, als wollte er sagen, laß dies eigene Sorgen. Der Arzt war am frühen Morgen da, verordnete wie tags vorher Senfteig über den Unterleib (Blutegel hatte ich ihm am Abend vorher gesetzt) - Vormittag stellte sich Schluchzen ein und Urinbeschwerden; aber bei alledem ruhte er ganz sanft, immer in gleicher Wärme und Schweiß, immer bei vollem Bewußtsein und, wie mir schien, ohne Besorgnis einer Gefahr. Ein zweiter Arzt, Dr. Horn, wurde herbeigerufen. Senfteig über den ganzen Körper, heiße Flanelltücher in Kamillenabsud getaucht darüber, dies alles störte und beunruhigte ihn nicht. Um 3 Uhr stellte sich Brustkrampf ein, darauf wieder ein sanfter Schlaf - aber über das liebe Gesicht zog eine eisige Kälte, die Hände wurden blau und kühl, - wir knieten an seinem Bette und lauschten seinem Odem. - Es war das Hinüberschlummern eines Verklärten. - ... Und nun sage, hättest Du in diesem allen nur ein Symptom der Cholera erkannt? Mit Schauder mußt ich vernehmen, daß sie die Ärzte, Medizinalrat Barez und Geheimrat Horn, als solche erkannt hatten und zwar als die, die ohne äußere Symptome das innerste Leben auf das gewaltsamste zerstört. Wie er im Innern aussah, haben sie nicht gesehen. Trotzdem daß Hegel als an dazugetretener Cholera der Kommission gemeldet wurde (die mir die geliebte Leiche in mein Wohnzimmer, wo ich verlangte, daß er bleiben sollte, verschlossen, alles durchräucherten und desinfizierten), fürchtete sich keiner von unseren Freunden, selbst die furchtsamsten nicht; alle eilten in ihrem Schmerz zu mir, - manche darunter, die ihn die Tage vorher noch im heitersten Wohlsein gesehen, Donnerstag und Freitag noch gehört hatten (wo er seine Vorlesungen begonnen und wo er mit besonderer Kraft und Feuer, so daß er mir noch sagte: „Es ist mir heute besonders leicht geworden", alle seine Zuhörer entzückt hatte). Viele wußten sich kaum zu fassen. Während seine[r] Krankheit, die Sonntag von 11 Uhr bis Montag um 5 Uhr dauerte, wußten und ahndeten seine liebsten Freunde nichts davon. Keiner sah ihn mehr außer Geheimrat Schulze, den ich in meiner Herzensangst noch zu seinem Tode berief. Seine himmlische Ruhe und sein seliges Entschlafen wurde durch keine äußere Unruhe, durch keine laute Klage gestört. Mit verhaltenen Tränen und gepreßten Herzen waren wir leis und stille, möglichst ruhig scheinend, mit ihm beschäftigt, bis wir seinen letzten Schlaf belauschten, in dem der Übergang zum Tode nicht zu unterscheiden war. - Es war der Tod eines Heiligen, - wir konnten nur niederknien und beten. -

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Durch die tätigste Vermittlung unserer Freunde wurde als erste und einzige Ausnahme aus Rücksicht für die Persönlichkeit des Verklärten nach unsäglichen Kämpfen und erst durch Vermittlung höherer Fürsprecher bewilligt, daß er nicht auf den CholeraLeichenwagen, nicht schon nach 24 Stunden bei Nacht und Nebel auf den Cholera-Kirchhof gebracht wurde. Er ruht nun an der Stätte, die er sich auserwählt - und bei Solgers Begräbnis als die seinige bezeichnet hat, neben Fichte und nahe bei Solger. Gestern, Mittwoch Nachmittag um 3 Uhr war sein feierliches Leichenbegängnis. Die Professoren und Studirenden aus allen Fakultäten, seine älteren und jüngeren Schüler, versammelten sich erst in der großen Aula der Universität. Hier hielt sein treuer geistesverwandter Freund, der jetzige Rektor Marheineke, an die bewegte Versammlung eine Rede. Darauf begab sich der unabsehbar lange Zug der Studenten, die, weil sie ihn nicht mit brennenden Fackeln begleiten durften, die Fackeln mit Trauerflor umwunden trugen, - und eine unzählige Reihe von Wagen nach dem Trauerhaus, wo sie sich dem vierspännigen Trauerwagen anschlossen. Meine armen tief erschütterten Söhne fuhren mit Marheineke und Geheimrat Schulze der geliebten Leiche nach. Von dem Tore an wurde ein Choral von den Studenten angestimmt, - am Grabe sprach Hofrat Förster eine Rede, Marheineke als Geistlicher den Segen. Es hat sich schon jetzt ein Kreis von seinen gelehrten und eingeweihten Schülern und Freunden vereint, die geistigen Schätze seiner hinterlassenen Schriften zu ordnen. Das reiche Material aus seinen Kollegienheften, verglichen und zusammengestellt mit den besten Heften seiner Schüler sollen durch sie zu unserem Besten in einer Reihe von Bänden herausgegeben [werden], [...] Wir haben einen glücklichen Sommer in einer freundlichen Gartenwohnung zusammen zugebracht, - meinem Geliebten war es dort außen so wohl. Seit Ende Oktober sind wir hier, - man war so sicher, so ruhig geworden, die Cholera hatte schon weniger Opfer täglich hin weggerafft. - Er war der Eine von Vieren! Genug davon. Was Gott tut, das ist wohlgetan, Er weiß warum. David Friedrich Strauß an Christian Märklin, Berlin, 17. November 1831m Gestern haben wir ihn begraben. Um 3 Uhr hielt Marheineke als Rektor im UniversitätsSaale eine Rede, einfach und innig, mich ganz befriedigend. Er stellte ihn nicht nur als König im Reich des Gedankens, sondern auch als ächten Jünger Christi im Leben dar. Er sagte auch, was er bei einer kirchlichen Feier nicht würde gesagt haben, daß er wie Jesus Christus durch den leiblichen Tod zur Auferstehung im Geiste, den er den Seinigen gelassen, hindurchgedrungen sei. Hierauf ging der ziemlich tumultarische Zug vor's Trauerhaus und von da zum Gottesacker. Dieser war mit Schnee bedeckt, rechts stand die Abendröthe, links der aufgehende Mond. Neben Fichte, wie er gewünscht hatte, wurde Hegel beigesetzt. Ein Hofrath Fr. Förster, ein Poet und Anhänger Hegel's, hielt eine Rede voller leerer Phrasen, wie das Gewitter, das lange über unseren Häuptern gestanden, und sich schon verziehen zu wollen schien, noch mit einem zündenden Strahl und harten Donnerschlag ein hohes Haupt getroffen; und dies mit einem Ton, wie wenn man dem Kerl einen Sechser gegeben hätte, um das Ding geschwind abzulesen. Nachdem dies beendigt war, trat man näher zum Grab und eine von Thränen gedämpfte aber hochfeierliche Stimme sprach: Der Herr segne Dich. Es war Marheineke. Dieser Eindruck befriedigte mich wieder ganz. Beim Austritt aus dem Gottesacker sah ich einen jungen Mann weinen und hörte ihn von Hegel sprechen. Ich schloß mich an ihn an; es war ein Jurist, vieljähriger Schüler Hegel's. Damit Gott befohlen!

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Privatschreiben aus Glückstadt, 17. November 1831m Die Aerzte stimmen denn jetzt mit einander darin überein, daß die hier vorgekommenen Fälle wirklich der Asiatischen Cholera angehören. Bei dem ersten Kinde von nicht zwei Jahren, bei welchem, nach dem Urtheil des hiesigen Physikus und eines andern Arztes, sich Symptome der Cholera gezeigt hätten, waren zwei andere Aerzte gänzlich entgegengesetzter Meinung, welche das Uebel des Kindes dem Durchbruche der Zähne und vielleicht auch einer Ueberladung des Magens zuschrieben. Ein gleich darauf erfolgter Todesfall eines andern vierjährigen Kindes, ließ indeß keine Zweifel weiter übrig, daß hier die Cholera vorzulegen [habe]. Bei diesem noch nicht vierjährigen Mädchen, brachte der dasselbe behandelnde Arzt ein Brannteweinbad in Anwendung, doch ohne Erfolg. - Neue Erkrankungsfälle sind bis heute Morgen 10 Uhr nicht weiter hinzugekommen, als zweier Personen, welche sich noch in der Behandlung befinden; die eine ist ein Gärtner, der an der Epilepsie leidet, die andere eine alte bejahrte Frau. Sie wurden vor sechs Tagen befallen und befinden sich jetzt in der Besserung. Auch hier bezweifeln noch Viele, daß diese Fälle, besonders die beiden letzten, wirklich der Cholera angehören; diese beiden eben, weil die Leute noch leben, was natürlich ja aber keinen Schluß giebt. Daß hier zuerst zwei so junge Kinder daran gestorben seyn sollten, würde allerdings höchst auffallend seyn. Da jetzt gerade eingeschlachtet wird, fallen begreiflicher Weise, bei den wohlschmeckenden Würsten, manche Diätfehler vor, die dann Erbrechen und Diarhöe zur Folge haben können, ohne daß es die Cholera darum zu seyn braucht. Die hiesigen beiden Zuchthäuser sind schon vor drei Wochen gänzlich abgesperrt, ohne daß bis jetzt sich Anzeichen der Krankheit darin gezeigt haben. In dem alten Zuchthause ist freilich binnen der Zeit der Werkmeister gestorben, allein höchst wahrscheinlich nicht an der Cholera, wenn man schon im Anfange dieser Meinung gewesen. - Auf jeden Fall scheint sie sich nicht sehr bösartig anzulassen; daher ist man auch im Ganzen wenig besorgt und ängstlich, und hofft bei mäßiger und regelmäßiger Lebensart, mit Gottes Hülfe, ihre Anfechtungen zu überstehen. Privatschreiben an ein befreundetes Handelshaus, Wien, Mitte November 1837486 Wir hegen die schöne Hoffnung, bei der noch länger anhaltenden schönen Witterung uns vielleicht bald gänzlich von einem Übel befreit zu sehen, welches ohnehin schon sich hier in einem weit weniger bösartigen Karakter zeigte, als dieses an andern Orten bisher der Fall war. So ungewiß hierüber unser Schicksal ist, eben so gewiß und tröstend für die ganze Menschheit ist die bereits gemachte Erfahrung, daß diese an sich fürchterliche Krankheit durchaus nicht individuell ansteckend ist, sondern der Stoff derselben ganz gewiß in der Luft liegt, und auf jene Menschen vorzüglich wirkt, welche etwa durch längere Siechheit oder ungeregelte Lebensweise dazu disponirt sind. Diesen werden auch Cordons wenig oder gar nichts nützen. Daher ist auf Anordnung und höhern Befehl die Cernirung der Häuser, worin sich dergleichen Todesfälle ergeben, aufgehoben worden, weil es erwiesen ist, daß durch Furcht und Entsetzen schon so viele Opfer fielen, denen sonst gar nichts fehlte, und weil man andernseits gar keinen Beweis dafür hat, daß Menschen, die sich stets um einen Cholera-Kranken befanden, auch nur im mindesten Schaden litten, wenn sie gefaßt blieben. Sie können sich den Schrecken und die allgemeine Bestürzung nicht vorstellen, die schon am Morgen des 15. Sptbr. über die traurige Kunde herrschte, wie viele Opfer und diese aus

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den bedeutendsten Familien in der vergangenen Nacht des 14.-15. gefallen waren, denn obwohl wir durch die länger schon grassirenden Nervenfieber, als stete Vorboten dieser Krankheiten, und dann durch Ruhr und später Brechdurchfall von dem allmähligen Herannahen derselben überzeugt seyn konnten, so getraute sich doch niemand das Kind beim wahren Namen zu nennen, bis endlich nach 4tägigem Regen und kalter Witterung an oben genanntem Tage, uns kein Zweifel mehr über die Gewißheit unserer Lage blieb. - Kein Zweifel ist übrigens, daß sich das Übel am Wasser fortzieht, wozu jede schnelle atmosphärische Veränderung sehr beitragen mag. Übrigens geht es damit, wie mit allem in der Welt, man gewohnt es, und so geht nun auch jedes seinen Gang fort, Theater und Unterhaltungen. Wir empfehlen Ihnen vorzüglich die möglichste Diät und Enthaltsamkeit vom Bier, warme Kleidung, eine Bauchbinde, warm halten der Füße, für Damen nicht viel Kaffee, da er zu Krämpfen reizt, und bitten Sie freundschaftlich sich nicht durch Kauen der widerlichen Angelika-Wurzeln, noch durch Camillenöl den Magen zu verderben, sondern sie sonst gewohnte Lebensweise beizubehalten. Wir rathen Ihnen gar nichts zu thun, als das mit Schwindel und Kopfweh behaftete Individuum schnell ins Bett und es in Schweiß zu bringen, welches durch den stets fortgesetzten Genuß von Krause-Münz-Thee und warme Tücher über den Unterleib und Füße gelegt, auch bald geschehen wird, und jeder ist gerettet, und jene, die diese Epoche versäumen, und etwa auf den meistens zu spät eintreffenden Arzt warten wollen, laufen Gefahr, ein Opfer zu werden, und wir mögen Ihnen nicht beschreiben, welche schreckliche Veränderung der Patient in der Stimme, in den Augen und durch den fortgesetzten Krampf im ganzen Körper erleidet, der einmal in die höhern Stadien dieser Krankheit tritt, wo nur selten mehr Rettung möglich ist. Noch bemerken wir, sich vor der höchst schädlichen Morgen- und Abendluft zu hüten. Marie von Clausewitz an Elise von Bernstorff, Breslau, 16., 17. oder 18. November 18314*1 Ich erhielt Deinen letzten lieben Brief am Tage vor meiner Abreise, kam aber erst auf der Reise dazu, ihn ordentlich zu lesen, und zwar, als ich schon die Wehmuth des Abschiedes überwunden und jubelnd meinem Glück entgegenging. Ich fühlte eine solche Wonne bei dem Gedanken, nach dieser schweren Trennung wieder mit Clausewitz vereinigt zu sein und wenigstens auf einen ruhigen Winter hoffen zu dürfen, daß alles Uebrige, Besorgnisse für die Zukunft, Cholera, ja selbst der Schmerz über den Verlust unseres theuersten Freundes [Gneisenau] weit in den Hintergrund zurücktrat [...]. Am Mittwoch, dem 16., stand er [Clausewitz] ganz gesund auf, sagte mir aber einige Stunden später, daß er sich ein wenig erkältet fühlte und daß er nicht ausgehen würde. Er schrieb in meinem Zimmer und schien vollkommen wohl; nach 11 Uhr bekam er etwas Diarrhöe ohne alle Schmerzen, hatte aber gleich die Ahnung, sehr krank zu werden, wenn auch nicht an der Cholera. Er trank einige Tassen Krauseminzthee, legte sich zu Bette; ich schickte zum Arzt, jedoch mehr aus Vorsicht, als weil irgend ein Grund zu ernstlicher Besorgniß vorhanden gewesen wäre. Mein Bruder, der bald darauf kam und wohl eine Stunde mit uns blieb, war derselben Meinung. Erst gegen 1 Uhr zeigten sich bestimmte Symptome der Cholera, Wadenkrämpfe, Erbrechen u.s.w.; es waren einige böse Stunden, doch schien gegen 4 Uhr Alles gehoben; er lag im Schweiß, hatte wieder seine natürliche Gesichtsfarbe und einen ganz ruhigen unveränderten Ausdruck; der Arzt glaubte, ihn auf einige Zeit verlassen zu können. Kaum war dieser fort, so klagte er über furchtbare Schmerzen im Kreuz,

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dann traten Brustkrämpfe ein, die allen angewandten Mitteln widerstanden, und zuletzt ein Nervenschlag. Um 9 Uhr hatte er ausgelitten! Die letzten Augenblicke waren sehr ruhig, von dem was ihnen vorherging, laß mich schweigen und hoffen, daß seine Leiden für ihn nicht ganz so schrecklich waren, als sie uns Umstehenden erschienen. Die Aerzte meinen, daß der Zustand seiner Nerven vielmehr als die Cholera zu seinem Tode beigetragen hat und daß jedes andere hinzugekommene Uebel wahrscheinlich von denselben unglücklichen Folgen gewesen wäre. Es ist mir sehr tröstlich, daß wenigsten seine letzten Augenblicke ruhig und schmerzlos waren, und doch lag etwas Herzzerreißendes in dem Ausdruck, in dem Ton, mit welchem er den letzten Seufzer aushauchte; denn es war, als stieße er das Leben wie eine schwere Bürde von sich. Bald darauf wurden seine Züge ganz ruhig und freundlich; eine Stunde später, wo ich ihn zuletzt sah, drückten sie aber wieder das tiefste Leiden aus. [...] Nun hat er jeden irdischen Schmerz überwunden und in dem Lande des Friedens und der Klarheit, das er jetzt bewohnt, sieht er gewiß in richtigerem Zusammenhang und verzeiht, was hier menschlich gegen ihn und seine Freunde gesündigt worden ist. Ludwig Jonas an Friedrich Schleiermacher, Schwerinsburg (Pommern), 18. November 1831m Diesmal, mein lieber, werther Freund, erfüllt mich die Wiederkehr Deines Geburtstages mit besonderem Dank gegen Gott. Du bist uns erhalten inmitten der Gefahr, die nach menschlicher Weise zu urtheilen Dich nicht am wenigsten bedachte. Hoffentlich ist sie für Dich ganz vorüber. Gott sei mit Dir, daß Du ein jugendlicher Greis noch einen langen Weg gesegneter Wirksamkeit vor Dir habest. [...] Jetzt nun gar ist an ein gründliches Büchlein nicht zu denken, da die leidige Cholera vor den Thoren unseres Kreises ist und mir nicht nur die Aufsicht über die Armen- und Quartier-Pflege in meinem Kreise, sondern auch in zwei anderen obliegt. Mein Schwiegervater nämlich, der bisher die Cholera reichlich benutzt hat, das Loos der Armen zu verbessern, seitdem er die Gutsbesitzer von der Nothwendigkeit überzeugt, für gesunde Wohnungen ihrer Untergebenen zu sorgen, hat nun auch einen Beschluß der Kreisversammlung zu Wege gebracht, daß für Kleidung und Nahrung der Kreisarmen besser, als es bisher geschehen ist, Sorge getragen werden soll. Mir ist zum Theil die Ausführung dieser Beschlüsse übertragen, der ich mich mit Freuden unterziehe in der Hoffnung, nicht nur dazu beizutragen, daß die Empfänglichkeit für die Cholera verringert werde, sondern auch dazu, daß ganz abgesehen von der Seuche die Folgen der gänzlich mißrathenen Kartoffelernte weniger furchtbar werden. Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Marie von Clausewitz, Berlin, 19. November 1837489 Ich muß mich unter die Trauernden drängen, die Ihnen in diesen Tagen ihr Herz ausschütten, die mit Ihnen weinen die Ihnen sagen, wie jedes edle Herz im Herrn, wie eine Schaar treuer Freunde des theuern Seeligen mit Ihnen weint - Ich folge getrost dem unwiderstehlichen Zuge u laß mich nicht von dem Gedanken abstoßen, Ihren großen Schmerz durch den Ausdruck des Meinigen zu nähren, denn Gott hat Ihnen ein starkes Herz gegeben. Fürchten Sie nicht, daß ich Sie hier mit einem Condolenz- und Trost-Brief betrüben will -

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ich will, ich muß Ihnen nur sagen, daß ich mit Ihnen tiefes Leid trage, daß durch Ihren Verlust auch mein Herz zerrissen ist, weil ich einen treuen, lieben Freund betrauern muß - daß ich Sie aber dennoch glücklich u gesegnet preise, weil ich die gewisse Hoffnung habe Sie sehen durch Ihren Schmerz u Ihre Trauer etwas anderes als Trauer und Schmerzen, nemlich die liebevolle Hand welche dieses Trübsal ausgebreitet, Sie erkennen in Dem der meinen lieben Freund, Ihren unvergeßlichen Gatten abberufen hat, den großen Fürsten des Lebens und des Friedens! Rebecka Mendelssohn Bartholdy an Friederike Robert, Berlin, 19. November 183 l

m

So weit die freudige Botschaft, leider muß ich nun die Geschichte der vorigen Woche in derselben Gedrängtheit des Raums vorbringen; wie sie der Zeit nach sich ereignete. Unsre gute Tante Jette ist am vergangenen Mittwoch gestorben; nach vierwöchentlichem Krankenlager. Ihre letzten Tage waren ruhig, u. sie starb mit vollem Bewußtsein; die Nachricht von meiner Verlobung war ihr letzter freudiger Augenblick, sie hatte dies immer gewünscht. Du weißt, wie lieb ich sie gehabt habe, u. wie oft ich bei ihr war, diese herrliche Freundin und Rathgeberin wird mir nie ersetzt werden. Sie war lange leidend, u. ihr Tod vorauszusehen, wie entsetzt wir aber alle über Hegels plötzlichen Tod waren, das läßt sich nicht beschreiben. Wahrscheinlich werdet Ihr diese Nachricht schon vor Ankunft meines Briefs erfahren haben; nächst dem Verlust für die Wissenschaft ist es ein unersetzlicher für die arme Frau; Du kennst ihre stets exaltirte Stimmung, u. mußt wissen, welch ein Eindruck dieses Unglück auf sie machen muß: Näheres weiß ich noch nicht drüber, außer daß er erst vorgestern krank geworden war, u. keine Ahndung von seinem Tode hatte. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 19. November

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Die Sache ist aber die, daß ich [im Cholera-Hospital] eigentlich fast gar keine Zeit ganz für mich habe, sondern jeden Augenblick gestört oder abberufen werde; dann stößt auch mein Stübchen hart an den Krankensaal, und ist von demselben nur durch eine Bretterwand geschieden, so daß ich jedes Geräusch und jedes Wort höre; endlich kömmt oft noch Ermüdung hinzu, und Unaufgelegtheit zu solchen Arbeiten, die mehr Nachdenken erfordern; denn da ich jetzt nur eine Wärterin habe, so geht es mit den Nachtwachen auch wieder etwas schärfer für mich her. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 19. November 1831492 Was erstens die Cholera betrifft, so ist [es] ja die Cholera, weswegen ich Paris verlassen möchte. Denn solange sie Paris nicht bedroht, würde ich mich nicht von hier entfernen. Aber im unglücklichen Falle, was soll ich hier machen? Ich glaube zwar nicht, daß hier die Cholera auf das öffentliche und gesellige Leben einen so störenden Einfluß haben würde, als es in Berlin und Wien der Fall war. Die Franzosen sind leichtsinniger, grüblen weniger und scherzen leicht alles weg. Da sie indessen auch lebenslustiger und selbstsüchtiger als wir Deutschen sind, kann es doch kommen, daß die gesellige Heiterkeit durch die Cholera getrübt wird. Ich würde auf jeden Fall aus Vorsicht zurückgezogen leben, abends nicht ausgehen, keine Theater noch Gesellschaften besuchen, dann blieben mir also nur noch mein

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Zimmer, die Zeitungen und ein Spaziergang ins Freie [...], befreunden Sie sich schnell mit der Idee meiner Reise, da die Veranlassung, mich von Paris zu entfernen, unvermutet eintreten könnte. Die Cholera ist in England, das in Frankreich mit täglicher, schwer zu bewachender Verbindung steht. Die Epidemie kann daher jeden Tag in einem der nordischen französischen Häfen ausbrechen, und dann hat sie nach Paris nur noch einen Sprung [zu] machen. Bis sie hier ausbricht, darf ich natürlich nicht warten, sondern ich muß schon weggehen, sobald sie sich in einem Seehafen zeigt. Von der Seite des Mittelländischen Meeres, wohin ich meinen Weg richten will, ist bis jetzt weniger zu fürchten, denn im Winter hört dort die Schiffahrt zwischen England und den anderen angesteckten nordischen Gegenden fast ganz auf. Übrigens ist Frankreich groß, ich kann mich hinwenden, wo ich will und eine Gegend für eine andere verlassen. Und kann man auch nicht sicher berechnen, wo man vor der Cholera sicher ist, so ist mir doch nur daran gelegen, nicht in Paris zu sein, sondern an einem kleinen und seines Klimas wegen günstigeren Orte. Clemens Brentano an Apollonia Diepenbrock, Frankfurt/Main, 20. November 183lm Ich bin seit mehreren Tagen damit beschäftigt, den Plan meines Testamentes zu entwerfen, ich habe Herrn Dietz eine Skitze davon mitgetheilt, und sehe einer Erklärung entgegen. Reich wirst du nicht dabei, aber siehst vieler Arbeit entgegen, denn du mußt ein kleines Armenkinderhaus zur Ehre der Seeligen Emerich in Münsterland gründen, wozu dir eine Summe vermacht wird, außerdem erhältst du F. 12000 zum Erwerb eines Hauses für dein Institut in Coblenz, wodurch dir lebenslänglicher Unterhalt und Theil an der Direction des Hauses bleiben, deine Nachfolgerinn in diesem Besitz und Recht mußt du ernennen, und diese wieder die Ihre u.s.w. Dr. Bethmann an Samuel Hahnemann, Burgk, 20. November

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Ihren Aufruf über die asiatische Cholera habe ich. Er macht Aufsehen, besonders die Ansteckungsart durch „miasmatische lebende Wesen". Einzig und allein Ihre Erklärung giebt den Schlüssel zu so vielen oft widersprechenden Thatsachen, und löst alles in Einklang und Wahrheit auf. Aber auch keine der übrigen Erklärungen hat seinen Gegenstand mit solchem Scharfsinn beleuchtet. - Ich glaube, daß die Homöopathie, in der Meinung des großen Publikums, ungeheure Fortschritte, eben durch die Cholera macht. Und innig und herzlich freue ich mich, daß Sie, theuerster Lehrer! diese großen Triumpfe noch erleben, daß Sie noch den süßen Lohn, den erhabensten Dank der Mitwelt einerndten für so viele, für so ungeheure Mühen und Opfer. Leopold Ranke an Heinrich Ranke, Berlin, 21. November 1831*95 Heydler ist ein wenig ein Philister geworden, was ihn herrlich läßt; er ist recht fromm, doch habe ich nicht gesehn, daß er davon Mißbrauch macht; ich will sagen, daß er es viel zeigte (prae se ferre) und unnütz einmischte. Er bettelt für die durch die Cholera in der Umgegend arm Gewordenen; er hat wirklich eine neue Entwicklung in sich selber genommen.

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Soweit bin ich also entfernt, an den Tod zu denken, daß ich erst hoffe, recht anzufangen zu leben. Bei den Listen derer, die an der Cholera gestorben, mußt Du nicht immer an mich denken. Allein man kann allerlei Tode sterben: wenn es Gott gefällt... Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, London, 21. November 1831Ш Meine Gesundheit hat sich seit acht Tagen merklich gebeßert, indeßen doch noch nicht so weit, daß ich die große Welt frequentiren kann - ich habe sehr gelitten. Lebe Du wohl, mein Theurer, gegen Cholera kann ich nicht beßres empfehlen als morgens und abends Frottirung des Unterleibs mit Bürsten, sanfte, je nachdem man es ertragen kann. Dieses giebt dem Unterleib viel Kraft und Thätigkeit, dann, wie man Kälte oder Frost fühlt, ein paar Tropfen Kamphergeist Spirit. Campher auf Zu[c]ker, ins Bett gelegt und leichten Münzen Thee, Mentha, allenfalls mit Zugabe von etwas Holder, bis sanfter Schweiß erfolgt. Übrigens regium [?] id est Enthaltung aller den Magen erschlaffenen Speisen, rohem Obst, Limonaden u. derg., und man kann ruhig vor der so gefürchteten Cholera seyn. Sage dieses der Schwester. Ernst von Feuchtersieben an Romeo Seligmann, Wien, 21. November 1831497 Quoad literas sind die neuesten Briefe aus Paris v. Börne (1832) das interessanteste, was vorkommt; ich habe eine Stelle daraus eigens copiert, die Dich, auch wenn Seuche u. Tod um Dich wüthen, erschrecken u. schütteln wird. [...] Ein neues Lustspiel von Deinhardstein „Der Egoist" hat mißfallen; ein neuestes v. Bauernfeld „der Stadtmusicant von Augsburg; altteutsches Lustspiel" wird erwartet. - Eine Broschüre an's Landvolk üb. d. Cholera v. Castelli, ist fast so interessant als Börne. Leopold von Henning an Johann Friedrich Cotta, Berlin, 22. November

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Euer Hoch und Wohlgebohren - werden ohne Zweifel bereits aus den öffentlichen Blättern erfahren haben welcher überaus schmerzliche Verlust uns durch den am 14ten d. M. an der Cholera erfolgten Tod des Herrn Professor Hegel betroffen hat. Wir waren um so weniger darauf gefaßt, dieser unheilvollen Krankheit noch ein so großes und theures Opfer fallen zu sehen, da schon seit einigen Wochen die Zahl der täglich Erkrankten sich dergestalt vermindert hatte, daß es fast Niemand mehr einfiel sich und die Seinigen als von der Epidemie bedroht zu betrachten. Aus meiner Kenntniß von dem zwischen Ihnen und dem Verewigten stattgefundenen innigen und freundschaftlichen Verhältniß, würde ich nicht Anstand genommen haben, Ihnen daher die Trauerkunde zugehen zu lassen, wenn ich nicht dadurch, daß mein Söhnchen gleichfalls von der (durch rasches Einschreiten glücklich gehobenen) Krankheit befallen worden, die vorige Woche durchaus in der unglücklichsten Spannung mich befunden hätte. Die Krankheit unseres seeligen Freundes hat keine zwey Tage gedauert; von einer Anstekkung ist keine Spur zu entdecken, dahingegen scheint eine an einem stürmischen Novemberabend statt gefundene heftige Erkältung die unmittelbare Veranlassung zur Erkrankung gewesen zu seyn. Die Krankheit ist erst am Todestage von den Aerzten entschieden zur Cholera erklärt worden, da die meisten der gewöhnlich vorkommenden erschreckenden

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Symptome fehlten und sich auch nicht eingestellt haben. Der Verewigte selbst ist ohne Kenntniß von dem Charakter seiner Krankheit und der Gefahr seines Zustands geblieben und sein Tod ist, eine Bannzeit der Desperation abgerechnet, allem Anschein nach schmerzlos und sanft gewesen — Es wird Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin erfreulich seyn zu erfahren, daß die Frau Professor Hegel sich körperlich wohl befindet und ihren unersetzlichen Verlust mit christlicher Ergebenheit und der würdigsten Fassung erträgt. Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 22. November 183lm [...] Hier unter seinen geistesverwandten Freunden, hier unter denen, in denen Er selbst, das geistige, ewige in ihm fortlebt, hier wo ich, wenn mich dürstet, mit dem Wasser seines Lebens getränkt werde - hier wo sein Name so verherrlicht ist, wie nirgends, nur hier bin ich zu Haus - die natürliche Heimath steht der geistigen nach. - Ihr mögt es Schwärmerei nennen - ach, Ihr wißt nicht - wie ruhig, erhaben u. wie beseeligt ich bin, von dem was mir geistig durch ihn geworden ist - sind es auch nur Nachklänge, ist es auch nur ein Glauben u. nicht ein Schauen, so ist es doch genug mir Ruhe u. Frieden zu geben u. mich zu erheben über alle gemeinen Thränen. Aber das arme Herz ist nicht immer gleich stark - ich muß von Ihm gehalten u. gehoben u. gescholten werden, das bin ich gewohnt, an seine Stelle treten nun seine Freunde - sie betrachten mich mehr als jemals als die ihrige, als die Seinige, u. ich betrachte sie als meine Vormünder, die aus dem großen geistigen Vermächtnis, was Er bei ihnen niedergelegt hat, mich von seinem Geiste fortnähren u. kräftigen u. erhalten. - Sie sind auch die Vormünder meiner Kinder - ach Du fühlst nicht wahr liebste Mutter, Du fühlst es, daß ich nur hier so stark seyn kann, wie ich jetzt bin. - Ich werde mit Euch wohl von ihm reden, Euch von Ihm erzählen, aber da ist keiner außer Gottlieb (der vielleicht auch nicht mehr ganz einer der Seinen ist, wenn er es sonst war) der mir von ihm etwas mittheilen u. erzählen kann. Ach wärst Du hier liebe Mutter u. sähest wie glücklich ich bin, wenn Dieser u. Jener kommt u. Jeder was mitbringt, jeder etwas her[r]liches Erhebendes von Ihm u. das ist nicht etwa die erste Aufregung, der erste Schwung, nein es ist etwas Bleibendes. Seine Freunde verlassen mich nicht, sie haben ihre Freude an mir, daß Gott mir so viel Kraft gibt, meines Hegels nicht unwehrt zu seyn. Sie halten etwas auf mich u. freuen sich, daß ich doch noch ein wenig mehr bin, als ein gutes Kind. - [Weil], sie wissen es, daß ich mich auf sie stütze u. daß ich doch noch zu etwas nütze bin, thun sie als ob sie mich brauchten. Wirklich habe ich jetzt alle Hände voll zu thun - Arbeit auf lange Zeit hinaus, die auch nicht verschoben werden darf. Hegels Papiere, Briefe, Manuscripte zu ordnen, Auszüge aus seinen Briefen an mich von seinen Reisen zu machen, die zu seiner Biographie (die den Anfang mit dem Erscheinen seiner sämtlichen Werke machen soll). Seine verstreuten Schriften zu sammeln, hat Förster übernommen - ich soll ihm dabei zu Hand gehen - habe mich mit seinen entfernten Freunden Niethammer, mit der Paulus, mit allen, die Briefe von ihm haben, in Rapport zu setzen - muß davon auswählen helfen in seinem Sinne, was die Welt davon erhalten soll u. was nicht. Die lieben Freunde, die sich seine geistigen Vermächtnisse getheilt haben, sind mit Feuer Eifer dahinter her, es soll der erste wie wahre Anteil an dem Verstorbenen, der Schlag, den sein Tod in die Welt hinein gemacht hat, benützt werden; sie gehen mit dem lebendigsten Interesse schon jetzt jeder an seine Arbeit - u. welche Arbeit, welche Aufgabe hat jeder übernommen - u. die Frau soll davon laufen u. nicht einmahl Handlanger Dienste thun. - Meine Jungen sind zwar auch dabei ehrliche Handlanger, be-

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sonders Karl, dessen gut geschriebene Hefte von der Geschichts- u. Religionsphilosophie wohl zu brauchen sind. - Aber die Mutter muß doch auch mit dabei seyn u. will mithelfen u. alles mitwissen. Mit Buchhändler Duncker ist ein Contrakt zwar nicht abgeschlossen - aber seine Bedingungen sind so honett, er ist ein so sicherer, redlicher Mann, nimmt selbst so warmen Antheil an der Sache, daß ich dafür bin, darauf einzugehen. Cotta wird es übel nehmen, soll auch nicht ganz umgangen werden, aber wenn er nicht viel viel mehr verspricht, bekommt er es nicht. - Duncker will für den Bogen 3 Frd. geben, auf zwanzig Bände ist das Ganze wenigstens berechnet - doch dies bleibt unter uns. — Was immer Deine Sorge um mich betrifft liebste Mutter, so beruhige Dich. - Sage Dir als fromme Christin: Meine Marie wird der Cholera u. dem Tode nicht entlaufen, wenn ihr ein Ziel gesetzt ist ist ihr ein Ziel gesetzt, so kann sie alle Tage in Nürnberg oder hier die Tausendste seyn die stirbt, soll sie erhalten werden u. gesund bleiben, so bleibt sie auch am Kupfergraben gesund. Ich bin keiner Gefahr preisgegeben, unsere Wohnung ist heiter u. gesund, wir haben kein Wasser im Keller u. haben wir es, so hat es die halbe Stadt. Noch ist keiner am Kupfergraben an der Cholera gestorben u. der Einzige hat sie sag ich mir - sagt die halbe Stadt auch nicht gehabt - eine intensife Cholera heißen sie es, eine Cholera ohne alle äußere Symptome - wäre die Cholera nicht in Berlin, würde es Stickfluß oder Gott weiß was heißen. - Sein Ziel war gesetzt - sein freier her[r]licher Geist konnte keine alternde kränkliche Hülle brauchen, drum hat er sie abgestreift, u. aus besonderer Gnade von Gott. So leicht u. schmerzensfrei, daß man sich wohl wünschen möchte, so hinüber zu schlummern. Wäre Ansteckung, so hätte ich, die ich ihn 2 Tage u. eine Nacht gepflegt, sie wohl von seinen Lippen geküßt - die klugen Herrn haben alles, denn es will das Gesetz, desinficirt, meine Betten fortgeschlept, nichts was im Zimmer war heraus gegeben, aber keinem von den drei Herrn ist eingefallen zu sagen „liebe Frau waschen Sie sich, ziehen Sie andere Wäsche an", daran hat keiner gedacht, weil keiner im Grunde seines Herzens an Ansteckung glaubt, u. hier vollends selbst nicht recht wissen, wie sie daran sind. Ich quäle mich nicht mit den Gedanken, es sey nicht das Rechte gethan worden, obgleich nichts von dem allem, was wir für die Cholera angeschafft haben, gebraucht wurde - alle Bedingungen, die die Heilung bewirken, waren da, u. durften nicht erst hervorgebracht werden. Schweiß, immer gleiche Wärme, Erbrechen von Galle pp., keinen Krampf, keine von all den Symptomen - wo ist denn diese Cholera gesteckt. Nach Rust hatte ich geschickt, der war krank - er hat sich in der Geschichte der Cholera viele Feinde gemacht u. sich durch seine zwecklosen Anstalten einen Schandpfahl gesetzt. Sollte aber einem von uns was begegnen, so schicke ich doch zu ihm. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 22. November 1831х0 So schicke mir nur noch vor Weihnachten 2 Medaillen in Bronze von unserem theuern Unvergeßlichen. - Von allen Seiten werden mir die wärmsten Beileidsversicherungen aufgetragen. Hat es vielleicht Gottlieb vergessen, Dir zu sagen, daß auch Präsident v. Feuerbach ihm solche schriftlich bezeigte, u so sind gar viele seiner Verehrer bei uns, die schmerzlich berührt sind. Uiber Dein Kommen zu uns fühlen wir alle mit Dir, daß Du in diesem Augenblick nur nach Berlin gehörst, wo Du in einer geistigen Verbindung lebst, die wir Dir hier Dir nicht erse[t]zen könnten, daß Deine lieben, guten Söhne die größten Ansprüche an Dich haben, u Du zu Ihnen gehörst. Wenn aber meine gute Mari[e], wenn Dein

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lieber Karl in den ersten Briefen wiederholend sagte, bei mir, bei Deinen Geschwistern würdest Du Erholung u Befriedigung finden, so vermehrte dies nur unser aller Wunsch, Dich bei uns zu haben, u wir beten, u hoffen Gewährung. Erhalte Dich in dieser ersten Dich so sehr ergreifenden harten Lebensperiode nur so viel an Dir liegt, gesund, das nur wie Du weißt ist meine größte Sorge; unsere Vereinigung stellen wir dem anheim, der uns alles Gute giebt, was wir bedürfen, mehr als wir bitten u verstehen! Und so sey denn Du, so seyen Deine Kinder, die Gott ferner behüten wolle - ihm empfohlen. Mein Gebet wacht mit mir auf, u mit ihm lege ich mich nieder. Caroline von Rochow an Klara von Pfuehl, Merseburg, 22. November 1831501 Die traurigen Fälle in diesem Jahr scheinen noch immer kein Ende zu finden; und zu diesen muß ich den Tod v. Clausewitz rechnen, der mich wahrhaft geschmerzt hat. Seine arme Frau verliert geradezu alles mit ihm, denn nicht einen Augenblick hat das Gefühl, das sie für ihn als Braut empfunden, an Lebhaftigkeit verloren. Kinderlos ist sie auch; ihre Mutter wird nicht mehr lange leben, und Kränklichkeit hat deren Geist so gedrückt, daß sie in allen Lebensbeziehungen eher eine Last als ein Trost ist. [...] Es ist doch auch eine recht sonderbare Sache um diese Krankheit! Hätte man nicht glauben sollen, daß, wenn er dafür Empfänglichkeit besaß, er sie beim Tode des Feldmarschalls bekommen würde? Er aber entgeht dieser Kontagion, um ihr in seiner Häuslichkeit in Breslau, wo ihm alle Hülfsmittel der Vorsicht zu Gebothe standen, zu erliegen! Wie viel schreckensvoller für die Frau, die sich so sicher fühlen mußte, nachdem er der ersten Gefahr glücklich entgangen war; und doch, welche Gunst des Himmels, ihnen noch die achttägige Vereinigung zu gönnen, und ihr den Trost, ihn bis zum letzten Moment pflegen zu können. Clausewitz war des morgens ganz wohl aufgestanden, hatte von 9-11 Artillerie-Vortrag, während welchem Marie ihrer Mutter noch einen ganz lustigen Brief schreibt. Darauf wird ihm unwohl; auf Maries Bitte geht er zu Bett, sie schickt zum Arzt, um 12 zeigen sich die Symptome der Cholera, weichen den angewendeten Mitteln, aber Nervenkrämpfe folgen darauf, und abends 9 Uhr ist er schon tot. Adele Schopenhauer an Johann Wolfgang von Goethe, Bonn, 22. November 1831502 Theurer Vater, der historische Theil Ihres Briefes, ich meine den welcher die Cholera und die Kupferstiche behandelt, ist bereits in einem Billet[t]e beantwortet, von welchem ich hoffe daß Frau Ottilie es richtig besorgt hat. Wir wären nun auf dem Puncte, von welchem aus meine Erzählung anfangen kön[n]te, wäre von so still hinlebenden Menschen etwas wirklich Interessantes zu berichten, die Mama ist fleißig, heiter, hat manchen Zeit gemäßen Aerger mit ihren Buchhändlern, liest Victor Hugo, mit einem Eifer als wäre sie 18 Jahre, will Diät halten, vergißt es wieder, und läßt die Cholera seit wir Bonn betreten haben ruhig seyn. Ich selbst bin etwas verdrießlich, mußte diese Hydra zu so viel Menschen fressenden Mäulern noch ein Phantom Maus haben [?] mit welcher sie unnützer Weise meine Hoffnung verschlang? ich meine die nach Weimar zu kommen. Fast bin ich überzeugt, vor dem Frühlinge erreicht das Ungethüm Weimar nicht, und mir war so nöthig Sie Alle zu sehen, und mich an Ihrer Nähe wieder zu erfrischen! So lange man eben auf der Erde bleibt wird man die großen Bedingungen des Raum und der Zeit nicht los, eben deßhalb muß man Trennun-

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gen von Menschen mit denfen] man fortzuleben, fortzufühlen gesonnen ist nicht allzulang ausdehnen. [...] Hegels Tod macht hier großes Aufsehen, das größte aber ohne Zweifel bei meinem Bruder den die Cholera nach Frankf. getrieben. Wir haben uns einander schriftlich genähert wie nah wir uns kommen können, kan[n] ich noch nicht sagen von beiden Seiten ist noch vieles ganz Unerörtertes u. von beiden Seiten Narben! - Gebe der Himmel leidliches Auskommen. Karl August Varnhagen von Ense an Karl von Rotteck, Berlin, 23. November 1831m Wir haben hier unter den Opfern der tückischen Krankheit, von der Ihre Gegenden verschont bleiben mögen, zur allgemeinen Bestürzung auch Hegel zu betrauern. Er war ein edler und tiefer Geist, ein wahrer Erfinder, und so in das Ursprüngliche und Eigenthümliche seines neuen Denkens eingehüllt, daß ihm das zu allgemeiner Brauchbarkeit Populäre fremd und fast unverständlich war. Seine Lehre ist doch freisinnig, und sein Handeln war fest und trotzig, wo es galt. Nur in Vorausetzungen war er zu freigiebig, und schien dadurch manchen Leuten servil, die seine Unkunde nicht voraussetzten. Oberlehrer K. an Johann Christian August Heinroth, Magdeburg, 24. November 1831504 In jedem Stadtviertel sind hölzerne Häuser, in deren jedem ein Chirurgus mit allen nöthigen Medicamenten, 2 gelernte Krankenwärter und 2 Krankenwärterinnen Tag und Nacht sind, daneben ist ein Bureau, in dem einer von den Commissarien und 1 Secretair sich befindet, bei diesen werden die Erkrankungen gemeldet, worauf sogleich der Chirurgus mit einem Wärter hingeht, dann der Bezirksarzt gerufen wird, der in der Regel vom Commissarius begleitet wird, aber ohne alle Choleraanzüge und Präservative. Zum Transporte der Erkrankten bedient man sich der Tragekörbe, die oben mit Wachstuch verschlossen und unten durch 3 Spiritusflammen erwärmt werden. Das Vernichten der bei Cholerakranken gebrauchten Sachen hat aufgehört, die Meubles werden nur mit Chlor geräuchert, die Betten und Wäsche aber ausgekocht, wozu ein eigenes Haus eingerichtet ist. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 24. November 1831505 Jene schwer Kranke, deren ich oben erwähnt, hat uns durch eine wohl in ihrem Charakter liegende, und durch die Krankheit nur erhöhte Unbändigkeit viel zu schaffen gemacht. In der vorletzten Nacht trieb sie es mit Schimpfen und Toben und Umsichschlagen so arg, daß die andern Kranken davon aufwachten, und eine gute Seele zitternd und bebend aus dem Bette herauswollte, um mir beizustehen, in der Furcht, die Person würde mir ein Leides zufügen. Aber wie schon öfter in dieser Zeit, so machte ich auch hier wieder die Probe, was selbst über solch Gemüther und in solchen Zuständen eine ruhige Willenskraft vermag. [...] Im Ganzen freilich ist die Erweiterung der Menschenkenntniß, die man in einem CholeraHospital erlangt, nicht von der angenehmsten Art; indessen hat es, denke ich, auch seinen großen Nutzen, die Menschheit einmal von ihrer Schattenseite kennen zu lernen. Richtend mich zu erheben über diese armen versunkenen Menschen, das kann mir nicht einfallen, sobald ich die ungünstigen Verhältnisse, worin sie aufgewachsen, mit denen vergleiche, in welche die freie Gnade meines Gottes mich versetzt. Dabei ist mir denn freilich auch mein fester Glaube an die endliche Bekehrung aller Sünder ungemein tröstlich und ermunternd.

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Ich weiß nicht, ob ich manchem Trunkenbolde, mancher liederlichen Dirne der Krankenpflege hätte erweisen können, wenn mir nicht immer der liebliche Gedanke vorgeschwebt: es kommt doch einmal die Zeit, da auch diese Seelen mit dir vereint vor dem Throne Gottes anbeten, und seinen Namen wohl auch wegen dieses ihnen bewiesenen Liebesdienstes loben werden. Marie von Omsewitz an Gräfin von Dernath, Breslau, Mitte/Ende November 1831506 Alles [bei der Bestattung von Clausewitz] mußte leider ganz den für ähnliche traurige Fälle gegebenen Vorschriften gemäß stattfinden, und ich durfte nicht einmal eine Ausnahme wünschen, die gewiß einen üblen Eindruck auf das Publikum gemacht hätte. Das war sehr, sehr traurig, doch hatte ich dabei wenigstens den Trost, daß er den letzten Verordnungen zufolge auf dem Militärkirchhofe vor dem Ohlauer Thore begraben werden durfte. Und mein lieber Bruder ließ es sich nicht nehmen, ihm die letzte Ehre zu erweisen; es gelang ihm, in der Dunkelheit durch die Wachen zu dringen und bei der Beerdigung gegenwärtig zu sein; auch hatte er vorher sich von den Wächtern die Erlaubniß zu verschaffen gewußt, bei den letzten traurigen Geschäften gegenwärtig zu sein und dem lieben Verstorbenen einen von Hedwigs Hand geflochtenen Lorbeerkranz selbst auf die Brust zu legen. Dies bleibt aber unter uns, da es gegen die Verordnung war und den Leuten, die es erlaubten, Verantwortlichkeit zuziehen könnte! Es war für Hedwig und mich eine große Angst, und flehentlich baten wir ihn, davon abzustehen; er wollte sich aber nicht dazu bewegen lassen, und nun es ihm gottlob nicht geschadet hat, ist es mir freilich eine große Beruhigung, daß er es that und daß diese letzten theuren Pflichten nicht lauter fremden Händen überlassen blieben. Am Sonntag um 12 Uhr war eine religiöse Feierlichkeit am Grabe, der die ganze Garnison beiwohnte. Die Rede, die dort gehalten wurde, werde ich noch erhalten und Ihnen schicken; die zwei ersten Verse und der letzte aus dem Liede: „Meine Lebenszeit verstreicht!" wurden dabei gesungen und von der Musik des 11. Regiments, Wilhelm Radziwill, begleitet. Gern, gar zu gern hätte ich dieser Feierlichkeit beigewohnt, wenn es hätte geschehen können, ohne mich allen Augen preiszugeben. Adelheid Zunz an Meier Isler, Berlin, [Ende November] 1831501 Mein Zunz vermochte nicht länger zu diktieren und sein devoter Secretair nimmt für sich die Feder, um Ihnen zu sagen, daß nicht jede Krankheit in Berlin die Cholera ist, wenn auch mein Männchen von einem schmerzlichen Unwohlsein heimgesucht war. Gottlob er ist seiner gänzlichen Herstellung sehr nahe, wie mich soeben Dr. Lehwess versichert, und deshalb kann es Ihnen, mein werther Freund auch ganz gleich sein, mit welchem pomphaften Namen die ärztliche Sprache dieses Übel benennt. Daß die Berliner gelehrte Welt (fast noch mehr die ungelehrte) ihren Philosophen verloren hat, welcher trotz seiner eigenen auch der des Epikur etwas zu viel huldigte und sich darin den Tod geholt hat, werden Ihnen die öffentlichen Blätter wohl bereits gesagt haben. Wer den Professor Hegel ersetzen wird, beschäftigt jetzt viele Köpfe und heute Abend werden Sie, falls Sie ein gutes Gehör haben, viel darüber debattieren hören. Werden die getauften Juden von Gottes Gnaden auch noch zu den Juden gezählt, und sind so der Cholera übergeben?

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Henriette Paalzow an Sibylle Mertens-Schaaffhausen, Berlin, 26. November 183 lm Welch leuchtende Sterne sind am vaterländischen Horizont untergegangen, alle dieser Krankheit erliegend! Gneisenaus Tod traf uns wie eine verlorene Schlacht. In einer Woche starben Hegel und Clausewitz, welche Männer! Clausewitz ist Dir vielleicht vom Rhein her bekannt - gewiß ein bedeutender Mensch! Wenn man das Glück dieser Ehe kannte, dann begreift man nicht, daß ein weibliches Wesen die grauenhaften Klagen von neun Stunden, in denen Tod und Leben lag, überlebt, und welch ein verödetes, farbloses Dasein liegt nun vor ihr! Jacob Grimm an Karl Hartwig Gregor von Meusebach, Göttingen, 26. November 1831s09 [...] ich war seit dem herbst 1817 gar nicht aus den thoren von Cassel gekommen, auszer zuweilen nach dem langweiligen Göttingen, wohin ich nun leider ganz verschlagen worden bin; endlich kam es nun diesen herbst zur lang vorgehabten ausreise nach Schwaben und der Schweiz, und zwar wurde sie mit einer art wagendem muth angetreten, denn man erwartete damals mit jedem postwagen die cholera aus Heiligenstadt oder Duderstadt; allein das wetter war zu schön, und ich konnte, wenn sie einrückte, in jedem fall sehr schnell heimkehren. [.·.] Die cholera hat uns noch keinen verwandten oder freund getroffen (doch Val. Schmidt hat mir leid gethan), Gott sei lob und dank! - an uns läszt er sie vielleicht neben vorbeiziehen, wie auch das hagelwetter einzelne striche und plätze verschont. Vielleicht ist's aber anders beschlossen, und dann denken Sie ebenso ängstlich an uns, wie wir an Sie gedacht haben und denken. Friedrich von Gentz an Johann Philipp von Wessenberg, Wien, 26. November 1831510 Mit äußerstem Leidwesen habe ich vernommen, daß Ihre Gesundheit in der letzten Zeit sehr gelitten hat. Sie besitzen aber eine Lebens-Fähigkeit, und eine Geistes-Heiterkeit, mit der man hundert Jahre alt wird; und ich bin gewiß, daß eine Veränderung der Luft, und ein paar Monate Ruhe, Sie schnell wieder herstellen werden. Ich weiß aus eigner Erfahrung, daß man nur von Innen heraus lebt - und stirbt. Aeußre Conjunkturen werfen mich nicht um; ich habe der Cholera, als ganz Wien vor ihr zitterte, nicht nur mit Seelen-Ruhe, sondern mit Stolz und Hohn getrotzt; so überzeugt war ich, daß sie mir nicht beykommen konnte. Meine einzige schwere Krankheit ist der Mangel an Geld; und diese drückt mich mehr als jemals. Ich habe mich vor geraumer Zeit mit einem Hilfs-Ruf an Sie gewendet; daß Sie mir nicht geantwortet haben, verzeihe ich Ihnen, da Sie mir vermuthlich nichts Tröstliches sagen konnten. Heinrich Stieglitz an Friedrich Jacobs, Berlin, 27. November 18375" Ein schmerzlicher Verlust hat in den letzten Tagen die hiesige Universität und überhaupt die Wissenschaft getroffen in der Beute, welche die bereits im Scheiden begriffene Krankheit mit sich fortriß. Hegel starb, wie Ihnen wohl schon öffentliche Blätter verkündet haben, an der Cholera; sein Sterben war fast nur ein Hinüberschlummern. Welchen Standpunkt dieser tiefe Denker in der Entwicklung der neuesten Philosophie einnimmt, das müssen,

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

wenngleich unwillig anerkennend, selbst die Feinde seines Systems zugeben; mir ist ein wahrer und treuer Freund in ihm dahingeschieden. In die innern Tiefen des Gedankens hat mich seine Lehre zuerst eingeweiht, und wie ich auch im Einzelnen - besonders in der Kunstansicht - von ihm abzuweichen mich gedrungen fühlte, immer wird sein Andenken mir heilig und aus meiner Seele unvertilgbar sein. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 27./28. November 1831512 Warum erschrecken Sie denn, sooft ich meine Briefe plötzlich schließe? Warum soll denn plötzlich eingetretende Krankheit schuld daran sein? Sie sollten doch wenigstens ihre eigene Ängstlichkeit zu deuten wissen und sich nicht von ihr beunruhigen lassen. Ich werde künftig, sooft ich gestört werde, ein munteres Wort hinzufügen, einen Fluch gegen den Störer oder ein Hurra, juhei. [...] Die Cholera ist jetzt auch in Holland. In England soll sie keine großen Fortschritte machen, wenn die Berichte aufrichtig sind, woran man zweifelt. Die Ärzte dort fürchten sich, die Wahrheit bekannt zu machen, denn sie stehen unter der Zensur des Volkes, das sie durchprügelt, wenn sie von der Bösartigkeit der Cholera sprechen. Es ist recht komisch.

Karl Leberecht Immermann an Ludwig Tieck, Düsseldorf, 28. November

183l5n

Aufrichtig gesagt, ich bin wegen der Zukunft bange. Diese Pestscheu wird mit ihrem heimlichen, nagenden Einfluße noch den letzten Rest der Regsamkeit und des Muthes, der in den Menschen geblieben war, aufzehren. Ein sonderbarer Zufall ist es, daß in jeder Epidemie zu Berlin der Philosoph sterben muß; Fichte am Typhus, Hegel an der Cholera. Ist es wahr, was man sagt, daß eine Indigestion die Sache veranlaßt hat, so liegt in dem Ereigniße eine Ironie, die kein gemachter Ernst hinwegtilgen kann. Da dem Preußischen Staate nunmehr der Begriff fehlt, so möchte man ihm rathen, es einmal zur Abwechslung mit der schlichten Natur zu versuchen. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 29. November 1831514 Wie leid ist es mir, meine geliebte Mutter, eine Hoffnung in Ihnen so lebhaft erregt zu haben, die sich nun doch nicht erfüllen läßt! Ach, ich schmeichelte mir ja selbst damit! Gestern Morgen beim Aufwachen dachte ich so recht zuversichtlich: übermorgen! Ich schrieb deshalb auch an Dr. Siemers. Aber seitdem haben sich die Umstände verändert, und in diesem Augenblick kann ich wirklich noch nicht daran denken, morgen schon das Hospital zu verlassen. Es sind 5 Kranke zugekommen, darunter ein Engländer, der kein Wort Deutsch versteht. Herr В., der Oeconom, hütete gestern das Bett und ist noch heute sehr unwohl, was denn natürlich auch die Frau in Anspruch nimmt. Ich bin die Nacht nicht aus den Kleidern gekommen, und finde jetzt, 6 Uhr Abends, zuerst die Möglichkeit, mir einige Augenblicke zu stehlen, um diese Zeilen im Krankensaal, umgeben von stöhnenden und plaudernden Kranken und Genesenden, zu schreiben.

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Briefe Herbst 1831 Wilhelmina Haller von Hallerstein an Marie Hegel, Stuttgart, 29. November 1831515

Soll ich Dich meine theure liebe Marie, noch mehr bedauern oder mehr bewundern! So schmerzlich uns die Nachricht Deines unersetzlichen Verlustes war, die uns so überraschend schnell kam [Hegels Cholera-Tod], so erhebend waren uns Deine lieben Grüße, die bewundernswürdige Fassung, der Gott ergebene hohe Sinn den sie athmen, wie tröstend u. beruhigend mildern sie die bange Sorge um Dich. Mit einem solchen Gemüth gewinnt das Unglück nichts über Dich, Du hast den festesten Stü[t]zpunkt erfaßt, denn Deine Liebe u. Dein Glück binden sich nicht an diese arme Welt. Der 1. Gott hat Dir ungemeine Kraft verliehen, u. wir können nichts thun als ihn bitten, sie Dir geistig u. körperlich zu erhalten, u. Dich in Deinen lieben Söhnen das Glück erleben zu lassen, das Dein Herz noch erfüllen kann. Deinem Auftrag liebe Marie, konnte ich nur theilweise nachkommen, ich mußte es Hr. Gönz überlassen die arme Christiane mit der Schreckenspost bekannt zu machen, weil Schelling es für mich nicht geeignet hielt, da die Arme, seit Mitte dieses Monats in einem Zustand von Geistesabwesenheit sich befindet u. daher der Eindruck nicht zu berechnen war, den diese furchtbare Nachricht auf sie machen würde. [...] So gingen nun einige Tage hin, bis wir mit schmerzlicher Erschütterung die traurige Kunde in der Zeitung fanden. Noch hofften wir daß es nur ein Gerücht sein könnte, u. auf dieses hin wollte Schelling nichts unternehmen, als aber Dein lieber herrlicher Brief kam, beschloß er, es der armen Kranken anzukündigen vielleicht daß der jähe Schrecken die verirrten Geister sammeln würde. Zuerst sagte ihr Göriz - der immer als Autorität bei ihr galt - daß ihr theurer Bruder sehr krank sey. Als sie dies ziemlich gleichgültig aufnahm, so eröffnete er ihr den andern Morgen seine traurige Mission. Nun wurde sie ganz still u. erst am Nachmittag brach sie in heftiges Weinen aus. Jeanette Paalzow an Friedrich de la Motte Fouque, о. O., 29. November

183Iм

Beide sind wir, ohne krank zu sein, nicht wohl - nur unsere Stimmung, hoffe ich, ist gesund, denn sie ist still und heiter. Welche Sterne sind an Preußens Horizont untergegangen! Gneisenau, Hegel, Clausewitz! - Die edle Marie Brühl, die ihre starke selbständige Natur an der Liebe zu diesem Manne aufgegeben hatte! [...] Hegel's Tod hat mich zunächst tief bewegt - welch' ein großer Geist, welch' ein gottgesegneter Geist! - nicht wahr, Sie liebten ihn auch? - ich tröste die, die sein Werk bejammern, das seiner Unterstützung noch benöthigt scheint und sage ihnen: den, der Gottes Werk hier zu verbreiten kam, den rief er nicht früher zurück, als es an der Zeit war! Johann Gustav Droysen an Ludwig Moser, Berlin, 29. November 1831517 [...] und nun muß ich fortfahren: aber Hegel ist jetzt auch tot! Mich hat das erschüttert, nicht weil mein Lehrer, weil ein großer Mann, weil der Stolz unsrer Universität, sondern weil er jetzt gestorben ist. Das ist der zweite Tote, den uns der große Juli kostet; es scheint, als ob die Führer der beiden Parteien, die mit der neuen Freiheit kompromittiert sind, hatten sterben müssen, damit vielleicht - nichts geschieht. [...] Wir haben es verabredet, daß Niebuhrs und Hegels Weise mit dem Juli zu Ende war; aber es scheint fast mehr der Impuls des Juli selbst zu Ende zu sein. Warum sonst die Gewitterschwüle über der Welt?

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Karl Leberecht Immermann an Ferdinand Immermann, Düsseldorf, 29. November

1831ш

Mit einem recht tiefen Leidwesen hat mich gestern die erhaltne Trauerkunde [CholeraTod von Lisette Franziska Müller] erfüllt, mein liebster Ferdinand. Die Arme! Nun hatte sie seit kurzer Zeit, nach mühevollem Leben ein paar zufriedene Tage für den Herbst ihres Lebens gewonnen, ihre kleinen, bescheidenen Wünsche waren ihr in Erfüllung gegangen, und da muß sie fort! Lieber Gott, wie geht es doch hienieden zu! Die Arme! möchte ich immer fort sagen, wie unsre Freundin es gestern den ganzen Tag über ausrief. Die Nachricht hat sie ganz blaß und krank gemacht, und manche Thräne ist der Hingeschiedenen hier gefloßen. Unsre arme Mutter leidet gewiß unendlich bei diesem Fall; ach die alte gute Person war doch gar zu brav und rechtschaffen. Gestern gegen Mittag sagt mir ein Bekannter auf der Straße: Nun, in Ihrer Vaterstadt ist's ja vorbei, am 23. ist ja nur ein Mensch gestorben. - Und als ich nach Hause komme, liegt Dein Brief auf dem Tische. Man sieht, daß man sich am Ende der Sache, und noch lange nach dem Aufhören der Seuche, ganz im angenommnen Maße halten muß. Der Fall mit Hegel ist auch so ein Memento. Auch Kortüm ist ganz zuletzt attaquirt worden, jedoch genesen. Möchte ich Euch doch erst aus dieser Noth wißen, meine Geliebten! Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, Leipzig, 30. November 1837519 Hochverehrter Gönner! Einer alten Briefschuld war ich mir bewußt, daß sie aber bis auf 3 Monate herangestiegen ist, bemerke ich mit Schrecken. Uns hat hier einige Zeit die Cholerafurcht beschäftigt! Da wir aber von Berlin sehr beruhigende Nachrichten erhielten, da sie in England ist und noch nicht bei uns, da die Messe vorübergegangen ist ohne Spur einer Seuche, so sind wir wieder guten Muthes und denken wenigstens während des Winters von dem bösen Gaste verschont zu werden. Leider haust sie in Königsberg immer noch. Hoffentlich ist aber ihr ganzes Haus von jedem, selbst flüchtigen Anfall verschont geblieben. Zu den merkwürdigsten Opfern, die diese Seuche gefordert hat, gehört gewiß auch Hegel, und wenn sich nicht bezweifeln läßt, daß dieser Todesfall für die Wissenschaften und für die Philosophie insbesondere von höchst bedeutendem Einfluß ist, so gilt, wie mich dünkt, dies namentlich für Ihren philosophischen Wirkungskreis. [...] Da aber nun dieser so einflußreiche Mann vom Schauplatz abgetreten ist, so hoffe ich wird nun im preußischen Staate für Sie etwas mehr Platz werden, ja ich läugne nicht: ich hoffe Sie in Berlin zu sehen. Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, Altona, 30. November 1831520 Wir sind hier nun schon 3 Wochen von Cholera frei, unsere Hospitäler sind geschlossen, unsere Commissionen aufgehoben. In Hamburg zieht sie sich noch schwach fort. Die Aerzte streiten auf Leben und Tod über Contagiosität, und Nicht-Contagiosität, ein Streit, in den ich mich natürlich nicht einlasse. Soviel scheint mir aus unserer Erfahrung zu erhellen, dass wenn sie sehr contagiös wäre, es nicht möglich seyn würde, dass Altona, wo, da gar keine Sperre existirt, der ungehindertste Verkehr mit Hamburg ist, 3 Wochen von der Krankheit ganz verschont wäre. Wir dürfen also wohl annehmen, dass sie in unsern Gegenden ihre frühere Contagiosität bedeutend verloren hat, und dies ist immer ein Trost für Alle, die sie noch erwarten. Ehe sie kam, war hier viel Furcht; jetzt aber ist die Gleichgültigkeit dagegen ebenso stark.

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Karl Julius Aegidi an Samuel Hahnemann, Düsseldorf, 30. November 1831521 Die Cholera fördert die Liebe zur Homöopathie ungemein. Die Meisten der hiesigen Vornehmen haben Verwandte in Wien oder Frauen daher, stehen daher mit Wien in genauem Verkehr, und in Kenntnis gesetzt von den überraschenden Resultaten, welche die Homöopathik in der Cholera dort geleistet, hat man sich allgemein hier für diese Behandlungsweise in der Krankheit erklärt und von allen Seiten habe ich Aufforderungen erhalten zum Beistande, sofern die Seuche bis hierher vordringen sollte. Samuel Hahnemann an Clemens von Bönninghausen, Kothen, 30. November 1831522 Berlin ist noch unendlich von einer so zeitgemäßen Bekehrung entfernt; es hat auch jetzt beim Herrschen der Cholera sich bloß von seiner bösherzigen und verleumderischen Seite gezeigt, ungedemüthigt durch die erbärmlichen Erfolge Ihrer bisher für rationell gepriesenen tödlichen Quacksalberei. Mit Recht glaube ich dieselben Ihrem Könige in meinem offenen Sendschreiben denuncirt zu haben. Gott öffne dem menschenfreundlichen Monarchen endlich einmal die Augen! Carl Ludwig Micheletan Marie Hegel, Berlin, [Ende November] 1831523 Wenn die wenigen Worte, die der Schmerz [Tod Hegels] mir auspresste, als ich die Jünglinge vor mir versammelt sah, welche die Lehren des grossen Mannes auch aus seinem eigenen Munde vernommen hatten, Ihren herben Qualen einige Linderung verschaffen können, so übersende ich sie Ihnen herzlich gerne, wie ich sie aus der Erinnerung soeben niederschrieb. Auch mir ist es ein Trost, sie Ihnen zu schicken, indem ich Ihnen dadurch von Neuem zu erkennen gebe, was der Verstorbene mir gewesen ist, und was ich mit ihm zu Grabe getragen habe. Doch auch den Trost werden sie darin ausgesprochen finden, den er selber mich gelehrt hat, mitten im Sturme der Zeit und bei allem Wechsel irdischer Dinge, unwankend ein Ewiges festzuhalten, das uns vor Verzweiflung schützt, und das er selbst in so hohem Maasse an sich selbst zur reifsten Entwickelung gebracht. Friedrich Wilhelm Bessel an Carl Friedrich Gauss, Königsberg, 1. Dezember 1831524 Das kleine trigonometrisch-astronomische Geschäft, welches ich in diesem Jahre trieb, ist durch den unnützen Lärm den die Cholera gemacht hat unterbrochen worden. Ich nenne ihn unnütz, weil jetzt, obgleich im wesentlichen nichts geändert ist, sich niemand mehr stören lässt und dieses vom Anfange an, ohne Schaden nicht nur, sondern mit Vortheil, so hätte sein sollen. Kommt dieses Uebel zu Ihnen, so möchte ich Ihnen unsere hiesige Ruhe und Sorglosigkeit wünschen. Bei mir ist diese Ruhe nicht etwa die Folge der Ueberzeugung, die Krankheit sei nicht ansteckend, obgleich ich dieses hier nicht sagen darf; ich sehe aber täglich vor Augen, dass Leute, welche Reinlichkeit lieben und Unmässigkeit vermeiden gar nichts zu fürchten haben.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von ^Nessenberg, London, 1. Dezember 1837525 Die Cholera macht bisher nur langsame Fortschritte. Ich höre, die Baiern halten noch immer strenge Quarantaine, obwohl dies alles nichts nützt, als die Leute ungehalten zu machen. Halte nur Füße tro[c]ken und Unterleib warm, hüte Dich vor vielen Gemüßen und kühlenden Getränken, Eis rechne ich zum Gegentheil und ist zu rechter Zeit willkommen noch der Verdauung gut. In Böhmen ist die Cholera auch in die Nähe von Dietteniz gekommen. Marie Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer, Berlin, 2. Dezember 1831s26 Es ist meinem Herzen Bedürfnis, Sie teurer Freund, aufzusuchen und mit Ihnen und der besten Frau von meinem Verklärten zu reden... Ich kann es noch nicht fassen, wie ich ohne Ihn leben kann und doch muß ich es - muß um Seiner wert zu sein, das Schwerste mit Fassung ertragen, muß dem Leben und meinen Pflichten noch mit Kraft angehören, so lange Gott will. Ich mache diese Anforderung mit aller Strenge an mich selbst - Gott wird mir beistehen, daß ich es kann. - Nun aber von Ihm, der unserer Erden Not und Tränen enthoben ist. Ich höre im Geiste Ihre Fragen. Sie haben so lange nichts mehr von dem geliebten Freund gehört und unvorbereitend erschreckend bringt Ihnen das letzte Wort von ihm die Zeitung. - So will ich denn ergänzen und nachholen und das unbeschriebene Blatt ausfüllen. Ach, ich kann so unendlich viel Gutes und Tröstliches sagen, womit ich mir und meinen Freunden wohl tun kann. [...] Die unglückselige Cholera machte meinen Hegel besorgt und ängstlich, oft sagte er „bei meinem schwachen Magen gehört nicht viel dazu, die Cholera zu bekommen" - ich mußte eine Cholera-Apotheke anschaffen, ein Arzt in der Nähe des Tors war für den Unglücksfall bestellt - doch pries er sich glücklich, daß wir in so gesunder, reiner Luft dort außen wohnten, die uns ja hoffentlich bewahren würde. - Ende Oktober mußten wir indessen nach der Stadt; der Anfang der Kollegien - die schlechtere Jahreszeit, die leicht gebaute Wohnung es war nicht möglich länger außen zu bleiben. - Mit der Luftveränderung klagte Hegel, es sei ihm wie einem Fisch, der von Quellwasser in Spülwasser versetzt würde, - inzwischen freute er sich jeden Abend über die Abnahme der Cholera, alle Besorgnis war verschwunden. Den 10. und 11. November fing er seine Vorlesungen an und las mit Frische und Lebendigkeit, daß alle seine Zuhörer darüber entzückt waren. - Sonnabend hielt er noch auf der Universität Examen und machte darauf ein paar Besuche. Am Abend und am Sonntag Morgen beim Frühstück heiter wie sonst, klagte er um 11 Uhr über Magenschmerz und Übelkeit - augenblicklich bring ich Tee und unsere Erwärmungsmittel, um 2 Uhr war der Arzt da; den Tag und die Nacht hindurch fortwährender Magenschmerz „der nicht sowohl sehr schmerzlich, als beunruhigend sei" - Senfteig, Blutegel blieben ohne Wirkung - am andern Morgen war er schmerzenfrei, nur matt - der Arzt beruhigt mich - der Puls hatte 90 Schläge. - Er findet ihn bei einem zweiten Besuch auffallend verändert - der Puls war bis zur höchsten Ermattung gesunken - es zog sich über das Liebe Gesicht eine eisige Kälte, aber immer volles Bewußtsein, immer die sorgloseste Ruhe, ein Gefühl einer süßen Mattigkeit. Horn wurde zugerufen, er bewillkommt ihn eine Stunde vor seinem Tode noch mit lauter, kräftiger Stimme. - Noch eine 1/4 Stunde klagt er über Mangel an Luft - verlangt zur Seite gelegt zu werden - Manuel hielt mit dem Kopfkiß das geliebte Haupt in seinen Armen

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- eine unaussprechliche Ruhe lag auf seinen lieben Zügen - es war der sanfteste, seligste Schlaf - das Entschlafen eines Heiligen. ... Wie es worüber war, nannten die Ärzte seinen Tod intensive Cholera, eine Cholera ohne alle äußeren Symptome, und machen mit diesem Wort des Schreckens dies herrliche Ende in der Vorstellung zu etwas Grauenhaftem - darum schreib' ich zu Ihrer und anderer Freunde Beruhigung so ausführlich wie es war. - Er steht mir in seiner Vollendung - im Leben und im Tod so rein und herrlich da... Ich fühle mich gehoben in dem Gedanken an ihn - glaube, was er erkannte und halte mich daran mit seliger Gewißheit fest. Ich halte mich an seine Freunde, in denen er geistig fortlebt - betrachte sie als die Vormünder meiner Kinder, durch die sie in dem geistigen Vermächtnis ihres Vaters erzogen werden. Hier wo er gelebt und gewirkt hat, unter seinen treuen Freunden und Schülern, nur hier fühl ich mich zu Hause... Meine äußere Lage gestaltet sich sorgenfrei... Gustav Magnus an Jons Jacob Berzelius, Berlin, 2. Dezember 1831521 Dass die Cholera sich auch an die Philosophie gemacht hat und Hegel daran gestorben, ist Ihnen wohl aus den Zeitungen bekannt geworden, wiewohl diese andere Krankheiten als Todesursache anführen und er mit allen Ceremonien, und nicht wie andere Choleraleichen, beerdigt worden ist. Mit ihm wird wohl hoffentlich auch die Naturphilosophie in Deutschland zu Grabe gehn. Johann Wolfgang von Goethe an Johann Ludwig Deinhardstein, Weimar, 2. Dezember 1831™ Auf die verehrliche Anfrage unter dem 16. Nov. d. J. habe [ich] schuldigst zu erwidern: daß am 19. August, an den Hochwürdigsten HE. Erzbischof Pyrker, ein Packet, mit der fahrenden Post, nach Erlau abgegangen und wahrscheinlich an der Gränze, wegen Ermangelung eines Gesundheits Passes, aufgehalten worden. Man hat deswegen von hier aus einen solchen Paß alsobald nachgesendet und hofft gemeldetes Packet werde dadurch wohl mobil geworden und zu seiner Bestimmung gelangt seyn. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 3. Dezember 1831529 Zwey Reden an Hegels Grabe, vom jetzigen Rektor Marheineke und Dr. Förster, erregen viel Aufmerksamkeit. Der erste hat ihn zum König im Reiche des Gedankens gemacht und mit dem Heilande verglichen. Förster ruft die Gegner und Verketzer des Seligen her ans Grab und verspricht solches mit allen frommen Schülern ihres Heiligen zu schützen. Die Reden sind gedruckt. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 3. Dezember 1831530 Eine große Freude hatte ich dieser Tage, indem der treue Gott, dem es ja freilich in seiner Weisheit an wunderbaren Wegen nicht fehlt, auch die Cholera zu einem Mittel machen kann, eine Seele aus der äußersten Gefahr des Verderbens zu erretten. Ein junges 22jähriges Mädchen ward zu uns gebracht aus einem schlechten Hause, wo sie gedient. Sobald ich sie auf dem Wege der Genesung sah, stellte ich sie darüber zur Rede, und erfuhr nun von ihr,

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

daß sie aus Lübeck gebürtig, und dort gemiethet worden sei, ohne zu wissen, in welches Haus sie kommen würde. Nachher aber hatte sie aus falscher Schaam ihren Angehörigen davon nichts melden mögen, sondern vielmehr geschrieben, daß sie mit ihrem Dienste recht wohl zufrieden sei. Eben diese Unwahrheit erschwerte ihr nun natürlich auch das Verlassen des Dienstes und die Rückkehr nach Lübeck. Bald indessen gelang es mir, ihr das längere Verweilen in jenem Hause so zur Sünde zu machen, daß sie den Entschluß faßte, nicht wieder dorthin zurückzukehren. Ernst Moritz Arndt an Charlotte Pistorius, Bonn, 5. Dezember 1831s31 Die Cholera und ihr Grauen werdet Ihr nun wohl schon weniger fürchten. Am Ende fügt und schickt es der Liebe Gott so, daß sie gnädig an Euch vorüberzieht, eine Hoffnung, die auch für uns und unsre Umgebung noch nicht aufgegeben ist.

Karl August Varnhagen von Ense an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 5. Dezember 1831532 Ich sage nichts von dem grossen Verluste, den wir hier erlitten haben. Seit Hegel nicht mehr da ist, fühlt man erst recht, welchen Raum er ausfüllte, und wie er wirkte. Ohne solche energische Conzentration in dem Haupt und der Hand einzelner Regenten laufen die Wissenschaften verworren auseinander und rebelliren gegen ihre nächsten Vorsteher, die ihre thörichte Freude, einer lästigen Aufsicht losgeworden zu sein, alsbald zu büssen haben. Man betreibt mit Eifer das Unternehmen einer Ausgabe der sämmtlichen Schriften Hegels, wozu auch noch mancher Entwurf, der bisher bloss zu Vorlesungen gedient, schicklich bearbeitet wird.

Ernst Moritz Arndt an Charlotte von Kathen, Bonn, 5. Dezember 183 Gottlob! die böse Cholera ist noch nicht an die Peene, geschweige darüber. Es wäre ja möglich, daß der liebe Gott sie Ihnen und unserer lieben Heimath so vorbeiführen wollte; sie wandert überhaupt jetzt langsam, und könnte vielleicht, wenn Friede bleibt, in ihr selbst aussterben. Jeder aber bete und preise Gott, wenn dieser Würgeengel an seinem Hause vorübergeht, der durch sein Geschwindes und Gewaltiges allerdings etwas Schauererliches und Grauses hat, und für Eltern zumal, welchen der Trieb von Gott eingepflanzt ist, ihre Kinder nach oben nicht vorwandeln sehen zu wollen. Amalie Sieveking an ihre Mutter, Hamburg, 6. Dezember 1831534 Präcise um 6 Uhr morgen Nachmittag stelle ich mich ein. Sehr lieb ist es mir übrigens, daß in diesen Tagen kein einziger neuer [Cholera-]Kranker hier zugekommen; ich verlasse nur solche, die sich auf dem Wege vollkommener Genesung befinden, und darf denn also die mir gestellte Aufgabe als völlig gelöst betrachten.

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Eduard Gans an Victor Cousin, Berlin, 7. Dezember 18315iS Ich war an dem Punkt, Ihnen zu schreiben, als ich Ihren Brief erhielt. Die Neuigkeit über den Tod unseres teuren und berühmten Freundes hat uns getroffen, wie sie Sie erstaunt hat; denn sie ist plötzlich gekommen, ohne daß viele seiner Freunde wußten, daß er erkrankt war. Hegel war ungefähr zwei Tage krank gewesen; er erkrankte in der Nacht vom 12. zum 13. November, und er starb Montag, 14. November, um 5 Uhr nachmittags. Die zwei Ärzte, die ihn behandelten, haben geantwortet, daß er an der Cholera starb; aber das ist unsicher, die Symptome, die gewöhnlich diese Krankheit begleiten, fehlten alle. Er starb ruhig, man kann sogar sagen philosophisch, ohne Schmerzen, bearbeitet und gebraucht durch sein Leben, ganz den Gedanken gewidmet, die lange leben werden, mit der ganzen Kraft seines Geistes. Selbst seine Feinde haben eingestanden, daß die Berliner Universität den größten Verlust erlitten hat, den sie machen konnte. Schleiermacher und Savigny haben bei seinem Leichenbegängnis geholfen; und bei der Zeremonie, die sie in der Universität hielten, hat sich der erste sehr gut betragen in dieser ganzen Angelegenheit. Die Witwe von Herrn Hegel erhält aus der Kasse der Universität eine Witwenpension von 640 ecus (2.560 francs). Man glaubt, daß der König etwas hinzufügen wird. Wir seine Freunde, wir werden alle seine Werke veröffentlichen, besonders seine Vorlesungen, für seine Familie; und der Vertrag, den wir geschlossen haben, wird ihnen, hoffe ich, die Summe von 30.000 francs geben. Darüber hinaus denken wir an ein Denkmal; und ich danke Ihnen für das kostenlose Angebot, das Sie die Güte gehabt haben uns zu machen. [...] Der Nachruf, den ich für Herrn Hegel gemacht habe, ist durch die Zensoren der Staatszeitung bearbeitet worden; ich selbst habe ihn kaum wiedererkannt. Ich habe über Sie und über Ihre gegenseitige Verbindung gesprochen; alles ist gestrichen worden, und es ist nichts geblieben von allem, was ich gesagt habe, als Ihr Name, hinzugefügt zu anderen, die Herrn Hegel niemals gesehen und gekannt haben; so druckt man einen Nekrolog in diesem Land. Friedrich von Uechtritz an seine Eltern, Düsseldorf, 8. Dezember 1831536 Die böse Cholera fängt jetzt an ihren Winterschlaf zu halten und ich hege sogar einige Hoffnung, daß wir selbst nächstes Jahr mit ihrem unangenehmen Besuche verschont bleiben sollen, Ihr wegen der Gebirge, die Euch schützen, denn das Unthier klettert nicht gern, wir weil sie ihren Lauf überhaupt mehr nach Nordwesten, nach England hinüber genommen hat. Doch fühle ich, daß diese Gründe nur eine ferne Hoffnung bieten.

Karl Friedrich Trinks an Samuel Hahnemann, Dresden, 10. Dezember 1831™ Die Cholera rückt und immer näher ... Fast fürchte ich, daß uns die Cholera nicht soviel nutzen wird, weil sie einen sehr gutartigen Charakter anzunehmen scheint. Es müssen von 5 Menschen wenigstens einer sterben, wenn die allöopathischen Ärzte ihren Credit ganz verlieren sollen; eher kommt das Publikum von seinen Vorurtheilen nicht zurück. Es ist unglaublich, welcher Mittel sich diese Menschen bedienen, um den Laien die Homöopathie verdächtig zu machen.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Privatschreiben aus Wien, 10. Dezember 1831™ Heute (am 10 December) haben wir nur zwei Erkrankte, 2 Genesene, 1 Gestorbenen und 93 in der Heilung Begriffene. In Allem waren bis heute 4035 erkrankt, 1923 genesen und 1929 gestorben. Mit Schriften über die Cholera sind wir, so wie mit Heilmitteln, überschwemmt worden. Unter den ersteren hat sich vor allen eine Broschüre unter dem Titel: „Wohlgemeinte Worte an Oesterreichs Landvolk über die Cholera", durch ihre außerordentliche Verständlichkeit für den Landmann ausgezeichnet. Der Verf. hat hierüber Belobungen von Seite der Hof- und Länderstellen, so wie von der medicinischen Facultät erhalten. Die Landstände von Niederösterreich haben 7000 Exemplare hiervon drucken und unentgeltlich unter das Landvolk vertheilen lassen. Wilhelm Werneck an Justus Radius, Salzburg, 11. Dezember 1831539 Meinen Privatnachrichten zufolge glaube ich noch immer an die Ansteckungsfähigkeit der Cholera. Es ist allerdings nicht zu läugnen, daß die geradezu ausgesprochene Contagiosity allen Verkehr mehr oder weniger hemmt, und bei unsern jetzigen Verhältnissen nicht ausführbar ist, ich will gar nicht der Schmuggelei in den Gebirgsländern gedenken, sondern nur annehmen, daß man eher verhungern muß als eine strenge Einschließung durchführen kann. Wenn uns jetzt die Pest besuchen wollte, Niemand würde sie mit Cordons aufhalten können, sie würde ebenso fortschreiten, so gemächlichen Schrittes als die Cholera. Marie Hegel an Karl Daub, Berlin, 12. Dezember 1837540 Ich habe schon einmal über Hegels Verlust, Tränen in Ihren Augen gesehen - und damals, wie es noch unentschieden war, ob er den Ruf [nach Berlin] folgen sollte, sagten Sie mir „es sein Ihnen zu Muthe wie am Sterbebette eines Freundes, die Ungewißheit und Angst, ihn zu verlieren, sei peinigender als die Gewißheit seines Todes". Diese Worte habe ich nicht wieder vergessen und vergegenwärtigte mir damit das Bild Ihrer tiefen innigen Freundschaft und Ihrer Trauer um den Verklärten. Sie haben ihn nun zum zweitenmal verloren - aber längst gewöhnt, im Geiste nur mit ihm fortzuleben und seine sichtbare Gegenwart zu entbehren - ist Ihnen nun durch den Tod nicht so alles mit einemal entrissen wie uns. Könnte das arme Herz sich nur selbst vergessen - an Trost fehlt es nicht... Ich kann unter Tränen ausrufen: „Herr, Du hast Großes an mir getan, ich bin es nicht wert!" - Mir war der Segen zuteil, Ihm am nächsten stehen zu dürfen, als die Seinige seinem Herzen anzugehören, ich will ihn mir festhalten und mit Freudigkeit, solang ich lebe, Gott für dies Glück danken. Es ist vorüber - glücklich sein ist so leicht, gebe Gott mir nun auch zu dem Schwereren Kraft, mich aufrecht zu erhalten, wo ich dies Glück entbehren muß - mich seiner wert zu erhalten und in seinem Sinne dem Leben und meinen Pflichten noch anzugehören, solange Gott will! Ich habe noch teuere Verpflichtungen, die mich ans Leben binden, meine Söhne, die nun doppelt verwaist sind, da sie den geistigen und leiblichen Vater entbehren müssen. Sie waren seine schönste Hoffnung, möge sie ihm und mir in Erfüllung gehen. Ich betrachte des Vaters Freunde als ihre Vormünder, auch Sie, verehrter Freund, betrachte ich als solchen, und werde den Älteren als Theologen Ihnen, den Jüngeren als Juristen dem verehrten Freund Thibaut nächstes Jahr (Ostern übers Jahr) als Schüler zuschicken. [...]

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Über meines Hegels Tod lassen Sie mich schweigen. Freund Nägele habe ich das Nähere darüber geschrieben, er wird Ihnen sagen, ob dies schmerzensfreie, sanfte, selige Ende wirklich die Cholera war. Karl Leberecht Immermann an Hermann Immermann, Düsseldorf, 12. Dezember 183154' Ihr werdet meinen Brief, den ich gleich nach Empfang der Trauerpost geschrieben, unterdeßen erhalten haben. Der [Cholera-] Tod Settchens ist mir ganz unendlich nahe gegangen, und noch oft schrecke ich plötzlich auf, wenn ich daran denke. Es ist mir nur ein Trost, daß ich ihr noch zuletzt meine volle Werthschätzung und Liebe habe aussprechen können. Melde mir doch bald alle Umstände bei dem Erkranken und Hinscheiden dieser Treuen und Gerechten! So haben wir denn doch ein Opfer gezahlt. Gebe Gott, daß es das Einzige bleiben möge. - Mir ist in dieser Zeit der Noth und der Verzweiflung wenigstens eine Überzeugung recht lebendig geworden, nämlich die von unsrer Unsterblichkeit. Friedrich Karl von Savigny an Jakob Grimm, Berlin, 13. Dezember 1831542 Gott hat uns Alle während der Krankheit gnädig bewahrt, auch kann ich nicht sagen, daß wir hier gebliebenen irgend eine Furcht empfunden hätten. Freylich ist sie [die Cholera] in unserer Stadt gar gelinde gewesen und so überhaupt in Deutschland, was gewiß großentheils der vernünftigen Lebensweise und Vorsicht zuzuschreiben ist. Denn, wie in vielem Anderen, so unterscheidet sich auch darin diese räthselhafte Krankheit von den meisten Krankheiten, daß sie einen sichtbaren moralischen Charakter an sich trägt. Es ist sogar zu hoffen, daß bey vielen Menschen die gute Gewöhnung, wozu die Krankheit geführt hat, auch nach ihrem Verschwinden fortdauern werde. Jetzt hält sie ihren gewöhnlichen Winterschlaf, nach aller bisheriger Analogie aber wird sie im Frühjahr wieder aufwachen und sich fortwälzen. Mir und meiner Tochter haben die Armenversorgungen in diesem Herbst unglaubliche Arbeit gemacht. Ich habe an der Spitze eines Bekleidungvereins gestanden, über dessen Erfolge Sie eine kurze Anzeige in unserer Staatszeitung vom 30. Nov. lesen können. [...] Versäumen Sie doch ja nicht, die köstlichen Leichenreden auf Hegel (von Marheineke und Förster) zu lesen. Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 14. Dezember 183i543 Hegels letzter Gang am Sonnabend-Abend war zu ihm [Verleger Duncker], daß hat ihm einen so schmerzlich tiefen Eindruck hinterlassen, daß er mir unter Thränen versichert hat, er wollte sich seines Zutrauens werth erweisen u. alles thun was in seinen Kräften steht. Zum Glück sind seine Kräfte gut bestellt. Er ist sehr reich, u. ein sehr ruhig besonnener redlicher Mann. [...] Der Druck der Phänomenologie beginnt jetzt schon, bis Neujahr soll schon die Religionsphilosophie so weit fertig seyn, daß der Druck beginnen kann. Marh[eineke] sagte mir, er hätte sich in diese Arbeit so hineingeworfen, weil es das Einzige wäre, was ihn stärken, u. seinen Schmerz beruhigen kann. So sagen auch die andern. Und diese wahre innere Begeisterung für das was Hegel für die Wahrheit geleistet hat, daß er den denkenden Geist mit dem Glauben versöhnt u. die wahre Vernunft u. Erkenntniß Gottes und Jesu Christi („dessen Jünger zu seyn sein höchster Nutzen auf Erden war") im Geist u. in der Wahrheit gelehrt hat, dies nennen die Frommen „ihn vergöttern" u. im falschesten Miß-

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verstehen und Mißverstehen wollen, sagt die gute ehrliche Feig, was sie von Mann u. Vater gehört hat „Er wäre zu Christus erhoben u. mit ihm in Parallele gestellt worden". Da hab ich recht bereut, daß ich diesen frommen Leuten, die sich in ihrer geist. Demuth solches alles für Nichts gelten lassen, u. sich unendlich viel höher stellen, diese Reden zugeschickt habe. Die jugendliche Rede von Förster geb ich ihnen Preiß, aber was Marheineke ohne eitle Ruhmredigkeit, tief erschüttert u. tief empfunden, vor einer Versammlung ausgesprochen hat, wo er wohl wußte was er sagt, u. was er vor Gott u. der Welt zu vertreten hat, dieß Zeugniß hat mich wahrhaft erhoben u. beglückt. [...] Denke Dir daß Begräbniß meines Mannes, welches auf die allgemeine u. dringende ja stürmische Verwendung unserer Freunde, die die geliebte Leiche dem Cholera Kirchhof u. dem nächtl. Cholera Leichenwagen entreißen wollten, u. es beim Polizei Präsidenten erlangt haben daß uns ausnahmsweise diese Vergünstigung zutheil war - nun eine Klage u. eine Cabinet Ordre des Königs, die den Poliz. Präsidenten v. Arnim willkürlicher Übertretung der Gesetzesvorschriften verweist, worauf Herr Arnim seinen Abschied verlangt hat - herbei geführt hat. Wüßte das mein guter Hegel im Grabe, daß die schöne kleine Stelle, wo er liegt, soviel Verdruß herbei geführt hat, er wäre lieber auf dem Cholera Kirchhof. Nun hat der König es frei gegeben. [...] Ich mache trostlos mein Paquet, das mir leider gestern wieder von der Post zurück gebracht wurde, weil sie es auf der Schnellpost nicht aufnehmen wollten, wieder auf - Ich dachte es diesmahl so klug einzurichten, daß Du gerathe am Geburtstag mit der Briefpost unsere Briefe erhalten solltest, u. nun muß ich des Rings wegen sie doch auf die langweilige Fahrpost geben die erst Sontag abgeht u. Gott weiß wie lange, wieder in denficirenden Rauch hängt - Wenn sich meine gute liebe Mutter nur nicht beunruhigte - öfter an solche Verspätung gewöhnt, solltest es Dir eigentlich längst abgewöhnt haben Dich zu beunruhigen. - Bekäm ich nur über solche Verspätung nicht immer auch verspätete Antwort über alle meine Befragungen. Karl Wilhelm Kahlert an Justus Radius, Prag, 16. Dezember 1831544 Die Cholera macht bei uns in Prag nicht das mindeste Aufsehen und wird wie jede andere epidemische Krankheit angesehen und behandelt. Die Furcht vor ihr hatte sich zum Theil schon gelegt, und verschwand gänzlich bei ihrem wirklichen Erscheinen in der Stadt. Alles geht seinen ruhigen ungestörten Gang fort. Nicht das Mindeste hat sich in dem öffentlichen Leben, Thun und Treiben geändert. Die Kirchen werden fleißig, wie ehedem besucht, die Schulen stehen offen, die Schauspielhäuser sind gefüllt, und in geselligen Zirkeln, in Resourcen, Kaffeehäusern Billardzimmern, Wein- und Bierschänken etc. finden sich, wie sonst, die Leute ein. Privatschreiben aus Hamburg, Mitte Dezember 1831545 Niemand sagt gern, daß der Feind eingezogen - aber Jedermann beeilt sich, den Abzug anzuzeigen, so zeige ich Ihnen denn vor allem den Abzug des grimmigen asiatischen Feindes, der Cholera von Hamburg an. Den 15. December erschien zum ersten Mal kein Cholera-Bericht mehr und täuschte nicht die angenehm erregte Phantasie, so begegnen uns auf der Straße mehr fröhliche Gesichter, die alte gesprächige Geselligkeit macht auf - es ist, als ob in dem „guten Morgen" die Bekannten einander die Beruhigung zulächelten: „nun dürfen

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wir nicht mehr fürchten, daß diesem guten Morgen ein böser Abend folgen werde!" und die ungestörte Geschäftsthätigkeit belebt die alten Plätze wieder - der alte Gott sieht wieder gnädig auf sein Hamburg herab. In den vier letzten Tagen ist nur ein Einziger (unter 120.000 Einwohnern) erkrankt, also ist der arge Menschenfeind mit der Hauptarmee doch gewiß auf und davon - hat er noch ein paar Nachzügler zurückgelassen, die wird unsere ärztliche Gensd'armerie schon aufgreifen und über Seite schaffen. Für Hamburg war der Druck dieser Plage gewiß lästiger als irgendwo, der Handel besteht nur durch Menschenverkehr und die Cholera freut sich an Menschenabsonderung - Handel und Cholera verhalten sich zueinander wie Athemholen und Stickluft. Gottlob! Nun ist die Brust frei und Tausenden wird es seyn, als sei ein Stein davon gewälzt. Doppelt erfreulich, daß diese Befreiung vor Weihnacht eingetreten. Nun geht es an ein Laufen und Kaufen, nun muß ja den 24. December so mancher Wunsch unserer Lieben erfüllt seyn - die Läden werden Tag und Nacht nicht leer. Friedrich Schleiermacher an Ludwig Jonas, Berlin, 18. Dezember 1831546 Du hast mir mit Deinem Briefe ein gar erquickendes Geburtstagsgeschenk gemacht, nicht nur weil es ein so frisches Zeugnis von Eurem gemeinsamen Wohlergehen ist, sondern auch weil ich daraus sehe, daß so viele schöne und zeitgemäße Präventionen nun grade noch nicht fertig geworden aber doch in le[t]zten Zügen sind, und so hoffe ich denn, da die Cholera hier an Ermüdung von ihrem großen Marsch sterben zu wollen scheint, mithin auch wo[h]l auch Eure Grenzen nicht mehr beschreiten wird, daß sich nun bald eines nach dem anderen ablösen wird ohne daß es nöthig sein wird mit der Zange zu Hülfe zu kommen. [...] Mögt Ihr den guten Folgen Eurer Thätigkeit gegen die Cholera reichlich genießen ohne sie selbst kennen zu lernen. Ich rüste mich schon dazu wenn das Dankfest kommt ihr eine schöne Lobrede zu halten. Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, Paris, 20. Dezember 1831547 Ich möchte aber, ich wäre schon in London, denn gestern wie ich in den Zeitungen die Fortschritte der Cholera las, die in Newcastle eingetroffen ist, wurde mir etwas bange, ob sie nicht am Ende auch nach der Stadt kommen sollte, und ob mir Vater dann erlauben würde hinüber zu gehen, da er ohnedies deswegen besorgt scheint. Lieber wäre mir es, diese Episode spielte in Frankreich und ich könnte mich zu Euch hinüber retten, damit ich nicht den ganzen Winter hier zu bleiben brauchte; bis jetzt fühle ich mich hier sehr unbehaglich. Mir kommt das Treiben etwas satanisch vor; wer sich nicht ganz zusammen nimmt und hat, der mag wohl seine Seele (die musikalische, mein ich) hier leicht und gern dem Teufel verschreiben; alle Äusserlichkeit ist so anlockend, die Leute haben Ehre und Geld und Freude und Orden und Orchester vollauf und nichts fehlt - wenn sie nur nicht so schlechte Musiker wären. Friedrich Karl von Savigny an Johann Christian Bang, Berlin, 20. Dezember 1831548 Meine Frau ist diesen Herbst zu ihrer Schwester nach Frankfurt gereist, die sie lange nicht gesehen hatte; die Besorgnis vor der Cholera hat sie bis jetzt dort zurückgehalten, und

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unsre Bitten haben sie darin unterstützt, indem sie durch ihre Kränklichkeit ein Gegenstand steter Angst und Sorge zu dieser Zeit gewesen wäre. Meine Tochter hat mir Haus gehalten und wir haben der Sache ruhig und ohne Furcht zugesehen. Privatschreiben aus Breslau, 20. Dezember 1831549 Die Seuche hört bei uns auf. Wir haben abwechselnd keine Kranke, oder zwei, drei Erkrankungsfälle an einem Tage, dagegen aber sehr viele Genesungen, nur ganz einzelne Todesfälle. Auf diese Weise scheint es, als ob wir mit dem Schlüsse des Jahres wohl ziemlich am Schlüsse der Seuche in der Stadt Breslau stehen werden. Nicht so in Hinsicht auf das Departement in welchem ziemlich viele Ortschaften angesteckt sind, ohne daß jedoch das Übel sich irgendwo festsetzt, oder große Verwüstungen anrichtet, so daß wir auch in dieser Beziehung uns eines günstigen Resultats erfreuen dürfen. Ob wir aber den Feind ganz besiegen werden, wage ich noch nicht zu entscheiden. Was soll ich Ihnen von der Cholera schreiben? Es ist eine Krankheit, wie Sie noch keine gesehen haben, von welcher Ihnen keine Beschreibung ein vollständiges Bild gewährt, die Sie sich ganz anders denken, nach dem was Sie gelesen haben und die Sie doch, wenn Sie sie ein einziges Mal sehen, augenblicklich erkennen werden. Es ist ein Proteus, ein Dämon, der seine Gestalt in jedem Individuum anders darbietet, doch aber das stigma daemonicum immer so deutlich an der Stirn trägt, daß ihn keine Maske verbirgt. Aber es ist kein Feind, den man mit einem specifico, mit Aderlassen, mit Krajewski'schen Pulvern, mit Schustertropfen, mit Senfsamen, Chinin, Opium, mit Schaefferschen Präservationen, oder wie sonst der Bettel alle heißt, beschwören kann, sondern der nur die besonnene Kunst, welche jeden einzelnen Fall nach seiner Einzelnheit beurtheilt und behandelt, bekämpfen und zuweilen besiegen kann. Wohl Ihnen, der Sie die Erfahrung von uns andern benutzen können, um sich vor unsern Irrthümern zu bewahren. Folgen Sie unserm Beispiele; richten Sie allenthalben Spitäler und Genesungshäuser für die Cholerakranken ein, allenthalben, auch auf den Dörfern; sorgen Sie für Ärzte, verhindern Sie den Dogmatismus in der Behandlung; glauben Sie Keinem, der Ihnen ein Spezifikum bringt; lassen Sie sich nicht durch phantastisches Vergleichen der Cholera mit febris intermittens perniciosa und dgl. täuschen; sehen Sie selbst, urtheilen Sie, handeln Sie selbst, nach Ihrem Wissen und Gewissen, und Sie werden glückliche Erfolge haben. So haben es unsere besseren Ärzte gemacht, und sie sind glücklich gewesen. Wir sind dabei kräftig von der Kammer unterstützt. Es sind wohl an 10.000 Thaler aufgewendet, um Arme zu bekleiden, zu beköstigen, reinlicher und minder gedrängt zu logiren als man sie fand; unsere Bürger, unsere Frauen, unsere Ärzte haben mit einer ganz ausgezeichneten Aufopferung Alles gethan, was man nur erwarten konnte und zwar mit großer Einsicht und Ruhe. [...] Auch bei uns hat es sich gezeigt, daß kein Alter, kein Geschlecht verschont bleibt. Ganz kleine Kinder und neunzig Jahre Alte sind erkrankt, sind genesen, sind gestorben. Überhaupt ist die Krankheit ein morbus malignus et malae fidei. Sie scheint sehr gelinde und tödtet; sie ist mit Pulslosigkeit, mit fehlendem Herzschlage, mit blauen Händen und dgl. verbunden und die Kranken genesen. Wunderbar ist es, Menschen ohne Pulsschlag gehen, reden, ganz vernünftig denken zu sehen. Wir haben dergleichen zu Fuße in die Spitäler kommen sehen.

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Zarin Alexandra Feodorowna an Marie von Clausewitz, 550 St. Petersburg, 21. Dezember 1831 Ich nehme die Feder denn es zieht mich zu Ihnen - aber Worte suche ich vergebens liebe Marie, solche große Schmerzen machen stumm! - Man steht wie verzweifelt, in solchen Fällen, vor den getroffenen, tief Gebeugten, bis man die Augen zum Himmel erhebt - und da um Rettung, um Trost, um Muth fleht. - Ich weiß, liebe Marie, daß Sie Ihr Kreuz wie eine wahre Christin tragen: man schreibt es mir von allen Seiten, und des war ich auch so überzeugt von Ihnen, ich die Sie seit so langen Jahren kennt, ich wußte es wie das Gemüth meiner Marie das alleine Wahre von jeher für das Höchste anerkannt - also in den schweren Stunden auch sich dahin wenden würde von wo aus Alles uns gesendet wird also auch getragen werden muß. - Was soll ich hinzufügen - ich will lieber schweigen. - Mir lag es nur am Herzen, daß sie erfahren sollten, daß meine Gebethe zum Himmel für sie steigen, daß sie mir noch immer die alte Marie sind wie vor 20 Jahren. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 22. Dezember 1831551 Und nun zu etwas Angenehmeren meine gute Mari[e], der erste Schritt in die Ferne - zur Liebe, zu Dir, ist nicht nur gemacht, aber gottlob auch gelungen. Fr. v. Grundherr nimmt mit Freuden das ihr angebothene Quartier an, u. findet die Miethe gar nicht zu viel. Der einzige Beding den wir dazwischen gelegt haben, ist der Ausbruch der Cholera - aber von der ist ringsum alles still, daß eine Quarantaine nach der Anderen aufgehoben wird, u. alles in vorigen Zustand der Ruhe kommt - was die Cholera betrifft nemlich; denn übrigens ist Unruhe, unnöthiges Sorgen um Dinge die niemand mithangehen sollten - die nicht wahrhaft glücklich machen - an der Tagesordnung - das lassen wir gut seyn. Meine Sorge ist nun nur, wie ich mich mit Sophie einrichte, u. wie ich alles mit Gottes Hülfe anfange u. vollende. [...] Tante Rosenhain hat mir ohnlängst geschrieben, lustig u. guter Dinge bekümmert sich niemand mehr in Prag um die Cholera, u. auch sie nicht. Sie billigt sehr meine Abschrift zu Dir zu geben, u. gedenkt Deiner in Liebe.

Erastes Stephan von Andrejewskiy an Carl Friedrich von Graefe, Lemberg, 27. Dezember 1831552 Von der Cholera, wie sie sich Galizien zeigte, sind die statistischen Nachrichten nicht um ein Haar genauer, da die Berliner. Allgemein drückt sich aber die Verwunderung über Alles, was in Berlin während der unheilvollen Epoche geschehen auf's Bestimmteste aus und das dortige Thun und Treiben ist förmlich zum Sprichwort geworden, um Wirrwarr und Confusion zu bezeichnen. Es ist zwar auch in Galizien begegnet, dass ein Chirurgus folgenden Cholera-Bericht an seinen Chefarzt einreichte: zugewachsen 4, geheilt: Niemand, gestorben: Alle. Behandlungsart: die am meisten in unserm Lande bewährte. - Allein dies war doch nur ein ganz gewöhnlicher Chirurgus [...].

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Karl Lachmann an Jacob Grimm, Berlin, 27. Dezember 1831553 Die Cholera hat mir keine Angst gemacht, weil ich sogleich theils den Glauben an die Contagiosität aufgegeben hatte, theils die ruchlose Meinung womit sich viele auf kurze Zeit gesichert haben, sie treffe nur den Pöbel. Zu Ihnen wird sie wahrscheinlich nicht kommen, und sein Sie froh darüber, zumahl weil Sie doch schwerlich ganz um die unsinnigen Sperranstalten kämen. In den Träumen einer Nacht hat sie mich doch gequält, wo ich zuletzt gegen morgen, als würklich an die Hausthür geklopft wurde, ganz bestimmt dachte, da käme die Cholera. Schmidts und Hegels Tod hat mich freilich sehr bewegt, aber nicht eigentlich betrübt. Hegel starb über 60 Jahre alt, eh seine Philosophie veraltet war, mit seinen Gegnern persönlich ausgesöhnt, er hatte seine Schüler meist aufgegeben und verachtete sie, namentlich den Gans, über den ein großer Ärger, wenigstens nach Hegels eigener Meinung, seinen Tod mit veranlaßt hat. Und am Tage nach Hegels Tode schreibt der freche Jude an die Witwe, er hoffe, daß der letzte Streit die freundschaftlichen Verhältnisse nicht aufheben werde, und macht den unsinnigen Nekrolog in der Staatszeitung. Scheußliche Reden von Marheineke und Förster mus[s]te man auch hören, und sie sind gedruckt: in beiden wird Hegel mit dem Herrn Christus gleichgestellt. Wilhelm Schmidt war an Leib und Seele ein verlorner Mensch: seine Studien waren ihm selbst verächtlich, und mit seinem katholischen Seelenheil wollte es doch auch nicht fort: trotz Jarckes und Phillips Arbeiten ist er nicht übergetreten, weil der katholische Probst es nicht gewollt, sondern eine Zeit der Gesundheit und ruhiger Überlegung abzuwarten gerathen hat. So ist er denn in der Seelenangst und in einer unsinnigen Furcht vor der Cholera hingestorben, bedauernswerth, aber ohne Verlust für uns. Felix Mendelssohn Bartholdy an Fanny Hensel, Paris, 28. Dezember 1831554 Das Gewissen schlug mit nämlich, als ich von Deiner neuen Musik [Cholera-Kantate] las, die Du mit Umsicht zu Vaters Geburtstag dirigirt hast, und als ich mir vorwerfen mußte, Dir noch kein einziges Wort über Deine vorherige gesagt zu haben, denn ohne das kommst Du bei mir nicht durch, College! [...] Die beiden Chöre sind mir nicht originell genug. Das klingt dumm; ich meine aber, es sei die Schuld des Textes, der eben nichts Originelles ausspricht; ein einziges Wort hätte vielleicht alles bessern können, aber so wie er da ist, könnte er überall anders stehen: in Kirchenmusik, Cantate, Offertorium etc. Wo er aber anders ist, als allgemein, wie z.B. das Seufzen am Ende, da kommt er mir sentimental vor, aber nicht natürlich. Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, Berlin, 29. Dezember 1831555 Schreiben Sie mir doch von Ihren Liebschaften, worauf ich sehr gespannt bin. Besonders aber, was Sie für Pläne in Bezug auf die Cholera haben. Daß die bislang verschonten Gegenden es auch bleiben sollten, kann ich nicht glauben. Ich hoffe Sie werden bald in Berlin sich davor sichern. Übrigens ist es nicht sehr gefährlich damit. Von der wohlhabenden Mittelclasse sind sehr wenige gestorben, und diese wegen der gröbsten Diätfehler, z.B. wegen Genuß von Schaafsmilch und Pflaumen, Sauerkohl und Bier. Hegel hat frische Wurst gefreßen, leyder fast eine. Schlechte Rezension gekommen: der arme Mann! - Daß die Zahl die von der Cholera Genesenden aus der wohlhabenden Classe die in den Listen angegebenen sehr übersteigt, ist vollkommen richtig. Aus meiner nicht sehr ausgebreiteten Bekanntschaft

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ist mehr wie ein Dutzend, die nicht gemeldet sind: Andere nennen aus ihrer Bekanntschaft viel größere Zahlen. Privatschreiben aus Pesth, Anfang Januar 1832556 Die Cholera war schon geraume Zeit in Bucharest, ehe sie nach Ungarn drang, sie wurde an der moldauischen Gränze durch Sperrcordons, die seit länger als einem Jahrhundert schon gegen die Pest bestanden und sehr gut bestellt sind, abgehalten. Seit dem Wintermonate des verwichenen Jahres befand sich ein österreichischer Cordon an der Gränze zu Gallizien, gegen Podolien und gegen Olhynien aufgestellt, der aber nach 4 Monaten auf Anordnung des Kaiserlichen Leibarztes Dr. Stifft wieder aufgehoben wurde, und bald verbreitete sich die Seuche über ganz Gallizien. Ein anderer Cordon an den Karpathen wurde im März durch Tabakschmuggler ebenfalls durchbrochen, sie brachten die Seuche nach Sziegeth an der Theiß. Kaspar von Sternberg an Johann Wolfgang von Goethe, Brzezina, 3. Januar 1832557 Schon lange liegen zwei Hefte der Zeitschrift des Museums zur Absendung vorbereitet welche durch den Vandalismus des Durchstechens und Durchräucherns aller Briefe und Päße an den bairischen Mauthen zurü[c]kgehalten werden. Die Sehnsucht nach einem Wort des verehrten Freundes ist jedoch zu groß um das bange Schweigen nicht zu unterbrechen. Das von uns geschiedene Jahr hat viele Stöhrungen hervorgebracht, auch die lang gewünschte wohl vorbereitete Versammlung der Naturforscher in Wien hat auf das neue Jahr verschoben werden müssen. Und um dem Ungemach zu entgehen in einer elenden Contumazhütte 20 Tage zu verweilen war an keine Reise zu denken; möge das heurige Jahr sich freundlicher gestalten. Das west und südliche Böhmen ist dermalen noch unangetastet, und da die Ärzte in ihrem Experimentiren, trotz zwanzig erschienenen Schriften dennoch keine sonderliche Vorschritte gemacht haben so gedenke ich auf der Hochebene von Brzezina zwischen den dampfenden Steinkohlenhalden das allgemeine Schi[c]ksal ruhig abzuwarten. [...] Wenn bis zum nächsten Som[m]er sich die feindlichen Mächte die uns bedrohen wieder beruhigen so hoffe ich von Karlsbad aus den verehrten Freund in Weimar besuchen zu können; wenn auch fern, ist diese Hof[f]nung ein tröstlicher, in der Abgeschiedenheit beruhigender Gedanke, da wird die Berührung im geistvollen Verkehr mir wieder neue Kräfte gewehren. Samuel Meyer Ehrenberg an I. M. Jost, Wolfenbüttel, 3. Januar 1832558 Der hier und fast überall herrschenden Sitte unter den Juden, die Weihnachten und das christliche Neujahr zu feiern, abhold, unterlasse ich es, Dir zu diesem Zeitabschnitt, der so manchen ehrlichen, wie unehrlichen Juden seit 1800 Jahren Verfolgungen aller Art zugezogen hat, zu gratuliren. Wünsche Dir aber viel Glück zu der bis jetzt überstandenen Gefahr, und hoffe, daß der Himmel Dich und die lieben Deinigen ferner beschützen werde. Unsre Furcht vor der Cholera hat sich zwar verloren, doch wähnen wir uns noch nicht sicher vor deren Besuch.

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Wilhelm von Kuegelgen an Gerhard von Kuegelgen, Dresden, 3. Januar 1832559 [...] es wird wie rasend getanzt und gebankettiert, infolgedessen der Schluß des Jahres wieder eine Menge uneheliche Kinder und geschiedene Ehen, geplatzte Bäuche und Vermögensumstände aufzuweisen haben wird. Die Cholera ist nahe genug - man sagt in Maxen, das wären drei Stunden - Gott helfe uns aus dieser Teufelei, wie er Euch geholfen hat! Was wird doch dieses Jahr alles bringen? Hübeis haben schon ein Zimmer für BaschkirenEinquartierung frei gemacht - immer noch besser als die gebildeten Franzosen! Ihr lebt in Estland wie auf einer Insel, herausgerückt aus aller geistigen und leiblichen Bewegung der Zeit. Wenn mir die Bewegung einmal gar zu sehr aufs Leder brennen sollte, so komme ich wieder zu Dir in die Barbarei. Johann Wolfgang von Goethe an Karl August Varnhagen von Ense, Weimar, 5. Januar 1832560 Leider muß ich diesen meinen Brief auch mit dem tief empfundenen Bedauern anfangen, daß wir den hochbegabten bedeutenden Reihenführer [Hegel], so wohl begründeten und mannichfaltig thätigen Mann und Freund, obgleich nicht ganz unbefürchtet, verloren haben. Das Fundament seiner Lehre lag außer meinem Gesichtskreise, wo aber sein Thun an mich heranreichte oder auch wohl in meine Bestrebungen eingriff, habe ich immer davon wahren geistigen Vortheil gehabt. Privatschreiben aus Prag, 6. Januar 1832561 Man hat durchaus bei den ersten Erkrankungen in einigen dürftigen Wohnungen an der Moldau keine Spur eines unmittelbaren Contagiums durch Schiffe etc. entdecken können. Die Ch. ist gleichsam aus dem Flusse selbst hervorgestiegen; denn im Wasser und Ufersumpfe ist ihre Wiege. Im Ganzen hat sie selbst dann noch, als die Erkrankungen in 24 St. bis zu 80 und 100 stiegen, wovon 2/3 starben, immer nur die niedrigste, im Schmutze lebende und im Trünke ihr Heil suchende Classe ergriffen. Allgemein führt man als Ursache des Schrecken verbreitenden, schnellen Steigens der Cholera in Prag die vom Erzbischofe ertheilte Dispensation des Fleischessens an. Die Fischhändler, welche darauf nicht gefaßt gewesen waren, hatten sich wie gewöhnlich mit Fischen zur Fastenspeise reichlich versehen. Da diese nun unverkauft blieben, mußten sie ihre theuren Fischvorräthe um jeden Preis losschlagen, und so genoß eine Classe der Bewohner Prags, welche sonst diese kostbare Fischkost nicht bezahlen konnte, sie in solchem Uebermaße, daß die Seuche dadurch in 24 St. furchtbar vermehrt wurde. Joseph Klemm an Nikolaus Lenau, Paris, 6. Januar 1832s62 Du weißt, lieber Bruder, wie heiß es uns vor Deiner Abreise auf unseren Stühlen in München wurde, und wie wir über die Sage: es zeigten sich an der Grenze bereits bösartige Fieber, diese Vorläufer der unersehnten Cholera, das Herz ganz und gar verloren, und über Hals und Kopf einpackten. Aber Du weißt nicht, mein lieber Alter, als nun Alles eingepackt war, und es darauf ankam, das Reisegeld auszupacken, bei dem Anblicke des vielen lieben schönen Geldes, das wieder für Postpferde und Postknechte und Wirthe und Kellner ausgegeben werden sollte, unser verlorenes Herz ein unendliches Weh ergriff, es klopfte und

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hämmerte in seinem Versteck so, daß wir es mit leichter Mühe wieder fanden; wir packten daher freudig unser schweres Geld ein, und unser darüber leicht gewordenes Herz aus und blieben in München. Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 10. Januar 1832563 Wir übrigen sind indessen gesund und auf die Frage an die Cholera: warum sie sich so kurze Zeit in Berlin aufgehalten? soll sie geantwortet haben: eine so schlechte Behandlung habe sie nirgends erfahren! Hegel soll, gegen den Ausspruch dreyer Aerzte, nicht an der Cholera gestorben seyn. Friedrich Immanuel Niethammer an Marie Hegel, München, 12. Januar 1832564 Meinen wärmsten innigen Dank, theure Freundin, für Ihre ausführliche Nachricht von den letzten Stunden unseres verewigten Freundes, dessen Verlust, der uns so unerwartet getroffen hat, wir mit Ihnen aufs schmerzlichste fühlen und betrauern. Ihr lieber Brief hat mir und meiner Frau sehr wohl getan. Gewiß zählen Sie uns mit Recht zu den teilnehmendsten Ihrer Freunde. Sind doch gewiß auch außer Ihnen wenige, die den ganzen Wert des so plötzlich von uns genommenen Freundes so von allen Seiten kennen und schätzen gelernt haben, als eben wir, die in den verhängnisvollsten Lagen seines Lebens ihm am nächsten gestanden sind, und von jenen Zeiten her auch wissen, daß sein Herz uns treu geblieben ist. Zuvörderst noch ganz besonderen Dank für die reiche Schilderung Ihres Familienlebens in den letzten Jahren, die uns das Bild des geliebten Freundes auch von dieser liebenswürdigen Seite im herrlichsten Lichte vor Augen gestellt hat. Wir fühlen mit Ihnen, daß in diesen Erinnerungen, obgleich auch viel Schmerz, doch zugleich eine sehr wohltätige Erhebung und Stärkung für Sie liegt. Ebenso war Ihre umständliche Beschreibung von dem ganzen Verlauf der Krankheit eine wahre Wohlthat für uns, nachdem auch wir, wie alle fernen Freunde und Verehrer des Verstorbenen, durch die unbestimmten und sich widersprechenden Gerüchte nicht wenig beunruhigt worden waren. Es hat etwas wahrhaft Quälendes, bei einem solchen Verlust auch noch durch übertriebene Schilderungen von vorausgegangenen Leiden geängstiget zu werden. Bei Ihrer Erzählung steht man ruhig am Sterbebette des Kranken und sieht selbst den plötzlichen Tod ohne Erschütterung eintreten. War ja dieser Tod so sanft, daß Sie ihn dem Entschlafen eines Heiligen vergleichen konnten. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 13. Januar 1832565 Und so ist es denn auch wie Du meine theure gute einzige Marife] vorausgesehen hast: gestern am 12ten erst erhielt ich Deinen lieben Brief, mit dem theuern Geschenk des Ringes, der nun bei Nacht nur vom Finger kommen soll - u mir allerdings das Liebste ist was Du mit in diesem Augenblick [nach Hegels Cholera-Tod] nur schenken konntest. Ich sag Dir den herzlichsten Dank dafür. Glücklicherweise hat das Desinficiren weder den Medaillen noch dem Ring einen anderen Nachheil gebracht, als daß sie sehr lange auf dem Weg waren. Hauptsächlich leid ist mir Dein langes Warten auf Antwort. [...] Rosenhaini schrieb mir ohnlängst, sie ist wohl, rings um sie in Prag ist aber die C[h]olera, sie schont sich, braucht keine Präservatif, u fürchtet sich nicht.

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Johann Wolfgang von Goethe an Marianne von Willemer, Weimar, 13. Januar 1832566 Wir in diesen Gegenden sind wie aus einem widerwärtigen Traum erwacht. Das asiatische Ungeheuer entfaltete immer mehr Hälse, Köpfe und Rachen, je näher es heranrückte, man machte, was ich sehr billige, fürchterliche Anstalten dagegen, um die Furcht zu balanciren. Wir aber, auf der Allerweltslandstraße, wurden durch scheue, flüchtende, aufgeregte Durchreisende in der Apprehension eines Übels fort- und fortzuleben genöthigt, das endlich auf die bewundernswürdigste Weise sich im Norden dämpfte, und gleichsam erlosch. Jetzt, ohngeachtet alle Sperren aufgehoben sind, wir keine durchstochenen Briefe und Paquete mehr erhalten, ruhig fortleben, auch bey uns nicht die mindeste Andeutung davon sich spüren ließ; jetzt, da alles leidlich ablief, triumphiren die Ärzte, welche es für nicht ansteckend erklärten, obgleich es durch Ansteckung verbreitet worden war. Wir wollen den freundlichen Wesen die in der Luft herrschen zutrauen, daß sie im Frühling die Wiederkehr des Ungeheuers abhalten, damit nicht der Spectakel, von vorn angehend, die Menschen in Furcht setze, welcher niemand entgeht und die größer ist als das Übel, dem doch nur ein Theil unterliegt. Karl Lebe recht Immermann an Michael Beer, Düsseldorf, 13. Januar 1832661 Leider mußte ich noch zuletzt in Magdeburg bei der Cholera-Fete zugegen seyn, und nahm eingebildete Übel und Angst um zurückgelaßne Lieben mit hie[r]her, so daß die ersten Zeiten meines hiesigen Aufenthalts verschattet wurden. Privatschreiben aus Halle, 16. Januar 18325№ Die Cholera macht größere Fortschritte, als man erwarten konnte, auch geht sie aus den niederen Ständen auf die mittleren über. Im Verhältnisse zur Einwohnerzahl hat Berlin so zahlreiche Erkrankungen auf einmal nicht nachzuweisen. Wir wollen hoffen, daß die Zahl der Erkrankten mit der Unruhe der Gemüther, die nun eintritt, nicht noch mehr gesteigert werden. Von allen hiesigen Aerzten wird durchaus kein Contagium angenommen, das Publicum glaubt daher auch nicht daran, und somit fallen alle Vorsichtsmaßregeln weg. Die gesetzlich noch stattfindende Wohnungssperre wird zwar noch in Anwendung gebracht, was bei solchen Ansichten aber nur der Form nach geschieht. Wolfgang Bolyai an Carl Friedrich Gauss, Vasarhely, 16. Januar 1832569 Diese Werkchen hatte ich zu gleicher Zeit mit dem ersten Briefe abgeschickt; und wus[s]te lange nicht, wo es in den fatalen Cholera-Umständen hingekommen sey - nun schicke ich es durch Post unter Recepisse zum H. Joseph von Zeyk, mit der Bitte, dass er einen Weg ausfindig mache, mein Werk (sobald es herauskömmt) Dir kostenfrei einzuhändigen - Wegen der СЛо/ега-Umstände habe ich aus Ungarn kein Papier bekommen können, und mus[s]te warten, bis ich von der Gattung bekam, mit welcher ich angefangen hatte war auch selbst halb Сйо/era-krank, mit langen Nachwehen.

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Adolph Buhle an Samuel Hahnemann, Halle, 18. Januar 1832570 Freitag den 6. Jan. а. c. trat sie hier auf und hat, wie man von der Cholera überall berichtet, anfangs die meisten Opfer gekostet. Unsere Ärzte stritten sich zuerst, ob sie es denn eigentlich sey oder nicht? - Doch jetzt ist ihnen der Glaube in die Hand gekommen. Bis zum 18. Jan. Mittags liegt der Bericht darüber vor mir, da sind denn vom 6. Jan. bis 18. Jan. 105 erkrankt, 49 gestorben, 7 genesen und 49 noch in Behandlung. - Ist nun diese Himmelsgabe, der Kampher, so wirksam, wie kann man denn so sündigen und seine Anwendung noch aufschieben? - Sollte uns auch das Unglück treffen, so lasse ich mich und die Meinen nur nach Ihrer Angabe behandeln. Karl Leberecht Immermann an Friederike Henriette Wilda, Düsseldorf, 18. Januar 18325ΊΙ Gottlob, daß Ihr dort noch verschont geblieben seid. Möge nur der Frühling nicht die Plage von Neuem auferwecken! Es ist wirklich traurig, daß man den Blüthen und der Sonnenwärme mit Bangigkeit entgegensehen muß. Im Ganzen aber verlaße ich mich bei dem gegenwärtigen Zustande auf die Natur der Dinge. Entweder müßen die Übel aufhören, welche die Menschen jetzt ängstigen, oder die Menschen müßen dagegen gleichgültig werden. Eine Spannung und Sorge, wie die gegenwärtige, kann nicht lange mehr dauern. Joseph Sebastian Grüner an Johann Wolfgang von Goethe, Eger, 20. Januar 1832672 Die mitfolgenden Kleinigkeiten waren zum hohen von allen cultivirten Nazionen gefeierten Geburtstage bestimmt; allein die wegen der Cholera anbefohlenen Anstalten bei der Stadt, und 89 Dorfschaften des Magistrats, zu deren Vollzug ich als Commisär bestimmt war, haben leider meinen sehnlichsten Wunsch verdrängt. Gegenwärtig, wo man auf das Entgegengesetzte nemlich gar Nichts zu veranstalten, und zu unternehmen verfallen ist; weil der angelus exterminans weder durch seinen Gifthauch, noch seine Ausdünstungen contagiös sein sollen, haben sich diese Geschäfte gemildert, und mich zu meinem Lieblingsgeschäfte zugelassen. [...] Uiber die Cholera habe ich auf meine Anfragen von dem Kreisphysikus in Königsberg M. Dr. Lichtner meinem Mitschüler einen denkend u. praktischen Arzte folgende Aufklärung im Wesentlichen erhalten: a) Daß die Cholera nach seiner bisher gemachten Erfahrung nicht contagiös sey; denn von allen den ihm zugetheilten Aerzten, Wundärzten, Krankenwärtern, die ihre Pflichten in vollem Umfange erfüllen, sey auch Keiner erkrankt; er gebrauche kein Verwahrungsmittel, wechsle weder die Kleider, und befinde sich mit seiner Familie von 8 Kindern gesund. b) Es bestehe bisher kein Arzneykörper als Präservativ, sondern eine geregelte Lebensordnung sey das Hauptmittel sie abzuhalten. Seine Erfahrung habe ihn zur Folgerung berechtigt, daß ein einzig grober Diätfehler den Ausbruch dieser Krankheit veranlaßt habe, weil es bei den bestehend atmosphärisch-tel[l]urisch krankhaften Einflüssen nur des kleinsten incitaments bis zum wirklichen Ausbruch bei Jenen bedarf, die durch diese schädlichen Einflüsse mehr hie[r]zu disponirt worden sind, hauptsächlich befällt sie Arme, denen es an Nahrung, Kleidung, Pflege fehlt. ad c) Das Brechwurzelpulver habe er als souveraines Heilmittel bisher anerkannt.

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Der Commandeur des ritterl. Ordens der Kreuzherrn schrieb mir von Wien beinahe das Nemliche über die dortige Heilungsart mit dem Beysatze, daß auch die Furcht nicht schade; denn sonst hätte er sie am ersten bekommen müssen. Der General Großmeister dieses Ordens Director der philosophischen Fakultät in Prag erfreute mich vor einigen Tagen mit der Nachricht, daß sich meine beiden Söhne gesund befinden, u. bestätigte ebenfalls, daß hauptsächlich nur die ärmere Klasse ergriffen werde, daß sich bey seinen Ordensbrüdern in Böhmen, Mähren, Oesterreich, Ungarn noch kein Cholera-Anfall bewährt hätte, Alle der besten Gesundheit genießen, obschon sie Tag und Nacht die Kranken versehen mußten. Euer Excellenz haben zwar Gelegenheit aus den besten Quellen zu schöpfen, und die Meinungen der Aerzte zusammenzuhalten, aus denen sich der Grundsatz der Farbenlehre abermals bewährt, daß, weil sie den Sitz, die Ursache der Krankheit nicht ergründen können, der Hintergrund für sie dunkel, ja finster ist, sie genöthigt sind, uns einen blauen Dunst vor die Augen zu machen. In Prag macht ein Gewerbsmann durch seine glücklichen Curen der CTzo/era-Kranken unter der ärmeren Klasse viel Aufsehen. Dieses Heilmittel besteht in mehrern Tropfen Oleum in Wasser verdünnt. Vielleicht hat der gute Mann den Traktat des Andreas Schilling, Phil, et Med. Doct., und Churfürstl. sächsischen Leibarzt, über die Pest gelesen, worin er pag. 237 den Vitriol Geist als ein Hauptmittel anempfiehlt, weil er kühlet und zugleich Schweiß treibt, in geschwinder Eile die Adern durchgeht, den Urin befördert. Dieses Buch kam unter den Titel Loimo-Graphia tripartita zu Dresden 1680 heraus. Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 22. Januar 1832573 Der Ursprung der Cholera in Indien ist kein Gegenstand der Forschung. Seitdem sie ins Daseyn getreten, verbreitet sie sich immer durch Ansteckung. Soweit stimme ich Ihnen bei. Den Hauptfehler aller Anhänger und Gegner finde ich darin, dass sie die Untersuchung nicht auf die Gesamtheit aller fieberhaften Ansteckungskrankheiten erstrecken und ihr Gemeinschaftliches und Abweichendes nicht zu erforschen suchen. Drei Punkte sind es, die vorzüglich in Betrachtung kommen: 1) Das Bestehen und Einwirken steht oder fällt, verbreitet sich oder erlischt, je nachdem ein uns meist unbekanntes epidemisches und endemisches Verhältnis dem Contagion günstig oder ungünstig ist. Man hat nicht nöthig über den Ursprung und die Beschaffenheit dieser Verhältnisse sich auszusprechen. Man kann die Himmelskörper und das Innere der Erde ganz ausser Spiel lassen, und jede solche Hypothese schadet nur dem Eindrucke dieser Lehre, die bei der ganzen Klasse von contagiösen Fiebern, selbst zum Theil bei Krätze, Syphilis, Hundswuth aus umfassender Beobachtung sich ergiebt und gründlich entwickeln läßt. Wie will man sonst erklären, dass Harburg und so viele andere Hamburg nahe Orte frei blieben; Altona nur so wenige Kranke hatte. 2) Der Ansteckungsstoff der Cholera verbreitet sich in dem ganzen Dunstkreis eines Ortes und das Einathmen einer Orts-Luft theilt schon die Ansteckung mit. Eine Masse von Erfahrungen, vorzüglich von Petersburg mitgetheilt, lässt keine andere Erklärung zu. Schiffe halten diese Ansteckungspartikelchen fest und verschleppen sie weit. Blattern, Scharlach verbreiten sich ebenso; wie wunderbar dehnt sich nicht Moschus, Rosenöhl, Tabaksrauch aus. Immerhin mag oft Verbindung mit Cholerakranken Statt finden, die uns verheimlicht wird und unerforschbar, auch durch Thiere u.s.w. unterhalten wird. Die Geschichte über den

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Ausbruch und die Verbreitung der Krankheit in den grössten Städten kann nur so aufgehellt werden, wenn man die Meinung von Ansteckung nicht aufgeben will. 3) Die Empfänglichkeit für Cholera erfordert eine starke causa occasionalis in den mehrsten Fällen: Verkältung, Indigestion, Gemiithaffect u.s.w., sowie die passive Aufnahme des Contagii eine grössere Geneigtheit giebt für die Einwirkung einer solchen Gelegenheitsursache. Der Ansteckungsstoff ist allen Menschen des inficirten Ortes mitgetheilt, macht selbst mehr oder weniger viele krank, ohne das Übel zum Ausbruche zu bringen. Diese Nr. 3 ist eine Eigentümlichkeit blos dieser Cholera. Das ist mein Glaubensbekenntnis. Ich wünsche, es könnte auch das Ihre werden. Adele Schopenhauer an Arthur Schopenhauer, Bonn, 25. Januar 1832574 Die Cholera ist noch in Berlin, sie wird von Halle auch wohl weiter gehen, somit denke ich gehst Du noch nach der Schweitz u. ich sehe Dich. Im Voraus bitte ich jedoch mir gar keinen Vorschlag zu machen Dich auf ein paar Stunden zu sehen, kan[n] es nicht auf einige Tage seyn so lasse es. Joseph von Laßberg an Ludwig Uhland, Eppishausen, 26. Januar 1832S1S Schon zwei Monate sind verflossen, seit ich Ihren letzten Brief und mit ihm, die neue Ausgabe Ihrer Gedichte erhielt; statt Ihnen lieber Freund! dafür zu danken, legte ich mich hin und ward krank; der Stoff dieser Krankheit lag nicht in meinem Körper, sondern, eine herumwandernde Sucht ergriff mich, die viele Leute in unserer Gegend aufs Bette warf; das Fieber steigerte sich bis zum Delirium, ich glaubte man wolle mich mit Gewalt zum Bischof machen, endlich genaß ich. Ich war schon me[h]rere Tage aus dem Bette; als mich die Krankheit aufs neue befiel; aber ich war schon zu weit auf dem Wege der Genesung vorgeschritten, als daß sie me[h]r über mich vermocht hätte: nun bin ich schon me[h]rere Wochen frei von allem Fieber. Der Arzt nannte das Uebel eine Cholera benigna; sonderbar, daß ich mich an demselben Tage von der Krankheit befallen fühlte, da ich einen Brief von Hug aus Freiburg erhielt, der mir schrieb, daß er die sporadische Cholera mit den heftigsten Symptomen, die sie je gezeigt, überstanden habe. Rienäcker an Friedrich Schleiermacher, Halle, 26. Januar 1832576 Die Cholera wüthet hier verhältnißmäßig arg, doch denke ich, daß sie bereits ihre höchste Höhe erreicht hat. Obgleich ich von der Hypochondrie viel und schwer zu leiden habe, so weiß ich mich doch der Cholera gegenüber frey von aller Furcht. Friedrich Wieck an Clementine Wieck, Frankfurt/Main, 27. Januar 1832577 In Leipzig sollen einige Cholerafälle vorgekommen seyn? Ist es wahr? schreibe mir. [...] Wie ich aber die Frau Baronin Carl Rothschild abgethan habe, die uns kränkte, davon spricht man in ganz Frankfurt. So eine reiche Jüdin, die Baronin geworden, soll doch fühlen, daß ein christlicher Künstler kein Hund ist. Mündlich deutlicher. Naue in Halle ist ja an der Cholera gestorben. Die Krankheit soll ja fürchterlich wüthen. [...] Die Cholera rückt durch Böhmen u. Bayern näher.

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Frederic Soret an Johann Wolfgang von Goethe, Weimar, 28. Januar 1832m Wenn Exzellenz nicht Wert darauf legen, die Töpfferschen Zeichnungen noch zu behalten, möchte ich sie gerne zurückhaben; ich will sie nicht nur bei Hofe zeigen, sondern muß sie auch bald zurückschicken; die verfluchte Cholera kommt immer näher und macht alle Postsendungen von hier verdächtig, man könnte plötzlich das Gesundheitsattest verweigern; das wäre mir um so unangenehmer, als Töpffer baldige Rücksendung verlangt hat. Johann Friedrich Böhmer an Joseph Chmel, Frankfurt/Main, 28. Januar 1832519 Ihr letzter Brief ist mir wieder ganz durchstochen zugekommen. Dieß ist laut eines aufgeschlagenen Stempels an der bayerischen Grenze geschehen. Bei uns ist dergleichen nicht eingeführt. Nun habe ich gelesen, daß auch dorten seit dem 14. d. M. dergleichen nicht mehr stattfinden soll. Vielleicht haben Euer Hochwürden Gelegenheit, sich hiernach in Linz zu erkundigen. Ist ein Durchstechen und Räuchern nicht mehr zu fürchten, so wünsche ich, daß Sie mir die Handschrift baldmöglichst mit dem Postwagen sendeten. In unsem Tagen darf man nichts aufschieben. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 28. Januar 1832>m Die Anwendung des kalten Wassers in der Cholera hat sich überall heilsam gezeigt. Wie triumphiert aber auch Oertel! Er hat zwei Broschüren herausgegeben. Die eine heißt: Victoria, Kaltwasser hat die Cholera besiegt; die andere: Medizinische Böcke. Von Ärzten, welche sich für infallible Herren über Leben und Tod halten, in der Cholera geschossen. XXXX - weniger I Bocksdorf und Schussbach, Verlag Simon Treffer und Compagnie. Auf dem Titelblatte steht ein großer Bock und auf beiden Seiten zwei Jäger, welche nach ihm schießen. Jetzt werden nun die Böcke aufgezählt: erster Bock, zweiter Bock, bis 39. Bock. Hätte der Mann soviel Witz wie gesunden Menschenverstand, die Satire wäre köstlich geworden. Jacob Ernst von Reider an Justus Radius, Wien, 29. Januar 18325S1 Die Cholera verschwindet hier, wie sie entstand, die Krankheit nahm allmählich an intensiver Stärke wie an Ausdehnung ab; kommen nach mehre[re]n Tagen wieder häufigere Erkrankungsfälle vor, so zeigt sich auch das Uebel an diesen Tagen wieder in größerer Heftigkeit und Bösartigkeit. Die Furcht vor Ansteckung ist gänzlich verschwunden und nur einige wenige Aerzte, welche früher der Regierung zu eben so kostspieligen als nachtheiligen Maßregeln gerathen, oder ihre irrige Meinung zu bestimmt und grell aussprachen, suchen noch mit Sophismen und gelehrtem Schwulste diese Idee in Schutz zu nehmen, doch ohne Nachtheil, da sie nirgends Beifall oder Glauben finden. Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, Berlin, 2. Februar 1832582 [...] obgleich es mir früher an Entschlossenheit fehlte so wirst Du mich dennoch nicht eines Betrugs fähig halten, daß ich nicht Leichtsinnig war dafür bürgen Dich wohl am besten meine Schulden und daß ich nicht krank bin oder verlohren habe, das beweist Dir der heiratslustige Mann, auch habe ich ja nicht die eigentliche Cholera gehabt, ich glaube also nicht daß Du wirst nöthig haben Dir nach etwas anders umzusehen [...].

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Briefe Winter 1831/32 Joseph von Wattmann an Ferdinand Rumpelt, Wien, 3. Februar 18325K

Die Vorbereitungen zu der Cholera gehen sicherlich von der Luft aus, deren Reichthum an Dünsten im verwichenen Sommer durch die schwüle Hitze bei Tage und lästige, eindringende Kühle nach Sonnenuntergang, durch das nicht reine Azurblau des Firmamentes, und im jetzigen Winter durch die anhaltenden dicken, bisweilen stickenden Nebel, welche seit 4 Wochen kaum an 2 Tagen die Sonne durchscheinen ließen, sich zu erkennen giebt. Ich blutete vor der Erkrankung einige Male aus der Nase und bemerkte, daß mein Blut flüssiger und weniger klebrig war als sonst. Nebenbei bemerkte ich täglich so oft ein leichtes Kneipen im Unterleibe, als ein kalter Luftzug durch eine schattige Gasse oder eines Hauses auf mich wirkte, so daß ich genöthigter war, den Rock bis zur guten Durchwärmung zuzuknöpfen und so zu lassen, bis jene Empfindungen verschwunden waren. Nach solchen Vorbereitungen kann ein Diätfehler, der Genuß des Obstes und anderer wässeriger, säuerlicher Vegetabilien, Erkältung (bei mir nur das Kaltwerden der vom Schweiße mäßig durchfeuchteten Leibwäsche) und Schrecken, welchen die donnernden Todesnachrichten sehr oft und leicht erzeugen, mehr als Furcht die Veranlassung zur Entstehung der Cholera werden.

Privatschreiben aus Wien, 3. Februar

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Merkwürdig bleibt es, daß nach Aufhebung der Absperrungen, dadurch verminderter Furcht, Beiseitesetzung aller sogenannten Präservativmittel und strengerer Diät so wenige der wohlhabenden Bewohner der hiesigen Stadt an diesem Uebel zu leiden hatten, und, wie an so vielen andern Orten, nur jene Menschen von ihm ergriffen werden, welche durch Lebensverhältnisse, Beschäftigung, schlechte Nahrung, grobe Diätfehler und unbesiegbare Furcht sich die Krankheit zuzogen, während in jenen oben bezeichneten Tagen die größere Menge dieser Kranken der wohlhabenden Classe angehörte. Somit leistet in dieser Krankheit wie in allen andern die Homöopathie Nichts, was nicht die liebe Natur für sich allein bei zweckmäßiger Diät im ganzen Umfange des Wortes zu vermögen im Stande ist. Hier, in der lange fortgesetzten zweckmäßigen Diät, der Entbehrung der geistigen und so mancher andern schädlichen Getränke, als Thee, Kaffee etc., liegt das Wahre der Homöopathie und auch der Schlüssel wie diese Absurdität bei einigen Menschen und besonders bei solchen, die im Wohlstande leben, Eingang und Vertheidiger finden konnte [...]. Adalbert von Chamisso an Friedrich de la Motte Fouqui, Berlin, 5. Februar 1832bK Ich mag schüchtern kaum fragen, wie es Dir geht? Wir auch haben alle unsern Theil zu tragen und zu leiden gehabt, oder haben es noch. Hitzig mit dem Verluste eines Auges, und zwar seines besseren, das ihm nach einer Erkältung erblindet ist, N... mit seiner Frau, die nach einer Reihe kränklicher Zustände, gemüthskrank geblieben zu sein scheint, und wir, wir haben die Mutter meiner Frau zu Grabe getragen, die [als] eines der letzten Opfer der Cholera gefallen ist. Wir halten dennoch die Ohren steif und eine neue Frühlingssonne scheint wieder am Himmel herauf zu gehen.

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Johanna Schopenhauer an Arthur Schopenhauer, Bonn, 6. Februar 1832386 Lebe wohl, kehre bald in Deine Heimath zurück, denn wir sehen jetzt am Rhein der Ankunft der asiatischen Hyäne entgegen, die ich indessen nicht fürchte. Ordentlich leben, vor Erkältung sich hüthen und bei der kleinsten Anwandlung von Unwohlsein sich ins Bette legen, Kammillenthee trinken, bis der Arzt kommt, den man gleich holen lassen muß, hilft am besten. An Ansteckung glaube ich nicht. Franziska Ratzky, Deine Kusine, hat in Zoppoth bei Danzig, zwei Cholera Kranke gepflegt, von denen eine gestorben, sie hat sie frottirt, ihnen alle nur möglichen Dienste geleistet und ist doch frei von Ansteckung geblieben. Nur muß man genau auf sich achten, auch die kleinste Unordnung in seinem Körper nicht unbeachtet lassen, und nie nach Sonnenuntergang sich der freien Luft aussetzen, bis die böse Zeit vorüber ist. Clemens Brentano an Christian Brentano, Frankfurt/Main, 7. Februar 1832№1 Die Arnim ist in der Cholera die Bewunderung von ganz Berlin gewesen. Sie hat jetzt ihre Zeichnung zum Octoberfeste zum Besten der Cholerawaisen selbst radirt. Sie ist liiert mit Schleiermacher, und sehr häufig in seinen Predigten; hoffentlich um sie ihm zu critisiren. Privatschreiben aus Halle, 9. Februar

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Die epidemische Brechruhr hat hier einen bedeutend milderen Charakter als an allen Orten, wo ich sie bis jetzt zu beobachten so reichhaltige Gelegenheit fand; die Krankheitsfälle, welche ohne Vorboten auftreten, gehören zu den seltensten Ausnahmen, sie entwickeln sich beinahe stets nach einer manchmal 8 Tage vorausgehenden Diarrhöe; davon erleiden freilich die Fälle, wo die Gelegenheitsursache stark einwirkend war, eine Ausnahme, denn wo bedeutende Diätfehler, starke Erkältung oder Furcht und Schreck stattfand, ist der Ausbruch der Krankheit schneller. [...] Im Anfange der Epidemie soll sich dies jedoch anderes verhalten haben, und der Zeitraum der Vorboten weit beschränkter, überhaupt der Charakter der Krankheit bösartiger gewesen sein; darüber kann ich nun nicht urtheilen. Frederic Soret an Rudolf Töpffer, Weimar, 9. Februar 1832sm Ich war lange an mein Zimmer gefesselt und, als Ihre Zeichnungen ankamen, zu krank, um sie mit Aufmerksamkeit betrachten zu können; mein edles Haupt war von einem fürchterlichen Schnupfen völlig benommen; ich wollte die Hefte Herrn von Goethe selbst zeigen, aber das hätte zu lange gedauert, daher schickte ich sie ihm; andern Tags dankte er mir brieflich und versprach mir eingehendere Bemerkungen für später. Da sich in den nächsten vier Wochen die Cholera bedenklich näherte und er nichts von sich hören ließ, bat ich dringend um Rückgabe, um die Zeichnungen noch vor Ausbruch der Cholera in Weimar wieder absenden zu können, und Goethe gab sie mir zurück mit einem Blatt Bemerkungen darüber; davon erhielten Sie eine Abschrift; er wäre ausführlicher gewesen, wäre ich nicht so plötzlich gekommen, aber es war keine Zeit mehr zu verlieren, jeden Tag mußte man darauf gefaßt sein, daß das ärztliche Zertifikat verweigert und die Pakete auf der Post einer Prozedur unterworfen werden würden, die einer künstlerischen Arbeit schlecht bekommen werden würde.

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Johann Wolfgang von Goethe an Marianne von Willemer, Weimar, 9. Februar 1832590 Nun aber zu einem Entgegengesetzten, welches Ihnen durch den Zeitungsklatsch zwar schon wird bekannt geworden seyn. Das asiatische Ungeheuer schleicht und drückt sich uns immer näher; es soll in Merseburg sich eingefunden haben, etwa 12 Stunden von hier; freylich liegen wir schon um so vieles höher, so daß es sich noch immer eine Weile zu unsern Füßen herumdrücken kann. Mehr sag ich nicht. Hier am Orte und im Lande ist man sehr gefaßt, indem man es abzuwehren für unmöglich hält. Alle dergleichen Anstalten sind aufgehoben. Besieht man es genauer, so haben sich die Menschen, um sich von der furchtbaren Angst zu befreyen, durch einen heilsamen Leichtsinn in den Islam geworfen und vertrauen Gottes unerforschlichen Rathschlüssen. Ernst Ludwig von Tippeiskirch an Gustav Adolph von Brenn, Berlin, 12. Februar ]832591 Mit dem Aufhören der Cholera in hiesiger Stadt bin ich sogleich das Polizeipräsidium angegangen, damit das eckelhafte Tabakrauchen, das gegen alle Sitte verstößt, auf den Straßen und dem Thiergarten wieder aufhöre. Die überwiegende Mehrheit des Publicums ist hieran interessiert, und das überhaupt nichtrauchende hat die gerechtesten Ansprüche darauf, nicht molestiert zu werden. [...] Jetzt kann das Rauchen noch sehr leicht wieder abgeschafft werden, schweigt man aber deshalb auch nur einige Tage, so wird alles schwieriger, und ich kann nicht unbemerkt lassen, daß ich von oben her schon aufgefordert worden bin, das Tabakrauchen aufhören zu machen. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 13. Februar 1832591 Wenn Sie die Marie wieder als Gesellschafterin mitnehmen, ist wieder an die unglückselige Cholera zu denken, die uns schon voriges Jahr so viele Sorgen gemacht. Diesen Frühling oder Sommer kömmt sie gewiß nach Kassel. Wird dann die Marie nicht zurück wollen, oder würde sie, da man die große Angst vor der Cholera verloren, jetzt ruhiger sein? Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, London, 14. Februar 1832593 Die Cholera nähert sich immer mehr - eine hübsche Bekanntschaft, welche wir den Russen zu danken haben; schon ist sie in einer der äussersten Vorstädte Londons, unter einer Bevölkerung von 1.470.000 Seelen kann sie ausgiebige Geschäfte machen. Bis itzt sind nur wenige Fälle, kommt sie gröber, so gedenke ich, wo möglich, mich auf Land zurückzuziehen - wehe aber dann den Geschäften. Karl Rosenkranz an Franz Kugler, Halle, 15. Februar 183259i Ich hätte Ihnen viel zu erzählen, wenn ich alle Metamorphosen, äußerliche und innerliche, auftischen wollte, die ich seit unserem Scheiden beim Nibelungenhort erlebt habe. Die Hauptsache ist die letzte, daß ich unter dem für mich und meine Braut vom Arzt sehr beruhigend wirkenden Namen eines gastritischen Fiebers, vom 17. Jan. an einen entsetzlichen Anfall der Cholera überstanden habe; jetzt hat es der Arzt selbst kein Hehl; aber Himmel, wie bin ich, von Natur schon ein Skelett, durch diese unnatürliche Krankheit zu einem po-

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tenzierten Skelett geworden! Und die Nervenschwäche, die mir zurückgeblieben! Das Schreiben wird mir noch recht sauer, so daß auch dieser Brief viel kürzer actu ausfallen wird, als er potentia sein könnte.

Karl August Varnhagen von Ense an Heinrich Heine, Berlin, 16. Februar 183259S Auf den Sommer freue ich mich schon, da wollen wir mit dem lieben Volke fleißig ausfahren, und schöne Stunden genießen, wie wir es schon im vorigen Sommer gethan, bis der Herbst und die Cholera kamen, und uns einige Zeit einschlossen. Vor der Cholera hatte Rahel nicht fliehen wollen, obwohl sie in Baden schon ihre Wohnung hatte, und dorthin zu reisen schon frühzeitig gesonnen war.

Privatschreiben

aus Berlin, 16. Februar 1832596

Es wird Ihnen nicht unlieb sein zu wissen, wer der Hr. K. sei, der sich in der preußischen Staatszeitung zum Organ der Kritik der Choleraliteratur aufgeworfen hat. Hr. K. quaest. ist ein Hebräer, Namens Kaiisch, Doctor der Medicin, jedoch noch nicht der Staatsprüfung erledigt, so daß er nicht einmal das Recht hat, einen einzigen Kranken in der Stadt zu behandeln. Dieser zieht es jetzt vor, neben mehreren anderen Consorten, Borchardt und wie sonst heißen mögen, beim grünen Thee, wie Thomasius zu sagen pflegte, Lubricationen von sich zu geben, die jedem Kenner den Dunst der Oellampe verrathen müssen. Dabei sind talmudische Sophistereien und philosophische Floskeln eingestreut, um den Laien zu bestechen. Alle Aerzte Berlins können es nur bedauern, nachdem sie erfahren, wer hinter diesem K. steckt, daß die Redaction eines so viel gelesenen Blattes, wie die preuß. Staatszeitung ist, solchen Händen einen wahrlich nicht unwichtigen Gegenstand anvertraut.

Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 16. Februar 1832591 Die offizielle Nachricht ist eingegangen, daß die Cholera in London ausgebrochen ist. Jetzt kömmt sie gewiß auch bald hierher, und das könnte meine Abreise nach der Schweiz beschleunigen, worauf ich Sie jetzt schon vorbereite. Sobald ich erfahre, daß die Cholera an der französischen Küste ist, verlasse ich Paris. Die Krankheit wird hier bestimmt schlimmer als irgendwo. Die Unreinlichkeit, die Armut, die heillos schlechten Medizinalanstalten lassen das mit Sicherheit erwarten. Dazu kommt für den Fremden die eintretende Teuerung und Prellerei in vielen Dingen. [...] Seitdem die Cholera in London ist, werden die Leute auch hier ängstlich, und man liest täglich in den Zeitungen von Cholerafällen. Es fand sich aber bis jetzt noch immer, daß die Nachricht entweder falsch war, oder daß es von den einzelnen Cholerafällen gewesen, die hier wie überall zu jeder Zeit manchmal vorkommen. Indessen lange wird sie nicht ausbleiben, da man in Rücksicht auf die freundschaftlichen politischen Verhältnisse in welchen man zu England steht, sich zu keiner den Handel beschränkenden Quarantäne entschließen wird. Ich werde mich reisefertig machen, denn wenn die Quarantäne einmal hier ist, müßte ich an der Schweizergrenze Quarantäne halten. Ich gehe bestimmt nach Basel.

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Friedrich Schleiermacher an Carl Ullmann, Berlin, 17. Februar 1832m Gesenius hat doch nicht so ganz unrecht gehabt zu fürchten, daß die Cholera sich auch an die Professoren machen könnte, da sie nun doch schon ein Kind und eine Frau weggerissen hat. Die armen Hefters beklage ich herzlich! Aber im Ernst gesprochen, thut es mir sehr leid, daß sich Gesenius so hat übereilen lassen. Möge das grausame Übel auch bei Ihnen bald vorübergehen, und uns nicht noch mehr trauriges aus befreundeten Familien erleben lassen. Wir sollen hier nun Dankfest halten; es ist mir aber noch gar nicht so zu Muthe als sei volle Sicherheit da. Friedrich Bluhme an Friedrich Carl von Savigny, Göttingen, 17. Februar 1832599 Die Supplemente zu Pithoeana werde ich Ihnen durch Eichhorn zurückstellen, der in diesen Tagen hier erwartet wird. Leider werden Sie sie etwas durchstochen wiedererhalten, was Sie aber nicht mir, sondern nur den früheren Anstalten gegen die Cholera zur Last legen dürfen. Uns drü[c]kt nun noch immer die Sorge vor ähnlichen Leiden, wie sie Halle betroffen haben, während Sie schon Alles überstanden haben. Im Grunde fürchte ich aber doch für Göttingen sehr wenig. Reinhold Grohmann an Georg Friedrich Kohlrusch, Wien, 17. Februar 1832M> Hier giebt es keine asiatische Cholera mehr, höchstens nur selten einen kleinen Nachklang oder eine Rückerinnerung. Wahr bleibt es immer, und mögen auch Cholerazeitungen das Gegentheil behaupten, daß bei stürmisch und urplötzlich befallenen Cholerafällen Erwärmung der Gliedmaßen und des Leibes mit trocknen Sachen, ein starker gleich anfangs gemachter Aderlaß, Brechwurzeln oder nach Umständen Brechweinstein, Hauptmittel sind, leichtere Fälle aber ohne Aderlaß und ohne Brechpulver mit warmem Thee und etwa einem leichten Brausemittel und ähnlichen Sachen zu bekämpfen sind; Anwendung der Kälte und der Eispillen sind nur in den seltensten Fällen und dies nicht in dem ersten Beginnen der Krankheit, sondern nur in einem sehr kleinen späten Zeiträume anzuwenden. Kaspar von Sternberg an Johann Wolfgang von Goethe, Brzezina, Februar 1832m[ Endlich ist der Desinfecions Vandalismus an der böhmisch bairischen Gränze aufgehoben, es wollen daher die kleinen Bändchen unberäuchert in des verehrten Freundes Hände gelangen, auch für das Supplement der Flora der Vorwelt wird gesorgt werden [...]. Die Chollera hat sich Brzezina bis auf eine Meile Entfernung genähert, ist aber in drei Dörfern stationaire geblieben so daß man hoffen kann sie werde sich diesseits nicht weiter ausdehnen, indessen hat sie sich in Prag vermindert wohin mich wenigstens auf einige Wochen Geschäfte zwingen; ob man bis Ende April mit Gewißheit und Beruhigung wird zu einer Versammlung der Naturforscher einladen können muß man von den Umständen und Zuständen Europas die sich nicht klar stellen wollen abwarten.

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Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, Berlin, 19. Februar 1832?02 Heute feyern sie in allen Kirchen das Dankfest für die Befreyung von der furchtbaren Krankheit. - In Gottes Namen! Da jeder freye Athemzug in mir Lob und Freude zu Gott ist, so habe [ich] das ganze Haus in die Kirche geschickt und ergebe mich wie ich muß, da ich manche gute Seele neben mir vermisse, denn ich bin arm und stumm. Sonst haben sie sich im Ganzen wenig abgehen lassen. Dreymalhunderttausend sind abgegangen. Nun freyen sie wieder und lassen sich freyen; Kraut und Rüben steigen wieder zu den alten Preisen und alles kommt wieder in Gang. Nun aufgeschaut! Es kommt das Schicksal! Anton von Prokesch-Osten an Friedrich von Gentz, Lazarett bei Triest, 20. Februar 1832m Die Quarantaine ist leider viel strenger als wir zu Wien vorausgesetzt haben. In Graz erfuhr ich durch den Prinzen zu Hessen und durch Kreishauptmann Werner, daß die Contumaz auf der Durchbruchstation Sktorie fünf Tage, auf den übrigen Straßen zehn Tage sei, diese Tageszahl aber erst dann zu zählen beginnt, nachdem man bereits zehn Tage in unverdächtigem Lande zugebracht hat. Ich entschied mich daher, durch drei Tage in Graz zu bleiben, bat den Prinzen, den Feldmarschall-Lieutenant Graf Nugent, dem die Cordonstruppen von Sktorie unterstehen, von meiner Ankunft auf dieser Linie in Kenntniß zu setzen, traf in der Hoffnung, die Quarantaine-Tage ganz und die vorbereitenden zum Theile geschenkt zu erhalten, am 19. früh, d. i. am achten Tage meiner Abreise von Wien, zu Sktorie ein, wurde von da in's Lazareth von Triest gewiesen, schrieb alsogleich an Fürsten Porcia und erhielt durch ihn und Feldmarschall-Lieutenant die Nachsicht der fünf Contumaztage, nicht aber die der noch ausstehenden Vorbereitungstage. Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, Berlin, 21. Februar

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[...] daß liebste wer mir Du kämst nach Berlin, ich finde zu Ostern wieder unterkommen so könte ich mein Kind aufhelfen was schon Vaterlos dasteht, jedoch werde ich nichts ohne Deinen Willen thun. Sonntag haben wir das Dankfest Befreiung der Cholera gefeiert, heute hat mir der Wirt meine Sachen für rückstand der Miethe versiegeln lassen, auch daß muß ich noch kennen lernen [...]. Helene Marie von Kügelgen an Gerhard von Kügelgen, Dresden, 21. Februar 1832605 Ach ja, bleibe bei uns, Herr Jesus Christ! so muß ich auch heute wieder anfangen! Helfen doch selbst die Trübsale uns nichts, wenn Er nicht bei uns ist. Du weißt es gewiß auch, wie die Cholera in Paris und jetzt schon in ganz Frankreich wütet. Als ein frommer Mann dort riet, so wie in England zu Gott und zum Gebet die Herzen zu erheben, ward ihm mit lautem, schallendem Gelächter geantwortet; und als die Seuche nun wirklich mit ganz besonderer Gewalt in Paris einbrach, liefen die jungen Leute maskiert und wie närrisch auf den Gassen herum und riefen: Laßt uns heute fröhlich sein, morgen sind wir tot; und, wie man sagt, waren alle diese am andern Morgen nicht mehr. Mit solcher Strenge ist noch keine Stadt behandelt worden, aber mit solcher Frechheit hat auch noch keine Nation die Zuchtrute Gottes aufgenommen. In Berlin, Halle, Prag ist die Krankheit von neuem wieder ausgebrochen - Sachsen ist bis jetzt wunderbarerweise verschont geblie-

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ben, aber statt hier auf ihre Knie zu sinken und Gott zu loben und rechtschaffne Buße zu tun, treten sie groß hin und sprechen: hie[r]her kommt die Cholera nicht, denn wir sind reinlich, mäßig, unsre Anstalten und Einrichtungen sind vortrefflich, wir sind nicht wie diese und jene, zu uns kommt die Seuche nicht. Ich schaudre immer, wenn ich so sprechen höre, denn ich fürchte, es wird ein um so größeres Strafgericht über Dresden kommen - und ist es nicht schon da? auch ohne Cholera? Jeanette Wohl an Ludwig Börne, о. O., 21. Februar

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[...] daß Sie dieser [häßlichen Cholera] entfliehen müssen. Dennoch rathe ich Ihnen nicht, Paris übereilt mit Basel zu vertauschen. Denn sind sie erst in Basel, dann werden Sie natürlich, wie es gar nicht anders zu erwarten ist ungeduldig, und quälen und übereilen mich wieder, und eine solche Gemüthsbewegung, Unruhe, Hast und Eile, macht mich immer krank. So lange als von der Cholera in Paris nichts zu fürchten ist, meine ich, wäre am besten für Sie, Sie blieben dort. Das ist meine Ansicht, aber darum sollen Sie doch thun, was Sie am liebsten thun. Ferdinand Ries an Joseph Ries, Frankfurt/Main, 21. Februar 1832м7 Dein[en] Brief vom 13. Jan: habe ich erst am 23 erhalten - den von dem frühern Posttag noch gar nicht: allein vor ein paar Tagen ist das Paquet mit den 4 Manuskripten angekommen. Danke Dir für Deine Bemühungen - Dobler kann sich nicht gut entschließen, und da jetzt die Neuigkeit hier ist, daß die Cholera in London schrecklich wüthen soll, geht er gewiß nicht - auch hätte sie in keiner ungünstigeren Zeit dort ausbrechen können, denn die ganze Saison muß zu Grunde gehn: und wie ich London kenne, schon dadurch sehr schwere Folgen haben. Alles sagt, daß eine strenge Diet das beste Mittel sey, und da bist Du geborgen. Es ist sonderbar, daß in Wien die homeopathischen Aerzte die glücklichsten Couren gemacht haben und man versichert, daß von denjenigen, die von Anfang, wie die Krankheit dort ausbrach, preservatige Mittel von diesen Doctoren gebraucht haben, auch nicht ein einziger gestorben seyn soll. [...] Hierbey die Zeichnung des Cholera Bettes, die Du ihm [Sparks] gleich mittheilen mußt, er soll es eben machen wie ich: es besitzen, ohne es gebrauchen zu wollen: das heißt, gesund zu bleiben. Sollte sich der heftige Ausbruch der Krankheit bestätigen, so schreibe öfter [...]. Charlotte Kestner an August Kestner, Basel, 21. Februar 1832f608 Ich finde mich mit den Gefühlen über die Cholera so häufig in Widerspruch mit Anderen, daß ich es fast nicht mehr aussprechen mag, daß ich mich nicht fürchte. Es ist bei mir nicht Folge des Raisonnements, sondern des Gefühls, mich jede Stunde in der Macht Gottes zu befinden. Spät oder früh wird uns der Tod überfallen, vielleicht mit langweiligen Vorboten. Dennoch ist es die Liebe, die uns diesem Wandel unterwirft. Ich kann nur beten: „Herr, erhalte mir den Glauben!" Ich bin versichert, man übertreibt sich das Wesen der Cholera und es ist eine etwas erhöhete Sterblichkeit, gleich den Scharlach- oder Nervenfieberjahren. Augenscheinlich rafft sie schnell die Trinker u.s.w. dahin: wenn man sich also bei Zeiten darin ein wenig bezähmen wollte, so wäre das ein gutes und nützliches Präservatif. Aber sich zu fürchten! Man hat ja genug Gegenstände wirklicher Sorge, bei der unsere Herzens-

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und Verstandeskräfte in Anspruch genommen werden. Aber die Beschäftigung mit diesem Gespenst ist mir etwas Langweiliges. Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, Paris, 21. Februar 1832609 Es bezeichnet jetzt fast jeder Eurer Briefe, der zu mir ankommt, einen bittern Verlust. Gestern erhielt ich den mit der Nachricht von der lieben U., die ich nicht mehr bei Euch finde - da ist zum Mittheilen und Plaudern keine Zeit; man muß arbeiten, und sich weiter zu bringen suchen. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 22. Februar 18326i0 Die dumme Cholera! Man weiß jetzt gar nicht, wo man hin soll. Aber ihr auszuweichen, wenn man kann, ist immer vernünftig. An der Grenze der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs, wo wir uns aufhalten wollen, ist der beste Ort, sich frei nach jeder Seite hinzuwenden. Friedrich Riickert an Franz Bopp, Erlangen, 23. Februar 1832?n Zuerst meinen Glückwunsch zur endlich überstandenen Cholera-Unbehaglichkeit Ihres Aufenthaltsortes! Oder hatte man bei Ihnen [in Berlin] nicht nur die Furcht (was wir endlich auch haben) sondern auch das Gefühl des Unbehagens in der Nähe der Verwüsterin überwunden? Dr. Hartmann an Justus Radius, Frankfurt/Oder, 24. Februar 18326n Unsern Ort hat die Cholera nur gleichsam berührt, und es ist durchaus falsch, wenn man im Auslande glaubt, sie sei der Messe wegen zum Theil verheimlicht worden. [...] Eine unzählbare Menge schädlicher Insecten und Infusorien hatte nicht allein die Blätter von Bäumen ganzer Alleen verdorben und mitten im Sommer ausgetrocknet, daß man sich in den Herbst versetzt glaubte, sondern die Landleute haben auch vielfach bemerkt, daß die Kohlarten und Gemüse in ihrer inneren Vegetation durch solche Thierchen verdorben waren, und daher zum Genuß für die Verdauung schädlich werden mußten. Es ist hieraus leicht zu schließen, daß auch Cisternenwasser und andere stehende Gewässer durch solche Infusorien verunreinigt sein mußten [...]. Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy, Paris, 25. Februar 1832613 Du aber, lieber Rosen, wirst böse auf mich sein, denn ich bin allerdings ein nachlässiger Mensch gewesen und habe Dir nicht geantwortet wegen Johnstons; aber verzeih' mir, es war in der Cholerazeit in München, und da war ich ganz verwirrt; Du wirst mir auch nicht zürnen, denn ich glaube, ich wäre der erste Mensch, auf den Du je böse gewesen wärest, also sei weder quop noch quap, sondern bleibe quip, d.h. Rosen und mir gut.

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Sophie Tilebein an Amalie von Gerstenbergk, Züllchow/Stettin, Februar 1832ш Die Gorgo hat nun endlich ihr schreckliches Antlitz von uns gewendet, nachdem auch in Stettin und selbst in meinem Dorfe Opfer in Menge - deren viele unter recht tragischen Umständen! - gefallen sind. Jetzt wütet sie in Halle, wird in Leipzig erwartet... Die Seuche läßt manche Gegend unberührt, wie namentlich bei Mecklenburg und Schwedisch Pommern jetzt der Fall ist. Privatschreiben aus London, 28. Februar 1832615 Da ein Tag zu einer allgemeinen und öffentlichen Erniedrigung vor Gott festgesetzt worden ist, mit besonderer Beziehung auf die neue und schreckliche Krankheit, mit welcher es dem Herrn gefallen hat, das Königreich heimzusuchen, steht zu erwarten, daß er mit größerer Feierlichkeit als gewöhnlich wird begangen werden, unter tiefem Gefühl nicht nur unserer gegenwärtigen Gefahr, sondern auch der Sünden, welche diese Strafe verdient, wenn nicht herabgerufen haben. [...] Mögen Sie gestärkt werden durch den heiligen Geist zur Erfüllung Ihrer großen Pflichten in dieser Zeit der Angst und Versuchung! Dies ist das innige Gebet Ihres ergebenen Bruders in Christo! Otto Nicolai an Carl Nicolai, Berlin, 3. März 1832616 Ich kann es gar nicht länger mit ansehen, wie ein Tag nach dem andern vorbeigeht und ich täglich, ja fast stündlich an Dich schreiben will und nicht dazu kommen kann. Das geht so zu: Ich schreibe eine große geistliche Musik „Те Deum", welche, wie ich hoffe, hier aufgeführt werden soll, als Dankfest für den Abzug der Cholera aus Preußen. Nicht nur, daß die Sache also Eile hat, sondern sie ist mir auch lieb geworden, und jeden freien Augenblick bringe ich hinter der Partitur zu. Amalie Sieveking an eine Freundin, Hamburg, März 1832?11 Du scheinst zu meinen, daß ich, bevor ich aus dem Hospital nach Hause zurückgekehrt, mich noch anderswo aufgehalten, und gar wohl erst Ferien gemacht hätte; aber da bist Du im Irrthum. Die Furcht vor Ansteckung, die anfangs in unsern Kreisen fast lächerlich stark war, machte doch hinterher einer vernünftigen Ruhe Platz, und so konnte ich am 6. December, Mittwoch Abends 6 Uhr, nachdem ich acht Wochen weniger einen Tag im Hospital zugebracht, direct von dort nach dem holländischen Brook [ihrer Wohnung in Hamburg] wandern. Andern Morgens gleich versammelten sich meine Kinderchen zur Schule. Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von ^Nessenberg, London, 8. März 1832618 Lebe recht wohl - ich schi[c]ke Dir ein Rezept, welches dir gewiß eben so gute Dienste leisten [wird] wie mir; nehme davon des Vormittags zwei, drei starke Eßlöffel, die Hälfte allenfalls beim Aufstehen, das übrige eine starke Stunde vor Tisch, es ist für den Magen und sanft öffnend; hie und da einen Tag muß man es wieder aussetzen, zumal wenn man sonst schon starken Appetit fühlt. Ich habe es von einem der besten hiesigen Ärzte.

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Privatschreiben an ein befreundetes Handelshaus, London, 9. März 1832619 Seit neun Monaten ist an der Mündung der Themse eine Quarantaine etablirt, wohin noch jetzt alle Schiffe die aus der Ostsee, von Hamburg, Holland kommen, gesandt werden. Indeß hat sich seit Ende October die Cholera im Norden von England gezeigt, und seit vier Wochen selbst hier in London. Während der ganzen Zeit hat man Schiffe, die von Newcastle etc. kommen, nach dem Quarantaine-Hafen gesandt, aber Hunderte von Reisenden, die täglich von den genannten Plätzen kamen, waren auch nicht der kleinsten Restriction unterworfen. Man wird sich über diesen Widerspruch, wie über die getroffenen Maaßregeln überhaupt wundern, allein sie erklären sich durch den Umstand, daß vor neun Monaten ein von der Regierung angeordnetes Gesundheits-Comite, durch unrichtige Nachrichten aus Rußland verleitet, die Krankheit für ansteckend erklärte. Diese Erklärung ist nicht zurückgenommen, und man hat es sich nicht erlauben wollen, Maaßregeln anzuordnen, die der irrigen Ansicht der Ansteckung entgegen sind. Im Inlande wagte man es indessen nicht, Absperrungen zu fordern, theils wegen der Unmöglichkeit, sie strenge zu beobachten, theils aber, weil selbst die entschiedene Contagiosität, Störung des Handels, des Erwerbs, und dadurch hervorgebrachte Armuth, schlimmere Übel, als die Cholera selbst gewesen sein würden. Unsere Nachbarn in Frankreich machen es mit ihren Maaßregeln nicht besser. Reisende von hier über Dover werden in Calais einer mehrtägigen Quarantaine unterworfen; von hier über Southampton kann man aber in 24 Stunden nach Havre gelangen, wo man sich keiner Contumaz zu unterziehen hat. In Holland versuchte man vierzehntägige Quarantaine, und verband vielleicht politische Absichten damit, fängt aber bei reiferer Überlegung an sie abzukürzen, den Nachtheil einsehend den jene 40 Tage Aufenthalt für Holland mit sich führen würden. In Belgien ist man so eben erst zu dem Entschluß einer 6 bis 30 tägigen Quarantaine gekommen. Nur in Hamburg tritt eine richtigere Ansicht hervor, aus geläuterter Erfahrung und freier Wahrheitsliebe gewonnen. Es würde dort wahrscheinlich gar keine Quarantaine angeordnet sein, wenn nicht die mächtigeren Nachbar-Staaten sie durch ihren Einfluß bewirkten. Gewiss ist es dem wahrhaften Interesse aller Staaten und Verhältnisse gemäß, zu zeigen von welcher Natur die Krankheit ist um dadurch zu einer klaren Ansicht zu gelangen. Die Cholera ist tellurischen Ursprungs, nach der Meinung aller Ärzte, welche aus der Erfahrung durchdachtere Ansicht gewannen. Es ist die im Allgemeinen elementarisch vermehrte Ausdünstung der Erde, welche die Krankheit erzeugt und vielleicht entzündet, keineswegs aber eine Krankheitswirkung, die sich im Menschen-Körper primär oder animalisch entwickelt, und auf solche Weise übertragen wird. Die Revolution im Innern der Erde, die sich in den letzten Jahren häufiger als früher durch Erdbeben, und Confußionen, - durch Überschwemmungen und vulkanische Ausbrüche (die Entstehung der vulkanischen Insel bei Sicilien), durch Meteore vielfacher Art u.s.w. geäußert, - ja die häufigere Erscheinung, wenn auch entfernter Cometen, so wie die baldige Annäherung anderer führen zu der unbezweifelten Ansicht, daß die Quelle der Cholera in einer tellurisch-elementarischen Kraft liegt, welche jetzt mit größerer Heftigkeit eingreifend, Nerven und Blutsystem zugleich bestürmt und tödlich krampfhafte Affectionen hervor ruft, deren Natur als Krampfübel schon nicht auf materielle Weise contagiös sein kann.

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Privatschreiben aus London, 10. März 1832620 In einer kleinen Stadt, in der Nachbarschaft von D-, wurde der Kampherspiritus unglücklicherweise für ein zu einfaches Mittel gehalten und diese irrige Meinung kostete mehreren Tausenden Individuen das Leben. [...] Unter Andern verdankt ein Dienstmädchen, in dem Hause wo ich wohne, diesem Mittel ihr Leben, obgleich sie schon ganz steif war, ihre Hände schwarz wurden und auf ihrem Gesichte sich die ominösen blauen Flecken zeigten. Des Abends zuvor hatte ich ihre Gebieterin mit diesem Mittel bekannt gemacht; diese ließ sie gleich 15 Tropfen nehmen und der herbeigerufene Arzt setzte die Behandlung nach derselben Vorschrift fort. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 13. März 1832611 Ich hoffe liebe Mari[e] Du legst nun nach einem beinahe vollendeten halben Jahre die große Trauer ab, u. wirst an Deinem Geburtstag noch mir zum Andenken das Häubchen mit dem schwarz gestreiften Band aufsetzen, dies ist denn die rätselhafte Fa$on, wovon ich Dir voriges Jahr das Muster schickte, u. die Deine Mama für Dich zusammen buchstabiert hat, die Andere ist nur unter dem Huth als Ehrenmütterchen aufzuse[t]zen, - beide wie Du mir zugestehen wirst, einfach genug, wenn die Einfachheit Dir sie lieb machen sollt. Marie Hegel an Susanne von Tucher, Berlin, 14. März 1832й2 Der allgemein so hoch verehrte Mann ist nur von Einem nicht erkannt worden u. muß einmahl für allemahl, übel angeschrieben worden seyn. Die Frommen trauen den Philosophen nicht - „S.M. sagten: Wieder ein berühmten Philos. gestorben - immer eine andere Philosophie - zu meiner Zeit Kant" So viel wissen wir von der Sache - u. halten es für das aller überflüssigste, entbehrlichste und was zu berichten ist u. wo gar nicht zu trauern ist. Mit Gabler ist der Minister noch nicht durch. Steffens ist der Liebling des Hofes und vor allem berufen. Johann Wolfgang von Goethe an Kaspar von Sternberg, Weimar, 15. März 1832m Schon längst hätte ich meine mentalen Conversationen mit dem verehrten Freunde zu Papier bringen sollen, wär' es nicht mein Wunsch und Vorsatz gewesen, etwas mir bedeutend Scheinendes mitzuüberliefern. Durch Worte läßt sich nicht alles machen, vielleicht gelingt eine kleine Zeichnung in diesen Tagen. Soviel im Voraus. In einem schwankenden Zustand, wie alle Welt, haben wir uns gegen das asiatische Ungeheuer erhalten: erst voller Sorge, Abwehrungsanstalten, Heilungs-Einleitungen, horchend, lesend und denkend, in voller Thätigkeit. Diese Anstrengung ging zuletzt in Gleichgültigkeit über und wir leben wie zuvor, in völliger Sorglosigkeit, jeder nach seiner Weise, im Zutrauen auf unsre Gebirgshöhe die es nicht heranlassen soll. Näher als zwölf Stunden ist es noch nicht herangerückt. Möge daher der verehrte Freund, auf seiner noch höhern Höhe, gleichfalls davor in Sicherheit gesetzt seyn. Freylich wird die große Wanderung der Naturforscher nach Wien deshalb noch einige Zeit problematisch bleiben, welches gar sehr zu bedauern ist.

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Johann Wolfgang Goethe an Joseph Sebastian Grüner, Weimar, 15. März 1832624 Was Sie von der Cholera melden ist dem bisherigen Verlauf bey uns völlig gleich; im Anfang Apprehension, allgemeine Aufregung, Furcht, Angst, Sorge, Abwehrungsanstalten, Heilungseinleitung, so war alles horchend, lesend, denkend, zweifelnd in voller Thätigkeit. Diese Anstrengung ging zuletzt in Gleichgültigkeit über und wir leben wie zuvor völlig sorglos, jeder nach seiner Weise, die Weimaraner besonders im Vertrauen auf unsre Gebirgshöhe, die das Sumpfliebende Ungeheuer nicht ersteigen sollte. Jakob Grimm an Bartholomäus Kopitar, Göttingen, 16. März 1832625 Da wir morgen bereits das Todtenamt für die Opfer der Cholera, und den 18.ten das Tedeum für den Abzug derselben halten sollen, so werden sie wohl keine Bulletins mehr von uns verlangen; dafür aber so freundschaftlich seyn, und uns welche von Ihnen selbst zukommen lassen! - fac nos certiores de salute tua et tuorum. Wilhelm von Humboldt an Karl Jakob Alexander von Rennenkampf, Tegel, 20. März 1832626 Große Freude hat es uns gemacht, daß Sie alle dort auch von der geringsten Besorgnis der Cholera frei geblieben und höchstens durch die trüben Vorbereitungsanstalten dazu belästigt worden sind. Wir haben auch nur leichtes Ungemach dadurch erfahren und im ganzen sind für die Bevölkerung Berlins die Opfer nur in mäßiger Zahl gefallen. Ich habe den Winter, denn wir sind ja morgen schon am Anfang des Frühlings, still und ruhig zugebracht und diese Entfernung von allem, was in der Welt vorgeht, thut mir sehr wohl. Privatschreiben aus Halle, 20. März 1832ai Sie wundern sich, sehr häufig Personen aus Halle in Leipzig zu sehen, von denen Sie Ursache haben zu glauben, daß dieselbe die bei Ihnen leider noch immer bestehenden, viel des jetzt so raren Geldes fordernden Sperrmaßnahmen umgangen sind, indem sie nicht 10 Stunden, geschweige denn 10 Tage Contumaz hielten. [...] Kann man seine Reise wenigstens 10 Tage vorher bestimmen, so ist das Verfahren ganz einfach: man läßt sich einen Paß nach Leipzig ausstellen und schickt diesen nach einer benachbarten nicht inficirten Stadt an einen Bekannten. Dieser meldet die Ankunft des noch ruhig in Halle bei den Cholerakranken sitzenden Freundes dem Magistrate, welche nach 10 Tagen, wenn der Reisende nun wirklich nach seiner Nachmittagstour durch diesen Ort kommt, den Paß zur Weiterreise visirt, worauf der Verpestete, ungeachtet er erst vor wenigen Stunden Halle verließ, Ihr Rayonbureau und die Thorcontrol[l]e ungehindert passirt. Friedrich Ludwig Kreysing an Justus Radius, Dresden, 20. März 1832628 Was meine Ansicht von der Verbreitung der Cholera anlangt, so werden Sie in London wieder das Gesetz bestätigt finden, daß die Luft sich erst nach Verlauf von 14 Tagen von dem ersten Fall an so anschwängert, daß in dem erkrankten Orte nun völlige Epidemie daraus wird. Da nun an säubern Orten und bei säubern Menschen - oder wo der erste Kranke entdeckt und isolirt wird, - die Krankheit keinen Fortgang hat, umgekehrt im Verhältnisse

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des vorhandenen menschlichen Schmu[t]zes in volkreichen Orten die Krankheit sich desto mehr ausbreitet, so kann ich kaum zweifeln, daß der letztere das Mittelglied ist, durch welches das Gift multiplicirt wird. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 22. März 1832629 Könnten Sie sich nur überzeugen, daß ich ganz anders bestehen werde, als Ihre aufgeschreckte Einbildungskraft sich das alles von mir ausmalt, Sie würden gewiß selbst ruhig und zufrieden sein und sich auf unser baldiges Widersehen freuen. Ja, meine Ihnen sonst bekannte Ängstlichkeit berührt mich nicht einmal [...]. Suchen Sie Str[auss] zu beruhigen. Er solle sich keine Vorwürfe machen, sich nicht quälen, ich habe mich die ganze Zeit sehr um ihn geängstigt. Ich fürchtete, er werde krank werden, und da würde ich mir die Schuld daran zuschreiben. Er soll nicht krank werden und wieder munter, und dann ist es auch für mich gut. Friedrich August Gottreu Tholuck an Albrecht Lührs, Halle, 26. März 1832630 Die Cholera ist über meinem Haupte schwer hereingebrochen. Zwei Kinder und eine Magd Stegmanns ist gestorben, meine Schwester und Köchin und ein mir von seinem Vater sehr ans Herz gelegter Kandidat erkrankt, darauf erfolgten noch andre Erkrankungen im Hause am Nervenfieber. An einem Abend um zehn Uhr erkrankten vier Personen auf einmal; keine Krankenwärterin zu bekommen, die vorige mit ihrer Tochter war selbst an der Cholera gestorben. Aber wohl dem, der sein Haus nicht auf Menschen, die Sand sind, sondern auf den Felsen gebaut hat. So lebendig hatte ich lange nicht wieder Seine Nähe empfunden. Ich selbst bin völlig bewahrt geblieben. Meine liebe Schwester ist jetzt ganz für den Herrn gewonnen und hat in der Masse der Prüfungen ihren Glauben herrlich bewährt. Die Vorlesungen sind durch die Cholera auch gestört worden; doch hat namentlich das Wort von der Kanzel herab mehr offene Herzen gefunden. Dr. J. Rappaport an Justus Radius, Lemberg, 28. März 1832631 Die Wunderwirkung der Homöopathik kann ich Sie versichern, daß wir hier bei der Cholera weder im Spitale noch in der Privatpraxis etwas Erhebliches und Empfehlendes von dieser Methode wahrgenommen haben. Drei Cholerakranke, welche zur Behandlung im St. Magdalenenspitale dem hiesigen Homöopathiker übergeben wurden, starben insgesammt, nachdem sie sich über den erstickenden Dampf der Kampherräucherungen, und über das heftige Brennen im Magen von dem inneren Gebrauche der allzugroßen Gaben des Kamphers, sehr und bitter beklagten. Der traurige Erfolg dieser Methode ließ es nicht zu, Mehrefre] dergleichen Behandlung oder vielmehr Mißhandlung auszusetzen. Übrigens sucht man noch immer hier den Glauben des Publicum zu bethören, welchen eine Zeitlang durch Täuschung hinzuhalten nicht gar schwer ist. Jedes neue System, jede Erneuerung, jede Wundererzählung hat von jeher den Anhang und den Irrglauben des Publicum gefesselt, die Zeit und die kalte Vernunft hat die Mängel und die Gebrechlichkeit derselben dargethan. Dieses wird wahrscheinlich auch das Schicksal der Homöopathik sein, denn außer der Diät und der Beschränkung der allzugroßen Freigebigkeit der Allopathik im

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Mischen und Reichen von Arzneien hat dieses System nichts Wissenschaftliches und Vernünftiges aufzuweisen, das Phantom schwindet, je näher man es betrachtet. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 29. März 1832632 Ich reise heute mittag um 12 Uhr von hier ab. Ihren Brief erhalte ich also noch vorher. Wenn später welche ankommen, werden sie mir von Strauss nachgeschickt. Seit vorgestern ist die Cholera hier. Bis jetzt nur in der Cite. Gestern wurden schon zehn Kranke ins Spital gebracht. Meine Abreise hängt damit nicht zusammen, die war früher schon bestimmt. Es werden gewiß viele Fremde Paris verlassen. Schon diesen morgen hörte ich zufällig von einer mir bekannten Wiener Familie, die heute abreist. Das wird den Geschäften hier, die anfingen, etwas besser zu gehen, einen starken Stoß geben. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Chalons, 30. März 1832аг Ich wünsche nur, daß Sie meinen gestrigen Brief aus Paris früher bekommen als die Nachricht von der ausgebrochenen Cholera. Es könnte Sie doch ängstlich machen, wenn Sie glaubten, ich wäre noch dort. Ich habe es an mir selbst erfahren, daß sich die Cholera-Angst leicht abstumpft. Schon Dienstag abends wußte ich, daß die gute echte Cholera in Paris sei. Anfänglich bekam ich auch etwas Furcht; aber schon den andern Tag dachte ich wenig daran, und wäre meine Abreise nicht schon früher auf Donnerstag bestimmt gewesen, wäre ich ohne Angst noch länger in Paris geblieben. Einige Stationen hinter Paris traf ich auf eine Wiener jüdische Familie, die in größter Eile die Flucht nahm. Im Fortlaufen sind wir Juden voran. Ich habe heute gehört, die Cholera wäre in München. Nach Straßburg wird sie wohl auch bald kommen. Heut den ganzen Tag habe ich mich mit einem Romane beschäftigt, von dem ich aber nur den Titel fertig habe. Des Hofrats und Professors Buttermilch Flucht vor der Cholera, Antikritik, Nichte und Wasserkur. Darin will ich die Reiseabenteuer eines hypochondrischen deutschen Gelehrten schildern. Neben ihm seine lebensfrohe junge Nichte. Liebschaft mit einem jungen Arzte, der den Onkel zu seiner Sicherheit begleitet. Buttermilch gebraucht Oertels Wasserkur und ersauft beinahe. Auf dem Wege liest er eine schlechte Rezension seiner neuesten Schrift, hat aber diätetische Angst, sich zu ärgern. Fragt den Doktor: habe ich mich geärgert? Dieser sagt ja, damit er sich ins Bett lege, schwitze und schlafe. Unterdessen macht er der Nichte den Hof. Buttermilch schreibt eine sehr saftige Antikritik, droht aber dem Rezensenten mit einer stärkeren Antwort, sobald die Cholera vorüber ist. Usw.

Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, Paris, 31. März 1832634 Aber seit wir das Gespenst hier haben, will ich Euch nun regelmäßig schreiben, damit ihr wisset, ich sei wohlauf und arbeite weiter. Nur Goethe's Verlust ist eine Nachricht, die Einen wieder so arm macht! Wie anders sieht das Land aus! Es ist so eine von den Botschaften, deren ich manche hier schon bekommen habe, die mir nun beim Namen Paris immer einfallen werden, und deren Eindruck mir durch alle Freundlichkeit, alles Sausen und Brausen, und das ganze lustige Leben hier nicht verlöschen wird. Möge mich Gott nur vor noch schlimmem Nachrichten bewahren, und mich zu Euch Allen zur fröhlichen Wieder-

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kunft bringen; das ist die Hauptsache! Durch mehrere Umstände bin ich bewogen worden, meinen Aufenthalt hier wenigstens noch um 14 Tage, also bis Mitte April zu verlängern, und die Concertidee hat sogar wieder zu spuken angefangen; ich werde sie auch ausführen, wenn die Cholera nicht die Leute von musikalischen und sonstigen Vereinigungen abhält. Das zeigt sich in 8 Tagen, die ich auf jeden Fall noch hier bleibe; ich glaube aber, es wird alles seinen ruhigen Gang fortgehen, und der Figaro Recht behalten, der einen Artikel schreibt, der „enfonce le Cholera" heißt, in dem er behauptet, Paris sei das Grab aller Reputationen; man hätte da vor nichts Achtung; man gähne bei Paganini (er gefällt diesmal sehr wenig), man sehe sich nach einem Kaiser oder einem Dey auf der Straße nicht um, und so würde die Krankheit ihren sauer erworbenen schlechten Namen hier auch verlieren. Adele Schopenhauer an Ottilie von Goethe, [Bonn, Ende März 1832]6i5 Meine theure arme Ottilie, ich schreibe Dir anstatt Deiner Mutter, damit Du den Eindruck, den ein erster Brief macht nach einem solchen Schlage [Tod Goethes], schnell hinter Dir haben mögst - wie mir war, wie mir ist, weißt Du. Wenige Stunden vor Ankunft des Briefes war die Nachricht schon hier! Mich kostet die Cholera, ihn noch gesehen zu haben und jetzt bey Euch zu seyn; kön[n]te eine Seele den Körper sprengen und sich losreißen, so läge ich seelenlos hier, denn Tag und Nacht denke ich an Dich! Privatschreiben aus Wien, Anfang April 1832636 Die fatale Madame Cholera hat uns verlassen, und wir haben in allen unseren Kirchen bereits Seelenämter für die Verstorbenen und Те Deum laudamus als Dankopfer für das Ende der Krankheit abgesungen. Sie war mit uns sehr gnädig. Die Wiener-Zeitung wies in Allem nur 4131 Erkrankte aus, wovon 2155 genasen und 1976 starben. Für eine so große Volkszahl wohl eine sehr geringe Summe. - Wir haben die Tage der Gefahr auch schon vergessen und geben uns wieder dem alten lustigen Leben hin. Heinrich Heine an Johann Friedrich von Cotta, Paris, 2. April 1832611 Seit einigen Tagen herrscht in Paris die grenzenloseste Bestürzung, der Cholera wegen; fast alle meine Bekannte aus Deutschland und England sind abgereist. Ich würde auch fortgehen, wenn ich nicht bey der, durch die Cholera eintretenden Volksstimmung, die wichtigsten Dinge vorfallen könnten. Macht die Cholera Ravagen, so kann es hier sehr toll hergehen. Der Mißmuth der armen Classe ist grenzenlos. Es hängt alles davon ab, ob die Nazionalgarde rüstig bleibt und sich nie weigert zu marschiren. Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, Paris, 2. April 18326Ъ% Ich habe lange stillgeschwiegen, im tiefsten Missmute. Es sind mir schlimme Nachrichten hierher zugekommen, die von Goethe ist für uns alle ernst. Darum habe ich aber nichts zu schreiben und nichts zu beschliessen gewußt, wollte sogar noch drei Wochen hier bleiben, wusste eben nicht recht, was ich wollte, und fühlte nur, dass mir missmutig war. Jetzt hat die Cholera, die die Konzerte verbietet, den Ausschlag gegeben, und ich fange an, Licht zu sehen. Wenn Du die Stube für mich in Bury Street kriegen kannst, so nimm sie [...].

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Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Frankfurt/Main, 3. April

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Wenn wegen der Cholera nichts zu fürchten wäre, und Sie gerne in Straßburg sind so brauchen Sie ja auch nicht nach Zürich zu eilen. [...] Adieu mein lieber Freund, machen Sie sich keine unnöthigen Sorgen wegen der Cholera, seyn Sie vergnügt und heiter. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Straßburg, 5. April 1832м0 Eben höre ich erzählen, die Cholera soll arg in Paris seyn, von 160 davon befallenen sollen 100 gestorben seyn, und meisten in den höhern Ständen. Wenn die Cholera näher rücken sollte, so warten Sie ja nicht auf mich, und gehen nach Zürich, wo ich dann nachkomme. Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, Berlin, 6. April

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Heute steht's bestimmt in der Spener'sehen Zeitung, daß die Cholera in Paris ist: und mit allen Umständen. Kommt Sie in eure Nähe: wandelt dich die mindeste Furcht an: reise ab. Komme zu uns zurück; lasse Scham und Schande, und der Leute Wunder und Tadel! (Ich weiß, welche Krankheit ich ohne Cholera, von ihrer Luft, ein Jahr ausgestanden. Gott selbst kann das nicht verlangen.) Die Kosten habe ich für dich zu liegen; es erfährt es kein Mensch: mein einzig Glück! für alle meine Leiden, die nun wirkliche Beklemmungen!!!! geworden waren: laß mir das. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Straßburg, 6. April 1832м2 Dank, Dank für die schönen Schmelzele-Züge, die Sie mir zu meinem [Cholera-] Roman geliefert. Vergiftete anonyme Briefe ... Essigräuchern - das hätte ich nicht erfunden! Sie bekommen auch Ihren Teil Honorar. Meinem hypochondrischen Professor selbst kann ich diese Züge nicht anheften, denn solche Menschen treiben keine demagogischen Umtriebe. Ich werde aber den jungen Menschen, der ihn auf der Reise begleitet und in seine Nichte verliebt ist, zum demokratischen Schriftsteller machen und dem Professor zu seiner Cholera-Angst noch die politische geben: er möchte als ein Mitschuldiger des Demagogen angesehen werden. [...] Die Cholera in Paris, wie ich es schon vorhergesehen im vorigen Jahre, ist ärger als irgendwo. Die Medizinalanstalten sind zu schlecht und die Unreinlichkeit überall zu groß. Paris ist nur halb so bevölkert als London und hat 2mal soviel Kranke. Am letzten Tage kamen 252 neue Kranke. In London an den schlimmsten Tagen waren es nur 100. [...] Ich habe heute dem Strauss geschrieben. Schreiben Sie ihm doch, er möchte etwas vorsichtig sein, sowohl wegen der Cholera als besonders sich in keinen Straßenlärm zu mischen. Ich habe ihn auch dringend gewarnt. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Straßburg, 7. April 7&32643 Was Sie mir über das Ziel unserer Reise in bezug auf die Cholera sagen, haben Sie ganz recht: es kann sein, daß wir ihr entgegeneilen. Und da weiß ich Ihnen wahrhaftig nicht zu raten und muß Sie Ihrer eigenen Entschließung überlassen. Für Sie wäre freilich besser, im Falle die Cholera ausbreche, in Frankfurt zu sein. Das Schlimmste ist, daß sich ihr Lauf gar nicht berechnen läßt. In Halle ist sie schon monatelang, und in Leipzig, das nur 6 Stunden

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davon entfernt, bis jetzt noch nicht. Auch wird so viel gelogen. Gestern hieß es, die Cholera wäre in Lausanne. Schon vor einigen Tagen sagten Pariser Blätter, sie wäre in Bern und Genf. Das alles aber ist bestimmt nicht wahr. In Paris ist es fürchterlich. Am letzten Tage allein kamen 270 Kranke und 127 Tote hinzu. Sie müssen nicht versäumen, die jetzt so interessanten Pariser Blätter zu lesen. Mit den Vergiftungen ist es fürchterlich. Wein, Fleisch, Milch, Wasser wird vergiftet. Es wagt keiner mehr, etwas zu genießen. - Eben erzählt mir jemand, es sei gestern eine telegraphische Depesche angekommen, in Paris sei Aufruhr, und es werde mit Kanonen auf das Volk geschossen. Die hiesige Zeitung enthält aber nichts davon, und so mag es nicht wahr sein. Heinrich von Gagern an Reinhard Eigenbrodt, Paris, 7.-9. April 1832м4 Wer diesen Pöbel in den letzten Tagen hier gesehen hat, weiß, was er davon zu halten. Mit der Anmaßung, das Geschick der Welt in den Fäusten zu tragen und ein Urteil über alles zu haben, ist er der roheste, unwissendste, kannibalischste Pöbel, der in der Welt zu finden. Ich kann mir denken, daß auf einen russischen Pöbel ein patriarchalisches Ansehen oder eine große, zur rechten Zeit entfaltete Energie, wie die Peters des Großen in der Versammlung der Strelitzen, Einfluß ausüben könnte. An alles dies ist hier nicht zu denken; der hiesige Pöbel ist durch nichts zu beschwichtigen als durch Gewalt. Ich will Dir nicht von den Ursachen der Erneute der Chiffoniers [während der Cholera] reden - die Zeitungen werden Dich davon unterrichten aber von der Erneute selbst, die ich zum Teil mitgemacht, d.h. mich an Ort und Stelle befunden habe. Die Theater werden, je größer ihre Zahl (während meines Hierseins sind zwei neue eröffnet worden) immer schlechter. Überdem vermindert die Cholera den Zudrang, so daß man oft leere Bänke findet. Mehrere Theater sprechen davon, einstweilen zu schließen, weil ihre Kosten nicht gedeckt würden. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, Straßburg, 9. April 18321645 Wegen der Cholera wäre es eins, wenn sie nach Zürich, käme sie auch noch nach Freiburg. Es bleibt also bei Freiburg, und ich komme hin. [...] Wir wollen uns vornehmen, wenn wir zusammen sind, recht froh und vergnügt zu sein und nicht, wie vorigen Sommer, von der dummen Cholera uns plagen lassen. Kömmt sie und muß man sterben, so ist's ja doch nicht abzuhalten, also wollen wir wie Helden stehen und uns nicht wieder durch so unleidliche Sorgen das noch allenfalls zugemessene Leben versauern. Der Str[auss] ist ein merkwürdiger Mensch - welche ein Leichtsinn! Alle diese Vorfälle in Paris interessieren ihn im höchsten Grade, und er denkt nicht entfernt daran, deswegen Paris zu verlassen. [...] Machen Sie nur, daß Sie aus Straßburg wegkommen, ich zweifle nicht, daß die Cholera sehr bald dort seyn wird. [...] Eben war der Schneider da, hat mir ein hübsches Heid für die Reise gebracht, trotz der Cholera-Sorgen erwarte ich auch noch heute die Putzmacherin.

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Anton Fischer an Samuel Hahnemann, Brünn, 10. April 1832й6 Als das Jahr 1831 uns mit der Cholera bedrohete, wurden Aerzte für Cholera-Spital requirirt, ich trug mich zu diesem Geschäfte frey willig an; als ich aber genauer darüber nachdachte, und auch erfuhr, daß ich dabei unter der Aufsicht eines meinen Todtfeinden B. gestellt werde, und nebst dem, von ihm ungebührlichen Benehmen, so ich zu erwarten hät[t]e, noch auch die Schande des üblen Erfolgs dieser B. ... g tragen zu müßen, strebte ich einen ehrenvollen Ausweg zu finden, den ich auch Gott sei dank! in der Anstellung auf der Herrschaft Raigern nechst Brünn auch richtig fand, wo ich diese Epidemie mit Glück, zur Zufriedenheit der Obrigkeit, den Herren Beamte, so auch der Unterthanen zu beobachten, und zu heilen die Gelegenheit gehabt hatte. Clemens Brentano an Christian Brentano, Frankfurt/Main, 10. April У552647 [Abbe S. L. Daubree] hat mir einen höchst liebenswürdigen, frommen, geistvollen Brief geschrieben, und meldet mir mit großer christlicher Theilnahme, Carl [von Savigny] werde katholische Philosophie und französische Geschichte studiren, Bonald, Maistre, Lamenais lesen; mit ihm und auch mit Gerbert, der Philosophie liest, Conferencen halten und schriftliche Aufsätze über diese Materien bei ihnen machen; wenn er seinem Vorsatze treu bleibe, hoffe er, daß er einer der Wenigen sein werde, denen der Pariser Aufenthalt nütze; jedoch scheine Gott in schrecklichen Ereignissen und Züchtigungen bald auf eine Zeit lang der einzige Professor und die Noth die einzige Wissenschaft werden zu sollen. Die Zeitungen werden bald gezwungen sein, die viel größere Zahl der Cholerafalle wahrhaft zu melden, die mit den scheußlichsten Vergiftungen gepaart gingen, auch sei nichts Anderes zu erwarten, als ein baldiger Aufstand, es stehn alle auf einem schrecklichen Grade der Spannung. Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, Baden-Baden, 11. April 183264i Die Furcht vor der Cholera kann mich hier nicht wegtreiben; denn wohin sollte man ihr entfliehen; und wo wäre man sicherer als hier in den Bergen und in meinem Hause, mit hintergelegenem Berggarten? Nur die Einrichtungen und die zusammengedrängte Pöbelmasse haben mich von Berlin weggetrieben, so wie ich bei'm Ausbruch der Cholera von Paris geflohen wäre. Berlin hatte ich überdies satt, und Sehnsucht, nach Landruhe und Einsamkeit. [...] Für's erste aber fürchte ich die Cholera nicht und für's zweite würde ich desshalb nicht einen Schritt weit ausweichen. - Man ist in Gottes Hand, und warum sollte man nicht, wie Goethe, bis zum letzten Augenblick sich des gewohnten Wirkens erfreuen. Dieser großartig-glückliche Tod hat mich ... hat mich gefreuet. Heinrich Heine an Johann Friedrich von Cotta, Paris, 11. April 1832649 Mein vieljähriger Freund, August Lewald, welcher Ihnen bereits literarisch bekannt seyn wird, hat das Vergnügen diese Zeilen zu überreichen. Die Cholera, welche ihre Schrecken in alle Geister hineingießt, verscheucht auch diesen Freund aus dem schönen Paris, welches jetzt einen sehr mißbehaglichen Anblick gewährt. [...] Wir leben hier wahrlich in einer sehr traurigen Zeit; ich selber bin um so schlimmer dran, da ein sehr naher Verwandter von mir krank liegt. Sonst wäre ich aufs Land gezogen. - Der Dreysternkorrespondent erzählt mir

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gestern bey Tische, daß ihm seine engsten Röcke jetzt zu weit sind. Man ißt jetzt sein Brod im Angstschweiße seines Angesichts. Dabey ist schönes Frühlingswetter. Die Bäume werden grün und die Menschen werden blau. - Ich hoffe, daß Ihre Stadt von der Cholera verschont bleibe [...]. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Karlsruhe, 12. April 7S32650 Als ich mittags auf meinem Zimmer war, meldet mir Conrad einen Polizei-Kommisär, der mich sprechen wolle. Sogleich werfe ich mich in eine grobe Positur und heiße ihn hereinkommen. Es war nichts, als daß er mit der größten Höflichkeit meinen Paß forderte, weil man auf der Polizei sehen wollte, wann ich Paris verlassen, wegen der Cholera und Quarantäne. [...] Wahrscheinlich kömmt die Cholera nicht nach Straßburg, wenigstens so bald nicht. Merkwürdig ist, daß, während die ganze Umgegend von Paris angesteckt ist, nur die Seite nach Deutschland frei geblieben, so daß die Cholera nicht einmal im nächsten Dorfe ist. Otto Nicolai an Carl Nicolai, Berlin, 12. April 1832651 Ich bin mit der Partitur meines [Cholera-] „Те deums" fertig; die Partitur ist bereits kopiert und befindet sich in den Händen des Generaladjutanten des Königs, Graf v. Witzleben, dem sie der Kapellmeister Schneider selbst überbracht hat. Ich möchte das Werk gerne zur Ausführung bringen; deshalb habe ich alle Hände voll zu tun, da ich die Stimmen großenteils selbst schreiben muß, weil das Notenkopieren eine höchst kostspielige Sache ist. Friedrich August von Stägemann an Ignaz von Olfers, Berlin, 15. April 1832652 Alfexander] v. Humboldt hat einen Wink erhalten, zurükkzukommen. Vielleicht will man ihn der Cholera entrükken, die in Paris schlimm zu werden scheint. Die Punschkur von Magendie hätte ich mir schon gefallen lassen, wünsche aber doch nicht, dass sie bei dem Minister C. Perier möge angewendet werden, dessen Tod in diesem Augenblikk eine europäische Begebenheit seyn würde. Bis jetzt habe ich Herrn Bignon nicht unter den Choleraristen gefunden. Felix Mendelssohn Bartholdy an Heinrich Bärmann, Paris, 16. April 1832?" Vor allen Dingen muß ich mich nun entschuldigen, Dir so lange nicht geschrieben zu haben. Nimm mir's nicht übel, lieber Kerl, es war unmöglich! - Ich war so verdrießlich wie ein Meerschweinchen und fühlte mich so unwohl wie ein Fisch im Sande den ganzen Winter hindurch. Immer fehlte mir etwas, und so bin ich endlich in der letzten Zeit ordentlich krank geworden, mußte im Bett liegen, meinen Bauch von einer alten Frau massieren lassen, warme Tücher tragen, viel schwitzen, nichts essen, viel Besuche und Mitleid annehmen, alles zum Teufel wünschen, Münzpillen nehmen, mich langweilen, und somit meinen Ärger, mein Bauchweh und die anziehende Cholera, die ich bekommen sollte, ausschwitzen. Nun habe ich ausgeschwitzt, fühle mich zum ersten Male seit mehreren Monaten frei und munter, und da schreibe ich Dir denn gleich, Du prächtiger Klarinettenbär und Mann! [...] Die Cholera hat entsetzlich hier gerast, und die Leute denken nicht mehr an Musik, nur an

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Kolik. Wer reisen konnte, ist gereist; die anderen gehen abends nicht aus. Und hätte ich mir nicht meinen Bauch von einer alten Frau reiben lassen müssen, so wäre ich längst fort. Hoffentlich reise ich aber nun in den nächsten Tagen nach London! Dort ist die Cholera ganz vorbei. Übrigens stimmen auch hier alle überein, daß sie zu heilen ist, wenn man gleich, sobald man sich unwohl fühlt, zu Hause bleibt, sich warm hält und in acht nimmt. Merke Dir es, im Falle sie zu Euch käme! Halte Dich warm, und behandle jede Diarrhöe mit Respekt, dann hat sie Dir nichts an! Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, Paris, 18. April 1832654 Abermals ein Brief statt meiner; aber, so Gott will, folg' ich ihm bald. Eine fatale Krankheit hat mich die letzten Wochen ans Bett und Zimmer gefesselt. Aber endlich morgen Abend soll ich reisen dürfen. Der Himmel gebe es und lasse mich Dich Wiedersehen; ich sehne mich da zu sein, wie ich's nicht aussprechen kann. Morgen Abend mit der malle [?] denke ich fortzugehen und Ostersonntag abends bei Dir zu sein. Wenn ich erst da bin, so liegt eine schlimme Zeit hinter mir. Lea Mendelssohn-Bartholdy an Ferdinand David, Berlin, 19. April 1832655 Felix war den 11. dieses [Monats] noch in Paris, worüber wir uns sehr ängstigten, denn wenn man jeden Abend von 500-1000 Cholerakranken liest, so kann man sich der größten Besorgnisse nicht erwehren. Wir begreifen auch nicht, weshalb er mit der Abreise zögert, da jetzt in musikalischer Hinsicht durchaus Nichts zu machen ist und der Aufenthalt auch sonst unendlich traurig geworden. - In London, wohin er auf einige Wochen zu gehen denkt, ist die Krankheit hingegen im Erlöschen [...]. Heinrich Heine an Johann Friedrich von Cotta, Paris, 21. April 1832m Ich hätte gestern, mit meinem Artikel vom 19ten, schon diese Zeilen mitgeschickt, wenn nicht just die Post abgegangen wäre. Auch hatte eine kleine Unpäßlichkeit mich mit Cholera-Angst erfüllt und ich wollte meinen Artikel nur schnell in Sicherheit bringen. [...] Es geht aber nichts vor in diesem Augenblick, was großer Beschreibung werth wäre. Das Jüstemilieu hat die Cholera. Wer wird in dieser Misere die Zügel des Ministeriums ergreifen? das ist die leidige Frage, die jetzt alle Geister beschäftigt, wenn sie müde sind an die ewige Cholera zu denken. Es läßt sich jedoch nichts bestimmtes darüber sagen. [...] Ich war so frey einem Choleraflüchtling, Herrn Lewald, einen Empfehlungsbrief an Sie mitzugeben; ich hoffe, daß er glücklich angekommen seyn mag. Wir leben noch immer in einem fatalen Zustande. Die letzten 14 Tage waren trostlos. Indessen ich habe noch weit Schlimmeres erwartet. Es scheint als habe das viele Sterben vielmehr das Volk niedergebeugt; ich erwartete im Gegentheil die rasendsten Ausbrüche seiner Leidenschaft. Giacomo Meyerbeer an Minna Meyerbeer, London, 22. April 1832657 Mein theures angebethetes Weib! Ich habe Deinen Brief aus Nancy empfangen und mit Schreck dann aber mit erleichtertem Herzen die Geschichte Deines umgeworfenen Wagens gelesen. Ich hoffe der Schreck wird Deine Nerven nicht erschüttert haben. Schreibe mir ja

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recht genau wie Du Dich befindest meine Einzige, ob sich der Husten nicht hat wieder blikken lassen, und wie es mit dem Reitz im Halse und mit der Heiserkeit steht. Wüßte ich Dich nur erst aus Frankreich. Die Cholera ist würklich ganz liberaler Natur in Frankreich, und packt die Vornehmsten, Reichsten, Solidesten und Gesündesten Leute. August Lewald an Heinrich Heine, Stuttgart, 22. April 1832№% Mit Chlor und Essig geräuchert und gewaschen, und nach 6tägiger Quarantaine in Strasburg habe ich endlich deutschen Boden betreten dürfen. Ob's der Mühe werth war, weiß ich noch nicht. Das langweilige Nest, worin ich mich jetzt befinde, scheint mir's wenigstens nicht zu seyn. Gestern besuchte ich Cotta [...]. Auch nach Donndorff erkundigte er sich angelegentlich. Ich erzählte den Spaß mit dem Choleraanfall aus Hunger, worüber er herzlich lachte. Christoph Wilhelm Hufeland an eine Freundin in Weimar, Berlin, 23. April 1832I659 Neuigkeiten von hier weiß ich Ihnen nicht zu melden. Von der Cholera, die aber jetzt keine Neuigkeit mehr ist, hätt ich Ihnen zwar Mancherlei zu erzählen; doch erspare ich dies auf eine mündliche Unterredung. Eine Schande ist freilich für uns Berliner Aerzte, daß, seitdem in Cholera in zivilisirten Ländern, d.h. solchen herrscht, wo es eine medicinische Polizei giebt und Totenlisten angefertigt werden, an keinem Ort, in Verhältniß zu der Zahl der Erkrankten, so viele Menschen daran gestorben sind, als hier. Deshalb behaupten auch die witzigen Berliner, die Cholera habe bei ihrem Abschied aus Berlin gesagt, sie könne unmöglich länger an einem Ort bleiben, wo sie so schlecht behandelt werde. Ludwig Feuerbach an Eduard Feuerbach, Frankfurt/Main, 26. April 1832I660 Wie steht es mit Deinem Vorhaben hinsichtlfich] Dorpfat] und Deinen Aussichten? Wo warst Du die Ferien? Was machen die Meinigen? Von Fritz erhielt ich noch vor dem Ausbruch der Cholera in Paris einen Brief, aber seitdem weiß ich nichts von ihm. Ich hoffe aber und glaube es fast sicherlich, daß ihm nichts widerfahren ist. Wilhelm Grimm an Charlotte Hassenpflug, Göttingen, 28. April 1832m Gestern war der Kurprinz hier. [...] S. Hoheit war indessen gnädig, ließ mich vor u. ich bemühte mich, die unbedeutendsten Dinge aufs Tapet zu bringen, damit er nicht glauben möchte, ich komme mit einer Absicht. Einen Fehler habe ich gemacht. Er sagte: er wolle sich der Cholera wegen in Wilhelmshöhe abschließen, da er keine Lust zu sterben habe; ich hielt das für Spaß u. sagte, er werde gewiß das erste Beispiel von Muth geben; allein hernach merkte ich, daß es sein Ernst war. Carl Heine an Heinrich Heine, Valenciennes, 28. April 1832662 Ich hoffe, Du befindest Dich im besten Wohlsein, trinkst regelmäßig Deinen Thee, und nimmst nach dem Diner Deine Pfeffermünz. - Mit vieler Freude sehe ich, daß die Krankheit in Paris abnimmt, und so hoffe ich wird sie bald ihr Ende erreicht haben. - An Courage den

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noch übrigen Theil dieser unangenehmen Zeit zu überstehen, wird es Dir nicht fehlen; nachher wird man sich am Ende noch freuen, die Zeit mitverlebt zu haben; sollte die Krankheit wider Erwarten mehr nachtheilig als in der letzten Zeit werden, so rathe [ich] Dir doch jedenfalls wegzugehen. - Das Schlimmste ist aber meines Erachtens nach überstanden. Du siehst durch die Überschrift, daß ich mich noch in Valenciennes befinde; ich weiß nicht ob Du diese liebe Stadt kennst, sonst brauchte [ich] Dir nicht zu sagen, daß sie an Langweiligkeit ihres Gleichen sucht. - Leider ist die Quarantaine viel länger, als ich vermuthete, und mir in Paris gesagt worden. - Die von Paris kommenden Reisenden, so hieß es, müssen sechs volle Tage in Valenciennes bleiben und man merkt eigentlich erst hier an der Gränze für wie verpestet das schöne Paris gehalten wird. Giacomo Meyerbeer an Minna Meyerbeer, London, 30. April 1832ш Die Cholera treibt es arg in Paris. - Der arme Philipp (der hanovranische Legationssekretär), einer meiner ältesten Bekannten ist auch daran gestorben. Und denke Dir, Balochi mit dem ich wie Du weißt täglich an der italiänischen Übersetzung von „Robert" trotz seiner degoutanten Krankheit arbeitete, ist wenig Tage nach meiner Abreise von Paris ein Opfer der Cholera gefallen. Wenn das 14 Tage früher erfolgt wäre!! Heinrich Zschokke an Karl von Rotteck, Aarau, 2. Mai 1832ш Verleihe der Himmel den Europäern seinen Frieden; denn ein Bruch desselben bricht den ganzen Welttheil zusammen, vom Tago bis zur Weichsel, von der Eider bis zum Garigliano. Die Cholera hat manche Hunderttausend dahingerafft; aber ich fürchte, sie rafft die Throne und Völker hin, wenn sie den starkmüthigen Perier ablöset. So kann ein Glastropfen den Schlag des Hammers ertragen, aber bricht man die zarte Spitze ab, zerspringt er in tausend Glasstäubchen. Carl Heine an Heinrich Heine, Hamburg, 8. Mai 1832665 Ich hoffe, mein lieber Harry, die C[h]olera hat bereits aufgehört bei Empfang dieses und Du kannst Deine Passage mit ruhigem Vergnügen genies[s]en. - Die Pariser werden es nach Beendigung der C[h]olera nicht an Entschädigung fehlen lassen und verlorene Amüsements einholen. Nachdem die Zeit in Paris vorbei ist, kann man sich freuen, sie erlebt zu haben; ich werde meine Lebelang daran denken. Karl Leberecht Immermann an Charlotte Bertog, Düsseldorf, 8. Mat 1832666 Die Cholerafurcht hoffe ich zu besiegen, wenn die Krankheit erst hier erschienen seyn wird, wozu nach den gestrigen Nachrichten, nach welchen sie in Metz ausgebrochen ist, nähere Aussicht ist. Die Mosel, an welcher Metz liegt, wird sie wohl bald dem Rheine zuspediren. An Euch, Ihr Lieben, ist das Ungethüm doch gnädig vorübergegangen. Es ist wirklich wunderbar, daß kein einziger Halberstädtischer Ort davon berührt worden ist.

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Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, London, 11. Mai 1832667 Wie glücklich die ersten Wochen hier waren, kann ich Euch nicht beschreiben. Wenn von Zeit zu Zeit sich alles Schlimme häuft, wie den Winter in Paris, wo ich die liebsten Menschen verlieren mußte, mich nie heimisch fühlte, endlich sehr krank wurde, so kommt denn auch wieder einmal das Gegentheil, und so ist es hier im lieben Lande, wo ich meine Freunde wiederfinde, mich wohl, und unter wohlwollenden Menschen weiß, und wo ich das Gefühl der zurückgekehrten Gesundheit im vollsten Maße genieße. Privatschreiben aus Czernowitz, 13. Mai 1832I668 Das Journal de Francfort führt an, daß der Verfasser dieses Werkes [über die Cholera], welches in Paris als höchst wichtig und nützlich anerkannt wurde, behauptet, daß, wenn er die Thore von Paris den Zugemüsen, Obste und Milch schließen könnte, und jedermann blos Eier und Reiß genießen wollte, diese Krankheit in zehn Tagen gänzlich verschwunden wäre! Die Minister des Innern und des Handels haben jeder sogleich auf 2000 Exemplare unterzeichnet! Ein Quacksalber wird von Jaffy fortgejagt, und macht hierauf bei der sogenannten großen Nation, in der Hauptstadt der höchsten Intelligenz so viel Aufsehens!!! Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 13. Mai 1832669 Mich befremdet es, dass so wenige derer, die über die Cholera schreiben, Ihre Schrift benutzen und im Ganzen so wenige günstige Recensionen darüber erscheinen. Ich sehe nur 3 Gründe: 1) Alles Literarische, Geschichtliche, selbst die lehrreichste und geistvollste Benutzung anderer Schriftsteller ist der jetzigen Generation zuwider, oder sie verkennt doch den Werth davon; 2) die bei weitem grössere Zahl der Ärzte sind gegen die Ansteckung und fühlen sich zurückgestossen, sobald sie diese vertheidigt finden; 3) fast allgemein ist man des Lesens von Choleraschriften überdrüssig und auch die besten, selbst die aus eigener Beobachtung geschöpften, werden nicht gekauft, oder doch nicht gelesen. Es ist überhaupt eine sonderbare Zeit, und wer das Höchste leistet, kann darum doch nicht erwarten, dass man ihn hören oder ihm Aufmerksamkeit widmen werde. Die Menschen sind in der Tat übersättigt und so flach, dass sie Anstrengung und Studium scheuen. [.··] Auf meine Schrift, die gleich nach Pfingsten erscheinen wird, habe ich alles Nachdenken und jede Art von Fleiss verwandt, dessen ich fähig bin. Von meiner Seite habe ich gethan, was mir oblag. Es kann darum doch sehr wohl seyn, dass sie ignorirt wird und nicht einmal Geschrei, Widerspruch, Widerlegung erregt. Diese, so Viele kränkende Reaction ist schon ein grosses, seltenes Glück, das ein Buch hat. Ich habe die Gelegenheit bei den Haaren herbeigezogen, umständlich über die Ansteckung der Cholera zu sprechen. Privatschreiben aus St. Petersburg, 14. Mai 1832610 Seit etwa vier Wochen kommen häufig Fälle von sporadischer Brechruhr vor, ja selbst einige Beispiele, die der epidemischen indischen Cholera sehr ähnlich gewesen sind. Wahrheitsliebende, ruhig beobachtende, nicht überspannte Aerzte sahen Fälle dieser Art, und glauben darin Vorboten der gefürchteten wiederkehrenden Cholera zu erkennen. Bemer-

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kenswerth ist dabei noch der schnelle Uebergang der lebensgefährlichsten Zufälle in Besserung und Genesung. Die Gelegenheitsursachen ließen sich in den von mir gesehenen und mir näher bekannt gewordenen Fällen zwanglos nachweisen, ja die Kranken, oder ihre Umgebung schuldigten sie selbst sehr richtig an; - grobe Diätfehler und Erkältung waren es meistentheils. Lulu Brentano an Gunda von Savigny, Paris, 15. Mai 1832611 Liebe Gunda! Du beschämst mich mit Deinem Dank den ich nicht verdiene, Franz hat die Krankheit [Cholera] nicht gehabt, und wenn er sie gehabt hätte so fände ich daß ich nur eine natürliche strenge Pflicht erfüllt haben würde, wenn ich ihn besorgt hätte. Die Sache war diese: bei einer kleinen Unpäßlichkeit war es mir ängstlich die Neffen im Wirthshaus zu wissen während der Krankheit, ich bat sie also zu mir zu ziehen damit ich sie unter Augen hätte und besser besorgen könne, Franzens Arzt rieth sehr dazu, wir rückten zusammen und die Neffen zogen ein [...]. Die Cholera ist beinahe zu Ende. Dank sei es dem Himmel, daß diese Geißel vorüber ist, es ist so kalt hier daß wir wie im Winter frieren müssen [...]. Heinrich Heine an Karl August Varnhagen von Ense, Paris, Mitte Mai 1832672 Schon an die zwey Monath schleppe ich mich mit dem Gedanken Ihnen zu schreiben. Aber da kam unterdessen die vermaledeite Cholera und jetzt leide ich, ungewöhnlich heftig, seit 14 Tagen an meinem Kopfe. [...] Jetzt hat mich Gottlob die Cholera von manchen überlästigen Gesellen befreyt, nemlich die Furcht vor derselben. - Es war nicht eigentlicher Muth daß ich nicht ebenfalls von Paris entfloh, als der panische Schrecken einriß; ehrlich gesagt, ich war zu faul. - Börne hatte längst abreisen wollen, und man thut ihm Unrecht wenn man seine Abreise der Furcht beymaß. Friedrich Wilhelm Ernst Schiller an Maria Magdalena Schiller, Halle, 24. Mai 1832?n Meine innigst geliebte Frau, so sitze ich denn 23 Meilen im Rücken von Berlin, mitten in der gefürchteten Cholera. Ich logire im großen Hotel zum Kronprinzen, einem für Halle prächtigen Gebäude, und bin der einzige, allereinzigste Fremde. Alles flieht [...]. Also mitten in der Cholera! Ich könnte es mir selbst kaum denken, wenn ich nicht durch die Oede der Stadt daran erinnert würde. Ueber 1000 Menschen sind hier daran gestorben, heute noch zwei. Mais peu l'importe, ich fahre mit der Fortuna großem Segel und denke, morgen früh ohne Cholera hier abzukommen. Ich kam spät an; rechts und links der Chaussee brannten hier und da große Feuer, zur Bezeichnung der Dörfer, in welchen die Cholera wüthet. Es sah aus, wie an Königs Geburtstag; aber es war der Geburtstag des Todes. Es ist hier todtenstill. Ich schließe, weil es spät ist. Von Jena aus schreibe ich Dir, daß ich hier nicht gestorben bin. Lebe wohl und grüße Theresen. - Choleri - Cholera!

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Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Prinz Johann von Sachsen, Berlin, 31. Mai 1832m Die Seuche in Paris ist wirklich etwas Entsetzliches gewesen! Gott bewahre Euch und uns vor der Seuche in diesen Jahren!! [...] So im Schreiben gefalle ich mir in der apocalyptischen Rolle und decretire nunmehr, daß das Thier die Revoluzion ist und die Hure die Weisheit des 100s Jahrs, die immer vollauf frißt und säuft und den andern giebt in großen Haufen zu kosten und doch nimmer satt wird noch satt macht. Gewiß ist das Ding, was Revoluzion jetzt heißt, Etwas, was seit Erschaffung der Welt kein Mensche geträumt hatte bis 89. Es ist ganz etwas apart Behendes, Kluges und Gottloses darin, wie in Nichts Ähnlichem bis Daher, und den Reitz der Originalität kann Niemand ihm absprechen bey seinem Auftreten. Daß es nach 43 Jahren, nach soviel Blut und Thränen und nach so abgenutzten Kunst Griffen und Verführungen noch immer verführt, ist wahrlich kein Compliment für unser Geschlecht. Wenn nur die Könige sich frey hielten von dem Mahl Zeichen des Thiers - . Doch genug Apocalypse·, Laßt uns flugs ein recht kühles Thema wählen, um aus dem mystischen Wüste zu entkommen. [....] Die Pest die kühlt einen zu sehr, wenigstens die Pest, die jetzt die Länder verwüstet. Doch apropos davon: ist es wahr, daß man zu Dresden die Nachricht hat, daß in und bey Teplitz die Cholera ausgebrochen? Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, Baden-Baden, 1. Juni 1832675 Noch ist es hier ziemlich leer; auch verspricht man sich keine brillante Saison, seitdem die Cholera uns von jenseits des Rheins droht. Obgleich es nun möglich ist, daß wir dennoch verschont bleiben, indem bis jetzt alle Gerüchte von ihrem Herannahen sich als ungegründet gezeigt haben; so habe ich doch den Entschluß gefaßt keines Falls von hier zu weichen. Wohin soll man vor dieser Erdplage fliehen? Wie furchtbar, wenn man unterwegs krank würde? Welcher Ort vereinigt das was hier zusammentrifft, die reine freie Luft eines reinlichen wohlhabenden Gebirgsdorfes und Ärzte und Apotheke, wie in der größten Stadt, mein weitläufiges Quartier von sechs Zimmern und zwei Mansarden und einen Berggarten hinter dem Hause? - Und am Ende aller Enden..? Was Gott thut ist wohlgethan; oder wie Du sagst: Gott ist klüger als ich. - Wir leben also ruhig und genießen des Wetters und der Gegend, ohne daß besonders viel oder ängstlich von dem Unvermeidlichen die Rede wäre. Lulu Brentano an Gunda von Savigny, Paris, 2. Juni 1832616 Heute erst kann ich auf Deinen lieben vertrauungsvollen Brief antworten den ich vor sechs Tagen erhielt, ich mußte erst genau meine Antwort überdenken weil mir die Frage äußerst wichtig ist. Nun will ich Dir auf Grund der Sache sagen was ich denke - , Franz war anfangs hier sehr wohl, thätig, belebt, und ich versprach mir viel für ihn, von seinem Aufenthalt in Paris, aber seit die Cholera hier wüthete, ward er wieder unwohl, sei es Einfluß der Luft, aufgeregte Einbildungskraft oder Zufall - sein alter Zustand trat wieder ein, er behauptete zwar immer es sei ein anderer als sonst, das ist aber der Fall bey allen Hipochondre [...].

266 Johann Bartholomäus Trommsdorffan Erfurt, 4. Juni 1832677

Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt Christian Wilhelm Hermann

Trommsdorff,

Den 29. M a j ist in einem hiesigen Militairhospital die Cholera ausgebrochen, und bis jetzt 13 Mann erkrankt wovon nur 7 gestorben, die übrigen aber theils genesen, theils noch in Behandlung sind. In der Stadt ist noch Niemand von der Krankheit ergriffen worden, auch steht zu hoffen, daß alles glücklich ablaufen wird. Die Stadt hat aber einen ungeheuren Verlust dadurch erlitten, daß Sachsen sogleich Erfurt gegenüber] abgesperrt hat und auch die benachbarten kleinen Fürsten, wodurch aller Verkehr aufgehoben. Das gesamte Militair ist aus der Stadt auf das Land verlegt worden, wodurch ein großer Theil der ärmern Classe die Nahrung verliehrt. Da hier nun keine Gesundheitsscheine mehr abgelassen werden, so ist der Handel ganz zerstört, u. die Fabriken stehen still. Der Nachtheil der daraus der Stadt erwächst ist weit bedeutender als die Cholera selbst.

Rahel Varnhagen an Heinrich Heine, Berlin, 5. Juni 1832m Die Atmospere ist krank - in Neapel war noch den 15t May an keinen Frühling zu denken, nachher kamen kalte Regengüße; und so in der ganzen Welt. - und ich bin während, sondern vor ihrer Krankheit gebohren, leide also das Unendliche. Dies weiß kein Mensch, als ich. Die Cholera hat mich ganz herunter gebracht; wie die Hühner und Fische habe ich gelitten; nur, daß ich leben geblieben bin.

Felix Mendelssohn Bartholdy an den Verlag Breitkopf & Härtel, London, 8. Juni 18321679 Ew. Wohlgeboren muß ich zuvörderst um Entschuldigung bitten, daß ich so lange nichts von mir habe hören lassen, und die versprochenen Manuscripte erst jetzt senden kann. Ich wurde gegen Ende meines Aufenthalts in Paris sehr krank [an der Cholera], und habe mich erst langsam davon wieder erholen können, so werden Sie mir hoffentlich verzeihen daß ich erst kürzlich wieder ans Arbeiten kommen konnte.

Lulu Brentano an Gunda von Savigny, Paris, 11. Juni

1832ш

Seit acht Tagen liegt er (Franz von Savigny) wieder zu Bette mit coliques und nerveusen Beängstigungen, ich sehe seinen Zustand durchaus nicht als beängstigend an, allein bei der steten noch herrschenden c[h]olera Luft darf man keine Ungewöhnlichkeit vernachlässigen, Coreff sein Arzt glaubt daß er in einer Woche werde reisen können und hält es für dringend ihn nach Carlsbad zu schikken.

Otto Nicolai an Carl Nicolai, Berlin, 13. Juni 1832m Seit länger als 4 Wochen bin ich mit meinem [Cholera-] „ Т е Deum" fertig, selbst mit dem Klavierauszug desselben. [...] Der König hat die Aufführung desselben in der Garnisonkirche erlaubt, und ich werde es im Herbst aufführen, da der Sommer nicht geeignet dazu ist. [...] Zelter hatte Freitags von 12 bis 2 immer Musik bei sich, wo mit Quartettbegleitung Sachen, gewöhnlich von Bach, gemacht wurden. In der letzten Freitagsmusik, die er mit-

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Briefe Frühjahr 1832

machte, wurde mein „Те Deum" gesungen - zum nächsten Freitag wurde eine Wiederaufführung desselben bestimmt, aber Zelter legte sich, um nicht wieder aufzustehen. Ottilie von Goethe an Charles Sterling, Nonnenwerth/Rhein, 15. Juni 1832I682 [...] 2. bin ich Ihnen doch eine Rechenschaft meines Lebens und meiner Pläne schuldig, die mir immer die Feder in die Hand geben würden, wenn meine ganze Lage eine Änderung gewinnt. Den Tag vor der Abreise meiner Mutter und Kinder kam ein Brief, der uns den Ausbruch der Cholera in Erfurth meldete und mich bewog, sie alle hier zu behalten und meiner Schwester und Vogel anheim zu stellen ob, da wir gerade jetzt von Weimar entfernt, es nicht besser wäre, sie käme mit Alma nach. Gestern antwortete sie mir, daß sie vor der Hand mit Alma nach Eisenach gehen und dort abwarten wolle, ob wir sie wirklich wollten nachkommen lassen, oder mit ihr zurückkehren; doch scheint sie und Vogel das Letztere zu meinen. So reisen wir denn Übermorgen, kömmt bis dahin nicht eine andere Nachricht, zurück, obgleich es ein trüber und gefährlicher Aufenthalt jetzt in Weimar sein wird, da die Cholera sich auch von Leipzig nähert. Felix Mendelssohn Bartholdy an Nikolaus Simrock, London, 15. Juni 1832?83 Ew. Wohlgeboren muß ich vor allem um Entschuldigung bitten, daß ich so lange geschwiegen habe und die versprochenen Lieder erst jetzt schicken kann. Ich wurde in Paris lebensgefährlich krank an der Cholera, und dies hat mich auch an aller Thätigkeit gehindert, bis vor kurzer Zeit. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bernburg, 17. Juni

1832ш

Seit dem Sie von jenem unsaubern Gaste belästigt werden, dessen beschleunigte Ankunft Europa dem Feldzuge der Russen nach Persien beizumessen hat, werden Sie bei Ihrer Cholera Commission gewiß recht viel Geschäfft haben u. zu andern desto weniger Zeit erübrigen, u. wenn nur damit dem Uebel gesteuert werden könnte, so würden Sie ein solches Opfer gewiß gern bringen, aber dem mögte allen Erfahrungen nach nicht so sein. Herzlich wollen wir wünschen daß Sie in Erfurt nicht die so traurigen Erfahrungen der Bewohner von Halle machen mögen, wo das Uebel nicht weichen will u[nd] sehr große Noth herrscht wie ich kürzlich umständlich aus dem Mund mehrerer glaubwürdiger Männer von dort hörte. Inzwischen wird es für uns sehr beruhigend sein, wenn wir recht oft einige Nachricht von Ihnen erhalten, da die Berliner u[nd] Magdeburger Zeitung sehr selten uns die Resultate des Fortschreitens der Krankheit in Erfurt melden. Julius Campe an Heinrich Heine, Hamburg, 17. Juni 1832m Die Cholera ist ununterbrochen hier gewesen, aber seit 3 Wochen regirt sie sehr strenge. Rasch, in wenigen Stunden tödtet sie, und ist weit bedeutender wie sie in ihren ersten Auftreten war. Man nim[m]t keine Notiz von seiten der Regierung davon. Oft fallen Menschen auf der Straße um - genug das Uebel ist sehr arg! und verbreitet sich nach allen Theilen der Stadt, das früher nicht der Fall war.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Privatschreiben aus Schlesien, Mitte 1832ьъь Man will jetzt nach einer neuen, ziemlich originellen Theorie die eigentliche Ursache der Entstehung der Cholera in dem Wasser der Quellen suchen. Ein gewisses Fluidum, meint man, durchströme die Oberfläche der Erde, theile sich den Quellen mit, und wirke nun auf jeden, der dazu schon disponirt sei, erkrankend und tödtend. Als Beweis führt man noch die Fluctuationen der Krankheit an. Denn bald läßt sie an einem Orte schnell nach, und bald kehrt sie verstärkt zurück. Beides findet gewöhnlich bei dem Wechsel von Regen und trokkener Witterung statt. Werden bei ersterem die Quellen verstärkt, so glaubt man, drängten sie jenes Fluidum mit sich stärker hervor, und die Krankheit nehme zu. Dagegen erschöpfe sich dieses auch schneller und die Seuche erstürbe früher. Bei Gewittern trete, vermöge der Electricität, eine Neutralisierung jenes Fluidums ein. Sonderbar genug hat der Gang der Krankheit diese Theorie bisweilen ziemlich bestätigt. Nach derselben räth man nun, sich vor zu vielem Wassertrinken zu hüten, und diesem stets etwas Wein, oder sonst etwas Geistiges beizumischen, oder es abgekocht zu trinken. Aus derselben Theorie will man es sich den auch erklären, daß in großen Städten manche Bezirke gerade vorzugsweise heimgesucht werden, weil in den Brunnen derselben jenes Fluidum mehr in die Quellen ströme, als in andern. Es scheint diese Theorie sich mit der Beobachtung vereinigen zu lassen, nach welcher die Cholera in primitiven und secundairen Erdformationen sich weniger intensiv stark äußert, als in den Tertiarformationen. Jedenfalls verdient die Sache wohl Aufmerksamkeit und Untersuchung. Johann Bartholomäus Trommsdorffan Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff, Erfurt, 20. Juni 1832ш Die Cholera hat hier allerdings Fortschritte gemacht, doch geht es noch immer im Verhältniß gegen die Population an. Vom 29. Maj bis heute Mittag 12 Uhr sind in Summe an der Cholera erkrankt 51 Personen, und zwar bis jetzt blos aus der ärmern Classe und vom Militair. Die Noth ist aber sehr groß, da der Handel stockt, die Fabriken wenig beschäftigt, und viele ohne allen Verdienst sind. Carl Heine an Heinrich Heine, Hamburg, 21. Juni 1832ш Neues giebt es hier nicht, die C[h]olera nimmt hier fortwährend viele Menschen weg; an einigen Tagen waren mehr Todesfälle als im Januar, wo man so viel Spektakel machte. Die Leute sind aber ruhig und sprechen nicht viel darüber. Christian Wilhelm Hermann Trommsdorffan Johann Bartholomäus Darmstadt, 24. Juni 1832*89

Trommsdorff,

Dass die Cholera in Erfurt Fortschritte macht, habe ich mit Bedauern gehört; denn wenn sie auch bis jetzt noch wenig Verheerungen angerichtet, so muss man doch immer auf eine heftige Periode gefasst sein. Wir wollen nur wünschen, dass sie Erfurt nicht in gleichem Grade wie Halle heimsucht, und der gesünderen Lage wegen darf man wohl auch die Hoffnung hegen.

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Briefe Sommer 1832 Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, Berlin, 28. Juni 1832690

Montag um 12 waren wir dann in Hamburg, wo ich einen Brief meines Vaters fand, der sich wegen der Cholera, die allerdings dort wieder ist, ängstigte und mich um schleuniges Weiterreisen bat, nahm also meinen Platz und fuhr, nachdem ich Mde. Moscheies Bestellungen ausgerichtet und mit ihrem Vater in seinem wunderschönen Hause sehr nett und gemütlich gegessen hatte, mit Schnellpost hierher. Karl Ernst von Baer an Friedrich Philipp Dulk, Königsberg, Sommer

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Als die physikalisch-medicinische Gesellschaft mich aufforderte die Geschichte der Cholera zu entwerfen bemerkte ich dass eine solche Arbeit mit Ausgaben verknüpft sein würde, indem ich es für zweckmässig hielt den Verlauf der verschiedenen Epidemien graphisch darzustellen und dass ich dazu Zeichner brauchen würde. Die Gesellschaft versprach die Ausgaben zu decken. Ich habe aber bisher versäumt eine Liquidation einzureichen. Ich thue es jetzt nachträglich indem ich bemerke dass ausser der Ausgabe für die Charte 14 Tage lang ein Mann bei mir gearbeitet hat, theils um zu rechnen (es wird immer das Mittel aus allen 3 taegigen Sterbefällen berechnet) theils um zu zeichnen - wofür ich 11 Th 25 Sgr bezahlt habe um deren Erstattung aus der Kasse der Gesellschaft ich bitte. Ich übergebe zugleich die Zeichnungen nebst einem Konvolut Cholera-Papiere, die meinetwegen dem Feuerherde übergeben werden können. Privatschreiben aus Erfurt, 7. Juli 1832692 Hier in Erfurt befinden sich noch in Allem 4 an den Folgen der Brechruhr Leidende. Cholerakranke giebt es seit gestern gar nicht mehr; wohl aber zieht sich die Krankheit an der Gera herunter, und es ist von Erfurt an bis zum Eintritte des Flusses in die Unstruth kein einziger Ort verschont geblieben. Am schlimmsten hauste die Krankheit in Walschleben und Gebesea, in welchen beiden Orten gegen 40 Fälle vorkamen. In erstgedachtem Orte starben fast alle Kranke. Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, Bonn, 9. Juli 1832m Überdieß wirst Du wenigstens wohl durch die Zeitungen ungefähr vernehmen, daß auch unser rheinisches Land von zwei Seiten her durch die Cholera bedroht wird, von Frankreich und von Belgien her, von deren jedem wir etwa nur 20-24 Meilen entfernt wohnen. Indessen mag uns der Himmel jenes graublaue Gespenst, das aus der Ferne her wohl mehr erschreckt als in der Nähe, noch wohl so vorübergehen lassen, wie es vor einem Jahre gnädig an euren Gränzen vorbeygegangen ist. Schade wäre es ja besonders dieses Jahr, wenn das Ungethüm sich einstellte, dieß J[ahr], wo es hier einen unendlichen Segen von allen möglichen Naschsachen giebt; um diese sollte es mich jammern, daß sie umsonst gewachsen seyn sollten, mehr noch um die armen Kinder, daß sie sie nicht genießen dürfen.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Georg Friedrich Christian Fikentscher an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Redwitz, 10. Juli 1832694 Daß Sie Alle wohl sind, ist uns die liebste Nachricht; mit großer Begierde ergriffen wir immer die Zeitungen u. mit Ungeduld erwarteten wir die Post-Stunde, welche uns über den Stand der bösen Krankheit [Cholera] belehren können. Der Himmel erhalte Sie gesund und ich darf sagen, so wohl, wie wir's hier sind. Luise ist auch ganz wohl und munter - Sie will nur den nächsten Brief vom Hause abwarten um mehr darüber zu schreiben. Gestern und vorgestern hatte sie vollauf mit Ordnen der Erfurter Sachen zu thun, welche erst vorgestern Abends angekommen waren. Die Zollbeamten wie die Kontumazanstalt haben sich beide sehr schonend betragen. Geräuchert wurden nur die Fässer von Außen, und untersucht nur pro Forma, so daß wir gar keine Mauth bezahlen durften. [...] Der Vater welcher sich Ihnen empfehlen läßt ist noch nicht nach Marienbad; sein Entschluß dahin zu gehen wurde durch die Nachricht, daß auch in Teplitz die Cholera ausgebrochen sey etwas wankend. Doch ist der Vorsatz noch nicht völlig aufgegeben. Rosa Maria Assing an Karl August Varnhagen von Ense, Hamburg, 14. Juli 1832695 [Die Cholera] hat im vergangenen Monat viele Menschen weggerafft. Es darf jedoch nirgend^] öffentlich davon gesprochen werden, unsere Regierung sucht die Sache zu verheimlichen; in keinem Blatt darf bei einer Todesanzeige die Cholera genannt werden. Gesundheitpässe werden erteilt und fremde Schiffe müssen Quarantäne halten. Die Mehrzahl der Einwohner findet das recht und klug, weil der Verkehr und Erwerb der Stadt durch ein öffentliches Eingestehen, dass die Krankheit hier ist, könnte gefährlich werden. Ich fürchte aber, früher oder später wird sich dieses Verheimlichen wie jede Lüge und jeder Betrug rächen. David Assing an Karl August Varnhagen von Ense, Hamburg, 17. Juli 1832696 Es leidet keinen Zweifel, dass in den letzten Monaten durch die furchtbare Seuche, bei der man den Arzt so oft vergessen muss, mehrere Menschen starben, als damals nur erkrankten. Dass man nach all den früheren Erfahrungen Sperrungen veranstaltete und zu der bevorstehenden Not noch neue häufte, fällt mir nicht ein. Aber was anderes ist es, dies Nichttun, was anderes Gesundheitspässe ausstellen, welche die vollkommene Gesundheit des Ortes verbürgen. Abgesehen von der Frage des Contagiums, bleibt es doch immer eine Stadt, wo man wie an keinem anderen cholerafreien Orte Gelegenheit hat, in wenigen Stunden den Tod zu haben. Wie ein Staat solche Pässe, falsche Zeugnisse, ausstellen könne, überdies ein Staat, der Handel treibt, dessen Seele das Vertrauen ist, welches Sinken in der Achtung des eigenen Volkes, welches momentan nur von der Felonie Vorteile zieht, dies zur Folge haben müssen. Nachmittags: Dass uns nun die Cholera durch französische Schiffe, auf denen die erste Erkrankung stattfand und nachher sich viele Fälle ereigneten, ist mir sehr wahrscheinlich. Die Anticontagionisten wollen das Faktum nicht gelten lassen; ich muss aber nachgrade zu glauben anfangen, dass sie die Wahrheit nicht wollen gelten lassen. Wir haben im Frühlinge sehr viele französische Schiffe hier, mehr französische als englische, und oft erkrankte und

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Briefe Sommer 1832

starb mehrere Mannschaft auf einem Schiffe. Wenn solche Zeiten die Menschen nicht mehr veredeln, vielmehr nur verschlechtern, so ist dies ein sehr übles Zeichen. Zeichen der Verschlechterung jetzt sind nicht schwer hier wahrzunehmen. Doch „wir Menschen müssen einander nachhelfen", hörte ich neulich zwei Träger sagen, die bedächtigen Schrittes einen Cholerakranken forttrugen nach dem Krankenhause, seinem wahrscheinlichen Grabe. Dahin muss, wer in seinem Haus keine Pflege hat. [...] Der gewöhnliche Euphemismus bei Todesanzeigen ist „plötzlich und unerwartet starb". Nicht einmal richtig, denn unerwartet ist nur die Genesung nach der Cholera. Nicht einmal mit seinem Tode könnte man die Lüge durchbrechen; die Zensur striche den Namen der Krankheit. Es starben hier die massigsten Menschen, die unschuldigen Kinder, von denen, bei welchen Diarrhöe voranging, glaube ich, dass sie meist zu retten gewesen wären. Die Verschonung der Juden von der Seuche fand damals, wie ich Dir schrieb, wirklich statt. Sie war aber nicht andauernd, und es stellte sich nachher in Beziehung auf Sterblichkeit kein günstiges Verhältnis ein. Luisa von Radziwill an Lulu von Stosch, Ruhberg, 20. Juli 1832?91 Wir sind seit dem 17. abends hier, gute Lulu, und wohl und haben Deinen guten Bruder gesehn in Teplitz und mit ihm geweint und mit ihm die herrliche Gegend genossen. Zum Glück wohnte er nicht weit von uns. Denn plötzlich erkrankte unser ganzes Haus an der Cholera. Meine 2 Kammerfraun starben! Ein Küchendiener [und] Elisas [Zofe] Hoffmann wurde gerettet, aber mußte zurückgelassen werden, eine andere nahmen wir genesend mit und wurden in der nehmlichen Nacht noch von dem Fürsten Clary im Schloß aufgenommen. Denn es war einzig unser Haus, das verpestet war. Eine schreckliche Herreise hatten wir, alle so aufgeregt und zitternd als erwachten wir aus einem bösen Traum! Die Lange ist vortrefflich, voll Mut und Tätigkeit gewesen. Sie, ihre Zofe und ein Garderoben-Mädchen, die gesund geblieben, waren unsre einzige Bedienung. Wir sahn uns unterwegs nur mit Angst und Sorge an, in der Furcht, die eine oder andere würde noch erkranken... Elisa ist sehr angegriffen, und, wie kann es anders sein? Schmerz und Sorge erfüllt ihr armes Herz. Die Trennung von der kranken Hoffman tat ihr weh, und hier fanden wir nur wehmütige Erinnerungen! Johann Bartholomäus Trommsdorffan Erfurt, 21. Juli 1832m

Christian Wilhelm Hermann

Trommsdorf,

Die Cholera greift hier leider! immer noch um sich, doch ist in unserem Hause und in der ganzen Familie noch Alles wohl, auch noch keiner unserer Freunde und V e r w a n d t e n erkrankt. Die Stadt verliert ungemein viel, und es herrscht ein großer Stillstand an Geschäften; da Sachsen und Hessen, so wie Baiern gesperrt hat ja selbst die benachbarten kleineren Städte als Weimar, Arnstadt, Stadt-Ilm, Rudolstadt etc. den Verkehr mit Erfurt abgeschnitten haben. [...] Gotha macht eine rühmliche Ausnahme, u. ist vernünftig, es hat durchaus nicht gesperrt. In der That wird auch nichts dadurch erreicht, denn wenn man auch die Contagiosität der Cholera zugeben wollte, was doch nicht der Fall ist, so hilft keine Sperre etwas, da doch alle Vorsichtsmaaßregeln die ein Staat ergreift, umgangen werden können.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Unter dem Heer von Schriften die über die Cholera erschienen sind zeichnet sich vortheilhaft die des Dr. Baltz in Berlin aus. Sie preißt Meinungen über Entstehungen, das Wesen u. die Möglichkeit einer Verhütung der Cholera etc, diese kleine Schrift kostet nur 8 ggb; ich rathe Dir, solche zu kaufen, denn sie enthält auch sehr gute Vorschriften, nach denen wir uns streng richten. [...] In Redwitz ist alles wohl - auch in Bernburg, doch haben sich am letzten Ort auch einzelne Cholerafälle gezeigt. In Sömmerda ist nun auch die Cholera ausgebrochen, und es sind daselbst binnen 3 Tagen 21 Personen erkrankt - also im Verhältniß bedeutend mehr als hier. Ernst Blasius an Justus Radius, Halle, 22. Juli 1832m Nach dem Schreiben eines glaubwürdigen Lübecker Arztes an einen hierselbst sich aufhaltenden Lübecker ist die Cholera in Lübeck folgendermaßen ausgebrochen. Ein Mann, welcher in der Hamburger Lotterie eine Terne gewonnen, hielt sich, um von seinem Gewinnste einen ordentlichen Genuß zu haben, in Hamburg zu der Zeit, als daselbst die Cholera von neuem aufgetreten war, auf, kehrte dann nach Lübeck zurück, bekam hier die Cholera und starb in 8 Stunden. Dies war der erste Cholerafall in Lübeck; bei der Oeffnung der Leiche war ein Mann mit Waschen derselben und dergl. beschäftigt, derselbe erkrankte bald darauf an der Cholera, starb, und dies war der zweite Cholerafall in Lübeck. Vor Abgang des obigen Schreibens war noch ein dritter Fall vorgekommen, über dessen Zusammenhang mit den beiden vorigen ich jedoch nichts weiß. Friedrich August von Stägemann an Ignaz von Olfers, Berlin, 24. Juli 1832100 Die Cholera fängt rund um uns wieder zu wüten an. Besonders in Böhmen ravagirt sie sehr; in Hamburg ist sie heftig, wie Malzan versichert, obwohl die Zeitung darüber schweigt. Halle ist endlich frei, nachdem durch eine besondre Commission die polizeilichen Reinigungs-Anstalten verbessert worden; indess sind dagegen Merseburg und Erfurt hart befallen, Schlesien zwar auch, aber noch in gelindem Grade. Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, Ruhberg, 25. Juli 1832ш Es ist recht eigen, daß Gott in ihm [Adolph] eine Stütze schickte gerade als wir in so großer Sorge waren. Das ist mir so lieb, daß er sich als ein so treuer, tätiger Freund bewährte. Den Abend, wo die Louis [eine Kammerfrau] erkrankt war und auch der Arzt, in den wir alle so viel Zutrauen hatten, war er es, der für einen neuen sorgte, der alle Anordnungen, die nötig waren, traf, der Ernestine [v. Langen] und die kleine Polin von Wanda schalt und sie bewegte zu Bette zu gehen, anstatt an der unglücklichen Nähe, wo nichts mehr zu helfen war, weiter zu verweilen. Ich muß sagen, Ernestine hat sich auch ganz vortrefflich benommen, so furchtlos und tätig. Felix Mendelssohn Bartholdy an Charlotte Moscheies, Berlin, 25. Juli 1832702 So sieht es nämlich hier aus; die Leute heizen ein, der Regen kommt in Strömen herunter, kalte Fieber und Cholera, und Bundestagsbeschluß sind die Gespräche, und ich, der in

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Briefe Sommer 1832

Guildhall meine Rolle gespielt habe, muß nun hier behutsam und wohlwollend sprechen, um nicht radical zu erscheinen. Heut ist die Cholera wieder angekündigt, obwohl nicht auf Begehren; aber dies russische Geschenk wird nun wohl fürs erste vorhalten, und uns nicht wieder verlassen. Nur ist es gut, daß jetzt keine Hemmungen mehr dabei sind, sonst könnten sich Hamburg und Berlin wechselweise gegeneinander sperren und mir wäre das aus Gründen sehr ungelegen. Privatschreiben aus Zwickau, 29. Juli

1832m

Die 21jährige Schwester eines Gastwirths war bei Verwandten in Dürrenberg zum Besuch gewesen und hatte, wegen der dort in der Nähe herrschenden Cholera, sich nach Hause gewünscht. Der Bruder hatte sie abgeholt und, um der Contumaz zu entgehen, über Zeitz und Altenburg eingeschwärzt (ein Weg von 11 Meilen). Am 23. kam sie hier an und fühlte sich schon unwohl. Am 26. aß sie etwas Salat und trank sogar mehr[er]e Löffel Essig und Oel, auch eine nicht geringe Menge Kirschen, worauf sie heftiges Erbrechen und Durchfall bekam. Die Hülfe eines herbeigerufenen homöopathischen Arztes war nicht ausreichend gewesen und ein zweiter allopathischer fand sie am 27. Nachmittags 4 Uhr schon in Starrkrämpfen, unter denen sie nach einem zuletzt verordnetem heißen Bade 2 Stunden später starb. Bei der am 28. Nachmittags vorgenommenen Section haben sich mehr[er]e Spuren der asiatischen Cholera gefunden. Auch bemerkte man Knoten in den Lungen. Nachts um 12 Uhr wurde die Leiche beerdigt, das Sterbehaus gesperrt und mit Militairwache besetzt. Erkrankt ist sonst Niemand, und die Stadt, einige Aengstliche ausgenommen, ruhig. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bernburg, Juli

1832ш

Leider sind es fast schon 14 Tage, daß wir ohne Nachricht von Ihnen sind u[nd] wir sehnen uns in dieser Zeit um so mehr darnach, als wir Sie in so schlimmer Umgebung wissen. Auch bei uns sind in diesen Tagen einige der Cholera ähnliche] Fälle, theils auf dem Lande, theils in der Stadt selbst vorgekommen u[nd] haben mit dem Tode geendet, doch scheint es nicht, daß es sich ausbreiten wolle, was sehr zu wünschen wäre. Auch hier herrscht wenig Furcht, so daß ich auch glaube im Falle die Cholera hier wirklich ernstlicher sich zeigen sollte sie werde sich nicht lange halten, zumal da wir nicht viel ganz Arme haben. [...] In Wien ist die Cholera wieder so bedeutend ausgebrochen, daß am Ende wo[h]l auch in diesem Jahre nichts aus einer Versammlung der Naturforscher und Aerzte werden mögte [.·.].

Privatschreiben aus Wien, Anfang August 1832705 [...] aber jetzt muß ich Ihnen wohl wieder einen recht dicken Brief auf einmal schreiben, wer weiß ist es nicht der letzte; denn schon wieder wüthet in unsern Mauern die Cholera, und rafft bedeutend viele Menschen weg. Ja man kann sagen, sie ist noch fürchterlicher als bei ihrem ersten Erscheinen; denn sie tödtet ihre Opfer binnen weniger Stunden, und nur selten gelingt es einem Arzte, ihr einen Armen, den sie bereits gefaßt hat, aus den Klauen zu reißen. Es fallen ihr wohl meistens nur Leute aus den untern Classen, Nothleidende und Dürftige zum Opfer, aber um so erbarmenswürdiger ist das Loos dieser Armen. Die Aerzte wissen eben so wenig von dieser fürchterlichen Geißel der Menschheit als früher, Tausende

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

haben sie gesehen, behandelt, den Gang der Krankheit genau verfolgt, alle Heilmittel versucht und noch immer stehen sie auf jenem Punkte der völligen Ungewißheit, auf dem sie bei ihrem ersten Erscheinen standen. Lulu Brentano an Friedrich Carl von Savigny, Paris, 1. August 1832106 Nun will ich Dir mit aufrichtigem Herzen über Deine Kinder meine Meinung sagen aber immer mit der Bitte das dies ein Geheimniß zwischen uns bleiben möge. Franz war wieder etwas unwohl, aber ich schwöhre Euch ohne Gefahr, er wohnt bei mit und ich bestehe darauf, daß er so bleibe bis zu seiner Abreise [...] ein wenig Leibweh bringt ihn in eine solche Angst daß sein Zustand sich dadurch verschlimmert, und bei der Cholera darf man es nicht wagen, ihn zu der Reise zu zwingen, denn wer kann einem dafür stehen daß die Angst ihn nicht würklich in diese Krankheit verfallen machte, ich glaube nicht daß Tante Bettine ihn fortbringen würde mein Rath ist ihn in Ruhe zu lassen bis das Uibel ausgewüthet hat. Jakob Wilhelm Becker an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Weimar, 2. August 1832101 Auf Deine Einladung mögen, statt mir, diese Zeilen den Weg zum Geburtstagsfeste des Königs machen, von dem mich weniger die Furcht vor der ostasiatischen Seuche, als häusliche Verhältnisse und Rücksichten abhalten, die ich doch nicht gern verletzen möchte. Ohnehin werden die sonst hochgefeierten Tage jetzt in ziemlicher Stille vorüber gehen. Eben als Dein lieber Brief eintraf, war ich im Begriff bei Dir Kunde über den Gang der Krankheit einzuziehen, von welchem sich auf einmal Gerüchte verbreiteten, weit schlimmer, als die öffentlichen Nachrichten, von denen man behaupten wollte, daß sie die Gefahr so wie die Sterbefälle absichtlich und stark verkleinerten. Bis dahin war ich so ziemlich ruhig geblieben, weil nicht nur die Zeitungsblätter von dem Zustande der Stadt milde, sondern auch mündliche Aussagen, die ich wöchentlich mehr als einmal zu erhalten wußte, ins besondere über Deine Familie völlig gute Nachrichten ertheilten. Aber als die Sage bedenklich lautete und mich daher mit Unruhe erfüllte brachte Dein Brief neue Beruhigung in der Versicherung Deines Wohlbefindens und des milden Charakters der Krankheit, den auch ferner die öffentlichen Blätter aussprachen. Nur einmal wär ich seitdem beinahe erschrocken, als die Zeitung berichtete, daß auch ein Apotheker der Krankheit unterlegen, hätte nicht sogleich der Gedanke, daß man den Verlust eines Trom[m]sdorf[f]s unmöglich durch einen so allgemeinen Ausdruck andeuten könnte, die Anwendung auf Dich abgewehrt. Vermöchte doch Werth und Verdienst, welches Du in diesen bedenklichen Tagen durch Deine Theilnahme an der Gesundheitscommission vermehrst, einen Schutzbrief gegen den eingebrochenen Feind zu gewähren, wie gedeckt, wie sicher lebtest Du! Nun der Dich mit den Deinen bisher schirmte, möge Dich ferner schützen! Ohnehin scheint ja der Feind sich wieder von Deiner Stadt zurückziehen zu wollen, und Deine wohlgeordnete Lebensweise, statt ihn anzulocken, wehret ihn vielleicht ab. Daß er uns in Weimar, ungeachtet der vielfachen Verbindungen mit andern Orten, bisher doch noch mit seinem Besuch verschont hat, sehe ich als einen Glücksfall an, doch nicht für einen Freibrief für die Zukunft. Einem Uebel, das bereits so viele traf, muß man wohl, so viel als möglich, an Geist und Körper wohl gerüstet entgegen gehen.

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Briefe Sommer 1832 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, Hannover, 4. August

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Ich danke Ihnen für Ihren freundschaftlichen Brief. Es muss mir sehr erfreulich seyn, dass meine [Cholera-] Schrift auf Sie einen so günstigen Eindruck gemacht hat. Für Lob (ein Arzt erhält es ja so oft ohne alles Verdienst und selbst oft in Fällen, in denen er sich selbst zu tadeln nicht unterlassen kann) habe ich eine augenblickliche Empfänglichkeit als für Tadel, gegen dessen Einwirkung mich das Bewusstseyn einer unpartheyischen Beurtheilung meiner selbst und das Erkennen der Quellen, aus denen er entspringt und der Verhältnisse, denen er seine Äusserung verdankt, bis zu einem gewissen Grade schützt. Aber ich bin gewappnet, mich so wenig als möglich sowohl durch Complimente als durch Invectiven bei Gelegenheit meines Buchs aus meiner Assiette bringen zu lassen und mich weder erhoben noch gedemüthigt zu fühlen, selbst in den ersten Momenten ihrer Äusserung nicht. Christian Wilhelm Hermann Trommsdorffan Johann Bartholomäus Darmstadt, 5. August 1832ш

Trommsdorff,

Diessmal habe ich recht sehr auf Nachricht von Euch gehofft, und war eben im Begriff, Euch nochmals darum zu schreiben, als Dein Brief meiner Besorgniss und Unruhe ein Ende machte. Du wirst mir diese Besorgniss zu gute halten, wenn Du einen Artikel in unserer Zeitung gelesen, worin der Stand der Cholera in Erfurt als sehr beunruhigend geschildert und unter anderem gesagt war, dass sie besonders in Privatwohnungen viele Opfer dahinraffe, und sogar ein Apotheker daran gestorben sei. Letzterm glaube ich jedoch nach Deinem Brief keinen Glauben schenken zu dürfen. Das Werkchen von Dr. Baltz habe ich mir in der Buchhandlung bestellt. Anna Hoffmann an Michael Josef Fesl, Tiechobus, 15. August 1832710 In der Meynung aber, daß wir wegen der Cholera die Stadt verlassen haben, sind Sie lieber Freund irrig; das gänzliche Landleben war bey uns schon seit Jahren beschlossen, so wie Gustav seine Studien vollendet haben würde; ein bischen bange machte uns aber gerade dieser Zeitpunkt wegen der schlimmen Seuche, darum hat auch mein Mann nicht angestanden einen eigenen Arzt auf unserer kleinen Besitzung anzustellen, der zwar noch jung, aber gar nicht ungeschickt ist, und uns zu einer großen Beruhigung dient. Rahel Varnhagen an Rose Asser, Berlin, 16. August 18321U Kurz, es ist der Tod, den wir nicht verstehn, nächst dem Leben. Wenn es Dir nur nicht schadet! Wenn du dich nur nicht vor der Cholera fürchtest! Ich hatte ein hartes Jahr davon: nicht grad aus Furcht: aber aus Besorgniß - der Anstalten, des Pöbels - und des Lufteinflusses. Laß uns leben bleiben [...]. Justus von Liebig an Jons Jacob Berzelius, Gießen, 18. August 1832712 Wie sehr zieht mich Ihre freundliche Einladung zu Ihnen nach Stockholm, aber es scheint als ob diesen Herbst noch nichts daraus werden kann. Wöhler, welcher seit einigen Wochen bei mir ist, war mit mir entschlossen Ende August abzureisen, allein die traurigen Nach-

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

richten über die Cholera, welche in vielen Orten an der Ost- und Nordsee ausgebrochen ist wird dieses Jahr unsere Reise unmöglich machen; denn bei der Hinreise und Herreise in Schweden und Deutschland Quarantaine zu halten ist eine zu unangenehme Sache. Auch glaubt Wöhler, dass die Rückreise im November oder Dezember mit Gefahr oder wenigstens mit grossen Unannehmlichkeiten verbunden wäre. Ich muss also dieses Project leider verschieben, allein mein Vorsatz steht nichts destoweniger fest und sobald die aufgeregte Stimmung des Landes und die Furcht vor der furchtbaren Krankheit, welche die zurückbleibende Familie während der Reise in Angst und Unruhe erhält, sich vermindert haben wird, kommen wir beide [...]. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Mariahalden, 18. August 1832in Bis zum Herbste hört die Cholera gewiß in Paris auf. Die Pariser Ärzte haben es gleich anfang der Epidemie vorausgesagt, sie würde vor dem Herbste nicht aufhören. Aber wenn sie auch dort aufhört, und unsere Ängstlichkeit hört nicht auf - wie kommen wir ohne Furcht hin? Denn es ist nicht ein einziger Weg von Paris, und reiste man auch im Zick-Zack, der von der Cholera frei ist. Nun kommen wir nicht ohne Furcht durch, so reisen wir mit Furcht. Ein paar Tage Angst kann uns beiden nicht schaden; das wäre eine gerechte Strafe für unsere Hasenherzigkeit. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bernburg, 21. August 1832lu Daß nun mehr die Cholera ganz aufgehört hat dort ist sehr gut u[nd] wir können wahrlich sehr froh sein, daß wir bis dahin so glücklich davon gekommen sind. In Neugattersleben, dem ersten Dorf auf dem Wege nach Magdeburg [...] eine Stunde von hier, herrscht dieselbe noch immer; schon sind in dem sehr kleinen Orte über 20 Menschen gestorben. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Zürich, 1. September 1832115 Die Cholera wird mich nicht abhalten. Daß ich ängstlich bin, liegt in meinen Nerven, deren ich leider nicht Herr bin, aber ein ordentlicher Mann muß sich zu beherrschen wissen. Ich würde also trotz meiner Ängstlichkeit doch nach Paris gehen. Die Cholera ist übrigens dort von keiner Bedeutung mehr und wird wahrscheinlich mit der heißen Jahreszeit ganz aufhören. Da die Cholera nach und nach überall hinkömmt, ist immer besser, an einem Ort zu sein, wo sie schon war und ihre erste Wut vorüber ist. Nach Genf kömmt sie den Herbst gewiß, da sie nach offiziellen Berichten jetzt auch in Lyon ausgebrochen. Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, Tegel, 3. September 1832116 Im vorigen Jahre traf ich gerade zugleich mit der Cholera hier ein, und viele Menschen waren in großen Sorgen deshalb, einige in ängstlicher Bestürzung, ich selbst machte die damals üblichen, angeblichen Sicherungsanstalten mit. Jetzt ist die Cholera an vielen Orten, und kann sehr leicht auch wieder nach Berlin kommen, obgleich noch keine Spur davon vorhanden ist. Geschähe es aber, so würde man sie wenig mehr, als jede andre Krankheit fürchten. So gewöhnt man sich an Alles und viele Schrecknisse sind es großentheils nur durch die Einbildungskraft. Selbst in wahren Krankheiten fügt diese bei Leuten, die furcht-

Briefe Sommer 1832

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sam und ängstlich sind, noch sehr viel hinzu. Sie sagen, daß diese Männer meist in Krankheiten sehr unbändig sind, und reden von meiner Gelassenheit. Die Ungeduld vieler Männer in Krankheiten rührt daher, daß die meisten an äußerer Thätigkeit hängen, die ihnen nun entgeht. Das ist mein Fall nicht. Die Stille, zu der die Krankheit verurtheilt, ist mir an sich nicht zuwider. Die Unruhe, die gewisse Krankheiten mit sich führen, mindert sich, wenn man ihr moralische Ruhe entgegensetzt. Mit dem positiven Schmerz ist es allerdings anders. Aber auch da kann man viel thun. Ueberhaupt gewinnt man sehr, wenn man die Krankheit nicht wie ein Leiden ansieht, dem man sich hingeben, sondern als eine Arbeit, die man durchmachen muß. Privatschreiben aus Wien, 3. September 1832717 Mit weniger Angst und mehr Erfahrung begegnet man der Cholera dies Jahr, und bei denen, welchen sie Zeit dazu läßt, wird sie oft mit Glück bekämpft, doch ist das Gegentheil häufig. Da die Zeitungen schweigen, kann ich nichts bestimmtes über das Steigen der Seuche, denn ganz war man sie nicht los, angeben. [...] Dies Jahr sind die Vorstädte und Umgegend mehr ergriffen als im vorigen, ja selbst Gegenden, die damals frei geblieben waren, wie z.B. Schnadorf, trotz denselben Gefahren des häufigen Obstgenusses, der heißen Tage und kühlen Nächte, der Herbstnebel schon im Sommer, und wie sonst weiter alle die Ursachen, aufgezählt worden, aus denen man ableiten will, was geheimnißvoll drohend und unerkannt die menschliche Weisheit höhnt. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Mariahalden, 5. September 1832in Ich gebe Ihnen das feste Versprechen, daß ich mich mit Paris nicht eilen werde. Ich werde nicht eher reisen, als bis Sie über die Cholera beruhigt sind. Bis dahin sind es sechs Wochen und die Cholera gewiß vorüber. Sollte sie im nächsten Frühjahr oder Sommer wiederkehren, nun, dann laufen wir fort. [...] Ich wäre freilich gern Ende September in Paris, um dort zu sein, wenn anfangs Oktober die Kammern eröffnet werden. Das [wird] diesmal ein heftiger und entscheidender Kampf. Ich hoffe, die liberale Partei wird siegen. Doch wenn es wegen der Cholera nicht sein kann, werde ich mich auch trösten. Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, Düsseldorf, 6. September 1832119 Gebe nur, daß uns die Cholera keinen Strich durch die Rechnung macht! Sie ist uns schon seit Wochen auf 12-15 Meilen nahe, u. vor einigen Tagen hat sich ein Fall mit einem Schiffer in Ruhrort, 3 Meilen von hier ereignet, der aber bis jetzt noch ohne weitere Folgen geblieben ist. Es kann also seyn, daß wir noch die nächsten Wochen verschont bleiben. Bräche sie vor dem zur Reise bestimmten Termine hier aus, so könnte freilich aus Letzterer nichts werden. Ich werde auf jeden Fall, wenn sich das Unglück ereignen sollte, unverzüglich Nachricht geben. Übrigens ist man hier sehr ruhig u. unbesorgt, u. es wird nicht viel von der Sache gesprochen, was wohl das Beste ist. Leider habe ich gesehn, daß die Krankheit wieder in Hafelberg erschienen, also Magdeburg] wieder so nahe ist.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, Bonn, 8. September 1832720 Du aber antworte mir nur flugs wieder, damit ich weiß, daß Ihr alle noch auf dem Platze seid. Ihr habt das böse [Cholera-] Übel nun freilich ganz nah; indessen auch von uns ist es nicht weit, etwa noch 15 Meilen nach beiden Enden hin, nach Luxemburg und nach Holland; aus dem letzteren können wir es aber jeden Tag hier haben wegen der beständigen Reisenden zu Wasser und zu Lande hier im Mittelpunkte des größten Verkehrs und der größten Volksmenge, wo 6000 und 7000 Menschen auf einer Meile wohnen. Ich fürchte mich indessen wenig; wozu auch? Gott waltet ja über uns und über unser und der Unseren Leben. [...] Hier war vor einigen Tagen schon Choleraspektakel ganz in der Nähe, nämlich 3 Stunden von hier, wo ein Schiff nach Mannheim bestimmt festgehalten war, das in Holland einen Cholerakranken gehabt und sich durchgeschlichen hatte, ohne die gesetzliche Zeit an der Grenze still zu liegen. Es ist gottlob nichts passiert. Privatschreiben aus Mühlhausen, 14. September 1832721 Die Cholera tritt jetzt noch immer wie bisher gleich stark auf, jedoch mehr und meistens nur in den niederen Ständen und bei armen und solchen Leuten, die entweder nicht diät leben wollen oder es nicht können. Hr. Dr. Reinhardt erzählte mir gestern, daß vorgestern in seiner Praxis 12 Cholerafälle vorgekommen wären, größtentheils aber in Folge grober Diätfehler oder vorangegangener Erkältungen. Wenn die Leute entweder durch Selbstanstrengung oder durch schweißtreibende Mittel, Bürstungen, Reibungen, Knetungen oder andere Hautreize in Schweiß gebracht werden konnten oder wenn auch nur die Haut wieder warm und vom Erstarren zur Wärme und zum Brennen gebracht werden konnte, so wurden sie besser, war das nicht, so starben sie. Michael Beer an Giacomo Meyerbeer, Frankfurt/Main, 15. September 1832722 Du wirst nun wohl wieder fest sitzen in Paris [...]. Zum Glück geben die Zeitungen jetzt nur noch sieben Opfer der Cholera täglich an. Bey solchen chancen ihr zu echappiren wirst Du Dich wohl etwas gemächlicher dort niederlassen. - Nach Briefen von David die Antoinette empfangen ist die Cholera nun in Aachen ausgebrochen, auch in Kassel ist sie definitif. Ich werde solange hier bleiben als Mutter bleibt. Karl Leberecht Immermann an Ferdinand Immermann, Düsseldorf, 18. September 1832m Es scheint sich mit der Cholera hier in der Umgegend gelinde zu stellen. Ich werde daher doch es wagen, am 24ten d. M. von hier abzureisen, und am 26ten früh in Cassel seyn. Erfahre ich eine Station vor Cassel, daß die Cholera dort ist, so reise ich nach Göttingen. Ein gleiches bitte ich von dort aus zu thun. Du wirst wohl glauben daß ich etwas verrückt bin, wenn Du diesen Brief empfängst, die Zeit ist aber so wahnschaffen, daß der Mensch sich schwer halten kann.

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Briefe Herbst 1832 Eduard Feuerbach an Ludwig Feuerbach, Nürnberg, 23. September

1832ш

Von Fritz sind neuerdings Nachrichten da; er ist gegenwärtig wieder ganz gesund und wohl; daß er es nicht immer war, wirst Du wahrscheinlich erfahren haben. Er hatte zweimal einen Anfall von der Cholera, von welchen der zweite sehr heftig war. Allein seine treffliche Natur widerstand, und er fühlt sich jetzt gesunder und heiterer als je. Seine Existenz in Paris ist immer noch nicht begründet, und der Vater muß ihn daher, da die Lebensmittelpreise gestiegen sind, monatlich noch 65 fl. schicken [...]. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Aarau, 24. September 183212S Ich habe es Ihnen schon oft versprochen, daß ich meine Reise nach Paris verschieben will, bis dort die Cholera ganz aufhört. Wenn ich aber warten wollte, bis Ihre Furcht aufgehört, dann käme ich in meinem Leben nicht dahin. Jetzt fürchten Sie, sie könnte wiederkommen, wenn sie auch aufgehört. Diesen Winter schwerlich, und kein Ort ist ja sicherer dagegen. So bleibt immer der Ort am besten, wo sie schon gewesen. Friedrich August von Stägemann an Ignaz von Olfers, Berlin, 26. September 1832726 Die Cholera ist wieder unter uns, wird aber nicht der geringsten Aufmerksamkeit gewürdigt. Ob diese grosse Sorglosigkeit nicht auch zu tadeln, mögen die Hohepriester entscheiden. Bärensprung fängt an, die Ta[t]zen zu zeigen. Er hat, mit Umgehung der Censur, eine Schrift über das hiesige Armenwesen, angeblich als Manuscript für die MagistratsMitglieder drukken lassen, die, voll der erwiesensten Lügen, nichts anders, als eine Aufreizung der Kommune gegen die Regierung beabsichtigt. Es soll ihm nichts geschenkt werden. Robert Bunsen an seine Eltern, Trier, 26. September 1832727 Wollte Gott ich brauchte so wenig um Euch, Ihr Lieben, besorgt zu sein, als Ihr es um meine Person zu sein braucht. In Metz, dem einzigen Orte, wo ich mich einige Stunden aufhalten muß, hat die Cholera sein vorgestern völlig aufgehört und die exemplarische Diät, die ich nach Mitscherlichs Beispiel und Anrathen in den letzten Tagen gehalten, und noch halte, und fernerhin halten werde, würde mich gewiß vor jedem Angriffe schützen. Ich bin besonders darauf bedacht, mich warm zu halten, und gebrauche jede Vorsicht, so daß Ihr wegen meiner völlig außer Sorge sein könnt. In Paris hat die Krankheit auch so gut als aufgehört. Daß sich aber bei Euch Spuren derselben gezeigt, macht mich sehr besorgt. Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, Marburg, 30. September 1832728 [...] Ihre gütige Einladung für ein paar Tage annehme. Vorher konnte ich keinen festen Entschluß fassen, einesteils, weil die Konfirmationsfeier meiner Marie sich mehrmals abänderte und verschob, andernteils weil allerlei hiesige Angelegenheiten mich abhielten, worunter obenan steht, daß sich hier Choleragerüchte über Kassel verbreitet hatten, und ich es gegen meine Hausvaterpflichten gehalten haben würde, auch ohne alle eigene Besorgnis die Meinigen vielleicht in Angst gesetzt zu wissen.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Charlotte Diede an ihre Schwestern, Kassel, Oktober 1832 [Testament in Cholera- Gefahrf Ich nehme nun ein eigenes Blatt, worin ich Euch, meine lieben Geschwister, selbst die Nachrichten geben will, die Ihr im Fall meines baldigen oder späteren Ablebens erhalten müßtet, und die Euch meinetwegen doch beruhigen werden, da ich nicht das Glück habe, denen, die ich liebe, etwas zu hinterlassen, was ihr Leben erleichtern oder verschönern könnte. Ich habe mir dies oft als ein großes Glück gedacht, wenn man in dem Zeitpunkt, wo man nichts mehr nöthig haben wird, noch liebevoll sorgen und geben kann was zum Erdenglück nöthig ist, oder auch in wohlthätigen Stiftungen auch künftigen Generationen den Lebensdruck erleichtern kann. Solche Freuden versagte mir das Schicksal, es gewährte mir dagegen andre, die seltner sein mögen. Ich kann Euch, meine Lieben nur darüber beruhigen, daß ich in einem ungeschmähten Grabe ruhen werde. Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, Marburg, 2. Oktober 1832730 Sehr schmerzlich ist es mir, hochverehrter Freund, daß ich nun, statt meiner selbst, bloß mit einem Brief zu Ihnen komme. - Es ist aber, als ob es Bestimmung wäre, daß aus diesem mir so erfreulichen Projekt nichts hätte werden sollen. - Ich hatte, in Erinnerung der früheren Cholera-Gerüchte, bis heute alle Abmachungen durch Briefe aus Kassel von mir abgewiesen und mich dahin entschieden, daß, wenn bis heute keine offizielle Nachricht darüber einträfe, ich morgen früh von mir abfahren wollte. Zu dem Ende ging ich vor einer Stunde auf die Post, um je nach dem Inhalt der frisch angekommenen Kasseler Zeitung mich einschreiben zu lassen oder nicht. - Hier fand ich aber die offizielle Bestätigung, die mich nun in Rücksicht auf meine hiesigen Pflichten das angenehme Projekt aufzugeben bestimmt. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Luzern, 2. Oktober 1832m Die Angst vor der Cholera müssen Sie durchaus loszuwerden suchen. Sie kömmt überall hin, kehrt überall zurück. Doch jetzt hat sie in Paris aufgehört, und im Winter, sobald, bricht sie sicher nicht wieder aus. [...] Und ob sie wiederkomme oder nicht, darüber weiß Sichel nicht mehr als ich auch. Im unglücklichen Falle kann man sich ja jeder Zeit von dort in eine gesunde Gegend Frankreichs wenden. Der alte Hirsch wohnt in der ungesundesten Lage der Stadt, in einer verpesteten Luft. Es ist ein Wunder, daß seine Familie so glücklich davongekommen. Friedrich Theodor von Merkel an Friedrich August von Stägemann, Ober-Thomaswaldau, 4. Oktober 1832li2 Während die Cholera fortfährt, hier weniger, dort mehr Opfer zu fällen, hat der Herr Präsident Graf Stollberg, aus dem Kabinet, eine Summe von einigen Tausend Thalern zur Disposition erhalten zur Unterstützung der Familien, deren Männer, bei der Landwehr des 5. Armeecorps, im Posenschen, wo sie im vergangenen Jahre gestanden, am Fieber krank gewesen sind.

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Briefe Herbst 1832 Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, Tegel, 4. Oktober

1832m

Doch will ich zuerst von dem reden, womit auch Sie anfangen. Ich hatte schon aus den Zeitungen mit großer Freude gesehen, daß die in Cassel ausgebrochene Cholera nicht sehr bösartig sey, aber ich danke Ihnen sehr, daß Sie mir gleich sagten, daß Sie völlig wohl sind. Allerdings kann es schlimmer werden, aber die eigentliche große Furcht vor ihren Verheerungen ist doch verschwunden, und das mit Recht. Die Krankheit ist nicht mehr ganz so schlimm und die Menschen sind klüger geworden. Sie haben sehr recht, wenn Sie sagen, die Voranstalten und die grauenerregenden Begrabungen sind furchtbarer, als die Krankheit selbst, die ja doch ein kurzes Ende macht. Ich selbst hieng der Meinung an, daß sie anstekkend sey, habe mich aber jetzt eines andren überzeugt. Ich hoffe fest, Sie bleiben ganz unberührt von der doch immer furchtbar bleibenden Krankheit. Selbst Ihr abgeschiednes Gartenleben beruhigt mich, mehr noch Ihr so ungemein einfaches und mäßiges Leben. Jetzt nichts mehr davon, wer so vernünftig Diät hält, so mäßig lebt, so furchtlos vor dem Tode ist, als Sie, wird nicht von ihr befallen. Doch bitte ich Sie um öftere Nachrichten. Sollten Sie sich indeß einmal nur unwohl fühlen, lassen Sie es mich auf der Stelle wissen, darum bitte ich sehr, dann bin ich, selbst in Ihrem Schweigen, völlig beruhigt. Möge der Himmel geben, daß Ihr Wohlbefinden fortdaure! Ernst Moritz Arndt an Ehrenfried von Willich, Bonn, 4. Oktober

1832ш

Daß es Dir wohl geht, freut uns sehr, und wir hoffen, daß Du durch die zweite Cholerapassage Deine Fahrt unversehrt machen wirst. Das Übel hat darin doch etwas Hundsföttisches, daß es viele Leute bedenklich und sorglich macht und die heitern Lebensfarben und das ganze gesellige Zusammenleben viel blasser als gewöhnlich macht. Jetzt steht es auch längs der Recknitz in Mecklenburg und der ganzen Gränze Pommerns hin, wie meine Schwester mir schreibt. Friedrich Wähler an Justus Liebig, Kassel, 6. Oktober

]832n5

Während Du in Berlin warst, hätte ich beinahe Deine Frau besucht. Ich war in Marburg, wohin ich als Schutz und Tröster die -sehen Frauensleute begleiten mußte, die vor der Cholera flüchteten. Am folgenden Tage kehrte ich mit dem Eilwagen hierher zurück. Bis jetzt ist die Krankheit im Ganzen gelinde geblieben, sie jagte nur anfangs großen Schrecken ein, weil mehrere Leute aus den höheren Ständen starben, unter anderen die 15jährige Tochter des ersten Arztes. Der Kurprinz hat sich auf Wilhelmshöhe ganz abgesperrt, nur die Minister haben Zutritt, müssen sich aber vorher mit Chlor räuchern lassen. Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, Marburg, 7. Oktober

1832ш

Obwohl die Nachrichten über die Cholera bis jetzt gottlob gut lauten, so glaube ich doch, daß ich recht daran getan habe, mir dieser Ursache halber die große gehoffte Freude [eines Wiedersehens] zu versagen; denn abgesehen davon, daß ich in Ihr Haus vielleicht Anstekkung und Besorgnis hätte bringen können, sehe ich doch auch hier größte Ängstlichkeit bei Personen, deren Angehörige fern sind.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

Jacob Grimm an Lotte Hassenpflug, Göttingen, 8. Oktober 1832™ Liebeste schwester, Wilhelm ist vor einer stunde, d.h. um 1/2 6, ganz unerwartet angekommen, ich bin sehr darüber erschrocken, daß er dort krank gewesen. Zwischen dem mittwoch und freitag hatten wir uns freilich schon genug sorgen gemacht, mir waren die etwas gekritzelten briefe aufgefallen aber der vorgestern empfangene brief beruhigte mich doch wieder und [ich] glaubte ihn heute auf dem wege nach Frankfurt. Gott sei dank, daß es noch gnädig abgegangen ist, wir sind herzensfroh, ihn wieder hier zu wissen. [...] Die unglückliche reise hat euch also auch ängste gebracht. Gott behüte euch und uns alle. Jacob Grimm an Karl Hartwig Gregor von Meusebach, Göttingen, 11. Oktober 1832m Wilhelm trat vor vierzehn tagen gesund und vergnügt eine herbstreise nach Frankfurt an, wo er den Savigny zu treffen hoffte. Die freude wäre bald ihm und uns verdorben worden. Zu Cassel, wo er einige tage bei den geschwistern verweilte, brach eben die cholera aus und sein alter magenschmerz befiel ihn zum theil in veränderter gestalt, doch ohne andere böse zeichen der seuche; es hätte nur leicht in sie überschlagen können. Wir wus[s]ten es hier nicht recht und wurden nur durch gekritzelte briefe in der meinung erhalten, er bleibe dort wegen zahnweh ein paar tage länger. Ich glaubte ihn doch entweder in Frankfurt oder auf der reise und war heftig erschrocken, als er vorigen montag in der dämmerung, nur halb genesen, in meine stube trat. Nachdem er sechs tage gelegen hatte und sich leidlich fühlte, faszte er den heilsamen und nothwendigen entschlusz schnell heim zu kehren, denn dort quälte ihn auch der gedanke in solcher gefahr von uns weg zu sein, er brach in weinen aus. Seit drey tagen hat er sich nun zusehends erholt und ist so gut wie hergestellt zu betrachten, es ist durchaus weiter nichts schlimmes eingetreten. Er wird nur noch einige tage das haus hüten müssen. Wir sind daher wieder gutes muths geworden, aber die letzten zehn tage sind uns in rechter angst und sorge verstrichen. Gott stehe uns weiter bei! Carl Friedrich Gauss an Christian Ludwig Gerling, Göttingen, 12. Oktober 1832739 Aus einer Aueßerung Ihres Briefes glaube ich schließen zu können, daß der panische Schrecken, welchen das erste Erscheinen der Cholera in Kassel dort verbreitete, sich nun auch in Marburg verloren hat. Die Krankheit ist ja so unbedeutend, daß sie kaum der Rede wert ist. Ich meines Teils bin von Anfang an von aller Besorgnis frei gewesen und würde das Durchfahren durch Kassel als eine ganz gleichgültige Sache betrachtet haben; ich mußte aber natürlich Bedenken haben, einen Versuch zu machen, Ihren Entschluß umzustimmen. Jetzt aber, wo gottlob die Krankheit in Kassel sich so milde zeigt, wo hier niemand an dem durch Kassel gereist sein einen Anstoß nimmt (Schulze's Tochter z.B. ist vor einigen Tagen über Kassel hie[r]her zurückgekommen; Pfaff aus Kiel, gestern angekommen, war heute den ganzen Vormittag bei mir), und noch ein großes Stück der Ferien übrig ist, möchte ich doch meine Bitte, mich mit Ihrem Besuche zu erfreuen, noch einmal wiederholen. Die kleinen Formalitäten an der Grenze sind durch eine in Kassel zu lösende Bescheinigung ohne alle Mühe zu heben, und wie sehr Sie mich und meine Töchter erfreuen würden, brauche ich gar nicht zu sagen. Schwerlich wird die Krankheit nach Marburg oder nach Göttingen kommen, und jedenfalls haben gerade unsere Wohnungen dort u[nd] hier, von allen Häusern die gesundeste Lage.

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Briefe Herbst 1832

Jacob Grimm an Friedrich Christoph Dahlmann, Göttingen, 13. Oktober

1832ш

Ich melde Ihnen, liebster Dahlmann, noch vor Absendung der Bücherpaquets, daß unser Wilhelm wieder so gut als genesen ist und wahrscheinlich schon die nächste Woche seinen Dienst wieder antreten kann. Wir sind also diesmal mit dem bloßen Schrecken davon gekommen. Von Cholera war es Gottlob nichts, und kein schlimmes Zeichen eingetreten, indessen hätte die feindliche Luft auf das alte Magenübel gefährlich einfließen können. Noch zur rechten Zeit ist er glücklich heimgekehrt. Die andern Verwandten zu Cassel sind alle wohl auf, so weit unsere Kunde reicht. Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, Marburg, 14. Oktober 183274' Obwohl ich von der Cholera ganz dieselben Ansichten habe, die Sie entwickeln, ist es mir doch unmöglich, jetzt noch Ihrer gütigen Einladung zu folgen, denn 1. wäre es, da ich am Freitage schon wieder hier sein müßte, weil am Montag unsere Collegia angehen, wieder eine solche 3-tägige Stippvisite wie vorigen Winter aber 2. kommt der entscheidende Umstand hinzu, daß meine Frau seit zwei Tagen unwohl und bettlägerig ist (obzwar dieses an und für sich nicht bedenklich sein wird), doch durch meine jetzige Abreise, besonders in die durch das Gerücht sehr übertriebene Choleragefahr hinein, leicht ihr Zustand ernstlich verschlimmert werden könnte. Ludwig Emil Grimm am Karl Vömel, Kassel, 14. Oktober 1832742 [...] so eine Drachmen-Konversation in jetziger Zeit ist schon etwas wert, wo man Aufheiterung bedarf von innen und außen zu, ja sogar notwendig ist bei der Cholera, die seit 8 Tagen bei uns in Kassel eingezogen ist. Zwar nicht in der schreckhaften Gestalt, wie auswärts davon erzählt wird, aber doch immer so, daß es nötig tut, auf sich acht zu geben. Den ersten Tag war der Schrecken am größten, weil da unter andern eine junge Frau u. ein 15jähriges Mädchen daran starben, viele sind vor Schrecken wie gesagt krank geworden, worunter ich auch leider meine Frau zählen muß, die ohnedem oft angegriffene Nerven hat, aber jetzt geht es Gottlob besser. Die Mägde am Brunnen und in der Küche, die Knechte im Stall usw., alle sprachen davon und erzählten sich, worunter dann natürlich das meiste übertrieben und Lügen waren, und sich dann auf diese Lügen mancher einbildete, er habe die Cholera u. war dabei frisch und gesund. Die Angst ist zu nichts gut in der Welt, aber Frauen und Mädchen ist es zu verzeihen. Die Anstalten sind hier gut, und die Leute mildtätig von oben wie von unten, und ich glaube, daß bald keine Rede mehr davon ist, und die Krankheit auch bald verschwindet. Das was man zu beobachten braucht, ist leicht zu halten. Es scheint, daß die Ansteckung mehr in der Luft liegt, als daß sie durch Menschen, Kleidung usw. geschieht. Es ist sonderbar, daß den 1. Oktober, wo hier zuerst mehrere Fälle vorkamen, warmes schönes Wetter war, beinah kein Wind ging u. ein sichtbarer Nebel, Dunst über der Erde lag, aber nur in der Tiefe, die Berge waren rein, auch war ein sonderbarer Geruch in der Luft, nicht ganz dem ähnlich von Heerrauch. Man will hier Sperlinge vom Dach tot herunterfallen gesehen haben. Ein gewisses Unbehagen fühlt beinahe jedermann, und auch von denen, die noch nichts von der Cholera wußten, viele sind es dann erst durch die Angst geworden. Das Gute wird die Angst

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

hervorbringen, daß viele ordentlicher anfangen zu leben, es ist nur die Frage, wie lange es dauert. Friedrich Wähler an Jons Jacob Berzelius, Kassel, 15. Oktober 1832w Die Cholera ist noch im Zunehmen. Indessen ist davon wenig Einfluss auf das öffentliche Leben in Deutschland zu merken. Es bleibt aber immer eine fatale Zeit, Jedermann fühlt sich unbehaglich, besonders im Leib; Diarrhöen sind ganz allgemein, zum Theil aus Angst, und wenn man auch Appetit hat, so mag man sich nur halb satt essen. Ich werde nun Liebig und Mitscherlich, bei beider ziemlich großer Cholerafurcht, wohl schwerlich auf ihrer Rückreise zu sehen bekommen. Jons Jacob Berzelius an Friedrich Wähler, Stockholm, 16. Oktober 1832w Ich beklage es sehr, dass die Cholera in Kassel ist, fürchte aber nichts für das Leben des Herrn Professors. Ich glaube nicht, dass die Cholera einen sonst gesunden Menschen, der ordentlich lebt und vor allem in einem geräumigen, nicht zu niedrigen Zimmer schläft, jemals weggerafft hat. Wilhelm Grimm an David Theodor August Suabedissen, Göttingen, 18. Oktober 1832745 Dem 24. Septbr. reiste ich nach Cassel ab, den 2. October wollte ich weiter und wäre den 3. Morgens in Ihr Zimmer getreten, allein gerade, als ich im Begriffe war, einen Platz auf dem Eilwagen zu bestellen, überfiel mich plötzlich u. ohne alle Einleitung eine Krankheit, die mich 8 Stunden in der Ungewiszheit liesz, ob nicht die Cholera daraus werden würde. Das geschah nun nicht, aber es war doch ein heftiges nervöses Magenleiden, das mich sechs Tage im Bette hielt und erst den 8. Oct. durfte ich es wagen, die Rückreise hierher anzutreten, die ich, zur Beruhigung der Meinigen, durchaus nicht länger aufschieben wollte. Krank kam ich an und bin noch immer leidend, und habe gestern meinen ersten Ausgang versucht, indessen geht es besser und ich bin im Stande, meine Gedanken zusammenzufassen, was mir bisher sauer ward. Robert Bunsen an seinen Vetter Robert Bunsen, Paris, 22. Oktober 1832ш Obgleich es hier für lächerlich gehalten wird, noch von der Cholera zu sprechen, so weiß ich doch zu gut, wie nahe Dich jetzt die Krankheit angeht, als daß ich glauben sollte, Du gehörtest zu denen, die schon vor der Stubenthür jedes Gespräch über dieselbe verbitten. Ich hoffe daher, daß es Dir nicht unangenehm sein wird, das aller Neueste zu erfahren, was man hier über die Krankheit aufgestellt hat. Ich würde Dir das abgedroschene Capithel von Präservativ- und Heilmitteln gegen die Krankheit nicht noch einmal auftischen, wenn nicht das, was ich Dir darüber mittheilen wollte, von Männern herrührt, die sich wenig in ihrem Leben mit dem was sie bekannt gemacht, getäuscht haben, nemlich von Chevereul und Ampere, Namen, die Dir als ehemaligen Docenten der Che. u. Phys. gewiß nicht unbekannt sind. Der erstere hat in der heutigen Sitzung der Academie, der ich beiwohnte, eine Abhandlung vorgelesen, in der die Phänomene, die bei der Verbreitung des Miasmas statt finden, mit denen der Gärung verglichen werden. Er zieht endlich aus vielen Analogien den Schluß, daß man

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sich vor der Cholera durch dasselbe Mittel schützen könne, wodurch man die gährungsfähigen Stoffe vor der Gärung schützt, nehmlich durch schweflichte Säure. Er schlägt als Präservativmittel vor, schwefelsaures Kali bei sich zu tragen und in den Hospitälern mit schweflichter Säure zu räuchern. Privatschreiben aus Kassel, 30. Oktober 1832™ Das zuletzt erlassene Gesetz über die Maßregeln, welche beim Ausbruch der Cholera ergriffen werden sollen, wohin namentlich auch die trefflichen Sperrungen gehören, ist factisch aufgehoben, indem Niemand daran gedacht hat, es in Ausführung zu bringen. Die einzige Vorsichtsmaßregel, welche stattfindet, ist die, daß die Todten Morgens und Abends begraben werden. - Hessen-Darmstadt läßt Niemanden ein, der nicht den fünftägigen Aufenthalt in einer cholerafreien Stadt nachweisen kann. Gegenstände aller Art passiren aber ungehindert die Gränze. Justus von Liebig an Jons Jacob Berzelius, Gießen, 6. November 1832m Dass ich Ihren lieben Brief vom 2. Sept. erst nach zwei Monaten beantworte, daran ist eine Reise schuld welche ich nach Cassel und Berlin gemacht habe. Die Cholerafurcht hielt mich ab, nach Berlin und Stockholm zu gehen und ich kam aus der Scylla in die Charybdis. Während ich in Cassel war, brach sie dorten aus und wie ich nach Berlin kam, war sie dort in vollem Aufblühen. Man kann seinem Schicksal nicht entgehen, wenn auch die Heilung von meiner Furcht das einzige Resultat wäre was ich von meiner Reise mitgebracht habe [...]. Susanne von Tucher an Marie Hegel, Nürnberg, 6. November 18321Λ9 Ich rechne in diesen traurigen Tagen [erster Jahrestag von Hegels Cholera-Tod], viel auf die lieben theilnehmenen Freunde, vor Allem auf die guten Söhne, die besser noch wissen was der guten Mutter in solchem Augenblick das wohltätigste, für ihren Schmerz ist. Hätten wir Dich nur hier über diesen harten Monat hinaus bringen können, auch für mich wäre es wohlthuender gewesen als in der Ferne um Dich zu leiden, u nichts für Dich thun zu können. Der Rückblick auf die vergangenen Monate, giebt mir auch den Trost, daß Du gestärkt durch Deinen Aufenthalt hier, Deinen gerechten Schmerz mit Ruhe u Fassung zu ertragen, u zu überwinden, Gott helfe Dir dazu! Ludwig Börne an Jeanette Wohl, Paris, 6. November 1832750 Ich hatte im Kasino den Moniteur und darin zu meinem Schrecken gelesen, daß in zwei Departementen, die auf meinem Wege nach Paris lagen, die Cholera noch stark herrsche. Es war eine artige Summe an Kranken und Toten. Augenblicklich bekam ich offizielle Leibschmerzen, die ich auch bis Paris behielt. Und dabei mußte ich doch laut auflachen, denn ich wußte vorher, welche lächerliche Torheiten ich auf der Reise denken und begehen würde, und daß diese trotz meiner Selbsterkenntnis unvermeidlich blieben. Auch trafen sie richtig ein. Man riet mir im Kasino, den Weg über Dijon zu nehmen. Zu jeder anderen Zeit hätte ich es auch getan, um den alten schon sooft gemachten und höchst langweiligen Weg

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zu vermeiden. Aber um mich für meine Furcht zu bestrafen, band ich mich daran fest. [...] Daß ich aber ungezwungen die Cholera-Schlacht aufsuchte, das war wirklich groß und erhaben. Nun hören Sie, wie es mir erging. Das erste gefährliche Departement war das De la Meurthe, wovon Nancy die Hauptstadt ist. [...] Ich bekam also gleich hinter Straßburg Angst, und die Leibschmerzen wurden immer ärger. [...] Jetzt rasch den Berg hinunter und ich war in Phalsbourg, dem ersten Cholera-Ort. Da war zu meinem Jammer gerade Markttag, eine große Menschenmenge hatte sich angehäuft, und das unsinnige Volk lachte. Die Pfeile des Todes flogen um mich herum, es ward immer ärger mit mir. Ich bekam Kopfschmerzen und gleich darauf auch Brustschmerzen. Also auf drei Seiten hatte mich der Feind schon angegriffen, und jetzt blieben bloß noch die Füße übrig. Die Hauptsache war, daß ich kalte Füße bekäme, aber sie staken in einem Fußpelze, und es war sehr schwer, ihnen beizukommen. Eine ganze Stadt dauerte der Streit zwischen meiner Einbildung und dem Pelze. Meine Einbildung sagte kalt, mein Fußpelz sagte warm. Zu meiner großen Freude gewann der Pelz den Prozeß, und meine Füße blieben warm. Aber mein Glück dauerte nicht lange. Plötzlich bekam ich eiskalte Lippen; es war wie ein Kuß des Todes. Bald kamen Übelkeiten dazu. [...] Endlich hatte ich das Departement de la Meurthe hinter mir und kam in ein gesundes Land. Den Waffenstillstand benutzte ich, um mich auf die Kämpfe des folgenden Tages vorzubereiten, denn da kam ich durch das zweite Cholera-Departement, das de la Marne, wovon Chalons die Hauptstadt ist. Es ging aber den dritten Tag besser als ich erwartete, und ich war so ruhig, daß ich mir vornahm, wie Caesar meine Heldentaten zu beschreiben. Als ich auf der Straße in Chalons eine junge schöne Frau in Trauerkleidern sah, die mit einer andern sprach und sehr lachte, Schloß ich daraus, ihr Mann müsse schon acht Tage tot sein, und ich dachte, es war vielleicht der letzte Cholera-Kranke, und dabei beruhigte ich mich und ward so vernünftig, daß ich mich gar nicht mehr fürchtete, als beim Wechseln der Pferde in einer engen schmutzigen Gasse eine Wirtin beide Hände auf den Kutschenschlag legte und mich fragte, ob ich nichts genießen wollte? Ich bat sie bloß, den Wagen nicht anzurühren. [...] Zehen Mal dachte ich auf dem Wege daran: hätte ich nur jenen Mann zum Reisegesellschafter, der noch ein größerer Hebräer ist als ich einer bin; nämlich Gesenius, der berühmte Professor der hebräischen Sprache in Halle. Dessen größere Furcht hätte meine kleinere verschlungen und mich vernünftig gemacht. Als im vorigen Jahre die Cholera in Halle ausbrach, flüchtete sich Gesenius fast in Pantoffeln und ließ Frau und Kinder zurück. Sechshundert Studenten, die sehr am Aleph und Beth hingen, zogen ihrem Lehrer nach Nordhausen nach. In den Zeitungen spottete man damals darüber. In Berlin zirkulierte handschriftlich ein Gedicht auf Gesenius, das ich in der Schweiz gelesen. Es war eine Parodie von Schillers Gedicht: Hektors Abschied von Andromache und himmlisch. Ich wollte der nämliche Dichter machte auch eines auf mich. Es wäre mir willkommen als Buße.

Anhang: Ein Berg-Drama von 1866

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Anhang: Ein Berg-Drama von 1866 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 8. November I860151 Ich schreibe heute auch an die Marie. Sie soll mir täglich berichten, wie es dir geht, bis Alles ganz vollständig gut ist. Wenn es sich wieder auch nur im Mindesten verschlimmern sollte, komme ich sogleich nach Linz. In solchen Augenbli[c]ken weiß man erst, wie theuer einem der geliebte Gegenstand ist. Du erfüllst ganz meine Seele, und mein Bestreben wird in alle Zukunft sein, dich recht heiter, recht glücklich, recht zufrieden zu machen. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 10. November 1866752 Ich pa[c]ke schon langsam ein, und wenn mich die Furcht vor der Cholera so rasch verläßt wie in den le[t]zten Tagen, so siehst du mich eher, als wir beide gedacht haben. Gebe nur Gott, daß nicht wieder ein neuer Fall vorkömmt. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 12. November 1866153 Als ich den Brief des Dr. Essenwein, der mit dem deinigen zugleich ankam, gelesen hatte, war mein erster Gedanke, sogleich einzuparken, mit den Moosbauerpferden an dem Tage noch nach Aigen, und dann am nächsten Tage mit dem Aignerwagen nach Linz zu fahren. Allein später sagte ich mir, du würdest erschre[c]ken, wenn ich plö[t]zlich unangemeldet käme, weil du glauben müßtest, der Arzt habe etwas Bedenkliches geschrieben. Wenn ich dir auch hinterher den Brief des Arztes zeigte, und du wohl sähest, daß sein Brief nichts Besorgliches enthalte, so wäre doch die Aufregung über meine plö[t]zliche Ankunft schon da gewesen, und hätte dir schaden können. [...] Ich hatte vor, ehe ich deine Krankheit erfuhr, daß ich, wenn sich kein weiterer Cholerafall ereignet, am Montage oder Dienstage der nächsten Woche zu dir reise. Allein je[t]zt werde ich es früher thun. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 13. November 1Ä66754 Ich habe ein wenig die Besorgniß gehabt, daß dich die Scene des Wiedersehens etwa zu stark angreifen könnte; allein ich will nicht mit der stürmischen Liebe des Ankommenden in dich fahren wie sonst, sondern dich nur recht still und sanft küssen wie heute im Traume. [...] Du erhältst morgen 2 Briefe, und Donnerstags diesen. Denke freundlich an mich. Freitags erhältst du wieder einen, wenn ich nicht etwa unversehens nachmittag selber kommen sollte. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 14. November I860755 Meine Gesundheit kehrt wieder, ja ich kann sagen, ich bin vollständig gesund. Speise und Trank schmeckt mir außerordentlich gut, ich esse wie Gesunde, und habe keine Beschwerden. Nur die lächerliche Cholerafurcht will mich nicht verlassen, was ich auch mit Verstand und Vernunft dagegen kämpfe. Ich bitte dich herzlich, habe Nachsicht mit dieser Schwäche,

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sie wird von selber stärker werden, wie die Nerven stärker werden. Und dies geschieht, wie ich empfinde, täglich mehr. Ich nehme bedeutend am Körper zu, und das hat auch Einfluß auf die Nerven. Viele kleinere Nervenzustände, Ängstlichkeiten und dergleichen sind ganz geschwunden, so z.B. greift mich der je[t]zige Sturm oder sonstiges Wetter gar nicht mehr an, auch höre ich Nanis Krankengeschichte ganz ruhig an, und so wird auch das stärker Eingewurzelte gewiß verschwinden. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 15. November 1866li6 Es ist Hoffnung auf baldige Änderung des Wetters und auf heiteren Himmel. Dann schmilzt entweder der Schnee, oder er friert, und in beiden Fällen wird wieder eine gute Fahrbahn, und auch eine Lust zum Reisen. Nach dem je[t]zigen Stande der Dinge kann ich dir aber auch in diesem Augenbli[c]ke meinen Abreisetag nicht melden. Wahrscheinlich wird es auf mein anfängliches Vorhaben zurü[c]kkommen, am Montage abzureisen, an einem Montage wie du, gerade fünf Wochen nach dir. Das Entbehrliche ist eingepa[c]kt, mit dem Andern bin ich in ein paar Stunden fertig. [...] Diesen Brief erhältst du Samstags, und da die Marie geschrieben hat, daß dich meine Briefe freuen, so bekömmst du Samstags wieder einen; und etwa bringe ich gar selber einen mit. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 16. November 1866151 Es wird sich zeigen, wie die Merkmale heute nachmittags sind. Jedenfalls bestelle ich den Wagen auf Montag, und fahre dann auch bei schlechtem Wetter, nur nicht bei heftigem Sturme. Der Wind verkühlt den Körper am leichtesten, wenn man keinen geschlossenen Glaswagen hat, wie ich leider aus Oberplan heraus erfahren habe, worauf ich das Bett hüthen mußte. Ich komme also am Dienstag gegen Abend zu dir. [...] Wenn wider Vermuthen warmes ruhiges Wetter bleibt, und noch ein Tag darauf erträglich zu werden verspricht, dann fahre ich plö[t]zlich fort, und zwar mit dem Moosbauerwagen und Weichselbaumpferden nach Aigen, und des andern Tages von Aigen nach Linz. In diesem Falle komme ich dann früher als Dienstag. Alles aber hängt von dem heutigen Briefe ab. Solltest du übler sein, dann fahre ich morgen bei jedem Wetter. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 17. November 7S66758 Nach diesem Briefe bekömmst du noch einen am Dienstage vormittag, und an demselben Tage nachmittag bekömmst du mich selber, außer es kömmt heute oder morgen eine Nachricht, auf die ich sogleich abreise, oder es stürmt am Montage dermaßen, daß ich nicht fortkann, dann gehe ich an dem ersten nur ein wenig erträglichen Tage hier fort. So habe ich es nach Aigen geschrieben. Das heutige Wetter hält mich völlig zum Narren, das Barometer fällt stets, und je[t]zt leuchten die Sterne am Himmel und Alles ist still. Wer hätte gestern den heutigen Tag vermuthet? Und doch wird der Sturm kommen, wenn er nur bald in der Nacht käme, daß der Ausbruch am Montage vorüber wäre. [...] Tausend, tausend Dank, du liebes gutes Weib! Der Seppel kam gestern noch vor 8 Uhr, und brachte deinen herzigen Brief. Du hast mir mit diesem Briefe eine unglaubliche Wohlthat erwiesen. Von Kummer und Sorgen war ich in Glü[c]k verse[t]zt. Je[t]zt mag es draußen stürmen wie es will, je[t]zt ist mir Barometerstand und Thermometerstand nicht

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mehr so wichtig wie dieser Tage, und wenn sich meine Abreise auch um einige Tage verzögert, so trage ich die Verzögerung gerne, weil du nur wieder gesund bist. Und du wirst gewiß auch in freundlicher Geduld meine Ankunft abwarten, und es wird dir lieber sein, daß ich bei günstigem Wetter reise, als daß ich mich der Möglichkeit einer Erkrankung ausse[t]ze, da du ja selber in dieser Hinsicht Besorgnisse in deinem Briefe aussprichst. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 18. November 7S66759 Wahrscheinlich sind diese Zeilen die le[t]zten, die du von den Lakenhäusern von mir erhältst, und wenn das so ist, so bekömmst du sie nur um 7-8 Stunden früher, als du mich selber siehst. [...] Alle Anzeichen sind dafür, daß es sich zu gutem Wetter richtet. Also ist es sehr wahrscheinlich, daß ich dich bald darnach, als du diese Zeilen gelesen hast, sehen werde. [...] N. S. Obwohl ich die Lehrerin von Aigen um Antwort gebeten habe, so ist doch bis je[t]zt (2 Uhr) keine da. Wenn etwa darin noch ein Hinderniß wäre, daß ich den Wagen nicht bekäme, so sei nicht besorgt, wenn ich Dienstags nicht käme. Jedenfalls bekämest du dann Mitwoch vormittag einen Brief. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 19. November 7Ä66760 Da ich nach Aigen geschrieben habe, daß der Wagen nur bei schönem Wetter kommen soll, so wird er nicht kommen, und wenn er käme, so könnte ich nicht reisen. Ja er könnte gar nicht kommen, denn heute findet er den Weg zum Rosenberger heraus nicht zehn Schritt weit. So si[t]ze ich nun da, und könnte mich recht gut auf den gepa[c]kten Koffer se[t]zen. Nur Briefpapier ließ ich indessen heraußen. Das Barometer ist Nachts um 5 Linien gefallen. Das ist seit einigen Tagen ein rasendes Hin- und Herrutschen des Que[c]ksilbers. Aber eben weil es so heftig ist, kann es nicht dauern. Ich hatte gegen das rasche Steigen des Barometers Mißtrauen gehabt, und es hat sich bewährt. Das Thermometer steht eine Kleinigkeit über der 0, also wird es bei euch regnen, und kann bei uns jeden Augenbli[c]k in Regen übergehen. Ich lebte gestern in der süssen Überzeugung, daß ich dich Dienstags in die Arme schliessen werde. Nun ist es nichts, und der sehnlichst erwartete Tag in das Ungewisse gerü[c]kt. Du kannst dir vorstellen, wie mir das unangenehm ist. Ich kann dir nun auch den Tag gar nicht bestimmen. Ich kann dir nur sagen, daß ich an dem ersten schönen Tage von hier fortreisen werde. Ich darf meine Gesundheit durch ein Unwetter nicht gefährden. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 19./20. November 7866761 Je[t]zt ist es halb 4 Uhr Montags den 19ten November. Das Stürmen Schneeschütten dauerte ununterbrochen fort. Der Wagen von Aigen kam aber, und zwar der halbgede[c]kte. Der Kutscher sagte, daß es in Aigen ganz schön gewesen ist, was gewiß nicht wahr ist. Er erzählte, daß er von Schwarzenberg herüber eine Stunde gebraucht hat, daß die Pferde oft bis an den Bauch im Schnee waren, und daß er den Wagen halten mußte, damit er nicht umfalle. Während der zwei Stunden seines Hierseins ist es natürlich noch schlechter geworden, und ich mußte ihn leer nach Aigen zurückgehen lassen. Von hier bis zur Gensdarmeriekaserne hätte ich den Wind und das Schneewehen im Angesichte gehabt, und vielleicht hätten wir mehrere Male umgeworfen. Ich sagte ihm, nur bei schönem Wetter soll er kom-

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men. Das Barometer ist den ganzen Tag gefallen, nur seit einer Stunde ist es stillstehend, ja mir scheint sogar etwas steigend. Vielleicht kann ich übermorgen fort. [...] Morgen wird es gewiß nicht zum Fahren. Also das erste Mögliche ist Mittwoch. Das ist eine fürchterlich lange Zeit bis Mittwoch. Aber ich füge mich, und wenn man sich ein Bischen Geduld abgerungen hat, so ist das noch das Beste. [...] Je[t]zt ist Dienstag Morgens, und ich fahre fort zu schreiben. Das Wetter fährt auch fort, zu schneien. Die Schneemasse ist nun dergestalt, daß ein Fuhrwerk nicht mehr zu der Strasse hinab kann. Mir bleibt nichts mehr übrig, als am lten schönen Tage Männer zu miethen, welche die Verwehungen auf dem Rosenberger Wege ausschaufeln, daß ein Schlitten zu mir herauf kann. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 20. November 1866162 Es ist je[t]zt 3 1/4 Uhr nachmittags. Das unsägliche Schneien hat nachgelassen, ja es steht ein großer Fle[c]k blauen Himmels vor unsern Fenstern, das Barometer ist nachmittags auch um eine Linie gestiegen. Vielleicht ist doch morgen Erlösung, und dann bringe ich dir diesen Brief selber. Der Seppel und 4 Mann sind gedungen zum Ausschaufeln. Wie ein schöner Tag wird, müssen sie sich des Morgens stellen, und meine Befehle erwarten. Alles ist in Bereitschaft. [...] Ist es morgen schön, so bringe ich ihn dir [diesen Brief] am Donnerstage. Erhältst du ihn am Freitage vormittags, und ist es am Donnerstage vorher schön gewesen, so komme ich am Freitage zum Nachmittagskaffeh, haltet mir einen bereit. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 21. November 1866763 Ich hoffe wohl, daß ich Samstag Abends bei dir bin; aber das Unglü[c]k könnte es doch fügen, daß ich noch hier bin, und welche Erquickung wäre es mir da, einige Worte von dir zu erhalten. [...] Hätte ich aber nur im Entferntesten geahnt, was mir bevor steht, so wäre ich Freitags mit Weichselbaumpferden nach Aigen gefahren. Samstag wäre trotz des Windes, der Regen hatte, nach Linz zu kommen gewesen. Allein da seit Menschengedenken ein solches Ereigniß in dieser Jahreszeit hier nicht vorgefallen ist, so konnte ich es auch nicht im Mindesten ahnen. Und so bin ich hier angenagelt. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 21./22. November У&56764 Heute ist ein schöner Tag und es ist ruhig. Ich hoffe, daß der Schlitten kömmt. Dann bringe ich dir diesen Brief selber. Kömmt er nicht, so fertige ich ihn nachmittags aus. Nachmittags. Der Schlitten ist nicht gekommen. Es brachte ein Fußgänger die Nachricht, daß ein Knecht vom Klaffer weggefahren ist, und oberhalb wieder umkehren mußte, weil er nicht durch den Schnee konnte. Also wird der Schlitten nicht haben heraus kommen können. Mir haben 5 Männer um den Lohn von 3f. 30kr. den Rosenbergerweg ausgeschaufelt. Wahrscheinlich wir heute überall auf der Strasse erst geschaufelt, und der Schlitten kömmt morgen.

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Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 22./23. November У866765 Ich schreibe wieder, und weiß nicht, kommen dir diese Zeilen eher zu Gesicht als ich selber, oder wird das Gegentheil wahr. Ich muß schon mit dem Papiere zu sparen beginnen. Heute schrieb ich an Weichselbaum um Pferde und einen Schlitten auf morgen, wenn es Schnee und Wetter zuläßt. Zugleich schrieb ich nach Aigen um einen Schlitten. [...] Ich habe soeben zum Gemeindevorstande geschickt, daß er schaufeln lasse. Ich werde aber auch selber Leute hinsenden, daß der Schlitten zu mir kann. Denn, obgleich ich mit der Anzeige an das Amt Waldkirchen drohte, traue ich dem Eifer der Lakerhäusler doch nicht, und lieber gebe ich noch 2f 30kr aus, als daß ich hier festgehalten werde. Ich thue Alles gerne, um nur nach Hause zu kommen. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 23./24. November 7S66766 Das soll doch endlich, hoffe ich, der le[t]zte Brief sein, und ich bringe ihn dir selber. Ich habe um 2 fl auch die Stre[c]ke von den Aufsehern bis zur Mauth ausschaufeln lassen. Am Nachmittage sind die Leute fertig geworden, so daß zugleich zweispännige Schlitten über die Bahn dahin fuhren. Je[t]zt ist der Weg vom Rosenbergerhause bis Aigen offen. Morgen zeitlich früh kommt ein gede[c]kter Schlitten vom Weichselbaum um mich. Es fällt in diesem Augenbli[c]ke ein sehr schwacher Regen vom Himmel, der neblicht, und ganz still ist. Gott gebe nur, daß kein Wind aufsteht, und alle Bemühungen wieder vereitelt. Noch hat es nicht den geringsten Anschein dazu, und wenn ein Wind kömmt, so hat er wahrscheinlich Regen, und dann hebt er den Schnee so wenig, wie wenig er den nassen Staub hebt. Wenn es ein Bischen möglich ist, fahre ich morgen noch bis Neufelden, und bin am Sonntage Mittags bei dir. [...] Kömmt ein neues Hindernis, so werde ich es ertragen, wie ich diese Woche Alles ertragen habe. [... ] Um Mitternacht von gestern auf heute hob sich der Wind, und wuchs immer mehr, und heute haben wir abermals Schneesturm. Der Martin kam wohl mit dem Schlitten, sagte aber, daß heute kein Fahren sei. Das Barometer ist in der Nacht sehr gefallen, also wird der Sturm dauern, und dann könnte es geschehen, daß wir, wenn wir eine Stre[c]ke gefahren sind, nicht vorwärts könnten, aber dann vielleicht auch nicht mehr rü[c]kwärts. Ich muß also neuerdings warten. Alle Anstalten sind aber getroffen, daß im ersten schönen Augenb l i c k e , und wenn die Wege schon fahrbar sind, der Schlitten um mich da ist. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 24У25. November 1866161 Möge heute das Barometer noch langsam fort steigen, und sich der Himmel etwas aufhellen, möge dann morgen die Aufhellung vollständig werden, und Dienstags ein schöner Tag kommen, dem einige schöne Tage folgen. Auf diese Weise würde dann morgen von hier zur Mauth neuerdings ausgeschaufelt, und je nach dem der Post-Josef die Nachricht bringt, daß in Klaffer etc. schon gebahnt ist, fahre ich Dienstag oder Mittwoch Morgen hier ab. [...] Morgen sollte zeitlich früh der Weg zur Mauth gangbar gemacht werden, und dann der Weichselbaumschlitten kommen. Aber eben beginnt es abermals zu schneien, zwar still. Das Barometer ist im Fallen. Wenn kein Wind kömmt, kann ich morgen doch fort, mit Wind nicht. Das Fuhrwerk des Weichselbaum ist sehr gut, und der erste freie Augenblick wird

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benü[t]zt. Das Schneien kann doch nicht ewig dauern. Heute wäre ein Tag zum Fahren gewesen, wenn Morgens 2 Stunden geschaufelt worden wäre, aber zum Schaufeln war niemand zu bringen, weil Sonntag ist. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Lakerhäuser, 25./26. November 186бш Der Gedanke, nach Schwarzenberg zu gehen, reift immer mehr. Je[t]zt steht das Barometer auf 26 Zoll 6 Linien. Das Thermometer zeigt 0°. Das Barometer ist heute um eine Linie gefallen, aber weiter nicht mehr. Ist es morgen früh gerade wie heute, so gehe ich nach Schwarzenberg. Was dort geschehen wird, werde ich nach den Umständen sehen. Kann ich dem Wetter trauen, so fahre ich nachmittag nach Aigen. Kann ich nicht trauen, so warte ich die bessere Zeit in Schwarzenberg ab. So bin ich wenigstens um die ärgste Stre[c]ke Linz näher. Kömmt aber heute Nachts wieder ein Sturm, oder regnet es morgen sehr, wenn auch still, so muß ich hier bleiben, und wieder weiter warten, was geschieht. Dann gehe ich aber im ersten Augenbli[c]ke gangbaren Fußpfades nach Schwarzenberg hinüber. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Aigen, 27. November 1866769 Ich bin in Aigen, und juble. Das ist wie aus Rußland nach Italien. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, daß dieser Brief früher kömmt als ich; allein die ewigen Hindernisse, die sich meiner Linzerreise entgegensetzten, haben mich schon so mißtrauisch gemacht, daß ich es nicht für unmöglich halte, daß noch eines kömmt, z.B. daß irgendwo plö[t]zlich die Schlittenbahn aufhört, und ich dort keinen Wagen bekomme. Darum schreibe ich dir diesen Brief, und wenn er nur um ein paar Stunden deine Angst um mich früher endigt, als ich selber ankomme, so ist das schon ein großer Gewinn, und lohnt das Schreiben. In Aigen bin ich geborgen. Adalbert Stifter an Amalia Stifter, Kirchschlag, 30. November 1866110 Als ich heute von dir ging, da war dein Angesicht so, als wäre dir unwohl. Jedenfalls fühltest du Schmerz über mein Fortgehen. Das faßte ich in meiner Unruhe nicht so recht auf; allein im Fahren, als die Nerven ruhiger wurden, ward mir immer klarer, daß ich nicht recht gethan habe. Ihr sollt in Freud und Leid mit einander tragen, war der Spruch bei der Vermählung, und ich verlasse dich aus thörichter Furcht vor einer möglicher Weise ausbrechenden Krankheit. Das darf ich nicht thun. Mein Herz macht mir Vorwürfe, und erregt mir bittere Unruhe. Es ist auch ganz unnü[t]z, daß ich fort bin. Breitet sich die Seuche nicht aus, so ist es an und für sich ein Unding, daß ich fort bin, breitet sie sich in Linz aus, und ich wüßte dich in Gefahr der Erkrankung, so ertrüge ich das Gefühl in meiner Einsamkeit nicht, und eilte zu dir, um dir in der Gefahr beizustehen, dich vor Erkrankung zu hüthen, oder dich, wenn du erkranktest, zu pflegen. So ist mein Gefühl, und so ist es auch Pflicht. Es wurde daher mein Entschluß gefaßt, daß ich wieder zu dir zurü[c]k kehre. Um Aufsehen in Kirchschlag zu vermeiden, nehme ich mir vor, ein paar Tage hier zu bleiben. Ist aber mein Gefühl zu heftig, als daß ich es tragen könnte, so komme ich auch morgen wieder zu dir, und kündige dir das durch den Wasserfuhrmann an, damit du nicht erschri[c]kst, wenn ich plö[t]zlich komme. Weil aber auch der andere Fall möglich ist, daß ich erst in ein paar Tagen komme, so bitte ich dich, schreibe mir durch den Fuhrmann zwei Zeilen, sie würden mir

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Trost bringen. Du wirst in deiner Engelsgüte gewiß nicht zürnen, daß ich auf dem Wege gewesen bin, meine Pflicht zu verletzen; aber desto mehr zürne ich mir selber. Im vorigen Jahre war der Fall ein anderer. Ich brauchte die Luft des Berges zu meiner Heilung, ich ließ nicht zu, daß du meine Einsamkeit und die starke Bergluft theilest, weil du durch beides krank geworden wärest. Heuer bedarf ich dieser Luft nicht mehr. Sie erquickt mich nicht, sondern widerstrebt meinem Wesen, also wäre ich lediglich aus Cholerafurcht hier und das darf nicht sein. Die Seinigen aus solchem Grunde verlassen, ist nicht recht, und wenn die Nerven erregt sind, so soll sie das Pflichtgefühl zur Ruhe verweisen, und so will ich thun. Ich fühle mich in diesem Beschluße sehr gestärkt, und vieles leichter als im Herauffahren. Ich reich dir also von dem Berge die Hand, und sage: Sei innig, herzlich gegrüßt, bis wir uns sehen, um uns nicht mehr zu trennen. Denke, bis ich komme, Deines treuen Gatten Adalbert Stifter N. S. Sende aus Vorsicht auf 3 Tage Sem[m]eln, hier ist nur Hausbrod. Brauche ich sie nicht, so mögen die Hausleute sie essen. Sonst brauchst du gar nichts zu schi[c]ken.

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36 Neidhardt von Gneisenau an von Carl von Canitz und Dallwitz, [Anfang Juni] 1831, in: Gernot Dallinger, Karl von Canitz und Dallwitz. Ein preußischer Minister des Vormärz. Darstellung und Quellen, Köln und Berlin 1969, S. 115. 37 Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, 3. Juni 1831, in: Wilhelm von Humboldt, Briefe an eine Freundin, hrsg. v. Albert Leitzmann, Bd. 2, Leipzig 1903, S. 192f. 38 Charles von Grey an Dorothea Christorovna von Lieven, 3. Juni 1831, in: Correspondence of Princess Lieven and Earl Grey, ed. by Guy le Strange, Vol. 2, London 1890, S. 230ff. [eigene Übersetzung], 39 Friedrich Schleiermacher an eine Freundin in Galizien, 5. Juni 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Autogr. 1/2260. 40 Uwe Jens Lornsen an Franz Hermann Hegewisch, Juni 1831, in: Uwe Jens Lornsen. Briefe an Franz Hermann Hegewisch, hrsg. v. Volquart Pauls, Schleswig 1925, S. 8f. 41 Friedrich Perthes an Unbekannt, Juni 1831, in: Clemens Theodor Perthes, Friedrich Perthes Leben nach dessen schriftlichen und mündlichen Mittheilungen, Bd. 3,4. Aufl. Gotha 1857, S. 499f. 42 Marie von Clausewitz an Gunda von Savigny [Juni] 1831, in: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek. Nachlaß Savigny, 28,61. 43 Jons Jacob Berzelius an Friedrich Wöhler, 10. Juni 1831, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, hrsg. v. O. Wallach, Bd. 1, Leipzig 1901, S. 350. 44 Neithardt von Gneisenau an Carl von Canitz und Dallwitz, 10. Juni 1831, in: Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau. Fortsetzung des gleichnamigen Werkes von G. H. Pertz, Bd. 5, Berlin 1880, S. 678. 45 Franz Skoda an Josef Skoda, 11. Juni 1831, in: Zdenek Hornof, Josef Skoda als Choleraarzt in Böhmen 1831/32, in: Clio Medica, 2 (1967), S. 56. 46 Ludwig Friedrich August Wissmann an Friedrich August von Stägemann, 13. Juni 1831, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlass von F. A. Stägemann, hrsg. v. F. Rühl, Bd. 3, Leipzig 1902, S. 486f. 47 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 14. Juni 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 449f. 48 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 16. Juni 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 450ff. 49 Raphael Jakob Kosch an Johann Jacoby, 17. Juni 1831, in: Johann Jacoby. Briefwechsel 1816-1849, hrsg. v. Edmund Silberner, Hannover 1974, S. 28. 50 Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, 17. Juni 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, hrsg. v. Karl Kehrbach, Bd. 17, Langensalza 1912, S. 242. 51 Hannchen Sieveking an Karl Sieveking, Hamburg, 17. Juni 1831, in: Heinrich Sieveking, Karl Sieveking 1787-1847. Lebensbild eines Hamburger Diplomaten aus dem Zeitalter der Romantik, Bd. 3, Hamburg 1928, S. 196. 52 Franz Berwald an seine Schwestern, 18. Juni 1831, in: Franz Berwald. Die Dokumente seines Lebens, hrsg. v. Erling Lomnäs, Basel, Tours 1979, S. 155. 53 Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, 18. Juni 1831, in: Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Pauline Wiesel, hrsg. v. Barbara Hahn, München 1997, S. 432f. 54 Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, 19. Juni 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 957. 55 Leopold Leo an seine Eltern, 23. Juni 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), hrsg. v. Justus Radius, Bd. 2, Nr. 29, 2. Dezember 1831, Sp. 69. 56 Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 25. Juni 1831, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 353,357.

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Ludwig Gustav von Thile an Theodor von Schön, 25. Juni 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 267f. Sophie Tilebein an Amalie von Gerstenbergk, 26. Juni 1831, in: Otto Altenburg, Die Tilebeins und ihr Kreis. Stettiner Bürgerkultur im 18. und 19. Jahrhundert, vornehmlich in der Goethezeit, Stettin 1937, S. 245. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 27. Juni 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 458f. Ludwig Gustav von Thile an Theodor von Schön, 27. Juni 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, Berlin 1881, S. 272f. Zarin Alexandra Feodorowna an Prinz Wilhelm von Preußen, 29. Juni 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), BPH Rep. 49 W 37. Ludwig Friedrich August Wissmann an Friedrich August von Stägemann, 29. Juni 1831, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens, S. 488f. Friedrich Jacobs an Friedrich Wilhelm Thiersch, 29. Juni 1831, in: Friedrich Thiersch's Leben, hrsg. v. Heinrich W. J. Thiersch, Bd. 2, Leipzig und Heidelberg 1866, S. 40. Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, 1. Juli 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Friederike Gräfin von Reden geb. Freiin Riedesel zu Eisenach. Ein Lebensbild nach Briefen und Tagebüchern, Bd. 1, Berlin 1888, S. 485f. Susanne von Tucher an Marie Hegel, 1. Juli 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 187. Wilhelm Raimund Beyer gibt in: Denken und Bedenken. Hegel-Aufsätze, Berlin 1977, Ausschnitte aus den Briefen Susanne von Tuchers an ihre Tochter. Auch wenn einige der hier und im folgenden dokumentierte Passagen dort mitunter gelegentlich angeführt sind, wird hier wegen einiger Auslassungen durchgehend aus der Originalvorlage zitiert. Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 2. Juli 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 269ff. Frederic Soret an Johann Wolfgang von Goethe, 2. Juli 1831, in: Fr6deric Soret, Zehn Jahre bei Goethe. Erinnerungen an Weimars klassische Zeit. Aus Sorets handschriftlichem Nachlaß, seinen Tagebüchern und seinem Briefwechsel [...], hrsg. ν. Η. H. Houben, Leipzig 1929, S. 557. Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, 3. Juli 1831, in: Wilhelm von Humboldt, Briefe an eine Freundin, S. 194f. Ernst Wilhelm Hengstenberg an Karl Hengstenberg, 4. Juli 1831, in: Ernst Wilhelm Hengstenberg. Sein Leben und Wirken nach gedruckten und ungedruckten Quellen, hrsg. v. Johannes Bachmann, Bd. 2, Gütersloh 1880, S. 381. Johann Ulrich Ewertz an Carl Friedrich von Gräfe, 4. Juli 1831, in: Brandenburgscher Anzeiger. Ein Wochenblatt für alle Stände, Nr. 68, 24. August 1831, [S. 2f.] Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 4. Juli 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 278ff. Kaiser Franz I. von Österreich an Palatin Josef, 5. Juli 1831, in: Viktor Bibl, Kaiser Franz. Der letzte römisch-deutsche Kaiser, Leipzig und Wien 1938, S. 353. Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, 7. Juli 1831, in: Briefwechsel mit Pauline Wiesel, S. 435f. Friedrich von Gentz an Lisette von Gentz, 8. Juli 1831, in: Friedrich von Gentz und die deutsche Freiheit. Schriften und Briefe aus den Jahren 1815-1832, hrsg. v. Hans von Eckardt, München 1921.S. 296f. Friedrich von Gentz an Rahel Varnhagen, 8. Juli 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, hrsg. v. Konrad Feilchenfeldt/Uwe Schweikert/Rahel E. Steiner, München 1983, Bd. 9, S. 861ff. Heinrich Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, 8. Juli 1831, in: Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, hrsg. v. Max Hecker, Bd. 3, Weimar 1922, S. 239.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt Karl Ernst von Baer an Robert Froriep, 9. Juli 1831, in: Heinz E. Müller-Dietz, Sieben unveröffentlichte Briefe des Naturforschers Karl Ernst von Baer an L. F. Froriep und dessen Sohn aus den Jahren 1823 bis 1831, in: NTM. Internationale Zeitschrift für Geschichte und Ethik der Naturwissenschaften, Technik und Medizin, NS, 1 (1993), S. 178. Rahel Vamhagen an Pauline Wiesel, 9. Juli 1831, in: Briefwechsel mit Pauline Wiesel, S. 436f. Heinrich Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, 12. Juli 1831, in: Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, Bd. 3, S. 240f. Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 13. Juli 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 466. Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, 14. Juli 1831, in: Felix Mendelssohn Bartholdy. Briefe einer Reise durch Deutschland, Italien und die Schweiz, hrsg. v. Peter Sutermeister, Zürich 1958, S. 172. Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, 15. Juli 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Gräfin von Reden, Bd. 1,S. 489f. Sulpiz Boiseräe an Johann Wolfgang von Goethe, 16. Juli 1831, in: Sulpiz Boiseröe [Lebensbeschreibung, Briefe], Bd. 2, Stuttgart 1862, S. 567. Fr6d6rik Chopin an die Familie, 16. Juli 1831, in: Fr6derik Chopin. Briefe, hrsg. v. Krystina Kobylanska, Frankfurt/M. 1984, S. 123ff. Johann Friedrich Herbart an Moritz Wilhelm Drobisch, 16. Juli 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 245ff. Theodor von Schön an Ludwig Gustav von Thile, 16. Juli 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 283ff. Neidhardt von Gneisenau an Wilhelm von Scharnhorst, 16. Juli 1831, in: Pick, Briefe des Feldmarschalls Neidhardt v. Gneisenau an seinen Schwiegersohn, S. 459. Dr. Beumelburg an Samuel Hahnemann, 17. Juli 1831, in: Samuel Hahnemann an Gustav Wilhelm Groß, 11. Juli 1831, in: Richard Haehl, Samuel Hahnemann. Sein Leben und Schaffen. Auf Grund neu aufgefundener Akten, Urkunden, Briefe [...], Bd. 2, Leipzig 1922, S. 242. Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, 17. Juli 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 247. Ernst von Feuchtersieben an Romeo Seligmann, 17. Juli 1831, in: Aus den Briefen von Ernst Frhrn. v. Feuchtersieben, S. 63. Nikolaus von Rußland an Alexej von Orlow, 18. Juli 1831, in: Theodor Schiemann, Geschichte Russlands unter Kaiser Nikolaus I., Bd. 3, Berlin 1913, S. 151. Wilhelm von Humboldt an August von Hedemann, 18. Juli 1831, in: Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen, hrsg. v. Anna von Sydow, Bd. 7, Berlin 1916, S. 360f. Franz Anton Ries an Ferdinand und Joseph Ries, 18. Juli 1831, in: Ferdinand Ries. Briefe und Dokumente, hrsg. v. Cecil Hill, Bonn 1982, S. 521f. Kaspar von Sternberg an Johann Wolfgang von Goethe, Juli 1831, in: Ausgewählte Werke des Grafen Kaspar von Sternberg, Bd. 1, hrsg. v. August Sauer, Prag 1902, S. 226f. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an Karl Schelling, Sommer 1831, in: Aus Schellings Leben. In Briefen, hrsg. v. G. L. Plitt, Bd. 3, Leipzig 1870, S. 58f. Johann Gottfried Macarius von Rein an Dietrich Georg Kieser, 19. Juli 1831, in: Dr. M. v. Rein's zu Warschau Briefliche Mittheilung über die orientalische Cholera an und durch Dr. Dietrich Georg Kieser, Leipzig [1831], S. 14f. Johann Wolfgang von Goethe an Heinrich Meyer, 20. Juli 1831, in: Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, Bd. 3, S. 242f.

Quellen

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98 Johann Gottfried Macarius von Rein an Dietrich Georg Kieser, 21. Juli 1831, in: Dr. M. v. Rein's zu Warschau Briefliche Mittheilung über die orientalische Cholera, S. 15f. 99 Hannchen Sieveking an Karl Sieveking, Hamburg, 21. Juli 1831, in: Sieveking, Karl Sieveking, Bd. 3, S. 196f. 100 Ferdinand Raimund an Karoline Wagner, 21. Juli 1831, in: Ferdinand Raimund, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Säkularausgabe, hrsg. v. Fritz Brukner/Eduard Castle, Bd. 4, Wien 1926, S. 404. 101 Karl von Clausewitz an Elise von Bernstorff, 22. Juli 1831, in: Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath. Ein Bild aus der Zeit von 1789 bis 1835. Aus ihren Aufzeichnungen, Bd. 2, Berlin 1896, S. 209. 102 Jacob Grimm an Karl Lachmann, 22. Juli 1831, in: Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann, hrsg. v. Albert Leitzmann, Bd. 2, Jena 1927, S. 565. 103 Dorothea Christorovna von Lieven an Alexander von Benckendorff, 22. Juli 1831, in: Letters of Dorothea Princess Lieven, during her Residence in London, 1812-1834, ed. by. Lionel G. Robinson, London, New York 1902, S. 308 [eigene Übersetzung], 104 Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 23. Juli 1831, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 363. 105 August von Platen an Friedrich von Fugger, 23. Juli 1831, in: Der Briefwechsel des Grafen August von Platen, hrsg. v. Peter Bumm, Bd. 5, Paderborn, München, Wien 1995, S. 120. 106 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 24. Juli 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 467f. 107 Jeremias Rudolph Lichtenstädt an Julius Theodor Steinitz, 25. Juli 1831, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologischtherapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, hrsg. v. Albert Sachs, Nr. 4, 17. September 1831, S. 15ff. 108 An Samuel Hahnemann von einem Neffen, 25. Juli 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 247f. 109 Ernst Moritz Arndt an Friedrich Schleiermacher, 26. Juli 1831, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 427f. 110 Ludwig von der Marwitz an Carl Knoblauch, 27. Juli 1831, in: Richard Knoblauch, 175 Jahre Knoblauchsches Haus. Aus Tagebüchern und Akten des Familienarchivs, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins, NF, 56 (1939), S. 20. 111 Rahel Varnhagen an Auguste Brede, 27. Juli 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 504f. 112 Henriette Schleiermacher an Charlotte von Kathen, 27. Juli 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Dep. 3 (L. Jonas), Kasten 1, Nr. 18. 113 Johann Hinrich Wiehern an Karoline Wichern, 28. Juli 1831, in: Briefe und Tagebuchblätter Johann Hinrich Wichems, hrsg. v. D. J. Wichern, Bd. 1, Hamburg 1901, S. 148. 114 Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, 29. Juli 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 247. 115 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 29. Juli 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 470ff. 116 Rahel Varnhagen an Frau von V., 29. Juli 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 507. 117 Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, 29./30. Juli 1831, in: Elisa Radziwill. Ein Leben in Liebe und Leid. Unveröffentlichte Briefe der Jahre 1820-1834, hrsg. v. Bruno Henning, Berlin 1911, S. 249. 118 Franz Karl Druffel an Gertrud Druffel, 30. Juli 1831, in: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek. Nachlaß Gallitzin, 3,19.

300

Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

119 Prinz Wilhelm von Preußen an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 30. Juli 1831, in: Wilhelms I. Briefe an seinen Vater König Friedrich Wilhelm III. (1827-1839), hrsg. v. Paul Alfred Mersbach, Berlin 1922, S. 108f. 120 Karl August Varnhagen von Ense an Hermann von Pückler-Muskau, 31. Juli 1831, in: Briefwechsel und Tagebücher des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, hrsg. v. Ludmilla AssingGrimelli, Berlin 1873ff„ Bd. 3, S. 56. 121 Prinz Wilhelm von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, 31. Juli 1831, in: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte. Briefe 1817-1860, hrsg. v. Karl-Heinz Börner, Berlin 1993, S. 160f. 122 Hedwig von Grolman an ihre Schwester, 1. August 1831, in: E. v. Conrady, Leben und Wirken des Generals der Infanterie und kommandirenden Generals des V. Armeekorps Carl von Grolman, Bd. 3, Berlin 1896, S. 136f. 123 Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, 1. August 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Gräfin von Reden, Bd. 1, S. 491. 124 Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, 2. August 1831, in: Viktor Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung. Sein geheimer Briefwechsel mit dem bayerischen Staatsminister Wrede. Nach unveröffentlichten Dokumenten aus den Archiven in Wien und München, Wien 1928, S. 234. 125 Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, 3. August 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 508/Bd. 9, S. 865. 126 Adalbert von Chamisso an de la Foye, 4. August 1831, in: Adalbert von Chamisso's Werke, 2. Aufl., Bd. 6, Leipzig 1842, S. 184f. 127 König Friedrich Wilhelm III. von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, 4. August 1831, in: Paul Bailleu, Aus dem letzten Jahrzehnt Friedrich-Wilhelms III., S. 158. 128 Paul Bernhard an Samuel Hahnemann, 4. August 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 233. 129 Emst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, 6. August 1831, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 430f. 130 Privatschreiben aus Konstantinopel, 7. August 1831, in: Brandenburgscher Anzeiger. Ein Wochenblatt für alle Stände, Nr. 94, 23. November 1831, [S. 2]. 131 Privatschreiben aus St. Petersburg, 7. August 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, hrsg. v. Regierungs- und Medizinalrath Dr. Zitterland, Nr. 3, 8. Oktober 1831, S. 18. 132 Privatschreiben aus Wien, 7. August 1831, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr. 59, 24. August 1831, S. 362. 133 Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, 7. August 1831, in: Christian Daniel Rauch, Familienbriefe 1796-1857, hrsg. v. Monika Peschken-Eilsberger, München 1989, S. 316. 134 Privatschreiben aus St. Petersburg, 8. August 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 30, 6. Dezember 1831, Sp. 94. 135 Neidhardt von Gneisenau an Karoline von Gneisenau, 9. August 1831, in: Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Neidhardt von Gneisenau, 3. verb. Aufl., Berlin 1908, Bd. 2, S. 365. 136 Gottlob Benjamin Jäsche an Johann Friedrich Herbart, 10. August 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 250. 137 Neithardt von Gneisenau an Alexander Gibsone, 10. August 1831, in: Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau. Fortsetzung des gleichnamigen Werkes von G. H. Pertz, Bd. 5, S. 679f. 138 Karl August Varnhagen von Ense an Johann Wolfgang von Goethe, 10. August 1831, in: Ludwig Geiger, Neue Mittheilungen, in: Goethe-Jahrbuch, 14 (1893), S. 94.

Quellen

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139 Georg Friedrich Christian Fikentscher an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 10. August 1831, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff (1770-1837), hrsg. v. Wolfgang Götz, Halle/Saale 1987ff., Bd. 3, S. 73f. 140 Wilhelm von Kuegelgen an Carl von Kuegelgen, August 1831, in: Wilhelm von Kuegelgen. Zwischen Jugend und Reife des Alten Mannes 1820-1840. Aus Tagebüchern, Briefen und Gedichten, hrsg. v. Johannes Werner, Leipzig 1925, S. 229. 141 Karl Otto Magnus von Brünneck an von Neischütz, 11. August 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 307f. 142 Friedrich von Gentz an Anton von Prokesch-Osten, 11. August 1831, in: Aus dem Nachlasse des Grafen Prokesch-Osten. Briefwechsel mit Herrn von Gentz und Fürsten Metternich, Bd. 2, Wien 1881, S. 48f. 143 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 12. August 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 475f. 144 Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Theodor von Schön, 12. August 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 310ff. 145 Bettina Schinas an Franz von Savigny, 12. August 1831, in: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek. Nachlaß Gallitzin, 9,104. 146 Karoline von Gneisenau an August von Scharnhorst, 13. August 1831, in: Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau. Fortsetzung des gleichnamigen Werkes von G. H. Pertz, Bd. 5, S. 681. 147 Johann Bartholomäus Trommsdorff an Christian Wilhelm Hermann Trommsdorf, 13. August 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 962. 148 Karl Philipp von Wrede an Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich, 13. August 1831, in: Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, S. 239. 149 Privatschreiben aus Pesth an ein befreundetes Handelshaus, 13. August 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 2, 3. September 1831, Sp. 16. 150 Jakob von Henning an Wilhelm Gottlieb von Tilesius, 14. August 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 11, 8. Oktober 1831, Sp. 88. 151 Prinz Johann von Sachsen an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, Mitte August 1831, in: Briefwechsel zwischen Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. von Preußen, hrsg. v. Johann Georg, Herzog zu Sachsen, Leipzig 1911, S. 116. 152 Privatschreiben aus Königsberg, 16. August 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 7, 21. September 1831, Sp. 55. 153 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 16. August 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 480f. 154 Karl Lachmann an Joseph von Laßberg, 16. August 1831, in: Zur Geschichte der Deutschen Philologie. Briefe an Joseph Freiherm von Laßberg, in: Germania. Vierteljahrsschrift für Alterthumskunde, 13 (1868), S. 495. 155 Prinz Wilhelm von Preußen an Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin, 16. August 1831, in: Kaiser Wilhelms I. Briefe an seine Schwester Alexandrine und deren Sohn Großherzog Friedrich Franz II., hrsg. v. Johannes Schultze, Berlin und Leipzig 1927, S. 62f. 156 Friedrich Ludwig Jahn an Dr. Schwabe, 16. August 1831, in: Briefe von Friedrich Ludwig Jahn, hrsg. v. Friedrich Quehl, Bd. 1, Leipzig und Hamburg 1918, S. 20f.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

157 Dr. Abendroth an Dr. Kneschke, 17. August 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 20, 6. Dezember 1831, S. 156. 158 Neidhardt von Gneisenau an Friedrich Wilhelm von Brühl, 17. August 1831, in: [Anonym], Gneisenau und sein Schwiegersohn, S. 284f. 159 Ernst Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, 18. August 1831, in: F. Th. Bratranek, Nachträge zu Goethe-Correspondenzen, in: Goethe-Jahrbuch, 5 (1884), S. 169. 160 Franz Grillparzer an Katharina Fröhlich, 18. August 1831, in: Franz Grillparzer, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. August Sauer, 3. Abt., Bd. 2, Wien 1924, S. 76. 161 Jacob Emst von Reider an Justus Radius, 18. August 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 1, 26. August 1831, Sp. 7. 162 Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, 18. August 1831, in: Rauch, Familienbriefe, S. 321. 163 Friedrich Karl von Savigny an Friedrich Creuzer, 19. August 1831, in: Adolf Stoll, Friedrich Karl v. Savigny: Professorenjahre in Berlin 1810-1842. Mit 317 Briefen aus den Jahren 1810-1841, Berlin 1929, S. 433. 164 Christian Daniel Rauch an Ernst Rietschel, 19. August 1831, in: Briefwechsel zwischen Rauch und Rietschel, hrsg. v. Karl Eggers, Bd. 1, Berlin 1890, S. 189. 165 Joseph Dietz an Christian Brentano, 19. August 1831, zit. nach: Moering, Joseph Görres' Anzeige von Clemens Brentanos Buch ,Die Barmherzigen Schwestern', S. 150. 166 Michael Josef Fesl an Anna Hoffmann, 20. August 1831, in: Winter, Der Bolzanokreis, S. 260f. 167 Leopold Zunz an Meier Isler, 20. August 1831, in: Leopold Zunz. Jude - Deutscher - Europäer. Ein jüdisches Gelehrtenschicksal des 19. Jahrhunderts in Briefen an seine Freunde, hrsg. v. Nahum N. Glatzer, Tübingen 1964, S. 152. 168 Neithardt von Gneisenau an Agnes von Scharnhorst, 21. August 1831, in: Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau. Fortsetzung des gleichnamigen Werkes von G. H. Pertz, Bd. 5, S. 684f. 169 Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, 21. August 1831, in: Briefwechsel zwischen C. F. Gauss und H. C. Schumacher, hrsg. v. C. A. F. Peters, Bd. 1, Altona 1860, S. 275. 170 Privatschreiben aus Elbing, 22. August 1831, in: Der Freimüthige, oder Berliner ConversationsBlatt, Nr. 174, 6. September 1831, S. 695. 171 Rahel Varnhagen an Rose Asser, 22. August 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 516ff. 172 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 23. August 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 484. 173 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 23. August 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 485. 174 Heinrich von Brandt an Karl Ernst Wilhelm Job von Witzleben, Posen, 23. August 1831, in: Karl Haenchen, Gneisenaus Ende. Unveröffentlichte Dokumente, in: Archiv für Politik und Geschichte, 5.2 (1927), S. 205f. 175 Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 23. August 1831, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 366. 176 Wilhelm Grimm an Friedrich Karl von Savigny, 23. August 1831, in: Briefe der Brüder Grimm an Savigny, hrsg. von Wilhelm Schoof, Berlin 1953, S. 365. 177 Wolfgang Menzel an Karl Gutzkow, Stuttgart, 23. August 1831, in: Johannes Proelß, Das junge Deutschland. Ein Buch deutscher Geistesgeschichte, Stuttgart 1892, S. 265. 178 Friedrich Ludwig Jahn an Dr. Schwabe, 24. August 1831, in: Briefe von Friedrich Ludwig Jahn, S. 21f.

Quellen

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179 Karl von Clausewitz an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, 24. August 1831, in: Theodor Schiemann, Aus Gneisenaus letzten Tagen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 24.2 (1911), S. 254f. 180 Eduard Heinrich von Flottwell an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, 24. August 1831, in: Haenchen, Gneisenaus Ende, S. 208f. 181 Carl von Roeder an Carl von Grolman, 24. August 1831, in: Conrady, Leben und Wirken des Generals der Infanterie [...] Carl von Grolman, Bd. 3, S. 137f. 182 Bettina Schinas an Franz von Savigny, 24. August 1831, in: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek. Nachlaß Gallitzin, 9,106. 183 BettinaSchinas an Franz von Savigny, 25. August 1831, in: Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek. Nachlaß Gallitzin, 9,107. 184 Jacob Grimm an Karl Lachmann, 25. August 1831, in: Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann, S. 575. 185 Ignaz Franz Castelli an Theodor Hell, ca. 25. August 1831, in: I. F. Castelli, Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes, Erlebtes und Erstrebtes, hrsg. v. Dr. Josef Binder, in: Denkwürdigkeiten aus Alt-Österreich, Bd. 10, München 1913, S. 503. 186 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz [?], 26. August 1831, in: Gräfin Elise von Bemstorff, S. 217f. 187 Johann Friedrich Herbart an Moritz Wilhelm Drobisch, 26. August 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 250. 188 Privatschreiben aus Pesth, 26. August 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 7, 21. September 1831, Sp. 55. 189 Prinz Wilhelm von Preußen an Karl von Clausewitz, 26. August 1831, in: Soldatisches Führertum. Herausgegeben von Kurt von Priesdorff, Bd. 7, Hamburg [ca. 1935], S. 64. 190 König Friedrich Wilhelm von Preußen an Karoline von Gneisenau, 26. August 1831, in: Soldatisches Führertum, Bd. 7, S. 65. 191 Franz Anton Ries an Joseph Ries, 26. August 1831, in: Ferdinand Ries. Briefe und Dokumente, S. 527f. 192 Rahel Varnhagen an Pauline Wiesel, 27. August 1831, in: Briefwechsel mit Pauline Wiesel, S. 442. 193 Jakob Grimm an Bartholomäus Kopitar, 27. August 1831, in: Max Vasmer, B. Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm. Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jg. 1937, H. 7, S. 86. 194 Theodor von Schön an Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, 28. August 1831, in: Weitere Beiträge und Nachträge zu den Papieren des Ministers und Burggrafen von Marienburg Theodor von Schön, S. 317ff. 195 Dr. Friedrich Hempel an Großherzog Friedrich-Franz I. von Mecklenburg-Schwerin, 28. August 1831, in: Archiv des Museum für Kommunikation, Berlin. Mappe Cholera-Briefe. 196 Prinz Wilhelm von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, 28. August 1831, in: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 161. 197 Karl Philipp von Wrede an Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich, 28. August 1831, in: Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, S. 239. 198 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 28. August 1831, in: Dr. K. F. H. Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, Göttingen 1846, S. 66. 199 Johann Friedrich Herbart an Christian August Brandis, 29. August 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 254. 200 Georg Wilhelm Friedrich Hegel an Heinrich Beer, 29. August 1831, in: Briefe von und an Hegel, hrsg. v. Johannes Hoffmeister, Bd. 3, Berlin 1970, S. 347f.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

201 Privatschreiben aus St. Petersburg, 30. August 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 2, 4. Oktober 1831, S. lOf. 202 Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 30. August 1831, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 76. 203 Ludwig Hassenpflug an Wilhelm Grimm, 30. August 1831, in: Brüder Grimm. Werke und Briefwechsel. Kasseler Ausgabe. Briefe, Bd. 2, S. 161 f. 204 Carl Nisse an Unbekannt, [Ende August] 1831, in: Elisabeth Frenzel, Vergilbte Papiere. Die zweihundertjährige Geschichte einer bürgerlichen Familie, Düsseldorf 1990, S. 245. 205 Gottfried Wilhelm Stüler an Samuel Hahnemann, 31. August 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 248. 206 Prinz Wilhelm von Preußen an Großherzogin Maria Pawlowna Sachsen-Weimar-Eisenach, 31. August 1831, in: Die Briefe Kaiser Wilhelms I., hrsg. v. Kaiser-Wilhelm-Institut für deutsche Geschichte, Bd. 1, Berlin und Leipzig 1924, S. 49ff. [eigene Übersetzung]. 207 Karl Lachmann an Jacob Grimm, 31. August 1831, in: Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann, S. 575f. 208 Karl August Varnhagen von Ense an David Assing, 31. August 1831, in: Ludwig Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832. Sonderabdruck aus der Berliner klinischen Wochenschrift 1917, Nr. 8, S. Iff. Offensichtliche Transkriptions- und Datierungsfehler wurden korrigiert. 209 Friederike von Reden an Prinzessin Marianne von Preußen, 1. September 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Gräfin von Reden, Bd. 1, S. 497f. 210 Charlotte Dorothea Rassow an Ernst Moritz Arndt, 1. September 1831, in: Eine vorpommersche Gutspächterfrau. Briefe an Ernst Moritz Arndt von seiner Schwester Gottsgab, hrsg. v. Erich Gülzow, Stralsund 1927, S. 23ff. 211 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 1. September 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter in den Jahren 1796 bis 1832, hrsg. v. Friedrich Wilhelm Riemer, Bd. 6, Berlin 1834, S. 270. 212 Ludwig Robert an Johann Friedrich Cotta, 1. September 1831, in: Briefe an Cotta. Bd. 2: Das Zeitalter der Restauration 1815-1832, hrsg. v. Herbert Schiller, München 1927, S. 331f. 213 Friederike von Reden an Prinzessin Marianne von Preußen, 2. September 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Gräfin von Reden, Bd. 1, S. 498f. 214 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an Pauline Schelling, 2. September 1831, in: Aus Schellings Leben. In Briefen, Bd. 3, S. 59. 215 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 2. September 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 188. 216 Jons Jacob Berzelius an Friedrich Wöhler, 2. September 1831, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 368. 217 Friederike von Reden an Caroline von Riedesel, 3. September 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Gräfin von Reden, Bd. 1, S. 499f. 218 Wilhelm von Eichendorff an Joseph von Eichendorff, 3. September 1831, in: Sämtliche Werke des Freiherm Joseph von Eichendorff. Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. von Wilhelm Kosch/ August Sauer, Bd. 13, Tübingen [1911], S. 97. 219 Privatschreiben aus Warschau, 3. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 7, 21. September 1831, Sp. 56. 220 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 3. September 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 275.

Quellen

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221 Gustav Magnus an Jons Jacob Berzelius, 3. September 1831, in: Aus Jac. Berzelius' und Gustav Magnus' Briefwechsel in den Jahren 1828-1847, hrsg. v. Edvard Hjelt, Braunschweig 1900, S. 56ff. 222 Jakob Grimm an Friedrich Karl von Savigny, 3. September 1831, in: Briefe der Brüder Grimm an Savigny, S. 367f. 223 Wilhelm Grimm an Ludwig Hassenpflug, 3. September 1831, in: Brüder Grimm. Werke und Briefwechsel. Kasseler Ausgabe. Briefe, Bd. 2, S. 163,166. 224 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 4. September 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 277. 225 Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, 4. September 1831, in: Rauch, Familienbriefe, S. 327. 226 Meline von Guaita an Friedrich Carl von Savigny, 4. September 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Friedrich Carl von Savigny, Kasten 10, Mappe 104. 227 Privatschreiben aus Conitz, 5. September 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 1, 1. Oktober 1831, S. 2. 228 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 5. September 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 488ff. 229 Major*** an Generalleutnant von Jaski, Danzig, 5. September 1831, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin, Nr. 34, 22. Oktober 1831, S. 135. 230 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 5. September 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 278f. 231 Christian Daniel Rauch an Eduard Rauch, 5. September 1831, in: Rauch, Familienbriefe, S. 328f. 232 Zarin Alexandra Feodorowna an Prinz Wilhelm von Preußen, 6. September 1831, in: Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin), BPH Rep. 49 W 37. 233 Rosa Maria Assing an Karl August Varnhagen von Ense, 6. September 1831, in: Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832, S. 3. 234 Karl Hieronymus Münchhausen an Luise von Echter, 7. September 1831, in: Briefe eines notorisch Unaufrichtigen, hrsg. v. Karl August Bürger, Sondershausen 1888, S. 188. 235 Privatbrief aus St. Petersburg, 8. September 1831, in: Schlesische Cholera-Zeitung, hrsg. v. dem ärztlichen Comit6 für Schlesien, Nr. 2, 12. Oktober 1831, S. 15. 236 Rahel Varnhagen an Ludwig und Friederike Robert, 8. September 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 518ff. 237 Ferdinand Ries an Hubert Ries, 8. September 1831, in: Ferdinand Ries. Briefe und Dokumente, S. 529. 238 Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, 8. September 1831, in: Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, S. 241 f. 239 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 9. September 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 49Iff. 240 Johann Wolfgang von Goethe an Felix Mendelssohn Bartholdy, 9. September 1831, in: Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abt. IV, Bd. 49, Weimar 1909, S. 68. 241 Wilhelm Hermann Remer an Justus Radius, 9. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 6, 17. September 1831, Sp. 47. 242 Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, 9. September 1831, in: Ernst Moritz Arndt. Unveröffentlichte Briefe aus den Stadtarchiven Bonn und Stralsund, hrsg. v. Hans-Joachim Hacker u.a., Bonn 1995, S. 137f. 243 Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, 9. September 1831, in: Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Ludwig Robert, hrsg. v. Consolina Vigliero, München 2001, S. 556f.

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244 Otto von Bismarck an Bernhard von Bismarck, 10. September 1831, in: Bismarck-Briefe, hrsg. v. Hans Rothfels, Göttingen 1955, S. 22f. 245 Friedrich Peter Ludwig Cerutti an Justus Radius, 10. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 7, 21. September 1831, Sp. 55f. 246 Johann Bartholomäus Trommsdorff an Christian Wilhelm Hermann Trommsdorf, 10. September 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 963. 247 Ferdinand Ries an Hubert Ries, 10. September 1831, in: Ferdinand Ries. Briefe und Dokumente, S. 530. 248 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 10. September 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29ΛΙ, Nr. 439, Brief Nr. 189. 249 Lulu Brentano an Gunda von Savigny, 10. September 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Friedrich Carl von Savigny, Kasten 7, Mappe 74. 250 Karl von Clausewitz an Marie von Clausewitz, 11. September 1831, in: Karl u. Marie v. Clausewitz, S. 494ff. 251 Johann Wolfgang von Goethe an Johann Friedrich Rochlitz, 11. September 1831, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 71. 252 Prinz Wilhelm von Preußen an Zarin Alexandra Feodorowna, 11. September 1831, in: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 162. 253 Caroline von Egloffstein an Julie von Egloffstein, 12. September 1831, in: Alt-Weimars Abend. Briefe und Aufzeichnungen aus dem Nachlasse der Gräfinnen Egloffstein, hrsg. v. Hermann Freiherrn von Egloffstein, München 1923, S. 406. 254 Hans Emst von Kottwitz an Johann Hinrich Wichern, 12. September 1831, in: Baron Η. E. von Kottwitz und die Erweckungsbewegung in Schlesien, Berlin und Pommern, hrsg. v. F. W. Kantzenbach, Ulm/Donau 1963, S. 61. 255 Privatschreiben aus Wien, 12. September 1831, in [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 243, 11. Oktober 1831, S. 972. 256 Moritz Veit an Leopold Schefer, 13. September 1831, in: Ludwig Geiger, Dichter und Frauen, Vorträge. Abhandlungen, Berlin 1896, S. 270. 257 Hans Emst von Kottwitz an Johann Hinrich Wiehern, 13. September 1831, in: Baron Η. E. von Kottwitz und die Erweckungsbewegung, S. 61f. 258 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 13. September 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 290f. 259 Justus Liebig an Friedrich Wöhler, 13. September 1831, in: Aus Justus Liebig's und Friedrich Wöhler's Briefwechsel in den Jahren 1829-1873, hrsg. v. A. W. Hofmann, Braunschweig 1888, Bd. 1.S.42. 260 Friedrich von Uechtritz an seine Eltern, 13. September 1831, in: Erinnerungen an Friedrich Uechtritz und seine Zeit, in Briefen von ihm und an ihn, hrsg. v. Heinrich Sybel, Leipzig 1884, S. 128f. 261 Julius Goldberg an Johann Nepomuk Rust, 14. September 1831, in: Berliner Cholera-Zeitung [...] mit Benutzung amtlicher Quellen, hrsg. v. Johann Ludwig Casper, Nr. 3, 29. September 1831, S. 26. 262 Auguste Fürstin von Liegnitz an Marie Therese von Harrach, 14. September 1831, in: Wichard Graf von Harrach, Auguste Fürstin von Liegnitz. Ihre Jahre an der Seite König Friedrich Wilhelms III. von Preußen (1824-1840), Berlin 1987, S. 117. Für freundliche Auskunft zur Da-

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tierung und Übersendung einer Abschrift, aus der ergänzend zitiert wurde, danke ich Herrn Dr. Wichard Graf von Harrach, Bonn. Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, September 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 221. Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 15. September 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 964 [Typoskript], Nikolaus Lenau an Matthias Leopold Schleifer, 16. September 1831, in: Nikolaus Lenau, Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Wien 1989ff„ Bd. 5.1, S. lOlff. Christian Daniel Rauch an Agnes Rauch, 16. September 1831, in: Rauch, Familienbriefe, S. 334f. Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, 16. September 1831, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, 5. 435f. Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 17. September 1831, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 77. Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 17. September 1831, Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 369ff. Wilhelm von Gerlach an Ernst Ludwig von Gerlach, 18. September 1831, in: Ernst Ludwig von Gerlach. Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken, hrsg. v. Jakob von Gerlach, Bd. 1, Schwerin 1903, S. 199. Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 18. September 1831, in: Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, S. 66f. Philipp Liepmann an Herrn von Tr., 19. September 1831, in: Berliner Cholera-Zeitung, Nr. 6, 6. Oktober 1831, S. 56. Karl von Holtei an Ottilie von Goethe, 19. September 1831, in: Aus Ottilie von Goethes Nachlaß, hrsg. v. Wolfgang von Oettingen, Weimar 1913, S. 311. Johann Gottlob von Quandt an Johann Wolfgang von Goethe, 19. September 1831, in: Hermann Uhde, Goethe, J. G. v. Quandt und der Sächsische Kunstverein. Mit bisher ungedruckten Briefen des Dichters [...], Stuttgart 1878, S. 81. Johann Wolfgang von Goethe an Adele Schopenhauer, 19. September 1831, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 87. Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 19. September 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 3ff. Charlotte Stieglitz an ihren Bruder, September 1831, in: [Theodor Mündt], Charlotte Stieglitz, ein Denkmal, Berlin 1835, S. 117f. Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, 20. September 1831, in: Rahel Vamhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 523ff./Bd. 9, S. 869f. Friedrich Carl von Savigny an Friedrich Bluhme, 20. September 1831, in: Friedrich Carl von Savigny. Briefwechsel mit Friedrich Bluhme 1820-1860, hrsg. v. Dieter Strauch, Bonn 1962, S. 227f. Ernst von Brunnow an Samuel Hahnemann, 20. September 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 249f. Jacob Grimm an Friedrich Christoph Dahlmann, 20. September 1831, in: Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann und Gervinus, hrsg. v. Eduard Ippel, Bd. 1, Berlin 1885, S. 6. Schreiben eines Apothekers an ein befreundetes Handelshaus, 21. September 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 36, 1. Februar 1832, S. 283ff. Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 21. September 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 1.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

284 Prinz August von Preußen an Juliette R6camier, Berlin, 22. September 1831, in: Alfred W. Hein, Die Briefe des Prinzen August von Preußen an Madame Recamier, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, 4 (1976), S. 565 [eigene Übersetzung]. 285 Prinz Wilhelm von Preußen an Großherzogin Maria Pawlowna Sachsen-Weimar-Eisenach, 22. September 1831, in: Die Briefe Kaiser Wilhelms I., S. 54 [eigene Übersetzung]. 286 Samuel Hahnemann an Clemens von Bönninghausen, 22. September 1831, in: Der Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen, hrsg. v. Martin Stahl, Heidelberg 1997, S. 51 f. 287 Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, 23. September 1831, in: Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, S. 245. 288 Jons Jacob Berzelius an Gustav Magnus, 23. September 1831, in: Aus Jac. Berzelius' und Gustav Magnus' Briefwechsel, S. 59ff. 289 Privatschreiben aus St. Petersburg, 24. September 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 7, 22. Oktober 1831, S. 56. 290 Wilhelm Olbers an Carl Friedrich Gauss, 24. September 1831, in: Wilhelm Olbers. Sein Leben und seine Werke, hrsg. v. C. Schilling, Bd. 2, Berlin 1909, S. 574f. 291 August von Platen an Louise Platen, 24. September 1831, in: Der Briefwechsel des Grafen August von Platen, Bd. 5, S. 129. 292 Buchhändler Thierry an einen Geschäftsfreund, 24. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 16, 26. Oktober 1831, Sp. 128. 293 Ferdinand Raimund an Karoline Wagner, 24. September 1831, in: Raimund, Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 405f. 294 Johannes Müller an Nanny Müller, 24. September 1831, in: Wilhelm Haberling, Johannes Müller. Das Leben des rheinischen Naturforschers auf Grund neuer Quellen und seiner Briefe dargestellt, Leipzig 1924, S. 123. 295 Rahel Varnhagen an Wilhelmine von Zielinski, 25. September 1831, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 9, S. 87Iff. 296 Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, 25. September 1831, in: Theo Gerardy, Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss. Sechzig bisher unveröffentlichte Briefe, Göttingen 1964, S. 26. 297 Bettina von Arnim an Unbekannt, September 1831, in: Frieda Maria Reuschle, An der Grenze einer neuen Welt. Bettina von Arnims Botschaft vom freien Geist, Stuttgart 1977, S. 173. 298 Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, 27. September 1831, in: Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Schopenhauer-Archiv, Sig. XV, 21. 299 Hedwig von Olfers an Adolf von Kleist, 27. September 1831, in: Hedwig von Olfers, geb. von Staegemann. Aus Briefen zusammengestellt, hrsg. v. Hedwig Abeken, Bd. 2, Berlin 1914, S. 148. 300 Joseph von Görres an seine Tochter Sophie, 27. September 1831, in: Joseph von Görres, Gesammelte Briefe, Bd. 1, hrsg. v. Marie Görres, München 1858, S. 323f. 301 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 27. September 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 9ff. 302 Privatschreiben aus St. Petersburg, 28. September 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 18, 2. November 1831, Sp. 143. 303 Leopold Ranke an August von Platen, 28. September 1831, in: Der Briefwechsel des Grafen August von Platen, Bd. 5, S. 130f. 304 Franz Theremin an Prinzessin Marianne von Preußen, 28. September 1831, in: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt. Fischbacher Archiv. Nachlässe Prinz Wilhelm von Preußen und Prinzessin Marianne geb. von Hessen-Homburg, Abt. D 22, Nr. 22/112.

Quellen

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305 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 28. September 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 3. 306 Bartholomäus Kopitar an Jakob Grimm, 28. September 1831, in: Vasmer, B. Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm, S. 86. 307 Karl Friedrich Schinkel an Peter Beuth, September 1831, in: Karl Friedrich Schinkel. Briefe, Tagebücher, Gedanken, hrsg. v. Hans Mackowsky, Berlin 1922, S. 179. 308 Adolph Schnitzer an Karl Wilhelm Wagner, Ende September 1831, in: Berliner Cholera-Zeitung, Nr. 6, 6. Oktober 1831, S. 34. 309 Dr. Samel an Karl Wilhelm Wagner, Ende September 1831, in: Berliner Cholera-Zeitung, Nr. 8, 11. Oktober 1831, S. 68f. 310 Wilhelm Grimm an Charlotte Hassenpflug, 29. September 1831, in: Brüder Grimm. Werke und Briefwechsel. Kasseler Ausgabe. Briefe, Bd. 2, S. 166f. 311 Paul Johann Anselm von Feuerbach an Elise von der Recke, 29. September 1831, in: Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, hrsg. v. Werner Schuffenhauer, Berlin 1967ff., Bd. 12, S. 563f. 312 Heinrich Eduard Dirksen an Friedrich Daniel Sanio, 29. September 1831, zit. nach: Stoll, Friedrich Karl v. Savigny, S. 439. 313 Karl August Varnhagen von Ense an David Assing, 30. September 1831, in: Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832, S. 3. 314 Johann Michael Sailer an Friederike von Reden, 30. September 1831, in: Eleonore Fürstin Reuß, Gräfin von Reden, Bd. 1, S. 501f. 315 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 30. September 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 17. 316 Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, 30. September 1831, in: Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832, S. 5. 317 Privatschreiben aus Riga, Anfang Oktober 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 6, 18. Oktober 1831, S. 47. 318 Amalie Sieveking an eine Freundin, Anfang Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, in deren Auftrag von einer Freundin derselben verfaßt, 2. revidirte Aufl. Hamburg 1860, S. 232. 319 Privatschreiben aus Lemberg, Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 18, 2. November 1831, Sp. 143. 320 Tilesius jun. an Wilhelm Gottlieb Tilesius, Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 20, 7. November 1831, Sp. 159. 321 Albrecht Lührs an Friedrich August Gotttreu Tholuck, [Oktober] 1831, in: Leopold Witte, Das Leben D. Friedrich August Gotttreu Tholuck's, Bd. 2, Bielefeld und Leipzig 1886, S. 198f. 322 Privatschreiben aus Wien, 1. Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 15,22. Oktober 1831, Sp. 119. 323 Friedrich List an Ernst Weber, 1. Oktober 1831, in: Friedrich List. Schriften, Reden, Briefe, hrsg. v. Erwin V. Beckerath u.a., Bd. 8, Aalen 1971, S. 384. 324 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 1. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 18. 325 Anton Schmit an Samuel Hahnemann, 1. Oktober 1831, Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 243/249. 326 Karl Gutzkow an Wolfgang Menzel, 2. Oktober 1831, in: Heinrich Hubert Houben, GutzkowFunde. Beiträge zur Litteratur- und Kulturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Berlin 1901, S. 11. 327 Hans Ernst von Kottwitz an August Tholuck, 2. Oktober 1831, in: Aus A. Tholucks Anfängen. Briefe von und an Tholuck, hrsg. v. G. Nathanael Bonwetsch, Gütersloh 1922, S. 37. 328 Privatschreiben aus Warschau, 3. Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 15, 22. Oktober 1831, Sp. 119.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

329 Leopold Ranke an Ferdinand Ranke, 3. Oktober 1831, in: Leopold von Ranke. Das Briefwerk, hrsg. v. Waither Peter Fuchs, Hamburg 1949, Bd. 2, S. 160. 330 Henriette Paalzow an Sibylle Mertens-Schaaffhausen, 3. Oktober 1831, in: Η. H. Houben, Die Rheingräfin. Das Leben der Kölnerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen. Dargestellt nach ihren Tagebüchern und Briefen, Essen 1935, S. 89. 331 Adalbert Stifter an Adolf von Brenner, 3. Oktober 1831, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 17, 2. Aufl., hrsg. v. Gustav Wilhelm, Reichenberg 1929, S. 28. 332 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 3. Oktober 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 4. 333 Dr. K. A. R. an Dr. Lehmann, 4. Oktober 1831, in: Tägliche allgemeine HamburgischAltonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 22, 5. November 1831, S. 85f. 334 Carl Gustav Schmalz an Justus Radius, 4. Oktober 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 17, 26. November 1831, S. 136. 335 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 4. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 21. 336 Johann Wolfgang von Goethe an Karl Friedrich Zelter, 4. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 305f. 337 Wilhelm von Kuegelgen an Gerhard von Kuegelgen, 4. Oktober 1831, in: Wilhelm von Kuegelgen. Zwischen Jugend und Reife des Alten Mannes, S. 231. 338 Hermann von Pückler-Muskau an Karl August Varnhagen von Ense, 5. Oktober 1831, in: Pückler-Muskau, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3, S. 58. 339 Johann Wolfgang von Goethe an Karl Friedrich Zelter, 5. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 307. 340 Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, 5. Oktober 1831, in: Elisa Radziwill. Ein Leben in Liebe und Leid, S. 250. 341 Nikolaus Lenau an Anton Schurz, 5. Oktober 1831, in: Lenau, Werke und Briefe, Bd. 5.1, S. 106. 342 Privatschreiben aus Magdeburg, 5. Oktober 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 5, 15. Oktober 1831, S. 34f. 343 Privatschreiben aus Berlin, 6. Oktober 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 8, 25. Oktober 1831, S. 58. 344 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 8. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 22f. 345 Karl August Varnhagen von Ense an Hermann von Pückler-Muskau, 9. Oktober 1831, in: Pückler-Muskau, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3, S. 59f. 346 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 9. Oktober 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 5. 347 Rahel Varnhagen an Hermann von Pückler-Muskau, 9./10. Oktober 1831, in: Pückler-Muskau, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3, S. 62f. 348 Privatschreiben aus Konstantinopel, 10. Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 23, 14. November 1831, Sp. 183. 349 Joseph von Görres an seine Tochter Sophie, 10. Oktober 1831, in: Görres, Gesammelte Briefe, Bd. 1,S. 325. 350 Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich an Karl Philipp von Wrede, 10. Oktober 1831, in: Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, S. 250. 351 Privatschreiben aus Wien, 10. Oktober 1831, in: Cholera orientalis. Extrablatt zum allgemeinen Repertorium der gesammten deutschen medizinisch-chirurgischen Journalistik, hrsg. v. Carl Ferdinand Kleinert, II. Heft, Nr. 28 (1832), S. 442f.

Quellen

311

352 Alexander von Humboldt an Guillaume Dupuytren, 10. Oktober 1831, in: Jean Theodoridös/ Georges Boulinier, Humboldt, Dupuytren et le chol6ra, in: Acta historica Leopoldina, Nr. 27 (1997), S. 116 [eigene Übersetzung], 353 Amalie von Helvig an Fritz von Stein, 11. Oktober 1831, in: Briefe von Amalie von Imhoff an ihren Vetter Fritz von Stein. Für die Litteraturarchiv-Gesellschaft in Berlin herausgegeben, Berlin 1911, S. 104f. 354 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 11. Oktober 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 190. 355 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 11. Oktober 1831, in: Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, S. 68f. 356 Hermann von Pückler-Muskau an Karl August Varnhagen von Ense, 12. Oktober 1831, in: Pückler-Muskau, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3, S. 64. 357 Karl Leberecht Immermann an Ferdinand Göring, 12. Oktober 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 983. 358 Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, 13. Oktober 1831, in: Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Schopenhauer-Archiv, Sig. XV, 22. 359 Eduard Waldeck an Johann Jacoby, 13. Oktober 1831, in: Johann Jacoby. Briefwechsel, S. 34f. 360 Robert Reinick an Franz Kugler, 13. Oktober 1831, in: Aus Biedermeiertagen. Briefe Robert Reinicks an seine Freunde, hrsg. v. Johannes Höffner, Bielefeld und Leipzig 1910, S. 20ff. 361 Karl Philipp von Wrede an Klemens Wenzel Nepomuk von Metternich, 13. Oktober 1831, in: Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, S. 252. 362 Privatschreiben aus St. Petersburg, 14. Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 18, 2. November 1831, Sp. 143. 363 Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 14. Oktober 1831, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 77f. 364 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 14. Oktober 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 6. 365 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 14. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 234ff. 366 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 14. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 36f. 367 [Robert] Bunsen an Unbekannt, Mitte Oktober 1831, in: Mittheilungen über die ostindische Cholera zunächst für Aerzte und Wundärzte Kurhessens. Herausgegeben von den ärztlichen Mitgliedern der obersten Sanitäts-Kommission, Nr. 3, 22. Oktober 1831, S. 46. 368 Maximilian Heine an Heinrich Heine, 15. Oktober 1831, in: Heine-Säkularausgabe, Berlin, Paris 1970ff„ Bd. 24, S. 93f. 369 Friedrich Wilhelm Bessel an Karl August Steinheil, 15. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Bessel und Steinheil. Herausgegeben im Auftrage der Königlichen Akademien der Wissenschaften zu Berlin und München, Leipzig und Berlin 1913, S. 127f., 130f. 370 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 15. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 237f. 371 Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, 16. Oktober 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 984. 372 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 16. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 238f. 373 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 16. Oktober 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 191. 374 Dorothea Tieck an Friedrich von Uechtritz, 17. Oktober 1831, in: Erinnerungen an Friedrich Uechtritz und seine Zeit, S. 161.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

375 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 17. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 239f. 376 Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, 17. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen C. F. Gauss und H. C. Schumacher, Bd. 1, S. 283. 377 Karoline von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 17. Oktober 1831, in: Karoline von Humboldt und Friedrich Gottlieb Welcker. Briefwechsel, hrsg. v. Erna Sander-Rindtorff, Bonn 1936, S. 257, 259. 378 Anna Hoffmann an Michael Josef Fesl, 17. Oktober/8. November 1831, in: Winter, Der Bolzanokreis, S. 263f. 379 Privatschreiben aus Berlin, 18. Oktober 1831, in: Hesperus, Nr. 261, 1. November 1831, S. 1041. 380 Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, 18. Oktober 1831, in: Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Ludwig Robert, S. 565f. 381 Joseph von Görres an Joseph von Giovanelli, 18. Oktober 1831, in: Görres, Gesammelte Briefe, Bd. 3, S. 396. 382 Hermann Lövy an Samuel Hahnemann, 18. Oktober 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 252. 383 Ignaz Franz Castelli an Theodor Hell, 18. Oktober 1831, in: Castelli, Memoiren meines Lebens, S. 503f. 384 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 18. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 240f. 385 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 19./20. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 39ff. 386 Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, 20. Oktober 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 985. 387 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 21. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 243. 388 Carl Otfried Müller an seine Eltern, 21. Oktober 1831, in: Carl Otfried Müller. Lebensbild in Briefen an seine Eltern, hrsg. v. Otto und Else Kern, Berlin 1908, S. 208. 389 August von Behr an Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen, 21. Oktober 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 243f. 390 Bartholomäus Kopitar an Jakob Grimm, 21. Oktober 1831, in: Vasmer, B. Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm, S. 90. 391 Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen an Samuel Hahnemann, 22. Oktober 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 244. 392 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 22. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 244f. 393 Robert Reinick an Franz Kugler, 22. Oktober 1831, in: Aus Biedermeiertagen. Briefe Robert Reinicks, S. 25. 394 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 22. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 45ff. 395 Amts-Sanitäts-Kommission der Grafschaft Warmsdorff an Samuel Hahnemann, 23. Oktober 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 251. 396 Johann Friedrich Herbart an Friedrich Nasse, 24. Oktober 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 257. 397 Sophie Tilebein an Amalie von Gerstenbergk, 24. Oktober 1831, in: Altenburg, Die Tilebeins und ihr Kreis, S. 245. 398 Caroline von Egloffstein an Julie von Egloffstein, 24. Oktober 1831, in: Alt-Weimars Abend, S. 41 lf.

Quellen

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399 Gottlieb Friedländer an Friedrich Christian Wilhelm Jacobs, 24. Oktober 1831, in: Bayerische Staatsbibliothek München, Abteilung für Handschriften und seltene Drucke, Jacobsiana II.2. 400 Heinrich Meyer an Johann Wolfgang von Goethe, 24. Oktober 1831, in: Goethes Briefwechsel mit Heinrich Meyer, Bd. 3, S. 257. 401 Jacob Grimm an Joseph von Laßberg, 24. Oktober 1831, in: Zur Geschichte der Deutschen Philologie. Briefe an Joseph Freiherrn von Laßberg, S. 375. 402 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 24. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 48f. 403 Gustav Wilhelm Groß an Samuel Hahnemann, Oktober 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 242. 404 Friedrich Ludwig Kreysing an Ernst Horn, Ende Oktober 1831, in: Tägliche allgemeine Hamburgisch-Altonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 37,20. November 1831, S. 146. 405 Oberlehrer K. an Johann Christian August Heinroth, 25. Oktober 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 1, Nr. 18, 2. November 1831, Sp. 144. 406 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 25. Oktober 1831, in: Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, S. 69f. 407 Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 25. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 373. 408 Samuel Hahnemann an Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen, 26. Oktober 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 244f. 409 Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, 26. Oktober 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 986. 410 Karl August Varnhagen von Ense an Rosa Maria Assing, 27. Oktober 1831, in: Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832, S. 3ff. 411 Adele Schopenhauer an Arthur Schopenhauer, 27. Oktober 1831, in: Die Schopenhauers. Der Familienbriefwechsel von Adele, Arthur, Heinrich Floris und Johanna Schopenhauer, hrsg. v. Ludger Lütkehaus, Zürich 1991, S. 319. 412 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 27. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 54. 413 Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, 28. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen C. F. Gauss und H. C. Schumacher, Bd. 1, S. 285f. 414 Clemens Brentano an Joseph Maria Settegast, 28. Oktober 1831, in: Kl. Löffler, Drei Briefe von Clemens Brentano an Joseph Maria Settegast, in: Kölnische Volkszeitung, Nr. 203, 26. Juli 1932, S. 6. 415 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 28. Oktober 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 9. 416 Privatschreiben aus Wien, 28. Oktober 1831, in: Tägliche allgemeine Hamburgisch-Altonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 26, 9. November 1831, S. 101. 417 Privatschreiben aus Ratibor, 29. Oktober 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 14, 15. November 1831, S. 107. 418 Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, 29. Oktober 1831, in: Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Schopenhauer-Archiv, Sig. XV, 23. 419 Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, 29. Oktober 1831, in: Arthur Hübscher, Schopenhauers Berliner Geliebte. Unbekannte Briefe, in: Schopenhauer-Jahrbuch, 55 (1974), S. 45. 420 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 29. Oktober 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 331.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

421 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 29. Oktober 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 245f. 422 Fred6ric Soret an Line von Egloffstein, 29. Oktober 1831, in: Soret, Zehn Jahre bei Goethe, S. 590. 423 Friedrich Carl von Savigny an Franz von Savigny, 30. Oktober 1831, in: Westfälische WilhelmsUniversität Münster. Universitäts- und Landesbibliothek. Nachlaß Savigny, 13,117. 424 Privatschreiben aus Wien, 30. Oktober 1831, in: Schlesische Cholera-Zeitung, Nr. 10, 8. November 1831, S. 80. 425 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 30. Oktober 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 61f. 426 Friedrich Carl von Savigny an Friedrich Bluhme, 31. Oktober 1831, in: Friedrich Carl von Savigny. Briefwechsel mit Friedrich Bluhme, S. 231. 427 Friedrich Wilhelm Kreusler an Karl Theodor Menke, 1. November 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 26, 21. November 1831, Sp. 31. 428 Johann Gottlieb Siegmeyer an Samuel Hahnemann, 2. November 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 250. 429 Dr. Danzel an Karl Theodor Menke, 2. November 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 30, 10. Januar 1832, S. 235. 430 Samuel Hahnemann an Johann Emanuel Veith, 3. November 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 252 [Datierung korrigiert]. 431 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 3. November 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 249f. 432 Ferdinand Raimund an Karoline Wagner, 3. November 1831, in: Raimund, Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 409. 433 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 4. November 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 10. 434 Karl Ernst Rincolina an Unbekannt, 4.-6. November 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 18, 29. November 1831, S. 144. 435 Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, 4. November 1831, in: Elisa Radziwill. Ein Leben in Liebe und Leid, S. 252. 436 Privatschreiben aus Neapel, 4. November 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 45,16. Januar 1832, Sp. 335. 437 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 5. November 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 251f. 438 Privatschreiben aus Hamburg, 5. November 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 29, 7. Januar 1832, S. 227ff. 439 Nikolaus Lenau an Gustav Schwab, 5. November 1831, in: Lenau, Werke und Briefe, Bd. 5.1, S. 109. 440 Karl Leberecht Immermann an Charlotte Bertog, 5. November 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1,S. 987. 441 Privatschreiben aus Wien, 5. November 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 24, 20. Dezember 1831, S. 188. 442 Marie Hegel an Susanne von Tucher, 6. November 1831, in: Privatbesitz. Ich danke den heutigen Eigentümern für freundliche Hilfe und Druckerlaubnis. 443 Heinrich Simon jun. an Wilhelm Ehrenfried Friedrich, 7. November 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 30, 6. Dezember 1831, Sp. 95.

Quellen

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444 Christian Gottlob Barth an Felb, 7. November 1831, in: Karl Werner, Christian Gottlob Barth, Doktor der Theologie, nach seinem Leben und Wirken, Bd. 2, Calw und Stuttgart 1866, S. 180. 445 Privatschreiben aus Wien, 7. November 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 20, 6. Dezember 1831, S. 153f. 446 Leopold Zunz an Samuel Meyer Ehrenberg, 8. November 1831, in: Leopold Zunz. Jude Deutscher - Europäer, S. 155. 447 Karl Sieveking an Casper von Voght, 8. November 1831 in: Sieveking, Karl Sieveking, Bd. 3, S. 197 f. 448 Nikolaus Lenau an Anton Schurz, 8. November 1831, in: Lenau, Werke und Briefe, Bd. 5.1, S. 111. 449 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 8. November 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 254f. 450 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 9. November 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 76. 451 Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, 10. November 1831, in: Hübscher, Schopenhauers Berliner Geliebte, S. 46. 452 Friedrich Adolph Krummacher an Meister, 10. November 1831, in: Friedrich Adolph Krummacher und seine Freunde. Briefe und Lebensnachrichten, hrsg. v. A. W. Möller, Bremen 1849, S. 48f. 453 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 10. November 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 11. 454 Karl Leberecht Immermann an Friedrich Kohlrausch, 10. November 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 992. 455 Friedrich von Gentz an Lisette von Gentz, 10. November 1831, in: Friedrich von Gentz und die deutsche Freiheit, S. 299f. 456 Hermann Lövy an Samuel Hahnemann, 10. November 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 250. 457 Jacob Berzelius an Friedrich Wöhler, 10. November 1831, in: A. W. Hofmann, Zur Erinnerung an Friedrich Wöhler, Berlin 1883, S. 47. 458 Privatschreiben aus Lüneburg, 11. November 1831, in: Tägliche allgemeine HamburgischAltonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 32,15. November 1831, S. 125f. 459 Nikolaus Lenau an Gustav Schwab, 11. November 1831, in: Lenau, Werke und Briefe, Bd. 5.1, S. 115ff. 460 Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, 11. November 1831, in: Arndt, Unveröffentlichte Briefe, S. 139. 461 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 12. November 1831, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 12. 462 Karl Leberecht Immermann an Julius Eduard Hitzig, 12. November 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 993f. 463 Privatschreiben aus Danzig, 13. November 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 29, 2. Dezember 1831, Sp. 77f. 464 Ernst Wilhelm Hengstenberg an Karl Hengstenberg, 13. November 1831, in: Hengstenberg. Sein Leben und Wirken, Bd. 2, S. 382. 465 Julius Campe an Heinrich Heine, 14. November 1831, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 24, S. 96. 466 Marie Hegel an Johannes Schulze, 14. November 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hrsg. v. Günther Nicolin, Berlin 1971, S. 457.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

467 Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, 14. November 1831, in: Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 4, Halle/Saale 1910, S. 522. 468 Immanuel Hegel an Friedrich Wilken, 14. November 1831, in: Adolf Stoll, Der Geschichtsschreiber Friedrich Wilken, Cassel 1896, S. 190. 469 Heinrich Rose an Jons Jacob Berzelius, 15. November 1831, in: Jac. Berzelius. Levnadsteckning, av. H. G. Söderbaum, Bd. 3, Uppsala 1931, S. 54. Für die Rückübersetzung aus dem Schwedischen danke ich herzlich Katrin Kühn, Neuenhagen. 470 Marie Hegel an Susanne von Tucher, 15. November 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 459ff. 471 Karl Hegel an Susanne von Tucher, 15. November 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 462f. 472 Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, 15. November 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 463. 473 Karl vom Stein zum Altenstein an Johannes Schulze, 15. November 1831, in: [Wilhelm Dorow], Denkschriften und Briefe zur Charakteristik der Welt und Litteratur, Bd. 5, Berlin 1841, S. 7ff. 474 Friedrich von Raumer an Ludwig Tieck, 15. November 1831, in: Friedrich von Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 2, Leipzig 1861, S. 347ff. 475 David Friedrich Strauß an Christian Märklin, 15. November 1831, in: Ausgewählte Briefe von David Friedrich Strauß, hrsg. v. Eduard Zeller, Bonn 1895, S. 7ff. 476 Ferdinand Raimund an A. W. Just [?], 15. November 1831, in: Raimund, Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 41 Of. 477 Carl Otfried Müller an seine Eltern, 15. November 1831, in: Carl Otfried Müller. Lebensbild in Briefen, S. 209ff. 478 Karl Reichhelm an Johann Friedrich Herbart, 16. November 1831, in: Herbert's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 260. 479 Karl August Varnhagen von Ense an Ludwig Robert, 16. November 1831, in: [Dorow], Denkschriften und Briefe zur Charakteristik der Welt und Litteratur, Bd. 5, S. lOff. 480 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 16. November 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 337ff. 481 Johannes Schulze an Karl vom Stein zum Altenstein, 16. November 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 479f. 482 Johann Ludwig Deinhardstein an Johann Wolfgang von Goethe, 16. November 1831, in: Goethe und Österreich. Briefe mit Erläuterungen, hrsg. v. August Sauer, Bd. 1, Weimar 1902, S. 230f. 483 Marie Hegel an Christiane Hegel, 17. November 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 480ff. 484 David Friedrich Strauß an Christian Märklin, 17. November 1831, in: Ausgewählte Briefe von David Friedrich Strauß, S. 11. 485 Privatschreiben aus Glückstadt, 17. November 1831, in: Tägliche allgemeine HamburgischAltonaische Nachrichten über Cholera-, Gesundheits-, Quarantaine- und andere Angelegenheiten, Nr. 36,19. November 1831, S. 125f. 486 Privatschreiben an ein befreundetes Handelshaus, Mitte November 1831, in: [Aachener] CholeraZeitung, Nr. 18, 29. November 1831, S. 143f. 487 Marie von Clausewitz an Elise von Bemstorff, [zwischen 16. und 18. November] 1831, in: Gräfin Elise von Bernstorff, S. 225ff. 488 Ludwig Jonas an Friedrich Schleiermacher, 18. November 1831, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Ludwig Jonas, Mappe 4, Nr. 22.

Quellen

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489 Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Marie von Clausewitz, 19. November 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Karl Hartwig Gregor von Meusebach, Kasten 4, Nr. 20 (Abschrift). 490 Rebecka Mendelssohn Bartholdy an Friederike Robert, 19. November 1831, in: Konrad Feilchenfeldt/Liselotte Kinskofer, Rebecka Dirichlet: Briefe. Aus der Varnhagen von Enseschen Sammlung, in: Mendelssohn-Studien, 6 (1986), S. 129. 491 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 19. November 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 256. 492 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 19. November 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 88f. 493 Clemens Brentano an Apollonia Diepenbrock, 20. November 1831, in: Clemens Brentano und Apollonia Diepenbrock. Eine Seelenfreundschaft in Briefen, hrsg. v. Ewald Reinhard, München [1914], S. 51f. 494 Dr. Bethmann an Samuel Hahnemann, 20. November 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 250. 495 Leopold Ranke an Heinrich Ranke, 21. November 1831, in: Leopold von Ranke. Das Briefwerk, Bd. 1, S. 245f. 496 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, 21. November 1831, in: Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder, hrsg. v. Kurt Aland, Freiburg, Basel, Wien 1987, S. 196f. 497 Ernst von Feuchtersieben an Romeo Seligmann, 21. November 1831, in: Aus den Briefen von Ernst Frhm. v. Feuchtersieben, S. 72f. 498 Leopold von Henning an Johann Friedrich Cotta, 22. November 1831, in: Deutsches Literaturarchiv Marbach, Cotta-Archiv. 499 Marie Hegel an Susanne von Tucher, 22. November 1831, in: Privatbesitz. 500 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 22. November 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 192. 501 Caroline von Rochow an Klara von Pfuehl, 22. November 1831, in: Vom Leben am preußischen Hofe 1815-1852. Aufzeichnungen von Caroline von Rochow, geb. v. d. Marwitz und Marie de la Motte Fouquö, hrsg. v. Luise v. d. Marwitz, Berlin 1908, S. 234f. 502 Adele Schopenhauer an Johann Wolfgang von Goethe, 22. November 1831, in: Anna Brandes, Adele Schopenhauer in den geistigen Beziehungen zu ihrer Zeit. Inauguraldissertation, Frankfurt/M. 1930, S. 93ff. 503 Karl August Varnhagen von Ense an Karl von Rotteck, 23. November 1831, in: Carl von Rotteck's gesammelte und nachgelassene Schriften, hrsg. v. Hermann von Rotteck, Bd. 5, Pforzheim 1843, S. 284. 504 Oberlehrer K. an Johann Christian August Heinroth, 24. November 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 32,13. Dezember 1831, Sp. 126f. 505 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 24. November 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 257ff. 506 Marie von Clausewitz an Gräfin von Dernath, Mitte/Ende November 1831, in: Gräfin Elise von Bernstorff, S. 228f. 507 Adelheid Zunz an Meier Isler, [Ende November] 1831, in: Leopold Zunz. Jude - Deutscher Europäer, S. 156. 508 Henriette Paalzow an Sibylle Mertens-Schaaffhausen, 26. November 1831, in: Houben, Die Rheingräfin. Das Leben der Kölnerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen, S. 90.

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509 Jacob Grimm an Karl Hartwig Gregor von Meusebach, 26. November 1831, in: Briefwechsel des Freiherrn Karl Hartwig Gregor von Meusebach mit Jacob und Wilhelm Grimm, hrsg. v. Camillus Wendeler, Heilbronn 1880, S. 139ff. 510 Friedrich von Gentz an Johann Philipp von Wessenberg, 26. November 1831, in: Gentz und Wessenberg. Briefe des Ersten an den Zweiten, hrsg. v. August Fournier, Wien und Leipzig 1907, S. 140f. 511 Heinrich Stieglitz an Friedrich Jacobs, 27. November 1831, in: Kurzer Briefwechsel zwischen Friedrich Jacobs und Heinrich Stieglitz, hrsg. v. Ludwig Curtze, Leipzig 1863, S. 86f. 512 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 27./28. November 1831, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 95f. 513 Karl Leberecht Immermann an Ludwig Tieck, 28. November 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1,S. 1001. 514 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 29. November 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 259. 515 Wilhelmina Haller von Hallerstein an Marie Hegel, 29. November 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Hegel, 15, Fasz. IV, 2, Nr. 5 (Teilabdruck in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 489). 516 Jeanette Paalzow an Friedrich de la Motte Fouque, 29. November 1831, in: Briefe an Friedrich Baron de la Motte Fouqu6, hrsg. v. Albertine de la Motte Fouqu6, Berlin 1848, S. 285. 517 Johann Gustav Droysen an Ludwig Moser, 29. November 1831, in: Johann Gustav Droysen, Briefwechsel, hrsg. v. Rudolf Hübner, Bd. 1, Stuttgart 1929, S. 44. 518 Karl Leberecht Immermann an Ferdinand Immermann, 29. November 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 1003f. 519 Moritz Wilhelm Drobisch an Johann Friedrich Herbart, 30. November 1831, in: Herbart's Sämtliche Werke, Bd. 17, S. 271. 520 Heinrich Christian Schumacher an Carl Friedrich Gauss, Altona, 30. November 1831, in: Briefwechsel zwischen C. F. Gauss und H. C. Schumacher, Bd. 1, S. 288. 521 Karl Julius Aegidi an Samuel Hahnemann, 30. November 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 219. 522 Samuel Hahnemann an Clemens von Bönninghausen, 30. November 1831, in: Der Briefwechsel zwischen Samuel Hahnemann und Clemens von Bönninghausen, S. 54. 523 Carl Ludwig Michelet an Marie Hegel, [Ende November] 1831, in: Carl Ludwig Michelet, Wahrheit aus meinem Leben, Berlin 1884, S. 144. 524 Friedrich Wilhelm Bessel an Carl Friedrich Gauss, 1. Dezember 1831, in: Briefwechsel zwischen Gauss und Bessel, hrsg. auf Veranlassung der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften, Leipzig 1880, S. 502f. 525 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, 1. Dezember 1831, in: Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder, S. 197. 526 Marie Hegel an Friedrich Immanuel Niethammer, 2. Dezember 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 496ff. 527 Gustav Magnus an Jons Jacob Berzelius, 2. Dezember 1831, in: Aus Jac. Berzelius' und Gustav Magnus' Briefwechsel, S. 63 [Datierung korrigiert]. 528 Johann Wolfgang von Goethe an Johann Ludwig Deinhardstein, 2. Dezember 1831, in: Goethe und Österreich, Bd. 1, S. 231. 529 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 3. Dezember 1831, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 347. 530 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 3. Dezember 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 261.

Quellen

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531 Ernst Moritz Arndt an Charlotte Pistorius, 5. Dezember 1831, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 447. 532 Karl August Varnhagen von Ense an Johann Wolfgang von Goethe, 5. Dezember 1831, in: Ludwig Geiger, Neue Mittheilungen, in: Goethe-Jahrbuch, 14 (1893), S. 94. 533 Ernst Moritz Arndt an Charlotte von Kathen, 5. Dezember 1831, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 445. 534 Amalie Sieveking an ihre Mutter, 6. Dezember 1831, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 263. 535 Eduard Gans an Victor Cousin, 7. Dezember 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 501 f. [eigene Übersetzung]. 536 Friedrich von Uechtritz an seine Eltern, 8. Dezember 1831, in: Erinnerungen an Friedrich Uechtritz und seine Zeit, S. 131. 537 Karl Friedrich Trinks an Samuel Hahnemann, 10. Dezember 1831, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 276. 538 Privatschreiben aus Wien, 10. Dezember 1831, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 311, 29. Dezember 1831, S. 1244. 539 Wilhelm Werneck an Justus Radius, 11. Dezember 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 37, 24. Dezember 1831, Sp. 207. 540 Marie Hegel an Karl Daub, 12. Dezember 1831, in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, S. 503ff. 541 Karl Leberecht Immermann an Hermann Immermann, 12. Dezember 1831, in: Immermann, Briefe, Bd. 1, S. 1008. 542 Friedrich Karl von Savigny an Jakob Grimm, 13. Dezember 1831, in: Stoll, Friedrich Karl v. Savigny, S. 439f. 543 Marie Hegel an Susanne von Tucher, 14. Dezember 1831, in: Privatbesitz. 544 Karl Wilhelm Kahlert an Justus Radius, 16. Dezember 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 38, 28. Dezember 1831, Sp. 223. 545 Privatschreiben aus Hamburg, Mitte Dezember 1831, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 13, 16. Januar 1832, S. 48ff. 546 Friedrich Schleiermacher an Ludwig Jonas, 18. Dezember 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Ludwig Jonas, Mappe 7, Nr. 30. 547 Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, 20. Dezember 1831, in: Felix MendelssohnBartholdys Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann, hrsg. v. Karl Klingemann, Essen 1909, S. 87f. 548 Friedrich Karl von Savigny an Johann Christian Bang, 20. Dezember 1831, in: Stoll, Friedrich Karl v. Savigny, S. 444. 549 Privatschreiben aus Breslau, 20. Dezember 1831, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 25, 24. Dezember 1831, S. 195. 550 Zarin Alexandra Feodorowna an Marie von Clausewitz, 21. Dezember 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Karl Hartwig Gregor von Meusebach, Kasten 4, Nr. 21 (Abschrift). 551 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 22. Dezember 1831, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 194. 552 Erastes Stephan von Andrejewskiy an Carl Friedrich von Graefe, 27. Dezember 1831, in: Aus Brieflichen Mittheilungen des Dr. v. Andrejewskiy an C. F. v. Graefe, in: Journal der Chirurgie und Augen-Heilkunde, 17 (1831), H. 4, S. 653f. 553 Karl Lachmann an Jacob Grimm, 27. Dezember 1831, in: Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann, Bd. 2, S. 580. 554 Felix Mendelssohn an Fanny Hensel, 28. Dezember 1831, in: Reisebriefe von Felix Mendelssohn Bartholdy, Bonn 1947, S. 310.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

555 Heinrich von Lowtzow an Arthur Schopenhauer, 29. Dezember 1831, in: Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main/Schopenhauer-Archiv, Sig. XV, 24. 556 Privatschreiben aus Pesth, Anfang Januar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 46, 18. Januar 1832, Sp. 351. 557 Kaspar von Sternberg an Johann Wolfgang von Goethe, 3. Januar 1832, in: Ausgewählte Werke des Grafen Kaspar von Sternberg, Bd. 1, S. 227ff. 558 Samuel Meyer Ehrenberg an I. M. Jost, 3. Januar 1832, in: Leopold und Adelheid Zunz. An Account in Letters 1815-1885, ed. by Nahum N. Glatzer, London 1958, S. 62. 559 Wilhelm von Kuegelgen an Gerhard von Kuegelgen, 3. Januar 1832, in: Wilhelm von Kuegelgen. Zwischen Jugend und Reife des Alten Mannes, S. 236. 560 Johann Wolfgang von Goethe an Karl August Varnhagen von Ense, 5. Januar 1832, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 193. 561 Privatschreiben aus Prag, 6. Januar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissens würdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 45,16. Januar 1832, Sp. 335. 562 Joseph Klemm an Nikolaus Lenau, 6. Januar 1832, in: Lenau, Werke und Briefe, Bd. 5.2, S. 222. 563 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 10. Januar 1832, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 363f. 564 Friedrich Immanuel Niethammer an Marie Hegel, 12. Januar 1832, in: Johann Ludwig Döderlein, Neue Hegel-Dokumente, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 1 (1948), S. 15f. 565 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 13. Januar 1832, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 195. 566 Johann Wolfgang von Goethe an Marianne von Willemer, 13. Januar 1832, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 202. 567 Karl Leberecht Immermann an Michael Beer, 13. Januar 1832, in: Immermann, Briefe, Bd. 2, S. 11. 568 Privatschreiben aus Halle, 16. Januar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 2, Nr. 47, 21. Januar 1832, Sp. 365. 569 Wolfgang Bolyai an Carl Friedrich Gauss, 16. Januar 1832, in: Briefwechsel zwischen Carl Friedrich Gauss und Wolfgang Bolyai, hrsg. v. Franz Schmidt/Paul Stäckel, Leipzig 1899, S. 106. 570 Adolph Buhle an Samuel Hahnemann, 18. Januar 1832, in: Haehl, Samuel Hahnemann, Bd. 2, S. 243. 571 Karl Leberecht Immermann an Friederike Henriette Wilda, 18. Januar 1832, in: Immermann, Briefe, Bd. 2, S. 16. 572 Joseph Sebastian Grüner an Johann Wolfgang von Goethe, 20. Januar 1832, in: Goethes Briefwechsel mit Joseph Sebastian Grüner und Joseph Stanislaus Zauper (1820-1832), hrsg. von August Sauer, Prag 1917, S. 131ff. 573 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 22. Januar 1832, in: Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, S. 70f. 574 Adele Schopenhauer an Arthur Schopenhauer, 25. Januar 1832, in: Die Schopenhauers. Der Familienbriefwechsel, S. 328. 575 Joseph von Laßberg an Ludwig Uhland, 26. Januar 1832, in: Briefwechsel zwischen Joseph Freiherrn von Laßberg und Ludwig Uhland, hrsg. v. Franz Pfeiffer, Wien 1870, S. 216f. 576 Rienäcker an Friedrich Schleiermacher, 26. Januar 1832, in: Aus Schleiermacher's Leben in Briefen, Berlin 1858ff„ Bd. 4, S. 407f. 577 Friedrich Wieck an Clementine Wieck, 27. Januar 1832, in: Friedrich Wieck. Briefe aus den Jahren 1830-1838, hrsg. v. Käthe Walch-Schumann, Köln 1968, S. 40f.

Quellen

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578 Fr6deric Soret an Johann Wolfgang von Goethe, 28. Januar 1832, in: Soret, Zehn Jahre bei Goethe, S. 619. 579 Johann Friedrich Böhmer an Joseph Chmel, 28. Januar 1832, in: Joh. Friedrich Böhmer's Briefe, hrsg. v. Johannes Janssen, Bd. 2, Freiburg im Breisgau 1868, S. 210. 580 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 28. Januar 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 159f. 581 Jacob Ernst von Reider an Justus Radius, 29. Januar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 53, 8. Februar 1832, Sp. 79. 582 Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, 2. Februar 1832, in: Hübscher, Schopenhauers Berliner Geliebte, S. 47. 583 Joseph von Wattmann an Ferdinand Rumpelt, 3. Februar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 60,7. März 1832, Sp. 191. 584 Privatschreiben aus Wien, 3. Februar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 54,11. Februar 1832, Sp. 94f. 585 Adalbert von Chamisso an Friedrich de la Motte Fouqu6, 5. Februar 1832, in: Briefe an Friedrich Baron de la Motte Fouqud, S. 46f. 586 Johanna Schopenhauer an Arthur Schopenhauer, 6. Februar 1832, in: Die Schopenhauers. Der Familienbriefwechsel, S. 333f. 587 Clemens Brentano an Christian Brentano, 7. Februar 1832, in: Brentano's Gesammelte Schriften, Bd. 9, S. 267. 588 Privatschreiben aus Halle, 9. Februar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissens würdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 55,15. Februar 1832, Sp. 111. 589 Frddöric Soret an Rudolf Töpffer, 9. Februar 1832, in: Soret, Zehn Jahre bei Goethe, S. 626. 590 Johann Wolfgang von Goethe an Marianne von Willemer, 9. Februar 1832, in: Goethes Werke, Abt. IV, Bd. 49, S. 231 f. 591 Ernst Ludwig von Tippeiskirch an Gustav Adolph von Brenn, 12. Februar 1832, in: Egon Caesar Conte Corti, Die trockene Trunkenheit. Ursprung, Kampf und Triumph des Rauchens, Leipzig 1930, S. 259f. 592 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 13. Februar 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 174. 593 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, 14. Februar 1832, in: Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder, S. 199. 594 Karl Rosenkranz an Franz Kugler, 15. Februar 1832, in: Karl Rosenkranz, Briefe 1827 bis 1850, hrsg. v. Joachim Butzlaff, Berlin 1994, S. 52. 595 Karl August Varnhagen von Ense an Heinrich Heine, 16. Februar 1832, in: HeineSäkularausgabe, Bd. 24, S. 109f. 596 Privatschreiben aus Berlin, 16. Februar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 57, 24. Februar 1832, Sp. 143. 597 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 16. Februar 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 175f. 598 Friedrich Schleiermacher an Carl Ullmann, 17. Februar 1832, in: Horst Stephan, Zwei ungedruckte Briefe Schleiermachers, in: Theologische Studien und Kritiken, 92 (1919), S. 171. 599 Friedrich Bluhme an Friedrich Carl von Savigny, 17. Februar 1832, in: Friedrich Carl von Savigny. Briefwechsel mit Friedrich Bluhme, S. 233. 600 Reinhold Grohmann an Georg Friedrich Kohlrusch, 17. Februar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 58, 28. Februar 1832, Sp. 157. 601 Kaspar von Sternberg an Johann Wolfgang von Goethe, Februar 1832, in: Ausgewählte Werke des Grafen Kaspar von Sternberg, Bd. 1, S. 230. 602 Karl Friedrich Zelter an Johann Wolfgang von Goethe, 19. Februar 1832, in: Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Bd. 6, S. 406.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

603 Anton von Prokesch-Osten an Friedrich von Gentz, 20. Februar 1832, in: Aus dem Nachlasse des Grafen Prokesch-Osten, Bd. 2, S. 63. 604 Ida Caroline Richter an Arthur Schopenhauer, 21. Februar 1832, in: Hübscher, Schopenhauers Berliner Geliebte, S. 48. 605 Helene Marie von Kügelgen an Gerhard von Kügelgen, 21. Februar 1832, in: Helene Marie von Kügelgen. Ein Lebensbild in Briefen, hrsg. v. A. und E. von Kügelgen, 7. Aufl. Stuttgart 1918, S. 320f. 606 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 21. Februar 1832, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 29. 607 Ferdinand Ries an Joseph Ries, 21. Februar 1832, in: Ferdinand Ries. Briefe und Dokumente, S. 543f. 608 Charlotte Kestner an August Kestner, 21. Februar 1832, in: Briefwechsel zwischen August Kestner und seiner Schwester Charlotte, hrsg. v. Hermann Kestner-Köchlin, Straßburg 1904, S. 191. 609 Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, 21. Februar 1832, in: Reisebriefe von Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 334. 610 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 22. Februar 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 219. 611 Friedrich Rückert an Franz Bopp, 23. Februar 1832, in: Dr. S. Lefmann, Franz Bopp, sein Leben und seine Wissenschaft, Bd. 2, Berlin 1891, S. 222. 612 Dr. Hartmann an Justus Radius, Frankfurt/Oder, 24. Februar 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 60, 7. März 1832, Sp. 192. 613 Felix Mendelssohn Bartholdy an Paul Mendelssohn Bartholdy, 25. Februar 1832, in: Felix Mendelssohn-Bartholdys Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann, S. 91. 614 Sophie Tilebein an Amalie von Gerstenbergk, Februar 1832, in: Altenburg, Die Tilebeins und ihr Kreis, S. 245f. 615 Privatschreiben aus London, 28. Februar 1832, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 51, 25. März 1832, S. 400f. 616 Otto Nicolai an Carl Nicolai, 3. März 1832, in: Otto Nicolai. Briefe an seinen Vater, hrsg. v. Wilh. Altmann, Regensburg 1924, S. 21f. 617 Amalie Sieveking an eine Freundin, März 1832, in: Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Amalie Sieveking, S. 267. 618 Johann Philipp von Wessenberg an Ignaz Heinrich von Wessenberg, 8. März 1832, in: Die Briefe Johann Philipps von Wessenberg an seinen Bruder, S. 200. 619 Privatschreiben an ein befreundetes Handelshaus, 9. März 1832, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 50, 20. März 1832, S. 397f. 620 Privatschreiben aus London, 10. März 1832, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, Nr. 50, 20. März 1832, S. 393. 621 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 13. März 1832, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 197. 622 Marie Hegel an Susanne von Tücher, 14. März 1832, in: Privatbesitz. 623 Johann Wolfgang von Goethe an Kaspar von Sternberg, 15. März 1832, in: Ausgewählte Werke des Grafen Kaspar von Sternberg, Bd. 1, S. 231. 624 Johann Wolfgang von Goethe an Joseph Sebastian Grüner, 15. März 1832, in: Goethes Briefwechsel mit Joseph Sebastian Grüner, S. 137. 625 Jakob Grimm an Bartholomäus Kopitar, 16. März 1832, in: Vasmer, B. Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm, S. 90.

Quellen

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626 Wilhelm von Humboldt an Karl Jakob Alexander von Rennenkampf, 20. März 1832, in: Aus Wilhelm von Humboldts letzten Lebensjahren. Eine Mittheilung bisher unbekannter Briefe, Leipzig 1883, S. 35. 627 Privatschreiben aus Halle, 20. März 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 66, 28. März 1832, Sp. 286f. 628 Friedrich Ludwig Kreysing an Justus Radius, 20. März 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 67, 31. März 1832, Sp. 303. 629 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 22. März 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 881. 630 Friedrich August Gotttreu Tholuck an Albrecht Lührs, 26. März 1832, in: Witte, Das Leben Tholuck's, Bd. 2, S. 199. 631 Dr. J. Rappaport an Justus Radius, 28. März 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 3, Nr. 71,14. April 1832, Sp. 367. 632 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 29. März 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 219. 633 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 30. März 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 223f. 634 Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, 31. März 1832, in: Reisebriefe von Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 342f. 635 Adele Schopenhauer an Ottilie von Goethe, [Ende März 1832], in: Aus Ottilie von Goethes Nachlaß, S. 285 [irrtümliche zeitliche Einordnung des Briefes korrigiert], 636 Privatschreiben aus Wien, Anfang April 1832, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 95, 20. April 1832, S. 380. 637 Heinrich Heine an Johann Friedrich von Cotta, 2. April 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 21, S. 33. 638 Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, 2. April 1832, in: Felix MendelssohnBartholdys Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann, S. 92. 639 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 3. April 1832, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 40. 640 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 5. April 1832, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 41. 641 Rahel Varnhagen an Ludwig Robert, 6. April 1832, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 562f. 642 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 6. April 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 228ff. 643 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 7. April 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 232f. 644 Heinrich von Gagern an Reinhard Eigenbrodt, 7.-9. April 1832, in: Deutscher Liberalismus im Vormärz. Heinrich von Gagern. Briefe und Reden, hrsg. v. Paul Wentzcke/Wolfgang Klötzer, Göttingen, Berlin, Frankfurt/M. 1959, S. 96f. Der Abschnitt nach dem Absatz ist nicht in dieser Edition enthalten. Er wird zitiert nach dem Original in: Bundesarchiv, Außenstelle Frankfurt, Sig. FN 7 - Anhang/5. 645 Jeanette Wohl an Ludwig Börne, 9. April 1832, in: Nachlaß Ludwig Börne, Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M., Sig.: В IX R, Nr. 43/ Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 883. 646 Anton Fischer an Samuel Hahnemann, 10. April 1832, in: Heinz Henne, Zwei vielbeschäftigte Brünner Ärzte. Eine Rückerinnerung an die Zeit der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts anhand von Dokumenten, in: Beiträge zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften in Mähren, hrsg. v. J. Sajner, Stuttgart 1971, S. 38f. 647 Clemens Brentano an Christian Brentano, 10. April 1832, in: Brentano's Gesammelte Schriften, Bd. 9, S. 269f. 648 Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, 11. April 1832, in: Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Ludwig Robert, S. 579f.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

649 Heinrich Heine an Johann Friedrich von Cotta, 11. April 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 21, S. 33f. 650 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 12. April 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 240f. 651 Otto Nicolai an Carl Nicolai, 12. April 1832, in: Otto Nicolai. Briefe an seinen Vater, S. 23. 652 Friedrich August von Stägemann an Ignaz von Olfers, 15. April 1832, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens, S. 497. 653 Felix Mendelssohn Bartholdy an Heinrich Bärmann, 16. April 1832, in: Felix Mendelssohn im Spiegel eigener Aussagen und zeitgenössischer Dokumente, hrsg. v. Willi Reich, Zürich 1970, S. 225ff. 654 Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, 18. April 1832, in: Felix MendelssohnBartholdys Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann, S. 92f. 655 Lea Mendelssohn-Bartholdy an Ferdinand David, 19. April 1832, in: Ferdinand David und die Familie Mendelssohn-Bartholdy. Aus hinterlassenen Briefschaften zusammengestellt von Julius Eckhardt, Leipzig 1888, S. 47. 656 Heinrich Heine an Johann Friedrich von Cotta, 21. April 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 21, S. 34f. 657 Giacomo Meyerbeer an Minna Meyerbeer, 22. April 1832, in: Giacomo Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, hrsg. v. Heinz Becker, Bd. 2, Berlin 1970, S. 170. 658 August Lewald an Heinrich Heine, 22. April 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 24, S. 120. 659 Christoph Wilhelm Hufeland an eine Freundin in Weimar, 23. April 1832, in: Landesarchiv Berlin. Autographensammlung. FRep. 241 Acc. 2459, Nr. 1. 660 Ludwig Feuerbach an Eduard Feuerbach, 26. April 1832, in: Ludwig Feuerbach. Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 136. 661 Wilhelm Grimm an Charlotte Hassenpflug, 28. April 1832, in: Brüder Grimm. Werke und Briefwechsel. Kasseler Ausgabe. Briefe, Bd. 2, S. 207. 662 Carl Heine an Heinrich Heine, 28. April 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 24, S. 122. 663 Giacomo Meyerbeer an Minna Meyerbeer, 30. April 1832, in: Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 2, S. 176. 664 Heinrich Zschokke an Karl von Rotteck, 2. Mai 1832, in: Rotteck's gesammelte und nachgelassene Schriften, Bd. 5, S. 200f. 665 Carl Heine an Heinrich Heine, 8. Mai 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 24, S. 124. 666 Karl Leberecht Immermann an Charlotte Bertog, 8. Mai 1832, in: Immermann, Briefe, Bd. 2, S. 31. 667 Felix Mendelssohn Bartholdy an Lea und Abraham Mendelssohn Bartholdy, 13. Mai 1832, in: Reisebriere von Felix Mendelssohn Bartholdy, S. 347. 668 Privatschreiben aus Czernowitz, 13. Mai 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 4, Nr. 89, 27. Juni 1832, Sp. 272. 669 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 13. Mai 1832, in: Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, S. 72f. 670 Privatschreiben aus St. Petersburg, 14. Mai 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 4, Nr. 88, 23. Juni 1832, Sp. 255. 671 Lulu Brentano an Gunda von Savigny, 15. Mai 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Friedrich Carl von Savigny, Kasten 7, Mappe 74. 672 Heinrich Heine an Karl August Varnhagen von Ense, Mitte Mai 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 21, S. 36f. 673 Friedrich Wilhelm Ernst Schiller an Maria Magdalena Schiller, 24. Mai 1832, in: Schillers Sohn Ernst. Eine Briefsammlung mit Einleitung von Dr. Karl Schmidt, Paderborn 1905, S. 405f.

Quellen

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674 Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen an Prinz Johann von Sachsen, 31. Mai 1832, in: Briefwechsel zwischen Johann von Sachsen und den Königen [...] von Preußen, S. 127. 675 Ludwig Robert an Rahel Varnhagen, 1. Juni 1832, in: Rahel Levin Varnhagen. Briefwechsel mit Ludwig Robert, S. 582. 676 Lulu Brentano an Gunda von Savigny, 2. Juni 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Friedrich Carl von Savigny, Kasten 7, Mappe 74. 677 Johann Bartholomäus Trommsdorff an Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff, 4. Juni 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 968. 678 Rahel Varnhagen an Heinrich Heine, 5. Juni 1832, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 9, S. 894. 679 Felix Mendelssohn Bartholdy an den Verlag Breitkopf & Härtel, 8. Juni 1832, in: Felix Mendelssohn Bartholdy, Briefe an deutsche Verleger, hrsg. v. Rudolf Elvers, Berlin 1968, S. 13f. 680 Lulu Brentano an Gunda von Savigny, 11. Juni 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Friedrich Carl von Savigny, Kasten 7, Mappe 74. 681 Otto Nicolai an Carl Nicolai, 13. Juni 1832, in: Otto Nicolai. Briefe an seinen Vater, S. 28f. 682 Ottilie von Goethe an Charles Sterling, 15. Juni 1832, in: Aus Ottilie von Goethes Nachlaß, S. 368f. 683 Felix Mendelssohn Bartholdy an Nikolaus Simrock, 15. Juni 1832, in: Felix Mendelssohn Bartholdy, Briefe an deutsche Verleger, S. 178. 684 Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 17. Juni 1832, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 80. 685 Julius Campe an Heinrich Heine, 17. Juni 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 24, S. 131. 686 Privatschreiben aus Schlesien, Mitte 1832, in: Erinnerungsblätter für gebildete Leser aus allen Ständen, Nr. 2, Jg. 1832, S. 397f. 687 Johann Bartholomäus Trommsdorff an Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff, 20. Juni 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 969. 688 Carl Heine an Heinrich Heine, 21. Juni 1832, in: Heine-Säkularausgabe, Bd. 24, S. 1131. 689 Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 24. Juni 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 970 [Typoskript]. 690 Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Klingemann, 28. Juni 1832, in: Felix MendelssohnBartholdys Briefwechsel mit Legationsrat Karl Klingemann, S. 93. 691 Karl Emst von Baer an Friedrich Philipp Dulk, Sommer 1832, in: F. Callomon, Aus der Autographenmappe eines Arztes, in: Janus, 44 (1940), S. 253f. 692 Privatschreiben aus Erfurt, 7. Juli 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 4, Nr. 93, 14. Juli 1832, Sp. 335. 693 Ernst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, 9. Juli 1832, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 458. 694 Georg Friedrich Christian Fikentscher an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 10. Juli 1832, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 3, S. 76. 695 Rosa Maria Assing an Karl August Varnhagen von Ense, 14. Juli 1832, in: Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832, S. 6. 696 David Assing an Karl August Varnhagen von Ense, 17. Juli 1832, in: Geiger, Berliner Berichte aus der Cholerazeit 1831-1832, S. 6.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

697 Luisa von Radziwill an Lulu von Stosch, 20. Juli 1832, in: Elisa Radziwill. Ein Leben in Liebe und Leid, S. 265f. 698 Johann Bartholomäus Trommsdorff an Christian Wilhelm Hermann Trommsdorf, 21. Juli 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 971. 699 Ernst Blasius an Justus Radius, 22. Juli 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 97,1. August 1832, Sp. 15. 700 Friedrich August von Stägemann an Ignaz von Olfers, 24. Juli 1832, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens, S. 505. 701 Elisa von Radziwill an Lulu von Stosch, 25. Juli 1832, in: Elisa Radziwill. Ein Leben in Liebe und Leid, S. 267. 702 Felix Mendelssohn Bartholdy an Charlotte Moscheies, 25. Juli 1832, in: Briefe von Felix Mendelssohn-Bartholdy an Ignaz und Charlotte Moscheies, hrsg. v. Felix Moscheies, Leipzig 1888, S. 26. 703 Privatschreiben aus Zwickau, 29. Juli 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 99,11. August 1832, Sp. 47. 704 Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, Juli 1832, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 81 f., 83. 705 Privatschreiben aus Wien, Anfang August 1832, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 206, 28. August 1832, S. 824. 706 Lulu Brentano an Friedrich Carl von Savigny, 1. August 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Friedrich Carl von Savigny, Kasten 7, Mappe 75. 707 Jakob Wilhelm Becker an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 2. August 1832, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 26f. 708 Johann Stieglitz an Karl Friedrich Heinrich Marx, 4. August 1832, in: Marx, Zum Andenken an Dr. Johann Stieglitz, S. 73. 709 Christian Wilhelm Hermann Trommsdorff an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 5. August 1832, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachl. 259 (J. B. Trommsdorff), Mappe 25, Nr. 972 [Typoskript], 710 Anna Hoffmann an Michael Josef Fesl, 15. August 1832, in: Winter, Der Bolzanokreis, S. 265f. 711 Rahel Varnhagen an Rose Asser, 16. August 1832, in: Rahel Varnhagen, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 584. 712 Justus von Liebig an Jons Jacob Berzelius, 18. August 1832, in: Berzelius und Liebig. Ihre Briefe 1831-1845 mit erläuternden gleichzeitigen Briefen von Liebig und Wöhler, hrsg. v. Justus С а т ё г е , München und Leipzig 1893, S. 37. 713 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 18. August 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 306. 714 Ludwig Franz Bley an Johann Bartholomäus Trommsdorff, 21. August 1832, in: Der Briefwechsel von Johann Bartholomäus Trommsdorff, Bd. 1, S. 84. 715 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 1. September 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 318. 716 Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, 3. September 1832, in: Wilhelm von Humboldt, Briefe an eine Freundin, S. 253. 717 Privatschreiben aus Wien, 3. September 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 109, 29. September 1832, Sp. 205f. 718 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 5. September 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 323. 719 Karl Leberecht Immermann an Wilhelmine Immermann, 6. September 1832, in: Immermann, Briefe, Bd. 2, S. 40.

Quellen

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720 Emst Moritz Arndt an Charlotte Dorothea Rassow, 8. September 1832, in: Arndt, Unveröffentlichte Briefe, S. 142f. 721 Privatschreiben aus Mühlhausen, 14. September 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 109, 29. September 1832, Sp. 206f. 722 Michael Beer an Giacomo Meyerbeer, 15. September 1832, in: Meyerbeer. Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 2, S. 220. 723 Karl Leberecht Immermann an Ferdinand Immermann, 18. September 1832, in: Immermann, Briefe, Bd. 2, S. 42. 724 Eduard Feuerbach an Ludwig Feuerbach, 23. September 1832, in: Ludwig Feuerbach. Gesammelte Werke, Bd. 17, S. 144. 725 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 24. September 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 340. 726 Friedrich August von Stägemann an Ignaz von Olfers, 26. September 1832, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens, S. 507f. 727 Robert Bunsen an seine Eltern, 26. September 1832, in: Karl Freudenberg, Die Studienreise Robert Bunsens nach Berlin-Paris-Wien 1832/1833. Briefe an seine Eltern, in: Heidelberger Jahrbücher, 6 (1962), S. 134. 728 Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, 30. September 1832, in: Gerardy, Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, S. 42. 729 Charlotte Diede an ihre Schwestern, Oktober 1832, in: Charlotte Diede. Lebensbeschreibung und Briefe, hrsg. v. Auguste Piderit/Otto Hartwig, Halle 1884, S. 263f. 730 Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, 2. Oktober 1832, in: Briefwechsel zwischen Carl Friedrich Gauss und Christian Ludwig Gerling, hrsg. v. Clemens Schaefer, Berlin 1927, S. 396. 731 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 2. Oktober 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 351. 732 Friedrich Theodor von Merkel an Friedrich August von Stägemann, 4. Oktober 1832, in: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preussens, S. 512. 733 Wilhelm von Humboldt an Charlotte Diede, 4. Oktober 1832, in: Wilhelm von Humboldt, Briefe an eine Freundin, S. 256f. 734 Ernst Moritz Arndt an Ehrenfried von Willich, 4. Oktober 1832, in: Arndt, Briefe, Bd. 2, S. 462. 735 Friedrich Wöhler an Justus Liebig, 6. Oktober 1832, in: Aus Justus Liebig's und Friedrich Wöhler's Briefwechsel, Bd. 1, S. 62. 736 Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, 7. Oktober 1832, in: Gerardy, Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, S. 45f. 737 Jacob Grimm an Lotte Hassenpflug, 8. Oktober 1832, in: Briefe an Lotte Grimm, hrsg. v. Else Hünert-Hofmann, Kassel und Basel 1972, S. 62. 738 Jacob Grimm an Karl Hartwig Gregor von Meusebach, 11. Oktober 1832, in: Briefwechsel des Freiherm Karl Hartwig Gregor von Meusebach mit Jacob und Wilhelm Grimm, S. 164. 739 Carl Friedrich Gauss an Christian Ludwig Gerling, 12. Oktober 1832, in: Briefwechsel zwischen Carl Friedrich Gauss und Christian Ludwig Gerling, S. 398f. 740 Jacob Grimm an Friedrich Christoph Dahlmann, 13. Oktober 1832, in: Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Dahlmann und Gervinus, Bd. 1, S. 33. 741 Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, 14. Oktober 1832, in: Gerardy, Christian Ludwig Gerling an Carl Friedrich Gauss, S. 47. 742 Ludwig Emil Grimm am Karl Vömel, Kassel, 14. Oktober 1832, in: Ludwig Emil Grimm. Briefe, hrsg. v. Egbert Koolman, Bd. 1, Marburg 1985, S. 171f. 743 Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 15. Oktober 1832, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 470.

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Auf Leben und Tod - Briefwelt als Gegenwelt

744 Friedrich Wöhler an Jons Jacob Berzelius, 16. Oktober 1832, in: Briefwechsel zwischen J. Berzelius und F. Wöhler, S. 471. 745 Wilhelm Grimm an David Theodor August Suabedissen, 18. Oktober 1832, in: Briefe der Brüder Grimm an hessische Freunde, hrsg. v. E. Stengel, Marburg 1886, S. 269. 746 Robert Bunsen an seinen Vetter Robert Bunsen, 22. Oktober 1832, in: Freudenberg, Die Studienreise Robert Bunsens, S. 143. 747 Privatschreiben aus Kassel, 30. Oktober 1832, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera, Bd. 5, Nr. 118,14. November 1832, Sp. 352. 748 Justus von Liebig an Jons Jacob Berzelius, 6. November 1832, in: Berzelius und Liebig. Ihre Briefe, S. 41. 749 Susanne von Tucher an Marie Hegel, 6. November 1832, in: Stadtarchiv Nürnberg, Archivale Ε 29/11, Nr. 439, Brief Nr. 201. 750 Ludwig Börne an Jeanette Wohl, 6. November 1832, in: Börne, Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 378ff. 751 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 8. November 1866, in: Adalbert Stifters Sämmtliche Werke, Bd. 22, hrsg. v. Gustav Wilhelm, Reichenberg 1931, S. 13f. 752 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 10. November 1866, in: ebenda, S. 16. 753 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 12. November 1866, in: ebenda, S. 21f. 754 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 13. November 1866, in: ebenda, S. 25f. 755 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 14. November 1866, in: ebenda, S. 28. 756 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 15. November 1866, in: ebenda, S. 31 ff. 757 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 16. November 1866, in: ebenda, S. 36f. 758 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 17. November 1866, in: ebenda, S. 38f. 759 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 18. November 1866, in: ebenda, S. 41 ff. 760 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 19. November 1866, in: ebenda, S. 44f. 761 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 19./20. November 1866, in: ebenda, S. 46ff. 762 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 20. November 1866, in: ebenda, S. 49ff. 763 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 21. November 1866, in: ebenda, S. 53f. 764 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 21./22. November 1866, in: ebenda, S. 58. 765 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 22./23. November 1866, in: ebenda, S. 59ff. 766 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 23./24. November 1866, in: ebenda, S. 62ff. 767 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 24./25. November 1866, in: ebenda, S. 65ff. 768 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 25./26. November 1866, in: ebenda, S. 68ff. 769 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 27. November 1866, in: ebenda, S. 74. 770 Adalbert Stifter an Amalia Stifter, 30. November 1866, in: ebenda, S. 80f.

Der Autor bedankt sich bei folgenden Verlagen, die Rechte für den Abdruck von Briefen freundlicherweise gewährten: Bärenreiter (Kassel), Beck (München), Böhlau (Köln), Bouvier (Bonn), de Gruyter (Berlin), Deuticke (Wien), Deutscher Apotheker-Verlag (Stuttgart), Deutscher Kunstverlag (München), Droste (Düsseldorf), DTV (München), Elwert (Marburg), Fackelträger (Oldenburg), Haffmans (Zürich), Hanser (München), Heliopolis (Tübingen), Henschel-Verlag/Dornier (Berlin), Herder (Freiburg), Hippokrates (Stuttgart), Hoffmann & Campe (Hamburg), Hüthing-Medizin-Verlage (Heidelberg), Kohlhammer (Stuttgart), Manesse (Zürich), Matthes & Seitz (München), Matthiesen (Husum), Mohr (Tübingen), Muster-Schmidt (Göttingen), S. Fischer (Frankfurt/M.), Schöningh (Paderborn), Scientia (Aalen), Stapp (Berlin), Thieme (Stuttgart), Urachhaus (Stuttgart), Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen), Brüder Grimm-Gesellschaft e.V. (Kassel), Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt).

Olaf Briese Angst in den Zeiten der Cholera IV

OLAF

BRIESE

Angst in den Zeiten der Cholera Das schlechte Gedicht. Strategien literarischer Immunisierung Seuchen-Cordon IV

Akademie Verlag

Abbildung auf d e m Einband: Gustave Dore, Illustration zu Ariost, „Roland Furieux", Hachette, Paris 1879

ISBN 3-05-003779-2

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Gedruckt in Deutschland

Inhalt

Einleitung 1. 2. 3. 4.

Praktisches Überleben Rhetorisches Überleben Überleben per Gedicht Kapitulation

Gedichte 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Asiatische Hydra Tod und Leben Gottes Strafe und Hilfe Sieg im Glauben Moralische Bewährung Politik und Krieg Herrscherlob Ärztliche Kunst Lob der Cholera

Quellen und Erläuterungen

7 7 11 13 14

16 16 30 49 67 82 101 116 128 148

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The cholera's coming The cholera's coming - oh dear, oh dear, The cholera's coming - oh dear! To prevent hunger's call A kind pest from Bengal Has come to feed all With the cholera, dear. The people are starving - oh dear, oh dear, The people are starving - oh dear. If they don't quickly hop To the parish soup shop They'll go off with a pop From the cholera, dear. The cholera's a humbug - oh dear, oh dear, The cholera's a humbug - oh dear. If you can but get fed, Have a blanket and bed You may lay down your head Without any fear.

Englisches populäres Lied um 1831/32, in: Norman Logmate, King Cholera. The Biography of a Disease, London 1966, p. VI.

Einleitung

Heiter auch in ernster Zeit! Vorsatz zu einem Cholera-Gedicht

Neunundneunzig Prozent aller lyrischen Produkte sind schlecht. Genau das ist der Korpus, der gewöhnlich Leser erreicht. Dieser Massenverbreitung, die schlechten Gedichten zukommt bzw. zukam, entspricht das Interesse der Wissenschaft in umgekehrtem Maß. Was in deutscher Sprache an schlechten und mittelmäßigen lyrischen Entwürfen seit Walther von der Vogelweide (um irgendwo einen Anfang zu setzen) hervorgebracht wurde, steht nicht auf ihrer Agenda. Tausende und abertausende Gedichte wie „Frühlingsbeginn", „Sonnenaufgang", „An des Jahres Neige" sind zwar bisher zu Papier gepreßt worden. Tausende und Abertausende von Poeten haben Herzblut geschwitzt. Millionen von Zeitungs-, Journal- und Buchlesern haben mitgeweint. Aber in der Welt der Wissenschaft scheinen solche Phänomene auf Abwehr zu stoßen. Allenfalls in der Kitschforschung oder von solchen Außenseitern wie Gustav Noll, dessen Sammlerarbeit 1973 durch eine entsprechende Ausgabe posthum Würdigung fand, werden sie gelegentlich thematisiert. Die Rehabilitation einer jahrhundertelangen Tradition scheint also unbedingt erforderlich. Als Grundthese sei vorab formuliert: Schlechte Gedichte verdichten Stereotypen. Diese vereinfachen Kompliziertes und memorieren Bekanntes. Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata werden stabilisiert. Stereotypen festigen das Gehäuse Kultur und können von den kleinen und großen Bürden des Lebens entlasten: Heiter auch in ernster Zeit.

1. Praktisches Überleben Robinson Crusoe ist ein belletristischer Entrepreneur, kein Held eines lyrischen Entwurfs. An dieser Stelle sollen aber nicht seine literarischen Qualitäten interessieren. Er figuriert hier vielmehr als handelnde Person. Denn den Roman von Daniel Defoe - der bekanntlich auch die Londoner Pest von 1666 dokumentiert hat - kann man als Dokumentarbericht lesen. Dann ist man Zeuge eines packenden Überlebenskampfs. Unter denkbar ungünstigsten Bedingungen muß sich der bedauernswerte Crusoe behaupten. Die Gemeinschaft hat ihn verlassen, die Elemente sind gegen ihn verschworen. Sein Leben ist beständig bedroht. Er jedoch ist entschlossen, den Kampf ums Überleben zu führen. Sein Wahrnehmen, Denken und sein Handeln werden von vornherein durch Stereotypen fundiert. Lehrstückartig ist zu sehen, wie er sich ihrer bedient, um sein Schicksal zu leiten. Beziehungsweise - es ist zu sehen, wie er von ihnen geleitet wird.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

Identifikation. Ein befremdliches Gefühl ist es, dumpf aus einem Tiefschlaf zu erwachen und durch unbestimmte Geräusche irritiert zu sein. Ein regelmäßiges Ticken, Klopfen oder Quietschen wird zum bedrohlichen Mysterium. Da ist „Etwas", welches aber noch kein „Das" ist. Dieses „Etwas" beängstigt gerade durch seine Unbestimmtheit. Aber allmählich dämmert es; mit einem Schlag wird erleuchtend klar: Wasserhahn, Wecker, Teekessel. Aus einem ohnmachtsähnlichen Tiefschlaf erwacht auch Crusoe zum Leben, ein unbestimmtes rhythmisches Rauschen um sich. Halb bewußt, halb unbewußt liegt er am Strand. Er muß erst zu sich selbst kommen. Mühsam, wie durch einen Schleier, beginnt er zu identifizieren. Wasser, Strand und sich selbst. Offenbar hat es ihn an eine Küste verschlagen. Das Wann und Wo ist vorerst völlig unwesentlich. „Küste" an sich reicht für seine Überlebensinstinkte. Was wäre im Augenblick mehr? Vereinfachung. Es gibt Leute, die Einfaches verkomplizieren, aber auch andere, die Kompliziertes vereinfachen. Beide Strategien können mitunter folgenreich sein. Rot-GrünBlindheit ist nicht nur im Straßenverkehr eine gefährliche Farbreduktion. Es gibt den Fall einer Kollegin, die auf einem wichtigen Empfang Götterspeise und Tomatensuppe verwechselte, und sich jene mit einer großen Kelle in eine Terrine schaufelte. Andererseits ist Komplexitätsreduktion eine wichtige Überlebensstrategie. Crusoe kommt zu sich und hat, noch halb benommen, ein schillerndes Panorama vor Augen. Geräusche und Gerüche umgeben ihn. Die Geschmäcker im Mund dringen auf ihn ein. Haut, Leib und Hände tasten und erfühlen die Umwelt. Er ist einer überwältigenden Reizflut ausgesetzt. Aber es ist etwas in ihm, das lenkend für ihn sorgt. Er hat gelernt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, teils brauchte er es niemals zu lernen, weil sich das wie von selbst einstellt. So sortieren sich für ihn die Eindrücke und bauen ihm eine bescheidene Welt. Er sieht nicht die verwegenen Formen der Wolken, und er betastet nicht die Muscheln, die ihn vielgestaltig umgeben. Er registriert allein stereotyp: Meer, Strand und sich selbst. Er weiß allein: „Küste" und „Ich", bevor er an weitere Rettungsmaßnahmen geht. Aufwandsersparnis. Die anhaltenden theoretischen Debatten, die sich um den Begriff der Entlastung ranken, haben zur stillschweigenden Voraussetzung, das menschliche Leben sei beständig belastet. Belastung ist dabei natürlich eine Metapher. Man meint keinen physikalischen Vorgang, wenn man sagt, man fühle sich unter Druck. Vielmehr geht es um eine Last von Anforderungen. Diese können imaginiert oder selbsterzeugt sein. Davon abgesehen, ist allein zu leben und zu überleben eine Anforderung, der sich nicht selbstverständlich genügen läßt. Crusoe weiß oder fühlt: Er ist unmittelbar bedroht. Einer seiner ersten menschlichen Instinkte zwingt ihn, die Situation zu ordnen - so, wie es für ihn nötig und ausreichend ist. So simpel wie nötig, so simpel wie möglich. Er fängt nicht an, die Wolken oder die hübschen Muscheln vor seinen Augen zu zählen. In das Stereotyp „Küste" sind sie vielleicht eingegangen. Aber aktuell kommen sie darin nicht vor. Sie existieren für ihn nicht. Crusoe richtet all seine Energie allein auf das Lebensnötige: „Küste" vor mir, „Körper" hier, ergo: dieser „Körper" muß durch irgendwelche Aktivitäten weiter ans Land. Raumstrukturen. Ich habe in den bisherigen drei Abschnitten skizziert, was Stereotypen für ein Subjekt leisten können. Die nächsten drei Passagen umreißen, wie sie Objekte nach Raum und Zeit typisieren. Natürlich hat die Welt der Objekte objektiven Raum und Zeit. Aber im Wahrnehmen, Denken und Handeln werden sie zu solchen für Menschen. Es kommt zu Interferenzen zwischen objektiver und subjektiver Struktur. Sie begegnen sich.

Einleitung

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Aber wie? Immerhin so, daß zu handeln und sich zu orientieren möglich ist. Gleich mit einsetzendem Erwachen beginnt Crusoe, den Raum zu erfassen. Das heißt, aus seiner Perspektive schafft er sich ihn überhaupt erst. Hinten ist da, so seine Füße liegen, das Vorn ist das, wohin sein Oberkörper und Kopf gerichtet sind. Oben - das ist die Sphäre über dem Rükken. Unten ist das, worauf sein Körper liegt. Das sind elementare Operationen. Weitere, kompliziertere folgen. Der Blick nach vorn sondert Strand und Urwald. Eine Grenze wird gezogen, die allein durch diese Benennung in „Strand" und „Urwald" entsteht. Die Drehungen des Kopfes setzen ein „links" und „rechts". Intensivere Blicke definieren einen langgezogenen Strand oder eine zerklüftete Küste. Werthafte Bezüge gewinnt all dies, weil Crusoe sich darin als Zentrum positioniert. Das ist aber nur der simple Anfang all der Prozesse, mit denen Crusoe wie ein Vermessungsingenieur Raumordnungen schafft. Er überzieht später die Insel mit realen und imaginären Landmarken und Rastern. Er schematisiert, parzelliert, manövriert. Diese Raumraster sind nicht beständig. Raum ist eben nur das, was auf verschiedene Weise verschiedenen Zwecken dient. Eine Wiese ist im normalen Fall Weide im Ernstfall der Ort, wo man schnell mal um die Ecke verschwindet oder auch ein militärisches Operationsgebiet. Zeitstrukturen. Es gibt Wahrheiten, die sind so trivial, daß sie eigentlich gar keine Wahrheiten sind. Zu sagen, daß Zeit ein Nacheinander ist, ist aber nicht nur eine Trivialität, sondern sogar falsch. Nicht einmal ließe sich das für die physikalische Zeit, wie sie uns heute bekannt ist, behaupten. Denn Zeit ist immer auch Gleichzeitigkeit. Es gilt: Andere Zusammenhänge, andere Zeitstrukturen. Statt eines Nacheinanders ließe sich nämlich auch ein Voreinander vorstellen. Zeit ist aber nicht nur ein quantitatives Nacheinander oder die Umkehrung davon. Sie ist eine Ereignis- und Verhältnisqualität. Crusoe schafft sich die Zeiten, die er braucht. Beim Erwachen am Strand zum Beispiel ist seine Zeit eine halb animalische Ist-Zeit. Eine konzentrierte Jetzt-Zeit; ohne Schwingungen nach vorn oder zurück. In diesem Augenblick bedeutet jede Bewegung für ihn das ganze Leben. Allenfalls erinnert er sich, daß es einen zeitlichen Rhythmus von Ebbe und Flut gibt. Deshalb wäre es gut, jetzt schnell weiter Richtung Land zu kommen. Erst später kann er sich erlauben, die großen qualitativen Dimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schaffen und sich quantitativ in Tag und Jahr einzuordnen. Nicht daß es ihm anfangs verwehrt worden wäre sie waren vorher für ihn schlichtweg irrelevant. Nur mit der gesicherten Position eines vorläufig Überlebenden kann er daran gehen, sich zu erinnern und antizipierend zu träumen. Kalender und Tagebuch hingegen regeln eine andere Zeit. Denn ehe ihn die Ereignisse von Vergangenheit und Zukunft emotional überwältigen, hangelt er sich an der nüchternen Ordnung der Zwischenzeit entlang. Peinlich genau wie ein Buchhalter registriert er sie. Darüber hinaus gibt es Zukünfte in der Zukunft und Vergangenheiten in der Vergangenheit. Vor der Katastrophe, nach der Katastrophe, im dritten Jahr meines Insel-Exils, die Weinernte letzten Jahres. Oder: nach meiner Ankunft im Heimatland. Die ersten Frauen in Seidenstrümpfen, der zweite Handkuß, das dritte Ehegezänk... Regelmaß. Ein Unglück, so scheint es, kommt selten allein. Stereotypen kommen niemals allein. Sie bedingen einander und ziehen sich nach sich, sie reproduzieren einander und setzen sich definitiv voraus. Wer das „intellektuelle Schema" eines Hundes (Kant) besitzt, hat es changierend für immer. Ein Hund ist ein Hund ist ein Hund, wie eine Rose eine Rose eine Rose ist. Das heißt: Stereotypen sind zwar situationsgebunden und somit flexibel, aber den-

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

noch immer wieder abrufbar. Sie bezeichnen eine Regel, eine immer wiederkehrende Verlaufs- oder Ereignisqualität. Natürlich beziehen sie sich dabei auf Real-Qualitäten. Aber sie verdichten sie funktional auf einen handlungsrelevanten Kern. Denn an sich ist Regen niemals gleich Regen. Aber Crusoe ist klar, daß Regen bisher immer naß gemacht hat. Er weiß, daß er seinen Schirm zu benutzen hat, egal, ob Platzregen eine Stunde oder Sprühregen einen Tag lang währt. Regen ist einfach die Einheit, von der an ein Schirm zu benutzen ist und sonst nichts. In dieser Hinsicht verdichtet sich Regen für ihn auf den regelhaften Sachverhalt, daß a) ein Schirm zu benutzen ist, weil er b) sonst naß wird, wenn er c) nicht vielleicht doch lieber noch ein Weilchen im Trockenen bleibt und ein Pfeifchen schmaucht. Gemeinschaft. Überlieferungen sind nicht nur dadurch interessant, was in ihnen steht, sondern auch dadurch, was nicht in ihnen enthalten ist. Leerstellen haben einen geradezu unheimlichen Verweisungscharakter. Crusoe hat auf seiner Insel offenbar keine körperlichen Anfechtungen erlitten. Weder schien ihn die selbstverständliche Sehnsucht nach Sex zu plagen, noch marterte ihn der masturbierende Griff nach sich selbst. Seine erotische Energie hat er offenbar auf andere Ziele gerichtet. Er sehnt sich in die heilige, große Menschenfamilie zurück. Das heißt: nachdem ich bisher skizzierte, was Stereotypen erstens in bezug auf Subjekte und zweitens in bezug auf Objekte leisten, frage ich drittens, wie sie das Verhältnis von Subjekt zu anderen Subjekten konstituieren. Antwort: Stereotypen schaffen Bindungen und vermitteln den Verkehr mit den Mitmenschen. Sie ordnen den Einzelnen der Gemeinschaft zu. Gerade in seiner Verlassenheit beschwört Crusoe den Wert solcher übergreifenden Gemeinschaften. Mittels nationaler, ethnischer und religiöser Stereotypen bezieht er sich auf sie. Er versteht sich erstens als Engländer, zweitens als zivilisierter Europäer und drittens als braves Element eines protestantischen Gottesreichs. Er verspricht, diesen Entitäten zu dienen, und er rackert sich auf seinem Insel-Imperium für sie ab. Crusoe kämpft als ein einsamer Vorposten der englischen Angelegenheiten, er bewährt sich als ein potentieller Kulturattache und wirbt als vorbildlicher Missionar. Ist auch niemand da, der diesen selbsternannten Botschafter bewillkommnen könnte, nimmt er statt Menschen geputzte Tiere dafür. Sinn. Als die erste Abderitin die Vogelsprache erlernen wollte, schlossen sich ihr die anderen in überwältigender Entschlossenheit an: Es wird schon irgendeinen Sinn machen. Sinn ist etwas, das sich durch Sinngemeinschaften einstellt - und er wird durch Sinngemeinschaften reproduziert. Man kann ihnen nicht entgehen. Sie üben eine übermächtige Sogwirkung aus. Crusoe ist ein „Eingeschlossener". Aber er bezieht sich unentwegt auf das Leben hinter dem großen Meer. Existentialistische Anwandlungen plagen ihn nicht. Eigentlich könnte er in seiner Isolation zu ganz anderer Erkenntnis kommen: der Sinnlosigkeit allen Seins. Menschliche Gesellschaft ist ein Ensemble von Isolierten und Sterblichen! Warum ist überhaupt Etwas und nicht Nichts? Aber Crusoes verzehrende Sehnsucht nach menschlicher Gemeinschaft ist größer. Solche Skrupel plagen ihn nicht. Nation, Ethnizität, Religion und „das große Ganze" sind für ihn selbstverständlich gegeben. Er akzeptiert sie geradezu blind. Millionen Menschen können nicht irren. Wäre es auf dem Rest der Erde üblich, mit dem Schwanz zu bellen, Robinson hätte es auf seinem Inselreich unverzüglich eingeführt. Weltvertrauen. Crusoes Gott muß unerschütterliches Vertrauen zur Welt haben. Die Probe darauf wäre nämlich, daß sie noch steht. Crusoe aber teilt nicht diese heroische Einsam-

Einleitung

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keit Gottes. Er hat sich sein Weltvertrauen unbedenklich geborgt. Er borgte es sich von Vorfahren und Nachkommen, von denen, die unverdrossen taten und tun werden, was Leute schon immer getan haben und tun. Selbstvergessen fügt er sich in die große, erhabene Kette des Daseins: Columbus ist übers große Wasser gefahren, Candide wird im Garten arbeiten, und Crusoe geht lieber nochmal nachsehen, wie es im Schafstall steht.

2. Rhetorisches Überleben Crusoe hat, man weiß, überlebt. Er wußte den Schafstall in Ordnung zu halten und hat auch sonst allen Anforderungen des Lebens genügt. Nachdem er die bloße körperliche Existenz sicherte, sich ein blühendes Inselreich schuf, konnte er sogar in den Kampf mit feindlichen Völkern treten. Ein Held, der nichts und niemanden mehr zu fürchten braucht. Was aber tat Crusoe anfangs, als es gefährlich gewitterte? Er floh in seine Höhle und stammelte gedankenlos ein Gebet. Erstens umgab er sich mit einer schützenden steinernen Hülle. Zweitens wickelte er sich in einen schirmenden sprachlichen Kokon. In seiner Notsituation bedurfte er dieses Schutzes. Erstens: Die Höhle bewahrt vor den Regengüssen, dem tötenden Blitz. Zweitens: Sein Gestammel, die Suche nach Sprache, schützt ihn vor Angst. Zu stammeln, zu sprechen, bedeutet, sich einen immunisierenden, kulturellen Schutzraum zu schaffen. Es setzt ein Kraftfeld, eine Immunität, die allen äußeren Anfeindungen widersteht. Hier ist nicht zu behandeln, wie sich das kausale Verhältnis von Denken, Sprechen und Schreiben gestaltet. Es soll bei der nach wie vor gesicherten Annahme bleiben, daß von ersterem zu letzterem eine evolutionäre Wegstrecke führt. Gemeinsam ist diesen Operationen aber: Sie setzen verinnerlichte Wesenskräfte nach außen. Es entsteht ein imaginärer, beim Schreiben sogar vergegenständlichter Abwehrschild. Dieser kann den fragilen Körper beschützen. Das geschieht bereits durch den menschlichen Laut. Denn wesentlich ist bei Gefahr vorerst gar nicht, was gesagt wird. Ausschlaggebend ist vielmehr das daß. Interjektionen, Schreie und Gestammel allein können diesen Schutzkokon anthropomorph aufladen. Das Sprechen als quod, nicht als quid schafft bereits einen schützenden Kordon. Dem Mund entfliegen anthropomorphe Schutzgeister. Diese stemmen sich gegen den Druck der natürlichen Welt. Worte und Grammatik können dieses Fluidum von Geistern zu einer schlagkräftigen Schar ordnen. Durch Rhetorik werden Befestigungslinien und Bastionen definiert. Mit ihren sprach- und kulturphilosophischen Arbeiten haben Ernst Cassirer und Hans Blumenberg den Weg für diese Auffassungen bereitet - Cassirer in seiner Emanzipation vom Neukantianismus, Blumenberg durch seine Synthese von Kulturanthropologie und Phänomenologie. Seine Überlegungen über die Schutzfunktion von Sprache und Rhetorik waren aber ungleich pessimistischer als die Cassirers. Durch den philosophischen Einfluß Arnold Gehlens und seine eigenen Erfahrungen in Nazideutschland - zum Halbjuden erklärt, überlebte Blumenberg nach seiner Flucht aus einem Konzentrationslager die letzten Monate des Nazireichs in einem Versteck - hat er gerade den Abwehrstatus dieser sprachlichen und rhetorischen Techniken betont. Seine Überlegungen zur Rhetorik tragen manchmal sogar resignativen Charakter. Rhetorik dient letztlich dazu, eine von der Natur und den

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menschlichen Abirrungen ständig bedrohte Humanität zu verteidigen. Stereotypen hat aber auch er keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Wahrscheinlich galt ihm Rhetorik doch noch zu sehr als raffiniertes Prozedere - als Kunst, statt als profane Anti-Kunst. Überhaupt ist es schwer, Stereotypen erklärt zu finden. Ihnen haftet etwas Mittelmäßiges an. Zu brillanten theoretischen Untersuchungen beflügeln sie nicht. Um Anregungen zu finden, wird man sich am besten in das trockene Schnittfeld von philosophischer und psychologischer Erkenntnistheorie, Linguistik und Rhetorik begeben. Die erkenntnistheoretischen Überlegungen zu einer sogenannten „Gestaltpsychologie" wären dann ebenso hilfreich wie die jüngsten philosophischen Überlegungen zu Schematisierungen von Hans Lenk. Er erkennt in Schemata Mittel der Stabilitätsfindung. Sie seien „Interpretationskonstrukte", die ein Meer von Daten selektiv bearbeiten. Um zu verstehen, was Stereotypen leisten, können weiterhin die linguistischen Ansätze Jürgen Links aufgegriffen werden. Er kommt zwar aus einem Forschungszweig, der eher der Bedeutung von Symbol, Allegorie, Motiv oder Metapher nachgeht. Aber seine These, in eingebürgerten sprachlichen „Kollektivsymbolen" würde sich die Fiktion einer gattungshaften Einheit trotz arbeitsteiliger Differenzierung erhalten, ist für das Verständnis von Stereotypen ebenfalls fruchtbar. Menschen schließen sich auch über sprachliche Gebilde zusammen. Über die Imaginationskraft, die von selbsterschaffenen sprachlichen Symbolen ausgeht, rücken sie einander näher. Schließlich kann auch an Hans Blumenbergs Theorie der Rhetorik angeknüpft werden. Er betont weniger die Integration durch rhetorische Figuren. Vielmehr versteht er sie als Medien in der spannungsgeladenen Auseinandersetzung von Menschen mit der Natur. Mit Blick auf diese Vorleistungen läßt sich sagen: Stereotypen sind wie Linsen, in denen sich Realität bricht und konzentriert. Sie ermöglichen eine Orientierung und helfen in einer unübersichtlichen Welt. Einerseits vereinen sie Menschen untereinander. Andererseits entsteht durch ihren Filter ein schützend-distanzierendes Bild von der Welt. Manchmal werden diese Linsen freilich auch zu gefährlichen Brenngläsern, die Unheil gestiftet haben und weiterhin stiften. Dabei ist nicht einmal von einem horrenden Mißbrauch zu sprechen. Der Umschlag von situativen Stereotypen in starre Deutungsmuster wird möglicherweise durch die Funktion von Stereotypen selbst evoziert. Die Grundlagen politischer, nationaler oder religiöser Fundamentalismen können hier nicht interessieren. Hier bleibt es bei der alltäglichen, lebensweltlichen Praxis. Dann erscheinen Stereotypen in einem freundlicheren Licht. Sie lassen sich als Orientierungslinsen verstehen. Will man ihre schöpferische Kraft betonen, dann erscheinen sie nicht nur als Linse und Fokus, sondern sogar wie ein Sucher, der Bildausschnitte selektiert und eigenständig entwirft. Das gilt auch für sprachliche Stereotypen. Sie gehen aktiv auf Wirklichkeit zu. Sie formieren sie, machen sie handhabbar. Das ist kein undramatischer Vorgang. Denn Sprache ist, wie Ralph Waldo Emerson schon 1836 in seinem Essay „Nature" hervorhob, ein Medium, das seit alters her Macht enthält. Mittels Namen und Benennungen ergreift man Besitz von den Dingen. Mit Worten und Begriffen eignet man sie sich ängstlich, verängstigt und gnadenlos an.

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3. Überleben per Gedicht Gerettet? In seinen Studien zur literarischen Welt des Biedermeier wies Friedrich Sengle darauf hin, wie stark die Lyrik jener Zeit noch rhetorischen Traditionen verpflichtet war. Dieser rhetorische Einsatz verstärkte sich in der Cholera-Zeit von 1831/32. Über einen gemeinsamen pathetischen Ton, ähnliche rhetorische Figuren bis hin zu stereotyp wiederkehrenden Bildern und Metaphern entfaltete sich eine Welt lyrischer Homologie. Wenn man nicht wüßte, daß Rhetorik sich in Drucksituationen eher aufdrängt, als daß sie bewußt und gewollt herbeizitiert wird, müßte man von geheimen Absprachen ausgehen. Aber solche Geheimabsprachen hat es nicht gegeben. Das angsteinflößende Kommen der Cholera allein bewirkte diesen rhetorischen, der kollektiven Selbsterhaltung dienenden Pakt. Diese Cholera war eine für Europa neue Epidemie. Bewirkt durch die zivilisatorischen Neuerungen - Entstehung großer Städte und Ballungsräume, Beschleunigung von Transportwegen, Wachsen von sozialem Elend und Not - erwies sich der Organismus der „zivilisierten" Länder anfällig für diese Seuche. Die Cholera beschränkte sich nicht mehr auf ein eher harmloses Wirken in Indien, sondern entwickelte sich zu einer bedrohlichen Pandemie. Von Rußland her „eroberte" sie 1831 zum ersten Mal die europäischen Länder - so der damalige Sprachgebrauch. Wie ein militärischer Verband schien sie vorwärts zu rücken und näherte sich unerbittlich den preußischen und habsburgischen Grenzen. Spätestens als sich im Sommer 1831 die letzten traditionellen Abwehrmaßnahmen - also Grenz- und Quarantänesperren - als nutzlos erwiesen, setzte eine Art öffentlicher Panik ein. Nun, nach dem Versagen der staatlichen Abwehr, mußte jeder selbst für sich sorgen. Handlungsmöglichkeiten gab es wenige: zu fliehen, den Verkehr mit Mitmenschen zu vermeiden, eine strenge, angeblich helfende Diät zu beachten, Desinfektions- und Räucherungsapparate in den Wohnungen zu installieren. Aber auch das wappnete, wie bald die Städte Pest, Danzig und Königsberg zeigten, gegen die Krankheit nicht. In dieser ausweglosen Situation bewährte sich eine Art „theoretischen" Handelns. Gerade diese Praktik immunisierte vor der nahenden Seuche. Der kulturelle Handlungszwang entlud sich in Wällen von unsinnigen und unausführbaren Verordnungen, eine Flut von medizinischen Traktaten wurde der Seuche trotzig entgegengestemmt, schützende Netzwerke von Briefen geknüpft und zornige Stakkatos von Gedichten gegen die Krankheit gerichtet. Das waren nicht nur symbolische Ersatzhandlungen, sondern Realhandlungen. Denn Rhetorik, allein indem sie Angst abbaut, hat nicht nur eine imaginierte Schutz- und Immunisierungsfunktion, sondern eine tatsächliche. Deshalb wird die große Anzahl von Gedichten, die gegen die Cholera gerichtet waren, nicht überraschen, und auch nicht, daß es sich durchweg um schlechte Gedichte handelt. Denn sie produzierten - komprimierte kulturelle Standardisierung - fast ausschließlich Stereotypen. Damit erwiesen sie sich zwangsläufig als nahezu identisch schlecht. Wie die nachstehende Sammlung zeigt, glichen sie sich allein schon in den Titeln, und sie glichen sich im durchgehenden hohen Ton (Anrufungen, Dramatisierungen, Interjektionen). Sie ähnelten sich in Satzstrukturen (Substantiv-Stakkatos, in rhythmisierende Genitivkonstruktionen von Ausrufesätzen gezwängt), und sie benutzten gemeinsame, durch Füllworte und Unsinnigkeiten erzwungene Reimmuster (bei zwei verschiedenen Autoren reimt sich „Sokken" auf „Locken"). Sie bauten auf gleiche rhetorische Gegensätze (Licht versus Nacht,

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Sonne versus Gewitter, klar versus schwül), und sie griffen immer wieder auf dieselben Motive und Metaphern zurück (Dämon des Orients, asiatische Hyäne, indische Pilgerin). Sie variierten die Elemente eines rituellen rhetorischen Baukastens und versuchten damit, den Angriffen der Seuche zu trotzen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Bei all den Cholera-Gedichten, die als überwiegend schlecht anzusehen sind, handelt es sich nicht um lyrische Unfälle. Ihre Funktion bestand ja gerade darin, diese Stereotypen rituell auszustellen und diejenigen immunisierenden Effekte und Vorzüge abzurufen, die damit verbunden sind. Schlechte Gedichte beziehen ihren Kredit eben gerade aus dem Gegenteil dessen, was gute Gedichte zu leisten vermögen: Sie beschwichtigen, statt aufzuwühlen, sie geben Entspannung, statt anzustrengen, sie spenden Sicherheit, statt zu verunsichern. Das ist ihr unschätzbares Verdienst. Genau das trieb Autoren zwanghaft dazu, sie sich abzupressen; das veranlaßte Herausgeber und Verleger, sie in Journale und Gedichtbände aufzunehmen; und das sicherte ihnen einen überwältigenden Leserstrom. Schlechte Gedichte sind schlichtweg Orientierungsliteratur: In Zeiten der Desorientierung um so nötiger.

4. Kapitulation? Eine definitive Sammlung schlechter Gedichte wäre ein diktatorischer Akt, wie es eine endgültige Sammlung guter Gedichte ist. Nach welchen Kriterien können sie ausgewählt werden? Welches Gedicht ist schlecht, welches nicht? Diese Sammlung von einhundert schlechten Gedichten beschränkt sich auf den deutschen Sprachraum, darüber hinaus auf Cholera-Gedichte der Jahre 1831/32. Lyrische Texte von Friedrich Hebbel, Nikolaus Lenau und König Ludwig I., die sich auf die Cholera von 1836 beziehen, sind also nicht aufgenommen worden. Damit ist der zeitliche Rahmen abgesteckt. Bei der Anzahl von einhundert Gedichten sollte es bleiben, damit war ebenfalls eine Grenze gesetzt. Aber nach welchen inhaltlichen Kriterien ist ein schlechtes Gedicht nun ein schlechtes Gedicht? Kurz und knapp: Danach braucht hier nicht gesucht zu werden. Damalige Gedichte zur Cholera sind grundsätzlich schlecht. Die ein oder zwei möglichen Ausnahmen möge jeder selbst finden. Nur soviel: Von Hoffmann von Fallersleben sind sie sicherlich nicht. Übrigens befinden sich möglicherweise auch zwei Parodien unter all diesen Texten. Sie sind schwer auszumachen, weil sie so gelungen sind, daß sie sich ihren Vorlagen angleichen. Vielleicht sind es am Ende gar keine Parodien. Aber was zwei Berliner Exemplare angeht, gibt es gewisse Vermutungen. Wer trat damals alles per Gedicht gegen die Cholera an? Erstens poetische Laien, die für den Gebrauch in privaten Zirkeln dichteten, wie der Berliner Maler Samuel Rösel, den Theodor Fontane in seinen „Wanderungen" verewigte: „Cholera her, Cholera hin,/ Leben, leben ist Gewinn/ Und könnt ihr mir morgen 'ne Suppe geben,/ So möcht ich morgen wohl noch leben." Zweitens das große Heer dichterischer Lokalgrößen, die zum Teil anonym bleiben wollten. Zum überwiegenden Teil konnten ihre Namen hier ermittelt werden. Ihr prominentester Vertreter ist sicher Samuel Friedrich Sauter, das Urbild des „Gottlieb Biedermaier", der schließlich einer ganzen Epoche den Namen gab. Sein unfreiwillig komi-

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sches Cholera-Gedicht, wohl eines der besten schlechten Gedichte zu diesem Thema, durfte hier natürlich nicht fehlen. Drittens damalige Erfolgsautoren wie Theodor Hell oder Ignaz Franz Castelli, die nach ihrer Blüte schnell in Vergessenheit gerieten. Viertens mehr oder weniger arrivierte Poeten wie Heinrich Stieglitz oder Karl von Holtei, die spätestens Ende des Jahrhunderts kaum jemand mehr kannte. Schließlich arbeiteten sich an der Cholera auch Autoren ab, die durch den Kanon der Schullektüre und Literaturwissenschaft konserviert wurden und noch heute geläufig sind: Ferdinand Raimund, Adalbert von Chamisso oder Justinus Kerner. Der Region nach stammen die Autoren vor allem aus Preußen, aus Schlesien oder aus Habsburg. Süddeutsche Dichter und die Schwäbische Dichterschule sind kaum vertreten, weil die Cholera Süddeutschland in ihrer ersten Welle 1831/32 noch umging. Zum Verständnis der Gedichte wurden hier Anmerkungen beigegeben. Generell wäre vielleicht noch zu sagen, daß sich viele Anspielungen der Gedichte auf die allgemeine politische Lage beziehen - auf die Umbrüche im Zuge der französischen Julirevolution, den Befreiungskampf Belgiens oder den polnischen anti-zaristischen Aufstand. In bezug auf die Cholera spielen viele Texte, ohne daß das in den Anmerkungen jeweils eigens ausgewiesen wird, auf die damalige Praxis der Grenzsperren an, auf die Desinfektionsversuche durch Räucherungsapparate oder auf die deklarierten Diätregeln. Als vorzügliche Quelle, in der viele dieser Cholera-Gedichte zu finden waren, erwiesen sich literarische Journale, unterhaltende Zeitschriften und kalenderartige Belehrungs- und Aufklärungspublikationen. Damit ist ein Quellenproblem angesprochen, das im Grunde kein bloßes Quellenproblem ist. In ihrer Arbeit über literarische Reaktionen auf die Cholera in der deutschen Literatur hat Brigitta Schader solchen lyrischen Arbeiten leider überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt. Bedauerlicherweise war ihr dieser Quellenfonds als solcher gar nicht bekannt. Für eine Medizinhistorikerin, die sich auf das Feld der Literatur begibt, ist dieser Umstand nicht auszuschließen. Aber daß auch ein Fach wie die Literaturwissenschaft den Korpus schlechter Gedichte fast ausschließlich ignoriert, sollte grundsätzliche Fragen nach seinem Status erlauben. Diese beziehen sich nicht nur auf das Phänomen guter oder schlechter Gedichte. Sie betreffen das Gesamtprofil einer Wissenschaft, die vorgibt, von Literatur zu handeln, aber, Macht des Apparates, bereits nach dem Klassikerhandapparat kapituliert. Dadurch wird ein Kanon literarischer Exklusivität wider allen Bekundungen hartnäckig aufrechterhalten. Das mag zwar nicht dezidiert konservativen Absichten geschuldet sein (wie etwa Harold Blooms unverstelltes Plädoyer für einen selektiven literarischen Kanon). Er ergibt sich aber durch ostentative Leseverweigerung ebenso. Überhaupt entspringt er einer strukturellen Ausrichtung, durch welche Literaturwissenschaft noch heute ungebrochen ihren Wurzeln des 19. Jahrhunderts folgt: Dependance des Bildungsbürgertums. Der Brauch, unausgesetzt neue methodische Raster zu ersinnen, bleibt solange eine findige Betriebsamkeit, wie sie nur wiederholt einem eng definierten Kreis von sanktionierten Texten übergestülpt werden. Literatur jedoch ist das, was von Lesern gelesen wird, hundertfach, tausendfach, millionenfach. Man mag es als „gute" oder als „schlechte" Literatur bewerten. Aber ignorieren läßt sie sich nicht. In der abwechslungsreichen literarischen Landschaft in nur wenigen klassisch-exklusiven Zitierparzellen zu weilen, heißt von daher nicht nur, erschöpft zu kapitulieren. Es bedeutet nichts anderes, als fragwürdige Besitztümer zu verfechten.

Gedichte

1. Asiatische Hydra Cholera, oder der Triumph der Civilisation über die Barbarei1 Kommst du, Cholera, aus Barbarenlande, Europas Völkerschaft, wie's recht, zu sichten: Dich tadeln, wahrlich! kann ich drum mit nichten. Denn viel zu tilgen findest du der Schande, Die vielfach noch verpestet unsre Lande, Und manches Unrecht könntest du vernichten, Auch manchen Zwiespalt fändest du zu schlichten, Könnt'st lösen von der Freiheit schwere Bande. Doch nicht so edlem Zwecke gilt dein Streben! Asiat'sehe Barbarei nur uns zu zeigen, Und physisch stark nahst du Europas Landen, Und mit Gewalt greifst du in unser Leben. Doch daß der Kunst das Rohe doch nur weichen, Bist du als Beispiel unter uns vorhanden.

Die Schlange des Orients2 Das wunderreiche Morgenland Verlieh seit alter Zeit uns viel; Zu seinem Ruhm gab Dichters Hand Der Lyra Schwung in Sang und Spiel. Manch edle Frucht ist daher uns gekommen; Manch' selt'nes Thier ward gastlich aufgenommen; Und manches hohe Glaubenswort Erschallt von da rings fort und fort.

Asiatische Hydra Doch eine Schlange windet sich Von Thal zu Thal seit Jahren dort; Entvölkert ward, ach! fürchterlich Durch ihre Gier gar mancher Ort! Seitdem Bengalens Glut sie ausgebrütet, Durchzog die Riesin Asien; und wüthet, Sich vorwärts ringelnd, wenn sie wacht, Stets siegend ob der Gegenmacht. Vielköpfig schlich das Schreckenthier Den Handelskaravanen nach, So wie es eilend dort und hier Sich neue Bahn zu Schiffe brach. Auch nach Europa drang es vor, verstohlen, Den Moskowiter würgend wie den Polen. Nun züngelt's selbst nach uns von da: Es ist die grimme - Cholera! Ihr Blick, ihr Hauch, ihr Stich ist Gift! Schnell sinken unter Schmerzen hin Die rüst'gen Wand'rer, die sie trifft: Das Herz wird glüh, betäubt der Sinn. In Tagesfrist, in wen'gen Jammerstunden Sind Freund und Feind zugleich dahin geschwunden! Der Fleiß erstarrt, die Nachbarn flieh'n, Wenn Lanzner Euch das Haus umzieh'n! „Wer hemmt der Seuche jähen Lauf? Wer hält von uns solch Herzleid fern? Die Fürsten bieten alles auf; Die Aerzte rathen sorglich gern. Doch, wird vom Himmel nicht der Ruf vernommen: ,Bis hierher und nicht weiter sollst Du kommen!' So wird die Pest uns meuchlings nah'n; Mit unsrer Macht ist Nichts gethan!" So seufzt in Aengsten manches Herz, Still musternd seiner Lieben Zahl, Und fürchtet herber Trennung Schmerz, Verzagend in des Mißtrauns Qual. Schon sieht der Leichtsinn Bürgerschaften schwinden, Und Selbstsucht hofft, alsdann mehr Glück zu finden; Die Schwermuth gräbt sich schon ihr Grab, Der Lust entsinkt der Hoffnungsstab.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Ihr Uebereilten, haltet ein: Was morgen seyn wird, wißt Ihr nicht! Dem Schicksalherrn Vertrau'n zu weih'n Ist Euer Kurzsicht erste Pflicht. Bis heute hat er gnädig Euch erhalten: Laßt fernen ihn so weis' als mächtig walten! Wohl dem, der, was ihm Gott bestimmt, Mit Muth und Fassung stündlich nimmt. Den Frieden hat er uns bewahrt, Die Erntegaben neu verlieh'η: О kommt, Beglückte, fromm geschart, Und preist, so lang' ihr athmet, ihn! Vor Feinden schirmt er uns mit Wohlgefallen; D'rum besser, in die Hand des Herrn zu fallen, Als in der Uebelthäter Hand. Euch sey ein Wort des Segens Pfand! Ob düst'res Unheil uns umschleicht: Gott meint und macht es immer gut! Wenn dann der Würger schonend weicht, So bleibet fern von Übermuth! Ja, zügelt Schritte, Reden und Gedanken, Und setzt der Schlange der Verführung Schranken: So frommt Euch - sey sie fern und nah' Für Geist und Herz die Choleral

Die furchtbare Fremde3 Dort über Asiens Gewässer Zog stumm daher ein riesiges Gespenst. Du Blasser, Deine Wange wird noch blässer, Wenn Du die Wandlerin erkennst! Sie kam in Nacht. Im grauen Dämmerscheine Schleppt sie durch's Meer ein langes Leichentuch: O, zitt're, Sterblicher! Verzagter, weine! Auf Gräbern schläft sie; menschliche Gebeine Ihr Bett! ihr Kissen sind die Leichensteine; Ihr Schlummerlied - der Menschheit Fluch! Die heiße Zone mit den gift'gen Flammen War ihre Mutter; ihr Erzeuger ist Der Krieg - der tolle Tiger! - der zusammen

Asiatische Hydra Die Schuld und Unschuld würgt, den Segen frißt; Es waren tausend Laster ihre Ammen; Sie lebt vom Blut und von der Kön'ge Zwist. Und das Gespenst mit fahlem Grabgewande, Jahrhunderte schon ist es alt, Und wechselt immer Namen und Gestalt. Es schlug die Völker einst im heil'gen Lande Als Todesengel dort, und Alles fiel; Verderblich schlich's im afirikanschen Sande Und stürzte Leichen in den Nil; Mit o f f n e m Mord ihr grausenhaftes Spiel Trieb die Vernichterin an Hellas Strande Und grub ein ungeheures Todtenfeld. Sie hauchte Gift in's Reich der Apenninen, Und hatte sich mit regungslosen Mienen, Als schwarzer Tod, auf deutsche Flur gestellt Und schritt bis an den Ocean der Welt. Und ließ sie sich am großen Länderkreise Zuweilen auch in jüngern Tagen seh'n, Sie fragte nie: „Bist Du bereit zur Reise? Und magst Du gern zum Schattenlande geh'n?" Sie fragte nie: „Wer ist der Weise, Wer ist der Thor? Auf welche Gleise Schritt er, und wie wird er vor Gott besteh'n?" Sie brach die Sanduhr und sie ließ vom Thurme Der Glocken plötzliches Gewimmer weh'n, Und ging seit je, das gräßlichste Phantom, Die schnellste Würgerin, am Zeitenstrom! Nun kam sie wieder, wo die Wolga flutet, Und dort, wo freiheitskühn ein edler Aar, Allein und jeder Hülfe bar, In heißen Tagen der Gefahr, Vor schlafenden Nationen blutet Aus tausend Wunden! - nicht entmuthet Dort mitten in der Dränger Schar! Und mit dem Himmel still berathen, Als Dienerin vom Weltgericht, Schwang sie mit ihrem Leichenangesicht Sich heulend über die Carpathen, Und kehrte schwarz und stumm; Und späht nun weit herum Zu mähen neue Todessaaten.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Bist Du vielleicht die ernste Nemesis Der Zeit - Du Pilgerin der Finsterniß, Auf langen Leichenäckern, voll von Raube? Wohin, nun endlich, ach, wohin, Des Todes rasche Schnitterin, Mit Deinem Kranz von dünnem Thränenlaube? Auf einem Felsenriff an Preußens Meer, Die bleichen Opfer alle um sich her, Sitzt sie des Nachts und blicket nach den Dünen Und hin nach Welschland, mitleidleer. Was wollt Ihr mit dem vorgehalt'nen Speer Und mit dem Kirchgeläute, dumpf und schwer? Wo sind die Mächtigen, wo sind die Kühnen? Wer kann die Zürnende versühnen? So vor dem Kreuze, wie vor'm halben Mond, Vorüber zieht die fürchterliche Fremde, Hin, wo der Frevler und der Heil'ge wohnt, Und schüttelt aus dem langen Todtenhemde Den heißen Fieberschmerz Auf Stadt und Dorf und Hütte, Und zielet schon, mit zweifelhaftem Schritte, Auf Deutschlands banges Herz. Und wer wird jener Schar, die schweigend büßte Im kalten Leichentuche schon Den Zorn der Lebensfeindin aus der Wüste, Verfallen noch? - Gefährten, ach, wer grüßte Nicht gern noch lange dieses Licht? - Entfloh'η Ein Mal der Welt, kehrt nimmermehr der Todte! Und, „Nimmerwieder!" drückt mit Zentnerlast. Und bei des kurzen Lebens Stundenhast Entsetzlich ist der schnelle Todesbote! Beglückt des Todten stiller Ueberrest! Doch furchtbar, wenn das Theure Dich verläßt Und wenn Du einsam stehtst am Grabesschlunde! Schling' Dich, о Gattin, an den Gatten fest Und häng' an dem geliebten Munde! Wie lange noch? - und an ihr Herz gepreßt Hält ihn die Feindin, die nicht bloß das Trauerreis Hinreicht dem lebensmüden Greis. Du gute Mutter, sieh! im Abendrothe Spielt noch Dein Kind. Weh, wenn sie morgen faßt

Asiatische Hydra Den holden Raub, und wenn, Du Schwerbedrohte, Dein engelschönes Kind erblaßt! Ihr Elternwonnen, frischbekränzte Bräute, Seyd Ihr auch ihre Beute? Verarmter Tugendhafter, starrt empor Dein trostberaubter Blick und rangen Sich Deine Hände wund? und fand kein Ohr Dein Angstruf droben, wo die Sterne prangen? Schon naht die Fürchterliche Deinem Thor, Schon ist sie zu dem Nachbarhaus gegangen Und reißt den Sohn - о seht die blassen Wangen! Den schönen Jüngling, von des Vaters Brust, Des Vaters Glück und seines Alters Lust! Was winselt dort? - Der freundliche Gefährte Des Menschen ist's, der treue Hund, Den Tage lang nicht Trank noch Speise nährte; Er scharrt den Hügel eines Grabes wund, Und lauscht auf des Gebieters Worte Und harret seiner Wiederkehr; Doch dessen Schlaf ist eisenschwer! ... Da läuft er heulend zum verlaß'nen Orte Und horcht am Haus; doch regt sich keine Pforte Und keine Ampel brennt des Abends mehr! Wer flieht, wer weicht, wer wimmert durch die Straßen Gepreßt von Seufzern ist die Luft; Sie sind getrennt, - die froh zusammen saßen! Die Särge donnern in die hohle Kluft. Halb voll Lebend'ger, halb voll Moderduft, Voll Knieender auf Gräberrasen, Ist bald die Stadt nur eine öde Gruft, Nur eine Wüste, wo die Stürme blasen. Stellt euern Zug, ihr Leichengeier, ein, Ihr tragt den Tod in unser Land herein! ... Kehr' um, Du Wand'rer! Statt der grünen Reiser Hängt dort ein schwarzes Banner; warnend hängt Das Zeichen da; verschlossen sind die Häuser, Wo die Verfolgerin die Blüten sengt, Und Rosen knickt und zu dem Moder mengt. Und dennoch zaget nicht, noch Unberührte! Wo auch die düstre Löwin raubt, Und Manchen schon zur finstern Höhle führte; Ihr eignet nicht ein jedes Haupt,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Nicht Jeder ist ihr Auserkorner; Sie steht in eines Höhern Macht, Der bindet sie, noch eh's der Mensch gedacht! Nicht Dich allein nur, Armgeborner, Hat sie mit gift'gen Flammen angefacht; Ihr Raub ist auch der schwelgerische Reiche, Sie nimmt auch eine Fürsten-Leiche; Sie tritt auch in den Prunkpalast, Und wo sie jubeln, wo sie lachen, In's Feldherrnzelt, durch alle Wachen Geht sie, ein ungebet'ner Gast, Und zündet Fieber an in Leib und Hirne Und malt den Tod auf eine stolze Stirne! Schon näher ruft's: „Sie kommt! Sie kommt!" Ihr edlen Söhne, Mütter, Töchter, Väter, Ihr, denen noch das süße Leben frommt, Und saht Ihr nicht? sie sucht, wohin sie kommt, So gern, auf einen Wink von Dem im Aether, Der Mäßigkeit entnervten Übertreter, Das feile Bett der geilen Schwelgerei, Und packt den reifen Missetäther, Den fluchbelad'nen Vaterlandverräther, Und schlägt des Zechers wüsten Kelch entzwei; Und schonet noch den arbeitsamen Beter Und geht am Haus der Sittsamkeit vorbei! Vertraut auf Ihn, von dem schon sagen Jahrhunderte! - Nur Muth und Hoffnung tragen Zu starkem Schutz ein schönes Wunderhorn. Trinkt froh daraus den frischen Lebensborn, Und fühlt im Herzen neue Pulse schlagen, Und glaubet an die Wunderthätigkeit Des Augenblick's! — Das herbe Leid, Den fürchterlichen Sturm der Zeit Hat oft ein einz'ger Augenblick beschworen! ... Und Gott ist groß! und mächtig, riesenhaft Ist die Natur, und wirkt und kämpft und schafft. Nur wer im Schreckenstraum verloren, Schon früh in eitler Frucht erschlafft, An sich verzweifelt und an Gottes Kraft, Dem wacht umsonst der Wächter an den Thoren!

Asiatische Hydra Ja, der Allmächt'ge, der erbarmend steht Im Lichte dort, hoch über allem Volke, Und dessen Liebe durch die Himmel weht, Er sieht herab; - und Euer Angstgebet Ihr Millionen, dringet durch die Wolke. Er stellt sich auf des Unglücks fmst're Bahn Mit seiner Hand Euch schirmend zu umfahn, Und fesselt sie, die mordende Hyäne An einem Fels im wüsten Ocean, Wohin kein Vogel schwebt, kein irrer Kahn, Uns stillt der Menschheit heiße Jammerthräne, Und jubelnd ruft ihr dann: „Das hat der Herr gethan

An die Unbekannte4 О du, die fern von uns im Giftbaumlande Beim Wiegenfest, wo Satan Pathe war, Dem Bräut'gam Basilisk zum Liebespfande Ein Klapperschlangenmütterchen gebar, Ich nahe dir, furchtbare Unbekannte, Die jüngst der Tod, seit Franz den Aufruhr tief, Und tief in seinem Pfuhl den Krieg verbannte, Als Rächerin aus Asiens Sümpfen rief; Ich nahe dir - mag auch dein Odem tödten, Was Odem hat, du sollst mir Rede steh'n, Und sollst mir kühnen Muth die Stirne röthen, Mir Gottvertrau'n vom Auge leuchten seh'n! Wer bist du mit den Räthseln deines Spottes, Die der Gefragte mit dem Leben zahlt? Wer bist du, Sphinx, die frech als Geißel Gottes Als seines Zorn's Vollstreckerin sich prahlt? Der uns die Welt mit seinen Blumen schmücket, Uns reifen läßt die Fülle seines Korn's, Der segnend uns an seinen Busen drücket, Ein Gott der Liebe ist es, nicht des Zorn's. Er sendet nicht verhüllte Mörderinnen, Er schrieb uns sein Gesetz so mild als klar; Und macht es durch kein Kind der Assassinen, Das auf Kadavern thront, uns offenbar.

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Nein, - anders klingt's in meines Herzens Tiefen! Vertrauend - und ein Fels ist mein Vertrau'η Seh' ich den Born der Gnade Gottes triefen; Ein Tropfen seiner Huld wird niedertau'n. Ein Funken seines Geist's, den er verheißen, Wird niedersprüh' n, ein Edler wird, vom Licht Des Herrn umstrahlt, den Bund der Nacht zerreißen Und dir den Schleier zieh'η vom Angesicht, Wird in' Medusenaug' dir furchtlos blicken, Ohnmächtig knirscht an ihm dein Drachenzahn, Im eig'nen Schaum und Gift wirst du ersticken, Und liegst - die letzte Leiche - auf der Bahn. Geh! übe - bis er naht, den wir erflehten, Deim Amt! Schreib' Urtheil an des Hochmuts Wand Lehr' hirnversengte Gottesläugner beten, Mach' Spittel reich aus dürrer Wuch'rer Hand, Nimm Dieben ihren Raub, dem Pharisäer Die Maske ab, mit Graun'η der Finsternis Erschein' in Schwefelglut dem Rechtsverdreher, Und zeig' ihm dein erschrecklich Wolfsgebiß; Und wo im Kriegeszelt ein Weltbezwinger Schlachtpläne brütet - tritt zu ihm und sprich, Und droh' ihm mit erhobnem Geisterfinger: „Du, mache Frieden! sonst erwürg' ich dich!"

Die Cholera3 Verhängniß rief, der Drache wurde wach Durchfuhr des Handels Karawanenwege, Der Ströme Lauf, des Hochgebirges Stege, Und zog der Waffen grausem Klirren nach. Er dringt in reicher Schwelger Prunkgemach, Und schreckt empor aus stolzer Ruhe Pflege, Verdoppelt dann der Riesenflügel Schläge, Und eilet unter niedrer Hütte Dach. Ihm sind zum Opfer viele schon geworden, Und auf uns wirft, in wilder Gier zu morden, Das Ungethüm den todesschwangern Blick.

Asiatische Hydra

Erhebe deinen Schlangenstab und scheuche, Asklepios, die giftgeschwollne Seuche Zur Hölle, der sie schwarz entstieg, zurück!

Die Cholera6 Nicht lange mehr, und sie ist da, Die Wanderpest aus Asia, Die schreckenvolle Cholera. Ob ich mich fürchte? Freilich, ja! Was schon viel Tausenden geschah, Das blüht auch uns, der Tod ist nah. Vielleicht daß diese Pestmama Uns nicht zum Raube sich ersah, Und fort zieht nach Italia. Vielleicht daß uns der Großpapa Verschont mit dieser Domina Dann sängen wir Halleluja!

Der verhüllte Bote. 18327 Der Neumond rufet der Hindu Schaar Zum heiligen Sühnungsbade; Der Ganges strömet so ruhig und klar, Ihm bringen ihr Opfer die Völker dar, Umwandelnd sein Palmengestade; Sie kommen und waschen sich Augen und Brust, Und gehen, entsündigt, voll gläubiger Lust. Es tragen Braminen, in Linnen gehüllt, Auf blühenden Zweigen gebettet Der Ganga, der schützenden, heiliges Bild, Und geht in die Fluth, die den Gürtel umquillt, Zum Reigen die Hände verkettet. Wo tieferen Wirbels der Ganges sich lenkt, Wird leise das Bild in die Wogen versenkt.

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Nun singen sie Alle, voll Trauer den Blick: „O Fürstin des Friedens! mit Zähren Erflehn wir die Eintracht, das liebliche Glück. О bring uns die seelige Stille zurück, Laß länger die Kämpfe nicht währen! Den Frieden, geschaffen zum Heil uns und Hort, Verscheuchten die Fremden durch Zwietracht und Mord!" Jetzt schwellen die Wasser, es braust der Orkan, Der Strom entflieht seinem Bette. Er bricht sich durch Felder und Wälder Bahn; Da flieht das Volk zu den Bergen hinan, Zu suchen die sichere Stätte, Un jauchzet noch freudig, indem es enteilt: „Gesegnet die Flur, wo der Ganges geweilt!" Doch sieh! aus den weichenden Fluthen ersteht Ein Nebel, vergiftend, umschattend. Er ruht, bis zum Fuß der Gebirg' erhöht, Im Thale, das nirgends ein Hauch umweht, Mit glühenden Strahlen sich gattend; Und plötzlich, von steigendem Dunkel umgrenzt, Beginnt er zu wandeln, ein drohend Gespenst! Das hebt nun zu gräßlicher Wandrung den Fuß Mit länderumspannenden Schritte. Sein Athem ist Gift, und zu tödlichem Gruß Erhebt es die Blicke; nicht Alpe, nicht Fluß Hemmt seine zermalmenden Tritte. Es streckt seinen Arm in das Meer hinaus, Und sä't auf die Inseln Vernichtung und Graus. Es ziehet bald eilend, bald zögernd einher Durch Asia's Gärten und Wüsten, Entvölkert hier Städte, begräbt ein Heer, Verödet dort Schiffe auf wogendem Meer, Die nah schon die Heimath begrüßten. Und plötzlich Europa, so lange bedroht, Empfängst du den düstern, den wandeinen Tod! Europa, im innersten Herzen entzweit, Vom Wahnsinn des Hochmuths getrieben, Um Freiheit und Herrschaft in wüthendem Streit, Gepeinigt durch Selbstsucht und prahlenden Neid, Erkaltet im Glauben und Lieben; Europa, das Wunden in Wunden sich reißt, Erblickt jetzt den finstern, den mordenden Geist.

Asiatische Hydra Da fühlt, wer im Taumel des Glücks gelebt: Nun gilt es den theuersten Gütern! Es grauset dem Starken; der Schwächling erbebt; Der Herrscher, der jüngst nur nach Siegen gestrebt, Ruft Krieger und Aerzte zu Hütern. Doch Kunst nicht und Speere, nicht Furcht und nicht Hohn Entwaffnen des Ganges gewaltigen Sohn. Entfliehe nur, Weichling! er schlägt dich im Fliehn! Birg, Prasser, dich tief in Palästen! Dich fället dein eigener, zagender Sinn, Der Würger umschleicht dich, nun ist er darin, Würgt mitten dich unter den Gästen. Trink, Zecher, dir Muth! wenn der Droher dich trifft, So wird dir die Labung ein tödtliches Gift! Du büßest den Stumpfsinn, du dürftige Schaar, Die thierisch dem Schmutz sich vermählet. Du drängst dich zusammen, verlachst die Gefahr: Da faßt das Gespenst dich beim sträubenden Haar, Da stürzen die Haufen entseelet. Und wähnt nun ein Reicher, ihn schütze sein Gut, So saugt schon der Vampyr sein stockendes Blut.

[In mattes Schweigen sinken rings die Auen]8 In mattes Schweigen sinken rings die Auen Und schwarze Wolken ziehn am Himmel auf! Das dumpfe Schweigen ruft mit Furcht und Grauen Des Unglücks Nacht ans Tageslicht herauf! Es schwebt der Geist in jene Zeit hinüber Die Graun und Tod auch dieser Stadt gebar; Wo täglich drohender und täglich trüber Der Horizont des armen Lebens war. Es tritt die Phantasie zu jenem Bilde Das, zitternd, uns der Väters schwache Hand Gezeichnet hat; wo bleich, auf dem Gefilde Der Todesengel Goldbergs, drohend stand. Das Schwerdt in seiner Rechten gab das Zeichen Und aus der finstern Macht des Abgrunds drang Die Pest herauf - und Lust und Leben weichen Die Furcht nur schreitet näher, ernst und bang. -

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Jetzt hebt die Pest die giftgeschwoll'nen Schwingen Hoch rauschend, über Stadt und Land und Flur! Sie senkt sich nieder! - Ihre Hauche bringen Nur Tod und nichts als Tod in die Natur! Und ihre unsichtbaren Netze ziehen Sich immer dichter um die Menschen-Schaar, Und da ist kein Erretten, kein Entfliehen! Nacht birgt die Mörderin, die sie gebar! Hier sinkt, ergriffen von dem bleichen Würger, Das Kind, entseelet, von der Mutter Schoos, Dort aus der Werkstatt ruft er schnell den Bürger Und den Ernährer, schnell und schonungslos. Hier sieht der Bräutigam die Braut erbleichen Vom Todeskampfe das Gesicht entstellt. Es thürmen Leichen immer sich auf Leichen! Ein gräßlich schauerliches Todtenfeld!! Bald ist das Maas des Elend voll geworden; Zerrissen bald ist jeder Liebe Band; Bald giebts nichts mehr zu würgen und zu morden Zur Sa[ha]rawüste wird das schöne Land. Nur wenige sind noch dem Schwerdt entronnen, Dem Todesschwerdt', das über Goldberg hing, Als ihr des Herren Huld mit ihren Sonnen Und ihrem Strahlenglanze unterging. Und als in namenloser Angst und Wehen, Zerrissen von dem grausenvollsten Schmerz, Die letzten Sieben nun beisammen stehen; Da senkt sich Himmelstrost ins wunde Herz. Ermannt erheben sie sich aus dem Staube, Geöffnet sehen sie der Gnade Thor! Und nieder steigt die Hoffnung und der Glaube, Der Blick voll Trost hebt sich zu Gott empor! Ja! Vater! ja! auf Dich nur muß man bauen! Verhüllt nicht immer ist Dein Angesicht! Ein Wink von Dir - und finstrer Mächte Grauen Verwandelt sich in Klarheit und in Licht! Sieh! ist das Schreckbild der vergangnen Zeiten Nicht, mit dem Pestenhauch, uns wieder nah? Sahn wir den Würger nicht schon näher schreiten Im fürchterlichen Gift der Cholera?

Asiatische Hydra Schon ging die Todespost von Mund zu Munde, Als Asien die Schreckliche gebar, Mit Qual und ungeheurem Schmerz im Bunde Stieg näher uns die drohendste Gefahr! Doch wenn in trauernden Cypressenhainen Schon, geisterbleich, des Menschen Hoffnung schleicht, Da läßt der Herr uns Licht und Gnade scheinen! Der Tod entflieht - und die Gefahr entweicht! So laßt uns denn in diesem Bilde schauen Des Herren Gnade und des Herrn Gericht, Was zu den Enkeln aus der Vorzeit grauen Vergangnen Zeiten die Geschichte spricht! Und wär's dem Dichter, wär es uns gelungen Und mahlten wir Euch wahr und treu dies Bild So hätten wir den schönsten Preis errungen Und unsrer Hoffnung kühnsten Wunsch erfüllt.

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2. Tod und Leben Todesschauer9 Ja, Geliebte, der mein Leben Seel' um Seele sich vermählt, Glaub' es meines Herzens Beben: Unsre Tage sind gezählt. Kommen wird die schwere Stunde, Die den letzten Kelch mir reicht, Und die finstere Secunde, Die auch Deine Wangen bleicht. Dieses Auge, meine Sonne, Wenn des Schicksals Nacht gedroht, Dieses Lächeln, meine Wonne, Diese Wangen küßt der Tod. Diese Lippe wird verstummen, Die mir oft Entzückung klang, Und es tönt mit hohlem Summen Einst am Grab der Grabgesang. Ob dann bittrer wohl das Scheiden, Dem der Seele Seel' entflieht, Oder der im Todesleiden Den Verlaßnen ringen sieht?

Verzweiflung10 Die Winde wehen schaurig Die schwarzen Wolken her; Der bleiche Mond blickt traurig Dort in das wilde Meer. Es wogen die Gesträuche, Es zittert schon die Eiche Ich athme tief und schwer. Es kreischen grell die Eulen Und flattern über mir Die gieren Wölfe heulen

Tod und Leben Entschlossen steht ich hier. Was pocht das Herz gewaltig? Wohlan! die Hände falt' ich, Und rufe, Gott, zu dir. Horch! eben schlägt es Zwölfe Dumpf trauernd durch die Nacht, Gerechter Himmel helfe, Mein Schmerz ist aufgewacht. Umsonst - die Donner grollen Dem Leidenden und rollen Mit fürchterlicher Macht! Zuckt fort ihr falben Blitze, Beleuchtet meine Bahn, Hier zu der Felsenspitze H i r n ich in Angst hinan. Der Regen stürzt hernieder, Es zittern meine Glieder, Und kalt faßt es mich an. Hier, nicht in Fieber-Grausen, Hol' schwarzer Freund mich ab; Dort, in das wilde Brausen, Stürz' ich mich jetzt hinab. Dort, Tod, will ich mich stellen! Ihr riesenhohen Wellen, Gebt mir das feuchte Grab! -

Einem höchst achtbaren Bürger Breslau' Gern ehret unsre gute Stadt die Todten In frommen Leichenzügen, und entbeuth, Was ihnen oft das Leben nicht geboten, Der Anerkennung Dank beim Grabgeläut. Doch auch den letzten Kranz versaget heut' Der gräßlichste von allen Todesboten, Und still hinaus Trägt man auch dich in der Verwesung Haus. Doch du im Leben ferne dem Gedränge, Bei deiner Werke Ruhm gern unsichtbar, Bedurftest nicht der lauten Trauermenge, Denn deine Werke tönen immerdar.

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Sie tönen in der Kirche heil'gen Hallen, Wo eine Nachwelt du dir hast erbaut; Und wenn der Andacht fromme Herzen wallen, Dann sind sie deinem Sinn und Geist vertraut. Dann ehren sie, was du für sie begründet, Der Orgel Feierklang, der Gott verkündet, Dein Werk, dein Bau, dein christliches Vermächtniß Verewigen dein Leben und Gedächtniß. Dir tönet noch des frommen Trostes Dank, Und der Trost Jesu ist dein Grabgesang, Aus dem zum Frieden in dem ew'gen Leben, Wie du, sich die Lebendigen erheben. In deiner Heimath Kirche, die du bautest, Denkt, wie du warst, manch freundliches Gemüth, In deinem Heiligthum für Gott erglüht, Dich ehrend, daß du dort das Leben schautest. In Liebe denket dein, wer dich gekannt. Der Lebensgnügsamkeit zufriednes Land Bebautest du in deinem stillen Kreise, Und halfest durch der Zeiten Pfad und Reise, Wo du gekonnt, dem frommen Pilger fort. Unendlich, wie von Mai zu Mai die Saaten, Verjüngen sich die Keime deiner Thaten, und Kronen dort.

[Hegels Tod. An Heinrich Leo]12 In einsamer Klause saß ich gestern trüb' gestimmt, Was das Leben giebt, bedenkend, und wie es der Tod uns nimmt; Wie so wohl es thut im Leben, nicht zu sein verwaist, verlassen: Mitgefühl, es stärkt zum Lieben, Mitgefühl, es stärkt zum Hassen. Und tief fühlt' ich das Vertrauen, was Du gestern mit gezeigt, Als Du jener Trauerkunde herben Kelch mir dargereicht; Und ich dachte, wie so Vieles Du bei mir gewirkt im Stillen, Angeregt entschied' ne Bildung, Kräftigung und schwanken Willen. Hieroglyphisch Dir zu zeigen, was ich stets für Dich empfunden, Send' ich dieses Buch Dir jetzo, Frucht von arbeitsel'gen Stunden, Denn es ist von dem Geliebten, der dahin nun, ausgegangen, Und zugleich von Deiner Forschung hat es manchen Keim empfangen.

Tod und Leben Lebe wohl und denk' bei diesem Buch an das, was wir verloren, Denke, wie durch seine Weihe viel im Geiste neugeboren, Und wie alles Thun und Wissen doppelt uns durchdringt das Herz, Wenn ein Andrer theilt des Wissens, wie des Lebens Freud* und Schmerz.

Nachruf an Hegel13 Den schönen Stolz der Erde zu verderben Ruft eifersüchtig eine bess're Welt Den hohen Denker zu sich - er muß sterben, Weil er dem Kreis der Seeligen gefällt; Denn um an Ihm sich himmlisch zu entzücken, Muß jene Welt den Theuern uns entrücken! Die Hoheit seines Geist's, des Herzens Tiefe Führt' ihn auf eine wundervolle Flur: Daß er den Glauben und das Wissen riefe Zu einem Seyn; - ein Priester der Natur Hat göttlich groß der Wissenschaft das Leben In ihrem Seyn sein göttlich Seyn gegeben! Er hat's vollendet - ist von uns geschieden An seinem Grabe trauert eine Welt — Wohl wußten wir von ihm, daß uns hienieden Kein süßes Band auf immer feste hält. Es ist das Ufer nur von Ewigkeiten, An dem wir stehn, uns himmlisch zu bereiten. Doch ihm ist wohl. Er hat sie nun gefunden Des Geistes Hoheit, die er hier erkannt. Die Hoheit Gottes, die in heil'gen Stunden Er vor sein Auge zog mit Geister-Hand Schaut er erstaunt! - Ihm ist die Macht gegeben, Unendlich hier, unsterblich dort zu leben!

[Auf Hegels Tod]14 Graun voller Dämon ohne Myrt' und Urne! Der schmerzgefüllt auf unerkanntem Pfad, Mit wüstem Schritt auf tragischem Kothurne In dieses Leben voller Ordnung trat -

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Grausamer Todesengel, deßen Hauche Das süße Kind an Mutterbrust erliegt; Der mit dem Blick aus tiefversunknem Auge Des Jünglings Muth, des Mannes Kraft besiegt О finsterer Engel, welcher voll Begierde Hineindrang in der stillen Geister Haus Und mit der Fackel seine Stirn berührte Welch ein Geist losch diese Fackel aus! Gab nicht genug zu trinken und zu bleiben Des Ganges Aue, Persiens Lebensbaum? Fand zu verheeren in den weiten Reisen Von Skythia dein wilder Fuß nicht Raum? Warum der Menschheit schönsten Kranz zertreten, Den ihre Kunst und ihre Liebe flocht! Ach! seit du nahtest, trauern alle Stätten, Und jedes Herz voll Angst und Kummer pocht. Was gab dir Kraft an dieses Weisen Hülle, Aus der Natur zum Geiste sich verklärt; Durch deßen Mund der Menschheit T i e f und Fülle Als Gottesbild in Menschenform bewährt? Gnaade mir, dem erdgebornen Menschen, О Dämon, wohl, wohl ich erkenne dich: Dein Angesicht läßt mich die Antwort lesen Sieh mich nicht an - dein Blick erschüttert mich! Dich mißt mein Aug: es schaudert mein Gebeine; Mein Blut erstarrt, und all mein Denken ist: „Dieß Fleisch ist Saat nur in des Todes Scheune; Gedenke, daß du Staub und Asche bist!" Die Erde grünet; froh ist das Gemüthe; Die Sinne spielen; und der Geist ist klar Des Todes Hand streift jede Erdenblüthe, Des Kindes Locke und das greise Haar; So dringt Vernichtung ins Gebet der Frommen, Und selbst des Sehers Wort und Form verwest. Doch! - Geist und Leben bleibet unbenommen: Die Urne birgt des höhern Lebens Nest. Aus diesem Reich, wo Kunst und Menschenliebe Erschafft des Daseins schönste Wirklichkeit,

Tod und Leben Wo alle Götter für des Staats Getriebe Die rasche Hand, das rege Herz bereit Bist edler Geist, du nun hinaufgegangen, Wo schon die Kindheit ihren Himmel baut, Wonach schon hier Herz und Gemüth verlangen, Wo man verklärt der Menschen Seelen schaut Ins Reich des Glaubens, wo mit Friedenskronen Die hochbegabten Seher alle stehn, Und, mit dem Bruderkuße dir zu lohnen, Erwartungsvoll dir längst entgegensehn. Du hast gerungen und geschmerzt - hienieden, Weil an der Gottheit nur dein Auge hing, Der dir Natur den Götterblick beschieden, Dein Geist der eignen Sphäre Bahnen ging Wohlan! so wandle mit der Lorbeerkrone, Die lang bereit im Reich des Glaubens lag, Hinauf zu deines Ideales Throne! Wer, Freunde, eilt dem wackren Seher nach?

Auf Hegel's Tod15 „Wen suchst du, Jüngling, mit dem Thränenblicke Auf dieses Friedhofs öder Todtenflur? Das Haupt gebeugt von herbem Mißgeschicke, Umwandelst du der frischen Gräber Spur. Ist's die Geliebte, die im Liebesglücke Des Todes starren Herrscherruf erfuhr, Ist's der Vater, Mutter, Freund, zu deren Schlummer Dein Schritt geleitet dich in schwerem Kummer?" Ja! Vater, Lehrer, Freund darf ich dich nennen, Dich, theurer Mann, den jetzt das Grab umfängt. An deinem Hügel laß mich dir bekennen, Wie oft zu dir mein Herz sich hingedrängt, Wie oft du meinen Jünglingsgeist entbrennen Gemacht, wenn du zur Wahrheit ihn gelenkt! Verzeih', daß ich auch weihe meine Zähre Dir, Hegel, Deutschland's Stolz und Ruhm und Ehre.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Und in dem Grabe muß ich dich begrüßen, Der ich gehofft, mit neuer Jugendkraft Zu sitzen wiederum zu deinen Füßen, Von dir zu lernen hohe Wissenschaft! О keine Freude kann mein Leid versüßen, Da dich des Todes Arm hinweggerafft. Wer wird, wie du, der Weisheit Bahn mir zeigen, Wer, so wie du, die höchste Höh' ersteigen? Ach leer, verödet stehet jetzt die Stät[t]e, Wo freudig sonst dein Weisheitsruf erscholl! Mit keckem Fuße Keiner sie betrete, Der dir gebracht nicht seines Dankes Zoll: Denn du erforschtest da, wo Keiner spähte Des Geistes Gang, und deinem Mund entquoll Der höchsten Weisheit höchste Geistesblüthe. Du Einziger an Geist und an Gemüthe! Denn wer, wie Du, des tieffsten Wissens Früchte Gesammelt und dabei Bescheidenheit Und Demuth paart, wer bei dem hellsten Lichte Zugleich bedenkt des Auges Sicherheit, Wer nur der Wahrheit ew'gem Glanzgesichte Sein ganzes Seyn, sein Leben, Denken weiht; Der hat der Menschheit höchstes Ziel errungen, Sein hoher Namen lebt auf allen Zungen. Doch jetzt! - О klaget Deutschland's Söhne, Klagt alle Völker! Sehet dort sein Grab! Der heil'gen Klage Weheruf ertöne; Denn wer wird geben uns, was er uns gab? Doch klagen, Brüder? - Nein! in ew'ger Schöne Schwebt dort sein Geist, er blickt auf uns herab Uns ruft uns zu: Nicht ziemet euch das Klagen; Zur Wahrheit ward mein Geist emporgetragen! Ja, großer Meister, du hast nun errungen, Wonach gestrebt du ohne Rast und Ruh'. Was du geahnt, was dir von fern erklungen, Das strömt in Glanzesfülle jetzt dir zu. Uns strahlen ewig die Erinnerungen, Die durch dein Leben uns erwecket du: So lange Wahrheit noch den Geist durchglühet, In ew'ger Jugendzier dein Namen blühet!

Tod und Leben Umschwebe mich mit deiner Geistesfülle, Du Sel'ger, sey hinfort mein Lehrer noch, Daß ich, wie du, in Demuth stets mich hülle, Zersprenge stets der Geistesfeßler Joch, Der Wahrheit Schleier mehr und mehr enthülle; Denn ewig, ewig bleibt die Wahrheit doch! Daß deiner würdig meinen Lauf ich schließe, Einst an der Wahrheit Busen dich begrüße.

Erlösungstrost16 „Was meint Ihr? Ich bin erlöst vom Leiden. Lang' hatt ich angeklopft und viel gesucht, Mein Herz am Glück der Erd' einst noch zu weiden: Doch sah ich nie der eitlen Mühe Frucht! Ich muß von hinnen unbefriedigt scheiden; Mir ward nur aufgethan des Grabes Bucht. Was Jesus uns zu suchen hat empfohlen, Ist nicht in diesem Weltgewühl zu holen." „Wer Pflichten trägt, genieß' auch gleichviel Rechte: Jemehr man Rechte hat, jemehr der Pflicht. Die Welt erschuf den Herrenstand und Knechte, Der Allen gleiche Gott und Vater nicht. Nicht über Gute nur, auch über Schlechte Ergießt sein Regen sich und strahlt sein Licht: Und läßt er Pest aus Asien erscheinen, Sie mäht hinweg die Großen wie die Kleinen." Als diese Geisterstimme war verklungen, Trug man die Hüll' ins kühle Grab hinaus, Von der sich ihre Seele losgerungen, Um heimzukehren in des Vaters Haus. Durch Nebel hatte sie sich aufgeschwungen: Der Nebel fiel in Tröpflein Morgenthau's. Blieb auch der Nebel neben uns noch dichter, War über uns der Himmelsflor doch lichter.

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Ermunterung17 Heiter auch in ernster Zeit! Wandr' ich um die Straßenecken, Tret' ich in des Freundes Haus, Wandl' ich draußen meine Strecken, Treff ich stets nur einen Schrecken, Hör' ich stets nur Angst und Graus. Welche Seufzer! welche Klagen! Ist so grell denn die Gefahr? Laßt es euch zum Tröste sagen: Was man spricht in unsern Tagen, Ist nicht immer allzu wahr. Von der Zeiten wildem Grimme Seufzen sie so tief und schwer, Nicht bedenkend, daß die Stimme Sich vergrößert, die das Schlimme Meldet aus der Ferne her. Nach dem Osten blickt ihr bange? Werft von Euch des Herzens Joch! Laßt sie kommen jene Schlange, Die mit schleichend sich'rem Gange Tausend Meilen schon durchkroch. Kann die Hand sie nicht erlegen, Zähmt sie doch der frohe Muth! Wer ihr herzhaft - nicht verwegen Festen Sinnes tritt entgegen, Der bemeistert ihre Wuth. Mag sie tückisch Euch belauern, Ist ihr Zahn doch nicht so arg! Darum, Freunde, laßt das Trauern! Reißt Euch aus den Fieberschauern, Seht nicht immer Tod und Sarg! Muß sie fordern ihre Gaben, Wenn ihr Reif auch uns umschlang, Mögen wir nur die begraben, Die im Herzen Böses haben, - Wie ein wackrer Dichter sang.

Tod und Leben Aber in den schönen Landen, Wo wir wohnen, zittert nicht! Haben wir in Kriegesbanden Nicht schon Aergeres bestanden? Schlug uns nieder ihr Gewicht? Wenn uns trübes Leid getroffen, Blieb den Klagenden kein Trost? Bleibt die Wunde ewig offen? Darf der Mensch nicht wieder hoffen, Wenn des Sturmes Nacht vertost? Laßt uns ruhig vorwärts schauen! Golden bleibt der Sonne Glanz! Auf uns selber laßt uns bauen! Habt auf Gott ein fest Vertrauen! Und auf unsern Vater Franzi Wird der Himmel manchmahl trüber, Ist er morgen trüb wie heut'? Jede Wolke flieht hinüber, Auch das Böse geht vorüber, Und es kommt die gute Zeitl

Nach langem Unwetter. 183118 Lang barg der Himmel unter Wolkendecken, In dichte Schleier tief sein Angesicht; Kein Sternenglanz, kein heitres Sternenlicht Beleuchtete der Erde finstre Strecken. Doch, wie zu neuer Lust die Welt zu wecken, Grüßt er ein Frühlingswecken und durchbricht Mit leichtem Glanz die Wolken, lächelt, spricht: „Nicht ewig soll Euch Nacht und Grauen schrecken!" Und wieder gibt er warme, schöne Tage, Und neigt sich, wie mit Mutterblick hernieder, Wie sonst, der Erde freundlich zugekehrt. Und lausch' ich still, so ist's, als ob er sage: „Der Himmel grüßt, die Erde lächelt wieder, О seid des Grußes, seid des Lächelns werth!"

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Am Wechselpunkte zweier Jahre19 1831 Du strömst dahin! Noch wenige Minuten Und die Vergangenheit begräbt Dich schon In ihres Meeres unermess'nen Fluthen, Wohin die Jahre all' vor Dir entfloh'n, Fragst nicht mehr, wie viel Herzen in Dir bluten, Wie vielen schuldig Du verdienten Lohn; Dein Reich ist aus, der Sand der Uhr verronnen, Verfehlst was fehlt, gewonnen was gewonnen. Du dunkle Macht, mit unsichtbaren Flügeln Umschwebst Du uns und reißest uns mit fort, Weilst länger nicht hier über Leichenhügeln Wie über jungen Myrthenkronen dort, Dich kann die Bitte, Dich Gewalt nicht zügeln, Dich fesseln nicht das mächt'ge Herrscherwort; Dahin! dahin! - bald stehn wir an der Gränze Und bringen Dir dann Thränen oder Kränze. Ob Du verdient der Blüthen holde Gabe, Die Dankbarkeit der Wohlthat freudig weiht, Ob Dich der Trauerflor zu decken habe, Verfehlter Wünsche, tiefer Schmerzen Kleid, Sag' selbst es Dir an Deinem nahen Grabe, Vergang'ne, schwere, räthselvolle Zeit; Versuch es nicht, Dich selbst jetzt zu belügen, Des Richters Waage läßt sich nimmer trügen. Und sieh' wie hier die bangen Lippen beben In ihres Elends schmerzlichem Gewicht, Dort Hände jammernd sich zum Himmel heben, Daß also streng sein heiliges Gericht, Und theure Leben trennen sich vom Leben Das in der Seuche wildem Rasen bricht, Und Hoffnungen verweh'n, und selbst die Freude Kaum lächeln kann beim allgemeinen Leide. Hinweg! hinweg! Nur weise Geschenke Läßt uns Dein Flug am Scheidepunkt zurück, Daß dankbar doch auf Deine Laufbahn lenke Sich hier und dort ein heit'rer Segensblick,

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Tod und Leben Ein Herz Dir schlage, ein Beglückter denke An Deines Waltens zweifelhaftes Glück. Hinweg zum Meer, wo Deine Brüder weilen, Mit allem Irdischen Dein Loos zu theilen.

1832 Du aber, Jüngling! mit den Sonnenlocken, Der schon der Berge Spitzen leis' berührt, Vom heut'gen Tag mit purrorrothen Socken Im Festgewande froh heraufgeführt, Umwind die Stirn mit Hyazinthenglocken, Ein Bräutigam, der seine Braut erkürt, Noch ruht die Erde unter schnee'ger Decke, Hauch' mild sie an, daß sie Dein Athem wecke; Und dann streu' Rosen statt der Dornenspende, Die nur zu schmerzlich früher sie verletzt; Entfess'le ihre banggewund'nen Hände, Das Auge trock'ne, das die Thräne netzt, Den Blick zur Hoffnung wiederum ihr wende, Der oft vor'm Graun des Jammers sich entsetzt, Und laß sie aufstehn in der edlen Schöne, Daß sie für Dich als würd'ge Braut sich kröne. Du hast der Tage viel in Deiner rechten, Der Nächte viel in Deiner linken Hand, Laß sie sich zum Geweb' des Jahrs verflechten, So wie ein gold'nes, helles Festgewand, Dein Wort gebeut den noch verhüllten Mächten Mit Lilienstab wie mit der Fackel Brand, O, laß die wilden ruh'η in ihren Höhlen Und milde nur der Erde Herz beseelen. Schon hellt Dein erster Tag sich, schon beginnet Der Menschen Thun das nimmer müde Spiel, Gib Dein Gedeih'η dem was die Weisheit sinnet, Führ' wackres Streben an's ersehnte Ziel, Und was dem Herzen Zuversicht gewinnet, Gewähr's dem treuen, redlichen Gefühl, Daß sich die Gaben Deiner Milde häufen, Und Deine Tritte nur von Segen träufen.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Auch Du bist Strahl des Lichts, das unergründet Als Weltensonne war seit Ewigkeit, An dem das Aug' der Sterblichen erblindet Und der Gedanke doch sich wärmt und freut, Bist eine Form nur, die das Kleid umwindet, Das Erdgeborne nennen ihre Zeit, Erleucht' uns, Glanz aus ewig reiner Quelle, Daß, selbst trüb', doch unser Pfad sich helle. Denn Eins nur ist, was alles überwindet, Dem keine Macht die geist'gen Schwingen lähmt, Das in uns selbst das Dankesopfer zündet, Ob ihr uns auch den äußern Altär nähmt, Das Unheiltrotz'ge Erdenkräfte bindet Und finstern Aufruhrs wilde Leuen zähmt, Nur Eins, und fest laßt uns an diesem halten: Der Glaube an der ew'gen Vorsicht Walten.

Rückblick auf das alte Jahr20 Es wankt' am offnen Sarkophage Das Jahr, der greise Sohn der Zeit, Mit Schmerz gedenkend jener Tage, Die er des Schicksals Grimm geweiht; Vergebens richtet sich sein Sehnen Nach des Beginnens erstem Glück Ach, keine Wünsche, keine Thränen Erflehen jene Zeit zurück! Vereint dem Arm der Schicksalsmächte, Trieb es hervor des Unheils Saat, Es wagte an der Thronen Rechte Die Willkühr sich mit kecker That; Es rankte sich der Fluch zusammen, Der Zwietracht Hyder flog empor, Und unter Aufruhr, Krieg und Flammen Sank des Gedeihens Licht und Flor. Ein Ungeheuer, wild erzeuget Von Furien mit grimmer Lust, Zum Fluch der Menschheit stark gesäuget An des Verderbens gift'ger Brust,

Tod und Leben Sucht, emsig Qual und Tod verbreitend, Ein Vampyr an des Lebens Keim, Aus fremder Weite vorwärts schreitend, Auch unsre Fluren gierig heim. Und so viel Weh', ein wuchernd Treiben Des Unkrauts, während beßre Saat, Trotz edlerer Gefühle Sträuben, Nur sparsam wuchs auf unserm Pfad? Und all dies Unheil, diese Plagen, Dies stete Wogen der Gefahr, Dies Nachtgewühl von Angst und Klagen Die grause Frucht von einem Jahr. Ja - eines Jahres feindlich Streben Vermocht' es, mit empörter Macht, So manches Glück, so manches Leben Zu stürzen in des Elends Nacht. Wer harrt in solcher Nacht, die trübe Den Muth bedrohet, bei uns aus? Auch! Hoffnung nur, die stets mit Liebe Den Armen führt durch Nacht und Graus! Vergebens kargt mit den Sekunden Indeß der Zeit ergrauter Sohn, Ihr Geist, von kaltem Ernst umwunden, Spricht der zu späten Reue Hohn. So haltet denn des Glückes Saaten Ihr, denen sie noch grünen, fest; Denn Thorheit unterläßt oft Thaten, Die keine Reue mehr erpreßt.

Dem 26. Februar 183221 Des abgeblühten Jahres Engel Mit mild zu dir gekehrtem Blick Schwingt sich, entrückt dem Land der Mängel, In's Reich der Ewigkeit zurück. Doch eh' von der gewohnten Stelle, Eh' er von deiner Hand sich reißt, Küßt er hinweg der Thränen Quelle Die dir vom blassen Antlitz fleußt.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Und wie ein Sonnenstrahl durch Nächte, So fällt sein Himmelsblick auf dich, Zu dir dann wendet seine Rechte, Sein Wort zum Bruderengel sich: „Nimm hin mit kaumverharrschter Wunde Sie, die erlegen fast dem Gram, Als Gott in jener harten Stunde Vom Herzen ihr das Liebste nahm." „Ich stand bei ihr, vernahm ihr Klagen, Sah tief in das zerrißne Herz, Und ihre Seele hört' ich sagen: Ihr Engel kennt nicht meinen Schmerz!" „Ihr fühltet nicht der Eltern Jammer, Die ungehört um Fassung flehn, Wenn sie in ihrer stillen Kammer Des Lieblings Bett verwaiset sehn." „Ihr fühlet nicht der Hände Beben, Die um ein sterbend Kind sich mühn — Wie säht ihr wohl solch holdes Leben Sonst ungerührt von hinnen fliehn? - " „Da weht' ich mit erhobnem Flügel Der armen Brust Erquickung zu Und zeigt' ihr in des Traumes Spiegel Des Engels Glück, des Kindes Ruh." „Die Opfer mußte sie des Boten, Des tiefverhüllten, fallen sehn, Der an den Hügeln theurer Todten Oft ließ ein Weib ganz einsam stehn." „Dann zeigt' ich ihr die frohen Kleinen, Des Hauses Glück, des Gattens Treu', Uns sie gestand mit milderm Weinen Daß sie noch hochbegnadigt sei." „Nun laß ich mit gefaßterm Herzen Die Heutgeborne dir zurück: Gieb du ihr nach den tiefen Schmerzen Des höhern Frieden volles Glück."

Tod und Leben „Laß ahnen sie in frommer Freude, Das Knie gebeugt am Felsaltar, Daß ihr in ihrem schwersten Leide Des Vaters Lieb' am nächsten war." Der Engel flieht. Und um Gemüthe Fühlst du, Geliebte, dich erhöht, Weil stets ein Strahl der ewgen Güte Unsichtbar dir zur Seite geht!

Der Talisman. In einem freundschaftlichen Verein vorgetragen22 Es wich so manches Jahr von hinnen, So mancher Wechsel gab sich kund; Doch immer noch, wie bei'm Beginnen, Blüht frisch und kräftig dieser Bund. Noch hält er, nach gewohnter Sitte, Am Zwecke, dem er sich geweiht; Noch grüßen traut in seiner Mitte Sich Biedersinn und Einigkeit. Noch darf sich frei hier offenbaren Des muntern Sinnes reger Hang; Bei Liederschall und Becherklang Entflieh'η der Sorgen düstre Scharen, Entflieht des Welttons schnöder Zwang. Der leichte Scherz ist hier Gebieter, Und mit dem Frohsinn Hand in Hand Umschlingt die Freundschaft die Gemüther Mit ewigheit'rem Zauberband. Auch jetzt zu enggeschloß'nem Kreise In diesem gastlichen Revier Vereinigt uns, nach alter Weise, Des Bundes Stiftungsfeier hier. Doch ob sich gleich in Licht und Leben Der heut'ge Tag wie sonst verjüngt! Wir sehn zugleich nicht ohne Beben Von düstern Zeichen ihn umringt. Und während liebendes Vertrauen Dem Feste höhern Reiz verleiht, Beschleicht uns insgeheim das Grauen Vor einer unheilschwangern Zeit.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Wohin sich unser Auge wendet, Droht vielgestaltige Gefahr Dem Staatsverein, dem Hausaltar, Und was die Menschheit ehrt und schändet, Stellt wechselnd unserm Blick sich dar. In blutig wildem Haß entzweien Sich Herrschermacht und Volksgewalt; Es wird zum Spielwerk der Parteien Was einst für unverletztlich galt. Die alte Ordnung liegt vernichtet, Verjährte Formen sind dahin; Und gierig auf das Neue richtet Im wirren Taumel sich der Sinn. Die aufgereizte Stimmung theilet Das eine Land dem andern mit, Und fremdes Grenzgebiet durcheilet Vertrieb'ner Fürsten flücht'ger Schritt. Dort zeigt im schmutzigtrüben Lichte Der Frechheit sich der Freiheitsdrang, Hier hegt bescheid'ner Sinn die Früchte, Die sieggekrönt der Muth errang. Dort geißelt sklavische Gemüther Nach schnöder Willkühr ein Despot; Hier stirbt, von Fesselzwang bedroht, Im Kampf für seine höchsten Güter Der Kern des Volks den Heldentod. Es sprengt der Ingrimm seine Bande, Es schlägt der Groll in Flammen auf; Und mit des Krieges Feuerbrande, Von Trift zu Trift, von Land zu Lande, Nimmt die Zerstörung ihren Lauf. Zu ihr gesellt, voll Gier nach Beute, Ein würgend Ungeheuer sich, Das aus entleg'ner Himmelsweite Stillheimlich nah und näher schlich. Vor seines Athems gift'gem Wesen Verwelkt des Lebens frische Kraft, Und die ergriffnen Opfer sehen Sich schnell von ihm dahingerafft! So gibt, wohin wir forschend schauen, Nur Unheildeutendes sich kund; So knüpfen auf entfernten Auen Die Kriegswuth und der Seuche Grauen Den schrecklichen Vertilgungsbund!

Tod und Leben So gährt es heimlich allerwegen Und droht, in lauernder Begier, Mit plötzlichen Gewitterschlägen Verderben dort, Verderben hier! -

Wer mag der Zukunft Schleier heben, Und was zu Nachtheil und Gewinn Sich in der Folge wird begeben Erspähen mit prophet'schem Sinn?! Wohl aber soll, wenn ernste Zeiten Mit feindlichem Geschick ihm dröhn, Der Mensch sich in der Stille schon Auf Unwillkomm'nes vorbereiten, Daß nämlich er, kommt es herbei, Mit Muth und Kraft gerüstet sey.

Der Talisman, verlieh'η von oben, Der gegen äuß'rer Stürme Toben Sich stets des sichern Siegs bewußt: Es ist der Fried' in eig 'ner Brustl Erzeugt vom lohnenden Gefühle Der treuvollbrachten Erdenpflicht, Bleibt bei des Schicksals Launenspiele Er unverzagt und wanket nicht. Vertrauend aus des Trübsinns Nächten, Wenn Ungemach und Mißgeschick Ihm Dornen in das Leben flechten, Erhebt er zu den Himmelsmächten Empor den vorwurffreien Blick. Er zeigt sich ruhig und gelassen, Wenn um ihn her im Luftgebiet Sich Sturmgewölk zusammenzieht; Und kräftig weiß er sich zu fassen, Wenn Unvermeidliches geschieht.

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

Aschenlied23 Der Sommer ist dahin, Der Herbst will auch schon ziehn, Der Winter rückt heran, Mit ihm der Aschenmann. Hin ist die schöne Zeit, Wo alles sich erfreut, Ein jeder fürchtet ja Die arge Cholera. Ein Aschen! Man liest an jedem Ort Das abgeschmackte Wort, Und theurer als Juwel Verkaufen s' den Flanell. Ein'η Cholera-Mann hab'n s' auch, Da hält man sich den Bauch, Der Witz, ich steh' dafür, Ist sicher vom Saphir! Ein Aschen! Den Aschenmann sogar Hab'n s' räuchern woll'n fürwahr! Doch lacht er zu dem Spaß, Zeigt seinen G'sundheitspaß. Sagt Bitt' ihn zu visir'n, Ich möcht mich gern skisir'n, Denn hier ist nicht mein Platz Ich fürcht' die Kontumaz. Ein Aschen! Dann eilt er von der Grenz' Zur schönen Residenz, Käm' gerne als Prophet, Daß es ihr wohl ergeht. Frau Cholera, verzieht'! Nach München darfst du nicht! Dich jagt der Aschenmann Mit seiner Krück' davon! Kein Aschen!

Gottes Strafe und Hilfe

3. Gottes Strafe und Hilfe Impromptu24 Christi Jünger sind nicht viel Heut'gen Tag's zu finden; Ost, Süd, West, ohn' Maass und Ziel Lebt im Pfuhl der Sünden. Er, der Ew'ge, aber spricht: Räuchern hilft euch wahrlich nicht, Alle werd' ich finden.

Haggebet in böser Zeit. 10. Dezbr. 183025 Auch wie flößen unsre Tage Uns noch jüngst so golden hin, Keine Thräne, keine Klage Trübte unsern heitern Sinn. Jedes Tages leichte Sorgen Schliefen mit der Sonne ein, Und zu neuer Lust am Morgen Rief uns jedes Frührots Schein. Aber sieh! Der Himmel dunkelt, Alle Freuden fliehen fort, Blutig dort im Westen funkelt Mit dem Höllenblick der Mord. Näher uns und näher bringet Bleiche Pest, ihr Kind, den Tod, Und der Kriegsgott dräuend schwinget Seine Lanze blutigrot. Und wie wenn am falben Himmel Schwarz die Donnerwolke zieht, Bang der Tauben bleich Gewimmel Nach dem trauten Dache flieht, So enteilt mit scheuem Tritte Jeder und bestellt sein Haus, Unterm schwachen Schirm der Hütte Harrend auf des Wetters Graus.

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Zitternd fleucht der bleiche Zecher Aus der Brüder trunkner Schar, Seiner Hand entsinkt der Becher Und der Kranz dem feuchten Haar! Und die Harfe, die zum Feste Eben noch so heiter klang, Einsam stöhnt im schwülen Weste Sie nur Seufzer leis und bang. Und so soll sie schon verglühen, Herr die Erd' in deinem Zorn, Wo noch soviel Blumen blühen, Quillt so mancher goldne Born? Siehe, wie dein Volk im Staube Auf den Knieen vor dir liegt Und die Hoffnung und der Glaube Nassen Auges aufwärts blickt. Auch so höre unsre Lieder, Mächtger Herr Zebaoth, Schau von deinem Himmel nieder Gnädig auf des Volkes Not, Herrlich, die Donnergewölke zerstreue Mit der gewaltigen, göttlichen Hand, Und von des Himmels gereinigter Bläue Lächle die Sonne, die alte, aufs Land!

Der Finger Gottes26 Nach mehr als einer Riesenschlacht, In der Europa's Blut geflossen, Erschien, ein Stern in grauser Nacht, Der Friedensengel lichtumflossen. Ein Welttheil hatte ausgekämpft, Der Ruhe Glück schien ihm beschieden, Der Leidenschaften Gluth gedämpft, Man hoffte einen ew'gen Frieden. Und konnte er's nicht wirklich seyn, Lag's nicht im Plane aller Mächte? War nicht für diesen Zweck allein, Bewaffnet jedes Streiters Rechte?

Gottes Strafe und Hilfe Doch was die Könige gesä't Was gold'ne Früchte sollte bringen, Die Hölle hatte es erspäht, „Es darf - sprach sie - nur halb gelingen". „Ist jener Herrscher Freundschaftsband So unauflöslich fest geschürzet, Wohlan, so werde manches Land In's Unglück durch sich selbst gestürzet." „Der Zeitgeist macht die Sache leicht, Wer sich verführen läßt soll leiden, Es ist für jetzt genug erreicht Wühlt Ein's in seinen Eingeweiden." Schnell war vollbracht, was sie gedroht, Bald sah man Aufruhrsfahnen wehen, Und sah - im Frieden selbst - den Tod Im Schlachtgetümmel furchtbar mähen. Zwar sprach der Herr erbarmungsvoll Zum Herzen der verirrten Kinder, Doch, wußt' gleich Jeder was er soll, Das Gegentheil geschah nicht minder. Da rief der Herr zu seinem Thron Den Engel hin, durch den Er richtet, Denselben, der vor Zeiten schon Egypten's Erstgeburt vernichtet. „Ein nord'scher Fürst - sprach Er - begann Mit ihm verlieh'ner Seelenstärke, Die Pest die täglich Raum gewann Zu hemmen im Verheerungswerke." „Da ändert sich der Dinge Lauf Um ihr den sichern Weg zu bahnen, Ein Volk steht plötzlich feindlich auf, Gezählt zu seinen Unterthanen." „Was für die Menschheit er gethan, Den mächt'gen Damm, den er geschaffen, Es untergräbt ihn jener Wahn Der frevelnd spielt mit Himmelswaffen."

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„Ein Theil der Welt will Krieg und Noth, Ein andrer höhnt und tritt mit Füssen, Was ich zu heiligen geboth; Das Maß ist voll - sie sollen büssen." „Ein Schreckbild der verderbten Zeit Laß' nieder dich zur sünd'gen Erde, Dein Arm fortan der Pest geweiht Ein sichtbar Warnungszeichen werde." „Erst wenn die Ordnung wiederkehrt, Wenn Brüder Brüder nicht bekriegen, Dann hat die Geißel sie belehrt, Dann mag ihr gift'ger Quell versiegen." Jehova sprach das letzte Wort, Da eilt, getragen von den Winden, Der Engel aus der Heimath fort Die Todesopfer aufzufinden.

Die Noth der Zeit. Ein Denkmal derselben27 [...] Und wie ich hinsah gegen Osten, Schrecken Erfaßte seine tiefste Seel' und Grauen, Daß ich mein Aug' wollt mit den Händen decken. Da waren Mißgestalten rings zu schauen, Die flogen auf Pestwolken durch die Lüfte Und schwangen Sensen in den Feuerklauen, Und Tod verbreiteten sie durch ihre Düfte. Wer diese athmet, der ist ihre Beute, Wird bald hinab gesenkt in Grabesklüfte. Sie sind Gebrüder all und nicht von heute; Denn seit Jahrtausenden durchzieh'η sie Länder In wechselnder Gestalt zum Graun'η der Leute, Entreißen ihnen ihre liebsten Pfänder. Die Menschen nennen sie Krankheiten, Schmerzen, Die mitleidlos zerreißen süße Bänder.

Gottes Strafe und Hilfe Wie weinen über sie so viele Herzen, Vergebens sich nach dem Verlornen sehnend, Bis jene Lebensfeind auch ihre Kerzen Arglistig ausgelöscht. Sie hört' ich stöhnend Die Lüfte rings mit Weh' und Angstruf füllen, Die Noth der Sterblichen, so schien es, höhnend; Doch thaten sie das nicht nach ihrem Willen, Nur höherem Winke dienten sie zum Lohne. Ihr Herr, den ein die größten Schrecken hüllen, Sitzt auf dem Schädelhaufen, seinem Throne, Als Scepter packt er seine Sens' und klinget Gebietend seinen Troß nach jeder Zone. Ihn sah ich blitzen - und sein Wink bezwinget Der Geister glüh'nde Wuth, die fort sie treibet, Sobald der Klang in ihre Ohrn dringet. In Nichts sind sie zerstoben und es bleibet Ein einzig Schreckbild, furchtbarer, als alle, Das blutbegierig seine Krallen reibet. Sein Name war sonst nie gehört. Beim Schalle Desselben bebte jedes Herz; denn grause Dinge Erzählte das Gerücht von Hall' zu Halle, Wie es zu Tausenden die Beut' verschlinge, Mit gift'gem Hauch die Eingeweid' zernichte Und dem Getroffnen schnell an's Leben dringe. Vom selben Ort, wo früh' mit ihrem Lichte Die Sonne kommt, wo auch das Heil gekommen, Die Lehr vom Gottessohn, der Alles schlichte, Durch den der alte Funk' der Sünd verglommen, Von dorther zog verwüstend das Gebilde, Das Allgewalt zum Schrecken sich genommen. Unwiderstehlich scheint's, weicht keinem Schilde, Mit dem man gegen and're Uebel streitet, Und streut zur Spur aus Leichen durch's Gefilde. Dem Bruder gleich, der auch zertrümmernd schreitet Durch blutgedünkte Aecker der Besiegten Und sich mit Lorbeer schmückt, vom Ruhm begleitet,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Doch auch vom Ruch und Wehruf der Bekriegten, Dem Scheusal gleich, der Menschen größter Plage, Des Macht gehorsam sich die Völker fügten, Zog dieses Ungethüm, verspottend jede Klage, Im stolzen Siegsgefühl, vorsendend Schrecken, Stieß in die schmetternde Posaune: „Tage Des Wehes und des Grau'nsü" hört ich sie wecken Die Stimme furchtbar, wie des Weltgerichtes, Und sähe jedes Sein empor sich strecken; Nicht, als erwachte es vom Kuß des Lichtes, Wie Bräut' dem Bräutigam entgegen zittern, Nein - wie der Tod am Tage des Gerichtes. [·.·]

Welch' anders Bild erschloß sich meinen Blicken, Als wir von unserm Adler fortgetragen, Uns sah'n zum fernen Osten hin entrücken. Da hörten wir nicht mehr die bittern Klagen, Da war nicht Blässe mehr und Furcht zu schauen, Nicht unermüdet mehr der Leichenwagen, Da bebte man nicht mehr vor Todesgrauen, Des Ungethümes Bild schien schon vergessen, Und man schon läng'rer Lebensfrist zu trauen. Verbannet schon das Angedenken dessen, Der furchtbar aufgeräumt, graunvoll gelichtet Rings unter Menschenkindern, weggefressen Die Lebensblüthen, auf die er gerichtet Sein tödtliches Geschoß. Jetzt kehrt er wieder Zu seinem Herrn, nachdem er ganz verrichtet Den schaurigen Befehl: „Bis seine Glieder Er nicht mehr regen könne, abzuschneiden Was seine Sense träf, die blut'ge Hyder." Jetzt kehrt er heim durch alle jene Leiden Die er erzeugt, und, wo er niederblickte, Sah Spuren seiner Wuth er noch mit Freuden.

Gottes Strafe und Hilfe Dann sahen wir, wie er am Thron' sich bückte, Von Schädeln auferbaut, des Todes Sitze, Auf dessen Knochenhand den Kuß er drückte Der Huldigung und wies stumm auf die Spitze Der Sens', die Tausenden zum Tod geklungen, Wie drauf die Siegstrophäe blutig sitze. Zufrieden nickt sein Herr, daß ihm gelungen Der Mordauftrag, zu dem er ausgesendet, Und daß er jenen blut'gen Sieg errungen. „Ist nun, sprach' ich voll Freud', die Noth geendet, Die über alle Länder rings verbreitet, Wird bald ein neuer Schrecken ausgesendet?" „Ich weiß es nicht, sprach der, der mich begleitet, Die Menschen schmeicheln sich mit Hoffnung immer, Ist nach Verdienst gleich neue Noth bereitet Dem sündigen Geschlechte, das doch nimmer Den Herrn, der strafend bessert, dankbar ehret Und lieber greift nach irdischem Geflimmer. Ob und wie bald der Heil'ge wiederkehret, Das weiß er selbst nur, wenn das Maaß der Sünde Voll ist, die alles höh're Licht verzehret. Dann zeigt er sich dem ernst und dem gelinde, Wie jeder sich zu ihm gestellt, getrachtet Nach seiner Gnade hat, daß er sie finde. [.··]

Die Cholera. Eine poetische Epistel28 Ein neuer Tod, in Indien geboren, Schwingt über uns der Sense scharfe Wehr, Vom Oriente, wo er thronte, Dehnt er sich aus am Horizonte, Zugleich das Land ergreifend und das Meer.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Urplötzlich klopft er an der Menschen Thüre, Unsichtbar, unbekannt, ein Luftgebild, Das ohne Rücksicht und Erbarmen Sein Opfer mit Gigantenarmen In undurchsicht'ge Todesnächte hüllt. Sein Reich ist in der Erde tiefen Schachten, Sein Thron auf Wolkenwogen aufgebaut, Mit Fittigen, von Luft gewoben, Schwebt er gedankenschnell nach oben, Dem Adler gleich, wenn er nach Beute schaut. Und wir hienieden sind die kleinen Wesen, Die ihm bestimmt zum königlichen Raub; Wir ahnen, wie Gewitterschwere, Den Geist in seiner Atmosphäre Und wühlen uns vergeblich in den Staub. Armselig Denken, eitles Menschenwissen, Wie zeigt ihr euch so klein, so ungereift? Ihr müh't den Geist euch auszufragen Und wißt uns weiter nichts zu sagen, Als daß ihr immerdar ihn nicht begreift. Ist es ein Gott! hört man euch staunend rufen, Ist es ein Dämon, diese Cholera? Und sterbend singt ihr heil'ge Lieder, Und sterbend sinkt ihr vor ihr nieder, Gehorcht dem schrecklichen Anathema! Tyrannin ist sie nicht, sie ist die Ruthe, Um welche lang' der Leidende schon bat. Ein Engel ist sie uns gekommen, Ein Richter für die Bösen und die Frommen, Damit sich Mensch dem Menschen wieder naht. Was göttlich ist, es läßt sich nicht erforschen, Und auch bekämpfen lässet es sich nicht. Oft schreiten heit're Himmelsmächte Durch lange schwarze Völkernächte Und hinter ihrem Dunkel her folgt - Licht. Wir haben Großes in der Zeit erlebt; Die alte Welt, sie zuckt im 7ode.skampf, Seit ihr ein neuer Pol geworden. Es sind Prinzipe, die sich morden, Eins muß erliegen in dem ernsten Kampf.

Gottes Strafe und Hilfe Die Opfer fallen, Wenige für Alle. Kehrt in der Folge Ruhe bei uns ein, So mag mit uns der Erdball zittern; Wir wissen, daß nach Ungewittern Zuletzt doch strahlt - der Sonne Friedensschein.

Ode an die Erde. 183129 Was hehlest du in deinen dunklen Pforten, Unruh'ge Erde? Wie ein Mutterleib Thust du dich auf, und wie ein kreis[s]end Weib Bebst du empor und schlitterst aller Orten. Hat Satan seine Kettenlast gesprenget? Ist es die grause Brut der Mitternacht, Die, trotz dem Kreuze, wieder frei sich macht Und zur entsetzlichen Geburt sich dränget? Ach, oder ist's die Fülle uns'rer Leiden, Die endlich bricht dein trauernd Mutterherz, Und fühlst so tief in deiner Menschheit Schmerz, Daß du wie wir dich sehnest zu verscheiden? Gleich Todesengel[n] heben die Kometen Ihr Flammenschwert vor deiner Wandelbahn, Zu ihnen brüllt empor der Ocean Wie eine Creatur in Sterbensnöthen. Gleich Todeslaken lenken sie das bleiche Nordlicht auf dein verzuckendes Gebein. Senkt dich nun bald der Hohepriester ein, Erhab'ne, ausgelitt'ne Weltenleiche? Wie, oder willst du dies Geschlecht nur schrecken, Für das nicht Gott, noch Ewigkeit mehr da? О stirb! - - Kein Zeichen, keine Cholera Kein Aufruhr, nur dein Tod kann es erwecken! Der Seelenschlaf, in den es sich versenket, Er ist so schwer, so tief, so hoffnungslos, So fürchterlich und so entsetzlich - groß, Daß nie es mehr als jetzt zu wachen denket.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung D'rum laß dir Gott die Stätte nur bereiten, Du thränenreiche Mutter, geh' ins Grab Und schüttele den Menschenstaub herab, Und wirble ihn durch alle Sonnenweiten.

Blicke des Glaubens auf Gegenwart und Zukunft30 Der Herr erscheint zum Weltgericht Und mit ihm kommt der Tod. Des Richters Donnerstimme spricht: „Vollziehe mein Gebot! Von meinem Throne ausgesandt, Durchschreit' im Fluge Meer und Land, Daß alle Völker inne werden: Ich herrsch' im Himmel und auf Erden!" Und mit des Todes Nachtgestalt Zieh'η Zwietracht, Haß und Krieg; Das Heil'ge Recht kämpft mit Gewalt Im zweifelhaften Sieg. Am Tejo spricht mit stolzem Ton Der Frevel Gott und Menschen Hohn Und Keiner wagt's aus Sklavenketten Ein tief gesunk'nes Volk zu retten. Dort aber hebt das Schlangenhaupt Empörung hoch empor; Der zarte Oelbaum steht entlaubt, Den sich der Fried' erkor. Wild schleudert sie den Feuerbrand Von Volk zu Volk, von Land zu Land. So pflanzt sie, unter Schutt und Leichen, Entweih'ter Freiheit Siegeszeichen. Da wird des Sehers Spruch erfüllt: „Die Schuld gebiert den Tod!" Und näher schwebt sein Schattenbild, Das längst von fern gedroht. Es klopft, zerstörend eitlen Wahn, An Hütten und Palästen an, Drängt bald den schwachen Greis am Stabe Und bald des Jünglings Kraft zum Grabe.

Gottes Strafe und Hilfe Die Erde wird ein Leichenfeld, Wo, Thränen auszusä'n, Der Tod die große Aernte hält, Vielleicht auch uns zu mäh'n. Doch, naht sein Fuß sich uns'rer Flur Wohlan! der Herrscher der Natur, Der wunderbar beginnt und endet, Hat prüfend dann ihn uns gesendet. Der Herr ist gnädig, groß und mild, Gerecht ist sein Gericht! Wenn ihn vor uns die Nacht verhüllt, Umstrahlt ihn ew'ges Licht. Er herrscht in unerreichten Höh'η Sein heil'ger Wille mag gescheh'n! Wir werden Gottes Rath erkennen Und kindlich froh ihn Vater nennen.

Worte des Trostes. An alle meine Lieben in Glogau in einer Zuschrift an meinen Freund L..... daselbst Wie geht es Dir mein theurer Freund? Du läßt ja gar nichts von Dir hören; Was sagst Du zu dem bösen Feind, Den man umsonst sucht abzuwehren? Die Furie Cholera, sie naht mit Riesenschritten um Unheil und Verderben uns zu bringen; Beginnt an unsrer Grenze schon, trotz Flehn und Bitten die blut'ge Geißel jetzt zu schwingen. Sie spottet keck der Kunst, uns trotzt den Ärzten die alle fast sich wider sie vereint, und zündet leider an die Leichenkerzen, sobald sie nur an einem Ort erscheint. Dies scheußliche Gespenst, - der Hölle tiefsten Schlund entstiegen, zieht mit aufgesperrtem gift'gem Rachen, seit Jahren schon verheerend durch das Erdenrund, und will mit fräß'ger Gier die Welt zur Wüste machen.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Warum, Gerechter! Du dies zugelassen, dem Scheusal nicht gewehrt, der Hölle zu entsteigen, ein Sterblicher vermag es nicht zu fassen, wir müssen werfen uns in Staub und schweigen. Es kann dies Uebel auch vielleicht was Gutes bringen, der Gottheit heil'ge Pläne sind nicht durchzuschauen, wer wagt's mit kühnem Blick in sie hinein zu dringen? drum laßt nur ihrer Güter uns vertrauen. Umschweben uns auch jetzt gespenstische Gestalten und schwanken wir auch schon am schroffen Grabesrand, so laßt uns dennoch fest nur an dem Glauben halten: Hinab läßt uns nicht Sinken Gottes Vaterhand. Zu ihm dem Allbarmherzigen, laßt uns nur wenden das thränend' Aug', den scheuen demuthsvollen Blick, gewiß, er wird uns in der Noth dann Hülfe senden nicht preiß uns geben einem feindlichen Geschick. Des Schicksals Hand, das schwer als Strafe unsrer Schuld auf uns jetzt liegt, sie wird nicht ewig drücken, bald wird der Allgerechte wiederum mit Huld und Gnad' auf seine reu'gen Kinder blicken. Drum laßt getrost uns dieser Hoffnung leben, die Gegenwart uns nicht verbittern; mit Demuth unser Herz zu Gott erheben, und vor der Zukunft nicht erzittern. Auf ihn laßt nur mit Zuversicht uns bauen, so darf, wie schön und fromm der heil'ge Sänger spricht: „vor schwarzen Nachtgebilden uns nicht grauen, erschrecken uns der Pfeil, am Tage zischend, nicht." „Auch nicht die Pest, die mörderisch im Finstern schleicht, noch auch die Windsbraut, die am Mittag wirbelnd kreist, und wenn der Tod, um uns auch Tausende erreicht, Mirjaden Opfer uns auch von der Seite reißt." „Von uns hält Gott ihn dennoch jetzt von Weitem ein Wink von ihm und Engel werden uns umgeben, vorüber muß sodann der Würger schreiten, bis es gefällt dem Herrn zu fordern unser Leben."

Gottes Strafe und Hilfe So weit der fromme, königliche Dichter - der ins Herz mir ganz gesprochen, fest nun ist mein Blick zu Gott gerichtet, und auf ihn vertrauend, kehr getrost ich nun in meine Vaterstadt zurück. Am Orte wo die lieben Menschen hausen will theilen ich mit ihnen das verhängte Loos; und sollten dort auch Stürme mich umbrausen, so fühl' ich sichrer doch, mich in der Heimath Schooß. So scheid' ich denn nun auch von reizend schönen Höhen, und kehre den Sudeten schnell den Rücken; um Dich mein Freund! und meine Theuren bald zu sehn, und an mein sehnsuchtsvolles Herz zu drücken. Ich schick' hierdurch voraus Euch meinen Gruß, und sollten auch die Dinge anders sich gestalten, so ändert dennoch sich nicht mein Entschluß, die Rückreis' tret ich an, und laß das Schicksal walten. So zieh ich muthig bei Euch ein, dort steh ich nicht allein und mit den Meinen im Verein. Wenn auch sich zeigt Freund Hein ich furchte nicht den Klapperbein, denn Gott wird mit uns seyn.

Ziel des Leidens. Als die Cholera morbus in Breslau ihr Ende erreicht hatte32 Was schleichet so düster die Menschheit umher, Was lähmte der Fröhlichkeit Schwingen, Was presset die schmachtenden Herzen so sehr, Daß Klagen nur düster erklingen. Zog wirklich die Freude für immer uns fort, Erschlaffte das kräftige Leben? Selbst Kinder, sie lallen ein lähmendes Wort, Daß Leiber und Seelen erbeben. Die Lüfte verpestet ein düsterer Schall Und Finsterniß hüllet die Tage; Als nahte der Welt sich ihr ewiger Fall, Erwacht die unendliche Klage.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Die blühende Wange des Mädchens erbleicht, Die Thatkraft des Manns ist gebunden, Der glühende Jüngling ermattet, er schleicht Von düsterm Kummer umwunden. Und sinket die Sonn in die grausende Nacht, Erwachen die lauteren Klagen, Da werden die Toten zur Ruhe gebracht Hinaus in dem pomplosen Wagen. Die weinenden Lieben, sie folgen ihm nicht, Sie müssen den Trost auch entbehren Noch treu zu erfüllen die traurige Pflicht, Den Todten geleitend zu ehren. Sie blicken nur thränenden Auges ihm nach, Bald wird ihn die Erde verdecken; Es bleiben die zehrenden Schmerzen wo[h]l wach, Ihn können sie nimmer erwecken. Es reißt die herzlos verzehrende Pest Das Kind aus dem schützenden Arme Der Mutter, die jegliche Freude verläßt, Die hinstirbt in tödtendem Harme. Der Vater erkranket, dem Tode geweiht, Ihn pfleget die Tochter mit Liebe, Ob sie an die Zahl der Opfer sich reiht, Nichts hemmet die heiligen Triebe; Und in dem Erfüllen der liebenden Pflicht Muß sie sich dem Schicksal ergeben, Der Vater geneset, die Pflegerin nicht, Was frommt ihm das traurige Leben? Und wo man die Straßen und Fluren durchzieht, Das wandeln die Menschen und klagen. Da fließen die Thränen, die Wehmuth entflieht, Vom Herzen gen Himmel getragen. Es siehet der Seinen unendlichen Schmerz Der liebende Vater da droben, Er sendet den Trost in's vertrauende Herz, Das betend sich zu ihm erhoben.

Gottes Strafe und Hilfe Es winkt sein Gnade spendender Blick, Das Heil, die Genesung, sie siegen: Es sinket die Pest in den Abgrund zurück, Aus dem sie verheerend entstiegen! Die Freude, der Jubel erwachen a u f s Neu', Die leidende Menschheit geneset, Es fühlen die krankenden Herzen sich frei, Die Fesseln der Angst sind gelöset. Und feurig ertönet der innige Dank Zum Schöpfer des Guten und Besten, Die Tempel erfüllet der preisende Sang, Die Trauer verschwindet in Festen. Die Glücklichen fühlen es innig, die frei Vom Drucke der Zeiten geblieben, Den leidenden Brüdern stehen sie bei, Der Menschlichkeit Thaten zu üben. Das Elend verbreitet des Schrecklichen viel, Manch Schönes auch bringt es zu Tage, Erwecket der Liebe, des Mitleids Gefühl, Den Balsam für Leiden und Plage. Drum verhalle die Klage, drum schweigt der Schmerz, Drum vergesset, was ihr verloren, Erhebet gen Himmel das leidende Herz, Und fühlt Euch zur Freude geboren! Und dankt dem Schöpfer! - es leuchtet das Licht Nach der Finsterniß schaurigen Nächten; Ergebt Euch dem Grame, dem Kummer nur nicht, Die Zukunft wird Kränze Euch flechten; Aus Freuden den nimmer vergänglichen Kranz, Aus Freuden, die Engel Euch bringen; Es schwebt um die Euren ein lichterer Glanz; Bald könnt Ihr sie wieder umschlingen! Denn kurz ist des Daseins hinschwindender Tag, Kurz Leiden der irdischen Welten; Traf Euch auch hienieden manch drückender Schlag, Der Ewige wird ihn vergelten! -

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Ostertage eines Musikanten im schlesischen Gebirge33 Stiller Ernst und Trauer lag Jüngst auf allen Landen, Heut' ist an dem Ostertag Auch die Welt erstanden. Seht ihr dort auf grünen Höh'n, Wo[h]l das Kirchlein prangen? Jungfrau'n, wie die Engel schön, Kommen draus gegangen. Dahin führt der grüne Pfad In ein himmlisch Leben. Was das Aug ersehen hat, Muß das Herz erstreben.

Des Geistes lindes Wehen in Beklommenheit34 „Der hohe Himmel düstert sich; Die Wetterwolke dräut in banger Schwüle. Jäh zückt der Blitz herab auf mich: Ist's nicht schon Todesgrauen, was ich fühle?" Sieh', im nahen Gartenraum Brach der Sturm den greisen Baum! Unversehrt bist Du noch Deinen Lieben, Unversehrt sind sie auch Dir geblieben: Deine Furcht war übertrieben! Gott ist Dein Erhalter! „Des Krieges Fackel lodert hell; In Ost und West erneut sich Blutvergießen! Wer weiß, ob nicht bei uns auch schnell Der Trennung und des Jammers Zähren fließen?" Raubt die bloße Möglichkeit Dir schon die Zufriedenheit? Friedsam denken uns're Landesväter, Aufruhr glückt hier keinem Uebelthäter; Fern von uns sind Volksverräther! Gott ist ein Friedensgeberl

Gottes Strafe und Hilfe „Wie unabwendbar überstieg Fernher die Seuche vielbewehrte Schranken! So wird nun auch vor ihrem Sieg Bald uns're Macht, ach! machtlos, rathlos wanken!" Schwebt nicht Jeder immerdar Unbemerkt in Todgefahr? Muß erst bleiches, dringend nahes Schrecken Euch aus sorglos sich'rem Schlummer wecken? Gottes Fittig kann uns decken. Noch ist Gott Beschirmer! „In Golddurst, Stolz, Genußgier, Neid, In Selbstsucht ist die Welt jetzt arg befangen. Verhöhnt wird Recht und Pflicht und Eid! Vor gänzlicher Entartung muß uns bangen!" Nimm doch auch der Edlen Schar Neben Sinnensklaven wahr! Stiller keimt und grünt und reift das Gute; Grenzen setzt der Herr dem Frevelmuthe Durch der Züchtigungen Ruthe. Gott ist Allvergelterl „Wer wird dann vor ihm bestehn? Unlauterkeit ist unser Aller Wesen! Er birgt sein Antlitz: wir vergehn! Wie kann ich da von Sorg' und Angst genesen?" Sorg' und Wachsamkeit sind Pflicht; Angst und Zweifel ziemt Dir nicht! Thu' in Muth und Demuth gern das Deine; Uebe Heiß und Andacht im Vereine: Fürchte dann der Qualen keine! Gott ist Dein Erbarmer! „Wohin verirrt der Zeitgeist sich? Dem Höchsten weiht man nicht mehr Dank und Ehre; Ja, Kirchlichkeit und Glaub entwich; Entstellt, verlarvt, verlacht wird Christus Lehre!" Leer noch steht kein Gotteshaus; Treu gehn Christus Boten aus, Um den heilbefliss'nen Beterscharen, Die den Götzen nicht ergeben waren, Gottes Huld zu offenbaren. Gott ist Herzenslenker!

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung „Was wird der Staaten Schicksal seyn, Da Alle, statt zu dienen, herrschen wollen? Da Bürger durch einander schrei'n, Wenn sie sich Hohen unterwerfen sollen!" Willkühr wird verdrängt vom Recht; Das Gesetz zwingt Herrn und Knecht! Knüpfen doch im trauten Vaterlande Fürst und Volk der Eintracht Segensbande! Ordnung dient der Ruh' zum Pfände. Gott ist Oberherrscher! „Im Kreislauf müht sich ab die Welt, Und nie gelangt die Menschheit doch zum Ziele! Wer hoch aufstrebt, erlahmt und fällt; Der Sehnsucht Pein verzehrt der Bessern viele!" Murre, meist're, läst're nicht! Grabnacht führt zum ew'gen Licht. Nach der Prüfung wird bewährten Frommen Fessel, Bürd' und Trübsal abgenommen, Daß sie zur Vollendung kommen. Gott ist Heilsvollender!

Sieg im Glauben

4. Sieg im Glauben Im Winter 183135 Der Sturm braust im Geklüft der Brust, Den Grund durchwühlet Weh und Lust; Wie sie des Herzens Anker packen, Da brechen los gewaltge Zacken. Und gegen der Vernichtung Spur Schreit laut empor die Kreatur, Mit ungeheuren Flügelschlägen Will sie das Haus des Todes fegen. Das Haus des Todes wird nicht leer, Es füllt sich stündlich mehr und mehr, Es füllet Kammer sich bei Kammer Mit immer neuem Erdenjammer. Und Kampf um Kampf und Qual um Qual! Es hält der Tod sein Freudenmahl, Es tanzt mit hochgeschwungner Hippe Im Kreis, ein scheußlich Beingerippe. Wie bleich und blutlos jeder Gast! Du hast sie nur zu gut gefaßt; Ringsum bei schauervollem Schweigen Sie sind jetzt dein, sie sind dein eigen. — Was jubelst du mit grellem Ton? Tod, bleicher Sünder, laß den Hohn! Du bist gestürzt, dein Reich vernichtet, Des Lebens Fürst hat dich gerichtet! Wie scharf auch deine Sichel saust, Wie schneidend auch dein Ruf erbraust, Wie gierig auch mit frischer Speise Dein Haus du füllst im Zeitenkreise. О Tod, wie eng ist doch dein Kleid! Auf rollt der Vorhang - Ewigkeit Liegt vor dem Blick mit tausend Sonnen In Nichts ist deine Macht zerronnen!

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

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In trüber Zeit36 So tief erschüttert ist der Staaten Leben, Und überall bedroh'n uns schwere Leiden, Selbst die Cholera droht nicht mehr von weitem, Und naht sich uns trotz allem Widerstreben, Daß in die Zukunft schaut der Blick mit Beben, Daß, um uns sich're Tröstung zu bereiten, Gar zu unsicher sind die Wirklichkeiten, Und - nicht die äußre Welt kann Freud' uns geben. Drum magst Du, strebst Du nach der Seele Frieden, Und willst Du sich're Freude Dir bereiten, Den Abschiedsgruß der äußern Welt entbieten. Du mußt von dem, was außen ist, Dich scheiden, Und flüchten zu des Herzens stillen Räumen, Von Lieb und Freundschaft sichern Traum zu träumen.

In ernster Zeit37 Morgens eil' ich durch die Straßen, Mittags wandl' ich hin und her, Alle Gassen, alle Wege, find' ich öde - menschenleer Und die Wenigen, sie eilen, wie getrieben vom Geschick, Mit gesenktem Haupt - voll Trauer - ohne Gruß und Freundesblick. Sagt, wo sind des Tages Bienen, wo der Müssiggänger Schaar? Wo die Frauen, die uns zeigen, was die Mode neu gebar? Ist des Lebens Markt verblichen, - stehn die regen Pulse still, Oder fesselt fern den Waller, Augenweid' und lustig' Spiel? Siehst du dort den Riesengeyer, der sich in die Wolken hebt, Und in immer engern Kreisen unsre gute Stadt umschwebt? Wie die Eisenschwingen rauschen, wie er stürzt auf seinen Raub? Unersättlich ist sein Hunger, was sein Hauch berührt ist - Staub! Er ist dem gewalt'gen Räuber, ist dem schlauen Diebe gleich, Der - verhöhnend Schloß und Riegel - einbricht in des Schlafes Reich; Der in Hütten und Paläste schleudert seinen Feuerbrand, Und mit frecher Lust zertrümmert, was die Liebe eng verband.

im Glauben Heute herz' den Freund, heut nippet euern Freudenbecher leer, Wirst ihn morgen nicht mehr küssen, morgen schlägt sein Herz nicht mehr! Heute blüht die zarte Rose, hauchend süsse Liebeslust; Morgen ist sie schon entblättert - kalter Marmor ihre Brust! Freue dich im Kreis der Kinder - kind'sehe Lust ist dir erlaubt Zählst du morgen deine Lieben, fehlt vielleicht ein theures Haupt. Kränze dich mit frischen Blumen, geize um die Spanne Zeit, Schon die nächste Lebenswelle rauscht heran mit schwerem Leid. Jetzt bist du des Lebens König, bist du lieb- und freudenreich; Doch vielleicht die künft'ge Stunde, kaufst du für kein Königreich; Denn der Würger sitzt am Tische, mit den Würfeln blutigroth, Myriaden Leben stehen, zu gewinnen - ist der Tod. Sieh, der Abend ist gekommen - wie des Mantels Purpur glänzt Wie er sich die lauen Schwingen, reich mit Rosen hat bekränzt! Sänger, rühr' die zarten Saiten, sprich ihn aus des Herzens Drang, Feyre laut den süssen Abend, mit des Liedes Jubelklang. Nein, das ist kein holder Abend, nicht sein sanftes Rosenlicht S'ist die Gluth von Feuersbrünsten, die durch Nacht und Wolken bricht; S'ist ein Schlachtfeld, wo der Opfer Hekatombe zuckend raucht, Wo der Todesengel wandelt, seinen Fuß in Blut getaucht! Traut und still ist sonst der Abend, stiller noch die Sternennacht; Aber heut' ist mit dem Dunkel wüstes Leben aufgewacht. Schwarze Träger rennen rastlos durch die Gassen hin und her, Und das Glöcklein tönt vom Thurme, wimmert klagend bang und schwer. Wirst du nimmer, nimmer enden, mit dem ew'gen Jammerton? Bricht herein der Welt Vernichtung - sprichst du allem Leben Hohn? Ach der Sturm bricht Frucht und Blüthen, jeder Augenblick ein Herz, Kein beweind' Aug' wird bleiben, keine Brust für Erdenschmerz. Schau, dort ist die Nacht gelichtet - horch, hier oben wird es laut Dort ringt mit dem Tod der Vater - hier erblasset seine Braut Ja, der Engel ist erschienen, schreitet ernst von Haus zu Haus, Und der Hirte nahet tröstend, theilt die letzte Labung aus. Gott, du bist's in deinem Zorne! - Eichen splitterst du im Sturm; Aber wo dein Auge lächelt, lebt und freuet sich der Wurm. Wer kann deinem Arm entfliehen? - Hier und Jenseits treff ich dich! Vater, sieh ich bin bereitet - Vater, dir ergeb' ich mich.

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Zur Cholerazeit38 О wundergroßes Herzeleid, О bitt're, bitt're Sterbenszeit, Wie ist mein Sinn zerschlagen! Wer diese Stunde frisch und roth, Ist in der andern schwarz und todt Und wird hinausgetragen; Wehe, wehe, Greis' und Kinder, So den Sünder als den Frommen Hat das Schreckniß übernommen! Ach, wie ertrüg ich meine Noth, Wie überwänd ich Grab und Tod, Wenn mir kein Glaube bliebe? Doch, wer des Glaubens Trost ermißt, Dem bleibt auch Das, was größer ist Als Glaub' und Hoffnung, - Liebe! Walte, schalte heil'ge Liebe, Durch dies trübe Herz voll Kummer Bis zu seinem letzten Schlummer! Vielleicht schon morgen oder heut Muß ich mich halten auch bereit, Wird schon mein Auge düster; Ach, wenn dann alles mich verläßt, Da mich das Grau'η der Seuche faßt, Sei, Herr, mein Arzt und Priester! Ob, mein Heiland, nichts mir bliebe, Deine Liebe laß mir bleiben Und des Todes Graun' vertreiben! Nicht Tod noch Teufel schadet mir; Bleibst du in mir und ich in dir, So werd' ich siegend stehen! Du deckst mich, Gott, du starker Held, Kein Haar von meinem Haupte fällt, Das du nicht solltest sehen! Weiche, Seuche, Kind der Hölle, Weich' zur Stelle; Gottes Kinder Tödtet nicht der Tod der Sünder! Und sänken Tausende mir auch Zur Seiten, tilgte dein Hauch Zehntausend mir zur Rechten: So fest ist meine feste Burg,

im Glauben Daß keinen Feind sie lässet durch, Wie kühn er möge fechten! Darum muthig, Seele, tröste Dich erlöste! Gottes Kinder Tödtet nicht der Tod der Sünder. Und wenn dein armes Herz auch bricht, So will es Gott, sonst bräch' es nicht, Doch heißt das unterliegen? Victoria! du starker Held, Wer unter deinem Banner fällt, Der muß auch sterbend siegen! Darum muthig! Seele tröste Dich erlöste! Gottes Kinder Tödtet nicht der Tod der Sünder.

[Die Schreckliche, die jedes Herz erschüttert]39 Die Schreckliche, die jedes Herz erschüttert, Die Feindin, unsern Grenzen schon so nah, Bei deren Namen auch der Kühne zittert, Die weit und breit verwünschte Cholera Was thun wir nicht, den Eingang ihr zu wehren? Wir sperren ohne Schonung Stadt und Land, Und ihren Keim schon in uns zu zerstören, Wie viele Mittel werden angewandt! Man fliehet, um die Schändliche zu meiden, Des Morgens und des Abends kühlen Hauch Und eilt in warmes Tuch sich einzukleiden; Man scheidet von des Lebens liebstem Brauch. Denn, daß kein heißer Dunst die Zimmer fülle, Soll man der lieben Freunde Umgang scheu'n, In Speis' und Trank - so ist der Vorsicht Wille Der strengsten Mäßigkeit beflissen sein. Der milde Herbst, er ist mit seinen Gaben, Den süßen Früchten, jetzt so freundlich da. Wir wagen nicht mit ihnen uns zu laben. Das Obst, so heißt's, erzeugt die Cholera.

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Kommt übers Meer aus einer fernen Weite Ein fremder Wandrer unsrer Hütte nah; So halten wir uns für des Todes Beute Und angst'gen uns: er bringt die Cholera. Sprecht, Menschen, sprecht: ist wohl dies arme Leben So vieler Angst, so vieler Sorge werth? Vertrauet Gott! Er hat es euch gegeben, Er ist es, der uns pfleget, schützet, nährt: Er ist es, der mit treuen Vaterhänden Uns schützet jeden Tag und jede Nacht: Und was uns schadet, wird er treulich wenden, Er ist es, der an unsern Grenzen wacht. Seid nüchtern, mäßig, seid zu allen Zeiten Der Ordnung Freunde und der Reinlichkeit: Erzittert nicht, es hat nichts zu bedeuten, Wir leben hier ja keine Ewigkeit. Man stirbt nur ein Mal. Wann und wie wir sterben, Hat Gottes Rathschluß längstens festgestellt. Getrost, getrost! den läßt er nicht verderben, Der sich an ihm in festem Glauben hält. So will ich denn, in seinem heiigen Willen Ergeben, ruhig meine Wege geht. Mein Tagwerk, so lang' ich kann erfüllen, Und kann ich nicht zufrieden stille stehn. Die Last von Ihm gesandt hilft Er auch tragen; Denn Er ist unser Helfer für und für; Wir werden noch am Ende freudig sagen: Herr Gott! wir loben und wir danken Dir.

im Glauben

Trost40 О zweifle nicht! Sah'st Du noch nie die Stern' in goldner Pracht Entringen sich der dunklen Wolkennacht? Noch niemals aus dem Meer die Sonne steigen, Den Strahl zur Mutter Erde liebend neigen? Aus Nacht entglimmt das Licht, О zweifle nicht! Verzage nicht! Hörst Du den Sturm, der durch die Wipfel saus't? Siehst Du das Meer, das an die Felsen braus 4? An Klippen muß das stolze Schiff zerschellen; Es kämpft der Mensch ermattet mit den Wellen; Doch Gott giebt Hülf und Licht: Verzage nicht! Vertrau' nur fest! Es dröhnt und braus't im rauchenden Vulkan, Und donnernd bricht der Feuerstrom sich Bahn; Verheerend stürzen über Flur und Auen Die Lavabäche; - rings Verwüstung, Grauen; Doch Gott Dich nicht verläßt, Vertrau' nur fest! Der Glaube siegt! Wenn Dir kein Laut der Tröstung hier ertönt, Wenn Spott und Grimm die Unschuld frech verhöhnt; Wenn Willkühr Dich in Fesseln hat geschlagen, Ein Gott versteht Dein Seufzen und Dein Klagen; Hinauf Dein Blick entfliegt, Der Glaube siegt! Gott bleibt Dein Hort! Auf Menschen baue nie Dein ganzes Glück, Sie stoßen oft die Liebe kalt zurück; Die Sterblichen, sie täuschen, irren, fehlen, Drum sollst Du Gott allein zum Freund erwählen; Nie wankt sein heil'ges Wort, Gott bleibt Dein Hort!

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Trost41 Was tröstet uns, wenn Wolken auf sich thürmen Am Lebenshorizont gewitterschwer? Was hält uns aufrecht in des Schicksals Stürmen, Die uns umtoben wie das wilde Meer? Was wird mit Zaubermacht uns liebreich schirmen Im Mißgeschick als eine feste Wehr? Der Glaube an ein bess'rs, ew'ges Leben, Nach dem wir sehnend schon auf Erden streben. Es wird der Glaube lindernd Balsam streuen In das gepreßte, angsterfüllte Herz, Und mit der süßen Hoffnung duft'gen Maien Betäuben selbst den tiefsten Seelenschmerz, Und durch Verzweiflung nimmer uns entweihen, Die um die Brust sich klammert kalt wie Erz; Er wird verwirklichen die holden Träume, Uns führen einst in goldgeschmückte Räume. Was giebt uns Muth, wenn grauser Seuchen Plage Das Land verheert, die Brüder uns entreißt? Was stimmet milder uns're bange Klage, Wenn des Verderbens Hyder uns umkreist Und uns erschienen sind die Schreckenstage, In denen wir uns wähnen ganz verwaist? Vertrauen auf des Ew'gen stete Gnade, Die sicher leitet durch verworr'ne Pfade. Vertrauen auf des Allerbarmers Güte, Auf ihn, den Retter in der größten Noth, Sproßt für uns all* hervor als eine Blüthe, Die wundersam uns stärket noch im Tod; Es ist die Flamme, die, wenn sie entglühte, Empor uns reißt zum schöner'η Morgenrot, Das uns eröffnet seine Demanthallen, Wo Jubelhymnen uns entgegenschallen. D'rum lasset uns im Leiden nie verzagen, Ob es auch stürmt, ob Alles fällt und bricht; Der Glaube an Unsterblichkeit wird tragen Uns leichtbeschwingt j a zum Sternenlicht. Nicht wird uns seinen starken Arm versagen Der Höchste, wenn wir fleh'η mit Zuversicht. So wollen wir getrost nur ihm vertrauen Und kühn der Zukunft in das Auge schauen! -

im Glauben

Trost im Unglück42 Nennt sie, Sterbliche, alle die Mühen Die Eure Hütten mit Wolken umziehen; Düster und schwer Eilen sie her, Schlingen mit eiserner Schicksalshand Um Euch ein festes Unglücksband. Denn wo sie einmal eingezogen, Führen sie auf empörten Wogen Stürme und tobende Wetter daher, Und Euer Schifflein auf brausendem Meer Schwankt und irrt, Von ihnen geführt. Doch steuert zum Port Kräftig nur fort, Und in der Elemente Toben Wendet muthig den Blick nach oben. Ueber Euch wächst ein Friedensstern, Bauet Ihr fest auf die Hilfe des Herrn. Wenn er gebeut, Sind Wetter zerstreut. Wenn ihr in harter Prüfung bestanden, Rettet er Euch aus beengenden Banden, Sendet in Nacht ein Morgenroth. Darum komme uns Noth und Tod, Wenn auch das schwache Herz uns bricht, Glaube an Gott, verlaß uns nicht!

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Tröstung43 Es färbt sich das Blatt, es erstarrt das Leben, Und herbstliche Schauer die Fluren umzieh'η; Es hüllt sich in Trauer das duftende Grün, Und Schatten der Wehmuth den Busen durchbeben. Doch siegend waltet noch die Liebe, Sie flammt aus Gott, der Liebe Quell, Durchbricht das Dunkel mild und hell, Und Sonnenglanz verklärt das Trübe. Es wüthet der Tod ohne Ziel und Erbarmen, Es trennt ohne Schonung, was Liebe verband, Entreisset dem Herz das theuerste Pfand, Das schmerzvoll entschlummert in liebenden Armen. Mag auch des Zweifels Haupt sich regen Im eig'nen Herzen lebt ein Gott! Der Gott der Liebe kennt die Noth Und Himmelsliebe giebt nur Segen! Rings um uns nur Trübsal, nur Thränen und Schmerzen! Der heut' uns umarmte, sinkt morgen in's Grab. Das Liebste, was freundlich der Himmel uns gab, Bald scheidet es von uns mit brechendem Herzen. Doch darf der Glaube nimmer wanken! Er führt uns siegend übers Grab. Der Trost, den Jesu Wort uns gab, Er überfliegt der Erde Schranken! Und mag auch in Nacht sich der Himmelsdom hüllen, Mag bluten das Herz vor unnennbarem Weh: Wir steuern stets muthig zur strahlenden Höh', Und fügen uns fromm in den göttlichen Willen! Die Hoffnung baute sich Altäre, Auf festen Grund in jeder Brust; Sie lebt in Trauer und in Lust, Verkläret mild des Dulders Zähre. Und färbt sich das Blatt und erstarrt unser Leben, Dann wende vertrauend der Blick sich hinauf! Nicht endet im Frieden des Grabes der Lauf Einst wird uns ein schöneres Dasein gegeben.! Was Hoffnung, Glaub' und Liebe künden, Es überwiegt der Erde Leid. Wer hier versenkt in Traurigkeit Er wird im Jenseits Tröstung finden.

im Glauben

Zur Weihe der jungen Christen44 Gegrüßt sei die ernste, die heilige Stunde, Wie naht sie doch im schnellen Flug so bald! „Willkommen!" rufen wir mit Herz und Munde, Wenn festlich mahnend das Geläut' erschallt; Wenn Ihr, so nah' dem hohen Weihebunde, Wehmüthig hin zum Tempel Gottes wallt; O, fühlet Euch mit ganzer Kraft erhoben Zu dem hinauf, den alle Welten loben! Den Blick gewendet zu des Himmels Höhen, Zu ihm hinauf, der Aller Schuld gebüßt, Und tief bewegt durch Eurer Lieben Flehen Und durch die Thräne, die der Wehmuth fließt, Könnt Ihr getrost zum Festaltare gehen, Wo Hochgesang Euch feierlich begrüßt. Auf, junge Christen, auf, ins höh're Leben Geht muthig ein und froh und gottergeben! Ernst ist das Ziel, wonach Ihr kämpfend ringet, Verhängnißvoll die sturmbewegte Zeit; Ach, schonungslos und unaufhaltsam bringet Ein furchtbar Uebel Schmerz und Traurigkeit; Wohin die Wuth der Schreckenskrankheit dringet, Bleibt ihre Spur verheerend weit und weit, Ach, die da ruh'η in der Geliebten Armen, Reißt sie hinweg, so schnell und ohn' Erbarmen. Erst ist das Leben - fühlt's mit heiiger Rührung, Beherzigend in jedem Schicksalsspiel; Doch ewig wahr besteht die Weltregierung, Und sie bestimmt der Menschen Loos u. Ziel·, Auf, fühlt es heut, wo Ihr des Ew'gen Führung Anbetend preis't mit kindlichem Gefühl, Und nehmt zu Herzen Eurer Lieben Worte Die Euch geleiten hin zum Weihehorte: [.··] So nimm sie auf Du überm Zelt der Sterne, Allgüt'ger Gott, nimm sie an Deine Hand, Daß keine Macht der Erde sie entferne Von Dir und dem, den Du zur Welt gesandt; Daß sie - den frommen Blick zur lichten Ferne Geduldig geh'η durchs dunkle Pilgerland, und kindlich fürchten Deinen heil'gen Namen, und sterbend rufen: Gott, ich nahe - Amen!

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Ewig ist Gott45 Ewig ist Gott! Wie sich das Schicksal dreht, Ob's der Mensch nicht versteht, Wie es sich wendet, Was er uns sendet Ist doch gut. Nur nicht den Muth Verloren! Ewig ist Gott! Ewig ist Gott! Wenn sich die Woge thürmt, Rund um uns Krankheit stürmt, Hoffnung verschwindet, Nichts mehr sich findet, Was uns bleibt; Gott uns noch bleibt Der Alte! Ewig ist Gott! Ewig ist Gott! Muthig denn! Trotz der Noth, Stürze ich in den Tod; Mögen die Erden Rund um verderben, Kühn hinein, Ewig zu seyn Dort oben! Ewig ist Gott!

Traumbild46 Den schwarzen Mantel breitet aus, Die Geisterfreundin, Mitternacht, Der Weidmann Tod mit Mord und Graus Stürmt nieder auf die Menschenjagd. Verzweiflung, seine Lieblingsschwester Begleitet ihn auf seinem Flug, Sie stöbern auf die Geisternester, Sie jagen fort in wildem Flug. -

im Glauben Erstarrt hält an im Lauf die Erde, Ein Leichenantlitz blickt der Mond Durch die entseelte Sternenheerde, Vom Tode bleibt nichts unverschont. Zerbrochen ist der Himmelswagen, Orion fällt in sein Geschoß, Das Zwillingspaar hat sich erschlagen Und der Centaure stürzt vom Roß. Die Hyder schlingt sich um den Drachen Und saugt aus ihm das gift'ge Blut, Es packt der Leu mit grimmem Rachen Den Bären an in wilder Wuth. Ein grauser Thierkampf hat begonnen, Die Milchbahn färbt sich blutig roth, Zusammenbricht das Reich der Sonnen, Denn seine Beute sucht der Tod. Und vor die stille Lagerstelle, Wo mich umfing ein süßer Traum Und manche schöne Bilderwelle Zerrinnen ließ es Lebens Schaum, Da bricht er ein mit den Genossen Auf luftig tollen Feuerrossen, Wild fährt er an den Bruder Schlaf: Entferne dich, du feiger Sklav! Jäh wach' ich auf, da prallt mein Blick Vor dem des Todes scheu zurück. Mit Grausen seh' ich in der Linken Die blutbefleckte Sichel blinken, Es hält die rechte Leichenhand Die abgelaufne Uhr mit Sand. Und aus Zähnen ohne Lippen schallt Das Wort der gräßlichen Gestalt: „Von allem, was da ist gewesen, „Lebst du allein in dieser Nacht, „Vernichtet hab ich alle Wesen, „Nichts widerstand noch meiner Macht. „Du Wilder, der sonst fest vertraut „Auf seine eigne Manneskraft, „Hat vor dem Tod dir nie gegraut „So komm' und mache Brüderschaft!"

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Und näher, näher dringt mein Gast, Schon hat der Grause mich erfaßt. Der Herzschlag stockt, des Pulses Wallen; Nun ließ ich ein Gebet erschallen: Da schimmert durch den blut'gen Himmel Und durch das bunte Mordgewimmel Verklärt das Antlitz meiner Braut Und blickt auf mich so mild und traut. Sie faltet zum Gebet die Hände, Es ruft für mich ihr frommer Mund, Daß ich den Weg zum Himmel finde, Zu Gott, in meiner Sterbestund'. Da stürz' ich an die Knochenbrust Des Todes, froh mit Himmelslust; Ich sah den Engel ob mir weinen, Komm Bruder, komm, du wirst uns einen!

Gebet des Herrn, bei drohenden Krankheiten47 Vater bist Du, Gott der Welt geworden, als Dein Hauch das todte Nichts durchdrang, sich die Himmel wölbten, und der Sonnen jugendlicher Morgenchor erklang! Vater bist Du auch, wenn Welten beben, der Vernichtung Engel uns umschweben. Vater bist Du, wenn Dein Allmachtruf für uns Leben, für uns Tode schuf! Laß uns schweigend Deinen Namen nennen, dem der Seraph heilig, heilig singt. Heilig sey er uns, wenn Leben jubeln, wenn des Todes Röcheln zu Dir dringt! Aber höre Deines Kindes Rufen, zürne nicht, wenn es sein Daseyn liebt laß Dein Reich des Glaubens zu uns kommen, der im Kampfe Siegeshoffnung giebt. Willst Du, Herr, so rauscht das Leben vollen Schlags durch uns're frohe Brust willst Du, Vater, öffnen sich die Gräber, drohend uns'rer Hoffnung, uns'rer Lust. Was Du willst - wir beten an und schweigen -

im Glauben Ewigwahrer, das nur kann gescheh'n. Alle Erden, aller Himmel Himmel müssen Deinem Willen wandelnd, untergeh' Uns're Speise beut mit Wohlgefallen, Vater täglich Deine milde Hand; laß mit Weisheit Deine Gab' uns brauchen. Leib und Seele knüpft des Lebens Band, laß daran nicht mehr den Giftwurm nagen, athmen uns gesunde, reine Luft, daß um uns nicht Trauerfahnen wehen, nicht das Haus erfüll' Verwesungsduft. Wir verdienen, Herr, nicht Deine Gnade; Sünder sind wir, groß ist uns're Schuld doch vergib, vergib uns, Allerbarmer, zeig' der Reue der Versöhnung Huld. Sieh' den Tod - er naht sich uns'rer Schwelle und der Zweifel stürmt durch's bange Herz: wird er uns ergreifen, uns vernichten? Foltern uns mit namenlosem Schmerz? Laß uns, Herr, nicht in Versuchung kommen und erleicht're uns die Prüfungszeit, daß wir siegreich aus dem Kampfe treten mit dem Uebel in der Endlichkeit. Du nur, Du nur kannst erretten von der Finsterniß, dem Grau'η der Nacht; Du nur kannst vom Tode uns erlösen vor Dir, Herr, beugt sich der Hölle Macht. Hör' uns, Herr! Dein ist das Reich des Lebens, Dein die Kraft, die tausend Tode zwingt! Herrlicher, ist unser Fleh'η vergebens, das durch Donnerwolken zu Dir dringt? Nein, о nein! Du lebst durch Ewigkeiten, aller Welten Leben, Gott, ist Dein. Du wirst auch in todesvollen Zeiten unser Retter, unser Vater seyn!

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5. Moralische Bewährung Herbstjubel. (Zur Zeit der Cholera.)48 Ich kam in jüngster Mondennacht In eines Kirchhofs Mauern, Kein Schläfer unterm Hügel wacht, Ringsum herrscht Tod und Schauern. Doch plötzlich vom Gebirge schallt's Gleichwie baccant'scher Reigen An hohlen Gräbern wiederhallt's Und bricht ihr totes Schweigen. Ein lust'ger Chor von Zechern ruft Ein Lebehoch den Schönen, Raketen schwirren durch die Luft, Und die Gebirge dröhnen. Der Hügel aber, wo ich steh', Im Innersten erbebet, Und ein Gerippe sich zur Höh' Aus seinen Tiefen hebet. Im Mondenscheine schreitet's vor, Schwingt halb sich auf die Mauer Und ruft in den baccant'sehen Chor Also hinaus, ein Schauer: „Ihr dort im Fleische, störet nicht Der Toten Ruhestätte! Bricht neu die Blum' ans Sonnenlicht, Schlaft ihr im gleichen Bette!" Der Mond erlischt am Himmelszelt, Hör' keinen Laut mehr schallen. Mir ist der Tod, der durch die Welt Jetzt schreitet, beigefallen.

Moralische Bewährung

Der Schmauser49 W o ist sie hin, die schöne Zeit, Ach, da ich mit Behaglichkeit Mich täglich zu dem Tische setzte, Mich unbesorgt am Schmaus ergötzte, Und in des Bauches Burgverließ So viel er mochte, schlüpfen ließ. War es mir oft auch schlecht bekommen, Was war's denn weiter, mächtig ward Ein Fläschen mehr als sonst genommen, Und derber Nachdruck nicht gespart. Heut' aber setz' ich mich zu Tische Mit Rücksicht und mit Sorgsamkeit. Den sauern Kohl, die Pracht der Fische, So mancher Speise Lieblichkeit, Ach, laß ich stehn, ich darf s nicht wagen, Ich kann nur meinen armen Magen, Daß er's entbehren muß, beklagen; Denn kaum wag' ich das Wort zu sagen: Die böse - böse - Ch - о - 1 -e - r - a! O, wäre die doch nicht mehr da! O, schwere Zeit des Essenmessens! O, schöne Zeit des freien Essens! O, du der Tafel Lust und Glück, Kehrst du denn nimmermehr zurück? Man schreibt von Freiheit in der Runde, Doch alle Freiheit geht zu Grunde, Wenn gar der Mensch nicht mehr sich satt Zu essen, seine Freiheit hat; Sich nicht mehr darf, es ist zum Sterben! Den Magen ungestraft verderben.

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Die Schuld. An meine zwei Töchter Maria Theresia und Friederika Katharina. Jänner 183250 Die Schuld ging frech am hellen Tag' durch's Land; Man bebt vor ihr, und alles Volk ergreift Die Flucht, und weder sie noch ihr Gewand, Noch ihres Mantels Saum bestreift Von den Entfliehenden nur Einen. Allein der Sonne abendnahes Scheinen Macht, daß die Schreckliche auf ihrem Gang Furchtbar und riesenlang Am Feld hin einen Schatten warf; Und dieser Schatten traf so schwer, so scharf, Daß er wie Gift durchs Mark der Armen drang, Die er erreicht, und wie man wusch und rieb, An Männern lang und schmerzlich haften blieb, Und an den Frau'n ganz unauslöschlich war. Erkennet Mädchen, die Gefahr; Nicht von der Schuld nur müßt ihr rein, Ihr müßt es auch von ihrem Schatten sein!

Die Zuflucht51 Ist denn fern der Qual der Erden Nirgendwo ein Felsenhort? Muß ich ihre Beute werden Ohne Wehr und Zufluchtsort? Bruder, zieh in alle Welt; Rings bist du von Qual umstellt. Hab' ich gegen kranke Wetter, Die den Untergang mir dröhn, Keine Hilfe, keinen Retter, Schutz an keinem Erdenthron? Fliehe, doch wohin du fliehst, Du die Wetter folgen siehst. Nirgend wohnet in dem Leben, Was du hoffst, die goldne Ruh. Einer kann sie Dir nur geben, Doch kein Anderer als du.

Moralische Bewährung Rücken schwer die Wetter an: Du nur bist, der helfen kann. Wie die Lust und wie die Schmerzen, Wie die Furcht und wie der Muth, Kommt der Sieg nur aus dem Herzen, und die Hilf in Gluth und Fluth. In dir rettest du die Welt; Du bist da, wenn alles fällt. Ohne Mast und Segel strandet Deines Schiffes Kiel; doch du Wallest, heimathlich gelandet, Deinem eignen Himmel zu, Wo, die du gesandt voran, Deine Werke dich empfahn. Fest so stehest du inmitten Aller Qualen, aller Noth; Denn des Geistes Flügel schritten Hier schon über Grab und Tod. Und der Erdengröße Wahn Hat Erfahrung abgethan. So ruhst du im Sturm der Zeiten Auf dem Felsen der Geduld; Hilfst nach Kraft den Sieg erstreiten, Und bewahrest dich vor Schuld; Denn ein wahres Unglück ist Nur, an dem du schuldig bist.

Was ist die Cholera?52 Was ist die Cholera? Ist's eine neuerfund'ne Pest, Die der Bevölk'rung Hälfte schlachtet, Ein Viertheil räuchert und den Rest Noch nebenbei zu tilgen trachtet? Was ist die Cholera? 'S unsre Furcht und unser Grauen, 'S unser Wahnsinn, der uns ließ Die Mück' als Elephanten schauen, Den Apothekern Glück verhieß: Das war die Cholera!

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Was ist die Cholera? Bringt sie der Arzt in's nächste Haus? Wir sie verschleppt durch Hund und Katze? Quillt sie aus Brot und Fleisch heraus? Und stirbt man, wie vom Gift die Ratze? Was ist die Cholera? Der Zwist der Aerzte; ihr Gezerre, Ihr Schrecken und ihr Uebermuth; Die Publikanda und die Sperre, Und ach! der Paß-Behörden Wuth: Das war die Cholera! Was ist die Cholera? Soll man in Woll' und Pelz gehüllt, Wenn sie sich zeigt, die Luft vermeiden, Ein Thier, das bang' um Futter brüllt, Von jeder Lebenslust sich scheiden? Was ist die Cholera? Selbstsucht'ge Narren, die am Leben, (Als wär' es mit dem Leben aus,) Voll Zittern und voll Zagen kleben, Die sprengten solche Mährchen aus: Das war die Cholera! Was ist die Cholera? Soll sie den Freund vom Freunde zieh'n, Soll sie der Herzen Bande trennen, Und soll man feig von dannen flieh'n, Hört man nur ihren Namen nennen? Was ist die Cholera? 'S ist eine Krankheit, wie die andern, Die auf der Erde überall In bunten Formen wechseln wandern, Hinraffend, was da reif zum Fall: Das ist die Cholera! Was ist die Cholera? Ward sie gesandt von zorn'ger Macht Empor, aus heißem Höllenrachen, Uns, die wir je geliebt, gelacht, Getrunken, den Garaus zu machen?

Moralische Bewährung Was ist die Cholera? Noch blüht der Lenz , noch reifen Trauben! Nur finstre Frömmler kreischen laut Und wollen uns die Freude rauben, Die Gott der Herr uns angetraut: Das war die Cholera!

Bewährte Vorschrift wider die Furcht vor der Cholera53 Wurde die fröhliche Welt und all' ihr Tichten und Trachten, Durch ein Wunder vielleicht, ganz aus den Fugen gerückt? Treibt, am Gewirre sich weidend, vielleicht ein tückischer Dämon Jetzt mit dem Menschengeschlecht wieder ein bösliches Spiel? Ein Gedanke nur ist's, der gewichtvoll Jugend und Alter Schnell, wie ein Strudel ergreift, schnell, wie ein Strudel verschlingt. Eine Besorgnis nur durchbebt, vom Ufer der Neva Bis zum Tiber hinab, Völker und Fürsten zugleich. Wo sonst heiterer Scherz sich ergoß in traulichen Kreisen, Scheucht ihn der ängstliche Ruf: „Freunde, die Cholera naht;" Arbeit stockt und Verkehr, schon haben auch emsige Kaufherrn Fast zu gewinnen verlernt, weil sie zu wagen sich scheu'n. Seltener wenden, als sonst, die so gern sich schmückenden Frauen, Ihren forschenden Blick jetzt in das Modejournal; Seit auf dem Putztisch dort, umstrahlt von reichen Geschmeiden, Immer die neueste Schrift über die Cholera thront. Und, о Wunder des Tages, die einst so geflügelte Zunge Schweigt von der Nachbarin jetzt, schmäht auf die Cholera nur. Selbst die Zofe vergißt, die Romane von Clauren zu lesen, Weil sie von Ofen und Pesth, weil sie von Riga gehört. Welch ein betrübendes Loos, schon sinkt a u f s einsame Lager Weinend der Arme zurück, jeglichen Trostes entblößt. Ach, sie wähnet umsonst vom fernen Geliebten zu träumen; Statt des Ersehnten erscheint ihr nur der Cholera Bild. Finden auch, eifrig wie sonst, die gedoppelten Paare der Spieler Hier zum l'Hombre sich ein, dort zum geselligen Whist, Fehler, ach! häufen die Meister auch jetzt auf Fehler, sobald nur Wieder die neueste Post gemeldet der Cholera Marsch. Jüngst der Heimath entfloh'n, mit Geld und Wechseln beladen, Nahet uns angstvoll dort seufzend ein reicher Baron; Schauend die Indische Pest, will er, zu entgehn dem Verhängniß, Nach Don Miguels Reich wenden den flüchtigen Fuß, Reicher Baron (ach nein, verstrickt in den Fesseln des Irrwahns, Bleibst du, auch strotzend vor Gold, immer noch elend und arm!) Hast du so ganz denn vergessen das Wort von Charybdis und Scylla? Welchen der Strudel verschont, würget der Strudel gewiß.

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Andere, minder verzagt, erspähen auf anderen Wegen Wider den tückischen Feind, wider die Cholera Schutz. Jener sammelt mit Fleiß, nur der emsigen Biene vergleichbar, Jegliches neue Recept, welches Genesung verheißt; Rühmet mit Oertel das Wasser und lobt mit Leo den Wismuth, Aber beschützet sich selbst lieber durch geistigen Trank. Dieser, zu forschen gewohnt in Alterthümern, vertieft sich Wieder in's dunkle Gebiet früher Jahrhunderte jetzt, Sucht, als müsse sein Streben den Stein der Weisen ergründen, In der Rabbinen Erfund gegen die Cholera Trost. Jetzt, in der Formel Besitz, bereitet er schnell das Arcanum, Wähnend, er dürfe nun dreist leben nach Herzensgelüst. Häufig entzweiet, wie einst auch Babylons Maurer am Thurmbau, Dünken sich Tausende klug, nimmer doch treffend das Ziel. Mancher, vom Schrecken geblendet, erkennt vor Bäumen den Wald nicht; Andern zeigt die Furcht Berge, wo Hügel nur sind. Möchtet Ihr gern d'rum horchen den Rath des besonnenen Arztes, Welcher den eigenen Muth zagenden Brüdern auch wünscht! Nahe schon dräuet der Feind, wer könnte, wer dürft' es uns läugnen? Aber wir wollen getrost ihm in das Angesicht schau'n. Wappnet, ihr Freunde, nur stets mit Vorsicht Euch und mit Klugheit, Huldiget, früh und spät, immer der Mäßigkeit gern! Wollet der sinnlichen Lust Ihr frönen und schwelgen, wie vormals, Eilend ergreift die Pest Euch mit gedoppelter Wuth. Wachet d'rum über Euch selbst, steht fest in Lieb' und im Glauben, Bleibet in Noth und Gefahr ruhig und männlich und stark! Bannet den üppigen Sinn, und bannet die leidige Selbstsucht, Fliehet den zehrenden Neid, fliehet den giftigen Haß! Wenn, unerschütterlich fest, Ihr dann dem Höchsten vertrauet, Sonder dessen Geheiß nimmer ein Haar Euch entfällt, Wenn Ihr, befreit vom tadelsüchtigen Dünkel, Dann mit freudigem Ernst freudig vereinet die Kraft, Sicher entreißet der Pest auch Ihr noch häufig ein Opfer, Und, reich lohnend, umschwebt seliger Friede dann Euch. Doch, wenn eilend im Lauf, und spottend der menschlichen Vorsicht, Euren Wohnungen nun Asiens Seuche sich nah't, Spielet ihr Laien dann nie mit des Arztes gewichtigen Waffen, Ehret den Helfer in Noth, folget des Kundigen Rath! Oder, belobt Ihr die Wahl, wenn ein Thor, zum Lenker des Steuers, Und zum Meister des Bau's, Schneider und Schuster empfiehlt? Eins verkünd' ich Euch noch, bewahrt es im treuen Gedächtniß! Asiens Seuche vermißt Asien Klima bei uns. Freunde, die Herbstluft weh't! Wohl folgen auch sonnigen Tagen Jetzt auf Boreas Wink nächtliche Fröste schon oft,

Moralische Bewährung Wählet ein warmes Gewand und hüllet den reinlichen Körper, Wie den empfindlichen Fuß, immer in Wolle nur ein! Euch vor allem, ihr Frauen, und Euch, Ihr rosigen Jungfrau'n, Warnet ein ärztlicher Mund heute so freundlich, als ernst: Bannet den modigen Tand aus luftigem Spinnegewebe, Meidet die rauschende Lust, flieht den bachantischen Tanz! Vielen zwar red' ich umsonst; wer könnt' ihn tilgen, den Leichtsinn? Manche der Schönen jedoch horchet und folget mir gern. Nun noch bittend gewendet zu Euch, Ihr biedern Kollegen, Geb ich, reich an Vertrau'n, freudiger Hoffnung mich hin. Pflichttreu lasset uns stets des Körpers Kraft, wie des Geistes, Unserm erwählten Beruf weihen mit Eifer und Ernst! Nimmer scheuend die Last und nimmer die nächtliche Störung, Wollen dem Kranken wir stets nahen mit tröstendem Blick! Träf auch unser Bemüh'η auf des Undanks feindlichen Giftzahn, Sollt' auch Tadel und Spott schmähen die ärztliche Kunst, Nie, nie kümmre doch uns, da ein höheres Ziel uns begeistert, Lauernder Bosheit Hohn, prahlender Thoren Geschwätz! Eine Familie nur sey uns die leidende Menschheit! Unsere Hülfe sey gern Armen wie Reichen gebracht! Werden auch Manche von uns in der Heilkunst freundlichem Wirken Früh schon erkranken, und schnell fallen als Opfer der Pest, Bleibe doch Furcht uns fern; denn süß ist's wahrlich und ruhmvoll, So für der Leidenden Wohl sterben im ed'len Beruf! Läßt nun die nahende Zeit uns trauriger Scenen nur harren, Wende der sorgliche Blick heiterer Ferne sich zu! Weis* und ewig gerecht, hat uns die göttliche Vorsicht Aufruhr, Seuchen und Krieg mahnend und warnend gezeigt. Doch wie aus nächtlichem Dunkel sich hebt die Fackel des Tages, Wie aus Gräbern empor schöneres Leben erblüh4, So auch dringt dereinst durch Krieg, durch Pest und Empörung, Doch ein veredelter Geist strahlend und siegend hervor. Nicht mehr sey sie verkannt, die heilverkündende Wahrheit, Deren Vergessen so oft Tod und Verderben gebracht. Frieden und Eintracht nur, so heißen der Genien Namen, welche mit ordnender Kraft, Leben und Wärme verleih'n. Seh'n wir im kleineren Kreise, wo Lieb' ermangelt und Eintracht, Nichts aufblühn und nichts reifen zur köstlichen Frucht. Freunde, wie sollen denn wohl in Hader und stürmischer Zwietracht Je zum ersehnten Ziel Völker und Staaten gedeih'n? Achte die Lehren, о Volk, und achtet, Ihr Fürsten, die Warnung! Liebe nur heißet das Band, welches Euch innig verknüpft. Lieb' um Liebe nur giebt zum Dulden uns Muth, wie zum Handeln; Liebe nur mehret das Glück, Liebe nur mildert das Leid!

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Recept gegen die Cholera54 1. Eine Unze „Gottvertrauen"! Aechter Sorte Aus dem Worte, Drauf wir Heil und Frieden bauen. 2. Dann zwei Drachmen „Maaß und Weise", Wie im Leide, So in Freude, Arbeit, Ruhe, Trank und Speise. 3. Auch drei Gran - ist's ächt zu haben „Treuer Pflege, Lieb und Hege", Von den allerbesten Gaben. 4. Mische dies mit reinem Weine, Laß es gähren, Bis zum Klären, Täglich nimm der Tropfen neune.

Das Recept55 Dem Spiel, dem Tanz, den Trinkgelagen Der Faulheit und der Buhlerei War Schuft in seinen schönsten Tagen, Bis eine Krankheit kam, getreu. Nun liegt er auf den kalten Steinen. Wird endlich denn kein Arzt erscheinen, In dieser grauenvollen Noth? О ja! er wird nicht außen bleiben Und ihm zur Besserung verschreiben - Ein Stückchen trocknes Bettelbrot.

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Moralische Bewährung

Die Pestjungfrau. Lithauische Volkssage56 An den Binsenufern der Narewka, Jener altersmüden Silberschlange, Die sich schweigsam, nur die zieh'nden Wolken Und der Bäume Riesenwipfel spiegelnd, Wälzt durch die Bialowiczer Haide, Ruht am Waldessaum das Dorf Dabrowa. Hundert Häuser stehn dort in zwon Reihen, Wohlgebaut von Lehm und zähen Balken, Auf den Dächern moosbewachsnes Röhricht, Gegen Schnee und Regengüsse schirmend. Hundert Scheuern stehn dicht an den Häusern, Alle räumig, stark und fest gezimmert, Und mit gelbem Korn gefüllt bis oben. Hundert Ställe steht dicht an den Scheunen, Und in jedem wiehern sieben Rosse, Schnellbehuft, mit Mähnen bis zur Erde; Und in jedem brüllen sieben Stiere, Silbergrau, von Horn zu Horn zwo Ellen. Aber alle Hütten von Dabrowa Ueberragt das weiße Schloß des Gutsherrn, Mit zwon Storchennestern auf dem Giebel, Sieben Pforten, sieb'η und siebzig Fenstern, Spiegel für der Sonne goldnes Antlitz, Wenn sie nach dem reichsten Edlen Litwas Schauet, nach dem Herrn Pawel Kotkiewicz.

[...] Durch die braune Thüre schwankt Marcyanna, Die Milchschwester mit dem Herrn Kotkiewicz, Und, im Haus gealtert mit dem Hausherrn, Amme war des erstgebornen Sohnes, Pflegerin fünf anderer wie der Tochter; Bückt sich, drückt die Zipfel der blautuchnen Auf die Erde hängenden Czamarra Des Woywoden an die welken Lippen, Flüstert, leise zitternd, kaum vernehmlich: ,3öse, böse Zeit naht für Dabrowa! Auf dem Hof am steinumfaßten Troge Stand ich, silberhelles Wasser füllend Aus der Messingröhr' in weiße Krüge, Und ich sah sie durch die Lüfte schweben, Sie die Pestjungfrau. Gleich wie der Falke

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Langsam, kaum die bunten Flügel regend, Sich im Kreis hoch in den Lüften drehet, Bis er das im Furchennest geduckte Rebhuhn schaut, und niederstößt und rupfet, So die Pestjungfrau. Mit rothem Tuche In der Hand umkreis'te sie Dabrowa, Zirpend wie die Fledermaus im Fluge, Schoß, der Sternenschnuppe gleich, hernieder, Schreitet auf den Zehen längst den Häusern, Ruft der Männer, Frauen, Kinder Namen, Pocht zur Linken bald, und bald zur Rechten An die Thüren, an die Fensterladen. Oeffnet mit schlaftrunknem Aug' der Bauer, Streckt sie durch den Spalt den dürren Finger, Wedelt mit dem blutigrothen Tuche, Schüttelt fleck'ge Pest aus dessen Falten. Laß die Thüren, Herr, die Fenster schließen, Fest verschließen, laß sie nimmer öffnen, Welchen Namen auch die Jungfrau rufe, Wie sie auch die Stimme mag verstellen, Bis die böse, böse Zeit vorüber." Vom Kamin erhebt sich der Woywode, Heißt den Marschall und den Küchenmeister, Heißt des Hauses Diener alle kommen, Heißt sie reichen Vorrath von den Speichern, Aus den Kellern, aus den Kammern bringen, Wein und Branntewein und Fleisch und Grütze, Heißt die Eichenthüren wie die Laden Schließen von den sieb'n und siebzig Fenstern, Spiegel für der Sonne goldnes Antlitz; Heißt sie Lampen zünden auf den Gängen, Tag zu Nacht, die Nacht zum Tage wandeln, Heißt den Rosenkranz sie emsig beten. Alle thun nach des Woywoden Worten.

[...] Bange Tage folgten bangen Tagen, Und die Tage dehnten sich zu Wochen. Eng umlagert hielt das Schloß die Jungfrau, Schwirrte um die festverschloss'nen Luken, Pochte bald an Thüren, bald an Fenster, Rief die Söhne bald, und bald die Jungfrau, Bald der Söhne, bald der Mägde Namen, Stieg in's Dorf hinab und kehrte wieder.

Moralische Bewährung Hohl erklangen schon die bauch'gen Fässer, Neigen tröpfelten aus grüner Flasche, Und der Schaffner fühlte schon den Boden, Wenn er Vorrath aus dem Kasten scharrte, Und von Neuem seufzte an der Pforte Das Gespenst, der Greisin Stimme äffend, Zum Woywoden: „Oeffne, Bruder Pawel, Oeffne Deiner Schwester Maryusza. Aus Groß-Polen komm' ich, Dich zu sehen, Dich vor meinem Ende noch zu küssen. Schwanden doch schon fünfundzwanzig Jahre, Seit der Gatte mich nach Poznan führte. Drei der Söhne kenn' ich nur als Knäblein, Dreie nicht, doch nicht die kleine Tochter. Oeffne, daß ich all die Kinder segne." Wohl vernimmt die Lockung der Woywode, Hebt den krummen Säbel von dem Haken, Zieht ihn aus der grünen sammtnen Scheide, Der mit Silberbuckeln reich beschlagnen, Prüfet bei der Lampe Schein die Klinge, Ob der braune Rost sie nicht benaget, Sieht sie hell und blank und ohne Makel, Und drei Kreuze in den Stahl gegraben Bei dem Namen Jesus und Maria; Sorglich prüft er, auf des Daumens Nagel Schabend, ob noch haaresscharf die Schneide. Und dann schreitet er nach dem Portale, Schiebt zurück die schweren Eisenriegel. Schreiend folgten ihm die sieben Kinder, Hängen an den Arm sich ihres Vaters, Halten ihn zurück bei der Czamarra, Bitten, flehen, flehen nur vergeblich. All die sieben Kinder nach der Reihe Küsset der Woywode auf die Stirne, Schläget noch des Kreuzes heil'ges Zeichen Ueber Jedes, heißt sie dann entweichen In des Schlosses innerste Gemächer, Heißt den Rosenkranz sie emsig beten. Nassen Auges thun sie, wie geboten. Aus dem Tor tritt Pawel Kotkiewicz, Tritt beherzt dicht an das böse Wesen, Schwingt den Sarras zischend durch die Lüfte, Haut der Jungfrau mächtig in die Rechte,

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Und die Rechte fällt mit sammt dem Schleier Glatt vom Stumpf gehauen auf die Erde. Angstvoll kreischend hebet sich die Scheuche, Sinkt zurück, schwingt wieder sich vom Boden, Mühsam wie gelähmte Reiher fliegen, Mit dem hiebgespaltnen Arme zuckend, Wimmernd, laut vor Schmerz und Bosheit schreiend. Aus den nachtgeschwärzten Wolken klang es Lange noch wie schrill'ndes Habichtsrufen. Endlich ward es still. Die Kinder harrten Daß der greise Vater wiederkehre; Lehnten an das Schlüsselloch sich horchend, Spähten lauschend durch der Thüre Spalte, Sahen ihren Vater todt am Boden, Weinten bitter um den todten Helden, Senkten ihn dicht an dem Hochaltare In die Gruft der Kirche von Dabrowa, Hingen Sarras sammt dem rothen Schleier Des Gespenstes auf am Kirchenpfeiler; Beide hängen dort noch heut'gen Tages. Seit dem Opfertode des Woywoden Bleibt Dabrowa von der Pest gemieden.

Stralsund's Bürgern57 Tödtlich aus dem Nebelschleier Schüttelnd seines Giftes Dampf, Schleicht heran das Ungeheuer; Auf, besteht beherzt den Kampf! Schließt dem grausen Völkerwürger Eure Thore, wackre Bürger; Gegen wilder Seuchen Wuth Schützt am besten eigne Hut. Viel bewirkt ein festes Wollen In den Tagen trüber Zeit. Mag der Handelsgeist auch grollen Eurer Gilden Wachsamkeit! Gold und Silber können Leben Nicht den Todten wiedergeben; Mit uns in das stille Grab Folgt der Mammon nicht hinab.

Moralische Bewährung Seid, was eure Väter waren, Die der Sage Lob noch ehrt; Kalt und ruhig in Gefahren, Stritten sie für Haus und Herd. Wackre Bürger, gleichet ihnen, Sieg begünstigt nur die Kühnen. Wacht ihr muthig, treuvereint, Flieht der körperlose Feind.

Als der Oktober eben nicht freundlich war58 О du ungetreue Zeit, Der wir Lieder brachten; Der wir durch Gesang und Klang Zu gefallen dachten: Du verhöhnst die Lust der Sänger, Willst, daß bänger, immer bänger Lied und Lust verschmachten. Denn nun bringt der Weinmond auch Nichts als saure Trauben, Und uns schreckt das gelbe Blatt Seiner welken Lauben. Nebel düstert unsre Träume, Für die Särge fallen Bäume, Statt zu frischen Dauben. Doch der Sänger sang und singt Ohne Rast und Reue. Ward die Zeit ihm ungetreu, Er ist der Getreue, Heitre, glückliche Gestalten An den Flügeln fest zu halten, Daß die Welt sich freue. Sie ist ohne Sang und Klang Finster nur und bänglich; Ihre Klag' und ihre Noth Scheinet überschwänglich; Denn es ist ja ihre Habe, Außer des Gesanges Gabe Fabelhaft, vergänglich.

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Fühlt sie dies, dann jammert sie, Weiß sich nicht zu fassen; Und vor Schrecken sieht man sie Kummervoll erblassen. Sie verschmachtet, währt's so länger. Drum verlaßt sie nicht, ihr Sänger, Wie sie euch verlassen. Gebt dem Leben Färb' und Glanz, Denn es wird stets gelber. Heilet von der Starrheit Leid Unsre Moseskälber. Will die Welt nicht auf euch hören, Könnt die Zeit ihr nicht beschwören, So bewahrt euch selber.

Gegen die Cholera59 Ich bin kein Doktor, kein Mediziner, Auch war ich niemahls ein Krankendiener; Doch zieh' ich gern gegen das Uebel zu Felde, Von dem ich Leider! nichts Gutes melde; Und kann ich gleich keine Rezepte schreiben, So will ich doch manche Grille vertreiben. Ist dieses gelungen, dann ruf ich Juchhe! Und gelten mag's auch für ein Recipe. „Die Frauen ehrt!" so spricht ein großer Dichter, „Sie flechten Rosen in das ird'sche Seyn." Doch wär' noch größer jener kund'ge Richter, Jetzt blieb' ich nimmer seiner Meinung, nein! Ja, wundert Euch, zieht hämische Gesichter, Droht, Ritter! selbst den Rücken mir zu bläu'n, Und scheltet mich den ungalantsten Flegel Es gibt doch ohne Ausnahm keine Regel. Und wollte ganz Europa mit mir rechten, Ob meinem kühnen aber wahren Spruch: Daß alle Damen uns nicht Rosen flechten, Daß schon Frau Eva uns gebracht den Fluch; Daß manche lieber uns vertilgen möchten, Trotz jenem schönen Text in Schillers Buch Ich bliebe dennoch fest bey meiner Meinung, Verweisend Euch auf - Cholera 's Erscheinung.

Moralische Bewährung Ha, wie die Weiberhelden jetzt erblassen! Der Nähme schon hat sie erfüllt mit Grau'n; Nun werden sie mich wohl in Ruhe lassen, Und meinen inhaltschweren Worten trau'n; Sie werden selbst die böse Sieben hassen, Wenn sie die Fürchterliche auch nicht schau'n; Doch ich, entrüstet, will es muthig wagen Der Dame meine Meinung herb zu sagen. Wer ist Sie denn, die hergelaufne Dirne, Die man nur von der schlecht'sten Seite kennt, Die alle Länder, ha! mit frecher Stirne Und meuchlerisch wie ein Bandit durchrennt! Mich dünkt, fürwahr! es spukt Ihr im Gehirne, Weil Sie so wenig Art und Sitte kennt, Bald hier, bald da ab von der Straße weichet Und sich - о pfuy! - in uns're Häuser schleichet. Was treibt Sie da für wild entsetzlich Wesen! Steht mit den Furien die Megär' im Bund? Ja, eine Mißgeburt ist sie des Bösen, Das geben tausend ernste Stimmen kund. Und könnte Sie nur erst die Zeitung lesen, Wie gräßlich Sie erscheint dem Erdenrund, Sie würde schier vor Galle dann vergehen Und ließe sich - Gott geb' es - nimmer sehen. O, möge Sie auch noch so grimmig schauen, Ich lach' Ihr dennoch höhnend in's Gesicht. Ich weiß gar wohl es darf Ihr Niemand trauen, Allein zum Hasenfuß macht Sie mich nicht; Denn nie gezittert hab' ich noch vor Frauen, Ich bin ein Mann, der von der Leber spricht, Und frage Sie - Sie - doch ich will nicht fluchen Was in Europa hat Madam zu suchen? Ich glaube nicht, daß Jemand Sie verschrieben Aus Hindostan, vom fernen Gangesstrand; Und konnte dort kein Mensch, Madam! Sie lieben, So sind wir hier noch weniger galant. Warum sonach ist Sie nicht heim geblieben, Die man bis jetzt, Gott lob! gar nicht gekannt? Nun rede Sie\ denn ich, bey meiner Ehre! Wollt' daß Sie längst beym Beelzbub wäre!

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Daß Gutes nicht an Ihr, о das beweisen Die Länder alle, die Sie schon durchstrich; Betragen hat Sie sich auf Ihren Reisen Wie selbst nicht Attila, der Wütherich: Von China scheut man bis nach Rußland, Preußen, Sie schrecklicher als den Tarantelfisch, Ja, ärger als ein Heer von Skorpionen Wo immerdar nur Menschen mögen wohnen. Welch Unheil hat Sie sonst nicht angerichtet! О wäre Sie doch selber dran erstickt! Denn so wie Sie das Volk der Männer lichtet, Hat selbst Zerstörern nicht geglückt. D'rum fühlen wir zur Wehre uns verpflichtet, Und Niemand seinen Groll mehr unterdrückt; Wir wollen Sie, die grimmigste der Plagen, Trotz Ihrer Tücke, aus Europa jagen. Mag Sie, den Hexen gleich, dann Ihre Reise Hoch in die Lüfte nehmen bis zum Mond, Mag sie zum Styx, nach mancher Furien Weise, Den Weg sich bahnen, wie Sie 's längst gekonnt, Und gilt es gleich dem Kinde wie dem Greise, Wenn Sie die liebe Erde nur verschont; Und sollte dieser gute Wunsch nicht frommen So mag Sie selbst die Cholera bekommen! Stets guter Laune sind die maß'gen Leute, Sie lachen selbst in drohender Gefahr; Da wird man nicht so leicht des Uebels Beute, Das stets den Furchtsam-Schwachen schrecklich war. Ja, ja Madam! bleib' Sie nur hübsch bey Seite, Denn das Geheimniß ward allmählig klar, Daß die Gefahr sich nähert und verschlimmert, Wenn man sich ängstlich stets um Sie bekümmert. Verachten muß man Sie, - Sie Unverschämte! Und lachen muß man Ihr in's Angesicht; Der war' ein Thor wohl, der sich deßhalb grämte, Weil Sie mit unsichtbaren Waffen ficht! Ja, anders wär's, wenn uns der Schrecken lähmte, Doch, Dank dem Himmel! das besorg' ich nicht; Uns schützt Hygieja und der Schicksalslenker Und nun, Frau Cholera, fahr' Sie zum Henker!

Moralische Bewährung

[Belehrungen über die Cholera]60 Schreckliche Furie! dem Orkus entstiegen, Indianerin! tötende, du! Störerin all' uns'rer Frühlings vergnügen, Cholera morbus! ach, laß uns in Ruh. Ziehe nach Portugal - rütt'le mir Einen, Der als Cholericus allen bekannt; Kannst auch noch andern Ortes erscheinen; Aber verschone das preußische Land! Gleich einer grimmigen Hyäne Erscheint das Wesen „Cholera." Auch uns schon zeigt es seine Zähne, Entlockt dem Mitleid manche Thräne, Ist uns, ach! schon gefährlich nah'. Berüchtigt wohl durch böse Thaten, Kam würgend es in Moskau an, Und rücket gegen deutsche Staaten, Durch's Heldenländchen der Sarmaten, Jetzt dräuend gegen uns heran. Gut, daß ihr Stadt und Land umzäunet; Der Argen ist nicht viel zu trau'n! Wenn sie nun aber doch erscheinet? Dann haben bald wir ausgeweinet, Und uns umfängt des Kirchhofs Zaun. Selbst Enten, Pferde, Hühner, Rehe Ereilet sie im schnellen Flug. Ihr Feuerwächter auf der Höhe Der Thürme, blaset dreimal Wehel Doch jetzt des Klagens auch genug. Es hangt der Mensch an einem Götzen; Der folgt ihm durch das Pilgerland, Erfüllet oft ihn mit Entsetzen, Wird bald durch Unsinn ihn ergötzen: Wem wäre - Thorheit unbekannt! Ja, während ich die Verse schreibe, Die, Leser jetzt Dein Aug' erblickt, Wird Unglück von dem Höllenweibe, Von Thorheit, stürmend uns zu Leibe, Geschlossenen Visirs, geschickt.

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Das Vermächtniß61 Ich bin schon alt, es mahnt der Zeiten Lauf Mich oft an längst geschehene Geschichten, Und die erzähl' ich, horcht auch Niemand auf. So weiß ich aus der Chronik und Gedichten, Wie bei der Pest es in Ferrara war, Und will davon nur einen Zug berichten. Es scheute wohl sich Jeder vor Gefahr, Den pesterkrankten Vater floh der Sohn, Die Mutter selbst das Kind, das sie gebar. Es war zu heißer Sommerszeit; gefloh'n Von Freunden und Verwandten, weltverlassen Lag Bassio della Penna sterbend schon. Sein Testament, das wollt' er schreiben lassen; Es ließ sich endlich ein Notar bewegen, Das Dokument rechtskräftig zu verfassen. Und er: ich will es ihnen auferlegen, Ich meine meinen Kindern, meinen Erben, Anständig meine Fliegen zu verpflegen. Und der Notar: ihr lieget schon im Sterben, Wie schickt sich's, Basso, daß ihr Scherze treibt, Anstatt um euer Heil euch zu bewerben. Drauf dieser: schreibt, wie ich euch sage, schreibt! Ihr seht mich ja verlassen von den Meinen, Da noch dies Fliegenvolk mit treu verbleibt. Nur treu aus Eigennutz, so mögt ihr meinen; Ich will's nicht untersuchen, will allein Es wissen, daß die Treusten sie mir scheinen; Bei Gott! ich muß und will erkenntlich sein. Drum, schreibt es nieder, so wie ich euch sage, Denn wohlerwogen ist der Wille mein: Alljährig sollen sie am Jacobstage Aussetzen einen Scheffel reifer Feigen Den Fliegen allzumal zum Festgelage. Und sollten sie darin sich lässig zeigen, Und unterblieb' es nur ein einzig Mal, Fällt Hab' und Gut dem Armenhaus zu eigen. Und noch geschieht es so, wie er befahl, Und am bestimmten Tage zugemessen Wird noch den Fliegen zugemessen ihr bestimmtes Mahl. Der Fliegen hat kein Erbe je vergessen.

Politik und Krieg

6. Politik und Krieg Die Cholera62 [·..] Und das große Zerstörungs- und Schöpfungsjahr, Das dreißigste, gekommen war; Da sah der Engel in rauschendem Leben Die Völker sich alle bewaffnet erheben; Ach, wo sich lebendigstes Leben regt, Am liebsten der Tod sein Zelt aufschlägt! Und Aziel sah eine Nation, Die unterm Drucke geblutet lang, Ueber die von stolzem Herrscherthron Die Despotie den Scepter schwang; Die lang' im Stillen geseufzet schwer, Die Unerträgliches ertragen, Doch nun ertragen wollte nicht mehr, Sie sah er der Wagstücke kühnstes wagen. Er sah sie die eisernen Ketten brechen, Die tief ihr geschnitten in Mark und Blut, Er hörte sie in Donnern sprechen, Und sah sie kämpfen mit Löwenmuth! Da schaut' er zum dritten Male wieder Von einem Berg in's Thal hernieder, Und betete: „Gott wolle der Armen, Allgütiger, wolle dich erbarmen! Sende mich nicht in ihr Land hinein! Laß hier das Ziel meiner Wandrung sein!" Doch keine Antwort vom Himmel erscholl; Da folgte der Engel schwermuthsvoll Dem Drang, dem er durfte nicht widerstehen; Er hieß über Polens Grenze ihn gehen. Da buhlt' er mit dem blut'gen Krieg Nun um den thränenwerthen Sieg; Aus Russen wie aus Polenhelden Hier doppelte Pfeile die Streiter fällten. Doch Aziel, welcher der Polen Schaar In stiller Seele gewogen war,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Verschonte die Häupter ihrer Führer, Doch packt' er der Russen stolze Regierer. Auf Konstantin in seinem Schloß Spannt' er sein tödtendes Geschoß; Zu Diebitsch trat er in das Zelt, Und sprach mit düsterm Wort und Sinn: „Du ziehst nicht wieder in das Feld!" Da sank der Oberfeldherr hin. Nun zitterte Deutschland; es Schloß sein Thor, Und thürmte die schützenden Wälle vor; Jedoch mit ungehemmten Gang Bald Aziel jeden Wall übersprang; Und schnell eine Kaiser- und Königsstadt Sein würgender Arm umschlungen hat; Von Hamburg weht sein Hauch daher, Ja, nach Britannia über's Meer Trug ihn sein rascher Flügel schon; Selbst Afrika ist ihm nicht entflohn; Rings sehen wir nun den Schrecklichen dröhn! Schon weht sein Athem uns schauerlich an, Schon tönt sein Wort an unsre Ohren: „Betrachtet meine Riesenbahn! Ihr hemmt mich nicht! Ihr seid verloren!" Und Alles bebt, und Alles erbleicht Und fühlt vor Schreck sich erkalten, Ein Heer von Phantasien schleicht Durch all Geister und Nachtgestalten; Der Tod, als Würger schon furchtbar allein, Er soll für die Welt nun verdoppelt sein. [.·.]

Doch wo ist Aziel uns hingeschwunden? Wo ist der Teufel Schaar, die wir gesehn? Wo sind vom Himmelschor die weitern Kunden? Wird Holl' und Himmel bald zum Kampfe gehn? Sie kämpfen schon, wie sie seit ewig stritten, Wir sehn's mit halbverschloss'nen Augen an; Der Riesenstreit entbrennt in unsrer Mitten; Viel Guthes und viel Böses wird gethan; Und aus dem Bösen muß das Gute keimen, Doch Gutes selbst wird auch des Bösen Quell,

Politik und Krieg Wo alle Flüsse rasend überschäumen Und sich im Stoß begegnen Well' und Well'; Denn nahe rühren mit verwandten Polen Das Göttliche und Teuflische sich an, Und aus dem Flug nach himmlischen Idolen Wird oft Herabsturz in die Höllenbahn! Was Aziel will, wie weit er noch wird schreiten, Verschwiegen bleibt's von unserem Gesang; Gar Manches sieht der Seher; doch die Saiten Verstummen gern nach ihrem schönsten Klang.

Zur Zeit der Gefahr63 Ein Ungeheu'r, im Orient geboren, Aus mörderischer, giftgeschwollner Brut, Erscheinet an den vaterländschen Thoren, Und wählet schon die Opfer seiner Wuth, Den Pfad, der es zu uns hierhergetragen, Bezeichnen Angst und Blut und Todesklagen. Dieß Ungethüm - wer fürchtet's nicht als Seuche, Die - eine Geißel Gottes - unerkannt Durchzieht der Erde schreckerfüllte Reiche, Und das Entsetzen führt von Land zu Land? Und die nicht eher will in Nichts versinken, Bis ihr's gelang, am Mord sich satt zu trinken. Europa bebt vor ihrem Riesenschritte, Der von der Grenze weit entleg'nem Saum, Sie plötzlich bringt in seines Herzens Mitte, Und - noch nicht heimisch in dem neuen Raum Mit einem Mal im fernen West erscheinet, Und so gewaltig Pol und Pol vereinet! Da ahn't der sünd'ge Mensch der Gottheit Nähe, Und beuget sich vor ihr im tiefsten Staub, Und rufet Wehe! ruft sich selber Wehe! Und gibt sich der Verzweifelung zum Raub: Gebethe lallt sein Mund, sein Herz erbebet, Dieweil er fühlt, wie sündig er gestrebet.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Ihr Rasenden, so lang' die Ruthe dräuet, So lange düster Euch der Sturm umhängt, So lang, als Ihr, dem nahen Tod geweihet, Euch an die Stufen der Altäre drängt, So lange werdet Tugend ihr geloben, Wirds heller, - ist der beß're Sinn zerstoben. Der Zeitgeist hat im aberwitz'gen Wahne, Sich frevelnd an das Heilige gewagt, Und brütet nun, nach argerdachtem Plane, Wie er in toller, sinnverwirrter Jagd Auflichten Höh'n das Große mag vernichten, Um seinen eig'nen Popanz aufzurichten. Wie dieß gelang? das hört man weithin schallen, Das zeigt Europas hingewürgte Ruh, Und All' die Tausend, die bereits gefallen, Und die man noch dem Tode schleudert zu Drum wird zur Noth, zum Aufruhr und zu Kriegen Gott noch die schärfste Geißel: - Krankheit fügen. Mein Oesterreich - drum will ich Dich preisen, Das in der Zeiten wild bewegtem Drang, Sich rein erhielt, und aus den tollen Kreisen Herausschritt seinen ernsten, g'raden Gang, Und treu den alten Biedersinn bewährte, Und Gottes Ruf in Kaisers Satzung ehrte! Drum zage nicht in ernster Prüfungsstunde Und du mein theures, heimathliches Wien, Erbleiche nicht zu sehr der Schreckenskunde, Daß schon der Seuche blut'ge Spur erschien; Und laß dich dann nicht vom Koloß zertreten Der Retter wacht auch in den höchsten Nöthen! Die Vorsicht lebt ja, - Einer wacht voll Kummer, Und wägt in schwerbefangner Brust die Noth, Die mit gigant'schem Hauche Todesschlummer Den Legionen der Erschaffnen droht Er will mit Freuden Millionen spenden, Der Thränen Loos von unsrem Haupt zu wenden. Und so wie Er, so werden seine Treuen Von ihres Herrschers mildem Geist erfüllt, Dem Kampfe kühn die besten Kräfte weihen,

Politik und Krieg Und nichts versäumen, was der Rettung gilt; Und mag die Nacht sich schwarz und schwärzer dichten, Sie werden sich durch Rath und Sorge lichten! Doch, daß ihr schönes Walten mag gelingen, So laßt uns auch am frommen Werke bau'n, Und wenn die Schrecken alle uns umringen, Auf ihre Einsicht, ihre Treu' vertrau'n, Und denken, wenn sich rings der Himmel trübet, Daß Gott nur jene heimsucht, die er liebet.

Zur Cholerazeit64 Meiner Hoffnung fromme Blume, die ich heimlich nährt' und tränkt', Hielt in stiller Todesahnung schon ihr rosig Haupt gesenkt; Lenz und Licht umsonst erharrend, siechte sie schon lebensmatt, Ach und seine grüne Flagge strich besiegt ihr welkes Blatt. Dies geschah zur Zeit, als oben sprach der Herr vom Wolkenthron: „Hast Du meines Zornes Bothen, Erde, so vergessen schon, Den verkündet Bluttrabanten, dem gefolgt Brand und Entsetzen, Daß, nachzitternd noch, du wieder opferst schon den alten Götzen? Steige, zweiter Engel, nieder ohne Schwert und Blut und Brand! Schwing als richtend Schwert ein Füllhorn duft'ger Frücht' in deiner Hand, Nimm zu Flügeln weiße Blüten, Frühlings Sonnengold zu Locken; So, moderne Pest, nun walle säuselnd hin auf Zephirs Socken!" Und der Engel flog vom Osten, wo der Tag wohnt und der Zar, Stumm uns näher, immer näher, ird'sehen Augen unsichtbar, Seine luft'gen Bahnen zeigte doch auf Erden, Meil' auf Meile, Der gefallnen Leichen stumme, unabsehbar lange Zeile. Sommer war's, zum Herbst sich neigend, schöne, klare, sonn'ge Tage; Sieh, das Volk, hinaus lustwandelt's nach dem Felde, nach dem Hage; Weh, es zielt mit Sonnenstrahlen jetzt auf euer Herz der Tod! Weh, es kühlt in Baumesschatten euch des Lebens Schweiß der Tod! Diesen dürstet, - о wie lieblich dort die frische Quelle singt! Seht an ihrem Born ihn liegen: Tod ist's, was sie rauscht und klingt! Jener Knabe lechzt nach Labung, - Trauben winken Wangenrot; Heuer gibt's ein reiches Lesen, doch der Weinstock trägt nur Tod!

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Schwärmerische Seele, wandle nur in süßem Mondenschein: Aus des Lebens Jammertalen wird dir bald Erfüllung sein! Greiser Vater, Euren Segen, eh' verglüht das Abendrot! Weh dir, guter Sohn, als Segen quillt aus Vaters Hand dir Tod! Weiche Kissen! Taftgardinen! Süßen Kuß auf roten Mund! Weh, der Kuß des Liebchens siegelt Tod auf deiner Lippen Rund! Reu'ger Sünder, nimm die Hostie am Altar im Kerzenstrahl! Das Versöhnungsmahl der Reue ist dein letztes Abendmahl! Zeit der Reu' ist's und Bekehrung; wie das Volk der Priester rennt! Todesfeindschaft sucht Versöhnung, Ehebruch und Mord bekennt, Alle Sünder tun jetzt Buße; - Lenker meines Volks, nun spürt Ihr doch auch des Todes Schrecken, der euch bessert, läutert, rührt? Siehe, meiner Hoffnung Blume fand ich wieder aufgelebt, Ihres Blattes grüne Flagge frisch und froh emporgestrebt! Dies geschah zur Zeit, als mitten unter uns der Engel stand Und ich hart an mir das Wehen seines Rügelschlags empfand. Und es kommt ein furchtbar Sterben. Mit dem Tod wirst du vertraut, Daß vorm eignen Spiegelbilde, ist's noch Wangenrot, dir graut, Daß du abends bebst zu Bette, gleich als ob dein Sarg es sei, Daß sie Grau'η erfaßt, begegnen sich lebend'ger Wesen zwei. Tag, was warfst du des Erwerbes Werkzeug aus der Hand so früh? ,Ach, weil Sarg und weißes Linnen sich erwirbt mit keiner Müh'!" Nacht, hast du vergessen Lieder, Knall der Flaschen und Frohlocken? ,.Meine Liebling', all entartet, lauschen nur den Sterbeglocken!" Haben meines Volkes Lenker nicht des Engels Hauch gespürt, Daß am alten Tun sie haften, ungebessert, ungerührt? Nein, sie stehn wie Marmorbilder, kalt und starr an einem Grab; Ihrer Schilder alter Losung wäscht kein Sturm, kein Regen ab. Aber als ich nach der Blume meiner Hoffnung wieder sah, Lag zertreten sie am Boden, todeswelk und farblos da. Dies geschah zur Zeit, als von uns sich des Engels Flug gewandt; Wer erharrt es, bis der dritte, fürchterlichste Bot' entsandt?

Politik und Krieg

Der Dichter und seine Zeit63 Schreckenszeit! in der ich lebe, schau' ich dir ins Angesicht, Wie in deinem irren Auge blutig sich die Zukunft bricht, Wie in deinen wüsten Locken Unsinn frech und Irrthum wühlt, Und an deinem kalten Busen Niemand wahre Freude fühlt; Wie an deines Ganges Ferse, heil'ger Freiheit zugelenkt, Abermals Verrath und Bosheit und Erbärmlichkeit sich hängt, Wie an deinen süßen Lippen, nur der Wahrheit aufgethan, Wiederum mit gift'gen Bissen, nagt der Lüge Natterzahn. Wie von deinem reinen Schwerte der Gewaltthat Tropfen leckt, Und sich unter deinem Schilde das Verbrechen feig versteckt. Seh' ich dieses mit Entsetzen, will mir fast des Sanges Laut In der reinen Brust ersterben, von dem Schreckbild angegraut. Alles steht in o f f n e m Kampfe, rings gezückt den Rachestrahl; Alles blickt mit Furcht und Beben in der nächsten Zeiten Qual. Auch die stärksten Säulen wanken unter ihrer Riesenlast, Und nichts hält sich, nichts bestehet, was ihr wilder Schwung erfaßt. Gleich zermalmet stürzen Throne, jüngst noch stolz und reich geschmückt, Wie die niedrigste der Hütten, wild von einer Macht erdrückt, Und mit ihrer bleichen Schwester: Krankheit an der siechen Hand, Schleicht die Noth auf trägem Gange zehrend rings von Land zu Land. Und wo sie sich zeiget, folgen Wüsten ihrem wüsten Schritt, Und zum Pesthauch wird der Boden, den die bleiche Schwester tritt, Und zum Irrthum wird die Wahrheit bei des Zeitlichts Dämmerschein; Alles treibt und drängt sich wirbelnd rings in einen Nebel ein. Genius des Lichts, erhalte in der allgemeinen Nacht Fest in meinem heil'gen Glauben, fest an deine ew'ge Macht! Laß in diesem irren Nebel finden mich den rieht'gen Pfad! Und für reine Menschenrechte kämpfen rein mit Wort und That! Lehre jeden Laut mich prüfen, eh' der Leier er entsprüht! Lehr' mein Inn'res mich erkennen, ob es rein für Wahrheit glüht! Ob nicht Eitelkeit, nicht Rache treibt des Eifers heil'ge Pflicht! Laß mich kämpfen, laß mich fallen, aber zweifeln laß mich nicht! Zweifeln nicht an deiner Stärke, nicht an deiner Götterkraft! Die dem Recht, trotz List und Bosheit, doch zuletzt den Sieg verschafft; Strahlend, gleich der Morgenröthe, durch des Wahnes Nebel dringt, Und hoch, über jeder Knechtschaft, das Panier der Freiheit schwingt.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Jener hehren, heil'gen Freiheit, welche bei dem Rechte wohnt, Und im Tempel des Gesetzes als die erste Gottheit thront; Die die feinsten Lügennetze, von der feinsten List gewebt, Kühn, mit Adlerskraft zersprengend, sich zuletzt doch rein erhebt. Die kein Pöbelwahn verlocket und kein Machtgebot erschreckt, Und allein Vernunft und Wahrheit durch Gesetz und Recht bezweckt. Genius des Lichts! erhalte, wenn auch Alles mich verläßt, Alles um mich stürzt und sinket, mir nur diesen Glauben fest! Sieh'! ich habe dir geopfert, deinem gold'nen Sonnenblick, Lebensruh', Gesundheit, Frieden, ach! mein ganzes, ganzes Glück. Hab' für dich gekämpft, gelitten, rein und heilig, sonder Lohn, Und allein dafür geerntet Noth, Verfolgung, Haß und Hohn. Hab' in deinem steten Kampfe, unter stetem Gram und Schmerz, Auch nicht einen Freund erworben, auch nicht ein getreues Herz; Steh' mit meinem reinen Eifer, steh' mit meines Kummers Pein, Unter allen, allen Menschen, wie geächtet, ganz allein. Aber sieh'! ich will nicht klagen, kämpfen, dulden, fort und fort. Nur, о Genius des Lichtes! - halte mir dein heilig Wort! Laß mich, wenn es sein muß, stürzen in des Unglücks tiefen Schacht! Nur verzweifeln nie an deines einst'gen Sieges Göttermacht! —

Absolute Herrschaft66 „Ha! auf Gräbern, Todtenäckern ihr Despoten nun regiert, Wo das absolute Szepter Moder, Pest, Verwesung führt: Auf den Leichen nun der Völker baut den absoluten Thron!" Also grinzt die Furie teuflisch mit der Hölle wildem Hohn. Mit Kometenschweife feurig zischt ihr blutig Schlangenhaar; Und auf ihren nackten Brüsten hungrig frißt ein wilder Aar; Seine Augen glüh'η wie Kohlen; wenn ihr die Sybille fragt: Dieses ist der Höllengeier der am Herzen Europens nagt, In der Länder Eingeweiden mit den blut'gen Klauen wühlt, Bis er sich in Blut, Verwesung und in Thränen abgekühlt.

Politik und Krieg

Kriegslieder gegen - die Cholera67 1. Krieg ist mein Lied. Weil alle Welt Krieg will, so sei es Krieg. Und Mann und Weib und Kind sei Held, Und Gott gewähr uns Sieg! Wer ist der Feind, der böse Feind, der unser Land bedroht, Der bald uns zu verschlingen meint? Das ist der bittre Tod. Der alte dürre Knochenmann, der sonst so christlich sprach, nur hier und dort, nur dann und wann Ein welkes Blümchen brach, Mit dem wir hielten Freundesbund Um billigen Tribut. Den alten biß ein toller Hund. Nun schnappt er blind nach Blut. Er hat die Weise ganz verkehrt, Kennt weder Scham noch Scheu, Schliff sich ein feuerrothes Schwert, und mäht das Volk wie Heu. So stürzt er vor aus Asia, Hält grimmig Leichenschmaus Er nennt sich Morbus Cholera, und droht der Welt Garaus. Den Russen hat er halb verzehrt, den Polen beißt er an Livonien wird ausgeheert Nun soll der Preuße dran. Doch hier ist Jedermann Soldat, Mit Noth und Tod vertraut; Wie, wann und wo der Streit sich naht, Man wehrt sich seiner Haut. Und kömmt der Feind auch unsichtbar, In Luft und Nebeldampf: Wir nehmen doch der Schanze wahr, Uns zittern nicht im Kampf.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung 2.

Gab's nicht der Rinnen schon genug, Wodurch die Leben fliehn? Muß noch ein neuer Todespflug Die Furchen breiter ziehn? Starb man nicht schon viel hundertfach Auf Griechisch und Latein? Bricht nun das fremde Ungemach Aus Asien auf uns ein! Und eh man gründlich noch erkannt, Wie's kömmt und wie es geht: Fährt es wie Sturm von Strand zu Strand, Und wir sind mit verweht.

3.

О nein! wir säubern unsern Strand Und wachen ernst und streng. Die Trommel tönt durch Stadt und Land: Aux armes, citoyens! Und rasch erregt sich Groß und Klein Ein jeder wird ein Held. Von außen her soll nicht herein, Was nicht vom Himmel fällt. Nur Muth gefaßt und nicht verzagt! Aus Furcht erzeugt sich Leid. Was diesen Tod von hinnen jagt, Ist ja die Heiterkeit. Ein munter Herz, ein froh Gemüth, Ein federleichter Sinn, Lacht aus dem hüpfenden Geblüt Den Stoff der Krankheit hin. Wer mäßig lebt und wohl verdaut, Den Kummer fahren läßt, Dabei auf seinen Schöpfer traut: Der stirbt nicht an der Pest.

Politik und Krieg

Schlachtgesang68 Mit uns sey Gott! Es schalle Der Kriegsdrommete Ton! Wir jubeln ihrem Halle, Gerüstet steh'η wir schon; Gott ist mit uns. Wir trauen Auf seiner Allmacht Schutz, Und bieten ohne Grauen Des Feindes Menge Trutz. Ist Gott mit uns! was kümmern Gefahren uns und Noth? Nur feige Seelen wimmern Vor Schlachtgefild' und Tod; Doch unserm Gott ergeben, Die Wehr in starker Hand, Weih'η gerne wir das Leben Dem lieben Vaterland. Gott ist mit uns! es wälze Die Welt auf uns sich her, Wir stehen, gleich dem Felse In sturmgepeitschtem Meer. Wie er den Wogenstürmen, So trotzen wir der Welt; Denn Gott kann uns beschirmen, Wenn ringsum alles fällt. Ist Gott mit uns, so falle Auch nah' am Freund der Freund; Gestärkter steh'η wir Alle Und kühner dann dem Feind. Und dräut der Tod auch allen, Wir halten festen Stand — Und fallen wir, so fallen Wir unserm Vaterland. Ist Gott mit uns, so splittert Der Feinde Lanz' und Schwerdt, Und Weib und Kind umzittert Nicht mehr den eig'nen Herd. Dann kehrt der holde Friede Zurück' in's Vaterland, Und wir, des Kampfes müde, Ruh'n unter Gottes Hand.

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

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Gott ist mit uns! Erblickte Nicht unser Vaterland, Das manche Noth oft drückte, Schon seine Wunderhand? Auf, raschen Muthes, Brüder! In Kampf und Schlacht voran! Der Wundergott thut wieder, Wie er zuvor gethan. Ist Gott mit uns, so fächelt Des Friedens Engel Ruh' Auf uns herab und lächelt Uns neuen Segen zu. Gott ist mit uns, - die Sonne Geht bald uns heller auf, Und neue Lebenswonne Kränzt unsern Erdenlauf.

Der Leichenzug69 Weß ist der Leichenzug im Walde dort? Er schleicht so langsam, unheilkündend fort. Die Zeichen deuten, prunkend ausgelegt, Daß dieser Sarg ein hohes Kriegshaupt hegt. Wo ist des Ruhmes fürstliches Gepränge? Der Jubel wo der ungestümen Menge? Und die Begleiter wehren mit dem Stab, Daß man ihm nahe, schon von weitem ab. О Solon! Solon! — Ihn erhob das Glück, Ihm schmeichelte ein günstiges Geschick; Zu seinen Füßen lag in stummer Scheu Der stolze Balkan, ein gezähmter Leu, Schon hat sein Ruf die weite Welt durchdrungen, Schon bebt, von dunkeln Ahnungen bezwungen, Sophias Tempelbau, und in Stambul Erzittert Osmans alter Kaiserstuhl. Und jetzt, wie tief gesunken von den Höhn, Auf denen jüngst Europa ihn gesehn! Ihn trug das Glück, doch er ertrug es nicht, Ach, und er erlag dem ehernen Gewicht. Wer mag die bittern Schmerzen alle sagen,

Politik und Krieg Die tiefgeheim an seinem Herzen nagen? Denn wie ihn einst Europa's Jubel trug, Hat ihn getödtet jetzt Europa' s Fluch. Da trat die Pest, die er ins Land gebracht, Hin an sein schlaflos Lager über Nacht, und eh' die Sonne sich im Westen birgt, Liegt schon der Feldherr blutlos hingewürgt. Ein dumpfer Ruf von dieser Schreckenskunde, Verbreitet grausend sich von Mund zu Munde; Wir ahnen wohl ein göttliches Gericht, Doch auszusprechen wagen wir es nicht. Kennt ihr den Leichenzug im Walde dort? Jetzt hält er an. Er ist am rechten Ort. Ihr Träger, senkt ins mauerfeste Grab Den schweren Sarg nun klaftertief hinab. Nun schließt die Gruft. Entfernt Euch schnell von hinnen Und denkt dem Schicksal nach mit tiefem Sinnen. Verstumme Lob, und du gemeiner Hohn Verstumm' auch du! Er steht vor Gottes Thron.

Diebitsch70 Diebitsch ist todt! O, warum starb Er nicht am Balkan bald, Wo er, was zeitweis jetzt verhallt, Den hohen Namen sich erwarb, Den vor ihm Keiner sich errang? Der Tod im rechten Augenblick, Wenn unser Nam' am schönsten klang, Ist, wie man glauben muß, ein Glück. Und dieses Glück war dir versagt! Der Ruhm, der auf der Berge Glanz Am alten Hämus dir getagt, Mußt opfern seinen Lorbeerkranz in Oede, Pest und Sumpf und Wald. Der Zeit Parthei entblättert dir Des Siegeskranzes hohe Zier; Sie huldigt gern der Allgewalt Des Eindrucks einer neuen Kraft,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Die neue Wunderthaten schafft. Und unsre bunte Zeit zumal, Vielfarbig wechselnd, längst verwöhnt, Erfreut sich, wenn der Heldensaal Alljährlich neue Häupter krönt. Der vor dem Jahr ihr Liebling war, Wir heut von ihr wohl gar verhöhnt. Sein Opfer fordert jedes Jahr. Denn nimmer ist die Zeit gerecht, Und nur ein künftiges Geschlecht Wägt nach Gerechtigkeit die That, Die als des Augenblickes Saat In ihrem grünen Keim entzückt; Doch die erst bleibend Werth erhält, Wenn sie bewährt, zum Heil der Welt, Den spätem Tag der Ernte schmückt. So schwankend ist des Helden Ruhm. Doch dir, erhabner Landsmann, ward Ein unvergänglich Eigenthum In deines Herzens Grund bewahrt. Gab schönen Namen dir der Krieg, Und ward durch deinen frühen Tod Des Endes Krönung dir bedroht, Dir blüht der unverwelkte Sieg Der edlen, schönen Menschlichkeit, Die dir dein deutscher Geist gewann. Auf Erden krönt sich Tapferkeit. Sie schmückte dich, sie schmückt den Mann, Ihr beugt sich, huldiget die Zeit, So lang das Glück ihr dient im Streit. Doch reichet sie nicht himmelan, Wo, wenn das Sternenlicht dir tagt, Der Himmelsgeist der Ewigkeit Nicht nach gewonn'nen Schlachten fragt.

Politik und Krieg

Bei der Nachricht von dem unerwarteten Tode des Feldmarschalls von Gneisenau71 Langest du, Grause, so hoch nach unseren herrlichsten Früchten, Forderst die Edelsten ab, o, so gebeut auch dem Krieg, Ende den greulichen Kampf und gönne den Menschen die Schmach nicht, Tod zu verbreiten, wie du, zwinge sie, menschlich zu sein. Ist es gefallen, das Opfer, das Allen vom Herzen geraubte, Laß es zur Sühne dir sein, führe zum Frieden die Welt.

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

Herrscherlob An den Kaiser, nach seiner Rückkehr aus Moskau, im October 1830, wo damals die Cholera Morbus wüthete72 Willkommen aus des Todes Rachen, In den Du, von der Todesangst Die schwer geprüften frei zu machen, Mit kühnem Märt'rermuthe sprangst! Wer unter allen Kronenträgern, Die ihres Volkes Stolz und Lust, In Goldpallästen und in Lägern, Ist solches Opfers sich bewußt? Gott hat es gnädig aufgenommen, Das ungehießen Du gebracht; Bist glücklich der Gefahr entkommen, Hast Trost und Hoffnung mitgebracht, Und hast, weß Kleinmut sich bemeistert, Zu Handlungen, des Nachruhms werth, Durch Beispiel, Rath und That begeistert, Daß Ruh' und Ordnung wiederkehrt. Wer unter seines Thrones Trümmer, Des sturmbewegten, sich begräbt, Für Zeit und Nachwelt hat er immer Ein liebenswerthes Ziel erstrebt; Doch darf er sich mit Dir nicht messen, Der sich, durch unsre Noth erweckt, Großmüthig für sein Volk vergessen, Und seiner Qual ein Ziel gesteckt. Doch hat nicht eitle Sucht zu glänzen Zu diesem Opfer Dich gebracht, Du bist geschmückt mit edlern Kränzen, Die Dir kein andrer streitig macht. Es ließ ein zärtliches Erbarmen Mit uns Dir weder Ruh noch Rast, Ein göttlich Mitleid mit uns Armen Trieb Dich aus sicherem Pallast.

Herrscherlob Wie fällt die Scheidewand der Stände, Seit Du mit Trost das Herz erfüllt! Wie bietet alles froh die Hände, Wo es der Brüder Rettung gilt! Wie regt es sich auf allen Gassen! Soll etwas Gutes wo geschehn, Muß sich's auf Thronen sehen lassen, Vom Thron aus muß das Beispiel gehn.

Szene aus Wien im Jahre 183173 Der Tod kalt durch die Erde geht, Die Ähren und die Saat er mäht, Der Bleiche schreitet nimmersatt Durchs Ungerland zur Kaiserstadt. О Toter! wie bist du allein! Kein Bruder folget seinem Schrein, Gedungne Träger, stumm und kalt, Fortschleppen dich ohn' Aufenthalt. Und wo der Zug erscheint, da weicht Das Volk zur Seite und erbleicht. Hier auch kommt so ein Zug heran, Sie tragen einen Bettelmann. Kein Aug' auf dieser Welt dem weint, Dem folgt am wenigsten ein Freund. Erschrocken weicht das Volk zurück, Nur Einer bleibt, Mitleid im Blick, Und schnell gewandt zum Sarge, geht Der hintennach, still, im Gebet. Ich bin ein fremder Wandrer hier, Wer ist der Mann? о sagt es mir! Ist das nicht hier der beste Christ, Wenn es nicht gar ein Engel ist? „Ja, Wandrer, du bist fremd hier ganz, Der Mann dort - ist ja unser Franzi"

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

Der Leichenzug des Armen74 Im einfachen Gewände, ohne äußern Glanz, Ging jüngst durch Badens Straßen der gute Kaiser Franz. Doch in der Völker Herzen, da lebt so treu sein Bild, Und jeder kennt die Züge, so theuer, sanft und mild. Vorbei an einer Kirche führt jetzt des Kaisers Gang; Da schallet ernst und düster der Glocke dumpfer Klang; Und aus der Kirchenpforte trägt man einen Sarg heraus; Doch folgt kein Freund dem Verblich'nen zum dunklen letzten Haus. Still stehet hier der Kaiser, und sein Begleiter meint, Daß, der im Sarge ruhet, wohl arm und dürftig scheint; Denn ihn begleite betend kein Mensch zum kühlen Grab, Und keine Thräne falle auf seinen Sarg herab. „Nun, ist er so verlassen!" rief Kaiser Franz: „wohlan! So wollen wir ihn begleiten, den armen, verlassenen Mann; Sieht man den Landesvater mit dieser Leiche geh'n, So werden wir die Andern gewiß uns folgen seh'n." Er spricht's; es folgt dem Sarge, dem Niemand folgen will, Das greise Haupt entblößet, der Herrscher ernst und still; Das Haupt, das vierzig Jahre die Kaiserkrone trägt, Und stets mit Vatergüte der Völker Wohl erwägt. Erstaunet und erschüttert mit tiefbewegtem Sinn, Blickt Jeder auf dies Vorbild der Fürstenmilde hin, Und Jeder folgt dem Kaiser, der durch sein Beispiel ruft; Mehr als vierhundert Menschen begleiten den Armen zur Gruft. Dies Denkmal Deiner Güte, Du milder Vater Franz, Wie giebt es Deiner Krone noch neuen Tugendglanz! Wie hebt es in der Ferne stolz freudig meinen Sinn, Daß ich von Deinem Volke, von Oestreichs Fluren bin!

Herrscherlob

Das kleine Mädchen bei herannahender Cholera73 „Die Kleinen," - sprachst du lieber Gott! „Sie sollen zu mir kommen!" Ich komm' - zu dir hab' in der Noth Ich Zuflucht jetzt genommen, Ich komm mit Bitten nun zu dir, О lieber Gott! gewähr' sie mir! Die lieben Eltern hör' ich oft Von einer Krankheit sprechen, Die jetzt auch einmal unverhofft In unser Land soll brechen, Die soll gar eine große Pein Und vieler Menschen Mörder seyn. О lieber Gott! ich bitt' dich schön, Ach weise sie zurücke, Sie soll sich fort von Ostreich drehn, Nach - nach - zu meinem Glücke Weiß ich, und wünsch' sie keinem Ort, Sie packe lieber ganz sich fort. Und muß sie dennoch kommen her, Nach deinem höchsten Willen, So laß sie hier nicht gar zu sehr Ihr grauses Wüthen stillen, Doch nein, das fürcht' ich nicht von ihr, Man wird ihr's schon vertreiben hier. Des guten Kaisers heil'ges Haupt, Das darf sie nicht berühren, Auch hast du's sicher nicht erlaubt Hier Jemand wegzuführen Von seinem Hause hoch verehrt, Uns Allen unaussprechlich werth. Auch Alle, die in unserm Land Als Stützen wir verehren, Die leiten uns mit milder Hand, Uns schützen, pflegen, nähren, Sie Alle, ach so gut und mild, Beschirme Gott mit deinem Schild.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Von allen braven Leuten soll Sie Keinen hier begraben, Und ist sie wirklich gar so toll, Und muß sie Opfer haben, So nehme sie die Bösen fort, Das sind nicht viele auf mein Wort.

Gewitter, Sonne, Vater76 Vorüber rauscht das Gewitter, Der Todesengel hält ein; Durch der Wolken Kerkergitter Blickt wieder die Sonne herein. Zwar fallen noch einzelne Tropfen, Und jeder Tropfen ein Tod, Doch nicht mehr so bange klopfen Die Herzen, vorbey ist die Noth. Satt ist das Ungeheuer Zwar lange noch nicht, doch es zieht Durch die Brust der Athem schon freyer, Da die Sonne man wieder sieht. Und Alles, vorsichtig, weise, Mit ruhigem Angesicht Tritt zurück in die alten Geleise Der lieben gewohnten Pflicht. Der letzte Gram, der den Kindern Nach der Straf im Herzen noch weilt, Muß am Lächeln des Vaters sich lindern, Der als Sonne die Wolken zertheilt. Die Sonne hat blicken sich lassen, Und wie da versöhnend sie steht, Unser Kaiser hin durch die Straßen Ein liebender Vater geht. In den Nächten, als unsrer Schlummer Das klingende Glöcklein brach, Da hielt den Vater der Kummer Um die leidenden Kinder wach.

Herrscherlob Jüngst, als der bleiche Jammer Durchschritt das entsetzte Wien, Als die Stadt eine Sterbekammer Und der Himmel ein Leichentuch schien: Als die Muthigsten diesen Mauern, In denen der Tod, enteilt, Da blieb Er, und unser Trauern Hat seine Liebe getheilt. Und wie Er getheilt unsre Sorgen, Keiner Sorge für sich bewußt, So theilt Er nun, da wir geborgen Unsre wieder auflebende Lust. Als der Tod dieß mußte schauen, Da wandt' er besänftigt sich ab: Stille Trauer wieder, nicht Graun, Gräbt den todten Lieben ihr Grab.

Seine Majestät der Kaiser77 Heil! Daß uns'rer Mitte Du geblieben In gar so schwerer kummervoller Zeit; Daß Du, ein Vater, ganz Dich uns geweiht, Daß Du, in solcher Noth, bey uns geblieben. Gewitter schwanden, die verderblichtrüben Der helle Tag ist wieder mild erwacht; Nur Dir ward uns're Rettung zugedacht, Und Deine Kinder sollen Dich bloß lieben? Was sie erfüllet, kann das Wort nicht sagen, Es liegt zu tief auf ihrer Seele Gründen; Es ahnt sich nur in dem Jubelhalle, Den Herz und Thräne zu den Wolken tragen. Doch fühlen so nicht nur, die hier sich finden, Das fühlen auch die Fernen. Alle! Alle!

Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

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Volkslied78 Des Königs frommes, treues Herz Will seines Volkes Heil, Es nimmt an Freuden, wie an Schmerz, Mit gleicher Liebe Theil, Und neigt mit väterlichem Sinn Sich huldreich zu der Armuth hin. Groß ist zur Zeit des Volkes Noth Durch Nahrungslosigkeit; Durch Krankheit und durch schnellen Tod Häuft Jammer sich und Leid. Der König sieht's, Sein Vaterherz Weiht sich dem Volk in Leid und Schmerz. Kommt, ruft sein Königliches Wort, Vergesset Noth und Pein, Die Nahrungssorgen scheuch' ich fort, Ihr sollt beschäftigt sein! Doch blickt auf Gott im Glauben hin, Und hofft auf ihn mit Kindessinn! Die Zeit, sie ist des Herrn Gericht Für schwere Missethat; Vom Tod erlösen kann ich nicht, Da weiß der Herr nur Rath; Gott kennt das Herz, ist dies nicht rein, So kann kein König Helfer sein. Ist Jemand noch der Sünde Knecht, Er flehe zu dem Herrn: Gott, Deine Strafen sind gerecht, Doch siehst Du Buße gern, Und willst ja nicht des Sünders Tod; Nein, Du erbarmst Dich seiner Noth! Bleibt aber unser Herz verstockt, So hilft nicht Königsmacht: Wer Gott nicht hört, wenn er ihn lockt, Dem droht des Todes Nacht! D'rum laßt bei innig heißem Flehn Den Herrn des Herzens Reue sehn.

Herrscherlob О Volk, vernimm des Königs Wort, Er heget Vatersinn! Wirf Dein Vertrauen nimmer fort; Bald flieht die Noth dahin. Gott schützet dann mit Allmächte Hand Den König und das Vaterland. Heil sei Dir, König, für und für, Fest steht Dein Herrscherthron; Denn Frömmigkeit ist seine Zier, Und Gottes Schutz Dein Lohn! Dein Vorbild lehrt uns, Gott vertrau'n, Auf Seine Vatergüte bau'n.

Seiner Majestät dem Könige von Preußen gewidmet. Am dritten August 183179 Was ist es, daß mit allgewalt'gem Zuge Mein stummes Saitenspiel sich heut beschwingt? Was ist es, daß mein Lied im Sturmesfluge Hinaus, hinauf in weite Ferne dringt? Nicht ist's der Glückwunsch nur aus meinem Herzen, Die Thräne, die in meinem Auge schwimmt, Es sind die Hoffnungen, es sind die Schmerzen, Von Millionen, die mein Ohr vernimmt, Durchwandert hab' ich Deutschland's grüne Auen Vom Schweizer Hochland zu dem fernen Belt, Von unsers Rheines rebenreichen Gauen Bis zu der Weichsel blutdurchtränktem Feld, Da fand ich nirgend mehr ein heitres Leben Die Freunde nicht bei Jubel und Gesang, Das Volk schaut in die Zukunft nur mit Beben Und hört des Schicksals nahen Donnergang. Welch' Schauspiel hat die Sonne zu bescheinen, Steigt sie im Osten bluthigroth herauf, Und welchen Tag hat sie dann zu beweinen, Vollendet sie im Westen ihren Lauf. Im Aufgang will der Brudermord nicht enden, Dort hat sich zu dem Krieg die Pest gesellt; Der Aufruhr wüthet mit befleckten Händen Im Niedergang durch die verworr'ne Welt.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Nur Einer lebt, auf den, fest im Vertrauen, Das deutsche Vaterland mit Hoffnung sieht, Wie thürmend sich die dunklen Wolken bauen, Wie schwer herauf auch das Gewitter zieht; Fragt bei der Fürsten edelem Geschlechte, Fragt bei dem Volk in niedrer Hütte an, Sie rufen: Friedrich Wilhelm der Gerechte, Er ist's allein, der dießmal retten kann. Den alten Glauben sehn wir wiederkehren, Der in dem Jahre dreizehn sich bewährt, Den Glauben an die siegbekränzten Ehren, An unsers Königs Wort und an sein Schwerdt. Dieß Wort, Du wirst es in die Schaale legen, Des Friedens Wort, des Vaters ernsten Rath, Und schreiten sie nicht billig zu Verträgen, Wohlan denn, so entscheide Schwerdt und That! Dein Adler ist es, der mit scharfen Fängen Im Osten Krieg und Pest den Fortgang wehrt, Er ist's, der bei der Kriegsdromete Klängen Des Aufruhrs Wuth im Westen schon beschwört. Auf Deinen Ruf wird sich die Sturmfluth legen, Die Freiheit wird, der Friede hergestellt. Und dankend grüßt des Vaterlandes Seegen Als Retter, als Befreier Dich und Held!

Dem 3. August 1831 in Danzig80 Ob wir in fremder Adler Siegeskrallen; Ob tosend rings Belag'rungsdonner toben; Der Pulverthurm, im Federflug gehoben, Aus Trümmern Ruf des Todes läßt erschallen; Ob Fluthen brausend durch die Straßen wallen, Vor denen Mauern, Häuser uns zerstoben; Dem Todesengel, aus den Wolken droben, Der Seuche dichte, bange Opfer fallen; Dank diesem Tag! - Ihm, seiner jüngsten Blüthe, Ihm wollen wir mit Friedensengeln singen, Und aus des Sturmes Nächten: Heil und Leben!

Herrscherlob Mag ferner unsres Gottes Vatergüte Das Königshaus mit Freuden nur durchdringen, Und so der Liebe Wunsch Erfüllung geben.

Am dritten August 183181 Fragt ihr, wie des Königs Fest In der Zeit der Noth und Schmerzen Sich recht würdig feiern läßt? Fragt, о fraget eure Herzen. Wer im Kreise seiner Lieben, Unberührt vom Sturm geblieben, Reiche willig seine Hand Jenen, die der Schlag getroffen, Deren Glück und deren Hoffen, Schnell, unwiederbringlich schwand. Unsern König hoch zu ehren, Wollen wir, in Seinem Sinn Heute trocknen bittre Zähren, Wallen zu den Hütten hin, Trost zu spenden armen Kleinen, Die um Väter, Mütter weinen; Wer den Bruder nicht verläßt, Feiert recht des Königs Fest!

Rede zur Feier des Allerhöchsten Geburtsfestes Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm III.82 Gott ist mit uns! - Zu seinem Himmel steigen Aus Millionen Herzen Dankgebete: Es feiert Preussen heut' von neuem wieder Sein segensreichstes Vaterlandesfest, Den Tag, an dem der Allverehrteste, Der Biederste in Seinem Reich - ihr kennt Ihn! Zum Hort uns und zum Heil geboren ward. Wie wir die Seinen sind, ist Er der uns're, In Freud' und Leid, in Noth und Zuversicht. Ja dieses Bundeswort der treu'sten Liebe,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Die je ein Volk für seinen König fühlte, Stets giebt es sich, und stets gesteigert, kund, So oft den Festtag, den wir jetzt begeh'n, So oft uns diesen Sonnentag der Gnade Das Jahr in seinem Kreislauf wiederbringt. Nie aber war dies Vaterlandsfest Bedenkenswerther und bedeutungsvoller, Als heut in so verhängnisvoller Zeit, Wie es vielleicht noch keine je gegeben. Es zeigt sich uns ein grauenvolles Chaos, Ein Meer von Unheil! Sturm des Aufruhrs tobt; Der glühende Orkan, er wühlt die Völker Zu flammenden Empörungswogen auf; Sich immer neu aus neuer Glut erzeugend Treibt er die Feuerwellen fort und fort; Sie wälzen, thürmen, überstürzen sich; Des Friedens Damm, er bricht; es blitzt das Schwert; Geschütze donnern; eine Welt in Waffen; Und diese Welt, bedroh't, ergriffen schon Von schleichender, von schreckensvoller Seuche!! — Ihr wendet schaudernd euch ...? Nein! Wendet euch Nicht ab! noch nicht! Betrachtet erst, bedenkt Dass jedes Land, wo absichtsvolle Selbstsucht Den Thron umlagert, die Nation verdächtigt, Wo Pöbel-Schmeichelei sodann die Bande, Die heiligen, die Fürst und Volk vereinen, Für eine Fessel ausschrei't, die man brechen muss Dass jedes Land, wo man dies lehrt und wagt, Sich selbst den Abgrund gräbt, der es verschlingt! — Jetzt schau't zurück! Und stärket euer Herz Bei'm Anblick uns'res theuren Vaterlandes, Wo das Gesetz, wo Sitt' und Ordnung walten, Wo an dem Felsendamm der treu'sten Liebe, Die je ein Volk für seinen König fühlte, Ohnmächtig sich des Aufruhrs Woge bricht. Wie wir die Seinen sind, ist Er der uns're, In Freud' und Leid, in Noth und Zuversicht! Ja dieses Wort der Treue, stets gesteigert Gab es an diesem Segenstag sich kund; Und jetzt, in so verhängniss voller Zeit, Jetzt wird dies Bundeswort gedoppelt heilig!

Herrscherlob Jetzt heisst es, unabtrennbar einig seyn, Wie Stahl und Eisen fest zusammenhalten Mit Gott, für König und für Vaterland!! - Mit Gott - für König - und für Vaterland! Kein Feldgeschrei, ein Ruf der Bürgertugend, Ein Ruf zu Opfer - und zu Liebeswerken Sey dieser oft bewährte Wahlspruch heut', О möcht' er auch ein Ruf des Friedens seyn! Kein and'rer Wunsch ziemt sich in diesen Hallen, Die seine Huld den Musen auferbau't; Den Musen, die des Friedens Töchter sind, Und vor dem Klang der Waffen scheu entflieh'n Den Musen, die als holde Trösterinnen, Als Seherinnen, also zu uns sprechen: Baut droben auf ein ewig Gnadewalten, Auf euren Landes vater bau't hienieden, Der König wird durch weise Kraft, den Frieden, Und Gott den besten König euch erhalten!!

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8. Ärztliche Kunst Paracelsus an die Aerzte im Jahre 183183 Heisa, juchheia, dudeldumdei! Das geht ja hoch her, bin auch dabei Ist das ein Collegium Mediciner? Sind wir Pfuscher? Sind wir Charons Diener? Treibt man so mit dem Aesculap Spott? Als hätt' der allmächtige Gott Das Chiragra, könnte nicht d'rein schlagen? Ist's jetzt Zeit zu Schreibereien, Zu Theorien und Vernünfteleien? Quid hic statis otiosil Was sitzt Ihr und legt den Kopf in den Schooß? Die Cholera ist an der Oder los, Das Bollwerk des Cordons ist gefallen, Posen und Berlin sind in der Feindin Krallen; Und die Aerzte in Europa Spinnen Theorien auf dem Sopha, Machen Tabellen mit Rubrik, Erschrecken vor jeder Kolik, Schreiben nicht, wie viel sie - geheilt, Sondern, wie viel der Tod schon ereilt; Trinken lieber den Cholerawein Und sperren die Cholerakranken ein. Die Menschheit trauert in Sack und Asche, Der Arzt füllt sich nur die Tasche. Es ist eine Zeit der Thränen und Noth. Am Himmel geschehen Zeichen und Wunder. Und aus den Wolken schwarzroth Schickt der Herr Tod die Cholera runter; Das Nordlicht zeigt er wie eine Ruthe Drohend am Himmelsfenster aus. Die ganze Welt ist ein Leichenhaus, Und der Aerzte gepriesene Kunst Sollte jetzt heißen - Chlor-Dunst. [.·.] Daß Ihr nicht an allen Gliedern zittert, Wenn Ihr etwa eine Cholera wittert, Daß Ihr nicht an der Thür' stehen bleibt,

Ärztliche Kunst Und, ohne zu sehen, ein Receptchen schreibt. Es ist ein Gebot: Du sollst selbst schau'n, Sollst nicht den Berichten Anderer trau'n. Geh' an's Bett, betrachte den Kranken, Verlier' die Zeit nicht in Sinnen und Schwanken. Occasio praeceps, Sagt der Aerzte principes. Wenn man für jede Choleraleich', Die Ihr geschickt in's Himmelreich, Die Glocken müßt' läuten im Lande umher Es war bald zu finden kein Meßner mehr; Und wenn Euch für jedes schlechte Recept, Das Ihr aus Euren Büchern geschöpft, Ein Härlein ausging aus Eurem Schöpf, Ueber Nacht wär' er geschoren glatt, Und wär' er so dick, wie Absaloms Zopf. Wieder ein Gebot ist: die Mittel nicht preise, Die Du nicht erprobt auf vielfache Weise. Sydenham's Sprüchlein; docet experientia, Gilt auch von der Cholera-pestilentia. Nicht ein Mensch dem andern gleich Auf diesem weiten Erdenreich; Und doch wollt ihr in Euren Broschüren Alle Cholerakranken mit einem Mittel curiren. So lang ihr die Individualität nicht laßt walten, Werdet ihr die individua nicht erhalten. D'rum lob' ich meine Collegen in unsrer Stadt, Die helfen und rathen, wo's Noth hat. Von ihnen noch kein Schriftchen erschienen, Anstatt zu schreiben, sie den Kranken dienen.

Disputatorium medicum über die Cholera. Ein Wischiwaschi84 Nein - schwitzen muß der Kranke mir, Die Cholera zu zügeln. Einfach ist meine Schweißmanier: Ich laß' ihn tüchtig bügeln. Ich deck' mit Eis ihn ringsum zu, Dann läßt die Krankheit nach im Nu; Denn Kälte bannt die Kälte. -

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Es hilft allein ein Aderlaß, Das Uebel zu vertreiben. Mein Patient muß gleich in's Faß; Ich laß ihn bürsten, reiben. Wer sich wird anvertrauen mir, Dem applicir' ich ein Klistir Von kaltem Brunnenwasser. Ich lasse keinen tropfen Blut Und gebe Opiumstropfen. Das gibt dem Kranken Lebensmuth, Das Herz beginnt zu klopfen. Ich nehme Wismuth, Calomel·, Dem Kranken ist - bei meiner Seel! Im Augenblick geholfen. Mit heißem Wasser reicht man aus, Weg mit dem andren Plunder! Mit Kampferspiritus that ich Nach Hahnemann schon Wunder. Nein - Cajaputöl hebt den Krampf. Ich lobe mir den Weingeistdampf und warme, woll'ne Decken. Brechweinstein ist mein Hauptrecept, Jedoch in reichen Gaben. Purgiren ließ ich comme il faut, Und keiner ward begraben. Ich, Freunde und Collegen, heilt' Viel Patienten unverweilt Mit brausendem Champagner. So disputirten hin und her Fürwahr - 's ist keine Fabel! Die Herrn Doktoren kreuz und quer, Wie einst beim Bau zu Babel. 'S geht unter Turm und Patient. Hochweise sprach der Präsident: Die Sitzung ist geschlossen.

Ärztliche Kunst

Jereminade85 О Cholera! du Kreuz und Leid Dein unaufhaltsam Schreiten Geht fort und Keiner weiß Bescheid, Dich wirksam zu bestreiten! Der Eine schreit „nehmt Opium!" Der Andere wieder „seid nicht dumm! Bismuthum müßt ihr fressen." Der Kamphor ist die Panacee Läßt dieser sich vernehmen, Der dort, zu Pfeffermünzenthee Dürft ihr euch nur bequemen; Ein Dritter preist Klystiere an, Ein Vierter findet das Arcan Wohl noch in Rattenpillen! Senfbäder hier, Dampfbäder da, Man pflastert und frottieret, Die ganze Pharmaceutica Wird richtig durchprobiret; Ist man damit zu Ende dann, So fängt man wieder von vorne an, Und weiß so viel als - nihill Es wird gewarnt vor Schnapps und Bier Wein, Caffee soll man lassen, Daß manche durst'ge Seele schier Vor Schreck schon möcht' erblassen. Kaum ist das Wasser nicht vergönnt, Den Lappen gleich, bleibt uns am End' Nichts mehr - als Thran zu trinken. So wird von Speisen dies und das Verboten a u f s Gewissen Zuletzt weiß selbst man nicht mehr was Man soll - denn jeder Bissen Wird 'mal bekrittelt; aber glaubt! Eins ist und bleibt gewiß erlaubt Und zwar - in 's Gras zu beißen.

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Der Patriarch Abraham und der hohe Priester Aaron im Paradies. Eine Cholera-Parabel86 Im Paradies, dem Sitz der Geister, Wo Abraham als Bürgermeister, Wie's einem solchen Mann gebührt, Den Vorsatz im Senate führt; Stieg dieser jüngst mit ernster Miene Auf die erhab'ne Rednerbühne. Die Menge hob den Blick empor, Und er trug diese Rede vor: „Ihr Herren habt, gleich mir, erfahren, Wie daß auf Erden schon seit Jahren Die Krankheit, Cholera genannt, Bisher in Asien nur bekannt, Die alten Grenzen übersprungen, Und schon in Deutschland eingedrungen. Nun hat sie dort mit Riesenkraft Schon Tausende hinweggerafft, Von denen jetzt die armen Seelen Mich hier um ihren Einlaß quälen. Doch, da das Uebel, wie man hört, Sich oft als contagiös bewährt, So mußt' ich, trotz dem Weheklagen, Den Eintritt ihnen doch versagen; Indeß hat, wie man leicht begreift, Der Andrang sich so sehr gehäuft, Daß wir aus Amtspflicht und Gewissen Auf einen Abhelf denken müssen. Wenn nur ein edler, weiser Rath Mit Hilfe leisten will zur That, So will ich, um den Streit zu schlichten, Schnell eine Contumaz errichten, Wohin der Wächter jeden Geist Zu Quarantaine schnell verweis't, Und ihm so lange Aufsicht spendet, Bis die bestimmte Zeit vollendet." Hier schwieg der Redner, sah sich um, Ob wohl das ganze Publicum Die Willensmeinung der Behörde Mit seinem Beifall krönen werde. Und dieses rief einstimmig: Ja! Es darf der bösen Cholera In keinem Falle je gelingen, Zu uns in's Paradies zu dringen."

Ärztliche Kunst Doch plötzlich nahte aus der Mitte Ein ernster Mann mit stolzem Schritte, Und gleich erscholl's im ganzen Rath: „Der Hohepriester Aaron naht!" Die Menge hielt den Athem an, Als er zu sprechen jetzt begann: „Wohl ist Eu'r Vorschlag hoch zu schätzen, Doch muß ich mich ihm widersetzen; Denn grausam war' es meine Herren! Die armen Seelen abzusperren, Die nur der Aerzte Unverstand So häufig her zu uns gesandt. Mein Bruder Moses kann's bezeugen (Von allen Andern will ich schweigen), Daß oft ich Seuch' und Pest vertrieb, Wie er's in heil'ger Schrift beschrieb. Mein Räucherwerk von jenen Zeiten Versteh' ich jetzt noch zu bereiten, Und stände diese Cholera Schon ganz in uns'rer Mitte da, So unterläge sie im Kampfe, Alsbald mit meinem Räucherdampfe. Und wenn man auf der Unterwelt Als contagiös die Krankheit hält, So mußten sie sie wohl so nennen, Weil sie mein Räucherwerk nicht kennen. Sie suchen Mittel zwar hervor, Als Essig, Campher, Theer und Chlor, Und wie die Species all heißen; Die kräftig in die Nase beißen; Allein, wenn alle sie probirt, Hat keins das Uebel weggeführt. Wir aber wissen uns zu wahren, Und können alle Vorsicht sparen. Drum bitt' ich Euch aus Herzensgrund, Ihr machet gleich die Ordre kund, Den neuen, angelangten Seelen, Den bald'gen Eintritt zu befehlen. Er schwieg und Abraham begann: „Ich kenne Aaron als den Mann, Auf dessen Wort man mit Vertrauen, Wie auf den Felsengrund kann bauen, Drum heb' ich ohne Zeitverlauf Die Seelensperre gleichsam auf."

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Das Lied von der Cholera morbus87 Aus der tiefsten Kluft der Klüfte Steigt heraus ein böser Spuk, Ihn begleiten durch die Lüfte Pest und Tod auf seinem Zug. Nennt sich Cholera, Heil'ge Barbara! Sollte denn kein Mittel nützen, Vor dem Unhold uns zu schützen? Wenn Kummer uns're Stirn umschlinget, Uns zu zertrümmern droht der Schmerz, Ein sanftes Wort, das Trost uns bringet, Erheitert wohl das düst're Herz. So laßt uns weislich jetzt berathen, Womit wir steuern unsrer Noth, Aus unsrer Leiden herben Saaten Erblüh' ein Kraut uns für den Tod! Das ist's ja, was dem Witz zur Ehre, Was stets zum Ruhme ihm gereicht: Daß er in jeder Noth uns lehre, Wie man geschickt sich ihr entzeucht. Füllet schnell die Theemaschine! Werfet Krausemünz' hinein! Daß der Trank zur Heilung diene, Gebt ihn rasch und öfter ein! Schüret an die Glut! Fördert schnell den Sud! Daß des Trankes edle Würze Bald der Leiden Schmerz verkürze. Wohl ist's oft löblich zu erwägen, Bevor des Mitleids Hülfe beut, Ob zu der Menschheit Heil und Segen Des Wohlthuns Milde auch gedeiht? Doch weh' dem, der in seinem Herzen Die edle Regung nie verspürt, Zu lindern seines Bruders Schmerzen, Die das Geschick ihm zugeführt; Ja! wer auch nur in träger Weile Zu spät das Dargebothne reicht, Wo der Gefahr nur rasche Eile Wohlthätig sich und wirksam zeigt!

Ärztliche Kunst Reicht mir jetzt die geist'ge Mischung! Digerieret muß sie sein! Sanftes reiben schafft Erfrischung, Blutesumlauf stellt sich ein. Reibe, reibe frisch! Mit dem zarten Wisch, Daß es Euch auch wohl gelinge, Daß hervor der Schweiß bald dringe. Im niedern und im höhern Walten Herrscht ein Gesetz, unwandelbar, Es stellt in mancherlei Gestalten Sich deutlich unserm Auge dar. Die Reibung ist's, der Schöpfung Meister, Die Wunder über Wunder schafft Im Reich der Körper, wie der Geister, Fühlt ihre mächt'ge Zauberkraft Der Wesen unzählbare Schaar. Aus wildem Kampfe der Naturen Verändern Ströme ihren Lauf, Und neuer Welten dunkle Spuren Geh'n sichtbarlich dem Forscher auf. Aus wildem Kampfe geht die Tugend, Die Wahrheit aus dem Streit hervor, Und aus dem heitern Spiel der Jugend Wächst oft ein wackrer Held hervor.

Die Patienten und der Arzt88 Herr Doctor, nur geschwind zu mir, Die Cholera ist an der Thür. Der Wein, die Weiber, frohe Lieder Sind in der Seele mir zuwieder. Doch hoff ich, daß mich nicht der Tod Durch diese böse Pest bedroht. „Wer nicht liebt Weib, Gesang und Wein, Kann nicht gesund am Körper sein."

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Ich lebe ganz nach der Diät Und hab' das Schwelgen stets verschmäht, Von hundert Speisen kann mein Magen Wohl neun und neunzig nicht vertragen. Doch hoff ich, daß die Mäßigkeit Mich diesmal noch vom Tod befreit. „Die Mäßigkeit ist freilich Pflicht, Doch übertreiben muß man nicht." Die Angst benimmt mir allen Muth, In meinen Adern stockt das Blut; Denk' ich, ich könnte plötzlich sterben, Ja, da erfreuten sich die Erben. Herr Doctor, sagen Sie mir wohl, Was ich nunmehr beginnen soll? „Mein Freund, bestellen Sie Ihr Haus, Bald lischt Ihr Lebenslämpchen aus."

An die hochgeschätzten Aerzte Mitau's89 (Zum Andenken an den 4ten September 1831). Die Pflicht gebeut uns, dankbar zu verkünden Das Edle, das kein Biedermann vergißt, Wenn gleich, was wir zum Segen Andrer gründen, Nicht stets dem Blick des Spähers sichtbar ist. Nie kann des wahren Guten Werth verschwinden, Den völlig nur der hohe Geist ermißt, Der huldvoll uns durch's Erdenleben leitet. Und selbst durch Harm uns manches Glück bereitet. Der Weise schätzt des Nächsten frommes Streben, Und zeigt, wie feurig er das Gute liebt, Das Mancher, auch der schwersten Pflicht ergeben, Mit Edelmuth und Selbstverläugnung übt. Ach! oftmals muß der Menschenfreund erbeben Wenn sich die Menge blindem Wahn ergiebt, Und wie durch eines Dämons Macht bethöret, Selbst Dienste von dem höchsten Werth nicht ehret.

Ärztliche Kunst Nicht stets wird uns das schöne Loos verliehen, Daß Menschen uns mit ihrer Gunst erfreun, Wenn wir zur Zeit der Sorgen und der Mühen Dem Wohl der Brüder unsre Kräfte weih'n; Doch um Verdienste bald ans Licht zu ziehen, Muß herrlich mancher Arbeit Frucht gedeih'n, Und selbst von Schwachen, die zuvor getobet, Wird nun der Edlen Thätigkeit gelobet. So ward auch Euer Streben, Schmerz zu stillen, Ihr biedern Aerzte dieser Stadt! verkannt, Als Euer trauter Bund mit edlem Willen Den regen Fleiß, der Nutzen schafft, verband; Doch mußte schon die nächste Zeit enthüllen, Daß manches Uebel nur durch Euch entschwand, Drum eilten jüngst der Bürger wackre Reihen Euch feyerlich des Dankes Zoll zu weihen. Zwar kann kein Erdensohn die That belohnen, Die durch die schönsten Folgen uns beglückt, Und würde selbst mit goldnen Ehrenkronen Von ihm des Hochverdienten Haupt geschmückt; Doch soll des Dankes Gluth in jedem wohnen, Der eines Helfers Retterhand erblickt; Denn wer von wahrem Dankgefühl erbrennet, Beweis't, daß er des Guten Werth erkennet. Wie liebreich habt Ihr in den bösen Tagen, Die wir durchlebten, herbes Leid gestillt, Und mitten unter unsern größten Plagen Mit Hoffnung das gebeugte Herz erfüllt! Noch künftig werden Edle von Euch sagen: „Sie brachten Opfer, die nur Gott vergilt", Und einst wird dort, wo alle Leiden enden, Der Himmel Euch den höchsten Segen spenden.

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[Für Dr. Barchewitz]90 So bieten heute wir zum letzten Male Dem Biedermann die Hand, vor dessen Geistes segensreichem Stra[h]le Des Wahnes Dunkel schwand. Als uns der Seuche finst'res Heer bekriegte, Kamst Du, der Sohn der Pflicht; Du kamst, Du sahst und Deine Wahrheit siegte, Du riefst: Es werde Licht! Aus Dir ist vielen Herzen aufgesprossen Des Trostes Himmels-Saat, Und tausend Freudenthränen sind geflossen, Wo rettend Du genaht. Doch heute schon will uns das Schicksal trennen Von Dir, der uns so werth? Wie gerne mögten wir den Unsern nennen, Den wir so hoch verehrt! So laß ein herzlich Lebewohl Dir sagen; Mag Dich kein Sturm umwehn! In unsern Herzen wollen wir Dich tragen Bis wir Dich wiedersehn!

Dem Pest- und Blitzbändiger Dr. Alcibiades Tavernier91 Als noch der kleine Corporal, Dein großer Kaiser, lebte, Vor dessen Winke Berg und Thal Und Fels und Woge bebte: Da sprengtest Du auf stolzem Roß, Nicht achtend Lanze und Geschoß Noch Pfeil- und Kugelregen, Oft wilder Schar entgegen. Tejo und Oka sahen Dich Mit kühn geschwungnem Säbel; Erst wo des Kaisers Stern erblich Schwand auch der Dein' im Nebel. Du, der die Waffe nie gestreckt, Lagst nun mit Wunden überdeckt,

Ärztliche Kunst Bleich unter Blut und Staube, Der Feinde Wuth zum Raube, Wohl war's ein böser, böser Traum. Wen aber Mars verlassen, Der mag den mildern Gott am Saum Des Mantels freudig fassen. Die Welt, die Welt, Dein Vaterland, Dein Herz für Menschenwohl entbrannt, Erkorst Du, wack'rer Streiter, Dir Aeskulap zum Leiter. Er hat mit Dir das leichte Schiff Dem Strande zugelenket, Wo brausend von der Felsen Riff Der Nil die Eb'ne tränket. Auf höchster Pyramide Stein Grub Deine Hand den Namen ein, Den Völker, die ihn kennen, Mit Dank und Liebe nennen. Dich führte seine treue Hand, Du zogst an seinem Stabe, Ein Pilger ins gelobte Land Hin zu des Herren Grabe. Auch in Irak-Arabia, Beim Moslim Emir Abdullah Und seinen schönen Frauen, Gewann er Dir Vertrauen. Ein kleiner Gott noch trat hinzu ... Er lehrt die Wandrer kosen. In Palmenhainen seufzest Du Und unter Persiens Rosen, Mit Analina's Feuerblick Erblühte Dir der Liebe Glück; Nach Mahom's Paradiese Versetzte Dich die Süße. Doch, ähnlich Deinem hohen Ahn, Maß ohne träges Weilen Dein rascher Fuß auf staub'ger Bahn Wohl viele hundert Meilen. Delphi durchflogst Du, Ispahan, Hier Aga, dort Emir und Chan; Ja, Nebelregionen, Wo die Centauren hausen.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Und was entflammte, Wand'rer Dich Mit so gewalt'gem Feuer? Ein Drache war's, der Keinem wich, Ein scheußlich Ungeheuer. Gelbfieber, Cholera und Pest Verspritzt ihr Gift in Ost und West, Die vielgestaltge Hyder, Und würgte Leben nieder. Du aber brachtest sie zu Fall, Der ew'gen Ruhm Dir schaffe! Der Luft elektrisches Krystall, Das Eis war Deine Waffe. Vernichtet liegt nun Babels Bei, Und wie dem Drachen Daniel Die Küchelchen gegeben, Drangst Du der Schlang' ans Leben. In Aeskulapens Heiligthum Hast Du den Kranz errungen; Der Perser hat von Deinem Ruhm, Der Araber gesungen; Es haben Völker weit und breit Im Islam und der Christenheit, Armenier und Kirgisen, Als Retter Dich gepriesen. Und wie die gütige Natur Nicht selten doppelt schenket, Dem, der in ihr des Ew'gen Spur Mit Weisheit überdenket: Verlieh auch Dir sie zwiefach Heil: Sie reichte Dir den Donnerkeil Des Zeus und seine Blitze Aus hohem Wolkensitze. Heil Dir! - Ein Schirmer stehst Du da, Wie Sanct-Georg der Ritter; Wir fürchten nun nicht Cholera, Nicht Pest und Ungewitter. Nur eine Kunst - sie fehlt uns doch, Die einzige erfinde noch: Wie man die Wetter wendet, Die Mißgeschick uns sendet! -

Ärztliche Kunst

Der Wunderdoktor wie er ist. Ein Mährchen92 In einer Stadt am Meeresstrande, Vermuthlich wohl in Afrika, Weiß nicht mehr recht, in welchem Lande Erschien, im Furiengewande, Ein Wesen, wie's noch keiner sah. Doch kenn' ich nicht mehr seinen Namen; Ich glaub', man nennt es ein Objekt. Es streute einen gift'gen Samen, Und Alle, die des Weges kamen, Die wurden davon angesteckt. Von Allen, die man nun gebettet, Da wurde Trotz der größten Müh' Und Kunst, ein Drittel kaum gerettet; Und - Tausend gegen Eins gewettet! Man hatte gute Medicin. Doch ließ sich leider nicht ergründen Des Uebels Wurzel, seine Spur, Um Rettungskräuter vorzufinden Auf Berges Höh'n, in Thaies Gründen, Im Haine, oder auf der Flur. Auch darf man endlich nicht verschweigen, Daß man erblickte manchen Herrn, Statt größerm Uebel vorzubeugen, Sich leider zur Maxime neigen: Recht viele Leute abzusperr'n. Bald kochte es in allen Töpfen; Man sprach, mit glühendem Gesicht, Von Charlatanen, leeren Köpfen, Von Morden, Rauben, Brühen, Schröpfen Man weiß ja, wie Jahnhagel spricht. In diesem wahren Mißgeschicke Erschien ein alter Charlatan, Mit einem recht verschmitzten Blicke, Verrathend tief verborgne Tücke, Und meldete ein Wunder an. „Ich," sprach er, „kann das Uebel heben! Ich braue einen Wundertrank. Dürft mir nur wen'ge Groschen geben Und ich erhalte euch das Leben; Werd't ihr nicht, nota bene! - krank." Miraculus gefiel dem Haufen; Erst sah man nur die Flegelwelt

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Zu Pech, zu Wunderdoktor, laufen, Dann sah man auch die Städter kaufen Den Drescherschnaps für gutes Geld. Das war ein Laufen und ein Fahren Nach Wunderbude! Sapperlot! Die alten Achsen mußten knarren Wer wird den letzten Thaler sparen, Wenn's geht um Leben und um Tod. [·.·] Laßt ab vom Fahren und vom Laufen, Das macht euch nur die Taschen leer; Ihr könnt euch solch ein Schnäppschen kaufen, Ohn' euch zu drängen und zu raufen, Bei einem jeden Dest'llateur. Ihr ruiniret eure Sohlen, Und wißt, daß er nicht mehr versohlt Ihr werd't euch manche Krankheit holen; Die Sonne brennt euch noch zu Kohlen, Wie manche Köpfe schon verkohlt. Ihr dürft ja die Vernunft nur fragen, Wenn noch in euch ein Zweifel ringt: Ist jede Kost für jeden Magen? Kann Jungfer Röschen das vertragen, Was Bruder Mastbaum in sich schlingt?! Ihn aber sehn wir, sich erdreisten, Beschützt durch seine Schuster-Zunft, Den Windhundmagern wie den Feisten Gleich schlagen über einen Leisten. О weine, heilige Vernunft! Doch an Vernunft zu appelliren Mit einer Pfuscher-Medicin? Da müßt man die Vernunft verlieren! Laßt immer euch durch Schnapps kuriren, Kurirend in die Grube ziehn! Jedoch, ihr sprecht: hier sind Beweise, Und zeigt auf jene Dame hin. Verloren nannte sie der Weise; Die Tropfen brachten in die Gleise, Was gänzlich schon verirret schien! Hier habt ihr Malz zu eurem Hopfen: Euch helfen - prüft die Sache nur, Wills Herz im Busen nicht mehr klopfen, Nicht Medizin und Schustertropfen;

Ärztliche Kunst Da hilft allein noch - die Natur! Ich sollt' das Factum zwar verschweigen; Doch thut's zu dieser Sache Noth: Zweimal schon gab ich einen Zeugen, Als sich das Leben wollte neigen In deine Arme, Engel Tod. War keine Hilfe mehr vorhanden, Kein Ticktack in der Lebensuhr, Das Auge brach, die Kräfte schwanden; Doch ward die Krisis überstanden, Besiegt durch Wunder - der Natur! Ha! wären Tropfen hier verwendet, Wie hätte Famas Riesenmaul Den neuen Weihrauch ausgespendet!! Die Welt ist einmal so verblendet Und reitet gern den Wundergaul! Dem Pöbel muß man Nachsicht schenken, Leiht er dem Mährlein Ohr und Wort; Natürlich ist's: er darf nicht denken, Wird ihn der Wunderglaube lenken; Er geht maschinenartig fort. Ihr aber, die ihr sorgsam meidet, Was irgend euch beleuchten kann; Euch wie die Papageien kleidet Durch Ton und Titel unterscheidet Von dem gemeinen Biedermann; Ihr, die ihr Alles kritisiret, Was nicht vor euch die Fahne schwingt; Mit grossen Schritten her stolziret; Den Menschen nach dem Rock taxiret, Und euch wohl klug und weise dünkt; Und dennoch solchen Tropfen-Plunder, Der Körper und Verstand entnervt, Gleich haltet für ein Gotteswunder, Und dadurch einen bösen Zunder Ins wilde Feu'r des Pöbels werft, Dem ihr doch solltet noch bezähmen Den Unverstand, den Uebermuth; Ihr solltet euch ein Wenig schämen! Ihr müßt mir das nicht übel nehmen, Denn seht, ich mein' es treu und gut. Es werden wenig Wochen schwinden Und uns wird euer Angesicht, Befreiet von den Täuschungsbinden,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Die wohlverdiente Scham verkünden, Wenn Jemand von dem Wunder spricht. Ja, ihr müßt dem ein Ende machen, Es ist damit die höchste Zeit! Sonst wird das Ausland uns verlachen: Ob unsrem Kampfe mit dem Drachen, Ob unsrer Wundergläubigkeit! Man darf das Tageblatt nur lesen, Gleich wird die Ueberzeugung klar: Daß jetzt so viel, wie sonst, genesen, Ja, Alles ist, wie es gewesen, Noch heute so, wie's früher war. Herr Stax genoß die Wundergabe, Und dennoch ward er gestern krank, Und heute ruht er schon im Grabe. Was hilft es mir nun, wenn ich habe Den ausposaunten Wundertrank? Ihr werd't euch das doch nicht erkühnen, Was laut der nied're Haufe spricht: Es sei von unsern Mandarinen Verkleinert und verfälscht erschienen Der öffentliche Tagsbericht? Doch fragt ihr nun mit vollem Rechte, Nach meiner langen Rede Sinn, Ich fehlte, wenn ich den nicht brächte. Hier nehmet ihn von eurem Knechte Nun noch zum lieben Schlüsse hin. Den heil'gen Stra[h]l aus Sonnenlauben, Den Trost bei hartem Erdenschmerz, Den kindlich schönen Wunderglauben Will ich euch keineswegs rauben Sonst hätte ich ein schlechtes Herz. Dies ist der Ernst in meinem Schwanke: Ich warne euch vor Zuversicht Zu jenem schlecht gebrautem Tranke! Ihn brauche immerhin der Kranke, Denn Schädliches enthält er nicht; Auch mög' man auf Genesung hoffen, Auf Rettung aus Gefahr durch ihn. Schon oft ist Hoffnung eingetroffen Dem Gläub'gen steht der Himmel offen, Wo Lieb' und Freundschaft neu erblüh'n. Doch fasse man nicht den Gedanken:

Ärztliche Kunst Durch ihn nur wirst du qualenfrei. Freund, wirst du zaudern, wirst du schwanken, Bei einem plötzlichen Erkranken Zu rufen schnell den Arzt herbei, Dann hilft kein Jammern dir, kein Weinen, Dich packt der Tod von hinten an, Der Arzt wird dir zu spät erscheinen, Mit deiner Rechnung ist's im Reinen, Du stirbst, Freund! als ein Dummerjan. Schon ein'ge sah ich sich erwerben Dies Prädikat. - Sie wurden krank, Und wollten nicht den Schnapps verderben Durch weit're Hilf - sie mußten sterben Als Gläubige am Wundertrank!"

Freund Hein93 Der Doktor an des Kranken Bett Sitzt sinnend ernst im Lazareth. Der kranke Feldherr vor ihm liegt, Das Haupt in schwere Träume gewiegt; Wirft hin und her die heißen Glieder, Sinkt nieder dann und bäumt sich wieder, Als wär' im Aufruhr die Natur, Und alle Fibern, sonst gewältigt, Sie künden, wie vertausendfältigt, Dem Feldherrn heut' Gehorsam auf. Hat einen Kampf jetzt zu bestehen, Wie er noch keinen je gesehen, Wie er noch keinen je bestand. Kein Kriegsheer kann ihn jetzt befreyen, Zu Waffen hat er jetzt Arzneyen, Sein Heer liegt in des Doktors Hand. Drum sitzt der Arzt am Bett des Kranken, Baut seltene Vertheid'gungs-Schranken, Baut sonderbare Batterie'n; Die Offizin ist zum Wall geschaffen; Arzneyen theilt er in Compagnie'n Und lehrt sie führen ihre Waffen; Auch pflanzt er hin mit Fleiß und Witz Die Salbtöpf und Pillen als Geschütz.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Doch zürnend an dem Bett des Kranken, In einen Reitermantel gehüllt, Steht Meister Hein mit drohenden Blicken; Ein Küraß deckt ihm Brust und Rücken, Am Arm starrt ihm der blanke Schild. Auf seinem Haupt, - aus Stahl gehämmert Der Helm, mit dunklem Busche sitzt, Die Augenhöhle, grau umdämmert, Ingrimmig auf die Possen blitzt. Er ist ein Mann aus alter Zeit, Drum führt er auch die alten Waffen; Und, wie ihm Bley und Pulver dräut, Es kann ihn nimmer doch erraffen. Die neue Zeit, die zwerghaft strebt, Des Himmels Donner nachzuäffen, Sie kann den Riesen doch nicht treffen, Er höhnt sie, daß sie stöhnend bebt. Er hält den altgewohnten Bogen So fest mit schußgewandter Faust, Daß wenn der Pfeil ihm rasch entflogen, Die eh'rne Sehne klirrend saust. „Umsonst bist du so fest vertheidigt! Dich schirmt nicht Kunst noch Wissenschaft; Du Pfuscher! hast den Tod beleidigt So fühle denn des Todes Kaft! Als Kläger steh' ich da und Richter; Du triebst dein Handwerk allzuschlecht; Du äfftest lange den Vernichter; Erkenne, wie der Meister rächt." Kaum hat der Tod dieß Wort gesprochen Und faßt den Bogen zürnend an, So fleugt auf die entfleischten Knochen Arzneygeschütz gar drohend an. „Habt Acht! Habt Acht!" und „Feuer! Feuer!" Der dicke Doktor kommandirt; Es blitzt; es kracht: - vom stärkstem Feuer Sieht jetzt Freund Hein sich bombardirt; Mit grober Salve zu ertödten Das Siechtum, rasselt Eis und Schnee, Rezepte steigen als Raketen Zu neuem Angriff in die Höh. Und neue Mannschaft zeigt sich wieder; Schuß fällt auf Schuß und Knall auf Knall;

Ärztliche Kunst Doch wirkungslos vom Küraß nieder, Zur Erde dröhnt's im schweren Fall. Hoch ragend schaut in seinen Waffen Freund Hein auf das Beginnen hin; „Wer hält mich auf in meinem Schaffen Durch solchen frevelnden Beginn?" Er ruft's voll Grimm und faßt den Bogen, Blind wütend in des Grolles Nacht; Und, den er rasch aus dem Köcher gezogen, Dem er den Kranken zugedacht, Den Pfeil von giftbethautem Erz, Schießt er dem Arzt g'rad mitten in's Herz.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung

9. Lob der Cholera Die Cholera (Vergl. 2. Sam. XXIV)94 Ein Todesengel bin ich von des Herrn gesandt. Mein schwarzer Fittig rauscht furchtbar durch Stadt und Land. Ohnmächtige! Was thürmt ihr Bollwerk' vor mir auf? Mein Flug geht höher, ich setz' fort den raschen Lauf. Gewaltsam brech' ich durch den dichten Gränzcordon; Präservationen und der Vorsicht sprech' ich Hohn. Umsonst, daß ihr voll Angst mir zu entfliehen sucht! Ich folge, und ereil' euch auf der schnellen Flucht. Vergebens trotzt ihr mir mit scheinbar muth'gem Sinn; Ich lache eures Muths, und nehm' mein Opfer hin; Verschon' nicht Groß und Klein, nicht Vornehm oder Reich; Mit gilt der eine, wie der andre, völlig gleich. Nur daß ich Einen schon', hab' ich ein streng Gebot Den König, der furchtlos nur mindert fremde Noth. „Er ist," sprach, der mich sandt', „wie's Bild im Auge mir; Schnell geh' vorüber bei des Pallasts heil'ger Thür! Sonst raff mir alles hin, was dir im Wege steht, Wie in der Erntezeit man Gras und Stoppeln mäht." Doch zum Verderben bloß hat Gott mich nicht gesandt; Auch was euch heilsam ist, macht er durch mich bekannt. Nehmt nur zu Herzen, was ich euch verkünden soll! Schlagt's ja nicht in den Wind! Es dient zu eurem Wohl. „Verstumme," spricht Gott jetzt, „du freches Spötterheer! Erkenne, wer ich bin! Ich bin des Weltalls Herr. In meiner Hand nur sind die Kräfte der Natur; Sie regen ungestüm sich, wink' ich ihnen nur. Stets stehen sie bereit, zu thun, was ich gebot; Bald bringen Segen sie, Verderben bald und Tod. Sie reinigen, und sie verpesten auch die Luft; Verborg'ner, gift'ger Hauch steigt aus der Erde Kluft, Ich will, gleich leben sie; ich will, gleich schlummern sie. Mein, mein ist alle Kraft, und ich wirk' ohne Müh'. О bete, bet' mich, den verkannten Mächt'gen an; Sprich bei dem, was du siehst: Das hat der Herr gethanV

Lob der Cholera „Durch Wohlthun lockt ich euch bisher; ihr folgtet nicht; Jetzt rede ich mit euch durch schreckend Zorngericht. Vernehmt die ernste Stimm', denkt bald auf Besserung; Dann, und nur dann folgt auch der Strafe Linderung. Den Todesboten ruf ich dann von mir zurück, Und seh' euch wieder an mit gnäd'gem Vaterblick. Nicht darum strafe ich, weil ich gern strafen will; Nur Bess'rung, Bess'rung ist der Strafe Zweck und Ziel. So wahr ich leb', den Tod des Sünders will ich nicht; Nur daß er in sich geh' und umkehr' zu der Pflicht. Ist dieser Wunsch und Zweck bei euch nur erst erreicht; Seht, so verheiß' ich euch, daß auch die Plage weicht. Doch wenn mein Warnungswort zur Büß' euch nicht bewegt; Mein Bogen ist gespannt, der Pfeil schon drauf gelegt; Gewetzt, gezückt ist noch mein furchtbar flammend Schwerdt; Und trifft, wer nicht mit Ernst und schnell sich nicht bekehrt. Noch einmal ruf ich jetzt, ich, euer Herr und Gott: О wählt das Leben doch, wählt trotzig nicht den Tod! Bedenket, was euch dient zum Frieden, noch ist's Zeit, Damit der Thorheit Wahl euch nicht zu spät gereut. Ihr fielt in meine Hand, doch meine Hand ist groß; Gern schon' ich euch, reißt ihr euch nur von Sünden los. Und rette ich euch einst; vergeßt nicht der Gefahr, Bringt dann, wie David, auch mir ein Dankopfer dar." Die Menschen hörten Gott; der Todesengel schwand, Wie bei Arauna's Tenn er ehmals stille stand. „Laß deine Hand," befahl ihm Gott, „laß sie nun ab; Genug des Volkes schon verschlang das Schreckensgrab. Gebessert hat man sich, hält treu nun mein Gebot; Drum hör' die Seuche auf, und jede Landesnoth."

Loblied der Cholera95 О Cholera, aus vollem Herzen Sei heut ein Loblied dir geweiht! Für dich, kommt man dich anzuschwärzen, Bin ich zu fechten gern bereit. Wenn Jeder dir auch Flüche sendet, Sobald man deinen Namen nennt, Bin ich es, die dir Segen spendet, Die freudig deinen Werth erkennt.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Was will die Welt denn von dir haben? Uns Alle findet einst der Tod; Und Mancher liegt auch schon begraben, Der ihm die Hand gar freudig bot. Laß immerhin dich boshaft nennen, Bist doch nur manchen Predigern gleich, Die selber nicht die Tugend kennen, Und Andre machen tugendreich. Du hast uns Mäßigkeit gelehret, Du nähmest weg die Trunkenheit. So lange, als dein Reich gewähret, Hat man den Bra[n]ntewein gescheut. Vor Gottvergeßenheit zu wahren, Hast keines Standes du geschont, Die Kirchen nie gefüllter waren, Als während du bei uns gewohnt. Durch dich ließ man stets Milde walten, Gab Armen Speis' und Kleidung viel, War auch dadurch dich fern zu halten Vom eignen Leid der Edlen Ziel. Du zeigest uns, wer Muth im Herzen, Du hast erstarkt den schwachen Mann; Den Starken gabst du bange Schmerzen, Den sonst kein Unheil beugen kann. Den Stolz geknickt hat du nicht wenig, Dir waren alle Stände gleich, Dir galt der Bettler, wie der König, Dir groß wie niedrig, arm wie reich. Drum, Cholera, wenn dich zu schmähen, Sich Zungen regen fern und nah, Kannst du auf meinen Beifall zählen. Gelobet sei die Cholera!

Lob der Cholera

Lob der Cholera96 Gestatte hohe Frau (man sagt, Du wohnst im Luftreviere) Daß dieses Blatt Velinpapier Ein Loblied auf die ziere. Und happerts auch im Versefuß, Ist doch ein solcher Liebesgruß Original zu nennen! Heischt's nicht der Ritterpflicht, sich der Verfolgten anzunehmen Und soll die liebe Vorzeit uns In diesem Punkt beschämen? Wie, fechten wir nicht klug und dumm, Nach Dir in weiter Luft herum, Wie einst Cervantes Ritter? „Ja! - sagt man - Jener Damenkranz, Wie im Roman wir lesen, Und wie die Chronik lehret, war Gar hold und schön gewesen!" Allein ihr Herrn, bey eurer Pflicht, Saht ihr der Dame Angesicht, Hobt ihr den dichten Schleyer? Laß sie Dich mahlen, immerhin In Breug[h]els Spukgestalten, Es ist doch wahre Poesie In Deinem grausen Walten. Bald wohnst Du in des Himmels Thau, Im Nixenreich, im Wolkengrau, Und fährst auf Blitzes Strahlen. Hast Du Dich nicht civilisirt? Ich kann es klar beweisen, Du wurdest ja viel milder schon Auf Deinen weiten Reisen! Darum verdienest Du wohl mehr Als mancher vielgereiste Herr Daß man deßhalb Dich lobe. Nur Du bezwingst der Wirthe Schaar Uns bessern Wein zu schenken, Und daß auf neuen Kunstgenuß

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Die Directoren denken; Damit im goldnen Traubenblut Und bey der Dichtung Himmelsgluth Die Herzen sich erwärmen. Ist nicht selbst Dein Inkognito Geschickt, uns zu erheitern, Possirlich mancher Hahnenkampf Von hochgelehrten Streitern? Gestehen sie nicht voll Verdruß Du seyst die allerhärtste Nuß, Und schwerlich aufzuknacken! Wer kann, wie Du uns Mässigkeit Und Ordnungsliebe lehren? Es scheut der Mann sich, toll und voll, Vom nächt'gen Schmaus zu kehren, Und sicher wird die schöne Frau Den holden Reiz nicht mehr zur Schau Profaner Augen tragen. Es ist dem Vater, wie dem Mann Dein Treiben oft willkommen, So manches wird erspart, was sonst Den Beutel mitgenommen. Du bist die Scheuche, der Popanz, Womit Redoute, Ball und Tanz Den Seinen er verleidet. Die Lehre der Contagität Kommt uns gar sehr zu statten, Sie ist der wahre Sündenbock Für eifersücht'ge Gatten Vor Schmeichlern, der Schmarotzerbrut, Und läst'gen Mahnern ist es gut Sein Häuschen zu cerniren. Du düngest frisch das Stoppelfeld Der rührenden Romane. Schafftst für die fert'ge Scriblerschaar, Die neuste Tummelbahne; Und findet solch' ein Federheld Des Volks zuviel in seiner Welt, Raffst Du es schnell von hinnen.

Lob der Cholera Latein'sehe Köche machst Du reich, Sie mögen Dich bekrönen! Doch wer verdient den schönsten Kranz? Der Heilkunst edlen Söhnen, Die furchtlos, edlen Eifers voll Sich opfern für der Menschheit Wohl, Reichst Du die Bürgerkrone. Du lehrst den Leuten Reinlichkeit. Gehorsam Deinen Winken, Wird uns'r schwarzer Höllenfluß, Die Wien, nicht ferner stinken. Den Fischmarkt und sein Pfützenreich Hat Dein Geschmack, Dein Kunstsinn gleich, Zum schönsten Platz geschaffen. Du liebst den Frieden nur, wo Mars Der blut'ge hingeschritten, Wo Aufruhr brüllt im Volk, da war Ja schonungslos Dein Wüthen, So gings in Warschau, in Berlin, In Petersburg, doch unser Wien Schützt seines Engels Liebe. Der Wiener Treu, des Vaters Huld, (Den sie im Herzen tragen) Bewährte sich wie reines Gold In Deinen Prüfungstagen. Du zogest enger noch das Band Das sich um Volk und Herrscher wand, Und machst es unauslöschlich. So Manchen führt Dein Arm zurück, Der falschen Weg betreten, Du brichst des Sünders hartes Herz, Und lehrst den Freygeist bethen. Du zeigest der bethörten Welt, Ein Gott ist, der die Waage hält, Den sie umsonst verneinet. Du hast nun schon geraume Zeit Bey uns dich umgesehen, Nun kannst Du bald, verehrter Gast, Bald wieder weiter gehen! Cosmopolit, - knüpft Dich kein Band,

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung So kann wohl manches ferne Land, Von Dir noch profitiren. — So hab' ich nun, gestrenge Frau, Durch Dein Verdienst bezwungen, Dein Lob, wie noch kein Leyermann, Aus vollem Hals gesungen. Ein Denkmahl war' Dein schönster Lohn, Worauf Du throntest in Person, Im Feuer, reich vergoldet! Nur Eins gewähre huldvoll mir: Ich bitte Dich, verschone Mich mit höchst eignem Besuch, Weil gar beschränkt ich wohne. Zehn Bengel - und ein klein Gemach Sechs Treppen hoch, dicht unterm Dach Es könnt' dich disgustiren!

Feierlicher Abschied von der Cholera Morbus97 [.··]

Große Dinge sind erstanden! Thaten, wie sie kaum erhört, Und die kühnsten Zweifel schwanden Vor dem hohen Tugendwerth! Große Wunder schafft Starke Seelenkraft; Was dem Gold des Künstlers Scheiden, Sind dem Menschen seine Leiden. Der Mensche lernt selten sich erkennen In seiner Trägheit schmalem Gleis; Und dann nur schmilzt das starre Eis Wenn lichterloh die Gluten brennen An seines Ufers dürrem Reis Gerüttelt will die Menschheit werden Aus ihrer Stumpfheit starrem Sinn Und nur von Drangsal und Beschwerden Zieht sie den herrlichsten Gewinn -

Lob der Cholera Auch das Leiden Kann gedeih'n, Und gleich Freuden Heilsam seyn. Wenn's nur nutzlos nicht und unerwogen Vor dem offnen Sinn dahingezogen So kann's uns auch hier nicht fehlen, Manches Gute herzuzählen, Das aus dem erlittnen Bösen Zog sein segenvolles Wesen. Mancher Tugend heller Strahl Glänzte durch die Nacht der Quaal; Fromme Gottergebenheit, Liebe, Wohlthun, Menschlichkeit! Vorurtheile sah'η wir schwinden Vor der Tugend hellem Licht; Höh' und Nied're sich verbinden Zur Erfüllung treuer Pflicht. Heldenmuth in den Gefahren! Rücksichtsloses Zartgefühl! Raschheit mit Geduld sich paaren, Engvereint zum schönen Ziel Laßt uns jetzt die Toasts ausbringen Allen, die's um uns verdient! Laßt gleich Brüdern uns umschlingen, Jeder Groll sey ausgesühnt. Brüder! Gleich dem Blitz! Fahret auf vom Sitz! Dem Verdienste seine Krone! Erst dem Vater auf dem Throne!

Cholera98 Die Weiber, selbst die giftig sind wie Schlangen Sind eitel und durch Schmeichelei zu fangen; So hört's vielleicht Frau Cholera auch gern Wenn wir der Welt zum Trotz hiermit es wagen, Zu ihrem Ruhm und Lobe was zu sagen, Und bleibt zum Dank von unserm Orte fern.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Sie pflegt, wo Schmutz sie trifft, nicht lang' zu säumen Als gute Wirthin fleißig aufzuräumen. Laßt Frauen Euch dies eine Warnung sein! Seid stets im Haus der Reinlichkeit beflissen, Und haltet Ihr nur rein auch Eu'r Gewissen, So kehrt Madam wohl schwerlich bei Euch ein. Madam pflegt auch nicht gerne da zu spaßen, Wo sie bei Orgien schwelgen sieht und prassen Drum folget meinem guten Rath ihr Herrn! Lebt mäßig stets, und nicht im Saus und Brause Und hütet Euch, selbst beim soliden Schmause In allzuenge Räume euch zu sperr'n. Auch muß man mehr und rühmlichst von ihr sprechen: Sie läßt durch Glanz und Geld sich nicht bestechen, Erkennt nicht Amt, auch Rang und Stand nicht an, Und scheut sich nicht ganz schonungslos zu fassen Sowohl die hohen als die niedern Klassen, Den Tagelöhner wie den Edelmann. Madam füllt aus der Aerzte müß'ge Stunden, Und wenn bisher kein Mittel sie gefunden, So ist dies Mangel nicht an Thätigkeit; Sie laßen's ja an Müh' und Fleiß nicht fehlen, Drum sollte man auch ihre Kunst nicht schmählen, Wer weiß, kommt Hülf und Rath nicht mit der Zeit. Auch dienen sie umsonst dem Spott zum Ziele, Der Gottheit mächt'ge Hand ist hier im Spiele, Sie ist es, die das Rad des Schicksals schwingt; Und füllt's im Schwünge auch die Welt mit Leichen, Wer wagt es wohl und greift in seine Speichen? Wo ist die Kraft die es zum Stillstand bringt? Die Allmacht nur, die ihm den Schwung gegeben Kann schützen und bewahren uns das Leben Und sie, die Alles was sie schafft, erhält, Wird auch gewiß mit uns nicht ewig grollen, Wird sicher wiederum bald wohl uns wollen; Denn untergehen läßt sie nicht die Welt. Als einst vor vielen Tausenden von Jahren Die Sitten überall verdorben waren Ergoß sich eine allgemeine Fluth,

Lob der Cholera Die Alles was da lebte hat verschlungen, Nur Noa war's auf Gottes Wink gelungen Zu retten zeitlich sich vor ihrer Wuth. Jedoch, als Vater Noa Opfer brachte, Die Allbarmherzigkeit gar bald erwachte, Es sprach der Herr sich aus, mit Lieb und Huld: „Ich will fortan die Welt so streng nicht richten, Von Jugend auf ist bös' des Menschen Dichten, Die Erde aber büße nicht die Schuld. Beständig soll zur Frucht die Saat sie treiben, In ihrer Ordnung soll sie stets verbleiben, Errichtet sei hierauf ein ew'ger Bund, Es sollen ferner nicht, wie jetzt geschehen, Die Wesen sammt und sonders untergehen, Die Odem haben auf dem Erdenrund."

Wenn aber auch die Schrift erwähnt: Es ward der Herr dadurch versöhnt, Weil Noas Opfer er gerochen, So war dies bildlich nur gesprochen, Es will der Herr, wie Jesaias spricht, Der Widder Fett, das Blut der Böcke nicht. Die Opfer aber, die vor Allen Dem Herrn besonders Wohlgefallen Die sind: den Nackenden bekleiden, An Hungrige das Brot verschneiden, Vergessen nicht im Rausch der Freuden Des armen Bruders herbe Leiden, Mit Lieb' des Nächsten Fehler decken Und seinen Leumund nicht beflecken; Den Sinkenden schnell unterstützen, Die Unschuld vor der Bosheit schützen, Dem armen Wand'rer Obdach geben, Den Müden seines Jochs entheben, Dem Herrscher stets mit Treu ergeben, Nach Zügellosigkeit nicht streben. Dann wird - ich laß den Seher sprechen Wie Morgenroth dein Licht durchbrechen, Der dichte Nebel wird zerfließen, Die Finsterniß wird Mittagshelle.

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Wie Blumen an lebend' ger Quelle Wird bald Genesung dir entsprießen, Die Schreckenbilder werden fliehen, Die Tugend wird vorauf dir ziehen Und Gottes Herrlichkeit den Zug beschließen. Wenn dann auch droht Gefahr von Weiten Und du nur rufst den Herrn bei Zeiten So spricht er: „siehe ich bin da!" Dann kann kein Unglück dich erreichen, Die Uebel alle müssen weichen Mit ihnen auch - die Cholera\

Abschied von der Cholera99 Der Ernst Du hast uns vielen Gram gebracht, Doch haben wir in deiner Nacht An Gottes Fügung mehr gedacht, Als unsere Gedanken, Die, wetterwendig wie der Wind, In der Genüsse Taumel schwanken, Bei dir, wie es uns frommet, sind. Der Scherz Du gingst; ich lebe wieder auf, Ich gönne dir den fernen Lauf; Und klingen sollen meine Lieder Dir hinterdrein ein Kommnichtwieder. Der Arme Der Unsem hat's Viel hingerafft, Doch haben gute, fromme Seelen Uns angesehn, wie wir uns quälen, Und gute Sachen, die uns fehlen, Uns warme Wintersaat geschafft.

Lob der Cholera Der Reiche Du störtest Anfangs meinen Schlummer, Und machtest mir gewaltig Kummer, Du lehrtest mich, wie in der Welt, Die böse Möglichkeit, zu sterben. Jemehr wir haben, hoffen, erben, Auf Nummer Null uns Alle stellt. Doch gabst du mir zugleich die Freude, Die Stellung in dem Weltgebäude, In Noth der Menschheit beizustehn, Für ew'ge Zeiten einzusehn. Dieser und Jener Mir hat die Cholera genützt; Hat im Gewerb' mich unterstützt, Und sollst du auch nicht wiederkommen, So machtest du der Welt doch klar, Daß oft auch Uebel und Gefahr Den lieben Menschenkindern frommen.

Rückblick auf das trauervolle Jahr 1832' Mit ahndungsschweren Herzen, Von banger Furcht beklommen Sahn wir's von ferne kommen, Das nun entwichne Jahr. Es kam mit hartem Tritte, Und ward in unsrer Mitte So überreich an Schmerzen, Wie vor kaum eines war. Es trug in unsre Mauern Herein die fremde Seuche. Wie sank dahin als Leiche So manches theure Haupt, Wohl gestern noch geborgen, Und schon am nächsten Morgen Von grausen Todesschauern Als Opfer hingeraubt.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Voll tiefen Jammers weihen Die schwer geprüften Lieben, Verwaist zurückgeblieben, Ihr Thränenopfer nun Den reinverklärten Schatten Der Kinder, Eltern, Gatten, Die dort in dichten Reihen Auf Gottes Akker ruhn. Ruht sanft, ihr lieben Toten! Was wir hier noch entbehren, Sey euch in höhern Sphären Gegönnt aus frommer Pflicht. Das Glück, das ihr gefunden, Nach kurzen schweren Stunden, Ihr Seligen, das boten Euch tausend Erden nicht! Uns, die wir noch hienieden, Im Pilgertale wandern, Hat jedes Jahr vor andern, Viel Gutes auch gebracht. Der Bäum' und Aekker Fülle, Des Friedens edle Stille War uns umher beschieden Von Gottes Huld und Macht. Sein Auge leit* uns wieder Im angetretnen Jahre, Und was uns frommt, bewahre Uns seine Gnadenhand! Er lehr' uns aufwärts schauen Mit kindlichem Vertrauen Und blikke mild hernieder Auf König, Volk und Land!

Quellen und Erläuterungen

1 Th[eodor] Kind, Cholera, oder der Triumph der Civilisation über die Barbarei, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 94,14. Mai 1832, Sp. 750. 2 Jfohann] G[ottlieb] Trautschold, Die Schlange des Orients, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 188, 8. August 1831, S. 749f. 3 Ph[ilipp] H[einrich] Welcker, Die furchtbare Fremde, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 260 u. 261, 31. Oktober u. 1. November 1831, S. 1037f„ 1041f. Hellas Strande: Griechenland. Apennin: italienisches Faltengebirge. Nemesis: griechische Göttin der Gerechtigkeit. 4 Matthias L[eopold] Schleifer, An die Unbekannte [Januar 1832], in: Gedichte. GesammtAusgabe, hrsg. v. Kfarl] A[dam] Kaltenbrunner, Wien 1847, S. 187ff. Basilisk: geflügelte Drachenschlange, Fabeltier mit tötendem Blick. Franz: Franz I., 1768-1835, Kaiser von Österreich. Assassinen: islamischer Geheimbund (gegr. 1081), kämpfte gegen die Kreuzzüge. 5 Schwanau, Die Cholera, in: Sundine, Nr. 26,30. Juni 1831, S. 206. Asklepios: griechischer Gott der Heilkunst. 6 Samuel Friedrich Sauter, Die Cholera (1831), in: Die sämmtlichen Gedichte des Dorfschulmeisters Samuel Friedrich Sauter, welcher anfänglich in Flehingen, dann in Zaisenhausen war und als Pensionär wieder in Flehingen wohnt, Karlsruhe 1845, S. 325. Domina: (lat.), Herrin, Kloster- und Stiftsvorsteherin, Äbtissin. Hallelujah: (hebr.), Lobet den Herrn. 7 Wilhelm Ribbeck, Der verhüllte Bote. 1832, in: ders., Gedichte, Leipzig 1839, S. 270ff. die Fremden: Anspielung auf die britischen Kolonialtruppen. 8 Carl Wilhelm Peschel, [In mattes Schweigen sinken rings die Auen. Prolog zu]: Die sieben letzten Bürger Goldbergs im Jahre 1553. Dramatisches Bild in drei Akten, Goldberg 1832, S. XXIff. 9 H[einrich] Stieglitz, Todesschauer (1831), in: Berliner Kalender auf das Gemein Jahr 1834. Mit Kupfern. Herausgegeben von der Koni: Preuss: Kalender Deputation, [Berlin 1834], S. 165f. 10 Ad[olph] Glassbrenner, Verzweiflung, in: Berliner Eulenspiegel-Courier, Nr. 229, 3. Oktober 1831, S. 925. 11 [Carl] G[eishei]m, Einem hochachtbaren Bürger Breslau's, dem am 31sten Oktober verstorbenen Kaufmann Herrn Johann Gottlieb Göllner, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 44,5. November 1831, S. 689f. still trägt man auch dich: Göllner verstarb an der Cholera, ein offizielles Begräbnis war deshalb, wie damals üblich, aus gesundheitspolizeilichen Gründen nicht möglich. 12 Karl Rosenkranz, [Hegels Tod. An Heinrich Leo], November 1831, in: ders., Von Magdeburg nach Königsberg, Berlin 1873, S. 461.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Hegels Tod: Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel starb am 14. November 1831 in Berlin an der Cholera. Franz Adam Löffler, Nachruf an Hegel, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staatsund gelehrten Sachen, Nr. 297,19. Dezember 1831. Erste Beilage, [S. 4]. [Heinrich Stieglitz?], [Auf Hegels Tod], Ende 1831, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek Berlin, Handschriftenabteilung, Nachlaß Hegel 14.2, Bl. 9-11. [Anonym], Auf Hegel's Tod, in: Nothwendige Glossen zu besserem Verständniß des Hegel'schen Nekrolog's in der allgemeinen Preuß. Staatszeitung Nr. 333, Berlin 1831, S. 14ff. Μ. M., Erlösungstrost, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 208, 31. August 1831, S. 829. C[arl] A[dam] Kaltenbrunner, Ermunterung, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 133, 5. November 1831, S. 537. Heiter auch in ernster Zeit: Anspielung auf einen der Cholera-Walzer, die auch in Wien kursierten; gemeint ist in diesem Fall: Heiter auch in ernster Zeit. Walzer für Violine und Piano Forte von Johann Strauss [Vater], 48tes Werk. Wien, bei Tobias Haslinger [1831]. Wie ein wackrer Dichter sang: Bezieht sich auf Castellis Gedicht: „Das kleine Mädchen bei herannahender Cholera", vgl. den Abdruck in dieser Sammlung. Karl Förster, Nach langem Unwetter. 1831, in: ders., Gedichte, hrsg. v. Ludwig Tieck, Bd. 1, Leipzig 1843, S. 192. Th[eodor] Hell, Am Wechselpunkte zweier Jahre, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 1, 2. Januar 1832, S. lf. [Gustav] Schneiderreit, Rückblick auf das alte Jahr, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 12 (1832), Nr. 1,7. Januar 1832, S. 8f. Wilhelm Ribbeck, Dem 26. Februar 1832, in: ders., Gedichte, Leipzig 1839, S. 281f. 26. Februar 1832: Geburtstagsgedicht für seine Frau, mit Anspielungen auf den Tod des gemeinsamen Kindes, das wahrscheinlich kurz zuvor an der zu dieser Zeit in Halle auftretenden Cholera verstarb. [Carl Gotlieb] Prätzel, Der Talisman, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 232, 28. September 1831, S. 925f. Vertrieb'ner Fürsten flücht'ger Schritt: Großfürst Konstantin, geb. 1779, Bruder des Zaren Nikolaus I. und Gouverneur für das russisch besetzte Polen, flüchtete nach dem anti-zaristischen Aufstand 1830/31 durch Polen, bis er am 15. Juni 1831 in Witebsk an der Cholera starb. Ferdinand Raimund, Aschenlied (1831), in: Sämtliche Werke, hrsg. v. Fritz Brukner/Eduard Castle, Bd. 4, Wien 1926, S. 412f. Kontumaz: Quarantäne-Station. Moritz Gustav Bauschke, Impromptu, in: Cholera-Bonbons in bunten Papieren freundlich dargeboten von Moritz B. von Olschen [d.i. Moritz Gustav Bauschke], Berlin 1832, S. 3. Impromptu·. Stegreifdichtung. Karl Gerok, Klaggebet in böser Zeit. 10. Dezbr. 1830, in: Karl Gerok. Ein Lebensbild aus seinen Briefen und Aufzeichnungen, hrsg. v. Gustav Gerok, Stuttgart 1892, S. 68. Siehe, wie dein Volk im Staube/Auf den Knieen vor dir liegt: Zar Nikolaus I. war in den Unruhen, die sich während der Cholera im September/Oktober 1830 in Moskau vor allem gegen Ärzte und vermeintlich polnische Spione richteten, von seiner Petersburger Residenz nach Moskau geeilt, um in theatralischen Auftritten die Volksmassen zu beschwichtigen. Herr Zebaoth: (hebr.), Herr der Heerscharen, Beiname des höchsten Gottes im Alten Testament. A. Giftschütz, Der Finger Gottes, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 76,25. Juni 1831, S. 309. jener Herrscher Freundschaftsbund: Anspielung auf die 1815 gegründete „Heilige Allianz" zwischen den Monarchien Rußlands, Preußens und Österreichs.

Quellen und Erläuterungen

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27 J[ulius] F. Voß, Die Noth der Zeit. Ein Denkmal derselben, Berlin 1832, S. 1 Iff., 28f. 28 [Anonym], Die Cholera. Eine poetische Epistel, in: Der Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, 2 (1831), H. 22 [November 1831], S. 175f. 29 Wilhelm Meinhold, Ode an die Erde. 1831, in: ders., Gedichte, 2. verb. Aufl., Bd. 1, Leipzig, S. 20f. 30 [Christoph Christian] Hohlfeld, Blicke des Glaubens auf Gegenwart und Zukunft, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 228, 23. September 1831, S. 909. am Tejo: bezieht sich auf die portugiesischen Thronstreitigkeiten zwischen den Söhnen Joäo VI., Miguel und Pedro, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten, die sich nach 1830 verstärkten. 31 Maximilian Heimann, Worte des Trostes. An alle meine Lieben in Glogau; in einer Zuschrift an meinen Freund L daselbst, in: Der Volksfreund in den Sudeten, vereinigt mit dem Schlesischen Beobachter. Eine Wochenschrift zum Nutzen, zur Belehrung und Unterhaltung aller Stände, Beilage zu Nr. 34, 24. August 1831, S. 353f. 32 [Ignaz] J[ulius] Lasker, Ziel des Leidens, in: ders., Gedichte, Breslau 1832, S. 23ff. 33 [August Heinrich] Hoffmann von Fallersleben, Ostertage eines Musikanten im schlesischen Gebirge. III., in: Gedichte, Bd. 2, Leipzig 1834, S. 75. 34 J[ohann] G[ottlieb] Trautschold, Des Geistes lindes Wehen in Beklommenheit, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 206, 29. August 1831, S. 821f. 35 H[einrich] Stieglitz, Im Winter 1831, in: Berliner Kalender auf das Gemein Jahr 1834. Mit Kupfern. Herausgegeben von der Koni: Preuss: Kalender Deputation, [Berlin 1834], S. 166f. 36 Th., In trüber Zeit, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 217,5. November 1831, Sp. 1734. 37 Johann Langer, In ernster Zeit, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 139,19. November 1831, S. 561. Hekatombe: Stieropfer von hundert Stieren, übertragen auch für Menschenopfer. 38 Wilhelm Meinhold, Zur Cholerazeit, in: ders., Gedichte, 2. verb. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1835, S. 22f. 39 Charlotte D[iede], [Die Schreckliche, die jedes Herz erschüttert], in: Sundine, Nr. 49, 8. Dezember 1831, S. 385f. 40 [Anonym], Trost, in: Der Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, 2 (1831), H. 14 [Juli 1831], S. 111. 41 Wilhelm H., Trost, in: Königsberger Wochenblatt. Für Novellistik, Literatur, Kunst und Theater, Nr. 65,13. August 1831, S. 515f. Demant: Diamant. 42 Dr. M[ethusalem] Müller, Trost im Unglück, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 213, 31. Oktober 1831, Sp. 1702. 43 Harnes, Tröstung, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 47, 26. November 1831, S. 737f. 44 A. G[ubeler], Zur Weihe der jungen Christen, in: Brandenburgscher Anzeiger. Ein Wochenblatt für alle Stände, Nr. 72, 7. September 1831, [S. 1]. 45 [Anonym], Ewig ist Gott, in: Berliner Stadt- und Landbote für das Königreich Preußen. Ein Volksblatt zur Belehrung und Unterhaltung für den gebildeten Preußischen Bürger und Landmann, 2 (1831), H. 20 [Oktober 1831], S. 153f. 46 Sandor v. S„ Traumbild, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Nr. 41,17. Februar 1832, S. 161f. Zentauren: Fabelwesen der griechischen Mythologie.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung [Widar] Ziehnert, Gebet des Herrn bei drohenden Krankheiten, in: [Dresdner] Abend-Zeitung, Nr. 229, 24. September 1831, S. 913. Seraph: im Alten Testament Engel der Anbetung, ursprünglich Schlangendämon. Justinus Kerner, Herbstjubel. (Zur Zeit der Cholera.), in: ders., Werke. Auswahl in sechs Teilen, hrsg. v. Raimund Pissin, Bd. 2, Berlin, Leipzig , Wien o.J., S. 89f. [Carl] G[eishei]m, Der Schmauser, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 46,19. November 1831, S. 731. Matthias L[eopold] Schleifer, Die Schuld. An meine zwei Töchter Maria Theresia und Friederika Katharina. (Januar 1832), in: Gedichte. Gesammt-Ausgabe, hrsg. v. K[arl] A[dam] Kaltenbrunner, Wien 1847, S. 186. [Carl] G[eishei]m, Die Zuflucht, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 38, 24. September 1831, S. 593f. Karl von Holtei, Was ist die Cholera (1832), in: ders., Deutsche Lieder, Schleusingen 1834, S. 194ff. ein Viertheil räuchert: bezieht sich auf die medizinische Praxis, mit Desinfektionsräucherungen ansteckende Krankheiten abzuwehren. Publikanda: öffentliche Bekanntmachungen. Dr. Koeler, Bewährte Vorschrift wider die Furcht vor der Cholera, in: Tagebuch über das Verhalten der bösartigen Cholera in Berlin. Eine Sammlung von Aufsätzen pathologisch-therapeutischen, gesundheits-polizeilichen und populär-medicinischen Inhalts, hrsg. v. Albert Sachs, Nr. 43,3. November 1831, S. 173f. Clauren: H. Clauren (eigentlich Carl Gottlieb Samuel Hein, 1771-1854), einer der beliebstesten Unterhaltungsschriftsteller seiner Zeit. Don Miguels Reich: Portugal. Charybdis und Scylla: gefährliches Klippenpaar an der Straße von Messina. Oertel: der Gymnasialprofessor Eucharius Ferdinand Christian Oertel aus Ansbach (1765-1850), ein Pionier der Wasserheilkunde, beschrieb in mehreren Veröffentlichungen die heilende Wirkung des kalten Wassers auch bei der Cholera, vgl. z. В.: Die indische Cholera einzig und allein durch kaltes Wasser vertilgbar, Nürnberg 1831. Leo: ein Warschauer Arzt, Dr. Leopold Leo, soll bei der Behandlung der Cholera mit einer Spezialrezeptur überdurchschnittliche Heilerfolge erzielt haben; durch seinen in der „Allgemeinen Preußischen Staats-Zeitung" vom 20. Juni 1831 abgedruckten Bericht rückte seine Methode für einige Zeit in den Rang einer offiziell empfohlenen Behandlungsmethode. Arcanum: Geheimmittel. Boreas: Gott des Nordwindes in der griechischen Mythologie. [Anonym], Recept gegen die Cholera, in: Sundine, Nr. 45, 10. November 1831, S. 360. [Anonym], Das Recept, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 196,7. Oktober 1831, Sp. 1566. Franz Freiherr von Gaudy, Die Pestjungfrau [undatiert, ca. 1831], in: Gedichte des Freiherm von Gaudy, hrsg. v. Arthur Mueller, Berlin 1847, S. 41 Iff. Litwa: Litauen. Schaffher: Verwalter. Czamara: polnischer Schnürrock mit niedrigem Stehkragen. Sarras: Säbel mit schwerer Klinge. [Anonym], Stralsunds Bürgern, in: Sundine, Nr. 38, 22. September 1831, S. 297. [Carl] G[eishei]m, Als der Oktober eben nicht freundlich war, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 40, 8. Oktober 1831, S. 625f. Karl August Glaser, Gegen die Cholera, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 126, 20. Oktober 1831, S. 509.

Quellen und Erläuterungen

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Hygieja: jungfräuliche Tochter des Asklepios, des griechischen Gottes der Heilkunst, gilt als Lebensspenderin. Wilhelm Schumacher, Verständlichste und bewährteste Bewährungen über die mit Gefahr bedrohende pestartige Kankheit Cholera morbus. Erster Theil, 4. Aufl., Danzig 1831, S. 5f. Orkus: römischer Gott der Unterwelt. nach Portugal: bezieht sich auf die portugiesischen Thronstreitigkeiten zwischen den Söhnen Joäo VI., Miguel und Pedro, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten, die sich nach 1830 verstärkten. Sarmaten: im Altertum für Bewohner zwischen Weichsel und Wolga, hier für: Polen. Adalbert von Chamisso, Das Vermächtniß (1831/32), in: Werke, 2. Aufl., Bd. 4, Leipzig 1842, S. 112f. Ernst Ortlepp, Die Cholera. Ein episch-lyrisches Gedicht, Leipzig 1832, S. 23ff., 32. Aziel: Azazel, im Alten Testament verderbenbringender Wüstendämon, wird auch in Miltons Versdichtung „Paradise lost" (1667) erwähnt, der Ortlepps Dichtung nachempfunden ist. Konstantin: Großfürst Konstantin, Bruder des Zaren Nikolaus I. und Gouverneur für das russisch besetzte Polen, starb am 15. Juni 1831 in Witebsk an der Cholera. Diebitsch: Johann Karl Friedrich Graf von Diebitsch, geb. 1785, befehligte als Kaiserlicher General-Feldmarschall die russischen Truppen gegen die Polen, starb dabei am 10. Juni 1831 an der Cholera. E[manuel] Straube, Zur Zeit der Gefahr, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 116, 27. September 1831, S. 469. Anastasius Grün, Zur Cholerazeit (1831), in: ders., Werke in sechs Teilen, hrsg. v. Eduard Castle, Bd. 1, Berlin, Leipzig, Wien [1909], S. 155ff. Zephir: warmer Westwind. Zar: Nikolaus I. (1796-1855), russischer Zar. G[otthilf] A[ugust] Freiherr von Maltitz, Der Dichter und seine Zeit, in: ders., Pfefferkörner. Im Geschmack der Zeit, ernster und satyrischer Gattung. Drittes Heftlein, Hamburg 1832, S. 4ff. Dr. [Carl] Grosse, Absolute Herrschaft, in: Der Wächter am Rhein. Ein deutsches Volksblatt, Nr. 18,18. April 1832, [unpaginiert], Sybille: Sybilla, sagenhafte griechische Wahrsagerin. [Friedrich Joachim Philipp v. Suckow], Kriegslieder gegen - die Cholera, in: Sundine, Nr. 25 u. 27, 23. Juni u. 7. Juli 1831, S. 198, 214. Livonien: neulateinisch für Livland, Landschaft an der baltischen Küste der Ostsee, gehört heute zu Lettland und Estland. auf griechisch und Latein: Anspielung auf die verheerenden Epidemien 430 v. Ch. in Athen und 542/43 im gesamten Mittelmeerraum. Schaller, Schlachtgesang, in: Penelope. Taschenbuch für 1832, hrsg. v. Theodor Hell, Leipzig 1832, S. 338f. [Moritz Veit], Ein Leichenzug, in: ders., Polenlieder, ein Todtenopfer, Hamburg 1832, S. 33f. hohes Kriegshaupt: Johann Karl Friedrich Graf von Diebitsch, geb. 1785, befehligte als Kaiserlicher General-Feldmarschall die russischen Truppen gegen die Polen, starb dabei am 10. Juni 1831 an der Cholera. Solon: etwa 640-561 v. Ch., athenischer Gesetzgeber, steht für weise Staatskunst. Osmans alter Kaiserstuhl: im Frieden von Adrianopel (1829), der den von Diebitsch geleiteten russischen Krieg gegen die Türkei beendete, war die Angliederung von Teilen des Balkans an das Zarenreich erzwungen worden. [Carl] G[eishei]m, Diebitsch, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 24,18. Juni 1831, S. 382f.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung Diebitsch: Johann Karl Friedrich Graf von Diebitsch, geb. 1785, befehligte als Kaiserlicher General-Feldmarschall die russischen Truppen gegen die Polen, starb dabei am 10. Juni 1831 an der Cholera. Hämus: altertümlich für Balkangebirge, Anspielung auf Diebitschs Erfolge im russisch-türkischen Krieg. erhabner Landsmann: Diebitsch stammte aus Schlesien.

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[Carl] G[eishei]m, Bei der Nachricht von dem unerwarteten Tode des Feldmarschalls von Gneisenau, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 11 (1831), Nr. 34,27. August 1831, S. 544. Gneisenaus Tod: Generalfeldmarschall August Neidhart von Gneisenau war am 23. August 1831 in Posen an der Cholera verstorben, wo er den preußischen Abwehr-Kordon gegen die Cholera leitete.

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G[ustav] Jfakob] Friedrich] Baron Ungern Sternberg, An den Kaiser, nach seiner Rückkehr aus Moskau, im October 1830, wo damals die Cholera Morbus wüthete, in: ders., Harfentöne. Herausgegeben zum Besten der in Reval durch die Cholera zu Waisen gewordenen, Reval 1832, S. 96ff. des Kaisers Rückreise aus Moskau: Zar Nikolaus I. war in den Unruhen, die sich während der Cholera September/Oktober 1830 vor allem gegen Ärzte und vermeintlich polnische Spione richteten, von seiner Petersburger Residenz nach Moskau geeilt, um in theatralischen Auftritten die Volks massen zu besch wichtigen.

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Justinus Kerner, Szene aus Wien im Jahre 1831, in: Sämtliche Poetische Werke, hrsg. v. Josef Gaismaier, Bd. 1, Leipzig [1905], S. 129. unser Franz: Franz I., 1768-1835, Kaiser von Österreich. Nina von Guyon, Der Leichenzug des Armen, in: Berliner Modenspiegel. Eine Zeitschrift für die elegante Welt, Nr. 51, 22. Dezember 1832. Baden: Kurort südlich von Wien.

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I[gnaz] Ffranz] Castelli, Das kleine Mädchen bei herannahender Cholera (1831), in: ders., Gedichte, 2. verm. Aufl., Bd. 4, Wien 1848, S. 128ff.

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[Carl Johann] Braun von Braunthal, Gewitter, Sonne, Vater, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 137, 15. November 1831, S. 553.

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Vater: Franz I., 1768-1835, Kaiser von Österreich. Eduard Habel, Als seine Majestät der Kaiser, nach schwerer Zeit, wieder zum ersten Mahl im k.k. Hofburgtheater erschienen, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 142,26. November 1831, S. 573. Kaiser: Franz I., 1768-1835, Kaiser von Österreich.

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A[ugust] Cfohnfeld], Volkslied, in: Neues Berlinisches Wochenblatt zur Belehrung und Unterhaltung. Herausgegeben zum Besten der Wadzeck-Anstalt, Nr. 42,15. Oktober 1831, S. 657f.

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Ffriedrich] F[örster], Seiner Majestät dem Könige von Preußen gewidmet. Am dritten August 1831, in: Chaos, hrsg. v. Ottilie von Goethe, Nr. 7 [1831], S. 27f. König von Preußen: 3. August 1831.

Friedrich Wilhelm III., 1770-1840, anläßlich seines Geburtstags am

in dem Jahre dreizehn: Anspielung auf die Befreiungskriege gegen Napoleon und den Aufruf Friedrich Wilhelm III.: „An mein Volk" (1813). 80

[Anonym], Dem 3. August 1831 in Danzig, in: Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz, Nr. 127,6. August 1831, S. 632. 3. August: König von Preußen: Friedrich Wilhelm III., 1770-1840, anläßlich seines Geburtstags am 3. August 1831.

Quellen und Erläuterungen

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81 Wfilhelm] F[riedrich] Zernecke, Am dritten August 1831, in: Eduard Bangßel, Erinnerungsbuch für Alle, welche im Jahre 1831 die Gefahr der Cholera-Epidemie in Danzig miteinander getheilet haben, Danzig 1832, S. 80. 3. August: König von Preußen: Friedrich Wilhelm III., 1770-1840, anläßlich seines Geburtstags am 3. August 1831. 82 Ludwig Robert, Rede zur Feier des Allerhöchsten Geburtsfestes Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm III. Im Königlichen Opernhause gesprochen von Herrn Rebenstein, Berlin, den dritten August 1831. 3. August: König von Preußen: Friedrich Wilhelm III., 1770-1840, anläßlich seines Geburtstags am 3. August 1831. 83 Dr. G. N., Paracelsus an die Aerzte im Jahre 1831. Ein ernstes Scherzwort, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt. Beilage für Literatur, Kunst, Mode, Residenzleben, und journalistische Control[l]e, Nr. 44,5. November 1831, Sp. 349ff. Paracelsus: Theophrast Bombast von Hohenheim (1493-1541), Wegbereiter einer auf empirische Anschauung und Experiment gegründeten Medizin, mythisch verklärter Schutzherr der Medizin. Charon: in der griechischen Mythologie Totenfährmann in der Unterwelt. Aesculap: griechischer Gott der Heilkunst. Chiragra: Gicht. hic statis otiosi: Warum wartet ihr müßig? occasio praeceps: geeignete Linderungsmittel, Mittel zur rechten Zeit, Verhütungsmittel. principes: Fürst. docet experientia: gelehrte Erfahrung. Sydenham: Thomas Sydenham (1624-1689), der englische Hippokrates, betonte den Wert medizinischer Beobachtung und Erfahrung. 84 [Friedrich Arnold Steinmann], Disputatorium medicum über die Cholera. Ein Wischiwaschi, in: ders., Briefe aus Berlin. Geschrieben im Jahr 1832, Bd. 2, Hanau 1832, S. 86ff. purgieren: durch Abführmittel abführen lassen. comme ilfaut: musterhaft, wie es sich gehört. 85 [Anonym], Jereminade, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt, Nr. 142, 6. September 1831, Sp. 1134. Panacee: Allheilmittel. Arcanum: Geheimmittel. Paracelsus: Theophrast Bombast von Hohenheim (1493-1541), Wegbereiter einer auf empirische Anschauung und Experiment gegründeten Medizin, mythisch verkärter Schutzherr der Medizin. 86 Anshelmig, Der Patriarch Abraham und der hohe Priester Aaron im Paradies. Eine CholeraParabel, in: Der Komet. Ein Unterhaltungsblatt für die gebildete Lesewelt. Zeitung für Reisen und Reisende, Nr. 50 u. 51,16. u. 23. Dezember 1831, Sp. 399f., 405. Parabel: Der Text ist insgesamt eine Anspielung auf die medizinischen Auseinandersetzungen zwischen sogenannten Kontagionisten, die eine Ansteckung der Cholera mittels Krankheitsstoffen von Mensch zu Mensch verfochten, und Miasmatikern, die hauptsächlich die schädlichen Einflüsse von Wind und Boden hervorhoben. In Preußen und vielen anderen deutschen Staaten war der Kontagionismus Staatsdoktrin. Contumaz: Quarantäne-Station. 87 R[aphael] J[acob] von Fürstenthal, Das Lied von der Cholera morbus. Ein humoristischdidaktisches Gedicht nach Schillers Gedicht von der Glocke, Breslau 1831, S. 3ff. digerieren: auslaugen. 88 [Anonym], Die Patienten und der Arzt, in: Königsberger Wochenblatt. Für Novellistik, Literatur, Kunst und Theater, Nr. 61, 30. Juli 1831, S. 483f.

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Das schlechte Gedicht - Strategien literarischer Immunisierung [Anonym], An die hochgeschätzten Aerzte Mitau's. (Zum Andenken an den 4ten September 1831), in: Extra-Beylage zum allgemeinen Kurländischen Amts- und Intelligenz-Blatt, Nr. 77, 18. September 1831. Zum Andenken an den 4ten September 1831: an diesem Tag fand ein öffentlicher Dankfackelzug der städtischen Abgeordneten Mitaus zu Ehren des „Vereins der Ärzte Mitaus" statt. [Anonym], [Für Dr. Barchewitz], in: Geschichte der Cholera in Danzig im Jahre 1831, [Danzig, 1831], S. 28. Eugen Ernst Heinrich Barchewitz: 1785-1852, von der Preußischen Regierung mit anderen Ärzten zu einer Inspektionsreise anläßlich der Cholera nach Rußland gesandt, machte auf der Rückreise im Sommer 1831 in Danzig Station, um bei der dort inzwischen ausgebrochenen Cholera zu helfen. Zu Umständen der öffentlichen Elogen auf ihn vgl: Correspondenznachrichten und kurze Notizen. Danzig, Decbr. 1831, in: Mittheilungen des Neuesten und Wissenswürdigsten über die asiatische Cholera (Allgemeine Cholera-Zeitung), hrsg. v. Justus Radius, Bd. 2, Nr. 43, 11. Januar 1832, Sp. 301 f. W[ilhelm] Gerhard, Dem Pest- und Blitzbändiger Dr. Alcibiades Tavernier, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 131, 8. Juli 1833, S. 524. Alcibiades von Tavernier: Offizier unter Napoleon, verwundet in der Völkerschlacht zu Leipzig 1813, ergriff anschließend den Arztberuf. Er erprobte sich vor allem bei der Behandlung der Cholera. Nach seinen Erfahrungen in Asien, Osteuropa und Nordafrika empfahl er die Behandlung durch Eis - innerlich durch Pillen, äußerlich durch Reibungen und Umschläge. Die Charakterisierung als Blitzbändiger dient der mythischen Aufwertung Tavemiers. kleine Corporal: Napoleon Bonaparte (1769-1821); von 1804 bis 1814/15 französischer Kaiser Tejo: portugiesischer Fluß. Oka: russischer Fluß, Nebenfluß der Wolga. Mars: Kriegsgott der römischen Mythologie. Aeskulap: griechisch-römischer Gott der Heilkunde. Mahom's Paradiese: Mohamed (eigtl. Abu I-Kasim), um 570-632, Stifter des Islam. Ispahan: oder auch Isfahan, bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts Hauptstadt Persiens. Aga: Titel türkischer Offiziere. Emir: Titel arabischer Stammesfürsten und militärischer Befehlshaber. Chan: mongolischer bzw. türkischer Herrschertitel. Zentauren: Fabelwesen der griechischen Mythologie. Daniel: bezieht sich auf die Visionen des Buches Daniel des Alten Testaments, beinhaltet u.a. Daniels wunderbare Errettung aus der Löwengrube. Donnerkeil des Zeus: Zeus, oberster Gott der griechischen Mythologie, galt als Herr über Blitze und Donner. Sankt Georg: mythischer Heiliger der mittelalterlichen Kirche, bekannt als Drachentöter. Wilhelm Schumacher, Der Wunderdoktor wie er ist. Ein Mährchen, Danzig 1831, S. 3f., 7ff. Pech: Schuhmacher Hamann aus Heubaude bei Danzig hatte mit einem angeblich vor der Cholera schützenden Kräuterschnaps im Sommer 1831 fast sensationellen Zulauf; dieser ließ erst nach, als unmittelbare Nachbarn trotz des „Wundermittels" starben. Mandarin: hoher chinesischer Würdenträger, Anspielung auf Gerüchte, die Behörden würden die wirkliche Zahl der Choleratoten verschleiern. Eduard Duller, Freund Hein, in: ders., Grotesken und Phantasmagorieen. Mit Holzschnitten von Moritz v. Schwind, Bd. 1, Stuttgart 1833, S. 107ff. Freund Hein: der Tod. [Anonym], Die Cholera, in: [Aachener] Cholera-Zeitung, hrsg. vom Regierungs- und Medizinalrath Dr. Zitterland, Nr. 16, 22. November 1831, S. 129.

Quellen und Erläuterungen

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2. Sam. XXIV: Altes Testament; nachdem der Herr die Pest, die er zur Strafe über Jerusalem sandte, abklingen ließ, verrichtete David ein Brandopfer auf der Tenne Araunas, der sie ihm ehrfürchtig angeboten hatte. El wine Alifeld, Loblied der Cholera, in: dies., Gedichte, Berlin 1835, S. 124ff. Loblied: Das erste „Loblied" einer Epidemie scheint aus der Renaissance zu kommen, als der italienische Burleskendichter Francesco Berni (1497-1535) die pathetischen Ergüsse seiner Zeit 1532 mit einem Loblied auf die Pest parodierte. Eine einflußreiche Prosa-Variation eines solchen Lobes der Cholera gab der Physiker und Physiologe Gustav Theodor Fechner 1832 mit einer pseudonym erschienenen Schrift [Dr. Mises, Schutzmittel für die Cholera, Leipzig 1832]. Johann Langer, Lob der Cholera, in: Allgemeine Theaterzeitung und Originalblatt für Kunst, Literatur, Mode und geselliges Leben, Nr. 141, 24. November 1831, S. 569f. Mars: Kriegsgott der römischen Mythologie. disgustieren: sich anstrengen, ärgern. R[aphael] Jfacob] von Fürstenthal, Feierlicher Abschied von der Cholera Morbus. Eine humoristisch-deklamatorische Unterhaltung, Breslau 1831, S. l l f . M. Heymann [Maximilian Heimann?], Cholera, in: Der Volksfreund in den Sudeten, vereinigt mit dem Schlesischen Beobachter. Eine Wochenschrift zum Nutzen, zur Belehrung und Unterhaltung aller Stände, Nr. 3,18. Januar 1832, S. 21 f. [Carl] G[eishei]m, Abschied von der Cholera, in: Der Hausfreund. Eine Wochenschrift zur Erheiterung geselliger Freistunden, 12 (1832), Nr. 3,21. Januar 1832, S. 46f. [Karl Fulda], Rückblick auf das trauervolle Jahr 1832, in: ders., Gedichte eines Bürgerfreundes. Zum Besten des Hallischen Bürgerrettungs-Instituts, Halle 1847, S. 98f.