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German Pages 341 [344] Year 2014
Ludwig Siep
Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes
Meiner
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2524-5 ISBN eBook: 978-3-7873-2718-8
Umschlagfoto: Stele der Familie des Amenemhat (Ausschnitt), 11. Dynastie, Ägyptisches Museum Kairo www.meiner.de © Felix Meiner Verlag Hamburg 2014. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
Inhalt Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Anerkennung und praktische Philosophie heute . . . . . . . . . . . 11 Einführender Essay zur Neuauflage (2014) I. Anerkennung und die Erneuerung der praktischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 II. Anerkennungstheorie heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 III. »Anerkennungskultur«: Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1. Anerkennung in einer Gesellschaft kultureller Viefalt . . 35
2. Anerkennung als immanente Norm und Begrenzung der Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Das Verhältnis zur Natur als »asymmetrische Anerkennung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Einleitung (1979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Das Prinzip der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Der Begriff der Anerkennung bei Fichte . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Die Deduktion der Anerkennung als transzenden tale Bedingung des Rechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Die Struktur der Anerkennung bei Fichte . . . . . . . . . 81 2. Die Vorformen der Anerkennung in den Berner und Frankfurter Fragmenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Liebe in den späten Berner und frühen Frankfurter Fragmenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 b) Vereinigung und Trennung im »Geist des Christentums« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Die Theorie der Anerkennung in den Jenaer Schriften . 96
a) Die erste Stufe: Anerkennung als Synthese von Liebe und Kampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 α) Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 β) Kampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Die erste Stufe der Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Exkurs: Zweier- und Dreierbeziehungen in der Sozialphilosophie des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . 114 c) Die zweite Stufe: Anerkennung des »Ich« im »Wir« . 122 A. Vereinigung und Auseinandersetzung des einzelnen mit dem allgemeinen Willen . . . . . . . . 123 B. Die Verwirklichung der Anerkennung im absoluten Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Die zweite Stufe der Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 A. Individuelles Handeln und vernünftige Wirklichkeit (Vernunft-Kapitel) . . . . . . . . . . . . . . 133 B. Entzweiung und Versöhnung von »Selbst« und »Substanz« (Geist-Kapitel) . . . . . . . . . . . . . . . 136 α) R echt und Anerkennung in der Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 β) Anerkennung im »entfremdeten Geist« . . . . . 139 γ) Die Erfüllung der Anerkennung: Das Gewissen und die Verzeihung des Bösen . 142 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Exkurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. Das Problem einer logischen Struktur der Anerkennung . 157 II. Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Praktische Philosophie beim jungen Hegel . . . . . . . . . . . . . 170 2. Kritik des Naturrechts und Rehabilitierung der klassischen politischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Systemkonzeption und praktische Philosophie in Jena (1801–1803) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4. Die Theorie des Bewußtseins und das Prinzip der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 6 | Inhalt
5. Praktische Philosophie in der »späten« Jenaer Geistphilosophie (1805/1806) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der Phänomenologie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Phänomenologie und praktische Philosophie . . . . . . . . . . 214 2. Die »praktische« Seite der phänomenologischen Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Die Bedeutung der Anerkennung für die Methode der praktischen Philosophie in der Phänomenologie . . . . 225 IV. Praktische Philosophie, Geschichtsphilosophie und Sozialisationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Anerkennung und »System der Institutionen« . . . . . . . . . 228 2. Anerkennung und Sozialisationstheorie . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Sozialisation und Bildungsgeschichte des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Anerkennung und die Bedingungen vernünftiger Identitätsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3. Praktische Philosophie und Geschichtsphilosophie . . . . . . 251 a) Praktische Philosophie als Geschichtsphilosophie? 252 b) Die »historische Genese« der Institutionen . . . . . . . . 255 c) Quietismus oder Kritik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 V.
Anerkennung, Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Die »Asymmetrie« der Hegelschen Anerkennungstheorie 269 2. Anerkennung in der Rechtsphilosophie von 1820 . . . . . . . 274 3. Praktische Philosophie ohne Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . 281
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Neure Publikationen zu Anerkennung und praktischer Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Inhalt | 7
Zur Erinnerung an meinen Vater Ludwig Siep (1912 – 1943)
Vorbemerkung Die Erstauflage dieses Buches erschien 1979. Sie war die überarbeitete und leicht gekürzte Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Dezember 1975 der Philosophischen Fakultät I der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. eingereicht wurde. Der Dank der Erstauflage gilt weiter: »Ich habe in Seminaren und Diskussionen bei Werner Marx viel über Hegel und den Deutschen Idealismus gelernt. Danken möchte ich auch Klaus Düsing, Dieter Henrich, Rolf-Peter Horstmann, Heinz Kimmerle, Otto Pöggeler und Andreas Wildt für Gespräche, Anregungen und die Überlassung unveröffentlichter Manuskripte. Für unschätzbare Hilfe bei der Herstellung des Manuskripts danke ich Ilse Dammschneider und Ingeborg von Appen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft leistete großzügige finanzielle Unterstützung. Freiburg i. Br., im März 1979 Ludwig Siep« Für Hilfe bei der Neubearbeitung danke ich Frieder Bögner und Alexander Lückener. Münster, im Juli 2014
Anerkennung und praktische Philosophie heute Einführender Essay zur Neuauflage (2014)
Das hier in Neubearbeitung vorgelegte Buch ist erstmals im Jahre 1979 veröffentlicht worden. In der folgenden Einleitung lokalisiere ich zunächst die Ideen und Absichten des Buches in der Forschungslandschaft damals und heute (I). Dann gehe ich auf einige Hauptströmungen und Probleme der neueren Anerkennungsdiskussion ein. Dabei benutze ich als Leitfaden drei Erfordernisse einer nachhegelschen philosophischen Konzeption der Anerkennung, die ich am Ende des Buches skizziert hatte (II). Schließlich erörtere ich einige moderne Probleme der praktischen Philosophie, bei deren Behandlung sich Fruchtbarkeit und Grenzen des Anerkennungsprinzips zeigen: kultureller Pluralismus, Grenzen der Marktwirtschaft und das Verhältnis der technischen Zivilisation zur Natur (III).
I. Anerkennung und die Erneuerung der praktischen Philosophie Der Gedanke der Anerkennung als einer Norm zwischenmenschlichen Verhaltens und eines Kriteriums der Beurteilung von sozialen Lebensformen und Institutionen hat in den letzten Jahrzehnten weltweit eine bedeutende philosophische Karriere gehabt.1 Die Rezeption des Deutschen Idealismus spielt dabei eine entscheidende Rolle.2 Das gilt auch für Theorien, die mit ihm nur »entfernt verwandt« sind, wie den amerikanischen Pragmatismus von Mead bis Brandom, oder den Existentialismus und die Phänomenologie in Frankreich, von Kojève bis Ricoeur.3 Kojèves Rezeption des Anerkennungsbegriffs der Hegelschen Phänomenologie des Geistes war für die jüngere Diskussion die entscheidende Anregung, vor allem nachdem Jürgen Habermas sie mit dem Aufsatz »Arbeit und Interaktion« in den sechziger Jahren für die kritische Theorie fruchtbar zu machen versuchte.4 Seine Anregung wurde in Deutschland und später auch in anderen Ländern von Philosophen verschiedener Richtungen aufgenommen. Eines der Ziele des Buches von 1979 war es zu zeigen, daß Habermas’ Versuch einer kommunikationstheoretischen Gesellschaftskritik sich nur sehr bedingt auf Hegel stützen konnte. Das entsprach Habermas’ eigener Einschätzung und seiner kritischen Distanz zu Hegel, auch wenn ich seine Hegel-Kritik ebenfalls zu korrigieren versuchte. Die jüngere Frankfurter Schule hat seit Axel Honneths Buch Kampf um Anerkennung von 1992 diese Distanz abgeschwächt. Sie beruft sich für ihre Anerkennungstheorie zunehmend auch auf den Berliner Hegel.5 Sie möchte mit diesem Ansatz auch alle älteren Formen der Kritik an Entfremdung und Verdinglichung einholen.6 Anders als Habermas will sie mit Hilfe des Anerkennungsbegriffs auch eine an Hegel orientierte Kritik an den inneren Widersprüchen des Kapitalismus erneuern.7 Ich habe in den vergangenen Jahren mit gelegentlichen Interventionen meine Skepsis gegen die zugrundeliegende Hegel-Interpretation geäußert, vor allem was die 12 | kapitel i
Rechtsphilosophie angeht.8 Dabei hat sich meine in dem Buch von 1979 angedeutete Überzeugung verstärkt, daß gerade hinsichtlich der Grenzen von Hegels Anerkennungs- und Geistkonzeption sich eine durchgehende Linie von der »Vereinigungsphilosophie« des Frankfurter Hegel und der Jenaer Philosophie des Geistes bis zu der späteren (»Heidelberger« und »Berliner«) Philosophie des objektiven Geistes zieht. Die vorliegende Neuauflage des Buches über die Jenaer Anerkennungslehre soll auch an diese Konstanz erinnern. Das heißt nicht, daß ich die Fruchtbarkeit der Hegelschen Philosophie und ihres Begriffs der Anerkennung für die gegenwärtige praktische Philosophie bezweifle. Ich bin aber etwas skeptischer, ob sie als umfassendes Prinzip der gegenwärtigen praktischen Philosophie ausreicht. Auf die Probleme der praktischen Philosophie, angesichts derer das Kriterium der Anerkennung an seine Grenzen stößt, komme ich im dritten Teil dieser Einleitung zurück. Virulent ist aber nach wie vor die in Hegels Konzeption enthaltene grundsätzliche Kritik an individualistischen Theorien der Subjektivität, des Rechts und des Staates. Auch für eine normative Rekonstruktion der historischen Entwicklung von Institutionen und Lebensformen ist sie nach wie vor aufschlußreich.9 Es ist aber nicht so leicht, wie viele moderne Autoren meinen, sie von den »metaphysischen Resten« der Hegelschen Philosophie des Absoluten zu trennen. Für Hegel ist die »kommunikative Freiheit« der Anerkennung zwischen Individuen nicht der letzte Zweck des Staates. Endzweck ist die sittliche Freiheit der Vereinigung und Identifikation mit dem Willen und den Institutionen eines souveränen Verfassungsstaates – wobei die Verfassung der Souveränität am Ende keine wirksamen Grenzen setzt.10 Dieses »Ziel« bestimmt aber, wie ich schon in dem Buch von 1979 zu zeigen versuchte, auch die Stufen der »Bewegung des Anerkennens«. Kojève hatte seine Aktualisierung des Begriffes der Anerkennung vor allem in einer Interpretation des Selbstbewußtseinskapitels der Phänomenologie des Geistes entwickelt. Habermas dagegen vermutete, daß die früheren Jenaer Texte Hegels für moderne Debatten in der Sozialphilosophie interessanter seien als die Phänomenologie, in der Hegel zu einem monistischen Subjekt- und Geistbegriff zurückkehre.11 Das entsprach dem großen historischen Interesse an den Jenaer Entwürfen in den 60er/70er Jahren des Anerkennung und die Erneuerung der praktischen Philosophie | 13
20. Jahrhunderts. Systematisch war Habermas’ Interesse an Theorien der Kommunikation und der Intersubjektivität eingebettet in einen Zusammenhang philosophischer und sozialwissenschaftlicher Forschungen über Kommunikation, Intersubjektivität und Sozialisation.12 In diesem Zusammenhang erweckten die Ansätze zu einer systematischen Verbindung von Subjektivität, Intersubjektivität und gesellschaftlichen Lebensformen im Deutschen Idealismus13 besonderes Interesse. »Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie« war 197914 die erste von mehreren größeren Arbeiten über die Bedeutung von Hegels Theorie der Anerkennung für die moderne Philosophie. Darauf folgten in Deutschland Andreas Wildt (Autonomie und Anerkennung, 1982) und Axel Honneth (Kampf um Anerkennung, 1992). Andreas Wildt hat den Begriff der Anerkennung für Grundlagenfragen der Ethik und der Moralpsychologie fruchtbar gemacht. Trotz seines historisch-systematischen Interesses an Hegels Kritik der Moralphilosophie Kants und Fichtes stand das Buch auch im Zusammenhang mit Ernst Tugendhats metaethischen Überlegungen im Anschluß an die angelsächsische Diskussion. Axel Honneth hat den Impuls von Habermas am direktesten aufgenommen und Hegels Prinzip der Anerkennung – aber auch die Formen der Sittlichkeit in der Rechtsphilosophie – durch Sozialisationstheorien des amerikanischen Pragmatismus und der modernen Psychologie systematisch aktualisiert. Vom »Kampf um Anerkennung« her hat er auch die sozialen Kämpfe um Inklusion von Individuen und Gruppen in die Normensysteme moderner Gesellschaften interpretiert. Honneth hat an dem Thema am konsequentesten festgehalten und eine systematische »Theorie der Anerkennung« entwickelt, die weltweit diskutiert wurde. Der systematische Kontext meines Buches war die Erneuerung der praktischen Philosophie, die in den siebziger Jahren in Deutschland proklamiert wurde.15 Gegen eine rein apriorische Normenbegründung und den damit verbundenen Rückzug der Philosophie aus Staatsrecht und Gesellschaftstheorie sollte eine »konkrete«, zugleich deskriptive und normative, historische und »prinzipielle« praktische Philosophie im ganzen Umfang der aristotelischen Tradition (Ethik, Ökonomik, Politik) wiedergewonnen werden.16 Diese Einheit sollte aber im Sinne der neuzeitlichen (»wissenschaftlichen«) 14 | kapitel i
Philosophie systematisch begründet sein durch ein Prinzip, das zugleich ein Kriterium der Rechtfertigung oder Kritik der historisch verwirklichten Normen und Institutionen in diesen Bereichen sein könnte. Gefordert war also nicht ein deduktives Verfahren, sondern Analyse und Entwicklung eines Grundgedankens, der zugleich ein normatives Kriterium darstellt.17 Die Idee des Buches ist in dieser Hinsicht, daß Hegel in seiner Jenaer Zeit eine ähnliche Erneuerung der traditionellen praktischen Philosophie mit Hilfe des Gedankens der Anerkennung in Angriff genommen hatte – und daß diese Lösung in veränderter Form der praktischen Philosophie der Gegenwart zum Modell dienen könnte. Das Buch ist aber zugleich als ein Beitrag zur philosophiehistorischen Forschung angelegt. In dieser Hinsicht war der Kontext das Interesse an der Entstehung und Entwicklung des Hegelschen Systems wie der nach-kantischen deutschen Philosophie insgesamt. Es stand im Zusammenhang mit den großen kritischen Gesamtausgaben der klassischen deutschen Philosophie, die seit den sechziger Jahren erarbeitet wurden, besonders natürlich mit der Edition der Hegelschen Schriften, die vom Bochumer Hegel-Archiv ausging. Aber sie war auch angetrieben von der Vermutung, daß die Bilder und Klischees Hegels in der Nachkriegszeit und während des »Kalten Krieges« – vom prototalitären Hegel Poppers, über den »bürgerlichen« Vorläufer von Karl Marx bis zum Vollender der Metaphysik im Sinne Heideggers und seiner Schule – angesichts der unzureichend edierten und studierten Texte seiner Vor-Berliner Zeit zu korrigieren waren. Ein solches genetisches Verständnis der Philosophie Hegels zu entwickeln, war damals und später ein Anliegen so verschiedener Philosophen wie Otto Pöggeler, Dieter Henrich oder Manfred Riedel.18 Was Dieter Henrich für die Entwicklung des Geistbegriffs, Klaus Düsing für die »Logik der Subjektivität«, Manfred Baum für die Entwicklung der Dialektik usw. geleistet hatten, sollte das Buch für die praktische Philosophie in Angriff nehmen. Da gab es Vorarbeiten von Manfred Riedel und Karl-Heinz Ilting,19 aber noch keine die Jenaer Entwicklung als ganze untersuchende Monographie. Eine solche an Texten, die zum Teil neu ediert und kommentiert waren, belegte Theorie der Entstehung der praktischen Philosophie – der Hegel später den Titel »objektiver Geist« gab – bedurfte gründlicher Textinterpretation. So eng am Text zu arbeiten, Anerkennung und die Erneuerung der praktischen Philosophie | 15
ist inzwischen unüblich – so daß ich, mit Hegels Bemerkung zu den Vorarbeiten der Neuauflage der Phänomenologie (1831), fast sagen möchte: »Eigentümliche frühere Arbeit, nicht umarbeiten«.20 Ich habe aber an einigen Stellen der folgenden Ausgabe die Darlegungen abgekürzt und auch die Auseinandersetzung mit der damaligen Forschung in den Anmerkungen etwas zurückgenommen. Dafür finden sich dort jetzt mehr Bezüge auf die gegenwärtige Rezeption der Anerkennungstheorie. Hegel entwickelt sein philosophisches System in der Jenaer Zeit. Dabei dient ihm der Gedanke der Anerkennung als Leitfaden der Entfaltung desjenigen Teils, den er zunächst praktischen und dann objektiven Geist nennt.21 Die Bedeutung der Anerkennung liegt seit Fichte darin, daß Selbstbewußtsein, und damit alles individuelle und bewußte Wissen und Handeln, eine bestimmte Beziehung zwischen Menschen voraussetzt. Hegel faßt diesen Gedanken in bestimmtem Sinne »teleologisch«, im Sinne der schon auf Fichte zurückgehenden und bei Schelling ausgearbeiteten Geschichte des »Zusichkommens« des Bewußtseins aus vorbewußt Natürlichem und Sozialem. Das Ziel, das nach einseitigen und scheiternden Versuchen – auch in der Kulturgeschichte – erreicht wird, ist ein wechselseitiges Anerkennen von Individuum und Gemeinschaft. Die umfassende institutionelle Form dieses Anerkennens ist der Staat.22 In diesen Gang gehören alle die Formen der sozialen Praxis, die von der klassischen und modernen Ökonomie, dem neuzeitlichen Naturrecht und der Staatswissenschaft diskutiert worden sind. Anerkennung ist zugleich ein kritischer Maßstab für das Gelingen und Scheitern von interpersonalen Beziehungen und Sozialformen. Dieser Gedanke ist in der späteren praktischen Philosophie, der Heidelberger und Berliner Philosophie des objektiven Geistes, nicht aufgegeben. Der Begriff Anerkennung und seine Entfaltung haben aber nicht mehr die prominente Stellung, die Teile des Systems systematisch zu verbinden. Hegel räumt jetzt der Idee der Freiheit, sowohl des einzelnen wie des allgemeinen Willens, diese Stellung ein. Die Logik des Begriffes und der Idee, die erst in Nürnberg (1818–1816) ihre endgültige Gestalt gewinnt, steht im Hintergrund dieser Entwicklung. Hegels Gebrauch der Begriffe »Anerkennen«, »Anerkennung« und »Anerkanntsein« ist terminologisch nicht ganz trennscharf 16 | kapitel i
und, wie mir scheint, mit dem heutigen Sprachgebrauch nicht mehr völlig in Übereinstimmung. »Anerkennen« steht bei ihm meist für den Prozeß, die für Geist und Selbstbewußtsein konstitutive Struktur praktischer und normativer Intersubjektivität zum Bewußtsein zu bringen. Dabei sind »Struktur« und »Intersubjektivität« natürlich moderne Ausdrücke. Mit »Anerkennung« bezieht Hegel sich zumeist auf diese Struktur selber und auf das Resultat ihrer Bewußtwerdung. »Anerkanntsein« bedeutet vor allem den objektiven und bewußten Zustand, die institutionelle Realität und Dauerhaftigkeit sowie die öffentliche Zustimmung für die entsprechenden Praktiken. Mit »Anerkennen« ist aber nicht nur, wie im heutigen Sprachgebrauch überwiegend, eine bewußte Tätigkeit oder kognitive und praktische Einstellung gemeint, sondern auch ein weitgehend unbewußter sozialer und historischer Prozeß (»Prozeß« bzw. »Bewegung des Anerkennens«). Zumindest in den Nachschriften werden, etwa für den Kampf, die Bedeutungen »Anerkennen« und »Anerkennung« austauschbar verwandt (vgl. TW 10, 221 sowie u. Anm. 84 zum Hauptext). Sowohl von Hegels wie vom heutigen Sprachgebrauch her ist es legitim, »Anerkennung« als Oberbegriff zu Hegels Theorie der intersubjektiven Verfaßtheit des Geistes zu benutzen.23 Die Befunde meiner Textinterpretation24 haben mich von Anfang an skeptischer als Philosophen der Frankfurter Schule und des Neopragmatismus hinsichtlich der Aktualität von Hegels Verständnis von Anerkennung gemacht. Die Rolle der »unverwechselbaren« Individualität bleibt bei ihm gegenüber dem romantischen Individualismus und derjenigen Rolle, die Individualität heute sowohl im Recht wie in den sozialen Lebensformen und dem normativen Selbstverständnis moderner westlicher Gesellschaften spielt, erheblich eingeschränkt. Das liegt nicht nur an historischen Rahmenbedingungen,25 sondern auch an einem metaphysischen Erbe. Es bestimmt die Grenzen der interpersonalen Anerkennung in zumindest dreifacher Hinsicht: Erstens, durch die Bedeutung der Vereinigungsphilosophie bzw. die neuplatonisch-spinozistischen Versionen des »Panta hen«.26 Zweitens bleibt trotz aller Öffnung zu Geschichte und Zufall27 der metaphysische Primat des Notwendigen unangetastet. Das hat, drittens, die Synthese von Entwicklung und Endgültigkeit in der Teleologie zur Folge. Daß Hegel an dieser Anerkennung und die Erneuerung der praktischen Philosophie | 17
metaphysischen Tradition trotz aller »Modernität« seiner Philosophie festhält, habe ich nach 1979 auch in zahlreichen Arbeiten zur Berliner Philosophie des objektiven Geistes zu zeigen versucht.28 In dem folgenden Buch wird in diesem Sinne dafür argumentiert, daß für Hegel in der Bildungsgeschichte des Selbstbewußtseins und des vernünftigen Willens Individualisierungsprozesse und die Befreiung vom natürlichen und gewollten »Eigensinn« des Individuums gleich bedeutsam sind. Das führt am Ende zu einer Verwirklichung von Anerkennung in einem Staat, der zwar den Schutz der individuellen Rechte zum Zweck hat, aber darüber hinaus ihre sittliche Befreiung von der besonderen Individualität.29 Diese manifestiert sich im Leben für den Staat und wird »bewährt« im Opfer des Lebens. Daher die sittliche Notwendigkeit von periodischen Kriegen, nicht nur Verteidigungskriegen. Das liegt zuletzt auch an einer »metaphysischen Differenz« zwischen vergänglichen Individuen und »ewiger« Substanz des Staates, nicht nur seiner Idee, sondern auch seiner einzelstaatlichen Verkörperung. Dieser Vorrang des sittlichen und als solcher unbedingt souveränen Staates bleibt von den frühen bis zu den späten Schriften erhalten. Hegel hat nur in der Geistphilosophie von 1805/06 von einem symmetrischen »Opfer« des Staates und der Individuen gesprochen (GW 8, 252, 255),30 aber auch hier nicht im Sinne einer Beschränkung staatlicher Souveränität durch Abwehrrechte der Bürger. Damit schöpft er das Potential seiner eigenen Einsicht in die Bewegung des Anerkennens nicht aus. In der Struktur dieser Bewegung, wie er sie etwa in Kap. IV der Phänomenologie exponiert, ist Symmetrie vorgezeichnet. In der Phänomenologie wird das Scheitern asymmetrischer31 Anerkennungsverhältnisse und ihre »Korrektur« zu einem Bewegungsprinzip der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins. Aber auch hier wird am Ende das Versprechen nicht eingelöst. Die Erfahrungsgeschichte wird wieder teleologisch geschlossen und der symmetrischen Form des moralischen Geistes entspricht zwar das »Reich des Geistes« in der christlichen Gemeinde, aber keine Gestalt des »Daseins« des Absoluten in sozialen Institutionen (s. u. S. 142–149).32 Zudem drängt die metaphysische Teleologie die Offenheit der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins zurück.33 Das entwertet nicht die Entdeckung eines Kriteriums der Rekonstruktion und Kritik historischer Prozesse der Erfahrungen 18 | kapitel i
mit Formen des kollektiven Selbstverständnisses. Aber es weist auf die Radikalität der nötigen Transformation Hegels hin, auch seiner Anerkennungslehre. Denn beides, die sittliche Befreiung des Individuums durch sein Leben für einen »ewigen«, als Selbstzweck begriffenen Staat, wie die teleologische Geschichtsphilosophie haben der Entwicklung des philosophischen Denkens und den Erfahrungen der Völker nicht standgehalten. Nach diesen Erfahrungen ist der Schutz der Rechte der Individuen der höchste Zweck des Staates. Verletzt er es, steht den Individuen ein Widerstandsrecht zu. Wenn sie dazu nicht in der Lage sind, können sogar Einschränkungen der staatlichen Souveränität34 gerechtfertigt sein. Das ist nicht nur Inhalt moderner Verfassungen, seit 1966 auch des deutschen Grundgesetzes, sondern auch eine deutliche Tendenz des modernen Völkerrechts.35 Hegels Idee einer Vereinbarung »liberaler« Freiheitsrechte mit einer an der griechischen Sittlichkeit orientierten sinn- und identitätsstiftenden Rolle des Staates als »absoluter unbewegter Selbstzweck« (Rechtsphilosophie § 258 GW 14,201) hat in säkularen Staaten keine Zukunft mehr. Das muß nicht in die entgegengesetzte Asymmetrie umschlagen, daß Staaten ausschließlich Mittel zur Sicherung von Grundrechten und Privatrecht sind. Die Arbeit an einem funktionierenden Rechtsstaat und einer blühenden Kultur ist für die Bürger nach wie vor sinnvoll und kann auch Opfer verlangen. Auch von der teleologischen Geschichtsphilosophie Hegels muß man sich gründlich verabschieden. Das gilt selbst für die Phänomenologie des Geistes, deren Methode der Erfahrung durch Krisen von Bewußtseinskonstellationen für heute besonderes Interesse hat. Später wird genauer erörtert (u. Abschnitt II. 3.), inwiefern dabei die Erfahrungen mit gesuchter, verweigerter und erfolgreicher Anerkennung ein Kriterium für die Beurteilung von Handlungen, Gesellschaftsformen und Institutionen bilden. Hegel versteht diesen Prozeß zwar auch als eine Art »trial and error«, in dem es Fortschritte und Rückfälle geben kann. Aber an seinem fortschrittlichen Charakter und dem Erreichen des Zieles kann es keinen Zweifel geben. Schon Kant hat die Gedanken der Vorsehung und der Theodizee auf die Geschichte angewandt.36 Hegel überträgt sie von einem transzendenten auf ein immanentes und (abgekürzt formuliert) kollektives Subjekt: Der Geist, der sich in Institutionen und Anerkennung und die Erneuerung der praktischen Philosophie | 19
ihren Trägern entwickelt, ist höher als die Natur (GW 4, 464) und kann sich von Zufällen befreien (Enz § 250). Das ist natürlich nicht einfach eine geschichtsphilosophische Behauptung, sondern wird in Hegels Naturphilosophie, Erkenntnistheorie37 und Logik »abgesichert«. Wenn seine Geistkonzeption auf allen diesen Gebieten die »beste Erklärung« ist, dann kann sie den Anspruch eines (»absoluten«) Wissens erheben, zu dem es keine Alternative gibt. Dieser Anspruch scheint mir aber auf allen Gebieten an Überzeugungskraft verloren zu haben: Die geradezu »neuplatonische«, ontologische und praktische Inferiorität der Natur gegenüber dem Geist ist grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt.38 Eine »Wissenschaft der Logik« ist nicht mehr als geschlossene Kette alternativloser Schlüsse möglich. Im Sinne einer allgemeinen Bedeutungslehre wissenschaftlicher und ontologischer Grundbegriffe kann sie heute nur noch als offenes heuristisches Interpretationsschema verstanden werden. Und unser Wissen von der Geschichte ist für jedes welthistorische Schema zu komplex und »zufallsbeladen« geworden.39 Dies herauszuarbeiten, scheint mir nicht weniger von Bedeutung als die Anverwandlung eines von heute aus interessanten Prinzips. Wenn sich die Philosophie und die Kultur weiterentwickelt haben, dann muß es auch dafür gute Gründe geben. Wir müssen sie kennen, um zu wissen, in welcher Hinsicht es »keinen Weg zurück« gibt. Darum habe ich auch in allen meinen späteren Arbeiten stets zugleich auf »Aktualität und Grenzen« der Philosophie Hegels aufmerksam zu machen versucht.40 Für historisch bewußte Philosophie kann es nicht nur um die Verarbeitung früherer Gedanken in einem neuen Rahmen gehen. Das Bewußtsein der Bedeutung historischer Kontexte ist in den Wissenschaften allenthalben fortgeschritten, davon kann sich auch systematische Philosophie nicht dispensieren – oder es an die Begriffs- und Metapherngeschichte abschieben.
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II. Anerkennungstheorie heute Die heutige Auseinandersetzung mit »Anerkennung« als Begriff, Kriterium und personaler Einstellung ist nicht auf die Hegelsche Tradition beschränkt. Es gibt nicht nur Versuche der semantischen Klärung des Begriffes und des Nachweises seiner konstitutiven Bedeutung für praktische Personalität, sondern auch Versuche, ihn aus anderen Traditionen wie der Phänomenologie des 20. Jahrhunderts oder des Pragmatismus aufzunehmen. Dabei ist deutlich geworden, daß bereits das semantische Spektrum des Begriffes in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ist. Die Vorsilbe »re« im Englischen und Französischen führt in andere Bedeutungshorizonte als das Deutsche »an«. Schon »Wiederkennen« ist im deutschen Wort nur schwach präsent – immerhin hat es in Hegels terminologischer Verwendung seine Bedeutung für das sich »Wiederfinden« im Anderen behalten. Erinnerung oder gar Dankbarkeit, wie nach Ricoeurs Analyse im Französischen, geht deutlich über die Bedeutung von »Anerkennen« im Deutschen hinaus.41 Hilfreich ist die Analyse von Ikäheimo und Laitinen.42 Sie unterscheiden drei Hauptbedeutungen von Anerkennung, nämlich Identifizieren, Ansprüche akzeptieren (acknowledge) und respektieren (recognize). In allen Fällen nimmt (take) eine Person oder ein Kollektiv A ein B als X. Im Blick auf Hegel muß man unter Kollektiv in jedem Fall auch Institutionen43 im starken und schwachen Sinne verstehen. Identifikationen sind Zuschreibungen von Eigenschaften, die auch normative Bedeutung haben können (z. B. jemanden als »Terroristen« identifizieren). Sie können selbstbezogen sein oder aus einer Außenperspektive erfolgen. Die zweite Form hat es immer mit »normativen Entitäten« zu tun, selbst Gründe und Werte können in diesem Sinne anerkannt werden. Anerkennung im Sinne von Respekt und Wertschätzung könne sich dagegen nur auf Personen beziehen. Im Blick auf Hegel müßte man auch hier Institutionen hinzufügen, die zwar durch Personen repräsentiert werden, aber gerade nicht nur im Hinblick auf bestimmte Personen anerkannt Anerkennungstheorie heute | 21
werden (wie etwa Kirchen). Diese dritte Bedeutung, die personale Einstellung und Beziehung zwischen Personen qua Personen, steht in der modernen Diskussion im Fokus. Das gilt aber nicht im gleichen Sinne für Hegels Konzeption der Anerkennung. Im Folgenden geht es nur um einen Ausschnitt der Strömungen, die in systematischer Absicht an die Theorien des Deutschen Idealismus, vor allem Hegels, anknüpfen. Am Ende des Buches von 1979 habe ich ein »Programm« der praktischen Philosophie auf der Grundlage der Anerkennung skizziert (s. u. S. 281–284), das drei Schritte enthält: Erstens, eine erneuerte Analyse der reziproken Anerkennungsverhältnisse als Voraussetzung für individuelles Selbstbewußtsein und Personalität (1). Darauf aufbauend, zweitens, eine Analyse der sozialen und politischen Institutionen als Bedingungen von Anerkennungsbeziehungen, die ein hinreichendes Maß an Selbstachtung und Solidarität ermöglichen (2). Drittens, eine historische Analyse der Genese und Entwicklung dieser Institutionen, ohne eine starke Teleologie im Sinne Hegels, aber mit Rückgriff auf seine Idee der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins (3). Diese drei Schritte dominieren auch in der späteren Anerkennungsdebatte.44 (1) Die Idee der Anerkennungstheorie lag in einer Begründung von Normen durch ihre Unentbehrlichkeit für etwas Unbezweifelbares, das Selbstbewußtsein jedes bewußt lebenden Menschen. Davon kann, cartesisch gesprochen, niemand abstrahieren, weil dies ebenfalls ein bewußter Vorgang ist. Moderne Analysen des Personbegriffs, Theorien der Kommunikation, der Normativität und der Intentionalität haben bestätigt, daß es individuelles Selbstbewußtsein nicht ohne reziproke Beziehungen zu anderen Personen gibt.45 Zum Personsein gehört zweifellos, daß man die Erwartungen, die andere an einen haben, verstehen und beantworten kann. Nach Primatologen wie Tomasello sind Kleinkinder im Unterschied zu anderen Primaten dazu fähig – und zwar schon vor dem Spracherwerb.46 Sprachliche Kommunikation setzt nicht nur, wie die Theorie von Grice gezeigt hat, das Verständnis voraus, daß andere mir etwas Bestimmtes zu verstehen geben wollen (Grice 1969). Es impliziert auch Konventionen des richtigen oder falschen Gebrauches von Äußerungen. Schon nonverbale Arten der Kommunikation sind in normative Erwartungen einer Gruppe eingebettet. Jemandem die Kompetenz und Autorität zuzusprechen, in Bezug auf gemeinsame 22 | kapitel ii
Erwartungen Zustimmung oder Mißbilligung auszudrücken, macht ihn zum Mitglied. Durch sprachliche Äußerungen wird das explizit und verständlich. Robert Brandom hat gezeigt, daß selbst konstatierende Aussagen und darin verwendete Begriffe den Sprecher auf bestimmte Implikationen, Voraussetzungen und Konsequenzen festlegen, auf die sich der Hörer, bei allem Mißtrauen, im Regelfall verlassen muß. Schon der öffentliche Sprachgebrauch ist eine »petition for determinate recognition« durch kompetente Sprecher, zu denen der sich Äußernde gehören will.47 Auch die Forderung, daß Menschen für ihr Verhalten gegenüber Anderen Gründe angeben, ist darin ansatzweise impliziert. Aber diese Gründe können sich natürlich darin erschöpfen, daß die Konvention in dieser Gruppe seit alters her etwas Bestimmtes vorschreibt oder daß man selber eine überlegene Auslegungskompetenz beansprucht. Der Begriff der freien wechselseitigen Anerkennung im Deutschen Idealismus ist viel anspruchsvoller – vielleicht sogar zu anspruchsvoll für eine universale interkulturelle Rede von Selbstbewußtsein und Person. Fichtes wechselseitige Beschränkung des Handlungsspielraums zugunsten der Selbstbestimmung des jeweils anderen ist bedeutend mehr als wechselseitige Kompetenzzuschreibung in Kommunikations- und Normensystemen. Das gilt erst recht für Hegels Erfahrung des Kampfes um Anerkennung, die besagt, daß meine Freiheit von natürlichen Bedürfnissen, einschließlich der Selbsterhaltung, von anderen frei bestätigt werden muß. Personen sind, wie Hegel in der Rechtsphilosophie entwickelt, Wesen, die sich gemeinsam die Fähigkeit und das Interesse bestätigen (anerkennen), ihren freien Willen von allen inhaltlichen Entschlüssen zurückziehen zu können.48 Dazu bedarf es innerhalb eines das Recht aller schützenden Staates keiner physischen Kämpfe mehr. Streit über Normen muß in einem rechtlich-politischen Rahmen bleiben.49 Solche Personen und Gemeinschaften setzen einen kulturellen Entwicklungsprozeß voraus, der nicht für alle Menschen anzunehmen ist, denen wir Selbstbewußtsein oder Personalität zusprechen würden. Schon wenn zum selbstbewußten Entscheiden die Prüfung der Rechtfertigung aller gegebenen Befehle sowie der unterstellten Normen und Konventionen gehört, könnte man vielen Menschen Anerkennungstheorie heute | 23
in traditionalen, hierarchischen oder unselbständigen Verhältnissen kein Selbstbewußtsein zusprechen. Gemäß dieser Hierarchie der Reflexivität gibt es in der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel daher erhebliche Defizite der symmetrischen Anerkennung zwischen kulturellen Gruppen und Religionsgemeinschaften.50 Für das gleichberechtigte Zusammenleben zwischen Religionen und Weltanschauungen in einer Welt der »multiplen Modernitäten«51 oder in einer pluralistischen Gesellschaft ist das keine ausreichende Position. Umgekehrt ist aber zweifelhaft, ob die moderne empirisch-kommunikationstheoretische Theorie der für Personen notwendigen Reziprozität die Begründungslast für einen anspruchsvollen normativen Begriff der personalen Beziehungen tragen kann. Sie reicht schon für die klassische Rechts- und Freiheitslehre nicht aus. Erst recht muß sehr viel mehr als solche basalen (»quasi-transzendentalen«) Beziehungen zur Begründung der Freiheits-, Rechts- und Solidaritätsbeziehungen in Gesellschaften in Anspruch genommen werden, die Individuen und Gruppen eine bedeutend höhere Kompetenz der Auslegung, Kritik und Mitwirkung an der Veränderung sozialer Normen einräumen.52 Moderne Anerkennungstheorien gehen daher oft davon aus, daß Anerkennungsbeziehungen ein permanenter Konflikt um die Deutung der Kriterien sind, die für die Anerkennung des sozialen und politischen Status von Individuen und Gruppen maßgeblich sind. Denn jede »errungene« Anerkennung kann auch als Selbstentfremdung und Disziplinierung durch eine Gruppe oder angebliche Mehrheitskultur erfahren werden. Die »Asymmetrie« die durch den Ausbruch aus sozialer Disziplinierung und Konformismus hergestellt wird, kann insofern positiv verstanden werden.53 Der Kampf und die Asymmetrie als Selbstzweck darf aber nicht dazu führen, daß elementare Rechte und institutionelle Errungenschaften ihrer Sicherung permanent in Frage gestellt werden – jedenfalls nicht in einer praktischen Philosophie, in der es auch um irreversible Rechte und Verfahren ihrer Sicherung geht. (2) Die begriffliche Struktur der Anerkennungsbeziehungen verlangt schon bei Hegel Bedingungen des Selbstbewußtseins, die weit über das allgemeine Rechtsverhältnis hinausgehen – von der emotionalen Bestätigung in der Familie über das Ansehen für die 24 | kapitel ii
kompetente Ausübung eines Berufes bis zur umfassenden sittlichen Anerkennung im Staat, die vom Bürger das Opfer des Lebens verlangen kann.54 Zur Selbstachtung gehört Vertrauen in die Akzeptanz in der Gruppe und die Wertschätzung dieser Gruppe in den größeren Gemeinschaften. Ob diese Bedingungen gegeben sind, müssen heute empirische Forschungen von Sozialpsychologen, Pädagogen, Psychiatern etc. untersuchen. Strittig ist aber, wie man diese Befunde in einer am Begriff der Anerkennung orientierten philosophischen Theorie einordnen kann. Axel Honneth und andere jüngere Mitglieder der Frankfurter Schule haben das versucht.55 Honneth fußt auf einer an Hegel orientierten Trias von Liebe, Recht und sittlicher Solidarität.56 Liebe »übersetzt« er in emotionale Stabilisierung in Kleingruppen. Recht umfaßt die universale und gleiche Anerkennung individueller Ansprüche. Solidarität schließlich bedeutet Wertschätzung für Leistungen, die der einzelne oder die Gruppe für gesellschaftlich anerkannte Güter vollbringt.57 Anders als bei Hegel sind aber heute die Institutionen nicht mehr unumstritten zu identifizieren, in denen sich solche Formen der Anerkennung realisieren lassen. Es ist Gegenstand weltanschaulicher und politischer Kontroversen, in welchen Formen von Partnerschaft und Eltern-Kind-Beziehung diese Bedingungen gegeben sind. Solange empirisch nicht entschieden ist, unter welchen Formen das Wohlergehen und die Autonomie eher gefördert wird, kann die Philosophie nicht von sozialen Gütern und notwendigen Institutionen ihrer Realisierung sprechen. Ob die empirischen Methoden der Sozialwissenschaften allerdings verläßliche Grundlagen für errungene oder verweigerte Anerkennung liefern, ist eine offene Frage. Man muß auch, wie unten versucht wird (S. 37–39), Anerkennung als Bedingung der in einer modernen Gesellschaft möglichen Autonomie in eine andere Stufenfolge ausdifferenzieren, als dies zu einer im Hegelschen Sinne organisch gegliederten Gesellschaft paßt. Es fragt sich, wie weit dann eine Analyse von sozialen Verhältnissen als Verletzung von Anerkennung, als »pathologisch«, »entfremdet« etc. möglich ist, ohne dabei den für eine wissenschaftliche Philosophie notwendigen Anspruch weltanschaulicher Enthaltsamkeit aufzugeben. Medizinische Begriffe oder Metaphern in der Sozialphilosophie sind besonders angesichts der deutschen VerganAnerkennungstheorie heute | 25
genheit problematisch. Hegels eigene Synthese von deskriptiver und normativer Philosophie des Geistes setzt, auch abgesehen von der »Objektivität« der teleologischen Methode, zumindest an Institutionen an, die nach seiner Auffassung im europäischen Staat seiner Zeit unumstritten sind. Wir sehen heute aber, wie wenig dauerhaft diese Konsense für Familien und Geschlechterverhältnisse, Standesgesellschaften und die konstitutionelle Monarchie waren – von der für Hegel begründeten Dominanz des Christentums, sogar des Protestantismus, im Staat ganz abgesehen. Der Umfang dessen, was Philosophie an unbestrittenen Konsensen ansetzen darf, ist erheblich geschrumpft. In Bezug auf Recht und Staat sind es Menschenwürde und Grundrechte, Rechtstaatlichkeit und Gewaltenteilung – also sozusagen veränderungsgeschützte Verfassungsprinzipien. Demokratie im grundsätzlichen Sinne der gleichen Mitbestimmungsrechte aller gehört dazu, aber kaum ihre konkreten Formen – man denke an den Streit über die Plebiszite. Was die Familie, die Wirtschaftsordnung und das grundsätzliche Verhältnis zur Natur angeht, gibt es tiefgreifende Kontroversen. Besonders schwierig scheint mir der Begriff der »sozialen Wertschätzung« in einer Gesellschaft, in der es nur noch wenige Formen der organisierten Befriedigung notwendiger Bedürfnisse gibt – also die Hegelschen Berufsstände. Diese entscheiden bei ihm über die kompetente und rechtschaffene Ausübung eines Berufs, spielen mit ihrer Sicht auf das öffentliche Wohl aber auch eine bedeutende Rolle für die Gesetzgebung – Hegel mißtraut ja dem allgemeinen Wahlrecht. In der globalen Marktwirtschaft mit einem wachsenden Anteil an Freizeitindustrie kann von einer solchen berufsbezogenen Strukturierung der Gesellschaft und der von ihr ausgehenden Anerkennung aber kaum noch gesprochen werden. Produkte und Produktionsweisen sind in ständiger Veränderung, Prestige hängt vom Markterfolg ab und sehr oft auch von erfolgreicher Selbstvermarktung.58 (3) Institutionen unterliegen dem historischen Wandel. Vielfach sind heute Institutionen im Hegelschen Sinne, die als Selbstzweck gewollt, auf Dauer angelegt und als begrifflich notwendig betrachtet werden konnten, durch veränderbare Lebensformen mit »novellierbarem« rechtlichem Rahmen ersetzt. Natürlich war Hegel dieser Wandlungsprozeß bewußt. In der Phänomenologie hat er ihn als 26 | kapitel ii
einen Erfahrungsprozeß des Bewußtseins begriffen, in der Rechtsphilosophie sind die systematische Entfaltung und die historische Entwicklung zumindest methodisch stärker getrennt. Im Erfahrungsprozeß der Phänomenologie verschränken sich Kontinuitäten des Lernens und Diskontinuitäten der Umwälzung, ausgelöst durch Vereinseitigung und Vergessen. Daß sich dennoch am Ende die Vernunft in der Geschichte durchsetzt, gehört zu den heute zweifelhaften teleologischen Prämissen. Man kann versuchen, mit weniger starken Voraussetzungen zu arbeiten. So spricht Axel Honneth von einer schwachen Teleologie der in den Institutionen enthaltenen Anerkennungsversprechen. In seinem Buch Das Recht der Freiheit (2012) untersucht er nach diesen Kriterien die nachhegelsche Entwicklung im Bereich von Familie, Wirtschaft und Arbeit, Medien und Staat. Noch deutlicher auf die Methode der Phänomenologie bezogen ist der Versuch einer »Kritik der Lebensformen« bei Rahel Jaeggi (Jaeggi 2014). Beide stellen moderne Varianten der Hegelschen Konzeption einer Erfahrungsgeschichte der Institutionen am Leitfaden der Anerkennung dar. Honneth versteht »normative Rekonstruktion« der »Freiheitssphären« von Recht und Moral, Familie und Markt, Öffentlichkeit und Staat als Nachzeichnung einer historischen Entwicklung am Maß der ihnen immanenten Anerkennungsversprechen. »Innerhalb Westeuropas findet der Kampf um die Einlösung der normativen Erwartungen, die am Ende des 18. Jahrhunderts dadurch geweckt worden waren, dass die Rechtsverhältnisse, das Moralverständnis, die persönlichen Beziehungen, der wirtschaftliche Austausch und die politische Herrschaft auf jeweils besondere Ideen der Freiheit umgestellt wurden, von Anfang an in einem transnationalen … Kommunikationsraum statt« (Recht der Freiheit, 622). Diese besonderen Ideen der Freiheit, die Honneth grundsätzlich als kommunikative Freiheit und damit als Anerkennung versteht, sind weder heute noch am Ende des 18. Jahrhunderts aus reiner Vernunft entstanden, sondern waren Resultat der Entwicklung von Lebensformen bzw. Freiheitssphären. Diese Genese versteht Honneth nach dem Vorbild der Hegelschen Idee der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins als krisenhaften Prozeß des Kampfes um die Einlösung von »Erwartungen« bzw. »Versprechen«, die in diesen Lebensformen enthalten sind, von Theoretikern aber besonders »auf den Anerkennungstheorie heute | 27
Begriff« gebracht werden können – wie am Endes des 18. Jahrhunderts die Idee der Freiheit als wechselseitige Anerkennung durch den Deutschen Idealismus. Auf die Hegelsche Idee eines notwendigen Vernunftfortschrittes zu einem Telos, das zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt erreichbar ist, muß dabei verzichtet werden. Honneth glaubt aber, von einer »schwachen Teleologie« der impliziten institutionellen Versprechungen und »normativen Erwartungen« ausgehen zu können. An diesen gemessen unterzieht er die Entwicklungen der Familie, der – in Westeuropa vorwiegend »kapitalistischen« – Wirtschaft und des Staates einer Kritik, die vor allem angesichts der jüngeren »neoliberalen« Transformation teilweise vernichtend ausfällt.59 Auf seine Interpretation und Kritik des kapitalistischen Marktes werde ich unten (2) noch genauer eingehen. Das Resultat seiner Transformation der Hegelschen Methode ist also eine entschieden linkshegelianische Korrektur von Hegels Begreifen der Vernunft in der Geschichte. Die Idee einer solchen immanenten Kritik von Lebensformen ist methodisch präzisiert und weiterentwickelt worden von Honneths Schülerin Rahel Jaeggi in ihrem Buch Kritik von Lebensformen (2014). Auch Jaeggis Verständnis der Methode immanenter Kritik beruft sich weitgehend auf Hegels Phänomenologie des Geistes – ohne Teleologie und mit einer Korrektur durch die pragmatistische Methode des Lösens von Problemen, bei der sie sich auf Dewey bezieht.60 Lebensformen versteht sie als »Bündel von sozialen Praktiken … Sie umfassen Einstellungen und habitualisierte Verhaltensweisen mit normativem Charakter, die die kollektive Lebensführung betreffen« (2014, S. 77, Kursivierung im Text). Diese kollektiven Lebensformen – wie die Familie oder die Stadt – sind für Jaeggi in verschiedener Hinsicht »selbstreflexiv«: Sie bringen sich selbst im Handeln und Denken von Individuen und Gruppen hervor, sie stehen unter ihren eigenen normativen Erwartungen und sie produzieren und interpretieren ihre eigenen Probleme und Lösungsversuche. Es gibt zwar auch externe Probleme, die zu lösen sind – Probleme der Ernährung, der Reproduktion, des Schutzes etc. Aber auch bei diesen kommt es auf das »Wie« der Lösung an, das durch normative Selbsterwartungen geprägt ist. Das durchgängige Verständnis von Lebensformen als Hervorbringen und Lösen von Problemen in ei28 | kapitel ii
nem »kritischen« Verlauf, ist sicher nicht selbstverständlich – auch nicht im Rahmen der Hegelschen Theorie, in der es sehr dauerhafte Institutionen und Lebensformen gibt, die in allenfalls »epochale« Krisen geraten.61 Die entscheidende »Erbschaft« der Hegelschen Methode bei Jaeggi ist, daß Lebensformen ihre eigenen normativen Anforderungen – sozusagen ihr kollektives normatives Selbstbild – immer wieder verfehlen. Die ständige Selbstkritik, die zur »Reflexionsform« menschlichen Lebens gehört, deckt diese internen Spannungen auf und die produktiven Fähigkeiten der kollektiven Phantasie führen zu neuen Lösungen. Dabei kommt es, wie bei Hegel, darauf an, die Ergebnisse früherer Problemlösungen nicht zu vergessen, sondern aus ihnen zu lernen. Jaeggi unterscheidet dabei nicht grundsätzlich zwischen eher »linearer« Erfahrung, die vergangene Problemlösungen nur anpaßt, und umwälzender Erfahrung, also Hegels »Erfahrung des Bewußtseins«, die alles Vergangene in neuem Licht sieht. Sie will auch Hegels singulären Prozeß der »fortschrittlichen« Entwicklung eines Gesamtbewußtseins der Freiheit aufgeben: »Es gibt also eben nicht – wie Hegel zu unterstellen scheint – nur einen Fortschritt oder nur eine mögliche Entwicklungsgeschichte des Fortschritts. Historisch aufweisen lassen sich verschiedene, teilweise sich überlappende, möglicherweise sogar sich widersprechende Fortschrittsbewegungen. Jede Lebensform steht permanent vor gegebenen Problemkonstellationen. Entscheidend ist, ob sie diesen gegenüber Fortschritte macht, sich hier rationale Lernprozesse entziffern lassen.« (450) Es scheint allerdings, daß Jaeggi doch von einer Gesamttendenz ausgeht, nämlich der progressiven Erkenntnis, daß die dem Menschen vorgegebenen »natürlichen« Gegebenheiten in Wahrheit Produkt menschlicher »Setzungen« – Hervorbringungen, Deutungen usw. – sind. Das versteht sie auch als die entscheidende Bedeutung von Hegels Begriff des Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit. Es fragt sich allerdings, wie weit man ohne Hegels ontologischen Geistmonismus die »deutungsresistenten« Materien, Kräfte und Stoffe der außermenschlichen Natur in diese Freiheit einbeziehen kann. Jaeggi benutzt den Begriff der Anerkennung nur selten. Sie stellt auch die Krisen und Spannungen innerhalb der Lebensformen und der unterschiedlichen Deutungen ihrer Probleme und Fortschritte, Anerkennungstheorie heute | 29
nicht als Kämpfe zwischen Gruppen dar, denen es insgesamt um Anerkennung als Achtung ihrer Rechte, Schätzung ihrer Leistungen usw. geht. Ob das Prinzip der Anerkennung also der von ihr vollzogenen Differenzierung und Pluralisierung der Begriffe Fortschritt und Freiheit standhält, ist schwer zu entscheiden. Es mag als ein Rahmen für die wirklich »fortschrittlichen« Prozesse in allen Bereichen »überleben«, aber womöglich ohne viel kritische Trennschärfe. Entscheidend für die Frage der Methode der »normativen Kritik« historischer Entwicklungen ist aber bei Honneth wie bei Jaeggi, ob mit einer solchen »schwachen Teleologie« noch wissenschaftliche Aussagen über Fortschritte möglich sind. Sowohl Jaeggis wie vor allem Honneths Kritik steht sicher nicht außerhalb politischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Deutungskontroversen. Das bringt die Philosophie an die Grenze der Ansprüche auf Wissenschaftlichkeit im Sinne weitgehender politischer Neutralität. Wenn man Hegels starke Teleologie einer begrifflichen Rekonstruktion historischer Prozesse mit Hilfe von Begriffen und Schlüssen in einem holistischen System nicht mehr akzeptiert, ist es fraglich, ob man von »Widersprüchen« und ihrer Lösung in historischen Erfahrungen noch ausgehen kann.62 Man muß den Prozeß der Erfahrung des Bewußtseins dann möglicherweise in zwei Hinsichten noch »pragmatistischer« formulieren als die heutigen Vertreter der kritischen Theorie: Erstens in Hinsicht auf eine stärkere Annäherung an »normales« Lernen aus Erfahrungen, allerdings solchen, in denen kollektives Leid artikuliert und institutionell »verarbeitet« wurde. Zweitens in Hinsicht auf normative und institutionelle Konsense, die sich deutlich oberhalb der vielen politisch-weltanschaulichen Kontroversen auf transkulturelle Konventionen stützen, die durch Organe der »Völkergemeinschaft« festgeschrieben wurden. Das sind heute vor allem die Menschenrechte und die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Es hat in jüngerer Zeit verschiedene Versuche gegeben, die Geschichte der Menschenrechte und der Grundprinzipien des demokratischen Rechts- und Sozialstaats als Erfahrungsgeschichte zu deuten.63 Dabei kann man durchaus an Hegels Geschichte der Erfahrungen des Bewußtseins anknüpfen. Man muß aber anstelle der logischen Widersprüche, die dem Kollabieren der je30 | kapitel ii
weiligen »These« einer Gestalt des Bewußtseins zugrundeliegen (s. u. S. 218–225), auf Spannungen und Inkohärenzen in normativen und theoretischen Systemen (»Wertungswidersprüche«) hinweisen. Von solchen Spannungen, vor allem zwischen dem, was Recht aller Menschen sein soll, und bestimmten normativen Ordnungen und sozialen Lebensformen, die etwa die Geschlechter oder die Angehörigen verschiedener Kulturen und Religionen betreffen, sind auch die philosophischen Theorien der Aufklärung und des Deutschen Idealismus – einschließlich der Anerkennungslehre – nicht frei.64 Wenn man eine solche Kritik an internen Unvereinbarkeiten einer Lebensform oder Theorie als nur hermeneutisch kritisiert65 und an einer dialektischen Kritik festhalten will, die Widersprüche zu neuen Synthesen vorantreibt, muß man sich der Grenzen des philosophischen Geschäftes ohne eine teleologische Logik bewußt bleiben. Es ist aber auch möglich, auf kollektive Erfahrungen des Leidens unter sozialen Institutionen hinzuweisen, die sich in literarischen Schilderungen, philosophischer und politischer Kritik oder in den Begründungen für neue Verfassungen und Rechtsordnungen finden. Dabei kann man auch »Widersprüche« in einer schwächeren Form herausstellen: nämlich als für lange Zeit und teilweise noch heute unvereinbarer Gehalte der gemeinsamen normativen Selbstbilder. So ist etwa die nach-feudale bzw. nach-ständische Gesellschaft Europas seit dem späten 18. Jahrhundert von einem immanenten Gegensatz zwischen bürgerlichen Freiheitsrechten einerseits und der Loyalität zur Nation andererseits bestimmt. Letztere sollte die sozialen Spaltungen der alten Gesellschaft überwinden durch eine von partikularen Interessen, religiösen und ethnischen Gegensätzen unabhängige Gemeinschaft grundsätzlich gleicher und für das Ganze opferbereiter Bürger. Wie etwa die Verfassungsgeschichte Deutschlands spätestens seit 1848 zeigt, ist die Synthese beider Ziele immer wieder gescheitert. Das entspricht in der Praxis der bei Hegel uneingelösten Symmetrie zwischen staatlichen und individuellen Rechten – in der politischen Geschichte allerdings in immer gröberen und rechtloseren Formen. Die Veränderungen der Familie sind ebenfalls auf Krisen und Leidenserfahrungen zurückzuführen. Sie gehen zurück auf die Zunahme an Achtungsverlangen und die Abnahme von HerrschaftsleAnerkennungstheorie heute | 31
gitimationen, vor allem solchen, die sich auf eine zweckmäßige und normativ bedeutsame Natur berufen. Vielfach sind sie durch die Literatur in das allgemeine Bewußtsein gebracht worden. Zu den sich wiederholenden Strukturen solcher Erfahrungsgeschichten gehört schon bei Hegel, daß die Erfahrungen der vorherigen Stufe auf der neuen wieder vergessen und unter einseitigen Dogmatisierungen sozusagen verdrängt wurden – was zur Auslösung neuer Krisen führte. Als Beispiel mag der Prozeß der Säkularisierung dienen. Religionsfreiheit sollte spätestens seit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika durch einen konfessionsneutralen Staat gesichert werden. Der Staat bediente sich zu diesem Zweck aber seit der Französischen Revolution einer eigenen säkularen, zunehmend antireligiösen Weltanschauung. Die entsprechende Unterdrückung der Religionen in fast allen Revolutionen des 20. Jahrhunderts hat zur oft konfliktreichen Wiederkehr des Verdrängten geführt. Sie droht aber oft in eine neue »Vergessensfalle« zu geraten: Ein »postsäkulares« Zeitalter kann es ja nur im Hinblick auf einen religionsfeindlichen »Säkularismus« oder Laizismus geben, nicht hinsichtlich der Weltanschauungsneutralität des säkularen Staates. Auch die wichtigsten Fundamente der heute von den breitesten völkerrechtlichen und interkulturellen Konsensen getragenen Rechtsordnungen, Menschenwürde und Menschenrechte, lassen sich auf Erfahrungen mit Gegensätzen in Normensystemen oder zwischen Anspruch und Einlösung verstehen. Theorien der Gleichheit der Menschen im Christentum oder der Aufklärung sind mit massiven Ungleichbehandlungen verbunden gewesen – und schließlich auch als solche erfahren worden. Es bedurfte der verbreiteten emotionalen Erfahrung des Totalitarismus, seiner Menschenverachtung und Zerstörung, um die Menschenwürde mit den Menschenrechten zu verbinden.66 In der Konfrontation mit den neuen Diktaturen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind diese auch zu einem Prinzip des Völkerrechts geworden.67 Daß vor allem die sozialen Menschenrechte auf Ernährung, Gesundheitsversorgung etc. weltweit noch von ihrer Durchsetzung entfernt sind und sich möglicherweise weiter entfernen, muß dann natürlich Gegenstand philosophischer Kritik sein.68 Über die Menschenrechte und weitere Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaates – Gewaltenteilung, Gesetzförmigkeit 32 | kapitel ii
der Verwaltung, »fair trial« etc. – besteht ein weitgehender Konsens. Sie sind Grundlage der Kritik in der entstehenden Weltöffentlichkeit an Maßnahmen von Staaten und Privaten. Ihre Begründung verbindet die oben erwähnten Bewußtseins- und Kommunikationstheorien mit Erfahrungen, die man in der Geschichte vieler Völker und Erdteile identifizieren und plausibilisieren kann. Auf diesem Wege ist vielleicht doch eine weniger parteiische »Sozialpathologie« möglich als etwa bei Axel Honneth.69 Auch mit einer solchen schwächeren Form von Erfahrungsgeschichte lassen sich noch Anerkennungsfortschritte in der Zeit nach Hegel identifizieren – sowohl auf der interpersonalen Ebene wie auf der »vertikalen« zwischen Individuen sowie Gruppen und Institutionen. Das gilt etwa für die straf- oder die arbeitsrechtlichen Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die freilich durch fundamentalistische Theokratien oder durch Deregulierung in der globalisierten Wirtschaft gefährdet sind. Eine Zunahme an symmetrischer Anerkennung kann man auch in den familiären Beziehungen konstatieren. Die Ablösung der patriarchalischen Familie, mit rigoroser Disziplin und Sanktionsgewalt beim »souveränen« Oberhaupt, durch die Familie gleichgestellter Eltern und »emanzipierter« Kinder zählt dazu. Oder der Wandel in den Ehrvorstellungen der Geschlechter und der Sexualmoral, trotz bleibendem Streit über den Grad der Liberalisierung. Überwiegend läßt sich das auf einen Konsens in internationalen Konventionen über Rechte der Frauen und der Kinder stützen. Daß aus den Fortschritten auch Anforderungen an eine konkrete »Anerkennungskultur« in modernen Gesellschaften resultieren, ist gut zu begründen. Zumindest für eine zentrale Charakteristik moderner Gesellschaften, ihren »Pluralismus«, ist diese Forderung vielleicht bereits Bestandteil eines weitreichenden normativen Konsenses. Kultureller und religiöser Pluralismus ist eine Folge von Grundrechten auf Wahl der Zugehörigkeit zu kulturellen und religiösen Gruppen, aber auch der Anerkennung der gleichen Rechte aller Gruppen und der gleichen Bedeutung ihrer Normvorschläge für die Gesetzgebung im Rahmen rechtsstaatlich-demokratischer Verfassungen. Für eine solche »Kultur« der Anerkennung reichen aber die rechtlichen Ordnungen allein nicht aus, in denen die Anerkennung der Würde, der Gleichheit und der Freiheit der Menschen Anerkennungstheorie heute | 33
und Bürger normiert und sanktioniert wird. Auch in den alltäglichen Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen – mit Hegel, der gelebten Sittlichkeit – muß eine Folge zunehmend aktiver, reflektierter und frei gewollter Stufen der Anerkennung realisiert sein. Dafür lassen sich philosophische Kriterien allgemeiner Art angeben. (s. u. III, 1). Die Anwendung der Methode einer kritischen Erfahrungsgeschichte sowie des Modells der Anerkennungskämpfe in der kritischen Theorie scheint mir dagegen Gefahr zu laufen, mehr als bei Hegel der Philosophie prospektive Kompetenzen zuzutrauen: Die Antizipation von Synthesen analysierter »Widersprüche« der Gesellschaft. Dazu ist die Philosophie heute genauso wenig fähig wie zu Hegels Zeiten. Was konkrete Probleme angeht, so kommt ihr außer der Analyse impliziter Wertungen allenfalls das »Durchspielen« möglicher Lösungsalternativen im Verein mit anderen Wissenschaften und demokratisch legitimierten Interpreten des gemeinsamen normativen Selbstbildes zu – »gemeinsam« wird dabei oft ein ziemlich kleiner Nenner der umstrittenen normativen Versprechen und Erfahrungen sein. Eine solche Funktion übernimmt die Philosophie heute zumeist in ethischen und anderen wissenschaftlichen Beratungsgremien. Zumindest in allgemeinen Grundzügen kann sie vielleicht auch Rahmenvorstellungen für gemeinsame Zielsetzungen auf der Grundlage bisheriger akzeptierter Wertungen und antizipierbarer zukünftiger Probleme konzipieren – auf einer hohen Allgemeinheitsstufe. Davon wird am Ende dieser Einleitung noch einmal die Rede sein (III, 3).
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III. Anerkennungskultur«: Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis Axel Honneth, Charles Taylor und viele andere Vertreter moderner Anerkennungstheorien gehen von einer fast unbegrenzten »Brauchbarkeit« dieses Gedankens für Probleme der modernen Gesellschaften aus. Im Folgenden sollen Tragweite und notwendige Modifikationen bzw. Ergänzungen des Prinzips der Anerkennung an drei Problemen einer praktischen Philosophie der modernen Gesellschaft erörtert werden: kultureller Pluralismus (1), Zähmung des Marktes (2) und das Naturverhältnis im Zeitalter technischer Optimierungen (3). Dabei muß ich es auch hier bei Skizzen bewenden lassen, zu jedem dieser Probleme gibt es umfangreiche Diskussionen. 1. Anerkennung in einer Gesellschaft kultureller Viefalt Die Theorie der Anerkennung im Deutschen Idealismus wurde formuliert in einer weitgehend kulturell homogenen christlicheuropäischen Gesellschaft. Vor allem Hegel ging davon aus, daß die organische Gliederung dieser Gesellschaft in Familien und Berufsstände, staatliche Gewalten und kirchliche Institutionen zwar unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung zu prüfen und zu rekonstruieren, aber nicht grundsätzlich aufzugeben ist – in der tabula rasa der ersten Phase der Französischen Revolution, die außer Individualrechten und der Herrschaft des allgemeinen Willens des Volkes keine gerechtfertigten »Besonderheiten« von Ständen und Gruppen zuließ, sah er deren Scheitern begründet (s. u. S. 141 f.). Pluralistische Gesellschaften und demokratische Staaten verlangen andere Formen der Anerkennung. Sie lassen keine rechtlichen Unterschiede zwischen Ständen und Religionen (bzw. Religionsgemeinschaften) mehr zu, benötigen aber eine Gemeinsamkeit der Willensbildung und Normsetzung. Es muß ein Ausgleich gefunPluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 35
den werden zwischen den Individualrechten und dem Bestehen von kulturellen Gemeinschaften, in denen Individuen ihre soziale Identität und ihre Freiheit der Religionsausübung suchen. Charles Taylor hat zwischen »Multikulturalismus« und einer »Kultur der Anerkennung« eine notwendige Verbindung gesehen.70 Multikulturelle Gesellschaften auf der Basis von Menschenrechten und Demokratie haben die Spannung zwischen der Anerkennung universaler Gleichheit von Moralsubjekten und Rechtspersonen einerseits und der Anerkennung ihrer »unverwechselbaren Identität« (28) andererseits zu bewältigen. Die letztere bildet sich nach Taylor »in Dialog und Kampf mit signifikanten Anderen« (27). Das erfordert eine gegensätzliche Art von Politik, eine Politik des »Universalismus« bzw. der »Gleichheit« einerseits, eine »Politik der Differenz« (27, 29) andererseits. Minderheiten, deren Gruppenidentität durch ethnische, religiöse, historische, oder sprachliche Zugehörigkeit bestimmt wird, oder Angehörige eines traditionell diskriminierten Geschlechts müssen in pluralistischen, toleranten und demokratischen Rechtsstaaten zum Gegenstand einer »differenzierenden Praktik« (30) gemacht werden. Sie kann darin bestehen, Gruppenrechte und Minderheitenrechte einzuräumen, aber auch Individuen unter besondere Pflichten zu stellen (z. B. Eltern, ihre Kinder eine bestimmte Schule besuchen und eine bestimmte Sprache erlernen zu lassen).71 Dadurch wird prima facie sowohl das Prinzip der Gleichbehandlung aller Bürger wie das autonomer Individualrechte, z. B. Elternrechte, verletzt. Die Spannung kann nach Taylor nur durch Abwägungen zwischen der »Wichtigkeit bestimmter Formen von Gleichbehandlung«, vor allem der Garantie individueller Abwehrrechte, und der »Wichtigkeit des Überlebens einer Kultur« gelöst werden (56). Dazu sind in einem modernen Rechtsstaat, der »von der gerichtlichen Überprüfung der Gesetzgebung« (ebd.) geprägt ist, geeignete Institutionen geschaffen worden. Voraussetzung ist allerdings, daß das Zusammenspiel oder zumindest das faire Nebeneinander von verschiedenen Kulturen in liberalen Demokratien als intrinsischer Wert begriffen wird.72 Um in der Abwägung zwischen Individualrechten, Förderung des »Gedeihens« verschiedener kultureller Gruppen und ihrer wechselseitigen Bereicherung konkretere Maßstäbe zu haben, ist 36 | kapitel iii
eine neue Konzeption von Stufen der Anerkennung nötig. Auch in diesem Fall geht es zugleich um Rekonstruktion und normative Beurteilung einer pluralistischen »Anerkennungskultur«, aber noch unterhalb der Kritik nicht eingelöster Anerkennungsversprechen. Man kann die Stufen, die teils rechtlich erzwungen, teils gefördert werden und Wertschätzung verdienen, grob unterscheiden in Gewaltverzicht, Nicht-Diskriminierung, Toleranz, Solidarität und Freundschaft.73 Die unterste Stufe ist der Verzicht auf physische und psychische Gewalt bis in subtile Formen der Unterdrückung, des Mobbing etc. Dieser wechselseitige Respekt vor der Integrität ist zumindest teilweise rechtlich erzwingbar, aber zu stabilisieren nur durch Formen der Erziehung und Einübung zivilen Umgangs in allen Lebensbereichen. Gewaltverzicht ist auch die erste Form von Toleranz, als Zulassen der Anderen in einem Bereich, in dem man durch Gewohnheit und Tradition eine Art »Heimrecht« zu haben glaubt. Diese passive Toleranz wurde aber schon von Goethe und Kant als unzureichend kritisiert.74 Sie stellt eine bloß hinnehmende oder sogar herablassende »Duldung« dar, ohne vorbehaltlos Ansprüche auf Gleichheit zu respektieren.75 Etwas weiter in Richtung der Anerkennung einer grundsätzlichen Gleichheit der Rechte und wesentlicher nicht-rechtsförmiger Ansprüche geht die Nicht-Diskriminierung. Sie betrifft nicht nur das Vorenthalten verbriefter Rechte, sondern auch den Ausschluß aus Gruppen und damit die Verweigerung eines achtungsverbürgenden sozialen Status. Besondere Werte- und Traditionsgemeinschaften – von Kirchen bis Clubs – können zwar eigene Regeln und Werte zur Eintrittsbedingung machen. Zu den historischen Anerkennungsfortschritten gehört aber die Erweiterung der Inklusion in soziale Systeme und Lebensformen, die auch durch Gruppenkämpfe erreicht werden kann (Honneth 1992). Die sozialen Systeme, die Arten der Auseinandersetzungen und die inneren Ordnungen der beteiligten Gruppen müssen aber mit den Grundrechten übereinstimmen. Die besonderen Zugangsbedingungen für private Gruppen dürfen auch nicht dazu führen, daß sozusagen universal Nicht-Zugelassene zu isolierten Außenseitern oder »Underdogs« werden. Umgekehrt darf die frei gewählte Distanz zu herrschenden Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 37
Lebensformen nicht unter Berufung auf die Anerkennung als Mitglied einer bestimmten Normgemeinschaft diskriminiert werden – solange sie auch die »Andersheit« ungezwungener Konformität respektiert.76 Bis hierher ging es im Wesentlichen um Formen der Anerkennung durch Unterlassung. Was Hegel mit Selbstüberschreitung, Sich-finden im Anderen, positive Anerkennung und Freigabe des Andersseins thematisiert hat, ist noch nicht in den Blick gekommen. Allerdings gehört schon zur Rechtsgemeinschaft nicht nur die gegenseitige Abgrenzung und Respektierung von Verfügungsgewalt. Impliziert ist, schon bei Hegel, ein positives Bewußtsein als gleiches Mitglied einer Gemeinschaft, die Selbstachtung und Persönlichkeitsentfaltung eines jeden schützt und fördert. Auch ohne Hegels starken Institutionen- und Vereinigungsbegriff kann man in der Rechtsgemeinschaft schon von einer basalen Solidarität oder »Bürgerfreundschaft« sprechen. Für die aktiven Stufen der Anerkennung sind aber stärkere Formen der Überschreitung eigener Grenzen und der Zuwendung zum anderen nötig. Voraussetzung ist ein anteilnehmendes Interesse an Bereicherung durch den Fremden, der durch Zugehörigkeit zu anderen sozialen Schichten, Religionen oder kulturellen Traditionen geprägt ist – nicht nur einer einzigen (vgl. Anm. 71). Darüber hinaus muß anerkannt sein, daß bei der gemeinsamen Norm- und Entscheidungsfindung, von der Kommune bis zum Staat, die Vorschläge jeder Gruppe gleichwertig sind – der andere also auch jeder Zeit die bessere Einsicht haben kann. Interesse und Engagement für die Lösung gemeinsamer Aufgaben ist vermutlich die höchste Stufe der Anerkennung, die in Massengesellschaften noch von allen erwartet, wenn auch nicht mehr verpflichtend eingefordert werden kann. Das Bewußtsein für solche Aufgaben artikulieren heute auch die Massenmedien: Sie konfrontieren täglich mit Problemen und skandalösen Zuständen, die dringend einer Lösung oder Verbesserung bedürfen. Grundsätzlich ist dafür jeder zuständig. Führt dies über Empörung und Solidarisierung mit den Betroffenen zu gemeinsamer Tätigkeit im Rahmen des kollektiven normativen Selbstbildes, ist die höchste Form von Anerkennung und Vereinigung erreicht, die man in einem modernen pluralistischen Staat erwarten kann. Darüber hinausgehende 38 | kapitel iii
Freundschaften sind von persönlicher Sympathie und Passung abhängig, also »supererogatorisch«. Die Anerkennungsstufen des Respekts vor der Integrität des anderen, Nicht-Diskriminierung und Toleranz schulden alle Menschen einander, sie sind rechtlich erzwingbar und können auch von Gruppenansprüchen nicht überwogen werden. Auch auf ein gewisses Maß an Solidarität haben alle Menschen Anspruch, nicht nur auf Nothilfe, sondern auch auf sozialstaatliche Leistungen. Die höheren Stufen der Anerkennung können – in unterschiedlichen Graden – legitimerweise erwartet werden und sind letztlich für die Stabilität des pluralistischen Rechtsstaates auch erforderlich. Aber sie sind nicht im strikten Sinne rechtlich erzwingbar – jedenfalls solange Vernachlässigung nicht zu manifesten Schäden bei den Menschen führen (wie bei manchen Folgen der »legalen« globalen Wirtschaftsprozesse). 2. Anerkennung als immanente Norm und Begrenzung der Marktwirtschaft Seit Habermas ist die Verbindung des Kriteriums der Anerkennung mit der Gesellschaftskritik vor allem mit der Frage der Kritik der kapitalistischen Ökonomie77 verbunden. Habermas’ Trennung von Arbeit und Interaktion, Lebenswelt und System (darunter vor allem den technischen und ökonomischen Systemen) wurde ebenso wie Honneths Theorie der Anerkennung der Unterschätzung ökonomischer Machtfaktoren und Verteilungsprobleme verdächtigt.78 Axel Honneth hat aber vor allem in seiner historischen Analyse der Anerkennungskämpfe nach Hegel (Das Recht der Freiheit, 2012) den Entwicklungen der kapitalistischen Wirtschaft und der Arbeitswelt besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei unterzog er vor allem den Neoliberalismus, der für ihn die Wirtschaft und Politik seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts beherrscht, einer scharfen Kritik. Vor allem in seinen neuesten Arbeiten wird aber deutlich, daß er anders als die marxistische Kritik der älteren Frankfurter Schule die Grundlagen der liberalen Marktwirtschaft (einschließlich der Geldwirtschaft) nicht verwirft und kaum auf ihre selbstüberwindende (»dialektische«) Krise setzt. Vielmehr Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 39
unterstellt er auch dem Markt ein immanentes »Anerkennungsversprechen«, das noch nicht eingelöst ist. Darin liegt der immanente moralische »Wert« des Marktes. Es kann zur »moralischen Einhegung und Verbesserbarkeit des Marktes« herangezogen werden.79 Er formuliert dieses moralische und rechtliche Anerkennungsversprechen folgendermaßen: »Die Teilnahme am Markt, die der ganzen Idee nach aus individueller Freiheit erfolgen und individuelle Freiheit verwirklichen soll, setzt nicht nur … die wechselseitige Anerkennung der moralischen Integrität voraus, sondern verlangt darüber hinaus, im jeweiligen Gegenüber auch den freien Wirtschaftsbürger anzuerkennen und ihm die entsprechenden materiellen und kulturellen Voraussetzungen einzuräumen.«80 Entsprechend ist für Honneth die Entwicklung des Sozialstaates, nur ein »making it explicit« der im Markt schon enthaltenen Anerkennungsversprechen: »Die marktbegrenzende Sittlichkeit, die der Sozialstaat in nur allerersten Umrissen verkörpert, ist ebenso wenig wie die marktermöglichende Sittlichkeit nicht eine sich den Wirtschaftsakteuren von außen aufdrängende Restriktion, sondern inhärenter Bestandteil eines rational verfassten Marktsystems« (ebd.). Entsprechend kritisiert Honneth Theorien, die sozialstaatliche Einschränkungen als Beschränkungen des Marktes gleichsam von außen verstehen, ebenso wie die ökonomischen Standardtheorien des homo oeconomicus. Eine Entwicklung der inneren Sittlichkeit des Marktes würde offenbar auch zu einer anderen Art sozialer Solidarität führen als zu der entmündigenden des modernen Sozialstaates, der im wesentlichen an die Verwertungsinteressen des Kapitals gebunden bleibt. Honneth stützt sich bei seiner Theorie der immanenten Moral des Marktes auf Adam Smith, Hegel, Durkheim und in der Gegenwart u. a. auf A.O. Hirschmann.81 Hegel und seine Theorie der Anerkennung hat dieser Einsicht deshalb vorgearbeitet, weil bei ihm alle »ökonomischen Aktivitäten der einzelnen … in ein allen Verträgen vorauslaufendes Solidaritätsbewusstsein eingebettet« (2012, S. 327) seien und das »Ineinandergreifen der egozentrischen Interessen an die zusätzliche Voraussetzung gebunden [ist], dass die Beteiligten sich wechselseitig in ihrer als Wirtschaftsbürger achten« (S. 328). Honneths Versuch, im Anschluß an Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft in der Rechtsphilosophie, aber ohne Geschichts40 | kapitel iii
philosophie, eine »schwache Teleologie« der Marktanerkennung zu entwickeln, kann hier nicht ausführlich diskutiert werden.82 Daher nur einige Hinweise, warum ich auch gegenüber einer so modifizierten »anerkennungstheoretischen« Kritik des »Kapitalismus« skeptisch bleibe.83 Ich muß mich dazu, wie die jüngere kritische Theorie, mit Hegels Rechtsphilosophie beschäftigen, sehe aber für diese Frage keine entscheidenden Unterschiede zu Hegels »Ökonomie« in den letzten Jenaer Jahren.84 Hegel kennt in seiner Theorie der »bürgerlichen Gesellschaft«, von der die Marktbeziehungen des »Systems der Bedürfnisse« nur ein Teil sind, drei Formen von Anerkennung, die er auch mit diesem Terminus benennt. Man könnte sie Anerkennung als Anpassung (§ 192), Zustimmung zum Recht der Person (§§ 209, 218) und Wertschätzung im Beruf (§ 207) nennen. Alle drei Formen sind sowohl interpersonale Beziehung wie auch und vor allem, Beziehungen zwischen den Individuen und einem impliziten oder expliziten allgemeinen Willen. Daß die zweite, die Anerkennung der Gültigkeit des Rechts (»abstraktes« bzw. Privatrecht) eine Voraussetzung des Marktes ist, nimmt Hegel sicher an und ist auch heute gültig. Die erste ist dagegen eher ein nicht intendiertes Resultat. Von der dritten scheint mir zweifelhaft, ob sie zur »Marktrationalität« gehört oder zu einer bürgerlichen Gesellschaft, die einen begrifflich notwendigen »Organismus« von Berufsständen enthält. Hegel hat diese Organisation mit allen Mitteln seiner Philosophie, einschließlich Logik und Naturphilosophie verteidigt, weil er die Krisen seiner Zeit auf ihre ersatzlose Abschaffung statt »liberale« Rekonstruktion zurückführte. Es scheint mir aber ziemlich illusorisch, an dieses Konzept unter modernen Bedingungen der Marktwirtschaft anzuknüpfen. Schon um Hegels »Marktkritik« adäquat zu erfassen, müssen diese drei Anerkennungsformen der bürgerlichen Gesellschaft noch etwas erläutert werden. (1) Die erste Form ist die wechselseitige Anpassung an Nachfrage, Mode, Konkurrenz und andere Anforderungen des Markterfolges.85 Hier treten sich die Teilnehmer nicht primär als Rechtspersonen, sondern als »Menschen« (§ 190) im Sinne eines Ganzen von Bedürfnissen, Wünschen, Interessen, Lebensplänen etc. gegenüber. Aber nicht primär »face to face«, auf konkrete Bedürfnisse reagierend – oder gar einander ergänzend wie in der linkshegelianischen Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 41
Konzeption des »Gattungswesens«86 – sondern als ebenso gut anonyme wie konkrete Marktteilnehmer. Sowohl die Befriedigung fremder Bedürfnisse wie das Gemeinsame der Erzeugung gesellschaftlichen Reichtums, zu dem die Befriedigung spontaner oder künstlich erzeugter Bedürfnisse gehört, ist nicht bewußt gewollt, sondern Folge von »invisible hand«-Prozessen. Die Anpassung ist hier nur eine Bedingung des Markterfolges. Hegel geht wie Kant oder die Sozialphilosophen des 17. Jahrhunderts davon aus, daß der Markt und die ihn sichernden Zwangsinstitutionen (Rechtspflege, Verwaltungsstaat), »mit den ›Menschen, wie sie wirklich sind‹ auskommen müssen, mit Menschen also, die sich weitgehend als religiösen und moralischen Geboten unzugänglich« erweisen.87 Gegen Rousseau und die Romantik verteidigt er zwar die anpassenden und integrierenden Funktionen des Marktes, geht aber nicht von der Entwicklung moralischer Gesinnungen durch diese Prozesse aus.88 Von der Moralität als bewußter Verfolgung von Vorstellungen des Guten ist bei Hegel in diesem Zusammenhang nicht die Rede. Honneths Begriff der »Moral« des Marktes geht darüber auch sicher hinaus und umfaßt sittliche Elemente, etwa wie das englische »morals«. Daß Marktbeziehungen Normen voraussetzen und die Etablierung von Marktwirtschaften normative Entscheidungen sind, muß also nicht bedeuten, daß sie für ihr Funktionieren oder ihre Rationalität moralisch positive Gesinnungen implizieren. (2) Eine zweite Form der Anerkennung ist die Zustimmung zur Gültigkeit des Rechtes der Person als Eigentümer und Vertragspartner. Rechtliche Anerkennung freier Personen als Vertragspartner und nicht etwa Adressaten von Zwangstausch oder obrigkeitlicher Verteilung ist in der Tat für das Funktionieren des Marktes notwendig. Die darin liegende, aber ebenfalls mit beliebigen subjektiven Motiven zu verbindende, implizite »Anerkennung des anderen als Person« geht insofern in einen funktionierenden Markt ein. Dazu muß der andere aber nicht bewußt als freier Wirtschaftsbürger anerkannt werden. Hegel sagt zwar, daß »die bürgerliche Gesellschaft« die Individuen »anerkennt … als selbständige Personen« (§ 238, vgl. §§ 218, 253). Aber damit ist die Gültigkeit des Rechts gemeint, nicht die bewußte Bejahung des anderen als freie Rechtsperson. Die »Rechtspflege« setzt dieses Recht ja eigens gegen die Nutzenlogik des Marktes durch: Wer einen Vertrag schließt, muß sich auf die 42 | kapitel iii
Ahndung von Vertragsbrüchen verlassen können, egal wieviel Vertragstreue er seinem Partner zutraut.89 (3) Die dritte Form der Anerkennung, die bewußte Wertschätzung des anderen als kompetent und rechtschaffen in seiner Berufsausübung, führt Hegel im Zusammenhang mit den Ständen und ihrer »Gesinnung« ein (§ 207). Hier geht die Anpassung an die Erwartungen der anderen über in eine bewußte (»moralische«) Erfüllung von Berufspflichten. Hegel nimmt dieses Streben nach Anerkennung später in den Korporationen noch einmal auf und setzt es dem endlosen und unstabilen Streben nach Anerkennung durch Gewinn gegenüber (§ 253). Ohne diese von heute aus »vormoderne« Form des Systems der Bedürfnisbefriedigung fragt sich aber, ob derartige Gesinnungen – auch der Hilfe für Standesgenossen (»die Moralität hat ihre eigentümliche Stelle in dieser Sphäre« § 207) – für das Funktionieren des Marktes bzw. seine »Rationalität« notwendig sind. Hegel könnte sie in dem Sinne bejaht haben, als zu einem arbeitsteiligen System der Bedürfnisbefriedigung für ihn eben notwendig (§§ 202, 206) eine bestimmte Trias von Berufsständen (Agrar-, Gewerbe- und Beamtenstand) gehören. Heute kann man sich allenfalls fragen, ob die Funktion solcher professioneller Tugenden für die Zähmung des Marktes und die Überwindung seiner Krisen noch bedeutsam sein können.90 Mit Hegel kann man dem Markt also kaum moralische Implikationen der Anerkennung und Solidarität entnehmen, die nur explizit zu machen wären.91 Das Verhältnis Markt-Moral enthält bei ihm in den Termini von Albert Hirschmann Momente der »Glättungs«wie der »Zerstörungstheorie«.92 Der Markt zwingt die Teilnehmer zu wechselseitiger Anpassung und zur unbewußten Förderung des Gemeinwohls. Er zerstört aber zugleich die Sittlichkeit im Sinne der Einrichtungen und Einstellungen der bewußten Überordnung des Allgemeinen über das Besondere. Daher müssen traditionelle Einrichtungen (Familie, Stände, »Polizey«) umgeformt werden, um mit der Marktfreiheit kompatibel zu sein und ihre Dynamik doch einzugrenzen. Allerdings nicht in einer sozialtechnischen Form, wie es die französischen Aufklärer forderten. Das hat aber nichts mit einer Selbstzerstörung des Kapitalismus oder des Marktes als solchen zu tun. Marx hat die Rechtsphilosophie mit den Augen der Phänomenologie gelesen, aber selbst in dieser hat Hegel keine dialektische Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 43
Erfahrung der Aufhebung des Marktes oder des Kapitalismus dargestellt oder auch nur angedeutet.93 Die »Dialektik« der bürgerlichen Gesellschaft, durch die sie »über sich hinaus getrieben« wird, hat aber bis heute Einfluß auf die praktische Philosophie als kritische Gesellschaftstheorie.94 Das ist legitim und fruchtbar, aber auf Hegel kann man sich dabei kaum berufen. Hegel versteht unter dieser Dialektik ein Zweifaches: »Zunächst« ist die fehlende Autarkie einer konkreten (»diese bestimmte«) Marktgesellschaft (§ 246) gemeint. Durch die Unfähigkeit, jedem ein hinreichendes Einkommen durch seine Arbeit zu garantieren, wird sie »über sich hinausgetrieben«. Ein »geschlossener Handelsstaat« (Fichte) ist mit ihr nicht vereinbar, sie braucht Außenhandel, Auswanderung, Errichtung von Kolonien etc. Dazu bedarf sie bereits der staatlichen Unterstützung, die hinreichend ist, das »Herabsinken einer großen Masse« (§ 244) in Armut zu verhindern. Dazu kann der Staat »zum Schutz und Sicherheit der Massen von besonderen Zwecken und Interessen« (§ 249) auch in Eigentum und Gewerbe eingreifen – allerdings ohne die Gewerbefreiheit aufzuheben und ohne endgültige Sicherheit garantieren zu können (§§ 236, 237). Hegel rechnet diese im modernen Sinne sozialstaatlichen Funktionen aber noch zur bürgerlichen Gesellschaft im weiteren Sinne, auf deren Erhaltung sie gerichtet sind.95 Die zweite, grundsätzliche Dialektik betrifft die Sittlichkeit bzw. die Mentalität der Bürger (bourgeois). Die selbstbezogene, die Formen des allgemeinen Willens – Recht, Marktgesetze – nur instrumentell respektierende Mentalität der Marktteilnehmer muß zu einer neuen Form der Sittlichkeit »übergehen« (§ 260). Bewußte und gewohnheitsmäßige Ausrichtung auf ein Gemeinwohl gibt es schon in der Korporation. Es geht dabei aber noch um die Identität als geachtetes Mitglied einer Gruppe und um deren (»gruppenegoistisches«) Wohl. Erst im sittlichen Staat werden das Recht und das Wohl aller zum bewußten Handlungszweck. Höchstes Recht der Staatsbürger ist es, in einem »politischen« Staat zu leben. Das heißt bei Hegel aber nicht, wie bei Aristoteles für die (wenigen) freien Bürger, gleichberechtigt an der Gesetzgebung und Rechtsprechung mitzuwirken. Diese Mitwirkung ist je nach Stand sehr unterschiedlich und vermittelt.96 Entscheidend für die politische Identität ist, daß der einzelne sein Selbstbewußtsein – und seine »höchste 44 | kapitel iii
Pflicht« (§ 258) – darin hat, Bürger eines souveränen, vernünftig geordneten Staates zu sein. Die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft führt also nicht zu einer neuen Wirtschaftsform – jedenfalls kann Hegel einen solchen Prozeß nicht erkennen. Auch die Einlösung des Versprechens, durch Arbeit sein Einkommen zu haben, ist nicht in Sicht – von einem solchen Versprechen ist bei Hegel auch kaum die Rede. Er sieht die Armut in der bürgerlichen Gesellschaft als ›systemisch‹ und unvermeidlich an (§ 244), verhindert werden kann allenfalls ihre Verschärfung und ihr massenhafter Umschlag in eine, die Loyalität zu Recht und Staat aufkündigende Gesinnung des »Pöbels« (§ 245).97 Die »Entzweiung der bürgerlichen Gesellschaft« wird nicht in der sozialen Entwicklung überwunden, sie ist ebenso permanent wie ihre sittliche Überwindung. Daß das eine das andere ständig nötig macht, ist für Hegel sogar der »wissenschaftliche Beweis des Begriffs des Staates« (§ 256). Der politische Staat ist nicht nur der starke Staat, der das »Prinzip der Subjektivität«, d. h. die Wahl persönlicher Lebenspläne und die Verfolgung eigener Interessen »anerkennen« kann (Rph § 260). Ein Staat, der die moralische und religiöse Neutralisierung der Märkte ertragen kann, ist für Hegel nur einer mit eigener »Sittlichkeit«. Er ist eine Sinnstiftungs- und Identifikationsinstanz, die nicht nur dem selbstbezogenen Interesse der Marktteilnehmer überlegen, sondern auch der Gesinnungsmacht der Religion gewachsen ist.98 Ein solches sittliches »Staatsbürgerbewußtsein« ist auch dem Armen zugänglich. Man muß für einen solchen Staat ohnehin zum Opfer von Besitz, Rechten und Leben bereit sein (§§ 323, 324) – ohne über gesicherte Abwehrrechte oder ein Widerstandsrecht im Ausnahmefall zu verfügen.99 Das ist alles für uns heute befremdlich, aber für die Zeit zwischen der Französischen Revolution und den Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts keineswegs.100 Hegel will weder die moralische noch die religiöse Neutralisierung und »Säkularisierung« des Marktes rückgängig machen. Gerade darum heißt er den Staat mit sittlichem Gehalt willkommen. Das entspricht aber natürlich auch seinem retrospektiv begreifenden, nicht vorhersehenden oder postulierenden Philosophieverständnis. Wenn man vom Prozeß des gedanklichen Überganges (»Beweis«) zum Staat als »Grund« der bürgerlichen Gesellschaft absieht, Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 45
ist die Koexistenz zwischen den Sittlichkeitsformen der Familie, der Stände und des Staates (Verwaltungsstaat und Verfassungsstaat) als institutionelle Komplementarität zu begreifen.101 Als System der Institutionen und Mentalitäten (»Gesinnungen«) ist Hegels Theorie des objektiven Geistes nach meiner Auslegung ein Komplementärsystem der Institutionen von Familie, Marktwirtschaft, die durch Berufsstände und staatliche Verwaltung »gebremst« ist, und sittlichem Staat. Aber diese »Sphären« verkörpern gegensätzliche Formen der Anerkennung als Auseinandersetzung und Integration – unbewußte und bewußte, konflikthafte und »solidarische«. Das ist das verwandelte Gerüst der aristotelischen praktischen Philosophie. Unbestritten ist, daß für Hegel eine stabile Volkswirtschaft in einem souveränen Staat nicht ohne rechtliche, moralische und sittliche Formen wechselseitiger Anerkennung möglich ist. Marktstrukturen sind nur eines ihrer Momente. Das Problem, das sich bei ihm andeutet, in der globalen Wirtschaft aber erheblich verschärft hat, liegt darin, daß Märkte in völlig verschiedene kulturelle, rechtliche und religiöse Sitten »eingebettet« sind. Die Dynamik der Märkte und der globalen »Vernetzung« üben sicher einen erheblichen Transformationsdruck auf diese Sitten aus – ein Beispiel ist das Problem des »Islamic banking« unter Umgehung des religiösen Zinsverbotes.102 Zu den Wirkungen könnte auch die Verbreitung rechtlicher Institutionen und der ihnen inhärenten Idee der Freiheit der Person gehören – man denke an bürgerliches Recht und Verwaltungsrecht in China. Ohne eine Angleichung des internationalen Wirtschafts- und Arbeitsrechtes und neue Institutionen zur globalen Durchsetzung sozialer Menschenrechte wird es aber kaum zu einer Begrenzung der a-sozialen Marktfolgen kommen. Honneth hat sicher recht, daß am Ende des 18. Jahrhunderts mit dem langsamen theoretischen und praktischen Übergang zu marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften auch Hoffnungen verbunden waren, eine Wirtschaftsform gefunden zu haben, die maximale ökonomische Effektivität mit größtmöglicher persönlicher Freiheit verband. An diese Hoffnungen und »Versprechen« zu erinnern, ist hilfreich bei der philosophischen Kritik der Tendenzen zur Entfesselung der Marktwirtschaft am Ende des 20. Jahrhunderts. Es ist auch klar, daß Wirtschaftsordnungen insgesamt auf Wertentscheidungen beruhen. Die Möglichkeit zu Alternativen be46 | kapitel iii
stand und besteht noch. Die Hoffnung, daß eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die die Produktionskräfte im Interesse aller entfesselt, am Ende auch zu moralisch besseren Menschen führt – ein der Marxschen Ökonomietheorie inhärentes »Versprechen« – ist aber durch die historischen Erfahrungen sicher nicht stärker geworden. Wenn eine »Remoralisierung« des Marktes durch Erinnerung an seine immanenten Voraussetzungen nicht möglich ist, dann müssen Korrekturen des Marktes entweder durch wertorientierte Marktteilnehmer kommen – heute vor allem unter den Maximen von Nachhaltigkeit, fair trade, »ethical banking« etc. – oder durch Politik im Interesse der Bürger, nicht in völliger Abhängigkeit von den internationalen Märkten, die vorgeblich von Werten und persönlichen Interessen frei sind. Daß eine solche Politik nicht nur auf die Marktmittel der Anreize beschränkt sein kann, sondern auch auf administrative und regulatorische ausgreifen muß, kann man Hegels Theorie der stabilisierenden Politik (nicht der »sittlichen«) noch entnehmen. Man kann aber auch an seine Konzeption der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins ohne ihre metaphysischen und teleologischen Voraussetzungen anknüpfen. Zu den Spannungen moderner Wirtschaftssysteme gehört zweifellos, daß gesellschaftliche Anerkennung immer noch im Wesentlichen an eigene Arbeit gebunden ist, die Knappheit des Arbeitsmarktes aber nicht grundsätzlich beseitigt werden kann. Das ist sicher nur eines der »Probleme« globalisierter Marktwirtschaften. Ein anderer Weg als die Verarbeitung historischer Erfahrungen, die Kritik von Anerkennungsdefiziten und die philosophische Mitarbeit an Entwicklungen zu ihrem Abbau scheint mir aber nicht in Sicht. »Telos« und »Widerspruch« in welcher Form auch immer, sind mit metaphysischen Voraussetzungen verbunden, die nicht mehr überzeugen. 3. Das Verhältnis zur Natur als »asymmetrische Anerkennung« Was an Hegels Geistphilosophie für viele moderne Interpreten attraktiv erscheint, ist die Selbstproduktion und -reflexion der menschlichen Kultur und die Erkenntnis des »Gesetztseins« alles scheinbar Vorgegebenen. Die Kultur wird sozusagen ein selbst Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 47
tragendes System.103 Daraus wird vielfach, auch im amerikanischen Neopragmatismus, eine »kulturalistische« Wende, die dem Naturalismus bzw. den Naturalisierungsbestrebungen der an den Naturwissenschaften orientierten Philosophie gegenübertritt. Die mathematisch-experimentellen Naturwissenschaften verlieren dann oft jeden epistemischen Primat gegenüber anderen Formen der Natur»erklärung«. Beide Perspektiven, der Naturalismus und der Kulturalismus, sind einseitig und für die praktische Philosophie unakzeptabel. Normen können nicht mehr aus der Natur abgelesen werden, sie sind auch keine bloß evolutionären Anpassungsstrategien, sondern stammen tatsächlich aus der menschlichen Kulturentwicklung. Heute sind zumindest Rechtsnormen von dazu berechtigten Gremien »gesetzt«. Aber im Handeln stehen Menschen immer noch Gegebenheiten und Prozessen gegenüber, die sie weder hervorgebracht haben noch vollständig kontrollieren. Wir verstehen auch die internen Strukturen und zweckgerichteten Prozesse des Lebendigen besser und genauer als früher. Der Fortschritt in der Erklärung kausaler Prozesse der Natur ist aber nicht mehr selbstverständlich mit dem Wert ihrer vollständigen Kontrolle verbunden. Vor allem im Zeitalter der Biotechnologie stehen Gesellschaft, Wissenschaft und Technik vor der Frage, wie weit das neuzeitliche Projekt der Kontrolle und Verbesserung der Natur getrieben werden soll. Für die moderne praktische Philosophie hat daher außer den sozialen Beziehungen das Verhältnis zur Natur völlig neue Bedeutung gewonnen. Es betrifft Einstellungen und Strategien ganzer Gesellschaften, im Grunde aller Menschen – nicht nur als Einzelpersonen, sondern auch in verschiedenen Gestalten des »Wir«. Das können institutionalisierte und »offene Kollektive« sein wie Zivilgesellschaften oder die internationale Forschung, Technik und Industrie. In der modernen Bioethik geht es um Optionen, die durch eine Fülle besonderer Handlungen, Entscheidungen, Strategien etc. realisiert oder unterlassen werden. Sie können sich in politischen Programmen, staatlicher Technologiepolitik, Unternehmensstrategien usw. äußern. Die dahinter stehenden Einstellungen sind sicher nicht homogen, aber sie sind auch keine diffuse gesellschaftliche Kommunikation. Die praktische Philosophie, vor allem als angewandte Ethik, versucht, an der Bildung und Veränderung solcher 48 | kapitel iii
Einstellungen mit möglichst grundlegenden Überlegungen über das richtige Verhalten des Menschen zur Natur mitzuwirken. Nach der Entzauberung der Natur sind die technisierten Gesellschaften zu einer aktiven Verwandlung natürlicher Gegebenheiten, Prozesse und Formen übergegangen, die weit jenseits einer defensiven Beherrschung oder Mühsalentlastung liegt. Heute geht es ebenso sehr um Optimierung der inneren (menschlichen) und äußeren Natur zu persönlichen oder kollektiven Zwecken. Aber auch bei der »Defensive«, etwa gegen Umwelt- und Klimafolgen menschlichen Handelns, sind sehr verschiedene Wege des Naturumgangs möglich. Reicht für diese Probleme das Prinzip der Anerkennung aus? Dagegen spricht, daß Anerkennung in ihrer »klassischen« Form durch eine wechselseitige Symmetrie gekennzeichnet ist, die im Verhalten zu anderen als menschlichen Adressaten nicht möglich ist. In einigen neueren Arbeiten wird daher versucht, das Prinzip der Anerkennung so auszuweiten, daß es ein Kriterium sein kann für das Verhältnis des Menschen zu Tieren, aber auch zu Landschaften oder zur Biodiversität. Nach Michael J. Thompson legt der Hegelsche Gedanke der Anerkennung nahe, Tiere mit Rationalitätsund Emotionalitätsstrukturen, die den menschlichen ähnlich sind, in die Gemeinschaft der Anspruchsträger aufzunehmen.104 Arto Laitinen hat vorgeschlagen, Anerkennung über die reziproke Form hinaus als »adäquate Würdigung« zu verstehen, die auch »Kunstwerke, Maschinen, Tiere, Landschaften« betreffen könne.105 Aus dem Konzept einer »asymmetrischen Anerkennung« entwickelt Dieter Sturma ethische Kriterien für den technischen Umgang mit natürlichen, d. h. vom Menschen noch nicht gänzlich kontrollierbaren Prozessen und Lebewesen.106 Nach Thompsons »hegelianischer« Theorie benötigen Menschen für ihre eigene Persönlichkeit eine Struktur wechselseitiger Anerkennung, die verletzt wird, wenn sie Tiere mißhandeln, in denen sie ihre eigenen Fähigkeiten wiedererkennen können. Dieser Gedanke geht sicher über Hegel hinaus107 und verabschiedet sich auch von der Symmetrie der Anerkennung, die eine wechselseitige Anspruchs-, Kompetenz- und Verantwortungszuschreibung voraussetzt. Er verbleibt andererseits im anthropozentrischen Rahmen vieler Ansätze der modernen Bioethik, denn es geht letztlich um die Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 49
Verhinderung der »Selbstverletzung« der menschlichen Sittlichkeit und Personalität. Für die bioethischen Fragen, die über die Behandlung »menschenähnlicher« Tiere hinausgehen, trägt diese Erweiterung der Anerkennung nichts mehr aus. Andere Konzeptionen der asymmetrischen Anerkennung gehen aber weiter.108 Sie fordern, die Optionen der Nutzung natürlicher Ressourcen, des biotechnischen Umbaus oder synthetischen Neubaus der Natur usw. nicht allein an Kriterien reziproker Anerkennung zwischen Menschen zu messen. Dieter Sturma unterscheidet verschiedene Stufen asymmetrischer Anerkennung. Sie reichen von den Beziehungen zu natürlichen Wesen, mit denen der Mensch noch in eine Art Kommunikation eintreten kann, wie den Großaffen, bis zu dem Verhalten zu Biosystemen und der biologischen Natur in ihrer Diversität. Auch dieser gegenüber sei ein schonendes, nicht-exploitatives Verhalten möglich. Normen der Nachhaltigkeit und der Erhaltung von Biodiversität109 ließen sich mit dem Prinzip der asymmetrischen Anerkennung begründen. Natürlich ist jede normative Verpflichtung eine solche gegenüber anderen Menschen oder dem eigenen Gewissen. Es geht aber hier darum, ob der Norminhalt nur menschliche Interessen berücksichtigen soll. Kriterien der Erhaltung der Biodiversität oder der natürlichen Lebensgrundlagen, vor allem der grundsätzlich anzustrebende Grad der technischen Optimierung der Natur, einschließlich des menschlichen Körpers, ergeben sich nicht allein aus der Anerkennung zwischen menschlichen Individuen und Gruppen. Es reicht auch nicht aus, die biotechnische Verbesserung des menschlichen Körpers als »anerkennungsvergessene« Verdinglichung zu kritisieren.110 Denn die technischen Möglichkeiten der Optimierung können der Person des »Benutzers« auch frei angeboten werden. Sie können auch mit der zunächst medizinischen Absicht der Heilung von Krankheiten entwickelt werden, wie etwa beim sog. »Neuroengineering«. Nach Sturmas Vorschlag kommen »naturethische Anerkennungsverhältnisse« dann in Frage, »wenn es möglich ist, von einem Adressaten bessere oder schlechtere Zustände auszusagen und ihm insofern ein Gut zuzusprechen«, auch ohne daß »dieser ausdrückliches Bewusstsein oder Empfindungen besitzt« (2012, S. 151). Anstelle des Bewußtseins genüge die Annahme einer Perspektive oder 50 | kapitel iii
eines »Quasi-Standpunktes«. Entsprechend sei »im Fall des Schutzes von Biodiversität der Nachweis hinreichend, dass es besser sei, wenn sich ein Ökosystem in einem spezifischen Zustand befinden würde.« (Ebd.) Das aus einer besonderen Perspektive Gute muß dann mit dem Guten anderer Perspektiven abgeglichen werden, wobei der menschlichen Perspektive besonderes Gewicht gebührt. Wenn danach gute Gründe bestehen, dieses Gute anzuerkennen und die menschlichen Interessen entsprechend einzuschränken, kann von einer Pflicht zur asymmetrischen Anerkennung gesprochen werden. Es gibt in der Tat gute Gründe dafür, daß die Semantik des Wortes »gut« nicht auf die Bedeutung »wünschenswert oder förderlich für Menschen« reduzierbar ist.111 Damit die Beförderung dessen, was für andere Wesen gute Zustände sind, für Menschen gute Handlungsgründe unabhängig von ihren Interessen sein können, muß es aber eine umfassende Perspektive des Guten geben. Man muß ferner zeigen, daß die Identifizierung des Guten auch immer eine normative (prima facie) Anerkennung von Ansprüchen darstellt – also aus dem »ought to be« ein »ought to do« folgt. Die Einnahme einer umfassenden, über menschliche Interessen hinausgehenden Perspektive des »impartial benevolent observer«, wie sie schon Schöpfungsgeschichten enthalten, ist im Zeitalter der Evolutionstheorie erst recht plausibel. Es gibt keinen Anhaltspunkt mehr für die Annahme, daß die Welt erst durch das Auftreten des Menschen Sinn und Zweck erhielte.112 Eine solche nicht mehr anthropozentrische Perspektive ist eine konsequente Weiterentwicklung der Aufhebung der Differenz von Binnen- und Außenmoral. Sie paßt auch zur De-Zentrierung unserer theoretischen Welterklärungen, von der Evolutionstheorie bis zur modernen Physik. Der »view from nowhere« der Ethik kann allerdings die Sorge des Menschen um sich selber und seine Nah- und Fernverpflichtungen innerhalb der Gattung nur relativieren, nicht völlig einklammern.113 In einem solchen umfassenden Rahmen können Aspekte der Anerkennung eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Kriterien des kollektiven menschlichen Umganges mit der Natur spielen. Vor allem in einer grundsätzlichen Hinsicht könnte Hegels Begriff der Anerkennung für die Zielsetzungen des technischen Umganges mit Pluralismus, Markt und das technische Naturverhältnis | 51
der Natur noch fruchtbar sein. Zum Anerkennen gehört, den Anderen in seiner Andersheit zu bejahen und gerade darin »bei sich« zu sein. Zumindest in der Anerkennungsbeziehung zwischen Individuen müssen für Hegel alle Versuche scheitern, die Fremdheit des Anderen dem eigenen Selbstverständnis zu unterwerfen. Hegel hat dies in der Wendung des »im Anderssein bei sich selbst Sein« auch auf das Verhältnis des Geistes zur Natur übertragen.114 Zwischen der Fremdheit des anderen Menschen und derjenigen der Natur gibt es sowohl Entsprechungen wie Differenzen: Im anderen Menschen bei sich selbst sein heißt, von diesem als Person, d. h. als von natürlichen Zwängen zumindest der Neigungen und Affekte freies Wesen, anerkannt zu sein und diese grundsätzliche Gemeinsamkeit zu bejahen. Das ist in der »geistlosen« Natur nicht möglich, selbst wenn es in der Beziehung zu Tieren, vielleicht sogar zu Pflanzen, auch Formen der Vertrautheit und wechselseitigen Angewiesenheit geben mag.115 Auch die Natur ist dem Menschen nicht völlig fremd, denn zum einen ist er selber ein Naturwesen und zum anderen kann er versuchen, ihre Gesetze und Geschichte immer weiter zu durchschauen. Trotzdem bleibt uns nicht-menschliche Natur in einem Maße fremd, sie übersteigt unsere Möglichkeiten der Einnahme der Perspektive des Gegenüber so weit wie kein menschliches Wesen. Gerade in dieser Fremdheit und Gleichgültigkeit gegen den Menschen ist ihre »Erhabenheit« erfahrbar, nicht darin, daß sie dem Menschen die Überlegenheit der sittlichen Vernunft zu Bewußtsein bringt.116 Wenn Anerkennung dieser Fremdheit zur Freiheit als Freigabe des anderen gehört, müßte das Ziel einer vollständigen Beherrschung, die heute die Phase einer Perfektionierung nach Maßstäben menschlicher Technik erreicht hat, aufgegeben werden.117 Natürliche Kräfte kann man nur beeinflussen, nicht verpflichten, den Menschen zu verschonen. Was das Abwenden von Schaden, Krankheit, körperlicher Mühsal etc. angeht, ist der Versuch einer solchen Beeinflussung zweifellos berechtigt. Menschen können sich aber auch freiwillig zum Verzicht auf weitergehende Beherrschung verpflichten. Die positive Seite solcher asymmetrischen bzw. nichtreziproken Anerkennung ist die Schonung und Förderung der Bedingungen nicht-menschlichen Gedeihens, der Mannigfaltigkeit natürlicher Formen und spontaner Selbsterzeugung. Im Rahmen 52 | kapitel iii
einer umfassenden Perspektive des Guten bzw. einer unparteilich bejahens- und erstrebenswerten Verfassung der natürlichen Welt können solche Anerkennungsformen eine wichtige Rolle für die praktische Philosophie spielen. Man muß aber auch sehen, daß Anerkennungskonflikte zwischen Menschen verschärft werden könnten, wenn durch die Rücksicht auf andere als menschliche Interessen die Knappheit der äußeren Güter zunehmen sollte. Der asymmetrisch neutrale Blick auf die natürliche Welt, der von der zentrierten Perspektive menschlicher Interessen nicht völlig absieht, benötigt sowohl eine Konkretisierung der Rahmenvorstellung des Guten wie der Abwägungskriterien der Güter. Ohne das reicht Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie nicht aus.
Anmerkungen 1 Knappe Zusammenfassungen bei Ch. Halbig, Anerkennung in M. Düwell, Ch. Hübenthal, M.H. Werner (Hrsg.), Handbuch Ethik, Stuttgart/ Weimar ²2006, S. 303–307 sowie A. Pollmann, Anerkennung, in S. Gosepath, W. Hinsch, B. Rössler (Hrsg.), Handbuch der politischen Philosophie und Sozialphilosophie, Berlin/New York 2008; Wichtige Sammelbände: B. Merker, G. Mohr, M. Quante (Hrsg.), Subjektivität und Anerkennung, Paderborn 2004, H.-Ch. Schmidt am Busch, Ch. F. Zurn (Hrsg.), Anerkennung, Berlin 2009; H. Ikäheimo, A. Laitinen (Hrsg.), Recognition and Social Ontology, Leiden/ Boston 2011 (weitere in den folgenden Anm. und in der Bibliographie s. u. S. 331–336.) 2 Vgl. dazu Ch. Krijnen (Hrsg.), Recognition – German Idealism as an Ongoing Challenge, Leiden/Boston 2014. 3 Vgl A. Kojève, Hegel. Eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Dt. Ausg. v. I. Fetscher, Frankfurt/M. 1975. P. Ricoeur, Wege der Anerkennung. Erkennen, Wiedererkennen, Anerkanntsein. Übers. v. U. Bockelmann u. B. HeberSchärer, Frankfurt 2006. Vgl. dazu L. Siep, Der lange Weg der Anerkennung. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, H. 6, 2007, S. 981–986. 4 J. Habermas, Arbeit und Interaktion. In: ders., Technik und Wissenschaft als »Ideologie«. Frankfurt/M. 1968, S. 9–47. 5 Vgl. A. Honneth, Das Ich im Wir, Frankfurt 2010, S. 8. 6 Vgl. A. Honneth, Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt 2005. Nicht bei allen jüngeren Autoren aus dieser Tradition spielt der Anerkennungsbegriff eine zentrale Rolle für die Gesellschaftskritik. Andere Ansätze einer Kritik der Entfremdung etwa bei R. Jaeggi, Kritik von
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Lebensformen, Berlin 2014, und H. Rosa, Beschleunigung und Entfremdung. Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit, Berlin 2013. 7 Vgl. dazu H.-Ch. Schmidt am Busch, ›Anerkennung‹ als Prinzip der Kritischen Theorie, Berlin 2011, S. 204. 8 Vgl. dazu meine Arbeiten zum Thema »Anerkennung« im Literaturverzeichnis dieser Ausgabe (u. S. 334 f.) 9 Daran knüpft jetzt Rahel Jaeggi an (wie Anm. 6, S. 351–357, 417–446). 10 Auch die »theologischen« Attribute des Staates werden heute gerne verharmlost. Ihre umfassende Deutung im Horizont der Gesamtentwicklung der praktischen Philosophie der Neuzeit ist Gegenstand meiner Monographie Der Staat als irdischer Gott. Die Genese einer Hegelschen Idee und ihre gegenwärtige Relevanz (in Vorbereitung). 11 Vgl. dazu u. S. 70 f. 12 Man denke an die Forschungen von Apel, Searle, Grice, Watzlawick, Erikson, Dreitzel u. a. Vgl. die Hinweise im Literaturverzeichnis u. S. 319–330. 13 Auch an Fichte: Vgl. R. Lauth, Le Problème de l’Interpersonnalité chez J. G. Fichte. In: Archives de Philosophie, Paris, 1962, S. 325–344. H. Girndt, Zu J. G. Fichtes und G. H. Meads Theorie der Interpersonalität, Der Transzendentale Gedanke / Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hrsg. Klaus Hammacher, Hamburg 1981, S. 373–387 sowie ders. (Hrsg.) Selbstbehauptung und Anerkennung, Spinoza – Kant – Fichte – Hegel, St. Augustin 1990. 14 Das Thema beschäftigte mich seit Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Erste Veröffentlichungen dazu waren: Der Kampf um Anerkennung (1974), Zur Dialektik der Anerkennung bei Hegel (1975), Praktische Philosophie und Geschichte beim Jenaer Hegel (1976). Die Habilitationsschrift, die dem Buch zugrundeliegt, wurde Ende 1975 in Freiburg eingereicht. 15 An der Debatte um die sogenannte »Rehabilitierung der praktischen Philosophie« waren damals sowohl die (»Münsteraner«) Schule Joachim Ritters wie die »Heidelberger« (H.-G. Gadamer, M. Riedel) und die »Frankfurter« Schule (T. W. Adorno, J. Habermas) beteiligt. Vgl. M. Riedel, Rehabilitierung der praktischen Philosophie I, II, Freiburg 1972, 1974. Wichtige Anstöße kamen auch aus der politischen Wissenschaft, vor allem: W. Hennis, Politik und praktische Philosophie, Stuttgart 1977. 16 Dieser aristotelische Rahmen zeigt sich auch noch bei Honneth, dem es darum geht, »jene herkömmlich getrennten Ebenen der Moralphilosophie, der Gesellschaftstheorie und der politischen Analyse in einer kritischen Theorie des Kapitalismus zusammen[zu]führen«. N. Fraser, A. Honneth (Hrsg.), Redistribution or Recognition? A Political-Philosophical Exchange, London/ New York 2003, S. 10. 17 Zur Verbindung von Begriffsanalyse und normativen Aussagen vgl. J. Hardy, Philosophische Begriffsanalyse. Ein Vorschlag. In: Angewandte Philosophie, H. 1, 2014, 32–48. 54 | kapitel i–iii
18 Vgl. O. Pöggeler, Die Idee der Phänomenologie des Geistes, Freiburg/ München 1973; D. Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt/M. 1971; ders., Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982; K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, Hegel-Studien, Beih. 15. Bonn 1976; M. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn ²1989; R.P. Horstmann, Hegels vorphänomenologische Entwürfe zu einer Philosophie der Subjektivität in Beziehung auf die Kritik an den Prinzipien der Reflexionsphilosophie. Phil. Diss. Heidelberg, 1968, ders. Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption. In: Phil. Rundschau, Jg. 19, 1972, S. 87–117, W. Zimmerli, Die Frage nach der Philosophie. Interpretationen zu Hegels »Differenzschrift«. Hegel-Studien, Beih. 12, Bonn 1974. Zu anderen wichtigen Beiträge aus dem Umkreis der Edition von Bonsiepen, Jaeschke, Meist, Lucas, Jamme vgl. die Bibliographie. 19 M. Riedel, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt/M. 1970, K.H. Ilting, Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik. In: Phil. Jahrbuch, 71. Jg., 1963/64, S. 38–58. 20 Hegel, Phänomenologie des Geistes (1988), S. 552. 21 Über die Bedeutung der Anerkennung in Hegels späteren Schriften vgl. auch M. Quante, ›Der reine Begriff des Anerkennens‹. Überlegungen zur Grammatik der Anerkennungsrelation in Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹. In: H.-Ch. Schmidt am Busch, C.F. Zurn (Hrsg.): Anerkennung, Berlin 2009, S. 91–106, hier S. 92: »In den Grundlinien der Philosophie des Rechts finden sich viele Arten von Anerkennungsrelationen, ohne dass der Begriff der Anerkennung selbst aber zum organisierenden Prinzip wird. Diese Rolle ist dort dem Begriff des Willens vorbehalten.« Vgl. auch L. Siep, Die Bewegung des Anerkennens in der Phänomenologie des Geistes. In: D. Köhler, O. Pöggeler (Hrsg.), G. W. F. Hegel: ›Phänomenologie des Geistes‹, Berlin ²2006, S. 107–127 und Selbstverwirklichung, Anerkennung und politische Existenz. In: ders., Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels. Aufsätze 1997–2009, München 2010, S. 131–146. 22 Man kann argumentieren, daß in der Phänomenologie des Geistes die religiös-moralische Gemeinschaft eine vollständigere Form der Anerkennung ist. Für die praktische Philosophie hat Hegel aber daraus keine Konsequenzen gezogen. Für den Berliner Hegel ist die innerweltliche Sittlichkeit die Verwirklichung der religiösen Gottesbeziehung (vgl. Anm. 21, Siep, 2010, S. 93–114). 23 Vgl. dazu auch u. Anm. 84 zum Haupttext. 24 Die natürlich nicht unumstritten sind. Einwände gegen meine Interpretation, vor allem der Kritik an der Asymmetrie der Hegelschen Anerkennungslehre, finden sich etwa bei R. Williams, Hegel’s Ethics of Recognition. Berkeley/Los Angeles/London 1997. 25 Wie selbstverständlich im frühen 19. Jh. noch die Dominanz ewiger Institutionen über ihre vergänglichen individuellen Repräsentanten war, zeigt etwa H. Arendt, Rahel Varnhagen. Geschichte einer deutschen Jüdin in der Romantik, München, 6. Aufl. 1985, S. 43.
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26 Das Programm der praktischen Philosophie entspricht der Vereinigung der spinozistischen All-Substanz mit der aristotelischen Selbständigkeit individueller Substanzen. Vgl. D. Henrich, Andersheit und Absolutheit des Geistes: Sieben Schritte auf dem Wege von Schelling zu Hegel. In: ders., Selbstverhältnisse (vgl. Anm. 18) S. 142–172. Auch der »reife« Hegel der Rechtsphilosophie bleibt nach meiner Auffassung trotz aller Anerkennung der Individualrechte von dieser Tradition beeinflußt. Zu den historischen Einflüssen, die z. B. Hegels Begriff des »Absoluten« durchgehend bestimmen, vgl. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, Stuttgart 2003, S. 110–114. 27 Begriffliche Notwendigkeit kann die Verästelung in nicht mehr systematisierbare Bereiche (etwa natürlicher Arten oder historischer Ereignisse) tolerieren, weil es auf die wesentlichen Verhältnisse und Tendenzen ankommt. Hegel tadelt aber regelmäßig die Zufälligkeit und den »Reichtum« der Natur als Zeichen ihrer Unangepaßtheit an das Ziel des mittels ihrer zu sich kommenden Geistes (vgl. etwa Enzyklopädie 1830, § 250). 28 Zuletzt in: Hegels praktische Philosophie und das Projekt der Moderne, Baden-Baden 2011, Natur und Freiheit. Hegelsche Perspektiven auf gegenwärtige Fragen. In: G. Hinrichs, A. Honneth (Hrsg.), Freiheit. Stuttgarter HegelKongress 2011., Frankfurt/M. 2013, S. 55–83 und Vom mystischen Körper zur Erfahrungsgeschichte der Verfassung. Nation im deutschen Idealismus und heute. In: Revue de Métaphysique et de Morale, Janvier 2014, (Sonderheft »La nation«, presentée par Bernard Bourgeois) S. 41-73. 29 Vgl. Rechtsphilosophie GW 14, 1, 201–202 § 258: »Die Vereinigung als solche ist selbst der wahrhafte Inhalt und Zweck, und die Bestimmung der Individuen ist, ein allgemeines Leben zu führen«. Die Form der »Anerkennung« (§ 324) des souveränen Staates, in der die Bürger sich in ihrer »nicht zufälligen und veränderlichen, sondern an und für sich seyenden Individualität« verwirklichen, ist das Bewußtsein der Pflicht zur »Aufopferung ihres Eigenthums und Lebens, ohnehin ihres Meynens« angesichts von Kriegen, die nicht nur zur Verteidigung, sondern auch zur Versittlichung der Individuen geführt werden (ebd.). 30 Hegel bezieht sich hier auf Aufwendungen für Notleidende, in denen der Staat seinen »Reichtum« opfert. Am Ende des Textes heißt es aber, daß im Krieg das Volk den rechtlichen Besitz der Individuen »aufopfert« (8, 359). Die Wende Hegels zum neuzeitlichen Naturrecht um die Mitte der Jenaer Zeit (Ilting, Riedel) hat ihre Grenzen. 31 Ich verwende im Folgenden den Begriff asymmetrisch auch für nicht reziproke Beziehungen, in denen Rechte, Pflichten oder Macht nicht beiden Seiten einer Beziehung in gleichem Maße zukommen. 32 Vgl. dazu L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 2000, S. 213–216. Die Konsequenzen, die G. Bertram und R. Celikates aus diesem Abschnitt des moralischen Geistes für Hegels Anerkennungslehre insgesamt ziehen, scheinen mir von den Texten Hegels zum
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praktischen bzw. objektiven Geist insgesamt her nicht gedeckt (wenn auch für heutige Erfordernisse gerechtfertigt). G. Bertram/R. Celikates, Towards a Conflict Theory of Recognition: On the Constitution of Relations of Recognition in Conflict. In: European Journal of Philosophy (2013). Online abrufbar unter: doi 10.1111/ejop.12016. 33 Nach der Phänomenologie »tilgt« der Begriff, wenn er sich selbst erfaßt hat, die Zeit, bzw. »hebt er seine Zeitform auf« (1988, 524 f.). 34 Für Hegel ist die Souveränität dagegen genau die unbedingte Autorität des Staates, die sich in der »Negation« der Rechte des Individuums im Ausnahmefall (über den in der Rechtsphilosophie der Monarch entscheidet) manifestiert (Rechtsphilosophie § 323). Schon in der Geistphilosophie von 1805/06 spricht Hegel dem Staat das Recht zu, »in jedem Nothfalle … vollkommen tyrannisch zu verfahren« (GW 8, 259, s. u. S. 129). 35 Wenngleich die von der UN-Vollversammlung beschlossene Einschränkung der Souveränität auf die »responsibility to protect«, die die Souveränität begrenzt, noch nicht auf alle Schutzrechte der Individuen, sondern nur auf Gewalt gegen Bevölkerungsgruppen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschränkt ist (UN World Summit Outcome Document, A/RES/60/1 (2005)). 36 Vgl. dazu jetzt M. Hoesch, Vernunft und Vorsehung. Säkularisierte Eschatologie in Kants Religions- und Geschichtsphilosophie, Berlin/Boston 2014. Hegel steht dieser Kantischen Denkweise viel näher, als heute gerne angenommen wird. 37 Zu Hegels Erkenntnistheorie in der Philosophie des subjektiven Geistes vgl. Ch. Halbig, Objektives Denken. Erkenntnistheorie und Philosophy of Mind in Hegels System, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002. Momente der Erfahrungsoffenheit in Hegels Erkenntnistheorie verteidigt D. Emundts, Erfahren und Erkennen. Hegels Theorie der Wirklichkeit, Frankfurt/M. 2012. 38 Vgl. dazu meinen Text Natur und Freiheit (o. Anm. 28). 39 Ein überzeugendes Beispiel dafür ist in meinen Augen J. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009. 40 Vgl. meine Aufsatzsammlung Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels München 2010 (vgl. Anm. 21). 41 Vgl. dazu Ricoeur o. Anm. 3. Kritisch hinsichtlich der sprachlichen Universalität (und auch der philosophischen Bedeutung) von Anerkennung auch R. Geuss, Philosophical Anthropology and Social Criticism. In: A. Honneth; Reification: A New Look at an Old Idea. With Commentaries by J. Butler, R. Geuss, J. Lear. Introduction by M. Jay. Oxford 2008, S. 120–130. 42 H. Ikäheimo, A. Laitinen, Analyzing Recognition. Identification, Acknowledgement and Recognitive Attitudes towards Persons. In: B. van den Brink, D. Owen (Hrsg.), Axel Honneth and the Tradition of Critical Social Theory. Cambridge 2007, S. 33–56. Vgl. jetzt auch Ikäheimo, Hegel’s Concept of Recognition – What is it? In: Ch, Krijnen (Hrsg.), Recognition (vgl. o. Anm. 2), S. 11–38 Anmerkungen | 57
43 Institutionen in einem weiten (»schwachen«) Sinne umfassen auch geregelte soziale Verhaltensweisen und ihre Normen. Vgl. zum Begriff der Institution auch u. Anm. 6 zum Haupttext. Zum »starken« Institutionalismus Hegels vgl. D. Henrich, Einleitung des Hrsg. In: Hegel, Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift. Frankfurt/M. 1983 S. 30–38. Neuere Interpretationen zur Bedeutung der Institutionen in Hegels praktischer Philosophie bei L. Herzog, Virtues, interests, and institutions. In: Philosophisches Jahrbuch 2013 (2), S. 238–256 und B. Zabel, Hegels Theorie der Institutionen und das Gesellschaftsprojekt der Moderne. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 38,1 (2013), S. 61 ff. 44 Was natürlich nicht bedeutet, daß sie dem skizzierten Programm folgte. In der folgenden Diskussion zeitgenössischer Anerkennungstheorie beziehe ich, was Hegel betrifft, die Rechtsphilosophie mit ein. Zum Verhältnis der Rechtsphilosophie zu den Jenaer Schriften vgl. u. S. 274–281. 45 Vgl. dazu auch M. Quante, The Social Nature of Personal Identity. In: Journal of Consciousness Studies. Vol. 14, No. 5–6, 2007, S. 56–76. Quante gibt auch eine präzise Interpretation von Hegels Begriff des Anerkennens in der Phänomenologie auf der Grundlage solch verschränkter Intentionalität in: ›Der reine Begriff des Anerkennens‹ (o. Anm. 21). 46 M. Tomasello, Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens: Zur Evolution der Kognition. Übers. v. J. Schröder, Frankfurt/M. 2006. 47 R. Brandom, From Autonomy to Recognition. In: Krijnen (o. Anm. 2) S. 53–66, hier S. 64. So auch Ikäheimö/Laitinen (o. Anm. 42) S. 47–49. Vgl. dazu auch T. Pinkard, Reason, Recognition, and Historicity. In: B. Merker, G. Mohr, M. Quante (Hrsg.), Subjektivität und Anerkennung, Paderborn 2004, S. 47–66. 48 Rph §§ 5–7, 35. Darin ist auch der Rückzug des Einzelnen von den in der Gruppe vertretenen Normen impliziert, der allerdings in einer vernünftigen Rechtsordnung für Hegel keinen allzu großen Spielraum mehr besitzt. Gewissensabweichungen müssen zumindest »anschlußfähig« für Novellierungsprozeduren sein. 49 Hegel hat daher den »Kampf des Anerkennens« in der Rechtsphilosophie den Zeiten vor der Gründung von Staaten zugewiesen ( Rph §§ 35, 57,71) und in der Berliner Enzyklopädie (1830) der historischen (»erscheinenden«) Entstehung der Staaten zugeordnet: »Der Kampf des Anerkennens und die Unterwerfung unter einen Herrn ist die Erscheinung, in welcher das Zusammenleben der Menschen als ein Beginnen der Staaten hervorgegangen ist.« (§ 433) Trotzdem ist noch von kämpfenden Individuen die Rede (die jedenfalls in den Zusätzen ausdrücklich als »natürliche, leibliche« bezeichnet werden, vgl. SW 10, 220) – selbstverständlich zu unterscheiden von den innerstaatlichen Zweikämpfen und Duellen (ebd. 222). 50 L. Siep, Toleranz und Anerkennung bei Kant und im Deutschen Idealismus. In: L. Siep (vgl. o. Anm. 21) 2010, S. 77–91. 51 Vgl. S. Eisenstadt, Multiple modernities, New Brunswick, N.J. 2002.
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52 Daß diese Beziehungen deutlich mehr Anerkennung für die Reflexion über geltende Normen und Konflikte über den Status umfassen, den sie Mitgliedern einräumen, betonen zu Recht Bertram und Celikates (vgl. o. Anm. 32). Ob diesen neuen Anerkennungsbeziehungen aber noch ein »sozial-ontologischer« Status zukommen kann, ist dann fraglich. 53 So etwa bei J. Butler, Sehnsucht nach Anerkennung. In: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Frankfurt/M. 2009, S. 215–246 und Th. Bedorf, Verkennende Anerkennung, Berlin 2010. 54 Diese Reihe der Sozialformen ist natürlich in der Rechtsphilosophie deutlicher, aber, wie sich im Verlauf des Buches zeigen wird, grundsätzlich auch in den Jenaer Schriften anzutreffen. 55 Vgl. dazu A. Honneth (Hrsg.), Schlüsseltexte der kritischen Theorie, Wiesbaden 2006, S. 259–263. 56 Trotz seiner Distanz zum »historischen« Hegel versucht Honneth zumindest in seinen systematischen Hauptwerken (Kampf um Anerkennung, Frankfurt/M. 1992, Das Recht der Freiheit, Frankfurt/M. 2012), das Grundgerüst der Hegelschen Rechtsphilosophie beizubehalten. Die Zuordnung seiner Anerkennungsformen zu Recht, Moralität und Sittlichkeit einerseits und innerhalb der letzteren zu Familie, bürgerliche Gesellschaft und Staat ist aber nicht immer gut nachvollziehbar (innerhalb der sittlichen Trias hat die allgemeinere keine genaue Zuordnung). Zur Auseinandersetzung mit Honneths Hegel-Rezeption vgl. auch W. Mesch, Sittlichkeit und Anerkennung in Hegels Rechtsphilosophie. Kritische Überlegungen zu Theunissen und Honneth. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie Bd. 53 (2005), S. 349–364. 57 Ikäheimo und Laitinen haben versucht, die drei Formen als ausschließliche Spezies der Gattung personaler Einstellungen zu verteidigen (o. Anm. 42 S. 36). Ihre wechselseitige Einnahme konstituiert Personalität. Dann müßten sie aber viel weiter gefaßt werden: Liebe etwa als wechselseitige Affektivität von der schwächsten Sympathie bis zur schärfsten Antipathie etc. Auch bei rechtlichem oder moralischem Respekt und erst recht bei Wertschätzung besteht die Gefahr, zu eng oder zu diffus zu werden. 58 Vgl. aber unten S. 43 f. 59 Zum Staat etwa: Recht der Freiheit, S. 571 (»Prozess des unaufhörlichen Wachstums einer nur fadenscheinig legitimierten Gewalt«) S. 608 (»Voreingenommenheit des Staates zugunsten kapitalistischer Verwertungsbedingungen«). 60 Die dritte wichtige Quelle ihrer Konzeption ist MacIntyres Verständnis von Tradition (a. a.O. S. 347–351). Vgl. A. MacIntyre, Three Rival Versions of Moral Inquiry. Encyclopedia, Genealogy, and Tradition. Notre Dame 1990. Zum Folgenden vgl. auch meine Rezension in DZ Phil. 5, 2014. 61 Auch Hegel bleibt grundsätzlich dem medizinischen Ursprung der Metapher »Krise« als äußerste Zuspitzung und entscheidende Wendung treu. Die Methode der Phänomenologie kann hier in die Irre führen, obgleich auch sie
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unter historischer Perspektive von epochalen Krisen ausgeht. Sie stellt sich ja der Herausforderung eines radikalen Skeptizismus, der die internen Schwierigkeiten aller »nicht-spekulativen« Theorien und Kategorien zuspitzt. Außerdem baut sie auf der internen Widersprüchlichkeit aller isolierten Kategorien auf. 62 Versuche einer eher »narrativen« Rekonstruktion der Geschichte normativer Erfahrungen finden sich auch bei T. Pinkard, Hegel’s Phenomenology: The Sociality of Reason, Cambridge 1994 und R. Pippin, Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethical Life, Cambridge 2008, S. 278. 63 Vgl. H. Joas, Sakralität der Person, Berlin 2011. Zu den historischen und soziologischen Deutungen der Geschichte der Menschenrechte vgl. die Beiträge von M. Koenig (Recht auf Religionsfreiheit – ein neuzeitliches Differenzierungsmuster und seine Entstehung, S. 293–312) und W. Reinhard (Menschenrechte zwischen Religion und Politik von den Anfängen bis zur Atlantischen Revolution, S. 313–358) in: K. Gabriel, Ch. Gaertner, D. Pollack (Hrsg.), Umstrittene Säkularisierung. Soziologische und historische Analysen zur Differenzierung von Religion und Politik, Berlin 2012 (mit weiterer Literatur). 64 Vgl. Siep o. Anm. 50. 65 Vgl. Jaeggis Kritik (vgl. o. Anm. 6, 263–276) an M.Walzers Interpretation and Social Criticism, 1987. 66 Zur Verbindung der beiden bis dahin parallel verlaufenden Traditionen der Menschenwürde und der Menschenrechte vgl. A. Pollmann, (2010), Und die Moral von der Geschicht´: Menschenrechte und Menschenwürde als Antworten auf die totalitäre Barbarei. In: A. Schäfer, C. Thompson (Hrsg.), Werte, Paderborn 2010, S. 109–128. Vgl. auch W. Heun, Einflüsse der Stoa auf die Entwicklung von Menschenwürde und Menschenrechten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In: G.A. Lehmann (Hrsg.), Armut – Arbeit – Menschenwürde. Die euböische Rede des Dion von Prusa, Tübingen 2012, S. 235–254. 67 Vgl. dazu Ch. Walter, Normenbegründung als Lernprozess. In: L. Siep, T. Gutmann. B. Jakl, M. Städtler, Von der religiösen zur säkularen Begründung staatlicher Normen, Stuttgart 2012, S. 269–293. 68 Vgl. dazu die Arbeiten von T. Pogge, Anerkannt und doch verletzt durch internationales Recht: Die Menschenrechte der Armen. In: B. Bleisch, P. Schaber (Hrsg.), Weltarmut und Ethik, Paderborn 2007, S. 95–138. 69 Vgl. etwa die auf Habermas und Marcuse zurückgehenden Thesen der Entdemokratisierung durch den Sozialstaat (Honneth 2012, 571 f.), oder die generelle Kritik an der staatlichen Verwendung von Steuergeldern für Kriege (571) – durfte sich Großbritannien nicht mit parlamentarisch bewilligten Steuergeldern gegen Hitlers drohende Invasion im Jahre 1940 wehren? 70 In Die Politik der Anerkennung. In: A. Gutmann Hrsg., Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, Frankfurt a. M. 1993 (die folgenden Seitenzahlen beziehen sich auf dieses Buch). Vgl. zum Folgenden auch L. Siep, Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes und in der heutigen prakti60 | kapitel i–iii
schen Philosophie. In: H.-Ch. Schmidt am Busch, Ch. F. Zurn (Hrsg.), Anerkennung. Berlin 2009, S. 107–124. 71 Zu vermeiden ist die Identifizierung der Einzelnen mit einer Gruppenzugehörigkeit und die Tabuisierung der Selbstdefinition von Gruppen. Darauf haben Amartya Sen und Nancy Fraser hingewiesen. Vgl. A. Sen, Identity and Violence, New York/London 2006. N. Fraser, Social Justice in the Age of Identity Politics. Redistribution, Recognition, and Participation. In: dies., A. Honneth, (Hrsg.), Redistribution or Recognition? (s. o. Anm. 16) S. 7–109. In modernen Einwanderungsgesellschaften ist zudem eine Tendenz der frei gewählten Isolierung zu beobachten. Vgl. M. Walzer, Über Toleranz. Von der Zivilisierung zur Differenz, Hamburg 1998. 72 Eine grundlegende Rechtfertigung des Wertes der kulturellen und natürlichen Mannigfaltigkeit versuche ich in Konkrete Ethik, Frankfurt/M. 2004. S. 259–267. 73 Vgl. dazu ausführlicher L. Siep, Toleranz und Anerkennung zwischen Individuen und kulturellen Gruppen. In: ders., Aktualität und Grenzen, 2010, (vgl. o. Anm. 21) S. 263–278, bes. S. 271–274 sowie ders., ›Eine Kultur der Anerkennung‹. Bestimmung eines zentralen Wertes in pluralistischen Gesellschaften. In: Herbert Quandt-Stiftung (Hrsg.), Ankommen in einer Gesellschaft der Vielfalt, Freiburg 2014 (im Erscheinen). 74 Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen. In: Ders.: Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 12, Hamburg 1981/1998, S. 385, Nr. 151. Immanuel Kant: Was ist Aufklärung? In: Werke, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. VI, Darmstadt 1956, S. 60. 75 Seit William James wird der Begriff Toleranz auch positiver als »innere Toleranz« im Sinne der Einnahme der Perspektive des Anderen verstanden. Vgl. dazu M. Quante, Existentielle Verpflichtung und Toleranz. Anfragen an den religiösen Philosophen Hilary Putnam. In: M.-L. Raters, M. Willaschek (Hrsg.), Hilary Putnam und die Tradition des Pragmatismus, Frankfurt/M. 2002, S. 344–362, vor allem S. 353–355. Zum modernen Toleranzdenken insgesamt vgl. R. Forst, Toleranz im Konflikt, Frankfurt/M. 2003. 76 Zur Gefahr der vereinnahmenden Anerkennung und der Unterdrückung von Reflexion und Kritik herrschender Erwartungen und Statusdefinitionen vgl. J. Butler (o. Anm. 53) und Bertram/Celikates (o. Anm.32). Negation der eigenen Vereinnahmungstendenzen gehört aber schon zu Hegels Anerkennungsstruktur. 77 Zum Kapitalismusbegriff der Frankfurter Schule vgl. Honneth, Das Recht der Freiheit, S. 320. Daß die »Prozesse der Produktion und Konsumtion mit Hilfe des generalisierten Austauschmediums Geldes … ausschließlich über den Mechanismus von Angebot und Nachfrage verlaufen«, gilt sicher nur für Teile moderner Volkswirtschaften. 78 So etwa von Nancy Fraser in ihrer Debatte mit Axel Honneth (vgl. o. Anm. 16). Anmerkungen | 61
79 L. Herzog, A. Honneth, Der Wert des Marktes, Frankfurt 2014, S. 173. Auch H.-Ch. Schmidt am Busch und R. Jaeggi vertreten ähnliche schwach teleologische Ansätze. Vgl. H.-Ch. Schmidt am Busch, Anerkennung als Prinzip der kritischen Theorie (2011). Nach Rahel Jaeggi (wie o. Anm. 6) kann man Lebensformen wie Familie oder Markt kritisieren, wenn sie nicht »ihrem Begriff entsprechen«, allerdings nicht, wie bei Hegel, einem endgültigen (vgl. Jaeggi 2014, S. 182–199). 80 A. Honneth, Die Sittlichkeit des Marktes, Manuskript eines an der Universität Braunschweig im März 2014 gehaltenen Vortrages. S. 11 (ich danke Axel Honneth für die Überlassung des Manuskripts). Honneth faßt darin die in seinem Buch »Das Recht der Freiheit« im Kapitel »Markt und Moral« entwickelte Theorie prägnant zusammen. 81 Vgl. A. Hirschmann, Der Streit um die Begrenzung der Marktgesellschaft. In: ders., Entwicklung, Markt und Moral. München 1998, S. 192–225, (Auszug im Sammelband Der Wert des Marktes, o. Anm. 79, S. 511–547). Man wird über diese Vorläuferlinie streiten können. 82 Vgl. zu meiner Deutung der sozialstaatlichen Elemente bei Hegel aber L. Siep, Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl. In: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt/M. 1992, S. 185–206 sowie ders., Hegels praktische Philosophie und das ›Projekt der Moderne‹: (s. Lit.verz.), Baden-Baden 2011. 83 Daß Hegel keinen entwickelten Kapitalismus kennt, ist unbestritten. Kapitalinvestitionen gelten ihm aber als Voraussetzungen für privatwirtschaftliche Produktion (§ 200) und sowohl Arbeits- wie (rudimentäre) Finanzmärkte gehören zu seiner Wirtschaftsphilosophie. Zu den traditionellen Bestandteilen dieser Theorie vgl. aber B. Priddat, Hegel als Ökonom, Berlin 1990. Die Vereinigung von marktliberalen und korporatistischen Komponenten bei Hegel arbeitet präzise heraus: L. Herzog, Inventing the Market. Smith, Hegel and Political Theory, Oxford 2013. 84 Vgl. zu den Jenaer Schriften auch A. Neschen, Ethik und Ökonomie in Hegels Philosophie und in modernen wirtschaftsethischen Entwürfen, Hamburg 2008. 85 Über ähnliche spätere Thesen bei Durkheim und Simmel vgl. Hirschmann (o. Anm. 81), S. 526 f. 86 Vgl. E.M. Lange, Das Prinzip Arbeit, Berlin 1980. 87 Hirschmann, a. a.O. 517. 88 Insofern folgt er zwar der Wirtschafts- aber nicht der Moraltheorie von Adam Smith. Vgl. zu Hegels Begriff der Moralität meine Deutung in: Moralität und Sittlichkeit bei Hegel. In: R. Hiltscher, S. Klingner (Hrsg.), Georg Wilhelm Friedrich Hegel, (Neue Wege der Forschung), Darmstadt 2011, S. 211– 232. 89 Wie Hegel im »abstrakten Recht« zeigt, wird die Anerkennung der Person mit dem Privatrecht (Eigentums-, Vertrags- und S chuldrecht) akzeptiert,
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indem man sich dieser Rechtsformen bedient. Bewußt wird sie erst durch die Korrektur von Rechtsbrüchen aufgrund allgemeiner Gesetze (richterliche Gewalt, Schuldbewußtsein). 90 Man kann auch die »Standesgesinnung« als Prägung der Präferenzen der Marktteilnehmer ins Spiel bringen, wie Lisa Herzog (Two ways of taming the market. Erscheint in: A. Buchwalter (Hrsg.), Hegel and Capitalism (voraussichtl. 2015) und H.-Ch.Schmidt am Busch (2011, vgl. Anm. 79, vor allem Kap. 5). Auch das ist aber keine Funktionsbedingung des Marktes, sondern eine Bedingung seiner Zähmung (wie heute etwa Wertorientierungen von Gruppen oder Konsumentenkampagnen). Genossenschaftliches Wirtschaften (Rph § 251) gehört (sozusagen »nach innen«) nicht mehr zur Marktsphäre. Es gibt für Hegel auch den Marktteilnehmer ohne Stand, der seine Anerkennung durch »Erfolg in seinem Gewerbe« sucht, aber nicht dauerhaft erreicht (§ 253). 91 Auch für L. Herzog, Inventing the Market (vgl. Anm. 83) S. 58 sind bei Hegel die Institutionen, die für das Funktionieren des Marktes notwendig sind, zu seiner sittlichen Einbettung nicht ausreichend. Dazu bedarf es des politischen Staates als eines »level of social unity that goes beyond the instrumental ties of the economics sphere«. 92 Vgl. Hirschmann, (Anm. 79), S. 516–520. 93 Im Gegenteil enthalten selbst Ausführungen über historische Konflikte zwischen Wirtschaft (»Reichtum«) und Staatsmacht Hinweise auf deren notwendige Differenzierung und Kooperation in der vernünftigen Sittlichkeit. Vgl. L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes (vgl. Anm. 32), S. 196. 94 Auch R. Jaeggi knüpft an den »Widerspruch« an, die Anerkennung des Individuums an seine Arbeit zu binden und »strukturell« nicht über dafür hinreichende Arbeit zu verfügen. (S. 388 f.) 95 Vgl. § 259. Es handelt sich aber nicht um getrennte Verwaltungen, sondern verschiedene Aufgaben derselben »Regierung« (vgl. § 287). 96 Entweder durch die Gutsherren (Agrarstand), durch Abordnungen der Korporationen (Gewerbestand) oder Teilnahme an den gesetzgeberischen Funktionen der Regierung (allgemeiner Stand). 97 Pöbelhafte Gesinnung kann es nach der Vorlesungsnachschrift von 1819/20 auch bei den Reichen geben, die »alles als käuflich für sich« betrachten (Hrsg. v. D. Henrich, Frankfurt/M. 1983, S. 196). Der »öffentliche Bettel«, von dem Hegel in § 245 spricht, ist dagegen offenbar ein staatlich anerkannter und beaufsichtigter Stand. Vgl. dazu auch N. Waszek, Hegels Schottische Bettler. In: Hegel-Studien. 19 (1984) S. 311–316. 98 Vgl. L. Siep, 2011, (o. Anm. 28), S. 33. 99 Sogar die Sterblichkeit erhält einen sittlichen Sinn durch das vom Staat verlangte Opfer des Lebens in gewollten Ausnahmezuständen (vgl. Rph § 324). Anderer Auffassung zum Widerstandrecht ist Klaus Vieweg, Das Denken der Freiheit, München 2012, S. 448–461. 100 Vgl. dazu L. Siep, 2014 (vgl. Anm 28). Anmerkungen | 63
101 Also eher im Sinne von M. Walzers Sphären der Gerechtigkeit (1988), aber so, daß die wechselseitigen Korrekturen und Unterstützungen der Sphären für die Freiheit und Gerechtigkeit des Ganzen konstitutiv sind. 102 Dazu M. Casper, Normgeltung und Normumgehung – Vom Zinsverbot zum Islamic Finance. In: N. Jansen, P. Oetsmann (Hrsg.), Gewohnheit. Gebot. Gesetz – Normativität in Geschichte und Gegenwart: Eine Einführung, Tübingen 2011, S. 301–328. 103 I. Testa fordert dagegen, »that recognition has a foothold in nature« und verweist auf die Vorstufen von Selbstreflexion in der Hegelschen Naturphilosophie. (How Does Recognition Emerge from Nature? 2012, S. 176). Von »emergence« and »genesis« aus der Natur im heutigen Sinne kann aber bei Hegel nicht gesprochen werden. Natur hat ihre Wirklichkeit und Bestimmung bei Hegel nur in Bezug auf den Geist (vgl. L. Siep, 2013, o. Anm. 28). 104 Vgl. M. J. Thompson, Enlarging the Sphere of Recognition: A Hegelian Approach to Animal Rights. In: Journal for Value Inquiry, vol. 45 (2011), S. 319–335. 105 Vgl. Laitinen in Schmidt am Busch, Zurn (Hrsg.) 2009, S. 322 (o. Anm. 1). Für Laitinen ist die anerkannte Würdigung normativ relevanter Eigenschaften, die nicht immer reziprok sein muß, auch im sozialen Bereich schon notwendig – etwa bei der Anerkennung nicht-personaler Menschen (Neugeborene, Nicht-Einwilligungsfähige) oder nicht-personaler Eigenschaften (körperliche, sozialer Status). 106 D. Sturma, Naturethik und Biodiversität. In: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik. Bd. 27, 2012, S. 141–155, vor allem S. 148–153. 107 Hegel hat im Geschlechterverhältnis der Tiere zwar Strukturen der wechselseitigen Empfindung »im anderen« gesehen (Enz 1830, § 369). Aus der normativen Sicht des objektiven Geistes gilt aber das Tier als Sache, die ohne Selbstzweck zum beliebigen Gebrauch für die Zwecke des Menschen bestimmt ist (vgl. Rph § 44, Randbemerkung und Zusatz). Zum Potential Hegels für die Bioethik vgl. M. Quante, Hegel und die biomedizinische Ethik. In: O. Breidbach, D. v. Engelhardt (Hrsg.), Hegel und die Lebenswissenschaften. Berlin 2002, S. 261–275, sowie L. Siep, Hegel und die moderne Bioethik. In: Siep, 2010, (o. Anm. 21) S. 279–292. 108 Vgl. Sturma, a. a.O. S. 152.: »Naturethisch ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Schutz nicht an anthropozentrische Interessenlagen gebunden wird«. 109 Zur Schwierigkeit des Begriffes und seiner Anwendbarkeit Sturma ebd. S. 146–148 sowie D. Lanzerath, M. Friele, Concept and Values in Biodiversity, London/New York 2014. 110 Vgl. A. Honneth, Verdinglichung – Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt/M. 2005, S. 102. 111 Vgl. dazu und zum Folgenden L. Siep, Konkrete Ethik, (o. Anm. 72), Kap. 2 u. 3.
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Wie es Kant in der teleologischen Urteilskraft postuliert. (KdU § 84) Nach Thomas Nagel kann aber auch die Naturwissenschaft die Perspektive des erkennenden Subjekts, des zumindest »nachvollziehenden« Naturwissenschaftlers, nicht ganz aufgeben. Vgl. T. Nagel, Der Blick von Nirgendwo, Frankfurt/M. 1992. 114 Allerdings scheitert nach meiner Auslegung auch in dieser Beziehung die Anerkennung der Selbständigkeit der Natur im Geist bei Hegel. Vgl. dazu L. Siep, Natur und Freiheit (2013, o. Anm. 28). 115 Besonders plastische Beispiele für das Verhältnis zu Wildtieren in B. Heinrich, Mind of the Raven, New York 1999. 116 Kant, Kritik der Urteilskraft, § 128. 117 Vgl. dazu L. Siep, Moral und Gottesbild. Aufsätze zur konkreten Ethik 1996–2012. München 2013 (vor allem die Aufsätze 16, 17 u. 20). 113
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Einleitung (1979) Die praktische Philosophie ist heute von zwei Tendenzen geprägt: Zum einen versucht sie, Grundprinzipien oder »Grundnormen«1 aufzustellen mit denen individuelles und soziales Handeln sowohl erklärt wie beurteilt werden kann. Zum anderen bemüht sie sich um eine Methode für die Analyse historisch gewordener Institutionen und Moralsysteme. Das wird an verschiedenartigsten Positionen der deutschen, nordamerikanischen und – für den zweiten Punkt – auch der französischen2 Philosophie deutlich. Die Schwierigkeiten mit dem ersten Punkt liegen darin, daß traditionelle Unterscheidungen der Philosophie und der Wissenschaften vom Handeln überwunden werden müssen: die Prinzipien der »herrschaftsfreien Kommunikation« (Habermas), der »Gerechtigkeit als Fairneß« (Rawls), der »vernünftigen Beratung« (Lorenzen) oder der »kommunikativen Freiheit« (Theunissen)3 sollen sowohl für individuelles wie für soziales Handeln gelten – ohne das eine gänzlich auf das andere zu reduzieren – und sie sollen sowohl normativ-kritische wie deskriptiv-erklärende4 Funktion haben. Um für letzteres zwei sicher weit auseinanderliegende Beispiele zu geben: die (frühe) kritische Theorie beanspruchte, die Kritik eines gesellschaftlichen Systems bereits durch dessen Darstellung zu leisten – weshalb auch Grundbegriffe der Darstellung (z. B. »Aufklärung« »Identität«, »Tauschgesellschaft«) sowohl erklärenden wie normativen Charakter hatten. Ähnlich will John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit (1975) mittels des Verfahrens der ursprünglichen (Entscheidungs-)Position und der in ihr gewählten Grundsätze die moralischen Urteile und die gesellschaftlichen Institutionen der konstitutionellen Demokratie sowohl erklären wie beurteilen (rechtfertigen und/oder kritisieren).5 Diese Doppelfunktion der Prinzipien ist unerläßlich, wenn die praktische Philosophie ihre zweite genannte Aufgabe erfüllen will: die Institutionen6 einer Gesellschaft oder einer Epoche im Zusammenhang darzustellen und ihre historische Genese begreifbar zu Einleitung (1979) | 67
machen. Wenn die Prinzipien zugleich die Grundlage einer solchen »Theorie der Institutionen« sein sollen, dann müssen sie in einem zweifachen Sinn auf diese Institutionen beziehbar sein: einmal muß sichtbar werden, was die Entwicklung und Veränderung des sich in Institutionen »niederschlagenden« moralischen Bewußtseins (im weiten, rechtliche, religiöse und andere normative Vorstellungen umfassenden Sinn des Wortes) für diese Prinzipien selber bedeutet. Und zum anderen müssen die Prinzipien eine differenzierte Beurteilung konkreter Institutionen ermöglichen – sie dürfen ihnen nicht als unerfüllbare Sollensforderungen eines Ideals jenseits der Geschichte entgegentreten.7 Gerade diese Aufgabe, solche Prinzipien zur Grundlage einer Theorie der Institutionen – und ihrer historischen Genese – zu machen, ist in der gegenwärtigen praktischen Philosophie aber noch nicht zufriedenstellend gelöst worden. Auf der einen Seite, weil die Prinzipien wieder den Status apriorischer Vernunftbegriffe erhielten – wie die (quasi-)transzendentalen Prinzipien Apels und Habermas’ oder die Vernunft- und Moralprinzipien des Konstruktivismus.8 Ein solcher Status setzt nämlich das Studium der historischen Entwicklung der Moralsysteme entweder zu einer »strategischen« Untersuchung der Chancen für die Verwirklichung einer zeitlosen Vernunft herab, oder zu einer nachträglichen Rechtfertigung (bzw. Verurteilung) historischer Entwicklungen und Entscheidungen vor dem »Richterstuhl« einer ebenfalls geschichtsunabhängigen moralischen Vernunft. Auf der anderen Seite hat sich der Versuch von John Rawls, die wohlüberlegten Urteile und die Institutionen einer bestimmten moralisch-politischen Kultur als Resultate einer Entscheidungssituation von Personen darzustellen, die kein Wissen über die Geschichte besitzen, als Zirkelargument erwiesen: diese »Ableitung« gelingt nur, wenn das »reine« Bewußtsein der wählenden Personen bereits durch die Erfahrungen und Präferenzen von Mitgliedern der europäisch-amerikanischen Kultur nach Aufklärung (religiösweltanschaulicher Pluralismus) und demokratischer Revolution (Vorrang individueller Freiheitsrechte) geprägt ist.9 Ich sehe einen doppelten Grund für diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Leistung der gegenwärtigen praktischen Philosophie: der eine ist, daß Prinzipien allgemein als formale Verfahren 68 | einleitung
verstanden werden (Diskurs, Beratung, Vertrag, Entscheidungsverfahren), denen konkrete Normen, Werte, Institutionen etc. zur Prüfung unterzogen oder mittels derer sie sogar abgeleitet werden sollen. Der zweite ist darin zu sehen, daß die Prinzipien, nach denen alle Bereiche des Handelns und ihre Regeln und Institutionen dem Verstehen und Beurteilen zugänglich gemacht werden sollen, Idealisierungen oder Formalisierungen eines Typs von sozialem Handeln sind: der sprachlichen Kommunikation (Apel, Habermas, Konstruktivismus) oder des Austauschs von Zustimmungen (Vertragstheoretiker)10 oder Besitzansprüchen (Nozick)11. Auch Dialog, Liebe, Arbeit sind Beziehungen und Handlungsformen, die bestimmte Bereiche, aber nicht das Ganze des geregelten Zusammenlebens und -handelns der Menschen bestimmen. Formale Strukturen, die aus besonderen Handlungsweisen »abstrahiert« sind, können keine Prinzipien für eine praktische Philosophie sein, die eine umfassende, prinzipiengeleitete Theorie der sozialen Institutionen sein will. Die These dieses Buches ist, daß die praktische Philosophie Hegels in Jena ebenfalls mittels eines zugleich normativen und erklärenden Prinzips ein System von Institutionen darzustellen sucht. Ihr Prinzip, das Prinzip12 »Anerkennung«, scheint mir den Grundprinzipien und Grundnormen der gegenwärtigen praktischen Philosophie überlegen zu sein. Und zwar eben darum, weil Hegel die beiden genannten »Fehler« vermeidet. Prinzipien der praktischen Philosophie sind für Hegel keine formalen Verfahren bzw. Regeln, die man völlig unabhängig von der Darstellung der Institutionen und ihrer historischen Genese aufstellen könnte. Prinzipien sind für ihn vielmehr selber »Genesen«, nämlich Prozesse der Bedeutungsentwicklung. Diese Prozesse sind der Entwicklung und Veränderung der Institutionen, die Prinzipien verkörpern bzw. von ihnen bestimmt werden, immanent. Insofern sind Prinzipien in einem bestimmten Sinne selber »historische Genesen«13: Genesen ihrer eigenen Bedeutung. Was das heißt, wird die Untersuchung zeigen müssen. Mit dem Prinzip »Anerkennung« hat Hegel ferner nicht die Struktur eines besonderen Typs des Handelns oder der sozialen Beziehungen verallgemeinern wollen, sondern die Struktur eines Bildungsprozesses von einzelnem und gemeinsamem Bewußtsein anzugeben versucht, der die verschiedenen Interaktionsformen und Einleitung (1979) | 69
sozialen Beziehungen von Sprache, Arbeit, Liebe, Vertrag, Tausch, Recht usw. auf jeweils spezifische Art bestimmt. Die Weise, wie sich die Momente dieser Struktur in solchen Beziehungen »konkretisieren«, macht die Darstellung eines Systems der Institutionen und ihrer historischen Genese möglich. Es ist immer wieder bezweifelt worden, daß Hegel überhaupt über eine praktische Philosophie verfügt. Es gebe bei ihm, so wird behauptet, keine kritische Reflexion über die Normen des Handelns, sondern nur eine auf vergangenes Handeln bezogene Geschichtsphilosophie, deren Kategorien zudem durch die spekulative Logik festgelegt seien.14 Ich werde zu zeigen versuchen, daß dies für die Jenaer Epoche des Hegelschen Denkens jedenfalls nicht gilt. Im Gegenteil: in ihr wird die praktische Philosophie in der Weite und Grundsätzlichkeit der aristotelischen Tradition erneuert, gegen ihre transzendentalphilosophische Kritik bei Kant und Fichte »rehabilitiert« und zugleich mit dem Kriterium dieser Kritik, dem transzendentalen Freiheitsbegriff, zu »versöhnen« gesucht. Gerade für diesen Versuch ist das Prinzip der Anerkennung von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. unten Kap. II). Durch dieses Prinzip will Hegel den »modernen« Freiheitsbegriff mit den Grundzügen der Polissittlichkeit zusammendenken. Auf die Bedeutung der Anerkennung für die Jenaer Geistphilosophie Hegels haben in den 1960er Jahren Jürgen Habermas und Manfred Riedel hingewiesen.15 Habermas hat sich auch bei seinen eigenen Versuchen, Grundnormen einer kritischen Gesellschaftstheorie zu bestimmen, wiederholt auf dieses Prinzip Hegels bezogen.16 Indessen kann erst nach vielen Jahren gründlicher Forschung über Hegels Jenaer Schriften,17 die volle Bedeutung der Theorie (Vgl. Anm. 12) der Anerkennung für die Jenaer Geistphilosophie und für die praktische Philosophie der Gegenwart erkannt werden. Habermas etwa ging noch davon aus, daß für die Entstehung des Hegelschen Geistbegriffes zwei verschiedene Konzeptionen maßgeblich seien, die noch in der Geistphilosophie von 1805/1806 nebeneinander bestünden: des Geistes als »Zusammenhang der drei dialektischen Grundmuster« von Arbeit, Sprache und »Handeln auf Gegenseitigkeit« auf der einen Seite – und des Geistes als »monologische(r)« Selbstreflexion auf der anderen Seite (1968, 37 ff.). Diese zweite Konzeption des Geistes, die an der »Erfahrung 70 | einleitung
der Selbstreflexion des Bewußtseins« orientiert sei, setzt sich nach Habermas in den späteren »identitätsphilosophischen« Schriften Hegels endgültig durch (40). Dagegen läßt sich zeigen, daß Hegels Theorie des »Handelns auf Gegenseitigkeit« bereits seit 1803 ein bewußtseinstheoretisches Fundament hat. »Bewußtseinstheorie« ist aber bei Hegel von vornherein keine Theorie »reiner« Selbstreflexion im Sinne Fichtes, sondern Theorie eines Prozesses der Bildung des Bewußtseins in Interaktionsformen und Institutionen. Die Einheit – mit Hegel: Totalität – der »Grundmuster« dieses Prozesses ist das »Prinzip« Anerkennung. Um das zu sehen, muß man verfolgen, wie Hegel den Gedanken der Anerkennung in der Analyse von »konkreten« Handlungs- und Bewußtseinsweisen (Liebe, Kampf, Rede und Arbeit usw.) einerseits und in der Auseinandersetzung mit seinem Ursprung in der Bewußtseinstheorie Fichtes andererseits entwickelt. Nur eine solche Betrachtungsweise ist imstande, die Einheit von Bewußtseinstheorie und praktischer Philosophie in Hegels Jenaer Zeit adäquat darzustellen: der notwendige Zusammenhang dieses Systems gründet sich auf einen Prozeß der zunehmenden Verwirklichung von Anerkennung, der zugleich eine Folge von Selbstreflexionen bzw. »Erfahrungen« des Bewußtseins ist. Die Untersuchung der system-konstitutiven Bedeutung des Anerkennungsprinzips wird allerdings durch den Umstand erschwert, daß weder Hegels praktische Philosophie noch seine Theorie der Anerkennung in irgendeinem Text der Jenaer Zeit »fertig« vorliegt. Ganz abgesehen davon, daß die meisten Jenaer Texte nur Fragmente sind, entfaltet Hegel die Elemente einer auf das Prinzip der Anerkennung und auf die »Methode«18 der Erfahrung des Bewußtseins gegründeten praktischen Philosophie nicht nur nacheinander und mit verschiedener Akzentuierung, sondern auch so, daß in keinem Werk das ganze »Programm« ausgeführt erscheint. Das System der Sittlichkeit von 1802 zeigt bereits Anerkennung als gemeinsame Struktur verschiedener Handlungsweisen und Institutionen.19 Aber erst der Systementwurf von 1803/1804 verbindet den Prozeß der Anerkennung mit der Entwicklung des Bewußtseins zum Geist und entfaltet die ersten Ansätze einer Methode der Erfahrung des Bewußtseins als einer Folge von – durch Selbstprüfungen ausgelösten – Reflexionen. Die Geistphilosophie von 1805/1806 bringt Einleitung (1979) | 71
Anerkennung als teleologischen Prozeß zur Darstellung. Erst dadurch wird sie eigentlich zum Prinzip – und zugleich zum Maßstab der Kritik – eines Systems der Institutionen. Die Methode der Erfahrung des Bewußtseins – die in einem bestimmten, später zu erörternden Sinne (s. u. S. 228 ff.) ebenfalls auf dem Prinzip der Anerkennung beruht – wird in diesem Text zwar weiterentwickelt, aber noch nicht vollständig durchgeführt. Dies geschieht erst in der Phänomenologie des Geistes (1806/1807). In der späteren Theorie des objektiven Geistes in der Enzyklopädie und der Rechtsphilosophie ist diese Konzeption aber nicht durchgeführt. Für unser Thema sind diese Texte daher von geringerer Bedeutung. Das heißt nicht, daß in dieser Theorie die Bewegung der Anerkennung keine Rolle mehr spielt. Sowohl in der Enzyklopädie wie in der Rechtsphilosophie kommt der Begriff der Anerkennung vor und bestimmt weiterhin das »vernünftige« Verhältnis selbstbewußter Individuen zueinander und zur Gemeinschaft.20 Dennoch ist die systematische Bedeutung der Anerkennung für die praktische Philosophie nicht mehr dieselbe.21 Der Grund dafür ist, daß der Bildungsprozeß des Bewußtseins, die »Erfahrung« seiner Identität mit dem Geist – als der Einheit von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein – nicht mehr Thema der Philosophie des objektiven Geistes ist. Die Entstehung des »allgemeinen Selbstbewußtseins« gehört nach der Konzeption der Enzyklopädie in die Phänomenologie, die es aber ihrerseits nicht mehr mit Formen des objektiven Geistes zu tun hat.22 Die Darstellung des objektiven Geistes setzt die Phänomenologie – die »Rest-Phänomenologie« des Kapitels »subjektiver Geist« – voraus. Sie geht daher von der Einheit des einzelnen und allgemeinen Bewußtseins aus – auch wenn sie den objektiven Geist zunächst in seiner Unmittelbarkeit als einzelnen Willen bzw. als Person erörtert (vgl. Enz §§ 487 ff.).23 Die Einteilung der Philosophie des objektiven Geistes folgt, wie Geist- und Naturphilosophie überhaupt, der im ersten Teil des Systems dargestellten spekulativen Logik. Der Maßstab, der die systematische »Funktion« bzw. Stelle der Institutionen im System des objektiven Geistes bestimmt, liegt daher im Grunde in der Folge der logischen Kategorien. Das heißt nicht, daß Anerkennung für den späten Hegel nicht mehr Kriterium zur Beurteilung »vernünftiger« Institutionen sein könnte. Im Maße wie der Gedanke der 72 | einleitung
Bildungsgeschichte des Bewußtseins – als Erfahrungsprozeß – in Hegels Geistphilosophie durch das Primat der spekulativen Logik – und der ihr zugeordneten Philosophie der Weltgeschichte – zurückgedrängt wird, verliert aber »Anerkennung« ihre zentrale Bedeutung für Hegels praktische Philosophie – und verliert diese an »Nähe« zur praktischen Philosophie der Gegenwart. Das Prinzip der Anerkennung ist in die Philosophie des Deutschen Idealismus von Fichte eingeführt worden. In Fichtes »Grundlage des Naturrechts« war Anerkennung die dem »Rechtsverhältnis« zugrunde liegende »Wechselwirkung« von Individuen.24 Im wechselseitigen Auffordern zu freiem Handeln und im Begrenzen der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen bildet sich sowohl individuelles wie gemeinsames Bewußtsein – eines nicht ohne das andere. Damit hat Fichte ein Prinzip gefunden, das über die gesamte Tradition der Rechts- und Staatsphilosophie insofern hinausgeht, als es weder das »fertige« Individuum als absolut voraussetzt und seinen Zwecken alle sozialen Beziehungen einschließlich des Staates unterordnet – noch den Staat oder ein wie immer geartetes »Allgemeines«, demgegenüber die Individuen unselbständige »Momente« sind, verabsolutiert. Das eigentliche Prinzip ist vielmehr der Prozeß der gegenseitigen Konstitution von individuellem und allgemeinem Bewußtsein. Aber zum einen beschränkt Fichte Anerkennung auf einen apriorischen Vernunftbegriff – zum anderen ist seine Rechtsund Staatsphilosophie keine konsequente Anwendung dieses Grundgedankens (vgl. u. Kap. I, 1). Hegel übernimmt den Begriff der Anerkennung und die »Struktur« der wechselseitigen Konstitution von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein in der Jenaer Zeit (I, 3) zur Bestimmung von Formen gegenseitigen Handelns, die er schon in seinen Frankfurter Schriften analysiert hatte (I, 2). Anders als Fichte bestimmt er aber nicht Anerkennung als ein »reines« Prinzip unabhängig von der Darstellung der Formen und Institutionen des Handelns und des gemeinsamen Bewußtseins, sondern entwickelt sie als deren gemeinsames »Wesen«. Die »Formen des Praktischen« in der Familie, dem »System von Eigenthum und Recht«25 und dem Staat werden in den Jenaer Schriften zunehmend als Stufen eines teleologischen Prozesses durchsichtig, in dem sich die Momente der Anerkennung schrittweise entfalten – bis zur vollständigen Realisierung in den Institutionen der absoluten SittlichEinleitung (1979) | 73
keit. Bei dieser zunehmenden Realisierung spielt auch die Sprache – vor allem als Rede – eine wichtige Rolle. Aber Hegel ist weit davon entfernt, sie als die Grundlage der Anerkennungsbeziehungen zu betrachten (s. u. S. 155–157 f.). Gemessen an dem Grundzug der Wechselseitigkeit, der nach Fichte und auch nach Hegels erklärter Absicht26 für das Anerkennungsverhältnis wesentlich ist, kann man allerdings die höchsten Stufen dieses Prozesses nicht mehr als »Realisierung« des Prinzips akzeptieren. Statt einer völligen Wechselseitigkeit von einzelnem und allgemeinem Selbst zeigen die Institutionen des Staates schließlich doch ein »Primat« der Allgemeinheit. Der Staat wird höchster Zweck für das Handeln des einzelnen, der sich im Wollen der Allgemeinheit und seiner Institutionen versittlicht. Die im Prinzip der Anerkennung angelegte Überwindung der Verabsolutierung sowohl des Staates wie des Individuums ist damit nicht vollzogen. Insofern scheint mir eine immanente Kritik der Hegelschen Anerkennungslehre möglich (I. 4 u. V). Trotz dieses »Scheiterns« der Hegelschen Anerkennungslehre ist die praktische Philosophie der Jenaer Zeit und ihr Prinzip für die gegenwärtige praktische Philosophie von großem Interesse,27 weil sie ähnliche Probleme zu lösen sucht wie diese: die Wiederherstellung der Einheit von Ethik, Rechts- und Staatsphilosophie (Kap. II), die Darstellung eines systematischen Zusammenhangs »gegebener« Institutionen zusammen mit der Bewertung ihrer »Vernünftigkeit« (IV. 1) am Leitfaden des durch sie ermöglichten Bildungsprozesses des Bewußtseins (IV. 2), der einer Sequenz historischer »Erfahrungen« entspricht (IV. 3). Interessant ist diese »Parallelität« zum einen, weil Hegel in einigen Fragen weitergekommen ist als die gegenwärtigen Versuche – vor allem in der Institutionentheorie und -genese –, zum anderen aber auch, weil sichtbar wird, welche Grundannahmen ihn von der Gegenwartsphilosophie trennen. Das wird in einer Reihe von gegenwärtigen Versuchen übersehen, die an Hegel anknüpfen oder ihn »rekonstruieren« wollen. So läßt sich Hegels Idee der Bildungsgeschichte zwar – in einer ihrer Bedeutungen – als Vorwegnahme des Versuches verstehen, Erkenntnisse über die Bedingungen vernünftiger persönlicher und sozialer »Identität« zum Maßstab der praktischen Philosophie zu machen (Habermas 1974). Aber es geht ihm dabei nicht um die Anerkennung der »vollständigen Individuierung«, 74 | einleitung
sondern gerade um die Freiheit des Selbstbewußtseins von allen Bestimmtheiten.28 Eine Freiheit allerdings, die nicht abstrakt bleibt, sondern sich in bestimmten Lebensformen einer Gemeinschaft, deren Regeln und Institutionen sie »anerkennt«, erfüllt. Auch Hegels Idee einer historischen Institutionen- und Normengenese ist in der Gegenwart (Kritische Theorie, Konstruktivismus) in Anspruch genommen worden.29 Hegel geht es dabei vor allem in den frühen Schriften aber primär um einen Prozeß der Erfahrung mit Institutionen, der als Zusichkommen des Geistes und als Verwirklichung von Anerkennung begriffen werden kann.30
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I. Das Prinzip der Anerkennung 1. Der Begriff der Anerkennung bei Fichte In der Hegel-Forschung ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß Hegels Theorie der Anerkennung von der Auseinandersetzung mit Fichte geprägt ist.31 Fichte gibt als erster der Bildung des individuellen und gemeinsamen Bewußtseins durch die wechselseitige Anerkennung eine zentrale Stellung in der Rechtsphilosophie. Auch in der Ethik ist für ihn der Nachweis von großer Bedeutung, daß »ein vernünftiges Wesen nicht in isoliertem Zustande vernünftig wird« und daß der »Zusammenhang mit einem anderen Vernunftwesen« die »Wurzel meiner Individualität« ist (GW 4, 221 f.). Daraus folgt nämlich für Fichte, daß nicht die Moralität des einzelnen, sondern die »Moralität aller vernünftigen Wesen« als der »moralische Endzweck jedes vernünftigen Wesens« zu betrachten ist (GW 4, 233). Dennoch gewinnt der Gedanke der Anerkennung bei Fichte nicht die Bedeutung eines zentralen Prinzips der praktischen Philosophie, eines Prinzips, mit dem sich die Einheit eines Ethik32, Rechts- und Staatsphilosophie umfassenden Systems der Formen und Regeln des Handelns begründen ließe. Fichte hat die Kantische Trennung zwischen Moralität und Legalität sowie zwischen Ethik und Rechtsphilosophie noch verschärft.33 Aber auch innerhalb der Rechtsphilosophie wird Anerkennung nicht zu dem die Deduktion der Institutionen beherrschenden Grundgedanken. Nur die Bestimmungen des »Urrechts«, die »Freiheit und Unantastbarkeit« des Leibes und des Eigentums, lassen sich unmittelbar als »Anwendung« des Begriffs der Anerkennung verstehen (vgl. III, 123 f.). Die übrigen Institutionen des Rechtes und des Staates hat Fichte nicht als »Konkretionen« des Anerkennungsverhältnisses dargestellt. Sie werden auch nicht mehr aus dem Anerkennungswillen der Individuen entwickelt, sondern aus der vorausgesetzten Motivation eines »allgemeinen Egoismus« (152). 76 | kapitel i
Der folgende kurze Überblick soll verständlich machen, was Fichte unter »Deduktion« der Anerkennung und mit ihr des Rechtsverhältnisses versteht. Von dieser Methode wird sich Hegels »Theorie« der Anerkennung wesentlich unterscheiden. Das gilt nicht für die von Fichte erläuterte Struktur der Anerkennung als einer wechselseitigen Konstitution von individuellem und allgemeinem Bewußtsein. An diese Struktur hat sich Hegel gehalten, als er in Jena die Einsichten seiner Frankfurter Manuskripte über Liebe, Vereinigung, Schicksal etc. mit Hilfe des Prinzips der Anerkennung zu seiner Philosophie des praktischen Geistes systematisierte. a) Die Deduktion der Anerkennung als transzendentale Bedingung des Rechtsbegriffs In Fichtes »Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre« aus dem Jahre 1796 hat die Theorie der »Anerkennung« eine entscheidende Funktion: mit ihr kommt der Versuch einer Deduktion des Rechts als eines »ursprünglich „… in der Vernunft enthalten(en)« (III, 7) Begriffs ans Ziel.34 Das »Rechtsverhältnis« wird von Fichte nämlich in dem folgenden Satz bestimmt: »Ich muß das freie Wesen außer mir in allen Fällen anerkennen als ein solches, d. h. meine Freiheit durch den Begriff der Möglichkeit seiner Freiheit beschränken.« (III, 52) Anerkennung ist für Fichte die »Handlung« des Bewußtseins, durch die der »Begriff« des Rechts entsteht.35 Sie zu »deduzieren« bedeutet, sie als eine notwendige »Bedingung des Selbstbewußtseins« (III, 8) auszuweisen – als Bedingung dafür, daß ein »endliches vernünftiges Wesen« sich selbst »setzt« bzw. »findet« (17, 33). Dieses Setzen ist nicht die reine Anschauung der unendlichen Tätigkeit, die der Grund alles beschränkten, »endlichen« Bewußtseins ist – wie das Sich-Setzen des Ich im Anfang der »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« (1794). Das hier gemeinte Setzen ist vielmehr eine Bewußtseinshandlung, die der Selbsterfahrung des »gewöhnlichen« Bewußtseins als »Vernunftwesen« zugrunde liegt. Vernunft ist nach Fichte »sich selbst bestimmende Tätigkeit« (17), die – wie die »Grundlage« gezeigt hat – im theoretischen wie im praktischen Vermögen, im Vorstellen wie im Wollen wirksam ist. Für das gewöhnliche Bewußtsein ist aber Das Prinzip der Anerkennung | 77
das Vorstellen an Objekte und das Wollen an das Vorstellen gebunden: der Entschluß zur freien Wirksamkeit setzt eine Vorstellung der Objekte der Wirksamkeit voraus. Worauf es Fichte im ersten Teil der Naturrechtsschrift ankommt, ist der Nachweis, daß das Wollen nicht vom Vorstellen der Objekte abhängig ist, sondern das Bewußtsein sich als ursprünglich praktisch »finden« kann. Möglich ist das nur, wenn das Bewußtsein der freien Wirksamkeit und die Vorstellung von Objekten in einer Erfahrung zustande kommt, d. h. wenn das Wollen selber als Objekt erfahren wird, ohne dadurch aufzuhören, freie Selbstbestimmung zur Wirksamkeit zu sein: »die Wirksamkeit des Subjekts sei mit dem Objekte in einem und demselben Moment synthetisch vereinigt; die Wirksamkeit des Subjekts sei selbst das wahrgenommene und begriffene Objekt, das Objekt sei kein anderes als diese Wirksamkeit des Subjekts und so seien beide dasselbe« (32). Um dieses Problem zu lösen, führt Fichte seine Lehre von der »Aufforderung« ein, die mit derjenigen der Anerkennung eng zusammenhängt. Damit das Vernunftwesen seiner Freiheit bewußt wird, muß es eine »Aufforderung« erfahren, »sich zur Wirksamkeit zu entschließen« (33). In einer solchen Aufforderung kommt ihm die Möglichkeit seiner Freiheit als Objekt, als »von außen gegeben« zum Bewußtsein. Als Objekt ist sie bestimmt und von der Wirksamkeit des erfahrenden Subjektes unabhängig – aber bestimmt ist das Subjekt nur dazu, sich selbst zur freien Wirksamkeit zu bestimmen. In dieser Erfahrung wird das Subjekt also »in einem Schlage« seiner selbst als vorstellend, bestimmt von einem Objekt, und als frei, als aufgefordert zur Wirksamkeit bewußt. Und da die Aufforderung gerade nicht zu einer bestimmten Handlung auffordert, sondern dazu, sich selbst ein Ziel zu setzen, ermöglicht sie ein ursprüngliches Bewußtsein der Freiheit, das nicht von bestimmten Objekten bzw. Objektvorstellungen herrührt. Fichte hat auf diese Theorie der Aufforderung seine Deduktion der Intersubjektivität gegründet.36 Er versucht nachzuweisen, daß das aufgeforderte Vernunftwesen aus dem Charakter der Aufforderung darauf schließen muß, daß a) die Ursache der Aufforderung nur in einem Vernunftwesen liegen kann, b) dieses Vernunftwesen seine eigene Handlungsfreiheit beschränken mußte, um mich auf meine Handlungsmöglichkeit hinweisen zu können, und c) es sich diese 78 | kapitel i
Beschränkung zum Zweck der Aufforderung auferlegt hat. Die – zunächst noch einseitige – Anerkennung meiner durch den Anderen ist also die Bedingung, unter der ich allein zur Erfahrung meiner als eines vernünftigen – zu frei gewählten Handlungen fähigen – Wesens kommen kann. Daß ich dies verstanden habe, erweise ich, indem ich den Anderen ebenfalls so behandle, wie man Vernunftwesen um ihrer Vernünftigkeit willen behandeln muß: indem ich ihn meinerseits anerkenne. Erst dann weiß der Andere, daß er wirklich ein vernünftiges Wesen vor sich hat.37 Ist eine solche einmalige wechselseitige Anerkennung als Bedingung des »Zusichkommens« des Selbstbewußtseins nachgewiesen, dann muß nur noch die Verallgemeinerung dieses Verhältnisses auf alle »Begegnungen« zwischen Vernunftwesen abgeleitet werden. Der hier in Kürze dargestellte Übergang von der Aufforderung zur Anerkennung birgt in Wahrheit eine Reihe von Problemen. Bei oberflächlicher Lektüre der Deduktion sieht es zunächst so aus, als sei für Fichte die volle, wechselseitige – nicht nur die hypothetische, einseitige – Anerkennung bereits eine Voraussetzung oder Bedingung für den Aufforderungsakt und nicht erst seiner adäquaten Beantwortung. Diese Interpretation führt aber, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe,38 in unlösbare Schwierigkeiten. Weiter kommt man mit der Annahme, daß die Erwiderung der einseitigen, in der Aufforderung enthaltenen Anerkennung eine »Reflexion« des aufgeforderten Bewußtseins auf die Aufforderung und ihre Bedingungen voraussetzt. Man kann darin schon Ansätze für die später bei Hegel entwickelte Methode der Erfahrung des Bewußtseins erblicken. »Transzendentale Deduktion« heißt bei Fichte nicht nur, daß der Philosoph Bedingungen des Selbstbewußtseins in Gestalt »vorbewußter« Handlungsweisen aufdeckt, sondern schließt den Nachweis von Reflexionsschritten auf seiten des analysierten Bewußtseins ein, durch die dieses Bewußtsein für sich selber bestimmte »Niveaus« des Denkens und Handelns erreicht. Was hat nun das Anerkennen, das wechselseitige Selbstbeschränken zugunsten der Freiheit des Anderen, der als »Vernunftwesen« erkannt und respektiert wird, mit dem Recht zu tun? Es ist zwar einsichtig, daß die Respektierung eines Rechtes Selbstbeschränkung erfordert – aber das Wesentliche des Rechtsbegriffs ist der Anspruch auf solche Respektierung bzw. die »Verbindlichkeit« (50)39 der erDas Prinzip der Anerkennung | 79
warteten Selbstbeschränkung für den Anderen. Fichte kann diese Verbindlichkeit nicht aus der moralischen Verpflichtung ableiten. Das widerspräche der Unabhängigkeit der Rechtsphilosophie von der Ethik und machte das Recht zum »kategorischen« statt zum »technisch-praktischen« (9) Imperativ. Er löst das Problem, indem er auf eine »praktische Gültigkeit« (50) logischer Gesetze zurückgreift. Diese praktische Gültigkeit oder inter-subjektive Verbindlichkeit entsteht in der Anerkennung: die Erfahrung, daß wir »beide durch unsere Existenz aneinander gebunden und einander verbunden « sind, führt zur Forderung nach einem »von uns gemeinschaftlich notwendig anzuerkennenden Gesetz … nach welchem wir gegenseitig über die Folgerungen halten«. Um dieses Gesetz zu erkennen, müssen wir uns an den »Charakter« erinnern, »nach welchem wir eben jene Gemeinschaft eingegangen« sind: »Dies aber ist der Charakter der Vernünftigkeit; und ihr Gesetz über die Folgerung heißt Einstimmigkeit mit sich selbst, oder Konsequenz, und wird wissenschaftlich aufgestellt in der gemeinen Logik.« (48) Das Recht als »Gesetz«, in allen Fällen der Begegnung40 von Vernunftwesen die eigene Handlungsfreiheit zugunsten der möglichen Freiheit des anderen zu beschränken, ergibt sich als notwendiger Vernunftbegriff, wenn man davon ausgeht, daß sich die in der Erfahrung der Anerkennung gebildete Gemeinsamkeit des Bewußtseins in einem gemeinschaftlichen, »verbindlichen« Denken und Handeln ausdrückt. Ob sich das Individuum dieses Gesetz zur Regel seines Handelns macht, bleibt in der transzendentalen Deduktion des Rechtsbegriffs offen. Ohne dieses Gesetz aber ist eine dauernde Wechselwirkung zwischen Vernunftwesen nicht möglich. Da diese sich als Bedingung des Selbstbewußtseins des endlichen Vernunftwesens – als eines Individuums – erwiesen hatte, ist »der Begriff des Rechts selbst Bedingung des Selbstbewußtseins. Folglich ist dieser Begriff gehörig a priori … deduziert.« (53) Die Deduktion des Rechtsbegriffs beruht darauf, daß sich in der Anerkennung individuelles und gemeinschaftliches Bewußtsein zugleich bilden und beide voneinander abhängen. Was ist die Struktur dieser Wechselbeziehung?
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b) Die Struktur der Anerkennung bei Fichte Man kann die Struktur der Anerkennung bei Fichte durch drei Grundzüge kennzeichnen: 1). Anerkennung ist ein Verhältnis der »Wechselwirkung« der Vernunftwesen »durch Intelligenz und Freiheit« (44). In der Anerkennung ist das Handeln jedes Vernunftwesens von der Erkenntnis des Anderen als eines freien Wesens abhängig, diese Erkenntnis aber ihrerseits vom Handeln des Anderen. Nur dadurch, daß ich mich durch das Handeln des Anderen als anerkannt erfahre, kann ich selber mein Handeln durch die Erkenntnis des Anderen als eines Anzuerkennenden bestimmen, einschränken – also selber anerkennen. Dadurch, daß die Erkenntnis und das Handeln eines Vernunftwesens durch das eines anderen bedingt ist, ist die Anerkennung – und das macht sie erst zur Grundlegung des Rechtsverhältnisses fähig – 2). die Genese eines »gemeinschaftlichen Bewußtseins« (44). Nicht nur erfahren sich beide als dasselbe, als freie Vernunftwesen, sondern auch sich selbst als bestimmt durch den »Zusammenhang« mit dem Anderen, als hervorgebracht durch die »Gemeinschaft« mit dem Anderen. Denn das Bewußtsein eines jeden ist durch das Verhältnis des wechselseitigen Erkennens und Handelns konstituiert – keines ist ohne das Bewußtsein des Anderen und das Verhältnis, in dem es zu diesem steht, denkbar. Auf diese »Gebundenheit« an den Anderen gründet Fichte, wie wir gesehen haben, die »Verbindlichkeit« des Rechts. 3). Nun kommt aber – und das ist die dritte »Struktureigenschaft« der Anerkennung – dieses gemeinsame Bewußtsein gerade dadurch zustande, daß sich beide Vernunftwesen ihrer Individualität bewußt werden, sich gerade voneinander »durch Gegensatz unterscheiden« (41). Dieses Sichunterscheiden geschieht ebenfalls durch ein Handeln: indem das Vernunftwesen seine – ihm in der Aufforderung als »Objekt« gegebene – mögliche Wirksamkeit ergreift und auf seine eigene, in der Aufforderung gerade nicht vorherbestimmte Weise realisiert, wird es sich seiner selbst als Individuum bewußt. Das Vernunftwesen wird Individuum, indem es sich eigene Möglichkeiten des Handelns zueignet, als deren alleiniger Urheber es sich weiß. Es schließt dadurch den anderen aus seiner »Sphäre« des Handelns aus. Wieso ist dieser Vorgang des Sich-Unterscheidens ein Anerkennen? Darum, weil er zugleich ein Sich-Begrenzen auf die eigene Das Prinzip der Anerkennung | 81
Sphäre der Wirksamkeit und damit ein Freigeben des Handlungsspielraums des anderen ist. Die Gemeinsamkeit des Bewußtseins wird dadurch nicht aufgehoben, weil gerade die Möglichkeit der Individualisierung von der fortdauernden Wechselseitigkeit des Anerkennens abhängt. Diese Wechselseitigkeit aber ist ihrerseits nur durch das Sich-Begrenzen der Individuen möglich, das ein sich auf sich Zurückziehen und damit ein voneinander Unterscheiden ist. Der Begriff der »Individualität« ist selber, so formuliert Fichte, ein »Wechselbegriff«: »Er ist in jedem Vernunftwesen nur insofern möglich, inwiefern er als durch ein anderes vollendet gesetzt wird.« (47) Er bedeutet daher nie ein isoliertes »Mein« des Bewußtseins, sondern »mein und sein; sein und mein; ein gemeinschaftlicher Begriff, in welchem zwei Bewußtseine vereinigt werden in eins« (47 f.). Die Struktur des Anerkennens ist also eine Bewegung, sich zu individualisieren und ein gemeinsames Bewußtsein zu bilden – eines nicht ohne das andere. Wenn Fichte eine solche Bewegung des Anerkennens als Grundlage des Rechtsbegriffs deduziert und aus der Notwendigkeit der Sicherung der Rechte des Individuums den Staat ableitet – wie dies in der weiteren Entwicklung der »Grundlage des Naturrechts« geschieht –, muß man dann nicht sagen, daß bereits er die Anerkennung zum Prinzip der Rechts- und Staatsphilosophie gemacht hat? Man kann diese Frage nur unter zwei Einschränkungen bejahen. Die eine betrifft den unterschiedlichen Prinzipienbegriff Fichtes und Hegels. Bei Fichte ist das »Prinzip« Anerkennung ein apriorischer Maßstab für jeden Rechtsstaat: er muß die wechselseitige Anerkennung seiner Mitglieder als Rechtssubjekte verwirklichen. Fichte zeigt aber nicht, daß und wie verschiedene Anerkennungsverhältnisse bestimmten Institutionen zugrunde liegen bzw. von ihnen ermöglicht werden. Die Bedeutung von »Prinzip« bei Fichte ist nicht die einer sich entwickelnden, »genetischen« Struktur. Diesen – wie mir scheint für die gegenwärtige praktische Philosophie bedeutenden – Schritt tut erst Hegel. Die andere Einschränkung liegt darin, daß rechtliche Anerkennung für Fichte zwar als ein Faktum, aber nicht als Intention des Handelns der Individuen im vernünftigen Staat gegeben sein muß. Als Zweck des Handelns der Individuen ist Anerkennung im Rechtsstaat entbehrlich. Die das Recht sichernden Institutionen müssen nach Fichte vielmehr von 82 | kapitel i
der konträren Motivation eines allgemeinen Egoismus ausgehen. In der Lehre vom »Zwangsrecht« und vom Staatsvertrag tritt das Prinzip der Selbsterhaltung insofern an die Stelle des Prinzips Anerkennung. Das Zwangsgesetz, das zu seiner Durchführung die Errichtung des Staates notwendig macht, ist eine mit »mechanischer Notwendigkeit wirkende Veranstaltung« (142), die dazu führt, daß ein Übergriff auf die Freiheit des Anderen »notwendig« und »unfehlbar« eine »Beschädigung« meiner eigenen Freiheit zur Folge hat.41 Allein die Furcht vor diesen Folgen zwingt das Individuum zur Respektierung der Freiheit des Anderen. Das Zwangsgesetz rechnet nicht mit dem freien gegenseitigen Anerkennen, sondern mit der »Sorge« eines jeden für seine »eigene Sicherheit« (145). Man kann in diesen Überlegungen Fichtes einen Rückfall in die Position von Hobbes sehen.42 Mit mehr Konsistenz lassen sie sich als Resultat einer erneuten Reflexion des Bewußtseins auf Störungen des Anerkennungsverhältnisses – die ohne ein solches Zwangsgesetz nicht auszuschließen sind – interpretieren.43 Die Reflexion auf die prinzipielle Möglichkeit der Verweigerung von Anerkennung durch »vermeintliche« Vernunftwesen führt konsequenterweise zu einem allgemeinen Mißtrauen und zu einem Primat des Sicherheitsstrebens. Zweifelhaft erscheint mir indes, ob solches Sicherheitsstreben nur durch einen ausnahmslos wirkenden Mechanismus befriedigt werden kann – was bei Fichte heißt, daß Rechtsbrüche nicht nur ausnahmslos geahndet, sondern im vorhinein unmöglich gemacht werden müssen. Zwar schließen die Individuen über die Einrichtung eines solchen Mechanismus einen Vertrag, d. h. sie beschränken ihre Rechte freiwillig zugunsten des gemeinsamen Zwecks »gegenseitige Sicherheit« (144). Aber dieser Zweck kann erreicht werden durch Institutionen, die gerade die Art von Anerkennung überflüssig machen, durch die doch individuelles Selbstbewußtsein erst entstehen kann: freiwillige Selbstbeschränkung, die die Freiheit des Anderen zum Zweck hat. Insofern hat Fichte den ursprünglichen, der Deduktion des Rechtsbegriffs zugrunde liegenden Gedanken der Anerkennung in seiner Staatsphilosophie nicht konsequent entwickelt.44 Er hat auch nicht verschiedene Arten von Anerkennung, verschiedene Grade von Bewußtheit und Freiwilligkeit der Anerkennung, verschiedene Aspekte am Anderen und am gemeinsamen Willen, die anerkannt werden usw. unDas Prinzip der Anerkennung | 83
terschieden und in einen systematischen Zusammenhang gebracht. Dies ist hingegen bei Hegel der Fall. Deshalb kann man sagen, daß bei ihm das Prinzip Anerkennung eine eigene, in sich differenzierte Konzeption der Anerkennung, ihrer Formen und Stufen, enthält. 2. Die Vorformen der Anerkennung in den Berner und Frankfurter Fragmenten Hegel hat erst in den Jenaer Schriften Anerkennung zum Prinzip seiner praktischen Philosophie gemacht. In den Berner und Frankfurter Schriften hat er zwar bereits Maßstäbe und Ideale zwischenmenschlichen Handelns konzipiert, aber daraus entsteht noch keine systematische Theorie und Kritik der gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen. Den Begriffen und Idealen zwischenmenschlichen Handelns in den Berner und Frankfurter Schriften fehlt auch der Zug, der – wie wir sehen werden – die Anerkennungslehre Fichtes und des späteren Hegel mit gegenwärtigen, auf dem Prinzip der Kommunikation basierenden Ansätzen der praktischen Philosophie verbindet: kommunikatives Handeln als einen Prozeß zu fassen, in dem die Individuen erst zum Bewußtsein ihrer selbst – und zugleich zu einem gemeinsamen Bewußtsein – gelangen. Von daher wäre es gerechtfertigt, diese Untersuchung mit einer Analyse der Jenaer Anerkennungslehre zu beginnen. Es gibt aber trotz des oben Gesagten »Vorstufen« in den Berner und Frankfurter Entwürfen (Vgl. die Zeittafel u. S. 136).45 Die Jenaer Geistphilosophie von 1805/1806 bestimmt Anerkennung – und damit faßt sie die Ergebnisse der früheren Jenaer Schriften zusammen – als Einheit zweier Bewegungen, die jede als ein »Schluß« aufzufassen sind: des Schlusses der Liebe und des Kampfes (s. u. S. ). Nun spielt aber die Liebe bereits in den späten Berner und frühen Frankfurter Fragmenten eine zentrale Rolle. Als einer Bewegung der Vereinigung steht ihr ferner schon dort eine Bewegung der Trennung gegenüber. Wir müssen die Struktur und das Verhältnis dieser beiden Bewegungen zueinander im Hinblick auf Hegels späteren Begriff der Anerkennung erörtern, weil wir zeigen wollen, daß Hegel diesen Begriff in Jena nicht einfach von Fichte übernimmt, sondern 84 | kapitel i
seine eigenen Analysen »konkreter« praktischer Beziehungen mit diesem Begriff deutet – und ihn damit zugleich verwandelt. In den Berner und Frankfurter Schriften sind die Momente der Vereinigung und der Trennung allerdings nicht gleichwertig. Der Begriff der Liebe hat den Primat über die Formen der Auseinandersetzung, über die aktive Zerstörung der lebendigen Einheit mit den Anderen (»Verbrechen«), wie über die bloße Verteidigung von Rechten. Das Recht – als Privat- oder als Strafrecht – ist daher auch nicht die Synthese von Liebe und Kampf, wie in den Jenaer Schriften. Da es noch eine Form der Entzweiung ist, bleibt ihm die Liebe übergeordnet. Hegel hat aber, wie wir zeigen werden, schon im »Geist des Christentums« Zweifel daran geäußert, daß eine große Gemeinschaft ohne das Prinzip des Rechts allein auf die Beziehung der Liebe gegründet werden kann. Der Begriff der Liebe, der zu Ende der Berner und dem Beginn der Frankfurter Zeit für Hegels Denken zentral wird, ist keineswegs auf die Bedeutung zwischenmenschlichen Empfindens und Handelns eingeschränkt. Seine umfassende Bedeutung für die Versuche Hölderlins, Sinclairs und – zunächst in ihrem Gefolge – Hegels, über die Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes hinauszukommen, ist von Dieter Henrich und Hannelore Hegel herausgestellt worden.46 Henrich (1971, 13) hat dabei die Vorgeschichte des Begriffs Liebe, seine Herkunft aus der »Vereinigungsphilosophie«, z. B. bei Hemsterhuis, sowie seine Verwandlung bei Herder, dem jungen Schiller und schließlich Hölderlin, dargestellt. Auf die möglichen Einflüsse der deutschen Mystik (Tauler, Eckhart) hat schon Rosenkranz hingewiesen.47 Hegel hat aber in den Frankfurter Schriften Liebe auch »als Beziehung der Individuen untereinander« (Dilthey) thematisiert.48 Für unsere Untersuchung ist diese Seite des Begriffs Liebe die wichtigste. Ich möchte mich zunächst diesen Texten und erst danach den Fragmenten zum »Geist des Christentums« zuwenden. Es ist zu fragen, was Hegel unter Liebe als vereinigender Beziehung versteht, in welchem Verhältnis zu den Unterschieden und Gegensätzen, die sie vereinigen soll – und zu deren Ursprung –, er sie sieht; und schließlich, wie sie zum Bewußtsein der Individualität steht.
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a) Liebe in den späten Berner und frühen Frankfurter Fragmenten In den späten Berner und frühen Frankfurter Fragmenten über Liebe und Religion hat Hegel Liebe nicht nur spekulativ als alle Entgegensetzungen aufhebende Vereinigung und als Selbstgefühl (»Verdoppelung«) des Lebens bestimmt, sondern eine geradezu »phänomenologische« (im modernen Sinne) Analyse des Verhältnisses zweier Liebender durchgeführt.49 Er expliziert die Bedeutung der Scham, des gegenseitigen Beschenkens, des Verhaltens zum gemeinsamen Eigentum und zum Kind. Das Charakteristische der Liebe ist für ihn, daß sie zum einen die restlose Hingabe und d. h. die Aufgabe aller Individualität und alles Getrennten anstrebt – Scham interpretiert Hegel insofern als »Zürnen der Liebe über Individualität« –, und daß sie zum anderen »unendliche Unterschiede sucht«, um sich Gehalt und Selbstgefühl zu geben, indem sie alle diese Unterschiede in ihre Vereinigung einbezieht (GW 2, 88). Freilich hat die Fähigkeit der Liebe, Unterschiede in sich aufzunehmen, eine Grenze: sie kann zwar »Gedanken«, »Mannichfaltigkeiten der Seele« und sogar die »ganze Mannichfaltigkeit der Natur« in ihre Vereinigung aufnehmen (GW 2, 90), aber offenbar nicht die Unterschiede von »Besiz von Eigenthum und Rechten« (GW 2, 92). Rechtsbeziehungen bedeuten Abgrenzung gegen die Anderen und Herrschaft über die Dinge – selbst noch in der Gütergemeinschaft, in der es Rechte über den Gebrauch der gemeinsamen Dinge geben muß (vgl. GW 2, 92–95). Solche Beziehungen machen die von der Liebe intendierte Vereinigung unmöglich. Sie ist nur möglich, wenn das Objekt durch die Einbildungskraft beseelt, als »Göttliches« vorgestellt wird (GW 2, 8–9). Die Grenze der Liebe an den Formen des Rechts bleibt in allen Entwürfen vor der Jenaer Zeit50 erhalten; es wird sich zeigen, daß Hegel im letzten Teil der Fragmente über den »Geist des Christentums« die Liebe sogar als eine überhaupt nicht auf die Vereinigung »Vieler« in einem Staat auszudehnende interpersonale Beziehung bezeichnet hat. Hier soll uns aber zunächst beschäftigen, wie sich die Liebe zum Entstehen der Unterschiede und Trennungen verhält. Diese Frage muß von den frühen Frankfurter Fragmenten her unterschiedlich beantwortet werden. 86 | kapitel i
Im Fragment über »Liebe und Religion« gibt es offenbar zwei Ursachen der Trennung: Schuld und Schicksal. Beide sind aber im Gegensatz zum späteren Text über den »Geist des Christentums« deutlich voneinander unterschieden: Schuld ist eine vorübergehende, vom Menschen verursachte Trennung, Schicksal dagegen eine »ewige Trennung« der »Natur«, die offenbar schlechthin unüberbrückbar ist (GW 2, 97). Liebe kann daher nur Vereinigung zwischen solchem stiften, das nicht durch Natur oder Schicksal »entgegengesetzt« ist, sondern wesensgleich – wie der Geliebte – und allenfalls durch Schuld vorübergehend getrennt. Schuld kann aber kaum die Ursache aller Unterschiede sein. Woher sie stammen und wie sich Liebe zu ihrem Entstehen verhält, bleibt in diesem Fragment offen. Im Fragment über »Die Liebe« gibt Hegel darauf eine Antwort, die offenbar beeinflußt ist von Hölderlin und Sinclair.51 Er bezeichnet hier die Reflexion als Ursache der Trennungen, genauer als Ursache der »Entwiklung« der Trennungen. Nach einem von Hegel wohl bei der späteren Überarbeitung eingefügten Satz ist das »bewußtlose, unentwikelte Einige« des Lebens, das von der Reflexion in Gegensätze aufgelöst wird, selber schon »unendliche Entgegensezung« (GW 2, 85). Das Leben erscheint demnach als Prozeß, in dem sich unbewußte Gegensätze durch Reflexion entfalten. Die Gegensätze der Reflexion werden vereinigt in der Liebe, in der das Leben seine Identität in den Gegensätzen »fühlt«. Insofern ist nach diesem Fragment in der Liebe »auch der Reflexion Genüge geleistet« (ebd.). Schon wenig später hat Hegel aber die Liebe nicht mehr für fähig gehalten, die Reflexion zu umfassen; vielmehr hat er die Religion als Einheit von Liebe und Reflexion verstanden (vgl. GW 2, 246 f.). Doch fragt sich zunächst, was es heißt, daß Liebe Einheit der Reflexion und des »bewußtlosen, unentwikelten Einigen« ist und insofern der Reflexion »Genüge« tut. Offenbar bedeutet es zum einen, daß Liebe die Gegensätze der Reflexion überwindet, ihnen »allen Charakter eines fremden raubt« (GW 2, 86), und daß in ihr das Leben, die Einheit der Gegensätze sich »reflektiert«, ein Selbstgefühl als Subjekt und Objekt der Vereinigung erlangt. Es bedeutet aber nicht, daß die Liebe selbst Gegensätze hervorbringt. Insofern unterscheidet sie sich von der Bewegung des Anerkennens, so wie Fichte sie konzipiert hatte: in dieser war das Moment des Sichtrennens, sich voneinander Unterscheidens bereits enthalten Das Prinzip der Anerkennung | 87
(s. o. S. 81). Aber bedeutet nicht die Reflexion des Lebens in der Liebe, daß in ihr auch Bewußtsein, und damit Distanz, Gegensatz entsteht? Die Frage, inwieweit in der Liebe Distanz, Bewußtsein des Anderen als unterschieden von mir – und damit auch Selbstbewußtsein – enthalten ist oder nur Verschmelzung der Individualität, der Unterschiede überhaupt, ist für die Analyse der Liebe als Vorstufe eines wesentlichen Moments der Anerkennung von großer Bedeutung. Sie ist aber im Hinblick auf die frühen Fragmente schwer zu beantworten. Betrachten wir zunächst das Verhältnis von Liebe und Reflexion in dem Fragment über die Liebe. Selbst wenn man den oben angeführten Zug der Liebe, möglichst viele Unterschiede in sich aufzunehmen, in Rechnung stellt, folgt daraus nicht, daß Liebe selbst Unterschiede setzt, noch daß sie Distanz zwischen Liebendem und Geliebtem hervorruft. Ferner ist Reflexion, in dem Sinne, in dem Hegel den Begriff gebraucht, nicht mit Bewußtsein identisch. Vor allem nicht mit dem individuellen Selbstbewußtsein: in der Reflexion verdoppelt und »fühlt« sich das Leben, aber nicht das Individuum. Leben ist nach Hegel aber sowohl die bewußtlose Einigkeit, wie der Prozeß der Trennung durch Reflexion und der Vereinigung im Selbstgefühl des Lebens. Was in der Liebe gefühlt wird, ist mithin die Wiedervereinigung von – im Grunde einigen – Getrennten. Das bedeutet aber, daß das Gemeinsame der Getrennten, nicht ihre Verschiedenheit, Individualität, gefühlt wird. Daß der Liebende im Anderen den »Gleichen« spürt, hatte schon Herder in seinem Aufsatz über Liebe und Selbstheit hervorgehoben.52 Hegel betont denselben Sachverhalt und schließt darum ausdrücklich Herrschaftsverhältnisse aus der Liebe aus.53 Liebe als ein Gefühl und Bewußtsein des Gleichen kann nicht Ursache von Unterschieden sein, und daher kann in der Liebe auch nicht, wie in der Anerkennung bei Fichte und später auch bei Hegel, das Bewußtsein von Individualität entstehen. Das geht auch aus Hegels oben erwähnter Analyse der Scham hervor, in der der nicht aufgehobene Rest von Individualität nur als Hindernis der Vereinigung empfunden wird. Hegel geht so weit, die liebende »Berührung« als Überwindung der in der »Anschauung« noch bestehenden Distanz zu interpretieren (GW 2, 86 ff.). In der Berührung steigert sich das Gefühl der Einheit bis zur »Bewußtlosigkeit« (GW 2, 90 f.). 88 | kapitel i
Es würde Hegel allerdings in völligen Gegensatz zu den Anstrengungen Herders, Schillers und Hölderlins bringen, die das Moment der »Selbstheit« in der Liebe zu bestimmen versuchten (Henrich 1971, 14 ff.), wenn er die Unterschiedenheit von Liebendem und Geliebtem ganz aufheben wollte. Zugleich enthielte die so bestimmte Liebe auch eine andere Gefahr: die der Unterwerfung des Geliebten unter den Selbstgenuß des Liebenden.54 Hegel hat darum bereits im Fragment über »Liebe und Religion« neben dem Moment der Verschmelzung das des Erhaltenseins der Andersheit des Geliebten herausgestellt: »der geliebte ist uns nicht entgegengesezt, er ist eins mit unserm Wesen; wir sehen nur uns in ihm – und dann ist er doch wieder nicht wir« (GW 2, 97). Aber er ist noch nicht so weit, dieses Verhältnis genauer bestimmen zu können; das zeigt der Schluß des Satzes: »– ein Wunder, das wir nicht zu faßen vermögen.« b) Vereinigung und Trennung im »Geist des Christentums« Auch in den Fragmenten zum »Geist des Christentums« behält die Liebe – als Beziehung der Individuen – diese Ambivalenz zwischen völliger Aufhebung aller Individualität und Unterschiedenheit und dem Geltenlassen der Andersheit des Geliebten. In seinen Erläuterungen zum Gebot der Nächstenliebe etwa betont Hegel, den Anderen »als dich selbst« lieben bedeute keineswegs, »ihn so sehr lieben als sich selbst; denn sich selbst lieben ist ein Wort ohne Sinn; sondern liebe ihn, als der du bist« (GW 2, 231). Offenbar muß die Liebe die Distanz zwischen Ich und Du, die Unaufgehobenheit des Du ins Ich aufrechterhalten, um Liebe zu sein. Dementsprechend ist das extreme Gegenteil zur Liebe nicht Haß – denn der Gehaßte »wird noch für Etwas gehalten, er gilt noch« und kann sogar noch »bewundert werden« – sondern das nicht Ernstnehmen des Anderen, das z. B. darin bestehen kann, »den andern für einen Narren zu erklären«; denn das bedeutet, daß er »der Vorstellung völlig unterjocht, als ein Nichts, bezeichnet« (GW 2, 162) wird. Auf der anderen Seite hat Hegel es auch im »Geist des Christentums« wieder als ein Wesensmoment der Liebe angesehen, daß sie im Geliebten nicht den Anderen, die vom Liebenden unterschiedene Individualität sieht, sondern daß in ihr »der Mensch sich Das Prinzip der Anerkennung | 89
selbst in einem andern wiedergefunden« hat. (GW 2, 282) Hegel hat nun sicherlich nicht die Aufgabe übersehen, beide gegensätzlichen Momente der Liebe zu vermitteln. Aber er neigt in den frühen Fragmenten Zeit dazu, diese Vermittlung als eine unbegreifliche Leistung des Phänomens der Liebe aufzufassen.55 Das Streben nach Vereinigung und der Verzicht auf die eigene Individualität sind in ihr ebenso enthalten wie das Sich-finden, das Selbstgefühl in der Vereinigung mit dem Anderen – und dieses wiederum schließt das Respektieren des Anderen als »Du« nicht aus. Erst in Jena hat Hegel sich einer genaueren begrifflichen Bestimmung des Verhältnisses dieser gegensätzlichen Momente zugewandt. Obgleich er auch zu dieser Zeit die paradoxen Eigenschaften der Liebe nicht abgestritten hat, kommt er doch zu dem Ergebnis, daß in der Liebe das Moment des Selbstverzichts dominiert und daß deshalb der Prozeß des SichBewußtwerdens im Anderen über die Liebe hinausgeht und eine neue Bewegung erfordert, die von der Selbstbehauptung, dem ausschließenden Fürsichsein ihren Ausgang nimmt. Eben dies ist der Kampf um Anerkennung. Hegel kennt aber auch in den Berner und Frankfurter Fragmenten bereits eine aus der Kollision der Individualitäten und ihrer Selbstbehauptung resultierende Bewegung der Trennung. Wir werden untersuchen müssen, inwieweit es sich dabei um eine Vorform des späteren Kampfes – als eines Moments der Anerkennungsbewegung – handelt, und ob Hegels frühe »Theorie« der interpersonalen Beziehung bereits das Moment einer ausschließenden Beziehung enthält. Zuvor aber muß ein weiteres Wesensmerkmal der Liebe erörtert werden, das auch noch der frühen Jenaer Anerkennungslehre eigentümlich ist und über den Begriff der Anerkennung bei Fichte hinausgeht. Liebe ist nämlich bei Hegel als Einheit von Besonderen, d. h. als »Harmonie« bestimmt. Harmonie ist für Hegel »keine Allgemeinheit; denn in der Harmonie ist das Besondre nicht widerstreitend, sondern einklingend« (GW 2, 231). Widerstreitend ist das Besondere dagegen für die Allgemeinheit eines Begriffs oder Gesetzes. Einheit mit solcher Allgemeinheit bedeutet daher Abstraktion vom Besonderen und Subsumtion des so Gleichgemachten unter ein Gedankending. Für den Bereich der Moral formuliert: durch Kampf des Allgemeinen mit dem Besonderen, durch »Knechtschaft der 90 | kapitel i
Sinnlichkeit, oder des Individuums« und »Herrschaft der Geseze« (GW 2, 208). Es soll hier nicht die gesamte Kritik Hegels an der Kantischen Sittenlehre, die für ihn in der Frankfurter Zeit in wesentlichen Punkten mit der jüdischen Gesetzesmoral übereinstimmt, wiederholt werden. Wichtig ist aber, daß für Hegel in der Liebe die Besonderheit der Individuen, und zwar durchaus im Sinne der natürlich-sinnlichen Besonderheit zur Geltung kommt. Liebe ist nicht, wie Anerkennung bei Fichte, ein Akt des reinen Bewußtseins. »Anerkennen« bedeutet für Fichte ja eine apriorische, notwendige Bewußtseinshandlung – sonst wäre der Rechtsbegriff kein Vernunftbegriff. Zum Bewußtsein zu bringen ist dieser Begriff freilich nur unter den kontingenten Bedingungen der »leibhaften« Konfrontation individueller Vernunftwesen. Obwohl Liebe nicht mit der sinnlichen Neigung identisch ist, ist sie doch mit ihr vereint: sie ist insofern »pathologisch, eine Neigung« (GW 2, 230). Ihr Gegenstand ist nicht der Andere als reines Vernunftwesen, denn ein »gedachtes kan kein geliebtes seyn« (ebd.). Hegel lehnt daher, wie schon Rousseau und Herder,56 die »allgemeine Menschenliebe« ab – zugunsten der »Liebe zu den Menschen, so wie jeder mit ihnen in Beziehung kommt« (GW 2, 229 f.)57. Für diese mit der Sinnlichkeit übereinstimmende Liebe bleibt daher nicht wie für das Sittengesetz »das Besondre, Triebe, Neigungen, pathologische Liebe, Sinnlichkeit … nothwendig und ewig ein fremdes, ein objektives« (GW 2, 152). Allerdings ist die Liebe, wie Hegel im Fragment über »Liebe« sagt, »nicht ein einzelnes Gefühl« (GW 2, 85), sie umfaßt vielmehr die »Mannichfaltigkeit der Gefühle« bzw. den »ganzen Menschen« (GW 2, 116) – ja insofern sich in ihr das Leben fühlt, umfaßt sie sogar das All des Lebens. Aber sie umfaßt und erfaßt solche Ganzheiten nur in der besonderen Vereinigung, in der Liebender und Geliebtes als Besondere »einklingen«. Die Frage, ob das Individuum als ein sinnlich Einzelnes in der Bewegung der Anerkennung repräsentiert und respektiert ist, wird bei der Behandlung der Jenaer Anerkennungslehre eine große Rolle spielen. Diese Bewegung der Anerkennung ist aber komplexer als die Liebe, wie Hegel sie in Bern und Frankfurt verstand. Sie enthält, wie bereits erwähnt, auch ein Moment des Sich-Ausschließens der Individuen. Findet sich auch für diese Form der Beziehungen in den frühen Fragmenten eine Vorstufe? Das Prinzip der Anerkennung | 91
Hegel behandelt die der Liebe entgegengesetzte Bewegung des Trennens der Einheit des Lebens in den viel diskutierten Passagen des »Geistes des Christentums« über Schuld und Schicksal. Er interpretiert dort das biblische Thema von Sünde und Vergebung (bzw. Gnade) im Lichte seines Verständnisses der griechischen und Shakespeareschen Tragödie. Demgemäß behandelt er zunächst den Mord als Ursache der Entzweiung des Lebens. Er dehnt aber den Vorgang der Trennung der Einheit des Lebens durch die Konfrontation der Individuen auf die Beleidigung, den Rechtsstreit und schließlich sogar den Verzicht auf die Selbstbehauptung, den Rückzug in die »Schönheit der Seele« (GW 2, 201) aus. Es geht Hegel in all diesen Fällen um die Analyse der Bedingungen, unter denen die Rückkehr aus der Entzweiung zur Vereinigung bzw. Versöhnung der Liebe möglich ist. Von Seiten des Täters setzt dies voraus, daß er seine Tat selbst als Zerstörung der Einheit des Lebens, d. h. als Selbstisolierung auffaßt. Dies kann nur dann geschehen, wenn er sich nicht dem Gesetz gegenüber sieht, sondern dem »Schicksal«, d. h. dem durch die eigene Tat zum Feind gewordenen Leben. In dem Bewußtsein, sich das Leben selbst verfeindet zu haben, die Gemeinschaft mit den Anderen selbst zerstört zu haben, ist nämlich schon die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der Einheit enthalten. Insofern das Bewußtsein der Feindlichkeit des Anderen zugleich das Bewußtsein der verlorenen, aber wiederherstellbaren Einheit mit ihm ist, finden sich in dieser »Dialektik«58 bereits Ansätze zur Konzeption einer Bewegung, die Einheit gerade durch die Beziehung des Gegensatzes herstellt. Wenn Hegel schreibt, die »Entgegensezung« sei die »Möglichkeit der Wiedervereinigung« (GW 2, 195 f.), dann meint er damit freilich nicht, daß die Zerstörung der Einheit des Lebens durch die Tat des Verbrechers notwendig wäre, sondern daß der Verbrecher das Resultat dieser Zerstörung als Entgegensetzung innerhalb des Lebens selbst fühlen muß, um zur Versöhnung zu gelangen. Das besagt keineswegs, daß der Kampf notwendig sei für die Anerkennung, für das Bewußtsein der Einheit der Individuen. Wie weit Hegel noch von der Jenaer Theorie des Kampfes entfernt ist, zeigen auch seine Erwägungen über die Reaktion des Angegriffenen: die Reaktion, die Versöhnung ermöglicht, ist nicht die Selbstbehauptung und damit der Kampf für eigene Rechte, sondern der bewußte 92 | kapitel i
Verzicht einer »edle[n] Natur« (GW 2, 202). Nach der Auffassung Hegels führt ein Rechtsstreit nämlich in einen Widerspruch, der Versöhnung unmöglich macht. Da durch die Verteidigung der Angreifer seinerseits verletzt wird, also ein Recht zur Verteidigung erhält, ist der Rechtsstreit ein Gegensatz zweier Rechte, d. h. es gibt »zwei Allgemeine«, die sich gegenseitig aufheben »und doch sind«. Der Kampf widerspricht aber auch der Einheit des Lebens: betrachtet man die Kämpfenden als »Wirkliche«, d. h. Momente des Lebens, dann ist im Rechtsstreit »Leben im Kampf mit Leben, welches sich wieder widerspricht« (GW 2, 200). Das Beharren auf dem Rechtsstandpunkt führt folglich zu einem unversöhnbaren Gegensatz – egal ob der Rechtsstreit durch »Gewalt und Stärke« oder durch Richterspruch entschieden wird.59 Aus diesem Grunde hat Hegel über die Tapferkeit, die sich wehrt, die edle Natur bzw. die schöne Seele gesetzt, die »über Rechtsverhältnisse erhaben« ist und auf alles, was Gegenstand einer »Verletzung« sein könnte, bewußt verzichtet. Diese Einstellung wird als Synthese von Tapferkeit und Passivität bestimmt, insofern sie nicht bloß schmerzliches Dulden, sondern aktiver Verzicht ist.60 Auch er kann aber nicht unter allen Umständen Entzweiung überwinden. In einer »entwürdigten Welt«, in der Gesetz und Recht alle Seiten des Lebens beherrschen, führt auch diese höchste Form von Liebes- und Versöhnungsbereitschaft zur Entzweiung des Lebens: der Verzicht auf alle Rechte entfernt die schöne Seele aus der Gemeinschaft mit den anderen – das Leben wird zwar nicht feindlich aber »untreu« (GW 2, 203). Liebe und Kampf sind also im »Geist des Christentums« noch nicht als zwei Momente eines Interaktionsprozesses gesehen, in dem sich Selbstbewußtsein durch Trennung und Vereinigung bildet. Die Trennung, die die Liebe zu überwinden sucht, kann verschiedene Ursachen haben: nicht nur den Konflikt um Rechte – der eine bestimmte historische Situation voraussetzt – sondern auch die Reflexion sowie generell die »Entwicklung« und Ausbildung von Individualität. Trotz des Fehlens einer der Liebe komplementären Bewegung der Trennung enthält aber der letzte Teil der Entwürfe – die kritische Darstellung des Schicksals der frühchristlichen Gemeinde – Hinweise darauf, daß Hegel zumindest für das Zusammenleben der Das Prinzip der Anerkennung | 93
Individuen in großen Gemeinschaften eine Beziehung der Distanz neben derjenigen der Liebe für unumgänglich gehalten hat. Die für dieses Thema entscheidenden Fragen formuliert er folgendermaßen: »Gibt es eine schönere Idee, als ein Volk von Menschen, die durch Liebe aufeinander bezogen sind? … Sollte in dieser Idee noch eine Unvollständigkeit seyn, daß ein Schiksal Macht in ihr hätte? oder wäre diß Schiksal die Nemesis, die gegen ein zu schönes Streben, gegen ein Überspringen der Natur wüthete?« (GW 2, 282). Obgleich die darauf folgenden Ausführungen über die frühchristliche Gemeinde diese Fragen nicht mit derselben Klarheit beantworten, scheint Hegel die letzte Frage zu bejahen. Die Liebe, das Prinzip dieser Gemeinde, ist auf die Dauer nur realisierbar in einem kleinen Kreis Gleichgesinnter. Sie schließt die »Verbindung in einem objektiven, zu einem Zwek, einer Entwiklung einer andern Seite des Lebens« – außer dem gemeinsamen Glauben und seiner Verkündigung – aus (GW 2, 284). Das Prinzip einer »Verbindung vieler« ist dagegen die Bewältigung »gleicher Noth«, die einen solchen objektiven Zweck für gemeinsame Handlungen darstellt. Der in ihnen sich bildende Geist kann sich dann in »Spielen« und kultischen Handlungen darstellen und ›genießen‹. Es scheint, daß Hegel an dieser Stelle wiederum das griechische Gemeinwesen und seine Volksreligion der frühchristlichen Gemeinde gegenüberstellt (vgl. auch GW 2, 301 f.). Wie die Beziehung der Individuen in diesem Gemeinwesen im Unterschied zur Liebe der Jünger Jesu bestimmt ist, wird allerdings nicht ganz klar. Was verhindert, daß in ihm die »Individualitäten gegen einander [zu] stossen« (GW 2, 284) wie in der christlichen Gemeinde, wenn sie ihren engen Kreis überschreitet? Ist es in ihr möglich, daß die Individuen »die ruhigen Grenzen ihrer Trennung stekken und bewahren« (GW 2, 260)? Das würde bedeuten, daß Hegel dem Recht, dem gegenseitigen Respektieren der »Grenzen«, eine positive Bedeutung für das Bestehen eines Gemeinwesens zugedacht hätte. Hegel leugnet in der Tat nicht, daß es in der griechischen Polis Gesetz und Recht gegeben hat, auch wenn in ihr nicht wie im jüdischen Staat das gesamte Leben reglementiert und von einem »Gewebe« (GW 2, 260) gesetzlicher Bestimmungen durchzogen war. Vielmehr war der »grosse Zwek« der athenischen Gesetzgebung »Freiheit der Bürger« (GW 2, 64). Im »Geist des Christentums« ist 94 | kapitel i
Hegel freilich zu sehr von der Kritik an Gesetz und Recht als alleinigem Prinzip einer Gemeinschaft – wie nach seiner Sicht im jüdischen Staat und der allein auf den Schutz des Eigentums ausgerichteten modernen Gesellschaft61 – in Anspruch genommen, um das Recht als Bedingung der Freiheit bestimmen zu können. Dem Recht eine positive, wenn auch der absoluten Sittlichkeit untergeordnete Stelle einzuräumen, wie in der Jenaer Geistphilosophie, dazu ist Hegel – zumindest explizit – noch nicht bereit. Denn das Recht ist für ihn noch nicht, wie in Jena, selbst Bewegung des Anerkennens, die ein Moment des Sichvereinigens bzw. der Liebe enthält. Liebe und Recht erscheinen ihm noch als unversöhnbare Gegensätze – als Prinzip der Beziehungen in einem Gemeinwesen aber sind beide unzureichend. Auf Recht allein kann sich nur ein mechanischer, den Menschen zum Automaten (vgl. GW 2, 223) degradierender Staat gründen – auf Liebe allein nur eine wirklichkeitsferne Sekte. Aus der Beschränkung der Liebe auf eine kleine homogene Gemeinschaft folgert Hegel keineswegs – wie etwa Rousseau – den Vorzug kleiner Gemeinwesen, sondern sieht darin eine Schwäche der Liebe als Integrationsprinzip: ihr Resultat ist Weltflucht, Abkapselung – insofern sie zum Selbstgenuß sogar »Feindschaften erschaft« (GW 2, 283) – oder das Gegenteil, »Fanatismus« durch die »widernatürliche Ausdehnung des Umfangs der Liebe« (GW 2, 285). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Hegel offenbar in den Texten über den »Geist des Christentums« ebensowenig wie in den Berner und Frankfurter Fragmenten eine der Liebe entsprechende, ebenso notwendige und mit ihr vermittelbare Tätigkeit des Sichunterscheidens der Individuen konzipiert hat. Zwar setzt die Liebe Trennung voraus, ist sie definiert als eine vereinigende Bewegung, die Trennung, Isolation und Entgegensetzung überwindet, aber diese Trennung kann durch Entwicklung der Individualität, durch Bildung und Reflexion entstehen. Ob es zwischen »entwickelten« Individualitäten notwendig zum Konflikt kommen muß – was in der Bildungsgeschichte des Bewußtseins in den Jenaer Schriften der Fall ist – läßt Hegel im Grunde offen. Wird der Konflikt zum Streit um Rechte, in dem der Rechtsstandpunkt alleiniger Maßstab des Handelns wird, dann ist Versöhnung unmöglich. Daß Versöhnung ein Aufgeben des Rechtsstandpunktes voraussetzt, muß aber nicht bedeuten, daß im Recht als wechselseitiger Selbstbeschränkung Das Prinzip der Anerkennung | 95
nicht ein positives Moment der interpersonalen Beziehung liegen kann. Eben dies scheint Hegels Kritik der frühchristlichen Gemeinde am Maßstab der Polis anzudeuten. Jedenfalls wird in ihr das Unzureichende der Liebe als Prinzip eines Gemeinwesens deutlich und das uneingeschränkte Primat der Liebe über das Recht fraglich. Betrachtet man Hegels Bestimmung der Liebe und der verschiedenen Formen der Entzweiung im »Geist des Christentums« als Vorformen seiner Jenaer Anerkennungslehre, so zeigt sich, daß Hegel die Einheit der Selbstunterscheidung und der Vereinigung für den Bildungsprozeß des Selbst noch nicht gesehen hat. Daß das Bewußtsein meiner als unterschieden von Anderen und als eins mit ihnen, als Moment eines allgemeinen Selbst, sich wechselseitig bedingen, ist noch nicht Bestandteil von Hegels »Intersubjektivitätstheorie«. Insofern bleibt er sogar hinter Fichtes Theorie der Anerkennung zurück. Er geht aber zugleich durch die Aufhebung des Gegensatzes von reinem Bewußtsein und empirischer Individualität über Fichte hinaus. Liebe ist eine vereinigende, Isolierung aufhebende Bewegung, in der der Einzelne auch als sinnlich-natürliches Wesen zur Geltung kommt – mit den Worten des Jenaer Hegel: anerkannt wird.62 3. Die Theorie der Anerkennung in den Jenaer Schriften Im Folgenden soll dargestellt werden, was Hegel in den Schriften der Jenaer Zeit unter Anerkennung verstanden hat. Erst danach können wir die Bedeutung der Theorie der Anerkennung für die Methode der praktischen Philosophie Hegels in Jena erörtern. Wir werden dabei zu zeigen versuchen, daß Hegel in Jena mit Hilfe der Anerkennungslehre die klassische praktische Philosophie erneuert und eine Methode der Kritik von Institutionen durch die Erfahrung des Bewußtseins entwickelt, die für die Lösung gegenwärtiger Probleme der praktischen Philosophie fruchtbar gemacht werden könnte. Wie Hegels gesamte Philosophie so ist auch seine Anerkennungslehre in der Jenaer Zeit in einer ständigen Entwicklung begriffen. Obgleich diese Entwicklung für das Verständnis seiner »reifen« Anerkennungslehre in der Geistphilosophie von 1805/1806 96 | kapitel i
und der Phänomenologie von Wichtigkeit ist, können wir hier nicht alle Phasen dieser Entwicklung im einzelnen darstellen. Wir fassen vielmehr die Texte vor der Phänomenologie zusammen und orientieren uns dabei an der »entwickelten« Form der Anerkennungslehre in der Geistphilosophie von 1805/1806. Von dieser ausgehend, muß man zwei Stufen des Prozesses der Anerkennung unterscheiden: einmal die Anerkennung als Wechselbeziehung zwischen Individuen und zum anderen das Anerkennungsverhältnis zwischen Einzel- und Allgemeinwillen, »gebildetem« Selbst, das seine Exklusivität bereits überwunden hat, und Volksgeist. Der Übergang von der ersten zur zweiten Stufe verdient besonderes Interesse unter dem Aspekt der Frage, ob der Schritt vom Ich zum Wir bei Hegel allein durch eine Zweierbeziehung hergestellt wird oder – wie in der Gegenwartsphilosophie etwa Sartre zu zeigen versuchte (s. u. S. 77 ff.) – einen »Dritten« voraussetzt. Eine solche Teilung der Anerkennungsbewegung in zwei Hauptstufen – die ich auch in der Phänomenologie nachzuweisen versuche – ist sicher nicht unproblematisch. Auch die zweite Phase – so wie sie etwa im Kapitel »Wirklicher Geist« der Geistphilosophie von 1805/1806 behandelt wird – enthält offenbar noch »interpersonale« Prozesse wie Tauschbeziehungen oder das Verbrechen, insoweit es als Kampf verstanden wird.63 Es wird sich aber zeigen, daß es sich dabei – gleichsam hinter der Fassade von Zweierbeziehungen – um Entwicklungen im Verhältnis von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein handelt. Umgekehrt geht es auch auf der ersten Stufe schon um ein Verhältnis von Einzelheit und Allgemeinheit64 – aber hier bedeutet Anerkennung in erster Linie das sich Anschauen im anderen, einzelnen Bewußtsein. In diesem Anschauen erfahren die Individuen erst ihre Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen, allgemeinen Bewußtsein bzw. Willen. a) Die erste Stufe: Anerkennung als Synthese von Liebe und Kampf In der Geistphilosophie (1805/1806) bildet sich das »Anerkanntsein« der »Person«65 im allgemeinen Willen durch zwei »Schlüsse«, die Liebe als »Anerkanntsein ohne Gegensatz des Willens« (218) und Das Prinzip der Anerkennung | 97
den Kampf als »Anerkennen« der Subjekte als »freies Selbst« (221).66 »Liebe« hat in der Jenaer Zeit nicht mehr die zentrale Bedeutung der Berner und Frankfurter Schriften – sie wird von Hegel nicht mehr als die universale Macht der Vereinigung betrachtet, sondern eingeschränkt auf die vereinigende Beziehung zwischen Subjekten, die in der Familie institutionalisiert ist. Entwicklungsgeschichtlich gesehen hat Hegel dieses Element der ersten Anerkennungsphase zuerst konzipiert: im System der Sittlichkeit ist die Familie, die höchste Potenz der natürlichen Sittlichkeit, das gegenseitige Anerkennen der Individuen in und trotz ihrer »natürlichen Differenz« und den darauf aufbauenden Arbeits- und Herrschaftsverhältnissen67. Hegel hat freilich in dieser Erörterung noch nicht ausdrücklich die der Familie zugrunde liegende Beziehung der Einheit als »Liebe« bezeichnet. Das »natürliche Einssein des Mannes, des Weibes und des Kindes …, worin der Gegensatz der Persönlichkeit und des Subjekts aufhört,« (36) muß aber als Vorform dessen betrachtet werden, was in der Geistphilosophie als Liebe bestimmt wird.68 Das zweite Element, das Anerkennen mit Gegensatz des Willens, ist im System der Sittlichkeit ebenfalls schon angedeutet: einerseits im Anerkennen der Person als »Möglichkeit, das Gegenteil seiner selbst in bezug auf eine Bestimmtheit zu sein« (ebd.), zum anderen als Formen des Kampfes im zweiten Teil des Systems – ohne daß Hegel diese Phänomene schon als Moment der Bewegung des Anerkennens begriffen hätte (Siep 1974, 167 ff.). Das ändert sich im Systementwurf von 1803/1804, in dem der Zweikampf, die Beziehung zweier fürsichseiender, einander ausschließender Einzelner, zum entscheidenden Moment der »dualen« Anerkennungsbewegung geworden ist. α) Liebe Was ist unter der »gegensatzlosen« Anerkennung der »Familiengesinnung« bzw. der Liebe zu verstehen? Die folgenden vier Grundzüge der Liebe in den Jenaer Schriften müssen festgehalten werden: a) sie ist eine bewußte Einheit von Subjekten, b) sie ist eine Einheit, deren Glieder ihre Selbständigkeit in dieser Beziehung (der Liebe) aufgeben, d. h. eine gegensatzlose Einheit; c) sie ist eine Beziehung 98 | kapitel i
zwischen »ungebildeten«, natürlichen Individuen – und schließlich d) ist sie, vor allem nach der Geistphilosophie von 1805/1806, eine Einheit von Fürsichsein und Sein für Anderes, von Selbst und »Gegenständlichkeit« (209). a) Hegel handelt von der Liebe im natürlichen Sinne des Geschlechtsverhältnisses – das unterscheidet, wie gesagt, die Jenaer von den Berner und Frankfurter Schriften. Gleichwohl macht die Liebe diese Beziehung zu einer »idealen« (GW 6, 302), ihre Einheit besteht nicht im »Genuß«, sondern in dem Bewußtsein beider, das hier die »Existenz« der Liebenden ausmacht. Das gilt auch für die Geistphilosophie von 1805/1806, wenngleich Hegel dort bei den »Momenten« (GW 8, 213) der Familie zwischen der »natürlichen« und der »selbstbewußten Liebe« unterscheidet. Thema der Erörterung der Liebe ist trotz anscheinend primär »körperlicher« Phänomene wie »Reiz« und »Erregung« die Liebe als »Erkennen« oder Anschauen. Erkennen aber bedeutet, das Selbst im Anderen wiederfinden. Dieses Sich-Anschauen im Anderen, das der Anfang der Anerkennungsbewegung ist, bedeutet zweierlei: zum einen das Außersichsein, die Abhängigkeit des eigenen Bewußtseins vom Geliebten – zum anderen das Anerkanntsein in der Liebe des Anderen. Das letztere ist nach der Geistphilosophie von 1805/06 schon Resultat einer Erfahrung: »Jedes weiß unmittelbar sich im Anderen und die Bewegung ist nur die Verkehrung, wodurch Jedes erfährt, daß das Andre sich ebenso in seinem Andern weiß.« (210) Daher finde ich mich im Anderen nicht nur durch meine Erregung, die bedeutet »sein Wesen im Anderen zu haben«, sondern auch durch das Wissen, daß ich selbst es bin, in dem der Andere sein Wesen hat. Zudem erfahre ich die Gleichheit meiner und des Anderen hinsichtlich des Außersichseins. Auf diese Weise bezieht sich jeder im Anderen auf sein eigenes, allein durch diese Beziehung bestimmtes Wesen: die »Beziehung selbst« wird das »Seyn beyder« (GW 6, 302 f.), sie sind (und wissen sich als) wesentlich »Geliebte«. b) Diese Einheit ist, wie schon in Hegels früherer Konzeption der Liebe, gegensatzlos. Nach der Geistphilosophie von 1805/06 ist es das Wesentliche der Liebe, »daß eben Jedes dadurch, daß es sich im Andern weiß, sich aufhebt, als für sich seyend, als verschieden, seine Selbständigkeit aufgibt« (210). Die Selbständigkeit, die hier aufgegeben wird, ist die der Unterschiedenheit vom Anderen – nicht die Das Prinzip der Anerkennung | 99
des Selbstbewußtseins schlechthin, denn Liebe und Geliebtwerden ist auch eine Selbsterfahrung. So bezeichnet Hegel schon im Entwurf von 1803/1804 die Liebe als Einssein »in dem absoluten für sich seyn beyder« (GW 6, 302). Das ist kein Gegensatz zu der späteren Stelle, denn auch in diesem Einssein sind die Unterschiede aufgehoben, insofern das gemeinsame Bewußtsein der Liebe zum austauschbaren Bewußtsein eines jeden der beiden geworden ist (ebd.). Liebe ist eine Steigerung des »Fürsichseins« im Sinne der Bewußtheit durch »Verzicht« (GW 8, 209) auf das Fürsichsein im Sinne der Unterschiedenheit vom Anderen. Verlorenheit im Anderen ist zugleich Selbstanschauung in dessen Liebe – aber als mit ihm eins, »ohne Gegensatz des Willens« (GW 8, 218). c) Ist in der Liebe dann nicht die Unterschiedenheit und Selbständigkeit des »Du« aufgegeben, an denen Hegel selbst in den Berner und Frankfurter Schriften festhielt? Ist in ihr dann überhaupt »Individualität« anerkannt? Nun heißt es ausdrücklich von der Liebe, daß in ihr die Individuen »nach der Totalität, in der sie der Natur angehören« (GW 6, 302) bzw. als »ungebildetes natürliches Selbst« (GW 8, 210) anerkannt seien.69 Dazu aber gehören offenbar die Charakteristika, durch die sich ein Individuum vom anderen unterscheidet. Die Aufgabe der Selbständigkeit in der Liebe kann mithin keine Negation der individuellen Eigenart sein – sie ist im Sinne Hegels noch keine »Bildung«, sondern nur Verzicht auf das sich für sich Behalten-, sein Wesen in sich selbst FindenWollen. Daß die natürliche Individualität in der Liebe anerkannt ist, bedeutet aber mehr: sie ist selber Gegenstand der Liebe, macht die Liebenswürdigkeit des Geliebten aus. Insofern muß sich in der Liebe tatsächlich jeder in seiner »unvertretbaren Individualität«70 darstellen können. Das Sich-Anschauen im Anderen bedeutet unter diesem Aspekt: sich gerade von dieser natürlichen Individualität des Anderen eingenommen wissen – und umgekehrt die eigene Individualität als wesentlich für den Anderen wissen. Das heißt aber wiederum nicht, daß die eigene Individualität in der Abhebung vom Anderen zum Bewußtsein käme und zur Geltung gebracht würde. Was vielmehr dem Bewußtsein »Gegenstand« wird, ist »nur diß Seyn im Anderen« (GW 8, 210). d) Darin ist aber nach Auffassung der Geistphilosophie von 1805/1806 bereits eine Einheit von Selbst und Gegenstand, Für100 | kapitel i
sichsein und Sein für Anderes erreicht. Der meinem Bewußtsein zunächst als »Seyendes« (208) gegenüberstehende Andere erweist sich ja, wie oben unter a) gezeigt, als mir nicht fremd, sondern konstitutiv für mein Selbst und wesensgleich. Daher ist der Selbstverlust im Anderen zugleich ein Sich-Finden im Anderen als Selbst. In der Liebe heben sich die Unterschiede des Fürsich- und Füranderesseins auf. Hegel zeigt dies detailliert an den beiden aufeinander bezogenen »Charakteren« des Männlichen – Trieb, Tätigkeit nach außen, Einzelheit – und Weiblichen – List, Insichsein, Wissen, Allgemeinheit. In der wechselseitigen Erregung wird beides austauschbar: das Sich-Wissen ist Außersichsein, Sein für Anderes, und die Tätigkeit nach außen ist Finden seiner selbst. So ist jedes darin »dem andern gleich, worin ihm entgegengesetzt« (209). Weil sich in ihr das selbstlose Für-anderes-Sein, die Gegenständlichkeit als Selbst erweist, ist die Liebe ein »Erkennen«.71 Wird dieses Erkennen zum Sich-Wissen im Anderen als selbständiges, unterschiedenes Fürsichsein, dann wird das Erkennen erst im vollen Sinne zum »Anerkennen«. Dazu ist aber ein sich Wiederfinden als unterschiedenes Selbst nötig. Wie kann es zum »Rückzug« des Ich auf sich selbst aus seiner Selbstverlorenheit in der Einheit der Liebe kommen? Dies ist ja Voraussetzung einer Konfrontation zweier Selbständiger, die gerade ihre Unterschiedenheit vom Anderen diesem gegenüber zur Geltung bringen wollen – wie das im Kampf um Anerkennung der Fall ist. Den Übergang von der Liebe zum Kampf macht Hegel in den beiden Entwürfen von 1803/1804 und 1805/1806 über die Familie – genauer die übrigen Momente der Familie, denn die Liebe ist deren erstes und entscheidendes Moment. Dieser Übergang ist deshalb von besonderem Interesse, weil Hegel ein »Drittes« einführt, in dem die Einheit der beiden sich selbst anschauen kann. Für die Frage, ob die Bildung des gemeinsamen Bewußtseins bei Hegel allein über eine Zweierbeziehung erfolgt oder einen Dritten benötigt, können wir hier eine erste Antwort erwarten. Ein solches Drittes ist für Hegel im Systementwurf vor 1803/1804 das Kind, in der Geistphilosophie von 1805/06 der Familienbesitz und das Kind. Der Familienbesitz vergegenständlicht freilich nur Momente der Liebe: das Sein für Anderes als »gegenseitige Dienstleistung« (GW 8, 211) und die im Verschwinden der momentanen BeziehunDas Prinzip der Anerkennung | 101
gen von Erregung und »Befriedigung« bleibende Allgemeinheit des »abstracten Seyns« (212 R). Als »Wirklichkeit, Selbst, Fürsichsein« (ebd.) vergegenständlicht sich die Liebe erst im Kind. In ihm wird sie als »selbstbewußte Einheit« (212) anschaubar. An der ElternKind-Beziehung ist für den Übergang von der Liebe zum Kampf Folgendes wichtig: a) daß das Selbstbewußtsein sich in einem anderen Fürsichsein anschaut, das sich nicht selber aufgibt, sondern Selbständigkeit zu gewinnen trachtet, b) daß der Gegensatz zwischen Selbst und Gegenständlichkeit zu einer höheren, bewußteren Synthese gebracht wird. Beides zusammen (a, b) macht die Familienbeziehung zu einem »in sich geschlossenen Ganzen« (GW 8, 213) bzw. zu einer »Totalität« des einzelnen Bewußtseins (GW 6, 306).
a) Hegel faßt in beiden Entwürfen Zeugung und Erziehung des Kindes als »Tod« der Eltern auf. Im Text von 1803/1804 steht dahinter vor allem die naturphilosophische Deutung des Gattungsprozesses. Schon im Gattungsprozeß des Tieres trat den Eltern im Kind die Gattung selbst und das eigene »Vernichtetseyn in ihr« (GW 6, 243) gegenüber. Der Zeugungsprozeß ist insofern sowohl Aufhebung wie Neugestaltung der Individualität. Dieses Sich-Bilden der neuen Individualität auf Kosten der alten ist aber auch das Wesentliche des Erziehungsprozesses: das Kind übernimmt gewissermaßen das Bewußtsein der Eltern als »Materie« (GW 6, 304), aus der es sein eigenes Bewußtsein bildet, indem es in der Auseinandersetzung mit der äußeren Welt – und im bildenden »Dienst« an der Familie – diese Materie umformt, sich aneignet. Dieses Aneignen ist eine Negation des elterlichen Bewußtseins.72 Darum schauen die Eltern im Kind zugleich ihr eigenes Bewußtsein und das Sich-Bilden eines selbständigen Fürsichseins durch Negation ihres Bewußtseins an. Eine Negation freilich, die noch in den Grenzen liebender Anerkennung bleibt – sonst könnte sich diese nicht mehr im Kind vergegenständlichen und zum sich selbst wissenden Anerkennen werden (vgl. GW 8, 213). Zu einem wirklichen »Gegensatz des Willens« kommt es erst im Kampf. b) Im Kind sehen nicht nur die Eltern ihr gemeinsames Selbst vergegenständlicht und zum Anderssein geworden – auch dem Kind ist die Gegenständlichkeit primär »geistige Substanz«, vom 102 | kapitel i
Bewußtsein der Eltern geprägte, gedeutete Welt, »durchgegangen durch die Form des Bewußtseyns« (VI, 305). Was an ihr noch fremd ist, eignet sich das Kind durch Erfahrung und den bildenden Dienst in der Familie an, macht es zum »Seinigen« (GW 8, 213 R). Auf diese Weise fällt der Gegensatz zwischen dem »tätigen« Selbst und der »nicht bewußten Seite«, der Seite des Gegenstandes, hinweg, das Bewußtsein erfaßt sich als »Identität des innern und äußern« (GW 6, 305). Sowohl das Bewußtsein der Eltern – in ihrer Beziehung auf das Kind und auf den Familienbesitz – wie das des Kindes ist damit zur »Totalität« bzw. zu einem »Ganzen« geworden. Erst diese Beziehung eines Fürsichseins, das sich als Einheit von Selbst und Gegenstand weiß, auf ein anderes, ebensolches Fürsichsein, macht es zu einem »selbstbewußten Fürsichsein« bzw. zu einer »vollständigen freyen Individualität« (GW 8, 213). Damit aber sind in der »Innenbeziehung« der Familie schon Momente der Beziehung selbständiger Totalitäten verwirklicht, die nach Hegel notwendig »Kampf« sein muß. Die Eltern-Kind-Beziehung ist deshalb bei Hegel so schwer zu bestimmen, weil sie in diesem Übergang steht: als Familienbeziehung ist sie von der gegensatzlosen Anerkennung der Liebe bestimmt, in Zuneigung und Dienst des Kindes wissen sich die Eltern selbst anerkannt. Aber die Erziehung und das Selbständigwerden des Kindes ist als Negation des Bewußtseins der Eltern bereits ein »Aufheben der Liebe« (ebd.). Beides muß sich offenbar die Waage halten, damit es zum Bewußtsein der Totalität kommt, die sich dann aktiv nach außen abgrenzt.73 Wie steht es nun mit der Problematik der Zweier- bzw. Dreierbeziehung? Wir können der Familienbeziehung dazu nur erste Hinweise entnehmen, da sie noch nicht den Übergang vom einzelnen zum allgemeinen Bewußtsein darstellt. Daß für Hegel der »Dritte« notwendig für das Bewußtwerden der Einheit zweier selbstbewußter Wesen ist, läßt sich nicht bestreiten. Die Frage ist aber, ob die Eltern-Kind-Beziehung eine wirkliche Dreierbeziehung ist, oder ob die Eltern dem Kind als ein einziges Subjekt gegenübertreten. Hat Hegel wirklich zum Thema gemacht, wie sich eine Zweierbeziehung durch das Hinzukommen eines Dritten verändert? Was bedeutet die Beziehung auf das Kind für die Beziehung der Eltern untereinander? Die Beziehung auf den Dritten macht zum einen die in der Zweierbeziehung erreichte Einheit ihren Subjekten erst Das Prinzip der Anerkennung | 103
voll bewußt – sie werden damit erst angesichts des »Reflexes« in einem Dritten zum »Wir«. Zum anderen stellt sie eine neue Stufe solcher Zweierbeziehungen dar, weil das Kind seine Selbständigkeit nicht – wie die Eltern in der Liebe – aufgibt. Hegel hat aber in der späten Jenaer Geistphilosophie betont, daß die Beziehung der Liebe als Geschlechtsverhältnis und die Eltern-Kind-Beziehung als Momente in der Familie gleichsam »nebeneinander« bestehen (213). Erst durch beide Beziehungen zusammen wird das Subjekt zum selbstbewußten Fürsichsein. Insofern ist die Familie zum einen die Anschauung der Zweierbeziehung in einem Dritten und zum anderen die Einheit zweier verschiedener Zweierbeziehungen. Die Beziehung der Eltern untereinander wird also durch die Beziehung eines jeden auf das Kind nur hinsichtlich der Art des Bewußtseins ihrer Einheit verändert. Dadurch entsteht zwar das Bewußtsein der Einheit zweier selbstbewußter Individuen, aber noch nicht dasjenige einer Einheit Selbständiger im allgemeinen Bewußtsein. Dazu kommt es erst durch die Bewegung des Kampfes um Anerkennung. β) Kampf Die verschiedenen Fassungen des Kampfes um Anerkennung habe ich an anderer Stelle ausführlich erörtert, um nachzuweisen, daß das Modell dieses Kampfes der Zweikampf um Ehre ist.74 Ein solcher Kampf kann freilich, wie Hegel seit dem Entwurf von 1803/1804 annimmt, durch Besitzkonflikte ausgelöst sein. Wichtiger als Modell und »Auslöser« des Kampfes ist aber für das »Prinzip« Anerkennung die Tatsache, daß nach Hegel die Bildung eines einzelnen und des gemeinsamen Bewußtseins nicht durch die gegensatzlose Beziehung der Liebe und die unmittelbare »Solidarität« der Familie zustande kommen kann, sondern ein Moment der Distanz, des Geltendmachens der Selbständigkeit und Unterschiedenheit des Einzelnen voraussetzt. Im Kampf um Anerkennung wird dieses Moment der Distanz radikalisiert; die Einzelheit, die sich als Ganzes weiß und ihre »Identität« durch den Ausschluß jedes Anderen aus ihrer Totalität gleichsam »definiert«, setzt sich absolut. Nach dem Systementwurf von 1803/1804 besteht die Totalität des einzelnen Bewußtseins darin, daß »jede Einzelheit seines Besitzes und sei104 | kapitel i
nes Seyns« in die »Idealität« seines Fürsichseins aufgenommen ist (GW 6, 307 f.). Nicht mehr in der Gleichgültigkeit gegen jede seiner »Bestimmtheiten« – nach dem System der Sittlichkeit Ausdruck der Totalität der Person – sondern in der Fähigkeit, sich mit jeder seiner Bestimmtheiten ganz identifizieren zu können, liegt das Wesen des Subjekts. Diese Totalität muß aber – das ist die fundamentale Voraussetzung der Theorie der Anerkennung – vom Anderen bestätigt werden. Das kann nur in einem Konflikt um eine solche einzelne Bestimmtheit geschehen, deren »Verletzung … unendlich« bzw. »absolute Beleidigung« ist (GW 6, 308). Die Frage, ob diese Beleidigung durch eine bewußte Negation der Anerkennung der Personen zustande kommt, wie im System der Sittlichkeit, durch Besitzverletzung, wie im Systementwurf (1803/1804), oder durch Besitzergreifung und die damit verbundene Ausschließung, wie in den Manuskripten von 1805/06, ist dabei in unserem Zusammenhang von sekundärer Bedeutung. Das Bewußtsein ist »absolutes Fürsichsein«, und es muß durch seine Tätigkeit, die immer den Charakter des Negierens und Entgegensetzens hat (vgl. GW 6, 308 f.), in Gegensatz zu einem anderen Fürsichsein geraten: »sie müssen daher einander verletzen« (ebd.). Die »Bewegung« des Kampfes um Anerkennung beginnt – jedenfalls nach diesem Entwurf der Geistphilosophie – auf der Seite des »Ausgeschlossenen« – ausgeschlossen durch den Ausschließlichkeitsanspruch des Anderen auf seinen Besitz. »Für sich seyend« ist das Bewußtsein zunächst, weil es »für den anderen nicht ist« (GW 8, 219), also quasi auf sich zurückgeworfen ist. Um anerkannt zu werden, dem Anderen positiv zu gelten, muß es sein Fürsichsein »in das Fürsichseyn des andern« setzen. Dadurch aber ist die Verteidigung des Ausgeschlossenen eine Steigerung des Kampfes: ihm geht es von vornherein um das Bewußtsein des Anderen – nicht um das »Ausschließen aus dem Sein«, sondern um ein »Ausschließen des Wissens« (219). Die Erfahrung des Kampfes beginnt also für den ersten Besitznehmer nicht nur mit dem Abgestoßensein vom Anderen, sondern damit, daß »ein Fremdes für sich seyn … sich in das seinige gesetzt« hat (220). Also mit einer Beleidigung, einer Demütigung – einem Angriff auf das eigene Selbstgefühl. Ziel des Kampfes ist, sich im Anderen nicht als aufgehoben zu wissen, sondern »ihm als absolut zu gelten« (ebd.). Was die Weise Das Prinzip der Anerkennung | 105
dieser Selbstdarstellung »als absolut« im Kampf angeht, differieren die beiden Manuskripte von 1803/1804 und 1805/1806 allerdings erheblich: nach dem früheren Text geht es darum, in der Behauptung der »Einzelheit meines Seins und meines Besitzes« sich zugleich als eine »Totalität des Ausschließens« zu erweisen. Ein totales Ausschließen muß auf den Tod des Anderen gehen und sich dabei »selbst dem Tode aussetzen« (GW 6, 310). Dies aber ist der Widerspruch, am Besitz festhalten zu wollen und zugleich »die Möglichkeit alles Besitzes und Genusses, das Leben« aufs Spiel zu setzen (ebd.). Nach den Texten von 1805/06 dagegen bedeutet das Sich-als-absolut-Darstellen nicht, Besitz und »Sein« zu behaupten, sondern zu zeigen, daß das »Sein die reine Bedeutung des Wissens von sich hat« – und dies ist nur möglich durch das »durch sich vollbrachte Aufheben des Daseyns … durch sich selbst« (GW 8, 220). Daher bezeichnet Hegel in diesem Text die eigentliche Intention des Kampfes geradezu als »Selbstmord« (ebd.). Der Grund für diese Differenz liegt in der »inneren Systematik« dieses Systementwurfes, der den »wirklichen Geist« als Einheit von Intelligenz und Wille entwickelt. Die Differenz beider, die zunächst als eine solche von Trieb, Tätigkeit nach außen, und List, in sich bleibendem »Zusehen«, erscheint, wird – wie oben (S. 101) erwähnt – in der Liebe zu einer ersten Einheit gebracht. Außersichsein und Sich-Finden im Anderen, Selbstbezug also, erwiesen sich ja als ununterscheidbar. Hier im Kampf wird der Wille selbst zum Wissen, indem er sich auf sich selbst richtet, das »Aufgehobenseyn« durch die Verletzung von seiten des Anderen in Selbstaufhebung verwandelt. Er ist aber nicht nur »in sich … reflectirter«, wissender Wille, sondern auch nach außen gerichtet, weiß den »andern als reines Selbst«, insofern er ebenfalls absoluter, sein eigenes »äußerliches Daseyn« aufhebender Wille ist: »es ist ein Wissen des Willens, und daß der Wille eines jeden wissender ist« (alle 221). Die Beziehung auf den Anderen ist damit kein Ausschließen mehr, sondern ein Wissen der Identität der sich auf sich beziehenden Willen in ihrer »Reinheit«. Dies ist die unmittelbare Form des allgemeinen Willens, die nach der Geistphilosophie von 1805/06 zu erreichen ist ohne die radikale Zuspitzung des Kampfes, das einander Töten.75 Das Resultat des Kampfes in diesem Text liegt aber auch nicht auf derselben Stufe wie im Systementwurf von 1803/1804, in dem der Kampf zur end106 | kapitel i
gültigen »Aufhebung« der Einzelheit im Volksgeist führte: im »absoluten Geist eines Volkes« schaute sich jeder als ein solcher an, der »immer zum Tode bereit ist und insofern auf sich Verzicht gethan hat« (GW 6, 313). Dagegen ist das Resultat des Kampfes in dem späteren Text nur die »unmittelbare« Form der Sittlichkeit, das Recht, in der der einzelne Wille seiner eigenen Allgemeinheit noch »entgegengesetzt« bleibt (vgl. GW 8, 222). Zwar wissen die Einzelnen als »Personen« den allgemeinen Willen als ihre »Wirklichkeit«, aber dieser Wille hat noch keinen anderen Inhalt als das Anerkanntsein der »wissenden«, in ihre »reine Einheit reflectirten« einzelnen Willen (221). Das Entscheidende am Resultat des Kampfes ist in dieser Fassung der Geistphilosophie ist, daß das Bewußtsein in dieser Bewegung sich vollständig verändert, eine neue »Existenz« gewinnt, die nur im »Anerkanntwerden« als sich selbst aufhebend besteht – und daß es in diesem »Sichanderswerden« sich doch nicht verliert, sondern seine Identität findet. Anerkennen ist eine »Bewegung des zu sich selbst werden eines, in einem andern, und des sich anders werden in sich selbst« (GW 6, 314). Abstrahieren wir für unseren Zweck von diesem unterschiedlichen Resultat, so läßt sich festhalten, daß für die erste Phase des Anerkennungsprozesses, in der durch wechselseitiges Erkennen und Handeln zwischen Individuen ein gemeinsames, allgemeines Bewußtsein und ein allgemeiner Wille entsteht, zwei verschiedene Bewegungen notwendig sind, die Hegel als Zweierbeziehungen faßt. Die erste Bewegung ist die der Aufgabe der Selbständigkeit zugunsten der Einheit mit dem Anderen, in der jeder der beiden gleichwohl seine natürliche Individualität als Bezugspunkt der Zuneigung des Anderen, insofern als anerkannt weiß. Diese Beziehung ist die Liebe als Geschlechtsverhältnis und als »solidarisches«76 Verhältnis der Familienmitglieder. In der Familie vollzieht sich dann der Übergang zur zweiten Bewegung, weil in ihr das Bewußtsein zur Totalität oder Ganzheit gelangt, indem es sich in einem unabhängigen Anderssein – Besitz, Kind – vergegenständlicht findet. Die zweite Bewegung besteht darin, die Selbständigkeit und Ganzheit des Bewußtseins gegen ein anderes selbständiges Bewußtsein geltend zu machen, um gerade als solches, das sein »Wesen« in sich hat und sich auf alle Anderen nur negativ bezieht, bestätigt zu werden. Im Resultat dieser Bewegung kehrt sich die anfängliche Intention aber Das Prinzip der Anerkennung | 107
um: nur im Verzicht auf die Totalität der ausschließenden Einzelheit liegt die Möglichkeit, von Anderen – freilich ebenso auf sich selbst Verzichtenden – akzeptiert, bestätigt, anerkannt zu werden. Ob damit die negative Beziehung, die Distanz zu den Anderen schon aufgehoben ist, oder ob sie in den Formen des gemeinsamen Geistes, vor allem im Recht, nicht gerade erhalten bleibt – ob also Liebe und Kampf die elementaren Momente der Anerkennung auch auf höherer Stufe sind, sei vorläufig dahingestellt. Wir wollen zunächst prüfen, ob die Bestimmung der Struktur der Anerkennung, die die Phänomenologie des Geistes am Anfang des Kapitels »Selbstbewußtsein« gibt, etwas über die von uns analysierte erste Phase der Anerkennungsbewegung aussagt. b) Die erste Stufe der Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes Die Theorie der Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes wird im Folgenden zunächst in sehr eingeschränkter Hinsicht zum Thema gemacht.77 Die spezifische Methode der Phänomenologie bleibt ebenso außer acht wie die Frage nach der Bedeutung des Anerkennungsprozesses für die Gesamtthematik der »Wissenschaft des erscheinenden Wissens«. Wir wollen zunächst nur prüfen, ob die erörterte Struktur der ersten Phase der Anerkennungsbewegung in Hegels Bestimmung des »Begriffs des Anerkennens« (129) zu Beginn des Selbstbewußtseinskapitels zur Sprache kommt. Dabei können wir nicht davon ausgehen, daß dieser von Hegel analysierte »Begriff« nur die erste Stufe des Anerkennens bezeichnet. Er bezieht sich aber offenbar primär auf das Verhältnis des »Einen« zum »Anderen«, des »Ich« zu einem anderen Ich. Daher läßt sich mit Recht fragen, ob die beiden Momente der distanzlosen und der sich distanzierenden Beziehung von Hegel auch in der Phänomenologie als die Elemente der Anerkennung bestimmt worden sind. Das erste Moment der Bewegung des Anerkennens ist nach der Phänomenologie das »Außersichsein«, der Selbstverlust in einem Anderen. Auch der Andere verliert dabei seine Selbständigkeit: indem das Selbst nur sich im Anderen findet, ist dieser selber »auf108 | kapitel i
gehoben« (128). Offenbar hat dieses Moment etwas mit der Anerkennungsstruktur der Liebe zu tun, wenngleich von der positiven Beziehung auf den Anderen, der mir in seiner natürlichen Individualität wesentlich ist, hier keine Rede ist. Hegel kann auch an dieser Stelle der Phänomenologie die Liebe nicht als Gestalt der Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins behandeln. Diese Geschichte ist nämlich an einem Punkt angekommen, an der das Selbstbewußtsein versucht, sich als Wesen des Andersseins – und dieses als nichtig – zu erweisen.78 Das kann nicht in der Liebe, sondern nur im Kampf und in der Herrschaft geschehen. Gleichwohl zeigt Hegels Erörterung des Begriffs der Anerkennung (GW 9, 109 f.), die weitgehend von der Erfahrungsgeschichte unabhängig ist, daß die Bewegung der Anerkennung nicht mit der Selbständigkeit und deren Behauptung gegen den Anderen beginnt, sondern mit einer selbstverlorenen, distanzlosen Einheit. Erst in einem zweiten Schritt muß gegen diese Selbstverlorenheit die Gewißheit seiner selbst als des »Wesens« (128), die Selbständigkeit also, zur Geltung gebracht werden. Dies geschieht in einer ausschließenden, negativen Beziehung auf den Anderen, der gleichsam da, wo ich bin – und das heißt jetzt auch: im Anderen – nicht selbständig sein kann.79 Dies ist der Ausgangspunkt für den Kampf, in dem dann die Aufhebung des Anderen in Selbstaufhebung umschlägt. Was in der Erfahrung des sich entwickelnden Bewußtseins »nacheinander«80 geschieht, ist nun im »Begriff« des Anerkennens gleichsam logisch verschränkt und daher – in Hegels Worten – »doppelsinnig«. Voraussetzung des Verständnisses dieser Doppelsinnigkeit ist allerdings, daß man Hegels Gleichsetzung von Anderssein und Anderem mitmacht: nur dann ist die Negation des Anderen schon selber Selbstnegation, nämlich Negation des eigenen Andersseins, der Selbstverlorenheit an den Anderen und die Dinge. Der Doppelsinn liegt darin, daß jeder das, was er gegen den Anderen tut – Negation des Anderen – auch gegen sich selbst tut – Negation seines Andersseins bzw. äußerlichen Daseins. Er bedeutet ferner, daß das Tun eines jeden – gegen sich und den Anderen – zugleich das Tun des Anderen ist.81 In der Erfahrungsgeschichte ist diese Doppelsinnigkeit – wie gesagt – in einzelne Schritte auseinandergezogen: der Versuch, das Anderssein des Anderen als nichtig zu erweisen, führt in den Kampf auf Leben und Tod, der jeden in die Gefahr bringt, in seinem Das Prinzip der Anerkennung | 109
eigenen Anderssein, seiner Verbundenheit mit den Dingen und der körperlichen Existenz, negiert zu werden. Eine Gefahr, die entweder zur Unterordnung des Selbst unter dieses Anderssein führt – beim Knecht – oder zur bewußten Negation des eigenen Andersseins, wenn das Selbstbewußtsein dem »Leben« vorgezogen wird. Erst wenn beide einander als »reines Fürsichsein, d. h. als Selbstbewußtsein dargestellt haben« (130), und wenn sie wissen, daß nur diese Darstellung des Anderen das eigene Tun »reflektieren« und anerkennen kann, kommt es zum Bewußtsein der Einheit von »Ich« und »Wir«.82 In diesem Bewußtsein transzendiert das Selbst nicht nur seine unmittelbare, »lebendige« Individualität, sondern auch die sich durch Ausschluß des Andersseins definierende Einzelheit des Bewußtseins selber. Daher kann in ihr auch die Negation des Anderen noch einmal negiert, der Andere als solcher freigegeben werden (vgl. 128). Bis dahin gelangen aber in der Erfahrungsgeschichte der Phänomenologie weder der Kampf um Anerkennung noch die Bewußtseinsformen von Herrschaft und Knechtschaft. Das Scheitern des Versuches, in diesem Verhältnis Anerkennung zu realisieren, zeigt, lediglich indirekt, daß Anerkennung ohne wechselseitige Freigabe nicht möglich ist, daß nur anerkannt werden kann, wer sich selbst als anerkennend weiß (vgl. 129). Das Ziel des Anerkennungsprozesses zwischen »Ich« und »Du« – die Einheit von »Ich« und »Wir«, die wechselseitige Freigabe und die Anerkennung »als gegenseitig sich anerkennend« (ebd.) – wird in der Erfahrungsgeschichte der Phänomenologie erst sehr viel später erreicht. Der Kampf um Anerkennung führt in ihr weder zur Einheit des sich in den Einzelnen wissenden Volksgeistes – wie 1803/1804 – noch zum allgemeinen Willen des Rechtszustandes, wie in der Geistphilosophie von 1805/06. Diese Differenz in Funktion und Darstellung des Kampfes um Anerkennung geht auf die systematische Bedeutung des Selbstbewußtseinskapitels in der Phänomenologie des Geistes zurück. In diesem Kapitel soll nämlich das aufgehobene aber noch erhaltene »Bewußtsein« des ersten Kapitels der Phänomenologie (A) mit der unmittelbaren »These« des Selbstbewußtseins, die reine Selbstbeziehung allein sei die Wahrheit alles Wissens, vermittelt werden. Weil das Bewußtsein erhalten ist, begegnen sich die beiden »Individuen« nicht nur als Selbste, sondern zugleich unmittelbar 110 | kapitel i
als »gemeine Gegenstände« (130), deren Gegenständlichkeit bzw. »Sein« freilich bereits die Bedeutung von Lebendigkeit bzw. »Leben« hat.83 Mit dieser unmittelbaren Beziehung konfrontiert Hegel nun die zuvor exponierte Beziehung von Selbstbewußtseinen, also die doppelsinnige Bewegung des Anerkennens. Da diese Beziehung als das Wesen bzw. die Wahrheit der ersten erwiesen werden soll, kommt es zur Negation des Andersseins bzw. des gegenständlichen Seins – und zwar zu einer wechselseitigen. Dies ist der Kampf auf Leben und Tod, in dem jeder an ihm selbst und am Anderen die Unabhängigkeit des Selbst von allem äußeren Dasein demonstriert (»darstellt«).84 Mit der radikalen Negation des Andersseins im Tode ist aber nicht nur die Chance einer Bewährung der Wahrheit des Selbst vertan, sondern sogar die noch unmittelbarere Form des Selbstbewußtseins, die »Gewißheit seiner selbst« (131), unmöglich gemacht. Eine Erfahrung im Sinne der Phänomenologie – nämlich für das handelnde Bewußtsein – ist daher nur möglich, wenn mindestens einem der Kämpfenden das Leben »so wesentlich als das reine Selbstbewußtsein« (132) erscheint. Daß Hegel hier das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis als mögliche systematische Fortsetzung der Anerkennungsbewegung akzeptiert, liegt wiederum methodisch daran, daß sich in ihm der Gegensatz Selbstbewußtsein – Bewußtsein darstellt.85 Zugleich verliert freilich der Kampf an Bedeutung für den Prozeß der Bildung des Selbst: weder der Herr noch der Knecht haben sich im Kampf wirklich »gebildet«, ihr ausschließliches Fürsichsein in den allgemeinen Willen aufgehoben. Deshalb ist es sehr fraglich, ob man hinsichtlich des Verhältnisses von Kampf bzw. Tapferkeit – als Bereitschaft, das Leben einzusetzen – und Arbeit, und damit hinsichtlich des Verhältnisses von absoluter und relativer Sittlichkeit von einer Umkehrung der Position der frühen Jenaer Philosophie der Sittlichkeit sprechen kann.86 Eine Umwertung findet dagegen zweifellos statt hinsichtlich des »Bildungswertes« von Zweikampf und Arbeit. Man könnte daraus schließen, daß Hegel jetzt das Adelsethos, wenn es nicht auf das Volk und seine Nationalehre, sondern nur auf die persönliche Ehre bezogen ist, im Rang unter die »Bürgertugenden« von Arbeit, Zucht und Dienst stellt. Es geht mir hier aber nicht um eine neue Interpretation der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft,87 sondern darum, was Das Prinzip der Anerkennung | 111
Hegel als »ungleiche« Anerkennung bezeichnet. Diese Ungleichheit – das wird sich später noch als wichtig erweisen – liegt nach Hegel darin, daß die Wechselseitigkeit des Tuns nicht vorhanden ist: »Zum eigentlichen Anerkennen fehlt das Moment, daß, was der Herr gegen den Andern tut, er auch gegen sich selbst, und was der Knecht gegen sich, er auch gegen den Andern tue.« (133) Daher erweist sich auch das Anerkanntsein des Herrn als Schein: weil er die Selbstnegation nicht durchführt, auf die das Bewußtsein des Anderen angewiesen ist, um selbständig zu werden, kann er sich auch nicht in einem anderen selbständigen Bewußtsein anschauen. Ohne radikale Gegenseitigkeit hinsichtlich der Selbstnegation kann kein Anerkennen und kein freies Selbst zustande kommen. Mit welcher Gestalt der Erfahrungsgeschichte ist nun in der Phänomenologie das allgemeine Bewußtsein – in den früheren Entwürfen Resultat der ersten Phase der Anerkennungsbewegung – erreicht? Diese Frage ist aus zwei Gründen nicht leicht zu beantworten: erstens wegen der für die Phänomenologie konstitutiven Differenz zwischen an sich bzw. für uns, das darstellende, und »für es«, das erfahrende Bewußtsein. Zweitens deshalb, weil Hegel in der Phänomenologie die Identität von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein nicht allein aus Handlungsformen, sondern auch aus Formen des theoretischen Bewußtseins, des religiösen, des philosophischen etc., hervorgehen läßt. So hebt sich etwa im Stoizismus der »Eigensinn« der Freiheit der »Einzelheit« in die »reine Allgemeinheit des Gedankens« (138) auf. Aber der Stoizismus hat die Identität dieses reinen Gedankens mit der »lebendigen Welt« und der handelnden Individualität nicht nachweisen können (139). Daß das »Ansich«, das die »Wirklichkeit« beherrschende Prinzip, ein mit dem Einzelnen wesensgleicher, aber von der Beschränkung der Einzelheit freier allgemeiner Wille ist, erfährt erst das »unglückliche Bewußtsein« – weltgeschichtlich die mittelalterliche Religiosität. In der Askese und der Unterwerfung unter den göttlichen Willen hebt es seine Einzelheit auf: »Es wird daher für es sein Willen … zum allgemeinen und an sich seienden Willen.« (156) Dennoch begreift das unglückliche Bewußtsein diese Identität nur als das Jenseits einer »an sich« vollbrachten Erlösung – »es selbst ist sich nicht dieses Ansich« (ebd.). Erst die nächste Stufe der Erfahrungsgeschichte, die .
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Vernunft, geht davon aus, daß das Bewußtsein das Ansichsein in sich selbst hat. Aber es nimmt diese Identität zunächst unmittelbar, »vergißt« gleichsam den Weg zu ihr, die Negation der Einzelheit. Weil diese Gestalten aber von der »These« der Identität schon ausgehen und bereits Wechselwirkungen des einzelnen mit dem allgemeinen Willen enthalten, werde ich sie später im Zusammenhang der zweiten Phase der Anerkennung erörtern (s. u. S. 131 f.). Ungeachtet dieser Differenzen – bezüglich des Gehaltes und des Resultats des Kampfes um Anerkennung – zwischen der Phänomenologie und den früheren Texten besteht doch Übereinstimmung hinsichtlich der Struktur der ersten Stufe der Anerkennung: in der »Begriffsanalyse« der Phänomenologie findet sich sowohl das Moment des selbstverlorenen Außersichseins wie dessen Negation, die Selbstbehauptung des Fürsichseins gegen den Anderen bzw. das Anderssein. Nur dieses zweite Moment ist aber in der Erfahrungsgeschichte, in der der »reine Begriff des Anerkennens« als ein »Prozeß für das Selbstbewußtsein erscheint« (129), als eine eigene Bewußtseinsgestalt dargestellt. Und auch diese Erfahrung führt noch nicht zur Synthese beider Momente in einer ersten Form des gemeinsamen Willens. Was die Phänomenologie für die erste Stufe der »Jenaer« Theorie der Anerkennung wichtig macht, ist die begriffliche Analyse ihrer »doppelsinnigen« Struktur – nicht die Darstellung von »Interaktionsformen« als Anerkennungsmomente. Für die erste Stufe der Anerkennung bringt sie in dieser Hinsicht nicht mehr, sondern weniger als die vorhergehenden Schriften. Damit ist auch klar, daß sich an unserem bisherigen Resultat in der Frage der Zweier- und Dreierbeziehungen nichts ändert. Zwar spielt in der »verzerrten« Anerkennung des Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnisses das bearbeitete Ding die Rolle eines vermittelnden »Dritten«. Aber dadurch wird auf der interpersonalen Ebene die Zweierbeziehung nicht zu einer Dreierbeziehung. Hegel hat das »Wir«-Bewußtsein im Grunde aus einer Zweierbeziehung entstehen lassen. Darin unterscheidet er sich – wie ich im folgenden Exkurs wenigstens andeuten möchte – von der Sozialphilosophie des 20. Jahrhunderts.
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Exkurs: Zweier- und Dreierbeziehungen in der Sozialphilosophie des 20. Jahrhunderts Im Gegensatz zu Hegel haben verschiedene Autoren des 20. Jahrhunderts die Auffassung vertreten, daß Zweierbeziehungen zur Bildung eines »Wir«-Bewußtseins nicht ausreichen. Einige dieser Theorien zum Primat der Dreierbeziehungen bei der Bildung eines Gruppen-Bewußtseins sollen im folgenden der ersten Stufe der Anerkennungsbewegung bei Hegel gegenübergestellt werden, um Nähe und Abstand seiner Sozialphilosophie zu heutigen Überlegungen deutlich werden zu lassen. Einer der ersten, der die Bedeutung des »Dritten« für die Gemeinschaft- oder Gruppenbildung analysiert hat, war Georg Simmel.88 Allerdings handelt es sich bei Simmels Erörterung der verschiedenen »Formen der Vergesellschaftung«89 nicht um die Darstellung einer Genese, die über Zweier- und Dreierbeziehungen zum Wir-Bewußtsein führt. Seine typisierende Betrachtung gesellschaftlicher Strukturen kommt aber zu dem Resultat, daß Zweierbeziehungen für sich nicht in der Lage sind, eine »höhere Einheit über ihre individuellen Elemente hinaus zu bilden« (1908, 85). Eine solche Einheit wäre nämlich für beide ein »Drittes« und würde daher die »Intimität« der Zweierbeziehung stören. Eine Ausnahme von dieser Regel– oder eher ein Übergang vom Zweier- zum Dreierverhältnis ist für Simmel die Ehe. In ihr ist trotz der Beziehung persönlicher Intimität eine »überpersönliche Einheit« möglich. Allerdings setzt dies eine von den Gliedern der Zweierbeziehung unabhängige – tradierte und normierte – Institution voraus, die in den verschiedensten Eheriten durch die Rolle »dritter Personen« verkörpert wird (88). Die Dreierbeziehung selbst hat Simmel in drei Klassen eingeteilt, in denen das Verhältnis des Dritten zu einer Zweierbeziehung von Einzelnen oder Gruppen a) als Vermittler, b) als Figur des »tertius gaudens« und c) des »divide et impera« bestimmt ist (103 ff.). Dabei hat er eine Reihe von Strukturen erörtert, die bei seinen Nachfolgern – etwa bei Sartre – wiederkehren: so die des Sich-Abschließens der Zweierbeziehung gegen den Dritten. Weitaus prinzipieller als Simmel hat dann Sartre die konstitutive Bedeutung des Dritten für die Bildung eines »Wir«-Bewußtseins herausgestellt. In »L’Etre et le Néant« unterscheidet er bekanntlich 114 | kapitel i
zwischen Objekt-Wir und Subjekt-Wir. Während das Subjekt-Wir – das Sartre selbst in die Nähe des Heideggerschen »Man« rückt (1962, 540) – nur die »psychologische Erfahrung« eines »geschichtlichen Menschen« in einer bestimmten Gesellschaft ist, stellt das Bewußtsein des »Objekt-Wir« die »Enthüllung einer realen Daseinsdimension« dar (547).90 Die Erfahrung des Subjekt-Wir scheint nicht unbedingt einen Dritten vorauszusetzeng;91 sie betrifft hauptsächlich die an den bearbeiteten Objekten und dem regulierten Lebenslauf eines jeden sich darstellende »undifferenzierte Transzendenz« eines gesellschaftlichen Entwurfes. Das Bewußtwerden des Objekt-Wir ist dagegen eindeutig »vom Dritten abhängig« (547). Durch den »Blick«, der auch schon für die Zweierbeziehung von entscheidender Bedeutung ist, macht der Dritte mich und den Anderen – die wir an sich welt-transzendierendes Fürsichsein sind – zu Gegenständen in seiner Welt. In solcher Weise objektiviert wird aber auch die Relation der beiden, ja die gesamte »Situation«. Diese Situation war bis dahin bestimmt durch das Gegeneinander zweier Situationen, den Versuch eines jeden der Beiden nämlich, den Anderen zu transzendieren oder sich seiner Transzendenz zu unterwerfen.92 Durch das gemeinschaftliche Objekt-Werden sind nun die »beiden entgegengesetzten Situationen niveaugleich« geworden, sie bilden »gleichwertige und solidarische Strukturen« (533). Die Solidarität besteht in der Unumgänglichkeit, mein »Verstricktsein« in den Anderen bzw. in das »objektive Ganze«, das ich mit ihm für den Dritten bilde, zu übernehmen. Sartre nennt dieses Übernehmen sogar eine »freie Anerkenntnis meiner Verantwortlichkeit … für den Anderen« (534). Trotzdem bleibt solche Gemeinsamkeit begrenzt, weil es eine positive Verschmelzung meiner Transzendenz mit der des Anderen für Sartre nicht geben kann. Die Erfahrung des Objekt-Wir ist eine Erfahrung von Passivität, ja von »Demütigung und Machtlosigkeit«: ich fühle mich in eine »Unendlichkeit fremder Existenzen verfangen« und damit »radikal entfremdet« (535). Sicher hat dieses entfremdete Wir nichts mit Hegels »Wir« als eines sittlichen Bewußtseins zu tun. Auch die Entfremdung besteht ja für Hegel nicht darin, daß das Individuum seine Gemeinschaft mit Anderen als Gegenstand in der Welt eines Dritten weiß, sondern daß es die Gegenständlichkeit des Geistes, die Institutionen, nicht mehr als Ausdruck seines (gebildeten) Selbstbewußtseins begreifen Das Prinzip der Anerkennung | 115
kann (s. u. S. 108 ff.). Allerdings sieht auch Hegel die Notwendigkeit des Gegenständlich-Werdens der Gemeinschaft zweier: sie erfolgt wie oben gezeigt, im Kind, im Familienbesitz und in bestimmter Weise auch im Tausch. Dies alles sind aber keine wirklichen Dreierbeziehungen – sie folgen vielmehr dem Subjekt-Objekt-Schema (als Selbstvergegenständlichung) oder allenfalls der »Verdoppelung« des Selbstbewußtseins (Anschauung des Negiertwerdens der Eltern im Kind). Für Hegel gibt es nicht die Notwendigkeit, daß zwei inkommensurable »Situationen«, die von antagonistischen Beziehungen bestimmt sind, von einem Dritten erst zu einer einzigen »niveaugleichen« umgewandelt werden müssen. Denn für ihn gilt nicht, wie für Sartre, daß das Selbst nur als die Negation des Anderen und seiner objektivierenden Wirkung auf mich zu realisieren ist. Diese Stufe der ausschließenden Individualität – wenn auch bei Sartre transzendentalphilosophisch gewandt – muß, wie wir gesehen haben, im Kampf überwunden werden.93 Sartre selbst ist aber bei seiner Theorie des Objekt-Wir nicht stehengeblieben. In der »Kritik der dialektischen Vernunft« nimmt er seine Erörterung des Zweier- und Dreierverhältnisses wieder auf. Insofern er jetzt die elementare Struktur der Zweierbeziehung in der Wechselseitigkeit (réciprocité) sieht, scheint er sich Hegel anzunähern. In der Tat ist in der Wechselseitigkeit etwas von Anerkennung der Freiheit des Anderen enthalten, und sie ist daher der Entfremdung »grundlegend entgegengesetzt« (117)94, wenngleich sie unter bestimmten historischen Verhältnissen selber entfremdet sein kann. Daß jeder den Anderen transzendiert und von ihm – als Gegenstand in seinem Plan – transzendiert wird, bedeutet jetzt nicht nur, einander zu objektivieren, sondern auch, sich als Praxis, Freiheit, Transzendenz zu bestätigen und zu respektieren. Daß beides zusammen möglich ist – Objektivierung und Respektierung, Bewußtsein des Anderen als Freiheit – scheint, wie schon Theunissen bemerkt hat (1965, 233 f.), ein wichtiger Unterschied zwischen der früheren Auffassung Sartres und derjenigen der »Kritik« zu sein. Es bleibt allerdings die Unmöglichkeit, aus der Zweierbeziehung und ihrer Wechselseitigkeit zu einer Einheit – sei es eines Objekt- oder Subjekt-Wir – von Freiheitswesen zu kommen. Gerade die Anerkennung der Freiheit des Anderen bedeutet, ihn als einen Entwurf zu wissen, der ein eigenes Zentrum, einen eigenen »Brennpunkt« 116 | kapitel i
hat, der meinen »Plan« grundsätzlich überschreitet und mich als Objekt enthält. Als Einheit erfahren können sich die beiden in einer Wechselseitigkeitsbeziehung Befindlichen nur über einen Dritten. Sartre faßt in der »Kritik« Zweier- und Dreierbeziehungen als gleichursprüngliche, fundamentale Strukturen der sozialen Beziehungen (114 f.), die einander sowohl bedingen wie negieren: Dreierbeziehungen setzen die Existenz von Zweierbeziehungen voraus, die aber ihrerseits ohne den Dritten ihrer selbst nicht bewußt werden können. Im Maße ihres Bewußtwerdens tendieren sie aber zum Ausschluß des Dritten – die Triade ist daher ein instabiles Verhältnis, sie entsteht und zerfällt mit Notwendigkeit. Dennoch ist sie konstitutiv für die Wir-Einheit. Und zwar insgesamt auf drei verschiedene Weisen: indem sie, wie angedeutet, die Wechselseitigkeit einer Zweierbeziehung dieser selbst »entdeckt«; indem sie ferner eine objektive, entfremdete Einheit hervorbringt, in die die beiden einander transzendierenden Pläne gleichsam von außen »verschmolzen« werden – und schließlich, indem der Dritte eine die Entfremdung überwindende Gruppenaktion in Gang bringt (Initiation). Die erste Stufe der Vereinigung durch einen Dritten liegt noch »früher« als in »L’Etre et le Néant«: die den Dingen eingeprägten Pläne und die getrennt voneinander lebenden, ihre Beziehung nicht wissenden Individuen werden durch den Dritten, der sie erfaßt, in eine »Unwissenheitswechselseitigkeit« gebracht (108). Diese Beziehung, die auch den Dritten erst als solchen hervorbringt, zeigt, daß das äußerliche Nebeneinander von getrennten Plänen und verschiedenen, die Welt »enthüllenden« Arbeitsvollzügen auf dem Hintergrund einer nicht-äußerlichen Beziehung, der »permanenten Möglichkeit einer gegenseitigen Entdeckung und damit der tatsächlichen Existenz einer menschlichen Beziehung« verstanden werden muß (109). Die zweite Stufe der Vereinigung durch den Dritten entspricht der Entstehung eines Objekt-Wir, doch spielt dabei entsprechend der neuen Bedeutung der Materie in der »Kritik« die Gegenständlichkeit, d. h. die »Arbeitsstelle«, die »Werkzeuge« und das »zu verwendende Material«, eine entscheidende Rolle (120). Sartre geht von der Bestimmung der gemeinsamen Arbeit durch die Produktionsmittel und damit indirekt durch den Dritten als deren Besitzer aus. Trotz der Gemeinsamkeit der Ziele der Arbeiter, die »aus ihrem Das Prinzip der Anerkennung | 117
eigenen Körper das Instrument des Anderen« machen (121), handelt es sich aber nur um eine gegenständliche Einheit. Die Einheit der gemeinsamen Praxis tritt den Individuen als etwas Selbständiges, als ein »Imperativ«, gegenüber, den beliebige Individuen verinnerlichen können. Der Dritte als Urheber eines solchen Imperativs konstituiert die einfachste Form der sozialen Gruppe (125): durch seine Vermittlung wird die Subjektivität der Gruppe zum selbständigen »Medium, Substanz und Pneuma« (ebd.). Das eigentliche Thema der Kritik der dialektischen Vernunft ist nun aber, wie aus einer äußerlichen, mechanischen, »seriellen« Vereinigung eine »fusionierende«, freie Aktivitäten zugleich auslösende und »verschmelzende« Gruppe wird. Auch dabei spielt die Dreierbeziehung eine entscheidende Rolle. Erste Voraussetzung für die Verwandlung einer seriellen Ansammlung in eine solche Gruppe ist allerdings ein Druck von außen, ein »totalisierendes Schicksal« (378) in Gestalt einer drohenden Gefahr.95 Die erste Wirkung dieses Schicksals ist, daß sie anstelle einer Konstellation von Wechselseitigkeiten die Dreierbeziehung enthüllt bzw. jeden aus seinem »Anderssein« (Etre-autrui) in einen »Dritten« verwandelt. Dritter ist jetzt jeder innerhalb einer Kollektivität, insofern er die Wechselbeziehungen der Anderen überschaut und seinem eigenen Plan einordnet. Durch die Totalisierung von außen entdeckt aber jeder zugleich, daß dieser Plan mit den Plänen aller Anderen, insofern auch sie Dritte sind, zusammenfällt. Allerdings besteht zunächst ein Widerspruch zwischen den kollektiven »Ansteckungsprozessen«, die den Einzelnen in seiner »seriellen Ohnmacht« (394 f.) betreffen, und dem »Begreifen der menschlichen Totalität als durch diese Bedrohung (in Hohlform) vereinigt« (395). Der Widerspruch wird überwunden in der Aktion, in der die »seriellen« Prozesse selbst durch den »Dritten« in Gruppenpraxis verwandelt werden – etwa eine passive Flucht in die bewußte Aktion einer taktischen Flucht. Damit wird die Einheit der Gruppe und ihrer Aktionen von der »objektivierenden Totalisierung« des äußeren Schicksals unabhängig. Die Beziehung der Individuen in einer solchen Gruppe ist die einer »vermittelten Wechselseitigkeit« (400) von Dritten. Genauer impliziert dieses Verhältnis die »Vermittlung der Gruppe zwischen den Dritten« und die »Vermittlung jedes Dritten zwischen der Gruppe und den anderen 118 | kapitel i
Dritten« (ebd.): Jeder muß in seiner freien Aktion die Ansammlung zur Gruppe umformen und insofern jeden mit der Gruppe vermitteln. Er kann dies aber nur, wenn er gleichsam in den Bildungsprozeß einer Gruppe hineingerät: durch den äußeren Druck und den gleichzeitigen freien Entschluß Vieler (zur Gegenwehr oder zur »aktiven« Flucht). Die Gruppe verbindet insofern die zu ihr Stoßenden miteinander, obgleich diese als Dritte zugleich konstituierend für die Gruppe sind. Die Individuen erfassen einander in ihrer Wechselbeziehung nicht mehr als »Andere«, sondern als Dritte – ähnlich wie bei Hegel repräsentieren sie jetzt die »Allgemeinheit« der Gruppe. Aber sie tun dies nicht als Träger eines institutionalisierten Willens, eines »objektiven«, die Besonderheit der Individuen negierenden Gesetzes, sondern indem sie durch ihre Aktion die Gruppe permanent hervorbringen. Für Sartre wird die individuelle Freiheit durch ihre Verschmelzung mit der Aktivität der Gruppe nicht verändert, negiert, verallgemeinert: »Die Freiheit ist zugleich meine Besonderheit und meine Allgegenwart. Im Anderen, der mit mir handelt, kann ich meine Freiheit nur als die gleiche erkennen.« (428 f.) In dieser Hinsicht ist das Subjekt-Wir, die Einheit von Freiheitswesen, nach der »Kritik« als gemeinsame Praxis einer sich gegen einen Angriff wehrenden Gruppe möglich. Im Gegensatz zu Hegel ist für Sartre die Dreierbeziehung zur Bildung eines Wir-Bewußtseins aus folgenden Gründen notwendig: a) weil das »Nebeneinander«, die »Exteriorität« zweier Freiheiten nur von außen zu einer Einheit gebracht werden kann; b) weil jeder, um nicht bloßes Objekt einer Totalisierung von außen zu bleiben, selbst zum Ursprung der Verwandlung dieser äußerlichen Wechselseitigkeiten werden muß. Die Befreiung von Objektivität, Passivität und bloß »serieller« Einheit kann nicht jeder an sich selbst mit Hilfe des Anderen einer Zweierbeziehung – wie in Hegels Kampf um Anerkennung – vollziehen. Denn diese zu negierende »Natürlichkeit« ist für Sartre eine soziale Beziehung – und zwar nicht der unmittelbaren Einheit mit dem Anderen in einer »selbstvergessenen« Zweiergemeinschaft, sondern der nur äußerlichen, passiven Verbundenheit bei gleichzeitiger unaufhebbarer Trennung der beiden96 »Brennpunkte« einer von Materialität bestimmten praktischen Weltsicht. Das Prinzip der Anerkennung | 119
Der Übergang von der seriellen Kollektivität zur Gruppe entspricht aber auch nicht demjenigen von der rechtsförmigen zur sittlichen Gemeinschaft, denn bei Sartre handelt es sich nicht um die Negation des »Eigensinns« des Einzelnen durch die Gemeinschaft – also im Grunde wiederum eine Zweierbeziehung – sondern um die Negation einer unvollkommenen Wechselseitigkeit durch die individuelle Praxis eines Dritten, die zugleich die »Befreiung« der Individualität als solcher darstellen soll.97 Ein Ensemble von Wechselbeziehungen getrennter Individuen, deren Trennung in einer direkten Zweierbeziehung prinzipiell nicht zu überwinden ist, kann nur durch den Dritten, und durch die Verwandlung eines Jeden in einen Dritten, zur Einheit einer verschmelzenden98 Gruppe aufgehoben werden. Allerdings ist damit auch für den Sartre der »Kritik« der Kampf die letzte Grundlage der Sozialbeziehungen – anstelle des Kampfes der Individuen in L’Etre et le Néant tritt der Kampf der Gruppen, der allein individuelle Freiheit und unentfremdete Gemeinschaft möglich macht. Eine Theorie der Institutionen, die uns in dieser Arbeit vorrangig interessiert, ist für Sartre nur als Theorie entfremdeter Sozialbeziehungen und erstarrender Gruppenstrukturen konzipierbar. Der Vorrang der Dreier- vor der Zweierbeziehung wird heute von den Autoren der verschiedensten Wissenschaften vertreten – von der mathematischen Spieltheorie99 bis zur Psychoanalyse. Dabei werden z. T. Erkenntnisse Simmels und Sartres weiterentwickelt, wie etwa bei Lacan, für den die Bedingung des Bewußtseins einer gemeinsamen Identität die »antizipierende Assertion« eines jeden ist, mittels derer er der Gefahr begegnet, von einem Zweierverhältnis ausgeschlossen und zum Objekt (Nicht-Mensch) gemacht zu werden. Nach Lacan läßt sich das Bewußtsein, ein Mensch zu sein, in folgendem Schluß formalisieren: »1) Un homme sait ce qui n’est pas un homme; 2) les hommes se reconnaissent entre eux pour être des hommes; 3) je m’affirme être un homme, de peur d’être convaincu par les hommes de n’être pas un homme.«100 Zweifellos ist diese Formel nicht nur als Überwindung der klassischen Intersubjektivitätstheorie zu verstehen – die vom Problem der Erfahrung des Anderen als Selbst ausgeht –, sondern zugleich entscheidend von der Anerkennungstheorie des Deutschen Idealismus beeinflußt: Das Bewußtsein dessen, was »Mensch« bzw. 120 | kapitel i
Subjektsein bedeutet, ist das Resultat eines Interaktionsverhältnisses. Was ergibt sich aus diesen Überlegungen? Hat Hegel die Bedeutung der Dreierbeziehungen übersehen? Ist er durch die gegenwärtige Sozialphilosophie überholt? Unsere Interpretation der Jenaer Schriften hat gezeigt, daß es Ansätze zur Erörterung von Dreierbeziehungen bei Hegel zweifellos schon gibt: Auf der ersten Stufe der Anerkennung hat das Kind die Funktion, die Gemeinschaft der elterlichen Liebe objektiv und bewußt zu machen. Das scheint der ersten Funktion des Dritten bei Sartre zu entsprechen, die Zweierbeziehung ihr selbst zu »entdecken«. Aber Hegel faßt das Kind doch in erster Linie als Möglichkeit der Selbstanschauung des elterlichen Bewußtseins auf, nicht als vereinigende Tätigkeit – auch die Negation des Bewußtseins der Eltern hat keine solche Funktion. Wir werden noch sehen, daß es auf den höheren Stufen der Anerkennungsbewegung ebenfalls über einen Dritten vermittelte »Zweierbeziehungen« gibt: »Dritter« ist in diesem Falle der Volksgeist. Dabei handelt es sich aber nicht mehr um den Prozeß des Zustandekommens des gemeinsamen Bewußtseins – und zudem ist diese Beziehung keine solche zwischen selbständigen »Polen«, die sich prinzipiell auf gleicher Ebene befinden. Der Volksgeist wird ja als absolute Substanz bestimmt und die Individuen als seine Momente, die sich selbst aufheben, wenn sie sich gegen sein institutionelles Dasein im Staate wenden. Daß Hegel den Prozeß der Bildung eines gemeinsamen Bewußtseins nicht wirklich als Dreierbeziehung gedacht hat, besagt aber nichts gegen die Theorie der Anerkennung. Selbst wenn erwiesen wäre, daß die für die Bildung eines gemeinsamen Bewußtseins notwendigen Institutionen, vor allem die Familie, als Dreierbeziehung verstanden werden müssen, bedeutete das nicht, daß dieser Bildungsprozeß nicht als Anerkennungsprozeß darstellbar wäre. Für die Struktur von Dreier-Anerkennungsbeziehungen ist aber weder bei Hegel noch in der gegenwärtigen Sozialphilosophie Aufschlußreiches zu finden.
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c) Die zweite Stufe: Anerkennung des »Ich« im »Wir« Mit der Bildung eines allgemeinen Bewußtseins und Willens durch »duale« Interaktionen ist der Prozeß der Bildung des Selbstbewußtseins durch Anerkennung noch keineswegs abgeschlossen. Der Kampf um Anerkennung hatte bereits gezeigt, daß Anerkennung nur möglich ist durch Selbstaufhebung. Der Prozeß der Selbstaufhebung aber ist das »Erzeugen« und das »Leben« des Volksgeistes: »ihre Tätigkeit, wodurch sie ihn erzeugen ist das Aufheben ihrer selbst, und dies Aufheben ihrer selbst, worauf sie gehen, ist der fürsichseiende allgemeine Geist« (GW 6, 233). Sich durch Selbstaufhebung in dem allgemeinen Geist anerkannt Wissen ist eine Bewegung des »Sichanderswerdens« und darin doch bei sich selbst Bleibens. Diese Bewegung ist von seiten des allgemeinen Geistes aus gesehen ein »Aus- und Einatmen« (ebd.) – diese Metapher benutzt der Systementwurf von 1803/1804. Demgemäß skizziert Hegel im Schlußteil dieses Entwurfs die vorausgegangenen Potenzen (Sprache, Werkzeug, Familie) noch einmal nach ihrer »gesellschaftlichen« Seite, d. h. als Tätigkeiten in einem Volk, und stellt sie dabei dar als ein Sich-Besondern, das sich in die Allgemeinheit aufhebt. So ist etwa das »Anerkennen der Arbeit und Geschicklichkeit« der Prozeß, in dem der Einzelne durch Können und die Erfindung »tauglicherer Werkzeuge« sich von den Anderen absetzt, sich »als ein Besonderes« setzt – und gleichwohl durch die Erfindung für Andere, die davon lernen, ein »unmittelbar allgemeines Gut« hervorbringt (236 f.). Dieselbe Struktur der Produktion eines Allgemeinen durch Besonderung hat auch die Sprache und der Besitz innerhalb eines Volkes. Auch in ihnen wird das Bewußtsein anerkannt als ein sich verallgemeinerndes in seiner Besonderung. Während aber die Anerkennungsbewegung im Volk nach diesem Text über die Reflexion des Kampfes um Anerkennung nicht hinausgeht, keinen neuen Bildungsund Erfahrungsprozeß mehr darstellt, ist in der Geistphilosophie von 1805/1806 ein solcher weiterer Erfahrungsprozeß, der den »unmittelbar« allgemeinen Willen des Einzelnen erst zur wahren Allgemeinheit bzw. Einheit mit dem Volksgeist bildet, erforderlich. Hegel hat diesen Prozeß vor allem im zweiten Teil der Geistphilosophie dargestellt, der unter dem Titel »wirklicher Geist« steht. Wir wollen im folgenden zeigen, daß 122 | kapitel i
sich in beiden Kapiteln dieses Teils, dem »Anerkanntsein«101 (1) und dem »gewalthabenden Gesetz« (2), die Bewegungen von Liebe und Kampf, Vereinigung und Distanzierung auf höherer Stufe wiederfinden. A. Vereinigung und Auseinandersetzung des einzelnen mit dem allgemeinen Willen 1) Im Kapitel »Anerkanntsein« behandelt Hegel die Institutionen, die er später in der Rechtsphilosophie in den Abschnitten »abstraktes Recht« und »bürgerliche Gesellschaft« dargestellt hat.102 Der Titel »Anerkanntsein« bedeutet dabei nicht, daß für Hegel die Bewegung der Anerkennung schon abgeschlossen ist – oder im Anerkanntsein zur Vollendung kommt. Auch in den späteren Kapiteln der Geistphilosophie ist nämlich von »Anerkennen« und vom »Anerkanntsein« noch die Rede (vgl. u. a. 238 f., 255 f.). Hegel gebraucht den Titel »Anerkanntsein«, um den Rechtszustand als dauerndes, vergegenständlichtes, auch Negationen überstehendes Verhältnis aller in der Gemeinschaft vom Naturzustand des Kampfes – den er als »Bewegung« des »Anerkennens« bestimmt hatte (218) – zu unterscheiden. Beide Begriffe bezeichnen Momente der Anerkennung als Gesamtprozeß der Bildung des Selbstbewußtseins Obgleich das Recht den im Kampf ausgetragenen Gegensatz der Einzelwillen enthält – als eine von Allen gewollte Selbständigkeit –, sind auch seine ersten Erscheinungsformen als eine unmittelbare, gegensatzlose Übereinstimmung von einzelnem und allgemeinem Willen zu betrachten. Daß »an sich« im Recht der einzelne und allgemeine Wille noch nicht vermittelt ist, sondern in jedem Willen noch ein Gegensatz beider Momente herrscht (s. o. S. 106), ist zu Beginn dieser neuen Entwicklung »vergessen«. Insofern der allgemeine Wille nur Zustimmung zum »Insichsein« der Personen ist, stellen diese Institutionen des wirklichen Geistes eine Entsprechung zur »Liebe« als unmittelbare Vereinigung zweier selbstbewußter Einzelner – also dem Anfang der ersten Stufe der Anerkennung – dar. Das Gemeinsame des Anerkanntseins im Recht, in der gesellschaftlichen Arbeit und den Handlungsformen und Regeln des Wirtschaftsverkehrs wie Wert, Geld, Tausch, Vertrag ist das EinDas Prinzip der Anerkennung | 123
stimmen der Willen aller in den besonderen Willensakt Einzelner. So kann der Einzelne in seiner abstrakten Arbeit,103 insofern sie auf die Bedürfnisse aller bezogen ist, die »Allgemeinheit seiner selbst« (GW 8, 226 R) anschauen, die eben in der impliziten Zustimmung aller zu dieser Arbeit besteht. Diese Zustimmung wird »gesetzt« im Tausch, der nach Hegel in gewisser Weise den Selbstverzicht bzw. das Negieren des äußeren Daseins im Kampf auf höherer Stufe wiederholt: »es ist jeder das negirende seines Seyns, seiner Habe und diese ist vermittelt durch das Negiren des anderen« (226). Der Tausch ist aber keine Bewegung der bewußten Distanzierung, sondern wiederholt nur ein Moment des Kampfes – die wechselseitig vermittelte Selbstnegation – im Element gegensatzloser Übereinstimmung. Eben dies Vermitteltsein durch den Willen des Anderen – und zwar nun nicht eines Anderen, sondern aller Anderen – ist das Anerkanntsein. Da es sich um eine Einstimmung von Willen handelt, die ihre Freiheit von der natürlichen Individualität und allem äußeren Dasein bereits demonstriert haben, in dieses äußere Dasein aber ihren anerkannten Willen setzen können, kann es sich hier allerdings nicht mehr um die unmittelbare Einheit »selbstloser« Charaktere handeln, sondern um die »Gleichheit« der Willen, die eine »Einheit absolut Verschiedener« darstellt (226 R). Die Bewegung der Distanz bzw. das Moment des »Kampfes« ist in der Entwicklung des Anerkanntseins der Vertragsbruch. Er geht »erfahrungsgeschichtlich« davon aus, daß im Vertrag als »Tausch des Erklärens, nicht mehr der Sachen« (229) der Wille »befreit von der Wirklichkeit« (ebd.) ist, anscheinend auch von aller wirklichen Leistung. Diese Unabhängigkeit und »Gleichgültigkeit« des Willens »gegen das Daseyn und die Zeit« (ebd.) wird im Vertragsbruch – als Verweigerung der Leistung – realisiert. Durch dieses »Insichgehen« des Willens aber tritt eine Differenz zwischen einzelnem und allgemeinem Willen zutage. Wenn der einzelne Wille seinen Teil zur gemeinsamen Leistung, dem »Daseyn, das die Bedeutung des gemeinsamen Willens hat« (230), verweigert, dann wendet sich der gemeinsame Wille gegen ihn und erzwingt die Leistung. Im Zwang zeigt sich der wahre Sinn des Vertrags, den einzelnen Willen zu einem Moment, wenn auch einem wesentlichen, des gemeinsamen Willens zu machen (vgl. ebd.).104 Und obgleich der Zwang nur die 124 | kapitel i
bestimmte geforderte Leistung betrifft, geht auch er – wie die den Kampf auslösende Besitzverletzung – in eine Beleidigung der Person über: »Ich bin beleidigt wie in der Bewegung des Anerkennens« – und zwar »in meinem anerkannten Willen als solchem« (233). Hegel geht daher von Vertragsverletzung und Zwang direkt zu Verbrechen und Strafe als höheren Formen des »Kampfes« zwischen einzelnem und allgemeinem Willen über. Da von einer staatlichen Gewalt an dieser Stelle noch nicht die Rede ist, der Zwang also unmittelbar vom »Anderen« ausgeübt wird, wird er zunächst als Verletzung der »Ehre« aufgefaßt. Die »Rache« dafür (vgl. 233) behält den Anderen aber als Rechtssubjekt im Auge, sie gilt einem Willen, »der zugleich Intelligenz (ist), sich selbst denkt, sich als Allgemeines weiß, ein allgemeines Wissen, das auch mein Wissen ist« und eben darum einem prinzipiell »anerkannten« (233 f.). Daher richtet sich der Verbrecher in Wahrheit nicht gegen den Anderen, sondern gegen den allgemeinen Willen. Indem der Einzelne im »Trotz« gegen den allgemeinen Willen sich aber nun nicht mehr in sein reines Fürsichsein zurückzieht – wie im Vertragsbruch –, sondern gleichsam »angreift«, löst er die »Verkehrung des verletzten allgemeinen Anerkanntseyns« (235) aus. Die Strafe ist die Umkehrung der Tat des Verbrechers und insofern ein »Aufheben des einzelnen« (ebd.). Der allgemeine Wille erweist sich in ihr als »Herr des Einzelnen« (236 R). Das »abstrakte Anerkanntsein« des Rechtszustandes ist durch diese Auseinandersetzung zwischen einzelnem und allgemeinem Willen »realisirt« (236). Es besteht darin, daß die einzelnen Willen ihre Taten als getragen von der Zustimmung aller wissen können, diese Gemeinsamkeit des Willens aber auch als unabhängig vom einzelnen Willen und als »Herr« über ihn erfahren: »Zurückgehen in die Einzelheit« ist »Verbrechen« (ebd.). Diese Unabhängigkeit des allgemeinen Willens stellt sich auf der nächsten Stufe der Geistphilosophie als institutionalisierte »Gewalt« dar, die die »Substanz« und »Notwendigkeit« des Einzelnen ist (242). 2) Das »gewalthabende Gesetz« ist für Hegel das »intelligente Anerkanntsein«, in dem der Einzelne sein »Selbst« auch hinsichtlich seines Sich-Wissens anerkannt weiß (237 R). Das Gesetz gilt ihm bereits als ein »Subjekt«, das seinem »Wesen«, dem Fürsichsein (Sich-Wissen), ein »nicht Fremdes« ist (ebd.). In diesem Kapitel werden noch einmal die Stufen der Geistphilosophie von der FaDas Prinzip der Anerkennung | 125
milie an wiederholt. In den Ehe-, Familien- und Erbschaftsgesetzen ist mittelbar auch das Anerkanntsein des Einzelnen als »natürliches Ganzes« Gegenstand des Gesetzes – d. h. Gegenstand der von der unabhängigen Macht des allgemeinen Willens artikulierten und formulierten Übereinstimmung der »gebildeten« Selbste. Diese Gesetze sanktionieren mithin nicht nur das »unmittelbare Anerkanntsein« der »Liebe«, sondern sie stellen auch selber eine Entsprechung zu ihr dar: eine unmittelbare Vereinigung von natürlich-einzelnem und allgemeinem (gesetzlichem) Willen. Diese unmittelbare, distanzlose Einheit ist aber nicht mehr bloß Zustimmung des allgemeinen Willens zum einzelnen. Vielmehr zeigt das allgemeine Gesetz dem Einzelnen auch seine »harte Seite« (242). Dem Einzelnen als Glied der arbeitsteiligen Gesellschaft gegenüber äußert es sich als »blinde« Gesetzmäßigkeit des naturhaften Wirtschaftsprozesses. Sowohl diese blinde Notwendigkeit wie auch die sie kompensierende Tätigkeit der Staatsgewalt105 ist für Hegel das »Allgemeine« des gewalthabenden Gesetzes. Diese Einheit von allgemeinem und einzelnem Willen setzt zwar die Entäußerung des Einzelnen voraus, ist aber trotzdem noch eine »distanzlose« Einheit: das »Allgemeine« ist die »bewußtlose Existenz« des Einzelnen. Zur bewußten Einheit kommt es erst durch einen neuen »Kampf « des Einzelnen mit dem gewalthabenden Gesetz, den Widerstreit von Verbrechen und »richterlicher Gewalt« (245). Im Zwang, den diese Macht gegen den Verbrecher ausübt, wird allerdings keine Ehre mehr verletzt; vielmehr handelt es sich um eine »Unterwerfung … meiner gegen mich selbst, meiner als Besondern gegen mich selbst als Allgemeinen« (247). Um dies zu erfahren, ist aber eine »Entäussrung« des »Meynens« des Einzelnen von seinem Recht erforderlich (249 R). Die Bewegung beginnt wieder damit, daß der Einzelne der allgemeinen Gewalt gegenübertritt, indem er sich als »absolute Macht für sich selbst« (250 R) setzt, sich in das »reine Wissen von sich selbst« (252 R) zurückzieht und für seine Meinung vom Recht die Dignität des allgemeinen Gesetzes beansprucht. Die richterliche Gewalt hat diese usurpierte Macht »auf ihn selbst zurükschlagen zu machen« (250 R). Dies ist auf der einen Seite die Notwendigkeit der Strafe. Die Einsicht des Täters kann aber eine Bewegung des Verzichts auf beiden Seiten auslösen, wie Hegel ihn später im morali126 | kapitel i
schen Geist der Phänomenologie entfaltet: Der Täter kann erfahren, daß er den eigenen »reinen Willen« verletzt hat (251 R). Dadurch erfährt sich der einzelne, insofern er seiner privaten Meinung über das Recht entsagt, ja sogar »auf sein Leben gegen das Allgemeine Verzicht« tut (250 R), vom allgemeinen Willen anerkannt. Dieses »reine Anerkanntsein« hat aber nicht nur negative, sondern auch positive Bedeutung: Auch die andere Seite muß an die Stelle der »Rache« die der Verzeihung, unter Umständen auch der Begnadigung treten lassen. Der allgemeine Wille muß den »bösen«, in sich zurückgezogenen, ebenfalls als von aller äußerlichen Bestimmtheit gelöst bzw. »absolut« oder »als sich selbst erkennen, es verzeihen« (252 R). Er ist als reiner »nicht (ein) Fremdes dem Gesetze« (252 R) und Verzeihung und Begnadigung können die Tat »ungeschehen … machen«. Wird der »abweichende« einzelne Wille positiv in das Allgemeine aufgenommen – auf welche Weise wird sich später zeigen –, so vermag der Einzelne auch sein reines Fürsichsein in ihm wiederzufinden. Als diese Einheit von reinem Fürsichsein und allgemeinem Willen ist das Gesetz »Geist« (vgl. ebd.). Fassen wir zusammen: Die Struktur der Anerkennung im zweiten Teil der Geistphilosophie von 1805/1806 besteht offenbar in einer Bewegung, die unmittelbare Einheit von einzelnem und allgemeinem Willen durch einen »Rückzug« der Einzelheit in sich zu entzweien. Die Momente der gegensatzlosen Einheit und der Behauptung der Selbständigkeit – jetzt: der »Absolutheit«, der alle Anderen nicht ausschließenden, sondern einschließenden, weil mit dem allgemeinen Willen identischen Totalität – sind also auf dieser Stufe leicht wiederzufinden. Unmittelbare Einheit und Entzweiung sind nun nichts anderes als die Momente der »dialektischen«106 Bewegung des Geistes. Die Geistphilosophie von 1805/06 faßt die allgemeine Bewegung des Geistes als »Schluß« – das bedeutet: Entzweiung einer unmittelbaren Einheit in »Extreme«, die sich als Einheit ihrer selbst und des anderen Extrems erweisen, also als isolierte aufheben (s. u. S. 163). Es kann nicht verwundern, daß die Struktur der Anerkennungsbewegung derjenigen des Geistes entspricht: »Anerkennung« ist der Geist unter dem Aspekt der Bildung des Selbstbewußtseins in Interaktionen – zwischen Individuen sowie zwischen Individuen und Das Prinzip der Anerkennung | 127
Institutionen. Die Frage, ob Liebe und Kampf die »Elemente« der Anerkennung auch noch auf höherer Stufe sind, betrifft aber auch das Verhältnis der Individuen untereinander. Beruht dieses Verhältnis auch im »wirklichen Geist« noch auf beiden Momenten? Es geht bei dieser Frage nicht um Liebe und Kampf als »Phänomene«, sondern darum, ob man rechtliche, ökonomische und »staatsbürgerliche« Beziehungen der Individuen untereinander als Synthese von selbstloser Einheit und »distanzierter« Beziehung betrachten kann. Obwohl man auf dieser Stufe der Anerkennung, auf der das Selbst in sein reines Fürsichsein reflektiert ist, nicht mehr von »selbstloser« Einheit sprechen kann, sondern nur von »gegensatzloser«, ist eine solche Synthese in der Tat festzustellen: Recht, Arbeit und Eigentum sind einerseits auf eine unmittelbare, gegensatzlose Übereinstimmung der Willen gegründet, bringen zum anderen aber gerade das im »Dasein« sich manifestierende Fürsichsein zur Geltung – »mein Willen ist diß Gelten« (227). Anerkannt ist gerade die Selbständigkeit, die sich sogar aus der Einheit mit dem Willen aller zurückziehen kann. Während aber die Distanz der Einzelnen untereinander respektiert und garantiert wird, sind die Versuche der Einzelnen, die Distanz zum »daseyenden« allgemeinen Willen zur Geltung zu bringen, zum Scheitern verurteilt. Ändert sich das auf der »Vollendungsstufe« der Anerkennung? B. Die Verwirklichung der Anerkennung im absoluten Geist Worin liegt nun das Telos der Anerkennungsbewegung nach der Geistphilosophie von 1805/06? Am Anfang des Abschnittes »Konstitution« erörtert Hegel – sowohl im Rückgriff auf den »wirklichen Geist« wie im Vorgriff auf die eigentliche Staatsphilosophie – das Verhältnis des »Allgemeinen« zum einzelnen Selbst. Er unterscheidet zunächst zwischen positivem und negativem Sich-Wissen des Selbst im Allgemeinen.107 »Positiv« habe ich mein Selbst im Allgemeinen zunächst insofern, als ich weiß, daß der gemeinsame Wille »durch mich gesetzt« (255) ist. Dieses Gesetztsein besteht, wie Hegel in einem Randzusatz noch weiter ausführt, darin, daß das Allgemeine nur im »Selbst der Individuen« sein »Leben« hat und seine »Gewalt« auf den »äussern Beystand Aller« angewiesen ist (255 R). 128 | kapitel i
Ferner kann die Positivität des Selbst im Allgemeinen auch umgekehrt in der Tätigkeit des Allgemeinen für den Einzelnen gesehen werden, zum einen im Schutz der Existenz des Einzelnen durch die »Wirtschaftsgesetzgebung«108 und die rechtsschützende Gewalt und zum anderen in der Selbstaufopferung (vgl. 255) des Allgemeinen in der Begnadigung, in der der daseiende allgemeine Wille im Verzicht auf die Strafe die Negation seiner selbst hinnimmt, um sich mit dem »Bösen«, der »absoluten Gewißheit« des Einzelnen, die »von allem Daseyn ganz frey ist« (256 R), zu identifizieren. – »Negativ« weiß sich das Selbst im Allgemeinen zum einen deshalb, weil dieses die »Macht« über mein Leben – sowohl als erhaltend wie als strafend – besitzt, und vor allem, weil ich mich nur durch »Entäussrung« meines »unmittelbaren Selbsts« in ihm wissen kann (vgl. 254 R). Diese Entäußerung geschieht ebenso durch die »bildende« Arbeit wie durch die Negation meiner »Meinung« in den Erfahrungen mit dem Recht und der öffentlichen Gewalt. Dieser Zweiteilung in positives und negatives Verhältnis zum Allgemeinen hat Hegel am Schluß des Abschnittes noch eine – mehr auf die »Konstitution« vorausblickende – Dreiteilung folgen lassen. Er bestimmt das Verhältnis zum Allgemeinen qua schützender Macht als »unmittelbare Einheit … des reinen Bewußtseyns und meiner selbst« (256) und bezeichnet das Verhalten zu dieser Einheit als »Vertrauen«. Das Verhalten zu dem mich beherrschenden und möglicherweise strafenden Wesen ist dagegen »Furcht«, während schließlich das Verhalten zu ihm als durch mich Gesetztes dasjenige der Teilhabe ist. Nach diesen »drei Seiten« unterschieden ist das Allgemeine »Herr, öffentliche Gewalt und Regent« (ebd.). Alle drei Verhältnisse spielen in der Verfassungslehre eine Rolle, obgleich sie nicht streng als Gliederungsprinzipien behandelt werden.109 Eine genaue Zuordnung ist weder hinsichtlich des zentralen Abschnittes dieser Verfassungslehre, der Abhandlung über die Stände und ihre Gesinnungen,110 noch hinsichtlich der – nur sehr kurz behandelten – »Regierung« möglich. Man kann aber dem Bauernstand das Vertrauen, dem Beamten- und Soldatenstand das Verhältnis der Teilnahme an der Regentschaft zuordnen. Das Verhältnis der Furcht kommt hinsichtlich der »Staatsmacht« und ihrem Recht, »in jedem Nothfalle … vollkommen tyrannisch zu verfahren« (259), wohl allen Ständen in gleicher Weise zu. Das Prinzip der Anerkennung | 129
Schließlich muß noch ein dritter wichtiger Hinweis zum Verhältnis der Einzelheit des Selbst zum »Allgemeinen« erwähnt werden, den Hegel in seinem kurzen, weltgeschichtlich orientierten Abriß der Staatsformenlehre gibt. Er unterscheidet das in der Monarchie verwirklichte »höhere Princip der neuern Zeit« von der antiken Demokratie dadurch, daß in der Monarchie das »Sich-selbst-absolutWissen der Einzelheit« zu ihrem Recht komme (263). Inwiefern ist im modernen Staat dieses »absolute Insichseyn« (ebd.) der Einzelheit anerkannt? Zunächst, weil das Wissen und die »Gesinnung« in diesem Staat frei sind. Diese Freiheit ist allerdings dadurch begrenzt, daß sittlich für Hegel nur eine Gesinnung ist, die mit den Sitten eines Volkes und genauer eines besonderen Standes übereinstimmt. Diese bestimmten Stände aber sollen freie Momente des Ganzen sein, die sich nach ihrem »einseitigen Princip« (265) ausbilden können.111 Ferner findet sich dieses Sich-Wissen der Einzelheit auch in der Regierung, in der der Staat sich als »Individualität« und »absolutes Selbst« (276) darstellt – und offenbar auch in der charakteristischen Institution des modernen Staates, der Monarchie, wenngleich im »unmittelbaren Willen« des Monarchen als nicht entäußerter Individualität ein »Rest« von Natur ist (264).112 Schließlich weiß der Einzelne sich absolut frei, sogar vom »daseienden Allgemeinen« des Staates, in Religion und Philosophie: »In der Religion erhebt jeder sich zu dieser Anschauung seiner als (eines) allgemeinen Selbst – Seine Natur, sein Stand, versinkt wie ein Traumbild … es ist das Wissen seiner als des Geistes.« (281) Diese Einheit mit dem Geist jenseits seiner staatlichen Wirklichkeit muß in der Philosophie durch das absolute Begreifen des Staates und der Weltgeschichte mit eben dieser Wirklichkeit wieder versöhnt werden. Anerkennung besteht also in einer positiven und negativen, unmittelbaren und »gebildeten«, d. h. durch die Negation der Einzelheit im Sinne der Entäußerung und Selbstaufgabe hindurchgegangenen, Einheit von einzelnem und allgemeinem Selbst. Dabei bedeutet die positive Einheit keineswegs ein Anerkanntsein der natürlichen oder lebensgeschichtlich einmaligen Individualität, die auf den höheren Stufen des Anerkanntseins keine Rolle mehr spielt: das »Individuum gilt nur als entäussertes, gebildetes« (264). Das positive Moment besteht vielmehr im Wissen darum, daß der Staat seine Wirklichkeit im Bewußtsein der Individuen hat. Das 130 | kapitel i
Anerkanntsein des Individuums im Staat ist ein Verhältnis wechselseitiger Konstitution: »Der Mensch hat sein Daseyn, Seyn und Denken allein im Gesetze« (253) – der Staat aber ist das Werk aller, sein »Leben, Willen« ist das Selbst der Individuen. Ob sich diese Wechselseitigkeit in den staatlichen Institutionen wirklich niederschlägt, soll abschließend erörtert werden, nachdem wir auch die höheren Stufen der Anerkennungsbewegung in der Phänomenologie verfolgt haben. d) Die zweite Stufe der Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes Die für die zweite Stufe der Anerkennung relevanten Erörterungen der Phänomenologie finden sich im Vernunft- und Geistkapitel. Zwar taucht der Terminus »Anerkennung« auch im Religionskapitel noch zweimal auf, aber diese Stellen haben es nicht mit dem Anerkennungsverhältnis zwischen einzelnem Selbst und allgemeinem Willen eines Volkes zu tun, sondern mit der Beziehung des Volkes zu seinem Gott (470, 471). Allerdings nennt Hegel am Ende des Kapitels über den moralischen Geist das wechselseitige Verzeihen zwischen dem allgemeinen Bewußtsein der moralischen Regeln und dem abweichenden Gewissen – das die Verzeihungsthematik der Geistphilosophie von 1805/06 wieder aufnimmt – ein »Anerkennen«. Dieses wird am Ende der Phänomenologie in die vollendete Religion des Christentums und seinen »Geist der Gemeinde« integriert. Sie ist die Präsenz des göttlichen Geistes selber als Selbstanschauung und Liebe (515) in der Differenz selbständiger Personen. Diese Einsicht führt zum »absoluten Wissen«. Insofern kann man das philosophisch begriffene religiös-moralische Bewußtsein als »Gipfel« der Anerkennung in der Phänomenologie bezeichnen.113 Aber diese Entwicklung liegt jenseits der Sittlichkeit als Thema der praktischen Philosophie. Dagegen entsprechen die Erörterungen der Anerkennung im zweiten Teil des Vernunftkapitels und im »Geist« zweifellos dem Anerkennungsverhältnis zwischen »Ich« und »Wir« der früheren Schriften. In der Tat sind es ja auch diese Teile der Phänomenologie, die es in erster Linie mit den Gestalten des praktischen Geistes zu tun haben. Das Prinzip der Anerkennung | 131
Hegels Beschäftigung mit dem Thema Anerkennung scheint aber auch in diesen Kapiteln eher kursorisch als systematisch zu sein: Das Thema taucht immer wieder auf, ist aber für die Abfolge der Gestalten nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Sind dann die Gestalten des praktischen Geistes in der Phänomenologie nicht als zunehmende Realisierung von Anerkennung zu begreifen? Das Verhältnis der Anerkennungstheorie zur Methode der Phänomenologie und ihrer Erfahrungsgeschichte des Bewußtseins soll in einem späteren Teil (Kap. III) noch gesondert erörtert werden. Jedoch zeigt bereits ein genauerer Blick auf die Stellen, an denen Hegel die Problematik der Anerkennung behandelt, daß die Entwicklung des Anerkennungsverhältnisses in der Tat als Maßstab für die wesentlichen »Bildungs«schritte des praktischen Geistes in Anspruch genommen wird. Sie befinden sich nämlich alle an den entscheidenden »Übergängen« dieses Bildungsprozesses: im Übergang von der (praktischen) Vernunft zum Geist sowie jeweils am Schluß der drei Hauptgestalten des Geistes (»Der wahre Geist«, »Der entfremdete Geist«, »Der seiner selbst gewisse Geist«) – zuletzt also im Übergang des »Geistes« zur »Religion«. Hegel nennt die drei jeweils letzten Stufen dieser Abschnitte – nämlich den »Rechtszustand«, »Die absolute Freiheit und den Schrecken« sowie »Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung« – an einer späteren Stelle auch das erste, zweite und dritte »Selbst« des Geistes (415 f.). In ihnen ist das den drei »Welten« des Geistes immanente Verhältnis von Einzelheit und Allgemeinheit, Selbst und Substanz dem erfahrenden Bewußtsein selbst durchsichtig geworden und kann nun in Termini der erreichten Anerkennung bestimmt werden. Das Interesse dieser Arbeit ist indessen nicht nur der Nachweis der Bedeutung der Anerkennung für die Entwicklung des praktischen Geistes. Mehr noch interessiert das Umgekehrte: der Beitrag dieser Gestalten der Phänomenologie zur Theorie der Anerkennung. Ändert sich die Bedeutung von »Anerkennung« im Vernunft- und Geistkapitel der Phänomenologie gegenüber der Geistphilosophie von 1805/1806? Zur Beantwortung dieser Frage soll im Folgenden zunächst ein Überblick über die Anerkennungsbewegung des Vernunftkapitels im Hinblick auf ihre Entsprechung zum zweiten Teil (»wirklicher Geist«) der Geistphilosophie von 1805/06 gegeben werden. 132 | kapitel i
A. Individuelles Handeln und vernünftige Wirklichkeit (Vernunft-Kapitel) Die Erörterung der Anerkennung zu Anfang von Teil B des Vernunftkapitels (»Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins«) nimmt offenbar einen Zustand vorweg, der erst am Ende des Vernunftkapitels bzw. am Beginn des Geistkapitels erreicht ist: »heben wir diesen noch innern Geist als die schon zu ihrem Dasein gediehene Substanz heraus, so schließt sich in diesem Begriffe das Reich der Sittlichkeit auf« (234). Dagegen gilt vom Stand der Erfahrung des Bewußtseins: »das Selbstbewußtsein hat dieses Glück noch nicht erreicht, sittliche Substanz, der Geist eines Volkes zu sein« (237), denn »aus der Beobachtung« – der vorausgehenden Entwicklung der beobachtenden Vernunft – »zurückgekehrt, ist der Geist … erst unmittelbar; unmittelbar seiend aber ist er einzeln« (ebd.).114 Die »Verwirklichung« dieses Selbstbewußtseins, der Aufweis seiner Einheit mit der an sich vernünftigen, von Gesetzen, Begriffen, »Theorien« des Selbstbewußtseins durchzogenen Wirklichkeit besteht für die »praktische« – nicht mehr beobachtende – Vernunft daher zunächst darin, »sich als dieses Einzelne in einem andern oder ein anderes Selbstbewußtsein als sich anzuschauen« (239). Dies scheint nichts anderes zu sein als die Bewegung des Anerkennens, wie sie zu Beginn des Selbstbewußtseinskapitels dargestellt wurde – die erste Form der praktischen Vernunft, die »Lust und die Notwendigkeit« soll ja in der Tat die erste Gestalt des Selbstbewußtseins wiederaufnehmen (vgl. 233 f.). Zum Unterschied vom Kampf um Anerkennung hat aber der Andere jetzt keine »gegenständliche Seite« mehr, wird nicht mehr als zu negierendes lebendiges Objekt verstanden. Vielmehr ist seine Bewußtheit und geistige Wirklichkeit von vornherein präsent, ebenso wie seine Identität mit ›meinem‹ Selbst – und damit implizit auch schon die Allgemeinheit des Selbst, die in bestimmter Hinsicht ja schon in der Erfahrung des unglücklichen Bewußtseins offenbar wurde. Das Charakteristische an der Erfahrung der »Lust und der Notwendigkeit« ist aber – und das gilt prinzipiell für alle Gestalten der Vernunft –, daß eigentlich gar keine »interpersonale« Bewegung in Gang kommt, daß vielmehr nur das »vernünftige Selbstbewußtsein«, das seine Identität mit dem Anderen weiß,115 die Erfahrung Das Prinzip der Anerkennung | 133
der Aufhebung seiner Einzelheit macht. Von der Doppelsinnigkeit der Erfahrung in einer Zweierbeziehung ist zumindest nicht ausdrücklich die Rede. Die Einzelheit des Selbst wird zum einen in die Allgemeinheit der Einheit mit den Anderen aufgehoben, zum anderen in leblose »Notwendigkeit«. Diese Notwendigkeit ist im Grunde nichts anderes als der Zusammenhang der einfachen Begriffe des Selbst, die der praktischen Vernunft nun, wie zuvor der beobachtenden, erstmals als die gesetzmäßigen Strukturen des Ansichseins erscheinen.116 Das allgemeine Selbst, das durch die Vereinigung zweier Subjekte in der Lust erfahren wird, ist für das erfahrende Bewußtsein aber noch nicht mit diesen gesetzhaften Strukturen identisch. Diese Trennung bleibt im ganzen Vernunftkapitel erhalten: einerseits erscheint dem Selbstbewußtsein die Wirklichkeit mehr und mehr als von moralischen, rechtlichen und historischen Gesetzmäßigkeiten durchdrungen – und zum anderen erfährt es seine Verknüpfung mit den Handlungen der Anderen, eine Verknüpfung bzw. »Verwicklung«, der es weder bei der Verwirklichung seiner Individualität noch bei der einer allgemeinen »Sache« entgehen kann. Es bringt aber diese beiden Seiten nicht zusammen. In dieser Hinsicht bleibt die praktische (sich verwirklichende) Vernunft der Phänomenologie hinter dem »wirklichen Geist« der Geistphilosophie von 1805/06 zurück. Sie entspricht ihm aber gerade hinsichtlich der Bewegung des Anerkennens darin, daß es sich beidesmal um eine Auseinandersetzung von einzelnem und allgemeinem Willen handelt. Dabei setzt aber der einzelne Wille in der Phänomenologie sich nicht von vornherein als allgemein, sondern versucht – auch nach der Allgemeinheitserfahrung der »Lust und der Notwendigkeit« noch – stets abwechselnd sein Handeln entweder als Ausdruck des Allgemeinen – der Tugend, des Guten, der Sache selbst etc. – oder seiner Individualität, seines unmittelbaren Fürsichseins zu verstehen und zu verwirklichen. Erst in den beiden letzten Gestalten des Vernunftkapitels wird dieser Zwiespalt überwunden. Die Untrennbarkeit von individuellem Handeln und öffentlichem Werk, die Unmöglichkeit zugleich, getrennt von Anderen einer Sache zu dienen, und sei es nur der Sache der eigenen Individualität, führt zu der Erfahrung, daß das »Allgemeine« die im Handeln aller produzierte gesellschaftliche Wirklichkeit ist, die »nur als das Tun Aller und Jeder 134 | kapitel i
ein Sein ist, eine Wirklichkeit darin, daß dieses Bewußtsein sie als seine einzelne Wirklichkeit und als Wirklichkeit Aller weiß« (301). Damit ist das Individuum auch für sich selbst »nur aufgehobenes Moment«, und es hat ein wahres Bewußtsein bzw. »Selbst« nur als »allgemeines Selbst« (ebd.). Die Erfahrung, die es noch zu machen hat, besteht darin, dieses allgemeine Selbst als die gegenwärtige institutionelle Wirklichkeit der Sitten und Gesetze seines Gemeinwesens zu begreifen und nicht in eine unmittelbare Gewißheit von dem, was recht ist – sei es als gesetzgebende oder gesetzprüfende Vernunft – zu verlegen. In diesen Erfahrungen wird die Meinung von dem »was recht und gut ist«, mit dem, was »unmittelbar anerkannt« (278) ist, konfrontiert – das sind die »Gesetze« und »Massen der sittlichen Substanz«, und es ist das »verständige allgemeine Tun des Staats«, demgegenüber das »Tun des Einzelnen als eines Einzelnen« so bedeutungslos wie ohnmächtig ist (280). Würde es sich dem allgemeinen Tun entgegensetzen, so würde es »unwiderstehlich zerstört werden« (ebd.) – wie das in der Dialektik von Verbrechen und Strafe in der Jenaer Geistphilosophie dargestellt wurde. Gemäß dem veränderten Ziel der Phänomenologie geht es aber nicht um bestimmte Formen und Institutionen des Rechts, sondern um eine Kritik an Auffassungen dessen, was recht und was das Recht ist. Hegels These auf dieser Stufe der Entwicklung des Geistes, formuliert vor allem in der Auseinandersetzung mit Kant, lautet: »Nicht darum also, weil ich etwas sich nicht widersprechend finde, ist es Recht; sondern weil es das Rechte ist, ist es Recht« – weil es nämlich in einem Gemeinwesen institutionalisiert ist und seinerseits das Wissen und die »sittliche Gesinnung« als ein »unwankendes Ansichsein« bestimmt (286 f.). Wir brauchen hier nicht auf Hegels Auseinandersetzung mit Kant einzugehen. Es geht vielmehr darum zu sehen, daß das Selbst anerkannt ist, wenn es sich in seiner Gesinnung von gemeinsam anerkannten Gesetzen leiten läßt. Auf diese Stufe der Anerkennung, das unmittelbare Wissen des Geistes, bezieht sich die oben erwähnte Antizipation zu Beginn des zweiten Teils des Vernunftkapitels, die jetzt erläutert werden soll. Der Geist ist die realisierte Vernunft; das Bewußtsein, in dem selbständigen Anderssein »mein Fürsichsein zum Gegenstande zu haben« (235), ist in ihm objektivierbar, läßt sich an diesem AndersDas Prinzip der Anerkennung | 135
sein bewähren. Das Selbstbewußtsein ist zum »anerkannten Selbstbewußtsein« geworden, das »in dem andern freien Selbstbewußtsein die Gewißheit seiner selbst und eben darin seine Wahrheit hat« (234). Die Möglichkeit, das andere Selbstbewußtsein als frei und selbständig, zugleich aber als mit sich – dem ersten Bewußtsein – identisch zu wissen, beruht auf einem gemeinsamen Ganzen, der Sitte des Volkes, die das Bewußtsein aller bestimmt und zugleich deren Werk ist. Insofern das erstere der Fall ist, müssen die Einzelnen auf ihre Einzelheit verzichten: »sie sind sich bewußt, diese einzelnen selbständigen Wesen dadurch zu sein, daß sie ihre Einzelheit aufopfern und diese allgemeine Substanz ihre Seele und ihr Wesen ist« (235). Die allgemeine Substanz der Sitte bestimmt »Sein«, »Tun« und Bewußtsein des Einzelnen – und ist daher die Identität, aufgrund derer sich jeder im Anderen wissen kann. Andererseits ist aber »dies Allgemeine wieder das Tun ihrer als einzelner oder das von ihnen hervorgebrachte Werk« (ebd.). Ohne diese Verwirklichung im Tun der Einzelnen wäre die Sitte nur »gedachtes Gesetz« bzw. »Abstraktion der Allgemeinheit« – erst als im Bewußtsein und Tun der Einzelnen verwirklichtes Allgemeines ist sie »wirkliches Selbstbewußtsein« (234). Die Einzelnen wissen einander mithin sowohl als Produkt wie als Ursprung der allgemeinen Sitte und des gemeinsamen Bewußtseins. Als Produkt sind sie eins, als Ursprung selbständig. Dieses Wissen, daß jeder für die »allgemeine Substanz« und damit für den selbständigen Anderen konstitutiv ist, ist die Einheit von Ich und Wir, die schon der Anfang des Kapitels Selbstbewußtsein als das Ziel des Anerkennungsprozesses antizipierte. Hegel nimmt diese Antizipation mit folgenden Worten wieder auf: »Ich schaue die freie Einheit mit den Anderen in ihnen so an, daß sie wie durch mich, so durch die Anderen selbst ist. Sie als Mich, Mich als Sie.« (236) B. Entzweiung und Versöhnung von »Selbst« und »Substanz« (Geist-Kapitel) Das Resultat des Vernunft-Kapitels ist das Bewußtsein, daß die Sitten und Institutionen einer Gemeinschaft sowohl »Substanz« wie »Werk« der sich selbst negierenden Einzelheit sind. Der ein136 | kapitel i
zelne Wille kann sich, insofern er zur Einheit mit dem allgemeinen Willen gebildet ist, in diesen Institutionen und dem von ihnen geprägten Bewußtsein der Anderen wiederfinden, anerkannt wissen. Diese Einheit ist aber noch nicht mit dem Sich-absolut-Wissen des Selbstbewußtseins vermittelt, das nach der Geistphilosophie von 1805/06 das »Prinzip der neueren Zeit« ausmacht. Die erste Gestalt des Geistes entspricht daher in der Phänomenologie der antiken Sittlichkeit. Die Bewegung, durch die der Geist zum absoluten Geist wird, ist die Entzweiung des Selbst – das sich zum absoluten SichWissen bildet – von der Substanz, den Institutionen und Prinzipien des Geistes eines Volkes, und die Überwindung dieser Entzweiung. Daß diese Bewegung zugleich ein Prozeß der Realisierung von Anerkennung ist, hat Hegel, wie bereits angedeutet (o. S. 98), dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er die jeweils letzten Gestalten der drei Hauptabschnitte (»Rechtszustand«, »absolute Freiheit«, »Gewissen«) als Anerkennungsverhältnisse erörtert hat. Unser folgender Überblick über die Anerkennungsbewegung im Geistkapitel folgt einerseits diesen von Hegel selber gesetzten Schwerpunkten, andererseits unserem Interesse an der Gesamtentwicklung der Jenaer Anerkennungstheorie, das sich in folgenden Fragen artikuliert: 1) Was bedeutet die gegenüber der Geistphilosophie von 1805/06 wesentlich veränderte Stellung des Rechtszustandes für die Anerkennungsbewegung der Phänomenologie? 2) Wie verhält sich die Entfremdung, die darin besteht, daß sich das individuelle Bewußtsein in den Institutionen des Geistes nicht wiederfinden kann, zur Anerkennung? 3) Was ist das »Telos«, die höchste Stufe der Anerkennung in der Phänomenologie? α) Recht und Anerkennung in der Phänomenologie Der »Rechtszustand« in der Phänomenologie ist die letzte Gestalt des »wahren Geistes« und zugleich der Beginn seiner Entfremdung. Darin scheint eine fundamentale Differenz zur Einschätzung des Rechts in der Geistphilosophie von 1805/06 zum Ausdruck zu kommen. Während das Recht dort erst die unmittelbare Form der Sittlichkeit war – in der späteren Rechtsphilosophie wird es sogar nur eine Vorstufe der Sittlichkeit ausmachen – wird es in der PhäDas Prinzip der Anerkennung | 137
nomenologie als Verfall der voraufgehenden unmittelbaren Sittlichkeit und als Beginn der Entfremdung dargestellt. Zwar ist in der Phänomenologie wie in der Geistphilosophie das »Anerkanntsein« die »Substantialität« des Rechtszustandes (vgl. 316). Aber die Anerkennung eines jeden als Rechtssubjekt ist der Verlust des verbindenden Geistes der unmittelbaren Sittlichkeit, die im Rechtszustand in die »Atome der absolut vielen Individuen zersplittert« ist (ebd.). Ist Hegel damit zur Rechtskritik der Frankfurter und frühen Jenaer Zeit zurückgekehrt, obgleich gerade die fast gleichzeitige Geistphilosophie die größte Annäherung an das moderne Naturrecht andeutet?117 Eine solche Annahme ist unnötig, wenn man die unterschiedliche systematische Stellung des Rechtszustandes in Geistphilosophie und Phänomenologie im Auge behält. In der Geistphilosophie ist das Recht Vorstufe der höheren Sittlichkeit des Staates und seiner Verfassung (»Konstitution«) – in der Phänomenologie handelt es sich um eine Gestalt des Geistes, in der das Recht selber Inhalt und Zweck der Verfassung eines Staates ist. Daß ein das Recht der Einzelnen verabsolutierender Staat aber ein »geistloses Gemeinwesen« (ebd.) ist, dessen Einheit dem Partikularismus der Einzelnen und Gruppen zum Opfer fallen muß, ist die gleichbleibende Auffassung Hegels während der gesamten Jenaer Zeit. Weltgeschichtliches »Modell« eines solchen Staates ist in der Phänomenologie wie schon in den Frankfurter Schriften der römische Staat. In ihm – vor allem im spätrömischen Kaiserreich – hat die Verabsolutierung des Rechtes geradezu zum chaotischen Naturzustand eines Kampfes aller gegen alle geführt. Die rechtlich geschützte Selbständigkeit des einzelnen ist nämlich kein »Inhalt«, der die Ideen und Interessen, die »geistigen Mächte« (319) eines Gemeinwesens binden und organisieren könnte. Im Kampf dieser Mächte verkehrt sich das Prinzip, das in diesem Gemeinwesen verwirklicht werden sollte, die Selbständigkeit der Person – die ihr »Wesen allein in die Einheit des reinen Denkens setzt« (317) – in sein Gegenteil. Die »Wirklichkeit« eines solchen Gemeinwesens ist vom Prinzip der Herrschaft und damit der Negation der Selbständigkeit des einzelnen bestimmt. Hegel stellt das Verhältnis Kaiser – Volk im späten Rom als eine Wiederholung des Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnisses dar, das insofern noch verschärft ist, als der »Herr der Welt« das »wirkli138 | kapitel i
che Bewußtsein dessen, was er ist« nur in der »zerstörenden Gewalt (hat), die er gegen das ihm gegenüberstehende Selbst seiner Untertanen ausübt« (319 f.). Die Substanz des Gemeinwesens ist also die »entfremdete Realität« des Selbstbewußtseins (320). Ein weiteres Problem liegt darin, daß der Rechtszustand in der Phänomenologie unter einem doppelten Aspekt erörtert wird, der gerade auch die Anerkennungstheorie betrifft; er ist zum einen, wie das Recht in der Geistphilosophie, die unmittelbare Form des »Anerkanntseins« des reinen Selbst, die »unmittelbare Einheit der Einzelheit und Allgemeinheit« (416), insofern das Gelten der Person der einzige Inhalt des allgemeinen Willens ist. Auf der anderen Seite ist das Sich-Finden des – mit der Allgemeinheit der Sitten eins gewordenen – Selbst in den Institutionen des Staates, das die »sittliche Welt« bestimmte, bereits unmöglich geworden. Beides läßt sich vereinbaren, wenn man davon ausgeht, daß sich das Selbst im Rechtszustand zwar in den Anderen, aber nicht in den Sitten und Institutionen des Gemeinwesens anschauen kann. Soll Letzteres geschehen, dann muß sich im Prozeß der Bildung und Entfremdung das »substanzleere Selbst« (ebd.) erfüllen, und die sittliche Substanz als »selbstisch« erweisen. Das Selbst muß einen Bildungsprozeß durchlaufen, um eine neue, vermittelte Identität mit der sittlichen Substanz zu gewinnen: »Dies Tun und Werden aber, wodurch die Substanz wirklich wird, ist die Entfremdung der Persönlichkeit, denn das unmittelbar, d. h. ohne Entfremdung an und für sich geltende Selbst ist ohne Substanz und das Spiel jener tobenden Elemente« (sc. des Rechtszustandes) (321). Der entfremdete Geist und seine Welt ist somit zweifellos eine notwendige Stufe der teleologischen Bewegung der Anerkennung. Zugleich aber stellt er eine Negation der Anerkennung dar, denn »Entfremdung« bedeutet offenbar, sich in den Institutionen, dem »Werk« und »Tun« aller nicht wiederfinden zu können. β) Anerkennung im »entfremdeten Geist« Der Entfremdungsbegriff der Phänomenologie ist indessen sehr viel komplexer, als er gewöhnlich interpretiert und diskutiert wird. Er enthält nicht nur den Gegensatz zwischen dem Selbstbewußtsein Das Prinzip der Anerkennung | 139
und dem Produkt des »Tuns aller«, sondern auch den zwischen Bewußtsein und Selbstbewußtsein, der sich auf dieser Stufe als ein solcher zwischen »wirklichem« und »reinem Bewußtsein« darstellt (vgl. 321). Für das erstere ist die Einheit von Selbstbewußtsein und »freier gegenständlicher Wirklichkeit« durch den Prozeß der Entäußerung selbst vermittelt, durch den das Selbst »in die wirkliche Welt über und diese in jenes zurück« geht (ebd.). Für das letztere dagegen besteht die Einheit allein im »Denken und Gedachtsein«, d. h. in der aufgehobenen Wirklichkeit. Jeder der beiden Bewußtseinsformen gilt die andere als ihre Entfremdung. »Entfremdung« ist schließlich auch die Tatsache der Spaltung – in reines und wirkliches Bewußtsein, »Jenseits« und Diesseits – selbst. Im Kapitel über die »Bildung und ihr Reich der Wirklichkeit« behandelt Hegel zunächst die Entfremdung innerhalb des wirklichen Bewußtseins. Wie in der Jenaer praktischen Philosophie – als ganzer – geht es dabei um das »Aufheben des natürlichen Selbst«, das dadurch erfährt, daß es den Inhalt und Zweck seines Willens nicht in der »Besonderheit einer Natur«, sondern nur in der »allgemeinen Substanz« der ihm als fremd erscheinenden Wirklichkeit der kulturellen, ökonomischen und staatlichen Institutionen hat (vgl. 324). Viel größeres Gewicht als in den früheren Entwürfen hat aber in der Phänomenologie der umgekehrte Aspekt, die Verwirklichung der Substanz durch ihre Vermittlung mit dem Selbst, das »Übergehen ihrer gedachten Allgemeinheit in die Wirklichkeit … wodurch das Ansich Anerkanntes und Dasein ist« (325). Diese Bewegung führt im Entfremdungskapitel dahin, daß die Substanz im geistreichen Beurteilen des Selbstbewußtseins aufgelöst wird – geschichtsphilosophisch entspricht dem die Kultur des vorrevolutionären Frankreich, repräsentiert bei Hegel vor allem durch Diderot und Rousseau.118 Das in seiner höchsten Bildung zur Freiheit des totalen Durchschauens und Entlarvens gelangte Selbstbewußtsein entdeckt, daß alle Begriffe in ihr Gegenteil übergehen und damit die Haltlosigkeit der »höchsten Zwecke« (348). Auch die »wirklich anerkannten Mächte« erweisen sich für das zugleich »zerrissene« und gegen jede anerkannte Institution »empörte« Selbst, »nicht Selbstwesen zu sein« (ebd.). »An sich« ist die Substanz damit völlig in das reine Selbst aufgelöst. Die Entfremdung besteht insofern jetzt im Verlust des vom Selbst unabhängigen »Elementes« des Anerkanntseins. 140 | kapitel i
Rein historisch betrachtet parallel, hinsichtlich der phänomenologischen Entwicklung des Geistes aber auf höherer Stufe, verläuft der Entfremdungsprozeß des reinen und wirklichen Bewußtseins, des Glaubens und der Aufklärung. Die »Richtung« auch dieses Prozesses ist das Subjekt-Werden der Substanz und das substantiell – gebildet, allgemein – Werden des Selbst. Dazu müssen die festen Gegensätze innerhalb der geistigen Substanz in die »Form der Begriffe« (386) übergehen, die sich als Einheit ihrer selbst und ihres Gegenteils erweisen. Wenn das zur Allgemeinheit gebildete Selbst, dessen Wesen nach der Bestimmung, die Hegel am Ende des Bewußtseinskapitels gibt, das »Unterscheiden des Ununterschiedenen« (117, 118) ist, diese Struktur des Begriffs oder des »allgemeinen Subjekts« (386) in dem entdeckt, was ihm »Gegenstand heißt« (ebd.), dann hebt sich die Fremdheit dieser Gegenständlichkeit auf, das Selbst erfährt, daß »sein wissender Begriff das Wesen aller Wirklichkeit« ist (ebd.). Für den praktischen Geist bedeutet dies, daß das allgemeine Selbst bzw. der allgemeine Wille zum Prinzip der staatlichen Wirklichkeit wird. Dies geschieht nach Hegel in der Französischen Revolution. Das Kapitel die »absolute Freiheit und den Schrecken«, in dem Hegel die Französische Revolution behandelt, ist für die Anerkennungsbewegung wichtig, weil es – analog zu Verbrechen und Strafe in der Geistphilosophie – das Moment der Auseinandersetzung zwischen einzelnem und allgemeinem Willen behandelt. Zu dieser Auseinandersetzung kommt es hier aber nicht deshalb, weil der einzelne Wille den allgemeinen negiert und diese Negation auf ihn zurückschlägt, sondern weil einzelner und allgemeiner Wille durch keine Besonderungen – Stände oder Institutionen – miteinander vermittelt sind, sondern sich als »abstrakte Extreme« (389) gegenüberstehen. Da aber das allgemeine Selbst als die Negation aller bestehenden Unterschiede bestimmt war, kann es auch den einzigen in ihm selbst bestehenden Unterschied – eben den zwischen allgemeinem und einzelnem Willen – nur abstrakt negieren. Dies ist die »Negation des Einzelnen als Seienden in dem Allgemeinen« (390) – historisch gesehen der Terror Robespierres. Die Erfahrung, die das Bewußtsein in dieser Gestalt macht, zeigt, daß der allgemeine Wille keineswegs »nur das positive Wesen der Persönlichkeit« (391) zum Ausdruck bringt, sondern das »Aufheben des Sichselbstdenkens Das Prinzip der Anerkennung | 141
oder des Selbstbewußtseins« (ebd.) ist. Das Bewußtsein muß mithin seine »Forderung, sich als diesen bestimmten Punkt im allgemeinen Willen zu wissen« (393) aufgeben. Es muß seine eigene »Unmittelbarkeit« aufheben und in dieser Negation der unmittelbaren, punktuellen Einzelheit des Fürsichseins das gemeinsame Wesen seiner selbst und des allgemeinen Willens erkennen: »der allgemeine Wille ist sein reines Wissen und Wollen, und es ist allgemeiner Wille, als dieses reine Wissen und Wollen« (393). γ) Die Erfüllung der Anerkennung: Das Gewissen und die Verzeihung des Bösen Das Selbst, das seine Einheit mit dem allgemeinen Willen im »reinen Wissen und Wollen« als sein Wesen bzw. als »seine Substanz und Zweck und einzigen Inhalt« (395) weiß, ist das moralische Selbst. Aber auch in der Moralität tritt die Differenz zwischen Einzelheit und Allgemeinheit des Selbst bzw. des Geistes wieder ein – und zwar als die »Trennung des Ansich und des Selbst, der reinen Pflicht als des reinen Zwecks und der Wirklichkeit als einer dem reinen Zweck entgegengesetzten Natur und Sinnlichkeit« (417). Erst am Ende der Entwicklung des moralischen Geistes, in seinem Übergang in die Religion, wird diese Trennung aufgehoben. Diese Bewegung, die von Hegel wieder ausdrücklich als Anerkennung bestimmt wird, erweist sich damit als Abschluß eines Prozesses, der von der unmittelbaren Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit im Rechtszustand über die Differenz beider in der »absoluten Freiheit« bis zu ihrer endgültigen Versöhnung in der Verzeihung des Bösen führt (vgl. 416.). Hegel nennt daher das Gewissen,119 die letzte Gestalt des moralischen Bewußtseins, das »dritte Selbst«, das im Unterschied zum »leeren Recht« und zum »leeren allgemeinen Willen«, der das Prinzip der absoluten Freiheit der Französischen Revolution war, einen »Inhalt« seiner Selbstgewißheit hat, der die »Form des vom Selbst freien Daseins« bzw. des Ansichseins (alle ebd.) – und damit auch des »Seins für anderes« (420) hat. Das Gewissen unterscheidet nämlich nicht mehr, wie das »moralische Selbstbewußtsein« (420) zwischen »guter Absicht« bzw. moralischer Gesinnung und 142 | kapitel i
ihrer unvollkommenen Verwirklichung – eine Unterscheidung, aufgrund deren sich das moralische Selbst schließlich als »nichthandelndes« und daher wirklichkeitsloses erwies. Das Gewissen beansprucht vielmehr, in der Öffentlichkeit des Handelns bzw. im »Element des Anerkanntwerdens« seinen Begriff der Pflicht zu verwirklichen (ebd.). Sein »Tun« ist das »Übersetzen seines einzelnen Inhalts in das gegenständliche Element, worin er allgemein und anerkannt ist« (ebd.). Damit scheint zwischen der Überzeugung des einzelnen Gewissens von seiner Pflicht und ihrer »Wirklichkeit« in der allen offenbaren und von Allen anerkannten Handlung keine Differenz mehr zu bestehen. In Wahrheit besteht aber nach wie vor zwischen den Ebenen des allgemeinen Bewußtseins und des Handelns des Einzelnen eine Ungleichheit. Denn dem Gewissen geht es in seiner Handlung nicht um den bestimmten einzelnen Inhalt, der den Anderen gilt und an den sie sich halten, sondern nur um seine Selbstgewißheit. Für diese ist aber der bestimmte Inhalt unwesentlich – die Gewißheit der Pflicht läßt sich nicht endgültig mit bestimmten Inhalten verknüpfen, sie tritt in jedem einzelnen Fall neu ein und hat zu dessen Inhalt keine wesentliche Beziehung. Die wirklichen Handlungen offenbaren daher nicht das Wesen des Gewissens – die »absolute Gewißheit seiner selbst« (427) – sondern »verstellen« es vielmehr. Wenn das Gewissen mit seinen Handlungen aber nicht identifiziert werden kann, dann sind die anderen gleichfalls »frei« von diesen bestimmten Handlungen – und auch von der Notwendigkeit, aufgrund ihrer die Pflichtmäßigkeit des handelnden Gewissens anzuerkennen. Auf diese Weise tritt durch die Handlung der Gegensatz zwischen einzelnem und allgemeinem Bewußtsein120 wieder ein – wobei das einzelne Bewußtsein, wie im Verbrechen, sich als allgemein versteht und ausgibt: seine Gewissensentscheidung gilt ihm als allgemeine Pflicht. In Wahrheit setzt es aber das Allgemein- bzw. »Anerkannt«Sein zum Unwesentlichen herab und seine Selbstgewißheit in den einzelnen Taten gilt ihm als das Entscheidende. Für das allgemeine Bewußtsein ist diese bloß vorgespiegelte Wesentlichkeit des Allgemeinen »Heuchelei« und das sich in seine Selbstgewißheit zurückziehende Bewußtsein das »Böse« – auch dies stimmt mit der Erörterung des Verhältnisses von Verbrechen und richterlicher Gewalt in der Geistphilosophie überein.121 Anders als in der AuseinanderDas Prinzip der Anerkennung | 143
setzung des Verbrechers mit dem gewalthabenden Gesetz wird aber hier das – nur beurteilende – allgemeine Bewußtsein dem bösen gegenüber selber zum partikularen. Hegel begründet dies auf dreifache Weise: Zum einen beruft sich das allgemeine Bewußtsein »auf sein Gesetz wie das böse Bewußtsein auf das seinige« (435). Damit erweist es sein Gesetz als ein nicht von allen Befolgtes, »Nichtanerkanntes« (436), Besonderes. Partikular ist es aber zudem aus einem weiteren Grunde: Um sich »in der Reinheit bewahren« zu können, muß es auf jede wirkliche Handlung verzichten und bleibt auch insofern »neben« dem ersten, umfaßt es nicht (ebd.). Schließlich ist es nicht nur selber böse, sondern in bestimmter Hinsicht sogar Ursache der Bosheit des anderen. Denn die Differenz zwischen der Allgemeinheit der Pflicht bzw. des »reinen Zwecks« und der »Seite der Einzelheit« der Handlung wird erst durch die moralische Beurteilung des allgemeinen Bewußtseins eingeführt (438). Das allgemeine Bewußtsein »erklärt« die Handlung des von ihr als böse beurteilten Bewußtseins »aus ihrer von ihr selbst verschiedenen Absicht und eigennützigen Triebfeder« (437) – und insofern »spielt (es) die Handlung in das Innere (des anderen Bewußtseins) hinein« (ebd.).122 Daß beide Weisen des Bewußtseins gleichermaßen böse sind, ermöglicht zunächst dem handelnden – ursprünglich bösen – Bewußtsein der Einzelheit, den Gegensatz von sich aus aufzuheben. Es gesteht seine Besonderheit, weil es darin mit dem anderen übereinstimmt und daher als solches von ihm anerkannt zu werden glaubt. Während aber das »bekennende« Bewußtsein eben dadurch »dem abgesonderten Fürsichsein entsagte« und sich »als Allgemeines setzte« (439), bleibt nun das allgemeine Bewußtsein im »Innern« seines reinen tatenlosen Wissens, verweigert die Anerkennung seinerseits. Hegel bezeichnet dieses Verhältnis als die »höchste Empörung des seiner selbst gewissen Geistes« (ebd.), weil sich das Selbst des »zurückgestoßenen« Bewußtseins in der Allgemeinheit des Geistes nicht anerkannt weiß, obwohl es das »einfache Wissen des Selbsts« mit dem »reinen Wissen« des allgemeinen Bewußtseins identisch weiß (ebd.). Das seiner Besonderheit entsagende reine Bewußtsein erhält seine Identität mit dem allgemeinen Bewußtsein von diesem nicht bestätigt – das Allgemeine tritt ihm vielmehr selber als abgesondertes Fürsichsein gegenüber. 144 | kapitel i
Die Aufhebung dieses Gegensatzes, die »Verzeihung« des Bösen und die Versöhnung des einzelnen mit dem allgemeinen Bewußtsein, entspricht wiederum im Ergebnis der Begnadigung in der Geistphilosophie von 1805/06, obwohl sie als Prozeß in wesentlichen Punkten davon abweicht. Denn die Versöhnungsbewegung beginnt bei dem ursprünglich bösen, aber durch sein »Bekennen« zum Allgemeinen zurückkehrenden Bewußtsein. Dagegen hat das zur Verzeihung nicht bereite Bewußtsein nun die Charakteristika, die das böse in der Geistphilosophie kennzeichneten: es ist absolutes Insichsein, weil es von aller Wirklichkeit des Handelns frei ist. Erst durch die Einsicht in das, was die bekennende Rückkehr des handelnden und »wirklichen« Bewußtseins in die Allgemeinheit des Sichwissens bedeutet, kann das urteilende Bewußtsein dem »teilenden Gedanken« (440) entsagen. In dem sich bekennenden Bewußtsein erkennt das allgemeine Bewußtsein sich selbst (vgl. 439 f.). Das bedeutet aber nicht, daß nur in der leeren, handlungslosen Allgemeinheit beide übereinkommen können. Die Versöhnung bedeutet vielmehr die Erfahrung der Einseitigkeit beider Extreme, des handelnden und des urteilenden, wissenden Bewußtseins. Indem jedes sich im anderen anschaut, »ergänzt« sich das Moment der abstrakten Allgemeinheit durch das der Einzelheit des handelnden Selbst und umgekehrt (vgl. 439, 440 u. 521, 522). Das »gegenseitige Anerkennen« (441) beider in ihrer Versöhnung ist daher zugleich die Erkenntnis der Einheit des »reinen Sichselbstwissens« in den beiden entgegengesetzten Extremen des »absolut Allgemeinen« und der »absoluten Diskretion der Einzelheit« (442). Das Wissen dieser Einheit ist der absolute Geist. Der absolute Geist – nicht der Staat – ist somit das Telos der Anerkennungsbewegung in der Phänomenologie. Freilich ist die Versöhnung im »handelnden, seiner selbst gewissen Geist« noch nicht die »Erfüllung« des absoluten Geistes (521). »Inhalt« gewinnt dieser vielmehr erst in der Religion, in der er aber wieder in der Form des An-sich, des »Andersseins für das Bewußtsein« auftritt (ebd.). Zum absoluten Bewußtsein seiner selbst gelangt er erst im absoluten Wissen, in dem er sich als Einheit zweier »Versöhnungen« weiß: derjenigen im handelnden Geist bzw. in der »Form des Fürsichseins« und im religiösen Geist bzw. in der »Form des Ansichseins« (519).123 Religion und Philosophie aber werden in der PhäDas Prinzip der Anerkennung | 145
nomenologie nicht mehr als höchste Institutionen des Staates aufgefaßt,124 sondern der Staat in seinen historischen Formen kommt nur als Vorstufe des absoluten Geistes in Betracht. Diese Tatsache ist wichtig für die Versuche, die Phänomenologie als Emanzipationsgeschichte zu lesen.125 Sie bedeutet aber nicht, daß die Struktur der Anerkennung in der Phänomenologie eine andere ist als in den früheren Schriften. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen einzelnem und allgemeinem Bewußtsein gehen nämlich auch Religion und Philosophie (absolutes Wissen) nicht über die »Verzeihung des Bösen« hinaus. Im Schlußkapitel der Phänomenologie sagt Hegel ausdrücklich, daß die beiden »Versöhnungen« am Schluß der »Moralität« und in der »offenbaren Religion« sich nur durch ihre Form voneinander unterscheiden: Die Religion wiederholt die zunächst nur in der »Form des Fürsichseins« vollbrachte Versöhnung in der »Form des Ansichseins« (ebd.). Allerdings ist diese Versöhnung in der Religion die umfassendere, denn als das »Böse« ist in ihr nicht nur Handlung und Gewissen des Einzelnen, sondern die gesamte Natur und die Trennung von Bewußtsein und »Dasein« (vgl. 504 f.) bestimmt. In der Versöhnung, die das religiöse Bewußtsein im Reich seiner Vorstellungen anschaut und im Kult nachvollzieht, wird alles »Anderssein«, die Natur, das »besondere Fürsichsein« (512) und die »reine Innerlichkeit des Wissens« (514) in den absoluten Geist, die sich als Selbst wissende Substanz, aufgehoben. Daß das absolute »Insichsein« der selbstbewußten Einzelheit erst in der Religion, genauer in der im Kult nachvollzogenen Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung (vgl. 503 ff.), zum Wissen der Einheit mit dem absoluten Geist gelangen kann, hat Hegel schon in den frühen Jenaer Schriften seit dem System der Sittlichkeit dargestellt. In diesem Bewußtsein lag für ihn eine notwendige Ergänzung zur Anerkennung des Einzelnen im Staat – nämlich ein Wissen des Freiseins vom historisch besonderen Staat durch die Identität mit dem absoluten Geist. Dieses Verhältnis der Religion zum modernen Staat wird in der Phänomenologie nicht erörtert. Unter dem Gesichtspunkt der Phänomenologie, der Genese des absoluten Wissens als des »reinen Selbsterkennens im absoluten Anderssein« (19), kommt der über den Bereich des sozialen Handelns hinausgehenden religiösen Versöhnung natürlich größere Bedeutung zu als in den früheren Schrif146 | kapitel i
ten. Allerdings hat auch diese Versöhnung als ein Geschehen im »allgemeinen Selbstbewußtsein«, d. h. der »Gemeinde«, einen sozialen Aspekt. Der im Kult und im religiösen Wissen »vom Selbst ergriffene Tod des Mittlers« (512 f.) bedeutet für das besondere Selbst das »Aufheben seiner Gegenständlichkeit oder seines besondern Fürsichseins«, und zwar als ein Emporheben »zur Allgemeinheit des Geistes, der in seiner Gemeinde lebt« (ebd.). Dieses Wissen ist aber nicht nur ein »Sterben« und »Nichtsein dieses Einzelnen« (511), sondern auch die Gewißheit, daß die Gemeinde seinen Rückzug in die unzugängliche Einzelheit seines Insichseins, seines Gewissens und davon bestimmten Handelns als ein Moment ihrer selbst annimmt und ihrer »unbewegten Allgemeinheit« entsagt (vgl. 522). Unter dem »sozialen« Aspekt des Anerkennens geht diese »Versöhnung« offenbar nicht über die am Ende der »Moralität« dargestellte hinaus.126 Als Vorstellung eines gleichsam »kosmologischen« Prozesses der Versöhnung von Geist und Natur kommt sie dagegen dem Ziel der Phänomenologie des Geistes näher. Was bedeutet es für die Anerkennungstheorie der Phänomenologie, daß Hegel ihre höchste Stufe als Versöhnung zwischen Gewissen und »allgemeinem Selbst« darstellt? Ist damit nicht doch ein am neutestamentlichen Liebesbegriff orientiertes »solidarisches« Verhältnis zum Ziel der sozialen Beziehungen und ihrer Organisation in einer »verfaßten« Gemeinschaft geworden? Muß aus dieser Anerkennung des Gewissens nicht auch ein Recht auf abweichende individuelle Interpretation allgemeiner Gesetze und Regeln folgen? Hegel ist in der Phänomenologie noch nicht so weit gegangen wie in der Enzyklopädie, wo er das »protestantische Gewissen« – als Synthese des »religiösen und des sittlichen Gewissens« – als unumgängliche Grundlage des vernünftigen Staates erklärt. Aber auch dort bedeutet die Freisetzung dieses Gewissens nicht, daß anstelle der »Gesetze« und der »vernünftigen Rechtsorganisation« des Staates die Spontaneität solidarischer Beziehungen tritt. Denn das »concrete Inwohnen« des »göttlichen Geistes« § 552, GW 20, 541 in den sozialen Beziehungen ist gerade in den »Gestaltungen der Sittlichkeit« zu finden, nämlich der »Sittlichkeit der Ehe«, der »Sittlichkeit der Vermögens- und Erwerbsthätigkeit« und der »Sittlichkeit des dem Rechte des Staates gewidmeten Gehorsams« (ebd. 535). Das Prinzip der Anerkennung | 147
Zumindest für den späten Hegel können diese Institutionen durchaus die Billigung des »religiösen Gewissens« finden, d. h. ihm als Verkörperungen des in der Religion vorgestellten Verhältnisses von einzelnem und absolutem Selbst verstanden werden. Das allerdings bedeutet wiederum, daß sie dem Maßstab der Anerkennung entsprechen, die auf ihrer höchsten Stufe »Versöhnung« zwischen allgemeinem Selbst und Gewissen ist. Was aber bedeutet dieser Maßstab für die »vernünftige Rechtsorganisation« eines Staates selber? Welche Rolle spielt in ihr die Freiheit und Anerkennung des Gewissens? Offenbar nicht, daß Gewissen und Pflichtgefühl als Recht in Anspruch genommen werden können, vom »anerkannten Allgemeinen« abzuweichen. Denn das vom allgemein anerkannten Sittlichen getrennte »Innre, Eigene« kann nur private »Einzelheit und Willkür« sein (435). Hegel zieht daraus die radikale Konsequenz: »Wer darum sagt, daß er nach seinem Gesetze und Gewissen gegen die Andern handle, sagt in der Tat, daß er sie mißhandle.« (ebd.) Auf der anderen Seite kritisiert Hegel, wie wir gesehen haben, das Ausspielen der Allgemeinheit moralischer Forderungen gegen die »Seite der Einzelheit« (438) der Handlung. Dennoch ist wenig wahrscheinlich, daß er damit die Interpretierbarkeit anerkannter Normen und Rollen durch eine darin letztlich nicht aufgehende Individualität fordert. Es sei denn, es handele sich um die Tat eines großen Individuums, dessen gesetzloses Handeln sich nachträglich als Vorgriff auf eine neue Form des Geistes erweist, ein Thema, das in Hegels Kritik der »Heuchelei« des allgemeinen Bewußtseins eine Rolle spielt, obgleich die Verzeihung des Bösen in der Phänomenologie nicht in erster Linie die Versöhnung der Hegelschen Philosophie mit Napoleon zum Thema hat, wie Kojève zu zeigen versucht.127 Daß die Allgemeinheit eines Gesetzes oder eines moralischen Imperativs nicht mechanisch auf jede einzelne Handlung angewandt werden darf, hat Hegel in der praktischen Philosophie der Jenaer Zeit wiederholt zum Ausdruck gebracht. Nach der Geistphilosophie ist die Vermittlung zwischen diesen beiden Momenten des Geistes zum einen in den »konkreten« Gesinnungen der Stände, zum anderen in der ausgleichenden Weisheit von Regierung und Rechtsprechung zu suchen (GW 8, 248 f., 276 f.). Daß demgegenüber in der Phänomenologie von der Berechtigung zu individueller Interpretation bestehender Gesetze und Sitten die Rede sein kann, 148 | kapitel i
muß nach der scharfen Kritik der »gesetzprüfenden Vernunft« ausgeschlossen werden. Aus der Anerkennung der unmittelbaren Selbstgewißheit kann daher auch nicht auf ein Widerstandsrecht oder eine sonstige institutionelle Sicherung der Einzelheit gegen den allgemeinen Willen geschlossen werden.128 Eher meint die »Verzeihung« auch hier, daß der Konflikt mit dem allgemeinen Willen, das »Böse« des Sich-insich-Zurückziehens, ein Moment des allgemeinen Geistes selber ist und daher begnadigt und – wie es die Geistphilosophie sagt (GW 8, 275) – in Fällen des Krieges als Verbrechen für die Allgemeinheit legitimiert werden kann. Aber diese Frage ist für die Phänomenologie nicht von Bedeutung; ihr geht es – neben der Kritik an der Kantischen Moralphilosophie und ihren romantischen Gegenpositionen129 – um den Nachweis, daß der absolute Geist das Moment der unmittelbaren Selbstgewißheit, das Prinzip des natürlichen Bewußtseins und in bestimmter Hinsicht auch der neuzeitlichen Philosophie, in sich enthält. Dieser Nachweis ist erst vollständig geführt, wenn das gebildete Selbst die Wahrheit als ein System selbstischer Begriffe bzw. dialektischer »Wesenheiten« begreift. Auch die Theorie des Gewissens bedeutet auf diesem Wege, daß der Einzelne auf seine Besonderheit, sofern sie im Gegensatz zum allgemeinen Bewußtsein steht, verzichtet – und daß das allgemeine Bewußtsein zwar verzeihen, vergessen130 und tolerieren kann, solange die »Existenz« des Ganzen nicht auf dem Spiel steht (vgl. GW 8, 259), aber dem Gewissen und der handelnden Einzelheit kein Recht gegen das anerkannte Allgemeine zustehen kann. Dies bleibt auch in der späteren Theorie des Gewissens bei Hegel unverändert (Lübbe 1964). Und darin liegt, wie wir im folgenden noch zeigen wollen, auch die Grenze der Gegenseitigkeit des Anerkennens als einer wechselseitigen Konstitution von einzelnem und allgemeinem Bewußtsein. e) Zusammenfassung Nach der Jenaer Geistphilosophie umfaßt Anerkennung für Hegel – einmal abgesehen von ihren Formen und Entwicklungsstufen – die folgenden vier Momente: a) die Konstitution eines gemeinsamen Bewußtseins selbstbewußter Individuen. Dieses Bewußtsein kehrt Das Prinzip der Anerkennung | 149
auf allen Stufen der Anerkennungsbewegung wieder; es betrifft sowohl die Einheit der natürlichen wie der gebildeten selbstbewußten Wesen; b) das Einander-Gelten-Wollen auch in der Andersheit, im Sich-Absetzen vom Anderen, ja in der Negation des Anderen. Eine solche Distanz vom Anderen ist für Hegel nicht nur mit Anerkennung vereinbar, sondern für deren Realisierung notwendig. Allerdings darf sie das erste Moment, das Bewußtsein der Einheit, nicht unmöglich machen; c) das wechselseitige Respektieren der Rechte und der gesellschaftlichen Funktionen131. Dieses Respektieren ist nicht bloß eine Frage der Gesinnung, sondern von Gesetzen, Verträgen – kurz: öffentlichen Institutionen, an die sich der Einzelne mit Bewußtsein und Einsicht binden muß; d) das Bewußtsein der wechselseitigen Abhängigkeit von einzelnem und gemeinsamem Bewußtsein bzw. Willen. Anerkennung bedeutet, daß keiner seine »Identität« allein in sich selbst hat, sondern durch das Bewußtsein der Anderen vermittelt. Das besagt auf der höchsten Stufe der Anerkennungsbewegung, daß das einzelne Bewußtsein sich als Moment der allgemeinen Substanz weiß, die ihrerseits das »Tun und Werk aller« ist. Wichtig ist, daß auch auf dieser Stufe die Einheit durch eine »doppelsinnige« Selbstnegation beider Pole bedingt ist: eine Negation des Unterschiedenseins vom Anderen und des »im Anderen Seins« bzw. des Übergreifens über ihn. Damit wird nicht nur die eigene »Isolation« vom Anderen aufgegeben, sondern auch die Andersheit des Anderen freigegeben. Daß auch im Verhältnis des Einzelnen zum allgemeinen Selbst eine solche wechselseitige Selbstnegation stattfindet, hat Hegel in seinen Ausführungen über die Verzeihung des Bösen in der Phänomenologie zum Ausdruck gebracht: nicht nur das einzelne Selbst, auch das allgemeine »verzichtet« bzw. »entsagt« seiner Unbedingtheit. Die Frage ist, ob dem auch eine entsprechende institutionelle »Gestaltung« des sittlichen Geistes entspricht. Von der bis jetzt erreichten Klärung der Struktur der Anerkennung aus lassen sich nun zwei Thesen formulieren, die für die Deutung und Bewertung Hegels innerhalb der gegenwärtigen Theorien der kommunikativen Identitätsbildung wichtig sind. Sie müssen sich im weiteren Verlauf der Untersuchung erhärten und erläutern lassen. 150 | kapitel i
1) Anerkennung ist für Hegel eine Synthese von »Liebe« und »Kampf«. Und zwar insofern, als auf allen Stufen des Anerkennungsprozesses die Bewegung des Sich-Findens im Anderen und des Sich-Distanzierens vom Anderen – wobei der Andere sowohl einzelne Person wie allgemeines Bewußtsein sein kann – notwendig miteinander verknüpft sind. So wie das Rechtsverhältnis zwischen Personen nicht durch das höhere Verhältnis der Liebe überwunden wird, sondern liebende Vereinigung und distanzierende Selbstbehauptung in sich enthält, so sind auch die höheren Anerkennungsstufen jeweils Synthesen von Selbstüberwindung und Selbstbehauptung. Vom Jenaer Hegel läßt sich daher nicht sagen, daß er in der Liebe als Überwindung aller rechtsförmigen Beziehungen das Telos der sozialen Beziehungen gesehen hätte. Auch hinsichtlich der Inanspruchnahme Hegels für Theorien kommunikativer Identitätsbildungen muß diese Einheit von »Außersichsein« und Negation des Selbstverlustes beachtet werden. Das »Außersichsein« bedeutet nicht, daß die Identität des Individuums aus einer »kommunikativen Definition von Bedürfnissen« resultiere.132 Die Selbstartikulation gegen die Verlorenheit in der Gemeinschaft andererseits hat wenig mit einer individuellen Bedürfnisartikulation zu tun, die sich dann durch einen konsensusbildenden Dialog mit anderen individuellen Bedürfnissen zu einer Gemeinsamkeit vernünftiger Zwecke und Normen harmonisieren ließ.133 Bei Hegel ist die Gemeinsamkeit des Bewußtseins und Willens auf der Ebene der natürlichen Individualität und ihrer Bedürfnisse überhaupt nicht herzustellen.134 Zwar erkennt in der Liebe jeder sich gleichsam »durch die Augen des Anderen«, aber bereits in der Familie beginnt die Bewegung des Sich-auf-sich-Zurückziehens, des Bewußtwerdens der Selbständigkeit und Unterschiedenheit von allen Anderen. Zur Gemeinschaft selbständiger freier Willen kommt es nur durch die Überwindung des in der natürlichen Einheit mit den Anderen liegenden Selbstverlustes – der allerdings die Überwindung der Selbstisolation und Selbstverabsolutierung der Einzelheit entsprechen muß. Die Einheit des allgemeinen Willens beruht auf der gemeinsamen Erhebung über die natürliche Besonderheit individueller Bedürfnisse und Wünsche. Erst auf dieser Basis kann das Verfolgen besonderer Interessen und Zwecke des Einzelnen – in der vom Staat freizugebenden Sphäre des privatrechtlich organisierten Das Prinzip der Anerkennung | 151
Wirtschaftsverkehrs – vernünftig gerechtfertigt werden: nicht als eine sich auf individuelle Bedürfnisgebundenheit aufbauende Harmonie, sondern als ein gemeinsamer Wille dazu, der »gebildeten«, ihren eigenen Bedürfnissen gegenüber distanzierten Person die Bekundung eines besonderen Willens freizugeben. Diese schon in den Jenaer Schriften enthaltene Konzeption entfaltet dann die spätere Rechtsphilosophie zur Darstellung der bürgerlichen Gesellschaft als eines notwendigen Moments der Idee der Freiheit. Rechtsbeziehungen und bürgerliche Gesellschaft stehen für Hegel deswegen nicht im Gegensatz zur Anerkennung als Prozeß der Selbstbildung durch soziale Interaktion, weil für diesen Prozeß nicht die Artikulation und Harmonisierung von Bedürfnissen und Interessen maßgeblich ist, sondern die Befreiung von ihnen als Voraussetzung ihrer »rechtmäßigen«, dem freien Willen aller zumutbaren Befriedigung bzw. Beförderung. Ich komme darauf im Schlußteil (Kap. IV und V) dieser Arbeit noch einmal zurück. 2) Anerkennung ist das Wissen von der wechselseitigen Bedingtheit des Bewußtseins des Einen durch das des Anderen und – auf höherer Stufe – des einzelnen Bewußtseins durch das allgemeine und umgekehrt. Ein Wissen, das sich in Handlungen und Institutionen niederschlägt. Hegel hat aber – das ist meine zweite These – die »symmetrische« Wechselseitigkeit der Anerkennung in seiner Geistphilosophie nicht konsequent durchgeführt. Als »Postulat« ist sie in seinen Jenaer Schriften deutlich formuliert. Für die erste Stufe ergibt sie sich eindeutig aus der Erörterung der ungleichen, asymmetrischen Anerkennung des Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnisses. Daß sie für den gesamten Prozeß und sein »Telos« gilt, läßt sich dem Versöhnungsbegriff der Phänomenologie entnehmen. Und schließlich kann man auch zeigen, daß zwischen den beiden – von mir unterschiedenen – Stufen der Anerkennung (Ich – Anderer bzw. Ich – Wir) ein solches Verhältnis der Wechselseitigkeit besteht: Jeder findet das allgemeine Bewußtsein nur im Anderen, aber beide kommen auch zur Einheit und Anerkennung nur über das in Sitten, Regeln, Institutionen objektivierte allgemeine Bewußtsein, den Volksgeist. Die Wechselseitigkeit dieser Struktur ist nicht mit der logischen Kategorie der »Wechselwirkung« zu identifizieren. Diese Kategorie reicht sicher für das Begreifen des sittlichen Geistes nicht aus. 152 | kapitel i
Bevor ich – im nächsten Abschnitt – auf die Frage der logischen Struktur der Anerkennung eingehe, genügt es, sich an die erläuterte »doppelsinnige« Selbstnegation von Einzelheit und Allgemeinheit zu halten. Aus ihr folgt, daß sich einzelnes und allgemeines Selbst nicht wechselseitig anerkennen können, wenn sie dem jeweils anderen nicht eine Distanz zu ihnen freigeben. Nun manifestieren sich solche Strukturen des sittlichen Geistes für Hegel nicht in Gesinnungen oder Sollensforderungen, sondern in öffentlichen Regeln bzw. Institutionen. Zumindest auf den höchsten Stufen der Hegelschen Philosophie des praktischen Geistes sucht man aber vergeblich nach Institutionen, die als Verwirklichung von Anerkennung im Sinne der wechselseitigen Selbstnegation von »Ich« und »Wir« begriffen werden können. Die Selbständigkeit des einzelnen Selbst gegenüber dem daseienden Volksgeist, dem Staat, ist keineswegs in derselben Weise als Recht anerkannt wie dessen Macht über die Einzelnen. Während Hegel das Notstandsrecht, das dem Staat gestattet, »in jedem Nothfalle, wo die Existenz des Ganzen kompromittirt ist, vollkommen tyrannisch zu verfahren« (GW 8, 259), uneingeschränkt bejaht, fehlt nicht nur jeder Gedanke an ein Widerstandsrecht, sondern auch an einen – auf Menschen- oder Naturrecht, Verfassungsgarantien oder Verfassungsrechtsprechung – garantierten Schutz gegenüber staatlicher Willkür.135 Zwar ist der Staat verpflichtet, den Einzelnen gegen den Rechtsbruch anderer zu schützen, aber die Grenzen staatlicher Macht gegen den Einzelnen sind nicht festgesetzt. Dies um so weniger, als die Regierung – um den starren Mechanismus des Rechts und der Gesetze zu mildern – befugt ist, »Ausnahmen vom Gesetze zu machen« bzw. »ihm entgegengesetzt (zu) handeln« (GW 8, 276). Zudem ist sie ja ausdrücklich »beauftragt«, im Krieg die »Systeme des Rechts, der persönlichen Sicherheit und Eigenthums« zu erschüttern (ebd.). Hinsichtlich des Anerkennens der Rechte von einzelnem Selbst und Staat kann also nicht von Wechselseitigkeit gesprochen werden.136 Von der institutionellen Verwirklichung der Anerkennung in der Jenaer Geistphilosophie wird man daher kaum behaupten können, daß es dabei um das Individuum als »vollkommen individuiertes Wesen« geht (vgl. u. Kap. IV, 2). Von der Stufe des Kampfes an hat die Einzelheit des Selbst die Bedeutung des reinen Fürsichseins, das an keine Bestimmung gebunden ist, von jeder abstrahieren kann – Das Prinzip der Anerkennung | 153
sogar von der, sich durch Ausschluß des Anderen gleichsam auf sich selbst einzugrenzen. Einzelheit hat die Bedeutung der unmittelbaren Selbstgewißheit des »reinen Insichseins«. In diesem Insichsein ist das Selbst von allem »Äußeren«, selbst den allgemein anerkannten Sitten und Institutionen eines »daseienden« Gemeinwesens frei – ein Wissen, das aber nur dann nicht abstrakt ist, wenn es sich mit dem absoluten Geist identisch weiß, der sich in solchen Institutionen manifestiert, über ein bestimmtes Gemeinwesen aber zugleich hinaus ist. Die Anerkennung der natürlichen Individualität – das wird uns im Folgenden noch beschäftigen – bleibt auf den Bereich der Familie beschränkt und die Anerkennung des ausschließenden Fürsichseins auf das Recht. Recht hat aber nur in einer Gemeinschaft Bestand – so glaubt Hegel – in der die Beziehungen der Einzelnen und Gruppen137 auf das Ganze ihrerseits nicht allein »rechtsförmig« sind. Dieses Ganze selber könnte sonst nicht »Individualität« sein: Negation aller Unterschiede, Freiheit von allen Gesetzen und Institutionen. Die »gesetzlose« Handlung der freien »Spitze des Ganzen« (GW 8, 276), der Regierung, ist durchaus positiver Ausdruck des Geistes. Eine Grenze bleibt der Freiheit der den Staat verkörpernden Gewalt gleichwohl gesetzt – und in ihr liegt auch eine gewisse Sicherung des Individuums im vernünftigen Staat: die allgemeinen Grundsätze des Handelns der staatlichen Gewalt und die Prinzipien der Institutionen müssen auf Dauer der allgemeinen, öffentlichen Meinung nachvollziehbar sein.138 Das Prinzip aber, das nach Hegels Jenaer Geistphilosophie den Institutionen zugrunde liegen muß, ist das der Anerkennung selbst. Was bedeutet dieser Maßstab für die Institutionen eines vernünftigen Staates? Ich werde diese Frage im IV. Kapitel ausführlich erörtern. Dabei wird sich zeigen, ob die jetzt erarbeitete These hinsichtlich der Wechselseitigkeit der Anerkennung bestätigt werden kann. Bevor die Bedeutung der Anerkennung für die Aufgabe der praktischen Philosophie erörtert wird, soll aber die Frage nach der »Struktur« der Anerkennung weitergeführt werden. Auch in der Jenaer Zeit unterscheidet Hegel ja von den realphilosophischen Teilen des Systems, der Natur- und Geistphilosophie (bzw. Philosophie der Sittlichkeit), einen »reinen« Teil, der Logik und Metaphysik umfaßt. Läßt sich nicht doch eine logische oder »kategoriale« Struktur ange154 | kapitel i
ben, die dem Anerkennungsprozeß der Geistphilosophie zugrunde liegt? Mit dieser Frage beschäftigt sich der folgende Abschnitt unserer Untersuchung. Eines darf freilich bei der Analyse der Struktur der Anerkennung nicht außer acht gelassen werden: Hegels Theorie der Anerkennung zeichnet sich sowohl gegenüber seinem Vorgänger Fichte wie den heutigen Versuchen gegenüber dadurch aus, daß er Anerkennung nicht als eine apriorische Bewußtseinsstruktur oder ein idealisiertes Modell versteht, sondern als einen Prozeß, der eine Reihe konkreter Formen des Praktischen umfaßt. Nicht nur Familie, Recht und absolute Sittlichkeit – auch Arbeit, Tausch, Sprache etc. sind als Momente von »Anerkennung« zu betrachten. In der Einleitung wurde die Frage gestellt, ob demgegenüber die Tendenz der gegenwärtigen praktischen Philosophie, sich hinsichtlich ihrer Grundnormen vornehmlich an der Sprache zu orientieren, nicht als Verengung betrachtet werden muß. Nun hat auch bei Hegel – und hier besonders in der Phänomenologie – die Sprache eine ausgezeichnete Bedeutung für die Anerkennung. Was die Sprache im »Geist«-Kapitel der Phänomenologie für die Anerkennung bedeutet, soll im folgenden Exkurs noch angedeutet werden. Exkurs Die Notwendigkeit der Sprache für die »interpersonale« Anerkennung wie für die Bildung der Einheit von »Ich« und »Wir« läßt sich in vielen Abschnitten der Phänomenologie des Geistes nachweisen. So gewinnt die Sprache zentrale Bedeutung für den Prozeß der Entfremdung des Geistes und deren Überwindung. Im Entfremdungskapitel wird die Sprache bekanntlich in ihren geschichtlichen Erscheinungsformen, als Sprache der Vasallen, des Hofes (der »Schmeichelei«) und schließlich der gebildeten Welt des vorrevolutionären Frankreich139, behandelt. In der Sprache kommt sowohl die Einheit der Individuen miteinander und mit dem Ganzen wie auch die Entfremdung des Einzelnen von der »geistigen Substanz« der Kultur, der staatlichen Institutionen etc. zur Erscheinung. Indem sich in der geistreichen Sprache schließlich alle Momente der geistigen Substanz verkehren und damit in ihrem »haltlosen« IneinanDas Prinzip der Anerkennung | 155
derübergehen entlarven, beginnt die Überwindung der Entzweiung zwischen dem Selbstbewußtsein und der ihm »fremd« gewordenen geistigen Substanz. Ganz deutlich wird die Funktion der Sprache für den Prozeß des Anerkennens im oben bereits erörterten Gewissens-Kapitel der Phänomenologie Der Sprache – im Sinne der Rede (parole) – allein gelingt die Vermittlung der unmittelbaren Selbstgewißheit des Gewissens mit dem allgemeinen Bewußtsein des moralischen Guten bzw. der Pflicht. In der Sprache wird sich diese Gewißheit des »reinen Ich« gegenständlich, erhält sich in dieser Gegenständlichkeit »als dieses Selbst« – so wie es auf der anderen Seite »mit den Andern zusammenfließt und ihr Selbstbewußtsein ist« (428). Das bedeutet, daß der Einzelne in der Sprache seine innerste Überzeugung von seiner Pflicht ausdrücken kann und diese Überzeugung zugleich als das allgemeine Anerkanntsein seiner Pflichtauffassung behaupten und erfahren kann. Das »Aussprechen« ist daher »die wahre Wirklichkeit des Tuns und das Gelten der Handlung« (429). Worauf geht diese Fähigkeit der Sprache zurück? Auf ihre Dialogstruktur? Auf die Fähigkeit zur Synthese von Einzelheit und Allgemeinheit? Beides ist richtig, aber nicht ausreichend. Die Sprache als ein nach allgemeinen Regeln erzeugbares System äußerer Zeichen ermöglicht eine dem allgemeinen »Vernehmen« zugängliche Vergegenständlichung des Bewußtseins und ist daher eine »Mitte selbständiger und anerkannter Selbstbewußtseine« (ebd.). Aber sie ist das nicht, weil die Dialogregeln die Darstellung der unaufhebbaren, »unvertretbaren« Individualität gestatten, sondern weil das Individuum sich im Aussprechen seiner innersten Überzeugung »verallgemeinert«, zur Mitteilbarkeit bildet. Daß die Sprache die Einzelheit der Meinung zur Allgemeinheit der Aussage »verkehrt«, ist bereits das Ergebnis der ersten Erörterung der Sprache im Kapitel »sinnliche Gewißheit«.140 Zudem ist die Möglichkeit des »Anerkanntseins« des Gewissens nicht allein auf die Form der Sprache als solche zurückzuführen, sondern auf den »Inhalt, den die Sprache hier gewonnen hat« (428). Dieser Inhalt ist der »in seinem Selbst seiner Wahrheit oder seines Anerkennens gewisse und als dieses Wissen anerkannte Geist« (ebd.). Das setzt voraus, daß das handelnde Selbst darauf verzichtet, sich im Aussprechen des Pflichtbewußtseins gegen das allgemeine Bewußtsein zu stellen oder seine 156 | kapitel i
Selbstgewißheit als das Allgemeine zu behaupten – und daß auf der anderen Seite das allgemeine Bewußtsein sein Urteilen, seine Form des Aussprechens des moralisch Guten, nicht als eine abstrakte Allgemeinheitsforderung aufrecht erhält. Die Sprache, als System sinnlicher – aber im Verklingen des Lautes diese ihre sinnliche Äußerlichkeit selbst aufhebender141 – Zeichen, deren Bedeutung »geistig« ist, sowie als Medium des Austausches »persönlichen« und dennoch allgemeiner Überzeugungen, ist die notwendige Bedingung der »Existenz« (vgl. ebd.) des Geistes. Aber sie enthält für Hegel nicht bereits in ihren eigenen Bedingungen das Modell des Anerkennens. Dazu muß sie erst als Daseinsform des Geistes erkannt werden – und das heißt, als Moment einer sich in verschiedenen Formen des Wissens und Handelns realisierenden Anerkennungsbewegung, in der sich der Geist als Einheit von »Ich« und »Wir« begreift.142 4. Das Problem einer logischen Struktur der Anerkennung Aus Hegels Jenaer Zeit ist nur ein Manuskript zur Logik und Metaphysik erhalten, das 1804/1805 entstanden ist.143 In diesem Text hat die Logik noch die Funktion einer Kritik der Verstandesbestimmungen, die zum spekulativen – die gegensätzlichen Gedankenbestimmungen als Momente einer Totalität begreifenden – Denken der Metaphysik erst hinführt. Diese Trennung zwischen Logik und Metaphysik scheint Hegel gegen Ende der Jenaer Zeit aufgegeben zu haben – ohne daß man den Zeitpunkt der Vereinigung beider zu einer spekulativen Logik genau bestimmen könnte.144 Trotz dieser Wandlung der Bedeutung von Logik und Metaphysik hat Hegel es stets für möglich gehalten, das in Natur und Geist sich auslegende Absolute im Element des reinen Denkens auf den Begriff zu bringen. Demnach muß es auch möglich sein, die Formen der Sittlichkeit bzw. des praktischen Geistes – und damit die Bewegung der Anerkennung – mit Begriffen dieses Denkens zu bestimmen. Da die Geistphilosophie zumindest seit 1803/1804 den spekulativen Standpunkt voraussetzt, können diese Begriffe nicht der Logik von 1804/1805 entnommen werden. Auch in der Metaphysik findet sich keine bestimmte Folge von Begriffen, die der vollständigen BeweDas Prinzip der Anerkennung | 157
gung der Anerkennung genau entsprechen würde. Sowohl die Metaphysik wie die Geistphilosophie selber enthalten aber kategoriale Bestimmungen der »Struktur« der Anerkennung.145 Welches sind die Bestimmungen der ersten Stufe der Anerkennungsbewegung? Im System der Sittlichkeit, in dem Hegel nur diese erste Stufe behandelt, ist der Begriff des Lebens maßgeblich für die Struktur der Anerkennung.146 »Leben« ist die Einheit des »Verhältnisses« – einer Beziehung, in der den Bezogenen ihre Einheit bloß äußerlich, ihre Unterschiedenheit dagegen wesentlich ist – und der Indifferenz, des Aufgehobenseins der Unterschiede. »Leben« war schon im Systemfragment von 1800 die Einheit, die die Gegensätze der Reflexion überwindet (vgl. u. S. 176). Diese Funktion kommt dem Begriff Leben auch im System der Sittlichkeit zu, insofern er die Beziehung des »Verhältnisses« mit derjenigen der Indifferenz vereinigt. Allerdings hat »Leben« wie »Sittlichkeit« und »Geist« jetzt verschiedene Stufen. Auf der ersten bilden »Verhältnis« und Indifferenz selber noch die Beziehung des Verhältnisses – die Indifferenz ist das »Innere«, die »Differenz« bzw. das Verhältnis das Äußere (GW 5, 306). Diese Stufe entspricht der ersten Stufe der Anerkennung. Leben auf der höchsten Stufe des Systems – der völligen »Adäquation« von Indifferenz und Verhältnis – ist der absoluten Sittlichkeit gleich: »Die Sittlichkeit ist hienach bestimmt, daß das lebendige Individuum, als Leben dem absoluten Begriffe gleich sey, daß sein empirisches Bewußtseyn eins sey mit dem absoluten« (GW 5, 324). Inwiefern ist nun die Beziehung der Anerkennung »Leben«? Nach Hegel ist »die Intelligenz … oder das Leben des Menschen … die Indifferenz aller Bestimmtheiten« (GW 5, 305). Was Hegel später erst dem freien Willen zuschreibt, die Unabhängigkeit von allen Inhalten, gehört hier schon der »Intelligenz« bzw. dem vernünftigen menschlichen Leben (animal rationale) an. Indem die Individuen einander als lebendig anerkennen, schauen sie im Anderen die Unabhängigkeit von allen Bestimmtheiten bzw. die »Möglichkeit« an, »das Gegentheil seiner selbst in Bezug auf eine Bestimmtheit, zu seyn« (GW 5, 304). In dieser Möglichkeit wissen sie sich als voneinander ununterschieden, durch keine Bestimmtheit getrennt. Diese ununterschiedene Einheit von lebendigen Wesen, die gegen ihre »Bestimmtheiten« selber indifferent sind, ist aber nur eine Seite des 158 | kapitel i
Lebens, das Anerkennen als »formal lebendig« (ebd.) bzw. das »verhältnißlose Anerkennen« (GW 5, 305). Zum Begriff des Lebens gehört das Verhältnis oder die Beziehung Verschiedener als Verschiedener hinzu. Das zeigt sich im Anerkennen der Familie (bzw. ihrer Mitglieder), in dem die Beziehung der Verschiedenheit und der Indifferenz vereinigt sind. Die in ihrer Unterschiedenheit – in der unterschiedlichen Fähigkeit, ihre Freiheit von den Bestimmtheiten zu realisieren – einander ausschließenden Individuen erkennen sich in dieser Unterschiedenheit zugleich als Intelligenz, Indifferenz und insofern als identisch an. Die Ungleichheit, die allen natürlichen Herrschaftsverhältnissen – auch in der Familie – nach Hegel zugrunde liegt, besteht darin, daß »das Eine unter der Form der Indifferenz, das andere unter der Form der Differenz« (also an seine Bestimmtheiten gebunden) ist (GW 5, 306). Wenn das Individuum »an sich« Intelligenz bzw. Indifferenz ist, besteht der Unterschied offenbar in der Fähigkeit, seine Intelligenz bzw. seine Freiheit von den natürlichen Eigenschaften (incl. Abhängigkeiten) zu realisieren. Auch in Hegels späterer Lehre von Herrschaft und Knechtschaft entscheidet ja die »Anhänglichkeit« an das natürliche Leben über das Verhältnis der Individuen zueinander. Leben nicht im natürlichen, sondern im kategorialen Sinne ist die Beziehung, in der die Bezogenen ihre Identität in ihrer Unterschiedenheit erkennen. Was Hegel allerdings im System der Sittlichkeit noch nicht zeigt, ist, daß die anderes ausschließende Beziehung sich selbst in die Beziehung der Identität aufhebt. Hegel hat die Kategorie des Lebens in der Jenaer Logik und Metaphysik von 1804/1805 nicht zum Thema gemacht. Die Stelle, an der dies möglich gewesen wäre – so ergibt sich aus einem vorblickenden Vergleich mit der Logik-Skizze der Geistphilosophie von 1805/06 – ist das Kapitel »Proportion«.147 Hier geht es nämlich um den Nachweis der Identität von Seins- und Denkverhältnissen. Hegel hätte also eine »objektive« Struktur entwickeln können, die den Charakter der Selbstunterscheidung und der Rückkehr aus den Unterschieden besessen hätte. Offenbar war dies im Kapitel »Leben und Erkennen« der späteren Logik geplant. Im »Proportions«Kapitel bleibt Hegel aber bei Denkverhältnissen wie Definition und Einteilung, obgleich er ihre objektiven Korrelate – bei der DefiniDas Prinzip der Anerkennung | 159
tion die Selbsterhaltung, bei der Einteilung die »Vervielfältigung« – mehrfach erwähnt. Immerhin kann man in der Definition und in der Einteilung Momente des Lebensbegriffes sehen – und mit diesen Kategorien daher auch Momente der Anerkennungsbewegung fassen. In der Definition soll die Bestimmtheit sich als identisch mit dem Allgemeinen erweisen, indem sie sich ausschließend bzw. »vernichtend« (GW 7, 108) auf Anderes bezieht. Aber zu einer solchen Identität kommt es noch nicht, weil die negative Beziehung auf Anderes und die positive des Selbstbezugs noch getrennt bleiben. Umgekehrt ist zwar in der »Einteilung« das Allgemeine in seinen Bestimmtheiten mit sich selbst gleich, aber nur als diskursive Allgemeinheit bzw. als »außer dem Vielen fallend« (111). Den Strukturen der Anerkennung, die Hegel zu Anfang und dann wieder zu Ende der Jenaer Zeit (Logikskizze der Systementwürfe III und Phänomenologie) mit dem Begriff des Lebens gekennzeichnet hatte, kommt die »Logik, Metaphysik und Naturphilosophie« dagegen mit einigen Kategorien aus dem Metaphysikteil näher. Auch dort finden sich freilich keine genau dem »Bewegungsablauf« und den Stufen der Anerkennung entsprechenden Bestimmungen. Die Theorie der Anerkennung beruht seit dem Systementwurf I von 1803/1804 auf dem Begriff des Bewußtseins. »Bewußtsein« wird zwar in der »Metaphysik der Subjektivität« zum Thema, aber auf einer Stufe, auf der das Verhältnis einzelner Individuen (»viele einzelne Ich«) bereits überwunden ist, denn dieses Verhältnis »hebt sich in der realisirten Gattung auf« (164). Der »Gattungsprozeß«, der in der Tat Strukturen der Anerkennung »erster Stufe« enthält, wird in der »Metaphysik der Objektivität« behandelt. Hier finden wir die Weiterentwicklung des Begriffs des Lebens aus dem System der Sittlichkeit. Daß Hegel sich gerade in diesem Teil der Metaphysik, und zwar in dem Kapitel über die »Welt« – also in einer Auseinandersetzung mit der metaphysischen Kosmologie –, mit Strukturen der Anerkennung beschäftigt, liegt daran, daß hier im Element einer grundsätzlichen Identität von Subjektivität und Objektivität148 das Verhältnis selbständiger Individualitäten und ihre Selbstaufhebung behandelt wird. Dabei geht es nicht bloß, wie in der Logik – vor allem im »Verhältnis des Seins« – um die Negation der Selbständigkeit durch die Beziehung auf anderes, also eine Abhängigkeit von diesem, sondern um die durch eigene »Tätigkeit« 160 | kapitel i
ausgelöste Aufhebung der Einzelheit. In Anknüpfung an Leibniz149 bezeichnet Hegel diese Einzelheit als »Monade« und die »Welt« als ein Ganzes von Monaden, deren Zusammenhang als »Prozeß der Gattung« bestimmt wird (146). Das »Punkt«- bzw. Eins-Sein der Monade ist konstituiert durch die aktive Unterscheidung von anderen Monaden, die Hegel als »Selbsterhaltung« bestimmt. Selbsterhaltung – ein Terminus, der bereits in der Logik der Proportion eingeführt wurde – bedeutet Selbst»definition«150 durch die Negation, das »Vernichten« des Anderen. Daß sich diese Negation des Anderen aufhebt in die Identität mit ihm, macht den Prozeß der Gattung aus. Um das zu erläutern, ohne den gesamten Inhalt der Logik und Metaphysik zusammenzufassen, sei hier die Differenz zum Begriff des Lebens aus dem System der Sittlichkeit – und zugleich die Weiterentwicklung dieses Begriffs – angedeutet: die Individualität bzw. die Monade ist jetzt in sich selbst zugleich unterschieden und indifferent, ausschließender Selbstbezug (»Tätigkeit«) und Totalität aufgehobener Bestimmungen (»Passivität«). Wenn die Individualität aber den Unterschied in sich selbst hat, ihr Selbstbezug mithin bereits Beziehung auf ein Anderssein ist, dann ist umgekehrt ihr Verhältnis zum Anderen eine Beziehung auf ein Identisches bzw. auf sich selbst. Die Negation des Anderen ist darum unmittelbar Selbstnegation, das »Vernichten des Anderen« bedeutet die Aufhebung der Unterschiedenheit von ihm. Sie erfolgt in mehreren Schritten. Der erste ist die Selbstanschauung im Anderen: »Das andere an sich ist nicht die Negation seiner selbst, sondern es erkennt in dem andern sich selbst.« (146) Dadurch wird das »Erkennen« zum »Anerkennen« (ebd.). Die Aufhebung der Differenz zum Anderen bedeutet aber – das ist der zweite Schritt – zugleich die Aufhebung der »Monaden« als solcher in die Einheit der Gattung. Von dieser aus gewinnt der ganze Prozeß eine neue Bedeutung: die Selbsterhaltung der Einzelheit ist nicht nur gegen den Anderen, sondern auch gegen die Indifferenz der Gattung gerichtet. In dieser Hinsicht behält die »distanzierende« Bewegung gegen den Anderen ihre Notwendigkeit. In ihr konstituiert sich nicht nur die Individualität als solche, sondern in ihr – und ihrer Selbstaufhebung – »lebt« auch erst die Gattung. Denn die Gattung ist »nur als dieser Kraislauff ihrer sich abscheidenden und sich auflösenden Momente« (147). Das Prinzip der Anerkennung | 161
Daß die Vereinzelung der Gattung in die Momente der »existierenden« Einzelheit (vgl. ebd.) und die Auflösung der Einzelheit in die Einheit mit dem Anderen selbst die Gattung ist, erkennt aber auf der Stufe des »Weltprozesses« das einzelne »Moment« noch nicht. Es erkennt sich zwar selbst im Anderen und weiß die Differenz zu ihm aufgehoben, aber seine Identität mit der Gattung und ihrem Sich-Vereinzeln ist noch nicht »für es«.151 Für es ist die Gattung noch ein Fremdes, Ansichseiendes. Die Einheit von Einzelheit und Gattung als Ergebnis der Selbstreflexion des Bewußtseins behandelt erst die Metaphysik der Subjektivität. In der Phänomenologie des Geistes hat Hegel die unmittelbare »Erscheinung« des Selbstbewußtseins, die die erste Stufe der Anerkennung enthält, wieder durch den Begriff des Lebens bestimmt, in diesen Begriff aber alle Wesensmerkmale des »Gattungsprozesses« der Metaphysik von 1804/1805 aufgenommen. Insofern Leben jetzt nicht eine tiefere Stufe als »Bewußtsein« darstellt, sondern zur Bestimmung von Gestalten des Selbstbewußtseins dient, muß es seinerseits über den Gattungsprozeß hinausgehen.152 In welcher Beziehung? Wir haben die Struktur des Anerkennens »erster Stufe«, wie sie die Phänomenologie expliziert, schon erörtert. Sie wurde als eine »Verdoppelung« des Selbstbewußtseins bestimmt. Das bedeutet nicht nur, daß sich eine Totalität in Momente auseinanderlegt, die sowohl unterschieden wie nicht-unterschieden sind – dies geschah auch schon im Gattungsprozeß. Weil beide Momente als Selbstbewußtsein bestimmt sind, ist vielmehr ihre Beziehung aufeinander selber »doppelsinnig«. Erst damit bringt Hegel seine Theorie der Anerkennung als eines Verhältnisses selbstbewußter Individuen auf den Begriff: zwei Selbstbewußtseine verhalten sich zueinander nie wie Dinge, die aufeinander einwirken, auch nicht wie Kräfte, die in Wechselwirkung stehen. Das Wechselverhältnis zweier Selbstbewußtseine geht darüber hinaus: für jeden ist der Andere ein Moment seiner Selbstbeziehung. Beide sind nicht nur abhängig von der Beziehung des einen auf das andere, sondern von der Selbstbeziehung, dem Selbstverständnis des anderen. Keines kann sich verändern, ohne daß sich das andere, insofern es mit ihm in Beziehung steht, mitverändert. Der Freund etwa wird durch die Veränderung des Freundes selbst ein anderer. Das Verhältnis ist daher nicht bloß Wechselwirkung, sondern »Doppelsinn«. 162 | kapitel i
Anerkennung als doppelsinniges Tun zweier Selbstbewußtseine ist eine Relation, in der die Relata sich durch die Beziehung auf den Anderen auf sich selbst, und durch die Beziehung auf sich selbst sich auf den Anderen beziehen. Und diese Beziehung auf sich selbst bzw. auf den Anderen ist ermöglicht durch die entsprechende Beziehung des Anderen. Dazu gilt, was schon im Gattungsprozeß zum Ausdruck kam, daß jedes der beiden Bezogenen selbst die ganze Beziehung in sich enthält, sich auf sich selbst als auf sein Anderes bezieht. Wir haben diese Struktur oben schon im Kampf um Anerkennung gesehen. In diesem Kampf ist die Anschauung der eigenen Selbstnegation im Anderen vermittelt dadurch, daß beide sich gegenseitig negieren und jeder das Negiertwerden durch den Anderen in die eigene Selbstnegation verwandelt. Die genaue spekulative Bestimmung solcher Strukturen hat Hegel später in der Logik des »Wesens« unternommen.153 Obwohl der Streit um die Logik der Phänomenologie154 auf diese Weise nicht entschieden werden kann, wird man sagen müssen, daß die dem Selbstbewußtseinskapitel entsprechenden Bestimmungen das »Komplexitätsniveau« der Wesenslogik voraussetzen. Bevor ich zur zweiten Stufe der Anerkennung – und der Frage nach den ihr entsprechenden »Kategorien« – übergehe, muß noch eine logische Struktur erwähnt werden, die in der Geistphilosophie von 1805/06 zentrale Bedeutung für den Begriff des Selbstbewußtseins und damit auch für die Bewegung der Anerkennung erhält: der Schluß. Man kann diese Struktur allerdings keiner besonderen Stufe der Anerkennung zuordnen, da Hegel alle Formen des Selbstbewußtseins und des Geistes – sowie ihren Zusammenhang untereinander – als Schlüsse auffaßt. Zudem hat er nicht klar gemacht, welche Form des Schlusses der Bewegung des Selbstbewußtseins und des Anerkennens am nächsten kommt. Man kann also nur zwischen der »spekulativen Bedeutung«155 des Schlusses im allgemeinen und der Struktur der Anerkennung – ebenfalls »im allgemeinen« – eine Entsprechung sehen. Ich werde diese Entsprechung später noch genauer im Zusammenhang mit der Jenaer Theorie des Bewußtseins bzw. Selbstbewußtseins erörtern (u. S. 194–203). Deshalb seien hier nur die Grundzüge angedeutet: beide Bewegungen sind die Genese einer – artikulierten bzw. bewußten – Einheit durch Trennung und Das Prinzip der Anerkennung | 163
»Gleichsetzung« der Getrennten. Diese Gleichsetzung ist möglich, weil sich erweist, daß jedes der Extreme sich nur über den Bezug auf das andere auf sich selbst beziehen, seine »Identität« gewinnen kann. Und weil jedes daher sowohl »im Anderen« ist wie das Andere »in sich selbst« hat. Die Beziehung des Schlusses – in »spekulativer Bedeutung«, d. h. als die Wahrheit, den immanenten »Sinn« aller Schlußformen betrachtet – ist wie die der Anerkennung eine solche, deren Momente selber die ganze Beziehung bzw. der »ganze Schluß« sind. Jede Stufe der Anerkennung besteht darin, daß jeder der Anerkennenden seine Distanz und seine Vereinigung mit dem Anderen in sich selbst und im Anderen anschaut – und diese Beziehung zweier sich als solche Anschauender macht auf der nächsten Stufe ihr »Sein« bzw. ihre Identität, ihre Selbstbeziehung aus. Was zu dieser Struktur noch hinzukommen müßte, damit die höheren Stufen der Anerkennung angemessen bestimmbar würden, ist oben (S. 159) schon angedeutet worden: es müßte das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit des Lebens bzw. der Gattung selbst als ein Verhältnis Selbstbewußter bestimmt werden. Das Sich-Absondern, die ausschließende Selbstbehauptung des Einzelnen gegen die indifferente Allgemeinheit, und die Selbstaufhebung dieser Negation müßte als »doppelsinnig«, d. h. als identisch mit dem SichVereinzeln der Gattung dargestellt werden. Hegel hat das in der Metaphysik aber nicht ausgeführt. Vielmehr hat er in der Metaphysik der Subjektivität die Problematik der Fichteschen Transzendentalphilosophie aufgenommen und die Aufhebung ihrer Gegensätze als die höhere Stufe der Entwicklung der Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit, Bestimmtheit und Unendlichkeit dargestellt. Diese Momente gehören dem transzendentalen Ich bzw. dem Ich überhaupt an – die Einzelheit z. B. ist als negative, ausschließende Beziehung hier die Bestimmtheit, die das Wesen des theoretischen Bewußtseins charakterisiert. Sie als »einzelnes Ich« zu verstehen, wäre ein Rückfall auf die überwundene Stufe des »Weltprocesses« (vgl. GW 7, 164). Dennoch entspricht das Begreifen der Einheit von »absoluter Reflexion« und »Bestimmtheit« im Ich dem Begreifen der Einheit der beiden »Reflexionen« des Gattungsprozesses: einerseits der »sich selbst erhaltenden, die aber allgemein geworden ist« und andererseits derjenigen der Gattung, die eine sich vereinzelnde Allgemeinheit ist (GW 7, 172). Hätte Hegel noch einmal den Gattungs164 | kapitel i
prozeß als ein Verhältnis von Subjekten dargestellt, statt die Subjektivität als höhere Form des Gattungsprozesses, dann wären, so kann man vermuten, hier die Strukturen der höheren Stufen des Anerkennungsprozesses behandelt worden. Denn die »Selbsterhaltung« – so hatte Hegel ja im »Weltproceß« gezeigt – ist Negation der Gattung, die in Selbstnegation der Einzelheit umschlägt: ein Prozeß, der auf der Stufe der Subjektivität offenbar der »Auseinandersetzung« zwischen einzelnem Selbst und allgemeinem Willen entspricht. In der Metaphysik wie in der Geistphilosophie geht es darum, daß die Einzelheit »zur absoluten erhoben« (GW 7, 164) und in dieser Erhebung ihr Gegensatz gegen die Allgemeinheit aufgehoben wird. Dies geschieht in der Metaphysik aber nicht als eine Folge von Bildungsstufen des einzelnen Selbst, sondern als eine Bedeutungsentwicklung des Begriffs »Einzelheit« in den metaphysischen Konzeptionen des Absoluten. Die »Metaphysik der Subjektivität« entwickelt das in zwei »gegenläufigen« Bewegungen: zunächst wird die Einzelheit als Bestimmtheit zur selbstbestimmenden Reflexion, die sich in ihren Bestimmungen »bei sich« bzw. allgemein weiß. Dann wird – im Schlußabschnitt über den »absoluten Geist« – die absolute Einzelheit als einfache Sichselbstgleichheit zur Einheit mit ihrem Gegensatz, der Allgemeinheit sich aufhebender Bestimmtheiten gebracht. Was ist das Ergebnis dieser »metaphysischen« Erörterung? Läßt sich aus den Elementen einer »spekulativen« Bestimmung des Anerkennungsprozesses und seiner Stufen etwas für unsere Thesen ableiten? Ist das Problem der Anerkennung des einzelnen Selbst im Gemeinwesen, durch das allgemeine Selbst und seine Institutionen, vom Gedanken der spekulativen Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit her zu lösen? Die ausgeführte Logik und Metaphysik von 1804/1805 enthält noch keine spekulative Logik des Begriffs. Die Behandlung des »bestimmten Begriffs« sowie der Urteils- und Schlußformen gehört, wie gesagt, in diesem Text noch der einleitenden Kritik des Verstandesdenkens an. In der Schlußlehre wird zwar die »Mitte« bereits als Einheit der Extreme von Allgemeinheit und Einzelheit aufgefaßt, aber es wird nur negativ gezeigt, daß die Voraussetzung der traditionellen Schlußformen, der feste Unterschied zwischen den Extremen und ihre Beziehung über die »scheidende Mitte« (GW 7, 102) unhaltbar ist. Die wahre, Einzelheit, Besonderheit und Allgemeinheit Das Prinzip der Anerkennung | 165
enthaltende Mitte findet sich aber in dieser Schlußlehre nicht. Klaus Düsing (1976, 178 f.) hat mit Recht hervorgehoben, daß erst in der metaphysischen Subjektivitätslehre der Versuch zur Bestimmung dieser Einheit unternommen wird. Daß Hegel in dieser Metaphysik der Subjektivität die Schwierigkeiten der transzendental-idealistischen Subjektivitätstheorie lösen will, habe ich schon erwähnt. Auf diesem Hintergrund ist auch die Konzeption der Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit im »absoluten Geist« zu sehen. Der Begriff der »absoluten Einzelheit« meint hier nicht den einer einmaligen individuellen Bestimmtheit. »Absolute oder reine Einzelnheit«, so heißt es in der »Metaphysik der Subjektivität«, ist keine »äußerliche oder quantitative Bestimmtheit«, sondern ein »einfaches, sichselbstgleiches« (GW 7, 170). Das dieser absoluten Einzelheit qua einfacher Selbstbezug bzw. Sichselbstgleichheit entsprechende »Allgemeine« ist in diesem Text die Unendlichkeit bzw. »absolute Ungleichheit« (ebd. u. 173). Unendlichkeit und absolute Ungleichheit sind dasselbe, weil letztere »Gegenteil ihrer selbst« ist (vgl. ebd.). Was aber Gegenteil seiner selbst ist, hat kein Anderes außer sich. Einzelheit und Allgemeinheit sind nun insofern eins, als ein sich negativ auf sich beziehendes Nega-. tives (Anderes, Ungleiches) mit sich selber gleich ist. Mit diesem Gedanken des »Gegenteils seiner selbst«, der für die Bewußtseins- und Geistphilosophie seit der Mitte der Jenaer Zeit zentral ist (s. u. Kap. III), versucht Hegel die Schwierigkeiten der Transzendentalphilosophie Fichtes und Schellings zu lösen. Fichtes Grundproblem sieht er darin, daß das Ich sich niemals ganz durchsichtig werden kann, weil es sich immer nur als »bestimmt«, mit einer Differenz behaftet »findet«. Selbst wenn diese aus ihm selber stammt, bedeutet sie ein »sich fremdseyn« (GW 7, 172). Schelling führt diese Differenz im Ich auf die notwendige Vergegenständlichung zurück, der die ungegenständliche reine Selbsttätigkeit in der Selbst-anschauung unterliegt. Die Lösung dieser Schwierigkeiten liegt für Hegel darin, daß man den reinen Selbstbezug als »Gegenteil seiner selbst« auffaßt, und damit notwendig als ein SichBestimmen, Sich-Vergegenständlichen. Daß man aber auch jede Bestimmung als absolut different, also ebenfalls als Gegenteil seiner selbst auffaßt, die erst sie selbst wird, indem sie über sich hinaus in ihr Gegenteil geht. (Den Nachweis der Notwendigkeit dieser »Auf166 | kapitel i
fassung« hat die Logik erbracht.) Dann ist das Sichselbstgleichsein notwendig Sich-Bestimmen, und das Bestimmtsein ist kein Verlieren der Sichselbstgleichheit, denn in der Selbstüberschreitung der Bestimmtheit – in der diese erst »sie selbst« wird – findet sich die Sichselbstgleichheit wieder. Man könnte dies für das individuelle menschliche Subjekt so illustrieren: es ist dann ein wirkliches »Selbst«, wenn es in seine Bestimmtheiten zugleich »versenkt« und doch frei, über jede einzelne hinaus ist. Mehr noch: wenn es sich auf die eigene Existenz zugleich »einläßt« und darüber hinaus ist. Ergibt sich daraus etwas für unser Problem, die wechselseitige Anerkennung von einzelnem und allgemeinem Selbst? Zunächst einmal darf natürlich das Moment der Einzelheit des Geistes nicht mit dem einzelnen Selbst und das der Allgemeinheit mit dem allgemeinen bzw. mit dem Volksgeist identifiziert werden. Da beide Momente solche der Subjektivität sind, kommen sie auch beide den beiden Formen des »Selbst« zu. Außerdem muß man berücksichtigen, daß ihre vollkommene Einheit nach dem Text der »Metaphysik« erst im absoluten Geist erreicht ist. Dennoch läßt sich der Gedanke der Untrennbarkeit von Sich-Bestimmen und Selbstaufhebung des Bestimmten auf das Verhältnis der beiden Formen des Selbst anwenden. Es bedeutet zumindest soviel: das einzelne Selbst verliert sich nicht, sondern findet sich erst, wenn es die allgemeinen Sitten, Gesetze, Ziele sich zueigen macht – selbst auf Kosten des eigenen Lebens. Und umgekehrt: die auf der Selbsttranszendenz des Einzelnen beruhende Allgemeinheit des Wollens und Denkens eines Volkes verliert sich nicht, wenn sie das »Insichsein«, das Gewissen des Einzelnen toleriert, sogar abweichende Handlungen »vergibt«, solange diese nicht mit dem Anspruch, »Gesetz« zu sein, auftreten. Es besagt ferner, daß das »Leben« des allgemeinen Geistes nichts anderes ist als das Sich-Distanzieren (= Bestimmen) und SichTranszendieren (= Selbstaufhebung der ausschließenden Bestimmtheit) der Einzelnen und ihrer besonderen Vereinigungen (Stände). Das Problem der Hegelschen Anerkennungslehre aber bleibt das folgende: Die Einzelheit des Volksgeistes ist dessen eigenes »Insichsein«, nicht bloß das der in ihm lebenden Einzelnen. Es ist die selbstgewisse »Spitze« des Staates, die Regierung und der Monarch, und es ist das Sich-Wissen des Volksgeistes im absoluten Geist. Dieses Insichsein, diese Selbständigkeit des Staates den Einzelnen Das Prinzip der Anerkennung | 167
und Gruppen gegenüber, ist seinerseits das »Woraufhin« des SichTranszendierens der Einzelnen. Wenn der Volksgeist so über die Einzelnen in sich selbst zurückkehrt, dann sind diese aber wiederum nicht eigentlich in ein selbständiges Anderssein freigegeben. Die Selbständigkeit von Momenten eines Ganzen kann niemals im selben Sinne »freigegeben« werden wie die Selbständigkeit eines – zumindest in seiner Spitze von aller Partikularität der Momente freien – Ganzen. Hätte Hegel nicht – in Übereinstimmung mit seiner spekulativen Subjektivitätstheorie – als das Woraufhin des Sich-Transzendierens der Einzelnen die jeweils bestimmten Anderen im Sinne der »ersten Stufe« der Anerkennung bestimmen können? Dann hätte diese Stufe allerdings nicht bloß Vorstufe auf dem Weg zum Telos der Anerkennung sein dürfen, sondern zugleich Zweck des Anerkennungsverhältnisses zwischen Individuum und Volksgeist. Hegel hat dies, vor allem später in der Rechtsphilosophie, durch die Freigabe von »Sphären« zu denken versucht: Familie und Rechtsgemeinschaft als Medien wechselseitiger Anerkennung müssen in ihrem Eigenen gesichert werden. Aber was die besonderen Willen in diesen Sphären zu vernünftigen macht, ist in Wahrheit nicht der Wille zur wechselseitigen Anerkennung, sondern die unbewußte Anerkennung des in diesen Sphären bereits wirksamen, im Staat zu sich selbst kommenden »Allgemeinen« vgl. u. Kap. V. 2.). Der Gedanke, daß die Einzelnen und Gruppen sich nicht um des selbständigen Ganzen willen transzendieren, sondern für den Staat als der Ermöglichung ihrer besonderen Anerkennungsverhältnisse, hat in Hegels praktischer Philosophie keinen Platz – obgleich seine logisch-metaphysischen Bestimmungen ihn zugelassen hätten. Ob er von diesen sogar gefordert wird oder besser zu ihnen »paßt«, kann hier nicht entschieden werden. Dazu wäre eine grundsätzliche Klärung der »Entsprechung« zwischen Logik und Realphilosophie notwendig, zu der es in der Hegel-Literatur bis heute nur Ansätze gibt.156 Stattdessen beschäftigen sich die folgenden Kapitel mit der Frage nach der Bedeutung der Anerkennung als eines »Prinzips« der praktischen Philosophie..
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II. Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften Im folgenden Kapitel geht es um den Nachweis, daß Hegel in der Jenaer Zeit die praktische Philosophie erneuert, indem er im Anschluß an deren aristotelische Systematik – der Einheit von Ethik, Ökonomie und Politik – ein System aller Formen des »praktischen und sittlichen« (GW 5, 327) entwirft. In diesem System soll das Prinzip der praktischen Philosophie Kants und Fichtes, die Freiheit der reinen praktischen Vernunft, im Hegelschen Sinne »aufgehoben« sein. Den ersten Versuchen der Jenaer Zeit, ein solches System auszuführen, gelingt die Lösung dieser Aufgabe noch nicht, weil Hegel nicht über ein Prinzip verfügt, das die Freiheit des Selbst mit den Institutionen des gemeinsamen Handelns notwendig verbindet. Diese Funktion erfüllt seit Mitte der Jenaer Zeit das Prinzip der Anerkennung. Hegel hat sich nicht erst in Jena mit Fragen der praktischen Philosophie beschäftigt. Sie stehen vielmehr im Mittelpunkt fast aller seiner »Jugendschriften« aus der Tübinger, Berner und Frankfurter Zeit. »Spekulationen, die nur für die theoretische Vernunft von mehrerer Bedeutung sind«, interessieren ihn, wie er 1795 an Schelling schreibt, »nur wenig« (B I, 23). Was ihn in dieser Zeit beschäftigt, sind die Auswirkungen von Kants Philosophie der Autonomie auf Religion und Politik. Bei der »Anwendung« der Kantischen Philosophie der praktischen Vernunft sieht sich Hegel aber bald gezwungen, über deren Grundlagen hinauszugehen. Zu diesem Zweck erarbeitet er in Frankfurt eine Kritik der Kantischen Moralphilosophie. Dennoch gelingt es ihm bis zum Ende der Frankfurter Zeit nicht, der praktischen Philosophie Kants einen eigenen systematischen Ansatz gegenüberzustellen – und damit Kants »Destruktion« der klassischen praktischen Philosophie aufzuheben. Natürlich ist Kant nicht der erste, der sich von der aristotelischen praktischen Philosophie abwendet; er führt nur zu Ende, was Hobbes und Spinoza begonnen haben. Die prinzipielle Übereinstimmung von »empirischem« (Hobbes) und transzendentalem Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 169
Naturrecht (Kant, Fichte) hat Hegel in der Naturrechtsschrift (1802) herausgestellt. »Aufhebbar« in seine eigene Form der praktischen Philosophie ist das neuzeitliche Naturrecht indes nur in seiner letzten, transzendentalen Gestalt. Die Kantische »Destruktion« der klassischen praktischen Philosophie liegt für Hegel vor allem in zwei Grundzügen: 1. In der Unabhängigkeit der Ethik von allen auf die »Gesellschaft« (im weitesten Sinne) bezogenen Wissenschaften. Für Kant sinken ja Ökonomie und Politik zu »empirischen« Wissenschaften herab. Und auch der apriorische Teil der Kantischen Rechtsphilosophie wird nicht als notwendige Folge oder Verwirklichung (im Sinne von Entfaltung) der Ethik angesehen. 2. In der Begründung der Philosophie der praktischen Vernunft auf ein Prinzip im Sinne eines a priori einsichtigen Grundsatzes (s. u. S. 183 f.). Zwischen einem solchen Grundsatz und dem aus ihm Abgeleiteten muß ein unüberbrückbarer Gegensatz des Unbedingten und Bedingten entstehen; und zwar sowohl methodisch wie inhaltlich: ein solches Deduktionsverfahren kann niemals zum Begreifen des Ganzen aller Formen der praktischen Vernunft als eines Systems führen. Und ein auf das unbedingte Prinzip entweder sittlicher oder »äußerer« Freiheit gegründetes System kann die Formen des Gemeinschaftslebens nicht als Erweiterung und Erfüllung der subjektiven Freiheit fassen, sondern nur als ihre Einschränkung.157 Hegels Ziel in den Jenaer Systementwürfen ist es dagegen, die Kluft zwischen Ethik und Gesellschaftskritik durch eine Theorie der Institutionen zu überwinden. Genau dies ist aber, wie wir in der Einleitung zu zeigen versuchten, auch der Mangel der einflußreichen gegenwärtigen Versuche einer Erneuerung der praktischen Philosophie. Es ist also nicht nur ein »entwicklungsgeschichtliches« Interesse, was uns veranlaßt, unsere These über Hegels praktische Philosophie vor Jena im folgenden Abschnitt kurz zu erläutern. 1. Praktische Philosophie beim jungen Hegel Für den jungen Hegel sind nicht nur Spekulationen auf dem Gebiet der theoretischen Vernunft uninteressant – auch in der praktischen Philosophie besteht für ihn nicht die Notwendigkeit eines systema170 | kapitel ii
tischen Neuansatzes. Es genügt vielmehr, Kants Philosophie zu vollenden und – vor allem in der Religionskritik – anzuwenden: vom »Kantischen System und dessen höchster Vollendung« erwartet Hegel »eine Revolution in Deutschland« (B I, 23). Damit ist nicht nur eine Umwälzung der »Denkungsart« hinsichtlich sittlicher Maximen gemeint – was »Revolution« in der Kantischen Religionsschrift noch bedeutet hatte.158 Hegel sieht das Wesentliche der Kantischen Philosophie darin, daß sie gelehrt hat, »die Würde des Menschen höher anzuschlagen, sein Vermögen der Freiheit anzuerkennen«. Damit aber muß sie die Legitimationsbasis der bestehenden politischen Verhältnisse zerstören: »Die Philosophen beweisen diese Würde, die Völker werden sie fühlen lernen und ihre in den Staub erniedrigten Rechte nicht [nur, LS] fordern, sondern selbst wieder annehmen, – sich aneignen.« (I, 24) Daß von einer Philosophie der moralischen Autonomie eine solche Wirkung ausgehen müsse, war eine Überzeugung, die Hegel seit der Tübinger Zeit mit Hölderlin und Schelling teilte. Der Grund für diese Überzeugung und für den anfänglichen Verzicht auf eine Analyse der institutionellen Voraussetzungen der Verwirklichung der Freiheit war die Auffassung, durch die neue Moralphilosophie müsse sich vor allem die Religion ändern – mit deren Änderung aber sei die politische Umwälzung notwendig verbunden: »Religion und Politik haben unter einer Decke gespielt, jene hat gelehrt, was der Despotismus wollte, Verachtung des Menschengeschlechts, Unfähigkeit desselben zu irgendeinem Guten, durch sich selbst etwas zu sein.« (ebd., vgl. GW 1, 160, 345) Hegel sieht daher als seine eigene wichtigste Aufgabe die Kritik der Religion. Die aus der Ethik abgeleitete Religionskritik ist unmittelbar Gesellschaftskritik. Darum besteht für Hegel kein Anlaß, über Kants Verständnis von praktischer Philosophie hinauszugehen. Die Ausführung seines Programms zwang Hegel gleichwohl zu einem solchen Schritt über Kant hinaus, vor allem in folgenden drei Punkten: 1) Der Begriff der Religion bedeutet für Hegel anders als für Kant ein Ganzes aus Sitten, Zeremonien, Mythen etc., der sich nicht bloß als Bedingung, Verstärkung oder Konkretisierung von Moralität verstehen läßt. Damit stellt sich das Problem des Verhältnisses von Moralität und – mit dem Begriff des späteren Hegel gesprochen – Sittlichkeit. Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 171
2) Der »Despotismus« beruht nicht nur auf der »moralischen« Verachtung und Selbstverachtung des Menschen, sondern auch auf dem Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft – entweder in Gestalt der Herrschaft des Eigennutzes über den Gemeinsinn, oder umgekehrt in der des Gesetzes über den Einzelnen. Beides ist in Kants Sittengesetz nicht ausgeschlossen, sondern – wie Hegel in den Frankfurter Entwürfen zu sehen glaubt – sogar theoretisch begründet. Will man den Gegensatz überwinden, darf man weder von der Moralität des Individuums noch von der Herrschaft eines – und sei es moralischen – Gesetzes ausgehen, sondern muß den Prozeß der Vereinigung des Individuums mit dem Anderen, der Natur, dem Schicksal, zur Grundlage der »Gesellschaftskritik« machen. 3) Die Mittel seiner Religionskritik – die auch die Mittel der »aufgeklärten« Verteidiger der orthodoxen Theologie sind159, die historische Analyse des Textes der Bibel und seiner Entstehungszeit – führen Hegel auf die Frage nach den Ursachen des Verfalls des »positiven Kerns« der christlichen Religion, welcher einhergeht mit dem Verfall der politischen Institutionen der Antike. Damit wird die Analyse der Institutionen und ihrer historischen Wandlungen zur Voraussetzung sowohl des Verständnisses wie der Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft. Und es zeigt sich die Bedeutung dieser Institutionen für die Verwirklichung der Freiheit. Am Ende der Frankfurter Zeit hat Hegel eingesehen, daß er seine praktische Philosophie auf ein neues Fundament stellen müsse. Aber die Ansätze dieser Schritte über die Kantische Philosophie der praktischen Vernunft hinaus liegen schon vor der Jenaer Zeit. Das soll mit Blick auf die drei genannten Punkte noch etwas verdeutlicht werden. 1. So sehr Hegels frühe Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Moralität der Moraltheologie Kants und des frühen Fichte verpflichtet ist – mit seinem Begriff der »Volksreligion« schlägt er schon seit der Tübinger Zeit eine von Kant abweichende Richtung ein. Zwar will Hegel mit Kant die Religion der Moralität unterordnen und die postulierten Ideen Gottes und der Unsterblichkeit nur als »Verstärkung« der Achtung vor dem Sittengesetz akzeptieren.160 Verstärkung von Moralität und »Tugend« kann die Religion aber nur dann sein, wenn sie »Volksreligion« ist: »VolksReligion unterscheidet sich von privatReligion vornehmlich dadurch, daß der Zwek je172 | kapitel ii
ner ist, indem sie mächtig auf Einbildungskraft und Herz wirkt, der Seele überhaupt die Kraft und den Enthusiasmus – den Geist einzuhauchen, der zur grossen zur erhabenen Tugend unentbehrlich ist« (GW 1, 102). Dazu aber muß sie den Bürger »freundlich überall hinbegleiten – bei seinen Geschäften und ernstern Angelegenheiten des Lebens, wie bei seinen Festen und Freuden ihm zur Seite stehen« (GW 1, 110). Daß Religion für Hegel das »Herz« und die »Einbildungskraft« bestimmen muß, und daß sie daher als ein das Leben einer Gemeinschaft bestimmendes Ganzes von Vorstellungen und Gebräuchen – gleichsam eine gemeinsame »Lebensform« – in Erscheinung treten muß, bedeutet nicht, daß sie nur als Vorbereitung einer der Sinnlichkeit verfallenen Menschheit auf die Moralität anzusehen ist, wie in Fichtes Kritik der Offenbarungsreligion.161 Es gehört vielmehr zum Wesen der Religion als Volksreligion und ist zugleich Voraussetzung eines freien Gemeinwesens. Ein solches Gemeinwesen, für das die griechische Polis vorbildlich ist,162 soll zwar die Tugend – sowohl im Sinne der staatsbürgerlichen Tugend des selbstlosen »Enthusiasmus« für das Ganze wie im rein moralischen Sinne – seiner Bürger ermöglichen. Aber die Lebensform der Religion eines Volkes macht sich nicht mit der Hervorbringung der Moralität selbst überflüssig.163 Noch bevor Hegel in Frankfurt die Religion, als Erhebung des Menschen über seine endliche Subjektivität, der Moralität eindeutig überordnete, hatte er ihr im Begriff der Volksreligion schon eine der moralischen Vollkommenheit des Individuums gegenüber selbständige Bedeutung eingeräumt. Die Absolutsetzung der moralischen Freiheit des Einzelnen war damit überschritten und eine Vorform der den Einzelnen als »Moment« in sich aufhebenden »Sittlichkeit« konzipiert. 2. Daß die Verabsolutierung der Moralität im kantischen Sinne im Gegensatz zur Freiheit steht und ihre gedanklichen Grundlagen mit denjenigen der zu kritisierenden gegenwärtigen Gesellschaft übereinstimmen, hat Hegel allerdings erst in Frankfurt gesehen. Die Einflüsse, die durch die Vermittlung Hölderlins dort auf ihn gewirkt haben, sind genau untersucht worden.164 Jedenfalls sieht Hegel nun die Gemeinsamkeit der kantisch-fichteschen Moralphilosophie, des jüdischen Gesetzesdenkens und seiner Wirkung auf das Christentum, und der Herrschaftsmomente der aus dem Verfallsprozeß dieses Christentums hervorgegangenen modernen Gesellschaft darin, Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 173
daß sie die Moralität von der Natur, die Allgemeinheit des Gesetzes von der Einzelheit der Neigungen und die »autonomen« Individuen165 voneinander und von der Gemeinschaft getrennt haben. Die Vereinigung kann nicht im Versuch der Anpassung der Sinnlichkeit an die Allgemeinheit des reinen Willens bestehen, denn »Gesetz« und einzelne Tat sind prinzipiell »inkommensurabel«: Vereinigung setzt Gleichheit voraus (vgl. GW 2, 9), Vereinigung zwischen Allgemeinem und Einzelnem, Gesetz und Tat, kann nur zur Herrschaft des einen über das andere führen. Freie Vereinigung ist daher das Bewußtsein einer ursprünglichen Gleichheit. Solche freie Vereinigung des Menschen mit dem Anderen, mit der Natur und mit dem Unendlichen geschieht in der Liebe und in der Religion – der Religion der Schönheit und der ekstatischen Selbstüberwindung (vgl. Henrich 1971, 69 ff.). Damit macht Hegel zum ersten Male Prozesse der Vereinigung zwischen den Individuen und zwischen Individuum und Gemeinschaft zur Grundlage seiner Freiheitslehre. Genau dieser Gedanke, den Ausgangspunkt der praktischen Philosophie nicht ins autonome Individuum, sondern in den Prozeß seiner Vereinigung mit Anderen zu setzen, wird in Hegels Jenaer Schriften zum Prinzip einer systematischen Erneuerung der praktischen Philosophie. Weil er »Freiheit« und »Vereinigung« zusammendenken will, kann Hegel schon am Ende der Frankfurter Zeit weder Kants Trennung von Sittlichkeit und Natur noch diejenige zwischen dem absoluten Prinzip der Moralität und der »Äußerlichkeit« ihrer empirischen Anwendungsbedingungen in einer Gemeinschaft – d. h. die Trennung von Ethik und Politik – akzeptieren.166 3. Hegels Untersuchungen der Umwandlung des Christentums in eine positive Religion, die den »Despotismus« legitimiert, führt aber zu dem Ergebnis, daß solche Vereinigung des Menschen mit bzw. in einer Gemeinschaft nur unter bestimmten institutionellen Bedingungen möglich ist. Wo diese nicht gegeben sind, da ist die »Vereinigung mit der Zeit unedel und niederträchtig«, der Verzicht auf sie und das Streben, die Unendlichkeit in sich selbst zu finden, dagegen das »Würdigste edelste« (GW 2, 348). Das Vorhandensein der institutionellen Bedingungen von Freiheit und Moralität ist aber nicht bloß eine Frage ihrer vernünftigen Herstellung nach Klugheitsregeln; Institutionen sind vielmehr einem Wandlungsprozeß des »Geistes« von Völkern und Epochen unterworfen. Dieser Geist 174 | kapitel ii
überschreitet, wie Hegel sowohl aus Gibbons Geschichtsphilosophie wie aus Steuarts ökonomischer Theorie entnehmen konnte, das einzelne Wollen. Erkennbar ist er gerade in den Institutionen und ihren Wandlungsprozessen. Dem Einzelnen gegenüber besitzt dieser Prozeß der Wandlung von Institutionen die Unabänderlichkeit des »Schicksals«. So sagt Hegel von der Institution des Eigentums, daß dessen »Schiksal … uns zu mächtig geworden, als daß Reflexionen darüber erträglich, seine Trennung von uns, uns denkbar wäre« (GW 2, 173). Auf der anderen Seite sind die Institutionen nicht unabhängig von den gemeinsamen »Meinungen«, »Hoffnungen« und »Bedürfnissen« der mit ihnen lebenden Menschen. Institutionen, die nicht von einem Minimum an gemeinsamer Zustimmung getragen sind, in denen sich das Selbstverständnis der Menschen nicht mehr wiedererkennt, sind »unhaltbar«, und es ist ein Zeichen von »Blindheit« zu glauben, daß »Einrichtungen, Verfassungen, Geseze, die mit den Sitten, den Bedürfnissen, der Meinung der Menschen nicht mehr zusammenstimmen, aus denen der Geist entflohen ist, länger bestehen, daß Formen, an denen Verstand und Empfindung kein Interesse mehr nimmt, mächtig genug seyen, länger das Band eines Volkes auszumachen!« (GW 2, 104) Hegel wird dieses Wechselverhältnis von Bestimmtsein des Einzelnen durch die Institutionen und Abhängigkeit der Institutionen vom Willen aller in Jena mit der Theorie der Anerkennung erklären. In der Mitte der Frankfurter Zeit – die eben zitierten Äußerungen stammen aus dem Einleitungsfragment der Schrift über die Verfassung Württembergs (1798) – zieht Hegel aus der Einsicht in die wechselseitige Abhängigkeit von Institutionen und Selbstverständnis die Folgerung, daß es zur Kritik und Veränderung einer Gesellschaftsform der Analyse der Institutionen bedarf: »Für die Menschen von bessern Wünschen, von reinerem Eifer wäre es besonders Zeit, ihrem unbestimmten Willen, die Theile der Verfassung vorzuhalten, welche auf Ungerechtigkeit gegründet sind, und auf die nothwendige Veränderung solcher Theile ihre Wirksamkeit zu richten.« (GW 2, 103) Dazu allerdings reicht es nicht aus, bestehende Institutionen und ihre Genese zu analysieren. Um zu unterscheiden, was an einer Verfassung »ungerecht« ist und was nicht, was einem »reinern, freiern Zustande« (ebd.) im Wege steht und was ihn befördern könnte, bedarf es einer Theorie der VerwirkliDie Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 175
chung der Freiheit in den Institutionen, die einen Maßstab zu deren Kritik bereitstellt. Hegel ist also in allen drei Hinsichten schon in den Schriften vor der Jenaer Zeit über die Kantische Philosophie der praktischen Vernunft hinausgegangen ist: Im Begriff der Volksreligion – nicht bloß einer rein moralischen »Kirche« im Sinne von Kants Religionsschrift – als einer Vorform der Sittlichkeit, in der Bestimmung der Freiheit als Vereinigung, als Sich-Finden im Anderen, und schließlich in der Einsicht in die wechselseitige Abhängigkeit von Freiheitsbewußtsein und Verfassungen bzw. Institutionen. Dennoch ist Hegel vor der Jenaer Zeit nicht zu einer neuen Grundlegung der praktischen Philosophie gelangt. In seinen letzten Frankfurter Schriften – etwa dem sogenannten Systemfragment von 1800167 – wird zwar der Versuch eines eigenen, über Kant und Fichte hinausgehenden Systemansatzes spürbar, aber die Auswirkungen auf die praktische Philosophie bleiben undeutlich. Hegel bemüht sich in diesem Entwurf um eine Überwindung der Reflexion, des in unaufhebbaren Gegensätzen »gefangenen« Denkens Kants und Fichtes, durch die Religion. Aber die Religion wird nicht in ihrem Bezug auf die Moralität und die Gesellschaftsordnung erörtert, sondern als Möglichkeit des Menschen, seine Endlichkeit zu überschreiten und sich mit dem Unendlichen zu vereinigen. Obwohl Religion für Hegel nicht reine Kontemplation ist, sondern die »praktischen Momente« kultischer Tätigkeit behält, ist sie im Systemfragment nicht mehr Gegenstand einer praktischen Philosophie. Der Grundbegriff des Systemfragments und seiner Kritik an der Reflexionsphilosophie, der Begriff des Lebens, findet sich zwar auch in Hegels gleichzeitigen Einleitungsfragmenten zur Verfassungsschrift (1799 und 1800), aber zu einer systematischen Neubestimmung der praktischen Philosophie führt er nicht. Leben – das zeigt gerade die »Leblosigkeit« der alten deutschen Reichsverfassung – bedeutet zugleich Vereinigung der Teile mit dem Ganzen, Aufhebung der Isolierung, und Erhaltung der Freiheit, Freigabe der Teile durch das Ganze.168 Damit besitzt Hegel zwar einen Maßstab zur Kritik der Reichsverfassung, in der das Ganze keine Souveränität mehr hat, die Teile sich ihre »Staatsgewalt … selbst zu danken« (GW 5, 10 Erststufe) haben, aber kein Prinzip, das das System der freien Institutionen in seinem Zusammenhang begründen könnte. Er vermag auch nicht zu erklären, wie 176 | kapitel ii
sich das Bewußtsein der Freiheit und Selbständigkeit des Einzelnen zum Leben und Selbstgefühl des Ganzen in seinen Teilen verhält. Seit den ersten Jenaer Schriften (1801 ff.) sieht Hegel die Notwendigkeit, diese Frage zu beantworten. Aber erst die Bewußtseinstheorie und die auf ihr fußende Anerkennungslehre der späteren Jenaer Jahre (1803–1806) ermöglicht eine zureichende Antwort. 2. Kritik des Naturrechts und Rehabilitierung der klassischen politischen Philosophie Die Entwicklung der praktischen Philosophie Hegels in Jena unterscheidet sich von der vorhergehenden Phase in den beiden folgenden Punkten: a) Hegels Kritik an der Kantischen Moralphilosophie weitet sich mit seinen ersten Jenaer Veröffentlichungen zu einer Kritik der »Reflexionsphilosophie« aus. Gegenstand dieser Kritik ist sowohl der moralphilosophische Gegensatz zwischen reinem Willen und Natur, wie der zwischen der transzendentalphilosophischen Freiheitslehre und einer Rechtsphilosophie, in der nach Hegel die individuelle Freiheit schließlich nur durch ein rigoroses Zwangssystem gesichert werden kann.169 b) Hegel sieht im Verlauf seiner Beschäftigungen mit den historischen Bedingungen der Entstehung der modernen Gesellschaft immer deutlicher, daß die Realisierung von Freiheit und freier Gemeinschaft eine Frage von Sitten, Institutionen und Verfassungen ist. Zeugnis dafür sind die Schriften über die Verfassungen Württembergs und des Reiches – die letztere hat Hegel noch zu Beginn der Jenaer Zeit beschäftigt (bis 1803). Von diesen beiden Voraussetzungen her kommt Hegel bereits in den ersten Jenaer Jahren zu einer endgültigen Abkehr von Kants Systematik der praktischen Philosophie und zu einer Rückbesinnung auf die antike politische170 Philosophie. Gegen das Prinzip der unendlichen Freiheit des Einzelnen – nicht nur im transzendentalphilosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der »natürlichen« Freiheit des Naturzustandes171 – setzt er die Aristotelische These, daß das Volk (Polis) von Natur »eher« ist als der Einzelne (GW 4, 467). Hegel bestimmt daher die Freiheit des Einzelnen Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 177
als Überwindung seiner Einzelheit – nicht in einer moralischen Selbstüberwindung, sondern in der Bewußtwerdung der Einheit von Individuum und Volk in den Ständen und Institutionen der Polis. Hegel verfügt aber in der ersten Phase der Jenaer praktischen Philosophie noch nicht über eine Theorie der Bewußtseinsentwicklung. Er sucht die Überwindung der Gegensätze einer auf das Prinzip der Einzelheit gegründeten praktischen Philosophie Kants und Fichtes von der methodischen Seite her zu lösen: als Überwindung der »Reflexion« durch die Vereinigung von Reflexion und Anschauung bzw. Begriff und Anschauung.172 Daraus entsteht die Methode des ersten Systems der praktischen Philosophie Hegels in Jena, des Systems der Sittlichkeit173 (1802/1803) (vgl. u. S. 193–195). In diesem System hat Hegel aber noch nicht zu zeigen vermocht, daß das transzendentalphilosophische Prinzip des freien Selbstbewußtseins mit eigener Notwendigkeit zur Überwindung der Einzelheit in den Institutionen der Polis führt. Die Vermittlung von klassischer politischer Philosophie und Transzendentalphilosophie, die Hegel seit Beginn der Jenaer Zeit beabsichtigt, ist daher noch nicht möglich. Das Prinzip, das eine solche Vermittlung ermöglicht, das Prinzip der Verwirklichung der Freiheit des Selbst in den Institutionen des allgemeinen Bewußtseins, ist das Prinzip der Anerkennung. Obgleich davon schon im System der Sittlichkeit die Rede ist, bedurfte es der systematischen Entfaltung einer Theorie des Bewußtseins, die mit dem Systementwurf von 1803/1804 beginnt, um die Bedeutung dieses Prinzips für die Einheit der praktischen Philosophie zu erkennen. Diese Thesen zu Hegels Erneuerung der praktischen Philosophie in der Jenaer Zeit bedürfen einiger Erläuterungen. Hegels Kritik an der Reflexionsphilosophie beginnt mit seiner Erstveröffentlichung, der »Differenzschrift« aus dem Jahre 1801.174 Hauptthema der Fichte-Kritik dieser Schrift ist der Gegensatz des unendlichen Ich und der Sphäre des Bestimmten und Beschränkten. Dieser Gegensatz wird von Fichte nicht überwunden, zu einer absoluten Einheit gebracht, sondern als ein Verhältnis der Herrschaft fixiert. In den »beyden Systemen der Gemeinschaft der Menschen« (GW 4, 54), dem Naturrecht und der Sittenlehre Fichtes, bedeutet dies eine Herrschaft des »Begriffs« über die Natur und des allgemeinen Willens über den einzelnen. Im Naturrecht Fichtes 178 | kapitel ii
wird die »Freyheit« (nur) »vom Standpunkt der Reflexion« betrachtet: als ein »an sich« Unbestimmtes, Unendliches, »alle Beschränkung Aufhebendes«, dem ein für das Bestehen einer Gemeinschaft notwendiges System von Beschränkungen gegenübersteht (ebd.). Dieses System ist nach Hegel keine freie Selbstbeschränkung der Freiheit, durch die diese sich eine bestimmte Gestalt gibt, die sie aber ebenso selbst »aufheben« kann, um »andere Beziehungen einzugehen« (55). Vielmehr werde die Beschränkung »durch den gemeinsamen Willen zum Gesetz erhoben«, zum Zwangsgesetz, das die Freiheit völlig aufhebt. Hegels These dagegen: die Gemeinschaft muß »nicht als eine Beschränkung der wahren Freyheit des Individuums, sondern als die Erweiterung derselben angesehen werden.« (54) Wie ist das möglich? Indem die Vernunft eine »freye Organisation des Lebens« konstruiert, in der die Beschränkungen der Reflexion bzw. des Verstandes »entbehrlich« werden (55 f.). In dieser »wahren Unendlichkeit einer schönen Gemeinschaft« werden die »Gesetze durch Sitten, die Ausschweifungen des unbefriedigten Lebens durch geheiligten Genuß und die Verbrechen der gedrükten Kraft durch mögliche Thätigkeit für große Objekte« ersetzt (ebd.). Hegel wiederholt das Ideal der Frankfurter Zeit, die schöne lebendige Gemeinschaft, die durch Sitten, Kult und große Taten vereinigt wird. Sicher ist das Vorbild dafür die griechische Polis. Aber Hegel hat in der Differenzschrift noch keine Wiederherstellung der klassischen politischen Philosophie gefordert. Die Überwindung der Reflexionsphilosophie scheint ihm durch ein philosophisches System im Sinne Schellings möglich: durch die Darstellung des Absoluten in Transzendental- und Naturphilosophie, sowie in deren »Indifferenzpunkt«, d. h. in Kunst, Religion und Spekulation. Die Methode dieses Systems ist die Vereinigung von Reflexion und Anschauung zur »transzendentalen Anschauung« bzw. zum »transzendentalen Wissen« (GW 4, 27 f.). Die Rehabilitierung der klassischen praktischen Philosophie wird in dem Aufsatz »Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts« deutlicher, der – wenig früher als das System der Sittlichkeit entstanden – im Winter 1802/1803 in Hegels und Schellings »Kritischem Journal« erschienen ist.175 Hegel setzt sich in ihm sowohl mit der »empirischen« wie mit der transzendentalphilosophischen Form des neuzeitlichen Naturrechts auseinander. Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 179
Das Wichtige für die Erneuerung der praktischen Philosophie liegt darin, daß für Hegel die Trennung zwischen Moralphilosophie und Naturrecht, zwischen einer Theorie der Freiheit und der Tugenden auf der einen und dem Wissen von Sitten, »Verfassungen« und »Gesetzgebungen« (GW 4, 481) auf der anderen Seite überwunden werden muß.176 Für Hegel ist diese Trennung unhaltbar, weil die Freiheit des Einzelnen gar nicht »rein«, das heißt abstrahiert von den mannigfaltigen Verhältnissen der »Wirklichkeit« des Sittlichen in einem Volk bestimmt werden kann. Das Naturrecht kann weder auf die gesetzlose Freiheit des Naturzustandes noch auf ein naturunabhängiges reines Freiheitsbewußtsein gegründet werden, sondern muß von vornherein die Einheit von »Natürlichem« und »Sittlichem«, »Naturstand« und »Majestät«, Einzelheit und Volk im Auge haben (427). Zu einer solchen Einsicht konnte das neuzeitliche Naturrecht nicht kommen, weil es die Einzelheit absolut setzte, statt die Freiheit – wie die antike Philosophie – als ein »Vernichten der Einzelheit« (447) zu begreifen, deren Sittlichkeit im »Einsseyn« mit dem Volke besteht (449). Hegel hat im Naturrechtsaufsatz unter Berufung auf Aristoteles das Verhältnis von »Moral« und »Naturrecht« gegenüber dem kantisch-fichteschen »Primat« der Moral umgekehrt.177 Die Moral wird zu einem Moment des Naturrechts. Dieses Verhältnis von Moral und Recht findet sich auch noch in seiner reifen Berliner Rechtsphilosophie. Im Naturrechtsaufsatz ist das Naturrecht die Lehre von der sittlichen Natur eines Volkes und deren Ausprägung in verschiedenen Ständen, die Moral dagegen hat nur die »sittlichen Eigenschaften, die dem Einzelnen angehören«, zum Gegenstand – und zwar als dessen »Möglichkeiten oder Fähigkeiten, in der allgemeinen Sittlichkeit zu seyn« (468). Insofern die Moral an der selbständigen Existenz des Einzelnen orientiert ist, der erst durch Negation mit dem Volke eins und somit sittlich wird, hat sie nur das »an sich Negative« zum Thema, während dem Naturrecht das »wahrhaft Positive« zukommt (ebd.). Die Moral als Moment des Naturrechts hat es nur mit dem »Reflex der absoluten Sittlichkeit im Einzelnen« zu tun (ebd.). Mit dem Versuch, Moral ins Naturrecht – d. h. in »Politik« im Sinne des Wissens von der sittlichen Natur der Polis, von ihren Sitten, Ständen und Verfassungseinrichtungen – aufzuheben, geht Hegel im Grunde noch über die klassische Tradition hinaus, 180 | kapitel ii
die zumindest in ihrer Aristotelischen Gestalt der Ethik ja noch Selbständigkeit neben Ökonomie und Politik eingeräumt hatte.178 Das Prinzip der Moralität ist für Hegel – wie gesagt – die Selbständigkeit der Einzelheit. Die Moral hat nur das Verhältnis der Individuen zueinander zum Gegenstand. Das »Verhältnis« ist aber eine Kategorie der Reflexion bzw. des Verstandes, es bezeichnet »nichts Absolutes und also auch die Moralität, die auf dasselbe geht nichts wahrhaft Sittliches« (468). Die Weise, wie das »Verhältnis« oder das »Negative« der absoluten Sittlichkeit mit deren wahrer Gestalt vermittelt wird, hat Hegel im Naturrechtsaufsatz nur im Rahmen des Entwurfs einer an Platon und Aristoteles orientierten Ständelehre angegeben. Wesentlich für das Prinzip der Polis ist ihm die Unabhängigkeit und Überordnung179 des Standes der Freien von bzw. über die niederen Stände. Die absolute Sittlichkeit des ersten Standes ist die Freiheit als Krieger, Staatsmann und Philosoph ganz für sein Volk zu leben (454) – während die niederen Stände auf die Sphäre des Eigentums und des Erwerbs und damit der in den Grenzen des Rechtes freien Individualität beschränkt sind. In diesen niederen Ständen – oder wie Hegel zusammenfassend sagt, dem Stand der »nicht freyen180 – bildet sich durch die Verhältnisse des Eigentums und des Erwerbs das »System der allgemeinen gegenseitigen Abhängigkeit in Ansehung der physischen Bedürfnisse und der Arbeit und Anhäufung für dieselben«, die Gegenstand der »sogenannten politischen Ökonomie« sind (450). Hegel hat das Verhältnis der beiden Stände in einem an der antiken Tragödie orientierten Bild als »Kampf« bezeichnet, in dem sich beide von einander trennen, der Stand der absoluten Sittlichkeit den niederen Stand »bezwingt«, sich aber beide auch versöhnen, indem die Notwendigkeit des niederen Standes für das Ganze anerkannt wird und dieser im Stand der »Freyen« die absolute Sittlichkeit »anschaut«. Während der Naturrechtsaufsatz die auf dem Prinzip der Einzelheit beruhende Sittlichkeit nur innerhalb der Ständelehre mit der absoluten Sittlichkeit versöhnt, d. h. als Momente einer »Totalität« erkennt, geht das System der Sittlichkeit davon aus, daß die »Sittlichkeit nach dem Verhältnis«, die bloß ein negativer Reflex der absoluten Sittlichkeit ist, durch eine zweifache Negation181 in die absolute Sittlichkeit aufgehoben werden muß. In diesem ProDie Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 181
zeß der Entfaltung und Aufhebung der »natürliche[n] Sittlichkeit« (GW 5, 280) kommt Hegel nun der aristotelischen Konzeption der praktischen Philosophie weitaus näher als im Naturrechtsaufsatz. Das System geht aus von den unmittelbarsten Formen der »Praxis« des Einzelnen – Bedürfnis, Arbeit, Genuß, Besitzergreifung, Liebe, Rede etc. – und zeigt, wie sich auf dieser Stufe ein Bewußtsein natürlicher Gemeinsamkeit herstellt. Die höchste natürliche Einheit, die noch auf dem »Princip der Einzelnheit« (vgl. GW 5, 309) beruht, ist die Familie, die Hegel hier völlig im Sinne der aristotelischen Tradition als oikos, als »Haus« bzw. als Großfamilie erörtert. Sie umfaßt die Verhältnisse des Besitzes, des Rechtes, aber auch der »natürlichen« Herrschaft und Knechtschaft. Indem Hegel von der natürlichen »Vergesellschaftung« der Menschen ausgeht, das Haus als erste Gemeinschaft behandelt, aber zugleich doch nur als »Moment« der Polis und als Reflex ihrer Sittlichkeit, hat er sich nicht nur in den Grundlagen seiner praktischen Philosophie – der Einheit von Freiheitslehre und »Institutionentheorie« – sondern auch in der Systematik von Kant ab- und der aristotelischen praktischen Philosophie zugewandt.182 Das System der Sittlichkeit zeigt aber auch deutlich, daß Hegel keine bloße »Renaissance« der klassischen praktischen Philosophie anstrebt. Einmal deshalb, weil er die praktische Philosophie als »System« im strengen Sinne Fichtes und Schellings begründen und darstellen will. Zum anderen, weil die Überwindung der Kantischen Trennung von Ethik und Rechts- bzw. Staatsphilosophie zugleich das Prinzip der Kantischen Moralphilosophie, die Freiheit des reinen Selbst, mit der Aristotelischen Politik vermitteln will. Daher folgt im System der Sittlichkeit auf die Behandlung der Familie – in der das Individuum zur freien »Person« gebildet ist – die Verabsolutierung der »unendlichen«, von keiner natürlichen oder positiven Beschränkung gebundenen Freiheit der Einzelheit im Kapitel über »das Negative, oder die Freibeit oder das Verbrechen«. Erst die Vereinigung der natürlichen Sittlichkeit mit der verabsolutierten subjektiven Freiheit ist die Sittlichkeit des Volkes. Obgleich Hegel also, wie im Naturrechtsaufsatz, die leere Freiheit des Subjekts als für sich »unsittlich«, ja als »Verbrechen« bezeichnet, versucht er schon im System der Sittlichkeit die substantielle Sittlichkeit des Volkes als Erfüllung des »modernen« Prinzips der Subjektivi182 | kapitel ii
tät nachzuweisen. Aber mit welchem Prinzip läßt sich eine solche Vereinigung ihrerseits als notwendig und rechtmäßig begründen? Dieses Prinzip ist zweifellos das »Absolute«, das im System der Sittlichkeit als »absolute Sittlichkeit« erscheint. Deren »negativer Reflex« ist der Bereich der natürlichen Sittlichkeit und der reinen Freiheit. Weil sie nur das Negative bzw. die Möglichkeit zur absoluten Sittlichkeit sind, müssen sie aufgehoben werden. Hegel hat diese Aufhebung aber nicht als eine notwendige Entwicklung darzustellen vermocht, deren Prinzip in der relativen Sittlichkeit selber sichtbar wird. Die Methode des »Systems« ist die wechselseitige Subsumtion von Anschauung und Begriff – nicht ein Bewegungsgesetz der natürlichen Sittlichkeit bzw. der reinen Freiheit selbst. Aber: schon der Naturrechtsaufsatz fordert, daß die Freiheit des Einzelnen mit eigener Notwendigkeit die Einzelheit aufhebe. Und im selben Text hat Hegel die Stände bereits als Stufen des Bewußtseins bezeichnet: als »empirisches« bzw. »reines Bewußtsein« (468). Das philosophische System aber soll – darin stimmen wiederum Differenzschrift und System der Sittlichkeit überein – die Identität des reinen und empirischen Bewußtseins nachweisen. Die These, Hegel verfüge in der Frühphase seiner praktischen Philosophie in Jena noch nicht über ein Prinzip, das die Freiheit der Einzelheit und die in den Institutionen des Volkes sich manifestierende Sittlichkeit notwendig miteinander vermittelt, kann erst ausgewiesen werden, wenn wir uns mit den Grundlagen der frühen Systemkonzeption Hegels in Jena vertraut gemacht haben. 3. Systemkonzeption und praktische Philosophie in Jena (1801–1803) Welche Stellung hatte die praktische Philosophie in Hegels »erster« Systemkonzeption in Jena?183 Zunächst ist zu sagen, daß Hegel in der Differenzschrift von 1801 zwar wie Fichte und Schelling die Philosophie als System konzipiert, daß er aber die Begründung dieses Systems auf einen absoluten Grundsatz im Sinne der Wissenschaftslehre Fichtes ablehnt. Statt dessen bestimmt er das Absolute als das »Ganze«, die »Totalität«, in der jede »Stelle«, jeder Satz und die ihm Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 183
»korrespondierende« Anschauung als eine bestimmte Erscheinung des Absoluten – und insofern als von ihm begründet – aufgefaßt werden muß (34). Ein Prinzip, das dem System vorausginge, wäre einseitig und leer.184 Wie sieht nun das System der Wissenschaft zu dieser Zeit aus, und welche Stelle hat in ihm die praktische Philosophie? Hegels System ist in den ersten Jenaer Jahren vierteilig gewesen. Das ist durch die erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgefundenen Vorlesungsmanuskripte185 bestätigt worden, nachdem schon die Referate von Rosenkranz und die Systemskizze Hegels am Schluß des Schelling-Teils der Differenzschrift eine solche vierteilige Gliederung nahegelegt hatten. Der erste Teil dieses Systems ist – wie das Vorlesungsfragment »Die Idee des absoluten Wesens …« von 1801/1802 zeigt – die »Wissenschafft der Idee«. In ihr geht es um die »Bestimmtheiten der Form« des Absoluten (GW 5, 263). Diese Wissenschaft umfaßt noch einmal selber zwei Teile: der erste, die Logik, soll zeigen, wie die Bestimmtheiten, mit denen die »falsche Metaphysik der Beschränkten philosophischen Systeme« das Absolute zu denken versuchte, gerade dann in Widersprüche geraten, wenn man ihren Anspruch ernst nimmt, »sich zu absoluten zu constituiren« (ebd.). Um sie als Ausdruck des Absoluten zu verstehen, muß man sie nämlich, wie schon das Systemfragment von 1800 darlegte, durch ihren Gegenbegriff »ergänzen«. Die Differenzschrift zieht daraus den Schluß, daß die Antinomie der höchste Ausdruck des Absoluten im Bereich des Verstandes ist. Zur wahren Erkenntnis des Absoluten kann es aber nach Hegels damaliger Auffassung nur kommen, wenn die antinomische Reflexion sich mit der Anschauung zur Spekulation vereinigt. Dies dürfte – auch wenn die Vorlesungen hier nicht deutlich sind – in der zweiten Abteilung des ersten Teils, der »wahren« Metaphysik der Fall gewesen sein. Von der Metaphysik geht die Wissenschaft »über« in die Philosophie der Natur, von der Wissenschaft der »Idee selbst« in die der »Realität der Idee« (GW 5, 263 f.). In der Naturphilosophie dieser Zeit – bis zum Systementwurf von 1803/1804 – behandelt Hegel zunächst das »System des Himmels«, dann das der Erde, das durch den Begriff des Organischen gekennzeichnet ist. Die »Idee des Organischen« (ebd.) realisiert sich ihrerseits im mineralischen, vege184 | kapitel ii
tabilischen und animalischen System der Erde. Von letzterem geht die Philosophie der Natur in die des Geistes – den dritten Teil des Systems – über, in dem der Geist »als absolute Sittlichkeit sich organisiren« wird (ebd.). Deren höchste Stufe, das »freye Volk«, kehrt im »4ten Theil« des Systems, in der Philosophie der Religion und der Kunst, »zur reinen Idee zurück« (GW 5, 264). Hegel spricht in dieser Systemgliederung nicht von praktischer Philosophie. In der Differenzschrift hingegen, die eine eigene Systemskizze enthält, unterscheidet er selber einen theoretischen und praktischen Teil der Philosophie. Obwohl die Parteinahme Hegels für Schelling – gegen Fichte –, die die Differenzschrift prägt, auch in dieser Systemgliederung spürbar ist,186 stimmt sie im wesentlichen mit derjenigen der Vorlesungen überein. Offenbar entspricht die »Wissenschaft der Intelligenz« der Philosophie des Geistes. Im Sinne Schellings fordert Hegel, ihr die »Wissenschaft der Natur« als gleichberechtigte187 Erscheinung des Absoluten zur Seite zu stellen und die Differenz beider in einem »Indifferenzpunkt« aufzuheben. Dieser Punkt muß sich selber noch einmal zur »Totalität« eines Systemteils entfalten. Hegel nimmt dabei Schellings Idee der Vereinigung des Bewußten und Bewußtlosen in der Kunst auf,188 deutet aber zugleich seine eigene Philosophie des absoluten Geistes an, wenn er diese »Selbstkonstruktion« des Absoluten in der Kunst, der Religion und der »Spekulation« verwirklicht sieht.189 Wichtig für unsere Frage ist nun, daß Hegel die Wissenschaft der Natur als theoretischen und die der Intelligenz als praktischen Teil der Philosophie bezeichnet. Demnach wäre also die gesamte Geistphilosophie die praktische Philosophie des damaligen Hegelschen Systems. Aber das Problem ist komplizierter: Hegel unterscheidet in beiden Teilen noch einmal einen theoretischen und einen praktischen Teil. Der praktische Teil der Naturphilosophie ist das System der organischen Natur. Analog zur Tätigkeit des Willens sieht Hegel in ihr bereits eine Differenz von Innen und Außen, ein Produzieren, das sich auf sein eigenes Produkt bezieht. In der höchsten Form, beim Tier und seiner »Geschlechter-Differenz«, ist dieses sich »subjektiv und objektiv« Setzen sogar bereits eine Art des Anerkennens (GW 4, 73). Die Philosophie der Intelligenz ist von vornherein praktisch, insofern in ihr die Intelligenz sich »als Punkt in sich selbst setzt« und Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 185
die »unendliche Expansion« in die Mannigfaltigkeit der Beziehungen aus sich selbst zu erzeugen sucht (72). Im weitesten Sinne praktisch sind für Hegel offenbar alle »Spuren« einer spontanen Tätigkeit, die einem einfachen, punktuellen Selbstverhältnis entspringt und die eine Mannigfaltigkeit von Verhältnissen produziert und bestimmt. Hegel hat aber diesen weiten Begriff von praktischer Philosophie nicht lange beibehalten. Gehalte der traditionellen praktischen Philosophie – aber auch der Metaphysik der Sitten Kants oder des praktischen Teils der Wissenschaftslehre Fichtes – können erst im praktischen Teil der Philosophie der Intelligenz behandelt werden. Wir können also diesen Teil des ersten Hegelschen Systems als seine »praktische Philosophie« bezeichnen.190 Nur – von diesem Systemteil gibt es überhaupt keine Ausarbeitung. Bevor Hegel daran ging, ihn zu entfalten, hatte sich seine Systemkonzeption schon wieder modifiziert. Dies zeigt die Systemskizze des Naturrechtsaufsatzes von 1802. In diesem Text finden sich auch die ersten Ansätze einer eigenen systematischen Entfaltung der praktischen Philosophie – und zugleich der »Rekonstruktion« der klassischen praktischen Philosophie. Bevor ich aber auf die Systemkonzeption Hegels zu diesem Zeitpunkt eingehe, möchte ich eine kurze Übersicht über die wichtigsten Tendenzen der Veränderung der Hegelschen Systemkonzeption während der Jenaer Zeit geben. Die auffälligsten Veränderungen betreffen den ersten Teil (a) sowie das Verhältnis des dritten Teils einerseits zum zweiten (b) und andererseits zum vierten (c). a) Im ersten Teil wird die Trennung von Logik und Metaphysik etwa seit Mitte der Jenaer Zeit schrittweise aufgehoben. Erstmals im Systementwurf (III) von 1805/1806 nennt Hegel den gesamten ersten Teil »speculative Philosophie« (GW 8, 286). Zur gleichen Zeit geht die Aufgabe der Logik, durch den Nachweis der Identität des Erkennens mit seinem Inhalt zum Standpunkt der Spekulation erst hinzuleiten, an eine Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins über, die Hegel 1806/1807 als identisch mit einer Darstellung der Erscheinungen des Geistes im Element des unmittelbaren Wissens bzw. des natürlichen Bewußtseins begreift (s. u. Kap. III). b) Was das Verhältnis des zweiten zum dritten Teil des Systems angeht, so scheint Hegel unter dem Einfluß Schellings zunächst 186 | kapitel ii
das Schwergewicht auf die Naturphilosophie gelegt zu haben und auch die Philosophie des Geistes bzw. der Sittlichkeit weitgehend am Begriff der Natur orientiert zu haben.191 Diesem Primat der Naturphilosophie steht freilich entgegen, daß Hegel schon im Naturrechtsaufsatz zum Ausdruck bringt, der Geist sei »höher als die Natur« (GW 4, 464). Erst seit dem Systementwurf von 1803/1804 wird aber das Verhältnis beider Systemteile geradezu umgekehrt: die Natur wird jetzt ganz vom Prozeß des Zusichkommens des Geistes her verstanden. Der Geist aber ist wesentlich Negation der Natur und kommt erst zu sich, indem er »Herrschaft« über sie gewinnt. c) Die kompliziertesten Modifikationen finden im Verhältnis des dritten zum vierten Systemteil statt. Hegel hat den vierten Teil, der die Religion und die Kunst sowie nach der Differenzschrift auch die »Spekulation« umfaßt, nie als eigenen Systemteil ausgeführt. Wie die sogenannte »Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit«192 und die Geistphilosophie von 1805/1806 zeigen, wird die Rückkehr zur »Anschauung« des Absoluten in der Philosophie des sittlichen Geistes selber dargestellt: die Selbstanschauung des Absoluten ist nichts anderes als der »Selbstgenuß« des Volksgeistes. In Kunst und Religion produziert dieser sich anschauende Geist eine eigene »Welt« und hebt zugleich – in Religion und Spekulation – seine Entäußerung an Natur und Geschichte in sich auf. Gegen diese »Einschmelzung« des vierten in den dritten Teil gibt es aber eine gegenläufige Tendenz, die darin besteht, daß sich die Religion und vor allem die Philosophie (Spekulation) aus ihrer Einheit mit dem sittlichen Geist lösen. Während beide noch 1802/1803 im Dienste der Heraufkunft eines freien Volkes in einem vernünftigen Staate stehen (R 137), löst sich die Religion und vor allem die Philosophie in der Geistphilosophie von 1805/1806 von dem »Dasein« des Geistes im Staat. In der Philosophie begreift sich der absolute Geist selber als Einheit des »seienden absoluten Geistes«, d. h. des Staates bzw. des Volksgeistes, und des »denkenden Geistes, der sich aber nicht selbst denkt« (GW 8, 286), sondern nur vorstellt, d. h. der Religion. Dies führt aber nicht zu einer Wiederverselbständigung des vierten Teils, sondern zu einer inneren Differenzierung der Geistphilosophie, in der sich die enzyklopädische Trias von subjektivem, objektivem und absolutem Geist vorbereitet (vgl. u. Abschnitt II. 5). Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 187
Mit dieser Systematik und ihren Modifikationen ist der Rahmen gesteckt, innerhalb dessen Hegel in der Jenaer Zeit die praktische Philosophie erneuert. Die praktische Philosophie gehört zu dem Teil des Systems, in dem das Absolute als Geist aus seiner Entäußerung in der Natur zu sich zurückkehrt, sich in sich selbst »gestaltet« bzw. in einer eigenen »Welt« anschaut und schließlich die Freiheit seines sich selber Denkens auch noch von den äußeren Bedingungen dieser Welt, dem Bewußtsein und der Zeit (vgl. GW 8, 287), begreift. Fragen wir nach dem »Prinzip« dieses Systemteils, dann ist es offenbar zunächst nichts anderes als das Prinzip des Gesamtsystems, »das Absolute«.193 Das Absolute aber faßt Hegel nicht als Prinzip im Sinne eines dem System voraufgehenden Grundsatzes, sondern so, daß in je verschiedenen »Elementen« – der Natur, dem Geist, dem erkennenden und handelnden Bewußtsein – sich eine Bewegung zeigt, die die Grundbestimmungen und Formen dieser Elemente zu einer »Totalität« strukturiert bzw. »organisiert«. Eine Totalität, die in dieser Bewegung zunehmend durchsichtiger wird und am Ende ihre Selbstbeziehung nicht nur als Resultat, sondern auch als Ursprung dieser Bewegung darstellt. Insofern diese Elemente schon von ihrer Stellung im Gesamtprozeß her eigene Bedingungen ihrer Selbstorganisation haben, erscheint das Absolute in ihnen auch jeweils in verschiedener Gestalt bzw. als verschiedenes »Prinzip«. Genau hier aber liegt das Problem der Philosophie Hegels in den ersten Jenaer Jahren, und vor allem seiner praktischen Philosophie: zum einen versucht er – wohl im Gefolge des Identitätssystems Schellings –, die Einheit der verschiedenen Bereiche als Teile desselben Gesamtprozesses bzw. -systems durch die in ihnen wiederkehrenden formalen Bestimmungen des Absoluten nachzuweisen, die teils logischer, teils reflexionstheoretischer bzw. transzendentalphilosophischer Herkunft sind: Einheit, Vielheit, Indifferenz, Verhältnis, Anschauung, Reflexion, Begriff etc. Die Unterschiede zwischen den Bereichen wie zwischen den Momenten und Stufen dieser Bereiche selber gehen dann auf die verschiedenen Konstellationen solcher Formen und deren unterschiedliche »Gewichte« in diesen Konstellationen zurück. Die Einheit von Begriff und Anschauung etwa kann in dem einen Bereich unter dem »Primat« des Begriffs stehen, im anderen unter dem der Anschauung. Ein Beispiel dafür werden wir gleich im System der Sittlichkeit sehen (s. u. S. 191–193 f.). 188 | kapitel ii
Der andere Weg ist der, das jeweilige »bereichsspezifische« Prinzip eines Systemteils sich selber entwickeln zu lassen, und zwar so, daß es mit seiner eigenen »Erscheinung«, seiner äußerlichen, »empirischen«, gleichsam oberflächlichen Gestalt beginnt und sich zunehmend selbst durchdringt. Dann wird jeder Schritt bzw. jede Stufe dieses Systemteils als ein »Reflexionsfortschritt« darstellbar. Für die Geistphilosophie bedeutet das: das »absolute Bewußtsein« bzw. der Geist muß sich aus dem »empirischen Bewußtsein« selber entwickeln (vgl. System der Sittlichkeit GW 5, 324). Nur so kann die bereits in der Differenzschrift gegen die Transzendentalphilosophie geforderte »Identität« (GW 4, 36) beider wirklich systematisch nachgewiesen werden. Das Unbefriedigende der ersten systematischen Schriften zur praktischen Philosophie in der Jenaer Zeit liegt darin, daß Hegel gleichsam das Ziel des zweiten Weges mit den Mitteln des ersten zu erreichen sucht. Es gelingt ihm aber nicht, die immanente Konsequenz von Reflexionsschritten durch die vollständige Konstruktion der möglichen Konstellationen formaler Elemente nachzuweisen. Dieses Unvermögen führt ihn um die Mitte der Jenaer Zeit dazu, das Prinzip der Geistphilosophie im allgemeinen, das Bewußtsein, und das ihres praktischen Teils im besonderen, die Anerkennung, selber systematisch zu klären. Die Einheit der praktischen Philosophie in den ersten Jenaer Schriften (bis 1803) geht demgegenüber, wie schon angedeutet, auf ein hochschematisiertes »Programm« zurück, das Hegel zuerst im Naturrechtsaufsatz entwickelt und – mit wenig Veränderung – im System der Sittlichkeit durchführt. Dieses Schema genügt aber weder den Anforderungen Hegels an seine eigene Geistphilosophie noch ermöglicht es ihm die beabsichtigte Erneuerung der praktischen Philosophie. Um diese These zu belegen, soll das »Programm« kurz skizziert werden. Hegel geht in der Systemskizze des Naturrechtsaufsatzes von seiner Kritik an der praktischen Philosophie Kants und Fichtes aus, in der für ihn die Identität des vernünftigen Willens mit der Differenz zur Sinnlichkeit bzw. zum Nicht-Ich »afficirt« bleibt (GW 4, 432). Die Einheit beider ist ein bloßes »Causalitätsverhältnis«, ein Verhältnis der Wirkung des Willens auf die Natur, ohne daß die »Identität des Ideellen«, des sittlichen Willens, mit dem »Reellen« zur vollen Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 189
Übereinstimmung käme. Im Anschluß daran bestimmt Hegel nun das Absolute als »absolute Identität des Ideellen und Reellen«, d. h. als »Identität Differenter«, deren eines als Einheit, das Andere als Vielheit gedacht werden muß. Sollen beide Seiten Momente des Absoluten sein, dann müssen sie beide in ihrer Bestimmtheit »ideell«, d. h. sowohl »gesetzt« wie »aufgehoben« sein: beide müssen sowohl sie selbst wie ihr anderes sein. Obgleich damit jede Seite Einheit von Einheit und Vielheit ist, besteht in der Art dieser Einheit bzw. ihres quasi »inneren« Verhältnisses von Einheit und Vielheit ein entscheidender Unterschied: auf der Seite des Nicht-ich bzw. der Natur ist die Vielheit positive, bestehende »Realität«, die Einheit dagegen eine nur »relative Identität«. Auf der anderen Seite dagegen herrscht die Einheit als »Indifferenz« Das Absolute ist von daher als Einheit von Indifferenz und Verhältnis (bzw. relativer Identität) zu verstehen. Dieses noch recht übersichtliche Schema wird nun aber dadurch wesentlich komplizierter, daß nach Hegel die »relative Identität« nicht bloß ein einfaches, sondern ein »gedoppeltes Verhältnis« ist, denn relative Identität heißt, daß die Differenz nicht völlig verschwindet, sondern in der Einheit bestehen bleibt. Die relative Identität oder die Seite der Vielheit muß mithin selber noch einmal als Verhältnis von Einheit und Vielheit gedacht werden, in dem sowohl die Einheit wie auch die Vielheit oder Differenz bestimmend sein kann – mit Hegel: in dem »sowohl … die Einheit, als … die Vielheit das Erste ist«. Erst daraus ergibt sich die volle Bestimmung des Absoluten als »Einheit der Indifferenz und desjenigen Verhältnisses oder derjenigen relativen Identität, in welcher das Viele das Erste, das positive ist – und als Einheit der Indifferenz und desjenigen Verhältnisses, in welchem die Einheit das Erste und positive ist; jene ist die physische, diese die sittliche Natur« (alle 432 f.). Der Fehler Kants und Fichtes ist es nach Hegel gewesen, statt der Einheit von Indifferenz und relativer Identität nur diese relative Identität bzw. den Versuch der Beherrschung der Sinnlichkeit (Vielheit) durch die »absolute Selbstthätigkeit« (434) der Vernunft (Einheit) als Sittlichkeit zu bestimmen. Sittlichkeit kann aber nicht eine bloß relative Identität sein, vielmehr ist nach Hegel »Sittlichkeit etwas absolutes« (ebd.). Für die weitere Entwicklung der Jenaer Geistphilosophie ist es nun von großer Bedeutung, daß für Hegel trotz der scheinbaren 190 | kapitel ii
Gleichberechtigung von physischer und sittlicher Natur der »Geist … höher als die Natur« ist. Die Begründung dafür ist, daß das Absolute Einheit von Selbstanschauung und Selbsterkennen bzw. sich Anschauen »als sich selbst« ist. Zum Selbsterkennen des Absoluten aber kann es in der Natur nicht kommen, weil in ihr das Absolute in eine Vielheit »herausgeboren« ist, deren Elemente von »starrer Individualität« gegeneinander, also nicht in die absolute Einheit zurückgenommen sind. Nur der Geist, der sich in der Sphäre der Sittlichkeit entfaltet, ist zugleich »unendliche Expansion« und »unendliches Zurücknehmen«. In ihm ist die durch die Vielheit vermittelte »relative« Einheit in den »unvermittelten Einheitspunkt des unendlichen Begriffs reflektiert« (alle ebd.). Diese »Überlegenheit« des Geistes bzw. der Sittlichkeit ist nach Hegel begründet in der »Intelligenz«, die er schon hier mit dem »absoluten Begriff« identifiziert, weil sie absolute Negativität bzw. »Gegentheil seiner selbst« ist und daher »allein fähig, indem sie absolute Einzelnheit ist, absolute Allgemeinheit zu seyn« (464). Das System der Sittlichkeit von 1802/1803, Hegels erste Darstellung der praktischen Philosophie in der Jenaer Zeit, entspricht dieser System-Konzeption des Naturrechtsaufsatzes zweifellos weitgehend. In ihm erscheint die absolute Sittlichkeit zunächst »als Natur« (GW 5, 279), d. h. als »Expansion« in die Vielheit selbständiger Individualitäten und ihrer Handlungen. Durch die Negativität der Intelligenz wird diese Vielheit aufgehoben, und durch die Selbstaufhebung der Individualität kann die absolute Sittlichkeit in den Sitten und Institutionen eines Volkes »in Geistesgestalt«, d. h. in völliger »Freyheit vom Verhältniß« auftreten (GW 5, 323 f.). Die Intelligenz tritt aber im System der Sittlichkeit zunächst als Bewußtsein der Einzelheit auf. Wie wird dieses Bewußtsein mit dem der absoluten Sittlichkeit, des »absolute[n] Einsseyn[s] der Individualitäten« (GW 5, 279) im Geist eines Volkes vermittelt? Kann Hegel ein Prinzip angeben, das die Entwicklung des Bewußtseins der Einzelheit zum absoluten Geist notwendig macht? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir die Methode des Systems der Sittlichkeit etwas genauer erörtern. Hegel bestimmt diese Methode als Adäquation von Anschauung und Begriff – auch dies ist bereits eine Forderung des Naturrechtsaufsatzes. In ihm wird die Anschauung als die Fähigkeit bestimmt, Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 191
das »Ganze« der Sittlichkeit zu erfassen – im Gegensatz zum Verstand, der durch sein »Auseinanderhalten der verschiedenen Seiten einer und der selben Anschauung« nur zu einer verzerrten und »verkehrten« Darstellung einer sittlichen Totalität in der Lage ist.194 Das bedeutet freilich nicht, daß Hegel zu einem absoluten Primat der Anschauung über den Verstand bzw. die Reflexion tendierte – bekanntlich hat er zunächst Fichtes und später auch Schellings Begriff der intellektuellen Anschauung als »leer« kritisiert.195 Und schon in der Differenzschrift von 1801 fordert er die Vereinigung von »Reflexion und Anschauung« (GW 4, 27). Reflexion und Anschauung erscheinen im System der Sittlichkeit als Begriff und Anschauung. Der Begriff ist an sich bzw. »wahrhaft« das Besondere, die Anschauung das Allgemeine. Weil aber beide in der Idee »adäquat« sein sollen, müssen beide gegeneinander als Einheit ihrer selbst und des anderen, nämlich sowohl in der »Form der Allgemeinheit« wie auch der »Form der Besonderheit« (GW 5, 279) gesetzt werden. Daraus folgt für das System der Sittlichkeit das Verfahren der wechselseitigen Subsumtion von Anschauung und Begriff. Die Subsumtion der Anschauung unter den Begriff ergibt die Erscheinung der absoluten Sittlichkeit als Natur bzw. die Formen der natürlichen Sittlichkeit, die die »Einzelnheit zum Princip« (GW 5, 309) hat und in der die Einheit von Natur und Sittlichkeit, Einzelheit und Allgemeinheit nur als »Verhältnis« erscheint. Dieses Verhältnis wird zwar in der umgekehrten Subsumtion im zweiten Teil negiert, aber dabei wird das Prinzip der Einzelheit noch nicht überwunden. Die Negation der sittlichen Verhältnisse ist nämlich »Allgemeinheit« nur im Sinne »abstracter Einheit« (GW 5, 309). Das Individuum, das aufgrund seiner »Freyheit vom Verhältniß« (ebd.) Institutionen und Beziehungen negiert, die auf natürlichen Differenzen beruhen oder die Einzelheit der Person zum Inhalt haben, hebt zwar Unterschiede auf, verwandelt aber weder sich noch das Negierte, sondern läßt die »Einzelnheit« als »negatives« bestehen (GW 5, 310). Auch die Negation des Täters durch die Strafe der von ihm ausgelösten rächende Gerechtigkeit und die »ideale Umkehrung« (GW 5, 312) seiner Tat durch das reuige Gewissen erheben ihn nach dem System der Sittlichkeit noch nicht in eine neue positive »Allgemeinheit« des Lebens bzw. des Geistes, wie dies im »Geist des Christentums« der Fall war. Erst in 192 | kapitel ii
der absoluten Sittlichkeit kommt es zu einer positiven Aufhebung (vgl. Anm. 172) der Einzelheit: in ihr stellt sich die absolute Idee als Einheit von Anschauung und Begriff dar; »ihre Anschauung ist ein absolutes Volk; ihr Begriff ist das absolute Einsseyn der Individualitäten« (GW 5, 279). Inwiefern ist nun das System der Sittlichkeit eine Ausführung des Programms des Naturrechtsaufsatzes? Die »natürliche Sittlichkeit« ist das Verhältnis, in dem die »Einheit das Erste und positive« (GW 4, 433) ist – die Intelligenz, die die Mannigfaltigkeit der Natur aufhebt und die Beziehungen der Individuen zur Einheit natürlicher Sitten bildet, ohne die Selbständigkeit der Einzelnen aufzuheben. Die negative Freiheit dagegen ist als Zerstörung der natürlichen Verhältnisse der Sittlichkeit »Indifferenz« – aber eine abstrakte, die das Verhältnis nicht umfaßt und daher in Gegensatz zu ihm bleibt. Einheit von Indifferenz und Verhältnis ist erst die absolute Sittlichkeit. Beides, die natürliche Sittlichkeit des »Verhältnisses« wie die negative der reinen Freiheit, sind nur »Möglichkeiten« bzw. negative Vorformen der wahren Sittlichkeit. Die Notwendigkeit, von ihnen zur Erscheinung des Absoluten als »wirkliche« Sittlichkeit überzugehen, liegt in dem Schema der Trennung und Vereinigung von Indifferenz und Verhältnis und der Methode der wechselseitigen Subsumtion von Begriff und Anschauung begründet. Wenn Hegel mit diesen »Verhältnissen« und ihrer Aufhebung in die Einheit einer »Totalität« die Grundstrukturen des »Systems der Wissenschaft« erfaßt hat, dann ist in ihnen auch die Einheit der praktischen Philosophie begründet. Das »Element« der Erscheinung des Absoluten in der Sittlichkeit ist aber nach Hegel das Bewußtsein. Das System der Sittlichkeit geht vom einzelnen Bewußtsein aus und sucht nachzuweisen, daß dieses erst im Einssein der Individualitäten mit dem Volk zu seiner »Wahrheit« gelangt. Dazu aber genügt es nicht, die Notwendigkeit des Überganges zur absoluten Sittlichkeit auf die »Methode« der wechselseitigen Subsumtion von Anschauung und Begriff zu begründen, selbst wenn deren »Indifferenz« mit der Selbsterkenntnis des Absoluten identisch ist. Was hat die Selbsterkenntnis des Absoluten mit dem Bewußtsein der Individualität zu tun, und wieso ist die Aufhebung der natürlichen Sittlichkeit in die absolute als Selbstverwirklichung zu verstehen? Es sind diese Fragen, die Hegel bewogen haben, im Systementwurf Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 193
von 1803/1804 die »Struktur« des Bewußtseins zu bestimmen und sie der Philosophie des Geistes zugrunde zu legen. Dabei erhält das Prinzip der Anerkennung die Bedeutung, das Bewußtsein der Einzelheit als »Totalität« und die Selbstaufhebung dieses Bewußtseins in die Einheit mit dem Volksgeist zu begründen. Als Bewegung bzw. Prozeß der Anerkennung wird diese Steigerung und Überwindung zugleich dem Bewußtsein selbst erfahrbar. Insofern besitzt Hegel seit dem Systementwurf von 1803/1804 ein Prinzip, das die Notwendigkeit der Entwicklung des einzelnen Bewußtseins zum Volksgeist begründet und damit den Zusammenhang zwischen der Freiheit des individuellen Handelns und den Institutionen der Gemeinschaft notwendig macht. Darauf beruht die Einheit der erneuerten praktischen Philosophie als »System«. 4. Die Theorie des Bewußtseins und das Prinzip der Anerkennung Die Bedeutung des Prinzips der Anerkennung für Hegels praktische Philosophie hängt offenbar mit der Entwicklung der Theorie des Bewußtseins zusammen. Nun hat Hegel sich mit dem Thema »Bewußtsein« nicht erst im Systementwurf von 1803/1804 beschäftigt. Bedingt durch die Auseinandersetzung mit der Transzendentalphilosophie Fichtes enthält schon die Differenzschrift »Thesen« zu diesem Thema: Hauptangriffspunkt seiner Fichte-Kritik ist die Trennung von »reinem« und »empirischem« Bewußtsein. Das reine, mit sich selbst identische Ich ist für ihn das Resultat einer Abstraktion des reinen Selbstbezugs des Bewußtseins von der Mannigfaltigkeit der Bestimmungen und Verhältnisse des inhaltsbezogenen Wissens. Der Gegensatz zwischen reiner Identität und Mannigfaltigkeit des Bewußtseins werde bei Fichte absolut gesetzt. Für Hegel hat das philosophische System dagegen den Nachweis zu führen, daß es »nur reines Bewußtseyn gibt« bzw. daß die Mannigfaltigkeit der Bestimmungen des empirischen Bewußtseins Produkt des reinen Bewußtseins ist (GW 4, 36). Erzeugendes Prinzip der Mannigfaltigkeit ist das reine Bewußtsein, insofern es als »intellektuelle Anschauung« die trennende Reflexion wie die Anschauung der Einheit der Gegensätze umfaßt (vgl. o. S. 184). 194 | kapitel ii
Trotz dieser »Versicherung« bleibt es aber ein zentrales Problem der frühen Jenaer Philosophie Hegels, wie die Einheit von reinem und empirischem Bewußtsein zu denken ist und wie sie im Bewußtsein selber nachgewiesen werden kann. Der Naturrechtsaufsatz stellt einen entscheidenden Fortschritt für die Lösung dieses Problems dar, weil in ihm ein Prinzip reiner Identität konzipiert wird, das Gegensätze zu »produzieren« vermag, bzw. dessen Charakter darin besteht, das »absolut negative« bzw. das »unvermittelte Gegentheil seiner selbst zu seyn« (GW 4, 464). ›Gegenteil seiner selbst‹ ist für Hegel jetzt der wahre Begriff der Unendlichkeit; was Gegenteil seiner selbst ist, enthält in dem einfachen Selbstbezug die Möglichkeit der Unterscheidung von sich, der »Expansion« in die Vielheit und des »Zurücknehmens« der Vielheit in sich. Gegenteil seiner selbst zu sein ist das Auszeichnende der Intelligenz.196 In der Intelligenz allein ist nach Hegel »die Individualisirung zu dem absoluten Extrem, nemlich zum absoluten Begriffe, das negative bis zum absolut negativen, das unvermittelte Gegentheil seiner selbst zu sein, getrieben«. Die Intelligenz ist nämlich »allein fähig, indem sie absolute Einzelnheit ist, absolute Allgemeinheit zu sein« (ebd.). Damit hat Hegel die entscheidende Bestimmung seiner späteren Bewußtseinstheorie schon im Naturrechtsaufsatz formuliert. Man kann auch bereits sehen, welch entscheidende Funktion die Anerkennung in einer solchen Theorie einnehmen wird: sie ist ja der Prozeß, in dem sich für das Bewußtsein selbst erweist, daß und wie es Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit ist. In Ansätzen hat Hegel dies bereits im System der Sittlichkeit durchgeführt: im Anerkennungsprozeß der gemeinsamen Arbeit, der Rede, der Familie etc. erweist sich, daß das Bewußtsein Einzelheit im Sinne der Individualität nur sein kann, indem es sich zum allgemeinen Bewußtsein »bildet« – und umgekehrt. Wieso kann man dann sagen, das System der Sittlichkeit besäße kein einheitgebendes Prinzip, das in einer Theorie des Bewußtseins ausgewiesen wird? Hegel selber hat zu Beginn des dritten Teils (»Sittlichkeit«) seine Erkenntnisse des Naturrechtsaufsatzes für das Problem der Einheit von »reinem« bzw. »absolutem« und empirischem Bewußtsein fruchtbar gemacht. Das »lebendige Individuum« heißt es da, sei dem »absoluten Begriff« gleich, sein »empirisches Bewußtseyn« sei »eins … mit dem absoluten«. (GW 5, 324) Der Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 195
Grund dafür liegt im Wesen der »Intelligenz«, die mit denselben Worten wie im Naturrechtsaufsatz als »Gegentheil seiner selbst« bestimmt wird (ebd.). Weil sie dies ist, kann in ihrem »individuellen«, »empirischen Seyn und Thun« das Gegenteil des EmpirischIndividuellen, der »allgemeine absolute Geist« handeln und bewußt werden (GW 5, 325). Diese Einheit soll im System der Sittlichkeit im Ausgang von den unmittelbaren Formen des empirischen Bewußtseins aufgewiesen werden. In der natürlichen Sittlichkeit aber besteht zwischen dem einzelnen und dem allgemeinen Bewußtsein eine Differenz, die nicht aufzuheben ist, solange die Einzelheit sich noch für völlig selbständig hält und nicht erkannt hat, daß ihre »Bedeutung ganz allein im Ganzen« liegt (ebd.). Wie soll es nun von diesem »nicht sittliche[n] empirische[n] Bewußtseyn« zum sittlichen Bewußtsein kommen, das als »Grund« für das »Einsseyn des Allgemeinen und Besondern« das Allgemeine selber weiß (GW 5, 324)? Wir kommen damit wieder auf das oben erörterte Problem zurück: Hegel vermag im System der Sittlichkeit den Übergang von den Formen der »natürlichen« bzw. der »negativen« Sittlichkeit zur wahren Sittlichkeit nicht als notwendigen Fortgang darzustellen, der in der »Natur« der relativen Sittlichkeit selbst, und d. h. in ihrem Element und Träger, dem einzelnen Bewußtsein begründet ist. Das »empirische Bewußtseyn« bleibt innerhalb des »Verhältnisses« und seiner einseitigen, unvollständigen Negation befangen. Die wahre Sittlichkeit aber setzt die »völlige Vernichtung der Besonderheit und der relativen Identität« (GW 5, 324) voraus. Hegel kann zwar argumentieren, daß das Bewußtsein als Gegenteil seiner selbst die »relative Identität« aufheben bzw. als eins mit ihrem Gegenteil, der absoluten Indifferenz, setzen muß. Aber solange er die Formen der Praxis, in denen diese Aufhebung »verkörpert« ist, nicht angeben und diesen Übergang nicht als einen dem »empirischen Bewußtseyn« immanenten Prozeß darzustellen vermag, ist die Einheit von empirischem und absolutem Bewußtsein auch nicht im System erwiesen, sondern vorausgesetzt. Worin liegt nun das entscheidend Neue der Bewußtseinstheorie des Systementwurfs von 1803/1804, das die Lösung dieses Problems gestattet? Ich versuche, es in drei Punkten zusammenzufassen: 1) Das gesamte System geht jetzt vom Begriff des Geistes aus. Der erste Teil – die nicht erhaltene Logik und Metaphysik – »construirte«, 196 | kapitel ii
wie Hegel sagt, »den Geist als Idee« (GW 6, 268). Der zweite Teil, die Naturphilosophie, zeigt die »Expansion« dieser Idee in die Äußerlichkeit des Verhältnisses; der dritte, die Geistphilosophie, stellt die Zurücknahme ins absolute Selbsterkennen dar. Das Bewußtsein, der Grundbegriff des dritten Teiles, ist damit von vornherein als Stufe der Entwicklung des Geistes konzipiert. 2) Die »Idee« des Geistes ist die Einheit von Sein und Werden. Auch das Bewußtsein ist damit grundsätzlich als »Werden« bzw. als Entwicklung bestimmt. Als Werden ist es Gegensatz von »Thätigkeit« und »Passivität« – als Sein zugleich die Einheit beider. 3) Faßt man diese der Idee des Geistes entnommenen Bestimmungen und den im Naturrechtsaufsatz erkannten Grundzug der Intelligenz, Gegenteil seiner selbst zu sein, zusammen, so ergibt sich die folgende Struktur des Bewußtseins im Systementwurf von 1803/1804: das Bewußtsein ist »das unmittelbare einfache Gegentheil seiner selbst, einmal das einem, dessen es sich bewußt ist, entgegengesetzte sich in thätiges und passives trennend und das andremal das Gegentheil dieser Trennung, das absolute Einsseyn des seyenden und des aufgehobenen Unterschiedes« (266 f.). Gleichsam als Kurzform für diese Struktur bezeichnet Hegel das Bewußtsein auch als Einheit von »Einfachheit« (unmittelbarer Selbstbezug, aufgehobene Trennung) und »Unendlichkeit« (Gegenteil seiner selbst, in der Einheit mit sich verbleibende Trennung). Diese Bestimmung des Bewußtseins erlaubt es nun, aus dessen »Wesen« selbst sein Entwicklungsgesetz abzuleiten. Die Entwicklung des Bewußtseins enthält die folgenden drei Phasen: 1) das Bewußtsein als Tätigkeit setzt eine »Trennung« in sich selbst; 2) durch die Erkenntnis dieses Gegensatzes in ihm selber als »Widerspruch« hebt das Bewußtsein die Identität seiner selbst – auf einer bestimmten Entwicklungsstufe – auf; 3) durch eine »Reflexion seiner selbst in sich selbst« (312) erreicht es eine neue Stufe. – Damit ist im Prinzip das Gesetz der Entwicklung des Bewußtseins zum Geist durch eine Folge von Reflexionen gefunden, das dann im Systementwurf von 1805/1806 und vollends in der Phänomenologie zur Methode der Geistphilosophie wird. Im Systementwurf von 1803/1804 hat Hegel von dieser Methode erst sehr unvollständig Gebrauch gemacht. Zwar faßt er die Formen des theoretischen und praktischen Geistes als »Potenzen« bzw. EntDie Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 197
wicklungsstufen des Bewußtseins – aber nur an einer Stelle ist der Übergang von einer Entwicklungsstufe zur anderen im vollen Sinne als »Reflexion« durchgeführt. Diese Stelle ist allerdings für die Einheit der praktischen Philosophie in diesem Entwurf entscheidend: sie zeigt nämlich, wie das Bewußtsein durch das Streben nach Vollendung der Anerkennung seine Einzelheit zur »Totalität« steigert und dadurch in einen Widerspruch gerät, der notwendig zur Erfahrung seiner Einheit mit dem allgemeinen Bewußtsein im Volksgeist führt. Um den Zusammenhang der »neuen« Bewußtseinstheorie mit dem Gedanken der Anerkennung – als einheitgebendem Prinzip der praktischen Philosophie – sichtbar zu machen, muß diese Stelle näher erläutert werden. Hegel versteht »Bewußtsein« in diesem Systementwurf nicht als Subjektivität im Sinne der Transzendentalphilosophie, sondern als eine »Organisation von Mitten« (vgl. GW 6, 276). »Mitte« ist dasjenige, worauf sich die Gegensätze von Tätigkeit und Passivität, »bewußtseyendes« und Gegenstand, Einfachheit und Unterschied »beziehen, in dem sie eins sind, aber [als] dasjenige, woran sie sich ebenso unterscheiden« (275). Sie erscheint zudem selber noch einmal als in sich »gedoppelt«: als »ideelle« Mitte – Gedächtnis, Arbeit und Familie – und als »dauernde, allgemeine Existenz« – Sprache, Werkzeug und Familiengut (vgl. 279). Diese Folge von doppelten Mitten bzw. »Potenzen« weist noch auf das System der Sittlichkeit und seine Orientierung an Schellings Begriff der Potenz zurück. Aber jetzt geht es nicht mehr um eine Folge von wechselseitigen Subsumtionen, sondern um einen Entwicklungsprozeß des Bewußtseins, in dem es seine eigene Struktur – Einheit von Einfachheit und Unendlichkeit zu sein – zunehmend erkennt. Statt einer solchen Einheit erweist sich das Bewußtsein aber am Ende der ersten Mitte – Sprache und Gedächtnis – als leere, punktuelle Einheit der Individualität, der die »Totalität der Bestimmtheiten« (296) als fremde »Realität« gegenübersteht. Es ist damit das »Gegenteil dessen, das es in sich zustande bringen wollte« (295). Dieser Widerspruch ist aber noch nicht »für es«.197 Dazu kommt es erst in der Entwicklung des praktischen Bewußtseins. Praktisches Bewußtsein ist in diesem Text von vornherein als Negativität bestimmt – es wird dies nicht erst in einer besonderen Potenz, wie im zweiten Teil des Systems der Sittlichkeit. Es ist die Realisation 198 | kapitel ii
des reinen Fürsichseins als negierende, Unterschiede aufhebende Tätigkeit. Damit ist es implizit auch von vornherein gegen den Unterschied seiner selbst von der Totalität der Bestimmtheiten gerichtet. Was es zunächst – in der Potenz des Werkzeuges – erfährt, ist aber nur, daß es von dem, was es negieren will, nicht unabhängig ist, sondern das Bewußtsein seiner selbst nur in einem Anderen hat. Auch dies »mißversteht« es aber zunächst in dem Sinne, daß es die Einheit seiner selbst mit dem Anderen seinem ausschließenden Fürsichsein selbst zuschreibt, sich selbst in seiner Einzelheit als »Totalität« versteht. Erst im Kampf um Anerkennung wird die Unvereinbarkeit von ausschließender Einzelheit und Totalität, Einheit der Gegensätze, bewußt. Der Widerspruch, daß das Bewußtsein sich im Anderen nicht als ausschließende Totalität anschauen kann, ohne entweder sich oder den Anderen zu vernichten, führt zu der oben angedeuteten Reflexion des Bewußtseins in sich selbst, in der es sich vom Bewußtsein der Individualität zum Bewußtsein des Volksgeistes »umkehrt« . Anerkennung begründet also den notwendigen Zusammenhang zwischen den Formen des einzelnen praktischen Bewußtseins und dem Volksgeist mit seinen Institutionen. Im Prozeß der Anerkennung realisiert sich das Wesen des Bewußtseins, Gegenteil seiner selbst zu sein – der »Widerspruch« des Kampfes und der Umschlag einer Form des Bewußtseins in ihr Gegenteil macht dieses »Wesen« für das Bewußtsein selber erfahrbar. Das gilt auch für die übrigen Bestimmungen der Struktur des Bewußtseins. In der Familie, deren Grundbeziehung der Liebe nach der Analyse im ersten Kapitel dieser Arbeit das erste wesentliche Moment der Anerkennung ausmacht, wird das Bewußtsein sowohl als aktive wie als passive Beziehung zwischen Individuen entfaltet und gewinnt in Ehe, Kind und Familienbesitz »gegenständliche« Existenz. Diese Einheit von Fürsichsein und Gegenständlichkeit, Aktivität und Passivität bleibt aber innerhalb des Bewußtseins der Einzelheit – und damit der ausschließenden, negativen Tätigkeit des einzelnen praktischen Bewußtseins. Der Kampf ist nun selber eine »Mitte«,198 in der sich solche ausschließenden Totalitäten zugleich aktiv und passiv aufeinander beziehen. Eine Mitte aber, die sich durch die Tätigkeit des Bewußtseins selbst zerstört – im Tode oder der Knechtschaft der Unterlegenen auseinanderfällt – und dadurch eine Reflexion des BeDie Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 199
wußtseins auslöst. Dadurch hebt sich das »empirische« Bewußtsein, dem ein »anderes«, »ungleiches« entgegengesetzt ist, auf und wird »absolutes Bewußtseyn«, das »diß andere als es selbst« weiß (274). Die Bewußtseinstheorie ist aber nicht nur die Voraussetzung dafür, daß die Anerkennung nun eine Schlüsselfunktion im System der praktischen Philosophie erhält. Es gilt auch umgekehrt: vom Prinzip der Anerkennung her wird das Bewußtsein als die Bewegung bestimmt, sich durch die Selbstanschauung im Anderen als Individualität zu erfahren und zugleich zum allgemeinen Bewußtsein zu bilden. Das zeigt sich deutlich erst im Systentwurf von 1805/1806. In ihr wird Bewußtsein nicht mehr als »Organisation von Mitten« verstanden, sondern als Selbstbewußtsein, das durch die Bewegung bestimmt ist, sich im Anderen als Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit anzuschauen. Was bedeutet das? Ist die »Bewußtseinstheorie« in diesem Systementwurf wesentlich verändert? Die Grundbestimmung des Selbstbewußtseins bleibt auch in diesem Text die des »Gegentheils seiner selbst«. Die Entwicklung dieses Gedankens hatte im Systementwurf bereits dazu geführt, daß das Bewußtsein nicht mehr nur »Gegentheil seiner selbst in Bezug auf eine Bestimmtheit« ist, wie im System der Sittlichkeit (GW 5, 304), sondern daß jedes seiner Momente selber Gegenteil seiner selbst ist (vgl. GW 6, 273) – und damit auch die Beziehung zwischen seinen Momenten. Das bedeutet, daß die Trennung zwischen Einfachheit und Unendlichkeit, Einzelheit und Allgemeinheit zugleich ein Ineinssetzen der Momente ist. Da die Geistphilosophie von 1805/06 das Bewußtsein weniger als Beziehung denn als »Tun« auffaßt, weniger als »Organisation« denn als Organisieren, gewinnt dieser Gedanke in ihr die folgende Wendung: was ist ein Tun, das a) in sich selbst zugleich Vereinigen und Trennen ist – und b) seine Glieder in eine Beziehung setzt, die sie gleichsam vereinigend trennt und trennend vereinigt? Die Antwort kann für Hegel nur lauten: das Schließen. Folglich ist der Schluß die wesentliche Bewegungsform dieses Entwurfs der Geistphilosophie und ihre Darstellung eine Folge von Schlüssen (s. o. S. 163 f.). Mehr noch: jede Form des Selbstbewußtseins wird jetzt als ein Schluß verstanden. Das theoretische Ich wird ebenso als Schluß in sich selbst bestimmt wie das praktische. 200 | kapitel ii
Als »Gedächtnis« z. B. ist das Ich Einzelheit, insofern es das »Tun« bzw. die »Bewegung« des Unterscheidens ist – zugleich aber Allgemeinheit als die »Ordnung« der Bestimmungen, Unterschiede, Gegensätze (vgl. GW 8, 195). Der Gegensatz zwischen beiden Momenten erscheint zunächst als Gegensatz zwischen Ich und Ding, erweist sich aber als Strukturmoment der Intelligenz selbst. Ihr »Schluß« besteht darin, daß die Momente der Allgemeinheit und Einzelheit sich voneinander unterscheiden, jedes aber ebenso sehr als Einheit seiner selbst und seines Gegenteils erscheint. Das bedeutet aber nicht, daß – wie in der Schlußlehre der Logik von 1804/1805 – die wechselseitige Bestimmung der Einzelheit durch die Allgemeinheit und umgekehrt dahin führt, die »scheidende Mitte« zugunsten einer unmittelbaren Identität aufzuheben. Vielmehr ist sowohl ihre Entgegensetzung wie ihre Einheit ein »Drittes«. Zugleich aber kann jedes selber »Drittes« sein, denn das Dritte ist nichts anderes als »die Beziehung durch den Gegensatz« (200). Das Dritte ist selber die Bewegung des Entgegensetzens, Beziehens und Ineinssetzens. Diese Bewegung aber ist selber identisch mit der Einzelheit (Tun, Negativität) wie der Allgemeinheit (bewegte Ordnung, Einheit der Gegensätze). Dies gilt auch für das praktische Ich bzw. den Willen und die höheren Stufen des Geistes. Der Wille ist schon in sich ein Schluß: als Zweck seiner selbst ist er Allgemeines, als Tätigkeit bzw. »Wirklichkeit« ist er Einzelnes und als Trieb die »Mitte dieser beyden« (202). Daher ist die Bewegung des Willens ein Prozeß des Sich-Entzweiens seiner Extreme und des Vermittelns bzw. Zusammenschließens. Das Selbstbewußtsein als Tätigkeit des Schließens und als »System« von Schlüssen darzustellen ist offenbar eine konsequente Weiterbildung der Theorie des Bewußtseins als »Gegenteil seiner selbst«. Denn das bedeutet, sich nur durch das »Dirimieren« in sich – und das Ineinssetzen des Dirimierten – auf sich selber beziehen zu können. Und es bedeutet ferner, daß ein solches Ineinssetzen nur zwischen »Extremen« möglich ist, die in sich selbst diese ganze Bewegung enthalten. Daß für diese Struktur die Bewegung der Anerkennung gleichsam »Pate gestanden« hat, ist leicht zu sehen: sie besagt ja gerade, daß die Selbstbeziehung – das »Selbst« – nur durch eine Beziehung auf ein Anderes möglich ist, die a) sowohl Trennung wie Vereinigung (Kampf und Liebe) ist; b) Beziehung auf ein Anderes, das Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 201
ebenso »Selbst« ist; c) eine Beziehung zwischen Extremen, die selber ihr »Sein« im »Anerkanntsein« haben, also selber ihre Beziehung sind. Man kann also sagen, daß im Systementwurf von 1805/06 Bewußtseins- und Anerkennungstheorie sich gegenseitig beeinflussen und einander entsprechen. Das ist der eigentliche Grund dafür, daß Hegel die Geistphilosophie von 1805/1806 durchgängig als einen Prozeß des Anerkennens darstellen konnte. Ein weiterer Grund kommt hinzu: Das nicht nur selbstbezügliche, sondern auch sich selbst vergegenständlichende Tun des Bewußtseins nennt Hegel – in Anknüpfung an die Terminologie Fichtes – jetzt »Willen«. Und den durch den Bezug auf einen anderen Willen »selbstbewußt« bzw. vernünftig gewordenen Willen – im Anschluß an Rousseau und Kant – »allgemeinen Willen«. Die Konstitution und die Konkretion dieses allgemeinen Willens aber macht den größten Teil der Geistphilosophie von 1805/1806 aus. Das »Andere«, auf das sich dieser allgemeine Wille bezieht, um seine »Identität« zu gewinnen, ist aber für Hegel in diesem Text nicht in erster Linie die Natur oder der »subjektive Geist«, sondern der einzelne Wille. Der »abstrakte« allgemeine Wille wie der einzelne Wille »verwirklichen« sich (s. o. S. 125) in einem Prozeß der wechselseitigen Distanzierung und Vereinigung – kurz durch wechselseitige Anerkennung. Das ist der zweite Grund, weshalb die Philosophie des praktischen Geistes im Systementwurf von 1805/1806 – wie wir im einzelnen noch im vierten Teil sehen werden – als ganze vom Prinzip der Anerkennung bestimmt ist. Mithilfe dieses Prinzips aber kann Hegel nun zeigen, daß es im Wesen des freien Selbstbewußtseins bzw. des vernünftigen Willens selber liegt, sich durch Selbstaufhebung der Individualität im Geist und den »Organisationen« des politischen Ganzen, des Staates, zu verwirklichen. Anerkennung ist somit das für Hegels Erneuerung der praktischen Philosophie notwendige Prinzip: ein Prinzip, aufgrund dessen sich die Selbstbeziehung des Bewußtseins als Einheit der Gegensätze bzw. als Totalität entfaltet, die das Bewußtsein der Individualität gleichsam »sprengt«. Die Selbstanschauung dieser Totalität im Anderen – und das bedeutet, wie wir schon im ersten Teil gesehen haben, die Freiheit – ist nur im Geist des Volkes (Hegels Übersetzung für »polis«) möglich. Das Bewußtsein der Freiheit selber kann mithin nicht im Rahmen des »Individualismus« 202 | kapitel ii
des modernen Naturrechts, sondern nur von der Polis her begriffen werden wie Hegel sie versteht: nicht als »technische« Organisation eines vernünftigen Gemeinwesens und nicht als bloße Sicherung von Rechtsverhältnissen zwischen Individuen, sondern als »Substanz« der Einzelnen und als Erfüllung des »Begriffs« ihrer Freiheit. Mit Hilfe der Anerkennungstheorie wird die Gemeinschaft und ihre Institutionen aus dem Begriff des freien Selbstbewußtseins selber entwickelt: das ist Hegels Vereinigung der aristotelischen Tradition mit dem Prinzip der Transzendentalphilosophie. Das bisherige Ergebnis unserer Darstellung der Entwicklung von Hegels praktischer Philosophie in Jena lautet: Hegel besitzt die Mittel zur Ausführung einer seinen ursprünglichen (Jenaer) Intentionen entsprechenden praktischen Philosophie erst seit dem Systementwurf von 1803/1804. Die Ausführung selber aber erfolgt erst im Systementwurf von 1805/1806.199 Das heißt nun aber nicht, daß die gesamte Entwicklung der Jenaer Geistphilosophie »linear« auf diesen Text zuläuft. Ich habe oben (S. 187) schon auf einander widerstreitende Entwicklungstendenzen hingewiesen. Es ist auch nicht zu bestreiten, daß im Systementwurf von 1805/06 wie in keiner der früheren Schriften Elemente der späteren (»enzyklopädischen«) Systematik der Geistphilosophie – wie sie sich seit der Nürnberger Propädeutik von 1808 durchsetzt – auftauchen. Ich möchte im folgenden Abschnitt zeigen, daß diese Elemente die erörterte Konzeption der praktischen Philosophie Hegels in Jena nicht grundsätzlich verändern. 5. Praktische Philosophie in der »späten« Jenaer Geistphilosophie (1805/1806) Die besondere Stellung der Jenaer Systementwürfe (III) von 1805/1806 – genauer ihres geistphilosophischen Teils – sowohl den früheren wie den späteren Schriften Hegels gegenüber läßt sich, so scheint mir, am besten dadurch verdeutlichen, daß man zeigt, wie in ihr der »Grundriß« der späteren Geistphilosophie, die Unterscheidung in subjektiven, objektiven und absoluten Geist zwar zum Vorschein kommt, aber noch nicht durchgängig systemgestaltend wird. Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 203
a) Der erste Teil der Geistphilosophie von 1805/1806 (»Der Geist nach seinem Begriff«), der die Abschnitte »Intelligenz«200 und »Willen« umfaßt, scheint – das hat schon Hoffmeister zu einer entsprechenden Überschrift veranlaßt201 – dem Hegelschen Konzept des »subjektiven Geistes« zu entsprechen. Die »Ausdifferenzierung« und Verselbständigung der Formen des theoretischen Bewußtseins bahnt sich bereits im Systementwurf von 1803/1804 an. Was aber dort noch Moment einer Tätigkeit und Passivität, Bewußtsein und Gegenständlichkeit vereinigenden »Mitte« war (»Sprache und Gedächtnis«), ist jetzt ein selbständiger Prozeß des Geistes, seine eigene Unmittelbarkeit – die auf ein »Sein« gerichtete Anschauung (GW 8, 316) – aufzuheben und sich als »Negativität«, d. h. als sich in sich selbst »dirimierendes« Tun zu erkennen (199). Daß dieses Tun zur »Erzeugung« eines eigenen Inhalts in der Lage ist, daß es »sich als sich zum Gegenstande machen« (202) und in einem selbständigen Anderssein anschauen kann, zeigt aber erst die Entfaltung des »Willens«. Ihr Ziel ist, wie die Metaphysik der Subjektivität in der Logik und Metaphysik von 1804/1805 vorgezeichnet hatte, das Wissen der Einheit von Intelligenz und Willen, von der her die Selbständigkeit der Intelligenz sich wiederum als »abstracte«, aufzuhebende erweist (vgl. GW 8, 223). Der Abschnitt »Willen« enthält aber Formen des Geistes, die der späteren Systematik nach entweder zur Phänomenologie, d. h. den Formen des erscheinenden Geistes, gehören – oder zum objektiven Geist, wie die Familie. Sie werden an dieser Stelle behandelt, weil die Systementwürfe III an einem Grundgedanken der Jenaer praktischen Philosophie festhalten, den Hegel später aufgegeben hat: das System der Institutionen, d. h. der Selbstgestaltungen des Willens einer Gemeinschaft, zugleich als Bildungsgeschichte des Selbstbewußtseins darzustellen, innerhalb derer die Interaktionsformen erörtert werden, die notwendig sind, um dem Einzelnen seine Identität mit dem allgemeinen Geist zum Bewußtsein zu bringen. Diese Einheit wird später getrennt: »bildungsgeschichtliche« Aspekte werden nur noch im subjektiven Geist behandelt, während das System der Institutionen als Selbstentfaltung des objektiven Geistes dargestellt wird (s. u. Kap. V. 2). b) Von den früheren Texten her muß auch der zweite Teil der Geistphilosophie von 1805/1806, dem Hegel selber den Titel »wirk204 | kapitel ii
licher Geist« gegeben hat, als eine Annäherung an die Konzeption vom objektiven Geist wirken. Seine Inhalte, die Formen des Rechts und der ökonomischen Beziehungen waren im System der Sittlichkeit noch verteilt auf die natürliche Sittlichkeit – deren umfassende Gestalt die Familie ist – und die absolute Sittlichkeit, im Systementwurf von 1803/1804 dagegen ausschließlich dem Volksgeist zugeordnet. Daß sich die Sphäre des Rechts und der Ökonomie zwischen die Familie und den Staat schiebt, ist mit Recht auf Hegels vertiefte Rezeption der Nationalökonomie zurückgeführt worden.202 In der von Familie, Stand und Staat unabhängigen Sphäre des Austausches und der wechselseitigen Abhängigkeit bildet sich eine äußerliche, noch nicht durch gemeinsame Zwecke bestimmte Form des allgemeinen Willens. Sie ist eine wichtige Vorstufe zu Hegels späterer Theorie der bürgerlichen Gesellschaft (vgl. Horstmann 1975). Aber warum nennt Hegel diesen Teil der Geistphilosophie »wirklicher Geist«? Ist diese »Wirklichkeit« mit der »Objektivität« des objektiven Geistes identisch? Was der § 483 der Enzyklopädie (1830) über den objektiven Geist sagt, daß nämlich in ihm der freie Wille sich in dem »äußerlichen Material« der partikularen Bedürfnisse, der äußeren Naturdinge und des Verhältnisses von einzelnem zu einzelnem Willen »Dasein« gebe, trifft auch auf den zweiten Teil der Geistphilosophie von 1805/1806 zu. Der entscheidende Gesichtspunkt ist aber nicht, daß sich die Freiheit zur »Wirklichkeit einer Welt« gestaltet und die »Form von Notwendigkeit« erhält (§ 484) – also quasi eine Natur aus sich hervorbringt – sondern daß der »abstracte Wille« in der »geistigen Wirklichkeit« des »Anerkanntseyns« aufgehoben wird (GW 8, 223). »Abstrakt« ist der Wille als »in seine reine Einheit reflectirter« (221) und abstrakt ist auch die Einheit von einzelnem und allgemeinem Willen, die nur darin besteht, daß der »Wille eines jeden wissender ist« (ebd.). Der Begriff der »Wirklichkeit« bezeichnet dagegen den Geist als ein Netz von Interaktionen – Recht, Tausch, wechselseitige Dienstleistungen – selbstbewußter Willen. Wie im »Volksgeist« des Systementwurfs von 1803/1804 werden im »Element« dieses »geistigen Seins« die Beziehung des Einzelnen auf die Natur und den Anderen – Arbeit, Begierde, Besitz – gleichsam wiederholt.203 Das Neue an der Geistphilosophie von 1805/06 ist aber, daß in dieser »Wiederholung« noch nicht das Leben des Volksgeistes darDie Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 205
gestellt wird, der in diesen »anerkannten«, gesellschaftlichen Tätigkeiten »atmet« und sich, wie Hegel formuliert, anschaut und genießt, sondern ein Prozeß der Auseinandersetzung zwischen einzelnem und allgemeinem Willen, in dem sich deren »abstrakte« Einheit in sich differenziert. Der Bildungsprozeß der Einheit beider ist nämlich noch nicht abgeschlossen, solange der Einzelne sein »Insichreflektiertsein« für ein allgemeines Gesetz hält und sich nicht nach den geltenden Gesetzen richtet – und solange andererseits der in den Formen von Gesetz und Recht existierende gemeinsame Wille dieses »absolute Insichsein« des Selbst noch nicht als Moment seiner selbst anerkannt hat. Die Darstellung der Rechtsinstitutionen, der – mit dem späteren Begriff – »bürgerlichen Gesellschaft« und der sie regulierenden Staatsgewalt (»das gewalthabende Gesetz«), am Leitfaden eines Prozesses der Anerkennung zwischen einzelnem und allgemeinem Willen, unterscheidet diesen Systementwurf aber auch von der späteren Theorie des objektiven Geistes. c) Auch zu einer Verselbständigung des absoluten Geistes gibt es – im dritten Teil der Geistphilosophie – deutliche Ansätze. Und zwar deshalb, weil sich die Stellung von Religion und vor allem Philosophie zum Staat gegenüber den früheren Texten in signifikanter Weise ändert – obwohl beide dem Abschnitt »Konstitution« zugeordnet sind, der die »äußere feste Organisation« des Staates und die »Gesinnungen« seiner Stände behandelt (265). Die Änderung wird am deutlichsten sichtbar, wenn man den Schlußabschnitt der Geistphilosophie mit der sogenannten Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit (vgl. o. Anm. 192) vergleicht. Im System der Sittlichkeit war die Religion auf zweifache Weise als Vollendung der absoluten Sittlichkeit bestimmt: als kultischer Nachvollzug der »Geschichte« des christlichen Gottes (Schöpfung, Menschwerdung, Opfer) machte sie die Versöhnung von Natur und Geist dem Individuum anschaubar und gleichsam »praktizierbar« (vgl. Trede 1973). Durch diese kultische Erhebung in die Geschichte des Absoluten löste sie das Individuum zugleich von den Schranken seines Standes und der bestimmten geschichtlichen Situation seines Staates. Allerdings konnte nach dem System der Sittlichkeit nur eine neue Gestalt der Religion dieses »Einswerden der Individualität mit dem absoluten Geist« (GW 2, 462) vollenden – eine Religion, die auf Philosophie gründet und in einem »freien Volk« als Volksreligion vollzogen 206 | kapitel ii
werden muß. Religion und Philosophie gehen somit zwar über den bestimmten Staat und seine historischen Bedingtheiten hinaus, aber nicht über den Staat als solchen. In der Geistphilosophie von 1805/1806 sieht Hegel dagegen Religion und Staat in einem Gegensatz, den nur Philosophie versöhnen kann. Zwar gilt für die Religion als »Kirche« noch eindeutiger als im System der Sittlichkeit, daß sie der Vollendung der Sittlichkeit im Staat dient: nicht nur, weil sich in ihr der Einzelne über seinen Stand erhoben und vor Gott »dem Fürsten gleich« weiß, sondern viel direkter, weil sie den Staat zugleich vor dem Einzelnen legitimiert, weil sie seine »Garantie« bzw. »Sicherheit« ist (GW 8, 285). Während aber die Kirche als äußere Institution dem Staat untergeordnet ist, geht die religiöse Gesinnung über ihn hinaus: Sie setzt dem Staat eine wahrere jenseitige Welt entgegen, in der sie sich mit dem göttlichen Geist identisch weiß. Diese Spaltung in zwei Welten, den »wirklichen«, »daseienden« absoluten Geist des Staates und den »gedachten« Geist der jenseitigen Versöhnung Gottes mit seiner Gemeinde ist für das Verhältnis von Staat und Religion notwendig,204 muß aber zugleich von der Philosophie überwunden werden. Die Philosophie weiß den absoluten Geist als die Bewegung, sich als Unmittelbarkeit, Wirklichkeit zu setzen und diese Wirklichkeit aufzuheben. Sie weiß daher den Staat als »Dasein« des göttlichen Geistes. Das bedeutet: in ihr begreift sich der absolute Geist selber als Einheit von Dasein und Denken (vgl. 286; s. o. S. 187). Diese Einheit begreift der Geist in der Philosophie aber nur, indem er sich selber als Unmittelbarkeit setzt und zu sich zurückkehrt. Dazu muß sich die Philosophie »entäußern« an das »sinnliche Bewußtseyn« (287), das entzweit ist in die Natur und das Wissen von sich. Aus dieser Entzweiung kommt der Geist durch die Bewegung des Begriffs in der Natur und der »Weltgeschichte« zu sich zurück. Dadurch kann sich zugleich das System der Philosophie vollenden und in seinen Anfang zurückgehen: in der spekulativen Philosophie wird das Resultat der Weltgeschichte, das »Wissen« der Einheit von Natur und Geist (vgl. ebd.), selber in der »Form des Begriffs« dargestellt. An welcher Stelle im System die Darstellung der Entäußerung des Geistes ins »unmittelbare Bewußtsein« oder an welcher die Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 207
Weltgeschichte behandelt werden muß, geht zwar aus dem Text nicht klar hervor. Deutlich ist aber, daß der Abschluß der Geistphilosophie jetzt die Philosophie ist – nicht mehr die Religion wie noch in der sog. Fortsetzung des Systems der Sittlichkeit (vgl. o. Anm. 192). Die Versöhnung von Staat und Kirche findet nicht in einer neuen Volksreligion statt, sondern in der philosophischen Theorie. Andererseits zeigt die Behandlung von Religion und Philosophie im Abschnitt »Konstitution«, daß Hegel beide zugleich auch als »Institutionen« in einer Gemeinschaft, als Gestaltungen des Geistes dieser Gemeinschaft betrachtet. Aber nicht nur als solche gehören sie zur praktischen Philosophie, sondern auch darum, weil erst in ihnen der Prozeß der Anerkennung zum Abschluß kommt: in Religion und Philosophie kann sich das reine Fürsichsein des Einzelnen als »absolut« wissen – als identisch mit dem Geist, der sich in den Verfassungen der Staaten »Dasein« gibt und der zugleich in seinem Sich-Wissen von jedem historisch bestimmten Staat unabhängig ist. Der Prozeß des Sich-Anschauens im Anderen und des Sich-Wissens als Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit, der mit den »Schlüssen« der Liebe und des Kampfes beginnt, kommt damit ans Ziel. Weil Religion und Philosophie in der Geistphilosophie der Systementwürfe (III) von 1805/06, selber Bedingungen der Freiheit des Selbst in einer Gemeinschaft sind, ist ihre Bedeutung für den Anerkennungsprozeß als der immanenten Bewegung der praktischen Philosophie hier unvergleichlich größer als in der Phänomenologie. Dort ist ja umgekehrt die Einheit von endlichem und absolutem Geist als philosophisches Wissen das Ziel, zu dem bestimmte Formen von Gemeinschaft und sozialem Handeln nur als Vorstufe in Betracht kommen. Auf das Verhältnis dieser Formen zum Gesamtprozeß der Phänomenologie gehe ich noch ein (Kap. III). Allerdings verdeckt die Zugehörigkeit der Philosophie zur »Konstitution« in der Geistphilosophie von 1805/06, daß auch dort nicht ganz klar ist, wie sich die »einsame Zwiesprache« des philosophierenden Subjekts mit dem Absoluten in ihm selber zu den freien Institutionen einer Gemeinschaft verhält. Zwar gehören diese Institutionen zur Bildung seiner Subjektivität wie umgekehrt die Philosophie als denkende Freiheit von ihnen bzw. Distanz zu ihnen zur sozialen bzw. politischen Freiheit gehört. Aber besagt die teleologische Konstruk208 | kapitel ii
tion, die Hegel im Systementwurf (III) von 1805/06 zum erstenmal konsequent durchführt (Kimmerle 1970, 94), nicht doch, daß die Anernung des Anderen zuletzt dem Ziel der denkerischen Freiheit dient? Kann in einem teleologischen Prozeß das Ziel zugleich seine Vorstufen zum Zweck haben? Das ist das gleiche methodologische Problem, das uns oben in Bezug auf das Verhältnis der beiden Anerkennungsstufen begegnet ist (S. 152 f.). Es endgültig aufzulösen, sind wir aber auch jetzt noch nicht in der Lage. Die Geistphilosophie von 1805/06 ist offenbar, weder vom Inhalt noch von der Systematik her eine von den übrigen Jenaer Entwürfen grundsätzlich unterschiedene Vorstufe der enzyklopädischen Systematik. Die Entwicklungstendenzen, die in diese Richtung gehen, waren auch in den früheren Schriften schon angelegt. Die entscheidenden Veränderungen – jedenfalls was die praktische Philosophie angeht – setzen dagegen erst später ein. Insofern ist es legitim, in ihr die »exemplarische« Fassung der Jenaer praktischen Philosophie zu sehen. Aber wie steht es mit ihrer Stellung zu den philosophischen Positionen, von denen sich Hegels praktische Philosophie in den ersten Jenaer Schriften gleichsam »abstößt«? Manfred Riedel (1969, 61, 97) hat die These vertreten, daß gerade die Anerkennungslehre im Systementwurf von 1805/06, zu einer Abkehr Hegels von der antiken praktischen Philosophie und zugleich vom »Polisideal seiner Jugendzeit« führe – und daß diese Abkehr als Rückkehr zum Naturrecht Kants und Fichtes verstanden werden müsse. Es gibt in der Tat keinen Zweifel, daß Hegel sich in den Texten von 1805/06 dem neuzeitlichen Naturrecht wieder stärker annähert – vor allem, wenn man sie mit dem Naturrechtsaufsatz vergleicht. Hegel akzeptiert jetzt die Notwendigkeit eines Übergangs von der selbstzerstörerischen Freiheit des Naturzustandes zum Recht durch die – ehedem so scharf kritisierte – »Beschränkung« der Freiheit (Siep 1974, 187 f.). Er faßt das Recht jetzt nicht mehr als vorstaatlichen Zustand der natürlichen Sittlichkeit, sondern als erste Gestalt des »allgemeinen Willens«, in dem sich der Geist von der Naturbestimmtheit befreit hat. Das heißt: er akzeptiert grundsätzlich die Lehre des neuzeitlichen Naturrechts hinsichtlich des Verhältnisses Naturzustand – Recht – Staat. Und er übernimmt zugleich Fichtes Begründung des Rechtsbegriffs, den Begriff der Anerkennung, als Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 209
notwendige Bedingung der Konstitution des einzelnen und allgemeinen Bewußtseins. Es kommt aber darauf an, wie man diese Entwicklung zu verstehen hat: als »Umkehrung« des Verhältnisses von antiker praktischer Philosophie und neuzeitlichem Naturrecht gegenüber den frühen Jenaer Schriften – oder als ihre gelungene Vermittlung. Daß Hegel eine solche Vermittlung von Anfang an anstrebt – und nicht etwa eine Renaissance der politischen Philosophie der Griechen und ihres »Prinzips«, der Verfassung und Lebensform der Polis – haben wir gesehen. Die Belege dafür ließen sich vermehren. Daß es Hegel auch 1805/06 um eine solche Vermittlung geht, läßt sich mit zwei Argumenten zeigen: Hegel nimmt prinzipiell nichts von dem zurück, was für ihn die »Wahrheit« der antiken politischen Philosophie ausmacht – und er nimmt ebensowenig seine grundsätzliche Kritik am neuzeitlichen Naturrecht zurück. So kommt es, daß er gegen Ender der Jenaer Zeit zwar Elemente der naturrechtlichen Theorie übernimmt, aber ihre Begründung kritisiert und ihre Bedeutung neu bestimmt. Für Manfred Riedel ist die neue Stellung zum Naturrecht durch die Umwertung des Verhältnisses Geist – Natur bedingt. Nun hat Hegel bereits im Naturrechtsaufsatz den Geist als der Natur gegenüber »höher« bezeichnet. Die Weiterentwicklung dieses Gedankens führt dazu, daß Hegel schon 1803/1804 den Begriff der »natürlichen« Sittlichkeit fallen läßt. Davon wird aber das Prinzip seines Rückgangs auf die antike politische Philosophie, die Einsicht, daß das Volk seiner »Natur« nach »eher« als der Einzelne ist, nicht betroffen. Nach wie vor kann das individuelle Bewußtsein zu seiner Selbstverwirklichung nur durch Selbstnegation, durch das Bewußtsein der Einheit seiner selbst mit der »substantiellen« Sittlichkeit eines Volkes, gelangen. Hegel lehnt daher das Kernstück des neuzeitlichen Naturrechts, die Theorie des Vertrages, weiterhin ab, weil in ihr die Einsicht nicht vorhanden ist, daß der allgemeine Wille »durch Negation, durch sich Aufgeben« des Einzelnen entstehe (GW 8, 257). Wenn das so ist, dann kann aber im Verhältnis des Rechts zur »Polissittlichkeit« keine Umkehrung eingetreten sein. Schon im Naturrechtsaufsatz hat das Recht eine positive Funktion: dem »Prinzip und System des bürgerlichen Rechts« (GW 4, 476) muß ein eigener 210 | kapitel ii
»Spielraum« zugestanden werden. Zugleich muß aber durch seine Unterordnung unter die absolute Sittlichkeit verhindert werden, daß es »sich für eine Totalität« nimmt (ebd.). Das gilt auch noch für die Geistphilosophie von 1805/06: das Recht wird zwar als eine notwendige Stufe der Entwicklung des Bewußtseins zum absoluten Geist aufgewiesen, aber es stellt noch nicht die höchste Sittlichkeit dar. Und das, obwohl das Recht bei Hegel eine ganz andere Funktion hat als im neuzeitlichen Naturrecht: während es dort, jedenfalls bei Hobbes und Locke, an das Prinzip der Selbsterhaltung gebunden ist, liegt seine Begründung bei Hegel gerade darin, daß sich in ihm der Wille als frei von allen natürlichen Bestimmtheiten – einschließlich des Lebens – weiß und darstellt. Dem Recht geht ja der Kampf um Anerkennung voraus. Riedel hat recht mit seinem Hinweis darauf, daß das Recht in der späten Jenaer Zeit nicht mehr wie im System der Sittlichkeit der Familie als höchster Potenz der natürlichen Sittlichkeit untergeordnet ist, sondern gerade das Bindeglied zwischen der Familie und dem Staat ausmacht. Der Grund dafür ist in der Tat, daß Hegel das Recht jetzt als die Realisierung des »Begriffs« bzw. des »freien Selbstbewußtseins« in der »Bewegung des Anerkennens« auffaßt (Riedel 1969, 63). Nur muß man sehen, daß Hegels Anerkennungstheorie jetzt über diejenige Fichtes weit hinausreicht: Zum einen, weil sie durchaus nicht auf das Recht beschränkt ist, da die Bewegung der Anerkennung selber zu seiner Aufhebung in der Sittlichkeit des Volkes nötigt. Zum anderen, weil Anerkennung jetzt nicht mehr nur bedeutet, daß sich die einzelnen Individuen als Personen in das »allgemeine« Verhältnis gegenseitiger Bildung und gegenseitigen Respektierens setzen – wie dies im System der Sittlichkeit der Fall war. Vielmehr bedeutet Anerkennung jetzt die Ueberwindung des Prinzips der Einzelheit, und zwar im Recht als »Elemente des allgemeinen anerkanntseyns« (GW 8, 223) und auf höherer Stufe in der absoluten Sittlichkeit des Staates. Man wird sagen müssen, daß Hegels Theorie der Anerkennung in der Geistphilosophie von 1805/06 weiter von Fichte entfernt ist als im System der Sittlichkeit; denn bei Fichte hat Anerkennung nie die Bedeutung der Selbstaufhebung der Einzelheit gehabt. Aber wie steht es mit der aristotelischen Systematik der praktischen Philosophie als Einheit von Ethik, Ökonomie und Politik? Die Erneuerung der praktischen Philosophie in Hegels Jenaer Schriften | 211
Wir haben gesehen, daß Hegel im Abschnitt »wirklicher Geist« den ökonomischen Institutionen eine von Familie und Staat getrennte »Sphäre« zuweist. Daß damit die Ökonomie nicht mehr im klassischen Sinne an der Großfamilie bzw. am »Haus« orientiert ist, stellt in der Tat eine Entfernung von der aristotelischen Gestalt der praktischen Philosophie dar.205 Man muß allerdings zweierlei im Auge behalten: Zum einen ist die Tatsache, daß Hegel im System der Sittlichkeit nicht nur die »Verhältnisse« der Familie bzw. des Hauses, sondern auch die Institutionen des (bürgerlichen) Rechts, des Tauschs, des Handels und des Geldes innerhalb der natürlichen Sittlichkeit behandelt – und also in der Familie zur »Indifferenz« gebracht sieht –, nicht auf das aristotelische Vorbild zurückzuführen, sondern auf Positionen des neuzeitlichen Naturrechts, etwa die Staatsphilosophie John Lockes.206 Zum anderen ist es zwar richtig, daß Hegel die Einheit der praktischen Philosophie nicht mehr auf den »natürlichen« Zusammenhang zwischen oikos und polis begründet, sondern auf den Begriff des Selbstbewußtseins. Aber es liegt in der »Natur« dieses Begriffes, daß sich das einzelne Selbst in Wahrheit nur vom Ganzen einer staatlichen Gemeinschaft her verstehen kann. Der Prozeß der Verwirklichung des Selbst ist daher ein Anerkennungsprozeß, der moralische,207 ökonomische und politische Beziehungen und Institutionen umfaßt. Eben dies aber ist die »Synthese« von klassischer praktischer Philosophie und »idealistischer« Freiheitslehre, die Hegel in den Jenaer Schriften konzipiert hat.
212 | kapitel ii
III. Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der Phänomenologie des Geistes Die Frage nach der systematischen Form der praktischen Philosophie Hegels in Jena kann nicht an die Phänomenologie des Geistes von 1806/1807 gerichtet werden. Denn ihre Funktion als »Einleitung« bzw. als »Voraus« der Wissenschaft besteht darin, das natürliche Bewußtsein zum Standpunkt des absoluten Wissens zu führen. Und diese Aufgabe, bestimmt auch die Reihenfolge der im Element eines solchen Bewußtseins dargestellten Gestalten des Geistes. Es hat sich aber im ersten Kapitel dieser Arbeit gezeigt, daß Hegel zumindest einen Teil dieses Weges auch als einen Prozeß der Realisierung von »Anerkennung« konzipiert hat – und daß in diesem Prozeß Gestalten des praktischen Selbstbewußtseins bzw. Geistes die maßgebliche Rolle spielen. Daran ändert es nichts, daß das Telos der Anerkennung neben der moralischen Versöhnung auch eine religiöse Gewißheit über die Einheit mit dem Absoluten umfaßt, die nicht ohne weiteres »praktisch« zu nennen ist (s. o. S. 146 f.). Die Phänomenologie müßte also zumindest einen Beitrag zu der Frage liefern, auf welche Weise der Anerkennungsprozeß die Darstellung der Gestaltenfolge des praktischen Geistes bestimmt – und das bedeutet: wie Anerkennung »Prinzip« einer solchen Darstellung ist. Das aber ist genau die Frage, die uns in diesem und dem nächsten Teil unserer Untersuchung beschäftigt: auf welche Weise ist »Anerkennung« das Prinzip der praktischen Philosophie Hegels in Jena, wie bestimmt dieses Prinzip die Methode seiner praktischen Philosophie – und läßt sich daraus etwas für die Erneuerung dieser Disziplin lernen? Meine These ist, daß Hegel in Jena – und vor allem in der Phänomenologie des Geistes – Anerkennung mit einem Begriff von Erfahrung des Bewußtseins verbindet. Gerade diese Verbindung könnte – nach einigen »unhegelschen« Modifikationen – für eine systematische praktische Philosophie fruchtbar gemacht werden. Was also an der Phänomenologie besonders interessiert, ist ihre Methode – vor allem die Methode ihrer »praktischen« Teile. Dabei Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 213
darf allerdings zweierlei nicht außer Acht gelassen werden: zum einen die schon erwähnte besondere Funktion der Phänomenologie – zum anderen die Tatsache, daß dieses Werk, viel stärker als die Geistphilosophie von 1805/1806, ein Werk des Überganges ist. Das bestimmt auch ihre Methode: ihr liegt sowohl die Konzeption einer teleologisch in sich geschlossenen spekulativen Logik wie eine Theorie des absoluten Geistes zugrunde, die von der Einsicht in die sich vollendende geschichtliche Entwicklung des Geistes und die Lösung seines Selbstbewußtseins von den geschichtlichen Bedingungen seiner Bildung geprägt ist.208 Die Methode209 der Phänomenologie kann für die praktische Philosophie nur dann von Bedeutung sein, wenn sie selber einen »praktischen« Aspekt hat. Ich möchte im Folgenden zeigen, daß ein solcher Aspekt nachgewiesen werden kann – und auch muß, wenn die Phänomenologie als ein einheitlich konzipiertes Werk verstanden werden soll. Zunächst sind aber noch einige Vorüberlegungen zum Verhältnis Phänomenologie – praktische Philosophie nötig. 1. Phänomenologie und praktische Philosophie Hegels Phänomenologie des Geistes ist zweifellos keine praktische Philosophie in dem Sinne, in dem Teile der Jenaer Geistphilosophie als solche bezeichnet werden können: als systematische Darstellung der Formen des praktischen Geistes. Dennoch enthält sie Analysen von Handlungsweisen (Kampf, Arbeit, Vasallendienst, Terror etc.), von Institutionen (Familie, Recht, Monarchie, Regierung etc.) und von geschichtlichen Prozessen (römisches Kaiserreich, Feudalmonarchie, Absolutismus, Aufklärung, Französische Revolution). Die Interpretation der Anerkennungsbewegung in der Phänomenologie (s. o. S. 108 ff., S. 131 ff.) hat überdies gezeigt, daß das Hauptthema der Jenaer praktischen Philosophie, die Genese des allgemeinen Selbst und das Verhältnis von einzelnem Bewußtsein und Geist eines Volkes, auch ein zentrales Thema der Phänomenologie ist. Wenn dies der Fall ist, dann muß die Methode der Phänomenologie auch für die Behandlung von Fragen der praktischen Philosophie bedeutsam sein – auch wenn sich ihre Bedeutung darin nicht erschöpft. 214 | kapitel iii
Aber die Funktion der Phänomenologie ist von derjenigen der übrigen Jenaer Texte zur Geistphilosophie grundsätzlich verschieden – das ergibt sich schon aus der Tatsache, daß Hegel seit 1805 gleichzeitig am Systementwurf von 1805/1806 und an der Phänomenologie arbeitet.210 Zudem weist Hegel schon in diesem Systementwurf auf die verschiedenen systematischen Absichten beider Werke hin, wenn er bemerkt, daß der »Unterschied« des »Dinges gegen den Verstand… hieher eigentlich nicht gehört – sondern Erfahrung des Bewußtseyns« (8, 196). Danach würde die Philosophie des Geistes im Systementwurf von 1805/06 es nicht mit der Überwindung des Gegensatzes Bewußtsein – Gegenstand in der »Erfahrung des Bewußtseins« zu tun haben, sondern diese Überwindung schon voraussetzen – wie die spätere »Psychologie« der Enzyklopädie (vgl. Enz § 448). Es läßt sich aber zeigen, daß Hegel in diesem Systementwurf noch nicht zu einer eindeutigen Trennung von Phänomenologie und Geistphilosophie in der Lage ist.211 Das ändert sich bis zur Phänomenologie von 1807, in der die Aufgabe einer Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins als Erhebung des »unwissenschaftlichen« Bewußtseins auf den Standpunkt der spekulativen Philosophie bestimmt wird. Damit übernimmt sie zum einen die Funktion, die die Jenaer Logik als Kritik der endlichen Verstandesformen hatte (Pöggeler, 1974, 146 ff.), und setzt zum anderen die Kritik der Reflexionsphilosophie fort, die Hegel in der Differenzschrift und in den Aufsätzen des »Kritischen Journals« begonnen hatte (Bubner, 1973, 15 ff.). Als »Voraus der Wissenschaft« setzt sie nicht, wie die Systementwurf von 1805/1806, die Darstellung der spekulativen Philosophie voraus – als selber »wissenschaftliche« Kritik und somit Teil der Wissenschaft ist sie aber nur darstellbar aufgrund einer vorgreifenden Kenntnis der eigentlichen »Wissenschaft«, d. h. für Hegel 1807: der spekulativen Logik (PhG 29, vgl. Fulda 1965). Die Phänomenologie ist systematische Kritik des nicht spekulativen Wissens, für das der Gegensatz zwischen Ansich und Für uns, Wahrheit und Gewißheit, Maßstab und Wissen konstitutiv ist. Diese Kritik soll zugleich eine Rechtfertigung der Wissenschaft und eine »Leiter« zu ihr sein. Eine solche Leiter betreten kann aber nicht das »natürliche Bewußtsein«, das die Bedingungen seines Wissens nur »im Rücken« hat, von ihnen geleitet wird, ohne sie zu erkennen, sondern nur das »erscheinende Wissen«.212 Das erscheiAnerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 215
nende Wissen – das die Eigenschaften des »verständigen« Denkens der Hegel zeitgenössischen philosophischen Bildung besitzt – vermag einen systematischen Erfahrungsprozeß zu durchlaufen, den »Wir«, die diesen Prozeß auslösenden213 Philosophen, in seiner Notwendigkeit einsehen und »wissenschaftlich« darstellen können. Daß das Bewußtsein zum erscheinenden Wissen werden kann, liegt daran, daß es in seinem Wesen liegt, sich selbst zu prüfen, seinen Maßstab und sein Wissen zu vergleichen. Darin liegt der Anknüpfungspunkt für die Methode der Phänomenologie, auf die wir im folgenden Abschnitt noch genauer eingehen. Die systematische Erfahrungsgeschichte des erscheinenden Wissens umfaßt, wie wir oben angedeutet haben, auch Formen des praktischen Bewußtseins, der Sittlichkeit, ja sogar geschichtliche »Welten« des Geistes. Das für die Phänomenologie charakteristische Thema sind die darin implizierten »Stellungen des Gedankens zur Objektivität«.214 Es geht um den Nachweis, daß diese Stellungen in sich widersprüchlich sind, so lange das Bewußtsein nicht zum »absoluten Wissen« der Identität von Wissen und Sein gelangt ist – zu einem Wissen, das in der »Substanz«, der Totalität der Gedankenbestimmungen, die die Objektivität konstituieren, die Subjektivität, das sich in sich unterscheidende Tun des Fürsichseins erhalten weiß. Die Tatsache, daß Handlungsweisen, Institutionen und Epochen in der Phänomenologie in erster Linie hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden »Weltanschauungen«215 in Frage kommen, schließt freilich nicht aus, daß die »Prüfung« solcher Bewußtseinsgestalten auch als Kritik von Institutionen zu verstehen ist. Insofern enthält die Phänomenologie in bestimmten Abschnitten die Thematik der Jenaer praktischen Philosophie. Anders als in der Jenaer Geistphilosophie ist aber in der Phänomenologie die Auseinandersetzung mit der »Theorie«, der Legitimation und dem »Geist« einer Institution nicht in deren kritische Darstellung als Moment eines »Institutionensystems« aufgenommen. Hegel diskutiert vielmehr umgekehrt zuweilen Institutionen im Rahmen einer Auseinandersetzung mit moral- und staatsphilosophischen Theorien, die ihrerseits den Anspruch einer kritischen Prüfung von Institutionen erheben – so etwa Eigentum, Recht und Gesetz im Zusammenhang einer Kritik der Kantischen Moralphilosophie (PhG 281–287). Dennoch läßt sich auch der Phänomenolo216 | kapitel iii
gie entnehmen, welche systematische Stelle im Bildungsprozeß des Geistes Institutionen wie der Zweikampf, die Familie, die Monarchie216 etc. einnehmen. Wichtig für unsere Frage ist dabei die Tatsache, daß Hegel für die Darstellung einer Folge von Institutionen die Methode der Erfahrung in Anspruch nimmt. In den Abschnitten über die Sittlichkeit und den entfremdeten Geist etwa kritisiert Hegel den »Geist« oder das »Gesetz« eines Gemeinwesens und mit ihm zugleich die Institutionen, in denen er sich manifestiert, durch die Erfahrung des Bewußtseins mit den Maßstäben seiner sittlichen Handlung. Zusammengefaßt muß man sagen: Die Phänomenologie ist weder Staats- noch Geschichtsphilosophie.217 Ihre Darstellung zeigt aber, auf welche Weise sich in bestimmten Institutionen und geschichtlichen Epochen ein Verständnis des Geistes manifestiert. Sie gibt damit das Verhältnis dieser Institutionen und Epochen zueinander und zum absoluten Wissen an. Bezogen bleibt sie dabei allerdings immer auf das Bewußtsein der für Hegel zeitgenössischen Bildung (vgl. PhG 238), dem sie das Begreifen des »neuen Geistes« – der sich in Geschichte und Philosophie bereits ankündigt (PhG 10) – ermöglichen soll. Was dieser neue Geist, von dem die Vorrede der Phänomenologie spricht, für die Philosophie, die Religion oder die Moralität bedeutet, macht Hegel deutlicher als seine institutionellen Konsequenzen für den Staat.218 Die Phänomenologie enthält Bruchstücke einer Kritik, aber keine Darstellung des vernünftigen Systems der Institutionen. Sie zeigt die Versöhnung der Gegensätze des sittlichen Geistes nicht in den Institutionen des vernünftigen Staates, sondern in der moralischen Gesinnung und der religiösen Vorstellung (s. o. S. 142–149). Vom Standpunkt des Gesamtsystems aus liegt ihre Bedeutung für die praktische Philosophie allerdings nicht nur in der Kritik der einseitigen Standpunkte der Moralität und der Sittlichkeit, sondern auch in der Hinführung auf den »Standpunkt« des absoluten Wissens, auf dem ja die Darstellung des Systems der Philosophie und damit auch des Systems der Institutionen des objektiven Geistes möglich ist.
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2. Die »praktische« Seite der phänomenologischen Methode Wenn die Erörterung von Themen der praktischen Philosophie in der Phänomenologie unter dem Oberthema der Erhebung des Bewußtseins zum absoluten Wissen steht, dann scheint die Methode der praktischen Philosophie in der Phänomenologie die »phänomenologische« Methode selber zu sein, wie Hegel sie vor allem in der Einleitung des Werkes erörtert hat. Allerdings darf die praktische Seite dieser Methode nicht übersehen werden – nur dann läßt sich behaupten, daß die Darstellung in der Einleitung für das ganze Werk zutrifft.219 Die Methode der Phänomenologie ist nach der Einleitung eine Selbstprüfung des Bewußtseins. Geprüft wird, ob sich Wissen und Wahrheit bzw. Ansichsein entsprechen. Wissen ist dabei das Moment der Beziehung, des »Seins von etwas für ein Bewußtsein« (PhG 64), Wahrheit dagegen der Maßstab, an dem die ganze Beziehung sich orientieren soll und der von der ganzen Beziehung unabhängig sein soll. Das Bewußtsein setzt freilich diesen Maßstab stets auf eine Seite der Beziehung: entweder die des »Begriffs« oder die des Gegenstandes. In Wahrheit bzw. »für uns« – die darstellenden Philosophen – ist dieser Maßstab ein Gesamt von Momenten des Geistes, die sowohl das Bewußtsein wie seinen Gegenstand bestimmen. Diese Momente sind in ihrer »reinen« Gestalt Kategorien der Logik (vgl. Anm. 154). In der Phänomenologie machen sie den »Horizont«220 aus, innerhalb dessen dem Bewußtsein sein Wissen und der gewußte Gegenstand erscheinen. Allerdings weiß das Bewußtsein, das sich prüft, diese Momente nicht als logische Kategorien, sondern als Aspekte seines Gegenstandes – Dinghaftigkeit, Gesetzlichkeit, Sichselbstgleichheit, Selbständigkeit etc. – bzw. als Strukturen der Wirklichkeit, denen das Wissen entsprechen muß. Das Gesamt dieser eine Bewußtseinsgestalt bestimmenden Momente ist der Maßstab; treten zwischen ihm und dem Wissen – zu dem das »Etwas« bzw. der Gegenstand, auf den es sich bezieht, gehört – Differenzen auf, so sucht das Bewußtsein zuerst sein Wissen (die gesamte Relation) zu korrigieren. Diese Korrektur beeinträchtigt aber seine Begriffe von dem Maßstab bzw. dem Ansich, dem es zu entsprechen versucht: es erfährt gleichsam die »Vorschriften«, an die es sich zu halten suchte, 218 | kapitel iii
selber als widersprüchlich. Damit aber können sie nicht mehr »an sich«, mit sich selbst gleich, unabhängig von allen Relationen sein, sondern sinken zu bloßen Meinungen des Bewußtseins, zu einem Für-das-Bewußtsein-Sein des An-sich (vgl. 66, 67) herab. Was auf dem Wege zum absoluten Wissen im Grunde ein Fortschritt ist, die Einsicht in die »Subjektivität« der Bestimmungen des Maßstabs, ist für die jeweilige Bewußtseinsgestalt quasi der Zusammenbruch. Die Reflexion des Bewußtseins auf die Widersprüchlichkeit und den »Meinungscharakter« seiner Maßstäbe läßt seine Wahrheit zu einem »leeren Nichts« werden. Dem erscheinenden Wissen entsteht aber in diesen Zusammenbruch ein neuer Maßstab der Wahrheit, der die Widersprüche des alten vermeidet. Daß dieser neue Maßstab auch die widersprüchlichen Kategorien des alten Maßstabes zu einer Synthese bringt, erkennt aber nur der Philosoph. Nur für ihn ist daher die Erfahrung ein dialektischer Prozeß, dessen Stufen aufeinander mit Notwendigkeit folgen.221 Die Frage ist nun, wie diese Methode der Erfahrung des Bewußtseins auf die »praktischen« Teile der Phänomenologie des Geistes »paßt«. Hegels Rede von der »Selbstprüfung«, von der »Vergleichung« von Maßstab und Wissen, von der »Korrektur« des Wissens und schließlich seines Maßstabs, scheint zunächst an einer theoretischen Einstellung orientiert zu sein. Die Gestalten des ersten Buches der Phänomenologie »prüfen« in der Tat ihr Gegenstandswissen hinsichtlich seiner Entsprechung zu dem, was ihnen als Wahrheit gilt. Auch in den philosophischen Positionen, die diesen Bewußtseinsgestalten zugrunde liegen, geht es in erster Linie um die Bestimmung der Erkenntnis und ihrer Beziehung zur Wahrheit bzw. zum Wesen des Gegenstandes. Erfahrungen wie der Kampf um Anerkennung oder die französische Revolution können aber zweifellos nicht in dieser Weise als theoretische »Prüfungen« verstanden werden. Mit der Methode der Einleitung sind sie nur dann in Einklang zu bringen, wenn diese ein praktisches Moment enthält, das Hegel freilich nicht expliziert hat.222 Betrachtet man die Entwicklung der Methode der »Erfahrung des Bewußtseins« in den verschiedenen Texten der Geistphilosophie, dann erscheint die praktische Komponente keineswegs als eine nachträgliche »Erweiterung« der Methode, sondern umgekehrt als deren Ursprung. Wir haben oben (S. 197 f.) schon gesehen, Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 219
daß Hegel bereits in der Geistphilosophie der Systementwürfe I von 1803/1804 die Entwicklung des Geistes als eine Bewegung darstellt, in der das Bewußtsein aus sich selbst Widersprüche produziert, die zu einer »Reflexion seiner in sich selbst«, d. h. zu einer Bewußtseinsumkehrung führen. Der entscheidende Punkt dabei war der Kampf um Anerkennung, der in der Tat bereits eine Art Selbstprüfung darstellte: Maßstab oder »Wesen« des Bewußtseins ist die Ehre. Dieser Maßstab wird im Kampf um Anerkennung einer Prüfung unterzogen. Ihr Resultat ist ein Widerspruch – die freie Anerkennung durch einen Getöteten oder Gezwungenen. Er zwingt zur Aufgabe des Maßstabes der Ehre und zur Umkehrung des Bewußtseins der Einzelheit (229). Hegel hat diese Umkehrung bereits als eine bestimmte Negation223 aufgefaßt: Negation der ausschließenden Einzelheit, die zum allgemeinen Bewußtsein des Volksgeistes führt, in dem die Einzelheit und ihr Selbstbewußtsein gleichwohl bewahrt sein sollen. Das heißt nicht, daß die Geistphilosophie von 1803/1804 die »Methode« der Phänomenologie bereits kennt, sondern daß Momente der phänomenologischen Methode schon in diesen frühen Entwürfen entwickelt wurden – und zwar primär im Rahmen der praktischen Philosophie. Dies gilt auch für die Geistphilosophie von 1805/1806: auch in ihr kommen diejenigen »Reflexionen« des Bewußtseins der phänomenologischen Erfahrung am nächsten, die Formen des praktischen Bewußtseins und des »wirklichen Geistes« (der »Sittlichkeit überhaupt«, GW 8, 222) betreffen. In der Entwicklung des »Willens« sind bereits Liebe224 und Kampf als »Erfahrungen« zu verstehen. Wichtig für die Genese der phänomenologischen Methode ist aber vor allem, daß die Geistphilosophie von 1805/06 auch innerhalb des »wirklichen Geistes« Erfahrungen darstellt (Vertragsbruch, Verbrechen etc.). Sie bestehen darin, daß der Wille sich in den Gegensatz des einzelnen und allgemeinen Willens – der im Recht zunächst »unmittelbar« aufgehoben ist – trennt. Der einzelne Wille weiß sich als allgemein, aber er mißversteht quasi diese Allgemeinheit als Freiheit von allem besonderen Dasein, auch demjenigen, in dem sich der Wille aller Mitglieder einer Rechtsgemeinschaft manifestiert – etwa im Willen zum Recht der Verträge als Austausch von Leistungen oder in Gesetzen und der es sanktionierenden Gewalt. Diese Freiheit erweist sich aber als ein in der Handlung nicht realisierbarer 220 | kapitel iii
Maßstab: Einzelheit und Allgemeinheit sind in ihr nicht »harmonisierbar«. Die handelnde Individualität gelangt zu der neuen Wahrheit, daß die Allgemeinheit des Willens die Einzelheit – auch die sich von allen Bestimmtheiten lösende – in sich »absorbiert« (231). Ich möchte nun an Beispielen aus dem Selbstbewußtseins-, Vernunft- und Geistkapitel zeigen, daß für die Methode der Phänomenologie diese »praktische« Erfahrung, d. h. die Umkehrung des Bewußtseins durch die Erprobung und »Widerlegung« eines Maßstabes in der Handlung, noch von Bedeutung ist. Daß der Kampf um Anerkennung eine solche Handlungserfahrung darstellt, kann nicht verwundern – das war ja schon im Systementwurf von 1803/1804 der Fall. Das Neue in der Phänomenologie ist, daß in ihr ein bestimmtes Verhältnis von Bewußtsein und Selbstbewußtsein – als zwei verschiedene »Stellungen des Gedankens zur Objektivität« – zum Ausdruck kommt. In den Vorerörterungen des Selbstbewußtseinskapitels (120–127) zeigt Hegel, daß die Identität des Ich mit sich selbst die neue »Wahrheit« (121) ist. Auf diese Einheit ist aber das Bewußtsein der »sinnlichen Welt« als eines Andersseins bezogen, das an sich in der Entwicklung des Bewußtseinskapitels als nichtig erwiesen wurde. Das Verhältnis der beiden Momente zueinander besteht zu Beginn des Selbstbewußtseinskapitels darin, das Anderssein als »Erscheinung« der Einheit des Selbst zu wissen. Diesen Maßstab in der Handlung zu realisieren versucht schon die »Begierde« als aktive Negation des Gegenstandes. Und die Funktion des Kampfes besteht darin, die Gewißheit, reine Selbstbeziehung zu sein, zur »Wahrheit an dem anderen und an ihnen selbst (zu) erheben« (130). Der Maßstab, alles Anderssein in die eigene Selbstbeziehung aufzuheben, wird im Kampf handelnd gegenüber einem anderen Selbst erprobt – und in seiner Unhaltbarkeit erfahren. Seine beiden Momente treten auseinander: es zeigt sich, daß das Selbstbewußtsein seine Selbständigkeit nicht in einem völlig nichtigen Anderssein anschauen kann. Die nächsten Gestalten der Phänomenologie sind daher Versuche, das Anderssein bzw. den »Unterschied« (138) bestehen zu lassen und gleichwohl in ihm das reine Selbst anzuschauen. Die Gewißheit, die Einheit des Selbst im selbständigen Anderssein wiederzufinden, als Einheit und Gesetzmäßigkeit des Gegenstandes nämlich, ist der Ausgangspunkt des Vernunftkapitels. Der Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 221
zweite, »praktische« Teil dieses Kapitels, der – nach Hegel (PhG 233, 234) – die Erfahrungen des Selbstbewußtseinskapitels auf höherer Stufe wiederholt, enthält wiederum Selbstprüfungen in Gestalt von Handlungen. Die Formulierungen Hegels am Anfang der Abschnitte B a., b. und c. sind für sich schon deutlich genug: »es (sc. das Selbstbewußtsein) geht darauf, durch Vollführung seines Fürsichseins sich als anderes selbständiges Wesen anzuschauen … es stürzt also ins Leben und bringt die reine Individualität, in welcher es auftritt, zur Ausführung« (240) – so beginnt die Erfahrung der »Lust und der Notwendigkeit«. »Das Gesetz also, das unmittelbar das eigene des Selbstbewußtseins ist … ist der Zweck, den es zu verwirklichen geht. Es ist zu sehen, ob seine Verwirklichung diesem Begriff entsprechen, und ob es in ihr dies sein Gesetz als das Wesen erfahren wird« heißt es am Beginn des Abschnitts über das »Gesetz des Herzens« (244). Auch der Erfahrung der »Tugend« geht es um Verwirklichung und »Bewährung« (252) eines Maßstabes des Wahren und des Guten. Die Verwirklichung des Maßstabes bzw. des »Begriffes« mißlingt aber; in der Handlung treten seine Momente auseinander: die in der »Lust«, dem »Gesetz des Herzens« oder der »Tugend« prätendierte Einheit von Einzelheit des Selbst qua »reiner Individualität« und Allgemeinheit des »Gesetzes«, das die »Wirklichkeit« bzw. den »Weltlauf« regiert, erweist sich als bloße Meinung. Der verdeckte Gegensatz von Einzelheit und Allgemeinheit tritt im Handeln hervor und fordert eine differenziertere Vermittlung beider Momente in einem neuen Maßstab: während die erste Gestalt des Vernunftkapitels diesen Gegensatz im Maßstab der »reinen Individualität« überhaupt nicht »gesetzt« hatte, enthält die zweite sowohl die »unmittelbare Einheit« wie die Entgegensetzung von Individualität und »Gesetz« – und in der dritten sind »beide Glieder,225 jedes Einheit und Gegensatz dieser Momente« (251, 252). Aber auch dieser dritten Gestalt gelingt es noch nicht, die Einheit zu verwirklichen. Sie kann die Einheit des Selbst in der Objektivität noch nicht als Aufhebung und Bewahrung der Individualität in einem gemeinsamen Handeln – bzw. »Werk« –erkennen, das die Gesetze und Kategorien des reinen Selbst zum Ausdruck bringt (vgl. o. S. 133 f.). Auch in den drei folgenden Gestalten des Vernunftkapitels, in denen das Selbstbewußtsein zur Erkenntnis der Einheit von Fürsichsein und 222 | kapitel iii
Ansichsein, Einzelheit und Allgemeinheit in der sittlichen Substanz fähig ist, gibt es Handlungserfahrungen, vor allem im Abschnitt über das »geistige Tierreich«. Anstatt dem jetzt weiter nachzugehen, soll gezeigt werden, daß auch in den geschichtlichen »Welten«, die das Geistkapitel darstellt, Erfahrungen in dem eben erörterten Sinn eine Rolle spielen.226 Am deutlichsten ist dies in der »sittlichen Handlung« der Fall, in der Hegel die Auflösung der die griechische Welt beherrschenden Sittlichkeit teils an den exemplarischen Handlungen der Tragödie, teils an geschichtlichen Tendenzen selber demonstriert. Obgleich »Handlung« in diesen Abschnitten also die Konfrontation sittlicher Prinzipien in »symbolischen« Handlungen oder in Zusammenhängen kollektiven Handelns bedeutet, ändert sich das Schema der Erfahrung nicht grundlegend: nach wie vor wird ein Maßstab durch »wirkliches Handeln« (309) geprüft und zerfällt in dieser Prüfung in widersprüchliche Momente. Die beiden Momente des Maßstabes der sittlichen Handlung, die Hegel in dem Abschnitt »sittliche Welt« expliziert, sind zwei verschiedene Weisen der Vermittlung von Einzelheit227 und Allgemeinheit, Selbstbewußtsein und »sittlicher Substanz«. Sie erscheinen dem Bewußtsein in der Gestalt des menschlichen und göttlichen Gesetzes. Das menschliche Gesetz, der in einem Gemeinwesen geltende und »existierende« Geist, in dem sich der Einzelne – als »Bürger« und Glied eines Volkes – aufgehoben weiß, ist mit dem göttlichen Gesetz, dem Geist der unmittelbaren, »bewußtlosen« Einheit der Familie, in der der Einzelne (als Familienmitglied) selbst Zweck sittlichen Tuns ist, in einer »natürlichen« Harmonie. Diese »ruhige Organisation« (304) der sittlichen Welt wird aber gestört (vgl. ebd.) durch die Handlung, in der sich das Selbstbewußtsein als Negativität, d. h. als Entscheiden und Unterscheiden manifestiert. Durch die »unmittelbare Entschiedenheit« (305) der sittlichen Handlung, durch ihre »einfache Richtung« auf das, was ihr als »Pflicht« erscheint, wird sie notwendigerweise zur einseitigen Verwirklichung ihres Maßstabes. Die »sittlichen Mächte«, die das handelnde Bewußtsein bestimmen, »erhalten die Bedeutung, sich auszuschließen und sich entgegengesetzt zu sein« (ebd.). Diesen Konflikt der sittlichen Mächte veranschaulicht nach Hegel die griechische Tragödie. Das Resultat der Erfahrungen, die in Sophokles’ »Ödipus« und »Antigone« dargestellt sind – wenn Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 223
man sie unter diesem Gesichtspunkt deutet –, ist der Triumph des menschlichen Gesetzes, der Polis und ihres Primats der Allgemeinheit, über das göttliche Gesetz. Der Gegensatz beider »Gesetze« entsteht aber innerhalb des »siegreichen« (vgl. 312, 313) Gemeinwesens selber, weil dieses auf die Familie und ihren Geist der Einzelheit einerseits angewiesen ist, und sich andererseits nur durch ihre »Unterdrückung« erhält: »Die negative Seite des Gemeinwesens, nach innen die Vereinzelung der Individuen unterdrückend, nach außen aber selbsttätig, hat an der Individualität seine Waffen.« (314) Der Konflikt innerhalb des menschlichen Gesetzes wird wiederum ausgelöst durch die »tätige« Verwirklichung der »Wahrheit« des Gemeinwesens (der Polis), durch die wirkliche Integration des Einzelnen in die Gemeinschaft und die Selbstdarstellung des Ganzen als Individualität, als Volk, das »andere Individualitäten … ausschließt und sich unabhängig von ihnen weiß« (ebd.). Die Selbstverwirklichung des Gemeinwesens im Kampf – nach innen wie nach außen – macht es von dem Moment der Einzelheit abhängig: der »tapfere Jüngling«, seine »natürliche Kraft« und der »Zufall des Glücks « tritt an die Stelle der »Weisheit des reifen Alters, das der Einzelheit … abgestorben, nur das Allgemeine denkt« (ebd. f.). Es scheint, daß Hegel an dieser Stelle die Rolle des Alkibiades in den peloponnesischen Kriegen im Auge hatte. Der Krieg lehrt aber nicht nur die Abhängigkeit der Polis von der natürlichen Einzelheit, sondern auch die Beschränkung der – als absolut angesehenen – Sittlichkeit auf ein bestimmtes, »individuelles« Volk. Das »Gleichgewicht« von Einzelheit und Allgemeinheit erweist sich als bedingt durch die »Natur« eines Volkes, durch seine natürliche und »daher beschränkte Individualität« (342). Auch in dieser Hinsicht zerfällt die prätendierte absolute Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit im Gesetz der Polis. Sie erweist sich als »unmittelbar«, natürlich, zufällig. Die Entlarvung der Unhaltbarkeit des Maßstabes der sittlichen Handlung führt eine neue Gestalt der Vermittlung von Allgemeinheit und Einzelheit herbei: ein »allgemeines«, über viele »Volksgeister« übergreifendes Gemeinwesen, dessen »Lebendigkeit« und Zweck die Individualität selber als allgemein anerkannte, als Rechtssubjekt ist (315). Dieser Erfahrung des Bewußtseins entspricht der Untergang der griechischen Welt im römischen Weltreich. 224 | kapitel iii
Das Geistkapitel der Phänomenologie enthält noch weitere Beispiele von Erfahrungen, die durch Handlungen »ausgelöst« werden. Oben (S. 112 f.) wurde schon die »wirkliche Handlung« des Gewissens erörtert, durch die ebenfalls ein Maßstab zu einer bloßen Meinung herabgesetzt wird. Hier kam es mir nur darauf an zu zeigen, daß die Methode der Erfahrung des Bewußtseins nicht nur eine »theoretische« Prüfung des Wissens ist, sondern – von den Anfangsstadien ihrer Entwicklung her – eine praktische Komponente besitzt. Sie erlaubt es Hegel, auch die Formen des praktischen Geistes, Handlungsweisen, Institutionen, ja selbst Geschichtsepochen, als Erfahrungen darzustellen. Aufgrund dieses Sachverhalts läßt sich die These von der einheitlichen Gültigkeit der Methode der Einleitung für das ganze Werk aufrechterhalten. Die so verstandene Erfahrung ist auch die Methode der praktischen Philosophie in der Phänomenologie des Geistes. 3. Die Bedeutung der Anerkennung für die Methode der praktischen Philosophie in der Phänomenologie Die Methode der Erfahrung des Bewußtseins, deren Anfänge in der praktischen Philosophie der Jenaer Systementwürfe von 1803/1804 und 1805/1806 liegen, wird in der Phänomenologie zur Methode einer systematischen Erfahrungsgeschichte. Die Phänomenologie zeigt, daß mit dieser Methode eine Kritik von Sitten, Normen und Institutionen durchführbar ist, die zugleich den Anforderungen einer historischen »Genese« und einer systematischen Darstellung entspricht. Im nächsten Kapitel komme ich darauf zurück (s. u. S. 228 ff.). Aber die Phänomenologie ist nicht selber die Ausführung eines solchen Systems. Und später hat Hegel die Erfahrung nicht mehr als Methode der systematischen Darstellung des objektiven Geistes aufgefaßt. Es läßt sich also nur hinsichtlich der »Elemente«228 einer praktischen Philosophie in der Phänomenologie nach der Bedeutung der Anerkennung für die Methode fragen. Wir haben oben erörtert, inwieweit die Struktur der Anerkennung, die auf der Notwendigkeit des Sich-Objektivierens, der Selbstanschauung im Anderen beruht, Voraussetzung für die Methode der »Bewährung« von SelbstgewißAnerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 225
heit im Handeln und durch die Reaktion der Anderen ist. Daß Maßstäbe des Handelns, Regeln und institutionelle »Definitionen« des Verhältnisses des Einzelnen zum Anderen und zum allgemeinen Geist, kritisierbar sind durch die Darstellung von Selbstprüfungen im Handeln, liegt am Wesen des menschlichen Bewußtseins, nur durch Anerkennungsprozesse seine »Identität« zu erreichen. Das Handeln mit und gegenüber Anderen ist als eine Prüfung darstellbar, weil es a) einen Maßstab »radikalisiert«, d. h. ohne Einschränkungen und Abschwächungen durch andere Handlungsprinzipien »entschieden« verwirklicht; b) diesen Maßstab zugleich für sich und andere expliziert, ihn im Handeln auseinanderlegt, seine Momente in ihrem Verhältnis und in ihren möglicherweise widersprüchlichen Konsequenzen offenlegt; c) die Fähigkeit einer Norm oder Institution, allgemeine Handlungsregel zu sein, also Handlungen verschiedener Subjekte zu vereinbaren, auf die Probe stellt. Das soziale Handeln bringt also das Verhältnis zwischen Handlungsprinzipien, zwischen den verschiedenen Momenten eines Prinzips und ihren Konsequenzen, und schließlich zwischen dem Prinzip und den von ihm bestimmten Handlungen verschiedener Subjekte zum Vorschein. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob auch in der Phänomenologie der teleologische Prozeß des Anerkennens den Übergang von einer »geprüften« Institution zur systematisch folgenden bestimmt. Die Phänomenologie ist die Darstellung einer Erfahrungsgeschichte. Man muß aber, wie gesagt, unterscheiden zwischen der Erfahrung, die das Bewußtsein »macht«, und der Erfahrung als dem notwendigen Zusammenhang der Bewußtseinsgestalten, die nur dem Philosophen einsichtig ist. Für die erstere gilt, daß die verschiedenen Versuche, die »Wahrheit« des Selbstbewußtseins, sein richtiges Verhältnis zum anderen Selbst und zu der sittlichen Substanz eines Gemeinwesens zu bestimmen, als Stufen eines Anerkennungsprozesses zu verstehen sind – und auch vom erscheinenden Wissen mehr und mehr so verstanden werden. Dies ist bei der Interpretation des »Inhalts« der Anerkennung in der Phänomenologie schon deutlich geworden (s. o. S. 108 ff. u. 131 ff.). Die Gestalten des praktischen Bewußtseins sind insofern durch die sich in ihnen zunehmend realisierende Anerkennung in einen notwendigen Zusammenhang gestellt. Aber dieser Zusammenhang wird in der Phänomenologie unterbrochen durch Selbstprüfungen theore226 | kapitel iii
tischer Wissensweisen, und er steht zudem unter einer besonderen Bedingung: das Bewußtsein einer bestimmten Bildung, der »Reflexionskultur« (vgl. W. Marx 1971) der Zeit Hegels, zum absoluten Wissen zu führen. Daß der Zusammenhang der dazu erforderlichen Bewußtseinsgestalten ein notwendiger und »vollständiger« ist, liegt daran, daß der Philosoph die in der Erfahrung wirksamen logischen Kategorien als »Selbstbewegungen« erkennt, die sich zu einem systematischen Ganzen zusammenschließen – nur dann kann die »Selbstkritik« des nichtwissenschaftlichen Bewußtseins schon den Anforderungen des spekulativen Wissens an »Wissenschaftlichkeit« genügen. Die Einsicht in die Bedeutung und den Charakter der logischen »Wesenheiten« muß allerdings dem erscheinenden Wissen im Verlauf seines Erfahrungsprozesses selber zunehmend durchsichtig werden, wenn die Phänomenologie zugleich »Leiter« für das nichtspekulative und Rechtfertigung des spekulativen Wissens sein soll. Trotz dieses Doppelcharakters des phänomenologischen Erfahrungsprozesses bedeutet die Tatsache, daß ihre Wissenschaftlichkeit im Grunde allein in der Bewegung der logischen Kategorien besteht, auf der anderen Seite, daß der Bildungs- und Erfahrungsprozeß – und damit auch die Bewegung der Anerkennung – nicht notwendig zum System des sich selbst darstellenden und begreifenden Geistes gehört. Wenn das absolute Wissen seine Rechtfertigung gegenüber anderen Wissensweisen »hinter sich« hat, ist es von der Erfahrung des Bewußtseins unabhängig.229 Folgerichtig hat Hegel später die Philosophie des Geistes nicht mehr als eine Erfahrungsgeschichte dargestellt. Damit fällt auch die Darstellung der historischen Genese von Institutionen als ein Erfahrungsprozeß aus der Konzeption des objektiven Geistes als eines Systems »vernünftiger« Institutionen heraus. Für dieses System wird ebenfalls die Bewegung der Begriffe maßgeblich, die sich – nachdem der geschichtliche Bildungsprozeß des Geistes einmal durchschaut ist – im erfahrungs- und geschichtsunabhängigen Element des »reinen Wissens« darstellen läßt. Statt dieser Richtung des Hegelschen Denkens zu folgen, möchte ich im nächsten Kapitel die in der Phänomenologie deutlicher gewordene Einheit von Anerkennungs- und Erfahrungsbewegung als Prinzip einer systematischen Darstellung und historischen Genese vernünftiger Institutionen erörtern. Anerkennung und Erfahrung des Bewußtseins in der PhdG | 227
IV. Praktische Philosophie, Geschichtsphilosophie und Sozialisationstheorie Nach dem Prinzip Anerkennung (I) ist die Bedeutung dieses Prinzips für die Entstehung der praktischen Philosophie Hegels in Jena (II) untersucht worden. Es zeigte sich, daß Hegel ähnlich wie die gegenwärtige Philosophie um die Wiederherstellung einer praktischen Philosophie im umfassenden Sinne der aristotelischen Tradition bemüht ist. Ich sehe aber die Bedeutung der praktischen Philosophie Hegels für die Gegenwart nicht nur in dieser »Rehabilitierungs«Parallele, sondern vor allem in drei systematischen Aufgaben, zu deren Lösung er einen wichtigen Beitrag leistet: der Darstellung eines Systems der Institutionen, die eine gegenwärtige »Kultur« bzw. »Sittlichkeit« bestimmen (IV, 1), der Darstellung einer Bildungsgeschichte des Bewußtseins (IV, 2) und einer historischen Genese von Institutionen (IV, 3). Ich möchte im Folgenden die Leistung des Prinzips Anerkennung für Hegels Lösung dieser Aufgaben erörtern. Dabei wird – vor allem was Bildungsgeschichte und Sozialisationstheorie angeht – vorab zu fragen sein, ob die von mir behauptete Analogie überhaupt besteht. Vor vorschnellen Aktualisierungen sollte man sich gewiß ebenso hüten, wie vor übergroßer Vorsicht, Hegel unter Gesichtspunkten gegenwärtiger Philosophie und Wissenschaft zu betrachten. 1. Anerkennung und »System der Institutionen« Die gegenwärtige Philosophie ist wie Hegel bemüht, eine systematische Grundlage für Theorie und Kritik der Gesellschaft und ihrer Institutionen zu finden (s. o. S. 67 ff.). Vernunft- und Moralprinzipien werden aufgestellt, um eine wissenschaftliche »Kulturkritik« vorzubereiten. Ideale Maßstäbe guten Lebens, die wir in der »normalen« Kommunikation voraussetzen müssen, sollen dazu dienen, gerechte Sozialbeziehungen begründet von ungerechten zu un228 | kapitel iv
terscheiden. Das System der herrschenden Normen soll auf seine Genese hin befragt werden, die als »normative Genese« oder als »Logik« der »Moralsysteme« (Habermas 1973a) Aufschluß über die Vernunft herrschender Normen und Institutionen geben soll. Was bedeutet nun bei Hegel selber »System der Institutionen«? Nach Hegels Begriff von »System«, wie er ihn in der Differenzschrift und im Naturrechtsaufsatz in der Auseinandersetzung mit Fichte konzipiert hat, kann es nicht darum gehen, eine Reihe von fundamentalen Prinzipien der Vernunft oder der Moral aufzustellen und aus ihnen Institutionen zu deduzieren oder die »herrschenden« Institutionen mit solchen »abstrakten« Prinzipien zu kritisieren. Das Prinzip einer systematischen Darstellung der Institutionen muß selber eine sich entfaltende Totalität von Momenten sein, die in sich den Grund dafür enthalten, weshalb eine jeweilige Stufe des Systems mit Notwendigkeit zur nächsten Stufe übergeht. Um was für Institutionen handelt es sich in Hegels praktischer Philosophie und wie sind sie miteinander zu einer notwendigen Folge verbunden? Die drei Hauptstufen des Hegelschen Systems der praktischen Philosophie enthalten a) Institutionen im Sinne aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen, durch die soziale Beziehungen selbstbewußter Wesen erst zustande kommen (Arbeit, Familie, Zweikampf); b) Institutionen als Regeln des Zustandekommens oder Vollzugs eines gemeinsamen, allgemein »zustimmungsfähigen« Willens (Eigentum, Vertrag, Strafgesetz, Rechtsprechung etc.); c) Institutionen im Sinne von Einrichtungen einer Gemeinschaft und ihrer Gruppen, die deren Selbstverständnis in bezug auf die gemeinsame Lebensweise und die Lösung gemeinsamer Aufgaben zum Ausdruck bringen (ständische Verhaltensregeln und Gremien zu ihrer Durchsetzung, Regierung, »Zweige der Gewalten« [GW 8, 277] und deren Verfahrensweisen). Sowohl diese drei Stufen wie die auf ihnen nacheinander abgehandelten Institutionen stellen »Stationen« einer Bewußtseinsentwicklung dar, die über das Sich-Finden in einer unmittelbaren Gemeinschaft und das Bewußtsein der Freiheit reinen Fürsichseins zum Bewußtsein der Verwirklichung dieser Freiheit in dem – durch vernünftige Sitten und gesetzlich festgelegte Institutionen geregelten – Leben eines Volkes verläuft. Um genau zu sehen, wie diese Folge von Institutionen und Entwicklungsstufen Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 229
des Bewußtseins in Hegels praktischer Philosophie durch das Prinzip der Anerkennung zu einem System verbunden werden, müssen wir uns noch einmal den Texten zuwenden. Zum zentralen Prinzip der praktischen Philosophie wird die Anerkennung – so haben wir oben (S. 188 ff.) gezeigt – erst in der Geistphilosophie von 1805/1806. Was Anerkennung für das System der Institutionen in den früheren Schriften bedeutet, sei daher nur kurz zusammengefaßt. Im System der Sittlichkeit liegt diese Bedeutung darin, daß Anerkennung die Institutionen der »natürlichen Sittlichkeit« unter dem Gesichtspunkt der Bildung der Person als »reiner«, aber auf einander als einzelne bezogener, untereinander verbindet. Die gemeinsame Arbeit und die öffentliche Kommunikation (Sprache als Rede) stellen in der ersten Potenz der natürlichen Sittlichkeit Formen des Anerkennens dar, in denen die Individuen ihr »Inneres« fixieren und ausdrücken, zugleich aber die Allgemeinheit von Regeln und Traditionen dem Anderen gegenüber zur Geltung bringen können. In der zweiten Potenz wird im Erkennen und Anerkennen des Anderen als Person, die zur Abstraktion von allen natürlichen Bestimmtheiten (Eigenschaften, Motiven) fähig ist, bereits die Einsicht in die Identität aller erreicht – aber ohne damit das »Princip der Einzelnheit« zu überwinden. Eigentum, Recht und Tausch sind als Stufen dieses Anerkennens bestimmt, die aber die Gleichheit der Person und die Verschiedenheit der Individuen und ihrer natürlichen Beziehungen nicht zu vermitteln vermögen. Dies geschieht erst in der Familie, in der sich die Individuen durch ihre Besonderheit hindurch als Person anerkennen. Der Zusammenhang der natürlichen Sittlichkeit, der reinen Freiheit (des »Verbrechens«) und der absoluten Sittlichkeit wird aber im System der Sittlichkeit nicht durch die Bewegung des Anerkennens hergestellt. Anstelle des späteren Kampfes um Anerkennung wird im zweiten Teil des Systems noch eine Folge von Formen des Kampfes und Verbrechens dargestellt – bis zur Familienrache und zum Krieg in dem sich die Selbstnegation der abstrakten Einzelheit vollendet und der Übergang zur absoluten Sittlichkeit vorbereitet ist.230 Vom Systementwurf von 1803/1804 gilt das Gegenteil: die Bewegung des Anerkennens bestimmt jetzt die entscheidenden »Übergänge« im System der praktischen Philosophie, aber Hegel zeigt nur in Andeutungen, wie sich Anerkennung in den verschie230 | kapitel iv
denen Institutionen mehr und mehr verwirklicht. Weil der »Übergang« vom individuellen Selbstbewußtsein zur »totalen« Freiheit der Einzelheit – in Liebe, Familie und Kampf – sowie derjenige von der Totalität der Einzelheit zur absoluten Sittlichkeit (die durch den Kampf ausgelöste Reflexion des Bewußtseins) als Anerkennungsbewegung dargestellt werden, ist diese bereits Prinzip der Einheit des Systems. Aber sie ist noch nicht als teleologische Bewegung der Selbstverwirklichung in der gesamten Folge der Institutionen des Systems konzipiert. Dies ist erst in der Geistphilosophie von 1805/1806 der Fall. Aber inwiefern ist in ihr »Anerkennung« Prinzip für das System der Institutionen? Zunächst einmal ist doch die Geistphilosophie ein teleologischer Stufengang des sich in Schlüssen entfaltenden und begreifenden Geistes – in Schlüssen, die zugleich für das sich zum Geist erhebende Selbstbewußtsein Erfahrungsschritte sind. Einheitsstiftend für das »System« der Geistphilosophie sind offenbar die »Strukturen« des Schlusses, der Erfahrung und der Teleologie. Wie verhält sich zu diesen Strukturen die Bewegung der Anerkennung? Auf die Bedeutung der Anerkennung für Hegels Konzeption des spekulativen Schlusses habe ich schon hingewiesen (o. S. 201). Jetzt möchte ich zeigen, inwiefern die Folge der Institutionen zugleich eine solche der Schlüsse und der Anerkennungsschritte ist. Die Darstellung der Formen des praktischen Geistes beginnt mit dem zweiten Abschnitt des ersten Teils der Geistphilosophie, der unter dem Titel »Willen« steht. In diesem Abschnitt hat Hegel die Darstellungsweise des Schlusses – die zugleich die Bewegungsweise des sich in seinem Anderssein mit sich selbst zusammenschließenden Selbst ist – am deutlichsten angewandt. Wir haben oben (S. 200) gesehen, daß Hegel auch die vorausgehende Entwicklung der Intelligenz schon als Schluß dargestellt hat. Wie diese ist der Wille als Tätigkeit des Sich-Unterscheidens bestimmt. Der Wille – sowohl der des Individuums wie der einer Gemeinschaft – artikuliert dabei aber seinen eigenen Inhalt, denn er ist von vornherein als ein Ganzes von Unterschieden bestimmt: als Zweck seiner selbst ist er Allgemeines, als Tätigkeit Einzelnes und als Trieb zur Verwirklichung die »Mitte dieser beiden« (GW 8, 202). Die Bewegung der Selbstartikulation des Willens ist also ein Prozeß des SichEntzweiens in Unterschiede, die aus ihm selber stammen, und des Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 231
Vermittelns bzw. Zusammenschließens dieser Unterschiede: eine Folge von Schlüssen. Der erste Schluß legt die Unterschiedenheit des Willens in sich selber dar. Der zweite ist eine selbsttätige Unterscheidung des Willens im Sinne einer Vergegenständlichung seiner Mitte, des Triebes, im Werkzeug – der ersten »Institution«, die so aus der Schlußbewegung des Willens entwickelt wird. Die im Werkzeug erreichte Einheit der Momente des Willens entzweit sich wieder – und zwar in zwei verschiedene Charaktere, den männlichen und den weiblichen. Der Schluß, der beide zusammenschließt, ist die Liebe. Die Liebe, »das Anerkanntseyn, ohne Gegensatz des Willens« (218), ist ein Schluß, dessen Extreme »jedes der ganze Schluß« (ebd.) sind. Wie oben (S. 59) erörtert, beziehen sich männlicher und weiblicher Charakter aufeinander als Einzelheit und Allgemeinheit, um im geliebt Werden die Erfahrung zu machen, daß »jedes darin dem anderen gleich« ist, »worin (es) ihm entgegengesetzt« ist (209). Diese Erfahrung verlangt aber eine Vergegenständlichung der Liebe selber in der Familie – einem Zusammenschluß von »Mitten« (Ehe, Familienbesitz, Kind), durch den das Selbst sich im Anderen als Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit, Trieb und Wissen, Selbständigkeit und Außersichsein etc. erfahren kann. Die Familie ist die aus dem Schluß der Liebe – dem ersten Element der Anerkennung – selber entwikkelte Institution. Der Schluß der Liebe muß aber in einen Schluß »mit Gegensatz des Willens« übergehen: den Kampf um Anerkennung. Den zweiten und dritten Teil der Geistphilosophie hat Hegel nicht mehr ausdrücklich als eine Folge von Schlüssen gekennzeichnet. Gleichwohl bleibt die Folge der Institutionen, die diese Teile darstellen, durch die Bewegung des Sich-Unterscheidens des Willens – jetzt des »intelligenten«, sich wissenden, allgemeinen Willens – in die Extreme der Einzelheit und der Allgemeinheit gekennzeichnet. Und durch die Erfahrung, daß jedes der Extreme sowohl die Unterschiedenheit wie die Einheit seiner selbst und seines Gegensatzes – der »ganze Schluß« – ist. Im ersten Kapitel des »wirklichen Geistes« – dem »Anerkanntsein« – spricht Hegel noch einmal ausdrücklich von einem »Urtheil«, das die »Abstractionen« des Gesamtprozesses der gesellschaftlich geteilten Arbeit einander »gegenüberstellt« (vgl. 225). Diese Abstraktionen – die spezialisierten, 232 | kapitel iv
auf die »besonderen Bedürfnisse« bezogenen Arbeitsvorgänge – stellen zwar für sich schon eine Einheit von Einzelheit (Tätigkeit, »Fürsichsein«) und Allgemeinheit (Funktionen des Ganzen) dar, müssen aber in den ökonomischen Institutionen – im Wert, in dessen Vergegenständlichung im Geld, sowie dessen »Rückkehr zur Concretion« (ebd.) im Tausch – wieder zusammengeschlossen werden. Der Tausch ist die Bewegung des Sich-Anerkennens durch die wechselseitig vermittelte Negation des Andersseins bzw. des gegenständlichen Seins: »Jedes gibt selbst seinein Besitz, hebt sein Daseyn auf« und ist daher das »Negirende seines Seyns … vermittelt durch das Negiren des anderen« (226). Er wiederholt also den Schluß des Kampfes auf der Ebene des allgemeinen Willens. Daß sich die Schlüsse der Liebe und des Kampfes sowohl im »Anerkanntsein« wie im »gewalthabenden Gesetz« wiederholen, haben wir schon gesehen (o. S. 123 f.). Die Darstellung der ökonomischen sowie der privat- und strafrechtlichen Institutionen erfolgt mithin ebenfalls am Leitfaden der sich in Schlüssen vollziehenden Anerkennungsbewegung. Und schließlich sind auch die Institutionen der Staatsverfassung als Stufen eines Prozesses entwickelt, in dem sich das reine Fürsichsein des Individuums und der Geist der Gemeinschaft jeweils im Anderen als Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit anschauen bzw. anerkannt wissen. Es zeigt sich also, daß der Gedanke der Anerkennung nicht nur für die Schlußtheorie der Geistphilosophie (1805/06) von Bedeutung ist. Vielmehr läßt sich der Anerkennungsprozeß selber als eine Folge von Schlüssen darstellen. In diesen Schlüssen aber entfaltet Hegel das System der Institutionen, das seine praktische Philosophie ausmacht. Daß auch die beiden anderen Elemente, auf denen die Einheit dieses Systems beruht, Erfahrung des Bewußtseins und Teleologie, mit dem Anerkennungsprozeß zusammenstimmen, ist leicht zu sehen. Wie Anerkennung und Erfahrung zusammenhängen und wie weit bereits die Geistphilosophie von 1805/06 von der Methode der Erfahrung des Bewußtseins Gebrauch macht, haben wir im Kapitel über die Phänomenologie (s. o. S. 220) zu zeigen versucht. Offenbar ist es die Notwendigkeit des Selbst, sich mit dem Selbstverständnis eines Anderen zu vermitteln, die es in Erfahrungen treibt. Aber wie steht es mit der Erfahrbarkeit von Anerkennung selber? Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 233
Es gilt ja nicht für alle Interaktionsformen, daß sie ausdrücklich und bewußt Anerkennung bezwecken. Nur im Kampf um Anerkennung ist dies ausdrücklich das »Motiv« des Willens. Aber auch im Recht ist das »Anerkanntsein« erfahrbar. Und wenn es im Vertragsbruch und Gesetzesbruch (Verbrechen) um die Geltung des einzelnen Willens als dem allgemeinen Willen äquivalent geht (vgl. GW 8, 234), dann ist offenbar auch hier Anerkennung Zweck und Gegenstand des Bewußtseins – mögen auch oberflächlichere Zwecke im Vordergrund stehen. Wie sich freilich Anerkennung in den verschiedenen Institutionen stufenweise realisiert, ist selber nur »für uns« zu verfolgen. Was für uns die Institutionen verbindet, ist die Realisierung des »wahren« Verhältnisses des Bewußtseins zum anderen Individuum und zum »Ganzen«, die zwar dem dargestellten Bewußtsein zunehmend erfahrbar wird, aber nicht als Anerkennungsstufen, sondern als Geliebt-Werden, als RespektiertWerden in Rechtsverhältnissen, Vertragsbeziehungen, Standeszugehörigkeiten etc. Insofern sich das Bewußtsein aber in solchen »Verhältnissen« zum Begreifen seiner selbst als Geist bildet, erfährt es zunehmend, was Anerkennung bedeutet – denn darin besteht sein geistiges Sein (vgl. 222). Damit ist zugleich offenkundig, daß Anerkennung ein teleologisches Prinzip ist. Darin, daß jede Bewußtseinsstufe nur Momente ihrer Gesamtstruktur enthält, liegt ein »Mangel«, der die Notwendigkeit des Übergehens zur nächsten Stufe begründet: das Anerkennen ohne Selbständigkeit des Willens (Liebe) muß übergehen in das Anerkennen solcher, die sich einander als absolut selbständig erweisen (Kampf). Das Anerkennen des Selbst als Negation des Anderen muß übergehen in ein Anerkennen der Negation des eigenen Andersseins etc. Das Telos dieses Prozesses ist erreicht, wenn sich einzelnes Selbst und allgemeiner Geist wechselseitig als Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit anerkennen. Dazu sind die auf den »überwundenen« Anerkennungsstufen entwickelten Institutionen notwendig. Sie müssen aber einbezogen werden in eine »Konstitution«, in der sowohl das absolute »Insichsein« wie die Teilnahme am Leben des Standes und Volkes ermöglicht wird – und in der der Geist des Ganzen sich in einer von seinen partikularen »Kräften« freien Spitze selber als Einzelheit darstellt (Regierung, Monarch etc.). 234 | kapitel iv
Das Prinzip Anerkennung, soviel läßt sich der Geistphilosophie von 1805/06 entnehmen, »organisiert« also das System der Institutionen in einem teleologischen Prozeß, der sich als eine Folge von Schlüssen und zugleich von Erfahrungsschritten darstellt. Ob dieses System die vernünftigen Institutionen schlechthin oder nur die Institutionen eines historisch gewordenen »Zeitgeistes« enthält, ob die Darstellung nur ein Zusammenstellen solcher Institutionen oder auch eine Kritik »überlebten« gesellschaftlicher Regeln und Einrichtungen enthält – diese Fragen sollen im übernächsten Abschnitt erörtert werden. Zum Schluß dieses Abschnittes möchte ich die Bedeutung des Prinzips Anerkennung für die praktische Philosophie Hegels in Jena noch einmal aus der Perspektive der gegenwärtigen praktischen Philosophie formulieren: Es liegt am »Gehalt« und am »Prinzipiencharakter« der Anerkennung, daß Hegel das Problem des richtigen Handelns und der Freiheit des Willens zusammen mit der Frage des »guten Lebens« einer Gemeinschaft und der Gerechtigkeit von Staatsverfassungen in einem System behandelt, in dem alle Formen des »geregelten« Handelns bzw. alle Institutionen, die für die Verwirklichung von Freiheit notwendig sind, als eine notwendige Folge dargestellt werden: von der unmittelbaren Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur (Arbeit) und der unmittelbaren Vereinigung mit dem Anderen (Liebe) bis zu den Verfassungseinrichtungen eines Staates. Die Notwendigkeit dieser Folge liegt nicht in ihrer Ableitbarkeit aus Grundprinzipien und beruht auch nicht auf der Einsicht in die »historische« Logik von »Moralsystemen«. Ihr Grund ist auch nicht der besondere Charakter eines bestimmten Volksgeistes oder einer Epoche der Geschichte. Vielmehr ist diese Notwendigkeit darin begründet, daß sich die Folge der Institutionen als Folge von Entwicklungsstufen des einzelnen und allgemeinen Bewußtseins – in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit – begreifen läßt und daß die »Bewegungsform« dieser Entwicklung die Anerkennung ist. Anerkennung ist die Bewegung des Selbstbewußtseins, sich im Anderen anzuschauen und dadurch sich selbst als Individuum und als Moment des allgemeinen Bewußtseins zu erkennen. Diese Bewegung hat, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, bestimmte »formale« Züge: »selbstlose« Vereinigung, »Rückzug« aus der unmittelbaren distanzlosen Einheit in die Selbständigkeit, Aufgabe des Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 235
Absolutheitsanspruchs der ausschließenden Einzelheit zugunsten des gemeinsamen Willens und Einsicht in die Identität des allgemeinen Geistes mit dem reinen Fürsichsein. Diese Grundzüge der Anerkennung werden aber von Hegel keineswegs als ein abstraktes Axiomensystem der »Deduktion« der Institutionen zugrunde gelegt. Sie zeigen sich nur in der Folge der Institutionen. Aber zugleich ist diese Folge nur als Verwirklichung von Anerkennung verständlich. Das Ziel der vollendeten Anerkennung bestimmt sie von Anfang an. Sind dann die Institutionen der Familie, des Rechtes und des Staates, wie Hegel sie entwickelt, ideale Einrichtungen einer utopischen Gesellschaft, in der sich erst der absolute Geist zur Darstellung bringen kann? Oder will Hegel durch die Darstellung des Systems der Institutionen angeben, welche der vorhandenen, historisch gewordenen Institutionen als vernünftig anzusehen sind und welche nicht? Vernünftig ist für Hegel nur, was wissenschaftlich, d. h. in Gestalt eines Systems, darstellbar ist. Das Prinzip, das ein solches System darzustellen erlaubt, ist daher zugleich der Maßstab der Vernünftigkeit von Institutionen. Dieses Prinzip ist die Anerkennung als der Prozeß der Bildung des Bewußtseins zum Geist. Institutionen, die als Bedingungen dieses Bildungsprozesses aufgefaßt werden können, sind »vernünftig«. Aber was meint der Begriff der »Bildung« in diesem Zusammenhang? Die »Sozialisation« eines Individuums, das durch das Erlernen bestimmter Rollen seine soziale »Identität« gewinnt? Oder die Genesis des Geistes eines Volkes in der historischen Entwicklung seiner Institutionen? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, inwieweit Hegel mit gegenwärtigen Versuchen der praktischen Philosophie verglichen werden kann, die »gelungene« Sozialisation oder die historische Genese von Normensystemen zur Grundlage der Gesellschaftskritik zu machen. 2. Anerkennung und Sozialisationstheorie Die Folge der Institutionen in Hegels praktischer Philosophie in Jena kann, so haben wir gesehen, als eine teleologische Realisierung von Anerkennung verstanden werden. Sie ist bestimmt durch den Prozeß der Bildung eines vernünftigen, freien Selbstbewußtseins. 236 | kapitel iv
Die Institutionen eines Staates können als Bedingungen eines Bildungsprozesses des Bewußtseins verstanden und am Maßstab eines »richtigen« Verhältnisses von Einzel und Allgemeinwille gemessen werden. Versuche, Institutionen am Maßstab der von ihnen ermöglichten Bildungs- bzw. Sozialisationsprozesse zu messen, werden auch in bestimmten Richtungen der Sozialwissenschaften und der praktischen Philosophie der Gegenwart unternommen. Bis heute ist es aber von diesen Ansätzen aus noch nicht zu einer systematischen Theorie der Institutionen gekommen. Dies liegt nicht zuletzt am Begriff der Sozialisation, der zwar sowohl die Integration des Individuums in ein (offenes) System von Handlungsregeln bzw. Institutionen wie den Konflikt des Individuums mit solchen Regeln umfaßt, aber nicht das Zustandekommen und den Wandel von Institutionen, wie das Prinzip der Anerkennung (s. u. IV. 3). Institutionen erscheinen daher in Sozialisierungstheorien meist als äußere Bedingungen, die man gegebenenfalls verändern muß – ohne daß diese Veränderung selbst als Wechselwirkung von individuellem und allgemeinem Willen, d. h. als Anerkennungsprozeß verstanden wird. Der Versuch, Hegels Theorie der Anerkennung mit sozialisationstheoretischen Ansätzen zu vergleichen, ist also nicht bloß philosophiegeschichtlich reizvoll, sondern auch – so scheint mir – nutzbringend für die gegenwärtige praktische Philosophie. Er ist allerdings nicht ohne Probleme durchzuführen. Zum einen, weil die Begriffe, Methoden, Theorien der Sozialisationsforschung so zahlreich geworden sind, daß es keinen eindeutig identifizierbaren Bezugspunkt für diesen Vergleich in den gegenwärtigen Sozialwissenschaften gibt. Zum anderen, weil geprüft werden müßte, ob Hegels Begriff der Bildung des Bewußtseins überhaupt etwas mit den empirisch erfaßbaren individuellen Sozialisationsvorgängen zu tun hat. Statt eines allgemeinen Vergleichs zwischen Anerkennung und Sozialisationstheorie möchte ich im folgenden an einen schon vorliegenden Versuch anknüpfen, zwischen beiden eine Beziehung herzustellen. Jürgen Habermas hat im Rahmen einer Theorie der institutionellen Bedingungen vernünftiger Identitätsbildung mehrfach auf Hegel verwiesen (1971, 193; 1974, 29). Er hat aber weder die methodischen Voraussetzungen einer solchen Bezugnahme erörtert, noch eine eigene Interpretation der für Hegels AnerkennungsPhilosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 237
theorie relevanten Texte vorgelegt. Es ist also nötig, seinem Versuch eine breitere Basis zu geben. Im Folgenden soll zunächst Habermas’ eigener Ansatz einer kritischen Sozialisationstheorie kurz dargestellt und dann geprüft werden, ob Habermas sich für sein Konzept der gelungenen Sozialisation zu Recht auf Hegel berufen kann. a) Sozialisation und Bildungsgeschichte des Selbstbewußtseins Habermas’ Auffassung von Sozialisation ist eine kritische »Erweiterung« (1973b, 124) der rollentheoretischen Konzeption, wie sie vor allem von Talcott Parsons entwickelt wurde. Parsons definiert Sozialisation als »a process of learning through which an individual is prepared, with varying degrees of success, to meet requirements laid down by other members of society for his behavior in a variety of situations … These requirements are always attached to one or another of the recognized positions or statuses in this society … The behavior required of a person in a given position or status is considered to be his prescribed role.« (Parsons 1951, 207 f.) Um den Gefahren eines unkritischen Verständnisses von Sozialisation als Integration in bestehende Rollensysteme zu entgehen, die »Tendenzen individueller Normabweichung« nur als »Produkte von fehlgesteuerten Sozialisationsprozessen« begreift,231 setzt Habermas anstelle des Rollen übernehmenden und Erwartungen erfüllenden Individuums das »potentiell handlungsfähige Subjekt«, das gerade durch Distanz zu seinen Rollen ausgezeichnet ist. Ziel des Sozialisationsprozesses ist nicht das reibungslos integrierte, sondern das handlungsfähige, autonome Subjekt. Von diesem Maßstab aus entwickelt Habermas folgende Kriterien zur Beurteilung der diesen Prozeß bedingenden Institutionen: Die gesellschaftlichen Institutionen bzw. »Rollensysteme« sind »nach dem Grad ihrer Repressivität, dem Grad ihrer Rigidität und der Art der von ihnen auferlegten Verhaltenskontrolle zu unterscheiden« (127 f.). Das Maß der Repressivität ist dabei das »institutionell festgelegte Verhältnis der hergestellten Komplementarität der Erwartungen« – die allein von der wechselseitigen Rollenbeherrschung abhängt – und der »erlaubten Reziprozität der Befriedigung«, die demgegenüber davon abhängt, 238 | kapitel iv
»wie weit die beteiligten Partner sich wechselseitige Reziprozität der Befriedigung vorenthalten« bzw. »ein Teil den anderen ›ausbeutet‹« (125). Maß der Rigidität ist der institutionell gewährte Spielraum der Interpretation von Rollen. Da Institutionen selber als Rollensysteme bzw. als Systeme »normierter Verhaltenserwartungen« verstanden werden können, kommt es darauf an, daß die Rollen »locker definiert« (126) sind, so daß die Individuen, »indem sie eine soziale Rolle übernehmen, zugleich sich als unvertretbare Individuen darstellen können« (ebd.). Ein solcher Spielraum »spontaner Ich-aktivität« muß schließlich – und das betrifft die gesellschaftliche Verhaltenskontrolle – nicht nur hinsichtlich der Interpretation der Rolle, sondern auch hinsichtlich ihrer Internalisierung bestehen. Unfreiheit würden Institutionen erzeugen, die eine quasi automatische, durchgängige Erfüllung der normierten Rollen verlangen, die also keine Distanzierung des Subjekts von seiner Rolle und keine flexible Anwendung von Verhaltensregeln zulassen. Formuliert man diese Maßstäbe »auf der Ebene der Persönlichkeitsstruktur« (128), so kann man sagen, daß die Institutionen und Normen das Individuum in die Lage versetzen müssen, »Rollenambivalenzen bewußt zu ertragen, eine angemessene Repräsentation des Selbst zu finden und verinnerlichte Normen auf neue Lagen flexibel anzuwenden« (131). In einer Gesellschaft, in der es solche Institutionen gibt, können Individuen eine »vernünftige Identität« entwickeln. Wenn Habermas nun diesen Prozeß einer »gelungenen« bzw. vernünftigen Identitätsbildung mehrfach mit der Theorie der Anerkennung in Verbindung bringt, so ist für ihn entscheidend, daß Hegel die Identität des Ich ebenfalls als das »paradoxe Verhältnis« begriffen habe, daß das Ich »als Person überhaupt mit allen anderen Personen gleich, aber als Individuum von allen Individuen schlechthin verschieden ist« (1974, 30 f.). Die wechselseitige Behauptung und Zustimmung zu dieser Verschiedenheit liegt im Begriff der Anerkennung: »Zugleich fordert aber das Verhältnis der Gegenseitigkeit der Anerkennung auch die Nicht-identität des einen und des anderen; beide müssen sogar ihre absolute Verschiedenheit behaupten, denn Subjekt zu sein schließt den Anspruch auf vollständige Individuierung ein.« (1971, 193) Eine solche vollständige Individuierung ist das, was die kritische Sozialisationstheorie in der Forderung ausdrückt, daß Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 239
das Individuum »seine Identität sozusagen hinter die Linien aller besonderen Rollen und Normen zurücknehmen kann« und daß es »sich und seine Interaktionen in einer unverwechselbaren Lebensgeschichte zu organisieren« versteht (1974, 30). Im Hinblick auf die obengenannten drei Kriterien (Repressivität, Rigidität, Verhaltenskontrolle) liegt also in der Anerkennung offenbar eine positive Formulierung vor allem des zweiten und dritten Kriteriums vor. Ich möchte im Folgenden daher zunächst untersuchen, ob Hegels Anerkennungskonzept tatsächlich auf die Bildung und Darstellung einer so gefaßten Individualität gerichtet ist. Aber kann man Hegels Anerkennungstheorie überhaupt unter sozialisationstheoretischen Aspekten betrachten? Geht es hier nicht um »Bewußtsein überhaupt«, um einen philosophischen Begriff des Selbst – und nicht um eine Theorie empirischer Lern- und Reifungsprozesse von Individuen? Hegel behandelt in den Jenaer Systementwürfen Lernprozesse, in denen Individuen die Kompetenz zum Rollenhandeln erwerben, allenfalls am Rande – so etwa im System der Sittlichkeit die wechselseitige Bildung der Individuen durch Arbeit oder in allen Entwürfen die Bedeutung der Erziehung für das Bewußtsein des Kindes. Die Bildungsgeschichte, die die Geistphilosophie darstellt, betrifft aber nicht den Sozialisationsprozeß eines Individuums, sondern, wie wir gesehen haben, die Reflexionsstufen des Bewußtseins überhaupt, das nur auf bestimmten Stufen Formen des individuellen Bewußtseins entspricht. Die Folge dieser Reflexionsstufen läßt sich als ein System von Institutionen darstellen, dessen notwendiger Zusammenhang auf der schrittweisen Vermittlung der Einzelheit und Allgemeinheit des Selbstbewußtseins beruht. Zur Sequenz der Reflexionsstufen des Bewußtseins gehört aber auch der Prozeß der Bildung eines Bewußtseins der Individualität und der Einsicht in das vernünftige Verhältnis dieser Individualität zum Ganzen eines Volkes. Die prinzipielle »Rolle« der Individuen als solcher – ihr Verhalten zueinander und zum Ganzen – wird also von Hegel durchaus bestimmt. Und zwar nicht deduktiv, sondern in einer Folge von Interaktionsformen (Liebe, Kampf, Recht, Tausch etc.), deren gemeinsame, sich von Stufe zu Stufe weiter realisierende Struktur als »Anerkennung« bezeichnet wird. Die »Erfahrungen« mit solchen Interaktionsformen, die Hegel darstellt, sind aber nicht 240 | kapitel iv
Erfahrungen, die Individuen mit ihren Rollen machen, sondern Stufen eines Reflexionsprozesses des Bewußtseins überhaupt. In ihnen geht es nicht um die Aneignung von Rollen, sondern um deren Wesensbestimmung, d. h. um die Bedeutung solcher Interaktionsformen für das vernünftige Verhältnis selbstbewußter Individuen zueinander und zum Ganzen. Man kann von daher die Frage stellen, welche Interaktionsformen – die natürlich für die Interagierenden auch »Rollen«, wenngleich sehr abstrakte, festlegen – nach Hegel für dieses vernünftige Verhältnis und die entsprechende »Identität« des Individuums notwendig sind. Ebenso kann man nach dem Verhältnis des Individuums zu solchen Interaktionsformen in der Sicht Hegels fragen. b) Anerkennung und die Bedingungen vernünftiger Identitätsbildung Liegt in Hegels Begriff der Anerkennung die wechselseitige Darstellung »unverwechselbarer« Individualität, die zu allen intersubjektiven Handlungsformen (Institutionen und Rollen) eine unaufhebare Distanz einhält? Ist diese Distanz durch je individuelle Modifikationen der allgemeinen Handlungsformen charakterisiert? Wenn das so wäre, käme Hegels philosophische Theorie des Bewußtseins zumindest in diesem Punkt mit einer empirisch-kritischen Sozialisationstheorie wie derjenigen von Habermas überein. Diese Möglichkeit soll zunächst an der Konzeption der »natürlichen Sittlichkeit« des Systems von 1802/1803 überprüft werden. Wenn irgendwo, dann scheint Hegel hier der Auffassung zu sein, das Ziel der Anerkennungsbewegung müsse die Anerkennung der unverwechselbaren Individualität sein. Denn in diesem ersten Teil des Systems der Sittlichkeit geht es um die wechselseitige Bildung des »Individuums« (GW 5, 305) und des gemeinsamen Bewußtseins in den Formen »natürlicher«, vorstaatlicher Vergesellschaftung. Sollte sich zeigen, daß es Hegel in diesem Text nicht um die Anerkennung von Individualität im Sinne der kritischen Sozialisationstheorie geht, dann bleibt noch zu erörtern, ob die Aufnahme des Prinzips des Selbstbewußtseins in die praktische Philosophie (Geistphilosophie 1805/1806) zu einer Konzeption autonomer SubPhilosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 241
jektivität führt, die durch Rollendistanz im oben erörterten Sinne gekennzeichnet ist. In der ersten Potenz des ersten Teils des Systems der Sittlichkeit werden Handlungsformen erörtert, in denen das Individuum ein Verständnis seiner selbst und des Anderen als »gleiches, selbstständiges Wesen« (GW 5, 290) gewinnt. Dies geschieht in den elementaren Beziehungen der Familie – Liebe zum Partner, Eltern-Kind-Beziehung – sowie der gemeinsamen Arbeit. Hegel geht es aber nicht um das Erlernen der entsprechenden Rollen und ihre Modifikation in Lern- und Reifungsprozessen.232 Worauf es ihm ankommt, ist allein die »Anschauung seiner selbst in einem fremden« (GW 5, 289) und das Bewußtsein der Gleichheit unabhängiger »vollkommener Individualität[en]«. Das bedeutet freilich auch, daß die genannten Handlungsweisen und Institutionen für dieses Individualitätsbewußtsein notwendig sind. Es scheint zunächst, daß es Hegel auf dieser Stufe tatsächlich um die Selbstdarstellung und Anerkennung des Individuums in seiner absoluten Vereinzelung geht. Schon die wechselseitige Bildung in der gemeinsamen Arbeit ist ein »Anerkennen«, in dem die »höchste Individualität und aüssere Differenz« zum Ausdruck kommt (GW 5, 290). Vom Anerkennen in der »tönenden Rede« heißt es, daß in dieser »das innere in seiner Bestimmtheit heraus(tritt), und das Individuum, die Intelligenz, der absolute Begriff … sich in derselben unmittelbar als rein einzelnes und fixirtes dar(stellt)« (GW 5, 295). In Wahrheit besteht aber die »Individualität« schon auf dieser Stufe gerade darin, daß »jedes … ein gleiches, selbstständiges Wesen« ist – und daß dies ihr gemeinsames Wesen gerade die »Allgemeinheit« ist (GW 5, 290). Wechselseitige Bildung durch Arbeit bedeutet, einander in die Regeln und Funktionen des Arbeitsprozesses einweisen, so daß jeder »seine Besonderheit unmittelbar zur Allgemeinheit macht« (GW 5, 288). Erst als so zur Allgemeinheit Gebildeter tritt er dem Anderen als »gleich« und »selbstständig«, und das heißt für Hegel hier als »Individualität«, gegenüber. Nun sind Allgemeinheit und Individualität auch im System der Sittlichkeit nicht als Genus und Individuum verstanden. In der erörterten Potenz des ersten Teiles bedeutet Allgemeinheit die Indifferenz verschiedener, einander »durchdringender« Bestimmungen. Individualität ist dagegen die »vollständige Organisation« solcher 242 | kapitel iv
Bestimmungen – und der Selbstbezug dieser Organisation, der erst ihre Selbständigkeit ausmacht. Aber zum Bewußtsein solcher Selbständigkeit kommt es nach Hegel nicht durch die Distanz zu »geregelten« Handlungsformen, in deren Vollzug man mit anderen Individuen – und ihren Erwartungen – übereinstimmt, sondern gerade durch die »Bildung« in solchen Handlungsformen, die von der ungebildet-natürlichen Besonderheit befreien und durch die man den Anderen als »gleich«, ebenbürtig entgegentritt. Die Differenz dieser Gleichen besteht in ihrem Selbstbezug als »Intelligenz«, die durch ihre Freiheit von der natürlichen Bestimmtheit zugleich »Allgemeines« und »Besonderes« im Sinne des Fürsichseins (»das für sich seyende, gesetzte«, 17) ist. Als selbständiges Fürsichsein, das »seine Besonderheit unmittelbar zur Allgemeinheit macht«, ist das Individuum Einheit von Allgemeinheit und Besonderem – »und dieses ist die Intelligenz im höchsten Grade« (ebd.). Das gilt auch für das Anerkennen in der »tönenden Rede«. Zwar tritt in ihr das unbestimmte »Innere« in die fixierte »Körperlichkeit« des gesprochenen Wortes heraus, aber was sich in dieser Äußerung artikuliert, ist nicht die »unvertretbare« Individualität, sondern der »absolute Begriff« bzw. die »absolute Subjektivität«. Die Rede des Menschen unterscheidet sich von der »Stimme« des Tieres dadurch, daß sie aus der Intelligenz und ihrer »Verwandlung der Natur in ein subjectives« kommt (GW 5, 295). Die Intelligenz bzw. der Begriff ist, wie Hegel schon im Naturrechtsaufsatz ausgeführt hatte, die Zusammenfassung der Vielheit der Natur in den »unvermittelten Einheitspunkt« (GW 4, 464), die »Totalität resumirt in die Individualität«, wie es jetzt im System der Sittlichkeit heißt (GW 5, 295). Im gesprochenen Wort kann sich dieses reine Fürsichsein einer anderen Intelligenz gegenüber zum Ausdruck bringen und sich damit selbst »fixieren«. Denn das Wort, das in seiner Äußerlichkeit verschwindet (das »unmittelbar (sich) selbst vernichtet«, GW 5, 294), ist in seiner Bedeutung ein »Objectives«, das die Intelligenzen verbindendet (»das vernünftige Band derselben«, ebd.) Dadurch bringt es die Unabhängigkeit von der Natur, die Fähigkeit, sie in »Idealität« zu verwandeln, als das den Individuen Gemeinsame zum Ausdruck. Was dabei erkannt und anerkannt wird, ist daher zwar die Einzelheit, Selbständigkeit und damit Differenz vom Anderen. Aber diese beruht nicht auf seiner natürlichen Individualität, Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 243
sondern auf seiner Unabhängigkeit von der Natur, seiner Fähigkeit, Natur in Subjektives, in den Punkt des einzelnen Für-sich-seins, zu verwandeln. Was die Individuen in den erwähnten Rollen zunehmend darstellen, ist nicht die durch natürliche Bestimmtheit und je eigene »Biographie« (Habermas 1973b, 131) zustande gekommene unvertretbare Individualität, sondern ihre selbständige, sich zur Allgemeinheit intersubjektiv anerkannter Regeln bildende Intelligenz. Das gilt erst recht für die zweite Potenz des ersten Teils des Systems der Sittlichkeit. In ihm geht es um Institutionen, die selbst durch Anerkennung zustande gekommen sind, als künstliche gleichsam über die natürlichen Beziehungen gelegt sind, ohne diese jedoch schon gänzlich in sich aufzuheben. Das Ziel der von diesen Institutionen vorgeschriebenen Rollen ist die gegenseitige Anerkennung als »Person« – zunächst als Eigentümer und Rechtsperson, dann als Tausch- und Vertragssubjekt und schließlich als reine Person. Person bedeutet nun in der Tat »Einzelheit«, und als solche muß sie anerkannt werden: »das Anerkennen ist das Einzelnseyn« (GW 5, 298). So gehört es wesentlich zur Rechtsbeziehung des Eigentums, daß alle Anderen von dem jeweiligen Eigentum ausgeschlossen sind. Trotzdem wird der Eigentümer nicht durch das, was er besitzt, in seiner Besonderheit bestimmt und als solcher anerkannt. Er ist vielmehr gerade als solcher »in die Form der Allgemeinheit aufgenommen« (ebd.). Einmal, weil die Beziehung auf sein Eigentum nicht durch ein Bedürfnis in ihrer Besonderheit festgelegt, sondern die – den »Überfluß« voraussetzende – »allgemeine Möglichkeit des Gebrauchs« (ebd.) ist. Zum anderen ist diese Beziehung – jedenfalls als Möglichkeit – allen Individuen gemeinsam. Der anerkannte Einzelne ist daher in doppeltem Sinne »Negation« (ebd.): als Unabhängigkeit von der eigenen Natur und als Ausschließen des Anderen, das aber von diesem selbst anerkannt wird. Wird diese Beziehung nun noch von der Besonderheit des Besitzes, also der Gebundenheit an brauch- und entäußerbare Objekte, gelöst, dann ist das Anerkennen der reinen Person erreicht, die höchste Stufe der Anerkennungsbewegung des Systems der Sittlichkeit. Sie zeigt noch einmal in reiner Form, um was es geht: Selbstdarstellung und Anerkennung des Anderen – in Wechselwirkung verschränkt – als Einzelheit, d. h. als Negation natürlicher Be244 | kapitel iv
stimmtheit und zugleich den Anderen ausschließendes, ihm selbständig gegenübertretendes Für-sich-sein. Dies geschieht in Rollen und Institutionen, in denen die Naturbeziehungen der Individuen von den Beziehungen ihres reinen Für-sich-seins noch nicht völlig aufgehoben, sondern nur von außen bestimmt (wie im abstrakten Recht) oder von innen geprägt sind – wie die natürlichen Beziehungen der Familie von dem sie tragenden »Geist« gegenseitiger Anerkennung als Person (vgl. GW 5, 298). Auch die natürlichen Beziehungen der Individuen sind für Hegel also nur soweit relevant, wie sich das Individuum in ihnen gerade von seiner naturbestimmten Besonderheit lösen, sie in die Selbständigkeit und Freiheit seines »intelligenten« Für-sich-seins zurücknehmen kann. Dies ist freilich auf der ersten Stufe des Systems der Sittlichkeit noch ohne Bruch mit der Natur möglich, in einer unmittelbaren Harmonie von freier Person und Natur, wie sie in der Familie herrscht. Es hat sich gezeigt, daß es auch in den Anerkennungsformen der »natürlichen Sittlichkeit« in erster Linie um einen Bildungsprozeß geht, in dem sich das Individuum als »Intelligenz« bzw. als »Begriff« erweist – und damit frei von aller natürlichen und »biographischen« Besonderheit. In der Familie wird der Einzelne zwar in seiner natürlichen Besonderheit »angenommen« und bejaht – aber die Ausbildung und Darstellung dieser Besonderheit ist auch da nicht Inhalt – oder gar Zweck – der Anerkennung. Liegt das daran, daß Hegel ohne die Theorie des Selbstbewußtseins, wie er sie seit Mitte der Jenaer Zeit entwickelte, die Distanz des Einzelnen zu den Formen des allgemeinen Bewußtseins, den Handlungsregeln und Rollen noch nicht positiv fassen konnte? Die Antwort darauf müßte den höheren Stufen der Anerkennungsbewegung, die die Geistphilosophie von 1805/1806 darstellt, zu entnehmen sein. Das Ziel der Anerkennungsbewegung ist ja in diesem Text, daß sich das neuzeitliche Prinzip des Selbst, das sich vom »daseyenden Allgemeinen abgetrennt« weiß (GW 8, 262), in den Institutionen des Gemeinwesens wiederfindet. Bereits in den Institutionen des »wirklichen Geistes« scheint es um »Rollendistanz« zu gehen: der Bruch der allgemeinen, gesellschaftlich sanktionierten Verhaltensregeln gehört ja zum Anerkennungsprozeß hinzu. Aber die Erfahrung des Bewußtseins in Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 245
Vertragsbruch, Gesetzesbruch etc. ist in Wahrheit eine Folge von Korrekturen mißverstandener gesellschaftlicher Identität des Individuums. Die Freiheit des Individuums aufgrund seiner Identität mit dem allgemeinen Willen wird mißverstanden als Freiheit auch von den gesetzten, als gemeinsamer Wille institutionalisierten Bindungen. Die Sanktionen gegen diesen »Irrtum« führen dann, wie oben dargelegt (s. o. S. 126 f.), zu der Erfahrung, daß der allgemeine Wille den einzelnen »subsumiert«, ihn nur gelten läßt, insofern er die in ihn gesetzten Verhaltenserwartungen erfüllt. Heißt das, daß die Freiheit des Individuums von den gesellschaftlich anerkannten Rollen, seine Distanz zu ihnen – sei es in der Interpretation oder in der Anwendung – als Schein erwiesen wird? Dann würde Sozialisation von Hegel her nur die völlige Identifizierung mit gesellschaftlichen Rollen bedeuten können. Dagegen spricht, daß Anerkennung auf ihrer höchsten Stufe, im letzten Teil des Systems, die »Rettung« der Einzelheit bedeutet. Das heißt, daß sich das Bewußtsein als reines Für-sich-sein, als von allem Äußeren – auch den Manifestationen des allgemeinen Willens – zurückgezogene Freiheit des Sich-Wissens, im allgemeinen Geist wiederfindet. Wir können das Sich-Wissen der Einzelheit im allgemeinen Geist in drei Punkten zusammenfassen: 1) Das einzelne Bewußtsein weiß den Staat als Werk Aller; 2) Es weiß die Regierung und den Monarchen als den sich als Einzelheit wissenden Geist, als Institutionalisierung des Moments der Einzelheit, des Handelns, des Entschlusses; 3) Es erhebt sich in Religion und Spekulation über die Besonderheit des Standes, Volkes und der Epoche in die Einheit mit dem absoluten Geist, der im wissenden Für-sich-sein des Individuums gleichsam präsent ist. Geht man nun davon aus, daß die Rollen des Individuums im Staat durch dessen ständische Organisation festgelegt seien, so läßt sich hinsichtlich der »Rollendistanz« des Individuums Folgendes sagen: das wichtigste an den Ständen und den ihnen entsprechenden Gesinnungen ist zunächst wiederum die in ihnen mögliche Distanz des Individuums von sich selbst: »Jeder von seinem Stand über sich erheben (sic!).« (265 R) Die Distanz des Individuums von sich, die in allen Ständen möglich ist, muß aber »ergänzt« werden durch die Distanz vom besonderen Stand selbst. Das ist schon in den höheren Ständen möglich: Beamter, Gelehrter, Soldat sind in 246 | kapitel iv
ihrer Rolle weder auf sich selbst noch auf den besonderen Stand fixiert, sondern dienen dem Staat, dem allgemeinen Willen selbst. In dieser doppelten Distanz zu sich und zum eigenen Stand zeigt sich die »Moralität« (vgl. Anm. 207) des Individuums – und das heißt für Hegel wie für Kant: seine Autonomie. Die Institutionen des Staates haben also die Funktion, solche Autonomie zu ermöglichen. Worin besteht nun genauer diese Distanz des Einzelnen von seiner Rolle bzw. der ständischen Verhaltensnorm? Zum einen, wie gesagt, schon in der Allgemeinheit der oberen Standesgesinnungen selbst. Ferner für die Mitglieder aller Stände in dem Wissen, daß der Staat und damit auch seine ständische Organisation das Werk aller ist: »sein Leben, Willen ist das Selbst der Individuen« (255 R). Es weiß sich also in dieser Hinsicht selbst als Ursprung der Rollenverteilung, weiß diese als durch den gemeinsamen Willen gesetzt. Und es weiß diesen Willen als unabhängig von den besonderen Gesinnungen der Stände: in der Regierung, in der sich der Geist als »seiner selbst gewiß« und als »Freyheit von dem Bestehenden als solchem« darstellt (277). Das Wissen der Identität mit diesem absolut freien Geist vollendet sich in Religion und Philosophie: »seine Natur, sein Stand versinkt wie ein Traumbild … es ist das Wissen seiner als des Geistes« (281). Die Distanz des Individuums von seiner Rolle liegt also nicht an der unaufhebbaren Differenz von natürlicher Individualität und gesellschaftlicher Allgemeinheit der Rolle, sondern daran, daß das Individuum aufgrund seiner Identität mit dem allgemeinen Geiste sich frei von jeder besonderen Rolle weiß. Anerkennung bedeutet daher für Hegel weder das einander Gelten als »perfekte« Rollenspieler und Funktionsträger noch das wechselseitige Darstellen unvertretbarer Individualität im Medium der Rolle. Es bedeutet vielmehr – auf dieser höchsten Stufe – die wechselseitige Darstellung des allen gemeinsamen Geistes in den (ständischen) Rollen und zugleich das Wissen der Freiheit jedes Einzelnen von der Besonderheit dieser Darstellung durch seine Identität mit diesem Geiste. Die Distanz zwischen Individuum und Rolle besteht für Hegel quasi nach »oben«, im Hinblick auf die absolute Identität von Einzelheit und Allgemeinheit – nicht nach »unten«, zum besonderen, natürlichen Individuum hin. Deutet man den Anerkennungsprozeß im Hinblick auf die gegenwärtige Sozialisationstheorie, so bestätigt sich unsere These, Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 247
daß in der erfüllten Anerkennung die Individualität – in ihrer unaufhebbaren Differenz zum allgemeinen Willen – nicht mehr zur Geltung kommt. Worin bestehen dann die institutionellen Bedingungen der Bildung einer »vernünftigen« Identität bei Hegel? Orientiert man sich an den Stufen des Anerkennungsprozesses in der Geistphilosophie von 1805/1806, dann kann man sagen, daß für Hegel mindestens die folgenden Arten von Institutionen zur Bildung eines vernünftigen Selbstverständnisses notwendig sind: 1) Institutionen, in denen das Individuum sich als »totale« Einzelheit – d. h. als selbständige, von allen besonderen, natürlichen und sozialen Bestimmungen freie Einheit seiner Handlungsbezüge (auf Objekte und andere Individuen) – im Anderen anschauen kann. Solche Institutionen müssen, wie wir gesehen haben, die Momente von »Liebe« und »Kampf« enthalten. 2) Institutionen, in denen das Individuum seine Handlungsbezüge als Äußerung eines gemeinsamen Willens verstehen kann, dessen Ziel die Erhaltung der zur Allgemeinheit »geläuterten« – bzw. zum Träger dieser Gemeinsamkeit gewordenen – Einzelwillen und der Möglichkeit ihres äußeren Daseins bzw. ihrer Manifestation in Objekten (Eigentum) ist. 3) Institutionen, in denen das Individuum diesen gemeinsamen Willen als von allen Einzelnen und Gruppen unabhängiges, selbständiges Subjekt erfahren kann, dessen Selbsterhaltung und Selbstdarstellung das Individuum – bis hin zur Negation der eigenen Existenz – unterworfen ist. 4) Institutionen, in denen das Individuum sich gerade durch das Bewußtsein der Identität mit diesem absoluten Subjekt von seinen besonderen Funktionen und Rollen – die der Selbsterhaltung des äußeren Daseins233 dieses Subjektes, des Volkes bzw. des Staates, dienen – frei weiß. Solche »Institutionen« sind aber auf ihrer höchsten Stufe – als religiöse Andacht oder philosophisches Wissen – nicht mehr Institutionen im Sinne von Rollen oder Rollensystemen. Sie sind ja unabhängig von jeder Form äußeren Verhaltens, gleichsam »monologisch« – selbst wenn diese Erhebung im Kult der Gemeinde stattfindet. Daher sind sie auch nicht mehr auf das Anerkennen als Sich-Anschauen im anderen Individuum zurückzuführen.234 Auch die dritte Art der Institutionen hat Hegel nicht mehr am Leitfaden des interpersonalen Anerkennens entwickelt. Im zu sich gekommenen Geist ist das Verhältnis der Individuen 248 | kapitel iv
zueinander nicht mehr thematisch. Gleichwohl lassen sich auch diese beiden Arten von Institutionen als Realisierung der Struktur des Anerkennens begreifen, insofern dieses nicht nur ein »dialogisches« Verhältnis, sondern die wechselseitige Konstitution von einzelnem und allgemeinem Willen bzw. Bewußtsein beinhaltet. Kommen wir noch einmal zu Habermas’ drei Kriterien »vernünftigen« Institutionen – das Maß an Repressivität, Rigidität und Verhaltenskontrolle – zurück. In puncto Rigidität ist zu sagen, daß für Hegel die Darstellung der Individualität in ihrer natürlichen und lebensgeschichtlichen Einmaligkeit nicht Ziel des Bildungs- und Anerkennungsprozesses ist. Dennoch kann eine rigide für jede Person festgesetzte Rolle nicht seinem Begriff des »lebendigen« Geistes einer Gemeinschaft entsprochen haben. Seit den Jugendschriften kritisiert er ja die starre Anwendung allgemeiner Gesetze auf die sittlichen Verhältnisse eines Volkes. Später wiederholt sich diese Kritik in seinem – oben (S. 142 ff.) erörterten – Versöhnungsbegriff, der auf der Ebene des moralischen Handelns und Urteilens den Verzicht auf die starre Anwendung allgemeiner bzw. öffentlicher Vorstellungen des Guten und Bösen verlangt. Den gleichen Gedanken hat Hegel stets bezüglich der Anwendung von Rechtsvorschriften geäußert: anders als in Fichtes Staat des Gesetzesperfektionismus verlangt Hegel, daß Rechtsprechung und Exekutive die allgemeinen Gesetze auf die Besonderheit der Situation hin auslegen können. Auch hier haben wir allerdings wieder die Distanz »nach oben«: Nicht das einzelne Individuum ist frei, Vorschriften und Regeln »flexibel« anzuwenden, sondern der »seiner selbst gewisse Geist« der Regierung kann »in einzelnen Fällen Ausnahmen vom Gesetze« machen (GW 8, 276). Die Nicht-Rigidität gesellschaftlicher Institutionen bei Hegel ist also kein Äquivalent zur rollentheoretisch erfaßbaren Spontaneität bzw. Rollendistanz, sondern liegt auf der Ebene der Gewissensfreiheit, der Billigkeit (im traditionellen Sinne der aequitas) und der Souveränität von Exekutive und Judikative. Ähnlich ambivalent wie bei der Rigidität ist Hegels Position, wenn man sie auf das Problem der Internalisierung bzw. der Verhaltenskontrolle bezieht. Sowohl bei der Erörterung der »Versöhnung« in der Phänomenologie wie bei der Analyse der logischen Struktur der Anerkennung ist deutlich geworden, daß Hegels Konzeption des Selbst die Fähigkeit impliziert, sich in seine Bestimmtheiten zu Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 249
»versenken«, sich auf sie einzulassen und doch zugleich über sie hinaus zu sein. Zu diesen Bestimmtheiten gehören zweifellos auch die sozialen Rollen. Ein Individuum, das Rollenerwartungen so internalisiert, daß es Verhaltensregeln gleichsam mechanisch anwendet, besitzt sicher nicht die Freiheit des Selbst im Sinne Hegels. Aber andererseits ist diese Freiheit keine Instanz, auf die sich das Individuum im »sozialen Rollenspiel« berufen könnte, um von den »Sitten« einer Gemeinschaft abzuweichen. Die Institutionen, in denen sich das »absolute Insichsein«, die Freiheit des einzelnen Selbst von seinen Bestimmtheiten, verkörpert, tragen der möglichen Differenz des Einzelnen zu den Regeln und Willensakten des Gemeinwesens auch nur sehr unvollkommen Rechnung. Wie steht es mit dem dritten (bzw. in Habermas’ Reihenfolge ersten) Kriterium, dem Maß der Repressivität bzw. der gegenseitigen »Ausbeutung«? Was Hegels Theorie der Anerkennung mit Sicherheit ausschließt, ist Ausbeutung im Sinne des HerrschaftsKnechtschafts-Verhältnisses. Aber dies Verhältnis ist ein vor-rechtliches, das allein auf Gewalt beruht und dem beherrschten Knecht nicht nur »Reziprozität der Befriedigung«, sondern auch die Anerkennung als Rechtssubjekt vorenthält. Würde Anerkennung bei Hegel Reziprozität der Befriedigung bedeuten, dann müßte er die Liebe zum Prinzip aller vernünftigen Beziehungen freier Subjekte erheben. Wir haben gesehen, daß dies nicht der Fall ist. Die mit natürlicher Neigung verbundene Liebe hat nach Hegel ihren »vernünftigen« Platz in der Familie; die Liebe im Sinne der Versöhnungsbereitschaft; gegenüber dem »Sünder«, dem von der anerkannten Moralität Abweichenden ist die höchste Vollendung der moralischen und religiösen Gemeinschaft mit den Anderen – aber nicht das messende oder gestaltende Prinzip aller gesellschaftlichen Verhaltensregeln bzw. Rollensysteme. Der Arbeitsvertrag etwa ist kein Instrument der Repressivität für Hegel. Und die symmetrische Verteilung der Chancen, zu befehlen und zu gehorchen – Habermas’ Definition der Nicht-Repressivität in seiner Universalpragmatik (1971, 138) –, ist für Hegel sicherlich nicht das Maß, an dem Institutionen wie der Staat, die Regierung oder auch die Herrschaftsverhältnisse einer privatrechtlich geregelten »Wirtschaftssphäre« zu messen wären. Dem steht die Aufgabe des Staates nicht entgegen, der aus dem »blinden« Wirtschaftsprozeß resultierende Abhängig250 | kapitel iv
keit einer ganzen »Klasse« durch kompensierende Maßnahmen zu steuern. Für Hegel müssen sich verschiedene, institutionalisierte und »gesinnungsabhängige«, Formen von Anerkennung zu einer Totalität ergänzen. Anerkennung im Hegelschen Sinne ist also nicht identisch mit dem Konzept idealer Gegenseitigkeit, wie es Habermas in seiner kritischen Theorie vernünftiger Sozialisation entwickelt hat. Das liegt nicht zuletzt daran, daß sie in einem ganz anderen Sinne »Prinzip« ist als die herrschaftsfreie Kommunikation bzw. die ideale Sprechsituation. Anerkennung ist Prinzip als begriffene Genese vernünftiger Institutionen in der Geschichte. Insofern berührt sich Hegels Anerkennungstheorie mit einem anderen »Programm« in der gegenwärtigen praktischen Philosophie: dem einer historischen Genese von Normensystemen, wie es vor allem von der Erlanger Schule aufgestellt wurde – auch dies unter ausdrücklichem Bezug auf Hegel (Blasche/Schwemmer 1972). Zunächst soll aber das Verhältnis der praktischen Philosophie zur Geschichte beim Jenaer Hegel geklärt werden. 3. Praktische Philosophie und Geschichtsphilosophie Eine dritte gemeinsame Aufgabe der praktischen Philosophie Hegels und der Gegenwart ist die Darstellung des geschichtlichen Wandels der Institutionen. Welche Bedeutung hat die Entwicklung der Institutionen in der Geschichte für ihre gegenwärtige »Gerechtigkeit«? Die Aktualität des geschichtsphilosophischen Aspekts der praktischen Philosophie Hegels ist völlig gegensätzlich eingeschätzt worden. Für die einen bedeutet Hegels Geschichtsphilosophie die Destruktion der praktischen Philosophie, die Beseitigung aller Fragen nach dem guten Leben und einer gerechten Gesellschaftsordnung zugunsten des geschichtsphilosophischen Begreifens dessen, was ist (Mandt 1974, 191 ff.; vgl. Siep 1976). Für die anderen hat Hegel die Kantische Philosophie der praktischen Vernunft um den Versuch erweitert, die faktisch bestehenden Normen durch eine historische Genese zu »deuten«, die – in Verbindung mit dem Prinzip der Moralität – erst eine kritische Prüfung der gegenwärtigen, inPhilosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 251
stitutionalisierten Vorstellungen vom guten Leben erlaubt (Blasche/ Schwemmer 1972, 466). Eben dies habe die praktische Philosophie der Gegenwart – auf methodisch gesicherte Weise – zu wiederholen. Hegel hat seine systematische Philosophie der Weltgeschichte erst seit Ende der Jenaer Zeit entwickelt.235 Allerdings spielen schon in den Vor-Jenaer Schriften geschichtsphilosophische Überlegungen eine Rolle: vor allem zum Verfall der antiken und dem Entstehen der modernen Welt. Es ist ferner darauf hingewiesen worden, daß der Begriff des »Schicksals«, wie Hegel ihn im »Geist des Christentums« dargestellt hat, als »Keim« seiner späteren Anschauung der weltgeschichtlichen Entwicklung zu betrachten sei.236 Zu Beginn der Jenaer Zeit setzt Hegel seine geschichtsphilosophischen Überlegungen fort; nicht nur in den Arbeiten zur Verfassungsschrift, sondern auch im Naturrechtsaufsatz. Für unser Thema ist aber nicht die Frage wichtig, wie sich Hegels Philosophie der Weltgeschichte entwickelt, sondern welche Bedeutung geschichtsphilosophische Überlegungen für seine praktische Philosophie haben. Im Hinblick auf die oben skizzierte gegenwärtige Diskussion sollen daher die beiden folgenden Probleme erörtert werden: a) Entwickelt Hegel seine praktische Philosophie in Jena als Geschichtsphilosophie – und wird dadurch die Frage nach einem Prinzip gerechter Gesellschaftsordnung unmöglich gemacht? b) Ist Hegels System der Institutionen eine historische Genese des – für ihn – zeitgenössischen Normensystems? Enthält es überhaupt vergangene, »historische« Institutionen? Wenn diese beiden Problemkreise erörtert worden sind, müssen wir uns abschließend die Frage stellen, ob für Hegel die Philosophie überhaupt zu einer Kritik von Institutionen und Verfassungen in der Lage ist (c). a) Praktische Philosophie als Geschichtsphilosophie? Obgleich Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte erst 1805 beginnen, entwickelt er bereits im Naturrechtsaufsatz die Grundlagen einer philosophischen Darstellung der Entwicklung des »Weltgeistes« in der Geschichte. Zunächst kommt es darauf an, 252 | kapitel iv
wie die Natur so auch die Geschichte als eine »Totalität« zu sehen, in der die einzelnen Epochen und Volksgeister Momente eines Ganzen sind, das sich in ihnen darstellt und »genießt«: »Wie in der Natur des Polypen ebenso die Totalität des Lebens ist als in der Natur der Nachtigall und des Löwen, so hat der Weltgeist in jeder Gestalt sein dumpferes oder entwickelteres, aber absolutes Selbstgefühl und in jedem Volke, unter jedem Ganzen von Sitten und Gesetzen sein Wesen und seiner selbst genossen.« (GW 4, 479) Der Weltgeist erscheint zwar auf jeder Stufe »absolut«, aber auf dumpfere oder zunehmend bewußte und differenziertere Weise. Seine Entwicklung besteht darin, alle Momente für sich auszubilden und in ihrer Folge die Erkenntnis von sich hervorzubringen. Das gleiche gilt für die geschichtliche Entwicklung des Volksgeistes: »es ist zugleich notwendig, daß die Individualität fortschreite, sich metamorphosire … damit alle Stuffen der Nothwendigkeit an ihr als solche erscheinen« (483 f.). Wie die Volksgeister einander in der Entwicklung des Weltgeistes »ablösen« und was die wesentlichen Stufen dieser Entwicklung sind, hat Hegel im Naturrechtsaufsatz aber nicht erörtert. Er hat auch nicht auf das Drei-Stadien-Schema zurückgegriffen, das er in der 1800 bis 1801 entstandenen »Urschrift« über die Verfassung Deutschlands skizziert hatte. Dort hieß es, das »System der Representation«, das das »System aller neuern Europäischen Staaten« sei, müsse als die »Mitte« begriffen werden, die »nach dem orientalischen Despotismus und der Herrschafft einer Republik über die Welt, aus der Ausartung der letztern« entstanden sei und ihre erste Ausprägung im germanischen »Lehenssystem« gefunden habe (GW 5, 111). Von dieser These ausgehend, hätte Hegel offenbar das »Representationssystem« der »neuern Europäischen Staaten« geschichtsphilosophisch erklären und rechtfertigen können – als »dritte universale Gestalt des Weltgeistes« (ebd.). Dies ist jedoch weder im Naturrechtsaufsatz noch in den darauffolgenden Arbeiten zur Philosophie der Sittlichkeit geschehen. Das Vorbild für die praktische Philosophie ist im Naturrechtsaufsatz die griechische Polis, wie Plato sie gesehen hat – wobei Hegel sich aber, wie wir erörtert haben, die Aufgabe stellt, eine am Modell der Polis orientierte Verfassung zugleich als Verwirklichung des Prinzips der Freiheit des Selbstbewußtseins darzustellen. Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 253
Auch methodisch ist der praktischen Philosophie im Naturrechtsaufsatz ein anderer Weg als der einer Philosophie der Weltgeschichte vorgezeichnet. Aufgabe der praktischen Philosophie ist es – nach dem Schlußabschnitt dieses Textes –, die »Idee der absoluten Sittlichkeit« zu erkennen. Dies ist durch eine Philosophie der Weltgeschichte nicht möglich, weil es in keiner der Gestalten des Weltgeistes, d. h. in keiner »Individualität« eines Volksgeistes zu einer völligen Übereinstimmung des »absoluten Geistes und seiner Gestalt« (GW 4, 484) kommt. Hegel faßt die Weltgeschichte offenbar noch nicht als einen teleologischen Prozeß auf, an dessen Ende der Weltgeist zur völligen Selbst-Durchsichtigkeit gelangt. Die adäquate Gestalt des absoluten Geistes ergibt sich vielmehr aus der »Construction« der Idee der absoluten Sittlichkeit. An dieser Konstruktion der Idee der absoluten Sittlichkeit in einer vernünftigen Verfassung, nicht an der Einsicht in das notwendige Resultat der Weltgeschichte, muß die systematische Entfaltung der praktischen Philosophie ausgerichtet werden. Diesen Weg hat Hegel in den Jenaer Entwürfen der Geistphilosophie in der Tat eingeschlagen. Deren praktischer Teil enthält keine geschichtliche Abfolge von Volks-Individuen, sondern die Entfaltung der Idee der absoluten Sittlichkeit zu einem System von Institutionen, in denen sich die Freiheit verwirklichen kann. Gilt dies auch noch für die Systementwürfe von 1805/1806? In diesem Text hat Hegel ja nicht nur die Weltgeschichte als Darstellung der Identität von Natur und Geist und ihr Begreifen mithin als Abschluß des Systems der Philosophie bestimmt. Es zeigt sich vielmehr auch in der praktischen Philosophie selber deutlicher die geschichtsphilosophische Perspektive: in seinem »Abriß« der Staatsformenlehre greift er auf ein modifiziertes Drei-Stadien-Schema zurück237 und die Monarchie ist für ihn jetzt das »höhere Princip der neuern Zeit« (GW 8, 263). Dennoch erfolgt die Rechtfertigung der Monarchie in diesem Text nicht mit geschichtsphilosophischen Argumenten. Ihre Vernünftigkeit wird nicht durch den Hinweis auf eine weltgeschichtliche Folge von Volksgeistern begründet, sondern durch den Nachweis, daß in ihr das »sich selbst absolut Wissen der Einzelheit« zur Geltung komme (ebd.). In den Institutionen der monarchischen Regierung, in denen sich der Volksgeist als die »Spitze« einer freien Individualität darstellt, weiß sich das Selbstbe254 | kapitel iv
wußtsein als in sich freies Für-sich-sein anerkannt. Der teleologische Prozeß der Anerkennung, der in der letzten Jenaer Geistphilosophie die gesamte Stufenfolge der Institutionen bestimmt, kommt in diesen Institutionen »ans Ziel«. Aufgrund des Prinzips der Anerkennung läßt sich die Monarchie als die – gegenüber der griechischen Polis – höhere bzw. vernünftigere Form der Vermittlung von Einzelheit und Allgemeinheit des Selbstbewußtseins rechtfertigen; ob diese Rechtfertigung der Monarchie eine konsequente Anwendung des Prinzips der Anerkennung ist, kann hier offenbleiben. Jedenfalls erfolgt sie aus Prinzipien der praktischen Philosophie, die den Begriff des »guten Lebens« nicht bloß dem faktischen Resultat der Weltgeschichte entnehmen. b) Die »historische« Genese der Institutionen Was bedeutet für den Jenaer Hegel historische Darstellung und Kritik von Normen? Es ist deutlich geworden, daß sich in bestimmten Institutionen die Prinzipien der antiken oder neuzeitlichen Sittlichkeit bzw. Staatsauffassung niederschlagen: so etwa das antike Prinzip in den »Alten und Priestern«, die nach dem System der Sittlichkeit die Regierung ausüben, oder auch im Stand der Tapferkeit, der allerdings in moderne Institutionen wie Beamtenstand und Soldatenstand (GW 8, 270 ff.) »übersetzt« wird. An diesem Sachverhalt des Übersetzens zeigt sich bereits, daß keine strenge Kongruenz zwischen »historischen Prinzipien« und Institutionen besteht – zumal für Hegel das Prinzip der antiken Sittlichkeit im modernen Staat erhalten und gegen den modernen »Geist« der »Systeme des Rechts, der persönlichen Sicherheit und Eigenthums« (276) gestärkt werden muß. Die Frage ist damit aber noch nicht beantwortet, ob sich in der systematischen Entwicklung des Geistes zugleich eine historische Entwicklung der Institutionen selber spiegelt. Daß dies der Fall ist, soll im Folgenden v. a. an zwei »Formen des Praktischen« dargestellt werden, nämlich Arbeit und Werkzeug auf der einen und Kampf auf der anderen Seite. Zum ersten ist zu sagen, daß Hegel in allen drei Entwürfen der Jenaer Zeit Arbeit und Werkzeug auf zwei Stufen des Systems erörtert. Auf der unteren wird die Arbeit als elementares Verhältnis Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 255
des Menschen zur – inneren und äußeren – Natur behandelt und das Werkzeug als ebenfalls elementare Vergegenständlichung von Tätigkeit238 – auf der höheren die »geteilte« und spezialisierte Arbeit und die Maschine als die höhere und spätere Stufe der Werkzeugentwicklung. Daß das Werkzeug einer früheren Stufe der historischen Entwicklung angehört, macht Hegel schon im System der Sittlichkeit deutlich: »um deßwillen haben auch alle in der Naturpotenz stehenden Völker das Werkzeug so geehrt.« (GW 5, 292) In der Geistphilosophie von 1805/06 wird ebenfalls die historische Bedeutung der Werkzeuge erwähnt: »Darum macht der Mensch Werkzeuge, weil er vernünftig ist, und dies ist die erste Äußerung seines Willens; dieser Wille (ist) noch der abstrakte Wille – Stolz der Völker auf ihr Werkzeug.« (GW 8, 205 R) Offenbar entspricht die Anfänglichkeit der Entwicklung des Systems einem frühen Stadium der historischen Entwicklung. Die Völker der Frühzeit befinden sich erst in der »Naturpotenz« oder auf der Stufe der natürlichen Sittlichkeit. Sie haben sich von ihrer eigenen negativen Beziehung auf die Natur noch nicht so befreit wie die Völker der späteren Zeit, die die Arbeit und die »List« völlig von sich trennen und als Maschinenarbeit zwischen sich und die Natur stellen (vgl. GW 6, 321). Allerdings ist auch die Befreiung durch die Maschine noch unvollkommen, da sie die Arbeit nicht erübrigt, sondern für den Einzelnen sogar »niedriger«, weil »maschinenartiger« macht (ebd.). Hegel hat die Teilung der Arbeit und die Entwicklung von Maschine und Manufaktur so eindeutig miteinander – und auch mit der Produktion von Überfluß und der Entwicklung des Handels – verknüpft, daß kein Zweifel daran sein kann, daß die Erörterung der Arbeit auf verschiedenen Stufen des Systems verschiedenen Stufen der historischen Entwicklung entspricht, daß also systematisch frühere Stufen historisch früheren zuzuordnen sind.239 Die Entwicklung der Arbeit, obwohl für den Einzelnen mit Erniedrigung verbunden, schafft doch die Voraussetzung für höhere Sittlichkeit, d. h. höhere Freiheit von der Natur und bewußtere Vereinigung von Eigensinn und Gemeinschaft (vgl. o. S. 123). Diese Entwicklung der Sittlichkeit bzw. des Bewußtseins des Geistes von sich ist für Hegel das Primäre gegenüber der technisch-organisatorischen Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse. 256 | kapitel iv
Daß die historische Entwicklung, um die es hier geht, in erster Linie eine Entwicklung der den Institutionen immanenten Normen und Prinzipien ist, zeigt sich noch deutlicher, wenn man den historischen Charakter der Interaktionsform »Kampf« betrachtet. Allerdings sind hier die Unterschiede zwischen den drei Jenaer Entwürfen deutlicher. Im System der Sittlichkeit stellt Hegel eine Fülle von Formen des Kampfes und des Verbrechens dar. Mag die ihnen zugrunde liegende Entwicklung auch ohne den historischen Aspekt zu erklären sein, so ist doch die Interpretation sinnvoll, daß von der »natürlichen Verwüstung«, die in der »größten Pracht … im Morgenlande auftritt«, über die vor allem abendländisch-mittelalterlichen Formen des Zweikampfs, des Gottesurteils und der Familienrache240 bis zum – neuzeitlichen – Krieg der Völker eine historische Entwicklung anzunehmen ist. Dies wird auch dadurch nahegelegt, daß Hegel die moderne Form des Krieges im dritten Teil des Systems der Sittlichkeit mit der technischen Entwicklung der Waffen in Verbindung bringt: »[D]as Schießgewehr ist die Erfindung des allgemeinen indifferenten, unpersönlichen Todes; und es ist die Nationalehre das treibende, nicht das verletztseyn eines Einzelnen.« (GW 5, 331) Der moderne Krieg ist aber nur eine Form des »Ersatzes« für den Zweikampf um Ehre. Die andere ist der staatlich gesicherte Rechtszustand, in dem die Verteidigung der Ehre »vom Volke übernommen« wird (GW 5, 338).241 Die am Beispiel von Arbeit, Werkzeug und Kampf demonstrierte Entsprechung zwischen der Stufenfolge des Systems der Institutionen und ihrer geschichtlichen Veränderung gilt auch zwischen grundverschiedenen Institutionen, wie Zweikampf, Recht und »Konstitution«. Auch in ihrem Verhältnis zueinander finden Entwicklungen statt, die einem geschichtlichen Prozeß entsprechen. Der Zweikampf um Ehre, die »Institution«, die dem Kampf um Anerkennung zugrunde liegt, wird von Hegel nicht nur in methodischem, sondern auch in historischem Sinne als »Naturzustand« verstanden. Nicht im Sinne eines »primitiven«, frühgeschichtlichen Zustandes, sondern von Epochen,242 in denen die Ehre das entscheidende »handlungsorientierende« Prinzip war, das dem Individuum seine Anerkennung, das Gelten seiner Selbständigkeit im Bewußtsein der Anderen sicherte. Das Bewußtsein, daß die Einheit des Einzelnen mit seiner Familie und seinem Besitz eine totale, in Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 257
jedem Punkt gegen jeden um jeden Preis zu verteidigende ist, läßt sich mit keiner vertrags- oder gesetzmäßigen Beschränkung der Freiheit vereinbaren. Die Erfahrung des Bewußtseins, daß nicht in der Ehre, sondern im Recht die Anerkennung des Selbst sich realisieren läßt, setzt einen historischen Lebens- und Handlungswert – Ehre – und eine von dieser geforderte und geprägte Institution – den Zweikampf oder die von der Ehre geforderte Rache – außer Kraft. Die teleologische Entwicklung der Anerkennung kann also auch als Zu-sich-kommen des Geistes in der Geschichte verstanden werden und unter diesem Aspekt die Folge der historischen Institutionen bestimmen. Dasselbe gilt für die weitere Entwicklung des Systems: auch Recht und »gewalthabendes Gesetz« sind ja für Hegel Institutionen, deren Absolutheitsanspruch zwar geschichtliche Epochen bestimmt hat – das Recht als Privatrecht etwa den römischen Staat, das »gewalthabende Gesetz« den neuzeitlichen, allen gleiche Rechte garantierenden Staat –, das aber überwunden werden muß, wenn sich die Struktur der Anerkennung, der wahrhaften Identität des Bewußtseins mit dem Volksgeist, erfüllen soll. »Überwunden« heißt hier, in seiner Absolutheit negiert, aber als Institution »integriert«. Sowohl die Institution des Rechts wie die des Marktes und des ihn regulierenden Staates enthalten ja nur das Anerkanntsein des Einzelnen in seiner formalen Identität mit dem allgemeinen Willen, der noch nicht mit einem ihn selbst übertreffenden gemeinschaftlichen Zweck erfüllt ist. Sie sind daher zwar notwendig, müssen aber zugleich von der substantiellen Macht des »konstitutionellen« Staates in Grenzen gehalten werden (vgl. GW 8, 276). Was also bedeutet bei Hegel geschichtsphilosophische Institutionen- und Normengenese, und was ist die Bedeutung der Anerkennung für diesen Aspekt seiner praktischen Philosophie? »Historische« Genese der Institutionen heißt Darstellung ihrer notwendigen, genau bestimmten Stelle im Prozeß des Zu-sich-kommens des Geistes in der Geschichte.243 Durch diese Genese erhalten sie zugleich ihre eingeschränkte Funktion im System der Institutionen eines Volkes. Die Kritik der Institutionen kann sich mit diesem Einschränken begnügen, sie kann auch darin bestehen, einer Institution eine neue Legitimation zu geben244 oder sie gänzlich durch andere zu ersetzen – wie beim Kampf. Die Anerkennung ist für diese Kri258 | kapitel iv
tik in doppelter Hinsicht wichtig: einmal – wie schon angedeutet – weil sie die Folge der Institutionen »inhaltlich« am Maßstab der erreichten Anerkennung einzuordnen gestattet. Die Familie mit ihrer »Binnenmoral« der Anerkennung des natürlichen Individuums, der Kampf mit seiner Maxime der Verteidigung der Ehre, das Anerkanntsein des reinen Willens und seiner äußeren Existenz in abstrakter Arbeit, Eigentum und Vertrag sind so lange Verabsolutierungen der Normen und Institutionen vergangener Epochen, wie sie nicht als relative Verkörperungen von »Anerkennung« begriffen und eingeordnet werden. Damit wäre Anerkennung aber nur als ein zeitloses Maß für »historische« Institutionen eingeführt. Sie ist aber darüber hinaus für die historische Genese selber von großer Bedeutung. Und zwar als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrungen, die das Bewußtsein mit historischen Handlungsorientierungen wie Ehre, Vertragstreue usw. macht. Die Bedeutung der Erfahrung für die Darstellung des Institutionenwandels ist im Kapitel über die Phänomenologie (III) bereits ausführlich erörtert worden. Hier sei noch einmal zusammengefaßt, was das Prinzip der Anerkennung für die Erfahrung des Bewußtseins bedeutet. Vergegenwärtigen wir uns die Grundzüge der Anerkennung: Sie ist ein Prozeß der wechselseitigen Konstitution der »Identität« des einzelnen und allgemeinen Selbstbewußtseins, des tätigen Selbst und der Institutionen bzw. Handlungsregeln. Sie kann das sein, weil »Selbst« für Hegel, wie schon für Fichte, eine bestimmte Struktur hat: Es muß sein Wissen von sich in einem Anderen anschauen und durch eine »Reaktion« des Anderen bestätigen (vgl. Siep 1975). Geht man davon aus, dann sieht man zum einen, warum es zu den Prüfungen von Maßstäben durch Handlung kommen muß: sie liegen im Wesen des Selbstbewußtseins, das jede seiner »Meinungen« von sich handelnd dem Anderen darstellen und auf ihre Allgemeingültigkeit hin prüfen muß. Hegel nimmt daher an, daß kollektive Erfahrungen mit Institutionen (als Ausdruck gemeinsamen Selbstverständnisses) analog zum Anerkennungstest eines individuellen Selbstbewußtseins betrachtet werden können. Solche kollektive »Identität« kann entweder einem anderen Volk gegenüber zur Geltung gebracht werden245 – oder aber Individuen, Stände, Vertreter von Institutionen (Regierung, Monarchie) verkörpern und radikalisieren in ihren Handlungen Prinzipien eines Volksgeistes Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 259
und decken damit deren unvollständige, widersprüchliche Synthese auf.246 In diesem Sinne ist Hegels Darstellung des Untergangs der griechischen Welt (»sittliche Handlung«) bzw. der römischen (»Rechtszustand«) in der Phänomenologie zu verstehen. Dabei werden, wie schon angedeutet, historische Prozesse als Handlungserfahrungen dargestellt. Es ist deutlich, weshalb das Resultat einer solchen Erfahrung eine neue »Institution« sein muß: ein allgemein anerkanntes, die Handlungen mehrerer Individuen bestimmendes Selbstverständnis artikuliert sich in Handlungsregeln bzw. Institutionen. Nimmt man noch den oben schon behandelten Aspekt der teleologischen Struktur des Anerkennungsprozesses hinzu, dann kann man die Bedeutung der Anerkennung für die Methode der historischen Normen- bzw. Institutionengenese folgendermaßen zusammenfassen: a) Sie ist der Grund, weshalb ein Bewußtsein seinen Begriff von sich, sein »Selbstverständnis« prüfen, es handelnd Anderen gegenüber darstellen bzw. geltend machen muß, um aus der Reaktion der Anderen Rückschlüsse zu ziehen und seine »Meinung« zu korrigieren.247 b) Sie ist der Grund dafür, daß eine solche Reflexion zu einer neuen Norm bzw. Institution führen muß, weil sich die anerkannte Identität eines gemeinsamen Bewußtseins in Handlungsregeln ausdrücken muß; c) Sie ist der Grund für die »Ordnung« der Erfahrungen, weil das Ziel der vollendeten Anerkennung des »Ich« im »Wir« und umgekehrt den Erfahrungsprozeß bestimmt (s. o. S. 150). Dieses Ziel bestimmt die Stelle der Erfahrungsstufen und ist zugleich als »Motiv« des Bewußtseins (Streben nach, Kampf um Anerkennung) die treibende Kraft zur Überwindung jeder einzelnen Stufe.248 Von den Voraussetzungen der »Erlanger Schule« aus haben Siegfried Blasche und Oswald Schwemmer eine andere Deutung Hegelscher Normengenese gegeben, als sie hier versucht wurde. Hegels Verdienst besteht für Blasche und Schwemmer in der Erkenntnis, daß die Beurteilung von Normen und Institutionen, Sitten und Bräuchen nach dem Maßstab der Gerechtigkeit bzw. der moralischen Vertretbarkeit – kurz dem »Moralprinzip«249 – eine historische Genese voraussetzt. Denn die »in unserer Situation faktisch befolgten« Normen sind »in der Geschichte geworden« (1972, 260 | kapitel iv
466).250 Bei diesem Werden handele es sich – auch das habe Hegel erkannt – um den Übergang von »abstrakteren« bzw. »primitiveren« zu »komplexeren« Normensystemen. Will man aber verstehen, wie ein komplexes, reicheres System von – einander hierarchisch zugeordneten – Normen entsteht, dann muß man nach Ansicht der Autoren zunächst davon ausgehen, daß in einem »primitiveren« System nicht nur weniger Normen, sondern auch weniger Mittel existieren, mit denen die in den Normen befohlenen (oder erlaubten) Zwecke erreicht werden können. Die Entdeckung neuer Mittel bedeute aber nichts anderes als das Entstehen neuer »Handlungsweisen«, die »Teilgruppen innerhalb der Gesamtgruppe« ausführen (1972, 470). Dieser Vorgang – der der »Arbeitsteilung« entspricht – führt zu einer Verselbständigung von Mitteln zu Zwecken251 und damit zu neuen gebotenen Zwecken, d. h. zu einer Veränderung des Normensystems. Nach Schwemmer und Blasche kann man Hegels Übergang von der Familie zur bürgerlichen Gesellschaft in der Rechtsphilosophie als Darstellung eines solchen Prozesses »rekonstruieren«. Die in der Familie bestehenden Zwecke werden in der arbeitsteilig organisierten bürgerlichen Gesellschaft mittels neuer Handlungsweisen weiterverfolgt. Diese werden für die mit ihrer Ausführung befaßten »Stände« zu Zwecken, die eine Erweiterung des Normensystems notwendig machen. So entsteht etwa anstelle des Rechts am gemeinsamen Eigentum in der Familie ein Recht auf Privateigentum, das seinerseits auf die Organisation der Gesellschaft zurückwirkt. Blasche und Schwemmer verstehen den Übergang von der Familie zur bürgerlichen Gesellschaft als Beispiel einer Methode, die ihrer eigenen historischen Genese von Normen entspricht. Darum sei zunächst auf einige Punkte der ihr zugrunde liegenden Moralphilosophie hingewiesen, deren Applizierbarkeit auf Hegel mir zweifelhaft erscheint. Das ist zunächst der Primat der Selbsterhaltung. Lorenzen und Schwemmer betonen mehrfach, daß sie ohne die Annahme, die Lebenserhaltung sei der fundamentale Zweck des Menschen, weder die Aufstellung des Moralprinzips noch die historische Genese der Normensysteme für möglich halten (1973, 124, 193). Die der Lebenserhaltung dienenden, sonst aber »zweckfreien«252 Bedürfnishandlungen stellen nicht nur den »vorkulturellen« Anfang, sondern auch die »kulturinvariante Deutungsbasis« Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 261
dieser Genese dar (1973, 196). Konflikte, deren Lösungen moralisch beurteilbar sind, entstehen nur aus den Wirkungen solcher zweckfreien bzw. Selbstzweck-Handlungen und den zweckgebundenen Handlungen anderer Gruppenmitglieder (193). Das Primat der Selbsterhaltung bedeutet nicht nur, daß die lebenserhaltenden Handlungen in jedem Fall »ausgeführt sein müssen«, sondern auch, daß die zweckgebundenen als »Mittel zur Ermöglichung« der ersteren gedeutet werden (195). Die bewußte Überordnung eines anderen Zwecks über den der Selbsterhaltung ist somit für diese Theorie nicht nur unvernünftig, sondern im Grunde unverständlich.253 Für Hegel dagegen ist sie eine notwendige Voraussetzung für Sittlichkeit (vgl. Siep 1974). Selbstbewußtsein, das sich frei – und das heißt anerkannt – weiß, muß sich vom Primat der Selbsterhaltung befreit haben, wenngleich das Prinzip der Selbsterhaltung, vor allem der Erhaltung des Einzelnen durch die Gemeinschaft und der Gemeinschaft durch den Einzelnen, auch auf höheren Stufen und in »gegenwärtigen« Institutionen erhalten bleibt. Der zweite kritische Punkt betrifft das Verhältnis von faktischer und normativer Normengenese bzw. »Kulturdeutung« und »Kulturkritik«.254 Da es nicht um eine geschichtsphilosophische Deutung der Entstehung unseres Normensystems geht, sondern zunächst nur um die Kategorien, mit denen die Zwecke und Normen, die den gegenwärtigen Handlungsweisen zugrunde liegen, bestimmt werden können, muß die historische Genese mit einer »Enthistorisierung« bzw. »Funktionalisierung« enden.255 Das bedeutet, daß von allen für das gegenwärtige bzw. das zu deutende Normensystem nicht (mehr) relevanten Zwecken abstrahiert wird. Die geschichtliche Entwicklung der Normensysteme ist also als solche kein Maßstab für Verständnis und Beurteilung der gegenwärtigen Institutionen, sondern nur die Voraussetzung für die Verständigung über die Zuordnung von Handlungsweisen und Zwecken in unserer »Kultur«. Diese »faktische« Genese unseres Normensystems muß dann durch eine »normative« Rekonstruktion ergänzt werden, die die Neueinführung von Handlungsweisen – und in deren Gefolge von Zwecken und Normen – am Moralprinzip mißt. Das bedeutet, daß man für jede solche Einführung eine zwangsfreie Beratung aller Betroffenen fingiert, die die Verträglichkeit von Begehrungen herzustellen sucht. Historische Veränderungen von Normensystemen, 262 | kapitel iv
die einer solchen Beratung standhalten würden, können als gerechtfertigt bzw. vernünftig gelten. Diese »normative Rekonstruktion« muß von der faktischen Genese von Normensystemen methodisch scharf geschieden werden. Hegel habe diese Unterscheidung – zwischen einer »Entwicklung aus historischen Gründen« und einer »an und für sich gültigen Rechtfertigung« (vgl. Rechtsphilosophie, § 3 GW 14, 1, 26) – getroffen, aber auch vernachlässigt, weil er »letztlich den Methoden der Verständnisbildung eine zu geringe Bedeutung« beimesse (1972, 497). Dies gelte vor allem für den »späteren« Hegel. In Hegels Versuch, die Ableitung der Prinzipien der Rechtfertigung von Institutionen mit deren Genese zu verknüpfen, liegt für Schwemmer und Blasche also gerade Hegels »Dogmatismus«. Man könnte mit Hegel dagegen einwenden, daß ein Begreifen eines der Geschichte – insoweit sie sich überhaupt begreifen läßt – innewohnenden Prinzips weniger dogmatisch ist als die nachträgliche moralische Beurteilung der Geschichte anhand des Maßstabs der zwangsfreien Beratung aller Betroffenen, der erst in der Gegenwart aufgestellt worden ist. Dieses Prinzip ist ja selber weder genetisch abgeleitet noch als Interpretationsinstrument der Geschichte »bewährt«. In diesem Punkt hätte ihm vermutlich auch Marx zugestimmt.256 Hegels Verdienst besteht dagegen für Schwemmer und Blasche im Verständnis der Normengenese als einem der Arbeitsteilung entsprechenden Vorgang. Ohne hier eine eigene Interpretation der »bürgerlichen Gesellschaft« in der Rechtsphilosophie vorzulegen, kann indessen gesagt werden, daß Hegel den Prozeß des Normenwandels keineswegs nach dem Muster der Arbeitsteilung interpretiert. Das heißt nicht, daß die Wandlung der Institutionen – speziell der Arbeitsregeln selber und derjenigen, die auf die Bedürfnisbefriedigung bezogen sind – nicht durch diesen Prozeß beeinflußt würde. Gerade in den Jenaer Schriften257 ist in der Tat die Familiensittlichkeit eine sowohl tiefere wie historisch frühere Stufe als das System der Bedürfnisse, d. h. die organisatorisch differenziertere und institutionell »komplexere« arbeitsteilige Gesellschaft. Dennoch würde Hegel weder dort noch in der späteren Rechtsphilosophie den »Übergang« von der Familie zum System von Recht, Arbeit und Eigentum selber als Arbeitsteilung oder einen der ArPhilosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 263
beitsteilung analogen Vorgang der Verselbständigung neuer Mittel zu Zwecken und der Sanktionierung dieser Zwecke durch eine Veränderung des Normensystems begreifen wollen.258 Vorgänge der Arbeitsteilung wie die Einführung neuer Handlungsweisen können zwar den Prozeß des Normenwandels äußerlich-faktisch in Gang bringen, sagen aber nichts über dessen eigentliche Struktur aus. Die Genese der Institutionen folgt bei Hegel in den Jenaer Schriften dem Anerkennungs- und Erfahrungsprozeß des Bewußtseins, in der Rechtsphilosophie der Entfaltung der Momente der Idee der Freiheit die in der Logik »vorgezeichnet« ist. Es fragt sich, ob Hegels Begriff der Erfahrung mit den Institutionen den Prozeß des Institutionen- und Normenwandels nicht adäquater wiedergibt als die methodische Rekonstruktion von Schwemmer und Lorenzen. Daß Erfahrung im weitesten Sinne den Wandel von Institutionen bestimmt, bestätigen neuere Untersuchungen zum Verfassungsrecht.259 Eine wichtige Aufgabe der heutigen praktischen Philosophie liegt darin, einen bestimmten, nichttrivialen Begriff von historischer Erfahrung zu gewinnen. Für Hegel war diese Bestimmtheit gegeben, weil der Prozeß der Erfahrung mit der Selbstentfaltung des Systems der Momente des Geistes zusammenfiel.260 Ohne diese Voraussetzung lassen sich Hegels Erfahrungsbegriff aber die folgenden wesentlichen Momente als Grundlage einer nicht-teleologischen Konzeption von Erfahrung entnehmen: 1) Die Darstellung von Krisen261 der Institutionen und Normen als Resultat der Selbstprüfung einer Bewußtseinsweise im Handeln – sie erfolgt auch in der Phänomenologie weitgehend ohne Rückgriff auf kategoriale Entwicklungen, die nur für den »spekulativen« Philosophen erkennbar sind;262 2) die Darstellung der Veränderung von Verfassungen, Institutionen oder Normen als eine Folge von »bestimmten Negationen« der krisenauslösenden Momente ihrer Vorgänger; 3) die genetische Darstellung des Prinzips, das festlegt, welche Erfahrungen, die sich in Institutionenänderungen niederschlagen, als »Fortschritt« anzusehen sind: des Prinzips der Anerkennung.
264 | kapitel iv
c) Quietismus oder Kritik? Aus den Erörterungen der beiden vorausgehenden Abschnitte ergibt sich, daß Hegels praktische Philosophie in Jena nicht auf eine bloß verstehende Philosophie der Weltgeschichte zu reduzieren ist, sondern daß sie ein Prinzip zur Beurteilung gerechter Institutionen besitzt, das auch die historische Genese von Institutionen und Normen zu »werten« erlaubt. Aber hält Hegel die Kritik zeitgenössischer Institutionen, die Unterscheidung zwischen vernünftigen und unvernünftigen Einrichtungen eines Staates seiner Zeit, überhaupt für eine Aufgabe der Philosophie? Bedenken gegen ein solches Hegel-Verständnis gehen vor allem auf die Auffassung zurück, daß schon in den ersten Jenaer Jahren – etwa in der überarbeiteten Einleitung zur Verfassungsschrift – Hegels Abwendung von der Kritik und seine Hinwendung zu einem »geschichtsphilosophisch aufgeklärten Quietismus« deutlich werde (Habermas 1966, 357). Jürgen Habermas hat seine Auffassung einer Wende von der Kritik zum Quietismus in Hegels Jenaer Entwicklung durch einen Vergleich der beiden Fassungen der Einleitung zur Verfassungsschrift von 1799 bzw. 1802 belegt. Nach der älteren Fassung versteht Hegel seine Untersuchung der Verfassung Deutschlands als Kritik im Dienste der Veränderung: Das Gefühl, daß das Leben aus den alten Institutionen gewichen ist, verspüren alle, können aber nur einige Einsichtige auf den Begriff bringen und dadurch die Verantwortlichen, Fürsten und Vertreter der Stände, dazu bewegen, mit »kalter Überzeugung« das Überlebte zu beseitigen und die Verfassung zu reformieren, um so die unvermeidliche Umwälzung nicht noch durch die »Rache« der »unterdrükkte[n] Menge« zu verschärfen (GW 2, 104 f.). Wenn Hegel in der überarbeiteten Fassung von 1802 der Philosophie dagegen die Aufgabe zuweist, das »Verstehen dessen was ist« und damit das »gemässigte Ertragen« der Ereignisse zu befördern (GW 5, 163), dann ist sie offenbar nicht mehr Kritik, sondern »stoische Erziehung von Querulanten und Weltverbesserern zum geschichtsphilosophisch aufgeklärten Quietismus« (Habermas 1966, 357). Habermas weist freilich selber darauf hin, daß eine solche Auffassung im Vorwort einer »Kampfschrift« mit »programmatischen Vorschlägen« zur Veränderung der Reichsverfassung »eigentümlich« sei – ein Umstand, den er auf die zeitliche Differenz Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 265
zwischen der Abfassung der »programmatischen« Teile der Schrift und der Überarbeitung des Vorworts zurückführt. (Ebd.) Es ist sicher richtig, daß Hegel im Vorwort zur Verfassungsschrift von 1802 die Möglichkeiten einer Reform der Reichsverfassung äußerst skeptisch beurteilt.263 Daraus kann aber nicht auf eine völlig neue Einstellung zu den Fragen philosophischer Institutionenkritik geschlossen werden. Man darf nicht vergessen, daß Hegels Mahnung zum Ertragen dessen, was ist, sich nur an diejenigen richtet, die sich über den Zustand des Reiches und die Möglichkeit einer Reform seiner Institutionen Illusionen machen. Otto Pöggeler hat darum zu Recht darauf hingewiesen, daß Hegels Mahnungen nicht Ausdruck von »Quietismus oder Geschichtsfatalismus« seien, sondern gerade die Aufforderung, »die Chancen zu erkennen, die nunmehr allein noch wirkliche Chancen« zur Reform des Reiches sind.264 Erkenntnis der »Notwendigkeit« ist Voraussetzung illusionsloser Kritik. Mit dieser Auslegung des Vorwortes zur Verfassungsschrift stimmen Hegels übrige Äußerungen zum Verhältnis von Philosophie und Geschichte eher überein. Maßgeblich für Hegels Auffassung in Jena ist nämlich, daß die Voraussetzung geschichtlicher Veränderungen die Umwälzung der Begriffe und Vorstellungen ist, die die Bildung einer Zeit bestimmen. Dabei aber spielt die Philosophie eine entscheidende Rolle. Gerade die Grundbegriffe der Bildung seiner eigenen Zeit sind für Hegel selber philosophischer Natur – geprägt von der in Gegensätzen denkenden »Reflexionsphilosophie« – und daher nur von einer »neuen« Philosophie zu verändern. Eine solche philosophische »Umwälzung« aber ist notwendig, weil die Grundbegriffe der Reflexionsphilosophie zur Ursache der »Entzweiung« in der Bildung der Zeit geworden sind. Diese Auffassung hat Hegel schon in der Differenzschrift von 1801 vertreten – und sie in der Vorrede zur Phänomenologie in nur wenig abgewandelter Form wiederholt.265 Zur Veränderung öffentlicher Institutionen kann die Kritik der Bildung einer Zeit allerdings erst durch eine Wechselwirkung zwischen Philosophie, öffentlicher Meinung und Regierung kommen – auch in dieser Frage unterscheidet sich der Systementwurf von 1805/1806 nur wenig von der »kritischen« Fassung der Einleitung in die Verfassungsschrift von 1799. Die Quelle »aller Veränderungen« 266 | kapitel iv
im Leben der Staaten ist nach dem Text von 1805/06 die »gebildete öffentliche Meynung« (GW 8, 273 R). Wenn die »Überzeugung« der diese öffentliche Meinung prägenden »Maximen« und »Begriffe des Rechts und Unrechts« einmal »nachgelassen« hat (ebd.), dann muß die Regierung eines Staates dieser Veränderung folgen, sie darf »nicht auf die Seite des Vergangenen treten« (263). Die öffentliche Meinung ist daher nach Hegel das »wahre legislative Korps« (ebd.). Sie hat aber nur ein Bewußtsein des »Mangels« – keinen positiven Begriff des neuen Geistes. Dieser Begriff des neuen Geistes, der die Erkenntnis der notwendigen Veränderungen von Normen und Institutionen erst möglich macht, kann nur aus der Philosophie kommen. Der »Anfang des neuen Geistes«, so heißt es in der Vorrede der Phänomenologie, ist der in der Philosophie – als Resultat einer »Umwälzung« der alten »Bildungsformen« – entstandene »einfache Begriff desselben« (PhG 10). Damit aus diesem Anfang eine »neue Welt« des Geistes entstehe, muß sich der Begriff zur Wissenschaft entfalten und zugleich vor dem natürlichen Bewußtsein der Zeit rechtfertigen (vgl. o. S. 214 ff.). Daß die Philosophie zur kritischen Beurteilung von Institutionen fähig ist, bleibt Hegels Auffassung während der gesamten Jenaer Zeit – und noch über sie hinaus. Wie seine Schrift zur Verhandlung der Württembergischen Landstände (»Landständeschrift«) von 1817 zeigt, kann Philosophie auch die Prinzipien falscher Reformen als überholt kritisieren. Dazu braucht sie die Einsicht, daß etwa das Prinzip der Monarchie in Verbindung mit dem der ständischen Repräsentation266, das »moderne« Prinzip gegenüber dem der Demokratie in ihrem griechischen Verständnis darstellt. »Modern« hier freilich in dem Sinne von »vernünftig«, der Entwicklungsstufe des Geistes – dem Anerkanntsein des reinen Selbst im Volksgeist – angemessen. Die charakteristischen Institutionen des modernen Staates, wie Recht, Handel, Gewerbefreiheit etc., sind dagegen nur vernünftig, wenn ihnen ein Gegengewicht in Gestalt von Institutionen der absoluten Sittlichkeit gegenübersteht, die im Prinzip auf die griechische Polis und ihre politische Philosophie zurückgehen (s. o. S. 180 ff.). Vernunft und Wirklichkeit fallen für Hegel nicht in dem Sinne zusammen, daß das System der vernünftigen Institutionen, wie es im Grundriß in der Jenaer Geistphilosophie konzipiert ist, zwangsläufig in den Staaten seiner Zeit realisiert wäre oder würde. Philosophie, Geschichtsphilosophieund Sozialisationstheorie | 267
Es ist im Gegensatz zur späteren Rechtsphilosophie bei den Jenaer Entwürfen sehr viel schwerer, das existierende Vorbild auszumachen – sicher ist es nicht die Verfassung eines bestimmten Staates der Zeit.267 Die Jenaer Geistphilosophie ist aber auch keine rein »apriorische« Konstruktion vernünftiger Institutionen, sondern an historischen Erfahrungen und schon einmal realisierten Institutionen orientiert. Das hindert sie nicht, das Festhalten an überholten Institutionen (vor-arbeitsteilige Ökonomie, radikale Demokratie, vorstaatlicher Zweikampf etc.) sowie das falsche Verständnis von Institutionen (Ehe und Staat als Vertrag, »mechanische« Anwendung des Rechts, Völkerrecht als Überstaat etc.) zu kritisieren, weil es auf einer unvollständigen Synthese von Gedankenbestimmungen beruht.268 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die geschichtsphilosophische Komponente der praktischen Philosophie Hegels nicht die Reduktion auf das Begreifen dessen, was ist, bedeutet. Nicht was ist, sondern was »an der Zeit ist« hat das System der Institutionen zu bestimmen. Weder ist alles, was an der Zeit ist, in den Staaten der Zeit – oder gar einem einzigen – bereits realisiert noch sind alle existierenden Institutionen zeitgemäß. Darin liegt die kritische Potenz der praktischen Philosophie Hegels. Gleichwohl ist sie keine »Zeitkritik«; es geht ihr nicht in erster Linie um eine Kritik bestehender Institutionen, sondern – und das ist gewissermaßen ihre utopische Tradition – um ein System vernünftiger Institutionen, das dann freilich zeitkritischen Schriften zum Maßstab dienen kann.269 Dieses utopische System trägt keinen gegenwärtigen Maßstab an geschichtlich gewordene Institutionen, sondern gewinnt seinen Maßstab aus einer geschichtsphilosophischen Genese. Nur vermittelt über das vernünftige System der Institutionen ist bei Hegel Anerkennung der Maßstab für eine kritische Gesellschaftstheorie. Der Maßstab erhebt aber einen zeitlosen Anspruch – ein Anspruch, der auf dem teleologischen Gedanken des Zusichkommens, des SichVerwirklichens und zugleich »durchsichtig« Werdens (Selbsterkennens) des Geistes in der Geschichte zu beruhen scheint.270 Was wird aus diesem Anspruch, wenn das teleologische Denken nicht mehr überzeugt? Auf diese Frage wird der letzte Abschnitt des folgenden Kapitels noch eingehen müssen.
268 | kapitel iv
V. Anerkennung, Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart Was ist das Fazit aus der Anerkennungstheorie in Hegels Jenaer Schriften, was sind ihre Stärken und ihre Mängel? Hat Hegel sie in seine reife Staatsphilosophie aufgenommen, hat er sie aufgegeben oder korrigiert? Worin liegt ihre Bedeutung für die praktische Philosophie der Gegenwart? Ich versuche zunächst, die Stärken und Mängel der Jenaer Anerkennungstheorie zusammenzufassen. 1. Die »Asymmetrie« der Hegelschen Anerkennungstheorie Hegel faßt Anerkennung als einen Prozeß der wechselseitigen Bildung des einzelnen und des allgemeinen Bewußtseins. Auf der Stufe der interpersonalen Beziehungen bildet sich das Selbstbewußtsein des Einzelnen durch die verschiedenen Formen, sich im Anderen als Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit zu erkennen – das heißt als Einheit von sich selbst konkretisieren, sich in Bestimmtheiten »engagierens« und sich von ihnen zugleich frei wissen. Das Sich-Anschauen im Anderen, das selber die Momente der selbstüberwindenden Vereinigung und der Überwindung »distanzloser« Vereinigung durch Selbstbehauptung hat, führt also ebenso zur Befreiung von der eigenen individuellen Beschränkung wie zur Selbstidentifikation. Wobei das, womit man sich identifiziert – genauer: was durch Identifikation mit sich zustande kommt – das in seiner Bestimmtheit von sich (als »Diesem«) freie Ich ist. Die so »gebildete« Person ist ebenso in jeder bestimmten Beziehung zum Anderen »sie selbst« wie nicht sie selbst – nämlich darüber hinaus. Dieses Verhältnis soll nun, der »Idee« der Anerkennung nach, auch auf der Stufe der Anerkennungsbeziehungen zwischen Individuum und gemeinsamem Bewußtsein bzw. Willen gelten: das Individuum weiß sich als eins mit dem allgemeinen Willen, mit seinen Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 269
Sitten, Gesetzen, Institutionen – und damit weiß es sich frei von sich selber, bis zur Selbstaufopferung für das Gemeinwesen. Zugleich aber weiß es sich in seinem »absoluten Insichsein« frei von diesen Formen des gemeinsamen Willens, wie er sich in historisch bestimmten Institutionen und Willensakten äußert. Die Distanz des Individuums zur Konkretion des allgemeinen Willens hängt aber ab von dessen »Freigabe«: der Selbstaufopferung des Einzelnen entspricht eine Selbstnegation des allgemeinen Willens. Genau hier beginnen die Probleme der Hegelschen Anerkennungslehre. Die Selbstnegation des im Staat und seinen Organen institutionalisierten allgemeinen Willens zugunsten des Individuums steht zu dessen Selbstnegation in einem »asymmetrischen« Verhältnis. Zunächst einmal gilt sie nicht dem Individuum als »einmaligem« und von allgemein geltenden Regeln möglicherweise abweichenden, sondern seiner »Einzelheit«, d. h. seiner Fähigkeit des »Insichreflektiertseins«, der Freiheit von seinen besonderen Bestimmtheiten. Sie gilt der Rechtsperson »im allgemeinen«, dem Wissenden, staatliche Einrichtungen und Gesetze Beurteilenden – aber nach anerkannten wissenschaftlichen Regeln und »gediegenen Grundsätzen« – als solchem; dem Gläubigen, in religiösen Gesinnungen (nicht in öffentlichen Handlungen) von dem bestimmten Staat freien Subjekt als solchem usw. Also nicht den bestimmten Ansprüchen, Zwecken, Urteilen, Glaubensüberzeugungen des Individuums. Abweichungen von öffentlich anerkannten Regeln können – anders als in der religiös-moralischen Versöhnung, in der beide Seiten gleiche »Schuld« bekennen – im Staat allenfalls begnadigt oder »bagatellisiert« werden (»diese einzelne That ist ein Tropfen, der das Allgemeine nicht berührt«, GW 8, 252). Freiräume des Individuums können immer nur unter Vorbehalt gewährt – ja sie müssen in periodischen Kriegen »erschüttert« werden. Die mögliche Distanz des Individuums zu den bestehenden Institutionen des allgemeinen Willens kann durch dessen souveränen – selber »einzelnen«, von Institutionen und Gesetzen ungebundenen – Willen in beschränktem Maße toleriert werden. Sie kann aber nicht in derselben Weise durch Selbstnegation positiv gewollt werden wie das Individuum die Selbständigkeit des allgemeinen Willens durch Selbstnegation seiner »ausschließenden« Einzelheit sowie seiner besonderen Meinungen und Maßstäbe sich positiv zum Zweck macht – 270 | kapitel v
und zwar zum erzwingbaren. Das von sich Ablassen des allgemeinen Willens gegenüber dem »nonkonformistischen« Einzelnen ist Ausnahme – das von sich Ablassen des Individuums gegenüber dem Allgemeinen ist Regel und höchster Zweck. Was bedeutet diese »Asymmetrie« für die Hegelsche Interaktionstheorie und Staatsphilosophie insgesamt? Ist es nicht eine Trivialität, daß das einmalige Individuum nicht Gegenstand eines in Gesetzen sich manifestierenden allgemeinen Willens sein kann? Oder daß staatliche Strafverfolgung individuelle Regelabweichung allenfalls »übersehen«, aber nicht sanktionieren kann? Auch daß die wechselseitige Verläßlichkeit zwischen den Individuen auf das Vertrauen in »normales« Verhalten statt auf das Gewärtigen ständig neuer »Regelinterpretationen« angewiesen ist, erscheint als eine Selbstverständlichkeit. Schließlich ist Hegels Einsicht, die Sittlichkeit verlange die Befreiung des Individuums von seiner Natürlichkeit, seinen »zufälligen Einfällen und Vorstellungen« (Henrich 1971, 184), den gegenwärtigen Konzeptionen einer vernünftigen »Universalisierung« je partikularer Bedürfnisse und Zwecke in einem »zwanglosen« Diskurs wohl doch überlegen. Trotzdem scheint mir, daß die Asymmetrie der zweiten Stufe der Hegelschen Anerkennungslehre für seine gesamte praktische Philosophie bedenkliche Folgen hat, die ich noch einmal in drei Punkten zusammenfassen möchte. 1) Es ist – zumal in der späteren Hegelschen Philosophie – nicht ersichtlich, welche Instanz für Innovationen oder Neuinterpretationen von Regeln in Frage kommt. Jedenfalls ist dies kein vom Individuum ausgehender Prozeß, der auf dem Wege der Anerkennung durch Andere und so der Bildung eines gemeinsamen Bewußtseins schließlich zur »Institutionalisierung« neuer Regeln führen könnte. Hegel hat in der Jenaer Geistphilosophie (1805/06) noch der »öffentlichen Meinung« – allerdings wohl nur der auf die »Gebildeten« beschränkten (Pöggeler 1974, 30, 76) – einen solchen innovatorischen Prozeß zugetraut. Zugleich enthält diese Schrift aber bereits die Konzeption einer auf der wissenschaftlich gebildeten Beamtenschaft basierenden Regierung, in der der Geist eines Volkes zur höchsten »Selbstgewißheit« kommt. Die Fundamente dieser wissenschaftlichen Bildung entstammen selbstverständlich der Philosophie in ihrer Hegelschen Gestalt. Diese Philosophie aber wird – Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 271
durch die Zurückdrängung des Erfahrungsbegriffs und die Konvergenz von teleologischer Logik und teleologischer Geschichtsphilosophie – zunehmend ein in sich geschlossenes System (s. Anm. 270). Aufgrund des absoluten Wissens dessen, was die Grundlagen und -institutionen eines vernünftigen Staates sind, ist es nicht so verwunderlich – und vielleicht nicht bloß ein Zeichen vorübergehender Akkommodation – wenn Hegel zur Zeit der Rechtsphilosophie von 1820 ernsthaft einen »offiziellen Status« für die »wahre« Wissenschaft in Erwägung zieht (Ilting 1973, 61 ff., 74 ff.; ders. 1974, 40 f.; vgl. Rph §§ 270, 281).271 Verstärkt wird diese Exklusivität, wenn er zunehmend nur noch eine wahre – protestantische – Religion als mit Philosophie und Staat verträglich ansieht (vgl. Enz § 552). Die Erfahrungen unseres Jahrhunderts mit einer Staatsverwaltung, die einerseits durch absolutes bzw. »wissenschaftliches« Wissen legitimiert ist, andererseits an Grundrechte und Gesetze nicht strikt gebunden, sollten ausreichend sein, gegen diesen Zug des Hegelschen Denkens bedenklich zu stimmen. 2) Der Anerkennungsprozeß ist bei Hegel teleologisch konzipiert. Ohne hier auf seine Erörterung der Teleologie in der Wissenschaft der Logik einzugehen, kann gesagt werden, daß damit die jeweils »tieferen« Stufen dieses Prozesses in einem doppelten Sinne von den »höheren« bestimmt sind: einmal, weil ihr Sinn in der Entwicklung zu den höheren besteht und sich erst von diesen her ganz begreifen läßt – zum anderen, weil dies in der praktischen Philosophie auch ein »höheres Recht« der höheren Institutionen bedeutet. Auf die Konsequenz dieses höheren Rechts gehe ich im dritten Punkt ein. Aus der »Entwicklungslogik« der Anerkennung folgt bereits, daß die Stufe der interpersonalen Anerkennung im Hinblick auf die Bildung des Anerkennungsverhältnisses zwischen Individuum und »Allgemeinem« gesehen werden muß. Das ist der Grund, weshalb Hegel – wie in Kap. IV. 2 deutlich wurde – schon auf der Stufe der wechselseitigen Anerkennung in Liebe, Arbeit, Tausch, Rede usw. den Schwerpunkt auf die Befreiung des Individuums von seiner Natürlichkeit, Besonderheit und den daran »haftenden« Beziehungen zu anderen legt. Daß diese »Freiheit von« zugleich eine »Freiheit in«, das Sich-Lösen zugleich ein Sich-Einlassen sein muß, ist zwar richtig. Aber die besonderen Beziehungen, Lebensweisen, »Gesinnungen«, auf die sich das von seiner Natürlichkeit frei werdende 272 | kapitel v
Individuum einläßt, sind »Besonderungen« des Volksgeistes. Die Identifizierung mit ihnen hat nicht primär den besonderen Anderen im Blick und auch nicht die eigene »Konkretion« in dieser Beziehung, sondern die Einheit mit dem »Geist des Ganzen« und seiner Manifestation in besonderen Beziehungen. Der Andere, die Beziehung und das eigene Selbst sind im Rahmen des jeweiligen Gemeinwesens gewissermaßen »substituierbar«. Das aber kann als Theorie interpersonaler Beziehungen nur den befriedigen, der in allen Arten solcher Beziehungen – nicht etwa nur in Tausch – oder Rechtsbeziehungen – die Träger und die Bestimmtheit ihrer Beziehung selber für austauschbar hält. 3) Hegel hat aber das Enthaltensein der tieferen Stufen in den höheren auch als ein Verhältnis der Ermöglichung und Freigabe der tieferen durch die höheren – konkret der Familie und des Systems von Eigentum und Recht durch den Staat – verstanden. So wie ja auch die »Lebendigkeit« eines Ganzen in der möglichst großen Selbständigkeit der Teile bestehen soll. Dieser Gedanke gewinnt sogar nach der Jenaer Zeit noch an Bedeutung. Er wird aber durch zwei andere Gedanken der Hegelschen Staatsphilosophie erheblich eingeschränkt. Der eine ist, daß derjenige, der »freigibt«, schon wissen muß, daß die Selbständigkeit der tieferen Sphären zugleich eine Selbstaufhebung ist. Die in der Familie vollkommen gewordene Einzelheit hebt sich eben dadurch als selbständige, ausschließende Einzelheit auf. Ebenso wird der in Rechts- und Eigentumsverhältnissen sich »besondernde« Wille – sei es unbeabsichtigt, sei es durch korrigierende Eingriffe der Regierung – in den sich selbst bezweckenden allgemeinen zurückgelenkt. Der zweite einschränkende Gedanke ist, daß bei möglichen Konflikten der Ansprüche dieser Sphären bzw. Institutionen die jeweils höhere Stufe der Selbstverwirklichung und -erkenntnis des Geistes auch den höheren Anspruch, oder wie Hegel später sagt, das höhere »Recht« hat. Man könnte von einer Art »lexikalischer Priorität« (Rawls 1975) der jeweils höheren Stufe sprechen: daß der ihr immanente Zweck erreicht wird, muß auf jeden Fall gesichert sein, bevor die Ansprüche der tieferen Sphären »freigegeben« werden können. Daher hat der Staat das Recht, in allen Fällen, in denen seine Existenz auf dem Spiel steht, »vollkommen tyrannisch zu verfahren« (GW 8, 259). Daher bemißt sich die Freigabe der Sphären nach der Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 273
»Stärke«, die das Ganze dadurch gewinnt – natürlich auch der auf der Loyalität der Bürger beruhenden Stärke. Dann muß man aber auch sagen, daß Hegel die staatlichen Institutionen nicht im gleichen Maße danach beurteilt, in welchem Grade sie Anerkennungsbeziehungen zwischen Individuen ermöglichen, wie umgekehrt diese Beziehungen danach, ob sie die Vereinigung des individuellen mit dem allgemeinen Willen ermöglichen. Damit besteht aber auch zwischen den Anerkennungsstufen kein »symmetrisches« Verhältnis. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Anerkennungsbeziehungen zwischen Individuen – auf allen Ebenen – ebensosehr »Zweck« des Staates wären wie die Existenz eines »sittlichen« Staates Gegenstand des Wollens der Individuen in diesen Beziehungen. Es sollte in dieser Untersuchung gezeigt werden, daß die Konsequenzen der Hegelschen Anerkennungslehre nicht mit Notwendigkeit aus dem Prinzip Anerkennung folgen, sondern auf die Verletzung der diesem Prinzip auch bei Hegel immanenten Symmetrie zurückgehen. Es hat sich nun allerdings auch gezeigt, daß diese »Verzerrung« auf einer konsequenten Anwendung des teleologischen Entwicklungsgedankens Hegels beruht. Bevor zum Schluß noch einige Hinweise auf eine nicht-teleologische Anerkennungstheorie als Grundlage der praktischen Philosophie gegeben werden, sei aber noch kurz erörtert, ob die Beschränkung auf die Jenaer Schriften in dieser Untersuchung das Bild der praktischen Philosophie Hegels und ihrer Anerkennungstheorie nicht ebenfalls »verzerrt«. 2. Anerkennung in der Rechtsphilosophie von 1820 Die Untersuchungen zu Hegels Anerkennungslehre in dieser Arbeit beschränken sich im wesentlichen auf die Jenaer Schriften, weil diese für die in der Einleitung skizzierte Problematik der gegenwärtigen praktischen Philosophie ergiebiger sind als die späteren.272 Das gilt für den Versuch, ein erklärendes und beurteilendes System von Institutionen zugleich als Prozeß der Bildung eines vernünftigen Verhältnisses von einzelnem und allgemeinem Willen und als historische Genese solcher Institutionen darzustellen. Die Einheit dieser Betrachtungsweisen löst sich in der späteren Hegelschen Phi274 | kapitel v
losophie des objektiven Geistes auf. Der Bildungsprozeß des »allgemeinen Selbstbewußtseins«, der die Bewußtseinsgegensätze von Ich und Gegenstand, besonderem und allgemeinem Selbst überwindet, wird seit der Nürnberger Bewußtseinslehre von 1808/1809 von der Darstellung des Systems der vernünftigen Institutionen getrennt.273 Und dieses wiederum wird nicht mehr selber als »historische Genese« dargestellt. Die Einheit der Philosophie des Rechts und der Philosophie der Geschichte liegt nicht mehr in ihrer »verschränkten« Darstellung als Geschichte von Erfahrungen des Bewußtseins mit (»historischen«) Institutionen, sondern in ihrer gemeinsamen Entsprechung zur spekulativen Logik, deren Begriffsgenese sowohl die Rechts- wie die Geschichtsphilosophie strukturiert. Dies ist jedenfalls die Konzeption des späteren Hegelschen Systems – wie weit sie tatsächlich durchgeführt ist, ob etwa die Logik eine freiheitlichere, kommunikativere »Sozialontologie« enthält als die Rechtsphilosophie von 1820 (Theunissen 1978), steht hier nicht zur Debatte. Diese Veränderungen scheinen sich zwar auf die Methode der praktischen Philosophie und damit auch auf den »Prinzipiencharakter« der Anerkennung zu erstrecken – aber wie steht es mit den Inhalten der späteren Anerkennungslehre? Lassen sich in ihr dieselben Inkonsequenzen nachweisen wie in den früheren Schriften? Ich möchte im Folgenden kurz zu begründen versuchen, weshalb meiner Auffassung nach auch die Rechtsphilosophie die Probleme der früheren Anerkennungslehre nicht löst. Auf den ersten Blick spricht einiges dafür, daß sie sie löst. Der Gedanke der Anerkennung spielt zweifellos in der Rechtsphilosophie noch eine wichtige Rolle. Zwar sagt Hegel in § 71, daß im objektiven Geist das »Moment der Anerkennung schon … vorausgesetzt« sei und führt in § 57 aus, der Kampf um Anerkennung und das Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnis sei eine »unwahre Erscheinung« des Geistes, über die dieser am Anfang der »Rechtswissenschaft … schon hinaus ist«. Aber im selben § 71 heißt es auch, das Anerkennungsverhältnis als solches bleibe im objektiven Geist »enthalten«. Das bestätigt sich an wichtigen Stellen der Rechtsphilosophie, an denen sowohl die interpersonalen Beziehungen wie das Verhältnis zwischen Individuum und allgemeinem Willen als Anerkennungsverhältnisse bestimmt werden. So heißt es etwa vom Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 275
Vertrag, der zweiten Stufe des abstrakten Rechts, daß die »darein tretenden sich als Personen und Eigentümer anerkennen« (§ 71). Im zweiten Teil der Rechtsphilosophie, der über die »Moralität« handelt, nennt Hegel es das »höchste Recht des Subjects«, nur das als »gültig« anzuerkennen, was es als »gut« bzw. »vernünftig« einsieht (§ 132). Auch dieses Recht dispensiert den Einzelnen freilich nicht davon, in seiner Handlung, »die in einer wirklichen Welt existiren soll, also in dieser anerkannt seyn will«, sich deren Gesetzen zu unterwerfen, damit das »Recht der Objectivität anerkannt« wird (ebd.). Die Einheit dieser beiden Rechte, die Freiheit als Sittlichkeit, bestimmt Hegel im § 260 ebenfalls mit Hilfe des Anerkennungsbegriffes: »die concrete Freyheit aber besteht darin, daß die persönliche Einzelheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwickelung und die Anerkennung ihres Rechts für sich (im Systeme der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen theils übergehen, theils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren Endzweck thätig sind …«. In diesem Paragraphen der Rechtsphilosophie wird ausdrücklich der Freiheitsbegriff ihrer höchsten Stufe als Anerkennung der »persönlichen Einzelheit« – und spezieller ihrer »besonderen Interessen« – durch das »Allgemeine« und ebenso umgekehrt als dessen Anerkennung durch die Einzelnen bestimmt. Ist in dieser Formulierung nicht alles das positiv festgehalten, was wir an der früheren Anerkennungslehre vermißten: das Anerkennen der besonderen Interessen der »unverwechselbaren« Einzelheit, und zwar als Recht, das offenbar vom »Allgemeinen« eingefordert und unter Umständen gegen Verweigerung nach Regeln durchgesetzt werden kann? Da sich die besonderen Interessen des Individuums sicher auch auf seine Anerkennung durch den Anderen beziehen, scheint auch der weitere Punkt unserer Kritik hinfällig sein, daß nämlich die Ich-Du-Anerkennung nicht Zweck des Allgemeinen sei, sondern umgekehrt dessen Anerkennung durch die Einzelnen der Zweck der Interpersonalbeziehungen. So könnte man also sagen, daß die Rechtsphilosophie zwar die Sequenz ihrer Institutionen nicht mehr als eine systematische Folge von Anerkennungsstufen bestimmt – und insofern Anerkennung als Prinzip an Bedeutung verliert –, daß 276 | kapitel v
aber andererseits ihrer Bestimmung von Sittlichkeit und Freiheit ein in sich konsequenter, symmetrischer Anerkennungsbegriff zugrunde liegt, dem auch die entsprechenden Institutionen zugeordnet werden können. Daß es in der Rechtsphilosophie um Anerkennung und Freigabe der »Besonderheit« geht, und zwar nicht nur als ein Moment des Sich-Besonderns des Geistes, sondern auch im Sinne der zufälligen Bestimmtheiten des Individuums, kann nicht bestritten werden. Hegel unterscheidet etwa mit Bezug auf den Begriff der Person im abstrakten Recht zwischen der »inhaltslosen einfache[n] Beziehung auf sich in seiner Einzelnheit« und dem bestimmten Inhalt von »Willkühr, Trieb und Begierde« (§ 35) sowie den »Particularitäten« des »so alt, so groß, in diesem Raum« (Hotho-Nachschrift; Ed. Ilting, 3, 191). Beide Momente, das »Hohe« der Freiheit, die von allem abstrahieren kann, und das »ganz Niedrige« des zufälligen Bestimmtseins »als Dieser« machen die Person aus, die »diesen Widerspruch aushalten« kann (ebd.). Ein Widerspruch, der allerdings in der Entwicklung des abstrakten Rechts eine neue Gestalt gewinnt, wenn sich – nach der anfänglichen »Harmonie« von »abstrakter Persönlichkeit« und ihrer allgemein anerkannten Möglichkeit des ausschließenden Zugriffs auf besondere Gegenstände (Eigentum, Vertrag) – im »Unrecht« ein einzelner oder gemeinsamer »besonderer Wille« vom »an sich seienden Willen« (§ 81) trennt (etwa im formal korrekten, aber betrügerischen oder »sittenwidrigen« Vertrag). Man kann dies als eine dritte Bedeutung von »Besonderheit« (§ 260) in der Rechtsphilosophie bezeichnen: zu der »begriffslogischen« Besonderheit des sich besondernden und in seinen Besonderungen sich selbst erkennenden Geistes und der »empirischen« Besonderheit des Individuums als eines »Diesen« kommt die Besonderheit der »volonté particulière«, eines sich vom Willen des Gemeinwesens »absondernden« oder zumindest gleichgültig gegen ihn verhaltenden Willens, der seine eigenen Zwecke verfolgt. Es gibt keinen Zweifel, daß der sich besondernde objektive Geist nach der Rechtsphilosophie ein System von »Freigaben« der Besonderheit in den beiden übrigen Bedeutungen enthält. Die Frage ist, ob diese Freigabe einen grundsätzlich anderen Charakter hat, als oben bezüglich der Jenaer Schriften konstatiert wurde: einer FreiRechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 277
gabe »umwillen« der Rückführung zu dem, was freigibt, ohne dabei sich selbst als Zweck dieser Freigabe aufzugeben. Einer Freigabe also zum Zwecke des Nachweises, daß jeder partikulare Wille, auch wenn er sich auf sich selbst »versteift«, nicht umhin kann, den in seiner Spitze von allen partikularen Kräften, selbst seinen eigenen »Gliederungen« freien Willen des »individualisierten« Ganzen zu wollen. Sei es bewußt, unbewußt oder dadurch, daß er »unsittlich« wird – wie im Unrecht oder der quasi losgelassenen bürgerlichen Gesellschaft –, um so den bewußt allgemeinen, sittlichen Willen des Staates »in Kraft zu setzen«. Es geht in der Rechtsphilosophie darum zu zeigen, daß »das Allgemeine« zum Gegenstand des besonderen – also nicht unmittelbar, direkt, bewußt auf es bezogenen – Willens wird. Worauf es ankommt, ist, daß die Freisetzung der Besonderheit in ihren »Sphären« jeweils dazu führt, daß die Differenz der Zwecke, Absichten, Urteile etc. des besonderen Willens zum allgemeinen sich aufhebt. Dieses Sich-Aufheben bedeutet einerseits, daß der hinter den besonderen Zwecken stehende, durch sie in Wahrheit beförderte Zweck – oder daß der in den besonderen Willen, selbst in ihrer scheinbaren Negation des Allgemeinen (Unrecht, Verbrechen) wirksame Wille – der allgemeine ist. Zum anderen gewiß auch, daß dieser vernünftige allgemeine Wille die besonderen Zwecke nicht ausschließt, sondern – zumindest »in the long run« – befördert. Allerdings ist dieser allgemeine Wille nicht das Resultat eines bewußt durchgeführten »Willensbildungsprozesses« von »unten«, er ist weder Kompromiß noch »empirische«, von wechselnden Umständen und Kräfteverhältnissen abhängende Synthese besonderer Zwecke, und er hängt auch nicht von tatsächlicher Zustimmung ab (vgl. § 258). Vielmehr ist er Gegenstand vernünftiger, »objektiver«, wissenschaftlicher Einsicht. Er ist letztlich nichts anderes als das System der Institutionen selber, in denen die Vereinigung der Individuen zu einem gemeinsamen – und zumindest teilweise »öffentlichen« – Leben möglich ist. Ein solches Leben, und damit das »Wollen« solcher Institutionen, ist für die Individuen nicht nur »legale«, sondern ethische, in gewisser Hinsicht sogar religiöse Pflicht.274 Sie verleiht dem in diesen Institutionen »sich gliedernden« allgemeinen Willen des Staates das »höchste Recht« gegenüber den Individuen. »Staatlichkeit« als solche, auch wenn sie nur noch 278 | kapitel v
in einem »kranken« Staat präsent ist (vgl. Ed. Ilting 4, 633), ist ein »Selbstzweck«, der allen Rechten der Individuen gegenüber Vorrang hat. Die Sphären der freigegebenen Besonderheit haben daher auch in der Rechtsphilosophie zuallererst den Sinn, das Individuum durch »Selbsttranszendenz« zu versittlichen. Selbst wo die Individuen einander anscheinend nur in ihrer »Natürlichkeit« anerkennen, wie in der Familie, geht es in Wahrheit um eine »rechtlichsittliche« Loyalität, die in erster Linie dem Anderen als »Familienmitglied« gilt – und nicht als »unvertretbarem« Individuum.275 Was gleichsam durch ihn und seine Rolle hindurch anerkannt wird, ist die Institution selber als ein Moment des sich in ein System von Institutionen gliedernden »objektiven«, allgemeinen Willens. Dasselbe gilt für das Recht, die Moralität, die bürgerliche Gesellschaft. Im Abschnitt »Moralität« etwa zeigt Hegel ja, daß die »in sich reflektierte« Subjektivität, wenn sie nicht an der Abstraktion eines leeren Sittengesetzes festhält, sondern zum Gewissen wird, das seine konkreten Pflichten kennt, ihre Distanz zum objektiv Sittlichen der Gesetze und Institutionen selbst aufhebt: »das wahrhafte Gewissen ist die Gesinnung, das, was an und für sich gut ist, zu wollen« (§ 137).276 Die Berufung des Gewissens »nur auf sein Selbst ist unmittelbar dem entgegen, was es sein will« (ebd.). Daher hebt sich das »formelle Gewissen« der Moralität in die »sittliche Gesinnung« auf, die auf die Regeln und die Stabilität der sittlichen Institutionen von Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat ausgerichtet ist (vgl. ebd.). »Sittlich« aber ist die bürgerliche Gesellschaft nicht darin, daß sie den Individuen die Möglichkeit der Verfolgung ihrer besonderen Interessen und Zwecke als »ausschließender« Einzelner erlaubt. Als Feld rücksichtsloser privater Interessenverfolgung ist sie sogar der »Verlust der Sittlichkeit«. Ihr Anteil an der Sittlichkeit besteht vielmehr in deren »Zurückkommen« aus ihrem Gegenteil, d. h. in dem sich – schrittweise und zunächst unbewußt – in ihr durchsetzenden, auf den gemeinsamen Zweck der »Vereinigung« (§ 258) gerichteten Willen. In den Korporationen, der Polizei, der staatlichen Wirtschaftspolitik wird dieser Wille zunehmend »manifest« und übt berechtigten Zwang gegen die besonderen Interessen. Daß die Freigabe der Besonderheit zu deren »Rückkehr« ins Allgemeine führt, heißt aber nicht, daß sie ein bloßer Schein ist. Aber Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 279
sie ist keine Selbstnegation des »im Anderen Seins« des Allgemeinen, die der Selbständigkeit und Distanz des Besonderen zu ihm ein Recht gäbe, das dem Recht des Allgemeinen ebenbürtig wäre. Wie weit und auf welche Weise die höheren Rechte den »niederen« übergeordnet werden, ist von Hegel bezeichnenderweise nirgendwo objektiviert, auf überprüfbare Weise festgelegt worden. Es bleibt immer der Weisheit, Übersicht, »Staatsgesinnung« der Regierung, der Polizei oder auch der Leitungsgremien der Korporationen überlassen.277 Nicht anders als in den Jenaer Schriften ist auch in der Rechtsphilosophie der Sinn sittlicher Freiheit das Freiwerden des Individuums von seinen besonderen (natürlichen wie sozialen) Bestimmungen durch seine – im Staat mögliche – Vereinigung mit einem selbständigen, selbstzweckhaften Gemeinwillen. Dieser Gemeinwille erhält in der Rechtsphilosophie nicht anders als früher sowohl die aristotelischen wie die spinozistischen Prädikate der göttlichen Substanz.278 Auf diesem Hintergrund wiederholt Hegel seine Kritik an der Vertragstheorie, nicht nur in ihrer »liberalen«, an Interessen der Individuen orientierten Form, wie bei Hobbes und Locke, sondern auch in der ihr von Rousseau und Kant gegebenen Form, nach der der Staatsvertrag selber unbedingte Pflicht ist.279 Noch in dieser Form des Vertrages bleibt für Hegel seine »individualistische« Grundstruktur – Austausch wechselseitiger Vorteile und Gültigkeit nur aufgrund wechselseitiger Zustimmung – erhalten. Auch sie verfehlt daher die sittliche Freiheit als Freiheit des einzelnen Subjekts von der Bindung an das sittlich »Niedere« besonderer Interessen, Zwecke, Lagen, Urteile, etc. Hegel hat in der Rechtsphilosophie durch die verschiedenen Weisen der Freigabe der Besonderheit die Mängel der früheren Anerkennungslehre nicht beseitigt. Sowohl die Anerkennung der Einzelnen durch den Staatswillen wie die wechselseitige Anerkennung der Individuen gilt letztlich deren Integration in den »an sich vernünftigen« Willen, der in der »Besonderheit« auf sich selbst bezogen bleibt. Hegel mag, wie Rousseau, von einer prästabilierten Harmonie dieses Willens mit den »besonderen Zwecken« der Individuen ausgegangen sein. Aber darauf kommt es nicht entscheidend an. Vielmehr darauf, daß in der Vereinigung zu einem solchen Willen die Individuen ihre »politische« Natur verwirklichen. Darum ist 280 | kapitel v
sie »a priori« von jedem gewollt und begriffen – d. h. anerkannt. Es ist klar, daß auf diese Weise »absolut« gerechtfertigte Institutionen nicht mehr einem weitergehenden Erfahrungsprozeß des Bewußtseins in der Geschichte unterworfen sein können. Die »Kollisionen« und »Knoten«, von denen Hegel zu Ende der religions- und geschichtsphilosophischen Vorlesungen gesprochen haben soll (vgl. SW 12, 535), betreffen daher auch nicht die Grundzüge seiner rechtsphilosophischen Institutionenlehre, sondern die Verwirrungen religiöser und »liberalistischer« Gesinnungen.280 3. Praktische Philosophie ohne Teleologie Sieht man von den immanenten Inkonsequenzen der Hegelschen Anerkennungstheorie ab, was bleibt von seiner Konzeption des Prinzips Anerkennung als Grundlage der praktischen Philosophie? Was bleibt vor allem dann, wenn man dem Gedanken gegenüber skeptisch ist, auf dem die Einheit von Darstellung und Kritik bei Hegel wesentlich beruht, nämlich dem einer teleologischen Struktur des Geistes? Was kann die Einheit von Bewußtseinstheorie, Geschichte der einer vernünftigen individuellen und sozialen Identität und historische Erfahrungsgeschichte dann noch bedeuten? Kann man ohne die teleologische Prämisse noch an einem Verständnis von Prinzipien als historischen Bedeutungsgenesen festhalten, ohne in Historismus und Relativismus zu verfallen? Es ist möglich, daß man ein der Jenaer praktischen Philosophie Hegels analoges »Programm« auch mit wesentlich schwächeren Voraussetzungen – und entsprechend geringeren erkenntnistheoretischen Ansprüchen – entwickeln könnte, wenn man in der gegenwärtigen Philosophie und Sozialwissenschaft vorhandene Ansätze verbinden würde. Der Hegelschen Bewußtseinstheorie entsprechen heute Überlegungen zum Begriff der Person bzw. der persönlichen Identität (personal identity). Sie haben ihrerseits nachgewiesen, daß Formen von Wechselseitigkeit (reciprocity) bzw. wechselseitiger Anerkennung (mutual recognition)281 im Begriff der Person impliziert sind oder als Bedingungen des Zustandekommens von so etwas wie »PersonBewußtsein« angenommen werden müssen. Die Strukturen solcher Anerkennungsbeziehungen können möglicherweise konkretisiert Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 281
werden durch Untersuchungen der komplexen Verschränkungen wechselseitiger Erwartungen und Intentionen in den Beziehungen von »intentionalen Systemen« höherer Ordnung.282 Bei solchen Untersuchungen können »konventionelle« bewußtseinstheoretische Ansätze mit sprachanalytischen283, spieltheoretischen (Analysen des Zustandekommens von Konventionen und Regeln zwischen Personen)284 und kommunikationstheoretischen (Analysen der verbalen und nonverbalen Kommunikation)285 verbunden werden. In einem zweiten Schritt können diese Anerkennungsstrukturen zur Erklärung gelungener oder mißglückter Identitätsbildungen in den Institutionen und Rollensystemen bestimmter Gesellschaften verwandt werden. Beispiele dafür sind Untersuchungen wie die von Stierlin oder Dreitzel, in denen sozialpsychologisch diagnostizierbare »Leiden« auf strukturelle Defekte in den kommunikativen Beziehungen (Distanzverlust, Kontaktverlust etc.) zurückgeführt werden.286 Sie benötigen aber in der praktischen Philosophie den systematischen Rahmen der Anerkennungstheorie. Der dritte Schritt besteht darin, diese beiden »Theorieteile« durch eine Erfahrungsgeschichte in dem in dieser Arbeit diskutierten Sinne zu ergänzen. In dieser müssen die in der Geschichte der Moralen und Verfassungen erprobten Institutionalisierungen von Anerkennungsbeziehungen erörtert werden. Entscheidend ist, daß bei dieser Untersuchung die Interdependenzen von Prinzipien und Institutionen nicht übersehen werden. Nur so scheint mir das Problem einer »Anwendung« von Prinzipien der praktischen Philosophie auf die Deutung und Beurteilung der historischen Genese von Normen- und Institutionensystemen lösbar. Nicht nur für das Prinzip Anerkennung, auch für weniger umfassende Prinzipien wie Freiheit, Gleichheit usw. gilt diese Interdependenz. Die Bedeutung des Prinzips Freiheit ist abhängig von Regeln der Herrschaftsbegrenzung und -kontrolle, von Institutionen und Verfahren der Festlegung und Durchsetzung von Rechten (Handlungs- und Mitwirkungs»freiheiten«), aber auch von institutionellen Bedingungen – und sei es Freiräumen – spontaner Gemeinschaftsbildungen. Die Einrichtung oder Entwicklung solcher Institutionen bringt das Prinzip Freiheit nicht nur zur Geltung, sondern bestimmt und modifiziert seine Bedeutung. Andererseits sind natürlich Institutionen abhängig von Bedeutung und Bedeutungswandel der Prinzi282 | kapitel v
pien, nach denen sie eingerichtet, akzeptiert oder beurteilt werden. Deren Bedeutungswandel wird seinerseits mitbestimmt von ihren Beziehungen zu anderen Prinzipien und deren Wandel, z. B. durch Veränderung der »Gewichte« von Prinzipien. Daß die Darstellung einer solchen Erfahrungsgeschichte nicht zum Relativismus führt, auch wenn man teleologisches Denken preisgibt, liegt zum einen an dem umfassenden »Beurteilungsrahmen«, den das Prinzip Anerkennung darstellt, und an der Möglichkeit, deren Grundzüge »persontheoretisch« zu bestimmen. Allerdings kann auch die Person- oder Bewußtseinstheorie nicht vollständig unabhängig von der Institutionengenese sein: auch die Erkenntnis der Strukturen interpersonaler Beziehungen hängt von den historischen Möglichkeiten ihrer Regelung bzw. Institutionalisierung in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft ab. Der zweite Grund liegt in der Irreversibilität von bewußtseinsbestimmenden Erfahrungsschritten. Daß die Identität der Person die wechselseitige Beschränkung von Handlungsmöglichkeiten nach verallgemeinerbaren Regeln voraussetzt, ist eine Einsicht, die zwar eine lange Geschichte des Rechts und der Rechtsphilosophie voraussetzt, deren prinzipielle Änderung wir uns aber nicht mehr vorstellen können. Ohne teleologische Voraussetzungen sind indessen nicht alle unser gegenwärtiges Rechts- und Moralbewußtsein bestimmenden Erfahrungsschritte irreversibel. Anhand des ersten und des zweiten Schrittes der hier skizzierten praktischen Philosophie können institutionelle Entwicklungen und Bewußtseinsentwicklungen, die Anerkennung verhindern oder erschweren, identifiziert und kritisiert werden. Es ist nicht abzuschätzen, wie weit sich eine solche praktische Philosophie von Hegels Konzeption der Anerkennung entfernen würde. Möglicherweise würde sie zumindest die grundlegenden Strukturen des Sich-Wiederfindens im Anderen (Vereinigung), der Selbstbehauptung und der wechselseitigen Freigabe (Distanz) bestätigen. Aus diesen allgemeinen Umrissen des Anerkennungsprinzips aber ergibt sich schon, daß »vernünftige« Institutionen den Individuen und Gruppen Beziehungen ermöglichen müssen, in denen sie sowohl ihrer Selbständigkeit wie ihrer Angewiesenheit aufeinander, ihrer Freiheit zur Selbstdarstellung wie ihrer Gebundenheit in ein Gefüge von Erwartungen und ein System von (veränderbaren) Rechtsphilosophie und praktische Philosophie der Gegenwart | 283
Spielregeln bewußt werden können. Daß aber auch die Beziehungen der Individuen zueinander an der Herstellung oder Erhaltung eines Gemeinwesens orientiert sein müssen, zu dem ein Verhältnis der Vereinigung und der Distanz möglich ist. Dieses Verhältnis betrifft einerseits die Teilnahme an der Bildung des gemeinsamen Willens bzw. die Loyalität zu seinen rechtmäßigen Akten. Auf der anderen Seite geht es um die Freigabe des Individuums durch diesen Willen selber. Sie umfaßt sowohl den Grundrechtsschutz wie die Ermöglichung einer nicht ausschließlich politischen Existenzform und die Respektierung gesellschaftlicher »Non-Konformität«. Schon das scheint mir als Maßstab für eine »kritische« praktische Philosophie nicht wenig zu sein.
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Anmerkungen 1 Von Grundnormen statt von Prinzipien spricht Jürgen Habermas in seinen Veröffentlichungen seit 1970: »Eine kognitivistische Sprachethik bedarf keines Prinzips; sie stützt sich allein auf Grundnormen der vernünftigen Rede.« (Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus [1973a] 152) Offenbar will er sich von Prinzipien im Sinne inhaltlich bestimmter Grundsätze der Ethik distanzieren. Früher hat allerdings auch Habermas vom »Prinzip« allgemeiner und herrschaftsfreier Diskussion gesprochen (in dem Aufsatz »Technik und Wissenschaft als ›Ideologie‹« von 1965, vgl. Habermas 1968, 119). In der konstruktivistischen Ethik gibt es eine Diskussion darüber, ob das Vernunft- und Moralprinzip ein einziges ist, oder ein Gefüge mehrerer Prinzipien (Vernunftprinzip, Prinzip praktischer Vernunft, Moralprinzip) wie Oswald Schwemmer vorgeschlagen hat (Appell und Argumentation [1974] 199. Vgl. die Kritik F. Kambartels in: Wie ist praktische Philosophie konstruktiv möglich [1974] 24 ff.). 2 Vgl die verschiedenen Arbeiten von Michel Foucault zu den »Institutionen« des Gefängnisses, der Klinik, der Wissenschaft etc. (Die Geburt der Klinik [1973], Die Ordnung der Dinge [1974], Überwachen und Strafen [1976]). 3 Theunissen entwickelt dieses Prinzip zwar im Zusammenhang einer kritischen Interpretation von Teilen der Hegelschen Logik (vgl. Sein und Schein [1978], vor allem Kap. V, 2), zielt aber, auf ein systematisches Prinzip der Sozialphilosophie. 4 Der Terminus »deskriptiv« wird hier im Sinne erklärender Feststellung, nicht bloßer Beschreibung gebraucht. »Erklärend« allein wäre mißverständlich, weil es nicht unbedingt einen Gegensatz zu »normativ« anzeigt. Ich benutze daher im Folgenden gelegentlich das in der Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften übliche Gegensatzpaar normativ-deskriptiv. 5 Zu John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit (1975): O. Höffe (Hrsg.), Über John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit (1977), Norman Daniels (ed). Reading Rawls, Oxford 1975, sowie meinen Beitrag Eine exakte Lösung des Gerechtigkeitsproblems? (1977c) 6 In den gegenwärtigen Sprach- und Sozialwissenschaften wird der Begriff »Institution« in verschiedenen Bedeutungen verwandt. Die weiteste Definition gibt J. R. Searle (Sprechakte [1973] 81): »Institutionen stellen Systeme konstitutiver Regeln dar.« In dieser Bedeutung ist »Institution« ein Oberbegriff, der auch Sitten, Normen etc. umfaßt. R. König (Soziologie [1958] 137) definiert Institution als »organisierte Verfahrensweise«. Für ihn wie für H. Schelsky
Anmerkungen | 285
(Zur soziologischen Theorie der Institutionen [1973]) sind Institutionen zum einen selber Normen, zum anderen beruhen sie auf Normen und Sitten bzw. sind »normativ bewußt gemachte, auf Dauer gestellte Regelmäßigkeiten des Handelns« (Schelsky). Ferner versteht die soziologische Theorie unter »Institution« auch durch Handlungsregeln gebildete Gruppen. Ich gebrauche den Begriff »Institution« im Folgenden ebenfalls meist in einem weiten Sinne, in dem er Handlungsregeln und durch geregelte Handlungen konstituierte Gruppen umfaßt. Vgl. aber die Differenzierung S. 224 f. 7 Zur Diskussion über das Verhältnis Norm und Geschichte vgl. R. Bubner, Norm und Geschichte (1978) und W. Oelmüller (Hrsg.), Normen und Geschichte (1979). 8 Zur praktischen Philosophie des »Konstruktivismus« vgl. P. Lorenzen, Normative Logic and Ethics (1969), O. Schwemmer, Philosophie der Praxis (1971), P. Lorenzen/O. Schwemmer, Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie (1973), F. Kambartel, Praktische Philosophie und Konstruktive Wissenschaftstheorie (1974) und O. Schwemmer, Theorie der rationalen Erklärung (1976). 9 Zu dieser von vielen Kritikern vertretenen Auffassung vgl. Siep 1977c. 10 Zum »Neo-Contractarianism« vgl. außer Rawls auch J. Buchanan, The Limits of Liberty (1975). 11 Vgl. Robert Nozicks »Anspruchstheorie des Rechts« in R. Nozick, Anarchie, Staat, Utopia (1976). 12 Seit seiner – gegen Fichte und Reinhold gewandten – Kritik am »Prinzip einer Philosophie in der Form eines absoluten Grundsatzes« (Differenzschrift von 1801, GW 4, 23 ff.) hat Hegel in seinen Schriften den Terminus »Prinzip« eher kursorisch als an systematisch wichtigen Stellen verwendet – oft mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, daß das Prinzip nicht von seiner »Entwicklung« getrennt werden kann (vgl. SW 16, 239). Hegel spricht selber nicht vom »Prinzip« Anerkennung, sondern vom »Begriff«, der »Bewegung«, dem »Schluß« der Anerkennung bzw. des Anerkennens. Da der »Inhalt« dieses Begriffs nicht in einem Grundsatz, sondern nur in einem systematischen Zusammenhang von Sätzen zu formulieren ist, kann man auch von einer »Theorie« der Anerkennung bzw. von Anerkennungs»lehre« sprechen. Die Termini »Theorie«, »Struktur« etc. stammen aber so nicht aus Hegels Sprachgebrauch, sondern sind ein Versuch der Übertragung Hegelscher Gedanken in heutige philosophische Terminologie. 13 Ich übernehme den Terminus »historische Genese« aus Lorenzens und Schwemmers Programm einer historischen Genese von Normensystemen. (Vgl. Kap. IV, 3, sowie Lorenzen/Schwemmer 1973, 195 ff.). 14 Vgl. H. Ahrendt, Über die Revolution (1974) 63 f.; H. Mandt, Tyrannislehre und Widerstandsrecht (1974) 191–204; M. Baum, Gemeinwohl und allgemeiner Wille in Hegels Rechtsphilosophie (1978) sowie meinen Aufsatz Praktische Philosophie und Geschichte beim Jenaer Hegel (1976). 286 | kapitel i–v
15 J. Habermas, Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes (1968; Erstveröffentlichung 1967); M. Riedel, Hegels Kritik des Naturrechts (1969; Erstveröffentlichung 1967). 16 So z. B. in Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie (1971b) 193 und Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden? (1974) 29. 17 Vor allem durch die Forscher des Bochumer Hegel-Archivs. Vgl. u. a. O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (1973a); H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens (1970); K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976); W. Bonsiepen, Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels (1977). Bonsiepens Buch enthält auch wichtige Ausführungen zum Thema »Anerkennung« (vor allem 81–103). – Eine systematische Rekonstruktion der Entstehung des Hegelschen Geist-Begriffs in Jena gibt D. Henrich in seinem Aufsatz Andersheit und Absolutheit des Geistes: Sieben Schritte auf dem Wege von Schelling zu Hegel. In: ders., Selbstverhältnisse. Stuttgart. S. 142–172 (lag dem Autor als Manuskript vor unter dem Titel »Das Andere seiner selbst«) 18 »Methode« im Hegelschen Sinne des der »Sache selbst« innewohnenden »Bewegungsgesetzes«, das die Notwendigkeit des Überganges von einer Stufe zur nächsten (höheren) begründet. (Vgl. zum Begriff der Methode bei Hegel H. Röttges, Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels [1976]). – Im übrigen ist in dieser Arbeit von Methode meist im üblichen – nicht-Hegelschen – Sinne der Zugangsart zu einer davon unterschiedenen Sache bzw. der Mittel zur Lösung eines Problems die Rede. 19 Das System der Sittlichkeit (erhalten als Manuskript im »Reinschriftentwurf«, vgl. GW 5, 277–361, Editorischer Bericht S. 660–669) steht im Mittelpunkt von Axel Honneths Deutung von Hegels Anerkennung als »Kampf« bzw. »konflikttheoretische Dynamisierung« des Anerkennungsmodells Fichtes (vgl. ders. Kampf um Anerkennung, Frankfurt 1992, S.31–53, hier S. 31). 20 Vgl. u. a. Enz §§ 430 ff., 490, 497 ff., 527, 547 sowie Rph §§ 57, 71, 132, 192, 207, 217, 253, 260, 331 sowie in diesem Band Kap. V. 2. Vgl. auch meine (späteren) Beiträge Die Bewegung des Anerkennens in der Phänomenologie des Geistes In: D. Köhler, O. Pöggeler (Hrsg.), G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Berlin, Akademie-Verlag (Reihe: Klassiker auslegen) ²2006. S. 107–127 sowie Selbstverwirklichung, Anerkennung und Politische Existenz, in: Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels. S. 131– 146. 21 Die Verbindung der Bewegung des Anerkennens mit der Geschichte der Erfahrung des Bewußtseins wird in der Philosophie des objektiven Geistes nach meiner Auffassung nicht beibehalten. Das »Prinzip« der Philosophie des objektiven Geistes ist die Freiheit und ihre Entwicklung, die einer logischen Entwicklung des Begriffes entspricht. Vgl. dazu K. Vieweg, Das Denken der Freiheit, München 2012.
Anmerkungen | 287
22 Die verkürzte Phänomenologie in der Enzyklopädie (1830) endet mit dem Übergang der Vernunft zum Geist. Die Abschnitte »allgemeines Selbstbewußtsein« und Vernunft enthalten aber keine Institutionen mehr. Im vorherigen Abschnitt »das anerkennende Selbstbewußtsein« behandelt Hegel die Bildung des »unmittelbaren« zum allgemeinen Selbstbewußtsein in den Gestalten des Kampfes bzw. des Herrschafts-Knechtschaftsverhältnisses (§§ 430–435; vgl. dazu die aufschlußreichen Ausführungen Hegels: Hegels Vorlesungsnotizen zum subjektiven Geist. Eingeleitet und herausgegeben von F. Nicolin und H. Schneider [1975] 11–78). 23 Vgl. dazu jetzt A. Mohseni, Abstrakte Freiheit. Zum Begriff des Eigentums bei Hegel, Hamburg 2014. 24 Vgl. GW 3, 52. Einen an Fichte orientierten Begriff der Anerkennung verwendet H. Krings in seinem Versuch einer transzendentalphilosophischen Normenbegründung (1978, 94 ff.). Krings zeigt allerdings auch, daß Anerkennung in konkreten Interaktionsformen und Ritualen »inkorporiert« ist (Gruß, Tanz, Vorstellung etc.). Er würde aber vermutlich keine Entwicklung verschiedener Momente des Prinzips Anerkennung in verschiedenen Interaktionsformen als konstitutiv für die Bedeutung dieses Prinzips akzeptieren. 25 Vgl. den Aufsatz »Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts« GW 4, 457. Hegel hat in der Jenaer Zeit zwar das »Phänomen« der bürgerlichen Gesellschaft erörtert, aber keinen »Titel« dafür gefunden. Auch die systematische Stelle des ökonomischen Bereiches und seiner Institutionen (Tausch, Vertrag, Geld etc.) wechselt häufig. (Vgl. dazu M. Riedel, Hegels Begriff der bürgerlichen Gesellschaft und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs [1975] 246–275; sowie R. P. Horstmann, Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie [1975] 276– 311.) 26 Besonders deutlich wird diese Absicht in Hegels »programmatischer« Bestimmung der Struktur der Anerkennung zu Beginn des Selbstbewußtseinskapitels der Phänomenologie (vgl. in diesem Band S. 69 ff.). 27 Vgl. dazu die Einleitung zu dieser Neubearbeitung Abschnitt II und III. 28 Vgl. Habermas 1971b, 193. Wie aus Habermas’ sozialisationstheoretischen Schriften hervorgeht, versteht er unter vollständiger Individuierung nicht nur die Fähigkeit, sich von anderen und von sozialen Rollen zu unterscheiden, sondern auch die Besonderheit einer »unverwechselbaren Biographie« (Stichworte zu einer Theorie der Sozialisation [1973b] 131). Anders als Habermas faßt J. Simon den Begriff der Individualität bei Hegel nicht als vollständige, »unverwechselbare« Bestimmtheit auf. Die »individuelle Bestimmtheit« sei vielmehr »absolut negativ« gegen jede »besondere Bestimmtheit« bzw. »frei gegenüber aller möglichen Besonderheit« (1978, 306 f.). 29 Vgl. die große historische Analyse der nachhegelschen Sozialgeschichte in A. Honneth, Das Recht der Freiheit. Berlin 2011, sowie dazu die Einleitung der Neubearbeitung o. S. 11–53. Eine rationale Rekonstruktion sozialer
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Institutionen im Rahmen einer idealen Geschichte der Differenzierung und Verselbständigung von Handlungsweisen, Zwecken und Normen versuchten im Rahmen des Erlanger Konstruktivismus Blasche/Schwemmer 1972 (vgl. u. S. 260–263). 30 Vgl. dazu u. (V. 3.) sowie die Einleitung zu dieser Neubearbeitung o. S. 30 f. 31 Vgl. Riedel 1969, 59, sowie A. Wildt, Hegels Kritik des Jakobinismus (1970) 283 und ders., Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart 1982 32 Im § 18 des Systems der Sittenlehre stellt Fichte allerdings eine Verbindung zwischen der wechselseitigen moralischen Vervollkommnung und der Deduktion des Staatsvertrages her (IV, 238). Zum Vergleich der Intersubjektivitätstheorien von Naturrecht und Sittenlehre vgl. Janke 1977, 151 ff. 33 Vgl. u. S. 80. 34 Von da ab beschäftigt sich das Naturrecht Fichtes nur noch mit der »Anwendbarkeit« (2. Hauptstück) und der »Anwendung« (3. Hauptstück) des deduzierten Begriffs des Rechts. 35 Ein Begriff ist nach Fichtes Ausführungen im Vorwort der Naturrechtsschrift eine objektivierte, von ihrem Ursprung, dem »freien Ich«, abstrahierte »Handelsweise« (III, 4). 36 Vgl. dazu vor allem R. Lauth, Le problème de l’interpersonalité chez Fichte (1962); C. K. Hunter, Der Interpersonalitätsbeweis in Fichtes früher angewandter praktischer Philosophie (1973); P. Baumanns, Fichtes ursprüngliches System (1972) 166 ff. sowie H. Girndt, Zu J. G. Fichtes und G. H. Meads Theorie der Interpersonalität (1977). – Fichte resümiert seine Deduktion in den »Corollaria« zu § 3 mit dem Satz »Der Begriff des Menschen ist sonach gar nicht Begriff eines einzelnen, denn ein solcher ist undenkbar, sondern der einer Gattung.« (III, 39) 37 Die Annahme, der Aufgeforderte sei ein Vernunftwesen, ist nämlich zunächst »problematisch« und wird erst durch dessen »Antwort« eine »kategorische« Erkenntnis (vgl. III, 43 f.). 38 Vgl. L. Siep, Einheit und Methode von Fichtes »Grundlage des Naturrechts in ders.: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus (1992), S. 41– 64. 39 Kursivierung in diesem und den folgenden Zitaten gibt Sperrungen bei Fichte wieder. 40 Zur Bestimmung der Bedingungen möglicher Begegnung von Vernunftwesen gehört für Fichte auch die Deduktion der Sinnenwelt und des Leibes (vgl. § 2 u. § 5). 41 Fichtes Strafrecht ist daher vom Schuldprinzip und vorher bekannten Strafmaßen charakterisiert. (Vgl. u. Anm. 169). 42 Bei Hobbes ist ja der stärkste natürliche Trieb, die Furcht vor gewaltsamem Tod, das »Motiv«, das zum Verlassen des Naturzustands zwingt. – Auf Anmerkungen | 289
die Nähe der Staatstheorie von Hobbes und Fichte hat R. Schottky hingewiesen (La »Grundlage des Naturrechts« de Fichte et la philosophie politique de l’Aufklärung [1962]). 43 Das habe ich in meinem Aufsatz (1977b) versucht. 44 Daß es in Fichtes Staat zu der in der Deduktion der Intersubjektivität vorausgesetzten positiven Interpersonalitätsbeziehung nicht komme, ist auch die Auffassung von H. Verweyen (Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre [1975] 93, 111. Vgl. dazu meine Besprechung, Wandlungen in Fichtes Gesellschaftslehre [1979]). 45 Die bislang übliche Rede vom »Frankfurter Hegel« der Fragmente über Liebe, Religion und die Entwicklung des Christentums ist durch die Neudatierung der Fragmente in Band 2 der Gesamtausgabe zweifelhaft geworden. Im Folgenden ist gelegentlich noch vom »Frankfurter« Hegel im Sinne der alten Datierung die Rede. 46 Vgl. D. Henrich, Historische Voraussetzungen von Hegels System; ders. Hegel und Hölderlin (1971); ders., Der Grund im Bewußtsein. (1992); Hannelore Hegel, Isaac von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel (1971). 47 Vgl. K. Rosenkranz, Hegels Leben (Nachdr. 1969) 102. 48 W. Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels (1905) 85. Den Zusammenhang der ontologischen, theologischen und sozialphilosophischen Aspekte des frühen Liebesbegriffs klärt A. Elsigan, Sittlichkeit und Liebe (1972). Zum Bedeutungsspektrum des Begriffs der Liebe in den frühen Schriften vgl. auch E. Düsing u. K. Düsing, Gesetz und Liebe Untersuchungen zur Kantkritik und zum Ethik-Entwurf in Hegels Frankfurter Jugendschriften. In: B. Merker, G. Mohr, M. Quante (Hrsg.), Subjektivität und Anerkennung. Paderborn 2002, S. 1–14 49 Die Ausdrücke »Phänomenologie« und »phänomenologisch« in diesem Band beziehen sich sonst auf die Phänomenologie des Geistes als ein Buch und ein Teil des Hegelschen Systems (auch in der Enzyklopädie) sowie ihre Methode. 50 Gemeint sind die Fragmente, die Nohl zuerst ediert hat. Die Fragmente zu den Schriften über die Verfassung Württembergs bzw. über die Verfassung Deutschlands behandeln das Thema Liebe nicht. Vgl. GW 5, S. 1–219. 51 Vgl. H. Hegel 1971, 84. 52 Vgl. Herders Sämtliche Werke, Bd. XV, Berlin 1888, 304. Auf einen anderen »Vorgänger«, nämlich Georg Forster, weist Nohl (367) hin. 53 Vgl. GW 2, 8 sowie Geist des Christentums, N 291 u. 321 (GW 2, 214 f., 281 f.). 54 Vgl. etwa den Schlußsatz des Fragmentes über »Moralität, Liebe und Religion«: »Liebe kan nur – statt finden, gegen das gleiche gegen den Spiegel, gegen das Echo unsers Wesens.« (GW 2, 9) 55 Noch in der Vorlesungsnachschrift von H.G. Hotho zur Philosophie des Rechts von 1822/1823 (§ 158) ist die Liebe eine für den Verstand – aber nicht für die Vernunft – unzugängliche Struktur der »Aufgebung meines Fürsichseins« 290 | kapitel i–v
und dem »Mich-wissen durch das Wissen der Einheit meiner mit den Andern, und des Andern mit mir«. (Ed. Ilting 3, S. 507) 56 Vgl. Herder, Bd. XV, 323. Bei Rousseau findet sich die Kritik am Kosmopolitismus an vielen Stellen seiner Werke, u. a. in der Urfassung des Contrat social (deutsch in: J. J. Rousseau, Schriften zur Kulturkritik, hrsg. v. K. Weigand, 2. Aufl. Hamburg 1971, 297 f.). 57 Die Stelle ist sprachlich unklar. Im Kontrast zur allgemeinen Menschenliebe meint sie aber offenbar eine »face to face« Beziehung. 58 Obwohl in der Hegel-Literatur der Begriff »Dialektik des Schicksals« üblich ist, muß man sich darüber im Klaren sein, daß Hegel seine spezifische Dialektikkonzeption erst in der Jenaer Zeit entwickelt (vgl. u. Anm. 106). Es gibt aber Vorstufen dieser Konzeption in der Frankfurter Zeit – etwa der Begriff der »Einheit von Verbindung und Nichtverbindung« im Systemfragment von 1800. Zur Entstehung der Dialektik bei Hegel vgl. M. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986. 59 Das »Gesez im Munde des Richters« ist im Grunde etwas ebenso »fremdes« wie der Angriff, gegen den sich die Streitenden wehren. Die Lösung durch Gewalt aber führt zu der widersprüchlichen Unterordnung eines Allgemeinen (des Rechtes) unter ein »Wirkliches« (GW 2, 200 f.). 60 Allerdings ist sich Hegel dieser Einschätzung der schönen Seele offenbar nicht ganz sicher gewesen. Schon die Beispiele des Textes akzentuieren den weltflüchtigen Charakter dieser Einstellung so sehr, daß Hegels Vorbehalt spürbar wird: er spricht von einer »schamhaften Pflanze« (offenbar eine Anspielung auf den botanischen Namen der Mimose: mimosa pudica), die sich »bei jeder Berührung in sich« zieht. Noch deutlicher wird dieses Bedenken in einem Satz, den Hegel freilich bei der späteren Bearbeitung wieder gestrichen hat: »Beides der Kampf und das Vergeben sollte seine Gränze haben, aber ist nichts, das nicht vertheidigt, nichts, das nicht aufgegeben werden könnte. Und so schwankt auch mehr in seinem Betragen, als in seiner Lehre, Jesus zwischen beidem.« (GW 2, 201) 61 Interessanterweise macht Hegel im Geist des Christentums die »moderne« Monarchie für die Reduktion des Bürgers zur »Privatperson« verantwortlich (vgl. GW 2, 73). 62 Das Anerkanntsein als natürliches Individuum wird noch in der Geistphilosophie von 1805/1806 als Kennzeichen der Liebe angesehen – aber jetzt der Liebe Gottes zu den Menschen (GW 8, 211). 63 »Interpersonal« nenne ich im Folgenden die Anerkennung als Beziehung zwischen einzelnen Individuen, unabhängig davon, auf welcher Stufe der Bildung ihres Selbstbewußtseins sie stehen. Es handelt sich also nicht um den spezifisch Hegelschen Personbegriff (vgl. u. Anm. 56). 64 Die »Allgemeinheit« des Bewußtseins bedeutet aber auf dieser Stufe noch nicht das gemeinsame Bewußtsein Verschiedener, sondern nur die Einheit von Bestimmtheiten. Anmerkungen | 291
65 Wie schon angedeutet (Anm. 54) hat auch der Begriff der Person in Hegels Jenaer Schriften eine Entwicklung. Im System der Sittlichkeit bedeutet er das »Individuum« in seiner »absoluten Abstraction betrachtet« (GW 5, 304), d. h. in seiner Möglichkeit, von allen äußeren Bestimmtheiten frei zu sein. Person ist in diesem Text ein Begriff der »natürlichen Sittlichkeit«, er meint also nicht den Träger eines institutionalisierten allgemeinen Willens. Im Systementwurf von 1803/1804 wird Person dann als das Moment der Selbständigkeit des Einzelnen im Volksgeist verstanden (GW 6, 326). Und seit der Geistphilosophie von 1805/06 ist die Person als das Subjekt des abstrakten Rechts – und damit als Träger des allgemeinen Willens – Moment des Geistes in seiner unmittelbaren Gestalt. Dieser Begriff der Person bleibt beim späteren Hegel im Wesentlichen unverändert. 66 Zur Bedeutung des Schlusses für die Anerkennungsbewegung in der Geistphilosophie von 1805/06 vgl. S. 187 f. 67 Zur Familie – im Sinne des klassischen oikos-Begriffs – gehört ja im System der Sittlichkeit sowohl das Herrschaftsverhältnis (»der Mann ist der Herr und Verwalter«,GW 5, 307) wie die gemeinsame Arbeit der Familienmitglieder für das Familiengut. 68 Zumal auch im System der Sittlichkeit die Liebe schon ein Bewußtseinsverhältnis ist, das »Denken« des Anderen als »Intelligenz« einschließt (vgl. GW 5, 304 f.). 69 Dass die Liebe zumindest auch ihrer natürlichen Individualität gilt, muß nicht bedeuten, daß die Liebenden durch die Beziehung nicht auch verändert werden. Das wendet Christoph Merle gegen meine Interpretation ein (Friendship in Hegel and its Interpretation. In: Ch. Krijnen etc. 2014, S. 311–322). Aber offenbar ist ihre natürliche Individualität, die sie – zumindest auch – lieben, nicht erst durch die Liebe konstituiert wie etwa die rechtliche Persönlichkeit. 70 Vgl. J. Habermas, Stichworte zur Theorie der Sozialisation (1973a) 126. Zur Auseinandersetzung mit dieser Konzeption von Habermas vgl. in diesem Band S. 238–241. 71 Das weist bereits auf die erkenntnistheoretische und ontologische Bedeutung des Anerkennens in der Phänomenologie hin. 72 Auf die empirischen Befunde der Kinderpsychologie, die bereits in der frühkindlichen Beziehung zur Mutter »Kampf«-momente ausmacht, weist Honneth in seiner Rezeption der Arbeiten von Winnicot hin (1992, S. 158– 171). 73 H. S. Harris, The Concept of Recognition in Hegel’s Jena Manuscripts (1977) hat den Übergang von der Familie zum Kampf um Anerkennung besonders gründlich analysiert. Er versucht das »Kampfmoment« innerhalb der Familie mit psychoanalytischen Mitteln zu deuten. 74 Vgl. L. Siep, Der Kampf um Anerkennung (1974a). Vgl. auch Bonsiepen 1977, 81 ff. und van Bragt, De strijd op leven en dood van de Phaenomenologie des Geistes vanuit zijn voorstudies (1963). In Hegels späteren Schriften treten
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kollektive Kämpfe und Unterwerfungen in den Vordergrund (vgl. o. Anm. 49 zur Einleitung in die Neuauflage). 75 Vgl. Siep 1974a, 187; Bonsiepen 1977, 89. Bonsiepen sieht darin eine Abwendung von der frühen Jenaer Konzeption einer »Tragödie im Sittlichen« (90). Anders Janke 1977, 318. 76 Mit »solidarisch« ist das spontane Anerkennen der natürlichen Individualität gemeint, soweit es außerhalb des Geschlechtsverhältnisses stattfindet. Von der für den gewöhnlichen Gebrauch des Begriffes wichtigen Bedeutung der gemeinsamen Abwehrhaltung gegen Dritte ist hier abstrahiert. 77 Vgl. zum Folgenden auch L. Siep, Die Bewegung des Anerkennens in der Phänomenologie des Geistes. In: D. Köhler, O. Pöggeler (Hrsg.), G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. Berlin, Akademie-Verlag (Reihe: Klassiker auslegen) ²2006. S. 107–127. 78 Nach der Einleitung des Selbstbewußtseinskapitels hat das erfahrende Bewußtsein zunächst einen »gedoppelten Gegenstand, den einen, den unmittelbaren, den Gegenstand der sinnlichen Gewißheit und des Wahrnehmens, der aber für es mit dem Charakter des Negativen bezeichnet ist, und den zweiten, nämlich sich selbst, welcher das wahre Wesen« ist (121, 122). Dieser Gegenstand muß in der Erfahrung aufgehoben werden. Der erste »Versuch« dazu ist die Begierde, die ihren »Gegenstand unmittelbar mit dem Charakter des Negativen bezeichnet« (ebd.). Zur Kritik der »ontological commitments« aller nicht-spekulativen Theorie und Praxis in der Phänomenologie vgl. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Frankfurt 2000, S. 76–79. Diese Dimension wird in den meisten »neo-pragmatistischen« Interpretationen der Phänomenologie vernachlässigt. 79 Der Übergang vom ersten zum zweiten Moment der Anerkennung muß in der Phänomenologie radikaler als in den früheren Schriften sein. Denn in der Phänomenologie wird die Familie als Ort der Entwicklung zur Selbständigkeit und zum Bewußtsein des Anderen als selbständig nicht behandelt. 80 Auch dieses »nacheinander« ist natürlich nicht als zeitlicher Vorgang zu verstehen, sondern als notwendige Folge von Stufen eines Erfahrungsprozesses. 81 Vgl. dazu auch M. Quante, Der reine Begriff des Anerkennens (in: Schmidt am Busch/Zurn 2009, S. 91–106). 82 Daß die »Verdoppelung des Selbstbewußtseins« zur Einheit des »Ich« und »Wir« führen muß, hat Hegel in den letzten Zeilen vor der Analyse des Anerkennens deutlich genug angegeben (127). Der Struktur nach ist dieses Verhältnis von der gleichen Doppelsinnigkeit wie das »interpersonale« Anerkennen (s. u. S. 139). Der Synthese von Ich und Wir geht aber in der phänomenologischen Erfahrung noch eine umfangreiche Entwicklung voraus – ebensowenig wie in der Geistphilosophie von 1805/06 führt in der Phänomenologie der Kampf unmittelbar zum absoluten Bewußtsein der Einheit mit dem Geist eines Volkes. Anmerkungen | 293
83 Vgl. dazu O. Pöggeler, Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins (1973a) 244 und in diesem Band S. 132 ff. 84 Einige Hegel-Interpreten, so zuletzt Th. S. Hoffmann, schließen aus Hegels üblichem Sprachgebrauch »Kampf des Anerkennens« (statt »um Anerkennung«), daß Anerkennung nicht Ziel oder intentionales Objekt der Kämpfenden sei. Man dürfe also von »Kampf um Anerkennung« streng genommen nicht reden (Vgl. Th. S. Hoffmann, Freiheit, Anerkennung und Geist als Grundkoordinaten der Hegelschen Staatsphilosophie, in: W. Pauly (Hrsg.), Der Staat – eine Hieroglyphe der Vernunft, Frankfurt 2009, S. 49–69). Es ist richtig, daß Hegel den Begriff »Anerkennung« in der Regel eher für das Resultat der – zunächst einseitigen, dann wechselseitig rechtlichen – Bewegung des Anerkennens benutzt (z. B. Rph § 71, Enzyklopädienachschriften GW 25,2, S. 785, 791). Aus der Perspektive der Kämpfenden geht es aber um »Bestätigung«, »Beweis« etc. ihres freien Selbstbewußtseins durch andere Subjekte. Die übliche Redeweise »Kampf um Anerkennung« scheint mir daher gerechtfertigt. 85 Zur Bedeutung des Gegensatzes Selbstbewußtsein-Bewußtsein für den Kampf und das Herrschafts- Knechtschaftsverhältnis vgl. W. Becker, Idealistische und materialistische Dialektik (1970) 56 ff. sowie jetzt P. Stekeler-Weithofer, Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar. Bd. 1, Gewissheit und Vernunft. Hamburg 2014, S. 694–720. 86 Vgl. M. Riedel, Objektiver Geist und praktische Philosophie (1969) 31. Diese These beruht auf der Gleichsetzung des »Herrn« mit dem ersten Stand des Naturrechtsaufsatzes. Die Tapferkeit des ersten Standes ist aber eine solche für das Volk und enthält das Bewußtsein des Einsseins mit dem Volk, von dem das Bewußtsein des Herrn in der Phänomenologie noch weit entfernt ist. 87 Vgl. dazu Ulmer 1976, Janke 1977 sowie B. Liebrucks, Sprache und Bewußtsein, Bd. V (1970) 82–97, H. G. Gadamer, Hegels Dialektik des Selbstbewußtseins (1973) und G. A. Kelly, Bemerkungen zu Hegels »Herrschaft und Knechtschaft« (1973). 88 In seiner »Soziologie« von 1908, vor allem 85–126. Vgl. den Hinweis auf die Bedeutung Simmels für die neuere Sozialphilosophie bei M, Theunissen, Der Andere (1965) 195. 89 »Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung« heißt der Untertitel des Buches von Simmel. 90 Ich stimme aber der Auffassung Theunissens zu, daß Sartre dafür keine ausreichende Begründung gibt (Theunissen 1965, 220, Anm. 11). Man muß sich vor allem fragen, ob Sartre (Das Sein und das Nichts, Hamburg 1962) in der Einleitung des Abschnittes (527–530) nicht ständig vom Subjekt-Wir spricht (»Das Wir umschließt eine Mehrzahl von Subjektivitäten, die sich gegenseitig als Subjektivitäten anerkennen« [528] – freilich in einem »nichtsetzenden Bewußtsein«). 91 Im Abschnitt über das Subjekt-Wir ist vom »Dritten« nicht die Rede;
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vielmehr betont Sartre, daß »der angefertigte Gegenstand mir-selbst mich als ›Man‹ ankündigt« (540). – Allerdings hatte Sartre im Abschnitt über das Objekt-Wir vorblickend davon gesprochen, daß bei dem gemeinsamen Anblicken eines Dritten die Erfahrung des »Subjekt-Wir« gemacht werde (531). 92 Die Tatsache, daß jeder durch den Anderen objektiviert, entfremdet wird, weil durch ihn »meine Möglichkeiten als abgestorbene Möglichkeiten« erscheinen, ist der »ontologische« Grund für die universale Kampfsituation: jeder versucht, des Anderen »Transzendenz zu transzendieren« (530). Zum Begriff der Transzendenz und zur Grundlage der »phänomenologischen Ontologie« Sartres vgl. K. Hartmann, Grundzüge der Ontologie Sartres in ihrem Verhältnis zu Hegels Logik (1963). Für das Verhältnis Sartres zu Husserls und Heideggers Intersubjektivitätstheorie vgl. Theunissen 1965, 187–208. 93 Sartres eigene Deutung und Kritik des Kampfes um Anerkennung und des Herrschafts-Knechtschafts-Verhältnisses bei Hegel (1962) 317–327 bedarf einer ausführlichen Diskussion. Vgl. die Ansätze dazu bei Hartmann 1963. 94 Ich zitiere nach der deutschen Ausgabe der Kritik der dialektischen Vernunft (Hamburg 1967). Vgl. zum folgenden auch K. Hartmann, Sartres Sozialphilosophie (1966) 77 ff. 95 Sartres Analyse ist bekanntlich an den Ereignissen der französischen Revolution orientiert (gelegentlich allerdings auch an den Abläufen zeitgenössischer Straßenkämpfe). Die Gefahr, um die es sich in seinem Beispiel handelt, ist die Vernichtung eines ganzen Stadtviertels durch eine Strafexpedition. 96 Das Grundelement der Ansammlung ist die Zweierbeziehung. 97 Die Realisierung der individuellen Spontaneität, nicht ihre Versittlichung, aber auch nicht ihre völlige Integration in ein Klassenbewußtsein ist das Ziel der geschichtlichen Bewegung für Sartre. Sein individualistischer Ansatz wird vor allem in seiner Auseinandersetzung mit dem traditionellen Marxismus in der Einleitung der Kritik der dialektischen Vernunft (15–80) deutlich. Allerdings ist die Praxis des Einzelnen prinzipiell Totalisierung und damit Überschreitung seiner selbst – seine Befreiung daher auch nur in der Gruppe möglich. 98 In diesem Prozeß des Verschmelzens bzw. »Fusionierens«, in dem sich die Praxis der Gruppe erfüllt, müssen die Tendenzen der Gruppe, in hierarchischen, institutionell verfestigten Strukturen zu erstarren, ebenso negiert werden wie der Rückfall in die Passivität der Ansammlung. Diesem Problem ist ein großer Teil der späteren Ausführungen Sartres in der »Kritik« gewidmet. 99 Vgl. etwa J. v. Neumann, O. Morgenstern, Theory of Games and Economic Behavior (1953) 220–225. 100 J. Lacan, Ecrits I (1966) 213. Lacan entwickelt diese Formel im Anschluß an eine Diskussion des berühmten Gefangenen-Sophismas (drei Gefangene müssen die Farbe einer auf ihrem Rücken befindlichen Scheibe, einer von drei weißen und zwei schwarzen Scheiben, erraten). Seine Absicht zielt auf eine Anmerkungen | 295
Verwandlung der klassischen Logik in eine neue, der Intersubjektivität angemessenere, in der der Zeitfaktor (temps logique) eine Rolle spielt. 101 In der kritischen Gesamtausgabe (GW 8) wird deutlich, daß die Überschrift »Anerkanntsein«, die Hoffmeister auf den Abschnitt a) bezog, in Wahrheit Gesamtüberschrift für die Abschnitte a) bis c) ist – weshalb der Abschnitt »d) das gewalthabende Gesetz« in Hegels Manuskript mit »b« bezeichnet ist. Der Abschnitt a) hat im Manuskript keine eigene Überschrift. 102 D. h. Arbeitsteilung, Tausch, Eigentum und Vertrag. Hegel entwickelt den Begriff des Eigentums aus dem der Arbeit und der im System der »Teilung der Arbeit« notwendigen »Bewegung« des Bearbeiteten im Tausch. Daß er damit in der Jenaer Geistphilosophie noch, wie Locke, das Eigentumsrecht mit der Arbeit verknüpft, die »Quelle, Ursprung des Eigentums« (227) ist, haben M. Riedel (Die Rezeption der Nationalökonomie [1969] 91) und J. Habermas (1968, 43) herausgestellt. 103 »Abstrakt« nennt Hegel die aufgrund der Arbeitsteilung spezialisierte Arbeit. Sie wird nicht von der Übersicht über einen »großen Umfang« an Tätigkeiten geleitet, sondern ist beschränkt auf einen einfachen »technischen« Ablauf, der ihr durch die »Zerlegung des Concreten in viele abstracte Seiten« zugewiesen ist (225). 104 Im Unterschied zur späteren Rechtsphilosophie gehört der Bruch des Vertrages und der Zwang gegen den Vertragsbrecher in der Geistphilosophie von 1805/06 zum Abschnitt »Vertrag« – also gleichsam zum Begriff des Vertrages. In der Rechtsphilosophie wird beides dagegen erst in dem – der Erörterung des Vertrages folgenden – Abschnitt über das »Unrecht« behandelt. 105 Der Staat muß nach Hegel den »Gegensatz großen Reichthums und großer Armut« (244) sowie die Abhängigkeit Einzelner und ganzer »Klassen« (245) von der »blinden Bewegung« (243) des Wirtschaftssystems verringern – freilich nur indirekt, durch Steuergesetzgebung, denn die »Freiheit des Gewerbes« (244) muß erhalten bleiben. Auch diese Position behält Hegel in der Rechtsphilosophie bei (vgl. §§ 236, 244, 245, 249). 106 Hegel gebraucht den Begriff der Dialektik zum ersten Mal im Naturrechtsaufsatz von 1802 – in einer beiläufigen Bemerkung, die auf die logische »Destruktion« der Kategorie des Verhältnisses hinzuweisen scheint. Faßt man als die eigentliche »Sache« der Dialektik die Auffassung des Widerspruchs als eines positiven Moments des philosophischen Denkens, so finden sich erste Hinweise schon in den Frankfurter Schriften (GW 2, 10 f.). Hegel hat aber in der ersten Jenaer Zeit die Dialektik offenbar als Aufgabe der »skeptischen« Logik, noch nicht der spekulativen Metaphysik aufgefaßt (vgl. GW 7, 14 ff., 35, 107).. Die positive – nicht bloß propädeutische – Bedeutung des Widerspruchs ist aber in der Geistphilosophie von 1803/1804 schon deutlich zu erkennen. Vgl. dazu K. Düsing 1976, 102–108, 179–189. Sowie M. Baum, o. Anm. 58. 107 Hegel scheint zunächst nur die positive Seite ausdrücklich als »An296 | kapitel i–v
erkanntseyn« zu bezeichnen (»Anerkanntseyn als Intelligenz«, GW 8, 255). Wenig später wird aber auch in bezug auf die »niederdrückende Macht« des Volkes gegenüber dem Einzelnen von »Anerkanntseyn« gesprochen (256). 108 Es finden sich in diesem Text bereits die Hauptzüge der späteren Theorie der entstehenden Klassengegensätze und der staatlichen Gegensteuerung: »Die Staatsgewalt tritt ein und muß sorgen, dass jede Sphäre erhalten bleibe« (244) Dazu gehört die Förderung des Außenhandels (»neue Canäle des Verkauffs in andern Ländern aufsuchen«, ebd.) sowie ein progressives Steuersystem: »die Ungleichheit des Reichthums macht, dass es gegönnt wird, wenn grosse Abgaben gegeben werden, vermindert den Neid« (252). 109 Das Moment des »Vertrauens« gehört offenbar zu jeder Staatsform – solange der Staat den Schutz des Lebens gewähren kann und als solcher bewußt ist (vgl. 256). Als »Herr« bzw. »Tyrann« erweist sich der Staat vor allem im Stadium seiner Gründung und in Situationen seiner Existenzgefährdung (vgl. 258). Das Verhältnis der Teilnahme an der Regentschaft ist das grundlegende Prinzip der griechischen Polis, manifestiert sich aber auch in bestimmten Institutionen des modernen Staates, so der »Wahl der Beamten« auf unterer Ebene (modern gesagt: im kommunalen Bereich), vgl. 263. 110 Mit der »Gesinnung« meint Hegel den »Geist eines Standes« bzw. sein »Selbstbewußtsein« (265 R). Vgl. L. Siep, »Gesinnung« und »Verfassung«. Bemerkungen zu einem nicht nur Hegelschen Problem. In: ders., Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt 1992, S. 270–284. 111 Daß dies einer der wesentlichen Punkte ist, in dem sich die Geistphilosophie (1805/06) von den früheren Jenaer Schriften Hegels unterscheidet, hebt mit Recht R. P. Horstmann (1975, 291) hervor. Hegel knüpft aber dabei an Überlegungen aus der Verfassungsschrift an. 112 Im Monarchen findet sich das Selbst als »Individualität«, die – wie in Religion und Philosophie – »frei von dem Wissen Aller« ist, weil die erbliche Monarchie ein Moment der Unmittelbarkeit und Unabhängigkeit vom gemeinsamen Willen enthält. Der Monarch ist im Hinblick auf die Erblichkeit seines Amtes nicht durch das Wissen und Wollen der Bürger und Stände »constituirt« (262). 113 Vgl dazu L. Siep, Die Bewegung des Anerkennens… S,116–120 u. ders. Der Weg der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt 2000, S. 214 f., 247 f. 114 Zu der Umkehrung der historischen Folge der antiken Sittlichkeit und des zeitgenössischen Bewußtseins, das »sein sittliches Leben verloren und, es suchend, jene Formen wiederholt« (261) in der Systematik der Phänomenologie vgl. L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, S. 144 f. 115 Daß das vernünftige Selbstbewußtsein anfänglich als einzeln auftritt und sich – z. B. in der Lust – in einem »als selbständig erscheinenden« (241) anderen Selbstbewußtsein anschaut, besagt, daß die Voraussetzung der Erfahrungen eine Beziehung zwischen Individuen ist. Das Selbstbewußtsein sucht seine Identität aber nicht mehr in der (methodisch isolierten) Beziehung auf Anmerkungen | 297
ein anderes Individuum, sondern in der intersubjektiven bzw. gesellschaftlichen Welt zu erhalten und zu bestätigen. 116 Hegel knüpft im Vernunftkapitel an die theoretische Philosophie Kants und Fichtes an, wenn er das sich in der objektiven Welt »verwirklichende« Selbstbewußtsein als einen Zusammenhang von »Kategorien« (242) oder auch schlechthin als »Kategorie« bezeichnet (259). Er faßt das Kategoriengefüge des Selbstbewußtseins aber zugleich als Grundlage der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt. 117 Vgl. Siep 1974, 188, 205. 118 Die Beziehung auf Rousseau ist weniger auffällig als die – den gesamten zweiten Teil des Kapitels beherrschende – Aneignung von Diderots Dialog »Rameaus Neffe«. Auf Rousseau bezieht sich nur eine – in sich widersprüchliche – Möglichkeit der Auflösung der Bildung durch den Verzicht der »Vernunft« auf das »geistig gebildete Bewußtsein« und ihre Rückkehr »in die Einfachheit des natürlichen Herzens … und in die Wildnis und Nähe des tierischen Bewußtseins« (346). Daß dies eher Voltaires Rousseaukritik als dessen Selbstverständnis trifft, steht auf einem anderen Blatt. 119 Vgl. zu Hegels Konzeption des Gewissens D. Moyar, Hegel’s Conscience, Oxford 2011. 120 »Bewußtsein« ist hier selbstverständlich immer in dem umfassenden Sinne gemeint, in dem die Phänomenologie als »Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins« bezeichnet ist – nicht als eine in der Entwicklung überholte Stufe, die auf das erste Kapitel zu beschränken wäre. 121 Damit ist keine strenge Zuordnung von Entwicklungsstufen der Phänomenologie und der Geistphilosophie von 1805/06 beabsichtigt. Zwar stellt auch in dieser die Bewegung von Verbrechen, Strafe und Begnadigung den Übergang zur höchsten Stufe der Geistphilosophie dar, aber diese ist – als »Konstitution« – durchaus nicht mit dem absoluten Geist der Phänomenologie identisch. 122 Hinzufügung in den Klammern von mir. 123 Vgl. dazu H. F. Fulda, Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik (1965) 223 f. 124 Was sie in der Geistphilosophie von 1805/06 insofern noch waren, als sie in den Zusammenhang der Darstellung der »Konstitution« gehörten (vgl. in diesem Band S. 194 ff.). 125 Vgl. dazu W. Marx, Grundzüge der Geschichtsauffassung bei Schelling und Habermas (1977) 70. 126 Unter dem Gesichtspunkt des historischen Bildungsprozesses des Geistes zieht H. F. Fulda (1965, 224) aus dem doppelten Versöhnungsbegriff in Moralität und Religion den Schluß, die Phänomenologie versuche »das absolute Wissen als ein notwendiges Resultat des modernen Protestantismus darzutun, indem sie zeigt, wie dessen Sittlichkeit und Religiosität voneinander getrennt sind und beide die Aufhebung ihrer Einseitigkeit von einem philosophischen Wissen fordern, das ebenso sittlich wie religiös ist«. 298 | kapitel i–v
127 Vgl. A. Kojève, Hegel, Marx und das Christentum, Rezension über Henri Niel, De la Médiation dans la Philosophie de Hegel, jetzt als Anhang zu: A. Kojève, Hegel (1975) 294 ff. Das Verhältnis des »großen Individuums« zum gewöhnlichen moralischen Beurteilen ist eines der Themen dieser Ausführungen Hegels. – Welche zeitgenössischen Gestalten und Theorien Hegel in diesem Kapitel aufgreift, hat E. Hirsch gezeigt: Die Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie (1973, 245–275 – zuerst erschienen 1924). 128 Daß die Gewissensfreiheit nach Hegel vom Staat nur toleriert werden soll, aber kein Recht begründet, ist auch die Auffassung H. Lübbes in seiner Arbeit Zur Dialektik des Gewissens bei Hegel (1964). Auch nach der späteren Rechtsphilosophie Hegels gibt es weder ein Widerstandsrecht noch etwa – ein Beispiel, das Lübbe erörtert – ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus »Gewissensgründen«. (Zur Frage des Widerstandsrechts vgl. Mandt 1974). 129 Vgl. Hirsch 1973 und O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik (1956). 130 Vgl. PhG 440: »Die Wunden des Geistes heilen, ohne daß Narben bleiben; die Tat ist nicht das Unvergängliche, sondern wird von dem in den Geiste in sich zurückgenommen.« 131 Das bedeutet mit Hegel: Standeszugehörigkeiten. 132 A. Wildt hat in seinem Aufsatz über Hegels Kritik des Jakobinismus (1970, 280) die Auffassung vertreten, in Hegels Anerkennungstheorie seien Ansätze zur Überwindung bloß »rechtsförmiger Sozialbeziehungen«, die noch der Kantischen Moralphilosophie zugrunde lägen, in Richtung auf »freundschaftlich-solidarische« Beziehungen enthalten. Solche Beziehungen beinhalten für ihn die »kommunikative Definition von Bedürfnisansprüchen als Voraussetzung einer möglichen Kollektivierung der Bedürfnisbefriedigung«. Diese Deutung hat er in seinem Buch »Autonomie und Anerkennung« (1982) ausgearbeitet. 133 Damit sollen, vereinfacht und vorläufig, die Versuche zu einer Neubegründung der Ethik bei Habermas und in der »Erlanger Schule« gekennzeichnet sein. (Vgl. dazu Kap. IV. 2 u. 3.) 134 Deshalb lehnt Hegel ja auch die naturrechtlichen Versuche, den Gesellschafts- oder Staatsvertrag auf natürliche Eigenschaften oder Triebe zu begründen – etwa auf den »stärksten« natürlichen Trieb, die Furcht vor gewaltsamem Tod, wie bei Hobbes – seit dem Naturrechtsaufsatz von 1802 ab (vgl. Siep 1974a). 135 Diese Auffassung habe ich in meinen späteren Texten zu Hegels Rechtsphilosophie modifiziert. Vgl. Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl in Hegels Philosophie des Rechts In: Siep, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. 1992, S. 285–306 sowie Hegel und das Projekt der Moderne. Überzeugt hat mich vor allem G. Lübbe-Wolffs Abhandlung »Über das Fehlen von Grundrechten in Hegels Rechtsphilosophie« (1986). 136 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Bonsiepen (1977, 100 ff.) hinsicht-
Anmerkungen | 299
lich der Geistphilosophie von 1805/1806. Er bezweifelt, daß Hegel das Moment der »Entäußerung des Staates« gegenüber den Einzelnen wirklich zur Geltung bringt und es »nicht doch zu einer Unterwerfung des Einzelnen unter das Allgemeine des Staates« komme. 137 D. h. im Sinne Hegels »Stände« – aber nicht nur Berufsstände im Sinne der Geistphilosophie von 1805/06, sondern auch Teilgewalten, wie Hegel sie in der Verfassungsschrift versteht. 138 Denn die Regierung vermag langfristig nichts gegen die öffentliche Meinung: »wenn die Überzeugung nachgelassen hat, die innre Nothwendigkeit, so kann keine Gewalt sie zurückhalten« (GW 8, 273 R, vgl. auch 263). 139 Die Darstellung der »geistreichen Sprache« und des »zerreissenden Urteilens« (344) ist vor allem an Diderot orientiert (vgl. o. Anm. 118). 140 Vgl. dazu auch die prägnante Stelle aus dem Entfremdungskapitel (PhG 335): »Die Sprache aber enthält es in seiner Reinheit, sie allein spricht Ich aus, es selbst … Ich ist dieses Ich – aber ebenso allgemeines. Sein Erscheinen ist ebenso unmittelbar die Entäußerung und das Verschwinden dieses Ichs, und dadurch sein Bleiben in seiner Allgemeinheit.« Die Allgemeinheit des Gesprochenen besteht also nicht zusammen mit der unvertretbaren Individualität, sondern in und durch deren Selbstaufhebung – in der »dieses Ich« gleichsam im Untergang erscheint. 141 Vom System der Sittlichkeit bis zur Enzyklopädie von 1830 hat Hegel in der Tatsache, daß die »Leiblichkeit« des Wortes im Verklingen der Laute und im Verstehen der anderen »verschwindet«, die besondere Geist-Angemessenheit des Mediums Sprache gesehen (vgl. GW 5, 294, PhG 335, Enz § 459). 142 Zu anderen als den hier behandelten Aspekten von Hegels Sprachphilosophie bzw. der Rolle der Sprache in seiner Philosophie vgl. J. Derbolav, Hegel und die Sprache (1959); H. Lauener, Die Sprache in der Philosophie Hegels (1962); K. Löwith, Hegel und die Sprache (1966); J. Simon, Das Problem der Sprache bei Hegel (1966); W. Marx, Absolute Reflexion und Sprache (1970, zuerst erschienen 1967). 143 Vgl. H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens (1970) 322 (»Sommer 1804 – Winter 1804/05«). 144 In der Geistphilosophie von 1805/06 spricht Hegel nicht mehr von Logik und Metaphysik, sondern von der »spekulativen Philosophie« als erstem Teil des Systems. In der Gliederung dieses ersten Teils ist die Unterscheidung zwischen Logik und Metaphysik aber noch erkennbar. (GW 8, 286). Wenn die Logik mit dem Kapitel »Leben und Erkennen« geendet haben sollte, so kann sie nicht mehr auf die Kritik des Verstandesdenkens eingeschränkt gewesen sein. Schon der Begriff des Lebens entspricht spekulativen Strukturen der Geistphilosophie. Vgl. zum Ganzen K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976). 145 In gewisser Hinsicht enthält auch die Logik solche Kategorien (z. B. Ein300 | kapitel i–v
zelheit und Allgemeinheit). Das Verhältnis dieser Kategorien zueinander, ihre »Bewegung«, ist aber im spekulativen Denken der Metaphysik und Geistphilosophie ein anderes als in der Logik. 146 Vgl. zu Hegels Begriff des Lebens in Jena und seiner Beziehung zu Schellings Naturbegriff Henrich 1983. 147 Weil nach der Skizze der Geistphilosophie von 1805/06 »Leben und Erkennen« den Abschluß des ersten Teils der spekulativen Logik bildet – so wie die »Proportion« den Abschluß der kritischen Logik im Text von 1804/1805. Zur »logischen« Struktur des Lebens als von anderen Gegenständen des Erkennens grundsätzlich unterschieden (auch mit Bezug auf Hegel) vgl. jetzt M. Thompson, Leben und Handeln (Berlin 2011) S. 46–106. 148 In der Metaphysik ist das Erkennen selber die »Idee des Ansich« und daher »sein eigener Inhalt« (175). 149 Möglicherweise ist Hegels Anknüpfung an Leibniz von Schelling beeinflußt, der im System des transzendentalen Idealismus von 1800 – und zwar innerhalb des »Systems der praktischen Philosophie« (IV. Hauptstück) auf Leibniz’ Konzeption der prästabilierten Harmonie zurückgreift (III, 544). Für Hegel ist aber schon die Vorstellung einer Pluralität von Monaden als solche auf eine bestimmte Stufe des metaphysischen Erkennens beschränkt. In der Metaphysik der Subjektivität zeigt sich: die »gleichgültige Vielheit (der Monaden) … kann in ihrer Bewegung gegeneinander nur sich aufheben« (176). 150 In der Logik der Proportion sind die Begriffe »Selbsterhaltung« und »Definition« nahezu bedeutungsgleich. Ihre gemeinsame Bedeutung besteht darin, daß sie eine negative Beziehung auf anderes um der eigenen Identität willen bezeichnen. Das gilt nicht nur auf der Ebene der Logik, sondern auch in der Naturphilosophie: für Hegel erhalten alle Lebewesen ihre Bestimmtheit durch das für ihre Selbsterhaltung Wesentliche. 151 In der Metaphysik der Objektivität gibt es noch eine Differenz zwischen »für es« und »für uns«, die sich in den ersten beiden Abschnitten der Metaphysik der Subjektivität in einer Erfahrung des Bewußtseins aufhebt. Vgl. Düsing 1976, 190. 152 Zur Veränderung der Stellung des »Lebens« in Hegels Schriften zwischen 1804 und 1812 vgl. O. Pöggeler, Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins (1973a) 269 ff.; K. Düsing (1976, 158) folgert aus der Tatsache, daß Leben in der Phänomenologie eine Kategorie des Selbstbewußtseins ist, daß die »Bewegung der Anerkennung« dem Übergang des Lebens zum Erkennen entspricht, den die Logikskizze der Systementwürfe III andeutet (»Leben und Erkennen«). 153 Vgl. o. S. 109. Für eine genaue Analyse der Strukturen der Wesenslogik vgl. D. Henrich, Hegels Logik der Reflexion, neue Fassung (1978). 154 Es ist immer wieder versucht worden, die kategoriale Entwicklung in der Phänomenologie mit einer der von Hegel zwischen 1804 und 1812 ausgeführten Fassungen der Logik zu interpretieren. Da alle diese Versuche nicht völlig Anmerkungen | 301
überzeugen, spricht manches für die Auffassung O. Pöggelers, »daß der Phänomenologie eine Logik entspricht, die Hegel nur konzipiert, aber niemals ausgearbeitet hat« – und die daher nur in dieser zu finden sei (1973a, 271). Die wichtigsten Untersuchungen zur Logik der Phänomenologie sind: H. F. Fulda, Zur Logik der Phänomenologie von 1807 (1973); O. Pöggeler, Die Komposition der Phänomenologie des Geistes (1973c); ders., Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins (1974); H. Schmitz, Die Vorbereitung von Hegels »Phänomenologie des Geistes in seiner Jenaer Logik« (1960); J. Heinrichs, Die Logik der Phänomenologie des Geistes (1974); J. H. Trede, Phänomenologie und Logik (1975). 155 In den Vorlesungen von 1801/1802 hat Hegel die Behandlung des Schlusses als Form des Verstandes von derjenigen der »spekulativen Bedeutung der Schlüsse« unterschieden. (Vgl. GW 5, 273 f.) 156 Zum Beispiel bei L.B. Puntel, Darstellung, Methode und Struktur (1973) und Theunissen 1978. Die Logik der Rechtsphilosophie untersucht K. Vieweg, Das Denken der Freiheit (2012), für den in der Tat die spekulative Logik bestimmte, von heute aus gesehen »progressive« Lesarten oder Korrekturen der praktischen Philosophie Hegels »vorschreibt«. 157 Über diese – erst in Jena ausgearbeitete – Kantkritik kann man sich natürlich streiten. Die »Kantkritik des jungen Hegel« ist von I. Görland untersucht worden (1966). Ihre These, daß Hegel in seiner Jenaer Zeit Kant unzulässig mit Fichte identifiziert hat, läßt sich von seiner praktischen Philosophie her bestätigen Trotzdem steht der Gegensatz der Kantischen und der Aristotelischen Konzeption der praktischen Philosophie wohl außer Frage. 158 Vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1. Stück, Allgem. Anmerkung (Werke, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. IV, Darmstadt 1956, 698 f.). 159 D. Henrich (1971, 54 ff.) hat darauf hingewiesen, daß Hegel und Schelling sich um so mehr zur Kritik der theologischen Orthodoxie gedrängt fühlen mußten, als sich diese Orthodoxie der Mittel der Aufklärung – historische Bibelkritik und Kantische Moraltheologie – zur Verteidigung des kirchlichen Lehrsystems bediente. Einer der Hauptvertreter dieser »aufgeklärten« Orthodoxie war der Tübinger Theologe Storr. 160 Vgl. GW 1, 153 sowie K. Düsing, Die Rezeption der Kantischen Postulatenlehre in den frühen philosophischen Entwürfen Schellings und Hegels (1973) 70 ff. Nach Düsing steht Hegel damit in bestimmter Hinsicht »Kants früherer Lehre vom höchsten Gut, Gott und Unsterblichkeit näher als dessen bekannter späterer Theorie« (71). 161 Vgl. J. G. Fichte, Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) SW V, 15–172, vor allem 87 f. Vgl. dazu auch L. Siep, Autonomie und Vereinigung. In: Siep 1992, S. 116–129 162 Vgl. u. a. GW 1, 365 ff. 163 Nach Kant – und Fichte – muß ja alle kultische, auf Sinnlichkeit und Einbildungskraft wirkende Religion sich selbst »entbehrlich« machen und zu302 | kapitel i–v
letzt in »reine Vernunftreligion« übergehen (vgl. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Werke VI, 785). 164 Vgl. D. Henrich 1971 sowie ders. Der Grund im Bewußtsein (1992); H. Hegel 1971; dies. Reflexion und Einheit (1973); O.Pöggeler, Sinclair – Hölderlin – Hegel 1973b; ders., Hölderlin, Hegel und das Älteste Systemprogramm (1973d). 165 Hegels Kritik am Christentum stellt in vielem eine Entsprechung zu Rousseaus Gesellschaftskritik dar. Die Entwicklung des Christentums hat zu der Isolierung, der Herrschaft des Privaten und des »Eigennutzes« geführt, die auch für Rousseau die moderne Gesellschaft kennzeichnen. Der Ursprung dieser Entwicklung liegt für den Frankfurter Hegel im alttestamentlichen Judentum. Der »moderne« Ausdruck für die Isolierung der auf sich selbst bezogenen Individuen ist vor allem die auf den Schutz des Privateigentums ausgerichtete Rechtsordnung und die Beschränkung des Staates auf die Garantie dieser Ordnung. Hegel hat allerdings schon in der Frankfurter Zeit die Institution des Eigentums als unabänderlich angesehen. 166 Von einer Trennung kann bei Kant allerdings nur im folgenden Sinne die Rede sein: a) die Politik muß sich zwar an den Prinzipien der Moral und des Rechts orientieren, bleibt aber eine »Kunst« im Sinne der techne, die aus »technisch-praktischen« Regeln besteht (Zum ewigen Frieden, Werke VI, 228 f.) – b) die politischen Institutionen sind von der Moralität (der moralischen Gesinnung) der Bürger unabhängig, sie können, nach dem berühmten Diktum in der selben Schrift (224), auch in einem »Volk von Teufeln« funktionieren. 167 Nach K. Düsing (1976, 73) ist das Systemfragment von 1800 Teil einer Schrift über die Religion. Zu der Bedeutung dieses Textes für Hegels praktische Philosophie vgl. Nusser 1973, 141 ff. 168 Vgl. GW 5, 173: »so kan eine Staatsgewalt ohne Furcht und Eifersucht den untergeordneten Systemen und Körpern frey einen grossen Theil der Verhältnisse, die in der Gesellschafft entstehen, und ihre Erhaltung nach den Gesetzen überlassen; und jeder Stand, Stadt, Dorf Gemeine usw. kann der Freyheit geniessen, dasjenige, was in ihrem Bezirke liegt, selbst zu thun und auszuführen«. (vgl. GW 5, 172, 150 f.) 169 Hegel kritisiert vor allem den Gegensatz von Urrecht und Zwangsrecht in Fichtes Grundlage des Naturrechts (1796/97). Das absolute Recht, »freie Ursache zu sein«, muß nach Fichte eingeschränkt werden durch die Bedingungen der Sicherheit gegen Rechtsverletzungen, die nicht auf »Treu und Glauben« begründet sein können, sondern nur auf ein Zwangsgesetz, das »unausbleiblich und mit mechanischer Notwendigkeit« für jeden Rechtsbrecher die »gleiche Verletzung seines eigenen Rechts« bewirkt (Grundlage des Naturrechts, SW III, 119 und 145 f.). Für Hegel macht das Ziel einer solchen absoluten Rechtssicherheit bei Fichte die Konstruktion eines totalen Zwangssystems notwendig (vgl. Siep 1977a). Anmerkungen | 303
170 Bei Aristoteles ist der Begriff »politische Wissenschaft« der »Oberbegriff«, unter den die Ethik, die Ökonomie (Lehre vom »Haus«) und die Lehre von der Polis subsumiert werden. Vgl. dazu M. Riedel, Gesellschaftstheorie oder politische Philosophie (1975b), 30, Anm. 5 sowie W. Hennis, Politik und praktische Philosophie (1963). 171 Ob man von der gesetzlosen Freiheit des Naturzustandes ausgeht – wie etwa Hobbes – oder von einem naturunabhängigen Freiheitsbewußtsein, wie Kant und Fichte, bedeutet für Hegel in dieser Hinsicht keinen wesentlichen Unterschied: Beide Konzeptionen gehen von einer ursprünglich absoluten Einzelheit aus. 172 Schon in der Differenzschrift hat Hegel die Vereinigung von Reflexion und Anschauung zu einer transzendentalen Anschauung der entgegengesetzten Bestimmtheiten als Momente eines Ganzen konzipiert. Auch der Naturrechtsaufsatz versteht die Anschauung als die Fähigkeit, das »Ganze« der Sittlichkeit zu erfassen und so den Verstand, das »Auseinanderhalten der verschiedenen Seiten einer und derselben Anschauung« von seiner »Verkehrtheit« zu befreien (IV, 428 ff.). Analog zum Verhältnis von Reflexion und Anschauung bestimmt dann das System der Sittlichkeit das Verhältnis von Begriff und Anschauung (vgl. in diesem Band S. 175). Zum Verhältnis von Reflexion und Anschauung in der Differenzschrift: vgl. W. Zimmerli, Die Frage nach der Philosophie (1974) sowie W. Jaeschke, Hegel-Handbuch 113 f. 173 Der Mitherausgeber von Bd. V der Gesamtausgabe, der verstorbene Kurt Rainer Meist, weist nach, daß dieser Text im Zusammenhang mit Vorlesungen über das Naturrecht seit 1802 entstanden ist. Hegel hatte zunächst vor, sie unter den Titel »Critik des Fichteschen Naturrechts« zu stellen (Vgl. S. 665). Der Titel des »Systems« hat gleichwohl seine Berechtigung, weil Hegel beabsichtigt habe, »früher hergestellten Entwürfen auf diesem Gebiet eine endgültige Gestalt zu verleihen« (ebd.). 174 Vgl. zum Folgenden auch meinen einführenden Kommentar zu der Schrift Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie in: L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Frankfurt 2000, S. 32–51. 175 Nach H. Kimmerle (1970, 318) ist der Naturrechtsaufsatz »vor Nov. 1802« entstanden, das System der Sittlichkeit nach seiner neuesten Datierung (VIII, 354) etwa »Herbst bis Winter 1802/03«. 176 Vgl. dazu M. Riedel, Objektiver Geist und praktische Philosophie (1969). 177 Dieses Primat liegt für Hegel vor allem darin, daß das Prinzip aller Teile der praktischen Philosophie Kants und Fichtes das »reine Selbstbewußtsein« ist, das mit dem »leeren Sittengesetz« identisch ist (GW 4, 442). Er stützt sich dabei auf die Identifizierung von reinem Selbstbewußtsein und Bewußtsein des kategorischen Imperativs in Fichtes Zweiter Einleitung in die Wissenschaftslehre (vgl. I, 466 f.) Vgl. dazu U. Claesges, Legalität und Moralität in Hegels Naturrechtsschrift (1976).
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178 Hegel unterscheidet an der betreffenden Stelle des Naturrechtsaufsatzes die Wissenschaft von der Moralität, die auf die Bestimmung der »Sittlichkeit des Bourgeois oder Privatmenschen«, also des Standes der Nichtfreien, eingeschränkt ist, von der Ethik, d. h. der »Naturbeschreibung der Tugenden« der absoluten Sittlichkeit (GW 4, 468 f.). Da in der absoluten Sittlichkeit die Einzelheit kein »Bestehen« mehr hat, muß sich die Ethik an die Beschreibung von großen Gestalten halten, in denen sich die Eigenschaften der absoluten Sittlichkeit »individualisieren«. Hegel nennt »Epameinondas, Hannibal, Cäsar« (ebd.). Eine allgemeine Tugendehre hat in dieser Konzeption keinen Platz. 179 Damit ist nur sehr verkürzt zum Ausdruck gebracht, wie Hegel in seiner Theorie des Opfers und der »Tragödie im Sittlichen« das Verhältnis der Stände – und damit der absoluten Sittlichkeit zu ihrer »unorganischen Natur« (GW 4, 458) – begriffen hat. Vgl. dazu Pöggeler, Hegel und die griechische Tragödie (1973a) 86 ff. und Kimmerle 1970, 212 ff. 180 Nur an wenigen Stellen (vor allem GW 4, 454) unterscheidet Hegel innerhalb des Standes der »nicht freyen« noch einmal den Bürger- und Bauernstand. Während das System der Sittlichkeit diese Drei-Stände-Lehre systematisch entfaltet, legt der Naturrechtsaufsatz nur auf die Differenz zwischen den – durch Arbeit und Eigentum bestimmten – niederen Ständen und dem eigentumslos, nur dem kriegerischen, politischen und philosophischen (vgl. ebd.) Dienst am Ganzen gewidmeten »ersten Stand« Wert. 181 Hegel unterscheidet im System der Sittlichkeit zwei verschiedene Weisen der Aufhebung, eine »negative« und eine »absolute und positive« (GW 5, 310). Während die negative Aufhebung die natürliche Sittlichkeit bloß zerstört, ist erst die positive – der absoluten Sittlichkeit – in der Lage, die negierten Bestimmtheiten »in einem höhern mit ihrem Entgegengesetzten vereinigt« zu setzen. Hegel hat aber im System der Sittlichkeit die beiden Weisen der Negation noch getrennt, noch nicht zu einer »doppelten« Negation im Sinne der späteren Dialektik zusammengedacht. Vgl. zur Entstehung der Hegelschen Negationstheorie Henrich 1980. 182 Die These, daß Hegels Konzeption der natürlichen Sittlichkeit an der Aristotelischen »Ökonomik« orientiert ist, muß mit einer Einschränkung versehen werden, die z. B. K. H. Ilting (Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik [1963/1964]) übersieht: die Aufnahme von Institutionen des Rechts und der gesellschaftlichen Arbeit in die natürliche Sittlichkeit hat kein Vorbild bei Aristoteles. Hegel scheint dabei vielmehr am Naturrecht Lockes orientiert zu sein. 183 Zur Entwicklung von Hegels philosophischem System in Jena vgl. auch K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976), M. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik (1986) und W. Jaeschke, HegelHandbuch (2003), S. 100–200. 184 Vgl. Siep 1970, 19–26. 185 Publiziert in GW 5, als »Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten
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(1801/02)«. Wiedergefunden wurden die Manuskripte von Eva Ziesche. Vgl. dies., Unbekannte Manuskripte aus der Jenaer und Nürnberger Zeit im Berliner Hegel-Nachlaß. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. 29 (1975) 430–444, sowie den Editorischen Bericht GW 5, S. 652–660. 186 Darauf gründet R. P. Horstmann (1972) seine Bedenken, Hegels frühe Jenaer Systemkonzeption auf die Systemskizze der Differenzschrift zurückzuführen, wie dies H. Kimmerle (1970) versucht hatte. 187 Vgl. GW 4, 71: »Keine der beyden Wissenschaften kann sich als die einzige konstituiren, keine die andere aufheben; das Absolute würde hierdurch nur in einer Form seiner Existenz gesetzt.« 188 Schelling deduziert diese Einheit im System des transzendentalen Idealismus von 1800 (vgl. Werke, hrsg. v. K. F. A. Schelling, III, 612 ff.). Vgl. W. Marx 1977. 189 Zum Verhältnis von Kunst, Religion und Spekulation in der Differenzschrift vgl. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, S. 12 f. 190 Daß der »praktische Teil der Philosophie der Intelligenz« derjenige Systemteil ist, der »der praktischen Philosophie im Sinne der Tradition entspricht«, ist auch die Auffassung von H. Kimmerle (1970, 206). 191 Vgl. Kimmerle 1970, 26 s. ö. sowie R. P. Horstmann 1972, 109 f. 192 Nach der Gesamtausgabe (GW 5, 668 f.) handelt es sich nicht um eine Fortsetzung, sondern um Zitate von Rosenkranz aus Vorlesungen der Jahre 1802/03. 193 Zum Begriff des Absoluten bei Hegel und seinem denkgeschichtlichen Kontext vgl. W. Jaeschke, Hegel-Handbuch, 110–112. 194 Mit diesem Vorwurf der »Verzerrung« der Anschauung durch den Verstand kritisiert Hegel die Systematisierung der »alten, durchaus inconsequenten Empirie« (GW 4, 450) durch das neuzeitliche Naturrecht bis Kant und Fichte. 195 Schon in der Differenzschrift kritisiert er die intellektuelle Anschauung wie Fichte sie – nach Hegels Auslegung – versteht (GW 4, 35 f.). Erst in der Vorrede zur Phänomenologie wendet sich diese Kritik auch gegen Schelling – bei dem die intellektuelle Anschauung ihre zentrale Bedeutung für die philosophische Methode nach dem System des transzendentalen Idealismus aber wieder verloren hatte (vgl. W. Marx 1977). 196 Für Hegel kommt der Charakter, »unmittelbares Gegenteil seiner selbst« zu sein und sich daher in sich selbst zu differenzieren, zunächst »allein« der Intelligenz (vgl. GW 4, 464) zu. Das schließt nicht aus, daß sie später Bestandteil einer alles Endliche umfassenden Konzeption des »Anderen seiner selbst« als autonomer Negation wird. (vgl. Henrich, Anderssein, MS 1980 und Sieben Schritte 1982). 197 Daß Hegel bereits hier die Differenz von »für uns« und »für es« einführt, zeigt, daß die Methode der Erfahrung des Bewußtseins, die für die Phänomenologie maßgeblich ist, sich bereits in diesem Entwurf vorbereitet (vgl. dazu Kap. III. 1). 306 | kapitel i–v
198 Im Kampf muß die »Mitte ihres Anerkennens« eine »wirkliche« werden (vgl. GW 6, 308). Da Hegel die Unterteilung des Textes nach »Potenzen« oder »Mitten« aber nur bis zur Familie (bzw. dem Besitz) durchführt, ist nicht eindeutig zu klären, ob die Mitte des Kampfes noch zur Potenz der Familie gehört oder eine neue Potenz darstellt (vgl. den Editorischen Bericht, GW 6, 350). Nach Kimmerle ist der Kampf um Anerkennung eine eigene »doppelte Mitte« und muß daher zugleich als ein Kampf um Ehre und um Besitz aufgefaßt werden (Manuskript 1975b). In den Berliner Schriften, vor allem der Enzyklopädie und den Vorlesungen dazu, hat Hegel den Akzent mehr auf die Unterwerfungskämpfe gelegt, die zu Staatsgründungen führen (z. B. Enz 1830, § 433 Anm.). Es ist aber immer noch von dem »Einen der Kämpfenden« und jedem als »einzelnes Selbstbewußtseyn« die Rede (GW 20, 431), in den Vorlesungsnachschriften auch noch von der Tapferkeit des (späteren) Herrn (GW 25,2 792). 199 Zu den Gründen dafür, daß die Konsequenzen der »neuen« Bewußtseinstheorie für die praktische Philosophie erst in der Geistphilosophie von 1805/06 vollständig gezogen werden vgl. Siep 1977a. 200 Auch diese Überschrift stammt nicht von Hegel selber, läßt sich aber aus mehreren Textstellen sinnvoll rekonstruieren. 201 Vgl. G. W. F. Hegel, Jenaer Realphilosophie, Unveränderter Nachdruck des unter dem Titel »Jenenser Realphilosophie II« von J. Hoffmeister 1931 herausgegebenen Textes, Hamburg 1967, 179. 202 Vgl. M. Riedel, Hegels Rezeption der Nationalökonomie (1969). 203 Vgl. GW 8, 223: »In diesem Elemente hat sich nun das Vorhergehende darzustellen …« 204 »Die Kirche hat ihren Gegensatz am Staate, d. h. an dem daseyenden Geiste; sie ist er, erhoben in den Gedanken« (GW 8, 284). 205 Vgl. Riedel 1969, 36. Zu Rezeption und Kritik Hegels an Aristoteles, auch in der Rechtsphilosophie vgl. J. Ritter, Moralität und Sittlichkeit, [1969] vor allem 297 ff.) sowie L. Siep, Hegels Rezeption der aristotelischen Politik. (Aktualität und Grenzen, 2010, S. 59–76). 206 Für Locke gehören ja ebenfalls die ökonomischen Institutionen zu einem Naturzustand, der nicht als Kriegszustand gefaßt wird. Erst durch Ehrgeiz, Habsucht und den Gebrauch des Geldes wird die friedliche Balance des Naturzustandes gefährdet (vgl. John Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung. Kommentar von L. Siep, Frankfurt ²2013, S. 37–48, Kommentar S. 235–240, 331–334). 207 Hegel hat in der Geistphilosophie von 1805/06 auch der Moralität wieder eine positive Stelle im System der praktischen Philosophie eingeräumt. Sie ist zum einen die Befreiung des Einzelnen von seinen besonderen Interessen durch seinen Stand als Teil der staatlichen Organisation (GW 8, 265 R), zum anderen auch die Befreiung der Stände selber durch ihre Teilnahme am Leben des Staates. »Die Moralität ist die Erhebung über den Stand, in ihrem Thun,
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sich selbst und das Thun des Staates weiter zu bringen« (GW 8, 281). Besonders manifest wird sie in der Pflichterfüllung des »öffentlichen« Standes, die Hegel nur hier »moralische Gesinnung« nennt (273). Gegenüber dem Naturrechtsaufsatz, in dem die Moralität auf die Selbständigkeit des Einzelnen gerichtet war, erscheint dies als eine völlige Umwertung. 208 Nach O. Pöggeler bringt die Phänomenologie zum Ausdruck, daß Hegel »die Geschichte in seiner Zeit an ein vieldeutig bleibendes Ende kommen« sieht. Das führe dazu, daß er die »geschichtlichen und zukunftsoffenen Fragen wieder mit dem eternisierenden Blick der überlieferten Philosophie« sehe (Philosophie und Revolution beim jungen Hegel, in: Hegels Idee [1973a] 77). Nach H. F. Fulda (1965, 257 f.) ist die Phänomenologie die Darstellung des »Auftretens« der Wissenschaft als des Endes der Bildungsgeschichte des absoluten Geistes. Dadurch hört die Wissenschaft auf, »durch die Geschichte ihres Werdens äußerlich bedingt zu sein«. Weltgeschichtliche Voraussetzung dazu ist nicht das Ende der Geschichte, sondern der »Kairos«, in dem sich das absolute Wissen von seinen geschichtlichen Voraussetzungen lösen kann. Für R.K. Maurer ist dieser Kairos durch die Erinnerung an die Versöhnungstat der Menschwerdung Gottes bedingt (Hegel und das Ende der Geschichte, [1965] 78 s. ö. – dort auch eine ausführliche Diskussion der einschlägigen Positionen). 209 Von »Methode« ist auch im Folgenden nicht nur in Hegels Bedeutung der notwendigen Bewegung der »Sache«, des im Elemente des natürlichen Bewußtseins sich darstellenden und erkennenden Geistes die Rede. Für das Interesse der gegenwärtigen praktischen Philosophie kann die einer solchen Konzeption zugrunde liegende Identität von Sein und Erkennen nicht vorausgesetzt werden. 210 Vgl. zum folgenden auch das Kapitel 5 meines einführenden Kommentars zur Phänomenologie des Geistes (Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 2000, S. 74–79). 211 So beginnt Hegel etwa die Geistphilosophie mit dem Satz: »Das Bestehen des Gegenstandes, sein Raum ist im Geiste Seyn« (GW 8, 185) – um diese Bestimmung »Seyn« wenig später als charakteristisch für die Weise zu bezeichnen, in der der Gegenstand für das »Bewußtseyn« (unterschieden vom »für uns«) ist (186). In der Enzzyklopädie von 1830 findet sich dagegen in den entsprechenden (der »Anschauung« gewidmeten) Paragraphen eine klare Unterscheidung zwischen dem Standpunkt des Bewußtseins und des Geistes (vgl. § 448). 212 Die Unterscheidung zwischen natürlichem Bewußtsein, erscheinendem Wissen und philosophischer Darstellung des Prozesses betont W. Marx (Hegels Phänomenologie des Geistes [1971]). Zu diesen Aspekten der Methode der Phänomenologie vgl. auch W. Bonsiepen (1977, 139 f.); sowie jetzt P. Stekeler, Hegels Phänomenologie, 2014 S. 361–404. 213 »Auslösen« durch die an die sinnliche Gewißheit gerichtete Aufforde308 | kapitel i–v
rung, ihr Wissen auszuweisen. Zur Rolle des Philosophen vgl. W. Marx 1971, Kap. VI sowie ders., Die Dialektik der Phänomenologie des Geistes und die Rolle des Philosophen (1975, 381 bis 387). Die verschiedenen Deutungen des »Wir« in der Phänomenologie erörtert K. Dove, Hegel’s phenomenological method (1970, 630 ff.). 214 Unter diesem Titel erörtert der »Vorbegriff« der enzyklopädischen Logik die Problematik einer Kritik des nicht-spekulativen Wissens als Vorbereitung des Anfangs der eigentlichen Wissenschaft. Allerdings ist dieser Vorbegriff nur bedingt mit der Idee der Phänomenologie von 1807 zu vergleichen. Vgl. dazu Fulda 1965 sowie W. Flach, Zum Vorbegriff der Kleinen Logik Hegels (1976). 215 In Hegels Erörterung der »moralischen Weltanschauung« (Buch VI, Abschnitt C) wird der Zusammenhang zwischen einer das Handeln betreffenden »Einstellung« und einer impliziten These über das »Wesen« der Wirklichkeit besonders deutlich. 216 Allerdings nur in ihren historischen Erscheinungsformen als Feudalmonarchie, Absolutismus etc. (im Kapitel über »Die Bildung und ihr Reich der Wirklichkeit«). 217 Das schließt nicht aus, daß sie, wie Maurer (1965, 158 f.) zu zeigen versucht, als »Geschichtsmetaphysik« verstanden werden kann. 218 Auf dem Gebiet der »Konstitution« bleibt es bei spärlichen Hinweisen – wie dem auf den notwendigen Übergang der Revolutionsverfassung Frankreichs in einen nachrevolutionären Ständestaat. Vgl. PhG 388, 389 sowie dazu F. Rosenzweig, Hegel und der Staat (1962) I, 217. 219 Für diese Kontinuitätsthese argumentieren auch W. Marx (1971, 81: »Identität von Erfahrungs- und Geisteswissenschaft«) und W. Bonsiepen (1977, 166) dagegen O. Pöggeler, (vgl. Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes [1973a] 222 ff.). 220 Den Husserlschen Begriff des Horizonts hat schon Pöggeler zur Interpretation der Methode der Phänomenologie Hegels verwandt (1974, 259). M. Theunissen (1975a) hat das Verhältnis der Methode Hegels und Husserls eigens erörtert. Der Begriff »Horizont« gibt in der Tat die Bedeutung der Kategorien für das erfahrende Bewußtsein sehr deutlich wieder. Allerdings darf man auch die Differenz zu Husserl nicht übersehen, bei dem der Horizont nicht als Maßstab fungiert, an dem das Bewußtsein sein Wissen prüft und der mit der Korrektur des Wissens einen Prozeß der völligen »Umkehrung« durchmacht. 221 Denn nur in der kategorialen Betrachtung ist der neue Gegenstand Resultat einer bestimmten Negation des alten, und damit einer »Umkehrung des Bewußtseins« im eigentlichen Sinne. »Diese Betrachtung der Sache« aber ist nach Hegel »unsere Zutat, wodurch sich die Reihe der Erfahrungen des Bewußtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt« (PhG 67). Vgl. dazu W.
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Marx 1975. Die komplexe Struktur der Beziehung zwischen logischer Kategorie und Bewußtseinsgestalt erörtert Fulda 1973. 222 Vgl. zur Analyse der praktischen Erfahrungen in der PhG auch R. Wiehl (Hegels »Anthropologie« und »Phänomenologie des Geistes« [1976] vor allem 433 ff.). 223 Eine bestimmte Negation ist nach Hegels Ausführungen in der Einleitung der Phänomenologie eine solche, die statt zu einem »leeren Nichts« zu einem »Resultat« führt, das die Wahrheit des Negierten enthält (67). Sie hat damit die Bedeutung der »Aufhebung« im Hegelschen Verständnis. 224 In der Liebe erfährt das Bewußtsein, das sich als selbständig und »für sich seyend« (GW 8, 210) wußte, durch das Außersichsein seiner »Erregung« seine Unselbständigkeit, die darin besteht, »sein Wesen im Andern zu haben« (ebd.) – eine Erfahrung, die selber nur am Anderen und dessen Unselbständigkeit möglich ist. 225 Die »beiden Glieder« sind in der dritten Gestalt die »Tugend«, die anders als die »unmittelbare Einheit« des Herzens auf der vorhergehenden Stufe sowohl Einheit wie Gegensatz in sich enthält – und der »Weltlauf«, der ebenfalls Einheit und Gegensatz von Individualität und Allgemeinheit umfaßt (vgl. 274). 226 Nach PhG 290 unterscheiden sich die Gestalten des Geistkapitels von denen der vorhergehenden Stufen dadurch, daß sie »die realen Geister sind, eigentliche Wirklichkeiten, und statt Gestalten nur des Bewußtseins, Gestalten einer Welt«. Die in den Teilen I-V dargestellten Gestalten sind aber nicht »ungeschichtlich«. In der Einleitung zum Religionskapitel (446 f.) sagt Hegel ausdrücklich, daß zwar Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Vernunft und »unmittelbarer Geist« keine zeitliche Folge von Vorstufen der Religion darstellen. Sie sind nur Momente des »ganzen Geistes«, der in der Religion seine »einfache Totalität« und sein Selbstbewußtsein gewonnen hat. Was aber für diese Momente gilt – daß sie »kein voneinander verschiedenes Dasein« haben – gilt wiederum nicht für die »Gestalten dieser Momente«, wie sinnliche Gewißheit, Wahrnehmung usw.: diese »treten in der Zeit auseinander«. Die Phänomenologie als ganze stellt also keine zeitliche Aufeinanderfolge dar, wohl aber ihre einzelnen Kapitel in sich. 227 Die »Einzelheit« hat auf dieser Stufe die Bedeutung der »Gewißheit seiner selbst in dem Individuum überhaupt« (293). Diese Gewißheit ist – obwohl »in« dem Individuum – identisch mit dem »Selbstbewußtsein« überhaupt. Insofern ist mit der Einzelheit nicht diejenige eines »einzelnen zufälligen Bewußtseins« gemeint (292). 228 Diese Elemente sind aber ausreichend, um das wahre Verhältnis von einzelnem und allgemeinem Selbst, »Ich« und »Wir« begreiflich zu machen. Nur wenn sie die wesentlichen Bestimmtheiten des »Praktischen und Sittlichen« enthält, kann die Phänomenologie beanspruchen, das »ganze Reich der Wahrheit des Geistes« (68) darzustellen. 229 Eine andere These vertritt L. B. Puntel (1973, 311), für den die »Hin310 | kapitel i–v
führung« zur Wissenschaft und die »Ausführung« der Wissenschaft dasselbe sind. 230 In der Rache für die beleidigte Familienehre handelt der Einzelne nicht als Individuum, sondern als »Glied eines Ganzen« (GW 5, 321). Die dauerhafte Institution der Familie (im genealogischen Sinne) wird – im Gegensatz zur Familie als Potenz der natürlichen Sittlichkeit – gerade auch in der Negation des Einzelnen, dem »Verlust« eines Gliedes erfahren. Sie bleibt aber noch an natürliche Verhältnisse von Individuen gebunden. Als Glied eines »allgemeinen absoluten Geistes« (vgl. GW 5, 325) handelt das Individuum erst im Kampf für das Volk. 231 Vgl. B. Caesar, Autorität und Familie (1972) 11. 232 Habermas (1973b, 130) bestimmt – in Anlehnung an Erikson 1966 sowie E. und J. Cummings 1962 – Sozialisation auch als eine »Folge von Reifekrisen«. Hegel hat zwar in allen drei Entwürfen der Jenaer Geistphilosophie Erziehung zum Thema gemacht und seit dem Systementwurf von 1803/1804 auch die Bewußtseinsbildung des Erzogenen erörtert. Es geht ihm aber nicht um Probleme und Stadien dieser Bildung sondern nur um ihr allgemeines Ziel: »Die Erziehung des Kindes ist, daß das in ihm als ein andres als es selbst ist, gesetzte Bewußtseyn sein eigenes werde.« (GW 6, 304). Aufgabe des Kindes ist es daher, die ihm durch die Eltern vermittelte, »zubereitete« bzw. »ideale« Welt zu »realisiren«, den »Widerspruch der realen Welt, und der idealen der Eltern« aufzuheben (305). Darin liegt sicher das Postulat, ein autonomes Verhältnis zur Weltdeutung und zum Rollenverständnis der Eltern zu gewinnen. 233 Nach GW 8, 284 f. ist der Staat der »daseyende Geist« – gegenüber der Religion als »denkendem Geist« und der Philosophie als »Wissen des Geistes von sich« (286). 234 Insofern das Göttliche aber in der Gemeinde anwesend ist, handelt es sich noch um eine Anerkennung zwischen Ich und Wir. 235 Der Schlußabschnitt der Geistphilosophie von 1805/06 bestimmt zum ersten Mal die systematische Stelle einer Philosophie der Weltgeschichte (vgl. GW 8, 287). Zur Bedeutung der Geschichtsphilosophie für die Phänomenologie vgl. o. S. 207 f. 236 Vgl. Rosenkranz 1962, I, 60 sowie W. Hartkopf, Der Durchbruch zur Dialektik in Hegels Denken (1975, 200). Habermas hat die »Dialektik« des Schicksals auch als Bewegungsform einer Emanzipationsgeschichte der »Menschengattung« in Anspruch genommen (1968, 17 ff.). Daran knüpft A. Honneth in Kampf um Anerkennung (1992) an. 237 Auf die Tyrannis (unterschieden vom »Despotismus«, GW 8, 258) und die griechische Demokratie – nicht die römische »Republik« wie in der Verfassungsschrift – folgt jetzt nicht das System der »Repräsentation«, sondern die Monarchie (263 ff.). 238 Auch die Arbeit ist bereits eine Vergegenständlichung von Tätigkeit – Anmerkungen | 311
in der »Form« des bearbeiteten Dinges bzw. in der objektivierten, regelgeleiteten Tätigkeit des Arbeitenden selbst. Das Werkzeug ist aber eine höhere Stufe dieser Vergegenständlichung, weil es als »Möglichkeit« des Arbeitens und der Bearbeitung bereits einen allgemeinen »Inhalt« hat (vgl. GW 8, 206 f.). 239 Das gilt unabhängig von der verschiedenen Behandlung der Arbeit und des Verhältnisses von einfacher und entwickelter Arbeit in den Jenaer Texten. Zu Hegels Arbeitsbegriff vgl. H.Ch. Schmidt am Busch, Hegels Begriff der Arbeit, Berlin 2002. 240 Die letztere erlebt ihre »Blüte« freilich erst in der Renaissance. (Vgl. dazu J. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien [1966] 409 ff.) 241 Obwohl Hegel generell den Zweikampf ablehnt, macht er – wie in seiner Zeit üblich – in der Geistphilosophie von 1805/1806 eine Ausnahme für den »Soldatenstand« (vgl. GW 8, 272 R). 242 In seinen Berliner Vorlesungen zur Geistphilosophie hat Hegel allerdings auch vorstaatliche Kämpfe zur Unterwerfung von Völkern im Auge (vgl. o. Anm. 173) 243 »Geschichte« nicht im Sinne des faktischen Geschichtsverlaufs, sondern ihrer durch die Entwicklung des Geistes bestimmten »Organisation«. Diese als notwendig zu begreifende (weil vom Begriff selbst »strukturierte«) Organisation der Geschichte entspricht für Hegel seit der Geistphilosophie von 1805/06 der Folge der Momente der »spekulativen Philosophie« bzw. (seit der Phänomenologie) der Wissenschaft der Logik. 244 Dies gilt für das Recht, dessen innere Rechtfertigung nach Hegel nicht mehr – wie im rationalen Naturrecht – die Selbsterhaltung sein kann, sondern die Integration des Einzelnen in den allgemeinen Willen, die Bewußtmachung seines Anerkanntseins, des Sich-Findens des zur Allgemeinheit gebildeten Willens in den Anderen und den Manifestationen des gemeinsamen Willens. 245 Entweder in der kriegerischen Manifestation der »Nationalehre« (GW 5, 331) oder in der Selbstanschauung in einem anderen Volk durch »Colonisation« (GW 5, 347, 360). 246 Die Wirkung dieser Idee der »immanenten Kritik« eines Normensystems bei Sozialkritikern des 20. Jahrhunderts (Gramsci, Silone) stellt Michael Walzer dar in: Interpretation and Social Criticism, S. 41–43 (vgl. auch Jaeggi, 2014, S. 368–382). 247 Auch für die Prüfungen des theoretischen Wissens in der Phänomenologie läßt sich diese Struktur nachweisen. Der Anspruch jeder Gestalt, daß ihre Gewißheit die Wahrheit sei, ist ein Anspruch auf Anerkennung. Er wird zur Geltung gebracht, indem die jeweilige Gewißheit gegen potentielle Zweifler (bzw. Einwände) »verteidigt« wird. Erst in dieser Verteidigung verwickelt sich das Bewußtsein in Widersprüche. 248 Weil jedes Streben nach Anerkennung – gemäß deren teleologischer Struktur – die vollendete, erfüllte Anerkennung intendiert. 249 Schwemmer (1974b, 199) baut das Moralprinzip »konstruktiv« in fünf 312 | kapitel i–v
Schritten auf (Kommunikatives Interesse, Vernunftprinzip, praktische Vernunft und Moralprinzip). (Vgl. auch Lorenzen/Schwemmer 1973, 107 ff.). 250 Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf den Aufsatz von Siegfried Blasche und Oswald Schwemmer (als 1972 zitiert) sowie auf die Ausführungen von Lorenzen und Schwemmer zur Ethik und zur »Theorie des praktischen Wissens« in Lorenzen/Schwemmer (1973, im Folgenden zitiert als 1973). Blasches und Schwemmers Hegel-Interpretationen beziehen sich zwar direkt auf die Rechtsphilosophie von 1820. Die Autoren vermuten aber selber eine größere Nähe des früheren Hegel zu ihrem Versuch (1972, 468/477). 251 Insofern jede Teilgruppe die Handlungsweise, auf die sie »spezialisiert« ist, nicht mehr als Mittel, sondern selbst als Zweck (etwa als Beruf) versteht. 252 »Zweckfrei« bedeutet, daß sie in Normalsituationen nicht bewußt zur Lebenserhaltung ausgeführt werden, sondern nur diese »Wirkung« haben. Erst in der Situation, in der »jemand auf Grund des Unterlassens dieser Handlungen sein Leben gefährdet«, kommt ihre Bedeutung zum Bewußtsein und werden sie bewußt dem Zweck untergeordnet, das Leben zu erhalten (1973, 193). 253 Das zeigt sich daran, daß die einzigen nicht auf die Lebenserhaltung zu beziehenden Handlungen, die »Mußehandlungen« (1973, 194) im Konfliktfall schlechthin »begründungsunzugänglich« und daher bereits für die »Kulturdeutung irrelevant« sind (195). 254 »Kultur« ist im Unterschied zu Natur alles durch »zweckgebundenes« menschliches Handeln Hervorgebrachte – durch Handeln, das »auf seine Vernünftigkeit hin beurteilt werden kann« (Lorenzen/Schwemmer 1973, 91 f.). Vernünftiges Handeln aber ist nur solches, das »kommunikativ« am Zustand konfliktfreien Zusammenlebens interessiert und damit zur Berücksichtigung der Zwecke anderer bereit ist (Schwemmer 1974b, 196). 255 Der Begriff der »Enthistorisierung« (1973, 197) scheint den älteren Begriff der »Funktionalisierung« zu ersetzen (vgl. 1972, 495). 256 Vgl. dazu u. a. I. Fetscher, Zum Problem der Ethik im Lichte der Marxschen Geschichtstheorie (1972) sowie E. Angehrn und G. Lohmann, Ethik und Marx. Moralkritik und normative Grundlagen der Marxschen Theorie (1986). 257 Mit Ausnahme des Systems der Sittlichkeit, in dem die Familie auf einer höheren Stufe steht als die Institutionen des Rechts und der Ökonomie. 258 Blasches spätere Arbeit über Hegels Begriff der Familie in der Rechtsphilosophie (Natürliche Sittlichkeit und bürgerliche Gesellschaft [1975]) korrigiert implizit die frühere Deutung. Sie zeigt, daß der Übergang von der Kleinfamilie zur bürgerlichen Gesellschaft keinem der Arbeitsteilung analogen Prozeß entsprechen kann (ebd. 322). 259 Vgl. P. Häberle, Zeit und Verfassung (1974), vor allem 125, 132. 260 Zu Hegels Erfahrungsbegriff und seiner gegenwärtigen Bedeutung vgl. M. Heidegger, Hegels Erfahrungsbegriff, in: Holzwege, 3. Aufl., Frankfurt
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a. M. 1957, 105–192; H. G. Gadamer, Wahrheit und Methode (4. Aufl. 1975), 336 ff. sowie R. Wiehl 1976. 261 Die »Krise« einer Institution zeigt sich für Hegel dann, wenn die Kraft ihrer »Überzeugung« für die »gebildete öffentliche Meinung« nachläßt (GW 8, 273 R). Die Gründe dafür können vielfältig sein. Entscheidend ist das Bewußtsein der Differenz zwischen dem – in Institutionen und Normen ausgeprägten – Selbstverständnis einer Gemeinschaft und den Konsequenzen dieser »Maßstäbe« im wirklichen Handeln, das zu einer neuen institutionellen Selbstdefinition dieser Gemeinschaft führt. Vgl. zu Krise und Kritik von Lebensformen jetzt auch R. Jaeggi, Kritik von Lebensformen, Frankfurt 2014 (s. o. S. … neue Einleitung) 262 Vgl. o. das Kapitel zur Methode der Phänomenologie (S. 213–227). 263 Vgl. dazu auch B. Stollberg-Rilinger, Des Kaisers neue Kleider, S. 280, 317 264 Vgl. Pöggeler, Philosophie und Revolution beim jungen Hegel (1973a) 46 u. 53. 265 Belege für diese Auffassung finden sich auch in den Vorlesungen von 1801/1802 (GW 5, 269 f.). Vgl. auch W. Marx, Das Bedürfnis der Philosophie (1976); R. Bubner, Problemgeschichte und systematischer Sinn der Phänomenologie Hegels (1973b) vor allem 15 bis 26; M. Baum/K. Meist, Durch Philosophie leben lernen (1977). 266 »Modern« ist dieser Repräsentationsbegriff nur in Hegels Sicht der Gegenüberstellung von antikem und neuzeitlichem Prinzip der Sittlichkeit. Mit dem von heute aus gesehen modernen Begriff der Repräsentation, wie ihn zu Hegels Zeiten Sieyès entwickelt hat, hat er wenig gemein. Vgl. dazu R. K. Hočevar, Stände und Repräsentation beim jungen Hegel (1968), sowie meine Rezension von O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (1974b) 300. 267 Das heißt nicht, daß in Hegels Staatsphilosophie keine Elemente bestehender Verfassungen oder Rechtsvorschriften eingegangen sind. So hat man etwa für die Ständelehre der Systementwürfe von 1805/1806 auf die napoleonische Verfassung Italiens (Rosenzweig 1962, I, 193 f.) oder auf das Preußische Allgemeine Landrecht hingewiesen (G. Göhler, Hegels frühe politische Systeme [1974] 573 ff.). 268 Zu Hegels Kritik an der Kantischen (und Schellingschen) Idee des »Völkervereins zum ewigen Frieden« vgl. GW 8, 275. 269 Eine solche Anwendung prinzipieller Maßstäbe in der Zeitkritik sind etwa die späteren Schriften zur Landständeversammlung in Württemberg von 1817 (GW 15, 30–125) und »Über die englische Reformbill« von 1831 (GW 16, 323–404). 270 Hinsichtlich des Telos der Geschichte der Institutionen stimme ich mit Fulda (1965, 213) überein, der – freilich hinsichtlich der späteren Geschichtsphilosophie Hegels – schreibt: »Im vernünftigen, auf Recht und Gesetz ge314 | kapitel i–v
gründeten Staat der nach-revolutionären Epoche ist insofern (sc. hinsichtlich des Bewußtwerdens der Freiheit in der Wirklichkeit) das Ziel der Weltgeschichte erreicht. Das schließt jedoch nicht aus, daß ›noch Arbeit vorhanden ist‹, mit Bezug auf welche die Weltgeschichte auch weiterhin Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit bleibt.« 271 Vgl. meine Kritik in: Vernunftrecht und Rechtsgeschichte (in: Siep, G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts. Berlin ²2005) S. 5–29. 272 Auch Axel Honneth hat in seinem ersten Buch Kampf um Anerkennung (1992) die Bedeutung der Jenaer Schriften hervorgehoben, später aber die Aktualität auch der Berliner Rechtsphilosophie herausgearbeitet. Vgl. A. Honneth, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie. Stuttgart 2001. Zur Aktualität der Rechtsphilosophie vgl. auch oben den einführenden Essay zu dieser Neuauflage. 273 Vgl. SW 4, 70 ff., 111 ff. Dieser Bildungsprozeß der verkürzten Phänomenologie enthält – wie oben Anm. 22 schon bemerkt – keine Institutionen mehr, bis auf die geschichtlich »unwahr« gewordene Sklaverei. 274 Vgl. M. Baum 1978, 192 f. In der Rechtsphilosophie trennt Hegel zwar sittliche und religiöse Pflichten (vgl. § 137 zum religiösen Gewissen), bestimmt aber andererseits den Staat selber als »göttlichen Willen« und seine Pflichten als solche, die in der »wahrhaften« Religion ihre »höchste Bewährung und die höchste Verbindlichkeit« erhalten (§ 270, SW 7, 417, 420). Vgl. dazu auch L. Siep, Ist Hegels Staat ein christlicher Staat? In: ders., Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels (2010), 93–114. 275 Nach § 162 ist der »objektive Ausgangspunkt« der Ehe die »Einwilligung der Personen … Eine Person auszumachen, ihre natürliche und einzelne Persönlichkeit in jener Einheit aufzugeben«. Im Zusatz von E. Gans zu § 161 (SW 7, 310) und in der Vorlesungsnachschrift v. Griesheims (Ed. Ilting 4, 426) betont Hegel den »rechtlich-sittlichen« Charakter der Liebe gegen ihre Empfindungsseite. Die Einheit der Ehe bzw. Familie selber ist nach § 163 ihr »substantieller Zweck«. (Zur Rolle der Familienmitglieder vgl. §§ 165 f., 173 ff.). Zu Hegels Theorie der Familie in der Rechtsphilosophie vgl. S. Brauer, Natur und Sittlichkeit (2007) und R. Jaeggi, Kritik von Lebensformen. 2014, S. 216–227. 276 Vgl. dazu L. Siep, Was heißt Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit? In: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt 1992, S. 217–239. 277 Vgl. zur Polizei (= innere Verwaltung) § 234, (»keine Grenze an sich vorhanden«); zur Korporation §§ 252, 254. Wie in der Korporation als »zweiter Familie« das »Haupt« organisiert ist, das die Mitglieder »von der eigenen Meinung und Zufälligkeit, der eigenen Gefahr wie der Gefahr für andere, befreit« – und zwar zu einer »Vernünftigkeit«, die die Gewerbefreiheit mit der notwendigen Regulierung des Berufsmarktes vereint – hat Hegel leider nicht ausgeführt. Hegel verlangt sogar für die Repräsentanten der Stände in der
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Legislative »obrigkeitlichen Sinn und Sinn des Staats«, der durch Regierungspraxis (»in obrigkeitlichen oder Staatsämtern«) erworben wird (§ 310). 278 Vgl. § 258 (»substantielle Einheit«, »absoluter unbewegter Selbstzweck«) und Ed. Ilting 1973, 732 (»der vernünftige Staat ist unendlich in sich«, er ist »sich wissender und wollender Geist«). Daß Hegel auch die »Allgemeinheit des Begriffs« in der Wissenschaft der Logik durch Bestimmungen denkt, »deren Grundlage die spinozistische Substanz ist«, zeigt K. Düsing (1976, 245). 279 Zu Hegels Vertragskritik in der Rechtsphilosophie vgl. §§ 75, 100, 258. Es sind vor allem zwei Punkte, die Hegel auch am Rousseauschen Vertrag bemängelt: 1) daß er den »Schutz und die Sicherung des Lebens und Eigentums der Individuen« für »unbedingten« Staatszweck hält – in Wahrheit ist der Staat »das Höhere, welches dieses Leben und Eigentum selbst auch in Anspruch nimmt und die Aufopferung desselben fordert« (§ 100). 2) daß Rousseaus Staatsvertrag die »ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat«, denn dies macht »das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät« von der »Willkühr« und »Meynung« der einzelnen Willen »als bewußter« abhängig (§ 258). Rousseaus »Contrat social« ist aber die einzige Möglichkeit, beim zivilisatorischen Zustand gegenseitiger Abhängigkeit als moralisches und damit menschliches Wesen zu leben. Außerdem beschränkt sich die Möglichkeit, seine »Einwilligung« zurückzuziehen, auf das Auswanderungsrecht, das auch Hegel – mit einigen Einschränkungen – akzeptiert (vgl. GW 15, 50 f.). 280 Die religiösen Verwirrungen sind: im Katholizismus die bleibende Trennung zwischen »Heiligem« und »Weltlichem« sowie die »Unfreiheit, Knechtschaft des Geistes« unter der Lehrautorität der Kirche – im Protestantismus die »abstrakte Subjektivität, die subjektive Freiheit ohne Inhalt«, d. h. die Reduktion aller »objektiven« Glaubenswahrheiten auf die Gewißheit des »Gemüths« (SW 17, 338 ff.; vgl. dazu R. K. Maurer, Hegels politischer Protestantismus [1974] 408 f.). Dem Protestantismus ist diese Verwirrung allerdings nicht wesensnotwendig, er kann auch die Präsenz des Göttlichen im Sittlichen begreifen (Enz § 552, GW 20, 435, 441; vgl. dazu H. Ottmann, Individuum und Gemeinschaft [1977], 365 ff.). – Das »liberalistische« Mißverständnis ist identisch mit dem der Vertragstheorie, das Vernünftige des allgemeinen Willens abhängig zu machen von den Interessen und der Einwilligung des einzelnen Willens. 281 Vgl. z. B. D. Dennett, Conditions of Personhood (1976) 186 ff. Auch Rawls hat gelegentlich versucht, die Grundlagen seiner Gerechtigkeitskonzeption aus den Bedingungen der Reziprozität zwischen Personen abzuleiten (vgl. sein Justice as Reciprocity [1971]). 282 Ich denke an Überlegungen zu »higher order intentions« bei H. P. Grice, Utterer’s Meaning and Intentions (1969) und D. Dennett, Intentional Systems (1971; vgl. ders. 1976) – sowie an die Analyse von »second order volitions« bei H. Frankfurt, Freedom of the Will and the Concept of a Person (1971). 316 | kapitel i–v
283 Nach Ch. Taylor (Responsibility for Self [1976], 287 ff.) drückt sich die charakteristisch personale Fähigkeit zu qualitativer Reflexion über unterschiedliche moralische Existenzweisen in einer bestimmten Moralsprache aus (»strongly evaluative language«). Möglichkeiten einer sprachanalytischen Klärung des Bewußtseinsbegriffs zeigt H. N. Castañeda in seinen verschiedenen Arbeiten auf (vgl. etwa On the Phenomeno-Logic of the I [1969]). 284 Vgl. D. Lewis, Konventionen (1971). 285 Zur Analyse nonverbaler Kommunikation vgl. E. Goffman, The Presentation of Self in Everyday Life (1959) sowie ders., Das Individuum im öffentlichen Austausch (1974). 286 Vgl. H. P. Dreitzel, Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft (1968); H. Stierlin, Das Tun des Einen ist das Tun des Anderen (1971).
Anmerkungen | 317
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Zitate aus den Werken J. G. Fichtes sind nach der Paginierung der Ausgabe von I. H. Fichte (Berlin 1845/1846) wiedergegeben, auf die in fast allen neueren Ausgaben (auch in der historisch-kritischen Werkausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) hingewiesen wird (abgek. SW I ff.). Hervorhebungen in Zitaten von mir. Sperrungen und Kursivdruck in Primärtexten sind weggelassen.
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Neure Publikationen zu Anerkennung und praktischer Philosophie | 335
Zeittafel Die Datierung der Berner und Frankfurter Texte folgt dem Editorischen Bericht in Band 2 der Gesammelten Werke. Durch die Datierung nach den Wasserzeichen des von Hegel verwendeten Papiers werden einige der in der Ausgabe von Nohl auf Frankfurt 1797 datierten Texte jetzt auf die Berner Zeit vordatiert. Die durch die Ausgabe von Nohl bis heute vertrauten Titel wurden beibehalten, die Nr. der Fragmente nach der Gesamtausgabe hinzugesetzt. (Eine Konkordanz der GW mit der Ausgabe von Nohl und der Theorie-Werkausgabe in GW 2, 703.) Die Jenaer Texte folgen der Chronologie von Heinz Kimmerle im Anhang von GW Band 8, S. 348–361. Die Bandzahlen der Gesamtausgabe wurden hinzugesetzt.
1. Berner und Frankfurter Fragmente Moralität, Liebe, Religion (Nr. 40 u. 41):
Bern 1795/96, wahrscheinlich 1796
Die Liebe (Nr. 49):
Frankfurt 1797 mit späterer Überarbeitung
Liebe und Religion (Nr. 50):
Frankfurt 1798
Zur Verfassung Württembergs (Nr. 51):
Frankfurt 1798
Fragmente zur christlichen Religion (»Der Geist des Christentums und sein Schicksal«) (Nr. 48, 52–62, 65):
Frankfurt 1798–1800
Systemfragment von 1800 (Nr. 63 u. 64): Fragmente einer Kritik der Verfassung Deutschlands (GW 5):
Frankfurt 1799–1800 Frankfurt 1799/1800
2. Jenaer Entwürfe und Veröffentlichungen Fragmente einer Kritik der Verfassung Deutschlands (GW 5):
336 | Zeittafel
Jena 1800–1803
Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Einleitung in die Philosophie (GW 5):
Jena 1801/02
Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (GW 4):
vor Ende Juli 1801
Glauben und Wissen (GW 4):
vor Juni 1802
Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts (Naturrechtsaufsatz, GW 4):
vor Nov. 1802
System der Sittlichkeit. Reinschriftentwurf (GW 5):
Herbst bis Winter 1802/03
Systementwürfe I (Vorlesungsmanuskripte zum System der speculativen Philosophie, GW 6):
Sommer 1803 bis Winter 1803–04
Systementwürfe II (Reinschriftfragment zur Logik, Metaphysik, Naturphilosophie, GW 7):
Sommer 1804 bis Winter 1804/05
Systementwürfe III (Vorlesungsmanuskript zur Natur- und Geistphilosophie, GW 8):
Herbst 1805 bis Sommer 1806
System der Wissenschaft, I. Teil, Die Phänomenologie des Geistes:
Mai 1805 (oder früher) bis Januar 1807
Zeittafel | 337
Personenregister Apel, K.-O. 54, 68, 69 Aristoteles, aristotelisch 14, 44, 46, 54, 56, 70, 169, 177, 180, 181, 182, 203, 211, 212, 228, 280, 304, 305, 307 Baum, M. 15, 291, 296, 305 Brandom, R.B. 12, 23, 58 Brauer, S. 315 Düsing, E. 290 Düsing, K. 9, 15, 166, 290, 296, 300, 301f., 305, 316, 90 f., 96, 155, 164, 166, 196, 170, 172 f., 176, 178, 182, 183, 185 f., 190, 192, 194, 202, 209, 211, 229, 249, 259, 286, 287, 288 ff., 298, 302 ff., 306 Fichte, J.G. 14, 16, 23, 44, 70 f., 71, 73 f., 76–88, 90 f., 96, 155, 164, 166, 169, 170, 172 f., 176, 178, 182f., 185 f., 188 f., 192, 194, 202, 209, 211, 229, 249, 259, 286–290, 298, 302–304, 306 Fraser, N. 61 Fulda, H.F. 215, 298, 308, 309, 314 Geuss, R. 57 Habermas, J. 12 f., 39, 67 ff., 74, 229, 237f., 241, 244, 249 f., 265, 285, 288, 296, 311 Halbig, Chr. 53, 57 Henrich, D. 15, 85, 89, 174, 271 Hirsch, E. 299 Hobbes, Th. 83, 169, 211, 280, 289, 299, 304 Honneth, A. 12, 14, 25, 27, 28, 30, 33, 35, 37, 39 f., 42, 46, 54, 59, 61, 287, 288, 292, 315 Horstmann, R.-P. 205, 297, 306 338 | Personenregister
Ilting, K.-H. 15, 272, Jaeschke, W. 56 Kant, I. 14 f., 19, 24, 36, 37, 42, 70, 76, 85, 91, 135, 149, 169 - 174, 176–178, 180, 182, 186, 189 f., 202, 206, 209, 216, 247, 251, 280, 298, 299, 302 ff., 306, 314 Kojève, A. 12 f., 148 Leibniz, G.W. 161 Locke, J. 211 f., 280 Lübbe, H. 299 Mandt, H. 251 Marx, K. 15, 43, 47, 263 Marx, W. 227, 308, 309 Mead, G.H. 12 Napoleon 148 Platon (auch Platonismus) 20, 181 Pöggeler, O. 15, 215, 266, 271, 302, 309 Quante, M. 55, 64 Rawls, J. 67 f. Ricoeur, P. 12, 21 Riedel, M. 15, 70, 209–211, 296 Ritter, J. 16, 26, 27 Rosenzweig, F. 314 Rousseau, J.-J. 42, 91, 95, 140, 202, 280, 291, 303, 316 Sen, A. 61 Sophokles 223 Spinoza, B. de 169 Taylor, Ch. 35 f., 316 Tomasello, M. 22 Tugendhat, E. 14 Walzer, M. 63, 312 Wildt, A. 14, 299 Williams, R.R. 55
Sachregister Absolutes 13, 18, 56, 157, 165, 179, 181, 183–188, 190–191, 193, 206, 208, 213, 306 Antike, antik 130, 137, 172, 177, 180 f., 209 f., 252, 255, 297, 314 Asymmetrie (der Anerkennung) 19, 24, 55, 269, 271 Bedürfnisse 23, 26, 41 ff., 124, 151 f., 175, 181 f., 205, 233, 244, 261, 263, 271, 299, 314 Bioethik 48 f., 64 Bürgerliche Gesellschaft 41–46, 59, 123, 152, 205 f., 261, 263, 276, 278 f., 313 Christentum 26, 32, 85–87, 89–96 (»Geist des Christentums«), 131, 173 f., 192, 290, 291, 303 Dialektik 15, 44 f., 92, 111, 135, 291, 296, 305, 311 Diskurs 69, 271 Eigentum 42, 44, 56, 62, 73, 76, 86, 95, 128, 153, 175, 181, 216, 229, 230, 244, 248, 255, 259, 261, 263, 273, 276f., 296, 303, 305, 316 Endlichkeit 115 f., 164, 166, 173–179 Entfremdung 12, 53, 115–117, 120, 132, 137–141, 155, 217, 295, 300, Ethik 14, 48, 51, 74, 76, 80, 169, 170 f., 180, 182, 211, 285, 290, 299, 304 f., 313 Familie 24, 26 f., 31, 33, 43, 46, 59, 73, 98 f., 101 f., 107, 116, 121 f., 151, 154 f., 159, 168, 182, 195, 198 f., 199, 204 f., 211 f., 217, 223 f., 229 f., 236, 242, 245, 250, 257, 259, 261, 263, 273, 276, 279, 292, 293, 307, 311, 313, 315
Fürst 207, 265 Freiheit 13, 16, 19, 23 f., 27–32, 36, 39 f., 44, 46, 52, 63, 67 f., 70, 75, 76–83, 94, 112, 116, 119 f., 124, 130, 132, 137, 140 f., 148, 152, 154, 159, 169, 169–183, 188, 193 f., 202, 205, 208 f., 212, 220, 229 f., 235, 243, 245 ff., 253 f., 256, 258, 264, 267, 270, 272, 276, 277, 280, 282 f., 287, 296, 299, 304, 314, 316 Geist, objektiver 13, 15 f., 18, 46, 56, 64, 72, 203, 204 f., 217, 225, 227, 275, 277, 287 Geist, subjektiver 57, 72, 187, 202 ff. Geist, absoluter 128, 137, 145, 146, 149, 154, 156, 166 f., 185, 187, 191, 196, 206–208, 214, 236, 246, 254, 298, 308, 311 Gerechtigkeit 67, 192, 235, 251, 260 Gesinnung 42 f., 62, 63, 98, 129, 130, 135, 142, 148, 150, 153, 206, 207, 217, 246, 247, 251, 270, 272, 279 ff., 297, 303, 308 Gewissen 50, 58, 131 f., 137, 142–149, 156, 167, 192, 225, 249, 279, 299, 315 Individualität 17 f., 56, 76, 81–90, 93–96, 100, 102 f., 107, 109 f., 112, 116, 120, 124, 130, 134, 148, 151, 154, 156, 160 f., 181, 191, 193, 195, 198 f., 200, 202, 206, 221 f., 224, 240 f,, 247 f., 253 f., 292 f., 297, 300, 310 Institution 12–22, 24–31, 35 f. 46, 55, 57, 67–76, 82 ff., 96, 98, 114 f., 119 f., 123, 125, 128, 130 f., 135 ff., 146 ff., 165, 169–178, 182 f., 191 f., 194, 199, Sachregister | 339
203 f., 212 f., 225–242, 244–283, 285 f., 288 f., 297, 303, 305, 307, 311, 313 ff. Judentum 303 Kirche 22, 37, 176, 207 f., 316 Krieg 18, 56, 57, 60, 149, 153, 224, 230, 257, 270, 305, 307, 312 Kunst 179, 185, 187 Kultur 19f., 30 ff., 47, 68, 140, 155, 228, 262, 313 Liebe 25, 59, 69 f., 77, 84–104, 106–109, 121, 123, 126, 128, 131, 147, 151, 174, 182, 199, 210, 208, 220, 231–235, 240, 242, 248, 250, 272, 290 f., 315 Markt 26 f., 35–47, 49, 51, 61 ff., 258, 315 Mechanismus 61, 83, 153 Moralität 42, 59, 62, 76, 142, 146, 147, 171–176, 181, 217, 247, 250 f., 276, 279, 298, 303, 307 Natur 20, 26, 29, 32, 35, 42, 47–53, 56, 64 f., 86 f, 93 f., 100, 130, 140, 142, 146 f., 157, 172, 174, 177 f., 180, 184–193, 202, 205 f., 210, 212, 224, 235, 244, 245, 247, 253 f., 256, 266, 280, 305, 313 Negativität 191, 198, 201, 204, 223 Ökonomie 16, 39, 41, 47, 169 f., 181, 205, 211, 268, 304, 313 Organismus 41 Polis 70, 94, 96, 173, 177–182, 202, 203, 209 f., 212, 224, 253, 255, 267, 297, 304 Pragmatismus (auch Neopragmatismus) 12, 14, 17, 21, 48, 61 Religion 24, 31, 32, 35, 38, 45, 86 f., 94, 130 f., 142, 145 f., 148, 169, 171–176, 179, 185, 187, 206 f., 217, 246f., 272, 281, 290, 297 f., 302 f., 306, 310 f., 315 Revolution 32, 35, 45, 68, 141, 171, 214, 219, 295, 309 340 | Sachregister
Schicksal 77, 87, 92 f., 118, 172, 175, 252, 291, 311 Schluß 84, 120, 127, 163–166, 200 f., 231 f., 286 Selbstbewusstsein 16 ff., 22 ff., 44, 72, 75, 77 ff., 83, 88, 93, 100, 102, 108–116, 122 f., 127, 133–142, 156, 162 f., 178, 200 ff., 211 ff., 220 ff., 226, 231, 235 f., 238 ff., 245, 253 ff, 259, 262, 269, 275, 288, 291, 293 f., 297 f., 301, 304, 310 Sittlichkeit 19, 34, 40, 43 f., 50, 55, 59, 63, 95, 98, 107, 111, 131, 137, 138, 146, 154 f., 157 f., 171, 173–176, 180–198, 200, 205–212, 216 f., 220, 223 f., 228, 230 f., 241, 245, 253 f., 262, 267, 271, 276 f., 279, 297 f., 305, 311, 313 f. Sollen 68, 153 Souveränität 13, 18 f., 57, 176, 249, Spekulation 179, 184 f., 246, 306 Sprache 22, 36, 70, 74, 122, 155 f., 198, 204, 230, 300 Staat 72 f., 82, 129 f. 134 f., 137, 141, 146 f., 151, 153 f., 167 f., 187, 202, 206 f., 211 f., 233, 236, 246 f., 250, 258, 267 f., 273 f., 278 ff., 296 f., 299 f., 303, 311, 314 f. Staatsbürger 44f., 128, 173 Stand 26, 43,62, 130, 181, 206, 234, 246 f., 294, 297, 299, 305, 308 f., Strafe 125 f., 129, 135, 141, 192, 298 System 15 f., 30, 46, 71–74, 76, 149, 178 f., 183, 194, 200, 213–217, 225, 227, 246, 254, 271 f., 275, 300, 307, passim. System der Bedürfnisse: 39–47, 263 System der Sittlichkeit: 71, 98, 105, 146, 158–60, 169 ff., 178, 181–183, 191–200, 205 ff., 211 f., 230, 240 ff., 255 ff., 287, 292, 300, 304 f. System der Institutionen: 228–236, 240, 252, 254, 258, 268, 274 f., 278 f.
Jenaer Systementwürfe: 98, 101, 104 ff., 122, 160, 170, 178, 184 ff., 193–209, 215, 220 f., 225, 240, 254, 266, 292, 311 Technik 48, 52 Tragödie 92, 181, 223 transzendental (Transzendentale Deduktion) 24, 68, 70, 79 f., 85, 116, 164, 166, 169, 177 ff., 188f., 194, 301, 304, 306 Trieb 101, 106, 201, 231, 232, 277, 289 Tugend 43, 111, 134, 172 f., 180, 222, 305, 310 Unendlichkeit 115, 164, 166, 174, 179, 195, 198, 200 Verfassung 13, 19, 26, 31, 33, 46, 53, 129, 138, 153, 175 f., 180, 208, 210, 233, 235, 252 f., 264 f., 268, 282, 309, 314 Versöhnung 92 f., 95, 136, 142, 145 ff., 151, 206 ff., 213, 217, 249, 270, 298 Verzeihung 127, 132, 142, 145, 146, 148 ff. Verstand 175, 179, 181, 184, 192, 215, 302, 304, 306
Vertrag 40, 42, 69 f., 83, 123 f., 150, 210, 220, 229, 259, 268, 275, 277, 280, 288, 296, 316 Volk 19, 33, 35, 56, 94, 107, 111, 122, 130 f., 133, 136 ff., 167, 171–187, 191, 193, 202, 206, 210f., 214, 223 f., 229, 234, 236, 240, 246, 248 f., 253, 256 ff., 271, 293 f., 297, 303, 311 f. Weltgeschichte 73, 130, 207 f., 252, 254 f., 265, 311, 314 Widerstand 19, 45, 149, 153, 299 Wille 78, 106, 119, 128, 151 f., 189, 201f., 204 ff., 220, 231 f., 256, 280, 284 –, allgemeiner 35, 41, 44, 97, 106 f., 110 ff., 122–129, 131, 134, 137, 139, 141 f., 149, 151, 165, 178, 202, 209 f., 220, 232 f., 237, 246 ff., 258, 269 f., 274 f., 278 f. –, besonderer 124, 168, 277 f. –, einzelner 16, 72, 107, 113, 124 f., 127, 134, 141, 202, 220, 234, 270, 316 Wirtschaft 26 f., 33, 39 f., 45 f, 61 f., 123, 126, 129, 152, 250, 279, 296,
Sachregister | 341