Andeutungsformel und falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs [1 ed.] 9783428462711, 9783428062713


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German Pages 102 Year 1987

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Andeutungsformel und falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs [1 ed.]
 9783428462711, 9783428062713

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 106

Andeutungsformel und falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs

Von

Inge Scherer

Duncker & Humblot · Berlin

INGE SCHERER

Andeutungsformel und falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs

Schriften zum B ü r g e r l i c h e n Band 106

Recht

Andeutungsformel und falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft i n der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs

Von

Dr. Inge Scherer

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Scherer, Inge: Andeutungsformel und falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs / von Inge Scherer. — Berlin Duncker u. Humblot, 1987. (Schriften zum Bürgerlichen Recht ; Bd. 106) ISBN 3-428-06271-X NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Volker Spiess, Berlin 30 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06271-X

In Dankbarkeit meiner Mutter und meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Wieser

Inhaltsverzeichnis

Einführung - Problemaufriß

11

Erster Teil Rechtsprechungsbericht A. Andeutungsformel I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (1900-1945) Ergebnis der Rechtsprechung des Reichsgerichts II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (1951-1986) Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

. .

B. Falsa demonstratio I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (1897-1945) 1. Die Rechtsprechung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht 2. Die Rechtsprechung zum BGB Ergebnis der Rechtsprechung des Reichsgerichts II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (1951-1986) Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

15 15 34 37 44 46 46 46 49 54 56 60

Zweiter Teil Versuch einer Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung A. Untersuchung der Formzwecke I. Terminologische Klärung II. Formzwecke beim formbedürftigen III.Formzwecke beim formbedürftigen IV. Formzwecke beim formbedürftigen V. Formzwecke beim formbedürftigen Zusammenfassung

einseitigen Rechtsgeschäft einseitig verpflichtenden Vertrag synallagmatischen Verpflichtungsvertrag Verfügungsgeschäft

. .

61 63 64 66 68 71 72

B. Versuch einer Rechtfertigung der Andeutungsformel I. Die Andeutungsformel beim einseitigen Rechtsgeschäft II. Die Andeutungsformel beim einseitig verpflichtenden Vertrag Zusammenfassung

73 74 77 79

C. Versuch einer Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel als Ausnahme zur Andeutungsformel I. Die falsa demonstratio als Auslegungsregel II. Die falsa demonstratio als Formregel 1. Synallagmatische Verpflichtungsverträge 2. Erfüllungsgeschäft des synallagmatischen Verpflichtungsvertrages Zusammenfassung

79 80 81 83 90 91

D. Konsequente Anwendung der beiden Formeln durch die Rechtsprechung

92

Literaturverzeichnis

95

Entscheidungsregister

99

Abkürzungsverzeichnis

Α.

Auflage

a.A.

andere Ansicht

AcP

Archiv für civilistische Praxis

Anm.

Anmerkung

AT

Allgemeiner Teil

Bd.

Band

BeurkG

Beurkundungsgesetz vom 28.8.1969

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

bzw.

beziehungsweise

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DNotZ

Deutsche Notar-Zeitschrift

DR

Deutsches Recht

f., ff.

folgende

Fn

Fußnote

FS

Festschrift

Gruchot

Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot

h.M.

herrschende Meinung

HRR

Höchstrichterliche Rechtsprechung

JA

Juristische Arbeitsblätter

JhJb

Iherings Jahrbücher der Dogmatik des bürgerlichen Rechts

JR

Juristische Rundschau

Jura

Jura/Juristische Ausbildung

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

lfd. LM

laufende Nachschlagwerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier und Möhring

LZ

Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

Mot. NJW

Motive Neue Juristische Wochenschrift

10

Abkürzungsverzeichnis

Nr.

Nummer

Prot.

Protokolle

Rdnr.

Randnummer

RG

Reichsgericht

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rpfleger

Der Deutsche Rechtspfleger

S. s.

Seite siehe

SeuffArch

Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Spalte vergleiche Die Rechtsprechung des Reichsgerichts, herausgegeben von Warneyer Wertpapier-Mitteilung zum Beispiel zitiert Zivüprozeßordnung in der Fassung vom 12.9.1950 Zeitschrift für Rechtspolitik zur Zeit

Sp. vgl. WarnRspr. WM z.B. zit. ZPO ZRP z.Zt.

Einführung -

Problemaufriß

Die „Andeutungsformel" und die „falsa demonstratio" sind bereits seit Beginn der Rechtsprechung des RG unter Geltung des BGB 1 fester Bestandteil der RG- und BGH-Rechtsprechung. Die Andeutungsformel betrifft dabei den Problemkreis der Auslegung und der Form eines Rechtsgeschäfts; sie besagt, daß der durch die Auslegung ermittelte Sinn der Erklärung in der Urkunde selbst einen, wenn auch unvollkommenen Ausdruck gefunden haben müsse2. Von der Rechtsprechung oft in „einem Atemzug" mit der Andeutungsformel genannt und angewendet wurde die „Eindeutigkeits"-Wendung; sie besagt, daß bei einer vollständig klaren und eindeutigen Willenserklärung eine Auslegung nicht vorgenommen werden könne 3 . Dabei wird dem RG und dem BGH von der Literatur 4 eine häufig widersprüchliche Handhabung dieser Lösungsmöglichkeit vorgeworfen. Die falsa demonstratio-Regel betrifft ebenfalls den Problemkreis der Auslegung und der Form von Rechtsgeschäften. Sie besagt nach h.M. 5 , deren Definition, da sie auch von der Rechtsprechung6 angewandt wird, hier zugrunde gelegt werden soll, daß eine irrtümliche falsche Bezeichnung nicht schade, wenn beide Parteien die Erklärung nicht im genannten Wortsinn, sondern übereinstimmend im anderen Sinn verstehen. Diese Spruchpraxis ist nach früherer Kritik 7 und einigen darauffolgenden Jahren „der Ruhe" in jüngerer Zeit — trotz auch vorhandener Zustimmung 8 — erneut durch zahlreiche Stimmen in der Literatur wieder ins Kreuzfeuer der Kritik gera1

RGZ 51,110 ff.; RG JW 1904,58, Nr. 13. Larenz, AT, S.332; Flume, AT, S.303; Wieser, AT, Rdnr. 547; Medicus, AT, Rdnr. 328; MünchKomm-Förschler, § 125, Rdnr.25; exemplarisch f.d.Rspr.: RGZ 59,217 ff.; RG JW 1905, 336, Nr. 3. 3 Exemplarisch RGZ 70, 391 ff. 4 Häsemeyer, Ges. Form, S. 127 ff.; Lüderitz, Auslegung, S. 186 ff.; Wieser, AT, Rdnr. 548; JZ 1985,408; Bernard, Formbed. Rgesch., S. 66 ff.; Reinicke Ja 1980,47 f.; 458 ff. 5 Medicus, AT, Rdrtr.327; Flume, AT, S.303; Wieser, AT, Rdnr.548; MünchKommMayer-Maly, § 133, Rdnr. 15; a.A.: Larenz, AT, S. 327, der jegliche Falschbezeichnung bei übereinstimmendem Parteiwillen als falsa demonstratio ansieht; in der älteren Literatur ebenso Danz, Auslegung, S. 182. 6 Exemplarisch BGHZ 74,116 ff. 7 Danz, Auslegung, S. 181 f., 185,188f.; Zeiler, Gruchot52,236; 246 ff.; Bang, JhJb 66, 370 ff.; Schiedermair, DR 1939,937. 8 Lehmann/Hübner, AT, S.214; Ennecerus/Nipperdey, AT, § 166, FN 13; Reinicke, Rfolgen, S. 13; Volhard, NJW 1975,1685; Ebbecke, JhJB 69,28; Johannsen, MW 1972,62; Siber, FS 50j. Best. d. RG, 356; v. Tuhr, AT, S. 497; Pawlowski, AT, Rdnr.410ff.; Staudin2

12

Einführung - Problemaufriß

ten 9 . Auch von den vorderen Instanzen 10 sowie von BGH selbst wurde sie in einem „obiter dictum" 1 1 in Zweifel gezogen. Von den Kritikern dieser Rechtsprechung wird einerseits 12 die Andeutungsformel befürwortet, die falsa demonstratio-Regel bei formbedürftigen Rechtsgeschäften abgelehnt. Begründet wird dies damit 1 3 , daß zugleich mit der Warnfunktion und der Funktion, Klarheit über den Abschluß des Rechtsgeschäfts zu verschaffen, die Form auch den Zweck der Rechtssicherheit erfülle: Der Beweis solle durch die Urkunde gesichert, Prozesse sollten vermieden oder vereinfacht werden. Deshalb könne es bei formgebundenen Rechtsgeschäften nicht allein auf das Verständnis der Parteien ankommen; vielmehr müsse die Entscheidung eines Streits aus der Urkunde selbst heraus möglich sein. Dies sei aber nur denkbar, wenn der Wille der Parteien objektiv aus der Urkunde ersichtlich sei. Da aber die Forderung, daß nur das gelte, was aus der Urkunde selbst ersichtlich sei, undurchführbar wäre, sei es erforderlich, einen Kompromiß zu finden. Dies sei mit der Andeutungstheorie gelungen. Die Anwendung der falsa demonstratio sei demgegenüber nicht mit den gesetzlichen Formvorschriften zu vereinbaren. Die Form könne deshalb nicht gewahrt sein, wenn das, was gelten solle, in der Urkunde nicht einmal andeutungsweise erscheine. Andererseits wird die falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft befürwortet, die Andeutungsformel dagegen verworfen 14 . Begründet wird dies mit verschiedenen Argumentationen, wobei allen gemeinsam ist, daß der Zweck der Formvorschriften bzw. die Formfunktion im Mittelpunkt der Überlegungen steht. So wird zum einen 15 angenommen, daß es wohl nicht von der jeweiligen konkreten Auslegungssituation her festzustellen sei, ob der Formzweck tatsächlich verletzt sei. Vielmehr seien die Lösungen entsprechend diesen Gefahrenlagen zu differenzieren. Formale Abgrenzungen, die allein auf den „Ausdruck" abstellten, versagten hier. So genüge bei einem Warn- und Schutzzweck, daß sich der Erklärende den Geschäftsgegenstand im wesentlichen richtig vorstelle, so daß hier unbewußte 16 und bewußte 17 Falschbezeichnungen unschädlich seien. Sei ger/Dilcher, § 125, Rdnr. 19,21 ; RGRK-Krüger-Nieland, § 125, Rdnr. 8 f.; Ludwig, JZ 1983, 762; Hagen, DNotZ 1984, 284; WM 1981,424. 9 Lüderitz, Auslegung, S. 189 ff.; Häsemeyer, Ges. Form, S. 145; Wieling, AcP 172,307 ff.; Jura 1979, 526 ff.; Bernard, Formbed. Rgesch., S. 71 ff.; Wieser, AT, Rdnr. 548; JZ 1985, 408; Wolf, AT, S. 419; Brox, JA 1984,549 ff. 10 RGZ 63,164 ff., 169; RGZ 109, 334 ff., 335 f. 11 BGHZ 74; 116 ff., 119. 12 Wieling, AcP 172, 297 ff. 13 Wieling, AcP 172,297 ff., 308. 14 Lüderitz, Auslegung, S. 194 ff.; Häsemeyer, Ges. Form, S. 270 f.; Bernard, Formbed. Rgesch, S. 141 f.; Wieser, JZ 1985,408; Reinicke, JA 1980,461 f. 15 Lüderitz, Auslegung, S. 194 ff. 16 Lüderitz, Auslegung, S. 196 ff. 17 Lüderitz, Auslegung, S. 198.

Einführung - Problemaufriß

der Zweck der Formvorschriften ein Hinweis an den Erklärenden auf die Bedeutung des Geschäfts, so genüge bereits eine frühere zutreffende Vorstellung des Erklärenden vom Geschäftsgegenstand 18. Zum anderen 19 wird - allerdings ausgehend von den „Formfunktionen", da die Formzwecke als „ohne dogmatischen Aussagewert" für eine Argumentation verworfen werden - angenommen, daß von den Parteien nur verlangt werden dürfe, dem Formgebot nach eigenen Einsichten und Fähigkeiten zu folgen. Ausreichend sei also eine subjektiv formgerechte Fassung der Willenserklärungen. Lediglich bewußte Nichtbeachtung der Form ziehe somit die Formnichtigkeit nach sich. Des weiteren wird angenommen20, daß — wiederum ausgehend von den Formzwecken - vom Grundsatz vollständiger Aufnahme der Geschäftserklärungen in die Urkunde dann eine Ausnahme gemacht werden könne, wenn die fraglichen Zwecke auch durch unvollständige Beurkundung erreicht werden könnten, wobei es jedoch unzulässig sei, dies jeweils für den konkreten Einzelfall zu prüfen. Gemeinsam ist dabei beiden Meinungsgruppen die Behauptung der Unvereinbarkeit beider Lösungswege miteinander, wobei allerdings einmal als Lösung der Verzicht auf die falsa demonstratio 21 , zum anderen der Verzicht auf die Andeutungsformel 22 , vorgeschlagen wird. Aufgrund dieser Kritik ging der BGH zwar von der „Eindeutigkeits"-Wendung23 sowie von der Anwendung der Andeutungsformel im Rahmen der Auslegung der formbedürftigen Rechtsgeschäfte ab, so daß nun eine Trennung von Auslegung und Form erfolgt, sowie eine Anwendung der Andeutungsformel erst im Rahmen der Prüfung der Einhaltung der Form 2 4 . Grundsätzlich bestätigt der BGH jedoch sein Festhalten an der Anwendung beider Lösungswege in der bisher geübten A r t 2 5 . Vorliegend sollen deshalb zum einen die historisch-dogmatischen Gründe, die zur Herausbüdung dieser beiden Lösungswege in der Rechtsprechung von RG und BGH führten, untersucht und ihre Entwicklung verfolgt werden. Hierzu ist die Rechtsprechung des RG und des BGH zu diesen Problemen darzustellen. Hierbei kann verständlicherweise nicht jedwedes zu diesen Problemen existente Urteil dargestellt werden. Vielmehr werden die zur Darstellung der oben aufgezeigten Untersuchungen relevanten Urteile hier besprochen. 18

Lüderitz, Auslegung, S. 201 ff. Häsemeyer, Ge. Form, S. 270 f.; ähnlich, allerdings ohne Abstellen auf die „Formfunktion" Wieser, JZ 1985,408; Reinicke, JA 1980,461. 20 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 141 f. 21 Wieling, AcP 172, 297 ff. 22 Lüderitz, Auslegung, S. 194 ff.; Häsemeyer, Ges. Form, S. 270 f.; Bernard, Formbed. Rgesch., S. 141 f.; Wieser JZ 1985,408. 23 BGHZ 86,41 ff., 46. 24 BGHZ 86,41 ff., 47. 25 BGHZ 86,41 ff.; BGHZ 87,150 ff. 19

14

Einführung - Problemaufriß

Zum anderen soll die Behauptung der Widersprüchlichkeit in der Anwendung der Andeutungsformel und der falsa demonstratio-Formel sowie der Unvereinbarkeit dieser beiden „Formeln" miteinander überprüft werden. Die dargestellte Rechtsprechung ist im Hinblick auf diese Frage zu untersuchen. Gegliedert wurde in der Frage der Rechtsprechung in Rechtsprechung des Reichsgerichts und Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Erster Teil

Rechtsprechungsbericht

Erläuterung: Im Rahmen des vorliegenden darstellenden Teils sind die aufgeführten Entscheidungen in eine kurze Wiedergabe des Sachverhalts, der Entscheidungsgründe und eine anschließende Besprechung aufgegliedert. Bei den weniger relevanten Entscheidungen sind in einigen Fällen Wiedergabe von Sachverhalt und Entscheidungsgründen zusammengefaßt. Die Entscheidungen sind, soweit dies nicht ausdrücklich anders gesagt wird, innerhalb der beiden Themenbereiche „Andeutungsformel" und „falsa demonstratio" zeitlich geordnet. Die römische Ziffer vor dem Entscheidungsdatum und der Fundstelle bezeichnet den entscheidenden Zivilsenat. Die besprochenen Entscheidungen sind durchnumeriert; die Nr. 34 wurde absichtlich herausgenommen. Entscheidungen, auf die lediglich in Fußnoten verwiesen wird, haben keine laufende Nummer.

A. Andeutungsformel I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (1900 - 1945) 1 1) 1/19.3.1902/RGZ 51, llOff. Die Klägerin hatte einen Wechsel über 38.000 RM akzeptiert. Sie trug vor, daß der Beklagte sie durch Ausbeutung ihrer Notlage gegen Gewährung eines Darlehens von 300 RM zur Annahme des Wechsels veranlaßt habe. Der Beklagte trug vor, daß die Klägerin mündlich erklärt habe, für die Schuld ihres Mannes durch Akzept des Wechsels Bürgschaft zu leisten. In den Entscheidungsgründen wird dargelegt, daß eine Bürgschaftserklärung nur dann als schriftlich erteilt gelten könne, wenn der Inhalt der unterzeichneten Erklärung erkennen lasse, daß für die Schuld eines anderen eingestanden werden

1 Die vor Inkrafttreten des BGB zu diesem Problemkreis ergangenen Entscheidungen (exemplarisch vom 11.12.1887; RGZ 17, 143 ff.) sollen hier außer Betracht bleiben, da sie für das Verständnis der Anwendung der Andeutungsformel unter Geltung des BGB kaum von Relevanz sind.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

16

solle, und daß daher der Formvorschrift des § 766* durch das in der Annahme eines Wechsels liegende abstrakte Schuldversprechen nicht genügt werde. Die Andeutungsformel ist hier noch nicht klar herausgearbeitet, da es hier bei der relativ unproblematischen Fallkonstellation auch nicht erforderlich war, scharfe Abgrenzungskriterien für Grenzfälle zu entwickeln. Bereits in dieser Entscheidung werden jedoch schon Anzeichen für die beginnende Vermischung von Auslegung und Form sichtbar. 2) V/12.12.1903/RG SeuffArch 59 Nr. 53 Bei einem Grundstückskaufvertrag war problematisch, ob ausreichende Bestimmtheit der Preisangabe in der Urkunde vorlag, da der Kaufpreis durch zwei Hypothekenforderungen über 34.000 RM, die lediglich mündlich näher bezeichnet wurden, belegt worden war. Hierzu wird ausgeführt, daß die Leistung aus der Urkunde bestimmbar sein müsse. Die Bestimmtheit des Kaufpreises sei somit als vorhanden anzusehen, wenn sich durch Auslegung der beurkundeten Willenserklärungen ermitteln lasse, mit welchen Hypothekenforderungen der Kaufpreis belegt worden sei. Die Anwendung der §§ 133,157 ergebe hier, daß in der Urkundenfassung über den Kaufvertrag der Parteiwille bezüglich der Kaufpreisbelegung durch zwei Hypotheken mit ausreichender Bestimmtheit zum Ausdruck gelangt sei. Erstmals wird hier das Problem im Rahmen der Auslegung der beurkundeten Willenserklärung eingeordnet: es erfolgt ein vorsichtiges „Herantasten" an die Formulierung der späteren Andeutungsformel durch zunächst bloße praktische Schlußfolgerung (Ergebnis) ohne Subsumtion; als Obersatz wird hier lediglich eine aus der Vertragsurkunde bestimmbare Leistung angesehen2. 3) V/5.3.1904/RG DJZ, Sp. 506 Nr. 44 Im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages hatte der Kläger die Verpflichtung übernommen, vorher formunwirksam veräußerte Parzellen den Käufern aufzulassen, wofür ihm der Kaufpreis zufließen sollte; Parzellen, Käufer und Kaufpreis wurden nicht näher bezeichnet. Bei ungenügender Bezeichnung im notariellen Vertrag, aber ausreichender mündlicher Abrede, so wurde hier ausgeführt, liege ausreichende Bestimmtheit vor, da diese der Bestimmbarkeit gleich zu achten sei. Das Problem wird hier unter (Leitsatz) das „Erfordernis der Bestimmbarkeit des Vertragsobjekts" gefaßt. Wiederum erfolgen hier die Erörterungen ohne theoretische Subsumtionsvoraussetzungen im Hinblick auf die Andeutungsfor-

* Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des DGB. Ähnlich die Entscheidung vom 29.4.1904 = RG DJZ 1904 Sp. 813 Nr. 68.

2

Α. Andeutungsformel

17

mei, vielmehr vage unter „ausreichender Bestimmtheit" als Obersatz. Die Entscheidung läßt somit auch hier ein erst langsames „Herantasten" an die Andeutungsformel erkennen, die hier auch im Hinblick auf die Entscheidung vom 12.12. 19033 zunächst als „zufällige", ungefestigte Formulierung erscheint. 4) VÜ/8.3.1904/RGZ 57,258ff. Im Rahmen eines Vergleichs sollte eine Bürgschaft übernommen werden. Es erfolgte jedoch lediglich ein Rückschreiben der Gegenseite, des Inhalts, daß der Vergleichsvorschlag angenommen werde und daß die Urkunde durch einen Dritten beschafft werde. Eine Aufnahme der in Aussicht genommenen Urkunde fand hingegen nicht statt. Fraglich war somit, ob bereits durch die gegenseitigen schriftlichen Erklärungen ein bindender Vergleich und deshalb eine Bürgschaft zustande gekommen war. Diese Frage wurde verneint mit der Begründung, daß eine schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung nicht in einem vom Bürgen unterzeichneten Schriftstück zu erblicken sei, aus dessen Inhalt für sich allein schlechterdings nicht ersichtlich sei, daß dadurch eine Bürgschaft übernommen werden solle, sondern aus dem erst in Zusammenhalt mit anderen darin in Bezug genommenen Erklärungen der Wille der Bürgschaftsübernahme erkannt werden könne. Die Urkunde müsse mindestens den wesentlichen rechtlichen Inhalt derjenigen Willenserklärungen enthalten, deren schriftliche Niederlegung das Gesetz erfordere. Zudem erfolgt eine recht weit ausholende und sorgfältige Begründung des Urteils auch unter Heranziehung der Zwecke der Formvorschrift, hier besonders der „Warnfunktion". Als „obiter dictum" wird zudem erörtert, wieweit im übrigen Bezugnahmen auf andere Willenserklärungen, außerhalb der Urkunde liegende rechtliche oder tatsächliche Umstände zulässig sind, und geschlossen, daß sich dies nach Wesen und Zweck der Formvorschrift und nach Art der Willenserklärung richten müsse. Auch hier liegt somit zwar noch keine klare Ausprägung der Andeutungsformel vor, jedoch zeigt die weit ausholende Diskussion des Problems und die Heranziehung der Formzwecke die Entwicklung der späteren Andeutungsformel aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Formvorschriften, die in der Rechtsprechung der einzelnen Senate relativ unabhängig voneinander erfolgte. Konsequent ist die Entscheidung im Hinblick auf den ähnlich gelagerten Sachverhalt der Entscheidung vom 19.3.1902 4 . 5) III/10.5.1904/RG JW 1904,356 Nr. 5 Die Entscheidung betraf den Sonderfall eines Einverständnisses der Parteien darüber, in welchem Sinn eine schriftliche Vertragsbestimmung auszulegen sei. 3 4

Nr. 2 = RG SeuffArch 59, Nr. 53. Nr. 1 = RGZ51,110ff.

2 Scherer

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

18

Angenommen wurde hier, daß die Erklärung dieses Einverständnisses dann den Richter für die Auslegung dieser Bestimmung binde, wenn in dem gewählten Ausdruck der behauptete Sinn gefunden werden könne. Das Problem wird auch hier im Zusammenhang mit der Auslegung der betreffenden beurkundeten Willenserklärung gesehen. Wie bereits in den Entscheidungen vom 12.12.1903 und vom 5.3.1904 5 wird hier ein „Hintasten" zur späteren Fassung der Andeutungsformel sichtbar. 6) VI/27.10.1904/RGZ 59,217ff. Auf demselben Blatt war hinter dem Schuldbekenntnis des Schuldners eine Erklärung abgefaßt, nach welcher sich der Beklagte für die „Darlehensschuld" des Schuldners als „samtverbindlicher Selbstschuldner" verbürgte. Als „Obersatz" wird hier unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 8.3. 1904 6 aufgestellt, daß für § 766 zu fordern sei, daß das, was den Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung bilde, wenigstens in seinen wesentlichen Teilen in der Bürgschaftsurkunde selbst enthalten sei. Zwar gelte für alle formbedürftigen Willenserklärungen die Vorschrift des § 133; daher könnten auch zur Ermittlung des Willens außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden. Gefordert werden müsse jedoch hier, ebenso wie bei mündlichen Erklärungen, daß in den gebrauchten Worten des Ausdrucks dessen, was als der Wille des Erklärenden ermittelt werde, überhaupt gefunden werden könne. In dieser aufschlußreichen Entscheidung7 taucht zum einen erstmals die Formulierung der Andeutungsformel in ihrer späteren ständigen Fassung auf; ihre Entwicklung benötigte somit, vom 1. Urteil 1902 8 an, lediglich gut zwei Jahre. Zum anderen werden hier zwei für das Verständnis der Anwendung der Andeutungsformel durch die Rechtsprechung wesentliche Dinge deutlich: Einerseits die Vermischung von Auslegungs- und Formfrage, die hier exemplarisch verdeutlicht wird, und die jahrzehntelang die Entscheidungen zu dieser Problematik beherrschte. Andererseits wird aus der Bedingung, daß der „Ausdruck" des Gewollten in jeder - formbedürftigen wie formlosen — Erklärung zu finden sein müsse, ersichtlich, daß es sich hier um eine aus den allergemeinen Auslegungsgrundsätzen und -schranken herrührende Forderung handelt. Hieraus wird somit die zweite dogmatische „Wurzel" der Andeutungsformel sichtbar 9 . Gleich-

5

Nr. 2 = RG SeuffArch 59; Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506 Nr. 44. Nr. 4 = RGZ 57, 258 ff. 7 Ähnlich die Entscheidung vom 30.11.1905 = RG JW1906,87 f., Nr. 7, die sich nahezu in Bezugnahmen auf diese und die Entscheidung vom 8.3.1904 = RGZ 57,258 ff. erschöpft. 8 Nr. 1 = RGZ 51,110 ff. 9 Vgl. auch die Entscheidung vom 14.12.1905 = Nr. 8 = RGZ 62,172 ff. 6

Α. Andeutungsformel

19

zeitig erfolgt durch Bezugnahme auf die Entscheidung vom 8.3.1904 1 0 auch ein Rückgriff auf die Zwecke der Formvorschriften. Deutlich wird hier somit die „Herkunft" der Andeutungsformel, die für ein grundlegendes Verständnis dieses Rechtssatzes unerläßlich ist: Einerseits erfolgte, wie in der Entscheidung vom 8.3.1904 11 gezeigt, die Entwicklung aus den Zwecken der gesetzlichen Formvorschriften, andererseits, wie hier erkennbar, aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und -schranken. 7) IV/6.4.1905/RG JW 1905,336 Nr. 3 Bei der hier vorgenommenen Auslegung einer Bürgschaftserklärung wurde zunächst ausgeführt, daß § 133 auch für formbedürftige Willenserklärungen gelte. Die Vereinbarkeit des ermittelten Willens mit der Erklärung, das Erfordernis also, daß der wirkliche Wille in der Erklärung seinen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck gefunden habe, bilde aber die Schranke, welche durch die Auslegung nicht überschritten werden dürfe. Hier findet sich erneut die Andeutungsformel in ihrer später gebräuchlichen, ständigen Formulierung. Erstmals taucht hier zudem der Zusatz auf, daß ein „unvollkommener" Ausdruck ausreiche; hiermit wird eine weitere Herausbildung der Andeutungsformel, eine Konsolidierung sowie eine Erleichterung der Anwendung auch für wenig eindeutige Sachverhalte erreicht. Wiederum wird aber hier eine Vermischung von Auslegung und Form vorgenommen, wenn auch zunächst bezüglich der Willensermittlung eine theoretische Trennung erfolgt; anschließend wird jedoch wieder der „Ausdruck" des Willens in der Urkunde als Schranke der Auslegung der Willenserklärung angesehen. 8) VI/14.12.1905/RGZ 62,172 ff. Die urkundliche Erklärung enthielt hier die Unterschrift unter eine generelle Verpflichtung zur Einhaltung eines Vertrages. Eine ausdrückliche schriftliche Bürgschaftserklärung lag nicht vor, lediglich eine mündliche Zusicherung. Die Bürgschaftserklärung als eine schriftliche Willenserklärung unterstehe, so wird ausgeführt, der Auslegung gem. § 133. Demgemäß sei es auch keineswegs ausgeschlossen, daß zur Ermittlung des der schriftlichen Erklärung zugrunde liegenden Willens außerhalb der urkundlichen Erklärung liegenden Umstände herangezogen und berücksichtigt würden. Die Auslegung finde aber ihre natürliche Grenze in dem Erfordernis, daß der sprachliche Ausdruck noch das erkennen lassen müsse, was durch ihn zur Erkenntnis gebracht werden solle. In den gebrauchten Worten müsse also der Ausdruck dessen, was als der Wille des Erklä. renden ermittelt werde, überhaupt gefunden werden.

10 11

2*

Nr. 4 = RGZ 57,258 ff. Nr. 4 = RGZ 57, 258 ff.

20

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

Deutlich wird hier erneut die Vermischung von Auslegung und Form 1 2 , sowie die zweite dogmatische „Wurzel" der Andeutungsformel: Indem die „Andeutung" des Willens in der urkundlichen Erklärung als Grenze der Auslegung fungiert, wird hier deutlich, daß es sich zugleich um eine allgemeine Auslegungsregel, die hier mit dem Formgebot vermischt angewendet wird, handelt. Erkennbar wird zudem eine fortschreitende Konsolidierung der Anwendung der Andeutungsformel bezüglich ihres Anwendungsbereichs aufgrund der immer komplizierteren, wenig eindeutigen Fälle und die Herausbildung des Gebrauchs der Andeutungsformel in „stehender Wendung" als ständige Rechtsprechung 13. Zugleich zeigt sich diese Entscheidung konsequent in der Anwendung der Andeutungsformel gegenüber ähnlich gelagerten, wenn auch weniger kompliziert gestalteten Fällen, wie den Entscheidungen vom 19.3.1902 vom 8.3.1904 1 4 . 9) VI/12.12.1906/RGZ 62,379 ff. Eine Bezeichnung des Gläubigers in der Bürgschaftsurkunde lag nicht vor. Die Bürgschaftsurkunde, so wird ausgeführt, sei nach denselben Grundsätzen auszulegen, wie irgendeine Vertragsurkunde; daher seien zur Ermittlung des wahren Willens des Ausstellers außerhalb der urkundlichen Erklärung liegende Umstände heranzuziehen. Die wesentlichen Merkmale des Bürgschaftsvertrages müßten sich aus der Urkunde selbst überhaupt irgendwie ergeben. Zwar wird hier nicht konkret eine „Andeutung" verlangt, lediglich die Erkennbarkeit der wesentlichen Merkmale des Bürgschaftsvertrages aus der Urkunde. Ersichtlich wird jedoch auch hier wiederum eine Vermischung von Auslegung und Form. 10) IV/12.12.1907/RGZ 67,204ff. In einem Brief an seinen Schwiegersohn hatte der Beklagte zugesagt, monatlich für den gemeinsamen Haushalt der Eheleute 100 RM zu zahlen. Mit der Klage verlangte der Schwiegersohn den monatlichen Zuschuß für seinen Haushalt. Fraglich war hier das Zustandekommen eines Leibrentenversprechens. Es komme, so wird ausgeführt, darauf an, daß der für das Rechtsgeschäft wesentliche Inhalt sich vollständig und unmittelbar aus der Urkunde ergeben müsse. Die Grenzen, innerhalb derer es zulässig sei, die Urkunde, wenn auch unter Be-

12 Ähnlich die Entscheidung vom 23.11.1908 = RG WarnRspr. 1909, Nr. 140 und die Entscheidung vom 24.5.1911 = RGZ 76, 303 ff. 13 Ähnlich die Entscheidungen vom 30.6.1913 = RG JW 1913, 991 f., Nr. 20; 16.12. 1913 = RG JW 1914, 250 Nr. 12; 3.5.1917 = RG WarnRspr. 1917 Nr. 288; 29.11.1917 = RG JW 1918, 172f. Nr. 8; 29.4.1918 = RG WarnRspr. 1918, Nr. 123; 10.3.1919 = RGZ 95, 125 f.; 2.7.1926 = RGZ 114, 194ff.; 11.12.1929 = RG SeuffArch 84, Nr. 67; 20.5. 1931 = RG HRR 1931, Nr. 1632; 13.1.1932 = RG HRR 1932, Nr. 1123; 12.2.1937 = RGZ 154,41 ff. 14 Nr. 1 = RGZ51,110ff.;Nr.4 = RGZ 57, 258 ff.

Α. Andeutungsformel

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rücksichtigung anderer Tatumstände, erläuternd auszulegen, dürften nicht zu eng gezogen werden. Es fehle an der gesetzlichen Form, wenn die Urkunde in wesentlichen Punkten ergänzt werden müsse. Lasse sich aber für das, was in dem Brief — wiewohl nur unvollkommen — enthalten sei, durch Auslegung eine nähere Bestimmung soweit gewinnen, daß sich alle wesentlichen Bestandteile der formbedürftigen Erklärung in ihr niedergelegt fänden, so sei die Form gewahrt. Auffällig ist hier, daß das RG bei Anwendung der Andeutungsformel selbst betont, daß die Grenzen, in denen noch eine Andeutung vorhanden sei, nicht zu eng gezogen werden dürften. Hierin wird das Voraussehen der Entwicklung einer sehr weiten Kasuistik in dem Anwendungsbereich der Andeutungsformel deutlich, die durch die sehr weite Fassung der Andeutungsformel und die in dieser Entscheidung sanktionierte großzügige Handhabung vorgezeichnet ist. 11) IV/11.3.1909/RGZ 70,391 ff. In der Testamentsurkunde war „gesetzliche Erbfolge" verfügt: Gewollt war jedoch, daß ausschließlich die Nachkommen der vollbürtigen, nicht die der halbbürtigen Geschwister Erben sein sollten. Zwar sei, so wurde ausgeführt, § 133 anzuwenden; dies könne jedoch nicht dazu führen, daß derjenige Wille als maßtebend anzusehen sei, welchen der Testator erklärt haben würde, wenn sein Wille nicht von Irrtum beeinflußt gewesen wäre 15 . Die Willenserklärung sei hier deshalb eine vollständig klare, die eine verschiedenartige Deutung nicht zulasse; die Auslegung könne nicht dazu benutzt werden, um an die Stelle des vorhandenen und erklärten Willens einen anderen Willen unterzuschieben. (Anschließend erfolgt eine Erörterung bezüglich der falsa demonstratio, siehe unten, Abschnitt falsa demonstratio.) Erstmals taucht hier die später oft „in einem Atemzug" mit der Andeutungsformel gebrauchte ,3indeutigkeits"-Wendung 16,1? auf: Die „Eindeutigkeit" der formellen Erklärung stellt sich hier als Grenze der Auslegung dar; die Form der Erklärung hindert somit faktisch die Auslegung überhaupt. In dieser Entwicklung der „Eindeutigkeits"-Wendung erfolgt somit - einhergehend mit einer weiteren Ausformung und Konsolidierung der Andeutungsformel — eine weitere Verfestigung der Vermischung von Form und Auslegung. Dabei stellt die Frage der „Eindeutigkeit" eine notwendige, mit der Andeutungsformel untrennbar verbundene Vorfrage dar, da die Frage der Auslegung zunächst die Frage nach der

15

Ähnlich die Entscheidung vom 11.12.1913 = RG WarnRspr. 1914, Nr. 36; 23.9.1915 = RG LZ 1915, Sp. 1656, Nr. 11; 23.3.1916 = RG WarnRspr. 1916,168, Nr. 111. 16 Zur Geltung im Römischen Recht vgl. Paul. Digesten, 32, 25,1. 17 Verwendet wird die „Eindeutigkeits"-Wendung auch in den unproblematischen Entscheidungen vom 28.10.1911 = RG WarnRspr. 12, Nr. 4; 3.5.1917 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 288; 10.3.1919 = RGZ 95, 125 f.; 1.12.1927 = RG HRR 1928, Nr. 206; 13.1.1932 = RG HRR 1932, Nr. 1123; 14.10.1936 = RG JW 1937, 392, Nr. 2.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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Auslegungsfähigkeit oder -Unfähigkeit ist; somit stellt die „Eindeutigkeits"Wendung sehr häufig, wie noch zu zeigen sein wird, die „Nahtstelle" zwischen Andeutungsformel, Anfechtung und Anwendung der falsa demonstratio dar. 12) VI/3.5.1909/RGZ 71,113 ff. In der Bürgschaftsurkunde war keine Angabe der Hauptschuld enthalten. Es sei wiederholt anerkannt, so wird dargelegt, daß die für die Bürgschaftserklärung in § 766 vorgesehene Urkunde § 133 unterstehe und deshalb zu ihrer Auslegung auch außerurkundliche Umstände, sowie in anderen Urkunden enthaltene Erklärungen herangezogen werden dürften. Es müsse jedoch unter Zuhilfenahme dieser anderen Umstände der konkrete rechtsgeschäftliche Inhalt der Verpflichtung aus der Urkunde selbst erkennbar hervorgehen. Hier wurden bei der wiederum erfolgten Vermischung von Auslegung und Form zusätzlich auch außerurkundliche Erklärungen als Auslegungs-„Umstände" angesehen18. 13) IV/5.1.1911/RGJW 1911,220 Nr. 27 Problematisch war in der sehr kurzen Entscheidung die Auslegungsfähigkeit des Ausdrucks „Nacherbe" im privatschriftlichen Testament. Da das Testament im Hinblick auf alle möglichen Deutungsgesichtspunkte ausgelegt wurde, wurde hier die Auslegungsfähigkeit dieses Ausdrucks bejaht und damit konkludent die „Eindeutigkeit" verneint. Diese Verneinung der Eindeutigkeit bei dem Rechtsbegriff „Nacherbe" könnte einen Widerspruch zur Bejahung der Eindeutigkeit und damit mangelnder Auslegungsfähigkeit bei dem Rechtsbegriff „gesetzliche Erben" in der Entscheidung vom 11.3.1909 19 darstellen. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß auch im allgemeinen Sprachgebrauch der Ausdruck „gesetzliche Erben" wesentlich bekannter als der Ausdruck „Nacherbe" ist, und deshalb bei diesem auch eher von „Eindeutigkeit" auch bei Verwendung durch einen juristischen Laien gesprochen werden kann, als bei jenem; allerdings ist zuzugeben, daß hier ein Grenzfall vorliegt. 14) IV/3.4.1911 /RG JW 1911, 544 f. Nr. 24 Fraglich war hier, ob durch Einsetzung einer Person als Erbe, die kein Abkömmling des Erblassers war, eine Grundlage gegeben sei für eine Auslegung dahingehend, daß ein auf Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten gerichteter Wille festgestellt werden könne, oder ob sich eine solche Auslegung dadurch verbiete, daß es an jedem, auch an einem unvollkommenen Ausdruck des weitergehenden Willens fehle. Aufgrund der Bestimmung des § 2069, der 18 19

Ähnlich die Entscheidung vom 3.10.1910 = RG JW 1910,998 f. Nr. 3. Nr. 11 = RGZ 70, 391 ff.

Α. Andeutungsformel

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eine solche Auslegung für den dort geregelten Fall des Bedenkens eines Abkömmlings sogar ausdrücklich vorschreibt, wird die angeführte Auslegung für zulässig erachtet. Dadurch erfolgte hier die grundsätzliche Anerkennung, daß die bloße Einsetzung eines Erben eine Grundlage für die Ermittlung eines weitergehenden, durch Auslegung zu findenden Willens bilden kann. Hierin wird eine sehr weite und großzügige Handhabung der Andeutungsformel erkennbar. 15) III/25.9.1912/RGZ 80,400ff. Der Mietvertrag sollte nach dem Willen der Parteien für die Fa. R & L, also von Frau R als deren Teilhaberin und vertretungsberechtigte Vertreterin abgeschlossen sein. Im Vertrag war dieses Vertretungsverhältnis nicht ausdrücklich offengelegt worden. Für den „Obersatz" wird lediglich auf die Entscheidung vom 8.3.1904 20 und die folgenden Entscheidungen Bezug genommen. In einer sehr weiten Fassung der Andeutungsformel wird lediglich verlangt, daß die Parteien nach Maß und Inhalt ihres beiderseitigen tatsächlichen Willens einen bestimmten schriftlichen Ausdruck für eine ihnen genügende Bezeichnung des fraglichen Vertragspunktes erachtet haben; Schriftlichkeit müßten sie durch einen ihnen verständlichen und genügend erscheinenden Ausdruck vollzogen haben. Es schade nicht, daß Dritten ein bestimmter Ausdruck als eine ihnen fernliegende, ihnen unzureichende Bezeichnung erscheine. Da § 133 anwendbar sei, verstoße die Annahme, daß die Klarstellung durch die Urkunde an sich zu erfolgen habe, dagegen, daß außerurkundliche Umstände zur Auslegung herangezogen werden dürften. Zudem wird hier auf den Zweck des schriftlichen Mietvertrages eingegangen: Dieser sei nicht, losgelöst vom Willen der Parteien Beweis zu erbringen, sondern die Sicherung und Erleichterung des Beweises. Zwar entfernen sich diese Ausführungen sehr weit von der Andeutungsformel in ihrer bisherigen Anwendung, jedoch ist zu berücksichtigen, daß hier von der Revision ausschließlich darauf abgestellt wurde, was andere aus der schriftlichen Urkunde entnehmen konnten: Das RG schiebt dieser ausschließlichen Heranziehung der Urkunde einen „Riegel" vor, was hier verdeutlicht wird aus der Bezugnahme auf frühere Urteile und dem Revisionsvorbringen. Zudem werden hier wiederum die Zwecke der gesetzlichen Formvorschriften als „Wurzeln" der Andeutungsformel erkennbar. 16) VI/17.3.1913/RGZ 82, 70 ff. In der Urkunde war die Verbürgung für die Schuld des U. jr. erklärt, tatsächlich aber eine Verbürgung für U. sen. gewollt.

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Nr. 4 = RGZ 57, 258 ff.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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Es wird ausgeführt, daß zur Auslegung zwar außerurkundliche Umstände herangezogen werden könnten. Jedoch würde dies vorliegend nicht bloß eine Auslegung der bereits in deutlicher Form schriftlichen Bürgschaftserklärung darstellen; vielmehr liege es hier so, daß das, was die Parteien gewollt hätten, nicht in rechtsverbindlicher Form erklärt worden sei und das, was erklärt, nicht gewollt sei. Die Umdeutung , j r . " in „sen." würde deshalb über den Rahmen der bloßen Auslegung weit hinausgehen. Mit dem Hinweis auf die Auslegungsunfähigkeit der Erklärung, wird hier die Schriftform bezgl. des Gewollten abgelehnt, obwohl aus der Entscheidung klar hervorgeht, daß die falsche Bezeichnung des Hauptschuldners irrtümlich erfolgt war. Mit keinem Wort wird in der Entscheidung hingegen eine mögliche Anwendung der falsa demonstratio erörtert, obwohl dies nach der Fallkonstellation — irrtümliche Falschbezeichnung bei übereinstimmendem Parteiwillen — nahe gelegen hätte. Die Entscheidung stellt somit eine für die Abgrenzung der Andeutungsvormel von der falsa demonstratio sehr relevantes Urteü dar, auf das später (unten, 2. Abschnitt) zurückzukommen sein wird. 17) IV/3.5.1913/RG JW 1913, 869 f., Nr. 14 In der testamentarischen Bestimmung war die Enterbung eines Abkömmlings verfügt. Fraglich war nun, ob diese Bestimmung auch die Enterbung von dessen Abkömmlingen enthielt. Aus §§ 1953 II, 2344 II, 2346 wird hier hergeleitet, daß Abkömmlingen von Anfang an selbst ein Erbrecht zustehe. Deshalb sei zwar im Einzelfall erne Auslegung dahin möglich, daß nicht nur der einzelne Abkömmling, sondern der gesamte Stamm ausgeschlossen werden solle. Hier jedoch sei lediglich in klarer Weise der Ausschluß dieses einen Abkömmlings bestimmt; für eine weitergehende Auslegung sei kein Raum. Die Geltung dieses eventuell vom Erblasser Gewollten sei nur durch einen wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck im Testament erreichbar gewesen, der aber in der vorliegenden Bestimmung nicht gefunden werden könne. Auf den „ersten Blick" liegt dieser Entscheidung ein nahezu gleichgelagerter Fall mit der Entscheidung vom 3.4.1911 21 zugrunde, wo die Einsetzung einer Person als Auslegungsgrundlage für eine Ersatzberufung der Abkömmlinge angesehen wurde, was eine dem vorliegenden Fall geradezu diametral entgegengesetzte Entscheidung und damit erheblichen Widerspruch in der Handhabung der Andeutungsformel darstellen würde. Jedoch wird in der Begründung der Entscheidung vom 3.4.1911 2 2 ausgeführt, daß schon durch den Gesetzgeber in § 2069 die vorgenommene Auslegung nahegelegt wird. In der vorliegenden Be-

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Nr. 14 = RG JW 1911,544 f., Nr. 24. Nr. 14 = RG JW 1911,544 f., Nr. 24.

Α. Andeutungsformel

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gründung hingegen wird dargelegt, daß ein eigenes Erbrecht der Abkömmlinge von Anfang an besteht. Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgaben sind deshalb erheblich höhere Anforderungen für die „Andeutung" bezüglich der Erstreckung der Enterbung auch auf Abkömmlinge zu fordern als im Hinblick auf eine Erbeinsetzung, da die gesetzliche Wertung zu Recht auch im Rahmen der Andeutungsformel Berücksichtigung finden muß. Der Widerspruch zu der Entscheidung vom 3.4.1911 23 besteht somit nur scheinbar. 18) IV/18.1.1915/RG SeuffArch 70, Nr. 223 In dem Testament war hier die Bestimmung enthalten, daß die „Verwandten bis zur 4. Ordnung" bedacht werden sollten; gewollt war jedoch ein Bedenken der Verwandten bis zum 4. Grad. Der Ausdruck „4. Ordnung" wird hier für mehrdeutig und damit auslegungsfähig gehalten, da nach allgemeiner Lebenserfahrung die Ausdrucksweise des Gesetzes, soweit sie die erb rechtliche Einteilung nach Ordnungen betreffe, in den gewöhnlichen Sprachgebrauch nicht übergegangen sei. In dem gewählten Ausdruck sei somit eine „Andeutung" für den Erblasserwillen bezüglich des Bedenkens bis zum 4. Grad der Verwandtschaft zu sehen. Die Bejahung der Auslegungsfähigkeit ist hier zwar konsequent gegenüber der Entscheidung vom 5.1.1911 2 4 , in der der Rechtsbegriff „Nacherbe" als auslegungsfähig angesehen wird; problematisch ist sie jedoch gegenüber der Entscheidung vom 11.3.1909 25 , wo der Rechtsbegriff „gesetzliche Erben" als eindeutig und damit auslegungsunfähig angesehen wurde. Zwar ist eine Begründung dergestalt möglich, daß die Begriffe „Nacherbe" und „4. Ordnung" bei Verwendung durch einen juristischen Laien — aufgrund ihrer mangelnden Bekanntheit im allgemeinen Sprachgebrauch - in erheblichem Maße an ihrer Klarheit einbüßen, der Begriff „gesetzlicher Erbe" dagegen — aufgrund seiner auch im allgemeinen Sprachgebrauch erhöhten Bekanntheit — auch bei Verwendung durch einen juristischen Laien klar und eindeutig ist. Es ist jedoch zuzugeben, daß die Annahme der fehlenden Eindeutigkeit hier nicht zwingend war; es handelt sich somit zwar nicht um einen eindeutigen Widerspruch zu der Entscheidung vom 11.3.1909 26 , jedoch kann hier durchaus von einem „Grenzfall" gesprochen werden. 19) IV/20.5.1915/RG WarnRspr. 1915,Nr.210 Auf einem Nachzettel war hier eine Verfügung getroffen, auf die im eigentlichen Testament lediglich „wie unten angegeben" verwiesen worden war.

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Nr. Nr. Nr. Nr.

14 = RG JW 1911, 544 f., Nr. 24. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. 11 = RGZ 70, 391 ff. 11 = RGZ 70, 391 ff.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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Hierzu wird ausgeführt, daß nicht die Namensnennung des Bedachten in der Urkunde erforderlich sei, vielmehr müsse ein anderer so bestimmt sein, daß über seine Person kein Zweifel mehr bestehen könne. Hier jedoch habe der Inhalt des ununterschriebenen Nachtrags auch nach Ansicht des Erblassers nicht Inhalt der unterschriebenen Urkunde sein sollen; vielmehr habe diese letztere auch nach dessen Ansicht noch einer Ergänzung in der Bestimmung der Person des anderen bedurft. Diese Bestimmung habe aber der Erblasser in nicht unterschriebener Urkunde gegeben und auch geben wollen. Es sei hier daher nur die Berufung der zu Bedenkenden in Aussicht genommen, noch nicht aber formgerecht erfolgt. In der rechtlichen generellen Würdigung ist dieser Fall ähnlich gelagert mit der Entscheidung vom 5.3.1904 2 7 , da auch dort eine Abgrenzung zwischen Bestimmtheit/Bestimmbarkeit und Unbestimmtheit erforderlich war. Vorliegend war jedoch, anders als dort, ein bewußtes Herausnehmen der bestimmten Verfugung aus der Urkunde, ein bewußtes Ausgliedern aus der formellen Willenserklärung erfolgt. Ein Widerspruch liegt somit nicht vor, vielmehr zeigt sich hier die logische Konsequenz der der Andeutungsformel zugrunde liegenden Wertung, daß die Parteien zur Einhaltung der Formvorschriften angehalten werden sollen. 20) IV/23.11.1916/RG Gruchot 61,324 Fraglich war, ob die Einsetzung eines Vermächtnisnehmers, der kein Abkömmling des Erblassers war, zugleich die Ersatzberufung seines Abkömmlings beinhaltete. Hier wurde davon ausgegangen, daß das Gesetz, wenn es in § 2069 eine Art der Auslegung für einen Fall ausdrücklich vorschreibe, es sie wohl nicht für einen anderen, ähnlich gelagerten Fall verbieten könne. Diese Entscheidung zeigt eine konsequente Fortfuhrung des Urteils vom 3.4. 1911 2 8 , wenn auch eine zunehmende Erweiterung in der Handhabung der Andeutungsformel. 21) IV/14.12.1916/RG WarnRspr. 1917, Nr. 59 Bezüglich einiger Vermächtnisgegenstände, die dergestalt bezeichnet wurden, daß sie „meinem Schwager vermacht sind", wurde insoweit hingewiesen auf ein früheres, formunwirksames Testament. Es wurde dargelegt, daß in der Urkunde selbst der Vermächtnisgegenstand andeutungsweise bestimmbar bezeichnet sein müsse, was hier in der Beschreibung, daß die Gegenstände ,»meinem Schwager vermacht sind", erfolgt sei. Auch außerurkundliche Umstände seien deshalb hier zur Auslegung heranzuziehen.

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Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506 Nr. 44. Nr. 14 = RG JW 1911,544 f. Nr. 24.

Α. Andeutungsformel

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Eine auch im Vergleich mit der Entscheidung vom 5.3.1904 29 einerseits und der Entscheidung vom 20.5.1915 30 andererseits konsequente Anwendung der Andeutungsformel zeigt sich in dieser Entscheidung, da durch die nähere Beschreibung der Gegenstände eine Andeutung bereits in dem vorliegenden Testament enthalten war, nicht aber, wie in der Entscheidung vom 20.5.1915 31 eine bewußte, vollständige Ausgliederung der Bestimmung erfolgt war. 22) VI/18.6.1917/RGZ 90, 368 ff. Unter fünf Bürgen stand an erster Stelle die Beklagte, die sich gegenüber dem Zahlungsverlangen auf den ursprünglichen Vertragsentwurf berief, mit der Behauptung, daß sich daraus eine andere Berechnung zu ihren Gunsten ergebe; dieser ursprüngliche Entwurf sei auch für den später geschlossenen Vertrag maßgebend. Sie machte weiter geltend, daß, gleichgültig, wie der Vertrag an sich betrachtet, auszulegen sei, er ihr gegenüber im Sinn des früheren Entwurfes zu verstehen sei, da über diese Auslegung beide Parteien einig gewesen seien. Angenommen wird hier, daß es durchaus möglich sei, daß Parteien mit Vertragserklärungen einen anderen Sinn verbinden könnten, als die natürliche Auslegung ihn ergebe, sofern dieser andere Sinn noch irgendwie in der Vertragsurkunde gefunden werden könne. Ein Einverständnis über den beschriebenen Umfang der Verpflichtung würde bei einem Zwei-Personen-Vertrag den von dem darin erklärten Willen abweichenden Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung als den wahren Inhalt des Vertrages erscheinen lassen können. Gegenüber dem hier vorliegenden einheitlichen Vertrag, in dem noch vier andere Bürgen, die nichts von der besagten Vereinbarung wußten, einheitlich ihre Bürgschaftserklärung abgaben, sei er jedoch bedeutungslos. Der hier vorliegende Sonderfall des von der Erklärung abweichenden Einverständnisses über den Sinn ist hier grundsätzlich ebenso beurteilt wie in der Entscheidung vom 10.5.1904 32 ; lediglich aus außerhalb des Problemkreises der Andeutungsformel liegenden rechtlichen Gesichtspunkten (Einheitlichkeit des Vertrages) wurde hier die Geltung des übereinstimmenden Willens verneint. 23) V/9.11.1918/RG JW 1919,102 Nr. 2 Eine Stundungserklärung war 1915 „bis nach dem Krieg" gegeben worden. Zu deren Auslegungsfähigkeit wurde ausgeführt, daß mit § 133 nur einer sich an den Wortlaut klammernden Auslegung habe entgegengetreten werden, nicht dagegen gesagt sein sollen, daß auch gegenüber dem klaren Wortlaut der innere,

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Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506, Nr. 44. Nr. 19 = RG WarnRspr. 1915, Nr. 210. Nr. 19 = RG WarnRspr. 1915, Nr. 210. Nr. 5 = RG JW 1904, 356 Nr. 5.

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

nicht zum Ausdruck gelangte Wille der Beteiligung entscheide. Die Auslegung finde ihre Schranke in der Auslegungsfähigkeit der Erklärung; gar kein Raum sei für eine Auslegung, wenn die Erklärung klar und eindeutig sei. Da es sich bei der vorliegenden Stundungserklärung nicht um eine formbedürftige Willenserklärung handelte, wird hieran deutlich, daß der Grundsatz der Auslegungsunfähigkeit klarer, eindeutiger Willenserklärungen als ein allgemeiner, nicht auf formbedürftige Willenserklärungen beschränkter Auslegungsgrundsatz gebraucht wird. (Deshalb ist diese Entscheidung, obwohl kein formbedürftiges Rechtsgeschäft betroffen war, hier auch aufgenommen.) Hiermit werden also erneut die zweiten dogmatischen „Wurzeln" der Andeutungsformel und ihrer — nach RG-Rechtsprechung — unverzichtbare Vorfrage nach der Eindeutigkeit einer Willenserklärung sowie die Gründe für die Vermischung von Auslegung und Form deutlich erkennbar. 24) IV/28.4.1919/RG LZ 1919,1187 Problematisch war hier die Auslegungsfähigkeit des Begriffs „Nacherbe" in einem notariellen gemeinschaftlichen Testament, wobei jedoch die „Nacherben" nur auf dasjenige eingesetzt werden sollten, was beim Eintritt der „Nacherbfolge" übrig sein werde. Ohne weitere Begründung, lediglich mit dem Hinweis auf §§ 2280, 2269 wurde die Annahme, daß die Parteien nicht Nacherben, sondern Erben geworden seien, als rechtlich unbedenklich angesehen. Zwar zeigt dies eine noch weitere Handhabung der Andeutungsformel als in der Entscheidung vom 5.1.1911 3 3 , da es sich dort um ein privatschriftliches, hier aber um ein notarielles Testament handelte; eine Inkonsequenz ist jedoch in dieser gegenüber der Entscheidung vom 5.1.1911 34 erweiterten Handhabung nicht zu erblicken. Als widersprüchlich muß jedoch dieses Urteü gegenüber der Entscheidung vom 11.3.1909 35 angesehen werden, da sie ihr gegenüber auch mit der — die Urteile vom 5.1.1911 und vom 18.1.1915 36 rechtfertigenden - Begründung nicht bestehen kann, aufgrund der Verwendung durch einen juristischen Laien büße der Rechtsbegriff an Klarheit und Eindeutigkeit ein. Auch die Einsetzung auf das bei Eintritt der Nacherbschaft noch Vorhandene kann demgegenüber keine Rechtfertigung darstellen, da bei Verwendung des Rechtsbegriffs durch einen Notar darin konsequenterweise die Anordnung einer befreiten Vorerbschaft hätte gesehen werden müssen.

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Nr. Nr. Nr. Nr.

13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. 11 = RGZ 70, 391 ff. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27; Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223.

Α. Andeutungsformel

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25) IV/29.9.1919/RG SeuffArch 75, Nr. 37 Problematisch war hier, ob das Bedenken einer Seitenverwandten mit einem Vermächtnis auch die Ersatzberufung ihrer Abkömmlinge beinhaltete. Angenommen wurde hier, daß die Vorschrift des § 2160 ausgeschlossen sei, wenn ein Ersatzvermächtnisnehmer berufen sei. Dies sei durch Auslegung zu ermitteln, wobei mangels ausdrücklicher Erwähnung in § 2069 diese Auslegung nicht etwa habe ausgeschlossen, sondern, wie aus dem Kommissionsbericht zu § 2069 folge, die Feststellung eines dahingehenden Willens des Testators der richterlichen Auslegung habe anheimgestellt werden sollen. Diese Entscheidung stellt eine konsequente Fortführung der Urteile vom 3.4.1911 und vom 23.11.1916 37 dar. 26) II/30.9.1919/RGZ 96,286 ff. Problematisch war die Offenlegung bzw. die ausreichend deutliche Angabe eines Vertretungsverhältnisses, da in der Urkunde keine Angabe enthalten war, in welchem Verhältnis der Unterzeichner zu den Parteien stand. Es wurde dargelegt, daß die für die Vollständigkeit schriftlicher Verträge sprechende Vermutung deshalb nicht Platz greifen könne, weil der Vertreter die für die Beklagte bestimmte Urkunde nur mit seinem eigenen Namen unterschrieben habe, der Text der Urkunde über das Verhältnis dieses Vertreters zu den Parteien aber nicht die geringste Andeutung enthalte. Die Schriftform sei jedoch nur gewahrt, wenn aus der Urkunde das Vertretungsverhältnis irgendwie hervorgehe. Die Entscheidung stellt keinen Widerspruch zu dem Urteil vom 25.9.1912 38 dar, weil dort bereits aus der Fallkonstellation ersichtlich war, daß die Vertreterin gleichzeitig vertretungsberechtigte Mitgesellschafterin der einen vertragsschließenden Partei war; dies war bereits aus der Firma der Gesellschaft erkennbar. Vorliegend jedoch kam in der Urkunde nicht das Verhältnis des Vertreters zu den Parteien zum Ausdruck. Die Entscheidung stellt somit eine konsequente Anwendung der Andeutungsformal dar. 27) IV/22.4.1920/RGZ 99,82ff. Fraglich war, ob die Einsetzung einer Person, die kein Abkömmling des Erblassers war, die Grundlage für die Auslegung bezüglich einer Ersatzberufung derer Abkömmlinge beinhaltete. Ausgeführt wird, daß auch in anderen als den von § 2069 erfaßten Fällen ein, wenngleich unvollkommener Ausdruck gefunden werden könne für einen unter Berücksichtigung von außerurkundlichen Umständen festzustellenden, weiter-

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Nr. 14 = RG JW 1911, 544 f. Nr. 24; Nr. 20 = RG Gruchot 61, 324. Nr. 15 = RGZ 80,400 ff.

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

gehenden, auf die Ersatzberufung der Abkömmlinge jener Person gerichteten Willen. Die Entscheidung stellt eine konsequente Fortführung der Urteile vom 3.4. 1911, vom 23.11.1916 und vom 29.9.1919 39 dar. 28) IV/10.1.1921/RG SeuffArch 76, Nr. 145 Im ersten Testament waren der Nichte (Tochter der L) 10.000 RM zugewendet. Im zweiten Testament war erklärt, daß im ersten Testament der Frau L ein Vermächtnis von 10.000 RM zugewandt worden sei; dieses Testament solle jedoch dahingehend abgeändert werden, daß Frau L nur 3.000 RM erhalten solle. Die Revision machte geltend, daß die Bestimmungen des zweiten Testaments so zweifelsfrei seien, daß sie einer Auslegung gar nicht zugänglich seien. Wenn das zweite Testament für sich allein stünde, wurde hierzu ausgeführt, ließe sich allerdings wohl sagen, daß seine Bestimmungen derart zweifelsfrei seien, daß sie einer Auslegung weder fähig noch bedürftig seien. Das zweite. Testament büde aber nur mit dem ersten Testament zusammen den letzten Willen des Erblassers. In Bezug zum ersten Testament forderten die Bestimmungen des zweiten eine Auslegung geradezu heraus. Im zweiten Testament handele es sich lediglich um eine unrichtige Bezeichnung des im ersten Testament ausgesetzten Vermächtnisses. Eine unrichtige Bezeichnung sei aber, wie schon nach früherem Recht, so auch nach heutigem Recht trotz des für letztwillige Verfügungen bestehenden Formzwanges auch für sie unschädlich (Bezugnahme auf Mot. V., 40/41, Prot. V. 49 unter E), sofern nur die richtige Bezeichnung aus der Erklärung irgendwie, wenngleich bloß unvollkommen und unter Heranziehung außerurkundlicher Umstände herausgelesen werden könne. Eine Anfechtung sei nicht erforderlich, diese komme nur dann in Betracht, wenn die Erklärung, so wie sie auszulegen sei und ausgelegt werden könne, mit dem wahren Willen des Erblassers nicht übereinstimme. Dieses Urteü stellt eine sehr interessante, aufschlußreiche Entscheidung dar im Hinblick auf die Abgrenzung von Auslegungsfähigkeit, Anfechtung und, worauf später (unten, Abschnitt falsa demonstratio) noch zurückzukommen ist, der Anwendung der falsa demonstratio im Rahmen der letztwilligen Verfügungen. Ein Widerspruch zur „Eindeutigkeits"-Wendung liegt nicht vor, da der letzte Wille hier nicht nur aus dem zweiten, sondern notwendig aus beiden Testamenten erhellte und somit von einer Eindeutigkeit bei zwei derart widersprüchlichen Verfügungen nicht die Rede sein konnte, vielmehr durch Auslegung eine Harmonisierung beider Anordnungen erforderlich war.

39 Nr. 14 = RG JW 1911, 544 f. Nr. 24; Nr. 20 = RG Gruchot 61, 324; Nr. 25 = RG SeuffArch 75, Nr. 37.

Α. Andeutungsformel

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29) V/13.6.1925/RGJW 1925,2237f., Nr. 10 In dem Grundstückskaufvertrag war beurkundet worden, daß von dem verkauften Grundstück die Inventarstücke, „soweit sie sich der Verkäufer vorbehalten habe", ausgenommen seien. Es wurde dargelegt, daß die Urkunde ergeben müsse, welches die verkaufte Sache sei. In der Urkunde bestehe hier jedoch kein Anhalt für den Inhalt des Vorbehalts. Zwar seien außerurkundliche Umstände zur Auslegung heranzuziehen. Die Grenze dieser Auslegung sei jedoch, daß in der Urkunde der Wille überhaupt noch, wenn auch nur unvollkommen gefunden werden könne. Der Inhalt des Vorbehalts habe in der Urkunde jedoch keinen, auch keinen unvollkommenen Ausdruck mehr gefunden: Ein solcher sei hier vielmehr gar nicht versucht, die vorbehaltenen Inventarstücke sollten vielmehr im Gegenteil in der Urkunde eben nicht angegeben werden. Die Bezeichnung des Kaufgegenstandes dahin, daß die Sache verkauft sei, soweit sie eben verkauft sei, genüge für § 313 nicht. Dies sei auch dann nicht der Fall, wenn über den Inhalt des Vorbehalts privatschriftliche Aufzeichnungen errichtet worden seien. Fraglich ist bei dieser Entscheidung das Vorliegen eines Widerspruchs zu der Entscheidung vom 5.3.1904 4 0 . Sachlich betreffen zwar beide Entscheidungen § 313, durch die Entscheidung vom 5.3.1904 41 sollte jedoch eine Übereignungsverpflichtung an Dritte begründet werden durch eine Bezugnahme in der Urkunde auf nicht beurkundete Rechtsgeschäfte, vorliegend sollte durch den Vorbehalt der verkaufte Gegenstand selbst vermindert werden. Zwar waren in beiden Fällen die Bestimmbarkeit des Gegenstandes, einerseits der Übereignungsverpflichtung an Dritte, andererseits des konkreten Vertragsgegenstandes, problematisch. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß in DJZ 1904 die Ausbedingung, daß der Käufer die Parzellenkaufverträge erfülle, für den Verkäufer die einzige Möglichkeit war, vertragstreu zu bleiben, so daß sich dort die fehlende nähere Bestimmung der Parzellenverträge als unbewußte Nichtbeurkundung darstellt. Hingegen lag im vorliegenden Fall (ebenso wie in der Entscheidung vom 20.5.1915 42 eine bewußte Nichtbeurkundung und damit auch ein bewußtes Herausnehmen und ausdrückliches Verzichten auf eine „Andeutung" der wirklich gewollten Erklärung in der Urkunde vor. Eine widersprüchliche Anwendung der Andeutungsformel zeigt sich hier somit nicht, vielmehr die notwendige Folge der der Andeutungsformel zugrunde liegenden Wertung, daß die Parteien zur Einhaltung der Formvorschriftn angehalten werden sollen. 30) IV/28.2.1928/RG HRR 1928, Nr. 959 Zu dem bereits wiederholt zur Entscheidung gelangten Problem der Ersatzberufung von Abkömmlingen bei Einsetzung eines Nicht-Abkömmlings des Erb40 41 42

Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506, Nr. 44. Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506, Nr. 44. Nr. 19 = RG WarnRspr. 1915, Nr. 210.

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

lassers wurde ausgeführt, daß auch in anderen als den von § 2069 geregelten Fällen in der Erbeinsetzung einer Person, insbesondere eines nahen Angehörigen ein, wenngleich unvollkommener Ausdruck gefunden werden könne für einen, unter Berücksichtigung von Umständen außerhalb des Testaments festzustellenden, auf die Ersatzberufung der Abkömmlinge jener Person gerichteten Willen. Eine konsequente Anwendung der Andeutungsformel stellt diese Entscheidung gegenüber den Entscheidungen vom 3.4.1911, vom 23.11.1916, vom 29.9.1919 sowie vom 22.4.1920 43 dar. 31 ) VII/17.2.1930/RG HRR 1930, Nr. 971 Zu der hier erforderlichen Auslegung eines Bürgschaftsvertrages wurde ausgeführt, daß die Form nicht schon deshalb verfehlt sei, weü zur Feststellung des Sinns der Urkunde außer ihr liegende Umstände herangezogen werden müßten; andererseits müsse nach Erörterung und Zuhüfenahme dieser Umstände der sich schließlich ergebende Willensinhalt einen, wenn auch nur unvollkommenen Ausdruck gefunden haben. So müsse es genügen, wenn die Parteien nach den ihnen bekannten Beziehungen der Schuld die Person des Hauptschuldners entnehmen konnten, möge auch für die Betrachtung eines Unbeteiligten die Bezeichnung unklar bleiben. Ein Widerspruch zum Gebrauch der Andeutungsformel in der ständigen Rechtsprechung liegt hier nicht vor, sondern lediglich eine Absage an einen nur aus der Urkunde zu ermittelnden, objektiv feststehenden Erklärungsinhalt; vielmehr wird - wie auch in ständiger Rechtsprechung - die Auslegung der Willenserklärung bis eben zu der Grenze als zulässig erachtet, die durch die Andeutungsformel festgelegt wird. 32) IV/4.1.1932/RG HRR 1932, Nr. 1055 Fraglich war hier die Eindeutigkeit des Ausdrucks „Ersatzerbe" im notariellen Testament im Sinne der Anordnung einer Nacherbschaft. Unproblematisch wird hier vom RG der Ausdruck „Ersatzerbe" als auslegungsfähig hinsichtlich des Begriffs „Nacherbe" angesehen, da es, wie ausgeführt wird, nicht entscheidend auf die Auffassung des Notars von der Bedeutung des gebrauchten Ausdrucks ankomme, sondern die des Erblassers maßgebend sei. Zwar zeigt sich die Entscheidung konsequent gegenüber der in dem Urteü vom 28.4.1919 4 4 eingeschlagenen „großzügigen Linie", da auch dort in einem notariellen Testament die Auslegungsfähigkeit eines Rechtsbegriffs bejaht wurde. Als widersprüchlich stellt sich die Entscheidung jedoch gegenüber dem Urteü vom

43 Nr. 14 = RG JW 1911, 544 f., Nr. 24; Nr. 20 = RG Gruchot 61, 324; Nr. 25 = RG SeuffArch 75, Nr. 37; Nr. 27 = RGZ 99, 82 ff. 44 Nr. 24 = RG LZ 1919,1187.

Α. Andeutungsformel

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11.3.1909 45 dar, in dem die Auslegungsfähigkeit eines Rechtsbegriffs sogar in einem privatschriftlichen Testament verneint wurde, da hier dann konsequenterweise - bei Abfassung durch einen Notar und dessen vorgängiger Beratung des Erblassers - erst recht Eindeutigkeit hätte angenommen werden müssen. 33) VI/22.10.1934/RGZ 145,229 ff. Eine Angabe von Gläubiger und Hauptschuld war in der Bürgschaftsurkunde nicht enthalten. Es wurde ausgeführt, daß die gesetzliche Form verlange, daß die Bürgschaftserklärung die wesentlichen Teüe eines Bürgschaftsvertrages enthalte, wenn auch mindestens in unvollkommener Form, die sich mit Hüfe von außerurkundlichen Umständen im Wege der Auslegung ergänzen lasse. Die Schriftform sei hingegen nicht gewahrt, wenn sich nur durch außerurkundliche Umstände, Gläubiger und Hauptschuld ermitteln ließen. Die Schriftform solle dem Bürgen den Ernst des gewollten Geschäfts vor Augen führen. Dazu gehöre auch Klarheit über die Person des Gläubigers. Die Entscheidung stellt eine konsequente Fortführung der Entscheidungen vom 8.3.1904, vom 14.12.1905 und vom 3.5.1909 46 dar. Zudem werden hier erneut durch ein Eingehen auf den Zweck der Formvorschriften die „Wurzeln" der Andeutungsformel sichtbar. 35) IV/3.4.1939/RGZ 160,109ff. Fraglich war hier, ob der Ausdruck ,,Nacherbe" im notariellen Testament als eindeutige, keine Auslegung zulassende Bestimmung aufzufassen war. Angenommen wird hier, daß die Anordnung völlig eindeutig sei. Jede Auslegung finde darin ihre Grenze, daß sie an der vorliegenden Willenserklärung irgendeinen Anhalt finden müsse. Ein solcher Anhalt fehle dafür, daß die Beklagte unbeschränkte Vollerbin sein solle. Einem — wie hier — völlig unzweideutig ausgedrückten Wülen dürfe die Auslegung nicht zuwiderlaufen. Zwar war in der Entscheidung vom 5.1.1911 47 auch die Auslegungsfähigkeit des Ausdruckes „Nacherbe" fraglich, die dort konkludent bejaht wurde; eine dort gegenüber hier getroffene unterschiedliche Beurteüung ist jedoch in diesem Fall noch verständlich, da es sich in der Entscheidung vom 5.1.1911 48 um ein privatschriftliches Testament handelte. In den Entscheidungen vom 28.4.1919 und vom 4.1.1932 4 9 jedoch lag - ebenso wie hier - ein notarielles Testament

45 46 47 48 49

Nr. 11 = RGZ 70, 391 ff. Nr. 4 = RGZ 57, 261 ff.; Nr. 8 = RGZ 62,172 ff.; Nr. 12 = RGZ 71,115 ff. Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. Nr. 24 = RG LZ 1919,1187; Nr. 32 = RG HRR 1932, Nr. 1055.

3 Scherer

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

vor und dort wurden die Ausdrücke „Nacherbe" und „Ersatzerbe" als auslegungsfähig angesehen. Es besteht somit hier ein Widerspruch in der Anwendung der Andeutungsformel gegenüber den Entscheidungen vom 28.4.1919 und vom 4.1.1932 5 0 . Ergebnis der Rechtsprechung des Reichsgerichts Die „Entstehungsphase" der Andeutungsformel bis zur erstmaligen Verwendung der späteren „stehenden Fassung" (Entscheidung vom 27.10.1904) 51 war relativ kurz — sie umfaßte nur gut zwei Jahre. Schon sehr früh wurde dabei das Problem erfaßt als Problem im Rahmen der Auslegung der beurkundeten Willenserklärung (Entscheidung vom 12.12.1903) 52 . Einhergehend mit der Entwicklung der Andeutungsformel zeigt sich, daß eine Vermischung von Auslegung und Form stattfindet (Entscheidung vom 27.10.1904; vom 6.4.1905; vom 14.12.1905) 53 : Der ,Ausdruck", den der Wille in der Urkunde gefunden hat, bildet die Grenze für die Auslegung der Erklärung. Dies erklärt sich aus der einen dogmatischen „Wurzel" der Andeutungsformel: Die Bedingung, daß der Ausdruck des Gewollten in jeder - formbedürftigen oder formlosen - Erklärung zu finden sein müsse, um Geltung erlangen zu können 54 , zeigt, daß es sich um einen allgemeinen Auslegungsgrundsatz und eine allgemeine Auslegungsschranke handelt. Aus dieser „Herkunft" aus dem Problemkreis der Auslegung wird vom RG die aufgezeigte Vermischung von Auslegung und Form vollzogen. Nicht weniger bedeutsam ist die andere „Wurzel" der Andeutungsformel: Deutlich wird — vor allem aus der sehr ausführlichen Urteilsbegründung der Entscheidung vom 8.3.1904 55 - daß die Zwecke der gesetzlichen Formvorschriften erheblich zu der Herausbildung der Andeutungsformel als Lösungsweg für die Problematik formbedürftiger Willenserklärungen beigetragen haben. Bei Betrachtung der weiteren Entwicklung der Andeutungsformel ist diese Ableitung aus den Formzwecken als wesentlicher Gesichtspunkt eine notwendige Verständnisvoraussetzung. Ebenfalls recht früh setzt ein Gebrauch der Andeutungsformel bereits als „ständige Rechtsprechung" (Entscheidung vom 14.12.1905) 56 und damit einhergehend eine erhebliche Verfestigung und Konsolidierung ein. Gleichzeitig erfolgt jedoch gewissermaßen ein „Gegentrend": Durch die Betonung, daß die

50 51 52 53 54 55 56

Nr. 24 = RG LZ 1919,1187; Nr. 32 = RG HRR 1932, Nr. 1055. Nr. 6 = RGZ 59, 217 ff. Nr. 2 = RG SeuffArch 59 Nr. 53. Nr. 6 = RGZ 59, 217 ff.; Nr. 7 = RG JW 1905, 336 Nr. 3; Nr. 8 = RGZ 62,172 ff. Nr. 6 = RGZ 59,217 ff., 219. Nr. 4 = RGZ 57,258 ff. Nr. 8 = RGZ 62,172 ff.

Α. Andeutungsformel

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Grenzen, in denen noch eine ,Andeutung" vorhanden sei, nicht zu eng gezogen werden dürften, sowie durch die sich ausprägende sehr weite Fassung und großzügige Handhabung (Entscheidung vom 12.12.1907) 57 zeichnet das RG selbst eine in absehbarer Zeit nahezu unüberschaubare (und damit auch manchmal widersprüchliche) fallbezogene Rechtsprechung vor. Bereits in dieser frühen Entstehungszeit zeigt sich die Rechtsprechung jedoch konsequent im Hinblick auf lediglich mündliche Zusicherungen bei unzureichenden schriftlichen Erklärungen (Entcheidungen vom 19.3.1902; vom 8.3.1904; vom 29.4.1904 und vom 14.12.1905) 58 . Einen weiteren „Baustein" für die später gebräuchliche Anwendung der Andeutungsformel — sowie für die weiter fortschreitende Vermischung von Auslegung und Form — ergibt das Auftauchen der „Eindeutigkeits"-Wendung (Entscheidung vom 11.3.1909) 59 , da die Feststellung von Auslegungsfähigkeit oder -Unfähigkeit eine notwendige, mit der Andeutungsformel untrennbar verbundene Vorfrage darstellt. Sehr häufig zeigt sich — wie auch in späteren Entscheidungen (vom 17.3.1913, vom 10.1.1921 und vom 9.4.1981) 60 sichtbar wird, die Frage nach „Eindeutigkeit" und damit Auslegungsfähigkeit als die „Nahtstelle" zwischen Andeutungsformel, Anfechtung und Anwendung der falsa demonstratioFormel. Zusammenfassend läßt sich also in diesem frühen Zeitabschnitt die recht rasche Entstehung der Andeutungsformel erkennen, wobei sie aus den Formzwecken und aus allgemeinen Auslegungsregeln entwickelt wird; bereits zu Anfang werden Form und Auslegung miteinander vermischt, wofür auch das Auftauchen der „Eindeutigkeits"-Wendung Zeugnis gibt. Eine fortschreitende Konsolidierung und intensive Ausarbeitung der Andeutungsformel wird sichtbar, einhergehend mit den Anfängen einer sehr weiten, später auch zwangsläufig in einigen Fällen widersprüchlichen Kasuistik. Mit fortschreitender Anwendung der Andeutungsformel wird eine häufig recht großzügige, allerdings im Hinblick auf spätere, ähnlich gelagerte Entscheidungen konsequente Handhabung der Andeutungsformel erkennbar. So wird sehr großzügig, jedoch konsequent verfahren im Hinblick auf den Ausdruck „Nacherbe" sowohl im privatschriftlichen (Entscheidung vom 5.1.1911) 61 als auch im notariellen Testament (Entscheidung vom 28.4.1919) 62 , im Hinblick auf die Frage, ob die Erbeinsetzung einer Person, die kein Abkömmling des Erb57

Nr. 10 = RGZ 67, 204 ff. Nr. 1 = RGZ 51, llOff.; Nr. 4 = RGZ 57, 258ff.; Nr. 5 = RG JW 1904, 356 Nr. 5; Nr. 8 = RGZ 62,172 ff. 59 Nr. 11 = RGZ 70, 39 Iff. 60 Nr. 16 = RGZ 82, 70ff.; Nr. 28 = RG SeuffArch 76, Nr. 145; Nr. 46 = BGHZ 80, 246 ff. 61 Nr. 13 = RG JW 1911,220 Nr. 27. " Nr. 24 = RG LZ 1919,1187. 58

3*

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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lassers ist, zugleich eine Andeutung für den Willen des Erblassers zu einer Ersatzberufung der Abkömmlinge des Bedachten darstellt (Entscheidung vom 3.4. 1911, vom 23.11.1916, vom 29.9.1919, vom 22.4.1920 und vom 28.2.1928) 6 3 , im Hinblick auf den Sonderfall des Einverständnisses der Parteien über den Sinn einer Willenserklärung abweichend vom allgemeinen Verständnis (Entscheidungen vom 10.5.1904 und vom 18.6.1917) 64 sowie im Hinblick auf die Heranziehung außerurkundlicher Erklärungen beim Testament (Entscheidung vom 14.12.1916) 65 im Vergleich zum Grundstückskaufvertrag (Entscheidung vom 5.3.1904) 6 6 ; ebenso wird konsequent verfahren hinsichtlich der Beurteilung der „Andeutung" der wesentlichen Teile des Bürgschaftsvertrages in der entsprechenden Urkunde (Entscheidungen vom 8.3.1904, vom 14.12.1905, vom 3.5. 1909 und vom 22.10.1934) 67 . Zwar bringt es die sehr weite Fassung und großzügige Handhabung der Andeutungsformel zwangsläufig mit sich, daß - auf den ersten Blick - nahezu gleichgelagerte, und damit - auf den ersten Blick - auch gleich zu beurteilende Fälle unter Anwendung der Andeutungsformel eine sehr unterschiedliche Beurteilung erfahren; so die Frage der Ersatzberufung der Abkömmlinge einerseits (Entscheidungen vom 3.4.1911, vom 23.11.1916, vom 29.9.1919, vom 22.4.1920 und vom 28.2.1928) 68 und die Frage der Enterbung auch der Abkömmlinge andererseits (Entscheidung vom 5.3.1913) 6 9 , die Frage der Offenlegung eines Vertretungsverhältnisses einerseits in der Entscheidung vom 25.9.1912 70 andererseits in der Entscheidung vom 30.9.1919 7 1 , die Frage der Heranziehung außerurkundlicher Erklärungen einerseits in den Entscheidungen vom 20..5.1915 und vom 13.6.1925 72 andererseits in den Entscheidungen vom 5.3.1904 und vom 14.12. 1916 7 3 . Bei genauer Betrachtung wird jedoch ersichtlich, daß den unterschiedlichen Beurteilungen auch jeweils in mindestens einem erheblichen Punkt abweichende Fallkonstellationen zugrunde lagen, so daß die - auf den ersten Blick vermeintlichen Widersprüche bei genauer Überprüfung als nicht bestehend angesehen werden müssen. Hierbei kommt in vielen Entscheidungen durch die Sank63

Nr. 14 = RG JW 1911, 544 f. Nr. 24; Nr. 20 = RG Gruchot 61, 324; Nr. 25 = RG SeuffArch 75, Nr. 37; Nr. 27 = RGZ 99, 82 ff.; Nr. 30 = RG HRR 1928, Nr. 959. 64 Nr. 5 = RG JW 1904, 356 Nr. 5; Nr. 22 = RGZ 90, 368 ff. 65 Nr. 21 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 59. 66 Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506 Nr. 44. 67 Nr. 4 = RGZ 57, 258 ff.; Nr. 8 = RGZ 62,172 ff.; Nr. 12 = RGZ 71,113 ff.; Nr. 33 = RGZ 145,229 ff. 68 Nr. 14 = RG JW 1911, 544 f., Nr. 24 Nr. 20 = RG Gruchot 61, 324; Nr. 25 = RG SeuffArch 75, Nr. 37; Nr. 27 = RGZ 99, 82 ff.; Nr. 30 = RG HRR 1928, Nr. 959. 69 Nr. 17 = RG JW 1913, 869 f., Nr. 14. 70 Nr. 15 = RGZ 80,400 ff. 71 Nr. 26 = RGZ 96,2£6 ff. 72 Nr. 19 = RG WarnRspr. 1915, Nr. 210; Nr. 29 = RG JW 1925, 2237 f. Nr. 10. 73 Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506 Nr. 44; Nr. 21 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 59.

Α. Andeutungsformel

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tionierung bewußter Aussparungen aus den Urkunden auch die der Andeutungsformel zugrunde liegende Wertung entscheidend zum Tragen, daß die Parteien zur Einhaltung der Formvorschriften angehalten werden sollen. Als widersprüchlich erweist sich die Entscheidung vom 28.4.1919 74 bezüglich der Verwendung von Rechtsbegriffen gegenüber der Entscheidung vom 11.3. 1909 7 5 , das erstere Entscheidung auch nicht mit den in den Urteüen vom 5.1. 1911 und vom 18.1.1915 76 gegebenen Begründungen gegenüber den letzteren zu rechtfertigen ist, sowie die Entscheidung vom 3.4.1939 77 zwar nicht gegenüber der Entscheidung vom 5.1.1911 7 8 , da als Grund für die dort vorgenommene großzügige Handhabung die privatschriftliche Abfassung der Urkunde angesehen werden konnte, jedoch gegenüber den Entscheidungen vom 28.4.1919 und vom 4.1.1932 7 9 da hier wie dort eine notarielle Urkunde vorlag. Zwar traf im ersten Fall bei allen vier Urteüen der IV. Senat die Entscheidungen, im zweiten Fall entschied ebenfalls in allen drei Urteüen der IV. Senat; zu berücksichtigen ist jedoch, daß mehrere Jahre, im ersten Fall sogar gut zehn Jahre zwischen den widersprüchlichen Entscheidungen liegen und in solch einer doch recht erheblichen Zeitspanne und der nahezu unüberschaubaren Anzahl von Sachverhalten, die zur Entscheidung anstehen und in denen, wie gezeigt, durchweg konsequent verfahren wurde, diese beiden — doch in der bis dahin 40 Jahre dauernden Rechtsprechung bezüglich der Andeutungsformel — widersprüchlichen Entscheidungen als „Panne" betrachtet werden können, die in allen Gebieten der Rechtsprechung nahezu zwangsläufig einmal vorkommen. II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (1951 — 1986) 36) IV/23.4.1951/BGH LM Nr. 1 zu § 2100 Fraglich war hier die Auslegungsfähigkeit des Ausdrucks „Ersatzerbe" im notariellen Testament bezüglich der Bedeutung „Nacherbe", die hier vom BGH bejaht wurde, da nicht allein die Ansicht des Notars relevant sei, sondern die des Erblassers. Konsequent ist dieses Urteü im Hinblick auf die Entscheidung vom 28.4. 1919 und vom 4.1.1932 1 ; als widersprüchlich stellt es sich jedoch dar, gegenüber der Entscheidung vom 11.3.1909 2 , wo die Auslegungsfähigkeit eines Rechtsbe-

74

Nr. 24 = RG LZ 1919,1187. Nr. 11 = RGZ 70, 391 ff. 76 Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27; Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223. 77 Nr. 35 = RGZ 160,109 ff. 78 Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. 79 Nr. 24 = RG LZ 1919,1187; Nr. 32 = RG HRR 1932, Nr. 1055. 1 Nr. 24 = RG LZ 1919,1187; Nr. 32 = RG HRR 1932, Nr. 1055. 2 Nr. 11 = RGZ 70, 391 ff. 75

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

griffs in einem privatschriftlichen Testament, und gegenüber den Entscheidungen vom 12.5.1936 und vom 3.4.1939 3 , wo die Auslegungsfähigkeit eines Rechtsbegriffs in notariellen Urkunden verneint wurde. 37) IV/26.4.1951/BGH NJW 1951,959 f. Bei der hier erforderlichen Testamentauslegung war die Auslegungsfähigkeit eindeutiger Willenserklärungen fraglich. Es wurde dargelegt, daß auch außerurkundliche Umstände zu beachten seien. Die letztwillige Verfügung könne aber nach außerurkundlichen Umständen nur ausgelegt werden, wenn der Wortlaut Zweifel an dem Inhalt der Verfügung aufkommen lasse. Denn auch die Auslegung dürfe nicht dem völlig unzweideutig ausgedrückten Willen geradezu zuwiderlaufen. An dieser ersten vom BGH zu dem Problemkreis getroffenen Entscheidung wird deutlich, daß der BGH die vom RG entwickelte Andeutungsformel 4 und die „Eindeutigkeits"-Wendung5 als ständige Rechtsprechung weiterführt. 38) IV/22.2.1956/BGH LM Nr. 7 zu §§ 2084,133 Problematisch war bei der hier vorgenommenen Testamentsauslegung die „Eindeutigkeit" und damit die Auslegungsfähigkeit des Ausdrucks „Gesamtvermögen". Es sei anerkannt, wurde hierzu ausgeführt, daß einer in einem Testament enthaltenen, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch völlig klaren und unzweideutigen Erklärung durch Auslegung kein anderer Sinn beigelegt werden dürfe. Der Ausdruck „Gesamtvermögen" bedeute daher die Einbeziehung aller Vermögenswerte, auch die des „good will" eines Unternehmens, nicht lediglich das „tote" Vermögen. Die in der Entscheidung vom 3.4.1939 6 (auch IV. Senat) eingeschlagene „strenge" Linie in der Anwendung der „Eindeutigkeits"-Wendung wird hier fortgesetzt. Eine andere Beurteilung der „Eindeutigkeit" des Ausdrucks „Gesamtvermögen" wäre sicherlich möglich gewesen. Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, ob es sich um ein notarielles Testament handelt, daher ist anzunehmen, daß es sich um ein privatschriftliches Testament handelt, da das Gericht sein Urteil über die „Eindeutigkeit" begründet mit „dem allgemeinen und dem 3

Nr. 34 = RG JW 1936, 2287 Nr. 2; Nr. 35 = RGZ 160,109 ff. Verwendet wird die Andeutungsformel auch in den unproblematischen Entscheidungen vom 8.1.1958 = BGHZ 26, 204 ff.; 12.2.1958 = BGH LM Nr. 6 zu § 157 (C); 14.1.1965 = BGH LM Nr. 10 zu § 2078; 8.11.1968 = BGH LM Nr. 35 zu § 313; 19.1.1972 = BGH WM 1972, 313 ff.; 20.12.1974 = BGHZ 63, 359 ff. 5 Verwendet wird die „Eindeutigkeits "-Wendung auch in den unproblematischen Entscheidungen vom 12.2.1958 = BGH LM Nr. 6 zu § 157 (C); 10.2.1960 = BGHZ 32,60ff.; 14.4.1965 = BGH LM Nr. 10 zu § 2078. 6 Nr. 35 = RGZ 160,109 ff. 4

Α. Andeutungsformel

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Sprachgebrauch der Kreise, der der Erblasser angehörte". Die Entscheidung könnte somit einen Widerspruch zu der Entscheidung vom 5.1.1911 7 und der Entscheidung vom 18.1.1915 8 darstellen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß bei der Verwendung der Ausdrücke „Nacherbe" und „4. Ordnung" im privatschriftlichen Testament noch eher als bei Verwendung des Ausdrucks „Gesamtvermögen", noch dazu, wenn es von einem Industriellen gebraucht wurde, angnommen werden kann, daß dem Verfügenden nicht die exakte juristische Bedeutung bekannt und etwas ganz anderes damit bezeichnet werden sollte und deshalb der Begriff auch noch erne „Spur der Andeutung" des Gewollten in sich trägt. Es ist jedoch zuzugeben, daß diese Entscheidung keine notwendige Konsequenz zu den Entscheidungen vom 5.1.1911 und vom 18.1.1915 9 darstellt, es sich hier vielmehr um einen Grenzfall handelt. Ein Widerspruch liegt jedoch gegenüber den Entscheidungen vom 28.4.1919, vom 1.4.1932 und vom 23.4. 1951 10 vor, da in dem Fall der Verneinung der „Eindeutigkeit" bei Gebrauch eines Rechtsbegriffs durch einen Notar bei konsequenter Fortführung dieser weiten Handhabung auch hier - bei Gebrauch durch einen Laien - eine „Eindeutigkeit" nicht hätte angenommen werden dürfen. 39) VII/27.5.1957/BGHWM 1957,1222 Einer der beiden Gesellschafter der GmbH hatte eine Bürgschaftserklärung abgegeben für die „J.D. Möbelfabrik in K.:"; nicht aber ausdrücklich auch für die „Möbelfabrik-GmbH". Unter dieser Firma hatte J.D. auch später noch eine Einzelfirma neben der GmbH unterhalten. Der BGH sah diese Bürgschaftserklärung nicht als eindeutig an; vielmehr sei hier Auslegungsfähigkeit für eine Bürgschaftserklärung für die GmbH gegeben, da Handelsgesellschaften nicht immer vollständig genannt würden, und hier J.D für die Einzelfirma sowieso persönlich hafte. Problematisch ist diese Entscheidung gegenüber dem Urteü vom 17.3.1913 11 , da dort eine konkrete Bezeichnung des Hauptschuldners als eindeutig angesehen wurde. So kann, da es bei der vorliegenden Fallkonstellation wenig sinnvoll gewesen wäre, den persönlich Haftenden auch noch als Bürgen zu erhalten, und zudem tatsächlich davon ausgegangen werden kann, daß Handelsgesellschaften nicht immer vollständig bezeichnet werden, angenommen werden, daß es sich vorliegend - wenn auch nicht um einen eindeutigen Widerspruch - so aber doch um einen Grenzfall handelt.

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Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27. Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223. 9 Nr. 13 = RG JW 1911,220, Nr. 27; Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223. 10 Nr. 24 = RG LZ 1919, 1187; Nr. 32 = RG HRR 1932, Nr. 1055; Nr. 36 = BGH LM Nr. 1 zu § 2100. 11 Nr. 16 = RGZ 82, 70 ff. 8

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

40

40) VII/28.11.1957/BGHZ 26,142 ff. Die ursprüngliche Bürgschaft für GmbH-Schulden sollte auf neue Schulden gegenüber der Rechtsnachfolgerin der Gläubigerin erweitert werden..'Auf ein diesbezügliches Schreiben antwortete der Bürge jedoch nur: „Betrifft: Meine Bürgschaft für Verpflichtungen der GmbH. Bestätige Empfang des Schreibens und erkläre mich einverstanden." Der BGH sah hierin keine Andeutung für die notwendigen Angaben einer Bürgschaftserklärung. Diese Entscheidung ist zwar konsequent gegenüber den Entscheidungen vom 8.3.1904, vom 12.2.1906 und vom 17.3.1913 12 , da sie ebenso wie diesè strenge Anforderungen an die „Andeutung" der wesentlichen Bestandteile der Bürgschaftserklärung stellt. Inkonsequent ist sie jedoch gegenüber der Entscheidung vom 27.5.1957 1 3 , da dort die Anforderungen an die Andeutung ohne ersichtlichen Grund wesentlich großzügiger gehandhabt wurden. 41)

VI/8.5.1962/BGH WM 1962,906 ff. Fraglich war hier die Wirksamkeit einer Bürgschaft, die in dem Formular eines Anstellungsvertrages für Schulden des Angestellten gegenüber dem Geschäftsherrn übernommen worden war. Dargelegt wird hier, daß es deutlich zum Ausdruck gekommen sei, daß die Bürgschaft vom Abschluß des Anstellungsvertrages abhängig gemacht worden sei. Es sei hier somit eindeutig, daß ohne den Abschluß des Anstellungsvertrages auch keine Bürgschaftsverpflichtung entstehen sollte. Diese Entscheidung zeigt sich konsequent gegenüber den Urteilen vom 17.3. 1913 und vom 28.11.1957 14 , da sie die dort verlangten strengen Anforderungen an die „Andeutung" der wesentlichen Merkmale eines Bürgschaftsvertrages auch verlangt. Als inkonsequent stellt sie sich jedoch gegenüber der Entscheidung vom 27.5.1957 15 dar, da die dort vertretene großzügige Handhabung der Andeutungsformel sich nicht mit abweichenden Sachverhaltskonstellationen rechtfertigen läßt.

42) III/25.10.1965/BGH NJW 1966,201 f. Auf einer mit Schreibmaschine geschriebener Testamentsabschrift war ein Widerruf bzw. eine Einschränkung durch handschriftliche, mit Ortsangabe und Datum versehene, eigenhändig geschriebene und unterschriebene Zusätze erfolgt, die jedoch erst in Verbindung mit der maschinengeschriebenen Testamentsabschrift einen voll verständlichen Sinn erhielten.

12 13 14 15

Nr. 4 = RGZ 57, 258 ff.; Nr. 9 = RGZ 62, 379 ff.; Nr. 16 = RGZ 82, 70 ff. Nr. 39 = BGH WM 1957,1222. Nr. 16 = RGZ 82, 70 ff.; Nr. 40 = BGHZ 26,142 ff. Nr. 39 = BGH WM 1957,1222.

Α. Andeutungsformel

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Es wurde dargelegt, daß der Wille des Erblassers durch Auslegung ergänzt und klargestellt werden könne; so könnten auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände und Vorgänge zu verwerten sein, wenn nur die Testamentserklärung einen Anhalt auf die außerhalb des Testaments liegenden Umstände und Vorgänge gebe. Eine Auslegung scheide nur dann aus, wenn die Erklärung eindeutig sei. Der vorliegende Widerruf stelle keinen Widerspruch zu der Forderung dar, daß ein bewußtes, vollständiges Verweisen auf außerurkundliche Erklärungen nicht zur Formwahrung ausreiche, da zum einen in einer ebenfalls auf der Testamentsabschrift vorgenommenen anderen Abänderung die Testamentsformen vollständig eingehalten und die Abänderung selbst in sich vollständig und aus sich selbst verständlich sei. Daß die fragliche zweite Abänderung nicht ebenso vollständig wie die erste sei, sei darauf zurückzuführen, daß der Erblasser davon ausgegangen sei, seme Abänderungsabsicht werde schon durch den ersten Abänderungsvermerk zum Ausdruck gebracht. Zudem werde hier klar, daß in der Verfügung auf bestimmte Vermögensposten Bezug genommen werde. : Vorliegend kommt klar die bewußte Beachtung der Formvorschriften, die bewußte Andeutung des vollständigen Abänderungswülens zum Ausdruck. Ein Widerspruch zu den Entscheidungen vom 20.5.1915 und vom 13.6.1925 16 liegt deshalb nicht vor, da dort bewußt auf eine Andeutung des Wülens in der Urkunde durch vollständige Verweisung auf eine außerurkundliche Erklärung verzichtet wurde; vielmehr liegt eine Übereinstimmung mit der Entscheidung vom 14.12.1916 17 vor. 43) III/4.12.1969/BGHWM 1970,221 f. Fraglich war hier, ob die Wendung „alleinige" Erbin bei anschließender Bestimmung weiterer Erben nach dem Tod der „alleinigen Erbin" eine „Andeutung" für die Anordnung einer befreiten Vorerbschaft enthalte, was schließlich verneint wurde. Ausgeführt wurde hierzu, daß der entsprechende Wille im Testament selbst irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen sein müsse. Treffe das zu, dann könnten auch außerhalb des Testaments liegende Umstände zu dessen Auslegung herangezogen werden. Die Tatsache, daß der Erblasser seine Ehefrau zur „alleinigen Erbin" eingesetzt habe, reiche für sich allein nicht aus. Den Gegensatz zum Alleinerben büde nämlich der Miterbe, nicht der Nacherbe. Bei Anordnung von Nacherbfolge lasse sich deshalb aus der Einsetzung des Vorerben als Alleinerben noch kein Hinweis für eine befreite Vorerbschaft entnehmen. In dieser Entscheidung, die eine weitere Verästelung der kasuistischen Rechtsprechung in diesem Problembereich darstellt, könnte eine widersprüchliche An16 17

Nr. 19 = WarnRspr. 1915, Nr. 210; Nr. 29 = RG JW 1925,2237 f., Nr. 10. Nr. 21 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 59.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

42

wendung der Andeutungsformel gegenüber den Entscheidungen vom 5.1.1911, vom 18.1.1915 und vom 28.4.1919 18 liegen. Bei einem Vergleich der vier Entscheidungen ist jedoch zu berücksichtigen, daß bei den oben zitierten Entscheidungen die Frage der „Eindeutigkeit", also der generellen Auslegungsfähigkeit im Vordergrund stand, was hier jedoch nicht der Fall war. Zuzugeben ist jedoch, daß, sofern die Ausdrücke „Nacherbe" und „4. Ordnung" als „Andeutung" für die Einsetzung als Erbe, nicht als Vorerbe (vor allem die Entscheidung vom 28.4.1919) 19 und als ^.Verwandschaftsgrad" (Entscheidung vom 18.1. 1915) 20 angesehen wurden, auch in dem Ausdruck „alleinige Erbin" eine ,Andeutung" für eine befreite Vorerbschaft hätte gesehen werden können. Zwar ist diese Auslegung - auch aufgrund fehlender weiterer Anhaltspunkte im Testament — nicht zwingend, da vor alem in der Entscheidung vom 28.4.1911 21 noch weitere Hinweise auf eine Einsetzung als Erben, nicht als Vorerben aus dem Testament hervorgingen; jedoch kann hier durchaus von einem Grenzfall zum eindeutigen Widerspruch gesprochen werden. 44) rVa/29.5.1980/BGM LM Nr. 6, zu § 2247 Hier war zur Bestimmung einer Verfügung auf ein später formunwirksam gewordenes Testament Bezug genommen worden. Ausgeführt wurde hier, daß der zugewendete Gegenstand nicht lediglich durch Bezugnahme auf eine andere, der Testamentsform nicht entsprechende Urkunde, bestimmt werden könne. Hier sei jedoch zum Ausdruck gebracht worden, daß der Erblasser an ganz bestimmte Vermögensvorteüe dachte, die bestehen bleiben sollten. Um welche Gegenstände es sich dabei handele, bleibe aber, solange nur das Testament vom 10.8.1965 betrachtet werden, freüich unklar. Ein Rückgriff zur Klarstellung auf das vom Erblasser sogar ausdrücklich in Bezug genommene notarielle Testament vom 28.1.1965 sei deshalb gem. §§ 133, 2084 sogar geboten gewesen; der Wüle des Erblassers hätte nämlich in dem Testament vom 10.8.1965 wenn auch unvollkommen seinen Ausdruck gefunden. Die Entscheidung stellt eine konsequente Fortführung der Entscheidungen vom 14.12.1916 und vom 25.10.1965 22 dar. Zunehmend kommt hier zum Ausdruck, daß es von der Rechtsprechung honoriert wird, wenn die Verfügenden um die Einhaltung der Form bemüht sind, dagegen die Sanktion für die bewußte Nicht-Einhaltung der Form, den bewußten Verzicht auf jede ,»Andeutung" in der Urkunde, und damit auch die Formunwirksamkeit darstellt (vgl. die Entscheidungen vom 20.5.1915 und vom 13.6.1925 23 ). 18

Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27; Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223; Nr. 24 = RG LZ 1919,1187. 19 Nr. 24 = RG LZ 1919,1187. 20 Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223. 21 Nr. 24 = RG LZ 1919,1187. 22 Nr. 21 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 59; Nr. 42 = BGH NJW 1966, 201 f.

Α. Andeutungsformel

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45) IVa/9.4.1981/BGHZ 80,242ff. Im gemeinschaftlichen Testament war eine Verfügung, obwohl sie gewollt war, versehentlich nicht aufgenommen worden. Fraglich war nun, ob das Testament trotz vollständigen Fehlens dieser Verfügung dennoch in diesem Sinne auszulegen sei. Zunächst wird hier intensiv auf die der gesetzlichen Formvorschrift zugrunde liegenden Zwecke eingegangen: Diese seien zum einen, dem Erblasser sich selbst Klarheit darüber verschaffen zu lassen, welchen Inhalt seine Verfügung haben solle. Zum anderen werde dadurch eine erhöhte Sicherheit vor Fälschungen hergestellt sowie eine exakte Abgrenzung der letztwilligen Verfügungen von Entwürfen ermöglicht. Auch solle dazu beigetragen werden, verantwortliches Testieren zu fördern und Streitigkeiten über Testamentsinhalte hintanzuhalten. Eine Erbeinsetzung, die nicht einmal angedeutet sei, könne somit den aufgeführten Formzwecken nicht gerecht werden. Sehr klar kommen hier in der intensiven Erörterung der Formzwecke wiederum die „Wurzeln" der Andeutungsformel — mehr als 80 Jahre nach deren Entwicklung — zum Ausdruck. Exemplarisch zeigt sich hieran, daß auch nach acht Dekaden ständiger Rechtsprechung zur Andeutungsformel die Formzwecke bei der Anwendung dieser Lösungsformel eine — wenn nicht die — beherrschende Rolle spielen. 46) IVa/9.4.1981 /BGHZ 80,246 ff. In einem notariellen Testament war die Einsetzung der „gesetzlichen Erben" in Unkenntnis des Notars über die Existenz der nichtehelichen Tochter des Erblassers verfügt worden. Der Erblasser wollte aber nur seine Mutter bedenken. Zunächst wird die weitere Anwendbarkeit der „Eindeutigkeits"-Wendung in Zweifel gezogen; jedoch geschieht dies nur als „obiter dictum", da dieses Problem keiner Entscheidung bedurfte. Der Wille des Erblassers sei hier nicht auch nur andeutungsweise zum Ausdruck gekommen. Der Senat halte nämlich, trotz Kritik an der Anwendbarkeit der Andeutungsformel, an dieser fest. Die Diskussion in der Literatur dazu habe gezeigt, daß den vom Gesetz verfolgten Zwecken der verschiedenen Formvorschriften bei der Beantwortung der Frage nach der Formgültigkeit von Willenserklärungen besondere Bedeutung zukomme. (Anschließend folgt eine Erörterung der falsa demonstratio, siehe unten, Abschnitt falsa demonstratio.) Konsequent ist die Entscheidung im Ergebnis gegenüber der Entscheidung vom 11.3.1909 24 , wenn auch hier nicht als Begründung die „Eindeutigkeits"Wendung, von der eine Loslösung sichtbar wird, sondern nur noch die Andeu-

23 24

Nr. 19 = RG WarnRspr. 1915, Nr. 210; Nr. 29 = RG JW 1925, 2237 f., Nr. 10. Nr. 11 = RGZ 70, 391 ff.

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

tungsformel verwendet wird. Sehr deutlich wird hier, wie bereits in der ersten Entscheidung vom 9.4.1981 2 5 , daß die Formzwecke die „Wurzeln" der Andeutungsformel und der „Schlüssel" zur Lösung sehr vieler diesbezüglich aufgeworfener Fragen sind (siehe später, Abschnitt falsa demonstratio und 2. Teü). 47) IVa/8.12.1982/BGHZ 86,41 ff. Der Kläger war zum Erben des D-Hofes und L. zum Erben des Α-Hofes eingesetzt worden, die Beklagten zu Erben des sonstigen Vermögens. Der Kläger war mit 25.000 DM zugunsten der Beklagten beschwert. Ein Teü des D-Hofes wurde veräußert für 3,1 Mio. DM. Davon wurde für 1,75 Mio. DM das Gut K. erworben. Fraglich war nun, ob das Testament dahin auszulegen sei, daß auch die an Stelle des veräußerten Teüs des D-Hofes getretenen Vermögenswerte dem Kläger zumindest als Vermächtnis zustehen sollten. Gerade weü es um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers gehe, so wird dargelegt, und weü dieser auch in den seltenen Fällen „klaren und eindeutigen" Wortlauts den Vorrang vor eben diesem Wortlaut habe, könne der Auslegung durch den Wortlaut keine Grenze gesetzt werden. Hinzu komme, daß eine Auslegungsmethode, die eine formgebundene Erklärung unter Berufung auf die Formbedürftigkeit ohne Berücksichtigung der Umstände, die in der Urkunde keinen Niederschlag gefunden haben, ausdeuten wolle, die Frage nach der Formgültigkeit der Erklärung unzulässigerweise bereits im Vorfeld der Ermittlung ihres Inhalts abschneiden würde. Vielmehr stelle sich die Formfrage umgekehrt erst dann, wenn der Inhalt der Erklärung durch Auslegung ermittelt sei. Erst dann könne entschieden werden, ob der so ermittelte Wüle eine hinreichende Stütze im Testament selbst finde, was allerdings erforderlich sei, damit er formgültig erklärt sei. Nach Jahrzehnte währender Anwendung der ,JEindeutigkeits"-Wendung zeigt sich hier das Abgehen von dieser. Ebenso erfolgt die Abkehr von der seit Beginn der Rechtsprechung zur Andeutungsformel vollzogenen Vermischung von Auslegung und Form, die jetzt in zwei voneinander getrennten Schritten beurteüt werden. Trotz allem jedoch wird an der Andeutungsformel festgehalten, die jetzt ausschließlich zur Ermittlung der Formwahrung herangezogen wird. Zudem zeigt die Entscheidung eine sehr großzügige Handhabung der Andeutungsformel, da hier eine Auslegung dahingehend, daß der Kläger auch das Gut K. und den restlichen Veräußerungserlös zu beanspruchen habe, für möglich angesehen wird. Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Wiederum zeigt sich in diesen dreieinhalb Dekaden die Anwendung der Andeutungsformel als ständige Rechtsprechung, die nun vom BGH weitergeführt 25

Nr. 45 = BGHZ 80,242 ff.

Α. Andeutungsformel

45

wird (Entscheidungen vom 26.4.1951, vom 22.2.1956 und vom 4.12.1969) 2 6 . Dabei wird zum einen deutlich, daß die Rechtsprechung in den meisten Fällen konsequent ihre bisherige Entscheidungspraxis fortführt, so im Hinblick auf die Bezugnahme einer Verfügung auf außerurkundliche Erklärungen (Entscheidungen vom 25.10.1965 und vom 29.5.1980) 27 zu der Entscheidung vom 14.12. 1916 28 sowie im Hinblick auf die in der Entscheidung vom 3.4.1939 2 9 eingeschlagene „strenge Linie" in der Frage der Auslegungsfähigkeit bei klarem und eindeutigem Wortlaut, die in der Entscheidung vom 22.2.1956 30 fortgesetzt wird. Auch werden in diesem Zeitabschnitt — abgesehen von den „Grenzfällen" der Entscheidung vom 22.2.1956 31 zu den Entscheidungen vom 5.1.1911 und vom 18.1.1915 32 , der Entscheidung vom 4.12.1969 33 vor allem zu den Entscheidungen vom 18.1.1915 und 28.4.1919 34 und der Entscheidung vom 27.5. 1957 35 zu der Entscheidung vom 17.3.1913 36 - lediglich zwei Widersprüche sichtbar: Die Verneinung der Auslegungsunfähigkeit in den Entscheidungen vom 28.4.1919, vom 1.4.1932 und vom 23.4.1951 37 und die Bejahung derselben in der Entscheidung vom 22.2.1956 38 ist auch mit der gegenüber den Entscheidungen vom 5.1.1911 und vom 18.1.1915 39 denkbaren Erklärungen nicht haltbar. Inkonsequent sind auch die Entscheidungen vom 28.11.1957 und vom 8.5. 1962 40 gegenüber der Entscheidung vom 27.5.1957 4 1 . Bei der ansonsten konsequenten Handhabung der Andeutungsformel kommt insbesondere das Bestreben der Rechtsprechung zunehmend zum Ausdruck, es zu honorieren, wenn der Verfügende um die Einhaltung der Form bemüht war (Entscheidungen vom 29.5.1980, vom 25.10.1965 und vom 14.12.1916) 42 ,es

26 Nr. 37 = BGH NJW 1951, 959 f.; Nr. 38 = BGH LM Nr. 7 zu §§ 2084,133; Nr. 43 = BGH WM 1970, 221 ff. 27 Nr. 42 = BGH NJW 1966, 201 f.; Nr. 44 = BGH LM Nr. 6 zu § 2247. 28 Nr. 21 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 59. 29 Nr. 35 = RGZ 160,109 ff. 30 Nr. 38 = BGH LM Nr. 7 zu §§ 2084,133. 31 Nr. 38 = BGH LM Nr. 7 zu §§ 2084,133. 32 Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27; Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223. 33 Nr. 43 = BGH WM 1970, 221 ff. 34 Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223; Nr. 24 = RG LZ 1919,1187. 35 Nr. 39 = BGH WM 1957,1222. 36 Nr. 16 = RGZ 82, 70 ff. 37 Nr. 24 = RG LZ 1919, 1187; Nr. 32 = RG HRR 1932, Nr. 1055; Nr. 36 = BGH LM Nr. 1 zu § 2100. 38 Nr. 38 = BGH LM Nr. 7 zu §§ 2084,133. 39 Nr. 13 = RG JW 1911, 220 Nr. 27; Nr. 18 = RG SeuffArch 70, Nr. 223. 40 Nr. 40 = BGHZ 26,142 ff.; Nr. 41 = BGH WM 1962, 906 ff. 41 Nr. 39 = BGH WM 1957,1222. 42 Nr. 44 = BGH LM Nr. 6 zu § 2247; Nr. 42 = BGH NJW 1966, 201 f.; Nr. 21 = RG WarnRspr. 1917, Nr. 59.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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dagegen zu sanktionieren, wenn bewußt die Form nicht eingehalten und damit auch bewußt auf eine ,Andeutung" verzichtet wurde (Entscheidungen vom 20.5.1915 und vom 13.6.1925) 43 . Dieses Bestreben findet seinen Ursprung in den Wurzeln der Andeutungsformel, die auch noch 80 Jahre nach deren Entwicklung in der Rechtsprechung gegenwärtig sind: Die Zwecke der Formvorschriften (beide Entscheidungen vom 9.4.1981) 4 4 . Zwei jedoch nach 80jähriger ständiger Rechtsprechung in Sachen „Eindeutigkeits"-Wendung geradezu revolutionäre Entscheidungen zeigen die zweite Entscheidung vom 9.4.1981 sowie vom 8.12.1982 4 5 , wobei jedoch in dem erstgenannten Urteil der „Absprung" nur durch ein „obiter dictum" vorbereitet wird. Auch in den Fällen „klaren und eindeutigen" Wortlauts ist nun der Auslegung durch den Wortlaut keine Grenze mehr gesetzt. „Hand in Hand" mit dieser Abkehr von der „Eindeutigkeits"-Wendung vollzieht sich — zwangsläufig, wenn man die für die Andeutungsformel und die „Eindeutigkeits"-Wendung gezeigten „Wurzeln" bedenkt — die Aufgabe der Vermischung von Auslegung und Form im Rahmen der Andeutungsformel. Vielmehr sind jetzt Auslegungs- und Formfragen dergestalt zu trennen, daß zunächst eine Auslegung der Willenserklärung unter Berücksichtigung auch aller außerurkundlicher Umstände erfolgt und sodann geprüft wird, ob dieser durch Auslegung ermittelte Wille eine hinreichende Stütze in der formellen Erklärung findet. Sofern diese hinreichende „Andeutung" vorhanden ist, ist der ermittelte Wille auch formgerecht erklärt, andernfalls ist Formnichtigkeit gem. § 125 gegeben.

B. Falsa demonstratio I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts (1897 — 1945) 1. Die Rechtsprechung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht Der 1. Unterabschnitt (1897 - 1901, sowie eine Entscheidung von 1906, die aber noch nach ALR zu treffen war) führt noch in den Rechtszustand unter Geltung des ALR. Die Darstellung des alten Rechtszustandes ist jedoch erforderlich, um die „Wurzeln" der falsa demonstratio aufzuzeigen, die in der Rechtsprechung in diesem Zeitraum deutlich werden. 48) V/20.3.1897/RG JW 1897,254 Nr. 85 In einem Grundstückskaufvertrag war als Kaufgegenstand mehr gewollt als beurkundet worden: Fünf Parzellen waren ganz vergessen worden, andere un43 44 45

Nr. 19 = RG WarnRspr. 1915, Nr. 210; Nr. 29 = RG JW 1925,2237 f. Nr. 10. Nr. 45 = BGHZ 80, 242 ff.; Nr. 46 = BGHZ 80, 246 ff. Nr. 46 = BGHZ 80, 246 ff.; Nr. 47 = BGHZ 86,41 ff.

Β. Falsa demonstratio

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richtig bezeichnet. Die Parteien waren jedoch der Ansicht, mit der im schriftlichen Vertrag gegebenen Bezeichnung den ganzen Vertragsgegenstand bezeichnet zu haben. Sofern dies der Fall sei, wurde ausgeführt, handele es sich um eine nach § 151 ALR, T l . I , Tit. 4 für die Rechtsbeständigkeit des Vertrages unerhebliche falsche Bezeichnung des Kaufgegenstandes. Es fehle für jene fünf Parzellen nicht an einem schriftlichen Vertrag, vielmehr umfasse der vorliegende schriftliche Vertrag auch diese Parzellen gem. §§ 151, 146-149 ALR, Tl.I, Tit.4. Es handele sich dabei auch nicht um die Auslegung oder richterliche Ergänzung des schriftlichen Vertrages, sondern um Auslegung des Willens der Parteien, wie er neben dem Vertrag bestanden habe. Dieser Wille sei trotz der Vorschrift des § 127 ALR, Tl.I, Tit. 5 kraft der Sondervorschrift des § 151 ALR, Tl.I, Tit.4 derart maßgebend, daß er als Teil des schriftlichen Vertrages angesehen werde, wenn er in diesem auch keinen Ausdruck gefunden habe 1 . Deutlich werden in dieser Entscheidung die für das Verständnis der falsa demonstratio und ihrer Anwendung in der Rechtsprechung grundlegenden Gesichtspunkte: Ihre dogmatischen „Wurzeln" 2 in § 151 ALR, T l . I , Tit.4, sowie ihre Auslegung durch die Rechtsprechung als Sondervorschrift zu § 127 ALR, T l . I , Tit. 5. Hierbei besagt § 151: „Was von falschen Bewegungsgründen verordnet ist, das gilt auch von falschen Beschreibungen"; aus den §§ 146-149, die „Bewegungsgründe" betreffen, auf die § 151 Bezug nimmt, ergibt sich, daß die „falsche Beschreibung" bei klarer Absicht die Willenserklärung selbst noch nicht „entkräftet". Die §§ 151, 146-149 regeln also den Fall der irrtümlichen Falschbezeichnung, die für die Wirksamkeit der Willenserklärung unschädlich ist, vielmehr bei Übereinstimmung des tatsächlich Gewollten (keinen Dissens, sondern vielmehr) einen Vortrag bezüglich des tatsächlich Gewollten zur Folge hat. In § 127 ALR, Ή. I, Tit. 5 ist zwar bestimmt: „Ist ein Vertrag schriftlich geschlossen worden, so muß alles, was auf die Verabredung der Parteien ankommt, bloß nach dem schriftlichen Contracte beurtheilt werden". Jedoch wird § 151 insoweit als Sondervorschrift gegenüber § 127 angesehen, so daß hier deutlich wird, daß ein Ausdruck des Willens in der Vertragsurkunde, wie ihn auch die Andeutungsformel verlangt, nicht erforderlich ist, vielmehr die falsa demonstratio als Sonderregelung bei Verträgen dem ausschließlichen Abstellen auf das im Vertragstext zum Ausdruck Gekommene vorgeht.

1 Ähnlich die Entscheidung vom 18.2.1859 = Kgl. Obertribunal, Striethorst, Bd. 32, 271 ff., sowie die Entscheidung vom 16.11.1895 = RG JW 1896,17, Nr. 66 und vom 19.4. 1906 = RGZ 63,164 ff. 2 Zu der Bedeutung der falsa demonstratio im römischen Recht, die dort eine andere als die heutige war, vgl. Wieling, JZ 1983,760 f., sowie AcP 172, 297 ff., wo auch die Stellungnahmen der Literatur zum Anwendungsbereich der falsa demonstratio als Auslegungsregel im gemeinen Recht dargelegt werden.

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

Diese Wurzeln der falsa demonstratio und das daraus resultierende Verständnis sind grundlegend für die Anwendung der falsa demonstratio in der Rechtsprechung: Diese wird, wie noch zu zeigen sein wird, auch unter Geltung des BGB de facto weiterhin als „Sondervorschrift" bzw. »Ausnahme" von der Andeutungsformel angewendet und zwar, ausgehend von dem aufgezeigten tradierten Vorverständnis regelmäßig im Rahmen von Verträgen, und zwar synallagmatischen Verpflichtungsverträgen und den zu ihrer Erfüllung erfolgten Verfügungsgeschäften. Außerhalb dieses Bereiches wird die falsa demonstratio, wie ebenfalls noch zu zeigen ist, nur dann angewandt, wenn sie im konkreten Fall mit der Andeutungsformel durch andere Definitionen oder Verneinung der „Eindeutigkeit" und damit Bejahung der Auslegungsfähigkeit zu harmonisieren ist. Ob und inwieweit diese Behandlung formbedürftiger Willenserklärungen in der Rechtsprechung zu rechtfertigen ist oder ob, wie in der Literatur gefordert, entweder Andeutungsformel 3 oder falsa demonstratio 4 weichen muß, wird im 2. Teü zu untersuchen sein. 49) V/16.9.1899/RG Gruchot 44,993 ff. In dem Grundstücksverkauf und der Auflassung war weniger gewollt als beurkundet. Irrtümlich war nämlich auch eine Parzelle durch die Grundstücksbezeichnung miterfaßt, die gar nicht mitverkauft werden sollte. Eine Auflassung (und auch jede andere Willenserklärung), so wurde dargelegt, sei insoweit nichtig, als sie dem übereinstimmenden Willen der Kontrahenten nicht entspreche. Insbesondere sei dies dann der Fall, wenn entgegen dem Erklärten nach übereinstimmendem Wülen von Erwerber und Veräußerer nur ein bestimmter Teü aufgelassen werden sollte 5 . Der hier ebenfalls noch nach dem Recht des ALR zu entscheidende Fall bereitet noch weniger Schwierigkeiten als die Konstellation des „mehr gewollt als erklärt": Nach § 75 ALR, Tl. I, Tit. 4 handelte es sich hier nämlich - insoweit sich der Erwerbs- bzw. Veräußerungswille nicht auf die streitige Parzelle erstreckte - um einen „Irrthum in dem Wesentlichen des Geschäftes oder in dem Hauptgegenstande der Willenserklärung", der dieselbe ungültig machte, so daß eine Willenserklärung bezüglich der streitigen Parzelle als gar nicht abgegeben galt. Eine Anwendung der §§ 151, 146-149 ALR, Tl.I, Tit. 4 war hier somit nicht erforderlich.

3 Lüderitz, Auslegung, S. 196; Häsemeyer, Ges. Form S. 270; Bernard,Formbed. Rgesch. S. 141. 4 Wieling, AcP 172, 300 f. 5 Ähnüch die Entscheidungen vom 19.11.1887 = RGZ 20, 225 ff.; 19.3.1890 = RG Gruchot 34, 707 ff.; 17.10.1891 = RGZ 28, 307 ff.; 9.11.1892 = RG Gruchot 37,1096 ff.; 19.10.1901 = RG JW 1901, 813, Nr. 34.

Β. Falsa demonstratio

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50) V/28.2.1900/RGZ 46,225 ff. Umstritten war, ob in der Auflassung eines Grundstückes auch ein zu einem anderen Grundstück gehörender Landstreifen enthalten war oder ob dieser Landstreifen zusammen mit dem Grundstück, zu dem er gehörte, aufgelassen worden war, obwohl sich der Wille der Parteien nicht auf ihn erstreckte. Angenommen wurde, daß die Auflassung das Eigentum nur insoweit übertrage, als es dem wahren Willen entspreche. Der durch den Parteiwillen nicht gedeckte Teil der Auflassungserklärung sei nichtig, so daß hier kein Eigentum übertragen worden sei, vielmehr bei der späteren Auflassung diese Parzelle in die Auflassungserklärung miteinbezogen worden sei. Bei der hier vorliegenden Kumulation der oben aufgezeigten Konstellationen wird die ebenfalls kumulative Anwendung der beiden Lösungswege für irrtümliches Abweichen des Erklärten vom Gewollten deutlich: Zum einen die Nichtigkeit aufgrund eingeschränkten Übertragungswillens, zum anderen die Unschädlichkeit der falschen Bezeichnung bei weitergehendem Übertragungswillen.

2. Die Rechtsprechung zum BGB 51) V/28.11.1903/RG JW 1904, 58 Nr. 13 In dem Grundstückskaufvertrag war weniger gewollt als beurkundet; die Parzelle 123 a und von der Parzelle 123 b der südlich des „St. Weges" gelegene Teil sollten veräußert werden. Beurkundet worden war jedoch der Verkauf der Parzellen 123 a und 123 b. Die Bezeichnung der Grundstücke wurde hier als falsche Beschreibung angesehen, die unerheblich für die Wirksamkeit gem. § 313 sei. Ausgeführt wurde hierzu, daß durch die Auslegung der in der unrichtigen Beschreibung zum Ausdruck gelangte Parteiwille zu ermitteln sei. Sofern die Auslegung übereinstimmend das gewollte Grundstück ergebe, beziehe sich einer falschen Bezeichnung ungeachtet die Beurkundung auf dieses Grundstück, so daß § 313 genügt sei. Die erste unter Geltung des BGB zu einer falsa demonstratio-Konstellation ergangene Entscheidung zeigt bereits deutlich die einheitliche Lösung der Rechtsprechung für beide falsa demonstratio-Konstellationen - sowohl eingeschränkten als auch weitergehenden Geschäftswillen - auf: Die Anwendung des Grundsatzes der Unschädlichkeit der falschen Bezeichnung auch bei formbedürftigem Rechtsgeschäft, dessen Herkunft oben dargelegt wurde. Ein Rekurrieren auf dem Grundsatz der Nichtigkeit bei eingeschränktem Geschäftswillen war dem RG durch die Neuregelung der Irrtumsfälle und den Wegfall des Grundsatzes des ALR, daß das Fehlen des Geschäftswillens die Willenserklärung automatisch nichtig macht, nicht möglich; von besagtem Grundsatz des ALR wurde als „Rudiment" lediglich die Regelung über Schein- und Scherzerklärungen in das BGB übernommen. 4 Scherer

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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Wie selbstverständlich geht das RG hier von dem „Vorrang" der falsa demonstratio gegenüber der sonst angewendeten Andeutungsformel aus. Lediglich in einem Halbsatz scheint ein verhaltener Harmonisierungsversuch der falsa demonstratio mit der Andeutungsformel zu erblicken zu sein, der jedoch im weiteren Urteü nicht aufgegriffen wird, vielmehr nur als verbale Konzession an die Andeutungsformel sich darstellt. 52) V/1.4.1905/RGZ 60, 338 ff. Nicht ein ganzes, sondern ein aus Teüen dieses und eines anderen Grundstücks zusammengesetztes Planstück sollte verkauft und aufgelassen werden. Die falsa demonstratio-Formel wird hier bereits als ständige Rechtsprechung gebraucht. Als völlig unproblematisch wird die falsa demonstratio-Lösung hinsichtlich der Formvorschriften angesehen6. 53) V/17.4.1907/RGZ 66,21 ff. In dem Grundstückskaufvertrag und der Auflassung war weniger gewollt als beurkundet; eine anderweitig veräußerte Moorparzelle soUte vom Verkauf ausgenommen werden, wurde jedoch irrtümlich von der Gesamt-Bezeichnung mit erfaßt. Nach ausführlichem Vergleich des ALR und des BGB zu dieser Konstellation des eingeschränkten Geschäftswillens erfolgt eine eingehende Begründung, warum auch unter Geltung des BGB bei dieser Fallgestaltung kein Fall der Irrtumsanfechtung gegeben ist, sondern nach wie vor lediglich der tatsächlich gemeinte Vertragsgegenstand übertragen wird. Folgerichtig erkennt diese Entscheidung, daß die Grundsätze des ALR über die Nichtigkeit der Willenserklärung aufgrund eingeschränkten Geschäftswillens nicht ins BGB übernommen wurden, ihr Ergebnis aber dennoch über die Unschädlichkeit der irrtümlich falschen Bezeichnung bei Übereinstimmung des Vertragswillens erreicht werden kann. 54) II/11.12.1908/RG JW 1909,47 f. Nr. 8 Bei dem Grundstückskaufvertrag war mehr gewollt als beurkundet. Unter der Parzellennummer 292/1 wurde sowohl diese Parzelle als auch der Obstgarten, der die Parzellennummer 426/1 führte, verstanden. Angenommen wurde, daß es sich um eine falsa demonstratio hinsichtlich des mit einer unrichtigen Parzellennummer bezeichneten Grundstücks handele. Unter der angeführten Parzellennummer sei sowohl diese als auch die andere Par-

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Verwendet wird die falsa-demonstratio-Formel auch in den unproblematischen Entscheidungen vom 20.9.1905 = RGZ 61, 264 ff.; 16.3.1910 = RGZ 73,154 ff.; 17.11.1924 = RG SeuffArch 79, Nr. 12; 24.9.1931 = RGZ 133, 279 ff.

Β. Falsa demonstratio

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zelle verstanden worden. Der Wille der Parteien sei also in der Urkunde zum Ausdruck gekommen. Ohne jede nähere Begründung wird hier angenommen, daß die Bezeichnung „Nr. 426/1" auch in der Bezeichnung „Nr. 292/1" ihren „Ausdruck" finde. Diese Behauptung stellt, gerade unter Berücksichtigung der gesamten bis dato vorliegenden Verwendung der Andeutungsformel in der Rechtsprechung (von der Entscheidung vom 19.3.1902 bis zu der Entscheidung vom 12.12.1907) 7 eine völlig haltlose Annahme dar, da in „Nr. 292/1", auch nicht die leiseste Andeutung für „Nr. 426/1" zu erblicken ist. Hierin kommt somit lediglich ein verbaler Harmonisierungsversuch der falsa demonstratio mit der Andeutungsformel ohne jede materielle Rechtfertigung zum Ausdruck. 55) IV/11.3.1909/RGZ 70, 391 ff. Gesetzliche Erbschaft war verfügt, jedoch gewollt worden, daß ausschließlich die Nachkommen der vollbürtigen, nicht der halbbürtigen Geschwister erben sollten. Neben Ausführungen zu Andeutungsformel und „Eindeutigkeits"-Wendung (s.o., Abschnitt Andeutungsformel) wurde hier die Anwendung der falsa demonstratio in Betracht gezogen. Ausgeführt wurde hierzu, daß die falsa demonstratio für Verträge dann anzunehmen sei, wenn die Parteien einig über den Gegenstand seien und diesem nur eine unzutreffende Bezeichnung beilegten. Bei letztwilligen Verfügungen liege dann eine falsa demonstratio vor, wenn der Erblasser eine Bezeichnung anwende, unter der er einen bestimmten Gegenstand oder eine bestimmte Person verstehe, während andere Personen, welche diese eigenartige Bezeichnungsweise nicht kennen würden, hierunter etwas anderes verstünden. Eine unrichtige Vorstellung liege der Bezeichnung nicht zugrunde. Hier sei die Anwendung der falsa demonstratio abzulehnen, da der Erblasser bewußt auf die Namhaftmachung der Beklagten verzichte und bei der Abfassung habe im klaren darüber gewesen sein müssen, daß nicht seine Meinung über den Begriff der gesetzlichen Erbfolge, sondern die Bestimmung des Gesetzes, der er sich mit dieser Verfügung unterworfen habe, entscheidend sei. Auffällig ist hier, daß zwar die falsa demonstratio auch bei letztwilligen Verfügungen als generell anwendbar angesehen, jedoch die falsa-Formel für Verträge einerseits, für Testamente andererseits völlig unterschiedlich definiert wird. Vor allem wird bei Testamenten nicht davon ausgegangen, daß eine unrichtige Vorstellung über die vom Erblasser gebrauchte Bezeichnung zugrunde liege, er vielmehr darauf vertraue, daß der Sinn seiner Bezeichnung von anderen nicht verkannt werde. Die falsa demonstratio würde nach dieser Definition nichts anderes darstellen als eine allgemeine Auslegung ohne einen Vorrang vor der Andeutungs-

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Nr. 1 = RGZ 51,110 ff. bis Nr. 10 = RGZ 67, 204 ff.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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formel, die somit ihrerseits wiederum ihre Grenzen in der Andeutungsformel und der „Eindeutigkeits"-Wendung - wie auch hier geschehen - findet. Im Bereich der Testamente wird also die Anwendbarkeit der falsa demonstratio für die wirklich problematischen Fälle, nämlich die, in denen es zur Kollision mit der Andeutungsformel und der „Eindeutigkeits"-Wendung kommen müßte, de facto „herausdefiniert". In den unproblematischen Fällen, nämlich denen, in denen sich die Anwendbarkeit der üblichen Definition der falsa demonstratio mit der Andeutungsformel und der „Eindeutigkeits"-Wendung harmonisieren läßt (vgl. vor allem unten die Entscheidung vom 10.1.1921) 8 bleibt es bei der zu Beginn vom RG generell bejahten Anwendbarkeit der falsa demonstratio. 56) VI/17.3.1913/RGZ 82,70ff. In der Urkunde war für die Schuld des U. jr. gebürgt, tatsächlich aber eine Verbürgung für U. sen. gewollt. Obwohl hier eindeutig eine irrtümliche Falschbezeichnung des Hauptschuldners vorlag, wird die Erfüllung der Schriftform abgelehnt mit dem Hinweis auf die Eindeutigkeit des Urkundenwortlauts, die eine Auslegung nicht zulasse. Mit keinem Wort wird dagegen die Anwendung der falsa demonstratio erörtert, obwohl hier die typische Konstellation des übereinstimmenden Vertragswillens (Bürgschaftsvertrag für U. sen. als Hauptschuldner gewollt) vorlag. Hieran zeigt sich deutlich die streng differenzierte Anwendung der falsa demonstratio in der Rechtsprechung: Zwar liegt ein Vertrag in Form eines Bürgschaftsvertrages vor, jedoch ist dieser Bürgschaftsvertrag kein synallagmatischer, sondern ein einseitig verpflichtender Vertrag. Im Rahmen dieser Verträge geht die Rechtsprechung, ebenso wie bei letztwilligen Verfügungen, nicht von dem „Sondervorschrifts"- und „Ausnahme"-Charakter der falsa demonstratio gegenüber der Andeutungsformel aus, sondern wendet hier lediglich die Andeutungsformel und die „Eindeutigkeits"-Wendung an. 57) V/10.2.1915/RG Gruchot 59,1052ff. Bei dem Grundstückskaufvertrag und der Auflassung war mehr gewollt als erklärt: Ausdrücklich war lediglich der in „U. und R." belegene Grundbesitz bezeichnet worden, jedoch zusätzlich die Übertragung einer in „N. belegenen Parzelle" gewollt; irrtümlich hatten die Parteien angenommen, daß diese bereits vom Urkundentext mitumfaßt wurde. Die falsa demonstratio wird wie in ständiger Rechtsprechung angewandt. Gewissermaßen als „Anhang" an die Urteüsgründe, in der sich besagte Ausführungen zur falsa demonstratio finden, wird angenommen, daß der übereinstimmende Wüle der Parteien in der Vertragsurkunde als „zum Ausdruck gebracht" anzusehen sei. 8

Nr. 58 = RG SeuffArch 76, Nr. 145.

Β. Falsa demonstratio

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Die Entscheidung stellt lediglich einen verbalen „Harmonisierungsversuch" dar, der ohne jede materielle Rechtfertigung bleibt, da in der Urkunde exakt der Grundbesitz nach Lage und Grundbucheintragung aufgeführt ist und somit nach bisheriger Rechtsprechung bezüglich der Andeutungsformel (von der Entscheidung vom 19.3.1902 bis zu der Entscheidung vom 3.5.1913) 9 keinerlei Andeutung für die Mitveräußerung einer weiteren Parzelle zu finden ist. Deutlich wird hier somit wiederum die Anwendung der falsa demonstratio „de facto" als Sondervorschrift zur Andeutungsformel, die mit verbaler Harmonisierung zu kaschieren versucht wird. 58) IV/10.1.1921/RG SeuffArch 76,145 Die abändernde testamentarische Verfügung bezeichnete als Bedachte Frau L, obwohl im ersten Testament die Tochter der L benannt worden war. Ausgeführt wurde hier, daß eine unrichtige Bezeichnung nach früherem wie auch nach heutigem Recht trotz des für letztwillige Verfügungen bestehenden Formzwanges auch für sie unschädlich sei (Bezugnahme auf Mot. V 40/41 ; Prot. V, 49 unter E; hier ausdr. Anwendung der falsa demonstratio-Formel ohne Gebrauch der von RGZ 70, 391 ff. eingeschränkten Definition bejaht), sofern nur die richtige Bezeichnung aus der Erklärung irgendwie, wenngleich bloß unvollkommen und unter Heranziehung außerurkundlicher Umstände herausgelesen werden könne. Deutlich wird hier die Behandlung von falsa demonstratio und Andeutungsformel in den „unproblematischen", nichtsynallagmatische Verträge betreffenden Fällen, nämlich denjenigen, in denen sich falsa demonstratio und Andeutungsformel ohne weiteres im konkreten Fall „auf einen Nenner" bringen lassen, da das durch die Anwendung der falsa demonstratio gefundene Ergebnis ohne weiteres auch alleine mit der Anwendung der Andeutungsformel hätte erzielt werden können (vgl. auch oben die Entscheidung vom 11.3.1909) 10 . Vorliegend war nämlich (vgl. oben) aufgrund der widersprüchlichen abändernden Verfügung im zweiten Testament zu der zusprechenden im ersten Testament eine Auslegung aufgrund des Fehlens von „Eindeutigkeit" geboten und das gefundene Ergebnis auch unter alleiniger Anwendung der Andeutungsformel nahezu zwingend. In diesen „unproblematischen" Fällen werden einfach falsa demonstratio und Andeutungsformel „auf einen Nenner" formuliert. Die Durchbrechung der streng differenzierten Anwendung von falsa demonstratio und Andeutungsformel ist somit hier nur scheinbar. Tatsächlich wird die falsa demonstratio hier eben nicht in ihrer charakteristischen Funktion als Ausnahme zur Andeutungsformel angewandt, sondern harmonisiert, und somit als lediglich ver-

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Nr. 1 = RGZ 51,110 ff. bis Nr. 17 = RG JW 1913, 869 f. Nr. 14. Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff.

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1. Teil: Rechtsprechungsbericht

bales Anhängsel zur Andeutungsformel, so daß hier das im 1. Abschnitt gefundene Ergebnis wiederum bestätigt wird. 59) V/13.12.1924/RGZ 109,334ff. In dem Grundstückskaufvertrag war ein Irrtum unterlaufen über die Nummer einer anderen Vertragsbestimmung, auf die Bezug genommen wurde. Die falsa demonstratio wurde hier angewandt und sodann ausgeführt, daß sich hier, ebensowenig wie bei einer falschen Parzellenbezeichnung die Behauptung aufstellen lasse, der Urkundeninhalt sei so eindeutig, daß von einer Auslegung keine Rede sein könne. Denn eine durch Bezugnahme erfolgte Bezeichnung berge allemal die Gefahr der Verwechslung in sich und sei daher der Auslegung nicht unzugänglich. Die Ausführungen stellen einen eklatanten Widerspruch zur Handhabung der die Frage der Auslegungsfähigkeit betreffenden „Eindeutigkeits"-Wendung (vgl. exemplarisch oben die Entscheidung vom 17.3.1913) 11 dar, da eine so konkrete Bezeichnung wie Parzellen- oder Vertragsnummern keinerlei Unklarheiten über den Gegenstand des Vertrages aufkommen läßt. Allein die Begründung, daß diese Art der Bezeichnung Verwechslungsgefahren in sich berge, ist kein Argument gegen das Vorliegen eindeutiger Bezeichnungen: Eine Personenbezeichnung (wie in der Entscheidung vom 17.3.1913) 12 oder eine Bezeichnung durch Verwendung gesetzlicher Bestimmungen (wie in der Entscheidung vom 11.3.1909) 13 birgt ebensolche Verwechslungsgefahren in sich und wurde von der Rechtsprechung dennoch als „eindeutig" und damit auslegungsunfähig angesehen. Deutlich wird hier somit wiederum, wie durch einen „verbalen Harmonisierungsversuch" die Rechtsprechung eine Kollision von falsa demonstratio und Andeutungsformel im Rahmen synallagmatischer Verträge zu umgehen sucht und die Anwendung der falsa demonstratio als „Ausnahme" zur Andeutungsformel in diesem Bereich sichert. Ergebnis der Rechtsprechung des Reichsgerichts Grundlegend zeigt hier zunächst die Entscheidung vom 20.3.1897 14 die für die falsa demonstratio in ihrer Anwendung durch die Rechtsprechung relevanten Gesichtspunkte: Verkankert in § 151 ALR, Tl.I, Tit. 4 büdete der Grundsatz, daß die unrichtige Bezeichnung unschädlich sei, eine Sondervorschrift zu § 127 ALR, Ή. I, Tit. 5, nach dem sich bei Schriftlichkeit der Inhalt des Vertrages nur nach der schriftlichen Fassung richtete. Ebenfalls aufgrund gesetzlicher Vor11 12 13 14

Nr. 56 Nr. 56 Nr. 55 Nr. 48

= RGZ 82, 70 ff. = RGZ 82, 70ff. = RGZ 70, 391. = RG JW 1897, 254 Nr. 85.

Β. Falsa demonstratio

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schrift, nämlich § 75 ALR, TL I, Tit. 4, hatte die Konstellation des übereinstimmenden eingeschränkten Geschäftswillens der Parteien Nichtigkeit zur Folge, so daß für diesen Sonderfall ein Rückgriff auf § 151 ALR nicht nötig wurde. Nach Inkrafttreten des BGB war jedoch, wie die Entscheidung vom 28.11.1903 15 exemplarisch zeigt, eine Behandlung beider Konstellationen über den Grundsatz der falsa demonstratio erforderlich geworden, da nach neuem Recht der Grundsatz der Nichtigkeit bei eingeschränktem Geschäftswillen entfallen war und somit nur über die - weiterhin auch über §§ 133,157 mögliche - Auslegung die Anwendbarkeit der falsa-Formel das für beide Konstellationen bisher gefundene Ergebnis gewährleistete. In den folgenden, unter Geltung des BGB ergangenen Entscheidungen wird die falsa demonstratio bereits als ständige Rechtsprechung angewandt (Entscheidungen vom 28.11.1903, vom 1.4.1905, vom 17.4.1907 und vom 11.12.1908) 16 Probleme hinsichtlich der Einhaltung der Formvorschrift des § 313 werden nicht gesehen. Die zwangsläufige, da durch die Entwicklung der Andeutungsformel in diesem Bereich vorprogrammierte Kollision mit dieser wird im Bereich der synallagmatischen Verpflichtungsverträge bzw. deren Erfüllungsgeschäfte (Entscheidungen vom 28.11.1903 und vom 11.12.1908) 17 durch Harmonisierungsversuche zu vermeiden gesucht, die jedoch nicht mehr als verbale Konzessionen an die Andeutungsformel ohne jede Begründung und vor allem ohne materielle Rechtfertigung im Hinblick auf die bisherige Handhabung der Andeutungsformel darstellen (vor allem die Entscheidung vom 11.12.1908) 18 . Im Bereich letztwilliger Verfügungen wird die falsa demonstratio zwar generell als anwendbar angesehen, jedoch wird sie bei den problematischen Fällen (Entscheidung vom 11.3.1909) 19 , nämlich denen, in denen sie sich nicht mit Andeutungsformel und „Eindeutigkeits"-Wendung harmonisieren läßt, aus dem Bereich der vorliegenden Fallkonstellationen „herausdefiniert". Es zeichnet sich somit bereits in diesem frühen Entstehungs- und Konsolidierungsabschnitt die differenzierte und genau abgegrenzte Anwendung der falsa demonstratio durch die Rechtsprechung ab: Als »Ausnahme" und faktische „Sondervorschrift" zu der Andeutungsformel lediglich im Bereich synallagmatischer VerpflichtungsVerträge und ihrer Erfüllungsakte, als „entschärfte", mit der Andeutungsformel und der „Eindeutigkeits"-Wendung harmoniserte Formel im Bereich sonstiger Rechtsgeschäfte. Konsequent im Hinblick auf diese grundsätzliche Differenzierung in der Anwendung sind die „Harmonisierungsversuche" sowohl gegenüber Andeutungsformel als auch „Eindeutigkeits"-Wendung (Entscheidungen vom 15

Nr. 51 = RG JW 1904,58 Nr. 13. Nr. 51 = RG JW 1904, 58 Nr. 13; Nr. 52 = RGZ 60, 338 ff.; Nr. 53 = RGZ 66, 21 ff.; Nr. 54 = RG JW 1909,47 f., Nr. 8. 17 Nr. 51 = RG JW 1904, 58 Nr. 13; Nr. 54 = RG JW 1909, 47 f., Nr. 8. 18 Nr. 54 = RG JW 1909,47 f., Nr. 8. 19 Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff. 16

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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10.2.1915, vom 10.1.1921 und vom 13.12.1924) 20 , die jedoch ihrerseits im Hinblick auf die Anwendung der Andeutungsformel und der „Eindeutigkeits"Wendung in der bis dato vorliegenden Rechtsprechung äußerst inkonsequent und widersprüchlich sind. So stellen die Annahmen, bei der irrtümlichen Auslassung einer Parzelle bei Verkauf und Auflassung komme der Übertragungswille bzgl. dieser Parzelle auch in dem Urkundentext zum Ausdruck (Entscheidung vom 10.2.1925) 21 , sowie die Verneinung der Eindeutigkeit bei den durch Bezugnahmen erfolgten Bezeichnungen (Entscheidung vom 13.12.1924) 22 einen eklatanten Widerspruch zu der bisherigen Anwendung von Andeutungsformel und „Eindeutigkeits"-Wendung (exemplarisch die Entscheidungen vom 11.3. 1909 und vom 17.3.1913 23 ) dar. In diesen Entscheidungen kommen somit lediglich verbale Harmonisierungsversuche zum Ausdruck, die eine Kollision der falsa demonstratio mit Andeutungsformel und „Eindeutigkeits"-Wendung zu hindern suchen und gleichzeitig ihren Vorrang bei der Anwendung im Rahmen dieser Rechtsgeschäfte sichern sollen. Die kompromißlose Bejahung der Eindeutigkeit in der Entscheidung vom 17.3.1913 24 sowie die Verwendung der falsa demonstratio in der Entscheidung vom 10.1.1921 25 als bloßes verbales Anhängsel an die Andeutungsformel lassen ebenfalls die strikt differenzierte Anwendung der falsa demonstratio erkennen: Beiden Entscheidungen lagen nicht-synallagmatische Rechtsgeschäfte zugrunde, aus deren Bereich die Anwendung der falsa demonstratio als „Ausnahme" zur Andeutungsformel und zur „Eindeutigkeits"-Wendung herausgehalten und lediglich in harmonisierter, mit der Andeutungsformel „auf einen Nenner" formulierter Form (Entscheidung vom 10.1.1921 ) 2 6 angewandt oder durch Bejahung der Eindeutigkeit eine Anwendung von vornherein verhindert wird (Entscheidung vom 17.3.1913) 27 . II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (1951 — 1986) 60) V/23.10.1963/BGH WM 1964,94ff. Bei der Erbteüsübertragung aufgrund eines Erbschaftskaufs hatte ein beiderseitiger Irrtum über die rechtliche Zuordnung des wirtschaftlich übereinstimmend gewollten Gegenstandes bestanden. 20

Nr. 57 = RG Gruchot 59,1052 ff.; Nr. 58 = RG SeuffArch 76, Nr. 145; Nr. 59 = RGZ 109, 334 ff. 21 Nr. 57 = RG Gruchot 59,1052 ff. 22 Nr. 59 = RGZ 109, 334 ff. 23 Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff.; Nr. 56 = RGZ 82, 70 ff. 24 Nr. 56 = RGZ 82,70 ff. 25 Nr. 58 = RG SeuffArch 76, Nr. 145. 26 Nr. 58 = RG SeuffArch 76, Nr. 145. 27 Nr. 56 = RGZ 82, 70 ff.

Β. Falsa demonstratio

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Zunächst wird hier nur eine abstrakte Darstellung von Andeutungsformel und falsa demonstratio 28 unabhängig voneinander und ohne konkrete Subsumtion vorgenommen. Dann wird dargestellt, daß der beiderseitige Irrtum ein Recht, nicht nur einen körperlichen Gegenstand betreffe. Jedoch sei auch bei einem Irrtum über die rechtliche Zuordnung die Anwendbarkeit der falsa demonstratio zu bejahen. Ohne Begründung wird dann die „Eindeutigkeit" der Urkunde verneint, demzufolge die Auslegungsfähigkeit bejaht. Die Verneinung der Eindeutigkeit bildet hier einen eklatanten Widerspruch zur bisherigen Anwendung der „Eindeutigkeits"-Wendung bezüglich Irrtümern über die rechtliche Zuordnung (exemplarisch die Entscheidung vom 11.3.1909 29 ). Diese begründungslose Feststellung stellt somit lediglich einen „verbalen Harmonisierungsversuch" dar, der wiederum die streng differenzierte Handhabung der falsa demonstratio zeigt: Die Erbteilsübertragung stellte hier nämlich den Erfüllungsakt des zugrundeliegenden Erbschaftskaufs, mithin eines synallagmatischen Vertrages dar, und zeigt somit erneut die Anwendung der falsa demonstratio „de facto" als „Sondervorschrift" in diesem Bereich. 61) V/23.3.1979/BGHZ 74,116 ff. Bei dem Grundstückskaufvertrag war lediglich die Veräußerung einer Teilfläche gewollt, über die auch ein genauer Grundbuchauszug vorlag, den die Parteien auch kannten. Beurkundet wurde jedoch bewußt der Verkauf der gesamten Fläche, ohne den Verkauf nur der Teilfläche auch nur zu erwähnen, so daß kein Versehen hinsichtlich des Kaufgegenstandes vorlag. Das Vorliegen einer falsa demonstratio wurde im Ergebnis aufgrund des mangelnden Irrtums der Vertragsparteien abgelehnt. Als „obiter dictum" jedoch wird intensiv die falsa demonstratio und ihre Vereinbarkeit mit der Andeutungsformel erörtert und hierbei auf die Stellungnahme in der Literatur zu diesem Problem eingegangen. Als beachtlich wird insbesondere die Meinung angesehen, daß bei Verwendung der falsa demonstratio die Form trotz Aufgabe der meisten Formzwecke als gewahrt hingestellt werde, obwohl das von den Parteien übereinstimmend Gewollte in der Urkunde nicht einmal andeutungsweise zum Ausdruck komme 3 0 . Dargestellt wird auch die von mehreren Autoren 31 angenommene Unvereinbarkeit der falsa demonstratio mit der Andeutungsformel. Die aufgezeigten Ansichten verbleiben jedoch ohne Stellungnahme des BGH, da aufgrund der Fallkonstellation eine Entscheidung bezüglich der Fortgeltung der falsa demonstratio 28 Verwendet wird die falsa demonstratio-Formel in den unproblematischen Entscheidungen vom 24.6.1964 = BGH WM 1964, 911 ff.; 23.6.1967 = BGH WM 1967, 701 ff.; 13.10.1967 = BGH WM 1967,1245 ff.; 14.7.1969 = BGH NJW 1969, 2043 ff., Nr. 2; 21.5. 1971 = BGH WM 1971,1084 ff.; 25.3.1973 = BGH WM 1973, 869 ff. 29 Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff. 30 Wieling, AcP 1972, 297, 308. 31 Wieling, AcP 1972,297, 310; Lüderitz, Auslegung, 186 ff.;Häsemeyer,Ges. Form, 140ff.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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beim formbedürftigen Rechtsgeschäft nicht erforderlich war. Lediglich wird es als — unter Berücksichtigung der Formzwecke — „möglicherweise" hinnehmbar angesehen, die irrtümliche Falschbezeichnung im formbedürftigen Vertrag für unschädlich zu halten. Zum erstenmal in nahezu 80jähriger Rechtsprechung zu falsa demonstratio und Andeutungsformel setzt sich hier das oberste Gericht kontrovers mit dem Verhältnis der beiden Rechtsgrundsätze auseinander. Ein Versuch der Harmonisierung wird - erstmals bei Erkennen der Problematik durch das Gericht - nicht unternommen; vielmehr wird die Anwendung der falsa demonstratio bei Formbedürftigkeit — wenn auch nur im Rahmen des „obiter dictum" — in Zweifel gezogen. Wenn auch eine Entscheidung bezüglich der weiteren Anwendung der falsa demonstratio nicht getroffen und auch nicht erforderlich wurde, stellte die Entscheidung doch zum damaligen Zeitpunkt, wie ein Mitglied des V. Zivüsenats selbst formulierte 32 , einen „Warnschuß" dar, der allerdings, wie in der Entscheidung vom 25.3.1983 33 ersichtlich, ohne nachhaltige Wirkung blieb. 62) IVa/9.4.1981/BGHZ 80, 246 ff. Notariell war die Einsetzung der gesetzlichen Erben in Unkenntnis des Notars über die Existenz der nichtehelichen Tochter verfügt worden. Der Erblasser wollte jedoch nur die Mutter bedenken. Neben ausführlichen Erörterungen bezüglich der Andeutungsformel und der „Eindeutigkeits"-Wendung (vgl. oben) wurde abschließend die Anwendbarkeit der falsa demonstratio unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 11.3. 1909 34 erörtert. Zwar wird die dort für letztwillige Verfügungen gegebene Definition der falsa demonstratio nicht wiederholt; aber ebenso wie dort wird angenommen, daß der Erblasser bewußt darauf verzichtet habe, Erben namhaft zu machen und stattdessen lediglich auf die gesetzliche Regelung verwiesen habe. Eine unrichtige Bezeichnung wird darin nicht gesehen. Ohne die in der Entscheidung vom 11.3.1909 35 für die falsa demonstratio bei letztwilligen Verfügungen gegebene Definition erneut anzuführen, werden hier dieselben Gründe wie dort zur Verneinung einer falsa demonstratio angeführt: Das Bedenken der gesetzlichen Erben stelle gar keine „Bezeichnung" dar, die zu einer Falschbezeichnung führen könne, sondern lediglich eine Verweisung und damit bewußtes Unterwerfen unter die angeführte gesetzliche Regelung. Mit dieser Begründung, die nur unter Berücksichtigung der in der Entscheidung vom 11.3.1909 36 gegebenen Definition heraus verständlich wird, wird hier die An32 33 34 35 36

Hagen, DNotZ 1984, 284. Nr. 63 = BGHZ 87,150ff. Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff. Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff. Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff.

Β. Falsa demonstratio

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wendbarkeit der falsa demonstratio „ausgeschaltet", obwohl in der Entscheidung vom 13.12.1924 37 (vgl. oben) die Verweisung auf eine Register-Nummer einer anderen Vertragsbestimmung als falsche Bezeichnung und nicht als bloße Verweisung unter Verzicht auf eine Bezeichnung angesehen wurde. Verständlich wird diese unterschiedliche Behandlung bei der Anwendung der falsa demonstratio wiederum aus der strengen Differenzierung bei der Anwendung der falsa demonstratio und der Andeutungsformel. Auffällig ist hierbei, daß auch bei der Verneinung der falsa demonstratio (als in dieser Form nicht ausdrücklich genannte, aber aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils erkennbare Gründe) die Zwecke der gesetzlichen Formvorschriften eine erhebliche Rolle gespielt haben. Auf die Bedeutung dieser Zusammenhänge der Wahrung der Formzwecke mit Anwendung bzw. Nichtanwendung der falsa demonstratio wird später (unten, 2. Teil) einzugehen sein. 63) V/25.3.1983/BGHZ 87,150ff. Bei dem Grundstückskaufvertrag war mehr gewollt als beurkundet worden. Unter ausführlicher Darstellung der Formvorschriften wird dargelegt, daß bei Anwendung der falsa demonstratio zwar einerseits der Beweiszweck außer acht gelassen werde; es dürfe jedoch andererseits nicht überschätzt werden, was die Urkundenerklärung im Hinblick auf spätere Beweise zu leisten vermöge. Deshalb sei es auch erforderlich, außerurkundliche Umstände zur Erforschung des Urkundeninhalts heranzuziehen, wozu von der Rechtsprechung die Andeutungsformel entwickelt worden sei. Da aber bei Unklarheit des Urkundeninhalts diese außerurkundlichen Umstände immer heranzuziehen seien, komme der Urkundenerklärung nur Indizwirkung zu, so daß der Beweiszweck der Urkunde der Anerkennung der falsa demonstratio in diesem Bereich nicht entscheidend entgegengehalten werden könne. Der denkbare Widerspruch zwischen den Beurkundungszwekken einerseits und der Anwendung der falsa demonstratio andererseits habe von Beginn der Rechtsprechung zur falsa demonstratio an bestanden und sei auch nicht übersehen worden. § 313 sei dennoch von Anfang an so angewendet worden, daß nicht das objektiv Erklärte, sondern das übereinstimmend Gewollte gelte, wenn nur das objektiv Erklärte dem Formerfordernis genüge. Die vom BGH hier angeführte Rechtfertigung der Anwendung der falsa demonstratio durch die Erreichung der Formzwecke auch bei Anwendung der falsa demonstratio zeigt deutlich das Verständnis der falsa demonstratio als „Ausnahme" zur Andeutungsformel. Zudem bestätigt die Aussage, § 313 sei von Anfang an in der beschriebenen Weise angewendet worden, ein in den hier untersuchten Entscheidungen gefundenes Ergebnis: § 313, der tatsächlich, wie gezeigt, seit Beginn der Rechtsprechung in dieser Weise des „Vorrangs" der falsa demonstratio zur Andeutungsformel angewendet wurde, betrifft in den der Rechtspre37

Nr. 59 = RGZ 109, 334 ff.

1. Teil: Rechtsprechungsbericht

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chung zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalten regelmäßig den Bereich synallagmatischer Verpflichtungsverträge. Der erkannte denkbare Widerspruch zwischen falsa demonstratio und Andeutungsformel wird somit auch hier - wie bereits seit Beginn der Rechtsprechung zu diesen Problembereich - dergestalt gelöst, daß die falsa demonstratio „de facto" als „Sonderregelung" gegenüber der Andeutungsformel für den Bereich synallagmatischer Verpflichtungsverträge und ihrer Erfiülungsakte angesehen wird. Ergebnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Auffällig in diesem Bereich ist zunächst die häufige Anwendung der falsa demonstratio als ständige Rechtsprechung 38, in der die Einhaltung der Form auch bezüglich der unvollständigen oder unrichtigen Erklärung des Vertragswillens unproblematisch bejaht wird. Diese zahlreichen Entscheidungen in „ständiger Rechtsprechung" lassen eine erhebliche Konsolidierung in der Anwendung der Andeutungsformel in diesem Bereich erkennen. Die Entscheidung sowohl vom 23.10. 1963 3 9 , in der durch Verneinung der „Eindeutigkeit" eine verbale Harmonisierung erzielt wurde, als auch die zweite Entscheidung vom 9.4.1981 4 0 , in der im Widerspruch zu der Entscheidung vom 13.12.1924 41 das Vorliegen einer Bezeichnung überhaupt verneint wurde, und die Entscheidung vom 25.3.1983 4 2 , in der der denkbare Widerspruch erkannt und erörtert wurde, machen wiederum die streng differenzierte Handhabung der falsa demonstratio und der Andeutungsformel in der aufgezeigten Weise deutlich. Beachtlich ist auch die in der Entscheidung vom 23.3.1979 43 erfolgte erstmalige Auseinandersetzung mit der in der Literatur gegenüber der bisher in der Rechtsprechung vorgenommenen Anwendung von falsa demonstratio und Andeutungsformel erhobenen Kritik, die zu einer bewußten Berücksichtigung der Formzwecke (zweite Entscheidung vom 9.4.1981 und vom 25.3.1983 4 4 ) führte.

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Vgl. Fn. 1) zu Nr. 60. Nr. 60 = BGH WM 1964, 94 ff. Nr. 62 = BGHZ 80, 246 ff. Nr. 59 = RGZ 109, 334 ff. Nr. 63 = BGHZ 87,150ff. Nr. 61 = BGHZ 74,116 ff. Nr. 62 = BGHZ 80, 246 ff.; Nr. 63 = BGHZ 87,150 ff.

Zweiter Teil

Versuch einer Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung Der Rechtsprechungsbericht wirft hinsichtlich der Anwendung der Andeutungsformel und der falsa demonstratio-Regel mehrere Probleme auf: Zunächst ist die Rechtfertigung der Andeutungsformel — sowohl in ihrer Anwendung als Auslegungsregel als auch als Formregel — fraglich. Da die Rechtsprechung grundsätzlich von der „Andeutung" des Gewollten in der Urkunde als Voraussetzung für die Formwahrung ausgeht, ist zunächst auf die bei der Anwendung der Andeutungsformel sich aufwerfenden Fragen einzugehen. Im folgenden ist dann, da die Rechtsprechung die falsa demonstratio als Ausnahme zur Andeutungsformel ansieht, die Anwendung der falsa demonstratio-Regel durch die Rechtsprechung auf ihre Rechtfertigung und Vereinbarkeit mit der Andeutungsformel zu untersuchen. Das erste, bei der ursprünglichen Anwendung der Andeutungsformel bestehende und intensiv diskutierte 1 Problem der Anwendung der Andeutungsformel als Auslegungsregel ist durch die neue Rechtsprechung2 obsolet geworden: Auch in der Rechtsprechung wird nun die strikte Trennung zwischen Auslegung und Form vollzogen; der Andeutungsformel kommt heute also auch in der Rechtsprechung nur noch die Funktion einer Formregel zu. Das zweite Problem — nämlich das der Anwendung der Andeutungsformel als Formregel — besteht jedoch nach wie vor. Auch nach heftiger Kritik der Literatur 3 ist die Rechtsprechung 4 hiervon nicht abgewichen. A. Untersuchung der Formzwecke Da die Andeutungsformel von der Rechtsprechung aus den Formzwecken entwickelt worden ist 5 und diese auch nach wie vor zur Begründung und Rechtferti1 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 65 ff.; Häsemeyer, Ges. Form, S. 155 ff.; JuS 1980, 6; Soergel/Hefermehl, § 125, Rdnr. 9; Danz, Auslegung, S. 183; Zeiler, Gruchot 52, 236. 2 BGHZ 86,41 ff., 47. 3 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 71 ff.; Brox Irrtumsanf. S. 154; JA 1984, 557; Häsemeyer, Ges. Form, S. 127 ff.; Larenz, AT, S. 332; Lüderitz, Auslegung, S. 186 ff.; MünchKomm-Förschler, § 125, Rdnr. 24; Reinicke, JA 1980, 460; Soergel/Hefermehl, § 125, Rdnr. 9. 4 BGHZ 86,41 ff., 47; 80, 242 ff.; 80, 246 ff. 5 RGZ 57, 258 ff.

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2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

gung der Andeutungsformel in der Rechtsprechung 6 sowie zur Argumentation pro und contra in der Literatur 7 herangezogen werden, heißt es, sich zunächst darüber klar zu werden, welche Zwecke das Gesetz mit den einzelnen Formvorschriften verfolgt. Da jedoch die Darstellung der Zwecke und Funktionen einer jedweden Formvorschrift im Hinblick auf die vorliegende Problemstellung nicht sinnvoll wäre, sind hier die Formzwecke anhand der einzelnen — in der dargestellten Rechtsprechung immer wieder auftauchenden und daher problematischen — Rechtsgeschäfte zu untersuchen, die zur besseren Übersichtlichkeit hinsichtlich ihrer charakteristischen Gefahrenlagen ihrerseits wieder in die Gruppe des einseitigen Rechtsgeschäfts, des einseitig verpflichtenden Vertrages und des zweiseitig verpflichtenden synallagmatischen Vertrages mit seinem Erfüllungsgeschäft einzuteüen sind. Der Typus des unvollkommenen zweiseitig verpflichtenden Vertrages kann hier außer Betracht bleiben, da dieses Rechtsgeschäft in der fraglichen Rechtsprechung nie problematisch wurde. Nicht gefolgt werden kann hierbei der Ansicht von Häsemeyer, der davon ausgeht, daß die „Formzwecke" heutiger Terminologie keinen dogmatischen Aussagewert hätten 8 . Die Formzwecke sagten nur etwas über den rechtspolitischen Wert dieser Form aus 9 ; für die Formvorschriften an sich seien sie daher nur eine sekundäre Frage 10 : Ihre Herausarbeitung zur Beantwortung besagter Probleme habe daher im Hinblick auf die generelle Nichtigkeitsregelung des § 125, S. 1 keinen Wert 1 1 . Häsemeyer unterscheidet statt dessen zwischen objektiven (im öffentlichen Interesse bestehenden) und subjektiven (im Individualinteresse bestehenden) Zielrichtungen der Formfunktionen 12 . Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß aufgrund der vorliegenden Frage- und Problemstellung — nämlich der Rechtfertigung der Andeutungsformel als von der Rechtsprechung entwickeltem Rechtsinstitut - von den faktischen „Wurzeln" der Andeutungsformel, wie sie sich in der Entwicklung durch die Rechtsprechung darstellen, auszugehen ist; und diese sind, wie dargelegt, die Zwecke der Formvorschriften. Zudem kann aber auch prinzipiell nicht davon ausgegangen werden, daß die Formzwecke bedeutungslos seien 13 , da selbst Häsemeyer

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BGHZ 80, 242 ff., 246. Leonard, AcP 120, 24; Erti, DNotZ 1976, 77; Müller, DNotZ 1966, 86; Lange/Köhler, AT, 236; Bang, JhJB 66, 370ff.; Bernard, Formbed. Rgesch., S. 31; Brox Irrtumsanf., S. 151 ff.; JA 1984, 553 f.; Flume, NJW 1983, 2008: Köhl, DNotZ 1983,599; Köhler, JR 1984, 15; Larenz, AT, S. 332; Lüderitz, Auslegung, S. 194ff.; Reinicke, JA 1980, 47 f.; 459 ff.; Wieling, AcP 172, 308 ff.; Jura 1979,528 f.; Wolf/Gangel, JuS 1983,665. 8 Häsemeyer, Ges. Form, S. 166, ähnlich MDR 1975,532. 9 Häsemeyer, Ges. Form, S. 166. 10 Häsemeyer, Ges. Form, S. 166, ähnüch, MDR 1975,532. 11 Häsemeyer, Ges. Form, S. 164,166. 12 Häsemeyer, Ges. Form, S. 167 ff. 13 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 32. 7

Α. Untersuchung der Formzwecke

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in der Untersuchung der „subjektiven Zielrichtungen der Formfunktionen" auf eine Erörterung der Formzwecke letztendlich nicht verzichtet 14 . So hilft auch bei den zahlreichen detaillierten und diffizilen Fragen, die sich hinsichtlich der Formwahrung stellen, die Feststellung, in wessen Interesse der Formzwang besteht, nicht weiter 15 . Vielmehr sind für die Beantwortung dieser Fragen die Zwecke der gesetzlichen Formvorschriften entscheidend16. Dem steht auch die generelle Nichtigkeitsregelung des § 125, S. 1 nicht entgegen, da dieser keinen Einfluß auf die Frage der Formerfüllung im Einzelfall hat, sondern nur die Folge der Nichterfüllung der Form regelt 17 . Zwar wird öfters undifferenziert von einer Vielzahl von Zwecken der gesetzlichen Formvorschriften ausgegangen18, wobei die Formzwecke bereits 1941 19 in acht verschiedene Funktionen (Abschlußklarheit, Inhaltsklarheit, Beweissicherung, Übereilungsschutz, Erkennbarkeit für Dritte, fachmännische Beratung, Überwachung im Sinne des Gemeinschaftsinteresses sowie Erschwerung des Vertragsschlusses im Interesse der Gemeinschaft) eingeteüt wurden. Jedoch ist bei näherem Hinsehen sehr wohl eine verschiedene Gewichtung innerhalb der — tatsächlich oft kumulativ vorliegenden - Zwecke einer Formvorschrift bei den verschiedenen Rechtsgeschäftstypen erkennbar 20 . I. Terminologische Klärung Da die Benennung der Formzwecke unterschiedlich gehandhabt wird, ist hier zunächst eine terminologische Klärung vorzunehmen. Ausgehend von der durch Heldrich 21 vorgenommenen Unterteilung unterscheidet Bockemühl 22 lediglich als Oberbegriffe Warn- und Beweisfunktion, Bernard 23 Warnzweck, Hilfestellungszweck und Sicherstellungszweck, Lüderitz 24 Warn- und Schutzzweck, Hinweis· und Klarstellungszweck sowie Beweis-und Offenlegungszweck. Vorliegend soll aus Gründen der Übersichtlichkeit und Verständlichkeit — soweit nicht ausdrücklich anders erwähnt — davon ausgegangen werden, daß unter „Warnzweck" 14

Häsemeyer, Ges. Form, S. 167 ff. Bernard, Formbed. Rgesch., S. 32. 16 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 32. 17 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 32. 18 Collier, Nichtigkeit, S. 9 ff.; Leonard, AcP 120, 24; Pawlowski, AT, Rdnr. 410 ff.; v. Tuhr, AT, S. 497; Staudinger/Dilcher, § 125, Rdnr. 3; Jauernig/Jauernig, § 125, Anm. la); Beuthien/Hadding, § 125, Anm.2). 19 Heldrich, AcP 147, 91 ff. 20 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 35 ff.; Bockemühl, Formbed. WE, S. 65 ff.; Erman/ Brox, § 125, Rdnr. 1; RGRK-Krüger-Nieland, § 125, Rdnr. 1. 21 Heldrich, AcP 147,91 ff. 22 Bockemühl, Formbed. WE, S. 65 ff. 23 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 40 ff. 24 Lüderitz, Auslegung, S. 196 ff. 15

64

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

im Anschluß an Bernard 25 (der nach der Intensität der bezweckten Einflußnahme differenziert), Warnung und Schutz von Beteiligten vor Übereilung und unbedachter weitgehender rechtlicher Verpflichtung verstanden wird; unter „Hilfestellungszweck" wird die Gewährleistung einer fachmännischen Beratung — vor allem durch notarielle Beurkundung — sowie die eigene Anleitung der Erklärenden zur sorgfältigen Überlegung und Formulierung verstanden; unter „Sicherstellungs- bzw. Beweiszweck" sowohl die prozessuale wie außergerichtliche Eignung zur Beweissicherung, die zugleich die Klarheit über Abschluß und Inhalt der Urkunde in sich birgt, sowie die Erkennbarkeit für Dritte, begriffen. Die von Heidrich zusätzlich angenommenen Formzwecke der Überwachung im Sinne des Gemeinschaftsinteresses sowie der Erschwerung des Vertragsschlusses im Gemeinschaftsinteresse 26 sollen hier unberücksichtigt bleiben, da sie zum einen für die Anwendung der Andeutungsformel in der Rechtsprechung nie problematisch geworden sind und zum anderen - bedingt durch den Zeitpunkt ihrer Ausführung (1941) - heute wohl weitgehend unerheblich geworden sind 2 7 . II. Formzwecke beim formbedürftigen einseitigen Rechtsgeschäft Zu überprüfen im Hinblick auf oben Dargelegtes ist nun zunächst der Typus des einseitigen Rechtsgeschäfts; dessen bekanntester formbedürftiger „Vertreter" — und auch nahezu einziger den Rechtsprechungsentscheidungen zugrundeliegender — ist das Testament, weshalb hier auch im Hinblick auf die aufgeworfene Fragesteüung die Untersuchung auf dieses Rechtsgeschäft zu beschränken ist. Das Gesetz kennt hier zwei Formen, in die diese einseitige letztwillige Verfügung wahlweise zu kleiden ist: Für das eigenhändige Testament (§ 2247, § 2267) ist die Form der eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Erklärung erforderlich. Das öffentliche Testament (§ 2232) kann nur zur Niederschrift eines Notars errichtet werden. Fraglich sind nun die mit diesen Formvorschriften verfolgten Zwecke. In Betracht kommen hier zwei Funktionen: Einerseits der Hüfestellungszweck, andererseits der Beweiszweck. Der Warnzweck kann hier unberücksichtigt bleiben 28 , da die Gefahr der Übereüung einer weitgehenden rechtlichen Verpflichtung nicht gegeben ist, da die Rechtsfolgen sowieso erst nach dem Tod des Erklärenden eintreten. Die vorzunehmende Gewichtung der beiden Formfunktionen wird unterschiedlich beurteüt: So geht Lüderitz 29 davon aus, 25

Bernard, Formbed. Rgesch., S. 40 ff. Heidrich, AcP 147, 92 f. 27 Bockemühl, Formbed. WE, S. 65. 28 A.A., aber ohne Begründung Brox, Irrtumsanf., S. 155; JA 1984, 553; sowie Wolf/ Gangel, JuS 1983, 665, die jedoch die hier für den Hilfestellungszweck genannten Gründe unter dem Terminus „Warnzweck" anführen. 29 Lüderitz, Auslegung, S. 201. 26

Α. Untersuchung der Formzwecke

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daß der Hilfestellungszweck im Vordergrund stehe. Bernard und andere Autoren 3 0 gehen zwar auch von einem Hilfestellungszweck für beide Formen aus, stellen diesen jedoch nicht in den Vordergrund; andere 31 halten die Beweisfunktion hier für den erheblicheren der Zwecke und Danz 32 geht für beide Formen davon aus, daß die Form hier keinen anderen Zweck als den der Sicherstellung des letzten Willens des Erblassers habe. Diese letztere Auffassung ist jedoch damit abzulehnen, daß in jedem Fall bei der Errichtung des öffentlichen Testaments durch mündliche Erklärung vor dem Notar der Hilfestellungszweck eine erhebliche Rolle spielt, da die Beratungspflichten des Notars gerade rechtlich wenig Bewanderten zugute kommen 33 . Auch bei der Errichtung des privatschriftlichen Testaments ist dieser Formzweck aufgrund des dadurch bewirkten Anhaltens des Erblassers zur klaren Überlegung, sorgfältigen Formulierung und selbständigem, eigenverantwortlichen Testieren nicht zu unterschätzen 34 ' 35 . Fraglich ist jedoch, ob nun deshalb auch schon der Hilfestellungszweck — vor dem Beweiszweck — im Vordergrund steht. So geht Lüderitz 36 selbst davon aus, daß beim Testament eine besondere Gefahrenlage hinsichtlich des Beweises bestehe, da hier eine typischerweise einseitige Beweissituation vorliege 37 . Er räumt dem Beweiszweck daher im Ergebnis auch erhebliches Gewicht neben dem Hilfestellungszweck ein. Tatsächlich ist auch davon auszugehen, da gerade beim Testament der Erklärende nicht mehr zur Aufklärung des tatsächlich Gewollten herangezogen werden kann - daß sich beim Testament besondere Gefahrenlagen hinsichtlich der Beweissituation ergeben 38. Es bliebe nämlich - wenn keine Urkunde vorhanden wäre - nur noch das Zeugnis anderer Personen bestehen; woraus dann allerdings die neue Schwierigkeit entstünde, daß es bei Erbstreitigkeiten regelmäßig keine uninteressierten Zeugen gibt 3 9 . Auch wäre für einen Dritten häufig nicht klar erkennbar, was Vorüberlegung und was endgültiger (letztwilliger) Entschluß ist 4 0 . Daher ist hier davon auszugehen, daß bei beiden Formen des Testaments wertungsmäßig der Sicherstellungs- und Beweiszweck im Vordergrund steht. Erhebliches Gewicht kommt zwar, wie dargelegt, auch dem Hilfe30

Bernard,Formbed. Rgesch., S.44; Hack, Auslegung, S. 35; Kipp/Coing,ErbR,S. 126 f.; Lange/Kuchinke, ErbR, S. 228. 31 Brox, Irrtumsanf., S.155; später jedoch anders in JA 1984, 554; Palandt/Edenhofer, § 2231, Anm. 1). 32 Danz, JhJB 54, 56; DJZ 1909, 284. 33 Lange/Kuchinke, ErbR, S. 228; Brox, ErbR, vor Rdnr. 106. 34 Lange/Kuchinke,ErbR, S. 228; Kipp/Coing,ErbR, S. 127; Palandt/Edenhofer, § 2231, Anm. 1). 35 a.A., aber ohne Begründung Brox, JA 1984, 583. 36 Lüderitz, Auslegung, S. 212. 37 Lüderitz, Auslegung, S. 207; ebenso: Kipp/Coing, ErbR, S. 126 f. 38 Brox, Irrtumsanf. S. 155; Kipp/Coing, ErbR, S. 126 f. 39 Kipp/Coing, ErbR, S. 127. 40 Kipp/Coing, ErbR, S. 127. 5 Scherer

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2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

stellungszweck zu; wegen der besonderen Gefahrenlage überwiegt jedoch wertungsmäßig der Sicherstellungszweck. III. Formzwecke beim formbedürftigen einseitig verpflichtenden Vertrag Fraglich sind weiter die Zwecke der Formvorschriften bei den einseitig verpflichtenden Verträgen. Das BGB kennt hier §§ 766, 518, 761, 780, 781 als Formpflichten für Bürgschaft, Schenkungsversprechen, Leibrentenversprechen sowie Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis. Den Entscheidungen des Reichsgerichts und des BGH lagen davon am häufigsten Sachverhalte, in denen Bürgschaftsverträge streitig waren, zugrunde (vgl. oben, Teü I). Gemeinsam ist jedoch allen Vertragstypen die Eingehung der einseitigen Verpflichtung eines Vertragspartners. Einem solchen Versprechen einer einseitigen Verpflichtung steht das Gesetz generell mißtrauisch gegenüber 41. In Betracht kommt hier zunächst der Warnzweck, da alle einseitigen Verpflichtungen im Hinblick auf ihre Folgen - Leistungspflicht bei fehlender Gegenleistungspflicht — risikoreich sind; weiterhin ist als an Intensität dem Warnzweck gegenüber schwächeren Schutz der Hüfestellungszweck - besonders bei notarieller Beurkundung (§ 518) — zu berücksichtigen. Zu denken ist zudem an den Zweck, das Bestehen einer ernstlich gemeinten Verpflichtung zu beweisen und sicherzustellen, wozu die entsprechende Urkunde gem. §§415-418 ZPO potentiell geeignet ist. Fraglich ist somit, wie die Gewichtung unter diesen möglichen Formzwecken vorzunehmen ist, welcher dieser denkbaren Zwecke also beim einseitig verpflichtenden Vertrag wertungsmäßig im Vordergrund steht. Für die §§ 518, 761, 780, 781 wird nahezu einhellig das Vorliegen von Warnund Beweiszweck angenommen42. Lediglich Fikentscher 43 erwähnt für § 518 ausschließlich den Schutz vor übereüten Entschlüssen. Es ist jedoch davon auszugehen, daß ein klagbarer Anspruch bei einseitiger Verpflichtung nur dann bestehen soll, wenn die Verpflichtung durch ein bindendes Versprechen unzweifelhaft anhand der Urkunde nachweisbar ist 4 4 . Ansonsten würde eine unverbindlich gemeinte und lediglich aus Gefälligkeit getane Äußerung des öfteren zu Streitigkeiten über Bestehen oder Nichtbestehen einer Verpflichtung Anlaß geben. Es bestehen also bei den oben genannten Formvorschriften sowohl Warn- als auch

41

Bernard, Formbed. Rgesch., S. 40; vgl. im übrigen Mot. II, S. 291 ff., 293; Prot. II, S. 9ff., 14; Prot. II, S. 461 ff., 462. 42 Bernard. Formbed. Rgesch., S. 45; Bockemühl, Formbed. WE, S. 69; Köbl, DNotZ 1983, 208; Larenz, SchuldR II, S. 485; Soergel/Seiler, § 518, Rdnr. 3; Palandt/Putzo, § 518, Anm. 1. 43 Fikentscher, SchuldR, S. 492. 44 Soergel/Seüer, §518, Rdnr. 3; Palandt/Putzo, §518, Anm.l); Bernard, Formbed. Rgesch., S. 45.

Α. Untersuchung der Formzwecke

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Beweisfunktion. Ein Vorrang wird zwischen diesen beiden einerseits der Warnfunktion eingeräumt 45 , andererseits wird keine Gewichtung vorgenommen, sondern die Zwecke werden ohne Nennung eines Vorrangs als nebeneinander bestehend angesehen46. Da hier eine - bei der letztwilligen Verfügung den Vorrang des Beweiszwecks begründende - besondere Beweissituation fehlt, scheidet ein Vorrang des Beweis- und Sicherstellungszwecks hier aus. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß hier immer ein Äquivalent für die eingegangene Verpflichtung fehlt und daher ein solches Versprechen in jedem Fall ein besonderes wirtschaftliches Risiko für den Versprechenden darstellt, da im Falle einer Verurteilung er — anders als beim zweiseitig verpflichtenden Vertrag — nicht mit einer Gegenleistung rechnen kann. Eine Urkunde, die die Ernstlichkeit und Verbindlichkeit des Versprechens dokumentiert sowie über dessen Inhalt Aufschluß gibt, ist daher für die streitenden Vertragspartner von erheblicher Wichtigkeit. Die Beweislage ist zwar hier nicht so einseitig wie bei der letztwilligen Verfügung; jedoch weist sie dadurch eine Besonderheit gegenüber den zweiseitig verpflichtenden Verträgen auf, daß aufgrund des einseitigen wirtschaftlichen Risikos der Verpflichtungsurkunde gerade im Hinblick auf den Schutz des Versprechenden — und damit auch im Hinblick auf die Beweislage — erhebliche Bedeutung zukommt. Da auch der Schutz vor Übereilung und unbedachten, weitreichenden Verpflichtungen von erheblicher Bedeutung für den Versprechenden ist, ist hier für die obengenannten Formvorschriften von einer Gleichrangigkeit von Warn- und Beweisfunktion auszugehen. Für § 766 sind die Ansichten hinsichtlich der mit dieser Formvorschrift verfolgten Zwecke geteilt; einerseits 47 wird lediglich von dem Vorliegen einer Warnfunktion ausgegangen. Andererseits 48 wird vom Bestehen sowohl von Warn- als auch von Sicherungs- und Beweiszwecken ausgegangen. Wie bei den übrigen einseitigen Verpflichtüngsgeschäften ist jedoch auch hier davon auszugehen, daß zum Schutz des Bürgen ein klagbarer Anspruch nur dann gewährt werden soll, wenn durch das Vorliegen einer Urkunde keine Zweifel mehr darüber bestehen, daß nicht nur eine unverbindliche Redensart aus Gefälligkeit dem angeblichen Versprechen zugrundeliegt 49 . Bei § 766 bestehen somit Warn- und Beweisfunktion. Fraglich ist jedoch, wie die wertungsmäßige Gewichtung zwischen beiden Formzwecken vorzunehmen ist. Zum einen wird angenommen, daß die Warnfunktion prinzipiell im Vordergrund stehe, die Verwendung als Beweismittel 45

Bockemühl, Formbed. WE, S. 69. Bernard, Formbed. Rgesch., S.45; Larenz, SchuldR II, S. 485; Köbl, DNotZ 1983, 208; Soergel/Seiler, § 518, Rdnr. 3; Palandt/Putzo, § 518, Anm. 1). 47 Palandt/Thomas, § 766, Anm. 1); MünchKomm-Pecher, § 766, Rdnr. 1; Lüderitz, Auslegung, S. 196. 48 Leonard, Bes. SchuldR II, S.315f.; Larenz, SchuldR II, S.476; Köbl, DNotZ 1983, 208; Fikentscher, SchuldR, S. 622;Soergel/Mühl, § 766,Rdnr.2;Erman/Seiler, § 766, Rdnr.2. 49 Vgl. Prot. II, S. 461 ff., 462. 46

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2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

und zur Sicherstellung gewissermaßen nur „nebenbei" erfolge 50 . Zum anderen wird hinsichtlich der Gewichtung keine Wertung vorgenommen 51 , zum dritten werden beide Funktionen als gleichwertig nebeneinander bestehend angenommen 5 2 . Mangels einer besonderen Beweissituation kommt auch für § 766, wie für die übrigen einseitigen Verpflichtüngsgeschäfte ein Vorrang des Beweiszwecks nicht in Betracht. Mangels eines Äquivalents für die zu erbringende Leistung ergibt sich aber auch hier eine wertungsmäßig ähnliche Situation wie bei den anderen einseitig verpflichtenden Verträgen: Aufgrund des erheblichen wirtschaftlichen Risikos, das auch der Bürge — trotz Regreßmöglichkeit beim Hauptschuldner über §§ 774, 670 - eingeht, ist die Beweisfunktion der Urkunde wertungsmäßig von ebensolcher Bedeutung wie die der Warnung und des Schutzes vor Übereüung 53 . Insbesondere ist bei der Bürgschaft — noch mehr als bei den übrigen einseitigen Verpflichtungsgeschäften - von Erheblichkeit, anhand einer Urkunde eine Grenzziehung zu ermöglichen, „zwischen den Freunden, die nur dem Gläubiger zureden und den Schuldner empfehlen, und dem, der sich wirklich dafür haftbar machen w ü l " 5 4 . Es kann hier nämlich nicht davon ausgegangen werden, daß durch die genannten Regreßmöglichkeiten der Bürge sein Risiko mindert, da gerade seine Bürgschaft regelmäßig in den Fällen in Anspruch genommen wird, in denen der Hauptschuldner sowieso nicht mehr zahlungsfähig ist. Für § 766 ist somit ebenfalls, wie bereits für die übrigen einseitigen Verpflichtungsgeschäfte von einer Gleichrangigkeit von Warn- und Beweisfunktion auszugehen. IV. Formzwecke beim formbedürftigen synallagmatischen Verpflichtungsvertrag Zu untersuchen sind nun die Zwecke der Formvorschriften beim synallagmatischen Verpflichtungsvertrag. Der synallagmatische Verpflichtungsvertrag als solcher kennt keinen Formzwang, vielmehr richtet er sich — ähnlich wie die einseitig verpflichtenden Verträge, jedoch wesentlich augenfälliger als diese — an dem jeweüigen Geschäftsgegenstand aus. Für mehrere Geschäftsgegenstände, die regelmäßig Gegenstand synallagmatischer Verpflichtungsverträge sind, existieren im BGB Formvorschriften. Relevant wurden davon in der Rechtsprechung nahezu ausschließlich Grundstückskaufverträge und langfristige Mietverträge, wovon die Grundstückskaufverträge bei weitem den „Löwenanteü" ausmachten. Daher soll hier — im Hinblick auf die oben aufgeworfene Fragestellung — die

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Erman/Seiler, § 766, Rdnr. 2; Fikentscher, SchuldR, S. 622. Larenz, SchuldR II, S. 476; Köbl, DNotZ 1983, 208; Soergel/Mühl, § 766, Rdnr. 2. Leonhard, Bes. SchuldR II, S. 315 f. Vgl. Prot. II, S. 461 ff., 462. Leonhard, Bes. SchuldR II, S. 315.

Α. Untersuchung der Formzwecke

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Untersuchung beschränkt werden auf diese beiden Beispiele für Formbedürftigkeit beim synallagmatischen Verpflichtungsvertrag. Für beide Formvorschriften kommen zunächst als Funktion alle drei Gruppierungen von Formzwecken, nämlich Warn-, Hüfestellungs- und Beweiszweck in Betracht. Der Hüfestellungszweck ist naturgemäß in dem Zwang zu notarieller Beurkundung des ganzen Veräußerungsvertrages gem. §313 und der dadurch den Vertragsparteien zugute kommenden Beratungs- und Belehrungspflichten des Notars enthalten. Bei dem Schrifterfordernis des § 566 liegt er in dem Zwang zur eingehenden, klaren Überlegung und zur sorgfältigen, exakten Formulierung. Im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung des Geschäftsgegenstandes - einerseits Verlust von Grundeigentum des Veräußerers, das oft den wesentlichen Bestandteü seines Vermögens ausmacht, sowie eine erhebliche monetäre Verpflichtung des Erwerbers, andererseits eine langfristige Bindung von Wohnraum beim Vermieter bzw. Gebundenheit an Wohnraum beim Mieter — ist auch an einen Warnzweck der Formvorschriften zu denken. In Betracht kommt auch der Beweis- und Sicherstellungszweck, beiderseits im Hinblick auf die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung, bei den Mietverträgen zusätzlich im Hinblick auf § 571. Einigkeit besteht für § 313 zunächst darüber, daß diese Formvorschrift beide Vertragsparteien schützt 5 5 ' 5 6 . Geteüt sind die Ansichten jedoch zunächst hinsichtlich der in § 313 enthaltenen Formzwecke. Lediglich das Vorhandensein eines Hüfestellungszwecks, nicht aber zusätzlich eines Warnzwecks wird von Bernard 57 angenommen. Hierbei geht er zwar davon aus, daß vor Änderung des §313, S. 1 der Aspekt der Warnung des Grundeigentümers im Vordergrund stand; dieser sei jedoch mehr und mehr zugunsten des Beratungs- und Hüfestellungszwecks zurückgetreten 58. Nachdem nun auch die bloße Erwerbsverpflichtung von § 313 erfaßt werde, lasse sich dieser Formzwang nicht mehr mit dem für den Warnzweck genannten Grund rechtfertigen, die Weggabe von Grund und Boden sei nicht leicht zu nehmen 59 . Und allein die Tatsache, daß es bei Grundstücksgeschäften regelmäßig um erhebliche Wertbewegungen gehe, sei kein Anlaß für Warnung und Schutz 60 . Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß für die Gesetzesänderung mitbestimmend war, Schutz auch denjenigen zu verschaffen, die ein Eigenheim oder eine 55 Huhn, Rpfleger 1974, 3; Erti, DNotZ 1976, 77; Bernard, Formbed. Rgesch., S. 44; Köhler, JR 1984,15. 56 Zum Zustand vor der Gesetzesänderung vom 30.5.1973 vgl. Grunsky, JuS 1971,177 ff.; Hepp,ZRP 1970,100 f.; Löwe, NJW 1971, 729 ff; Schwark, ZRP 1970, 37; Wacke, JZ 1971, 684 f.; Wagner, AcP 172,452 ff. 57 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 44. 58 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 44. 59 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 44. 60 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 44.

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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Eigentumswohnung zu erwerben wünschten, da die Wohnungsbaugesellschaften sich häufig eine einseitige Erwerbsverpflichtung versprechen ließen und in Verbindung damit auch schon Zahlungen verlangten, ohne daß die Gesellschaften sich ihrerseits bereits zur Übereignung verpflichteten 61 . Hieraus ergibt sich, daß bereits der Wechsel von Grundeigentum schlechthin vom Gesetz zum Anlaß für Warnung genommen wird. Zudem finden sich im Gesetz häufig Formvorschriften, deren Warnzweck gerade auf der hohen wirtschaftlichen Bedeutung des Geschäfts - mit der häufig naturgemäß wirtschaftliche Risiken verbunden sind beruht (vgl. § 766, § 780, § 781, § 311). Ein Hilfestellungszweck als einzige in § 313 enthaltene Funktion kann somit nicht angenommen werden. Demgemäß geht Köbl 6 2 davon aus, daß für § 313 sowohl Warn- als auch Hilfestellungszweck maßgeblich sind. Die überwiegende Ansicht ist jedoch dahingehend, daß Warn-, Hilfestellungs- und Beweiszweck in § 313 enthalten sind 6 3 . Dem ist auch zuzustimmen, da wegen des erheblichen wirtschaftlichen Gewichts der Grundstücksveräußerung sowie des -erwerbs dem Beweiszweck — über die potentielle Beweisfunktion einer jeden Urkunde gem. §§ 415 ff. ZPO hinaus — ein erhebliches Gewicht zukommt und dieser daher hier nicht außer acht gelassen werden kann. Fraglich ist somit, wie die wertungsmäßige Gewichtung innerhalb dieser drei Formfunktionen vorzunehmen ist. So sieht Collier 64 den Sicherstellungszweck, Heldrich 65 dagegen den Warn- und Hilfestellungszweck im Vordergrund. Die übrigen Autoren 66 nehmen keine Wertung vor. Da beim Grundstückskaufvertrag die besondere Beweislage, die bei der Testamentsform den Vorrang der Beweisfunktion begründet, hier nicht vorliegt, kann nicht davon ausgegangen werden, daß dieser Zweck neben den beiden anderen erheblichen Formzwecken im Vordergrund steht. Zu berücksichtigen ist, daß gem. §§415 ff. ZPO eine Beweisfunktion potentiell jeder Urkunde zukommt. Daraus allein kann jedoch noch nicht generell eine Gleichrangigkeit des Beweiszweckes mit den übrigen Formzwecken gefolgert werden. Vielmehr ist anhand der Beweissituation und des wirtschaftlichen Risikos, welches das formbedürftige Rechtsgeschäft mit sich bringt, auf die Bedeutung der Beweisfunktion der Urkunde zu schließen. Da selbst bei erheblichem Wert des Grundeigentums aufgrund der Tatsache, daß beim Kauf der Veräußerer ein Äquivalent für sein Grundstück erhält, nicht davon ausgegangen werden kann, daß hier ein den oben dargestellten Rechtsgeschäften ähnliches gravierendes wirtschaftliches Risiko eingegangen wird, kann 61

Larenz, SchuldR II, S. 68. Köbl, DNotZ 1983,599. 63 Brox, JA 1984, 554; Erti, DNotZ 1976, 77; DNotZ 1977, 81 f.; Lange/Köhler, AT, S. 236; Collier, Nichtigkeit, S. 9; Heldrich, AcP 147, 92; Köhler, JR 1984,15; Lüderitz, Auslegung, S. 196, 205, 208. 64 Collier, Nichtigkeit, S.9. 65 Heldrich, AcP 147, 92. 66 Erti, DNotZ 1976,77; DNotZ 1977,81 f.; Lange/Köhler, AT, S.236; Köhler, JR 1984, 15; Lüderitz, Auslegung, S. 196, 205, 208. 62

Α. Untersuchung der Formzwecke

71

hier auch nicht eine so erhebliche Bedeutung des Beweiszweckes gegenüber dem Warn- und Hüfestellungszweck gefolgert werden. Es ist somit davon auszugehen, daß bei § 313 Warn- und Hüfestellungszweck gegenüber dem Beweis- und Sicherstellungszweck im Vordergrund stehen. Für § 566 wird nahezu einhellig davon ausgegangen, daß bei dieser Formvorschrift im Hinblick auf § 571 der Gesichtspunkt des Schutzes eines Dritten, nämlich des Grundstückserwerbers, der sich Klarheit über die von ihm zu übernehmende Verpflichtung verschaffen können muß, im Vordergrund stehe 67 . Hingegen geht Heidrich 68 davon aus, daß der wahre Grund für § 566 in der großen Wichtigkeit der langfristigen Mietverträge für den Mieter zu erblicken sei, die Formvorschrift also Beweissicherung zugunsten des Mieters schaffen wolle. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der Mieter bei Nichtbestehen des Mietvertrages auch kein Äquivalent (in Form von Mietzins) mehr erbringen muß; das wirtschaftliche Risiko für ihn ist also gering. Zudem ist zu berücksichtigen, daß der nicht schriftlich abgefaßte Mietvertrag nicht automatisch nichtig ist, sondern gem. § 566, S. 2 auf unbestimmte Zeit geschlossen und eine Kündigung nicht vor Schluß des ersten Jahres zulässig ist. Der Mieter ist somit seiner Wohnung für mindestens ein volles Jahr sicher und hat somit in jedem Fall ausreichend Zeit, eine andere Wohnung zu suchen. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, daß der langfristige Mietvertrag von solcher Erheblichkeit für den Mieter ist, daß § 566 vor allem im Interesse des Mieters an einer Sicherstellung seines Mietvertrages besteht. Vielmehr ist hier mit der überwiegenden Meinung davon auszugehen, daß Zweck dieser Formvorschrift vor allem der Schutz eines Dritten, nämlich des Grundstückserwerbers ist. Im Verhältnis der Mietparteien zueinander besteht dagegen die Warnfunktion 69 , der gegenüber der Beweiszweck zurücktritt. V. Formzwecke beim formbedürftigen Verfügungsgeschäft Fraglich ist nun, welche Zwecke das Gesetz mit den Beurkundungsvorschriften bei den Verfügungsgeschäften vorsieht. Da hier als einziges Erfüllungsgeschäft, das in der langjährigen Rechtsprechung wiederholt Entscheidungen zugrunde lag, die Eigentumsübertragung am Grundstück gem. §§ 873, 925 ist, soll dieses daher im Hinblick auf obige Fragestellung hier auch aUeine nur untersucht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft auch im Rahmen der Formvorschriften erhebliche Bedeutung zukommt 7 0 . Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, daß die für das dem 67 Bernard, Formbed. Rgesch., S.46; Erman/Brox, § 125, Rdnr. 1; Flume, AT, S. 307; NJW1983, 2009; Köhler, JR 1984,15; Lüderitz, Auslegung, S. 209; MünchKomm-Förschler, § 125, Rdnr. 5; Larenz, SchuldR II, S. 183. 68 Heidrich, AcP 147, 92. 69 Bockemühl, Formbed. WE, S. 71. 70 Köbl, DNotZ 1983,208.

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2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

Erfüllungsgeschäft zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft geltenden Formzwecke auch ohne weiteres für das Erfüllungsgeschäft bestimmend sind. Zwar bestehen grundsätzlich dieselben Schutzzwecke bei der Form des § 925 wie bei der des §313: Warn- und Hilfestellungsfunktion durch Belehrung durch den Notar, sowie Beweis- und Sicherstellungsfunktion 71. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß im Rahmen des § 925 eine völlig andere Gewichtung vorgenommen werden muß; wollte nämlich das Gesetz die Parteien erst hier vor übereilter Bindung schützen und erst jetzt eine fachkundige Beratung gewährleisten, käme dies mit Sicherheit zu spät 72 . Ein Schutz wäre nicht mehr möglich, wenn die der Verfügung zugrunde liegende Verpflichtung formlos gültig wäre 73 . Daher ist der Warn- und Hilfestellungszweck des § 925 gegenüber dem des § 313 im wesentlichen bedeutungslos74. Anderes gilt jedoch für den Beweiszweck. Dessen Funktion kann hier theoretisch zweierlei sein: Einerseits eine Beweis- und Sicherstellungsfunktion hinsichtlich des Eigentumsübergangs zwischen den Parteien; andererseits die Schaffung klarer und einwandfreier Unterlagen für die Grundbucheintragung. Zwar kann die erste Funktion relevant werden, wenn die Sicherstellung des Zeitpunktes der Einigung zwischen den Parteien — etwa im Hinblick auf § 873 I I — erforderlich wird. Im übrigen jedoch kommt ihr gegenüber § 313 keine besondere eigenständige Bedeutung zu, da der Geschäftsgegenstand bei § 925 sowieso mit dem des § 313 naturgemäß identisch sein wird und dies auch durch § 925 a weitestgehend gewährleistet ist. Erhebliches Gewicht ist jedoch der zweiten Funktion beizumessen: Um ein Auseinanderfallen zwischen Grundbuchstand und materieller Rechtslage weitestgehend zu verhindern und eine Übereinstimmung zu gewährleisten, ist es von besonderer Bedeutung, klare und einwandfreie Unterlagen — gerade auch im Hinblick auf § 20 GBO — für die Grundbucheintragung zu erhalten 75 . Öffentliche Interessen, nämlich die Institution des Grundbuchs, stehen somit bei § 925 im Vordergrund. Der Beweis- und Sicherstellungszweck hat hier — ähnlich wie bei § 571 — eine Zielrichtung auf Dritte; zwischen den Parteien hingegen ist er — ebenso wie bei § 313 und § 566 — nur von untergeordneter Bedeutung. Zusammenfassung Es ist also festzuhalten, daß für die beiden Formen der testamentarischen Verfügung der Beweis- und Sicherstellungszweck vor dem Hilfestellungszweck im Vordergrund steht, ein Warnzweck wohnt diesen Formen nicht inne. Bei allen formbedürftigen Rechtsgeschäften vom Typus des einseitig verpflichtenden 71 72 73 74 75

MünchKomm-Kanzleiter, § 925, Rdnr. 1; Soergel/Baur, § 925, Rdnr. 1. Köbl, DNotZ 1983,211. Köbl, DNotZ 1983,211. Köbl, DNotZ 1983, 211 ; ähnlich: MünchKomm-Kanzleiter, § 925, Rdnr. 1. MünchKomm-Kanzleiter, § 925, Rdnr. 1.

Β. Versuch einer Rechtfertigung der Andeutungsformel

73

Vertrags sind Beweis- und Warnzweck der Form gleichrangig; der Hilfestellungszweck ist als an Intensität gegenüber dem Warnzweck geringer in diesem enthalten. Beim zweiseitig verpflichtenden synallagmatischen Vertrag stehen bei § 313 Warn- und Hüfestellungszweck vor dem Beweis- und Sicherstellungszweck im Vordergrund. Die Formvorschrift des § 566 hat — im Verhältnis zwischen den Parteien - dieselbe Funktion; in der Zielrichtung auf Dritte (§ 571) bezweckt sie jedoch schwerpunktmäßig deren Schutz. Beim Verfügungsgeschäft als Erfüllungsgeschäft des zugrunde liegenden Verpflichtungsvertrages kommt dem Warnund Hüfestellungszweck kaum eine Bedeutung zu, dem Beweis- und Sicherstellungszweck im Verhältnis zwischen den Parteien keine wesentliche. Hauptsächlich liegt hier die Bedeutung der Form in dem Beweis- und Sicherstellungszweck mit Zielrichtung auf Dritte.

B. Versuch einer Rechtfertigung der Andeutungsformel Da die Rechtsprechung die Andeutungsformel aus den Formzwecken entwikkelt 1 und sie diese auch heute noch zur Begründung heranzieht 2 , ist somit nun zu untersuchen, ob die dargestellten Zwecke der Formvorschriften bei den einzelnen Rechtsgeschäftstypen die Anwendung der Andeutungsformel zur Lösung der Formfragen rechtfertigen können. Einigkeit besteht dabei heute 3 ' 4 darüber, daß nicht überprüft werden darf, ob die Formzwecke im Einzelfall erfüllt sind oder nicht. Die Formzwecke sind nämlich legislatives Motiv der Form, das schematisierend typische Gefahrenlagen erfaßt 5 , nicht aber Tatbestandsmerkmal; ob der Zweck daher im Einzelfall durch die Form erreicht wird oder auch auf andere Weise erreichbar ist, ändert nichts an dem gesetzlichen Formzwang 6. Daher ist nicht im konkreten Einzelfall, sondern lediglich abstrakt für den betreffenden Rechtsgeschäftstyp die Rechtfertigung der Anwendung der Andeutungsformel zu überprüfen. Kritisiert wird die Anwendung der Andeutungsformel von mehreren Autoren, die im Ergebnis alle davon ausgehen, daß die Formzwecke die Andeutungsformel zu ihrer Wahrung nicht erforderten, da sie auch ohne Anwendung dieser Formregel gewahrt würden, wobei zum Teü Lösungs-Alternativen entwickelt werden. Hinsichtlich des Vorwurfes der Unsicherheit der Andeutungskriterien und der

1

RGZ 57, 258 ff. BGHZ 80, 242 ff., 246. 3 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 32; Häsemeyer, Ges. Form, S. 164; Lüderitz, Auslegung, S. 195 ; Merz, AcP 163,315 ; Müller, DNotZ 1966, 86; MünchKomm-Förschler, § 125, Rdnr. 5. 4 Früher a.A. Danz, Auslegung, S. 182; DJZ 1909, Sp. 286; JhJb 54, 63; dagegen bereits Bang, JhJb 66,376. 5 Lüderitz, Auslegung, S. 195. 6 Ihering, Geist des R II, 475. 2

74

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

widersprüchlichen Handhabung der Andeutungsformel 7 wird auf das Ergebnis der Untersuchung des ersten Teils verwiesen. Da sich hier - im Hinblick auf die verschiedene Gewichtung der Formzwecke innerhalb der einzelnen Rechtsgeschäftstypen — unterschiedliche Grundlagen für eine Untersuchung der Andeutungsformel ergeben, soll hier wiederum die oben angewandte Gruppierung vorgenommen werden. I. Die Andeutungsformel beim einseitigen Rechtsgeschäft Für den Typ des einseitigen Rechtsgeschäfts (Paradebeispiel: Testament) wird hier zunächst angenommen, daß die Andeutungsformel im Widerspruch zu dem Grundsatz der ZPO stehe, daß - abgesehen von den besonderen Verfahren - alle Beweismittel zulässig seien; die Andeutungsformel sei aus diesem Grund nicht zu rechtfertigen 8. Diese Argumentation stellt jedoch lediglich die Behauptung eines Ergebnisses ohne eine Begründung dar, denn ob die Andeutungsformel zu rechtfertigen ist und damit auch eine zulässige Beschränkung der Verwendung aller Beweismittel darstellt, ist gerade das Problem. Mit subtiler Argumentation wird jedoch die Wahrung des Beweissicherungszwecks durch die Anwendung der Andeutungsformel in Frage gestellt: Bei der Heranziehung der Andeutungsformel zum Beweis werde überschätzt, was die Form zu leisten vermöge 9. Gerade mit Anwendung der Andeutungsformel ließen sich nämlich Beweisaufnahmen über außerurkundliche Umstände nicht vermeiden, da der Wortlaut zwar ein wichtiges Indiz für den Geschäftsinhalt sei, aber niemals Gewißheit hinsichtlich des Geschäftsinhalts schaffen könne 1 0 . Aufgrund der Existenz des § 2078 habe schließlich der Gesetzgeber im Falle eines Streits über die Anfechtung sowieso mit einer Beweisaufnahme über einzelne Motive des Erblassers gerechnet; außerdem gehe der Gesetzgeber selbst davon aus, wie aus den Protokollen 11 ersichtlich sei, daß eine unrichtige Bezeichnung des Gegenstandes oder des Bedachten wegen § 133 unschädlich sei. Der Gesetzgeber selbst verlange also keine „Andeutung", vielmehr gehe er von einer freien Auslegbarkeit der Urkunde auch hinsichtlich der Formwahrung aus 12 . Anstatt die Andeutungsformel anzuwenden, sei es daher sinnvoller, alle später eingetretenen objektiven, nicht aber subjektiven Umstände zu berücksichtigen und diese in den zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bestehenden Erblasserwillen hineinzuproji7

Bernard, Formbed. Rgesch., S. 66 ff.; Brox, Irrtumsanf., S. 152; Häsemeyer, Ges. Form, S. 144f.; JuS 1980, 7; Lüderitz, Auslegung, S. 186ff.; Reinicke, JA 1980, 461; Wieser, JZ 1985,408. 8 Hack, Auslegung, S. 36 f. 9 Bernard, Formbed. Rgesch., S.71. 10 Brox, Irrtumsanf., S. 142; Reinicke, JA 1980,461; Bernard, Formbed. Rgesch., S. 71. 11 Prot. V, 49. 12 Brox, Irrtumsanf., S. 142.

Β. Versuch einer Rechtfertigung der Andeutungsformel

75

zieren 13 . Diese Lösungsalternative vermischt jedoch das Problem der „ergänzenden Testamentsauslegung" mit der hier fraglichen Fallgestaltung, daß aufgrund fehlerhafter Vorstellung des Erblassers bereits zur Zeit der Testamentserrichtung die „Andeutung" des Gewollten im Testament problematisch ist. Zudem würde diese Alternative § 2078 nahezu obsolet werden lassen, was zwar dort auch erkannt, jedoch nicht für wesentlich erachtet wird 1 4 . Eine solche „Beseitigung de facto" des § 2078 stellt jedoch eine Auslegung „contra legem" dar, die nicht akzeptiert werden kann. Auch ist die Berücksichtigung von Veränderungen lediglich bei den objektiven, nicht aber bei den subjektiven Umständen, die im Hinblick auf den Beweiszweck vorgenommen wird, kein sicheres Abgrenzungskriterium gerade auch im Hinblick auf die der Andeutungsformel vorgeworfene widersprüchliche Handhabung: Denn wann noch ein objektiver Umstand, der dann auf den zur Zeit der Testamentserrichtung bestehenden Erblasserwülen zu reprojizieren ist, besteht oder nicht, kann wohl ebenso unterschiedlich beantwortet werden, wie die Frage nach der in der Urkunde vorhandenen Andeutung. Gewichtig ist nun das Argument, daß der Beweiszweck hier die Andeutungsformel zu seiner Wahrung nicht erfordere, vielmehr eine ,Andeutung" des Gewollten in der Urkunde zum Beweis nicht nötig sei, sondern Beweis des tatsächlich Gewoüten jederzeit auch durch ausschließlich außerurkundliches Material zulässig sei 15 . An sich könnte davon ausgegangen werden, daß dies nur die konsequente Fortführung der Überlegung ist, daß auch bei Anwendung der Andeutungsformel eine Beweisaufnahme über außerurkundliche Umstände nicht vermieden werden kann. Jedoch würde dies zu dem Schluß führen, daß jede Behauptung eines anderen Wülens — und damit auch der Beweis desselben - auch ohne jeden Anhalt in der Urkunde zulässig ist. Welche Konsequenzen ergäben sich aber hieraus für das Testament? Wie bereits dargelegt, und wie Lüderitz 16 und Brox 1 7 selbst ausführen, besteht beim Testament eine typische, besondere Gefahrenlage: Der Erklärende, der Aufschluß über das tatsächlich Gewollte geben könnte, lebt nicht mehr; es bliebe also nur der Zeugenbeweis, der jedoch aufgrund der Tatsache, daß es bei Erbstreitigkeiten regelmäßig keine uninteressierten Zeugen gibt, äußerst unsicher wäre. Brox 1 8 betont hier besonders, daß in einer solchen Beweissituation Erbschleicher neue Chancen sähen, indem sie durch frei erfundene Behauptungen die Erben mit Prozessen überziehen und sie möglicherweise zu einem Vergleich bewegen, eventuell sogar mit Hüfe gedungener Zeugen obsiegen könnten. Das Ergebnis hier wäre also, daß damit jede Beweisfunktion der Urkunde obsolet wäre, da jedwede Tatsache behauptet und 13 14 15 16 17 18

Brox, Irrtumsanf., S. 157 f. Brox, Irrtumsanf., S. 142. Brox, Irrtumsanf., S. 142. Lüderitz, Auslegung, S. 207. Brox, Irrtumsanf., S. 155. Brox, Irrtumsanf., S. 155; ebenso Wolf/Gangel, JuS 1983, 665 ; Wieling, Jura 1979,528.

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

76

durch Zeugenbeweis bewiesen werden könnte. Eine solche Situation wäre jedoch gerade für das Testament untragbar. Daher kommt auch Brox zunächst zu dem Ergebnis, daß die Andeutungsformel dazu beitrage, die Flut der Erbstreitigkeiten durch Sicherstellung des Beweises einzudämmen 19 . Zwar befürwortet er im Ergebnis die oben dargestellte Lösungsalternative; diese ist jedoch aus den dargelegten Gründen abzulehnen. Später 20 geht Brox 2 1 davon aus, daß dem Formerfordernis lediglich eine Beweislastfunktion zukomme: Wer also einen anderen Erblasserwillen behaupte, als den, der sich aus dem Testament entnehmen lasse, trage dafür die Beweislast. Dieser Lösungsalternative ist jedoch entgegènzuhalten, daß sich durch sie an der oben aufgezeigten typischen Gefahrenlage dieser einseitigen Beweissituation nichts ändert: Wenn es durch Verzicht auf eine „Andeutung" in der Urkunde ermöglicht wird, durch gedungene Zeugen eine erfundene Behauptung hinsichtlich des Erblasserwillens zu beweisen, ändert daran die Beweislastregelung nichts. Auch diese Alternative kann somit nicht zur Behebung der bestehenden Probleme bei der aufgezeigten Beweissituation herangezogen werden. Es ist also nur konsequent, davon auszugehen, daß die Sicherstellung des Beweises in dieser besonderen Beweissituation eine , »Andeutung" des tatsächlich Gewollten in der Urkunde erfordert. Auch kann demgegenüber das Argument, daß das Vertrauen Dritter auf das Erbe nicht schutzwürdig sei und daher eine „Andeutung" nicht gefordert werden könne 2 2 , nicht schlagen, da es bei dem Problem einer typisch einseitigen Beweissituation nicht um die Frage des Vertrauensschutzes, sondern um eine interessengerechte Regelung der Zulässigkeit bestimmter Beweise geht. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob der Hilfestellungszweck, den die Testamentsformen zusätzlich verfolgen, generell auch erfüllt ist, wenn der Erblasser sich den Gegenstand seiner Verfügung im Augenblick der Erklärung im wesentlichen richtig vorstellt, mag er ihn auch unrichtig zum Ausdruck bringen 23 . Das hierbei zusätzlich gebrauchte Argument, daß das Formerfordernis gegenüber dem Erfolgsinteresse zurückzustehen habe 2 4 , kann jedenfalls gegenüber dem Beweiszweck kein anderes Ergebnis zeitigen. Es ist somit für den Typus des einseitigen Rechtsgeschäfts davon auszugehen, daß aufgrund der hier bestehenden, typischerweise gefahrträchtigen, einseitigen Beweissituation die Andeutungsformel zur Wahrung des Beweiszweckes der Urkunde zu Recht besteht.

19

Ebenso Wolf/Gangel, JuS 1983,665; Wieling, AcP 172, 310; Jura 1979,528. Brox, JA 1984,554. 21 Ebenso Flume, NJW 1983, 2008. 22 Brox, JA 1984,553. 23 Lüderitz, Auslegung, S. 201. 24 Lüderitz, Auslegung, S.204; ähnlich Danz, JhJB 54, 63; DJZ 1909, Sp. 286; Recht 1913, 354; Dernburg, DJZ 1904, Sp. 6. 20

Β. Versuch einer Rechtfertigung der Andeutungsformel

77

II. Die Andeutungsformel beim einseitig verpflichtenden Vertrag Für den Rechtsgeschäftstypus des einseitig verpflichtenden Vertrages wird ebenfalls angenommen, daß die Andeutungsformel nicht zu rechtfertigen sei, und zwar weder durch den Warn- (und Hüfestellungszweck) noch durch den Beweiszweck. Hinsichtlich des Warnzwecks wird davon ausgegangen, daß die Erreichung dieses Zweckes nicht davon abhänge, ob bei der urkundlichen Erklärung ein bestimmter Bedeutungsmaßstab des gewählten Ausdrucks eingehalten sei. Vielmehr sei den Beteüigten auch mit den von ihnen gewählten Ausdrücken das jeweüs Gewollte deutlich vor Augen, auch wenn sie dem üblichen Sprachgebrauch nicht entsprächen 25. Selbst eine unrichtige Vorstellung des nach wesentlichen Merkmalen individualisierten Gegenstandes wird deshalb zumindest solange als unschädlich angesehen, als dem durch die Formvorschrift Geschützten bei Geltung des wirklich Gewollten keine neuen oder größeren Pflichten auferlegt oder keine weiteren Rechte entzogen würden 26 . Problematisch ist jedoch zunächst bei der Annahme, daß die Beteüigten das jeweüs Gewollte auch bei Gebrauch anderer als der üblichen Ausdrücke deutlich vor Augen hätten, ob dies wirklich in dem Fall einer fehlenden Andeutung den Tatsachen entsprechen wird. Gesetzt den Fall, daß z.B. die Hauptschuld bei der Bürgschaftserklärung in der Urkunde nicht angedeutet ist 2 7 , ist es sehr fraglich, ob der Bürge sich über Art und vor allem Höhe der Hauptschuld überhaupt Gedanken gemacht hat, was aber unerläßlich wäre zur Erfüllung des Warnzwecks der geforderten Form. Es würde eine Beweiserhebung über diese Frage erforderlich, was jedoch wiederum dem Zweck der Sicherstellung entgegenstünde, da dieser gerade auch zusätzliche Beweiserhebungen über Zustandekommen und Inhalt des Rechtsgeschäfts verhindern soll. Somit bestehen erhebliche Bedenken gegen die generelle Erfüüuiig des Warnzwecks bei Verzicht auf die Andeutungsformel. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Anwendung der Andeutungsformel beim einseitig verpflichtenden Vertrag gerechtfertigt wird durch den Warnzweck, wenn der Beweis- und Sicherstellungszweck die Anwendung der Andeutungsformel zwingend erfordert. Gegen die Rechtfertigung der Andeutungsformel durch den Beweis- und Sichersteüungszweckwird hier - ähnlich wie beim einseitigen Rechtsgeschäft - angeführt, daß durch die Anwendung der Andeutungsformel hier nur eine unvollkommene Erfüüung des Beweiszwecks erzielt werde, da die Urkunde niemals allein Gewißheit über den Geschäftsinhalt erzeugen könne; Beweisaufnahmen über 25 Bernard, Formbed. Rgesch., S. 73; Reinicke, JA 1980,461; Lüderitz, Auslegung, S. 201; ähnüch Häsemeyer, Ges. Form, S. 270f.; JuS 1980, 6; Wieser, JZ 1985,408; Taupitz, W>1 1983,1150. 26 Lüderitz, Auslegung, S. 197. 27 Vgl. z.B. Nr. 12 = RGZ 71,113 ff.; Nr. 9 = RGZ 62, 379 ff.

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

78

außerurkundliche Umstände ließen sich auch hier gerade oft nicht vermeiden 28 . Statt Anwendung der Andeutungsformel wird daher als Lösungsalternative vorgeschlagen, die Form bereits dann — unabhängig vom Inhalt der Urkunde — als gewahrt anzusehen, wenn sich die Erklärenden subjektiv um eine formgerechte Fassung ihrer Willenserklärung bemüht haben 29 . Hiergegen ist jedoch einzuwenden, daß selbst eine unvollkommene Erfüllung des Beweiszwecks der Urkunde besser ist als gar keine, wie dies im Fall einer völligen Loslösung vom Urkundeninhalt beim Abstellen auf lediglich subjektive Bemühungen der Beteiligten um formgerechte Fassung ihrer Erklärung der Fall ist. Statt dessen ist als Lösungsansatz hier von der dem Beweiszweck beim einseitig verpflichtenden Vertrag zukommender Bedeutung auszugehen: Das dem Beweiszweck zukommende erhebliche Gewicht resultiert, wie oben dargelegt, aus dem bedeutenden wirtschaftlichen Risiko, das der sich einseitig Verpflichtende regelmäßig eingeht. Zwar ist hier keine — wie etwa beim Testament vorliegende - einseitige Beweissituation gegeben: Der einseitig Verpflichtete könnte ohne weiteres bekunden, was er tatsächlich gewollt und unter dem von ihm gebrauchten Ausdruck verstanden hat; eine Erforschung des wirklichen Erklärungsinhalts wäre somit hier wesentlich leichter als beim Testament. Jedoch ist es hier (ebenso wie beim Testament) leicht denkbar, daß bei Verzicht auf die Andeutungsformel und daher der Möglichkeit, jedwede Behauptung über das wirklich Gewollte aufstellen zu können - und der daraus resultierenden Zulässigkeit einer Beweiserhebung über die Behauptung — es möglich wäre durch gedungene Zeugen Beweis über ein angeblich Gewolltes zu erbringen, obwohl in der Urkunde dafür nicht der geringste Anhalt zu finden ist. Dies würde jedoch ein erhebliches Risiko für den einseitig Verpflichteten bedeuten, da sich dadurch einseitig seine Leistungspflicht erhöhen würde, ohne daß er dafür irgendein Äquivalent erhielte, da ja eine Gegenleistungspflicht gerade nicht besteht. Der Beweiszweck bei dem formbedürftigen einseitig verpflichtenden Vertrag soll jedoch gerade dem Schutz des Verpflichteten durch Beweis über Ernstlichkeit, Art und Umfang der von ihm eingegangenen Verpflichtung dienen 30 . Die Auferlegung einer anderen oder sogar weitergehenden Leistungspflicht muß somit durch die Notwendigkeit einer objektiven Erkennbarkeit der Leistungspflicht aus der Urkunde unterbunden werden 31 . Der Beweiszweck erfordert somit, aufgrund des erheblichen wirtschaftlichen Risikos und des durch Formvorschrift intendierten Schutzes des einseitig Verpflichteten, daß der Inhalt der Verpflichtung objektiv aus der Urkunde erkenn-

28 29

Bernard, Formbed. Rgesch., S.71 f.; Reinicke, JA 1980,461. Häsemeyer, JuS 1980,6 f.; Wieser, JZ 1985,408; ähnlich Bernard, Formbed. Rgesch.,

S. 96. 30 31

Prot. II, S.461 ff., 462. Wieling, AcP 172, 316, FN 77.

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

79

bar ist. Diese Anforderung wird durch die Andeutungsformel in ihrer durch die Rechtsprechung gehandhabten Anwendung erfüllt. Die Andeutungsformel wird somit auch beim einseitig verpflichtenden Vertrag durch den Beweiszweck der Formvorschriften gerechtfertigt. Zusammenfassung Es ist somit festzusteüen, daß beim einseitigen Rechtsgeschäft die Anwendung der Andeutungsformel durch den Beweiszweck gerechtfertigt wird, und zwar aufgrund der bei diesem Rechtsgeschäft bestehenden typischerweise gefahrträchtigen, einseitigen Beweissituation. Bei dem Rechtsgeschäftstypus des einseitig verpflichtenden Vertrags wird die Andeutungsformel ebenfalls zumindest durch den Beweiszweck gerechtfertigt, da wegen des wirtschaftlichen Risikos des einseitig Verpflichteten und des durch die Formvorschrift bezweckten Schutzes dieses Vertragsbeteüigten die Verpflichtung objektiv aus der Urkunde erkennbar sein muß. Die erforderliche generelle Erfüllung des Warnzwecks legt ebenfalls die Notwendigkeit der Anwendung der Andeutungsformel nahe; eine Entscheidung über die Rechtfertigung aufgrund dieses Zwecks kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Rechtfertigung aufgrund eines Zweckes ausreicht.

C. Versuch einer Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel als Ausnahme zur Andeutungsformel Das weitere im Rechtsprechungsbericht sich aufwerfende Problem ist die Anwendung der falsa demonstratio in der dort aufgezeigten Art, nämlich als reine, konsequent gehandhabte Ausnahme zur Andeutungsformel im Bereich synallagmatischer Verpflichtungsverträge und ihrer Erfüllungsgeschäfte, und als „harmonisierte", mit der Andeutungsformel „auf einen Nenner" definierten Fassung im Bereich der übrigen Rechtsgeschäfte, vor allem der Testamente. Da die falsa demonstratio-Formel nach wie vor von der Rechtsprechung1 sowohl als Auslegungs- als auch als Formregel verwendet wird, steüt sich sowohl die Frage nach der Rechtfertigung der falsa demonstratio als Auslegungsregel als auch als Formregel in besagtem Anwendungsbereich, worin zugleich auch die Frage nach der Vereinbarkeit der falsa demonstratio mit der Andeutungsformel in der von der Rechtsprechung geübten Anwendung enthalten ist. Da nach der in der neuen Rechtsprechung2 voüzogenen Trennung von Auslegung und Form zunächst durch Auslegung der Inhalt der urkundlichen Erklärung ermittelt wird und erst anschließend die Formfrage zu stellen ist, ist hier ebenso zunächst die Frage nach

1 2

BGHZ 87,150ff. BGHZ 86,41 ff., 47.

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

80

der Rechtfertigung der falsa demonstratio als Auslegungsregel zu untersuchen; anschließend wird die Frage ihrer Rechtfertigung als Formregel zu erörtern sein. I. Die falsa demonstratio als Auslegungsregel Fraglich ist somit die Rechtfertigung der falsa demonstratio als Auslegungsregel. Das RG begründet die Anwendung der falsa demonstratio sowohl für die Fallkonstellationen des „mehr gewollt als beurkundet" als auch des „weniger" bzw. „anders gewollt als beurkundet" mit dem Hinweis auf verschiedene Rechtssätze des ALR (vgl. oben, Teil I). Dieser Hinweis auf das ALR kann jedoch unter Geltung des BGB keine Rechtfertigung mehr für die Anwendung der falsa demonstratio darstellen. Es ist somit nach einem heute den Gebrauch dieser Auslegungsformel rechtfertigenden Grund zu suchen. Generell, so wird angenommen, stehen sich in dem Fall, in dem das Verständnis des Erklärenden mit dem Wortlaut der Erklärung nicht übereinstimmt, das Prinzip der Privatautonomie einerseits und das Prinzip des Vertrauensschutzes andererseits gegenüber3. Demnach ist für die Fälle, in denen der Erklärungsempfänger die Willenserklärung nach ihrem objektiven Erklärungswert verstanden hat, dem Grundsatz des Vertrauensschutzes der Vorrang zu gewähren, da sich der Erklärungsempfänger auf den objektiven Erklärungswert verlassen können muß 4 . Der Umkehrschluß hieraus ist jedoch, daß der Vertrauensschutz auch nur in diesen Fällen erforderlich ist; haben nämlich Erklärender und Erklärungsempfänger die Willenserklärung übereinstimmend in dem selben Sinn verstanden, besteht auf Seiten des Erklärungsempfängers kein Vertrauen in einen objektiven Erklärungsinhalt, das schutzwürdig wäre 5 . Es besteht in diesen Fällen kein Grund, vom objektiven Erklärungswert auszugehen, da Interessen des Erklärungsempfängers nicht gefährdet sind 6 . Die Erklärung gilt somit in dem übereinstimmenden Verständnis von Erklärendem und Erklägungsempfänger. Eine konsequente Systematisierung erfährt diese Schlußfolgerung durch den von Wieser7 entwickelten Grundsatz der empirischen Auslegung und deren Vorrangigkeit vor der normativen. Wieser geht davon aus, daß prinzipiell zunächst danach zu fragen sei, wie der Erklärende und der Erklärungsempfänger die Willenserklärung tatsächlich verstanden haben (empirische Auslegung). Sei dieses Verständnis ein übereinstimmendes, so gelte die Erklärung in diesem übereinstimmenden Sinn; auf den objektiven Erklärungsinhalt, nach dem die normative Auslegung frage, komme 3

Wieling, Jura 1979,524; Reinicke, JA 1980,457 f., Flume, AT, S. 302 ff.; Larenz, AT, S.327. 4 Wieling, Jura 1979, 524; Wieser, JZ 1985, 407; Reinicke, JA 1980, 458; Flume, AT, S. 302 ff.; Larenz, AT, S. 327. 5 Reinicke, JA 1980,458;Wieling, Jura 1979,525. 6 Wieling, AcP 172, 300. 7 Wieser, JZ 1985,407 ff.

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

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es dann nicht an. Hierbei sei es gleichgültig, ob das übereinstimmende Verständnis sich mit dem objektiven Erklärungsinhalt decke, ob eine versehentliche Abweichung von der objektiven Bedeutung vorliege (falsa demonstratio) oder ob eine bewußte Abweichung von der Bedeutung im Einverständnis mit dem Erklärungsempfänger (Scheingeschäft, § 117) erfolgt sei. In allen genannten Fällen habe die Willenserklärung den Inhalt nach dem übereinstimmenden Verständnis. Die falsa demonstratio als Auslegungsregel ist demnach keine Ausnahme von der normativen Auslegung, sondern eine vom Grundsatz der Privatautonomie (bei fehlenden Vertrauensschutztatbeständen) gebotene Selbstverständlichkeit im Instrumentarium der Auslegung. Ihr unterfallen somit nach der empirischen Auslegung also sowohl die Fälle des „mehr gewollt als beurkundet" als auch des „weniger" bzw. „anders gewollt als beurkundet", da in jedem Fall nicht nach der Quantität des Irrtums, sondern nur nach dem übereinstimmenden Verständnis zu fragen ist. Die ursprünglich vom RG aus verschiedenen Rechtssätzen (vgl. oben, Teü I) gefundene Begründung der Geltung des übereinstimmenden Verständnisses findet somit heute einheitlich in der empirischen Auslegung ihre Rechtfertigung. Unerheblich ist hierbei, daß sowohl Wieling8 als auch Reinicke 9 die falsa demonstratio als Satz „ohne Aussage- und Argumentationswert" ansehen, da sich hieraus nicht, wie sie beide selbst auch nicht annehmen 10 , etwas gegen die Anwendung der falsa demonstratio als Auslegungsregel ergibt. Auch hier wird nämlich davon ausgegangen, daß der Satz von der falsa demonstratio die für eine bestimmte Fallkonstellation nach dem BGB zutreffende Lösung prägnant ausdrücke und daher als „Topos" anzusehen sei 11 . Einem Gebrauch der falsa demonstratio-Regel als Auslegungsgrundsatz stehe nichts entgegen, weü die unter Berufung auf diesen Satz vertretenen Lösungen denen des BGB entsprächen 12 . Die falsa demonstratio in ihrer Anwendung durch die Rechtsprechung besteht somit als Auslegungsregel zu Recht. II. Die falsa demonstratio als Formregel Zu untersuchen ist somit nun die Rechtfertigung der falsa demonstratio als Formregel in ihrer durch die Rechtsprechung vorgenommenen Anwendung als Ausnahme zur Andeutungsformel, worin gleichzeitig die Frage nach der Rechtfertigung des eingeschränkten Anwendungsbereichs der falsa demonstratio enthalten ist.

8

Wieling, AcP 172, 307. Reinicke, JA 1980,458. 10 Reinicke, JA 1980,458; Wieling, AcP 172, 307. 11 Reinicke, JA 1980,458. 12 Reinicke, JA 1980,458.

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6 Scherer

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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Hierbei ist jedoch zunächst einer unzutreffenden Auffassung Wielings entgegenzutreten, der davon ausgeht, daß nur der V. Zivilsenat des RG die falsa demonstratio in der oben dargelegten Weise angewendet habe; die anderen Senate hätten hingegen unter Zugrundelegung der Andeutungsformel judiziert 1 3 . Dem ist erstens entgegenzuhalten, daß zunächst die Behauptung, nur der V. Zivilsenat wende die falsa demonstratio an, in dieser Absolutheit nicht zutrifft; die Entscheidung vom 11.12.1908 14 wurde vom II. Zivilsenat gefällt und betrifft ebenfalls eine Fallkonstellation der falsa demonstratio, die auch zur Lösung herangezogen wurde (vgl. oben, Teil I). Zweitens ist gegen die aus erster Behauptung gezogene Schlußfolgerung, die anderen Senate hätten entgegen dem V. Zivilsenat nur die Andeutungsformel herangezogen, einzuwenden, daß dies eine verkürzte Sichtweise ist: Die unter Anwendung der falsa demonstratio ergangenen Entscheidungen wurden deshalb hauptsächlich vom V. Zivüsenat getroffen, weü dieser der „Grundstückssenat" war, also derjenige, der regelmäßig über streitige Grundstücksveräußerungen - also synallagmatische Rechtsgeschäfte - zu entscheiden hatte. Die anderen Senate haben nicht etwa die Anwendung der falsa demonstratio an sich abgelehnt, sondern hatten nur nie die Fallkonstellationen, die der in der Rechtsprechung vorgenommenen Anwendung der falsa demonstratio entsprochen hätten — nämlich übereinstimmend irrtümliche falsche Bezeichnung bei synallagmatischen Verpflichtungsverträgen und ihren Erfüllungsgeschäften — vorliegen. Dieser eingeschränkte Anwendungsbereich der falsa demonstratio kann also nicht mit einer unterschiedlichen Handhabung durch die einzelnen Senate erklärt werden. Vielmehr sind materiellrechtliche Gründe hierfür zu suchen. Diese meint Wieling in einer Sanktionierung rechtsmißbräuchlicher Berufung auf Formmängel zu sehen: Eine Vertragspartei berufe sich auf die Nichtigkeit des Vertrages, weü sie das Geschäft reue, nicht etwa, weü ein Formzweck nicht erreicht sei 15 . Dieses Vorschützen eines Formmangels stelle jedoch einen Mißbrauch der Formvorschriften dar, da diese nicht den Zweck hätten, den Parteien ein Reuerecht einzuräumen 16 . Wieling selbst geht jedoch davon aus, daß diese von ihm genannten Gründe für die aufgezeigte Anwendung der falsa demonstratio als Ausnahme von der Andeutungsformel diese Judikatur nicht rechtfertigen könnten. WoUte man nämlich, so wird ausgeführt, in diesen Fallkonstellationen die Berufung auf den Formmangel wegen Rechtsmißbrauchs ausschließen, so würde dies dazu führen, daß die Formvorschriften praktisch aufgehoben würden 17 . Auch wenn die Formzwecke in concreto nicht gefährdet seien, könne sich jeder auf

13 14 15 16 17

Wieüng, JZ 1983,761. Nr. 54 = RG JW 1909, 47 f., Nr. 8. Wieüng, AcP 172, 311. Wieüng, AcP 172, 313. Wieling, AcP 172, 313.

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

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die Formnichtigkeit berufen, da ansonsten dies nämlich zu einer Überprüfung der Erreichung der Formzwecke im Einzelfall und damit zu einer Abschaffung der Formvorschriften führe 18 . Ob tatsächlich in mehreren Fallkonstellationen der falsa demonstratio eine Partei die Formnichtigkeit deshalb geltend macht, weil sie das Geschäft an sich reut, kann also dahingestellt bleiben, da dies, wie Wieling zutreffend ausführt, kein Grund für einen Ausschluß der Berufung auf § 125 sein kann; wie dargelegt, ist nämlich eine Untersuchung der Erfüllung der Formzwecke beim konkreten Geschäft nicht zulässig19. Lediglich eine Bejahung der Erreichung der Formzwecke in einer abstrakt bestimmten Gefahrenlage kann dort eine Grundlage für eine andere Handhabung des Formzwangs ergeben. Daher ist auch für die Untersuchung einer Rechtfertigung der falsa demonstratio als Ausnahme zur Andeutungsformel lediglich danach zu fragen, ob die Formzwecke für den abstrakten Bereich der Anwendung der falsa demonstratio durch die Rechtsprechung, nämlich der synallagmatischen Verpflichtungsverträge und ihrer Erfüllungsgeschäfte, eine Ausnahme von der sonst berechtigterweise geltenden Andeutungsformel zulassen. 1. Synallagmatische Verpflichtungsverträge Hierzu werden - zunächst für die synallagmatischen Verpflichtungsverträge gegensätzliche Ansichten vertreten. Für den Warnzweck wird einerseits angenommen, daß dieser schon dadurch erreicht werde, daß die Beteiligten dem Notar ihren Willen erklärten (§ 313), selbst wenn sie dabei etwas Falsches erklärten. Die objektive Andeutung bringe hier keinen erhöhten Warneffekt 20 . Auch bezüglich des Hilfestellungszwecks wird angenommen, daß die Beratung der Parteien in ihrer konkreten Ausgestaltung vielfach nicht davon abhängig sei, ob die Parteien ihren Willen richtig oder falsch erklärt hätten 2 1 . Warn- und Hilfestellungszweck blieben somit erhalten, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich auf den konkreten Vertragsgegenstand bezögen 22 . Lediglich von Lüderitz 23 wird dieser Grundsatz wieder dadurch eingeschränkt, daß er annimmt, daß hinsichtlich des Warnzwecks die unrichtige Vorstellung des nach wesentlichen Merkmalen individualisierten Gegenstandes jedenfalls dann schädlich sei, wenn bei Geltung des Gewollten dem durch die Formvorschrift Geschützten neue oder größere Pflichten auferlegt oder

18

Wieling, AcP 172, 313. Bernard, Formbed. Rgesch., S. 32; Häsemeyer, Ges. Form, S. 164; Lüderitz, Auslegung, S. 195; Merz, AcP 163, 315; Müller, DNotZ 1966, 86; MünchKomm-Förschler, § 125, Rdnr. 5; Bang, JhJB 66,376. 20 Brox, JA 1984, 554; Köbl, DNotZ 1983, 599; Reinicke, JA 1980,461; ähnlich Köhler, JR 1984,15; Lüderitz, Auslegung, S. 197, 215. 21 Brox, JA 1984, 554. 22 Brox, JA 1984, 554; Köbl, DNotZ 1983, 599; Reinicke, JA 1980, 461; Köhler, JR 1984,15. 23 Lüderitz, Auslegung, S. 197. 19

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2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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weitere Rechte entzogen würden. Eine grundsätzliche Vereitelung der Warnfunktion bei Geltung der falsa demonstratio nimmt Wieling 24 an, der davon ausgeht, daß die Parteien hier die Möglichkeit erhielten, der Urkunde nachträglich einen anderen Inhalt geben zu können, indem sie vereinbarten, zu behaupten, sie hätten übereinstimmend an etwas anderes gedacht. Hiergegen ist jedoch einzuwenden, daß das von Wieling angeführte Gegenargument der nachträglichen abweichenden Vereinbarung nicht den Warnzweck betrifft, da dieser Warnung und Schutz der Parteien ja zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezweckt, sondern den Beweiszweck, der auf die nachträgliche Sicherstellung und Beweisbarkeit des ursprünglich Vereinbarten abhebt. Beachtlich ist jedoch die Argumentation von Lüderitz, der von der Erforderlichkeit eines Schutzes gegenüber der Auferlegung weitergehender Pflichten oder dem Entzug weiterer Rechte ausgeht. Fraglich ist also, in wieweit die von ihm geschüderte Fallkonstellation auf die falsa demonstratio-FäUe bei synallagmatischen Verpflichtungsverträgen zutrifft. In den Fällen des „weniger gewollt als beurkundet" bzw. des „anders gewoüt als beurkundet" liegt bei Geltung des tatsächlich Gewoüten kein Faü des Entzugs weiterer Rechte bzw. Auferlegung neuer Pflichten vor. Für diese Fallkonstellationen würde also der Warnzweck auch bei Irrtum durch die Beurkundung erfüllt, da sich beim Grundstücksveräußerungsvertrag der Veräußerer darüber im klaren ist, daß er Grundeigentum verlieren wird, der Erwerber, daß er Zahlungspflichten auf sich nimmt und Grundeigentum erwirbt. Dasselbe güt für den langfristigen Mietvertrag, da die Parteien sich auch hier darüber im klaren sind, daß sie langfristige Verpflichtungen auf sich nehmen. Fraglich ist jedoch, wie es sich in den Fällen des „mehr gewollt als beurkundet" verhält. Hier könnte angenommen werden, daß der Warnzweck deshalb vereitelt wird, weü durch das tatsächlich GewoUte zumindest der einen Vertragspartei weitergehende Pflichten (beim Mietvertrag) auferlegt bzw. zusätzliche Rechte (bei der Grundstücksveräußerung) entzogen werden. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß sich der Erklärende bei § 313 in jedem Fall darüber im klaren ist, Grundstückseigentum zu verlieren bzw. bei § 566 langfristige mietvertragliche Pflichten einzugehen. Wie aus der Begründung des Warnzwecks für die Formvorschriften des § 313 (vgl. oben, I. 3.) ersichtlich ist, besteht dieser nicht zur Warnung vor der Quantität des Geschäfts, also der Menge des veräußerten Grundeigentums, sondern zur Warnung vor der Qualität des Geschäfts, nämlich dem Verlust von Grundeigentum schlechthin. Entsprechendes güt für § 566 im Verhältnis der Parteien zueinander. Dieser Warnzweck wird jedoch immer schon dann erfüüt sein, wenn sich die Parteien im klaren darüber sind, daß überhaupt Grundeigentum veräußert bzw. langfristige Mietverpflichtungen eingegangen werden. Die Auferlegung zusätzlicher Pflichten bzw. der Entzug weiterer Rechte 24

Wieling, Jura 1979,528; anders noch AcP 172,315.

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

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bei Geltung des tatsächlich Gewollten im Fall des „mehr gewollt als beurkundet" vereitelt somit den Warnzweck hier nicht. Dies steht auch nicht der Argumentation zum Warnzweck bei der Bürgschaftserklärung entgegen, da dort Art und vor allem die Höhe der Bürgschaftsverpflichtung von enormer Wichtigkeit für die Warnung des Bürgen vor dem Geschäft sind; dort bezweckt nämlich die Formvorschrift nicht nur Warnung vor der rechtlichen Qualität des Geschäfts, also der Eingehung der Bürgschaft an sich, sondern soll ihn auch durch die Angabe der Hauptschuld vor der tatsächlichen Höhe, also der Quantität seiner Verpflichtung warnen. Der Warnzweck steht somit einer Anwendung der falsa demonstratio beim synallagmatischen Verpflichtungsvertrag nicht entgegen. Für den Hilfestellungszweck bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen wird davon ausgegangen, daß die Beratung der Parteien in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht davon abhängig sei, ob die Parteien ihren Willen richtig oder falsch erklärten 25 . Hiergegen wird angeführt, daß der Notar die Parteien nicht belehren und beraten könne, wenn er nicht wisse, was Inhalt des Vertrages sei 26 . Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß bei einem Verstoß gegen § 171 BeurkG, der die Belehrungs- und Beratungspflicht des Notars statuiert, der Notar zwar eine Pflichtverletzung begeht; die fehlende Beratung oder Belehrung führt jedoch nicht zur Nichtigkeit des beurkundeten Rechtsgeschäfts 27. Eine unterbliebene Beratung hinsichtlich des konkreten Vertragsgegenstandes kann somit nach der Intention des Gesetzes nicht von so großer Erheblichkeit sein. Vielmehr ist davon auszugehen, daß eine generelle Belehrung und Beratung über die Risiken der Grundstücksveräußerung in den meisten Fällen vom Gesetz als ausreichend angesehen wird und auch tatsächlich ausreicht, da der übereinstimmende Irrtum über den Vertragsgegenstand keine andere rechtliche Ausgestaltung des konkreten Geschäfts nach sich ziehen wird. Auch beim langfristigen Mietvertrag ist davon auszugehen, daß der Intention des Gesetzes, die Parteien zur sorgfältigen Überlegung anzuhalten, auch dann Genüge getan wird, wenn aufgrund gemeinsamen Irrtums der Parteien der Vertragsgegenstand in der Urkunde falsch bezeichnet wird. Auch der Hüfestellungszweck steht somit einer Anwendung der falsa demonstratio beim synallagmatischen Verpflichtungsvertrag nicht entgegen. Fraglich ist somit, ob der Beweis- und Sicherstellungszweck der Anwendung der falsa demonstratio hier entgegensteht. Dies wird einerseits bejaht von Wieling 2 8 , der davon ausgeht, daß der Beweiszweck bei Verzicht auf die Andeutungsformel und Anwendung der falsa demonstratio vereitelt werde, da dann der Beweis nicht gesichert sei; denn wie könne, so wird ausgeführt, die Urkunde Beweis erbringen, wenn das Gewollte, das gelten solle, aus der Urkunde nicht ersichtlich 25

Brox, JA 1984,554. Wieling, Jura 1979,528. 27 Für viele: Palandt/Heinrichs, § 17 BeurkG, Anm. 1); Köbl, DNotZ 1983, 600; BGHZ 80, 76 ff., 79. 28 Wieling, AcP 172, 315 f.; Jura 1979,528. 26

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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sei 29 ? Ebenso sei nicht an eine Vermeidung oder Vereinfachung von Prozessen zu denken, wenn jede Partei der Urkunde eine beliebige Bedeutung geben könne 30 . Andererseits wird eine Zulässigkeit der falsa demonstratio auch im Hinblick auf den Beweiszweck angenommen31. Hierzu wird angeführt, daß der Beweisbzw. Sicherstellungszweck zwischen den Parteien bei übereinstimmendem Verständnis ohne Bedeutung sei 3 2 . Das Erfolgsinteresse der Parteien an dem Rechtsgeschäft habe hier den Vorrang 33 . Auch dürfe die Beweisfunktion der Urkunde nicht zu hoch geschraubt werden 34 . Alle drei Argumente sind jedoch in dieser generalisierenden Form unzutreffend, da oben gezeigt wurde, daß die Beweisfunktion gerade auch zwischen den Parteien von erheblicher Bedeutung ist und daher nicht ohne weiteres das Erfolgsinteresse Vorrang genießen kann. Das Argument, die Anforderungen an die Beweisfunktion der Urkunde dürften nicht zu hoch geschraubt werden, müßte in dieser Allgmeinheit ja auch gegen die Anwendung der Andeutungsformel sprechen, was aber oben widerlegt wurde. Daher sind hier besondere Gründe erforderlich, um die Beweisfunktion der Urkunde zwischen den Parteien in solchem Maße beiseite schieben zu können. Zunächst ist hier zu berücksichtigen, daß bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen eine andere abstrakte Gefahrenlage hinsichtlich der Beweissituation herrscht als bei den einseitigen Rechtsgeschäften und den einseitig verpflichtenden Verträgen. Da hier ein Äquivalent für die Leistung vorhanden ist, besteht ein wesentlich geringeres Risiko als bei den übrigen Rechtsgeschäften: Es liegt bei den synallagmatischen Verträgen die untrennbare Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung vor. Die Beweissituation ist dadurch anders als bei den übrigen Rechtsgeschäften, da beide Vertragspartner „gleich stark" sind, also keiner schutzbedürftiger ist als der andere. Daher tritt bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen nicht nur der Beweiszweck wertungsmäßig hinter den Warn- und den Hüfestellungszweck, wie dargelegt, zurück, sondern die Anforderungen an die Beweisfunktion können hier genereü niedriger sein als bei den übrigen Rechtsgeschäften. Fraglich ist jedoch, ob aus dieser Folgerung der niedrigeren Anforderungen an die Beweiszwecke der Schluß gezogen werden kann, daß die Beweisfunktion vollständig hinter das Erfolgsinteresse, also der Geltung des übereinstimmenden Parteiwülens, zurücktreten darf. Dies kann nur dann bejaht werden, wenn das tatsächliche Risiko, vor dem die Beweis- und Sicherstellungsfunktion der Urkunde beide Vertragspartner schützen soll, so gering ist, daß es 29

Wieüng, Jura 1979,528. Wieüng, Jura 1979,528; AcP 172, 315 f. 31 Brox, JA 1984,554 f.; Köbl, DNotZ 1983,599; Lüderitz, Auslegung, S. 211; Reinicke, JA 1980,461. 32 Brox, JA 1984,554 f.; ähnüch Reinicke, JA 1980,461. 33 Lüderitz, Auslegung, S. 211. 34 Köbl, DNotZ 1983,599. 30

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

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gegenüber dem Erfolgsinteresse nicht ins Gewicht fällt und daher die Beweisfunktion hinter dem Erfolgsinteresse zurücktreten kann. Bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen besteht zunächst, wie auch sonst, die Möglichkeit, bei Geltung der falsa demonstratio eine frei erfundene Behauptung hinsichtlich des übereinstimmenden Parteiwillens aufzustellen und durch gedungene Zeugen die Behauptung zu beweisen. Dies würde beim synallagmatischen Vertrag jedoch, anders als beim einseitigen Verpflichtungsvertrag, in aller Regel bedeuten, daß aufgrund des Vorhandenseins eines Äquivalents der Vertragspartner — durch seinen Anspruch auf eben diese Gegenleistung — niemals ein erhebliches tatsächliches Risiko eingeht; in den Fällen des erheblichen Unterschieds zwischen Leistung und Gegenleistung nämlich wird — da die Gegenleistung in der Vertragsurkunde aufgeführt ist — das Gericht bereits schon aus der Urkunde selbst die Unwahrheit der Parteibehauptung ersehen und das Risiko einer — in dieser Höhe — nicht äquivalenten Leistungspflicht für die andere Partei ausräumen können. Je höher die Wertdifferenzen zwischen Leistung und Gegenleistung, desto schwieriger wird also die Behauptung zu beweisen sein; das Risiko wird somit mit steigender Wertdifferenz geringer. Bei annähernder Gleichrangigkeit von Leistung und Gegenleistung besteht sowieso kein Risiko. Als Beispiel sei hier folgender Sachverhalt angeführt: Haben sich die Parteien über den Verkauf eines Wiesengrundstücks Nr. 32, das einen Wert von 10.000 DM hat, geeinigt, wurde irrtümlich aber der Verkauf des Grundstücks Nr. 16, welches ein Hausgrundstück im Wert von 350.000 DM ist, beurkundet, und als Kaufpreis 12.000 DM genannt, so ist allein schon aus der Urkunde ersichtlich, daß nicht das Grundstück Nr. 16 Vertragsgegenstand sein kann. Hat der Verkäufer nur dieses eine andere Grundstück von diesem dem Kaufpreis äquivalenten Wert, so ist ersichtlich, welches Grundstück Vertragsgegenstand sein sollte. Kann der tatsächlich gewollte Vertragsgegenstand jedoch nicht geklärt werden, etwa weil der Käufer oder der Verkäufer die Veräußerung dieses Wiesengrundstücks bestreitet, und der Verkäufer mehrere Grundstücke von diesem Wert hat, ist der Vertrag wegen Dissenses nichtig. Ein Risiko besteht also auch hier für beide Vertragspartner nicht. Durch die Tatsache also, daß erstens beim synallagmatischen Vertrag überhaupt ein Äquivalent für die Leistung vorhanden, zweitens diese Gegenleistung in der Urkunde angegeben ist und drittens keine der beiden Vertragsparteien somit ein nennenswertes tatsächliches Risiko eingeht, kann hier dem Erfolgsinteresse der Vorrang vor dem Beweis- und Sicherstellungszweck zwischen den Parteien eingeräumt werden. Auch der Beweiszweck steht somit grundsätzlich einer Anwendung der falsa demonstratio bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen nicht entgegen. Fraglich ist jedoch, ob dies auch für langfristige Mietverträge gelten kann, da die dafür geltende Formvorschrift, wie dargelegt, vor allem im Hinblick auf Dritte (§ 571) statuiert wurde. Der Grundstückserwerber soll hier nämlich im

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Hinblick auf § 571 die Möglichkeit haben, den Inhalt und das Bestehen langfristiger Mietverträge kennenzulernen 35. Aus dieser Tatsache wird nun abgeleitet, daß — im Gegensatz zu obigem Ergebnis einer Geltung der falsa demonstratio-Regel bei allen synallagmatischen Verpflichtungsverträgen - für den langfristigen Mietvertrag der Grundsatz maßgeblich sei, daß der Inhalt des Rechtsgeschäfts sich vollständig aus demjenigen Schriftstück ergeben müsse, durch dessen Abfassung der Form genügt werden solle 36 . Die Anwendung der falsa demonstratio-Regel sei mit dem Formzweck in diesen Fällen dann nicht zu vereinbaren, wenn die danach maßgebliche Bedeutung für den zu schützenden Dritten nicht erkennbar sei 37 . Bei § 566 komme es somit auf die Verständnismöglichkeit eines Dritten, nicht auf das übereinstimmende Verständnis der Parteien an 3 8 . Andererseits wird angenommen, daß die falsa demonstratio beim formbedürftigen Rechtsgeschäft auch ungeachtet dessen gelte, daß die Formbedürftigkeit nach der ratio der Formvorschrift gerade auch im Hinblick auf Dritte — wie im Faü des § 566 — statuiert sei 39 . Was allerdings den Dritten anbetreffe, so solle ihm im Faü der Falschbezeichnung der berichtigte Inhalt des Vertrages — also das nach dem übereinstimmenden Verständnis der Parteien Maßgebliche — nur dann entgegengehalten werden können, wenn er von der Falschbezeichnung gewußt habe 40 . Es sei aber schlechthin nicht einzusehen, weshalb der langfristige Mietvertrag im Fall der irrtümlichen Falschbezeichnung nicht zwischen den Vertragsparteien oder auch nach § 571 gegenüber einem Dritten, der Kenntnis von der Falschbezeichnung gehabt habe, mit dem tatsächlich übereinstimmenden gewoüten Inhalt gelten soüe 41 . Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die oben für § 566 festgestellten Formzwecke zu rekurieren. Diese zielen einerseits auf den Dritten (§ 571), andererseits auf die Vertragsparteien ab. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zielrichtungen des Formzwecks ist konsequenterweise eine differenzierte Sichtweise erforderlich: So ist zu unterscheiden zwischen dem zwischen den Parteien geltenden Vertragsinhalt und der Möglichkeit, diesen Dritten entgegenzuhalten. Da aber zwischen den Parteien, wie oben dargelegt, Warn- und Hüfestellungszweck vor dem Beweiszweck stehen, ist hier konsequenterweise — ebenso wie für alle anderen synallagmatischen Verpflichtungsverträge — von einer Geltung der falsa demonstratio-Regel zwischen den Vertragsparteien auszugehen. Ob und inwieweit die35

Bockemühl, Formbed. WE, S. 71; Erman/Brox. § 125, Rdnr. 1. Bockemühl, Formbed. WE, S. 71; Larenz, AT, S. 332; Ennecerus/Nipperdey, AT, § 166, FN 13. 37 Larenz, AT, S. 332; MünchKomm-Mayer-Maly, § 133, Rdnr. 30, Ennecerus/Nipperdey, AT, § 166,13; Köhler, JR 1984,15. 38 Köhler, JR 1984,15. 39 Flume, AT, S. 307. 40 Flume, NJW 1983, 2009; Reinicke, Rfolgen, S. 79; Lüderitz, Auslegung, S. 212. 41 Flume, NJW 1983, 2009. 36

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

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ser Vertragsinhalt Dritten entgegengehalten werden kann - also auch gegenüber Dritten gilt - ist lediglich eine Frage der Erforderlichkeit von Vertrauensschutz; dieser jedoch ist dann nicht erforderlich, wenn Kenntnis von der irrtümlichen Falschbezeichnung bestand. Es ist also davon auszugehen, daß die falsa demonstratio-Regel auch bei § 566 - ebenso wie bei allen anderen synallagmatischen Verträgen - zwischen den Parteien Geltung hat. Dritten kann das tatsächlich Gewollte jedoch nur bei Kenntnis der Falschbezeichnung entgegengehalten werden. Zwar kann dann, wie Lüderitz 42 zutreffend sieht, das Problem entstehen, daß bei Veräußerung des Grundstücks der für den Mieter maßgebliche Inhalt des Mietvertrages von Zufälligkeiten abhängt, die seinem Einfluß entzogen sind; doch besteht hier — ebenso wie beim Grundstückskaufvertrag (vgl. unten) - ein beiderseitiger Anspruch auf deklaratorische Urkundenberichtigung entsprechend der wahren Vereinbarung 43 . Ebenso liegt es beim Grundstückskaufvertrag: Die falsa demonstratio-Regel gilt hier nicht gegenüber Dritten, die keine Kenntnis davon hatten, was vor allem relevant wird bei Fragen von behördlichen Genehmigungen für Immobilien; die Genehmigung gilt hier konsequenterweise nur für die in der Vertragsurkunde genannten Grundstücke, nicht für die, an die die Parteien übereinstimmend dachten 44 . Hinsichtlich der nicht genannten Grundstücke ist der Vertrag mangels Genehmigung unwirksam, hinsichtlich der genannten, wenn diese zusätzlich gewollt waren, wirksam, wenn eine vollständige Verwechslung vorlag, die Genehmigung gegenstandslos und der Vertrag damit unwirksam 45 . Ebenso stehen der Anwendung der falsa demonstratio-Regel beim synallagmatischen Vertrag Probleme bei der Abtretung des Anspruchs auf Erfüllung nicht entgegen: Zwar können dem Abtretungswillen durch das Mißtrauen des in Aussicht genommenen Abtretungsempfängers Nachteile durch die faktisch verminderte Verkehrsfähigkeit seines Erfüllungsanspruchs erwachsen 46. Jedoch kann diesem Problem abgeholfen werden durch eine deklaratorische Urkundenberichtigung in Gestalt eines Nachtrags zur Urkunde, auf den gem. § 242 ein Anspruch besteht; ein Anlaß, die Geltung der falsa demonstratio-Regel in Frage zu stellen, ist somit auch hier nicht gegeben47. Es ist somit davon auszugehen, daß die falsa demonstratio als Ausnahme zur Andeutungsformel bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen zu Recht besteht; ihre Anwendung ist sowohl aufgrund des Warn- und Hilfestellungszwecks als auch des Beweiszwecks zulässig.

42 43 44 45 46 47

Lüderitz, Auslegung, S. 212. Lüderitz, Auslegung, S. 212. Medicus, Bürgerl. R, Rdnr. 124. Medicus, Bürgerl. R, Rdnr. 124. Köhler, JR 1984,15. Köhler, JR 1984,15.

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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2. Erßllungsgeschäft des synallagmatischen Verpflieh tungsv er träges Fraglich ist nun, ob die falsa demonstratio-Regel als Ausnahme zur Andeutungsformel auch bei den zur Erfüllung der synallagmatischen Verpflichtungsverträge vorgenommenen Erfüllungsgeschäften zulässig ist. Wiederum ist hier zur Beantwortung dieser Frage auf die Formzwecke des betreffenden Rechtsgeschäftstypus zu blicken: Wie dargelegt, kommt beim Erfüllungsgeschäft (relevant wird nahezu einzig die Übereignung eines Grundstücks gem. §§ 873,925) dem Warnund Hilfestellungszweck sowie dem Beweiszweck zwischen den Parteien gegenüber der Formbedürftigkeit des Verpflichtungsgeschäfts keine eigenständige Bedeutung zu; vielmehr sind diese gegenüber den Formzwecken beim Verpflichtungsgeschäft weitgehend gegenstandslos. Anderes gilt hingegen für den Beweiszweck mit Zielrichtung auf Dritte: Im Hinblick auf öffentliche Interessen (Institution des Grundbuchs) kommt diesen hier erhebliche Bedeutung zu. Daher ist auch hier — wie bereits exemplarisch beim langfristigen Mietvertrag — eine Differenzierung erforderlich. Da den auf Wirkung zwischen den Parteien abzielenden Formzwecken beim Erfüllungsgeschäft keine eigenständige Bedeutung gegenüber dem Verpflichtungsgeschäft zukommt, ist hier aus denselben Gründen wie beim Verpflichtungsgeschäft von einer Zulässigkeit der falsa demonstratio-Regel auszugehen48. Weder Warn- noch Hilfestellungs- noch Beweiszweck steht dem entgegen; das Erfüllungsgeschäft, das lediglich den Vollzug des Verpflichtungsgeschäfts darstellt, hat hier konsequenterweise zwischen den Parteien denselben Inhalt wie das Verpflichtungsgeschäft, nämlich das von den Parteien übereinstimmend Gewollte. Auch beim Erfüllungsgeschäft ist somit die falsa demonstratio-Regel als Ausnahme zur Andeutungsformel zwischen den Parteien anwendbar. Anders liegt es jedoch gegenüber Dritten 4 9 . Hier besteht nämlich dasselbe Problem wie oben für die langfristigen Mietverträge bzw. für die Grundstückskaufverträge aufgezeigt: Für Dritte — hier in erster Linie das Grundbuchamt — wird es in nahezu allen Fällen nicht erkennbar sein, was von den Parteien tatsächlich übereinstimmend gewollt ist. Es bleibt dem Dritten hier — ebenso wie bei § 571 — nichts anderes übrig, als den objektiven Urkundeninhalt (der Auflassung nach § 20 GBO sowie des Eintragungsantrages nach §§ 13, 19, 29 GBO) zur Kenntnis zu nehmen und demgemäß die Eintragungen ins Grundbuch vorzunehmen. Einigkeit besteht nun darüber, daß eine aufgrund einer solchen unrichtigen Bezeichnung erfolgte Eintragung keinen Eigentumserwerb nach sich ziehen kann, weder hinsichtlich des irrtümlich bezeichneten, aber nicht gewollten Grundstücks — weil sich hierauf 48

Bernard, Formbed. Rgesch., S. 97; Hagen, WM 1981,424; Lüderitz, Auslegung, S. 208; Köbl, DNotZ 1983, 603; MünchKomm-Kanzleiter, § 925, Rdnr. 22; Taupitz, WM 1983, 1150. 49 Lüderitz, Auslegung, S. 208.

C. Rechtfertigung der falsa demonstratio-Regel

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die Auflassung nicht erstreckt — noch hinsichtlich des tatsächlich gewollten, aber nicht eingetragenen Grundstücks, weü es insoweit an der Eintragung fehlt 5 0 . Wie ist nun aber die Korrektur dieser fehlerhaften Eintragung zu bewirken, wie also dem zwischen den Parteien maßgeblichen Vertragsinhalt zur Geltung zu verhelfen? Eine Wiederholung der Auflassung kann hier konsequenterweise nicht in Betracht kommen, da ja die formbedürftige Auflassung trotz falscher Bezeichnung wirksam ist 5 1 . Vielmehr ist hier davon auszugehen, daß die irrtümliche Falschbezeichnung dem Grundbuchamt, wie jede Eintragungsgrundlage in der Form des § 29 GBO nachgewiesen werden muß 5 2 . Hierzu genügt eine Richtigsteüung durch die Parteien in Form einer berichtigenden Nachtragserklärung, da sie neben der Berichtigungsbewüligung des Bucheigentümers (§ 22 I GBO) auch die Zustimmung des wahren Berechtigten (§ 22 I I GBO) enthält 5 3 . Die berichtigende Nachtragserklärung kann jedoch auch, für den Fall, daß eine Partei der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht an dieser Nachtragserklärung nicht nachkommt, durch Urteü erfolgen 54 . Hierbei wird jedoch gegen die Zulässigkeit der falsa demonstratio-Regel angeführt, daß die falsa demonstratio dann nur über ein gerichtliches Urteü geltend gemacht werden könne, ansonsten aber nicht anwendbar sei 55 . Hiergegen ist jedoch einzuwenden, daß ein Anspruch auf Mitwirkung an der Berichtigungserklärung besteht und die in Ausübung dieses Anspruchs erstelle private Nachtragserklärung genügt. Eine Klage ist hier — wie generell in allen privatrechtlichen Rechtsbeziehungen — nur dann erforderlich, wenn ein Beteüigter die Mitwirkung, obwohl er dazu rechtlich verpflichtet ist, verweigert. Der Anspruch kann in diesen Fäüen immer nur mittels Klageerhebung aufgrund eines obsiegenden Urteüs durchgesetzt werden; diese unserer Rechtsordnung innewohnende genereüe Regelung ist somit kein Argument gegen die Geltung der falsa demonstratio-Regel beim Erfüllungsgeschäft. Zusammenfassung Es ist also festzuhalten, daß für den Bereich der synallagmatischen Verpflichtungsverträge sowie ihrer Erfüllungsgeschäfte die falsa demonstratio als Ausnahme zur Andeutungsformel zu Recht besteht, womit gleichzeitig die Frage nach der Rechtfertigung des eingeschränkten Anwendungsbereichs der falsa demonstratio durch die Rechtsprechung beantwortet ist. Beim synallagmatischen Verpflichtungsvertrag ist die Erfüllung des Warn- und Hüfesteüungszwecks genereü 50 Für viele: Meikel/Imhof,GBO, § 20, Rdnr. 52; Horber,GBO, § 20, Anm. B.4.a.;Flume, AT,S. 306; RGZ 60,338. 51 Köbl, DNotZ 1983, 603. 52 Köbl, DNotZ 1983,603; Meikel/Imhof, GBO, § 20, Rdnr. 52. 53 Meikel/Imhof, GBO, § 20, Rdnr. 52. 54 Meikel/Imhof, GBO, § 20, Rdnr. 52; Wieüng, JZ 1983,762. 55 Wieüng, JZ 1983,762.

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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gewährleistet; der Beweis- und Sicherstellungszweck kann aufgrund des Vorhandenseins eines Äquivlaents, der Niederlegung dieser Gegenleistung in der Vertragsurkunde und des daraus resultierenden Fehlens eines tatsächlichen Risikos für beide Vertragspartner - im Gegensatz zu dem einseitigen Rechtsgeschäft und dem einseitigen verpflichtenden Vertrag - hinter dem Erfolgsinteresse zurücktreten. Da beim Erfüllungsgeschäft die Formzwecke gegenüber dem zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft weitgehend gegenstandslos sind, ist dort aus demselben Grund wie beim Verpflichtungsgeschäft die Anwendung der falsa demonstratio-Regel gerechtfertigt. Sofern jedoch die Formzwecke auf Beweis gegenüber Dritten abzielen, gilt diesen gegenüber, soweit sie keine Kenntnis von der irrtümlichen Falschbezeichnung haben, der objektive Urkundeninhalt.

D. Konsequente Anwendung der beiden Formeln durch die Rechtsprechung Fraglich ist somit nun, ob nicht Reichsgericht und Bundesgerichtshof selbst Brüche und Inkonsequenzen in dem von ihnen angewandten System schufen, was angenommen werden könnte zum einen durch die verschiedene Fassung der falsa demonstratio-Formel einerseits für Testamente1, andererseits für synallagmatische Verpflichtungsverträge 2, sowie durch die Tatsache, daß auch Grundstückskaufverträge 3 sowie mindestens ein Mietvertrag 4 Gegenstand von Entscheidungen waren, zu deren Beurteilung die Andeutungsformel — zumindest nominell — herangezogen wurde. Zu berücksichtigen ist jedoch hier zunächst für die unterschiedliche Definition der falsa demonstratio einerseits für Testamente, andererseits für synallagmatische Verpflichtungsverträge, daß es sich hier — wie dargelegt — um Harmonisierungsversuche handelt (vgl. oben, Teil I), die ihrerseits wiederum sich im System der Rechtsprechung zu diesen Problemkonstellationen als konsequent erweisen, da sowohl die „entschärfte" Definition der falsa demonstratio 5 als auch die „auf einen Nenner" gebrachte6 lediglich den Vorrang der zu Recht in diesem Bereich angewendeten Andeutungsformel sichern sollte. Die sich aufgrund des Auslegungsergebnisses anbietende, aber nicht systemgerechte Anwendung der falsa demonstratio mußte daher in diesem Bereich zwangsläufig mit der Andeutungsformel harmonisiert werden, was hier durch „harmonisierende" Definitionen 1

Exemplarisch Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff. Exemplarisch Nr. 61 = BGHZ 74,116 ff. 3 Nr. 2 = RG SeuffArch 59, Nr. 53; Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp. 506, Nr. 44; Nr. 29 = RG JW 1925, 2237 f., Nr. 10. 4 Nr. 15 = RGZ 80,400 ff. 5 Nr. 55 = RGZ 70, 391 ff. 6 Nr. 58 = RG SeuffArch 76, Nr. 145. 2

D. Anwendung der beiden Formeln durch die Rechtsprechung

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geschah. Ebenso verhält es sich, wie bereits dargelegt (vgl. oben, Teil I) mit der Verwendung der Andeutungsformel beim synallagmatischen Verpflichtungsvertrag als bloßes „verbales Anhängsel" 7 , wo eine „Harmonisierung" von falsa demonstratio und Andeutungsformel in diesem Bereich durch „Lippenbekenntnisse" zur Andeutungsformel erreicht wurden. Da sich die Rechtsprechung zum erstenmal 19798 mit dem Problem der Vereinbarkeit beider Lösungswege auseinandersetzte, kann ihr bezüglich der oft etwas gewaltsam anmutenden, aber im System konsequenten Harmonisierungsversuche auch nicht der Vorwurf gemacht werden, sie habe sich zumindest verbal vom eigenen System entfernt. Da das Problem damals auch in der Literatur noch kaum aktuell war, waren die vorgenommenen Harmonisierungsversuche naheliegend zur Begründung des jeweüs berechtigtermaßen angewandten Lösungsweges. Fraglich ist nun, ob die Tatsache, daß auch Grundstückskaufverträge sowie zumindest ein Mietvertrag, also synaüagmatische Verpflichtungsverträge allein durch Anwendung der Andeutungsformel gelöst wurden, einen Bruch im System darsteüt. Zwar lagen hier keine Fälle einer irrtümlich übereinstimmenden Falschbezeichnung vor, also keine Fäüe, bei denen die falsa demonstratio hätte Anwendung finden können. Jedoch bestand hier sowohl bei der Entscheidung vom 12.12.1903 9 als auch bei der Entscheidung vom 5.3.1904 1 0 und vom 13.6. 1925 11 übereinstimmendes Parteiverständnis hinsichtlich der synallagmatischen Hauptleistungspflichten, so daß hier an sich nicht hätte auf den objektiven Urkundeninhalt abgesteüt zu werden brauchen, sondern aus denselben Gründen wie oben für die Anwendung der falsa demonstratio hinsichtlich der synallagmatischen Hauptleistungspflicht dargelegt, hätte an sich das übereinstimmende Parteiverständnis ausreichen müssen, um der Formpflicht der Erklärung zu genügen. Jedoch ist zu berücksichtigen, daß es sich — vor aüem bei den Entscheidungen vom 13.6.1925 12 und vom 5.3.1904 1 3 , im Ergebnis aber auch bei der Entscheidung vom 12.12.1903 14 - darum drehte, ob die Parteien bewußt die fraglichen Vertragsbestimmungen von der Beurkundung ausgenommen hatten, wie dies in der Entscheidung vom 13.6.1925 15 bejaht wurde, oder ob ein Fehler in der Beurkundung ledigüch fahrlässig unterlaufen war, wie dies in dem Urteü vom 5.3.1904 16 wertungsmäßig angenommen wurde. Da jedoch bei einem bewußten 7

Exemplarisch Nr. 54 = RG JW 1909,47 f., Nr. 8. Nr. 61 = BGHZ 74,116 ff. 9 Nr. 2 = RG SeuffArch 59, Nr. 53. 10 Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp 506, Nr. 44. 11 Nr. 29 = RG JW 1925, 2237 f., Nr. 10. 12 Nr. 29 = RG JW 1925, 2237 f., Nr. 10. 13 Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp 506, Nr. 44. 14 Nr. 2 = RG SeuffArch 59, Nr. 53. 15 Nr. 29 = RG JW 1925, 2237 f., Nr. 10. 16 Nr. 3 = RG DJZ 1904, Sp 506, Nr. 44. 8

2. Teil: Rechtfertigung der dargestellten Rechtsprechung

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Verstoß gegen den gesetzlichen Formzwang das Erfolgsinteresse — auch bei den synallagmatischen Verpflichtungsverträgen — aufgrund obiger Argumentation keine Berücksichtigung mehr finden kann, stellen diese Entscheidungen ebenfalls keinen Bruch im System dar. Eine Berücksichtigung des objektiven Urkundeninhalts aufgrund der Andeutungsformel war hier zu Recht angezeigt. Dies wird bestätigt durch eine in jüngerer Zeit ergangene, sich mit der Vereinbarkeit von Andeutungsformel und falsa demonstratio auseinandersetzende Entscheidung17. Hier war die ausreichende Bestimmtheit einer zu veräußernden Teilfläche fraglich, wobei die Parteien jedoch bewußt den Verkauf der gesamten Fläche hatten beurkunden lassen. Aufgrund der be wußten Nichtbeurkundung war das übereinstimmende Parteiverständnis nicht zu berücksichtigen; der objektive Urkundeninhalt galt also, so daß ein ausreichender Ausdruck für die tatsächlich gewollte Fläche nicht vorlag. Sehr deutlich kommt die andere, oben aufgezeigte Konsequenz aus dem Dargelegten in der Entscheidung vom 25.9.1912 18 zum Ausdruck: Sofern nämlich kein Fall einer bewußten Nichtbeurkundung der fraglichen synallagmatischen Vertragsverpflichtung vorliegt, ist tatsächlich das übereinstimmende Parteiverständnis vom Urkundeninhalt maßgeblich, erst in zweiter Linie, nämlich wenn sich ein übereinstimmendes Parteiverständnis nicht feststellen läßt, der objektive Urkundeninhalt. Auch stellt diese Entscheidung, der ein Mietvertrag als Sachverhalt zugrunde lag, keinen Widerspruch dar zu der fehlenden Möglichkeit, das übereinstimmende Verständnis der Parteien von dem Urkundeninhalt einem gutgläubigen Dritten entgegenzuhalten; in dem fraglichen Sachverhalt lag es nämlich so, daß die eine Unterzeichnende vertretungsberechtigte Mitgesellschafterin der einen Vertragspartei war, der das vermietete Objekt zudem gehörte. Daher war hier auch aus dem objektiven Urkundeninhalt ersichtlich, wer tatsächlich nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien Vertragspartei sein sollte, so daß sich dies ein Dritter entgegenhalten lassen mußte. Brüche oder Inkonsequenzen im System sind somit weder durch unterschiedliche Definitionen der falsa demonstratio für die unterschiedlichen Rechtsgeschäftstypen, noch durch die Anwendung der Andeutungsformel zur Lösung von Sachverhalten, denen synallagmatische Verpflichtungsverträge zugrunde lagen, ersichtlich.

17 18

Nr. 61 = BGHZ 74,116 ff. Nr. 15 = RGZ 80,400 ff.

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Entscheidungsregister der besprochenen Entscheidungen lfd. Nr.

Senat

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I V V VII III VI IV VI VI IV IV VI IV IV III VI IV IV IV IV IV VI V IV IV II IV IV V IV VII IV VI IV IV IV IV VII VII VI III

19.03.1902 12.12.1903 05.03.1904 08.03.1904 10.05.1904 27.10.1904 06.04.1905 14.12.1905 12.02.1906 12.12.1907 11.03.1909 03.05.1909 05.01.1911 03.04.1911 25.09.1912 17.03.1913 03.05.1913 18.01.1915 20.05.1915 23.11.1916 14.12.1916 18.06.1917 09.11.1918 28.04.1919 29.09.1919 30.09.1919 22.04.1920 10.01.1921 13.06.1925 28.02.1928 17.02.1930 04.01.1932 22.10.1934 03.04.1939 23.04.1951 26.04.1951 22.02.1956 27.05.1957 28.11.1957 08.05.1962 25.10.1965

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lfd. Nr.

Senat

Datum

Fundstelle

43 44 45 46 + 62 47 48 49 50 51 52 53 54 55 + 11 56+16 57 58 + 28 59 60 61 62+46 63

III IVa IVa IVa IVa V V V V V V II IV VI V IV V V V IVa V

04.12.1969 29.05.1980 09.04.1981 09.04.1981 08.12.1982 20.03.1897 16.09.1899 28.02.1900 28.11.1903 01.04.1905 17.04.1907 11.02.1908 11.03.1909 17.03.1913 10.02.1915 10.01.1921 13.12.1924 23.10.1963 23.03.1979 09.04.1981 25.03.1983

BGH WM 1970, 221 ff. BGH LM Nr. 6 zu § 2247 BGHZ 80, 242 ff. BGHZ 80, 246 ff. BGHz 86,41 ff. RG JW 1897, 254 Nr. 85 RG Gruchot 44, 993 ff. RGZ 46, 225 ff. RG JW 1904, 58 Nr. 13 RGZ 60, 338 ff. RGZ 66, 21 ff. RG JW 1909,47 f., Nr. 8 RGZ 70, 391 ff. RGZ 82, 70 ff. RG Gruchot 59,1052 ff. RG SeuffArch 76, Nr. 145 RGZ 109, 334 ff. BGH WM 1964, 94 ff. BGHZ 74,115 ff. BGHZ 80, 246 ff. BGHZ 87,150 ff.

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Senat

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Fundstelle

Nr. 2 Nr. 6 Nr. 8 Nr. 12 Nr. 8 Nr. 11 Nr. 8 Nr. 11 Nr. 8 Nr. 11 Nr. 11 Nr. 8 +Nr. 11 Nr. 8 Nr. 8 Nr. 8 +Nr. 11 Nr. 8 Nr. 11 Nr. 8 Nr. 8

VII VI VI IV IV V IV IV II IV IV VI IV IV VI VI VI V V

29.04.1904 30.11.1905 23.11.1908 03.10.1910 24.05.1911 28.10.1911 30.06.1913 11.12.1913 16.12.1913 23.09.1915 23.03.1916 03.05.1917 29.11.1917 29.04.1918 10.03.1919 02.07.1926 01.12.1927 11.12.1929 20.05.1931

RG DJZ 1904, Sp. 813, Nr. 68 RG JW 1906, 87 f. Nr. 7 RG WarnRspr. 1909, Nr. 140 RG JW 1910, 998 f., Nr. 3 RGZ 76, 303 ff. RG WarnRspr. 1912, Nr. 4 RG JW 1913, 991 f. Nr. 20 RG WarnRspr. 1914, Nr. 36 RG JW 1914, 250 Nr. 12 RG LZ 1915, Sp. 1656, Nr. 11 RG WarnRspr. 1916,168 Nr. 111 RG WarnRspr. 1917, Nr. 288 RG JW 1918,172 f., Nr. 8 RG WarnRspr. 1918, Nr. 123 RGZ 95,125 f. RGZ 114,194 ff. RG HRR 1928, Nr. 206 RG SeuffArch 84, Nr. 67 RG HRR 1931, Nr. 1632

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Senat

Datum

Fundstelle

Nr. 8 + Nr. 11 Nr. 8 Nr. 37 Nr. 37 Nr. 37 Nr. 37 Nr. 37 Nr. 37 Nr. 37 Nr. 48

V III IV V V III V IV V III

14.10.1936 12.02.1937 08.01.1958 12.02.1958 10.02.1960 14.01.1965 08.11.1968 19.01.1972 20.12.1974 18.02.1859

Nr. 49 Nr. 49 Nr. 49 Nr. 49 Nr. 48 Nr. 49 Nr. 52 Nr. 48 Nr. 52 Nr. 52 Nr. 52 Nr. 60 Nr. 60 Nr. 60 Nr. 60 Nr. 60 Nr. 60

V V V V V V V V V V V V V V V V V

19.11.1887 19.03.1890 17.10.1891 09.11.1892 16.11.1895 19.10.1901 20.09.1905 19.04.1906 16.03.1910 17.11.1924 24.09.1931 24.06.1964 23.06.1967 13.10.1967 14.07.1969 21.05.1971 25.03.1973

RG JW 1937, 392 Nr. 2 RGZ 154,41 ff. BGHZ 26, 204 ff. BGH LM Nr. 6 zu § 157 (C) BGHZ 32, 60 ff. BGH LM Nr. 10 zu § 2078 BGH LM Nr. 35 zu §313 BGH WM 1972, 313 ff. BGHZ 63, 359 ff. Kgl. Obertribunal, Stricthorst Bd. 271 ff. RGZ 20, 225 ff. RG Gruchot 34, 707 ff. RGZ 28, 307 ff. RG Gruchot 37,1096 ff. RG JW 1896,17, Nr. 66 RG JW 1901, 813, Nr. 34 RGZ 61, 264 ff. RGZ 63,164 ff. RGZ 73,154 ff. RG SeuffArch 79, Nr. 12 RGZ 133, 279 ff. BGH WM 1964,911 ff. BGH WM 1967,701 ff. BGH WM 1967, 1245 ff. BGH NJW 1969, 2043 ff. Nr. 2 BGH WM 1971, 1084 ff. BGH WM 1973, 869 ff.

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