Die Entwicklung der Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Bundesgerichtshofs: Ein Beitrag zur Fortbildung des gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruches (§§ 463 S.1, 480 II BGB) zu einem in der Vertragsstruktur fundierten, typisierten Haftungsbehelf des Käufers [1 ed.] 9783428461462, 9783428061464


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German Pages 234 Year 1987

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Die Entwicklung der Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Bundesgerichtshofs: Ein Beitrag zur Fortbildung des gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruches (§§ 463 S.1, 480 II BGB) zu einem in der Vertragsstruktur fundierten, typisierten Haftungsbehelf des Käufers [1 ed.]
 9783428461462, 9783428061464

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ROLF BÖCKLER

Die Entwicklung der Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Bundesgerichtshofs

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 103

Die Entwicklung der Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Bundesgerichtshofs Ein Beitrag zur Fortbildung des gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruches (~§ 463 S. 1, 480 II BGB) zu einem in der Vertragsstruktur fundierten typisierten Haftungsbehelf des Käufers

Von

Dr. RoH Böckler

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Böckler, Rolf: Die Entwicklung der Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Bundesgerichtshofs: e. Beitr. zur Fortbildung d. gewährleistungsrechtl. Schadensersatzanspruches (§§ 463 S. 1, 480 II BGB) zu e. in d. Vertragsstruktur fundierten typisierten Haftungsbehelf d. Käufers / von Rolf Böckler. - Berlin: Duncker und Humblot, 1987. (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 103) ISBN 3-428-06146-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten @ 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Günter Schubert, 1000 BerUn 66 Druck: Luck & Schulze, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06146-2

"In der Wissenschaft hat man meist bezüglich dieser Ersatzpflicht (seil.: des gewerblichen Händlers) den Gesichtspunkt einer Verschuldung festhalten zu müssen geglaubt - ,ohne Schuld keine zivilrechtliche Verantwortlichkeit' - sich damit aber um die Möglichkeit gebracht, einerseits ein volles Verständnis der einschlagenden Rechtsbestimmungen zu gewinnen, andererseits auf die Fortbildung dieser Seite des Rechts einen fördernden Einfluß auszuüben. Denn von diesem Gesichtspunkt aus ist ein richtiger Maßstab für die Feststellung der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Haftpflicht und überhaupt für eine richtige Normierung derselben nicht zu gewinnen. Und was hier die Annahme einer wirklichen Verschuldung nicht leistet, das ist selbstverständlich auch nicht mit der Krücke einer bloßen Schuldfiktion zu erreichen." (A. Merkel, Juristische Enzyklopädie, 1885)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg/Lahn im Juni 1986 als Dissertation angenommen. Die Rechtsprechung zur Zusicherung wirft eine Vielzahl bislang noch nicht befriedigend geklärter Fragen auf. Der Bereich des kaufvertraglichen Schadensersatzrechtes gehört somit zu den wenigen noch offenen Problemfeldern des Bürgerlichen Rechts. Daher wird die Diskussion um die Fragen der Verankerung der Zusicherung im Kaufvertrag sowie um diejenigen ihrer Abgrenzung zu den übrigen Behelfen (positive Vertragsverletzung, culpa in contrahendo, Delikt, bzw. Produzentenhaftung) einschließlich der damit in engem Zusammenhang stehenden Verjährungsproblematik, die im gegebenen Zusammenhang nur am Rande gestreift werden konnte, noch lange Zeit andauern. Wichtig ist indessen nur, daß diese Diskussion in Gang bleibt und dabei - wie zu hoffen ist - die Auswertung sowie Durchdringung des bisher angesammelten Fallmaterials in stärkerem Maße, als es bislang geschah, Berücksichtigung findet. Für die Anregung zum Thema sowie für vielfache Unterstützung und Kritik schulde ich besonderen Dank Herrn Prof. Dr. H. G. Leser, Institut für Rechtsvergleichung, Anglo-Amerikanische Abteilung, an dessen Lehrstuhl ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Ebenfalls danke ich Herrn Prof. Dr. H. Leßmann, Institut für Handels-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht, dafür, daß er die Fertigstellung der Arbeit in mannigfacher Hinsicht mitgefördert hat. Schließlich möchte ich mich auch noch bei Herrn Prof. Dr. O. Werner, Institut für Verfahrensrecht, für die großzügige überlassung von Bibliothek und Arbeitsmitteln bedanken. Marburg/Lahn, im Juli 1986 Rolf Böckler

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Die theoretischen Grundlagen für eine objektiv-rechtliche Schadensersatzhaftung des Verkäufers

I. Kapitel Das Bedürfnis nach einer Ausweitung der Schadensersatzhaftung und die Instrumente für seine Umsetzung 1. Einführung in die Probleme der Schadensersatzhaftung beim Kauf

nachBGB ..........................................................

17 17

2. Die Schadensersatzhaftung des Verkäufers im gemeinen Recht als Ausgangspunkt für eine Herleitung der Haftung auf der Grundlage des einzelnen Kaufvertrages - Das "Landstellen-Urteil" ............ 26 3. Die Schadensersatzhaftung des Verkäufers unter dem BGB - Das Problem des Nebeneinanders von Behelfen des Leistungsstörungsund Gewährleistungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 31 4. Die Tendenzen einer Ausweitung der Haftung in der Judikatur hinsichtlich des Ersatzes von Schäden an der Kaufsache selbst - Das "Gabelstapler"- und "Schwimmerschalter-Urteil" .................. 35 5. Der Versuch einer Haftungserweiterung über die Rezeption des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Fr. Mommsen entwickelten globalen Unmöglichkeitsbegriffs .................................... 39 6. Die Auffassung einer Durchbrechung des Sachmängelgewährleistungsrechts (§§ 459 ff.) durch eine allgemeine Fahrlässigkeitshaftung aus pVV

.............•.......•........................................

42

7. Zur Zielrichtung der vorliegenden Arbeit..........................

44

II. Kapitel Der Blick auf andere Lösungen: Das englische Recht und das Haager Einheitliche Kaufgesetz

48

1. Das englische Recht ................................................

48

2. Das Einheitliche Kaufgesetz ........................................

56

10

Inhaltsverzeichnis

III. Kapitel Elemente der Zusicherung als Grundlage für eine dem individuellen Kaufvertrag entnommene Garantiehaftung auf Schadensersatz 1. Subjektiver Fehlerbegriff und Zusicherung ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

62 62

2. Die Anknüpfung an objektive auf dem Einzelvertrag beruhende Garantiehaftungstendenzen innerhalb des BGB ...................... 70 3. Zusammenfassung

74

Zweiter Teil Die kaufrechtliche Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs

I. Kapitel Vorbemerkung zum Gegenstand und zur Methode der Darstellung

82

II. Kapitel Die "enge" Entscheidungslinie 1. Die Judikatur in der frühen exegetischen Periode von 1900 bis 1910

a) Das "Mühlen-Urteil" als Ausgangspunkt und Leitentscheidung. Analyse der in ihm enthaltenen Festschreibung des Zusicherungstatbestandes in seiner für nahezu alle Entscheidungen der "engen" Linie exemplarischen Bedeutung ................................ aa) Sachverhalt und Entscheidungsgründe des "Mühlen-Urteils" bb) Analyse der Entscheidungsbegründung und der Gründe für die breite Rezeption des "Mühlen-Urteils" innerhalb der "engen" Entscheidungslinie des Reichsgerichts zur Zusicherung. .... . .. ce) Vergleich des "Mühlen-Urteils" mit dem "Grundstückslageplan-Urteil" ................................................ b) Das "Hypotheken-Urteil": Die Auswirkung des positivistischen Dogmas der Irrationalität von Werturteilen auf die Zusicherungshaftung ........................................................ c) Das "Dachkammer-Urteil": Keine Zusicherung, sondern Fall des arglistigen Verschweigens ...................................... d) Das "Grundstücks-Urteil": Ablehnung einer Zusicherung aufgrund bloßer Zugrundelegung des Inhalts von Grundbuchblättern ......

85 85

85 85 86 93 94 97 98

Inhaltsverzeichnis

11

e) Das"Saatlupinen-Urteil" des OLG Dresden: Die Notwendigkeit einer Auflockerung des "Vertragsmäßigkeitserfordernisses" ...... 99 f) Das "Ostfriesische Herdbuchbullen-Urteil" des OLG Rostock: Die Zurückweisung einer Zusicherungshaftung aufgrund des objektiven Kriteriums des beiderseitig bekannten Verwendungszwecks 100

2. Die mittlere exegetische Periode (1911-1925) ........................ 101 3. Die späte exegetische Periode (1926-1939) .......................... 103 a) "Hans Thoma-Lithographie": Die besondere Risikolage im Kunsthandel .......................................................... b) Das "Hakney-Hengst-Urteil". Zweifelhaftigkeit eines "Fehlers", selbst bei Zugrundelegung einer rein subjektiven Anschauung .... c) Das "Fordson-Traktor-Urteil": Die Streitigkeit über das Vorliegen einer "Verkehrsauffassung" .................................... d) Das "Venusberg-Urteil": Die Beweislast des Käufers im Hinblick auf die Abgabe einer Zusicherungserklärung als Grund für die Ablehnung einer Zusicherungshaftung ..........................

103 104 105 106

111. Kapitel Die entgegengesetzte "weite" Linie der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zur Zusicherung anhand chronologisch geordneter Aufzeichnung der Entwicklung einer allmählichen Herausbildung von objektiven Haftungsprinzipien 1. Fallgruppe: Die besondere Verdichtung (Intensität) der Eigenschafts-

Vereinbarung ...................................................... a) Das "Bierumsatz-Urteil": Die Verdichtung von Verkäuferangaben aufgrund ihres Einflusses auf die Kaufpreisbewilligung .......... b) Das "Grundstücks-Urteil" ........................................ c) Das "Umsatz-Urteil" ............................................ d) Das "Konfitürengeschäft-Urteil" ..................................

2. Fallgruppe: Die Verkäuferhaftung aufgrund Handelsbrauchs (bzw. Usance) und allgemeiner Verkehrssitte .............................. a) Das "Santa-Clara-Pflaumen-Urteil" .............................. b) Das "Pferde-Urteil": Schadensersatz kraft Verkehrsübung im Tierhandel .......................................................... c) "Levantiner Haselnußkerne": Schadensersatz bei mangelnder Vertragsgemäßheit der gelieferten Ware aufgrund Abweichung von der handelsüblichen Markenbezeichnung .......................... d) "Winter- statt Sommerweizen" .................................. e) Das "Radiatoren-Urteil" .. , " ................................... f) "Die Zusicherung im Seehandel" ................................ g) "Markierung von Roßhäuten" .................................... h) "Stempel auf Ware" I Musterkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

109 110 110 110 112 113 115 115 116 118 119 120 121 123 124

Inhaltsverzeichnis

12

i) Das "Ossegger Pechglanz-Kohle-Urteil" .......................... 124 j) "Kondensierte Milch" ............................................ 125

k) "Speise- statt Saatkartoffeln" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 1) Das "Daimler-Lastkraftwagen-Urteil" 128 m) Das "Wanderer-Zweisitzer-Urteil" 129 3. Fallgruppe: Die Haftung des Verkäufers aufgrund eines besonderen vertraglichen Verwendungszweckes der Kaufsache .................. 131 a) "Phosphorsaurer Kalk für Futterzwecke" ........................ 131 b) Das "Zimmergymnastikgerät-Urteil" 131 c) Das "Futtererbsen-Urteil" ........................................ 133

IV. Kapitel

Die Fortsetzung der "weiten" Entscheidungslinie des Reichsgerichts in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von 1945 bis heute

135

1. Fallgruppe: Die Haftung des Verkäufers der Kaufsache aufgrund

einer zusicherungsrechtlichen "Verdichtung" von Beschaffenheitsangaben der Kaufsache ............................................ 135 a) b) c) d) e) f) g) h) i)

Das ,,3/4 t-Goliath-Urteil" ........................................ "Kauf eines Ferntransporters" .................................. Das "Krempelwolf-Urteil" ...................................... Das "Maschinen-Urteil" .......................................... Das "Wein-Urteil" Das "Briefmarken-Urteil" ...................................... Das "Erschließungskosten-Urteil" ................................ Das "Bilanz-Urteil" Das "Zeitungsanzeige-Urteil" ....................................

135 136 137 138 139

140 141 141 143

2. Fallgruppe: Die Annahme einer Schadensersatzhaftung des Verkäufers aufgrund von Handelsbräuchen, Usancen, Verkehrssitten bzw. -anschauungen des Geschäftsverkehrs .................................. 144 a) b) c) d) e) f) g) h) i)

Das Das Das Das Das Das Das Das Das

"Rohsulfatterpentilöl-Urteil" ................................ "Pfefferminz-Urteil" ........................................ "Heizöl-Urteil" "Seeschiff-Urteil" "Dämmfilze-Urteil" "Dieselöl-Urteil" .......................................... "Futtermittel-Urteil" ...................................... "Trinkwasser-Urteil" ...................................... "Kunststoffrohre-Urteil" ....................................

144 145 147 148 150 150 153 154 156

Inhaltsverzeichnis 3. Fallgruppe: Die Haftung des Verkäufers aufgrund besonderer oder gegenüber dem Käufer - überlegener Sachwalterstellung im Kaufvertrag ............................................................ a) Das "Vogelhändler-Urteil" b) "Minderwertige Musiktruhe" .................................... c) Das "Sägemaschinen-Urteil" .................................... d) Das "Betonbereitungsanlage-Urteil" ............................ e) Das "Juwelier-Urteil" .......................................... f) Das "Klebemittel-Urteil" ........................................ g) Das "Fensterlack-Urteil" ........................................ h) Das "Borgward-Urteil" .......................................... i) "Fabrikneue Kraftfahrzeuge" .................................... j) "Meisterhandüberprüfung und ,TÜV' abgenommen" .............. k) Das "Tachostand-Urteil" ........................................ 1) "Unfallfreiheit", "Marken- und Typenbezeichnungen im Gebrauchtwagenhandel" .................................................. m) "Nachgebaute Halbautomatik" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

13

158 158 162 163 166 168 169 170

174 177 178 181 182 190

4. Fallgruppe: Die Haftung des Verkäufers aufgrund besonderer Strukturmerkmale des einzelnen kaufvertraglichen Geschäftstyps (gattungskaufvertragliche, werkvertragliche und sonstige Elemente der Einstandspflicht) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Das ,,15 t-Schooff-Anhänger-Urteil" .............................. b) Das "Hohllochziegel-Urteil" ...................................... c) Das "TREVIRA-Urteil" .......................................... d) "Klebstoffherstellung für PVC-Platten" .......................... e) Die "Spanplatten-Urteile" ........................................ f) Das "Bäckereibetrieb-Urteil" .................................... g) Das "Gabelstapler-Urteil" ........................................ h) Das "Schwimmerschalter-Urteil" ................................

193 193 196 198 202 203 208 210 211

5. Fallgrupp: Die Haftung des Verkäufers aufgrund eines besonderen vertraglichen Verwendungszweckes der Kaufsache .................. a) "Weltgeschichte in Tabellenfonn" ................................ b) Das "Elektrowärmespeicher-Urteil" .............................. c) Das "Zucker-Urteil" ............................................ d) Das "Nottestamentsmappen-Urteil" .............................. e) Das "Lichtkuppel-Urteil" ........................................

214 214 215 216 218 220

Literaturverzeicl1nis ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223

Abkürzungsverzeichnis*

Allg. Teil Alt. Anm.

am angegebenen Ort abgedruckt ablehnend Absatz abweichend am Ende Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Allgemeiner Teil Alternative Anmerkung

BayRpflZ BGH

Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (Jahr, Seite) Bundesgerichtshof

a.a.O. abgedr. abI. Abs. abw. a.E. AG AGBG

v. Caemmerer GS

Ernst v. Caemmerer, Gesammelte Schriften

DJZ

Deutsche Juristenzeitung (Jahr, Seite)

Fn. Festschr. f.

Fußnote Festschrift für

Gruchot(s) Beitr.

Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von J. A. Gruchot (Band, Seite)

h.L. h.M. hrsg. HS

herrschende Lehre herrschende Meinung herausgegeben Halbsatz

i. e.

im einzelnen

J.B.L. JherJb

IPR

Internationales Privatrecht

JW

Journal of Business Law Jherings Jahrbücher für Dogmatik des Bürgerlichen Rechts (Band, Seite) Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite)

KG

Kammergericht

Lit. L.Q.R.

Literatur The Law Quarterly Review

M.L.R. Mot. m. (w.)Nw.

The Modern Law Review Motive mit (weiteren) Nachweisen

* Hinsichtlich der Abkürzungen heute noch fortlaufend erscheinender bzw. ergänzter Standortperiodika sowie des allgemein gebräuchlichen juristischen Sprachgebrauchs sei auf Kirchners Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache (bearb. von H. Kirchner u. F. Kastner, 3. Aufl., 1983) verwiesen.

Abkürzungsverzeichnis

15

OLGR

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts, hrsg. v. Mugdan und Falkmann (1. 1900 - 46. 1928)

RabelGS RabelsZ

Ernst Rabel, Gesammelte Schriften Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Randnummer(n) Das Recht (Jahr, Nummer) Rechtsprechungsnachweise Reichsgerich t Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Band I-IV, 1929 Rechtsprechung

Rdnr. Recht Rechtspr. Nw. RG RG-Festgabe Rspr.

S.

s. Seuff A(rch) st. Rspr.

Satz siehe Seufferts Archiv für Entscheidungen der Obersten Gerichte in den deutschen Staaten (Band, Nummer) ständige Rechtsprechung

Vorb.

Vorbemerkung

Warn

Warneyer, Rechtsprechung des Reichsgerichts (oder Bundesgerichtshofs) in Zivilsachen (Jahr, Seite)

z.B. zit. n. zust.

zum Beispiel zitiert nach zustimmend

Erster Teil

Die theoretischen Grundlagen für eine objektiv-rechtliche Schadensersatzhaftung des Verkäufers I. Kapitel

Das Bedürfnis nach einer Ausweitung der Schadensersatzhaftung und die Instrumente für seine Umsetzung 1. Einführung in die Probleme der Schadensersatzhaftung beim Kauf nach BGB Das Bürgerliche Gesetzbuch beruht in seinen Regelungen der Arten von Störungen, die bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses auftreten können, nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Lehre vom Vertragsbruch, wie dies im Bereich des Common Law mit dem Begriff des "breach of contract" und grundsätzlich auch im Haager Einheitlichen Kaufgesetz1 der Fall ist. Während in diesen Ordnungen die Tatsache der bloßen Vertragsverletzung im Vordergrund steht, differenzierten die Verfasser des BGB bekanntlich nach der Frage des Grundes der jeweiligen Vertragsverletzung und stellten infolgedessen ein zumindest auf den ersten Blick als sehr kompliziert erscheinendes System einzelner Vertragsverletzungen auf, das zwischen dem Verzug einerseits und den verschiedenen denkbaren Fällen der Unmöglichkeit andererseits unterscheidet. Darüber hinaus sahen sie sich bekanntlich aus den verschiedenartigsten Gründen! dazu ver anlaßt, besonders eingehend für den Kauf 1 Siehe näher dazu unten, S. 48 ff., 56 ff.; vgl. ähnlich auch das französische Recht mit seinem zentralen Begriff der "inexecution", dazu M. Ferid, Das französische Zivilrecht, 1. Bd., § 28, 2 C 4 ff. (S. 438 ff.). 2 Zum einen galt die Sachmängelhaftung des römischen Rechts seit dessen Rezeption in Deutschland als gemeines Recht fort und fand so Eingang in

2 Böckler

18

1. Teil:

Theoretische Grundlagen

wie auch für den Miet- und Werkvertrag - Spezialregelungen hinsichtlich der Gewährleistung für Sachmängel zu schaffen, um dem jeweils durch eine Schlechtleistung betroffenen Gläubiger insoweit ein möglichst umfassendes System von Rechtsbehelfen an die Hand zu geben. Im Kaufrecht geht dieses spezielle Haftungssystem auf die ädilicischen Klagen des römischen Rechts, nämlich die "actio redhibitoria" sowie die "actio quanti minoris", zurück, nach denen der Käufer bei Vorliegen eines Mangels der Kaufsache vom Verkäufer entweder Rückgängigmachung des Kaufs (Wandlung) oder Herabsetzung des Kaufpreises (Minderung) verlangen kann (§ 462, 1. u. 2. Alt. 3). Im Falle eines Gattungskaufs steht ihm auch ein Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien gegen Rückgewähr der erhaltenen mangelhaften Sache zu. Davon abgesehen kann er nur unter ganz bestimmten, qualifizierten4 Voraussetzungen gem. §§ 463 S. 1, 480 II einen Schadensersatz anspruch wegen Nichterfüllung gegenüber dem Verkäufer geltend machen, wenn dieser ihm eine bestimmte Eigenschaft der Kaufsache entweder zugesichert oder einen Mangel arglistig verschwiegen hat (§ 463 S. 2). Auch diese Regelung des Schadensersatzes stammt aus dem römischen Rechts. Ihre Übernahme in das BGB läßt sich dabei jedoch nicht allein als zwangsläufige Folge der Rezeption dieses Rechts in Deutschland ansehen, da beispielsweise weder die Zusicherung noch ein ihr vergleichbares Rechtsinstitut Eingang in das ebenfalls stark römisch-rechtlich geprägte System des Code civil fand. Ausgangspunkt für die in das BGB übernommene Form der Zusicherung bildet eine Entscheidung des römischen Juristen Julian6 , derzudas BGB, vgl. Mot. II, 224; neben dem Blick auf das Recht der Nachbarstaaten (vgl. Mot. II, 227) sind zum anderen vor allem dogmatische überlegungen zur Schaffung eines speziellen Haftungssystems ursächlich gewesen. Beim Spezieskauf traf nach damals wie heute herrschender Lehre den Verkäufer keine Pflicht zur Lieferung der Sache in mangelfreiem Zustand, sondern es wurde vielmehr auch die Verschaffung einer mangelbehafteten Sache als Erfüllung angesehen (vgl. Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse (15. Aufl.), S. 430 f.; ferner E. Rabel, Recht des Warenkaufs, II (1958), S. 105 f. (Fn.12); Jauernig/VoUkommer, § 459 I, 1 b). Zum Streit um die sog. "Erfüllungs- und Gewährleistungstheorie" vgl. Kirchhof, Sachmängelhaftung (Diss. 1970), S. 11 ff.; Herberger, Rechtsnatur, Aufgabe und Funktion der Sachmängelhaftung (Diss. 1974), S. 24 ff.; neuerdings KaUer, Die Risikozurechnung bei Vertragsstörungen in Austauschverträgen, S. 142 ff. 3 §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB. 4 Zur Schadensersatzpflicht des Verkäufers als eine "qualifizierte Gewährschaft" vgl. treffend v. Blume, Jher Jb 55 (1909), 209 ff., zit. nach Diederichsen, AcP 165 (1965), 150 ff. (158, Fn. 41). 5 wo sie aus den "leges venditioni dicta" des klassischen römischen Rechts entwickelt wurde, siehe dazu Kaser, Römisches Privatrecht, S.547, Fn.15 m.w.Nw. 6 Vgl. die Wiedergabe der Stelle 1.13. pr. D. de act. empti venditi 19, 1 bei Dernburg, DJZ 1903, 1 ff. (3); siehe neuerdings Medicus, Id quod interest, S. 128 ff. m. w. Nw.; Kaser, JuS 67, 337 ff. (343); aus dem älteren Schrifttum

I. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

19

folge der Verkäufer eines mit Krankheitskeimen infizierten Tieres, durch das die Herde des Käufers angesteckt wird, keinen Schadensersatz leisten müsse, wenn er die Krankheit des verkauften Tieres nicht gekannt habe. Die dem zugrunde liegende Orientierung der Schadensersatzhaftung an der positiven Kenntnis des Käufers hinsichtlich des schadensverursachenden Mangels hatte sich jedoch schon unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB als zu eng erwiesen7 • In einem immer größer werdenden Maße wurde nämlich das Bedürfnis spürbar, die Vertragshaftung über den vom Gesetzgeber vorgesehenen Rahmen hinaus auszudehnen. Vor dem Hintergrund der in der Lehre überwiegend vertretenen Auffassung des gegenständlich verstandenen UnmöglichkeitsbegriffeglI wurde daher sehr bald die Notwendigkeit erkannt, neben der Gewährleistungshaftung eine die Tatbestände der Unmöglichkeit sowie des Verzuges ergänzende Haftung des Schuldners für jede nicht dem Schuldverhältnis entsprechende - schuldhafte - Schlechtleistung zuzulassenu. Diese unbefriedigende Haftungssituation wurde dann bekanntlich schon kurz nach Inkrafttreten des Gesetzbuches von dem Rechtsanwalt und seinerzeit bedeutenden Kommentator Hermann Staub10 zum Anlaß genommen, neben den gesetzlich geregelten Leistungsstörungen (§§ 275 ff., 306 ff., 320 ff.) eine weitere selbständige Kategorie vertraglicher Haftung zu kreieren, nämlich die von ihm "entdeckten" positiven Vertragsverletzungen. Unter gänzlichem Absehen von der römischrechtlichen Differenzierung nach der Kenntnis des Verkäufers vom Mangel stellte Staub erstmals die Forderung auf, der Käufer wurmstichiger Äpfel- wie er als Beispiel anführtell - müsse den Ersatz derjenigen Schäden ersetzt verlangen können, die ihm daraus erwachsen sind, daß seine "gesunden Äpfel angesteckt" wurden. Die im Bereiche des Kaufrechts gesetzlich geregelten Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung (§§ 463 S. 1, 408 II) wurden damit - ebenso wie die sei hier auf die Abhandlung von Keller, Sell's Jahrb., Bd. III (1844), S. 86 ff. (145 ff.) verwiesen. 7 Zu den Gründen dafür siehe unten, S. 23 ff., 26 ff., 31 f. 8 Siehe näher unten, S. 39 ff. (die Nw. zur h. L. dort in Fn. 90). 9 Zu den Hintergründen dieser Problematik siehe näher unten S. 26 f. u. 39 ff. (40); vgl. aus der Rechtsprechung etwa die schon früh vom Reichsgericht - unter Hinweis auf § 276 I 1 - statuierte Haftung des Verkäufers dafür, daß er verunreinigtes Pferdefutter lieferte und dadurch der Tod einiger Pferde des Käufers verursacht wurde, RG Z 66, 289 ff. (291), Urt. v. 9. Juni 1907; 106,22 (25 f. m. w. Nw.), Urt. v. 29. November 1922. 10 Vgl. seine heute noch lesenswerte Schrift "Die positiven Vertragsverletzungen" (2. Aufl. 1904); vorher hatte er jedoch seine Ideen schon in der Guttentagschen Festgabe für den 26. Deutschen Juristentag (1902) in einer Abhandlung unter dem Titel "Über die positiven Vertragsverletzungen und ihre Rechtsfolgen" dargelegt. 11 Die positiven Vertragsverletzungen, S. 12. 2'

20

1. Teil: Theoretische Grundlagen

sonstigen Gewährleistungsregelungen bei anderen Vertragstypen erstmals als eine ergänzungsfähige Teilregelung angesehen. Obgleich sich über Entstehungsgeschichte und Zielsetzung des Instituts der positiven Vertragsverletzung (pVV) im Verlaufe dieses Jahrhunderts ein uferloses Schrifttum angesammelt hat und stets noch neue Versuche einer dogmatischen Begründung bzw. überprüfung hinzukommen12, konnte bis heute noch nicht die Frage befriedigend geklärt werden, welche Schäden von der pVV und welche von den Regelungen des gesetzlichen Gewährleistungsrechts erfaßt werden13• Ein weiteres Problem hat sich in jüngerer Zeit aus der Tendenz ergeben, die Schadensersatzhaftung des Verkäufers außerhalb des normierten Systems des Gewährleistungsrechts durch Erweiterungen anderer Haftungsbehelfe - insbesondere des Deliktrechts - insoweit auszudehnen, als diesen neben der Aufgabe eines Ausgleichs bei Verletzungen des Integritätsinteresses auch noch die zusätzliche Regelungsfunktion hinsichtlich eines Ausgleichs an der Kaufsache selbst entstandener Schäden zuerkannt wurde. Dabei ging es bislang um aus reinen Verjährungsgründen14 unternommene 12 Vgl. etwa die versuchsweise Erfassung seines Inhaltes im Wege einer systematischen Zusammenstellung der bislang erkannten Pflichtenlagen, bei G. Köpcke, Typen positiver Vertragsverletzungen (1965); den vollständigsten überblick über das Schrifttum gibt EmmeTich, Leistungsstörungen, S.146; deTs., MK, Vor § 275 D. (vor Rdnr. 184); v. StaudingeTILöwisch, Vorbem. zu §§ 275-283, b). 13 Siehe dazu noch ausführlich unten S. 31 ff. (32 ff.). 14 Mit Medicus (Festschr. f. E. Kern [1968], S. 313 ff. [327]) sollte jedoch statt über den "Schleichweg" (Medicus, a.a.O.) der pVV oder den Weg über die Verletzung einer gesetzlichen Schutzpflicht die Lösung aus der rechtspolitisch "falsch wertenden Norm" selbst - hier also des § 477 I 1 - hergeleitet werden. Die kurze Frist des § 477 I 1 vermag ihre "Rechtsfriedensstiftungsfunktion" schon deshalb im Rahmen der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zu erfüllen, weil sich Schäden aus der Kaufsache in der Regel erst nach sechs Monaten realisieren. Außerdem ist ihr ursprünglicher Regelungszweck, nämlich Streitigkeiten darüber, ob ein Mangel bzw. Schaden auf der Kaufsache selbst oder aber auf dem Gebrauch der Sache durch den Käufer beruht, nach Ablauf einer bestimmten Frist wegen der danach in der Regel zu erwartenden Aufklärungsschwierigkeiten möglichst zu verhindern, heute aufgrund der technisch äußerst verfeinerten und daher mit denen aus der Zeit des Gesetzgebers nicht mehr vergleichbaren Untersuchungsmethoden gegenstandslos geworden. Selbst die Rechtsprechung hat daher bereits, wenn auch nur "obiter", erwogen - (BGH NJW 73,843 ff. [845]; vorher schon BGHZ 60. 10 ff. [13 f.], beide unter Berufung auf LaTenz, SchR II [10. Aufl.] , S. 60 [Fn. 2]) -, den Lauf der Frist in den Fällen erhobener Schadensersatzansprüche erst dann beginnen zu lassen, wenn der Käufer den Eintritt des Schadens erkennen konnte und in der Lage war, ihn auch in einer die Verjährung unterbrechenden Weise geltend zu machen. Diese Lösung vermag indessen nicht zu überzeugen: § 477 I 1 setzt den Fristablauf zu Recht unter Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen des Verkäufers unabhängig von Differenzierungen nach subjektiven Voraussetzungen auf der Käuferseite in Gang, eben weil es dem Käufer - im Gegensatz zu einem "nur" deliktsrechtlich, nicht im Rahmen eines Vertragsbandes Geschädigten (so daß entgegen Honsell, JURA 79, 184 ff. [194] und RengieT, Zur Abgrenzung des positiven vom negativen Interesse, S. 96 ff., eine analoge Anwendung des

I. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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Versuche, die p VV15 sowie den deliktischen Schadensersatzanspruch so mit Hilfe des Instituts der Produzentenhaftung18 - zu "umfassenden Gewährleistungsbehelfen" des Käufers fortzuentwickeln. Nicht zuletzt dabei hat sich deutlich gezeigt, daß es im Kaufrecht primär um die Frage geht, ob dem Käufer - und zwar stets unabhängig davon, ob er die Kaufsache behalten oder wieder zurückgewähren möchte - ein Anspruch auf den vollen Ersatz sämtlicher ihm entstandener Schäden zusteht. Von ihrer ursprünglichen Funktion her, nämlich außerhalb der einschlägigen GewährIeistungsnormen den Ausgleich des negativen bzw. Integritätsinteresses herbeizuführen, läßt sich die pVV-Haftung im Grunde genommen nicht mehr mit Blick auf die an der Kaufsache selbst entstandenen Schäden in ihrem Anwendungsbereich erweitern. Sie vermag daher konsequenterweise auch nicht die Funktion der Wandlung mitzuübernehmen17, wie dies im Falle des Schadensersatzes im Wege der §§ 463 S. 1, 480 II über die sog. "große Schadensersatzlösung" geschieht. Gerade hierin liegt das besondere Wesen der Schadensermittlung nach der von der Praxis entwickelten Differenztheorie, die über die Einzelobligation hinaus den gesamten Vertrag im Auge hat und den Schadensersatz wegen Nichterfüllung mit dem Synallagma verbindet. Daher handelt es sich bei ihren beiden Erscheinungsformen, nämlich der sog. "kleinen" und "großen Schadensersatzlösung", um Kombinationen18 zwischen Wandlung und Minderung einerseits sowie der Möglichkeit eines darüber hinausreichenden Ersatzes entstandener Schäden andererseits innerhalb des jeweiligen Rahmens einer Gesamtabrechnung des einzelnen Vertrages. § 852 abzulehnen ist) -

zugemutet werden darf, die in seine Sphäre integrierte Kaufsache aufmerksam zu beobachten. Entscheidend sollte daher de lege ferenda der Zeitpunkt des Schadenseintritts bzw. derjenige einer unabhängig von den subjektiven Verhältnissen seitens des Käufers zu bestimmenden objektiven Erkennbarkeit des Mangels sein, und zwar innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Jahren (für eine solche von nur einem Jahr Köhler, JuS 82, 13 ff. [17]), so wie dies bereits im Haager Einheitlichen Kaufgesetz in den Art. 39, 40 für die Fälle "vertragswidriger" Lieferung vorbildlich Gesetz geworden ist; ebenso Bichlmeier, Zusicherung und Vertrauen (Diss. Bielefeld 1978), S. 170 ff. (178 m. w. Nw.); vgl. auch unten S. 61. 15 Vgl. BGHZ 66, 208 ff. ("Gabelstapler-Urteil"). 18 BGHZ 67, 360 ff. (sog. "Schwimmerschalter-Urteil"); zu diesem wie auch zum "Gabelstapler-Urteil", siehe i. e. noch unten, S. 35 ff. u. 2. Teil, S. 210 f.; 211 ff. 17 wobei allerdings der Käufer etwa in dem von Julian (siehe oben, S. 18 f., Fn. 6) entschiedenen Falle den Kaufpreis für das erworbene Tier dadurch zurückerhalten kann, daß er neben einem Anspruch aus pVV zusätzlich eine Wandlung, die sich damit grundsätzlich verträgt, geltend macht, vgl. auch Weitnauer, Vertragsaufhebung, Festschr. der Universität Heidelberg (1967), S. 71 ff. (83 u. Fn. 50 m. w. Nw.). 18 Leser, Rücktritt, S. 132 f.; Weitnauer, a.a.O. (Fn. 17), S. 71 ff. (82); v. StaudingerlHonsell, § 463, Rdnr. 4 m. w. Nw.

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1. Teil:

Theoretische Grundlagen

Von daher muß es grundsätzlich sinnvoll erscheinen, statt eines Ausweichens auf andere Behelfe - pVV und Produzentenhaftung - zu überlegen, ob nicht die zu erzielenden Haftungsergebnisse auch aus dem Gewährleistungsrecht selbst hergeleitet werden können. Dieses entspricht insbesondere auch von seinem Grundzweck her, nämlich einen Gesamtinteressenausgleich zwischen den Kaufvertragsparteien zu ermöglichen1D , in besonderem Maße dem Wesen der kaufvertraglichen Obligation, was deutlich wird, wenn man den Kauf mit dem Miet- und Werkvertrag vergleicht. Im Hinblick auf die zuletzt genannten Verträge hat der Gesetzgeber - wie die Parallele der §§ 459 ff. (463 S.1, 480 Ir) zu den §§ 535 ff. (538), 631 ff. (635) zeigt - ganz bestimmte, diesen Rechtsverhältnissen typischerweise entspringende Pflichten zu gesetzlichen Garantiehaftungstatbeständen verdichtet. Dies geschah in der Absicht, den Eintritt besonders häufig anzutreffender und damit ebenfalls typischer, jedoch mißbilligter Ihteressenverteilungen im Wege der Anordnung gesetzlicher Einstandspflichten möglichst von vornherein zum Schutze des Vertragspartners unter Berücksichtigung auch der Interessenlage des Schuldners zu verhindern. Infolgedessen hat es wohl auch schon H. Staub als "fast die wichtigste Frage" erachtet, ob der von ihm erkannte "allgemeine Rechtsgrundsatz" des Inhalts, daß die Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung einer bestehenden Verbindlichkeit durch "positives Tun" in der Verpflichtung zum Schadensersatz bestehe, auch für den Kauf zutrifft20 • Bezweifelt wurde dies seinerzeit insbesondere von den Pandektisten Dernburg21 und Kipp!! für diesen Vertragstyp, indem sie die gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften des Kaufrechts als erschöpfend ansahen23 • Mit dem Charakter des Sachmängelgewährleistungsrechts als einer sorgfältig getroffenen Interessenabwägung zwischen Verkäufer und Käufer setzte 10 Vgl. rechtshistorisch zu den Gründen für die Entstehung des Edikts der kurulischen Ädilen Liebs, Römisches Recht, S. 237 f.; Kaser, Römisches Privatrecht, § 41, VI, 4; W. Leiser, Festschr. f. L. S. v. Carolsfeld (1972), S. 299 ff.; Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht, Geschichte des Kaufs im Römischen Recht, Bd. I (1876), § 51, S. 395-401; Keller, Sell's Jahrb., Bd. Irr (1844), S. 86 ff. (93 ff., 118 ff.). 20 Die positiven Vertragsverletzungen, S. 48; siehe dazu auch unten, S. 35 f.; 39 f.; 42 ff. 21 DJZ 1903, 1 ff. (3 ff.); vgl. dens., Pandekten, § 100, b) a. E., S. 273, wo die Aufgabe des Sachmängelrechtes treffend in der "Vermittelung der Prätentionen beider Theile" umschrieben wurde; s. näher W. Leiser, a.a.O. (Fn. 19), S. 299 ff. (301 ff., 304). 22 DJT 1903, 253 ff. (255). 23 Kipp (a.a.O., Fn. 22) schlug vor, sich daraus in der Praxis ergebende Härten dadurch zu beseitigen, daß man bei "der Annahme einer stillschweigenden Zusicherung von Eigenschaften nicht zu ängstlich" sei: "Wer Fässer verkauft, haftet auf vollen Schadensersatz, wenn sie nicht heil sind, weil eine so selbstverständliche Eigenschaft als zugesichert gelten muß. Dies wußte schon Labeo (B. XIX, 1, 6 § 4, vgl. D XIX, 2, 19 § 1), und das wird auch heute richtig sein."

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Staub sich an keiner Stelle seiner Darlegungen auseinander2f , sondern er erörterte vielmehr seinen Gedanken eines allgemeinen, dem Gesetz innewohnenden Rechtsgrundsatzes der Haftung für schuldhafte, durch "positives Tun" begangene Vertragspflichtverletzungen anhand einer Vielzahl von Fällen, die er aus sämtlichen Bereichen des Schuldrechts entnahm. Heute sieht man sich jedoch im Bereiche des Kaufrechts mit einer seit Erlaß des BGB in immer stärkerem Maße ausdifferenzierten Rechtsprechung zur Zusicherung konfrontiert, die mittlerweile ein selbst für den Juristen kaum mehr überschaubares kasuistisches Bild einzelner Entscheidungen bietet. Im Rahmen der individuellen Urteilsfindung stand dabei sehr oft die Abgrenzungsfrage im Vordergrund, wann bereits eine "stillschweigende Zusicherung" angenommen werden kann oder wann dagegen nur eine bloße Beschreibung der Kaufsache vorliegt, deren Nichteinhaltung seitens des Verkäufers lediglich einen Fehler im Sinne des § 459 I 1 begründet. Auch trat in der Judikatur besonders auffällig das Problem zutage, wie im Einzelfalle eine als rechtsverbindlich einzustufende Zusicherung von der bloßen - d. h. rechtlich unverbindlichen - Anpreisung zu unterscheiden ist. Diese Schwierigkeiten lassen sich anhand vielfältiger, geradezu teilweise in Widerspruch zueinander stehender Urteile veranschaulichen, bei denen im einen Falle noch eine "stillschweigende Zusicherung" großzügig bejaht wurde, so etwa, wenn im Rahmen des Verkaufs eines Holzlacks nach Durchführung verschiedener Tests durch den Verkäufer "stillschweigend" die Zusicherung abgegeben worden sein soll, daß das mit dem Lack behandelte Holz nicht von Fäulnis befallen werde25, während man hingegen andererseits verhältnismäßig engherzig entschieden hat, daß bei dem Verkauf von Dieselkraftstoff die Angabe einer entsprechenden "DINNorm" keine "stillschweigende Zusicherung" des Inhalts enthalte, der Kraftstoff weise auch tatsächlich die sich aus dieser "DIN-Norm" ergebende und zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges erforderliche Oktanzahl auf28 • Daneben lassen sich auch hinsichtlich der Frage der Abgrenzung einer Zusicherung von der - unverbindlichen - Anpreisung stark divergierende Entscheidungen auffinden. So wurde beispielsweise einmal die Bezeichnung des Inventars einer Gaststätte als "neuwertig" oder "neu angeschafft" als bloße Anpreisung angesehen27 , die Bezeichnung einer Maschine als "kaum gebraucht", "fast neu" und "verhältnismäßig neuwertig" hingegen andererseits als verbindliche Zusicherung28 •

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worauf auch von W. Leiser, a.a.O. (Fn. 19), S. 299 ff. hingewiesen wurde. BGHZ 59, 158 ff., siehe dazu noch näher unten, 2. Teil, S. 170 ff. BGH NJW 68, 2238 ff., näher dazu noch unten, 2. Teil, S. 150 ff. OLG Braunschweig MDR 58, 687; vgl. auch unten, 2. Teil, S. 138. BGH NJW 59, 1489; siehe näher unten, 2. Teil, S. 138.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

Angesichts der bereits aus diesen exemplarisch angeführten Entscheidungen ersichtlichen Tatsache, daß die zur Zusicherung ergangene Judikatur kaum als einheitlich gewertet zu werden vermag, stellt sich bei ihrer näheren Betrachtung die Aufgabe, das umfangreiche bisher angesammelte Fallmaterial auch nur halbwegs zu ordnen und daraus die entsprechenden Haftungskriterien abzuleiten, die vielleicht einmal, falls sich die Bemühungen in dieser Richtung konzentrieren ließen, der zukünftigen Praxis Entscheidungshilfen bieten, aufgrund derer gegebenenfalls in einem weitaus größeren Maße als bisher berechenbar entschieden werden könnte. Daher muß in der heutigen Zeit der von H. Staub ursprünglich noch unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB zugrunde gelegte Ausgangspunkt2D , einen für alle Formen von Schuldverhältnissen gültigen Haftungsgrund heranzuziehen, für den Bereich des Kaufs durch eine zumindest zusätzliche Absicherung der Haftung mit Hilfe zusicherungsrechtlich bedeutsamer Gesichtspunkte etwas relativiert werden. Insoweit liegt es nahe10, einzelne, bisherigen Urteilen zugrunde liegende Kaufverträge detaillierter unter dem Ziel zu betrachten, aus ihrem jeweiligen individuellen Gefüge das - sich oftmals hinter den Gründen verbergende - objektive Haftungskriterium herauszuarbeiten, um damit vielleicht die Vielfalt der bislang ergangenen Einzelentscheidungen auf wenige Grundformen haftungsbedeutsamer Struktureiemente reduzieren zu können. Entgegen der Auffassung Dernburgs und KippsS1 wird dabei dem Institut der pVV ungeachtet der beträchtlichen Ausweitung der Haftung aus "stillschweigenden Zusicherungen" immer noch ein - wenn auch ganz erheblich verkleinerter - Anwendungsbereich im Kaufrecht verbleiben. Dies folgt allein schon daraus, daß ihm neben der obenB! beschriebenen noch eine weitere Funktion zukommt, nämlich das allgemein als unzulänglich empfundene Deliktsrecht, das die bloß fahrlässige Beschädigung fremden Vermögens als solche nicht sanktioniert und im Rahmen der Haftung für Hilfspersonen entgegen dem Vertragsrecht (§ 278) die Möglichkeit der Exkulpation vorsieht (§ 831), zu korrigierenSB. Dieses praktische Bedürfnis nach lückenergänzender Rechtsfortbildung innerhalb des Vertragsrechts entfällt vergleichsweise gänzlich im französischen Recht34, das aufgrund der in !9 Siehe oben, S. 19 f., 22 f. so Zum eigenen Ansatz dieser Arbeit siehe auch unten, S. 44 ff. 31 Siehe oben die Nw. in Fn. 21 u. 22. 31 Siehe S. 19 ff. as Siehe Kreuzer, JZ 76, 776 ff. (778); SchlechtTiem, VersR 73, 581 ff. (582. 584) spricht von einer "deliktsrechtlichen Entwicklungslinie" der pVV und einer Erweiterung der "Einstandspflicht für Vermögensverluste"; ähnlich auch Schwark, AcP 179 (1979), 57 ff. (S. 59: "Erweiterung deliktsrechtlicher Risikovorstellungen ce). 34 Der Grund dafür liegt nicht allein in dem dort vorhandenen zentralen Begriff der "inexecution" (vgl. schon oben Fn. 1), von dem jedoch eine Reihe von Fallgestaltungen erfaßt werden, die im deutschen Recht die "Entdek-

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Art. 1382 C. C. 35 enthaltenen deliktischen Generalklausel auch Schutz vor schuldhaft verursachten allgemeinen Vermögensschäden bietet38 und für die Gehilfenhaftung des Geschäftsherrn nur in verhältnismäßig engen Grenzen eine Entlastungsmöglichkeit vorsieht37• Gleichwohl ließe sich der Anwendungsbereich der pVV im deutschen Kaufr-echt zumindest noch einmal erheblich verkleinern, wenn man auch hier im Rahmen der Sachmängelgewährleistung dem im französischen Recht anerkannten38 Gesichtspunkt der besonderen Sachwalterstellung des Verkäufers als zusicherungsrechtliche Haftungsgrundlage eine eigenständige Bedeutung zukommen läßtss • Schließlich erscheint es auch noch aus einem anderen Grunde sachdienlich, das Augenmerk besonders auf die bisher im Bereiche der Zusicherung erzielte richterrechtliche Rechtsfortbildunto zu lenken. Erweist sich nämlich danach der zusicherungsrechtliche Haftungsbereich als größer, als man auf den ersten Eindruck hin annehmen mag, bzw. ließe er sich aufgrund von Querverbindungen innerhalb des bisher entschiedenen Fallmaterials noch vergrößern, so ist dementsprechend die Grenze für den vertraglichen Ausschluß der Gewährleistungsrechte geringer, als man dies nach der Fassung des § 476 annehmen muß. Nach dieser Vorschrift macht bekanntlich erst die Arglist des Verkäufers eine Abbedingung oder Beschränkung der gesetzlichen Rechte unwirksam. Sollte nun nach etwaigen richterrechtlich erlangten Konturen der Zusicherung ein größerer Anwendungsbereich zukommen, als es nach den strengen Anforderungen der §§ 463 S. 1, 480 II nahezuliegen scheint, so kung" der pVV veranlaßt haben, siehe M. Ferid, Das französische Zivilrecht, 1. Bd., § 28, 2 C 7 - 2 C 13 (S. 484 f.). as Art. 1382 C. c. lautet: "Jede beliebige Handlung eines Menschen, durch die einem anderen Schaden zugefügt wird, verpflichtet denjenigen zur Wiedergutmachung, durch dessen Fehler er eingetreten ist." se M. Ferid, a.a.O. (Fn. 34), § 60,2 M 2 - 2 M 5 (S. 820 f.). 3T Ders., a.a.O. (Fn. 34), § 62, 2 M 121 ff.; 2 M 142 ff. (S. 848 ff.). 38 Siehe dazu auch unten, S. 45 f. se Wie dies schon von K. Jakubezky in seinen "Bemerkungen zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das dt. Reich" im Jahre 1892 gefordert wurde, siehe § 385, S. 94: "Wie aus einem Garantieversprechen wird aber ein Sachkundiger, insbesondere ein Gewerbetreibender, welcher als solcher eine dem Gebiete seiner besonderen Sachkunde angehörige Sache veräußert, wegen Mängel haften müssen, vermöge welcher die Sache bei bestimmungsmäßigem Gebrauche Schaden stiftet." Vgl. auch S. 44 ff. (46 f.) und i. e. unten, 2. Teil, S. 158 ff.; ein der Forderung Jakubezkys inhaltlich entsprechender Gesetzesantrag wurde u. a. mit der Begründung zurückgewiesen, in vielen Fällen werde sich eine "Entschädigung des Käufers tatsächlich dadurch herbeiführen lassen, daß man nach der Absicht der Parteien eine stillschweigende Zusicherung annehme", Mugdan, Bd.2, S. 670; zit. n. W. Leiser, Festschr. f. L. S. v. Carolsfeld (1972), S. 299 ff. (316 f. a. E.). 40 Zur Bedeutung des Richterrechts und zum Verhältnis zwischen Präjudiz und Gesetz allgemein vgl. J. Esser, Richterrecht, Gerichtsgebrauch und Gewohnheitsrecht, Festschr. f. F. v. Hippel (1967), S. 95 ff.; ders., Vorverständnis, S. 43 ff., 53 ff., 177 ff. (187 ff., 192 ff., 196 ff.).

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

bleibt für die Möglichkeit des vertraglichen Ausschlusses der Gewährleistungsrechte ein entsprechend geringerer Spielraum. Im Bereiche der Individualvereinbarungen folgt dies aus dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens (§ 242)'1, da die Eigenschaftszusicherung selbst bereits eine Garantie enthält. Falls eine solche vorliegt, würde damit der Verkäufer bei Vereinbarung eines Haftungsausschlusses zum Ausdruck bringen, daß er sich zwar zur Leistung einer Kaufsache mit bestimmten Eigenschaften verpflichte, jedoch nicht dafür einstehen wolle, wenn er dieser Pflicht nicht nachkomme. Soweit der Ausschluß oder die Beschränkung der Käuferrechte formularmäßig, d. h. durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) erfolgt, ergibt sich die Unwirksamkeit heute unmittelbar aus § 11 Nr.11 AGBG42, während hingegen für die pVV eine Begrenzung bzw. sogar ein Ausschluß der Haftung in den Bereichen leichter und mittlerer Fahrlässigkeitsstufen zulässig wäre (§ 11 Nr.7 AGBG). Auch aus diesem Grunde ist das Problem der Abgrenzung der innerhalb des Kaufrechts in Betracht kommenden Haftungsgrundlagen untereinander, also der pVV, der Produzentenhaftung sowie der Zusicherung für das Schadensersatzbegebren des Käufers nach wie vor von großer Bedeutung43 •

2. Die Schadensersatzhaftung des Verkäufers im gemeinen Recht als Ausgangspunkt für eine Herleitung der Haftung auf der Grundlage des einzelnen Kaufvertrages Das "Landstellen-Urteil" (RG in SeuffA, Bd. 40,155 f.) Jede Aufarbeitung einer überlieferten Rechtsprechung führt zwangsläufig zu deren Entwicklungsursprung zurück, zumal eine Entscheidung oft ohne ein vorhergehendes, ja oft sogar eine Kette vorhergehender '1 Vgl. die insoweit exemplarische Ausführung des BGH im "KlebemittelUrteil" (E 50, 200 ff. [207]): "Die Zusicherung wäre dann ihres Inhaltes entleert und hätte jede praktische Bedeutung verloren. Der Verkäufer darf aber nach Treu und Glauben nicht das, was er im Vertragsangebot versprochen hat, durch Beifügung einer Freizeichnungsklausel in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen zunichte machen. Einer solchen Klausel kann keine rechtliche Wirkung zuerkannt werden." Siehe dazu auch unten, Fn. 65 und im 2. Teil, S. 169 f. 42 Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz) v. 9. Dezember 1976 (BGBl. I, S. 3317); vgl. eingehender Wolf, in: Wolf/Hom/Lindacher, AGB-Gesetz, § 11 Nr. 11, Rdnr. 1 ff. 43 Nicht zuletzt auch dann noch, wenn man vgl. unten S. 62 ff. - zu der Auffassung gelangt, daß infolge des subjektiven (bzw. konkreten) Fehlerbegriffes der h. M. eine Grenzziehung zwischen bloßem Fehler einerseits und Zusicherung andererseits nicht mehr möglich ist, da der richterrechtliche Satz, daß eine Zusicherung nicht durch Freizeichnung ausgehöhlt und entwertet werden darf (siehe oben, Fn. 41), davon unabhängig ist und demnach weitergilt, siehe auch Vollkommer, Die Konkurrenz des Leistungsstörungsrechts, AcP 183 (1983), 525 ff. (553).

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Urteile in ihrer konkreten Gestalt undenkbar wäre. So weisen Zitate frühester Entscheidungen zur Zusicherung unmittelbar auf die noch unter dem gemeinen Recht gesammelte Erfahrung hin, wobei sich bei näherer Betrachtung zeigt, daß sich Urteile aus dieser Zeit sogar als direkte Vorläufer für eine exzessive Handhabung der Zusicherung in der Praxis des Reichsgerichts bis hin zu derjenigen des Bundesgerichtshofes einstufen lassen. Zum Verständnis der unter dem gemeinen Recht ergangenen Judikatur bedarf es eines kurzen Blickes auf die damaligen Voraussetzungen der Verkäuferhaftung. In der späten Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts wurde die Auffassung vertreten, daß der "Kontraktschuldner" infolge einer "Regel des entwickelten Rechts für jede also auch für leichte Verschuldung" - so H. Dernburg" - einzustehen habe. Es traf ihn also eine allgemeine Culpa-Haftung immer schon dann, wenn er schuldhafterweise nicht bzw. nicht gehörig erfüllte oder wenn er sonst bei der Ausführung eines Vertrages schuldhafterweise einen Schaden anrichtete. Daneben bestand für den Bereich des Kaufs die spezielle Gewährleistungshaftung des Verkäufers für Mängel der Kaufsache, so daß naturgemäß auch im gemeinen Recht die Frage umstritten war, ob er - der Verkäufer - aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Culpa-Haftung auf das volle Interesse einzustehen hatte, wenn er, ohne dabei ein besonderes Garantieversprechen abgegeben zu haben, "gutgläubig" etwa in der Form der Zusage, eine Eigenschaft der Kaufsache als vorhanden oder einen Mangel als nicht vorhanden bezeichnete4/;. Jene spezielle Gewährleistungshaftung rekrutierte sich wiederum aus einem Zusammenwirken der Vorschriften über die Nichterfüllung des Vertrages - der sog. actio empti - einerseits und der Vorschriften des ädilicischen Ediktes andererseits48 • Aus dem Gesichts" Vgl. Pandekten, 2. Bd. (1892), § 37, 1, Fn. 1 (S. 99); siehe auch U. Blaurock, Culpa-Haftung und nachträgliche Unmöglichkeit, in: Zum Deutschen und Internationalen Schuldrecht, S. 51 ff. (55) unter Hinweis auf ALR I 5 § 285: "Wer bey Abschließung oder Erfüllung des Vertrages seine Pflichten vorsetzlich, oder aus grobem Versehen, verletzt hat, muß dem anderen sein ganzes Interesse vergüten." Für das BGB vgl. § 224 I E I, dazu noch unten, Fn. 86; aus historischer Sicht und mit beachtlichen Argumenten krit. dagegen, ob es "wirklich die allgemeine Culpa-Haftung als ,Regel des entwickelten Rechts'" gegeben hat, W. Leiser, Festschr. f. S. v. Carolsfeld (1972), S. 299 ff. (301 ff.).

45 Abgelehnt wurde dies von Dernburg, a.a.O. (Fn. 44), § 100, b, Fn. 14 (S. 273) unter Berufung u. a. auf die Julian-Digestenstelle (siehe oben, Fn. 6) gegen Hanausek, a.a.O. (Fn. 45), S. 48 ff. u. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 2. Bd. (9. Aufl., 1963), § 395, Anm. 3. 48 Zur Gewährleistungshaftung des Verkäufers im gemeinen Recht siehe Hanausek, Die Haftung des Verkäufers, Bd. I (1883), §§ 15 ff., S. 111 ff. (128 ff.); Dernburg, Pandekten, 2. Bd. (1892), §§ 100-102, S. 271 ff.; Bechmann, Der Kauf nach gemeinem Recht, Teil 3 (1905-08), § 292, S. 108 ff. Zu den aus der Konkurrenz von actio empti und den ädilizischen Klagen entstandenen Problemen siehe eingehend W. J. Klempt, Die Grundlagen der Sachmängel-

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

punkt der actio empti und damit wie im Rahmen der allgemeinen Culpa-Haftung auf vollen Schadensersatz konnte der Verkäufer nur haften, wenn er entweder einen Mangel arglistig verschwiegen oder dessen Abwesenheit besonders versprochen hatte, d. h. - im letzteren Falle - ein promissum vorlag. Entsprechend der aus dem römischen Recht überlieferten Auffassung einer strengen Unterscheidung zwischen letzterem einerseits sowie dem dictum andererseits verstand man hieruhter die im Wege einer Stipulation, d. h. einem ausdrücklichen auf Garantie gerichteten Schuldversprechen zugesagte Behauptung der Fehlerfreiheit oder des Vorliegens bestimmter Eigenschaften. Das dictum hingegen bezog sich lediglich auf die Zusage besonderer Eigenschaften i. S. einer bloßen deklaratorischen Vorstellungsmitteilung, so daß es im Gegensatz zu der Stipulation kein Leistungsversprechen beinhaltete47 • Die gegenüber dem Schadensersatz geringere Haftung aus dem Recht der Aedilen auf Wandlung des Kaufs oder Preisminderung traf den Verkäufer nur in denjenigen Fällen, in denen ein Fehler vorlag oder von ihm bestimmte Eigenschaften formlos durch ein dictum zugesagt bzw. stipuliert wurden. Im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen dem bloßen dictum einerseits und dem promissum i. S. des strengen Garantieversprechens andererseits, auf die es daher bei der Frage einer Schadensersatzhaftung des Verkäufers ganz entscheidend ankommen konnte, wurde schon im Jahre 1902 von Carl Crome zu Recht darauf hingewiesen, daß das BGB sie aus wohlerwogenen Gründen nicht übernommen habe. Es könne so Crome48 - kaum jeweils mit Sicherheit gesagt werden, ob das über eine Eigenschaft der Kaufsache Gesprochene nur "neben" - wie im Falle des dictum - oder "im Vertrage" selbst - wie im Rahmen eines promissum - erörtert und damit auch, ob eine "nur einfache" oder "qualifizierte" Zusicherung (Angabe) erteilt worden sei. Eine solche Unterscheidung erweise sich als "im praktischen Leben nicht durchführbar" und müsse "geradezu unzählige Prozesse heraufbeschwören", da es sich dabei praktisch immer um die Frage drehe, ob der Verkäufer vollen Schadensersatz zu leisten habe. Die damit verbundene Unsicherheit vergrößere sich noch, wenn man berücksichtige, daß "nach der übereinstimmenden Ansicht der Schriftsteller (seil.: des gemeinen Rechts) die Zusicherungen nicht bloß ausdrücklich, sondern auch stillschweigend oder indirekt gemacht sein können, d. h. unter Umständen aus dem haftung des Verkäufers im Vernunftrecht und Usus modernus, S. 52 ff. m.w.Nw. 47 Vgl. die ältere Darstellung bei Küpper, Die Deutsche Rechtsprechung zur Frage der Zusicherung beim Kauf, Diss. Köln (1933), S. 4 f., 27 ff.; grundlegend: Haymann, RG-Festgabe, Bd.II (1929), S. 317 ff.; einen überblick gibt Bichtmeier, Zusicherung und Vertrauen (1978), S. 18 ff., 29 ff. 48 Recht 1902, 333 ff. (333/334).

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Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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Gesamtverhalten der Parteien, insbesondere des Verkäufers abzuleiten sind". Wie berechtigt diese Feststellungen waren, zeigt sich an der mitunter heute noch anzutreffenden Schwierigkeit, geeignete und flexibel handhabbare Kriterien aufzufinden, nach denen die Abgrenzung der Haftungsvoraussetzungen für Wandlung und Minderung auf der einen Seite sowie für den Schadensersatz anspruch auf der anderen Seite bestimmt werden können. Es ist daher nicht erstaunlich, daß schon seitens der Rechtsprechung unter dem gemeinen Recht damit begonnen wurde, jenseits dieses künstlichen, stark vom Geist des Positivismus geprägten Begriffspaares neue Kriterien dafür zu entwickeln, wann ein Schadensersatzanspruch als vertragsgerecht einzuräumen ist und wann nicht. Bei der wohl frühesten Entscheidung, bei der zum ersten Male der Kaufvertrag von dem bislang aufgezwungenen Begriffspaare befreit und damit selbst als Grundlage der Haftung herangezogen wurde, handelt es sich um das sog. "Landstellen-Urteil"49. Die von den begrifflichen Kategorien dictum - promissum losgelöste Betrachtung des Sachverhaltes führte das Reichsgericht darin zu dem Ergebnis, dem Käufer einen Schadensersatzanspruch zu gewähren, obgleich - wie die Revision mit Recht ausführte - kein "promissum im Rechtssinn" vorgelegen hatte. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die Kläger eine ihnen gemeinsam gehörende Landstelle gegen mehrere Häuser des Beklagten eingetauscht. Sie verlangten Ersatz des ihnen dadurch entstandenen Schadens, daß der Tauschgegner - somit der Verkäufer - die Mieterträge der Häuser und deren fiskalische Abgaben niedriger angegeben hatte, als dies in Wirklichkeit der Fall war. Dabei erhielten sie in sämtlichen Instanzen recht, auch die Revision wurde zurückgewiesen. Zur Begründung der letzteren war geltend gemacht worden, daß es sich bei den fraglichen Angaben des Beklagten nicht um ein dictum promissum im Rechtssinne gehandelt habe, d. h. um ein Garantieversprechen, der veräußerten Sache kämen gewisse Eigenschaften zu, sondern um eine lediglich irrtümlich und nicht wider besseres Wissen abgegebene Erklärung. Hierin könne keine Garantie für die Zukunft gesehen werden, sondern ausschließlich eine solche für die Wahrheit dieser Tatsache, worauf jedoch keine Gewährleistungsklage zu stützen sei. Das RG führte hierzu in seiner Begründung an, ein "dicturn promissum" brauche nicht notwendig in der Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft zu bestehen, sondern auch Angaben über sonstige, die Sache berührende tatsächliche Verhältnisse fielen darunter, sofern sie nur geeignet seien, "auf den Entschluß des Käufers, eine 49

RG in Seuff. Arch, Bd. 40, Nr. 102 (S. 155 f.), Urt. v. 5. Dez. 1884.

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gewisse Sache zu einem bestimmten Preise zu kaufen, bestimmend einzuwirken "50. Die Verurteilung des Beklagten auf Schadensersatz durch das RG erscheint heute als in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen wurde damit zum ersten Mal im Rahmen einer Schadenszuordnung deutlich auf den Gesichtspunkt der Risikoerwägung abgestellt, indem nämlich gefragt wurde, ob das Verhalten des Verkäufers geeignet war, auf den Entschluß des Käufers, die Kaufsache zu einem bestimmten Preis zu erwerben, von erkennbarem Einfluß war. Indem man dies bejahen konnte, lag es nahe, ihm auch die Folgen der aus seinem Verhalten resultierenden Risiken zuzuweisen. Abgesehen davon verdient diese Entscheidung auch deswegen hervorgehoben zu werden, weil in ihr erstmals - wenn auch unausgesprochen - das Prinzip einer aus dem individuellen Einzelvertrag - und zwar losgelöst von dem Erfordernis eines besonderen, auf etwaigen Schadensersatz gerichteten Garantiewillens des Verkäufers herzuleitenden Haftung zugrundegelegt wurde. Die damit gewonnene Befreiung von der ehemals rein begrifflichen Klassifizierung wies zugleich den Weg zur Herausbildung einer selbständigen Fallgruppe, für die kennzeichnend ist, daß bestimmte Eigenschaftsangaben des Verkäufers aufgrund ihrer objektiv zentralen Bedeutung für den Kaufentschluß des Vertragspartners als zur Zusicherung verdichtet angesehen werden. Eine solche besondere Intensität der Verkäufererklärung maß das RG im "Landstellen-Urteil" den Angaben der Mieterträge sowie auch den Angaben der fiskalischen Abgaben durch den Verkäufer bei, indem es in dessen dementsprechenden Äußerungen eine in den Vertrag - wenn man so will - eingeführte "Wertungsgrundlage" erblickte, deren grundlegende Bedeutung für das g,esamte Kaufgeschäft es rechtfertigte, daß sie in ihren Rechtswirkungen den von den bloßen "dicta" streng zu unterscheidenden "promissa" gleichzustellen war. Der Käufer hatte ein erkennbares besonderes Interesse an den - vom Verkäufer wiederum verhältnismäßig leicht festzustellenden - Angaben, wodurch diese einen objektiven Bedeutungsgehalt für den Vertrag erlangten. In der Sprache einer rechtsgeschäftlichen Fundierung der Haftung, wie sie später durch die Festschreibung des "promissum" in den Tatbeständen der §§ 463 S.l, 480 II in das BGB Eingang fand, läßt sich dies dahingehend umschreiben, daß sich die zwar als bloßes "dictum" abgegebene Erklärung von ihrem Bedeutungsgehalt her zu einem "promissum" verdichtet hat. Von hier aus erscheint es aus heutiger Sicht bereits nicht mehr als ein allzu großer Schritt, auf ähnliche 50 RG, a.a.O., 156; vgl. dann später RG in Seuff Arch, Bd. 48, Nr. 15, urt. v. 12. April 1982: Haftung sowohl für dicta als auch für promissa nicht nur bei der Kaufsache in dauernder Weise anhaftenden Eigenschaften, sondern auch bei rein tatsächlichen Angaben (hier Umsatzverhältnisse eines Gasthofes).

1. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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andere, für den Kaufentschluß "bestimmende" Risikogesichtspunkte wie etwa "besondere Umstände", den Verwendungszweck der Kaufsache u. a. 51 - abzustellen und diese in ihrer Gewichtung mit dem Verkäuferhandeln im vorliegenden Falle rechtlich insoweit gleichwertig auf eine Stufe zu stellen. Im Falle des Vorliegens eines solchen, die Garantiehaftung des Verkäufers rechtfertigenden Risikogesichtspunktes ist dann dem Käufer über die Behelfe der Wandlung und Minderung hinaus eine volle Schadloshaltung einzuräumen. 3. Die Schadensersatzhaftung des Verkäufers unter dem BGB Das Problem des Nebeneinanders von Behelfen des Leistungsstörungs- und Gewährleistungsrechts Betrachtet man die kaum übersehbare Zahl von Entscheidungen zur Zusicherung von der Zeit seit Inkrafttreten des BGB bis heute, so wird deutlich, daß sich die ursprünglich in den entscheidungssicheren Charakter der Gewährleistungsnormen gesetzten Erwartungen - wie sie etwa in Cromes wiedergegebener Stellungnahme gegen die Beibehaltung der Differenzierung nach "promissa" und "dicta" zum Ausdruck gelangten52 - nicht erfüllt haben. Der Grund hierfür besteht darin, daß der Gesetzgeber an den Voraussetzungen des "promissum" für die Schadensersatzpflicht des Verkäufers festhielt und sie den §§ 463 S.l 480 II zugrundelegte53 • Dementsprechend wird heute noch im Schrifttum54 das Vorliegen einer Zusicherung davon abhängig gemacht, ob seitens des Verkäufers ein gegenüber dem § 459 I zusätzlicher und erkennbarer Verpflichtungswille dahingehend vorliegt, dem Käufer für das Fehlen einer Eigenschaft einstehen zu wollen. Darüber hinaus soll entscheidend sein, ob die Äußerung des Verpflichtungswillens auch Vertragsinhalt geworden ist und die maßgeblichen Eigenschaften so genau bezeichnet, daß deren Inhalt und Umfang notfalls durch Auslegung ermittelt werden kann55 • 51 Vgl. hierzu näher unten, S. 44 ff. sowie im 2. Teil die Fallgruppenbildungen hinsichtlich der Judikatur des Reichsgerichts und Bundesgerichtshofs, S. 109 ff.; 135 ff. 52 Vgl. a.a.O. (Fn. 48), S. 334, siehe oben S. 28. 53 Vgl. Knöpjle, AcP 180 (1980), 462 ff. (501 ff.) sowie die Nw. oben in Fn.46. 54 Vgl. statt aller etwa v. Staudinger/Honsell, § 459, Rdnr. 60 f. m. w. Nw.; Larenz, SchR II § 41 b (Fn. 2); MK-Westermann, § 459, Rdnr. 51; Jauernig/ Vollkommer, § 459, III, 1 a, c; 4; zu ihrer Abgrenzung zum selbständigen Garantievertrag siehe Bichlmeier, Zusicherung (1978), S. 6 (m. w. Nw. in Fn.5). 55 So im Anschluß an RGZ 54, 219 ff. ("Mühlen-Urteil": die Zusicherung muß "vom Verkäufer als vertragsmäßige verlangt" und "vom Verkäufer in vertragsmäßig bindender Weise abgegeben" werden), siehe dazu unten, 2. Teil, S. 85 ff. sowie RG Warn Rspr. 1917, Nr. 100 ("ErbengemeinschaftsUrteil"), siehe dazu unten, 2. Teil, S. 102 und RGZ 161, 330 ff. (336 f.) ("Venusberg-Urteil"), siehe unten, 2. Teil, S. 106 ff.

1. Teil: Theoretische Grundlagen

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Diese an die Voraussetzungen des "promissum" des gemeinen Rechts angelehnte Umschreibung der Zusicherung erwies sich jedoch von Anfang an in der Praxis als zu en!f8. Wie nämlich bereits eine oberflächliche Durchsicht des Rechtsprechungsmaterials zeigt67 , stößt die Praxis immer wieder auf die Schwierigkeit, daß die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Schadensgeneigtheit der Kaufsache in der Regel nicht in Betracht gezogen haben". Der Käufer müßte geradezu ein erhebliches Mißtrauen in die Qualität einer Ware setzen, um so weit zu gehen, den Eintritt etwaiger aus der Kaufsache resultierender Schäden zu unterstellen und sich als Folge davon bestimmte Eigenschaften - bzw. für den Fall deren Nichtvorhandenseins Schadensersatzansprüche - zusichern zu lassen. Abgesehen davon bleiben dem Käufer häufig kaum Möglichkeiten, den Verkäufer dazu zu bewegen, etwaige aus dem Gebrauch der Kaufsache fließende Risiken im Wege der Abgabe einer Zusicherung freiwillig zu übernehmen. Hieraus folgt eine gewisse Schutzbedürftigkeit des Käufers, die von der Rechtsprechung - wie das "Landstellen-Urteil"69 gezeigt hat - bereits im gemeinen Recht zum Anlaß genommen wurde, den Garantiewillen des Verkäufers zurückzudrängen und durch objektive Kriterien zu ergänzen oder gar zu verdrängen8o • Während sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts noch Fälle finden, in denen unter Berufung auf einen fehlenden Verpflichtungswillen des Verkäufers eine Haftung aus Zusicherung abgelehnt wurde8t, fällt hingegen bei einer Betrachtung der Judikatur des Bundesgerichtshofs auf, daß hier in fast allen Fällen im Ergebnis ein Konsens über die Erzielung einer Haftung besteht. Dies ist neben einer freizügigeren Handhabung des Gesetzestextes auch darauf zurückzuführen, daß mit der Freilegung der angesichts der gesetzlichen Beschränkung auf die Teilausschnitte von Unmöglichkeit und Verzug fehlenden Oberkategorie der Vgl. Diederichsen, Haftung des Warenherstellers (1967), S. 23. Siehe ausführlich unten, 2. Teil, S. 109 ff.; 135 ff. 58 Vgl. DunzlKraus, Haftung für schädliche Ware (1969), S. 28 u. Diederichsen, Haftung des Warenherstellers (1967), S. 21, die insoweit von einem "begrenzten Schutz" der Gewährleistungsnormen sprechen. 59 Siehe oben, S. 29 ff. 80 Vgl. so unter dem Eindruck der neueren Rechtsprechung des BGH Diederichsen, VersR 71, 1077 ff. (1081 f., 1083) mit dem Hinweis, daß allmählich auch im deutschen Recht die Eigenschaftszusicherung den Regelfall bilde. Die Rechtsprechung habe an die Stelle des Garantiewillens des Verkäufers ein objektives Kriterium gesetzt, nämlich dasjenige des Schutzbedürfnisses des Käufers; zu dieser Tendenz, Eigenschaftszusichernngen in großzügigerem Maße zu bejahen, vgl. auch Kreuzer, Sachmängelhaftung und Vertragswidrigkeit, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 35 ff. (42); siehe dagegen dort zurückhaltender v. Marschall, Tendenzen zur Erfüllungshaftung, S. 21 ff. 56

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(27). 61

Siehe unten, 2. Teil, S. 85-108.

I. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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Leistungsstörungen in Form einer allgemeinen Haftung für schuldhafte Vertragspflichtverletzungen seit den 30er Jahren der Blick vom Schicksal der Einzelsache weg auf den Vertrag und seine Erfüllung gelenkt wurde. Damit ließ sich ein neues Verständnis der in den Einzelregelungen beim Kauf-, Werk- und Mietvertragsrecht vorgesehenen Mängelhaftung gewinnen, indem nun auch diese als Sonderfälle der Leistungsstörung erschienen62 . Die damit bewirkte volle Anerkennung des Instituts der positiven Vertragsverletzung gegenüber den besonderen Gewährleistungsnormen hatte eine beträchtliche Verfeinerung und Ausdifferenzierung des Netzes denkbarer Verhaltensnormen bzw. Erwartungen zwischen den Vertragspart:nern zur Folge, so daß mit der Erweiterung des Kreises der Pflichten auch die Haftung selbst beträchtlichen Erweiterungen unterlag. Gerade in dem praktisch bedeut:samsten Bereiche eines Ersatzes von Folgeschäden, d. h. Schäden an anderen Rechtsgütem als der Kaufsache selbst, bestand ein unabweisbares Bedürfnis für die N otwendigkeit einer Einräumung des Schadensausgleichs, wobei lediglich die Frage seiner sachgerechten Begründung im Einzelfalle offen blieb63 . Die mangelnde Koordinierung zwischen den beiden Haftungsgrundlagen wirkt sich jedoch heute im Bereiche der Ermittlung des Umfanges der Haftung sowie deren Begrenzung als kaum mehr kontrollierbar aus. Einerseits mußte man eine Aufspaltung des ansonsten in der Gesetzesterminologie einheitlich verwendeten Begriffes "Schadensersatz wegen Nichterfüllung"64 in ein Erfüllungs- (bzw. Geschäfts-) und ein Bestands(oder Erhaltungs-) Interesse hinnehmen, um die Mangelfolgeschäden und damit das Integritätsinteresse außerhalb des Gewährleistungsrechts für ersatzfähig erklären zu können65 . Die Folge davon ist, daß bis heute 62 Vgl. näher Leser, AcP 183 (1983), 568 ff. (580 f.), siehe dort insbes. die Nw. in Fn. 33 f. 63 Zu den Abweichungen zwischen BGH und Vorinstanzen hinsichtlich der Einordnung der Haftung als Fall der Zusicherung oder des Instituts der pVV vgl. Baumann, Die Zusicherung, Festschr. f. K. Sieg, S. 15 ff.; kürzlich wurde sogar von Huber (Gutachten und Vorschläge, Bd. I, S. 647 ff. [770]) die Auffassung vertreten, daß die Entscheidung in jedem Einzelfalle offen und daher "Gefühlssache" sei; dazu VoHkommer, Die Konkurrenz des Leistungsstörungsrechts, AcP 183 (1983), 525 ff. (555 f.). 64 Danach ist der Käufer so zu stellen, als ob ordentlich erfüllt worden wäre, und zwar unabhängig davon, ob die Vermögenseinbuße in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache selbst, im Gewinnentgang oder in Schädigungen anderer Rechtsgüter des Käufers liegt, vgl. statt aller Brox/Elsing, JuS 76, 1 ff. (6); Medicus, Festschr. f. E~ Kern (1968), S. 313 ff. (319); anders allerdings Evans-v. Krbek, Verhaltens- oder Sorgfaltspflichtverletzungen, AcP 179 (1979), 85 ff. (111 ff.). 85 Vgl. i. e. das "Klebemittel-Urteil" (BGHZ 50, 200 ff. = NJW 68, 1622 ff.), dessen eigentlicher Schwerpunkt in der Frage der Umfangbestimmung des Schadensersatzanspruches aus Zusicherung lag. Hatte der BGH etwa noch im "Sielleitungs-Urteil" (BGH NJW 65, 532; siehe auch Weitnauer, NJW 63, 1593 ff. [1596]) den Anschein erweckt, als neige er zu der älteren Auffassung, derzufolge Mangel- und Mangelfolgeschäden scharf voneinander zu unter3 Böckler

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1. Teil:

Theoretische Grundlagen

noch keine brauchbaren materiell-rechtlichen Kriterien für eine Abgrenzung der einzelnen Schadensbereiche entwickelt zu werden vermochten66 • Gegen die letztlich künstliche Aufspaltung der einzelnen Schadensbereiche und damit schließlich auch die Ausklammerung des Integritätsinteresses aus dem einzelnen Vertrage selbst bleibt daher grundsätzlich einzuwenden, daß sich eine solche Trennung praktisch gar nicht durchführen läßt, weil das Erfüllungsinteresse regelmäßig bereits das negative Interesse mitumfaßt67 • Zum anderen läßt sich eine Ausklammerung der Mangelfolgeschäden und damit des Integritätsinteresses aus dem Bereiche einer Haftung für Zusicherungen nur daraus rechtfertigen, daß man in die §§ 463 S. 1, 480 II zwei gänzlich unterschiedliche Tatbestände hineininterpretiert. Als solche käme einmal die im Normalfall gegebene Schadensersatzhaftung für Verletzungen des "Geschäftsinteresses" - , d. h. also des Interesses des Käufers an der Ausführung des Vertrages einschließlich des entgangenen Gewinns - und andererseits eine im Einzelfalle zwar mögliche, jedoch entsprechende Vereinbarungen voraussetzende Schadensersatzhaftung für Verletzungen des Bestandsinteresses in Betracht. Die im ersteren Falle entstehende Rechtsfolge sei worauf einmal im Rahmen eines solchen Begründungsversuchs hingewiesen wurde - "heteronom", weil gesetzlich angeordnet und somit in Umfang und Höhe von den Parteierklärungen unabhängig. Im zweiten Falle sei sie dagegen "autonom" und begründe eine rechtliche Anerkennung und Sanktionierung von haftungs erweiternden Vereinbarungen 68 • scheiden waren (vgl. v. Blume, Jher Jb 55 [1909], 209 ff. [228 ff.] und Schollmeyer, Jher Jb 49 [1905], 93 ff.), so brachte diese Entscheidung erstmals

eine Klärung in dem Sinne, daß eine Haftung aus Zusicherung auch in den Bereich des Integritätsinteresses hineinreichen kann. Der BGH stellte hiermit (unter Berufung auf Diederichsen, AcP 165 (1965), 150 ff. [159 f.]) darauf ab, die Reichweite der Zusicherungshaftung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles durch Auslegung zu ermitteln; zum "Klebemittel-Urteil" als einer der "leading cases" zur modernen Zusicherungsrechtsprechung siehe im einzelnen noch unten,. 2. Teil, S. 169 f. 68 Vgl. statt aller MK-Emmerich, vor § 275, Rdnr. 198 f.; Weitnauer, Vertragsaufhebung, Festschr. der Universität Heidelberg (1967), S. 71 ff. (83 f.). Wie die Rechtsprechung immer wieder gezeigt hat, wirft die Abgrenzung nach einzelnen Schadens bereichen mehr an Zweifelsfragen auf, als sie zu lösen vermag; vgl. etwa das "Spanplatten-Urteil (Il)" in NJW 80, 1950, in dem die Einordnung von Mangelbeseitigungskosten hinsichtlich entstandener Arbeits- und Materialaufwendungen offen gelassen wurde. Auch der Vorschlag H. Köhlers im Rahmen einer Anmerkung zu dieser Entscheidung (siehe JuS 82, 13 ff. [14]), die Kosten für die Beschaffung einwandfreien Ersatzmaterials als reine "Mangelschäden" anzusehen, diejenigen aus der Inanspruchnahme des Käufers durch einen Generalunternehmer dagegen als "Mangelfolgeschäden", ist kaum zwingend; zu dem zusicherungsrechtlichen Aspekt des "Spanplatten-Urteils (Il)" siehe unten, 2. Teil, S. 206 ff. 87 Brox/Elsing, JuS 76, 1 ff. (7); vgl. auch v. Staudinger/Honsell, § 463, Rdnr. 39 m. w. Nw., wonach der Verkäufer für sämtliche Schäden haften soll, die durch die Nichteinhaltung der Zusicherung adäquat verursacht wurden. 88 So seinerzeit Schmidt-Salzer, Produkthaftung, S. 236 f.; ähnlich auch B. Keuk, Vermögensschaden und Interesse, S. 116 ff. (163).

r. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung 35 Hiergegen bleibt jedoch einzuwenden, daß auch eine "heteronome" Sanktion letztlich nur aus dem konkreten Einzelvertrag hergeleitet werden kann. Umgekehrt bleibt jede Vertragshaftung immer zugleich auch gesetzliche Haftung,. und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Haftung nach den §§ 459 ff. oder eine solche nach dem p VV handelt, weil über Haftungsfragen in der Regel kaum etwas in einem Vertrage vereinbart wird und infolgedessen eine Haftung sonst nie zum Zuge kommen könhte. Daher erscheint es als vorzugswürdig, zur Ermittlung des jeweiligen Umfanges des Schadensersatzanspruches, unabhängig von der Art des geschützten Interesses, auf den konkreten Einzelvertrag zurückzugreifen, und von dort aus unter Berücksichtigung sämtlicher Vertragsumstände eine Begrenzung der Haftung herbeizuführen. Als solche tritt diese dann aber folglich sowohl im Grunde als auch in der Reichweite allein deswegen ein, weil sie bereits durch den Vertragsschluß gesetzlich als übernommen angesehen wird. Dies vermag indessen nichts daran zu ändern, daß sie in jedem Falle eine Vertragshaftung bleibt. 4. Die Tendenzen einer Ausweitung der Haftung in der Judikatur hinsichtlich des Ersatzes von Schäden an der Kaufsache selbst - Das "Gabelstapler"- und "Schwimmerschalter-Urteil" (BGHZ 66, 208 ff. und BGHZ 67, 360 ff.)

Die Fragwürdigkeit der Herausnahme des Schutzes des Integritätsinteresses aus dem Regelungsbereich des einzelnen Kaufvertrages trat in vollem Umfang in zwei neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zutage. In der ersten - dem "Gabelstapler-Urteil"6t - ging es um einen Schadensersatz anspruch aus positiver Vertragsverletzung unter dem Gesichtspunkt einer Schutz- bzw. Nebenpflichtverletzung. Ein Spediteur hatte ausdrücklich ungeladene Gabelstapler-Batterien bestellt. Indessen wurden seinem Fahrer bei der Abholung geladene Batterien ausgehändigt, die darüber hinaus weder ordnungsgemäß verpackt noch im Hinblick auf ihren geladenen Zustand gekennzeichnet waren. Auf der Fahrt kamen die Batterien mit Metallbändern eines Zeitungspaketes in Berührung, wodurch es zu einem Brand kam. Anhänger und Ladung brannten aus. Obgleich nach den für das Institut der positiven Vertragsverletzung und die Sachmängelgewährleistung geltenden Abgrenzungsgrundsätzen der Subsidiarität der unmittelbare Schaden an der Kaufsache nicht über 69

BGHZ 66, 208 ff.; siehe dazu auch unten, 2. Teil, S. 210 f.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

die pVV ersatzfähig wäre70, wurde dem Käufer im vorliegenden Urteil ein dahingehender umfassender Anspruch auf der Grundlage dieses Instituts zugesprochen. Das Gericht sah ausschließlich die mangelnde Transportfähigkeit der Kaufsache als für den Eintritt des Schadens auf seiten des Käufers ursächlich an, mithin die Verletzung einer kaufvertraglichen Nebenpflicht. Die Haftung wurde damit im Ergebnis im Wege einer Einordnung in die Fallgruppe der Neben- bzw. Schutzpflichtverletzungen der pVV hergeleitet, deren innere Rechtfertigung darin liegt, daß die Leistung und damit im vorliegenden Falle die Lieferung der Kaufsache selbst fehlerfrei erbracht wurde71 • Gerade insoweit bestehen aber im vorliegenden Fall Zweifel. Angesichts der Tatsache, daß der Käufer ungeladene Batterien bestellt hat, erscheint es als sehr fraglich, ob man noch von einer Nebenpflichtverletzung hinsichtlich der nicht ordnungsgemäßen Verpackung sprechen kann. Es erscheint dagegen vielmehr als weitaus näherliegend, die Pflichtverletzung des Verkäufers in der Lieferung eines Aliuds zu sehen, dessen rechtliche Konsequenz nach den Grundsätzen der Gewährleistungsregeln der §§ 459 ff. zu bestimmen wäre72 • Die Leistung des Verkäufers ist danach als fehlerhaft im Sinne des § 459 I 1 erbracht anzusehen. Daher wäre hier hinsichtlich eines Ersatzes von Schäden an der Kaufsache selbst - nämlich den Batterien - eigentlich die Regelung der Sachmängelgewährleistung einschlägig gewesen. Abgesehen von dieser Entscheidung hat die Ausklammerung des Integritätsinteresses aus dem Vertrage kürzlich zur Schaffung eines weiteren Lösungsansatzes geführt, die Schadensersatzhaftung des Verkäufers über die Grenzen der Sachmängelgewährleistung hinaus zu erweitern. So hat der BGH in der "Schwimmerschalter-Entscheidung"73 den Versuch unternommen, unter dem Gesichtspunkt der Produzentenhaftung einen umfassenden auf Schadensersatz gerichteten deliktischen Haftungsbehelf des Käufers herzuleiten. Nur kurze Zeit nach dem "GabelstaplerUrteil" wurde damit dessen Konsequenz einer Zulassung des Ersatzes von Schäden auch an der Kaufsache selbst außerhalb der Regelung des Sachmängelgewährleistungsrechts auch für den Bereich des Deliktrechts gezogen. 70 Vgl. BGH NJW 65, 532 (533); BGH JZ 67, 321; vgl. auch v. Staudinger/

Honsell, Vorbem. zu § 459, Rdnr. 39.

71 Vgl. zu dieser Fallgruppe eingehend v. Staudinger/Löwisch, Vorbem. zu §§ 275-283, Rdnr. 20, Tl sowie den überblick bei Esser/Schmidt, SchR I, Allg. Teil, Teilbd. 2, § 29 III, S. 103 ff.; MK-Emmerich, Vor § 275, Rdnr. 193 ff. 72 Vgl. statt aller Baumbach/Duden, HGB § 378, 3) A; das Rügeerfordernis

entfällt hier nicht etwa unter dem Gesichtspunkt eines "offensichtlich nicht genehmigungsfähigen aliuds" (§§ 378 [2. HS], 377 HGB, vgl. dazu v. Marschall, Tendenzen zur Erfüllungshaftung, in: Leser/v. Marschall [1973], S. 29), sondern bereits aufgrund der Nichterkennbarkeit des Mangels - § 377 III HGB - im Zeitpunkt der Inempfangnahme der Batterien. 73 BGHZ 67,360 ff.; siehe dazu auch unten 2. Teil, S. 211 ff.

1. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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Gegenstand dieser Entscheidung 74 war die GeItendmachung eines Schadensersatz anspruches aus der Lieferung einer Reinigungsanlage durch eine Herstellerin von Reinigungs- und Entfettungsanlagen für Industrieerzeugnisse. Die Herstellerin hatte nach dem Vertrage als verhältnismäßig kleinen Bestandteil einen von einem ausländischen Zulieferer bezogenen Schwimmerschalter in die Anlage einzubauen. Dieser Schalter sollte das Freilegen von Heizdrähten verhindern und somit der mit der Anlage verbundenen erheblichen Brandgefahr entgegenwirken. Nach der Inbetriebnahme kam es jedoch infolge der Mangelhaftigkeit des Schwimmerschalters zum Ausbruch eines Feuers, durch das die gesamte Anlage zerstört wurde. Die Reparatur sowie die Beseitigung der Korrosionsschäden an den Metallvorräten verursachten außergewöhnlich hohe Kosten auf seiten des Käufers, die er vom Verkäufer ersetzt verlangte. Der BGH hatte hier die eingetretenen Schäden zunächst als Mangelschäden und damit zugleich als dem Mangel an der Kaufsache selbst zugehörig angesehen. Er vertrat infolgedessen die Auffassung, daß aus diesem Grunde etwaige Ansprüche aus pVV der kurzen kaufrechtlichen Verjährungsfrist (§ 477 I 1) zu unterliegen hätten75 • In Widerspruch jedoch gerade dazu wurde dann aber in der weiteren Urteilsbegründung die Heranziehung der Grundsätze der Produzentenhaftung und damit eine Haftung für die Beschädigung auch der Kaufsache selbst darauf gestützt78, daß Ansprüche aus pVV ausschließlich auf den Ersatz der an anderen Rechtsgütern des Käufers entstandenen Schäden abzielten. In der Urteilsdiskussion wurde der Schwerpunkt der Kritik auf die Frage einer generellen Zulässigkeit der Anwendung des - richterrechtlich entwickelten - Instituts der Produzentenhaftung im Bereich vertraglicher Beziehungen gelegt77 • Die eigentliche Problematik dieses Urteils wird sich jedoch kaum auf eine Frage bloßer Anspruchskonkurrenz reduzieren lassen78 • Sie liegt vielmehr gerade darin, daß hier erstmals BGHZ 67, 360 ff. BGH NJW 77, 379 (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 67, 360 ff.). 76 BGHZ 67,365. 77 Vgl. zurückhaltend und für pVV Lieb, JZ 77, 345; dem BGH zustimmend dagegen Löwe, BB 78, 1495 (1496); für eine Lösung nach Gewährleistungsrecht Lieb und Rengier, JZ 77, 343 ff.; einen eigenen Lösungsweg entwickelte Evans-v. Krbek, Verhaltens- oder Sorgfaltspflichtverletzungen, AcP 179 (1979), 85 ff. 78 Für eine Zulassung der Produzentenhaftung auch im unmittelbaren vertraglichen Bereich spricht, daß es sich einmal bei der Herstellereigenschaft des Verkäufers um einen rein zufälligen Umstand handelt, der als solcher nicht für die Einräumung der mit ihr verbundenen Haftungsvorteile entscheidend sein darf (so auch Röht, JZ 79, 369 ff. [374]); zum anderen muß man bedenken, daß das Deliktsrecht gerade in diesem Bereich auf große strukturelle Veränderungen des Produktionsprozesses und damit verbundener Komplizierungen der Erzeugnisse selbst zu reagieren hatte, wodurch 74

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

im Wege des Deliktsrechts auch ein Ersatz reiner Nichterfüllungsschäden erzielt wurde. In die zutreffende Richtung dürfte daher der Hinweis gehen?8, daß es hier statt einer deliktsrechtlichen Frage ausschließlich darum geht, unter welchen -Voraussetzungen ein Schutz des Sachinhabers gegen Enttäuschungen seines Vertrauens auf eine Mangelfreiheit der Sache angenommen zu werden vermag. Zu den primären Aufgaben des Deliktsrechts gehört es demgegenüber, den Schutz vorhandener Rechtsgüter vor Eingriffen von außen, d. h. durch beliebige Dritte, zu gewährleisten, die gerade nicht durch ein Vertragsband an den Geschädigten gebunden sind. Es gewährleistet demnach den Schutz des gegenüber dem positiven Interesse in der Regel weniger weitgehenden Integritätsinteresses, der daher auch ah schwächere Voraussetzungen als diejenigen der vertraglichen Haftung gebunden ist. Der Anspruch auf das Erfüllungs- bzw. positive Interesse kann im Unterschied dazu von vornherein nur innerhalb eines bestehenden Vertragsbandes zum Zuge gelangen und ist dort allerdings - wie die §§ 280, 286, 325, 326 sowie die §§ 463, 480 zeigen an besonders strenge Voraussetzungen gebunden, die ihren inneren Rechtfertigungsgrund darin finden, daß der Schadensersatz als sog. Sekundärobligation80 an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruches tritt. Zusammenfassend läßt sich angesichts der aufgezeigten Haftungstendenzen feststellen, daß sie in ihren Ergebnissen durchweg Zustimmung verdienen. Zweifelhaft bleibt jedoch die jeweils vorgenommene rechtliche Verankerung. Insoweit erscheint es daher als denkbar, die erzielten Ergebnisse auch noch durch andere Lösungsansätze abzusichern.

eine erhebliche Fortentwicklung seiner überkommenen Kriterien - etwa hinsichtlich des Verschuldens bzw. der Zumutbarkeit erforderlicher Untersuchungen (Organisationsverschulden etc.) - bewirkt wurde, vgl. grundlegend: v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, GS I, hrsg. v. H. G. Leser (1968), 452 ff. (insbes. 468, 478 ff.); Simitis, Festschr. f. Duden, 605 ff. (614 f.); ders.: Verbraucherschutz, S. 50 ff. (vgl. dort die Nw. in Fn. 119); ders.: Grundfragen, S. 15 f.; zur Möglichkeit einer Objektivierung und Systematisierung der Herstellerpflichten vgl. Leßmann, JuS 78, 433 ff. (436) m. Nw. So kann durchaus im Falle des "Schwimmerschalter- u oder "Gabelstapler-Urteils" neben den Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung auch jeweils eine auf das Integritätsinteresse beschränkte deliktsrechtliche Produkthaftung des Verkäufers - etwa wegen Unterlassens einer Untersuchungsund damit Verkehrssicherungspflicht innerhalb seines Organisationsbereichs - treten. ?8 Vgl. Schmidt-Salzer, BB 79, 1 ff. (8); für eine Lösung nach Kaufrecht neben Lieb und Rengier (a.a.O., Fn. 77) soweit ersichtlich nur Schwark, AcP 179 (1979), S. 57 ff. (81); für Delikt würde sich wohl entscheiden Schlechtriem, VersR 73, 581 ff. (589). 80 Vgl. statt aller Lange, Handbuch des Schadensrechts, § 2 IV, S. 44 ff. (46).

I. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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5. Der Versuch einer Haftungserweiterung über die Rezeption des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Fr. Mommsen entwickelten globalen Unmöglichkeitsbegriffs Nur kurze Zeit nach Erlaß des BGB wurde bekanntlich von Hermann Staub die gesetzliche Regelung des Schadensersatzes im Falle einer noch möglichen Leistung als unvollständig erkannt, da der Schuldner unter dieser Voraussetzung nur wegen Verzuges und dort eben wegen Unterlassens der Leistung schadensersatzpflichtig werden könne. Eine Vorschrift für die weitaus wichtigeren Fälle, in denen eine Verbindlichkeit fehlerhaft bewirkt wurde, sei übersehen worden. Gleichwohl sollte eine Haftung nach einem im Gesetzbuch zwar nicht ausgesprochenen, aber dennoch ihm innewohnenden "allgemeinen Rechtsgrundsatz" möglich sein, der besage, daß die Rechtsfolge der schuldhaften Verletzung einer bestehenden Verbindlichkeit durch "positives Tun" in der Verpflichtung zum Schadensersatz bestehe, sofern diese Rechtsfolge durch Gesetz nicht beseitigt sei81 • Wie heute weitgehend bekannt ist, war es das Verdienst Jury Himmelscheins82 , in seinen Untersuchungen nachgewiesen zu haben, daß die von H. Staub aufgezeigte Lücke im System des gesetzlichen Leistungsstörungsrechts hinsichtlich der Fälle sog. Schlechtleistungen sowie der Nebenpflichtverletzungen im Grunde genommen gar nicht besteht, wenn man den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Friedrich Mommsen83 entwickelten globalen, d. h. nicht gegenständlichen Unmöglichkeitsbegriff in dem Sinne interpretiert, daß er in dem Begriff der Nichterfüllung aufgeht und damit zu einem nicht weiter ausdehnbaren Oberbegriff für Leistungsstörungen jeglicher Art wird84 • Während die herrschende Lehre der Pandektistik unter einer teilweisen Unmöglichkeit eine in räumlich-körperlicher Hinsicht unvollständige Erfüllung verstand8&, ging Mommsen über die physische Teilbarkeit hinaus und 81 Siehe H. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (1904), S.6; ders. auch in Staub/Koenige, HGB, § 347, Rdnr. 11; dazu schon oben, S. 19 ff. 82 Erfüllungszwang und Lehre von den positiven Vertragsverletzungen, AcP 135 (1935), 255 ff. (282 ff.); ders.: Zur Frage der Haftung für fehlerhafte Leistung, AcP 158 (1958), 273 ff. (284 ff.). 83 Vgl. Beitr. zum Obligationenrecht, 1. Abtl.: Die Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluß auf obligatorische Verhältnisse (1853), S. 8 f.; 153 ff.; 266f. 84 Siehe hierzu Leßmann, Schlechte Dienstleistung und Vergütung, Festschr. f. E. Wolf (1985), S. 395 ff. (400 ff., 401 f. m. w. Nw.); ebenso eine Rückbesinnung auf diesen Unmöglichkeitsbegriff in heutiger Zeit befürwortend MK-Emmerich, Vor § 275 Rdnr. 184f.; ders., Recht der Leistungsstörungen, S. 7 ff.; 148 ff.; Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung (1977), S. 106 f. 85 Vgl. näher C. Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre (1970), S. 118 ff., 125 ff. (132 f.); Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 112 ff.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

gelangte damit zu der Annahme einer ideelen Teilbarkeit, aufgrund deren auch die Modalitäten der Leistung, d. h. Eigenschaften der Kaufsache, Ort der Lieferung und die Zeit, von dem Unmöglichkeitsbegriff erfaßt werden konnten. Handelt es sich demnach bei dem Sachmangel sowie bei der Schlechterfüllung um Fälle der Teilunmöglichkeit und wird sogar der Verzug als teilweise Unmöglichkeit in Ansehung der Zeit qualifiziert88 , so liegt es nahe, die Unmöglichkeit als Sammelbecken sämtlicher Fälle nicht exakter Leistung anzusehen. Wenn zur Leistung selbst auch die Qualität ihrer Erbringung gehört, so kann eine schlechte Leistung auch nur eine Teilleistung hinsichtlich der geschuldeten Qualität darstellen. Die großen und praktisch bedeutsamsten pVV-Fallgruppen der leistungsbezogenen Nebenpflichtverletzungen sowie der Schlechtleistung bzw. -erfüllung ließen sich danach in der gesetzlichen Haftung für Leistungsstörungen [(Teil)-Unmöglichkeit] unter einem einheitlichen Schadensersatz anspruch gern. den §§ 280, 325 erfassen. Auf diesem Wege erhielten schließlich die oben wiedergegebenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs - das "Gabelstapler-"87 und das "SchwimmerschalterUrteil"88 - eine tragfähige Lösung. Im Hinblick auf die "GabelstaplerEntscheidung" wäre die seitens des Verkäufers zu verantwortende Teilunmöglichkeit darin zu sehen, daß dieser nach Vertragsschluß schuldhaft ein Aliud, d. h. eine mangelhafte Gattungssache ausgewählt und geliefert hat. Im "Schwimmerschalter-Fall" läge hingegen insoweit die Grundlage für eine Haftung vor, als dem Verkäufer aufgrund der nicht ordnungsgemäßen Überprüfung der Gebrauchstauglichkeit des von ihm einzubauenden Schwimmerschalters die Pflicht zur Lieferung einer brauchbaren Anlage insoweit zum Teil unmöglich geworden ist. In beiden Fällen ließe sich auf diese Weise unter dem Gesichtspunkt der 88 Mommsen, a.a.O. (Fn. 83), 9, 153 ff., 193 ff., 212 ff.; für das BGB vgl. noch die Vorschrift des § 224 I E I (erster Entwurf), der lautete: "Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnis ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht bloß wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung." In den Motiven dazu (Mot. H, 26) wurde ein Hinweis darauf, daß die Verpflichtung ihrem ganzen Umfang nach zu erfüllen sei, als unnötig erachtet, da weder das Gesetz noch für die Regel der Geschäftsverkehr Umfang und Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben in der Lage wären. Zum Streit darüber, ob § 224 I E I aus Versehen durch die spätere Redaktionskommission gestrichen wurde, vgl. Huber, Leistungsstörungen, Gutachten und Vorschläge zur überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I (1981), S. 647 ff. (759 f.); ders., Festschr. f. E. v. Caemmerer (1978), S. 837 ff. (840 f., Fn. 13); zur Diskussion um diese Vorschrift siehe auch Leßmann, a.a.O. (Fn. 84), S. 402 m. Nw.; Honsell, JR 76,361 ff. (365); MK-Emmerich, Vor § 275, Rdnr. 23 u. 187; Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung (1977), S. 16 ff., 20 ff.; U. Blaurock, Culpa-Haftung u. nachträgliche Unmöglichkeit, a.a.O. (Fn. 44), S. 51 ff. (57 f.). 87 BGHZ 66, 208 ff. 88 BGHZ 67, 360 ff.

I. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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Teilunmöglichkeit ein Ersatz von Schäden auch an der jeweils gelieferten Kaufsache selbst erzielen. Gegen diese Lösung bestehen jedoch mehrere Einwände. Einmal ist bereits fraglich, ob Mommsen wirklich die Begriffe der Unmöglichkeit und der Leistung in einem derart umfassenden Sinne verwendet hat, daß jeder Fall der Nichterfüllung zugleich auch einen Fall der ganzen oder teilweisen Unmöglichkeit darstellt und damit das Gesetz, dem Mommsens Vorstellungen zugrunde liegenS8 , die Unmöglichkeit in dem ganz weiten Sinne einer Unmöglichkeit zur exakten Leistung auffaßtDo • Jedoch selbst auch dann, wenn sich heute die Richtigkeit der Himmelscheinschen Interpretation Mommsens nachweisen ließe, vermag der Vorschlag einer Rückkehr zu einem solchen Unmöglichkeitsbegriff in unserer heutigen Zeit kaum mehr zu überzeugen. Dagegen spricht einmal, daß er nicht nur unserem natürlichen Sprachgebrauch entgegenläuft, sondern auch dem heutigen, in mehr als achtzig Jahren fest verwurzelten juristischen SprachgebrauchlI. Schließlich steht dieser Lösung auch die gesamte Entwicklung im Bereiche der rechtlichen Erfassung und Behandlung der sog. "Begleitschädenfälle"gz entgegen, bei denen gerade keine Verletzung einer Pflicht zur sorgsamen Ausführung der Leistung - mithin einer leistungsbezogenen Nebenpflicht des Schuldners - vorliegt, sondern vielmehr eine solche der aus dem Schuldverhältnis als ganzem hergeleiteten weiteren Verhaltens-Da, Sorgfalts- und Schutzpflichten. 88

S.9.

C. Wollschläger, a.a.O. (Fn. 85), S. 124 f.; Emmerich, Leistungsstörungen,

80 Vgl. die Kritik bei Heinrich Stall, Abschied von der Lehre von der positiven Vertragsverletzung, AcP 136 (1932), 257 ff. (269 ff., 273 f.); ders., Leistungsstörungen, S. 106 f.; Heck, Zur Entstehungsgeschichte des § 276 Satz 1 BGB, AcP 137 (1933), 259 ff.; w. Nw. zur Gegenposition J. Himmelscheins bei MK-Emmerich, Vor § 275, Rdnr. 185 (Fn. 263). 81 Ähnlich Medicus, SehR I, Allg. Tell (1981), § 35 I, S. 168 f. (169); so muß es in der Praxis auf Befremden stoßen, wollte man heute etwa in dem Falle einer fehlerhaften Bilanzierung ein Anwendungsbeispiel der "Unmöglichkeit" sehen (so aber Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung [Diss. 1977], S. 106 f.). 12 Vgl. Larenz, SchR I, § 24 I a, S. 335 f.; eine generelle Einordnung dieser Fallgruppe in das Deliktsrecht unter Übernahme auch des allgemeinen Vermögens in den Rechtsgüterkatalog des § 823 I (vgl. Westhelle, a.a.O. [Fn. 84], S. 110 ff.) muß auf Bedenken stoßen, da einer solchen Umorientierung zum einen eine Erstarkung des bisherigen vertragsrechtlichen pVV-Ersatzes zu Gewohnheitsrecht (so Larenz, SchR 1[11. Aufl., 1976], § 24 I a [So 299 m. Nw.]; vgl. jetzt dens., SchR I [13. Aufl., 1982], § 24 I [So 338], wo er von einem "gesicherten Bestand des heutigen Schuldrechts" spricht) und zum anderen auch Gesetzesrecht (§ 11 Nr. 7 AGBG: fahrlässige Vertragsverletzung, § 11 Nr.8 AGBG: Verzug, Unmöglichkeit und § 11 Nr. 9 AGBG: Teilverzug, Teilunmöglichkeit) entgegensteht. 18 Ders., SehR I, § 2 I, S. 9 f.; vgl. dazu ausführlich Evans-v. Krbek, Verhaltens- oder Sorgfaltspflichtverletzungen, AcP 179 (1979), 85 ff. (95 ff.).

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

Die Herleitung dieser Pflichten, die eine deutliche Parallele zu den deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten aufweisen9\ muß auf dem Hintergrund der im Laufe der Zeit unter dem BGB erfolgten Ausgestaltung des Vertrages als Quelle von Pflichten gesehen werden, durch die das Netz der Verhaltensnormen sowohl für den Schuldner als auch für den Gläubiger immer enger und damit zugleich auch überschaubarer geknüpft wurde. Im Wege dieser Entwicklung geriet die ursprünglich als Hauptkategorie der Leistullgsstörungen gedachte Unmöglichkeit immer mehr zu einem bloßen untergeordneten Einzelfall. Entscheidend war dabei eine Verschiebung des Blickes von dem Schicksal der Einzelsache - bzw. deren Beschädigung oder Zerstörung - hin auf den Vertrag und seine Erfüllung. Auf diesem Wege ließ sich eine Vielzahl von Einzelpflichten konkretisieren, womit die genaue Erfassung und Sanktionierung der Abweichungen von dem ursprünglichen Verhaltensprogramm95 der Parteien möglich wurde. Diese Pflichten beziehen sich nicht mehr primär auf die Beschädigung der Vertragssache in ihrer Gegenständlichkeit, sondern sind auf die Erfassung und Bewertung eines jeweils vor den konkreten Verletzungserfolgen liegenden Verhaltens gerichtet. Daher wurde mit ihnen eine erhebliche Erweiterung des Schutzes im Wege einer über die bloße Vertragserfüllung weit hinausreichenden umfassenden Sicherung des jeweiligen Vertragspartners erzielt, die heute aus dem Vertragsrecht nicht mehr hinweggedacht werden kann98 • Eine solche Entwicklung konnte zur Zeit des Gesetzgebers noch nicht vorausgesehen werden. In der heutigen Zeit hingegen wird ihr Einfluß auf das gesetzliche System der Leistungsstörungen deutlich erkennbar, der darin liegt, daß sie die Unmöglichkeit aus ihrer ursprünglichen Rolle, wie sie noch von den Verfassern des BGB gesehen wurde87, nämlich als der Grundkategorie aller Arten von Leistungsstörungen, verdrängte. Der Vorschlag einer Rezeption von Mommsens nicht gegenständlichem Unmöglichkeitsbegriff in der von Himmelschein interpretierten Form kann daher heute nicht mehr überzeugen. 6. Die Auffassung einer Durchbrechung des Sachmängelgewährleistungsrechts (§§ 459 ff.) durch eine allgemeine Fahrlässigkeitshaftung aus pVV Nach einem im Vordringen befindlichen Teil des Schrifttums98 soll dem Bedürfnis nach einer ausgeweiteten Schadensersatzhaftung dadurch 94 Vgl. dazu Leser, Delikts- und Gefährdungshaftungsrecht, AcP 183 (1983), 568 ff., 579 ff. (580 f.). 95 Insoweit läßt sich eine Annäherung zu der Grundvorstellung des dem EKG zugrundeliegenden Vertragsmodells feststellen, vgl. dazu unten, S. 56 f. 96 Vgl. Leser, a.a.O. (Fn. 94), S. 581; vgl. auch die Nw. oben in Fn.92; Palandt/Heinrichs, § 276, 7 A). 97 Vgl. U. Blaurock, Culpa-Haftung und nachträgliche Unmöglichkeit, a.a.O. (Fn. 44), S. 51 ff. (55 ff.).

I. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

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Rechnung getragen werden, daß unter Preisgabe des Charakters der §§ 459 ff. als Sondernormen deren Durchbrechung zugunsten einer allgemeinen Verschuldenshaftung des Verkäufers aus pVV zuzulassen ist. Damit wäre ein Lösungsweg sowohl für die Problematik des "Gabelstapler-"g8 als auch des "Schwimmerschalter-Urteils"lOo gewiesen, demzufolge in beiden Fällen dem Käufer ein umfassender Schadensersatzanspruch - unter Einbeziehung einer entsprechenden Anwendung der §§ 282, 285 im Rahmen des Verschuldens101 - aus dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer pVV zuzusprechen wäre. Von den Vertretern dieser Auffassung wird gerade im Hinblick auf das Kaufrecht besonders darauf hingewiesen, daß eine "versteckte Korrektur" der §§ 463 S.l, 480 II im Wege einer "wachsenden Neigung zur Annahme schlüssig erklärter Zusicherungen" gegenüber einer Haftung für Schutz- bzw. Nebenpflichtverletzungen aus pVV kaum überzeugender und zudem auch methodisch nicht ehrlicher sei. Im Lichte heutiger methodischer Postulate liege das Bedenkliche darin102, daß bei einer zusicherungsrechtlichen Lösung die Möglichkeit der Erörterung der "wirklichen Zurechnungsgründe" versperrt würde. Bei der kaufrechtlichen Haftung des Verkäufers gehe es um die Herausarbeitung von "materiellen Risikozuweisungsüberlegungen", die man einer Erörterung zugänglich zu machen habe. Dies sei aber bei der Auslegung von Vertragserklärungen im Rahmen der Feststellung eines Zusicherungstatbestandes nur sehr begrenzt, wohl aber bei der Begründung für die Aufstellung von Sorgfaltspflichten möglich. Den Verkäufer müsse selbst dann Verantwortung für den Sachzustand der Kaufsache treffen, wenn er eine solche nicht im Wege einer Zusicherungserteilung freiwillig übernommen habe103 • Angesichts der großen Unsicherheiten hinsichtlich der gegenwärtigen schadensersatzrechtlichen Haftungsgrundlagen - pVV, Zusicherung oder Delikt - vermag man der Grundintention dieser Auffassung, die Haf8S Vgl. MK-Westermann zu § 463, Rdnr. 32 i. A. an HonseH, JR 76, 361 ff. (364); w. Nw. bei MK-Emmerich, Vor § 275, Rdnr. 199 (Fn. 294); zum folgenden im Text siehe namentlich Esser/Weyers, SchR H, Bes. Teil, Teilbd. 1, § 5 H 2 d u. § 6 H 2 a. E.; vgl. darüber hinaus auch Huber, AcP 177 (1977), 283 ff. und Rebe/Rebell, JA 78, 605 ff. (609 f.); nach Larenz (SchR H, § 41 H e

a. E.) steht - allerdings nur für den Bereich der cic - der Ausbau der Verschuldenshaftung nach Inkrafttreten des BGB einer Beschränkung der Schadensersatzpflicht auf die Voraussetzungen der Arglist und Zusicherung entgegen. 18 BGHZ 66, 208 ff. 100 BGHZ 67,360 ff. 101 Vgl. MK-Emmerich, Vor § 275, Rdnr. 307 f.; Jauernig/Vollkommer, § 276 V 3 c). 102 Vgl. MK-Westermann, zu § 463, Rdnr. 32; Esser/Weyers, Teil, Teilbd. 1, § 5 H 2 d u. § 6 H 2 a. E. lOS Esser/Weyers, a.a.O. (Fn. 102), § 6 H 3 f.

SchR H, Bes.

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1. Teil:

Theoretische Grundlagen

tung des Verkäufers auf eine vereinfachte und leicht handhabbare Grundform zurückzuführen, im Grunde genommen zuzustimmen. Bei näherer Betrachtung bleibt es jedoch fraglich, ob das Institut der pVV gerade für den Kauf eine Patentlösung beinhaltet. Seine generelle Zulassung neben den §§ 459 ff. läuft nämlich auch, und zwar in derselben Weise wie die Haftung aus freiwilliger übernahme im Sinne der gesetzlichen Zusicherungskonzeption, auf eine "Extremlösung" hinaus, die als solche nicht für alle Typen von Kaufverträgen Geltung zu beanspruchen vermag10'. Daher wird auch im Rahmen dieses Lösungsvorschlages die Zugrundelegung einer weiteren zusätzlichen Haftungsvoraussetzung im Wege eines "Differenzierungsprinzips"105 befürwortet, dessen Kriterien - etwa die Berücksichtigung des Geschäftstypus als schnelles Umsatzund Umlagegeschäft, wirtschaftliche Dimensionen, soziales Umfeld, besondere Verantwortung für Qualitätsabweichungen, die Gefährlichkeit der Ware und einzelner Mängel, die Kenntnis und besondere Vertrauensstellung des Verkäufers, Risikoprämien, das Ausmaß der gefährdeten Käuferinteressen - auch ansatzweise aufgeschlüsselt werden. Eine nähere Betrachtung dieser Kriterien zeigt aber, daß sie insgesamt als zu vage und leerformelhaft erscheinen, um der Rechtsanwendung als wirkliche Hilfe dienen zu können. Als entscheidender Mangel haftet ihnen an, daß sie losgelöst von dem bisherigen Entscheidungsmaterial entwickelt wurden. Ihre Herleitung stellt sich als der Versuch dar, eine zunächst sehr weitgehende Haftung des Verkäufers im nachhinein sachgerecht begrenzen zu können. Damit werden aber wieder neue Fragen aufgeworfen, die den mit der Ausweitung der Haftung erhofften Gewinn sehr relativieren. Es bleibt einmal fraglich, ob den genannten Einschränkungskriterien, zumindest auf den Bereich des Kaufrechts beschränkt, eine abschließende Geltung zukommen soll. Auch stellt sich das erhebliche Problem, wie sich die genannten Merkmale in das herkömmliche, auf sämtliche Arten von Schuldverhältnissen zugeschnittene Pflichtenmodell der positiven Vertragsverletzung einfügen lassen. Diese Fragen dürften in der Praxis eher davor zurückhalten, eine allgemeine Fahrlässigkeitshaftung neben der Sachmängelgewährleistung zuzulassen. 7. Zur Zielrichtung der vorliegenden Arbeit

Ein weiterführender Lösungsansatz und damit der Zugriff auf die eigentlichen Anknüpfungspunkte für die Haftung läßt sich wohl nur darin finden, daß man die bisher von der Rechtsprechung entwickelten 104 Dies wird ausdrücklich eingeräumt von EsserlWeyers, a.a.O., § 6 II 3 f. 105 Vgl. bei EsserlWeyers, a.a.O. (Fn. 102), § 6 II 3 f.; siehe jetzt auch die Neubearbeitung des Werkes in der 6. Aufl. (1984), § 6 II 4 (S. 64).

1. Kap.: Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

45

Pflichten in den Mittelpunkt rückt und damit die sich unter dem BGB bis heute vollzogene Grenzüberschreitung zwischen der vertraglichen und der deliktsrechtlichen Haftung einbezieht und für die kaufrechtliche Schadenshaftung fruchtbar macht. Die gleichläufige Entwicklung in beiden Bereichen bewirkte nämlich die Schaffung einer Vielzahl von Verhaltensregeln zum Schutze des Vertragspartners und - wie im Deliktsrecht - des allgemeinen Verkehrs, wodurch letztlich das Verschuldensprinzip in seiner aus der Zeit des späten 19. Jahrhunderts überlieferten Form entscheidende Konkretisierungen erfuhrlO6 • Seine hierdurch zwangsläufig veranlaßte Objektivierung im Wege der allgemeinen Durchsetzung eines sog. objektiv-typisierten Fahrlässigkeitsmaßstabes hatte zur Folge, daß die Gegebenheiten des individuellen Schuldnerverhaltens zugunsten des rein objektiverfaßbaren und standardisierten, durch spezielle Berufskenntnisse oder durch ähnliche andere besondere Anforderungsprofile geprägten Maßstabes immer mehr zurückgedrängt wurden. Wie groß dabei gerade die Bedeutung spezieller Berufskenntnisse und die besondere Sachkunde des Verkäufers ist, hat sich besonders deutlich in der Entwicklung des französischen Kaufrechts niedergeschlagen. Die Rechtsprechung glaubte hier zunächst, in Verwischung der in den Art. 1645, 1646 C. c. 107 klar getroffenen Differenzierung dem Käufer auch gegenüber einem gutgläubigen Verkäufer dadurch helfen zu können, daß eine inhaltliche Ausdehnung des Wandlungsanspruches ("de mettre les parties en meme etat qu'elles etaient avant la vente") angestrebt wurde. Einen Ansatzpunkt hierfür sah man in einer weiten Auslegung des in Art. 1646 C. c. gebrauchten Begriffes der Vertragskostenl o8 • Dieser Weg wurde jedoch schließlich Ende der fünfziger Jahre aufgegeben und durch eine - insbesondere auch für das deutsche Recht interessante und bedeutsame - Korrektur an dem gewährleistungsrechtlichen Haftungssystem selbst ersetzt: Danach soll in den Fällen eines berufs- und gewerbsmäßigen Verkäufers die Kenntnis eines Mangels im Sinne von 106 Vgl. näher dazu Leser, Delikts- und Gefährdungshaftungsrecht, AcP 183 (1983), 568 ff. (581 ff., 587 ff., 588 m. w. Nw.); speziell zum Vetschuldensprinzip siehe v. Caemmerer, Verschuldensprinzip, GS Irr, hrsg. v. H. G. Leser (1983), 261 ff. (262 f.); M. RümeZin, Gründe der Schadenszurechnung, S.5; kritisch neuerdings K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 50 ff. (52); zu den älteren, gegen seine Grundlagen erhobenen Einwände siehe V. Mataja, Recht des Schadensersatzes vom Standpunkt der Nationalökonomie (1888), S. 32 ff. (43 f.); G. Rümelin, Culpahaftung, AcP 88 (1898), 285 ff. (300 f.). 107 Nach Art. 1645 C. c. ist der Verkäufer nur in dem Falle gehalten, neben dem Kaufpreis alle "Schäden und Interessen" gegenüber dem Käufer zu erstatten, wenn er die Fehler der Sache kannte. Bei Unkenntnis des Fehlers besteht entsprechend Art. 1646 C. c. nur die Pflicht, den Kaufpreis sowie "durch den Kauf verursachte Kosten" zu erstatten. lOB Sog. "frais occasionnees par la vente", näher M. Ferid, Das Französische Zivilrecht, 1. Bd. § 38, 2 F 313 (S. 640 f.), insbes. die Rspr. Nw. (Fn. 66, 70).

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

Art. 1645 C. c. unwiderlegbar vermutet werdenlOg, während die Haftung etwa eines Gelegenheitsverkäufers eingeschränkt bleibt. Hierbei handelt es sich um eine Anknüpfung an ein besonders wichtiges und hervorstechendes objektives Strukturelement des Kaufvertrages, nämlich die besondere (Sachwalter-) Stellung des Verkäufers, womit in der Sache eine auf bestimmte Kaufverträge begrenzte Garantiehaftung auf vollen Schadensersatz erzielt wurde. Ähnlich dieser Entwicklung stellt sich dem modernen Kaufrecht - in derselben Weise wie dem Deliktsrecht, und zwar dort vor allem im Rahmen der Produzentenhaftung - unter dem BGB die Aufgabe, eine objektive Konkretisierung und Systematisierung der Pflichteninhalte zu gewinnen110 . Es gilt somit, jeweils im Rahmen der Pflichtenstatuierung auf eine Parallele zu bisher hergeleiteten Pflichten abzustellen und damit im Laufe der Zeit zu eruieren, welches Maß an Sorgfalt, Sachkunde und auch Risikoübernahme üblicherweise im Verkehr erwartet werden kann. In derselben Weise wie im Rahmen der Produzentenhaftung kreist auch die Problematik der Schadensersatzhaftung beim Kauf stets um dieselbe Frage einer Erfassung und Durchdringung typischer Pflichtenlagen, die letztlich nur über eine Berücksichtigung und Auswertung sämtlicher in Betracht kommender objektiver Vertragsumstände zu gelingen vermag. Es erscheint daher, insbesondere auch im Hinblick auf die in ihren jeweiligen Begründungen noch Schwierigkeiten bereitenden "Gabelstapler-"I11 und " Schwimmerschalter-Urteile" 112, als naheliegend, einmal an die Entwicklung der Rechtsprechung zur Zusicherung seit Erlaß des BGB anzuknüpfen und durch eine Zusammenstellung des wichtigsten Materials sowie eine Herausfilterung der einzelnen Entscheidungskriterien eine Zusammenstellung nach Fallgruppen zu entwerfen. Die im Laufe des nun mehr als achtzig Jahre dauernden Prozesses der Präjudizien- bzw. Kriterienbildung118 durch die Judikatur im Wege des allmählichen Fortschreitens von Einzelfall zu Einzelfall entwickelten Haftungsmerkmale repräsentieren im wesentlichen - worauf bereits an dieser Stelle hingewiesen werden soll - fünf unter systematischen Gesichtspunkten erfaßbare Fallgruppen. Von den ihnen zugrundeliegenlOg Vgl. M. Ferid, a.a.O. (Fn. 108), § 38, 2 F 316 (S. 641). 110 Vgl. hierzu Leßmann, JuS 78, 433 ff. (436 f. m. w. Nw.); v. Westphalen, WiR 72, 67 ff.; zurückhaltend Brendel, Qualitätsrecht, S. 75 ff. (84). 111 BGHZ 66,208 ff. 112 BGHZ 67, 360 ff. 113 Vgl. dazu allgemein-theoretisch das Werk von J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1974), S. 39 ff. (53); ders., Vorverständnis, S. 187 ff., 195 f.; grundlegend und auch heute noch von Bedeutung H. Isay, Rechtsnorm und Entscheidung (1929, Neudruck 1970),

S. 15 ff., 20 ff., 169 ff.

1. Kap.:

Instrumente für eine Ausweitung der Schadensersatzhaftung

47

den Kriterien lassen sich drei, nämlich dasjenige einer besonderen Verdichtung der Eigenschaftsvereinbarung zur Zusicherung, dasjenige des Handelsbrauches (bzw. der Usance oder der Verkehrssitte) und schließlich noch dasjenige eines besonderen vertraglich vereinbarten Verwendungszweckes der Kaufsache bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts114 auffinden. Zwei weitere, nämlich diejenigen einer Haftung des Verkäufers aufgrund seiner besonderen (Sachwalter-) Stellung sowie der besonderen Natur des Gattungskaufs- bzw. des kaufrechtlichen Werklieferungsvertrages, treten dann schließlich noch im Verlaufe der Darstellung und Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes115 hinzu. Aufgrund der Reichweite und verhältnismäßigen Verfeinerung dieser Kriterien, von denen die wichtigsten haftungsbedeutsamen Elemente, wie sie sich in den Strukturen der den Rechtsprechungsfällen zugrundeliegenden Kaufverträge nachweisen lassen, erfaßt werden, ließe sich im Hinblick auf das Institut der pVV über das Instrument der Zusicherung eine beträchtliche Entlastung durch eine im Hinblick auf den Kauf als besonderem Vertragstypus wesenseigentümlichere - weil auch durch das einzelne Vertragsband selbst begrenzte - Schadensersatzlösung gewinnen.

114

Siehe dazu unten die Darstellung seiner "weiten" Entscheidungslinie,

115

Siehe unten, 2. Teil, S. 135 ff.

2. Teil, S. 109-134.

II. Kapitel

Der Blick auf andere Lösungen: Das englische Recht und das Haager Einheitliche Kaufgesetz 1. Das englische Recht

Aufgrund einer jahrhundertelangen historischen Entwicklung faßt das Common Law das Schuldverhältnis als ein Garantieversprechen auf 118, woraus sich zahlreiche gravierende Abweichungen gegenüber dem kontinentaleuropäischen Recht ergeben. Die im deutschen Recht getroffene Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen einzelner Leistungsstörungen sowie das System einzelner abgestufter Gewährleistungsrechte werden durch einen allgemeinen Begriff des Vertragsbruches (breach of contract) ersetzt, wobei die Gewährleistungsansprüche geradezu als der Mustertyp der Vertragshaftung wegen verletzter Garantie anzusehen sind117 • Während im kontinentaleuropäischen Recht der einzelne Vertrag eine Leistungspflicht begründet, aus deren Verletzung gegebenenfalls Schadensersatz- bzw. Sekundäransprüche erwachsen können, besteht deren Grundlage im englischen Recht im Vertrage und damit unmittelbar in dem einzelnen breach of contract selbst118• Abgesehen von dem bestimmte Fallgruppen erfassenden System der "Equity"m mit dem dort vorgesehenen Behelf (remedy) der "specific performance" - etwa für die Fälle, in denen aufgrund bestimmter Besonderheiten die Leistung von Schadensersatz für den Gläubiger keinen angemessenen Ausgleich zu schaffen vermag - gewährt das Common Law grundsätzlich keinen 116 Vgl. nach wie vor grundlegend Rheinstein, Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im angloamerikanischen Recht (1932), S. 36 ff.; zu dem System der historischen Klageformen, aus dem die Figur des contract hervorgegangen ist, siehe aus rechtshistorischer und rechtsvergleichender Sicht H. Peter, Actio und Writ, Tübingen 1957. 117 Rheinstein, Struktur, S. 155; Zweigert/Kötz, Einführung, Bd. II (1969), S. 205 ff. (207). 118 Rheinstein, Struktur, S. 36 ff.; 122 ff.; 148 ff.; Rabel, Warenkauf I (1957), S. 263; ZweigertlKötz, Einführung, Bd. II (1969), S. 206; Chitty, On Contracts, I, Rdnr. 1591 m. Nw. 119 Siehe dazu Henrich, Einführung, S. 42 ff. (47 f.); Chitty, On Contracts, I, Rdnr. 1761 ff.; Rheinstein, Struktur, S. 138 ff., 141 ff.

11. Kap.: Blick auf andere Lösungen

49

Anspruch auf Erfüllung, sondern nur einen Schadensersatzanspruch für Nichteinhaltung der vertraglich übernommenen Garantie120. Während der Schadensersatzanspruch demnach quasi von Anfang an latent in dem Vertrag enthalten ist, bleibt die Einräumung des Rücktrittsrechtes hingegen an besondere zusätzliche Voraussetzungen gebunden und wird der vertragstreuen Partei nur in schweren Fällen eingeräumtl2l • Infolgedessen bereitet dem englischen Recht die Frage große Schwierigkeiten, wann der enttäuschte Vertragspartner nicht nur Schadensersatz verlangen, sondern sich auch gänzlich vom Vertrag lösen und gegebenenfalls die Erbringung weiterer Leistungen verweigern kann (discharge of contract by breach). Eine solche Berechtigung, den Vertrag als aufgehoben - d. h. als "discharged" - zu betrachten, wird grundsätzlich nur im Rahmen von zwei Fallgruppen122 anerkannt, nämlich in den Fällen der sog. "repudiation" sowie des "fundamental breach". Eine "repudiation" liegt etwa dann vor, wenn eine Partei - der Erfüllungsweigerung des deutschen Rechts vergleichbar - zu verstehen gibt, ihren eingegangenen Verpflichtungen nicht nachkommen zu wollen. In diesem Falle wird es für die vertragstreue Seite als unzumutbar angesehen, noch am Vertrage festhalten zu müssen. Demgegenüber stellt die Fallgruppe des "fundamental breach"128 die weitaus umfangreichste dar und ist im Grunde genommen der ersteren eng verwandt. Das Common Law stellte bei der Frage, wann ein "fundamental" bzw. "material breach" vorliegt, zunächst auf die Bedeutung der gebrochenen Vereinbarung ab, die ihr von den Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beigemessen wurde. Die Frage hingegen, wann eine Vertragsvereinbarung als wesentlich anzusehen ist, wird dabei im Wege der Unterscheidung zwischen sog. "warranty" einerseits und sog. "condition" andererseits zu beantworten versucht124 . Allerdings herrscht heute Klar120 Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung, Bd. II (1969), S. 177f.; im Vordergrund der "Equity-Fallgruppen" stehen dabei Verträge über Grundstücke und Grundstücksrechte, während bei anderen Vertragsgegenständen ein Erfüllungsurteil nur in solchen Fällen ergehen darf, bei denen (etwa weil die Kaufsache seltene Eigenschaften oder einen hohen Wert besitzt) die Angemessenheit des Schadensersatzanspruches nicht gegeben ist, siehe nur Ansonl Guest, Law of Contract, pp. 558 f. (p. 558: "This remedy by specific performance was invented, and has been cautiously applied, in order to meet cases where the ordinary remedy by an action for damages is not an adequate compensation for breach of contract."). Hierin liegt der entscheidende Gegensatz zwischen englischem und kontinentaleuropäischem Recht, siehe auch unten, S. 55 (Fn. 143). 121 Näher B. A. Kern, "Rescission" nach Vertragsverletzung im Englischen Recht (Diss. Marburg 1983), S. 1 ff., 9 ff., 15 ff. 122 Siehe CheshirelFifoot, Law of Contract, pp. 568 ff. (569 f., 571 f.); Ansonl Guest, Law of Contract, pp. 505 ff. (508). 123 Vgl. Henrich, Einführung, S. 58 ff., 71 f. 124 Etwas vereinfacht betrachtet liegt diesen Begriffen eine Differenzierung nach einzelnen Vertragsbestimmungen zugrunde, die man grob vereinfacht 4 Böckler

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1. Teil:

Theoretische Grundlagen

heit darüber, daß es sich dabei nur um formale Begriffe handelt, nach denen das eigentliche Kernproblem der Abgrenzung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Vertragszusagen gerade in schwieriger gelagerten Fällen nicht zu lösen ist125• Es liegt dann in der Hand des Richters, im Einzelfall darüber zu entscheiden, ob angesichts der konkreten Vertragsumstände noch die Durchführung eines Schadensausgleichs zu befriedigen vermag oder ob dagegen die Vertragszusage als so wesentlich anzusehen ist, daß die verletzte Vertragspflicht nachträglich als "condition" gewertet werden muß. Im Schrifttum wurde hingegen die Dichotomie "condition" - "warranty" als unrealistisch und irreführend kritisiert und sogar eine völlige Aufgabe der ihr zugrunde liegenden Klassifizierung der Vertragspflichten befürwortet126 • Die Rechtsprechung ging jedoch soweit nicht, sondern schuf vielmehr im Wege eines behutsameren Vorgehens weitere zusätzliche objektive Abgrenzungsmerkmale, die als solche, wie etwa die Ermittlung der Natur eines Vertragsbruches anhand seiner Auswirkungen auf den kommerziellen Vretragszweck oder die Berücksichtigung seiner wirtscha~tlichen Folgen anhand der Schwere der eingetretenen Schäden, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung des konkreten Vertrages Berücksichtigung finden sollen127 • Nur wenn eine Vertragspflicht als "condition" eingestuft zu werden vermag, soll im Falle ihrer Nichterfüllung die Verpflichtung des anderen Teils zur Leistung nicht bindend und ihm - neben dem Schadensersatzanspruch - das Recht der Abstandnahme vom Vertrag gewährt werden128 • Daraus wird ersichtlich, daß der Rücktritt im englischen Recht mit den Haupt- und Nebenleistungspflichten des deutschen Rechts vergleichen könnte; näher Stoljar, The Contractual Concept of Condition, L. Q. Rev. 69 (1953), pp. 485 ff.; ZweigertlKötz, Einführung, Bd. II (1969), S. 207 f.; Rheinstein, Struktur, S. 192 ff.; Henrich, Einführung, S. 58 f. 125 Vgl. Anson/Guest, Law of Contract, pp. 520 f., 129 f.; krit. auch Cheshire/ Fijoot, Law of Contract, pp. 568 ff. (572), 140 ff. (143 f.); Treitel, The Law of Contract, pp. 592 ff. 128 Vgl. Anson/Guest, a.a.O.; Cheshire/Fijoot, a.a.O. (Fn. 125). 127 Vgl. die Richter Upjohn, L. J. und Diplock, L. J. in ihren jeweiligen Begründungen zu Hong Kong Fir Shipping Co., Ltd. v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd. (1962) 1 All E. R., 474 ff. (p. 484 A-E u. pp. 487 f. E-J), dazu sowie zu den feineren Unterschieden in den Auffassungen der Richter vgl. A. Buchloh, Warranty, Condition, Fundamental Breach (Diss. Köln 1972), S. 49 ff.; ähnlich später Lord Denning, M. R., in The Mihalis Angelos (1970) 3 All E. R. 128 (p. 129), allerdings etwas einschränkend, indem er die Berücksichtigung früherer Entscheidungen zur Feststellung des "condition"-Charakters einer Vereinbarung fordert und damit für eine zugleich einzelfallorientierte und typisierte Handhabung dieser Kriterien eintritt, siehe dazu und zu den Auffassungen der übrigen Richter Davies, L. J. und Megaw, L. J. auch Buchloh, a.a.O., S. 60 f.; vgl. auch differenzierend Schmitthojj, Sale of Goods, pp. 60 f.; Treitel, The Law of Contract, pp. 599 f. 128 Hierzu sowie rechtsvergleichend Leser, Lösung vom Vertrag, Festschr. f. E. Wolf (1985), S. 373 ff. (375 ff., insbes. dort S. 376 f.); Cheshire/Fijoot, Law of Contract, pp. 568 ff. (573 f., .'i76 f.); Rheinsteia, Struktur, S. 192 f.

II. Kap.: Blick auf andere Lösungen

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gegenüber dem Schadensersatz als das "higher remedy"12U, d. h. als der umfassendere Rechtsbehelf angesehen wird, der als Ausfluß der im Common Law geltenden Maxime "caveat emptor"l30 nur in schwerwiegenden Fällen von Vertragsverletzungen eingeräumt wird. Die für den Vergleich mit dem deutschen Recht besonders hervorzuhebende Abweichung im Rahmen des breach of contract, d. h. der Erfüllungsverfehlung, besteht darin, daß die durch ihn ausgelöste Rechtsfolge an keine weiteren Voraussetzungen gekoppelt ist, insbesondere nicht an das Vorliegen eines Verschuldens. Auch im Rahmen dieser generellen Garantiehaftung sind jedoch nicht sämtliche aus dem Vertragsbruch erwachsende Schäden zu ersetzen, sondern es sollen vielmehr diejenigen unberücksichtigt bleiben, die als "too remote" angesehen werden. Die hierbei zu treffende Wertung erfolgt auf der Grundlage der sog. "rule of remoteness"131, wie sie erstmalig in der Entscheidung "Hadley v. Baxendale" im Jahre 1854 von dem Richter Alderson B. formuliert wurde132 und seither zum Grundbestand der Leitentscheidungen gehört. Gegenstand von "Hadley v. Baxendale" war die Klage eines Müllers auf Erstattung eines erheblichen Verdienstausfallschadens. An der Mühle des Klägers war die Mühlenwelle gebrochen. Es erwies sich als notwendig., die gebrochene Welle an den Hersteller in Greenwich als Muster für eine neu anzufertigende Welle einzusenden. Dazu bediente sich Hadley des Spediteurs Baxendale. Der Transport der Welle verzögerte sich jedoch, und da die Mühle nicht über eine Ersatzwelle oder dergleichen verfügte, konnte die Produktion erst eine ganze Zeit später wieder aufgenommen werden, als dies bei verzögerungsfreiem Transport der Fall gewesen wäre. Hadley verlangte nun von Baxendale den Ersatz des durch den zusätzlichen Produktionsausfall entgangenen Gewinns in Höhe von 300 Pfund. Das Gericht sah als entscheidend an, daß dem Beklagten als einzige Information mitgeteilt worden war, der zu transportierende Gegenstand sei eine gebrochene Mühlenwelle und bei dem Auftraggeber handele es sich um den Müller der Mühle. Hiernach habe der Beklagte die Folge des Vertragsbruches nicht als "natürliche Folge" der Verzögerung vor129 Stoljar, Conditions, Warrenties and Descriptions of Quality in Sale of Goods, M. L. R. 16 (1953), pp. 174 ff. (186, Fn. 66). Zum Rücktritt im deutschen Recht als einem beschränkten Behelf demgegenüber Leser, Rücktritt, S. 145 ff. (167); insbesondere auch zum Vergleich mit anderen Abwicklungsbehelfen siehe dort S. 94 ff., 107 ff., 122 ff. 130 Schmitthoff, Sale of Goods, p. 73; HoZdsworth, A History of English Law, Bd. VIII (1925), pp. 69 f. 131 Siehe AnsonlGuest, Law of Contract, pp. 532 ff.; CheshirelFifoot, Law of Contract, pp. 588 ff.; vgl. auch Street, Principles, pp. 236 f. 132 Vgl. (1854), 9 Exch. 341, pp. 354 ff.



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1. Teil:

Theoretische Grundlagen

aussehen können, da diese Mühle in der Regel eine Ersatzwelle besitze oder, falls dies nicht zuträfe, sich eine solche hätte besorgen müssen. Der entstandene außergewöhnliche Folgeschaden sei in keiner Weise vorhersehbar - d. h. "within the contemplation of the parties" gewesen, da der Stillstand der Mühle nicht als eine bei Vertragsschluß von bei den Parteien als möglich angenommene Folge einer Transportverzögerung angesehen wurde. Daher hat das Gericht im Ergebnis den Ersatz des durch die Verzögerung entstandenen Schadens als "too remote" abgelehnt. Dem Kernsatz dieser Entscheidung133 wurden zwei Regeln (two branches bzw. rules) entnommen, die heute noch für die Schadensbegrenzung im englischen Recht von grundlegender Bedeutung sind134• Die erste Regel beinhaltet dabei eine Verteilung des Risikos hinsichtlich der "general damages". Liegt eine Verletzung eines Vertrages vor, in dem von den Parteien hinsichtlich eines besonderen Schadensrisikos keine Vereinbarung getroffen wurde, so soll demjenigen, der den Vertrag gebrochen hat, nur diejenigen Schäden zugerechnet werden, die - "arise according to the usual course of things, from such breach of contract itself" - natürlicherweise, d. h. nach dem normalen Verlauf der Dinge aus einem solchen Vertragsbruch erwachsen. Nur für solche Schäden hat der Schuldner bei Vertragsschluß das Risiko übernommen, da auch nur diese für ihn in diesem Zeitpunkt allgemein vorhersehbar waren. Hierbei handelt es sich um abstrakt berechnete - objektive - Schäden, die dem Schuldner grundsätzlich, d. h. unabhängig von den besonderen Verhältnissen des Gläubigers zugerechnet werden (z. B. etwa die Differenz zwischen Markt- und Vertragspreis, der Minderwert einer mangelhaften Sache, Aufwendungen zur Nachbesserung etc.135). Die "second rule" regelt hingegen die "special damages" - auch "consequential loss" im Gegensatz zu "normalloss" genannt -, d. h. solche Schäden, die nicht jeder Vertragspartner erlitten hätte, sondern die nur aufgrund besonderer Umstände bei den kohkret Geschädigten eingetreten sind. Hinsichtlich dieser Schäden soll die Partei, die einen Vertrag gebrochen hat, nur dann haften, wenn sie aufgrund der Kenntnis besonderer Umstände, die im Falle eines Vertragsbruches den Schaden erhöhen würden, ver133 Vgl. Alderson B. in (1854), 9 Exch. 341, p. 354: "Where two parties have made a contract which one of them has broken, the damages which the other party ought to receive in respect of such breach of contract should be such as may fairly and reasonably be considered either arising naturally, i. e. according to the usual course of things, from such breach of contract itself, or such as may reasonably be supposed to have been in the contemplation of both parties, at the time they made the contract as the probable result of the breach of it." 134 Siehe nur AnsonlGuest, Law of Contract, pp. 535 ff. u. 541 ff.; Treitel, The Law of Contract, pp. 726 f. 135 Vgl. McGregor, On Damages, Rdnr. 21 f.; ausführl. auch Treitel, The Law of Contract, pp. 710 ff.

II. Kap.: Blick auf andere Lösungen

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nünftigerweise mit dem Eintritt dieses Schadens als wahrscheinlicher Folge des Vertragsbruches hätte rechnen können und müssen. Nur in diesem Falle - daß die Schäden "have been in the contemplation of both parties at the time they made the contract as the probable result of the breach of it" - wird die Übernahme des erhöhten Risikos durch den Schuldner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unterstellt136 • Im Jahre 1949 wurde schließlich in dem Victoria Laundry Case131 von Asquith, L. J. das beiden Regeln gemeinsam zugrunde liegende Prinzip in dem Grundsatz der "reasonable foreseeability" zusammengefaßt, in dem nur diejenigen Schäden als ersatzfähig erklärt wurden, die zur Zeit des Vertragsschlusses als "reasonable foreseeable as liable to result from the breach" angesehen werden konnten. Der Kläger, der ein Wäscherei- und Färbereiunternehmen betrieb, wollte seinen Betrieb erweitern. Zu diesem Zweck und insbesondere, um bestimmte außergewöhnlich profitable Färbereiverträge eingehen zu können, benötigte er einen größeren Kessel. Die Beklagte, eine Maschinenbaufirma, verpflichtete sich, dem Kläger bis zum 5. Juni einen bestimmten Kessel der gewünschten Kapazität zu liefern. Dieser wurde jedoch in der Fabrik beschädigt und konnte erst am 8. November geliefert werden. Die Beklagte wußte von der Art des Unternehmens des Klägers und war von ihm vor Vertragsschluß mehrfach schriftlich auf die besondere Wichtigkeit einer schnellstmöglichen Inbetriebnahme des Kessels hingewiesen worden. Der Kläger verlangte Schadensersatz einerseits in Höhe von 16 Pfund pro Woche für den aufgrund der nicht 'erfolgten Erweiterung entgangenen Gewinn, andererseits in Höhe von 262 Pfund pro Woche dafür, daß er die sehr lukrativen konkreten zusätzlichen Färbereiverträge nicht hatte eingehen können. Hinsichtlich des ersten Teiles der Klage bekam der Kläger recht, die zweite Forderung wurde abgewiesen. Im Urteil führte Asquith, L. J. aus, daß die verletzte Partei nur den Teil des Verlustes verlangen könne, der tatsächlich aus dem Vertragsbruch entstanden ist und zur Zeit des Vertragsschlusses vernünftigerweise als Ergebnis des Vertragsbruches vorhersehbar warl38 • Bezüglich des Ausmaßes der Vorhersehbarkeit stellte Asquith, L. J. darauf ab, was der Partei bei Vertragsschluß bekannt war. Das Wissen 136 Vgl. CheshirelFifoot, Law of Contract, pp. 599 ff.; Treitel, The Law of Contract, pp. 726 ff.; McGregor, On Damages, Rdnr. 16 ff. 131 Victoria Laundry (Windsor), Ltd. v. Newman Industries, Ltd. (1949) 2 K. B. 528; siehe AnsonlGuest, Law of Contract, p. 541; Treitel, The Law of Contract, pp. 727, 731 f.; McGregor, On Damages, Rdnr. 183; CheshirelFifoot, Law of Contract, pp. 592 f. 138 Victoria Laundry (Windsor), Ltd. v. Newman Industries, Ltd. (1949)

2 K. B. 528.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

könne tatsächlicher Art sein oder aber der Partei unterstellt werden, indem verlangt wird, daß jede "reasonable person" den natürlichen Verlauf der Dinge kennt. Zu diesem Wissen könne schließlich auch im Sinhe der zweiten Regel (branch) im Einzelfalle das hinzugerechnet werden, was die Partei an Wissen über Umstände, die den Verlust vergrößert hätten, besaß oder hätte besitzen müssen. Es sei jedoch nicht notwendig, daß derjenige, der den Vertrag bricht, sich die Folgen tatsächlich vor Augen geführt hat, vielmehr habe man davon auszugehen, zu welchem Ergebnis er gekommen wäre, wenn er die Folgen bedacht hätte. Im Rahmen beider Regeln sei darauf abzustellen, daß der Schaden als wahrscheinliche Folge eines Vertragsbruches vorhersehbar sein müsse, sei es aus dem normalen Verlauf der Dinge, sei es aufgrund einer unterstellten Kenntnis aller normalen oder der besonderen Umstände. Durch die Formel der "reasonable foreseeability" wurde eine weitgehende Klarstellung des Ausmaßes der Schadensersatzpflicht erreicht. Die dadurch erzielte - wenn man so will- Neufassung der "cotemplation rule" - wurde jedoch vom Court of Appeal im Falle Koufos v. C. Czarnikow, Ltd. l80 als zu weitgehend kritisiert, indem ein höherer Grad an Wahrscheinlichkeit gefordert wurde. Der im Rahmen der "contemplation rule" zugrundezulegende Wahrscheinlichkeitsgrad ist seitdem im Common Law keinesfalls mehr einheitlich bestimmt, sondern die einzelnen Formulierungen reichen von dem Vorschlag Asquiths, L. J. "liable to result" über "quite likely" bis hin zu "a real danger"14o. Allerdings dürfte insoweit heute weitgehend Übereinstimmung herrschen, als im Vertragsrecht ein höherer Wahrscheinlichkeitsgrad als etwa im Deliktsrecht zu fordern istlU, weil hier die engere Beziehung zwischen den Vertragsparteien dafür entscheidend sein muß, das Ausmaß der Haftung und mithin den Umfang der Garantiepflicht durch den individuellen 180 (1969) 1 A. C. 350 (The Heron II); vgl. auch AnsonlGuest, Law of Contract, p. 538; Cheshire/Fifoot, Law of Contract, pp. 595 f.; Treitel, The Law of Contract, pp. 727 ff.; McGregor, On Damages, Rdnr. 184--186. Besonders angegriffen wurde die Formulierung der "reasonable foreseeability" in diesem Urteil von Lord Reid, der den Grundsatz für vorzugswürdig hielt, der Eintritt der Folge des Vertragsbruches dürfe nicht "unlikely" sein. Andere Mitglieder des Hauses gingen zwar grundsätzlich mit Lord Reid konform, die Mehrheit der Lords jedoch bevorzugte die Spezifizierungen "a serious possibility" und "a real danger". Bei dieser Kritik ging es jedoch immer in erster Linie nur um die Art der Auslegung der Formel, nicht um deren grundsätzlichen Bestand. Das Kriterium der "reasonable foreseeability" stellt die Beziehung zwischen den beiden branches in Hadley v. Baxendale her, die zusammen ein einziges generelles Prinzip bilden, siehe nur AnsonlGuest, Law of Contract, p. 534. 140 Siehe Cheshire/Fifoot, Law of Contract, p. 588 m. w. Nw.; AnsonlGuest, Law of Contract, p. 535 m. w. Nw.; McGregor, On Damages, Rdnr. 185. 141 Siehe CheshirelFifoot, Law of Contract, p. 593; Sutton and Channon, On Contracts, p. 411.

H. Kap.: Blick auf andere Lösungen

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Vertragszweck oder die jeweiligen beiden Parteien bekannten besonderen Umstände bestimmen zu lassen142• Abschließend läßt sich der wesentliche Unterschied zwischen Common Law und deutschem wie auch allgemein kontinentaleuropäischem Recht darin erfassen, daß die englische Lösung des Vertragsrechts infolge ihrer andersartigen Sicht des Schuldverhältnisses als eines Garantieversprechens kein Prinzip der Naturalerfüllung kennt. Infolgedessen stellt sich ihr auch nicht das Bedürfnis nach einem System komplizierter Voraussetzungen, durch das der übergang von der Erfüllungsklage zu den sekundären vertraglichen Rechtsbehelfen geregelt wird. Indem das Common Law die vertraglichen Rechte des Gläubigers regelmäßig auf die Geltendmachung des Interesses an der nicht erbrachten Leistung beschränkt, bedarf es auch keiner näheren Bestimmung der Kriterien, bei deren Vorliegen sich der übergang von der Leistungs- zur Schadensersatzpflicht vollzieht. Vielmehr ist das englische Recht im Gegensatz zu den kontinentalen Rechten, die die Frage des überganges von den primären Leistungspflichten zu den Schadensersatz- und Rückabwicklungspflichten zu lösen haben, zu einem Vorgehen in umgekehrter Weise gezwungen. Da es nämlich den Gläubiger im Falle des "breach of contract" in der Regel auf den Schadensersatzanspruch verweist, muß es dieses Prinzip andererseits in gewissen Fällen durchbrechen. Seine Aufgabe, die es keinesfalls immer befriedigend löst143 , besteht demnach im Gegensatz zu den kontinentalen Ordnungen darin, anhand eines Systems von Voraussetzungen diejenigen Fälle zu erfassen und damit einzugrenzen, in denen ein klagbares Recht auf Erfüllung besteht. Andererseits folgt aber aus seiner Grundauffassung des Vertrages als eines Garantieversprechens ein entscheidender Vorzug des englischen Rechts, der es wiederum als gegenüber anderen Ordnungen überlegen erweist. Der Gedanke der vertraglichen Risikoübernahme birgt, wie die Bestrebungen auf der Ebene der Rechtsvereinheitlichung und deren Niederschlag in der Schaffung eines vereinheitlichten Kaufrechts gezeigt haben144,eine sinnvolle LösUhg der Frage der Haftungsbegrenzung in sich, wie sie erstmals in "Headly v. Baxendale" in Form der "rule of 142 Siehe dazu ausführl. McGregor, On Damages, Rdnr. 180 ff. (190-196); Treitel, The Law of Contract, pp. 730 f. 143 Vgl. z. B. G. H. Treitels kritische Untersuchung der wenn auch einen Sonderfall bildenden - Regelung der specific performance beim Kauf beweglicher Gegenstände (J. B. L. [1966], 211 ff. [230 f.]), derzufolge das englische Recht insofern neu überdacht und eine flexiblere Lösung gefunden werden müsse ("A new and less technical approach is needed"); Treitel hält es z. B. für eine gegenüber der Angemessenheitsprüfung der bisherigen Lösung (vgl. oben, Fn.120) zweckmäßigere Handhabung, wenn die Gerichte die specific performance nur dort versagen dürften, wo der Schutz der legitimen Interessen des Beklagten dies erfordere (a.a.O., p. 215). 144 Vgl. im Anschluß hieran unten, S. 56 ff.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

remoteness" hergeleitet und seitdem ständig weiterentwickelt wurdeu5 . Indem das Common Law die vertragliche Garantie- und Risikoübernahme in den Vordergrund stellt, ermöglicht es ein Abstellen auf den Umfang der gegenseitigen vertraglichen Pflichten sowie des somit übernommenen Risikos. Damit enthält es eine relativ wirksame und zugleich überaus einfach praktizierbare Lösung des Problems der Schadensbegrenzung, deren Einfluß auf das deutsche Recht unverkennbar istl46 •

2. Das Einheitliche Kaufgesetz147 Ebenso wie dem englischen Recht und dem skandinavischen Kaufgesetz liegt auch dem EKG ein allgemeiner Begriff des Vertragsbruchs zugrunde, indem es sämtliche denkbaren Formen vertragswidriger Leistung unter dem Begriff der Vertragswidrigkeit zusammenfaßt und in ein einheitliches System der Vertragsverletzung eingliedert. Auf diese Weise wird die Lieferung einer vertragswidrigen Kaufsache nahezu denselben Sanktionen unterworfen wie alle übrigen Fälle der Vertragsverletzung. Die damit erzielte Vereinfachung sowohl hinsichtlich der Bestimmung der Voraussetzungen einer Vertragswidrigkeit als auch der daraus entstehenden Rechtsfolgen ist beträchtlich. Auf der Tatbestandsseite kennt das EKG letztlich nur eine einzige Voraussetzung, nämlich die Abweichung vom vertraglichen "Verhaltensprogramm"148 145 Siehe oben, S. 51 ff. 146 So vornehmlich über die von E. Rabel (Recht des Warenkaufs, I [1957], S. 473 ff. [483 ff., 491 ff. u. insbes. 495 ff.]) weitgehend entwickelte "Lehre vom Schutzbereich der verletzten Norm", siehe dazu m. umfangr. Nw. JauerniglTeichmann, Vor §§ 249-253, V, 4; SoergeliZeuner, § 823, Rdnr. 180; eine noch weitergehende übernahme der "Vorhersehbarkeitsregel" befürwortet Huber, Leistungsströmungen, Gutachten und Vorschläge zur überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I (1981), S. 729, 731, 742, 805 (vgl. auch die nachfolgende Fn.).

147 Haager Einheitliches Kaufgesetz v. 1. Juli 1964, in der Bundesrepublik in Kraft getreten am 16.4.1974 (BGBI. 1974 II 146; 148); im folgenden EKG. Zu seiner Entstehung und der besonderen Rolle E. Rabels vgl. Leser, in: Einleitung zu Ernst Rabel, Gesammelte Aufsätze, IU, hrsg. v. H. G. Leser (1967), S. XXVI ff. m. w. Nw.; MertenslRehbinder, S. 81 ff.; inzwischen sind jedoch die Bemühungen um die Schaffung eines internationalen Kaufrechts weiter gediehen, indem eine Kommission der Vereinten Nationen (UNCITRAL) einen neuen Entwurf ausgearbeitet hat, der dem Haager Kaufgesetz sehr ähnlich ist und Aussicht auf weltweite Annahme besitzt, siehe zu Aufbau und Grundzügen des Entwurfes Schlechtriem, Einheitliches UNKaufrecht, S. 7 f.; U. Huber, RabelsZ 43 (1979),413 ff. Vgl. auch die konsequenz reiche Empfehlung Hubers in seinem für die Bundesregierung erstatteten Gutachten, wonach ein neues Leistungsstörungsrecht nach dem Vorbild des EKG in das deutsche Recht transponiert werden soll (siehe Leistungsstörungen, Gutachten und Vorschläge zur überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I (1981), S. 647 ff. u. 911 ff.); dazu krit. Vollkommer, Die Konkurrenz des Leistungsstörungsrechts, AcP 183 (1983), 525 ff. 148 Leser, Vertragsaufhebung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 2.

H. Kap.: Blick auf andere Lösungen

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der Parteien. Auf der Rechtsfolgenseite bildet der Ausgleich des wirtschaftlichen Nachteils im Wege des Schadensersatzes die Regel149 . Jede Programmabweichung zieht den Ausgleich des Schadens nach sich, der dem vertragstreuen Partner daraus erwachsen ist. Damit wurde das vertragliche Schadensersatzrecht von jeglichem Surrogatsdenken - d. h. der abgesonderten Betrachtung der einzelnen Obligation, an deren Stelle im Falle der Unmöglichkeit der Geldersatz trat - befreitl50 , wie es noch für das gemeine Recht kennzeichnend war und von dort aus in das BGB einfloß. Der Vertrag rückt nun vielmehr primär in seiner wirtschaftlichen Komponente in den Mittelpunkt, wobei die Bezugsgröße für den jeweiligen Schadensausgleich in dessen wirtschaftlichem Gesamtwert zu sehen ist. Diese Veränderungen in den Grundlagen des Vertragsverständnisses bilden den Hintergrund dafür, daß auf der Rechtsfolgenseite in erster Linie die Sanktion des Schadensersatzes, d. h. eines Ausgleichs des wirtschaftlichen Nachteils, gewährt wird (vgl. Art. 24, 41, 55, 70, 78 EKG)151. Trotz dieser Besonderheit liegt dem EKG jedoch nicht die obenls2 umschriebene Garantiekonzeption des Schuldvertrages des Common Law zugrunde, da es nämlich - abgesehen von den Ausnahmen des Art. 25 (bei gebotenem Deckungskauf) sowie des Art. 66 (im Falle einer Verletzung der Abnahmepflicht) - grundsätzlich einen Erfüllungsanspruch einräumt1S3 • Allerdings kenzeichnet die Konzeption der Rechtsfolgen eines Vertragsbruches deutlich ihre Herkunft aus dem anglo-amerikanischen Recht, wonach Schadensersatz sowohl unabhängig von als auch kumulativ neben der gewährten Vertragsaufhebung verlangt werden kannl54 • Schließlich ist auch die Verpflichtung zum Schadensersatz - ebenso wie nach dem Vertragsrecht des Common Law - von Anfang an latent im jeweiligen Vertrage vorhanden und wird lediglich von den Leistungspflichten überlagert155 . Der Vertrag bildet demnach auch nach der Auf149 Sieht man einmal von dem Minderungsrecht gern. Art. 41 I c, Art. 46 ab. 150 Siehe Leser, Vertragsaufhebung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 2 f. auch zum folgenden im Text; vgl. auch dens., Erfüllungsverweigerung, Festschr. f. M. Rheinstein (1969), S. 643 ff. lSl Ohne daß es dazu einer besonderen Gestattung oder gar Anordnung des Gerichtes bedarf, vgl. Art. 24, 26, 30, 41, 42; das EKG folgt damit den Beispielen des skandinavischen und französischen Rechts, vgl. Rabel, Warenkauf I (1957), S. 202 ff.; 295 ff., 297, 300 ff. 152 Siehe S. 48 f., 55. 153 Vgl. Rabel, Warenkauf I (1957), S. 249 ff.; vgl. auch Beß, Haftung, S. 43 ff. (47).

154 Siehe Weitnauer, Vertragsaufhebung, Festschr. der Universität Heidelberg (1967), S. 71 ff. (75); speziell zum "ius variandi" und seinen Grenzen unter dem EKG vgl. Leser, Vertrags aufhebung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 15 f.; zu den ähnlich gezogenen Grenzen seiner Zulassung hingegen unter dem BGB siehe dens., Rücktritt, S. 219 ff. (223 ff., 226 ff. [Fn. 134]). 155 Vgl. E. Rabel, Entwurf eines einheitlichen Kaufgesetzes, GS, Bd. IH

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

hebung die rechtliche Grundlage sowie den Rahmen für die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien. Auch dieses Grundprinzip wurde dem EKG von Anfang an zugrundegelegt158 • Die Vertragsaufhebung selbst ist grundsätzlich nur - sei es kraft Gesetzes oder einer einseitigen Erklärung der geschädigten Partei - bei Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung i. S. v. Art. 10 EKG möglich. Sie erscheint daher eher lediglich als eine Ergänzung des generellen Schadensersatzbehelfs im Falle bestimmter gravierender Störungen, indem sie der vertragstreuen Partei gleichsam als Anpassungsmittel dafür in die Hand gegeben wird, ihre wirtschaftliche Dispositionsfreiheit zurückzuerlangen und über einen Fortbestand bzw. eine Befreiung hinsichtlich der vertraglichen Leistungspflichten zu entscheidenl57 • Eine Definition des Begriffs der Vertragswidrigkeit selbst ist im EKG nicht enthalten, sondern es führt lediglich in Art. 33 I a) bis f) einzelne Tatbestände an, bei deren Vorliegen die übergebene Kaufsache als vertragswidrig anzusehen ist. Das Kernstück dieser Regelung, nämlich die eigentlichen Sachmängel - das Fehlen gewöhnlicher oder, falls eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde, besonderer Gebrauchstauglichkeit der Kaufsache -, werden in den Tatbeständen des Art. 33 I d) und e) geregelt. Art. 33 I f) enthält schließlich noch einen im Verhältnis zu diesen beiden allgemeinen Auffangtatbestand, der das Fehlen sämtlicher - ausdrücklich oder stillschweigend - zum Vertragsinhalt gewordener Eigenschaften und besonderer Merkmale als Vertragswidrigkeit normiert, ohne dabei auf die Gebrauchstauglichkeit abzustellen. Die Regelung des Art. 33 I EKG besticht demnach allein schon durch die Zusammenstellung sämtlicher Fälle der Vertragswidrigkeit (fehlerhafte und unvollständige Lieferung beim Spezieskauf, Quantitätsund Qualitätsabweichung beim Gattungskauf, Aliudlieferungen einschließlich Abweichungen von Proben und Mustern). Darüber hinaus werden durch sie zahlreiche dem BGB bekannte Problemkreise gegenstandslos, wie etwa die Abgrenzung zwischen Nichtund Schlechtlieferung oder - was im vorliegenden Zusammenhang besonders interessiert - derjenige der Haftung aus besonderen Eigenschaftszusicherungen158 • Die Frage jedoch, ob eine Eigenschaft besonders (hrsg. v. H. G. Leser, 1967), S. 522 ff. (570 f., 575 f.); THing, RabelsZ 32 (1968), S. 258 ff. (261, 267 f.); zum Common Law siehe oben, S. 48 ff. 166 Vgl. Leser, Vertragsaufhebung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 3 u. 5 f.; MertenslRehbinder, Art. 78, Rdnr. 5. 151 Vgl. Leser, a.a.O. (Fn. 156), S. 3 u. 5 f. 158 Näher Beß, Haftung, S. 63 ff. (72 f.); 91 ff.; vgl. auch zum Ganzen ausführlich Kirchhof, Sachmängelhaftung, S. 90 ff., 111 ff., 225 ff., 267 ff.; zur Frage der Annäherung des deutschen Rechts- und Sachmängelrechts an die Lösung des EKG vgl. besonders Kreuzer, Sachmängelhaftung und Vertragswidrigkeit, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 35 ff. u. v. Marschall, Tendenzen zur Erfüllungshaftung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 21 ff.

II. Kap.: Blick auf andere Lösungen

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zugesichert oder garantiert worden ist, wird damit innerhalb des Anwendungsbereichs des EKG noch nicht völlig unerheblich. Sie bleibt weiterhin im Rahmen der Möglichkeit einer Befreiung von der Schadensersatzpflicht noch bedeutsam, da in ihrem Falle eine etwaige Entlastung außer Betracht bleibt15U • Als Ausgleich für die strenge, von jedem Verschulden losgelöste Haftung sieht das EKG eine Entlastungsmöglichkeit vor, indem Art. 74 im einzelnen regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Partei wegen Nichterfüllung von ihren Pflichten befreit wird, ohne dafür Schadensersatz leisten zu müssen. Maßstab für die Entlastungsklausel des Art. 74 1'10 ist primär der im Vertrag zum Ausdruck gelangte Parteiwille. Fehlt eine dahingehende ausdrückliche Vereinbarung, so ist sie gern. Art. 74 I 2. HS EKG durch eine Ausdeutung des Vertrages zu konkretisieren. Dabei verweist Art. 74 I 2. HS EKG nicht etwa auf einen hypothetischen Parteiwillen oder eine lediglich ersatzweise Anlegung eines objektiven Maßstabes im Sinne der Anschauungen am Vertrage beteiligter Kreise1B1 , sondern nach übrwiegender Auffassungle2 ist damit gemeint, daß der objektive Maßstab sowie die danach zu ermittelnde Verteilung des Vertragsrisikos verselbständigt gesehen und betont werden soll. Die Formulierung von Art. 74 I 2. HS EKG erfordert geradezu die Vornahme einer Typisierung der von den Vertragsparteien zu verantwortenden Umständel83. Als Beispiele etwaiger Anknüpfungspunkte für eine solche Typisierung seien hier nur der "Gesamtcharakter des Geschäfts", das Einstehenmüssen für den gegenständlichen Herrschaftsbereich des Schuldners sowie für das Hersteller- und Beschaffungsrisiko besonders angeführtlN. 158 Vgl. Dölle/Stumpf, Art. 33, ReInr. 22; Beß, Haftung, S. 72; Tiling, RabelsZ 32 (1968), S. 258 ff. (260 f.). leG Art. 74 I EKG lautet: "Hat eine Partei eine ihrer Pflichten nicht erfüllt,

so hat sie für die Nichterfüllung nicht einzustehen, wenn sie beweist, daß die Nichterfüllung auf Umständen beruht, die sie nach den Absichten der Parteien bei Vertrags schluß weder in Betracht zu ziehen noch zu vermeiden oder zu überwinden verpflichtet war; in Ermangelung von Absichten der Parteien sind die Absichten zugrunde zu legen, die vernünftige Personen in gleicher Lage gewöhnlich haben." Er findet nicht nur im Rahmen einer dauernden oder zeitweiligen Nichterfüllung, der Verletzung von Haupt- und Nebenpflichten, sondern darüber hinaus auch auf die Rückgewährspflichten Anwendung, die bei Aufhebung des Vertrages nach Art. 78 II EKG entstehen, vgl. LeseT, Vertragsaufhebung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 17; WeitnaueT, Vertragsaufhebung, Festschr. der Universität Heidelberg (1967), S. 71 ff. (112). 181 So HeldTich, NJW 74, 2156 ff. (2160); HubeT, JZ 74, 433 ff. (436). 162 LeseT, Vertragsaufhebung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 4; DöHe/ Stoll, Art. 74; Rdnr. 19 m. w. Nw.; Beß, Haftung, S. 122 ff.; THing, RabelsZ 32 (1968), S. 258 fL (262 f.). 183

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Vgl. die Zusammenstellung bei Dölle/Stoll, Art. 74, Rdnr. 53-111. Siehe im einzelnen Dölle/Stoll, Art. 74, ReInr. 55; 68-70, 102; 71-73, 103.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

Zusammenfassend läßt sich dies dahingehend umschreiben, daß grundsätzlich jede Vertragspartei für diejenigen Risiken einzustehen hat, die aus ihrer Sphäre stammen und infolgedessen von ihr zu beherrschen sind165. Greift Art. 74 EKG nicht ein und besteht folglich eine Schadensersatzpflicht dem Grunde nach, so wird der Schaden entsprechend dem in Art. 82 S. 2, 86, 87 EKG niedergelegten - dem Common Law entnommenen166 - Prinzip der "contemplation-rule" entsprechend der jeweiligen Voraussehbarkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses begrenzt. Das EKG weist damit dem individuellen Vertrag sowie den Umständen des konkreten Einzelfalles im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzes eine entscheidende Rolle zu. Der Vertrag liefert demnach nicht nur die Grundlage und den Rahmen für den Schadensersatz, sondern er beinhaltet zugleich auch die jeweilige Grenze der Haftung. Sowohl die Schadensbegrenzung entsprechend den Art. 82 S. 2, 86, 87 EKG als auch die Haftungsbefreiung nach Art. 74 EKG stehen demnach in einem engen Zusammenhang, indem beide Regelungen als gemeinsamer Ausfluß des im EKG dominierenden Prinzips der vertragsorientierten Risikoübernahme gelten187• Zu ersetzen ist demnach jeder Schaden, den die ersatzpflichtige Partei bei Vertragsschluß unter Berücksichtigung der Umstände, die sie gekannt hat oder hätte kennen müssen, als mögliche Folge der Vertragsverletzung hätte voraussehen müssen (Art. 86 S.2, 87, 82 EKG). Auch hier ist jedoch der Maßstab wieder ein objektiver. Es kommt nicht auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der realen Vertragspartei an, sondern auf die Einschätzung einer vernünftigen Person an ihrer Stelle (Art. 13 EKG)1S8. Es bleibt daher nun ebenso wie im Bereich des Common Law - der Praxis aufgegeben, einzelne Schadenstypen zu gewinnen, die als generell vorhersehbar einzustufen sind169 . In jedem Falle ist jedoch das dem EKG zugrunde liegende Prinzip der Schadensbegrenzung auf der Grundlage der in "Hadley v. Baxendale"170 entwickelten "Voraussehbarkeitsregel" flexibel genug, um sich dem jeweiligen konkreten Einzelvertrag anpassen zu können. Durch die im Wege des Prinzips der Vorhersehbarkeit erzielte Schadensbegrenzung wird gleichzeitig die im Bereich des BGB proU5 Siehe auch Rabel, Warenkauf I (1957), S. 342 f. 166 Vgl. Mertens/Rehbinder, Vor Art. 82, Rdnr. 9; König, Voraussehbarkeit des Schadens als Grenze vertraglicher Haftung, in: Leser/v. Marschall (1973), S. 75 ff. (80 ff.); siehe näher oben, S. 52 ff. 167 DöHe/StoH, Art. 74, Rdnr. 20; vgl. auch THing, RabelsZ 32 (1968), S. 258 ff. (271).

168 Siehe Weitnauer, Vertrags aufhebung, Festschr. der Universität Heidelberg (1967), S. 71 ff. (74). 169 Vgl. die Zusammenstellung der Ansätze dazu bei Mertens/Rehbinder, Art. 82, Rdnr. 8 ff. 170 Siehe dazu oben, S. 51 f.

11. Kap.: Blick auf andere Lösungen

61

blematische Unterscheidung zwischen sog. Mangel- und Mangelfolgeschäden überflüssig l7l • Abschließend sei noch auf die in Art. 39, 40 EKG getroffene Verjährungsregelung hingewiesen, die auf einer Differenzierung zwischen erkennbaren und nicht erkennbaren Vertragswidrigkeiten beruht. Unabhängig davon tritt die Verjährung jedoch nach Art. 39 I S. 3 EKG stets dann ein, wenn nicht die Anzeige der Vertragswidrigkeit gegenüber dem Verkäufer innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nach Aushändigung der Sache erfolgt. Diese - vorbildliche - Regelung sollte "de lege ferenda" auch dem BGB zugrunde gelegt werden172 •

171 Weitnauer, Vertragsaufhebung. Festschr. der Universität Heidelberg (1967), S. 75 u. 111; zur Behandlung der Mangelfolgeschäden unter dem EKG vgl. DölZe/StolZ, Art. 74, Rdnr. 109 f. 172 Ebenso Bichlmeier, Zusichertlng und Vertrauen (1978), S. 170 ff. (178); siehe dazu auch oben, Fn. 14 m. w. Nw.

IH. Kapitel

Elemente der Zusicherung als Grundlage für eine dem individuellen Kaufvertrag entnommene Garantiehaftung auf Schadensersatz 1. Subjektiver Fehlerbegriff und Zusicherung Ein entscheidender Grund dafür, im Rahmen der Suche nach Möglichkeiten für eine allgemeine Schadensersatzhaftung des Verkäufers auf die gewährleistungsrechtliche Zusicherung zurückzugreifen, ergibt sich aus dem subjektiven Fehlerbegriff. Die hierdurch für das Haftungsgefüge der §§ 459 ff. bewirkten Konsequenzen werden deutlich, wenn man sich die gesetzliche Regelung als ursprünglichen Ausgangspunkt für die Wandlung des Fehlerbegriffes vor Augen hält. Von grundlegender Bedeutung ist dabei ihre Unterscheidung zwischen Fehlern (§ 459 I 1) und dem Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft (§ 459 II), da sich hieraus erhebliche Abweichungen in den Rechtsfolgen ergeben. Im Gegensatz zum Vorliegen eines bloßen Fehlers, bei dem der Verkäufer lediglich auf Wandlung oder Minderung (§ 462) haftet, wird der Schadensersatz des § 463 S. 1 sowie des § 480 II nur bei Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft gewährt. Nach der bekanntlich von einem objektiven Fehlerbegriff ausgehenden Auffassung des Gesetzgebers173 , der anfangs auch das Reichsgericht174 und die damals herrschende Lehre175 folgten, ließen sich die beiden in § 459 enthaltenen Tatbestände klar voneinander trennen, da eine Kaufsache danach nur dann fehlerhaft war, wenn sie von der objektiv zu bestimmenden Normalbeschaffenheit der jeweiligen Art abwich178• Vgl. Knöpfle, AcP 180 (1980), 462 ff. m. w. Nw. Vgl. etwa RGZ 67, 86 ff., Urt. v. 15. November 1907; 97, 351 ff., Urt. v. 13. Januar 1920. 175 Siehe Haymann, RG-Festgabe, Bd. II (1929), S. 317 ff. m. w. Nw.; Knöpfle, JZ 78, 121 ff.; ders., AcP 180 (1980), 462 ff.; Immenga, AcP 171 (1971), 1 ff. (7 m. w. Nw.). 178 Vgl. heute noch R. Schmidt, NJW 62, 710 ff.; im Ansatz ebenso Fabricius, JuS 64, 1 ff. und Knöpfle, a.a.O. (vorherige Fn.); ausführlich hierzu Medicus, Bürgerliches Recht, Rdnr. 320 ff. 173 174

III. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

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Demnach stellte etwa eine zu dem vom Käufer angegebenen Zweck, sie für den Transport von Büchern benutzen zu wollen, gekaufte Kiste keine fehlerhafte Bücherkiste dar, wenn sich später herausstellte, daß sie für diesen Zweck nicht stark genug war177, oder es lag kein Fehler vor, wenn ein verkauftes Bild nicht von dem Meister stammte, dem es im Vertrage zugeschrieben worden war. Im Rahmen der Anwendung des objektiven Fehlerbegriffes genügte somit die mangelnde Eignung für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch nicht, um die Fehlerhaftigkeit der Kaufsache zu begründen, sondern es wurde vielmehr die gesetzlich festgelegte Zweckbestimmung - der "nach dem Vertrag vorausgesetzte Gebrauch" i. S. d. § 459 I 1 - für die Bestimmung eines Fehlers auf objektive und zudem physische178 Mängel eingegrenzt. Fehlten andere Eigenschaften, so konnte dies nur dann zu einer Haftung wegen Sachmangels führen, wenn sie zugesichert waren178 • Unter die Vorschrift des § 459 II fielen demnach also diejenigen Eigenschaften, die eine zusätzliche, durch die Zusicherung begründete Anforderung an die Kaufsache stellten. Innerhalb der beiden Tatbestände des § 459 wurde danach unterschieden, ob Eigenschaften die Normalbeschaffenheit eines Kaufgegenstandes bezeichneten oder eine demgegenüber zusätzliche nur durch Parteivereinbarung bestimmte Anforderung bedeuteten. Da beiden Tatbeständen demnach ein einheitlicher Eigenschaftsbegriff zugrunde liegt, kam es bei der Haftung für besondere, über die Normqualität hinausgehende Merkmale entscheidend darauf an, wie der Begriff der Zusicherung auszulegen ist. Je nachdem, ob man hierunter schon jede ernsthafte, auch einseitige Beschaffenheitsangabe versteht oder ob man diesen Begriff restriktiv i. S. d. engen Linie des Reichsgerichtes auslegt, ergibt sich eine Einschränkung oder eine Erweiterung der Haftung des Verkäufers für sämtliche Beschaffenheitsmerkmale, und zwar letzteres unabhängig davon, ob sie auf die objektive Normalbeschaffenheit der Kaufsache von Einfluß sind oder nicht, sofern sie nur entsprechend dem zugrunde gelegten Begriff der Zusicherung vom Verkäufer gegenüber dem Käufer zugesagt wurdenl80 • Von entscheidender Bedeutung für jene Unterscheidung, zwischen den beiden Tatbeständen des § 459 und damit auch für die an den Zusicherungsbegriff zu stellenden Anforderungen war daher die nach Erlaß des BGB allmählich vollzogene Entwicklung der überwindung des objek177 Vgl. etwa RGZ 97, 351 ff., Urt. v. 13. Januar 1920 (a.a.O. [Fn. 174]: das als Sologeige verkaufte Instrument erwies sich als ordnungsgemäß funktionierende Orchestergeige). 178 Mot. II, 224. 178 Immenga, AcP 171 (1971), 1 ff. (13 f.). 180 Vgl. eingehend dens., a.a.O., S. 14 f. m. w. Nw.; zu den Reichsgerichtsentscheidungen, in denen der restriktive Begrüf der Zusicherung entwickelt wurde, vgl. i. e. unten, 2. Teil, S. 85 ff.

1. Teil: Theoretische Grundlagen

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tiven Fehlerverständnisses bis hin zu seiner endgültigen Ersetzung durch den heute herrschenden subjektiven Fehlerbegriff. Nach letzterem ist grundsätzlich die Zweckbestimmung der Parteien entscheidend, so daß eine Kaufsache dann als fehlerhaft gilt, wenn sie von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht181 • Während die Rechtsprechung182 insofern eine Einschränkung vornimmt, als sie in denjenigen Fällen, bei denen keine Zweckvereinbarung von den Parteien getroffen wurde, die Abweichung von der normalen Beschaffenheit der Art der verkauften Sache als entscheidend ansieht, bestimmt hingegen der überwiegende Teil der Lehre183 den (auch "konkret" genannten) Fehlerbegriff ausschließlich durch subjektive Elemente. In dem Falle des Nichtvorliegens einer ausdrücklichen Zweckbestimmung soll nach der Lehre hingegen eine Fehlerhaftigkeit der Sache dann angenommen werden, wenn sie von derjenigen Beschaffenheit abweicht, die der Käufer nach dem Vertrag erwarten darf. Sieht man von dieser geringen Abweichung zwischen Rechtsprechung und h. L., auf die es hier nicht ankommt, einmal ab, so ist als wesentliche Konsequenz des subjektiven Fehlerbegriffes festzustellen, daß die ursprüngliche Begründung für die Differenzierung zwischen den beiden in § 459 enthaltenen Tatbeständen entfallen ist. Dies wird an der Definition des Eigenschaftsbegriffes erkennbar, die unter dem subjektiven Fehlerbegriff ihren Sinn verloren hat. Die darin getroffene Einschränkung, daß nur solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse als Eigenschaften in Betracht kommen sollen, die wegen ihrer Art und Dauer die Brauchbarkeit oder den Wert der Sache unmittelbar beeinflussen l84 , wird in dem Maße gegenstandslos, in dem die Vorstellungen der Parteien bereits zur Bestimmung des Fehlers herangezogen und nicht erst im Falle der ausdrücklichen Zusicherung relevant werden. Mit diesem sog. Unmittelbarkeitskriterium iIlherhalb des Eigenschaftsbegriffes, das bislang von der Rechtsprechung grundsätzlich im Hinblick auf den Ertrag eines Unternehmens verneint wurde185,188, sollte urSiehe hierzu BroxlElsing, JuS 76, 1 ff. m. w. Nw. (Fn. 9). Sog. subjektiv-objektiver Fehlerbegriff, BGHZ 16, 55; 61, 305 m. w. Nw.; zustimmend Fikentscher, SchR § 70 II 2 (S. 381); JauerniglVollkommer, 181 182

§ 459, II 1. 183 Flume,

Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948), S. 118 ff.; v. Caemmerer, Falschlieferung, GS I (1968), 201 f.; Larenz, SchR II § 41 I; Enneccerus/Lehmann, § 108 II 1. 184 Siehe statt aller PalandtlPutzo, § 459, 3 a; JauerniglVollkommer, § 459, III 2, jeweils m. Nw. 185 Siehe BGH NJW 1970, 653; NJW 1959, 1584 f. (1585); vgl. auch Immenga, AcP 171 (1971), 1 ff. (4 m. w. Nw. zur älteren Rspr.). 186 Eine Ausnahme dazu und damit die rechtliche Gleichstellung des Unternehmensertrages mit anderen erheblichen Eigenschaften der Kaufsache soll nur im Falle dessen ausdrücklicher Zusicherung gelten, siehe BGH NJW 1970, 653; BGH BB 74, 231.

III. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

65

sprünglich, d. h. auf der Grundlage der objektiven Fehlerkonzeption, das Risiko des Verkäufers angemessen begrenzt werden. Zieht man jedoch den subjektiven Fehlerbegriff konsequent zur Feststellung eines Sachmangels heran, so ist eine solche Differenzierung nach der mittelbaren oder unmittelbaren Auswirkung eines Fehlers auf Wert oder Tauglichkeit der Kaufsache schon begrifflich ausgeschlossen. Soll es nämlich danach entscheidend auf die zwischen den Parteien vertraglich vereinbarten Beschaffenheitsmerkmale ankommen, so muß es als fragwürdig erscheinen, warum nicht auch das Nichtvorhandensein eines der Kaufsacheo nur mittelbar anhaftenden Merkmales fehlerbegründend heranzuziehen ist. Das Erfordernis der unmittelbaren Beeinflussung des Werts oder der Tauglichkeit einer Kaufsache durch die Abweichung beruht hingegen auf der Grundlage der ursprünglichen objektiven Fehlerkonzeption187• Diese kennzeichnet, daß sie das Vorliegen eines Fehlers gerade losgelöst von den Parteivorstellungen zu bestimmen versucht. Daher erweist sich in ihrem Rahmen der Verkäufer angesichts der praktischen Vielfalt denkbarer Möglichkeiten von unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich etwaiger Sacheigenschaften gegenüber einer daraus folgenden grenzenlosen Ausweitung der Haftung als schutzbedürftig. Allein diesem Umstand trug das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen fehlender Eigenschaft und Wert bzw. Tauglichkeitsbeeinflussung Rechnung, so daß ihm unter der Zugrundelegung eines objektiven Fehlerbegriffes eine Haftungsbegrenzungs- oder Sicherungsf~tion zukam. Un~t§der Herrschaft des subjektiven oder konkreten Fehlerbegriffes entfällt jedoch eine derartige Schutzbedürftigkeit des Verkäufers, da hier der einzelne Kaufvertrag selbst den Anknüpfungspunkt für die Voraussetzungen eines Sachmangels und damit zugleich auch für die Zuordnung daraus für den Käufer erwachsender Risiken bildet. Jene Sicherungsfunktion des engeren Eigenschafts- oder Beschaffenheitsbegriffes und damit auch das einschränkende Erfordernis der Unmittelbarke~t ist nunmehr bedeutungslosl88 • Siehe Immenga, AcP 171 (1971), 1 ff. (14 f.). Vgl. Immenga, a.a.O. (vorherige Fn.), 1 ff. (15 f., 17). Zustimmend v. Staudinger/Honsell, § 459, Rdnr. 17; die Konsequenz, über eine Ablehnung der Differenzierung zwischen Eigenschaften im engeren und weiteren Sinne hinaus auch den Eigenschaftsbegriff selbst zur Parteidisposition zu stellen, wird - soweit ersichtlich - nur von MK-Westermann, § 459, Rdnr. 17 und Erman/Weitnauer, Vor § 459, II 1 u. § 459 Rdnr. 6 gezogen, vgl. aber auch Esser, SchR II, Bes. Teil, § 64 II, 2 a, S. 34 insbes. Fn. 7; Jauernig/Vollkommer, § 459, III, 1 b. Gilt für das Vorliegen eines Fehlers nur noch das als entscheidend, was die Parteien vereinbart haben, dann kann es nicht mehr darauf ankommen, ob gerade begrifflich eine "Eigenschaft" Gegenstand der Vereinbarung war, sondern es muß ganz allgemein jeder Tatumstand genügen können (so schon Kegel, AcP 150 [1949], 356 ff. [361]). Der Eigenschaftsbegriff wird daher überflüssig. In der (noch) h. M. (vgl. v. Staudinger/Ostler, 187

188

5 Böckler

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

Unter der Zugrundelegung des subjektiven Fehlerbegrüfes erfolgte somit eine Ausweitung des § 459 I 1, die den Raum für zugesicherte Eigenschaften i. S. d. § 459 II beträchtlich einschränkte, wenn nicht sogar - sieht man einmal von ihrer praktisch kaum bedeutsamen Auswirkung bei der Ausdehnung oder Verschärfung der Gewährleistungshaftung im Rahmen einer Garantie hinsichtlich solcher Eigenschaften ab, deren Fehlen keinen erheblichen und damit den Wert oder die Gebrauchstauglichkeit der Kaufsache aufhebenden bzw. in einem nicht unerheblichen Maße mindernden Fehler darstellt - gänzlich beseitigte. Im Hinblick auf die dadurch entstandene Kongruenz zwischen Fehlern und zugesicherten Eigenschaften, die auch im Haager Einheitlichen Kaufgesetz bereits vollständig vollzogen wurde189, ist bekanntlich schon lange vor den wesentlichen Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Herleitung sog. "stillschweigender Zusicherungen"ll10 im Schrifttum darauf hingewiesen worden19t, daß es sich bei dem von dem Fehlerbegriff abgedeckten Bereich um denselben handele wie um denjenigen der zugesicherten Eigenschaften, so daß der Zusicherung fortan nur noch im Rahmen der Ermittlung des Haftungsumfanges Bedeutung zukommen könne192 • Hieran wird deutlich, daß der subjektive Fehlerbegrüf auch zu einem geänderten Verständnis von Aufgabe und Funktion der Zusicherung § 459, Rdnr. 21, 23, 24, 48 ff.) wird dagegen die Abhängigkeit der Voraus-

setzung eines dogmatisch festumrissenen Eigenschaftsbegriffes und damit auch des "Vertragsmäßigkeitserfordernisses", für nicht von § 459 I 1 erfaßte Eigenschaftsvereinbarungen von der Zugrundelegung eines "objektiven Fehlerbegriffs" ignoriert; siehe etwa SoergeUBallerstedt, § 459, Rdnr. 31, der eine Bestimmung des Eigenschaftsbegriffs nach dem Parteiwillen "mit Rücksicht auf die in den §§ 462, 463 S. 1 angeordneten Rechtsfolgen" ablehnt. Sofern dort ausgeführt wird, daß es beim Vorliegen einer nicht eine "Eigenschaft" betreffenden Zusicherung gem. §§ 462, 463 auf eine zusätzliche besondere Vereinbarung ankomme, im Falle deren Nichtvorliegen aber die "Eigenschaft" der Kaufsache für eine Schadensersatzpflicht entscheidend sein solle, enthält dies keinen "bisher offenbar nicht bloßgelegten Widerspruch" (so aber Baumann, Festschr. f. K. Sieg, S. 15 ff. [30]), da daraus noch keineswegs folgt, bei der Eigenschaftszusicherung der genannten Vorschriften müsse die Rechtsfolge "Schadensersatz" nicht vom Willen mitumfaßt sein. Baumann übersieht, daß ein Garantievertrag in der Regel immer nur auf das Einstehenmüssen für einen bestimmten Erfolg gerichtet ist, dagegen nur verhältnismäßig selten auf die Rechtsfolge "Schadensersatz", etwa durch übernahme konkreter Schadensgefahren (richtig RGRK-Mezger, § 459, Rdnr. 21). 189 Vgl. hierzu oben S. 56 ff. (58 f.). 190 BGH NJW 68, 1622 ff. ("Klebemittel-Urteil"); BGH NJW 72, 1706 ff. ("Fensterlack-Urteil"); dazu unten, 2. Teil, S.169f. u.170ff. tU Siehe v. Caemmerer, Falschlieferung, GS I (1968), 201 f.; vgl. auch schon Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948), S. 76 m. w. Nw.; Esser/Weyers, SchR H, Bes. Teil, Teilbd. 1, § 5 H 2 b; Immenga, a.a.O. (Fn. 187), 1 ff. (17). 192 So bereits (vgl. v. Caemmerer, a.a.O., vorherige Fn.) das RG in seinem "Venusberg-Urteil" (E 161, 330 ff. [337]), in dem erstmals auf die "Tragweite einer Zusicherung" abgestellt wurde; vgl. auch Diederichsen, AcP 165 (1965), 150 ff. (159 f.).

111. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

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führen muß. Wenn es nämlich für die Frage der Fehlerhaftigkeit einer Kaufsache entscheidend auf die Abweichung ihrer Beschaffenheit von der vertraglichen Vereinbarung ankommt, dann gilt infolgedessen unabhängig von der Art des Kaufvertrages (Spezies- oder Gattungskauf) als Gegenstand einer Leistungsvereinbarung die einzelne Kaufsache selbst, und zwar unter Einbeziehung sämtlicher vertraglich relevanter Eigenschaften193 • Damit erweisen sich die individuellen Parteivorstellungen apriori als rechtlich anerkannt, so daß es dazu eben nicht mehr der auf die ältere objektive Fehlertheorie zugeschnittenen besonderen dogmatischen Figur der Eigenschaftszusicherung bedarf. Deren ursprünglicher Sinn, dem Verkäufer über zusätzliche Parteivereinbarungen möglichst eindeutig die Risiken für das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften zuzuweisenl114 , ist im Rahmen des subjektiven Fehlerbegriffes verloren gegangen. In der überwiegend in Lehre und Rechtsprechung vertretenen Auffassung 195 zur Zusicherung wird hieraus bislang noch der Schluß gezogen, an diese erhöhte Anforderungen stellen und der engen Linie einer restriktiven Auslegung des Reichsgerichts196 :llolgen zu müssen. Infolgedessen griff man auf den Willen des Verkäufers, für das Vorliegen einer Eigenschaft einstehen zu wollen zurück und sah hierin das entscheidende Definitionsrnerkmal der Zusicherung. Dabei bleibt jedoch nicht nur unberücksichtigt, daß sich auch noch eine entgegengesetzte extensive Handhabung der Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts aufzeigen läßt U7 , sondern darüber hinaus auch noch, daß eine solche Auffassung einen Umkehrschluß ohne gesetzlich tragfähige Grundlage zur Folge hat. Indem man nämlich an den subjektiven Charakter der Zusicherung erhöhte Anforderungen stellt und damit von dieser im Verhältnis zum Fehler ein "Mehr" verlangt, weicht man von der auf dem objektiven Fehlerbegriff aufbauenden gesetzlichen Systematik der Sachmängelhaftung ab, die keinesfalls ausdrücklich ein derartiges "Mehr" regelt, sondern vielmehr etwas gänzlich anderes: die Einräurnung der Befugnis beider Kaufvertragsparteien, die Verantwortungsgrenzen für die Sachmängelhaftung im Wege privatautonomen Handeins selbständig zu ziehen198 • Es folgt daher nur aus der Deckungsgleichheit zwischen dem Bereich des Fehlerbegriffes und demjenigen der zugesicherten Eigenschaften, daß zur Schaffung unterschiedlicher Haftungsvoraussetzungen zusätzliche Kriterien entwickelt werden müssen, nicht jedoch die m Vgl. nur BroxlElsing, a.a.O. (Fn. 181) m. w. Nw. Vgl. Immenga, a.a.O. (Fn. 187), 1 ff. (15 f.); EsserlWeyers, SehR 11, Bes. Teil, Teilbd. 1, § 5 11 2 b. 195 Vgl. die Nw. oben, S. 31 f., insbes. in Fn. 54 u. 55. 188 Dazu näher unten im 2. Teil, S. 85-108. 197 Siehe hierzu unten, 2. Teil, S. 109-134. 198 Immenga, a.a.O. (Fn. 187), 1 ff. (15 f.). 184

5'

1. Teil:

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Theoretische Grundlagen

Beantwortung der weiteren Frage, wie diese Kriterien im einzelnen beschaffen sein müssen. Daher ist durchaus auch ein Zusicherungsbegriff denkbar, bei dem was in den von der Rechtsprechung entschiedenen streitigen Fällen nahezu den Regelfall bildet - das Merkmal des Verpflichtungswillens des Verkäufers durch weitere andere demgegenüber gleichwertige aus den Strukturen einzelner Kaufverträge gewonnene Haftungsgesichtspunkte und Kriterien, soweit sie sich anhand des Rechtsprechungsmaterials ordnen und zusammenstellen lassen, ergänzt wird. Bei jenen im Bereich des subjektiven Fehlerbegriffes anzusiedelnden objektiven Haftungsmerkmalen handelt es sich um eine die Schadensersatzhaftung des Verkäufers begründende Zwischenkategorie innerhalb des Rahmens der §§ 459 Ir, 463 S. 1, 480 II, gegenüber der jeweils die schlichte Beschaffenheitsvereinbarung einerseits und die Eigenschaftszusicherung andererseits Extrempositionen darstellen. Lediglich letztere Eigenschaftszusicherung, die in der übernahme einer besonderen vertraglichen Gewähr für das Vorhandensein oder Fehlen einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache bestehtU9 , hat ihre Grundlage in dem Merkmal eines besonderen ausdrücklich geäußerten Verpflichturigswillens. Verkäufergarantien in diesem Sinne sind im Rechtsverkehr nach wie vor anzutreffen, so daß für sie auch gegenüber möglichen anderen Lösungswegen, die Zusicherung über diesen Bereich hinaus als Haftungsgrundlage fortzuentwickeln, ein eigener Bereich verbleiben wird. Schließlich wird ebenfalls das Problem deren Abgrenzung zu den schlichten Beschaffenheitsvereinbarungen mitunter schwierige Fragen der Auslegung einzelner Kaufverträge aufwerfen, an die sich hinsichtlich der Rechtsfolgen Einräumung eines Schadensersatzanspruches oder lediglich eines Rechts auf Wandlung und Minderung - und im Hinblick auf das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das in § 11 Nr. 11 AGBG auf die §§ 463, 480 II verweist, weitreichende Konsequenzen anknüpfen. Wesentliche Bedeutung kommt im Rahmen der vorliegenden Arbeit jener Zwischenkategorie objektiver Haftungsmerkmale zu, wie sie nach der Verwischung der Konturen der Sachmängelhaftung, durch den subjektiven Fehlerbegriff von der Rechtsprechung als materiell-rechtliche Voraussetzungen für eine über bloße Verkäufergarantien hinausreichende Schadensersatzhaftung des Verkäufers entwickelt wurden. Der Stellenwert dieser Rechtsprechung sowie ihre Aufgabe,' das in dem Haftungsgefüge der §§ 459 ff. entstandene Vakuum durch 'ei.ne Herleitung objektiver Haftungsvoraussetzungen als Orientierungspunkte für die Begründung einer Schadensersatzhaftung des Verkäufers auszufüllen, lassen sich im Grunde genommen erst dann vollends ermessen, 190

Vgl. oben S. 31 (Fn. 54 ffi. w. Nw.).

II!. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

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wenn man unter der Geltung des subjektiven Fehlerbegriffes außerhalb des von ausdrücklichen Verkäufergarantien abgedeckten Bereiches die Frage des "Ob" einer Schadensersatzpflicht, die der des "Wie" weit - somit derjenigen der "Reichweite" einer Zusicherung - grundsätzlich vorgelagert ist, als ein rechtlich noch offenes und damit zur Lösung aufgegebenes Problem anerkennt. Als solchem kommt ihm deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil es sich bei der Schadensersatzpflicht des Verkäufers um eine "qualifizierte Gewährschaft"20o handelt. Gerade weil diese Schadensersatzpflicht in der Regel mit erheblichen Vermögenseinbußen für eine Partei - den Verkäufer - verbunden ist, soll nach dem Gesetz zu Recht nicht jeder Verkäufer mit ihr rechnen müssen. überblickt man die seit Erlaß des BGB ergangene Rechtsprechung zur Zusicherung, so lassen sich ihr im wesentlichen fünf verschiedene, unabhängig von einem Willen des Verkäufers, für das Vorliegen einer Eigenschaft einstehen zu wollen, als selbständige Grundlage für eine Schadensersatzhaftung zur Geltung gebrachte objektive Haftungskriterien ermitteln. Im Vordergrund steht das Kriterium einer besonderen Verdichtung von Beschaffenheitsangaben, das noch eine verhältnismäßig große Nähe zu der am Verpflichtungswillen des Verkäufers orientierten Haftung aufweist. Zu diesem Haftungskriterium einer besonderen Verdichtung bzw. "Intensität" von Beschaffenheitsangaben aufgrund besonderer, zumeist bestimmten Erklärungen zugrunde liegender objektiver Vertragsumstände, das bereits im gemeinen Recht eine volle Haftung auf Schadensersatz aus dem Kaufvertrage rechtfertigte20 t, kommen noch diejenigen. einer Haftung kraft Handelsbrauches (einschließlich der Verkehrssitte, Usancen etc.), einer besonderen SachwaltersteIlung des Verkäufers, dasjenige des besonderen Kaufvertragstypus (des Gattungs- sowie des kaufrechtlichen Werklieferungsvertrages) und schließlich noch dasjenige der Haftung kraft eines besonderen, vertraglich vereinbarten Verwendungszweckes der Kaufsache hinzu. Die Annahme einer Zusicherung und damit einer vollen Haftung auf Schadensersatz auf der Grundlage dieser objektiven aus den jeweiligen Vertragsstrukturen gewonnenen Haftungskriterien läuft in der Sache auf eine immer noch verhältnismäßig eng begrenzte Garantiehaftung des Verkäufers hinaus, die sich - wie im folgenden gezeigt werden soll - auch innerhalb des BGB keinesfalls als ein Fremdkörper erweist.

200 So treffend v. Blume, JherJb 55 (1909), 209 ff., zit. n. Diederichsen, AcP 165 (1965), 150 ff. (158, Fn. 41). 201 Vgl. das "Landstellen-Urteil" des RG in Seuff. Arch., Bd. 40, Nr. 102 (S. 155 f.), siehe dazu oben S. 29 ff.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

2. Die Anknüpfung an objektive auf dem Einzelvertrag beruhende Garantiehaftungstendenzen innerhalb des BGB Für eine selbständige Anerkennung objektiver Haftungskriterien als Grundlage einer Schadensersatzhaftung des Verkäufers spricht entscheidend, , daß der Gedanke einer dem einzelnen Vertrag entnommenen Garantiehaftung selbst dem BGB keineswegs fremd ist. Bereits die objektive Auslegung des Fahrlässigkeitsbegriffes enthält ein Stück Garantie!02. Auch dürfte es sich um eine beträchtliche Denaturierung der Verschuldenshaftung handeln, wenn eine Unterstellung typischerweise vorhandener Kenntnisse und Fähigkeiten zu einer Haftung führt, obwohl der Betroffene nach seinen persönlichen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen zur Vermeidung des Schadens nicht in der Lage war!03. Vollends wurde das Verschuldensprinzip im BGB auch im Falle der Gehilfenhaftung (§ 278) durch eine generelle Einstandspflicht verdrängt!O" die der Schuldner in der Regel weder vorherzusehen noch durch eigenes Handeln abzuwehren vermag. Nicht zuletzt durch die von der Rechtsprechung statuierte strenge Einstandspflicht für anfängliches Leistungsvermögen hat der Garantiegedanke auch im deutschen Recht allgemeine Anerkennung gefunden, wobei hier jedoch in der Lehre noch keine Einigung darüber erzielt wurde, wie diese Haftung sinnvollerweise zu begrenzen ist!05. Es scheint sich allerdings langsam die Erkenntnis durchzusetzen, eine Begründung und auch Begrenzung der Schadensersatzhaftung durch Hinzuziehung der objektiven Momente des Inhalts bzw. des Sinns eines Vertrages herzuleiten!08. Eine damit vergleichbare Differenzierung nach Maßgabe des jeweiligen VertragsinhaItes findet unter dem BGB nun auch im Rahmen der Haftung des Gattungsschuldners in verstärktem Maße Anerkennung207. Der Vergleich des Gattungsgeschäftes mit dem Stückkauf zeigt deutlich208, !O! So ebenfalls Dälle/Stoll, Art. 74, Rdnr. 39. 203 Vgl. näher v. Caemmerer, Verschulden von Erfüllungsgehilfen, GS 111

(1983), 305 ff. (307 f.). !04 Vgl. schon Heck, Schuldrecht (1929), § 27, 1 (S. 81), demzufolge hier die Erfolgshaftung einen "Sieg über das Kulpaprinzip davongetragen" hat; ebenso v. Caemmerer (vorherige Fn.), 305 ff. (312). 205 Vgl. statt aller Fikentscher, SehR § 43 111, 4 In. w. Nw. !Oe Vgl. Larenz, SehR I § 8 11, S. 90 f.; Esser/Schmidt, SchR I 1, § 22 11; Gudian, NJW 71, 1239; Fikentscher, SchR § 43 111 4. !07 Vgl. Ballerstedt, Zur Lehre vom Gattungskauf, Festschr. f. H. C. Nipperdey (1955), S. 261 ff. (262 ff.); siehe dazu Blomeyer, AcP 154 (1955), 527 ff. (531 ff.); v. Caemmerer, Probleme des Haager einheitlichen Kaufrechts, GS 111 (1983),23 ff. (46); Dälle/Stoll, Art. 74, Rdnr. 41 m. w. Nw. 208 Vgl. zum folgenden des Textes Ballerstedt, a.a.O. (vorherige Fn.), S. 262 ff.

IH. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

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daß sich die Haftung des Schuldners im Falle des Gattungskaufs im Grunde genommen nicht nach der abstrakten in § 279 BGB getroffenen Regelung bestimmt, sondern allein nach dem Inhalt des jeweils geschlossenen Vertrages. Weder erweist sich die dem § 279 BGB zugrunde liegende Formel "genus perire non censetur" im Rahmen einer Grenzziehung der Haftung als hilfreich noch ist diese Regelung in ihrer abstrakten Fassung für eine genauere Abgrenzung der Umstände, für die der Gattungsschuldner einstehen soll, brauchbar. Eine Lösung vermag hingegen der Ansatz zu bieten, daß dem Gesetz kein geschlossenes Bild des Gattungskaufs zugrunde liegt, sondern vielmehr in dessen Bereich zwischen einem sog. "vorratsbezogenen Gattungskauf" einerseits und einem "marktbezogenen Gattungskauf" andererseits unterschieden werden muß. Während im Falle des ersteren, stärker dem Stückkauf angenäherten Gattungskaufs der Verkäufer mit dem Abschluß des Vertrages erklärt, etwas zu "haben" - das Eigentum an der Kaufsache oder jedenfalls die Befugnis zu ihrer Veräußerung -, nimmt der Gattungsverkäufer beim "marktbezogenen Gattungskauf" für sich in Anspruch, etwas zu "können", nämlich - wie Ballerstedt209 dargelegt hat - "über die erforderlichen Verbindungen, über den Zugang zu den Quellen zu verfügen, deren er zur Beschaffung der Ware bedarf". Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen diesen beiden Grundtypen des Gattungskaufs tritt damit hervor, daß der "marktbezogene Gattungskauf" neben der Verpflichtung zur Eigentumsübertragung auch noch eine Verpflichtung zur Herbeiführung eines besonderen Erfolges enthält. Somit wird hier der eigentliche kaufrechtliche Charakter des Vertrages noch durch ein zusätzliches werkvertragliches Moment ergänzt. Die damit gewonnene Differenzierung nach Maßgabe des jeweiligen Vertragsinhaltes vermochte vom Gesetzgeber selbst noch nicht erkannt zu werden. Dieser vernachlässigte den Gattungskauf erheblich, so daß ihm auch die Wesenseigentümlichkeiten dieses Geschäftstyps verschlossen blieben. Eine entscheidende Ursache dafür liegt darin, daß zur Zeit des Gesetzgebers noch die Auffassung herrschte, daß sich auch ein Gattungskauf üblicherweise spätestens im Zeitpunkt der Lieferung einer Ware durch Konkretisierung in einen Stückkauf umwandle und sich als solcher in das gewohnte Regelungsschema des Gewährleistungsrechts einfüge 210 • Eine im Rahmen der Gesamtbetrachtung dieser einzelnen Elemente verankerte Schadensersatzhaftung des Verkäufers nach Maßgabe jewei200 a.a.O. (Fn. 207), S. 262 ff. (265); vgl. dens., Festschr. f. K. Larenz (1973), S. 717 ff. (722 ff.) zu dem Versuch, auch das überkommene Strukturbild des Werkvertrages in verschiedene Werkvertragstypen aufzuschlüsseln; zust.:

JauerniglSchlechtriem, § 635, 4 b. 210 Vgl. Mot. H, 241 f.; EsserlWeyers, SchR H, Bes. Teil, Teilbd. 1, § 5 IV 6 a. E. m. Nw. (Fn. 70); Pecher, Eigenschaftserwartungen, § 5 I (w. Nw. dort in

Fn. 22-26) u. § 5 H 4.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

liger besonderer objektiver Vertragsumstände dient letztlich pnmar dem Schutze des Verkehrs. Auch kommt dem Vertrauensg:edanken als einem allgemeinen objektiv-rechtlichen Haftungsprinzip des Vertragsrechts im Rahmen der Herausbildung und haftungsbegründenden Wirkung objektiver Kriterien entscheidende Bedeutung zu, wobei jedoch der Versuch auf Bedenken stoßen muß, die Haftung auf diesen Gedanken alleine zurückzuführen und ihn infolgedessen einer umfassenden theoretischen Begründung des Instituts der Zusicherung zugrundezulegen. Wenn etwa im neueren Schrifttum darauf hingewiesen wird, daß es sich bei der Zusicherung um einen Fall gesetzlicher Vertrauenshaftung handelt211 oder jede vertragliche Fixierung "essentieller kardinaler Eigenschaften" stets als Zusicherung zu werten ist212 , so wird dies zur Entscheidung eines einzelnen Falles wenig hilfreich sein. Gerade bei den in der Praxis zu entscheidenden meist schwieriger gelagerten Sachverhalten bestehen in der Regel große Schwierigkeiten gerade darin, durch Ausdeutung eines gesamten Vertrages festzustellen, wann ein Vertrauen des Käufers in Eigenschaften der Kaufsache als schutzwürdig angesehen werden soll oder wann einer Eigenschaft ein "essentieller" Charakter mit der Folge zuzusprechen ist, daß im Falle des Nichtvorhandenseins einer solchen Eigenschaft der Verkäufer über einen vollen Ersatz des Schadens zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die Rechtsprechung wird daher Lösungshypothesen globaler Art, auch wenn sie objektiven Charakters sind, stets mit Skepsis beurteilen, zumal sie von der Zeit des Reichsgerichts bis heute das Bemühen kennzeichnet, die Zusicherung möglichst elastisch zu handhaben und sie infolgedessen frei von Schemen und Generalisierungen, d. h. jeweils nur der gerechten Einzelfallentscheidung verpflichtet, für das Gepräge des individuellen Kaufvertrages wesentlichen Umständen zu entnehmen. Der innere Grund der Haftung läßt sich demnach allenfalls dahingehend allgemein umschreiben, daß der Verkäufer - worauf schon früh von Paul Oertmann!13 hingewiesen wurde - seinen Geschäftskreis selbst eingerichtet hat, ihn leitet und daher nach der typischen Sachlage für dessen sachgemäße, die Außenwelt nicht nachteilig beeinflussende Gestaltung zu sorgen verpflichtet ist. Ähnlich zum Zwecke eines Verkehrsund Vertrauensschutzes wurde auch das bereits vom Gesetzgeber14 als grundlegend erkannte objektive Strukturprinzip "von Treu und Glau211 So Bichlmeier, Zusicherung und Vertrauen (Diss. 1978), S. 82 ff., 169 ff.; vgl. auch Hohloch, NJW 79, 2369 ff.; Grunewald, JZ 82, 627 ff. (629 f.); Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 284 ff. (zu letzterem siehe Brüggemeier, AG 10 [1982], 268 [272 ff.]). 21! So Baumann, Die Zusicherung, Festschr. f. K. Sieg (1976), S. 15 ff. (22 ff.). 213 Recht 1922, 5 ff. (5). 214 Vgl. MK-Roth, § 242, Rdnr. 9 (Fn. 13), unter Hinweis auf Prot. I, 303 u. Mugdan 11, 521.

III. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

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ben"215 von der Judikatur dazu herangezogen, um daraus weitere für das Vertragsrecht bedeutsame objektiv-rechtliche Prinzipien abzuleiten. Es handelt sich hierbei um die § 242 zugewiesene "ergänzungs- und pflichtenbegründende Funktion" im Rahmen der Auslegung, die "Kontroll- und Korrekturfunktion" im Bereiche des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie die "Schrankenfunktion" im Rahmen der unzulässigen Rechtsausübung und des "unredlichen Verhaltens"218. Schließlich hat sich nicht zuletzt aufgrund der Forschungen der Interessenjurisprudenz die Erkenntnis einen festen Platz gesichert, daß es sich bei dem Willensbegriff selbst keineswegs um einen rein psychologischen Begriff handelt, sondern vielmehr um einen normativen, der zugleich auch bezweckt, den Schutz eines Vertrauens des allgemeinen Rechtsverkehrs in das Normale und Verkehrsübliche sicherzustellen217 • Von dem Hintergrund dieser Objektivierungstendenzen innerhalb des BGB aus betrachtet, erweist sich nun auch das Instrument der "stillschweigenden Zusicherung", so wie es in den "leading-cases" des BGH in dem "Klebemittel"-218 und dem "Fensterlack-Urteil"219 Anwendung fand, als nichts anderes als um eine Verlängerung dieses Weges des Ausbaus eines verfeinerten Verkehrsschutzes durch die Herleitung einzelfallgerechter und objektiver Haftungskriterien. Zu erinnern sei an dieser Stelle nur an die schon früher von Eugen Ehrlich 220 betonte Erkenntnis, daß der Ausdruck "stillschweigende Willenserklärung" zur Bezeichnung "einer Fiktion des Willens" diene, "die zu dem Zwecke geschieht, Rechtsfolgen als gewollt hinzustellen, welche den wirtschaftlichen Willen der Parteien annähernd zur Geltung bringen, wenn auch 215 Vgl. hierzu als objektiv-rechtliches Strukturprinzip Brecher, Festschr. f. A. Nikisch (1958), S. 227 ff. (240). 218 Siehe näher EsserlSchmidt, SehR, Allg. Teil, Teilbd. 1, § 5, S. 45 ff. m. w.

Nw.; speziell zum Problem der Abgrenzung zwischen Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage vgl. Medicus, Vertragsauslegung und Geschäftsgrundlage, Festschr. f. W. Flume, Bd. I (1978), S. 629 ff.; Larenz, Geschäftsgrundlage (1963), S. 20 ff., 52 ff.; ders., Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 63, 737 ff.; näher noch unten, 2. Teil, S. 113 f. (Fn. 321). 217 Heck, Gesetzesauslegung, in: Studien und Texte zur Theorie und Methodologie des Rechts, Bd. 2 (1968), S. 46 ff. (49 u. ö.); vgl. auch Leser, a.a.O. (Fn. 106), S. 568 ff. (588 f., m. w. Nw. in Fn. 69). Wenn somit die h. L. (vgl. MK-Mayer-Maly, § 133, Rdnr. 47 m. Nw.) an einer grundsätzlichen Trennbarkeit zwischen Tatsachenfeststellung und Wertung im Rahmen der Auslegung von Willenserklärungen festhält, so darf nicht übersehen werden, daß dies lediglich aus pragmatischen Gründen zum Zwecke einer möglichst großen Transparenz der getroffenen Wertung geschieht, siehe dazu auch noch unten, 2. Teil, S. 91 f., 95 f., 103 (Fn. 292). 218 BGH NJW 68, 1622 = BGHZ 50, 200; siehe dazu näher unten, 2. Teil, S.169 f. 218 BGH NJW 72,1706 = BGHZ 59, 158; vgl. auch dazu näher unten, 2. Teil, S. 170 ff. 220 Die stillschweigende Willenserklärung (1893), S. 21.

74

1. Teil:

Theoretische Grundlagen

die Parteien in Wirklichkeit gar nicht an dieselben gedacht haben". Schon bald nach Inkrafttreten des BGB wurde dann von Rudolf MüllerErzbach221 darauf hingewiesen, die Gerichte würden gerne, wenn sie darüber in Verlegenheit wären, wie im Einzelfalle zu entscheiden sei, den Ausweg wählen, daß sie den Parteien diejenige Entscheidung selbst als "angebliche stillschweigende Willenserklärung in den Mund legen". Und weiter schrieb er222 : "Könnte man aber derartig umständliche Rechtsfeststellungen einfach den Parteien, auch wenn sie gar nicht den Mund geöffnet haben, von den Lippen lesen, dann bedürfte es des größten Teils unseres Rechts nicht. Jede vernünftige Rechtsregel wäre einfach als stillschweigend vereinbart anzusehen." Ernst Rabe}!23 schließlich stellte im Hinblick auf die in der Rechtsprechung des Reichsgerichtes besonders häufig anzutreffende "konstruierte ,stillschweigende Zusicherung'" fest, daß sie einen Kunstgriffcharakter habe und den auf diesem Wege entschiedenen Urteilen allein "das Bedürfnis nach dem Schadensersatzanspruch zugrunde" liege. Für das Ziel einer heutigen Untersuchung der Rechtsprechung kann diesen Feststellungen als Anregung entnommen werden, die, wie Ernst Zitelmann224 seinerzeit bemerkte, "Unfertigkeit und Verworrenheit der Lehre von der stillschweigenden Erklärung" zum Anlaß zu nehmen, sie beiseitezuschieben und statt dessen den Blick auf die eigentlichen - objektiven - Haftungsgründe zu richten. 3. Zusammenfassung

Angesichts der vielfältigen denkbaren Erscheinungsformen, GestaltU'ngsmöglichkeiten und Risikoverteilungsgesichtspunkte beim Kaufvertrag, dem ebenso wie dem Gattungskauf kein einheitliches und geschlossenes Strukturbild zugrunde liegt226, lassen sich die entscheidenden objektiven Haftungskriterien naturgemäß nur langsam und punktuell im Laufe einer langen Entscheidungspraxis herausbilden. Die Rechtsprechung hat diesen langen und beschwerlichen Weg des Erschließens einzelner vertragsgerechter Haftungspräjudizien über eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen auf sich nehmen müssen, weil sich der Rahmen einer am Vorhandensein eines Verpflichtungs- und 221 AcP 106 (1910), 309 ff. (357). 222 a.a.O., S. 357 f. 223 Das Recht des Warenkaufs, Bd. 11 (1958), S. 142; vgl. heute Esser! Weyers, SchR 11, Bes. Teil, Teilbd. 1, § 6 11 a. E.; Brecher, Festschr. f. A. Nikisch (1958), S. 227 ff. (239). 224 Internationales Privatrecht, Bd. I (1897), S. 278 f. (279); vgl. auch Hanau, AcP 165 (1965), 220 ff. (256 f,). 225 Vgl. hierzu Ballerstedt, Zur Lehre vom Gattungskauf, Festschr. f. H. C. Nipperdey (1955), S. 261 ff.; dazu näher oben S. 70 f.

III. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

75

Garantiewillens seitens des Verkäufers orientierten Zusicherungskonzeption von Anfang an als zu eng erwies 2!8. Das von der Judikatur dabei zu bewältigende Sachproblem läßt sich allgemein dahingehend umschreiben, daß etwa ein mit einem sachkundigen Verkäufer oder einem für die sachgerechte Lagerung einer Ware verantwortlichen Einzelhändler ebenso wie ein mit einem Vor- bzw. Zulieferanten und Hersteller geschlossener Kaufvertrag im Hinblick auf die schadensersatzrechtliche Haftung des Verkäufers gänzlich andere in Betracht kommende objektive Strukturmerkmale aufweist als etwa ein solcher Kaufvertrag, der zwischen rein Privaten zustandekam. Dasselbe gilt erst recht für solche Verträge, in deren Rahmen beispielsweise bestimmte Untersuchungen der Kaufsache oder Gespräche zwischen den Parteien über deren Verwendungsmöglichkeiten stattfanden. Die hieran deutlich werdende allgemeine Tatsache, daß nämlich die im täglichen Leben anzutreffenden Kaufverträge kein einheitliches Strukturbild aufweisen, stand einem Zurückgreifen auf objektive Kriterien zur Begründung der Haftung im Einzelfalle keineswegs im Wege. Wie gerade auch die Entscheidungen zur Annahme einer "stillschweigend" oder "schlüssig" erteilten Zusicherung sowohl in der Rechtsprechung des Reichsgerichts wie auch derjenigen des Bundesgerichtshofs zeigen, hat nicht zuletzt diese Erscheinung völlig voneinander abweichender kaufvertraglicher Strukturbilder die Herausbildung objektiver Haftungskriterien deshalb erforderlich gemacht, weil es sich bei den ein Stillschweigen begleitenden Umständen eben nur um objektive handeln kann. Dies bedarf keiner näheren Erörterung, weil ein "Stillschweigen" bereits schon begrifflich durch etwas rein Negatives gekennzeichnet ist, so daß nur aus den dieses begleitenden positiven Umständen ein Schluß auf eine bestimmte rechtlich erhebliche Willenserklärung möglich ist. Aber noch nicht einmal ausschließlich hieraus folgt die entscheidende Bedeutung objektiver Umstände und Besonderheiten, sondern diese werden auch infolge der Durchsetzung des subjektiven Fehlerbegriffes und seiner Konsequenzen für die §§ 459 ff. auf der Voraussetzungsseite der Schadensersatzhaftung als wesentliche Orientieruhgspunkte bedeutsamzz7 • Nicht zuletzt kommt der Herausbildung und Anerkennung objektiver Haftungsmomente innerhalb des Sachmängelrechtes zugute, daß es sich beim Kauf ungeachtet des ihm zugrunde liegenden uneinheitlichen Strukturbildes um ein zentrales Umsatzgeschäft mit verhältnismäßig überschaubaren Pflichtenkreisen handelt, die sich in einem besonderen Maße als geeignete Anknüpfungspunkte für eine auch durch typisierte und standardisierte Momente ergänzte Haftung des Verkäufers auf vollen Schadensersatz erweisen. 228

227

Siehe näher oben, S. 26 ff. Siehe im einzelnen oben, S. 62 ff.

1. Teil:

76

Theoretische Grundlagen

Als Haftungskriterien für eine solche in objektiver Hinsicht ergänzte Haftung des Verkäufers kommt daher nur eine begrenzte Zahl an Merkmalen in Betracht, die hinsichtlich ihrer Gewichtung sowie ihres Vergleiches mit den übrigen einschlägigen Kriterien die Auslösung einer vollen Haftung auf Schadensersatz rechtfertigen. Insgesamt lassen sich die von der Rechtsprechung bisher entwickelten Haftungsgesichtspunkte auf fünf verschiedene Anknüpfungsmerkmale reduzieren. Im Vordergrund steht zunächst das Merkmal einer Verdichtung von abgegebenen Beschaffenheitsangaben zur Zusicherung, da dieses Kriterium den Eintritt eines Verkaufsgespräches voraussetzt und damit der gesetzlichen Zusicherungskonzeption einer Verkäufergarantie gegenüber den übrig,en Kriterien noch am weitestgehenden nahekommt und infolgedessen als damit noch am ehesten vergleichbar erscheint. Dies gilt bereits schon nicht mehr für die weiteren der Rechtsprechung zu entnehmenden Haftungskriterien des Vorliegens eines Handelsbrauches (der Verkehrssitte, bestimmter Usancen etc.) oder desjenigen - ebenfalls im französischen Recht zu selbständiger Anerkennung gelangten228 - einer herausgehobenen Sachwalterstellung des Verkäufers. Hinzu kommen auch noch die damit in ihrer Gewichtung vergleichbaren Kriterien des besonderen Kaufvertragstypus (des Gattungs- einschließlich des kaufrechtlicher Regelung unterfallenden Werklieferungsvertrages) sowie des besonderen, vertraglich vereinbarten Verwendungszweckes der Kaufsache. Diese Kriterien, in denen die wesentlichen Haftungsgesichtspunkte zusammengefaßt sind, lassen sich als solche in einer schon vor Erlaß des BGB ergangenen und bis in unsere Zeit hinein kontinuierlich fortgesetzten Rechtsprechung Zllr Zusicherung auffinden. Dieser lagen dabei naturgemäß nur solche Fälle zugrunde, in denen keine ausdrückliche Zusicherung im Sinne einer Verkäufergarantie vorlag, da es andernfalls eines Rückgriffs auf jene zusätzlichen Haftungsgesichtspunkte gar nicht bedurft hätte. Da jedoch in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen das Vorliegen einer Zusicherung zwischen den Parteien streitig war, kam es in' ihnen stets entscheidend auf das Ergebnis einer entsprechend der oben229 wiedergegebenen herrschenden Umschreibung der Zusicherung erfolgten Auslegung des einzelnen Kaufvertrages und seiner Gesamtumstände an. Entscheidend war dabei jedoch jedesmal eine gewisse Vorüberlegung derzu entscheidenden Gerichte, daß es in den gegebenen Fällen als unbillig und nicht interessengerecht erscheint, den Käufer' damit abzuweisen, daß ihm schließlich keine ausdrückliche Zusicherung im Sinne einer strengen Verkäufergarantie erteilt worden sei. Jener erwies sich nämlich in den entschiedenen Fällen deshalb gegenüber dem Verkäufer als besonders 228 228

Vgl. den Hinweis oben, S. 45 f. m. Nw. Siehe oben, S. 31 (m. Nw. in Fn. 54 f.).

III. Kap.: Elemente. der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

77

schutzbedürftig230, weil ihre Sachverhalte so beschaffen waren, daß sie bei materieller Betrachtung eine Gleichstellung mit denjenigen einer ausdrücklichen Zusicherungserteilung durch den Verkäufer rechtfertigten. Diese in erster Linie der Erzielung einer gerechten Einzelfallentscheidung verpflichtete Handhabung der Zusicherung in der Rechtsprechung dürfte letztlich auCh die Befürwortung einer selbständigen Anerken~ nung der Haftungskriterien einer SachwaltersteHung des Verkäufers und eines besonderen Kaufvertragstypus nahelegen, zumal sich hieraus nur scheinbar eine Ausweitung der Zusicherungshaftung ergibt. Die Rechtsprechung erzielt nämlich in denjenigen Fällen, in denen diese Kriterien einschlägig wären, eine Haftung entweder unter dogmatisch nicht ganz überzeugenden Begründungen über andere Institute (pVV, Delikt)231 oder sie verneint in diesen Fällen zwar bislang noCh eine Haftung, wobei sich jedoch hiergegen sowohl unter rechtspolitischen als auch dogmatischen Gesichtspunkten Kritik anbringen ließe 232 • Daher läßt sich auch gegen eine zumindest zusätzliChe Berücksichtigung der objektiven Haftungskriterien auf der Voraussetzungsseite der Zusicherung nicht das Argument notwendig werdender umfangreicher Versicherungsmaßnahmen einwenden, deren Kosten von den Händlern zu einem erheblichen Teil wiederum auf die Verbraucher abgewälzt würden. Selbst wenn dies sogar der Fall wäre, darf das nicht die Wissenschaft von der Erfüllung ihrer primären Aufgabe abhalten, das Recht in der Weise aufzuarbeiten und zu durchdringen, daß es - unter Berücksichtigung der Risikoverteilung, aus der sich letztlich immer die Zurechnung einer Schadenstragungspflicht ergibt --'- für den Verkehr vorausberechenbar und unter systematischen Gesichtspunkten handhabbar wird. Die mit einem differenzierteren, auch objektive Vertragsumstände berücksichtigende Ansatz gewonnene Vergrößerung der Rechtsklarheit in bezug auf die bisherigen Unsicherheiten bei dem rechtlich je nach Vertrags-, Deliktsrecht oder pVV unterschiedlich gewährten Ersatz des positiven und negativen Interesses kann sich bei der Frage der yersicherungsrechtlichen Abdeckung der Schadensrisiken nur als hilfreich erweisen233 • 230 Vgl. hierzu oben, S. 31 f. (insbes. Fn. 60). 23i Siehe oben, S. 35 ff. im Hinblick auf BGHZ 66, 208 ff. und BGHZ 67, 360 ff.; sowie unten im 2. Teil, S. 210 f.; 211 ff. 232 Vgl. insoweit oben, S. 20 ff, (m. Nw. in Fn. 14); hinsichtlich der zahlreichen Beispiele dafür, daß oft allein Verjährungsüberlegungen für die jeweilige dögmatisch'e Einordnung entscheiden, sei hier nur auf das sog. "Hinterreifen-Utteil" (BGH NJW 78, 2241) und das "Spanplatten-Urteil" (II) (BGH NJW 80, 1950 m. krit. Anm. von Köhler, JuS 82, 13 ff.) verwiesen; näher dazu unten,.2: Teil,S; 206 ff.; Fn. 518. 233 Zu den· durch die Zusicherung aufgeworfenen versicherungsrechtlichen Fragen vgl. Prölss, VersR 67, 434 ff.; Hönig, VersR 70, 975.ff.; Diederichsen,

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

Bei der Anwendung dieser objektiv-rechtlichen Haftungskriterien im Rahmen der Feststellung einer Zusicherung handelt es sich in der Sache letztlich um nichts anderes als die Erzielung eines auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnittenen Ausgleichs zwischen den widerstreitenden Prinzipien der Rechtssicherheit einerseits sowie der Fallgerechtigkeit andererseits. Auch innerhalb dieser Abwägung kommt der dem einzelnen Kaufvertrage zugrunde liegende Lebenssachverhalt als gleichsam archimedischem Punkt234 nach wie vor entscheidende Bedeutung zu. Nur im Wege seiner exakten Erfassung und Durchdringung in tatsächlicher Hinsicht - nichts anderes beinhaltet ja schließlich auch die bislang von der Rechtsprechung praktizierte Auslegung bzw. Auswertung der besonderen einzelvertraglichen Umstände - kann eine Anwendung der objektiven Merkmale dazu beitragen, eine Grundlage möglichst gleicher Haftungsvoraussetzungen zu schaffen. Von dieser damit rein objektiven Basis aus ließe sich dann ein neutraler Vergleich der einzelnen Haftungsergebnisse ermöglichen, wobei hiermit zugleich das bisher vorhandene, aufgrund hin und wieder auftretender Auslegungsschwierigkeiten naturgemäß reduzierte Maß an Rechtssicherheit und Gleichheit der Rechtsanwendung236 vergrößert würde. Dies wird deutlich, wenn man die in einem anderen mit der Zusicherung vergleichbaren Rechtsbereich vollzogene Parallelentwicklung einbezieht. Auch im Internationalen Privatrecht, in dem das zwischen den Vertragsparteien maßgebende Recht entweder ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart werden kann, ist anerkannt, daß eine stillschweigende Abrede aus den besonderen Umständen des Einzelfalles oder aus typischen, in der Rechtsprechung anerkannten Umständen erschlossen werden kann. In bezug auf letztere, nämlich die stillschweigende, auch noch von einem realen Parteiwillen getragene Vereinbarung hat die Erfahrung hier gezeigt, daß eine scharfe Abgrenzung gegenüber einem hypothetischen, d. h. nicht vorhandenen und damit zu unterstellenden Parteiwillen praktisch kaum möglich sein wird, so daß die Regel "mangels realen Parteiwillens entscheidet der hypothetische" im Grunde genommen eine Generalklausel für objektive Interessenwertung beinhaltet238 • Der ursprüngliche Verlauf der Rechtsprechung, der von einer VersR 71, 1077 ff. (1092); Baumann, Festschrift f. K. Sieg (1976), S. 15 ff. (40 f.); Schlegelmilch, Absicherung, S. 44 ff., 75 ff.; Schmidt-Salzer, BB 72, 1430 ff.; Schmalzl, VersR 56, 270 ff.

234 Siehe Leser, Ein Beitrag Ernst Rabels zur Privatrechtsmethode, Festschr. f. E. v. Caemmerer (1978), S. 891 ff. (901). 235 Zu den teilweise bei nahezu identischen Sachverhalten in den Haftungsergebnissen weit divergierenden Entscheidungen vgl. nur die bereits oben in der Einführung (S. 23 f.) erwähnten Beispiele. 236 Vgl. Kegel, Internationales Privatrecht, § 18 I, 1 b, c; DöHe, Einleitung im Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, S. XXXV; v. Caemmerer, Die wesentliche Vertragsverletzung, GS 111 (1983), 67 ff. (73); aus der Rechtspre-

III. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

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Orientierung an dem zu ermittelnden stillschweigenden Parteiwillen gekennzeichnet ist und als Phase einer "individuaZisierend-interessengemäßen" Anknüpfung an den jeweiligen Einzelvertrag zusammengefaßt werden kann237 , findet demnach in der sich daran anschließenden Phase einer "typisierend-interessengemäßen" Anwendung objektiver Anknüpfungskriterien seine Fortsetzung. Dabei ließe sich letztere als Mittelweg charakterisieren, und zwar zwischen der einerseits möglichen, jedoch streng zu vermeidenden stark generalisierenden Anknüpfung an schlechthin jeden Vertrag sowie der andererseits bislang von der Rechtsprechung praktizierten elastisch-individualisierenden Ausdeutung des Einzelvertrageg238. Die diesem Weg einer "typisierend-interessengemäßen". Vertragsanknüpfung zugrundeliegenden Gedanken lassen sich auch auf den vorliegenden Bereich der Zusicherung übertragen. Auch hier lassen sich der Rechtsprechung in den Fällen, in denen kein ausdrücklicher Zusicherungswille im Sinne einer Verkäufergarantie festzustellen ist, aus haftungsbegrundenden objektiven Vertragsumständen Kriterien entnehmen, die für eine "typisierend-interessengemäße" Vertragsanknüpfung der Schadensersatzhaftung in Betracht kommen. Des weiteren gilt es auch hier, im Rahmen der Einbeziehung objektiver Kriterien streng darauf zu achten, daß jede schematisch-starre und g.eneralisierende Handhabung auf sämtliche Kaufverträge schlechthin vermieden wird, da dies zu einer ungerechtfertigten und daher auch unvertretbaren Ausdehnung der Schadensersatzhaftung führen könnte. Dieser - tatsächlich bestehenden und keinesfalls zu unterschätzenden - Gefahr ließe sich aber seitens der Rechtsprechung dadurch begegnen, daß man sich im Bereich derjenigen Fälle, in denen das Vorliegen einer Zusicherung von dem Ergebnis einer Vertragsauslegung abhängt, des Erfordernisses einer konkretisierenden Ausdeutung des jeweiligen Vertrages im Hinblick auf das in Frage stehende jeweilige Haftungskriterium (bzw. der danach zu stellenden Verhaltens anforderungen) bewußt bliebe. Da diese Schwierigkeiten aber auch schon innerhalb des herkömmlichen Weges der Ermittlung der Zusicherung anhand einer Vertragsauslegung bestehen, wäre über die zumindest ergänzende Berücksichtigung der objektiven Haftungskriterien mit Hilfe einer "typisierend-interessengemäßen" Vertragsanwendung der Schadensersatzhaftung der konkrete Vorteil verchung siehe BGHZ 44, 183 ff. (186); treffend in dieser Richtung schon die sprichwörtlich gewordene Maxime aus den Distichen "Zahme Xenien" (Goethe/Schiller): "Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihrs nicht aus, so legt was unter." - Zu der - infolgedessen sehr schwierigen - Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens vgl. Larenz, SchR AT, § 29 I (S. 528 ff. [533]); FZume, Allgemeiner Teil, 2. Bd., § 16, 4 (S. 321 ff.). 237 Siehe Kreuzer, Das internationale Privatrecht des Warenkaufs in der deutschen Rechtsprechung (Diss. 1964), S. 68 ff. (79 ff.). 238 Kreuzer, a.a.O. (vorherige Fn.), S. 84f.

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1. Teil: Theoretische Grundlagen

bunden, daß eine in größerem Maße als bisher gegebene Voraussehbarkeit und Kalkulierbarkeit der Haftung für die Vertragsparteien und damit für den Rechtsverkehr schlechthin erzielt würde. Für die Rechtsanwendung bedeutet die Zugrundelegung eines "typisierend-interessengemäßen" Ansatzpunktes zur Herleitung der Schadensersatzhaftung aus dem einzelnen Kaufvertrage konkret, daß man nicht mehr - wie noch im Rahmen der bisherigen Prüfung im Rahmen der Vertragsauslegung bzw. mit anderen Worten der "individualisierendinteressengemäßen" Anknüpfung an den Kaufvertrag - von dem einzelnen Vertrage selbst ausgeht und somit das jeweils einschlägige objektiv-rechtliche Merkmal stets neu im Wege der Abstraktion zur Begründung der Entschiedung eruieren muß, sondern vielmehr umgekehrt, daß man von dem Kreis der genannten Kriterien aus an den Einzelvertrag herantritt. Die Begründung der Schadensersatzhaftung geschieht dann über eine Konkretisierung des jeweils in Betracht kommenden Kriteriums anhand der Einzelfallumstände. Darin liegt nicht zuletzt eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit, durch die einige der heute noch anzutreffenden Unwägbarkeiten, die aus dem Verfahren der Vertragsaus'legung resultieren können, verringert und zudem vor allem die in der Rechtsanwendung auftretenden stark voneinander abweichenden Urteile in größerem Maße als bisher vermieden werden. Dieser Ansatz, der interessanterweise im Grunde genommen schon in der Entscheidungsbegründung des "Landstellen-Urteils" aus dem Jahre 1884 als Ausgangspunkt für eine "weite" Handhabung der Zusicherung herangezogen wurde239 , hält schließlich auch an den Vorzügen einer auf der Voraussetzungsebene der Schadensersatzpflicht tatbestandlich eingegrenzten Haftung, wie siE~ die §§ 463 S. 1, 480 II vorsehen, fest. Dies verdient neben den bereits genannten hinzukommenden Vorteilen einer größeren Flexibilität, Voraussehbarkeit und Kalkulierbarkeit der Haftung besondere Hervorhebung, weil eben nach wie vor grundsätzlich nicht jeder Verkäufer mit den gravierenden Folgen einer Schadensersatzpflicht zu rechnen braucht, sondern nur in denjenigen Fällen, in denen entweder ein ausdrücklicher Garantiewille seinerseits oder die genannten objektiv-rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Darin könnte letztlich auch im Rahmen einer fortentwickelteren, heutigen Bedürfnissen Rechnung tragenden Zusicherungshaftung eine Lösung zu sehen sein, durch die auf den Grundlagen der §§ 463 S. 1, 480 II und der dazu ergangenen Rechtsprechung aufbauend die Probleme der historisch auf 239 RG in Seuff. Arch., Bd. 40, Nr. 102 (S. 155 f.), urt. v. 5. Dezember 1884, in dem hier erstmals losgelöst von der Voraussetzung eines besonderen Verpflichtungswillens des Verkäufers zur übernahme einer Haftung eine solche über die Konkretisierung des Kriteriums der Verdichtung von Verkäufererklärungen oder Beschaffenheitsvereinbarungen zur Zusicherung erzielt wurde, siehe oben, S. 29 ff.

111. Kap.: Elemente der Zusicherung als objektive Garantiehaftung

81

anderen Ausgangsgrundlagen gewachsenen Wege des englischen Rechts sowie des sich weitgehend darauf stützenden Einheitlichen Kaufgesetzes vermieden werden. Beide Ordnungen lassen - wie oben bereits gezeigt wurde240 - zunächst gänzlich unabhängig von einzelnen - objektivenVertragsbesonderheiten und Umständen eine generelle und strikte Schadensersatzhaftung des Verkäufers aus Vertragsbruch innerhalb sämtlicher Kaufverträge zu, müssen dann aber Kriterien dafür entwickeln, um diese sehr weitreichende Haftung im nachhinein in bestimmten Fällen wiederum sachgerecht abmildern und begrenzen zu können.

24()

Siehe S. 48 ff.; 56 H.

6 Böckler

Zweiter Teil

Die kaufrechtliche Zusicherung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs I. Kapitel

Vorbemerkung zum Gegenstand und zur Methode der Darstellung Angesichts der großen praktischen Bedeutung des Kaufs und daher auch der Frage der gewährleistungsrechtlichen Schadenshaftung des Verkäufers für die Kaufsache ist es erstaunlich, daß die hierzu ergangene reichsgerichtliche Rechtsprechung in ihrer "Vorläuferrolle" für die Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs nahezu kaum beachtet wurde 241 • Hierin liegt nicht nur der Grund für die Tatsache mitunter weit voneinander abweichender Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sowie für die daraus resultierenden Unsicherheiten in der Anwendung der Zusicherungshaftung, sondern auch für die zur Überwindung dieser Schwierigkeiten in neuerer Zeit herausgearbeiteten Lösungsansätze, das Institut der Zusicherung auf einen einzigen Haftungsgrund zurückzuführen und damit durch eine einheitliche theoretische Begründung zu fundierenu2 . Durch letztere Versuche kann jedoch im Ergebnis jeweils 241 Eine Auswertung wurde bisher lediglich in der Dissertation von R. Küpper, Die Deutsche Rechtsprechung zur Frage der Zusicherung beim Kauf

(Diss. Remscheid 1933), vorgenommen; ihre Akzentuierung wurde jedoch unter der Orientierung an der seinerzeit maßgeblich von F. Haymann (RGFestgabe, Bd. H [1929], S. 317 ff.) vertretenen Auffassung eines rein objektiven Fehlerbegriffs sowie der - ebenfalls römisch-rechtlich überlieferten Lehre der Unterscheidung zwischen sog. assertorischen Behauptungen ("dicta") und Garantiestipulationen ("promissa") innerhalb der §§ 459 H, 463 S. 1, 480 H gesetzt und ist daher aufgrund der durch den subjektiven Fehlerbegriff ausgelösten Entwicklung einer Zusammenschmelzung der Haftungstatbestände der §§ 459 I 1 und 459 H, 463 S. 1, 480 H (vgl. näher oben, 1. Teil, S. 26 ff.; 62 ff. und unten, Fn. 257) heute weitgehend überholt. Die Dissertation von R. Baltes, § 463 in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (Köln 1939), enthält entgegen der Ankündigung ihres Titels keine Auswertung der Rechtsprechung. 242 Siehe oben, 1. Teil, S. 71 f. (m. w. Nw. dort in Fn. 211 f.).

I. Kap.: Vorbemerkung zur Darstellung

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nur ein Teilausschnitt der im Laufe der Zeit immer komplexer gewordenen Haftungskriterien sachgerecht erfaßt werden, so daß sie letztlich dem Stand der Zusicherungshaftung in den durch eine mehr als achtzigjährig,e Rechtsprechung erlangten Konturen kaum gerecht werden. Statt dessen erweist es sich daher als fruchtbarer, das zum Teil gänzlich unbeachtet gebliebene, überaus wertvolle Rechtsprechungsmaterial aus der Zeit von 1900 bis heute einmal aufzuarbeiten und zusammenzustellen. Dabei soll als wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit versucht werden, die jeweils entscheidungsbestimmenden objektiven Vertragsumstände und Haftungskriterien in den Vordergrund zu rücken und dabei die Entwicklung ihrer allmählichen Herauskristallisierung bis hin zu den frühesten Entstehungsansätzen zurückzuverfolgen. Insoweit mußte naturgemäß innerhalb des großen Entscheidungsmaterials eine Auswahl getroffen werden, die allein mit dem Ziel vorgenommen wurde, ein möglichst repräsentatives und aus sich selbst heraus überzeugendes Bild der Entscheidungspraxis wiederzugeben. Zunächst soll in Kapitel 11 derjenige Zweig der Judikatur dargestellt werden243 , in dem die "engen" Voraussetzungen der Zusicherung, wie sie heute noch weitgehend in der Lehre zugrunde gelegt werden24 \ erstmals entwickelt und später dann jeweils neu festgeschrieben wurden. Um die dieser Entscheidungslinie zugrundeliegenden, auch von bestimmten Strömungen innerhalb der Methodenlehre beeinflußten Tendenzen stärker hervortreten zu lassen, soll ihre Darstellung jeweils nach einzelnenexegetischen Perioden untergliedert werden. In Kapitel 111 wird sodann die schon zeitlich sehr früh, nämlich im gemeinen Recht und damit noch vor Inkrafttreten des BGB, einsetzende sog. "weite" Entscheidungslinie des Reichsgerichts nachgezeichnet24s • Ihre Darstellung ist auf wesentliche und daher ebenfalls exemplarische Urteile beschränkt, die im Wege einer - wenn auch verhältnismäßig grob gerasterten - Fallgruppenbildung systematisch erfaßt werden sollen. Dabei lag eine Zusammenfassung nach den drei ersten, praktisch bis heute grundlegend gebliebenen Haftungskriterien nahe, nämlich denjenigen einer Verdichtung von Beschaffenheitsangaben, des Handelsbrauchs (Verkehrssitte, Usancen etc.) sowie des besonderen vertraglichen Verwendungszweckes der Kaufsache. Vergleicht man diese Rechtsprechungslinie mit derjenigen der "engen" Entscheidungskette des Reichsgerichts, so wird deren vorwiegende Entstehungszeit in der frühen exegetischen Periode und daraus resultierend ihre von vornherein im Grunde genommen sehr begrenzte Gewichtung innerhalb der gesamten reichsgerichtlichen Zusicherungsrechtsprechung deutlich. 243

244 245

6'

Vgl. sogleich im Anschluß hieran S. 85-108. Vgl. oben, 1. Teil, S. 31 (Fn. 54). Siehe unten, S. 109-134.

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

Den Abschluß dieses Teils bildet schließlich in Kapitel IV die Darstellung und Zusammenfassung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 241 • Der Versuch ihrer Systematisierung im Wege einer Fallgruppenbildung läßt nun im Anschluß an die "weite" Linie der reichsgerichtlichen Judikatur eine weitere Verfeinerung im Hinblick auf die Haftungskriterien einer besonderen SachwaltersteIlung des Verkäufers sowie des individuellen Kaufvertragstypus (des Gattungskaufvertrages und des kaufrechtlicher Regelung unterfallenden Werklieferungsvertrages) zu, wobei sich eine Kontinuität zwischen Reichsgericht und Bundesgerichtshof auch im Hinblick auf diese Haftungsgesichtspunkte insoweit nachweisen läßt, als auch diese schon - wie zu zeigen sein wird - bereits vereinzelt ganz wesentlich in früheren Entscheidungen angelegt und vorgezeichnet warenZ47 •

Siehe i. e. unten, S. 135 ff. Zur allgemein-theoretischen Durchdringung der dabei zu beobachtenden Vorgänge der Präjudizien- bzw. Kriteriengewinnung im Wege deren langsamer, von Einzelfall zu Einzelfall allmählich fortschreitender Bewußtwerdung im Rahmen der Rechtsanwendungsprozesse sei nur (vgl. bereits oben, 1. Teil, S. 46 f. [Fn. 113]) auf die bislang unübertroffen gebliebenen Ausführungen J. Essers in "Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts" verwiesen (Erstauflage 1956; heute liegt eine 3. Aufl. vor [1979]), vgl. dort S. 39 ff. (53); siehe auch dens., Vorverständnis, S. 21 f., 142 ff., jeweils m. w.Nw.; von Interesse hierzu ist auch heute noch das Werk H. Isays, Rechtsnorm und Entscheidung (1929, Neudruck 1970), S. 15 ff., 20 ff., 169 ff. 248 247

II. Kapitel

Die "enge" Entscheidungslinie 1. Die Judikatur in der frühen exegetischen

Periode von 1900 bis 1910

a) Das "Mühlen-Urteil"248 als Ausgangspunkt und Leitentscheidung - Analyse der in ihm enthaltenen Festschreibung des Zusicherungstatbestandes in seiner für nahezu alle Entscheidungen der "engen" Linie exemplarischen Bedeutung -

aa) Sachverhalt und Entscheidungsgründe des "Mühlen-Urteils" Der Käufer hatte am 22. Oktober des Jahres 1900 eine Mühle gekauft und deren Auflassung erlangt. Einige Zeit später verlor er jedoch das Grundstück durch Zwangsversteigerung, bei der es der beklagte Verkäufer erstand. Daraufhin erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Begründung, die Mühle sei - statt wie vom Verkäufer angegeben in Höhe von 3000,- Reichsmark - in Wirklichkeit nur für 2100,- Reichsmark versichert gewesen. Das OLG Breslau als Berufungsgericht sprach ihm ein Rücktrittsrecht zu. Entscheidende Bedeutung kam dabei dem Umstand zu, daß aus der zugrunde gelegten Feuerversicherungssumme nach der Verkehrsauffassung Rückschlüsse auf den Wert eines Gebäudes möglich sind, weil deren Festsetzung notwendigerweise eine Wertschätzung durch Sachverständige vorausgehen muß. Werde demnach zugesichert, ein Gebäude sei in einer bestimmten Höhe versichert, so stünde dies der Zusicherung gleich, daß ihm damit laut Anerkennung von sachverständiger Stelle ein Wert entsprechend der nach der Versicherungssumme zu berechnenden Höhe zukomme. Obwohl das RG dem zwar grundsätzlich zustimmte, äußerte es dennoch Zweifel, ob auch die "tatsächlichen Feststellungen über die Gewährleistung in einer anderen, von der Revision nicht berührten Richtung" 248

RGZ 54, 219 ff., Urt. v. 1. April 1903.

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

bedenkenfrei seien. Unter Berufung auf frühere, nicht genannte Entscheidungen stellte es fest, daß nicht jede über einen Kaufgegenstand abgegebene Erklärung als Zusicherung in Betracht kommen könne. Eine solche läge vielmehr nur dann vor, wenn "die Erklärung vom Käufer als vertragsmäßige verlangt und vom Verkäufer in vertragsmäßig bindender Weise abgegeben wurde". Es bleibe daher zweifelhaft, ob das angefochtene Urteil "ausreichende Feststellungen" darüber enthalte, daß der beklagte Verkäufer die "bestrittene Erklärung über den Feuerversicherungsvertrag bewußt und gewollt als vertragsmäßige Zusicherung" habe abgeben wollen. Das RG konnte jedoch die hierin artikulierten Zweifel im Ergebnis auf sich beruhen lassen, weil das Urteil bereits wegen Verletzung der §§ 467 S. 1, 1. HS, 346 ff. aufgehoben werden mußte. Es war nämlich entgegen der Auffassung des OLG Breslau eine Unmöglichkeit i. S. d. §§ 353 I, 351 S.l, 3. Alt. zu bejahen, so daß zur Klärung der dadurch aufgeworfenen Frage zurückverwiesen werden mußte, ob den zurücktretenden Käufer ein "Verschulden" an der Unmöglichkeit der Rückgabe traf und somit letztlich an der Zwangsversteigeruhg selbst, oder ob gegebenenfalls aufgrund besonderer Einzelfallumstände in der Sphäre des beklagten Verkäufers die eingetretene Unmöglichkeit nach § 242 unberücksichtigt bleiben mußte. bb) Analyse der Entscheidungsbegründung und der Gründe für die breite Rezeption des "Mühlen-Urteils"2" innerhalb der "engen" Entscheidungslinie des Reichsgerichts zur Zusicherung Dem "Mühlen-Urteil" soll deswegen an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit zuteil werden, weil gerade seine Entscheidungsbegründung zur Ablehnung einer kaufrechtlichen Zusicherung in fast jedem Urteil der "restriktiven Linie" wörtlich oder doch zumindest der Sache nach herangezogen wurde und es im Schrifttum der zwanziger Jahre bis hin zu demjenigen unserer Zeit als grundlegende Umschreibung des Zusicherungstatbestandes einen unangefochtenen Platz zu wahren vermochte 250 • Sein Begründungszusammenhang im Hinblick auf die Verneinung einer Zusicherung, der auf einem Zusammenwirken vielfältiger, sogleich aufzuzeigender dogmatischer Voraussetzungen gegründet ist, beruht zum einen auf der Festschreibung der Natur der Zusicherung als eines vertragsmäßigen Gewährleistungsversprechens. Eine Erklärung soll vom RGZ 54, 219 ff. Vgl. v. StaudingerlHonsell, § 459, Rdnr. 60; MK-Westermann, § 459, Rdnr. 52; siehe auch schon oben im 1. Teil, S. 31 (Fn. 54 f.); Küpper, Die Deutsche Rechtsprechung, S. 3, sprach von einer Entscheidung "für Handel und Wandel von ungewöhnlicher Tragweite". 241 250

H. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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Käufer als vertragsmäßige verlangt und dementsprechend vom Verkäufer in einer vertragsmäßig bindenden Weise abgegeben werden. Dieses Erfordernis ist insofern zutreffend, als dadurch sichergestellt wird, daß einseitig seitens des Käufers abgegebene Erklärungen, beispielsweise im Hinblick auf die Voraussetzung bestimmter Eigenschaften der Kaufsache, nicht hinreichend sind251 , sofern nicht der Verkäufer darauf sein Einverständnis zu erkennen gibt, auch für jene Eigenschaften umfassend einstehen zu wollen. Der Schwerpunkt der gesamten Entscheidung, in dem auch ihre außerordentliche Bedeutung für das Zusicherungsrecht begründet liegt, ist darin zu sehen, daß sich hierin für das Gericht zugleich auch der Sinn des Erfordernisses eines vertragsmäßigen Gewährleistungsversprechens erschöpft. Die sich hieran nämlich eigentlich anknüpfende - und aus unserer heutigen Sicht für die Fortentwicklung der Zusicherungshaftung durch einen Zugriff auf objektive Vertragsmerkmale grundlegende - Frage, ob eine Zusicherung des Gebäudewertes über die Feuerversicherungssumme auch "stillschweigend" hätte erfolgen können, wird gar nicht erst aufgeworfen, sondern vielmehr von vornherein durch die daran unmittelbar angeschlossene Feststellung verneint, die Beklagte müsse die "bestrittene Erklärung über den Feuerversicherungsbetrag bewußt und gewollt als vertragsmäßige Zusicherung abgegeben" haben. Obgleich diese Feststellung als logisch zwingende Ableitung aus dem Vertragsmäßigkeitserfordernis suggeriert wurde, sollte ihr auf der anderen Seite für die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts erklärtermaßen nur die Bedeutung eines geäußerten Zweifels zukommen. Ungeachtet dessen diente sie in den späteren Urteilen der restriktiven Zusichrungspraxis generell nur als Begründung dazu, aus welchen überlegungen auch immer die Möglichkeit der Annahme einer "stillschweigenden Zusicherung" ablehnen zu können. Es verdient daher besonders hervorgehoben zu werden, daß es sich bei der Feststellung des RG keineswegs um eine logisch zwingende Ableitung handelte. Denkbar wäre es nämlich auch gewesen, den genau umgekehrten Schluß aus dem Vertragsmäßigkeitserfordernis abzuleiten. Gerade die Notwendigkeit eines Begründungsnachweises, ob im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände eine Aufnahme der Schadensersatzpflichtigkeit des Verkäufers in den Vertragsinhalt stattgefunden hat, entwertet das beachtliche, schon früh gegen die Annahme der Möglichkeit "stillschweigender Zusiche251 Namhafte Vertreter, wie beispielsweise Hanausek, Haftung des Verkäufers, Bd. I (1883), S. 76; v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. H (1914), S. 635 f. (Fn. 185) einschließlich der Gesetzeskommissionen wollten bekanntlich auch einseitige - sofern nur "ernstlich" abgegebene - Äußerungen als Zusicherung gelten lassen, dem jedoch von der später herrschend gewordenen Auffassung nicht gefolgt wurde, siehe m. umfangr. Nw. Knöpfle, AcP 180 (1980), 462 ff.

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

rungen" vorgebrachte Argument, auf diesem Wege könnte schließlich jede wesentliche Eigenschaft, die nach dem Verkehr einer Sache regelmäßig zukommt, als Zusicherung betrachtet werden252 • Betrachtet man die Entscheidungsbegründung des Gerichtes näher, so fragt man sich, warum es zunächst den Ausführungen des Berufungsgerichtes grundsätzlich zustimmte, dann jedoch die oben dargestellte Voraussetzung eines ausdrücklichen Verpflichtungswillens aufstellte, derzufolge eine Zusicherung nur äußerst selten, keinesfalls aber im vorliegenden Falle angenommen werden konnte. Danach hat es wiederum diese Festschreibung der Zusicherung relativiert, indem sie als die Geltendmachung bloßer "Zweifel" an der Entscheidung des Berufungsgerichts deklariert wurde. Versucht man dieses Vorgehen zu bewerten, so fällt auf, daß das Gericht den Käufer zumindest auf das Anspruchsziel der Wandlung hin für "schutzbedürftig" gehalten haben muß, da es sonst kaum - wenn auch nur am Rande - den Ausführungen des Berufungsgerichts im grundsätzlichen zugestimmt hätte. Die eigentliche Frage stellt sich insoweit dahin, warum es im Anschluß an diese Feststellung eine "Kehrtwende" vornahm und vorgab, aus dem aufgestellten "Vertragsmäßigkeitserfordernis" die Notwendigkeit weiterer tatsächlicher Feststellungen im Hinblick auf die Kundgabe eines positiven Willens ableiten zu müssen. Die Beantwortung dieser Frage führt zu der auch heute noch nicht gelösten kaufrechtlichen Grundfrage nach den Kriterien für die Abgrenzung zwischen bloßen "Fehlern" (§ 459 I 1) einerseits und vertraglicher Zusicherung (§§ 459 II, 463 S. 1, 480 II) andererseits. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, daß der dogmatische Hintergrund für die Argumentation des Gerichts in der Zugrundelegung eines rein objektiv verstandenen Fehlerbegriffes besteht253 • Danach war hier ein "Fehler" zu verneinen, da mit der fehlerhaften Angabe der Versicherungssumme noch keine Abweichung der Mühle von ihrer objektiv zu bestimmenden Normalbeschaffenheit gegeben war. Es ging hier vielmehr um die Frage der Zusicherung eines individuellen Wertes aus besonderen, der Bemessung der konkreten Feuerversicherungssumme zugrunde liegenden Verkehrsumständen, woraus allenfalls unter Zugrundelegung eines "subjektiven Fehlerbegriffs" eine Zusicherung hätte angenommen werden können. Von dem "objektiven Fehlerverständnis" aus lag es für das Gericht nahe, die Grenzen der Zusicherung auch für § 459 II möglichst eng zu ziehen, damit diese ihren von dort aus zugewiesenen Sinn, dem Verkäufer die außerhalb des von § 459 I abgedeckten Risikobereichs der "normalen Artbeschaffenheit" liegenden zusätzlichen weiteren, mit der 25Z

So Emerich, Kauf- und Werklieferungsvertrag nach dem BGB (1899),

253

Vgl. hierzu oben, 1. Teil, S. 62 ff.

S.61.

II. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

89

Kaufsache verbundenen Risiken aufgrund einer bewußten Übernahme möglichst eindeutig zuzuordnen, auch zu erfüllen vermag 254 • Eine Erweiterung ihrer begrifflichen Grenzen durch die Zulassung "stillschweigender Zusicherungen" hätte hier die Bedenken hervorgerufen, daß damit letztlich auf dem Umweg über § 459 II die "engen" objektiv-fehlerbegrifflichen Konturen des § 459 I 1 verwässert und ihm diese schließlich sogar entzogen worden wären. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Gericht den Käufer im vorliegenden Falle für durchaus "schutzbedürftig" hielt und daher diese Bedenken durchaus beiseite geschoben hätte, wenn nicht noch gravierendere zu beachten gewesen wären. Diese hängen ebenfalls sehr eng mit der objektiven Fehlerkonzeption zusammen und kreisen um die - wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen innerhalb der §§ 459, 463 S. 1, 480 II - bedeutsame und bisher noch nicht befriedigend gelöste Frage des Kaufrechts nach den Abgrenzungskriterien zwischen bloßen vertraglich vorausgesetzten Eigenschaften und dem Fehlen "zugesicherter Eigenschaften,ms. Für die Rechtsprechung ergeben sich aus dieser Trennung Schwierigkeiten, für die das "Mühlen-Urteil" einen besonders anschaulichen Grundfall bildet, obgleich man gerade hier einer Lösung zu ihrer überwindung bewußt aus dem Wege ging. Die hinter der Abgrenzung stehende Sachfrage wurde von Ostler251 allgemein dahingehend beschrieben, daß man einerseits - wie es auch das RG im "Mühlen-Urteil" tat - einen verschiedenen Sinn des Wortes "Zusicherung" in § 459 I 1 und § 459 II, § 463 S. 1, § 480 II ablehnt 257 , sich andererseits aber zum notwendigen Schutz des Käufers veranlaßt sieht, das Feld vertraglicher Zusicherungen nicht zu sehr einzuengen. Damit würde man aber andererseits möglicherweise in bestimmten Fällen zur Anerkennung von Schadensersatzansprüchen auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gedrängt, in denen dies kaum berechtigt erschiene. Vgl. oben, 1. Teil, S. 62 ff. Dazu näher oben, 1. Teil, S. 62 ff. (66 ff.). 256 v. StaudingerlOstler, § 459, Rdnr. 47. 257 Zu der aus dem römischen Recht stammenden Lehre der Differenzierung zwischen bloßem "dicta" einerseits und den "promissa" als eigentlich von den §§ 463 S.I, 480 II erfaßten Garantieversprechen andererseits vgl. grundlegend: Haymann, RG-Festgabe, Bd. II (1929), S. 317 ff.; im Anschluß hieran Küpper, Die deutsche Rechtsprechung (Diss. 1933), S. 4 f., 27 ff.; vgl. auch Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf (1948), S. 76 ff.; Bichlmeier, Zusicherung und Vertrauen (Diss. 1978), S. 18 ff.; neuerdings wieder aufgegriffen von Knöpfle, Der Begriff des Fehlers i. S. d. § 459 I BGB (AcP 180 [1980], 462 ff. [503]), der zwischen einer "einfachen Vereinbarung" gern. § 459 11, einer "einfachen Zusicherung" nach § 459 II und der "qualifizierten Zusicherung" gern. § 463 S. 1 unterscheidet. Damit bleibt aber die eigentliche Frage der Abgrenzungskriterien, nach denen die Subsumtion unter diese begriffliche Aufspaltung vorgenommen werden soll, nach wie vor offen und der Rechtsprechung zur Lösung aufgegeben, so daß sich diese Differenzierung als wenig praktikabel erweisen dürfte. 254

255

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

Hierin liegt die eigentliche rechtliche Problematik des "MühlenUrteils", mit der sich das Reichsgericht zum ersten Mal konfrontiert sah. Damals war unser gesamtes bis heute entwickeltes Instrumentarium an objektiven Haftungskriterien einschließlich desjenigen der besonderen Verdichtung einer Erklärung zur Zusicherung, das auch hier unter Umständen - etwa bei einem unterbliebenen Weiterverkauf der Mühle in Gestalt des entgangenen Gewinns - eine volle Schadloshaltung des Käufers gerechtfertigt hätte, noch gänzlich unentwickelt und damit für das Gericht nicht verfügbar. Es mußte daher im vorliegenden Falle nach einem Ausweg suchen, der es zum einen ermöglicht, daß in Fällen wie dem vorliegenden der für ungel'echtfertigt gehaltene Schadensersatzanspruch auf das Erfüllungsinteresse grundsätzlich abgeschnitten ist, der aber zum anderen den im Hinblick auf das Anspruchsziel der Wandlung im vorliegenden Falle für berechtigt gehaltenen Schutz des Käufers nicht tangiert. Ein Ausweg, um diese Frage im vorliegenden Falle offen lassen zu können, bot sich dem Gericht aufgrund der Besonderheit des Sachverhaltes, daß - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nach Ausübung des Rücktrittsrechts eine Unmöglichkeit i. S. d. § 353 S. 1, 3. Alt. seitens des Käufers dadurch eingetreten war, daß sich die Mühle aufgrund der stattgefundenen Zwangsversteigerung wieder in den Händen des Verkäufers befand und daher nicht mehr von dem Käufer an diesen herausgegeben werden konnt~68. Das RG hatte infolgedessen der Revision stattzugeben und die Entscheidung zur Klärung der Frage des "Verschuldens" gemäß § 353 S.l an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Erneut zu überprüfen war damit die mit dem Begriff des "Verschuldens" in § 351 S.l verbundene Rechtsfrage259 , wer die Auswirkungen und damit das Risiko der vor der Begründung des zwischen Käufer und Verkäufer bestehenden Rückgewährsschuldverhältnisses eingetretenen Zwangsversteigerung tragen soll. In Betracht kommt grundsätzlich der Käufer, wenn die Gründe für den Eintritt der Zwangsversteigerung allein seiner Sphäre entstammen. Dies war allerdings im vorliegenden Falle fraglich. Es mußte daher zu der erneuten Überprüfung zurückverwiesen werden, ob gegebenenfalls aufgrund besonderer über § 242 zu berücksichtigender Einzelfallumstände - etwa ein bewußt schädigendes und daher durch das Recht zu mißbilligendes Verhalten des Verkäufers - der Eintritt der Unmöglichkeit gegebenen258 Zwar erörterte das Gericht (RGZ 54, 219 ff. [224 ff.]) auch die Möglichkeit eines gegebenenfalls mit großen Opfern verbundenen Rückerwerbs der Sache, hielt dann jedoch wegen des Gedankens der Unzumutbarkeit eines solchen Ansinnens für den Käufer die Annahme einer Unmöglichkeit für gerechtfertigt. 259 Dazu Leser, Rücktritt, S. 179 ff. (186 ff.) m. w. Nw.; v. Staudingerl Kaduk, § 351, Rdnr. 9 m. Nw.; JauerniglVollkommer, § 351, 2 c, aa).

11. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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falls außer Betrachtung zu bleiben hatte und damit die "normale" Risikenzuordnung außer Kraft zu setzen war. Die auf den ersten Blick als widersprüchlich erscheinende Urteilsargumentation wird hun verständlich, denn das Gericht hat im Hinblick auf diese wenig wahrscheinliche Möglichkeit seine Ausführung zur Zusicherung durch die Kenntlichmachung als bloße "Zweifel" relativiert. Es wollte damit dem Berufungsgericht mit Blick auf das Ergebnis dessen tatsächlicher überprüfung dieser Frage den Weg zu einer rein ergebnisorientierten Begründung der Fehlereigenschaft offenhalten, und zwar je nachdem, ob aufgrund der Nachprüfung in tatsächlicher Hinsicht dem Käufer das Rücktrittsrecht erhalten blieb oder nicht. Insoweit erweist sich daher die strenge, vermeintlich aus dem Gesetzeswortlaut hergeleitete Umschreibung des Zusicherungstatbestandes als eine Scheinbegründung, da es sich bei ihr um einen bloßen Vorwand für eine aus gänzlich anderen Gründen getroffene Entscheidungsbegründung handeW60. Mit dem hierin hervortretenden Auseinanderfallen zwischen Problemlösung einerseits und Entscheidungsbegründung andererseits im "Mühlen-Urteil" dürfte dessen Versuch einer Festschreibung der Zusicherung, so sehr er sich auch in der Literatur durchzusetzen vermochte, erheblich entwertet werden. Hinzu kommt schließlich auch noch der wesentliche weitere Gesichtspunkt, daß die Argumentation des Reichsgerichts in dieser Entscheidung auf einem heute überwundenen und kaum mehr überzeugenden positivistischen Rechtsverständnis beruht. Sofern das Gericht in seinen Ausführungen hämlich bezweifelte, ob die Vorinstanz auch "ausreichende Feststellungen" darüber getroffen hatte, daß die bestrittene Erklärung "bewußt und gewollt als vertragsmäßige Zusicherung" abgegeben wurde, argumentierte es ganz ausschließlich auf der Grundannahme des seinerzeit herrschenden naturwissenschaftlich-positivistischen Wissenschaftsdogmas 261 , demzufolge der Charakter einer "wahren" Wissenschaft in ihrer Gründung auf "unbezweüelbare" Fakten gesehen wurde. Als solche kamen sowohl Tatsachen aus der durch die Sinneswahrnehmung zugänglichen "Außenwelt" in Betracht als auch solche der seelischen "Innenwelt". Für beide, also auch für den Verpflichtungswillen des Verkäufers als einer psychischen Tatsache, sollte nun ein und dasselbe Kausalgesetz Geltung besitzen. Aus dieser Prämisse der Gleichstellung 160 Vgl. zur "Begründung" und der an sie zu stellenden Anforderungen allgemein Horak, Zur rechtstheoretischen Problematik der Begründung, in: Sprung/König, Die Entscheidungsbegründung, S. 1 ff. (2 f., 22 f. m. w. Nw.); Sachsse, Kausalität - Gesetzlichkeit - Wahrscheinlichkeit, S. 153 ff.; Brecher, Festschr. f. Nikisch (1958), S. 227 ff. (231). 261 Vgl. Coing, Grundzüge, Kap. I (VIII), S. 58 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 40 f.; zu den verschiedenen Spielarten und Richtungen innerhalb des Positivismus ausführlich: Henkel, Rechtsphilosophie, § 34, S. 379 ff.

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

des Wissens sowohl in seiner ursächlichen Bezogenheit als auch in seiner Determiniertheit mit den Naturvorgängen ließ sich dann als logische Konsequenz ableiten, daß er auch in gleichem Maße wie die durch Sinneswahrnehmung zugänglichen Tatsachen empirisch exakt feststellbar sein mußte. Auf diesem Hintergrund argumentiert das RG, indem es bei der Begründung des oben genannten Feststellungserfordernisses unausgesprochen davon ausging, daß zwischen einer rechtlichen Wertung einerseits und den tatsächlichen Feststellungen bei der Ermittlung des Willens als einer psychischen Tatsache andererseits eine grundsätzliche Trennung durchführbar sei. Demgegenüber kann man sich heute der Erkenntnis nicht mehr verschließen, daß jede Wirklichkeitsbetrachtung zugleich wertende Elemente in sich schließt und die Grenze zwischen Tatsachenfeststellung und Tatsachenbewertung fließende übergänge aufweist. Genau besehen enthält bereits jede einfache Sinneswahrnehmung ein Ordnen und Werten und vollzieht sich damit notwendigerweise unter Mitwirkung von Urteilen, die wiederum stets auch eine Tatsachenbewertung enthalten 262 • Infolgedessen hat auch im Bereich der Auslegungslehre die schon bald nach Inkrafttreten des Gesetzbuches notwendig gewordene Ergänzung des § 133 durch § 157 deutlich werden lassen, daß selbst im Falle der Abgabe einer Erklärung eine am Individualwillen orientierte Auslegung nie allein eine Tatsachenfeststellung sein kann, sondern schon aufgrund ihrer Mitteilung über die Sache zugleich immer auch eine "verständige Würdigung" beinhaltet263 • Handelt es sich dann um den in der Praxis häufig auftretenden Fall des Vorliegens eines bloßen tatsächlichen Verhaltens, so erwies es sich schon sehr früh als ein nur sehr kleiner Schritt hin zu der Erkenntnis, daß zwischen der rechtlichen Bewertung dieses Verhaltens aufgrund der Ermittlung eines mutmaßlichen Willens und der Deutung einer abgegebenen Erklärung kein grundsätzlicher Unterschied und keine scharfe Grenze besteht. Mag diese erkenntnistheoretische Kritik der tragenden Urteilsgründe zur Zusicherung an dieser Stelle nur sehr oberflächlich skizziert worden sein, so macht sie doch die Fragwürdigkeit ihrer Prämissen einmal mehr deutlich, so daß das "Mühlen-Urteil" als Grundlagenentscheidung zur Zusicherung heute nicht mehr zu überzeugen vermag.

262 Instruktiv E. Schwinge, Grundfragen des Revisionsrechts, § 5 In, S. 53 ff. (55) m. Nw.; ähnlich auch Hruschka, Die Konstitution des Rechtsfalles, S. 20 f.; Gröschner, JZ 82, 622 ff. (624 f.). 263 Näher Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, S. 283 ff.; 309 ff.; vgl.

auch oben Fn. 217.

11. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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cc) Vergleich des "Mühlen-Urteils"264 mit dem "Grundstiickslageplan-U rteil "26~ Angesichts der bereits mehrfach hervorgehobenen Tatsache, daß das "Mühlen-Urteil" auch heute noch die am häufigsten zur Umschreibung der Zusicherung herangezogene Leitentscheidung darstellt286 , muß die - wenn auch sehr knappe - Begründung des im Schrifttum nahezu unbekannt gebliebenen "Grundstückslageplan-Urteils"261 überraschen, weil darin sogar ein knappes Jahr vorher bereits ausdrücklich für eine "weite" Handhabung der Zusicherung Raum gelassen wurde. Zwar wird auch in dieser Entscheidung, deren Sachverhalt nicht näher mitgeteilt wurde, von der Prämisse positiv feststellbarer Willensäußerungen aus argumentiert, der Käufer müsse in erkennbarer Weise seinen Kaufwillen von dem Vorhandensein bestimmter Eigenschaften der Kaufsache abhängig machen, der Verkäufer dagegen seinen Willen zu erkennen geben, dafür einstehen zu wollen. Diese Feststellung wurde jedoch wohl nur deswegen getroffen, um klarzustellen, daß nicht aus jeder übereinstimmenden Beimessung bestimmter Eigenschaften der Kaufsache durch die Vertragsparteien eine vertragsmäßige Zusicherung entnommen werden kann. Im Unterschied zum "Mühlen-Urteil" wird dann nämlich in den weiteren Entscheidungsgründen darauf verzichtet, in die Umschreibung der Zusicherung mit hineinzunehmen, woraus die fraglichen Willensäußerungen genau festzustellen sind288 . Im Gegenteil wurde hier sogar zum ersten Mal die Möglichkeit eingeräumt, daß z. B. beim Bestehen einer Verkehrssitte nach §§ 157, 242 "in der Zugrundelegung von Lageplänen die Zusicherung einer bestimmten reinen Baulandfläche des verkauften Grundstückes gefunden werden könne"269. RGZ 54, 219 ff. RG in DJZ 03, 31, Nr. 4, Urt. v. 25. Oktober 1902. 266 Siehe die Nw. oben, 1. Teil, S. 31 (Fn. 54 f.). 281 RG in DJZ 03, 31, Nr. 4. 268 Bezeichnenderweise fand das "Grundstückslageplan-Urteil" (a.a.O., Fn. 265» mit seiner Festschreibung des Willensmomentes als Anforderung an die Vertragsmäßigkeit auch nur ein einziges Mal Aufnahme in eine Entscheidung zum Tierhandel (OLG Frankfurt in OLGR 9, 1 f. [2], Urt. v. 28. Januar 1904), wobei der Käufer hier ja in der Regel aufgrund der für ihn kaum erkennbaren Tiereigenschaften nach der Verkehssitte in besonderem Maße schutzbedürftig ist; da es aber in dieser Entscheidung um die Frage der Zusicherung einer Altersangabe bei Pferden ging, dürfte eine Haftung hier aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten bei der genauen Altersfixierung von Pferden im Ergebnis wohl zu Recht abgelehnt worden sein. 289 Wie vorsichtig freilich das Gericht bei diesem ersten Schritt auf ein objektives Kriterium - die Verkehrssitte - noch argumentierte, verdeutlicht die hinzugefügte subjektive Einschränkung, für diesen Fall müsse bewiesen werden, daß eine dahingehende Verkehrssitte bestehe und diese dem Verkäufer bekannt war; darüber hinaus könnten auch nur solche Lagepläne in Betracht gezogen werden, die nachweislich dieser Verkehrssitte entsprächen. 264

28~

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

Wurde auch im Ergebnis dieser Entscheidung eine Zusicherung verneint, so hat sie doch wohl unter anderem270 einen wichtigen Grundstein zum Heranwachsen der Erkenntnis gelegt, daß aus der gesamten Sachlage, insbesondere den einzelnen Umständen, unter denen sich die Parteien gegenübertreten, der Verkehrs anschauung und damit letztlich den gesamten objektiven Strukturelementen des einzelnen - die kaufvertragliche Obligation letztlich prägenden - Vertragsverhältnisses sich ergeben kann, daß die Parteien eine nähere Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft für so selbstverständlich halten, daß sie von einer ausdrücklichen Einräumung Abstand nehmen271 • Damit aber war der Weg zu einer düferenzierten kaufvertraglichen Schadenshaftung in der Grundvorstellung vorgezeichnet. Dies erklärt sogleich, warum das "Grundstückslageplan-Urteil" für die Praxis der restriktiven Handhabung der Zusicherung im Gegensatz zu dem "Mühlen-Urteil" keine Bedeutung zu erlangen vermochte. Letzteres erwies sich dagegen mit seiner jegliche Möglichkeit "stillschweigender Zusicherungen" in Frage stellenden Entscheidungsbegründung als geradezu prädestinierte Grundlage, das schon frühe Vordringen objektiver Haftungstendenzen in der Judikatur der Berufungsgerichte zurückzudrängen zugunsten einer mehr subsumtiven, d. h. ausschließlich an der Voraussetzung des Garantiewillens des Verkäufers ausgerichteten vorgeblichen Gesetzesanwendung. Hierin liegt neben den anderen, im vorhergehenden dargestellten Ursachen ein weiterer entscheidender Grund dafür, daß es beispielsweise im Gegensatz zu dem "Grundstückslageplan-Urteil" einen so großen Einfluß auf die gesamte "enge" Entscheidungslinie g,ewinnen konnte. b) Das "Hypotheken-Urteil"272: Die Auswirkung des positivistischen Dogmas der Irrationalität von Werturteilen auf die Zusicberungshaftung Schon sieben Monate nach Ergehen des "Mühlen-Urteils" führte dieses erstmals zu einer Fehlentscheidung, indem es dem RG in seinem sog. 270 Für die Anerkennung "stillschweigender Zusicherungen" hatte sich im selben Jahr der Urteilsveröffentlichung Schloßmann, Irrtum, S.53, ausgesprochen; schon vorher Kuhlenbeck, Von den Pandekten zum BGB (1898), S. 255; Lenel, AcP 79 (1892), 103 f. 271 Beispielsweise in den Fällen, in denen bereits die Bezeichnung des Kaufgegenstandes auf eine bestimmte konkrete Eigenschaft hinweist, siehe unten (S. 99) das "Saatlupinen-Urteil" (OLRG 16, 402), wo die Bezeichnung "Saat"-Lupinen auf die Eigenschaft der Keimfähigkeit hinweist. Hier entfällt aber keineswegs für eine Schadenshaftung das Erfordernis weiterer Kriterien. Mit Recht wies schon StaublKoenige, HGB, Anm. 41 a zu § 377 bezüglich ähnlicher Fälle darauf hin, daß hier die Zusicherung aus dem Handelsbrauch - also einem objektiven Kriterium - herzuleiten sei. 272 Gruchot 48, 340 ff., urt. v. 25. November 1903.

11. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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"Hypotheken-Urteil"273 als Stütze dafür diente, ein Urteil des sächsischen OLG zu Dresden aufzuheben und zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Der beklagte Käufer hatte im Januar 1901 von dem beklagten Verkäufer ein in Dresden gelegenes Grundstück gekauft und war aufgrund erteilter Auflassung als dessen Eigentümer eingetragen worden. Auf den Kaufpreis gab er drei Hypotheken an drei anderen, ihm gehörenden Grundstücken von zusammen 16000,- M in Zahlung, über die sein Bevollmächtigter während der Kaufgespräche die Äußerung tat, sie "seien gut". Bei der kurze Zeit später erfolgten Zwangsversteigerung in diese Grundstücke fielen jedoch sämtliche Hypotheken aus. Der Verkäufer nahm deshalb den Käufer u. a. aus abgegebener Zusicherung in Höhe der 16 000,- M in Anspruch. Das RG befand - ebenso wie vorher schon das OLG Dresden - die fragliche Erklärung als hinreichenden Ausdruck dafür, daß die Hypotheken den Wert des belasteten Grundstücks abdeckten. Es rügte indessen das Unterbleiben einer dahingehenden überprüfung, ob sie auch eine Garantieübernahme enthielt. Mit der bloßen Feststellung, sie enthalte "allemal" die Zusicherung einer Eigenschaft, habe das OLG den im "Mühlen-Urteil" erläuterten Begriff der Zusicherung verkannt274 • Ferner kritisierte das RG 275 auch die Würdigung der Gesamtumstände des Falles als fehlerhaft. Wenn das OLG eine Zusicherung aus der überlegung heraus begründet hatte, der Kläger habe eigene Nachforschungen hinsichtlich der Güte der Hypotheken angestellt und die Parteien hielten es nicht einmal für nötig, eine auf die Zusage hindeutende Erklärung in den schriftlichen Vertrag aufzunehmen, so hätten diese Umstände durchaus auch im gegenteiligen Sinne gewürdigt werden können. Als entscheidenden Grund für die Ablehnung einer Zusicherung führte das Gericht an, die fragliche Grundstückseigenschaft, die darauf lastenden Hypotheken deckten den Verkehrswert ab, beruhe auf der Wertschätzung des Grundstücks selbst und sei damit von einem weitgehend dem subjektiven Ermessen anheimgestellten Faktor abhängig. Folglich wurde eine Zusicherung vom RG abgelehnt, so daß der Kläger mangels Arglist des Käufers leer ausging. Soweit das Urteil in seiner tragenden Begründung auf das "MühlenUrteil" Bezug nimmt, vermag es nach dem im vorstehenden hierzu Angemerkten nicht zu überzeugen. Aber auch die weitere Begründung, dem subjektiven Ermessen anheimgestellte Bemessungsfaktoren könnten nur in den sehr engen, im "Mühlen-Urteil" gezogenen Grenzen den Gegenstand einer zusicherungsfähigen Eigenschaft bilden, erweist sich 273 a.a.O. (vorherige Fn.). 274 RG Gruchot 48, 340 ff. (342 f.). 275 RG Gruchot 48, 340 ff. (343 f.).

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

als zweifelhaft, wenn man bedenkt, daß auch sie letztlich im Positivismus verankert ist. Aus dem Grundansatz des positivistischen Dogmas folgt nämlich, daß Werturteile, wie sie Angaben zur Wertschätzung von Grundstücken enthalten, grundsätzlich irrationaler Natur seien und damit außerhalb normaler Erkenntnismöglichkeit lägen276 • Berücksichtigt man demgegenüber, daß für die Feststellung und Auslegung einer in Werturteilen gründenden Erklärung dieselben Maßstäbe gelten wie für sonstige Mitteilungen, so entfällt auch der vom RG genannte Grund dafür, im vorliegenden Falle die strengen Zusicherungsanforderungen des "Mühlen-Urteils" zugrundelegen zu müssen. Mit der überwindung der positivistischen Lehre entfällt zugleich auch die daraus abgeleitete Konsequenz, für solche Angaben, die - wie es das RG formulierte - auf einem nur "dem subjektiven Ermessen zugänglichen Faktor" beruhen, besondere Erkenntnisvoraussetzungen zu fordern. Sie sind demnach auch "stillschweigend" zusicherungsfähig, so daß die in vorliegendem Urteil seitens des RG gezogenen Konsequenzen heute gegenstandslos geworden sind. Hinzu kommt schließlich auch noch, daß zur Ermittlung von Werturteilen im Wege der Auslegung regelmäßig neben sonstigen Vertragsumständen der Kaufpreis als eine durch die übereinstimmung der Parteien objektivierte Wertbemessungsgrundlage der Kaufsache mit herangezogen werden kann. Liegt aber einmal ausnahmsweise - wie vorliegend - kein konkreter Kaufpreis vor, so läßt sich insbesondere bei Grundstücken - gegebenenfalls unter Einholung eines Sachverständigtengutachtens - ein objektiver Verkehrswert ermitteln. Die Zusage des Käufers, die Hypotheken "seien gut", ist daher auf dem Hintergrund der Gesamtumstände des Falles zu werten. Danach ergibt sich aus Sinn und Zweck der Inzahlunggabe der Hypotheken, mit der die Kaufpreiszahlung ersetzt wurde, daß für den Verkäufer erkennbar war, der Käufer wolle für den eventuell eintretenden Wertverlust bei der Realisierung der Hypotheken bis zu einer bestimmten Grenze einstehen. Entscheidendes Gewicht kommt auch hier für die Frage der Intensität der Erklärung einem objektiven Moment zu, nämlich demjenigen, daß der beklagte Käufer als Eigentümer der drei hypothekenbelasteten Grundstücke am ehesten von deren wirtschaftlichen Realisierungsmöglichkeiten Kenntnis hatte. Allein dieser Umstand rechtfertigt es zusammen mit den Tatsachen, daß er diese Hypotheken in Höhe von zusammen 16000,- M auf den gesamten Kaufpreis in Zahlung gab sowie unter dieser Besonderheit die Erklärung abgab, die zedierten Hypotheken seien "gut", ihm deshalb auch sämtliche aufgrund dieser 278 Vgl. Coing, Grundzüge, Kap. I (VIII), 1 (3), S. 61 f., 87 ff., weitere Nw. oben in Fn. 261 f.

II. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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Gesamtumstände aus der abgegebenen Zusage für den klagenden Verkäufer erwachsenden Risiken zuzuweisen. c) Das "Dacltkammer-Urteil"277: Keine Zusiclterung,

sondern Fall des arglistigen Verscltweigens

Wiederum unmittelbar auf das "Mühlen-Urteil" stützte sich das RG dann neun Monate später in dem sog. "Dachkammer-Urteil", obgleich es sich hier ausschließlich um einen Fall des arglistigen Verschweigens handelte. Die beklagten Käufer eines Wohnhauses, ein im Stande der Gütergemeinschaft stehendes Ehepaar, hatte sich verpflichtet, gegen Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 26 000 M nebst Zinsen "das Kaufobjekt so zum Unterpfande zu bestellen, daß die auszufertigende Hypothek nach Einführung des Grundbuchs in eine Briefhypothek umzuwandeln sei". Da die Beklagten sich geweigert hatten, die Umwandlung der bestehenden Hypothek in eine Briefhypothek zu bewilligen, beantragte der Kläger, sie hierzu zu verurteilen. Nachdem die Beklagten im Laufe der ersten Instanz die Umwandlung für den Betrag von 22 400,- M bewilligten, beantragte der Kläger nunmehr, sie zu verurteilen, darin einzuwilligen, daß die eingetragene Sicherungshypothek auch für den Restbetrag in Höhe von 3600,- M nebst Zinsen in eine Briefhypothek umgewandelt werde. Die beklagten Käufer hielten dem Klageanspruch des Verkäufers nun die Einrede des nichterfüllten Vertrages mit der Begründung entgegen, ihnen sei von diesem stillschweigend zugesagt worden, daß zwei Dachkammern des Hauses zur Beherbergung von Dienstboten sowie im Hofe vorhandene Schweineställe zum Halten von Schweinen geeignet seien. In Wirklichkeit aber, wobei man sich auf einen namentlich bezeichneten Baukontrolleur als Zeugen berief, sei dem klagenden Verkäufer das Benutzen der Kammern und des Schweinestalls bereits vor Kaufabschluß polizeilich verboten worden. Lehnte das großh. OLG zu Karlsruhe als Berufungsinstanz eine "verbindliche Zusage" mit den sehr zweifelhaften Erwägungen ab, die Beklagten seien vor Abschluß des Vertrages zur Einholung einer Erkundigung verpflichtet gewesen und auf eine Zusage könnten sie schon deshalb keinen Wert gelegt haben, weil sie die darauf gegründeten Einreden erst nach der ersten Beweisaufnahme vorgebracht hätten, so wies das RG zutreffend darauf hin, daß eine Zusicherung, die fraglichen Räume könnten auch als solche benutzt werden, allein aus den getroffenen "Verabredungen über den Hauskauf" nicht herzuleiten sei. Zwar sei bei diesen auch über die Kammern und den Schweinestall "verhandelt" worden, jedoch seien diesbezügliche "Verabredungen aber 277 Gruchots Beitr. 48, 593 ff., Urt. v. 13. Januar 1904. 7 Böckler

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

nicht zu Kaufbedingungen gemacht" worden 278, so daß nach der unanfechtbaren Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes bereits das Vorliegen eines Fehlers hinsichtlich der in Frage stehenden Gebäudeteile zu verneinen war und es insoweit des Hinweises des RG auf das "Mühlen-Urteil" zur Verneinung einer Zusicherung gar nicht bedurft hätte. Das Gericht hatte infolgedessen zur Überprüfung der Aussagen der Beklagten an das OLG zurückzuverweisen, die - ihren Wahrheitsgehalt unterstellt - die Annahme eines arglistigen Verschweigens auf der Verkäuferseite gerechtfertigt hätten. d) Das "Grundstücks-Urteil"279: Ablehnung einer Zusicherung aufgrund bloßer Zugrundelegung des Inhalts von Grundbuchblättern Obgleich es sich demnach bei dem "Dachkammer-Urteil" gar nicht um einen wirklichen Zusicherungsfall handelte, sollte es eineinhalb Jahre später dazu beitragen, daß sowohl eine mutige erstinstanzliehe Entscheidung als auch diejenige des OLG Posen als Berufungsgericht in Form der erstmaligen Begründung einer Zusicherungshaftung aus rein objektiven Kriterien im vorliegenden sog. "Grundstücks-Urteil"280 des RG aufgehoben wurde. Das Berufungsgericht und das erstinstanzliche Gericht hatten die Zusicherung einer bestimmten Grundstückgröße allein deswegen bejaht, weil die Parteien in dem notariellen Kaufvertrag auf den Inhalt bestimmter Grundbuchblätter Bezug genommen hatten. Das RG als Revisionsinstanz argumentierte demgegenüber unter Hinweis auf das "Mühlen-Urteil" sowie die vorherige Entscheidung, das Berufungsgericht habe die Grenzen der Vertragsauslegung eindeutig überschritten. Wenn noch nicht einmal die Angabe einer bestimmten Grundstücksgröße selbstverständlich eine Zusicherung darstelle, dann könne noch viel weniger eine solche in dem bloßen Wissen der Parteien und deren Absicht gesehen werden, einen diesem Wissen entsprechenden Vertrag abzuschließen. Festgehalten zu werden verdient an dieser Stelle, daß immerhin schon im Jahre 1905 ein Berufungsgericht sowie davor ein erstinstanzliches Gericht sich zu einem derart weiten Schritt veranlaßt sahen. Bei der ablehnenden Argumentation des RG dürfte es sich dagegen um eine frühe Auswirkung der noch ganz von einem objektiven Fehlerbegriff geprägten Begründungsweise des "MühlenUrteils" handeln, derzufolge im vorliegenden Falle das rein willensmäßig orientierte "Vertragsmäßigkeitserfordernis" freilich als verletzt anzusehen war. 278 RG Gruchots Beitr. 48, 593 ff. (595 f.). 279 JW 1905, 530, RG Urt. v. 28. Juni 1905. 280 a.a.O., JW 1905, 530, RG Urt. v. 28. Juni 1905.

H. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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e) Das "Saatlupinen-Urteil" des OLG Dresden281 : Die Notwendigkeit einer Auflockerung des "Vertragsmäßigkeitserfordernisses"

Dieselbe Argumentation wurde wenige Jahre später vom OLG Dresden vertreten, wodurch deren Verwurzelung in einem rein objektiven Fehlerverständnis erstmals besonders anschaulich wurde. Es verdient deswegen an dieser Stelle genannt zu werden, weil hier die darin begründeten Prämissen, insbesondere die Strenge des "Vertragsmäßigkeitserfordernisses" hinsichtlich eines verlangten und abgegebenen die Zusicherung begründenden Verpflichtungswillens in der Sache aufgegeben werden mußten, um dem Käufer den vertragsgerechten Behelf des Schadensersatzes einräumen zu können. Der Verkäufer lieferte statt der vom Käufer bestellten keimfähigen Saatlupinen solche ohne Keimfähigkeit, die wohl, wie vermutet werden muß, lediglich zu Futterzwecken geeignet waren. Der Berufungskläger wandte sich gegen die von der ersten Instanz festgestellten Schadensersatzpflicht mit der Begründung, die verkauften Saatlupinen müßten selbstverständlich keimfähig sein und deshalb könne in der Bestellung und Zusage solcher Saatlupinen keine Eigenschaftszusicherung liegen. Dem wurde auch vom OLG Dresden 282 als Revisionsinstanz grundsätzlich zugestimmt. Es führte darüber hinaus sogar erstmals das in späteren Urteilen noch oft herangezogene Argument an, daß das Gesetz im Hinblick auf eine Schadensersatzpflichtigkeit ausdrücklich den Unterschied treffe, ob eine Eigenschaft vom Käufer i. S. v. § 459 I 1 nur vorausgesetzt werden dürfe oder ob sie ihm auch noch besonders i. S. d. §§ 459 II, 463 S.1, 480 II versprochen worden sei. Dessen ungeachtet bejahte es dann aber aufgrund der bloßen Bestellung keimfähiger Saatlupinen eine Zusicherung i. S. der strengen Votaussetzungen. Nach dieser Unterstellung hielt es nun dem Verkäufer in Widerspruch zu den Konsequenzen eines objektiven Fehlerbegriffs entgegen, daß dem "vorsichtigen Käufer", der sich die Eigenschaft einer Ware ungeachtet seines bereits bestehenden Anspruchs darauf noch ausdrücklich versprechen läßt, die stärkere gesetzliche Wirkung der Zusicherung nicht versagt werden könne 283 • OLG Dresden in OLGR 16, 402, urt. v. 15. Mai 1908. a.a.O., OLG Dresden in OLGR 16, 402, Urt. v. 15. Mai 1908. 283 Wurden hier die "engen" Voraussetzungen einer Zusicherung sogar unter Aufgabe der eigenen Entscheidungsprämissen letztlich im Ergebnis wohl wegen der besonderen Sachwalterstellung des Verkäufers zutreffend bejaht, so wurden sie ein knappes Jahr später vom RG in zwei Urteilen verneint, obgleich hier jeweils zumindest im Hinblick auf die Wandlung ein Schutz des Käufers angezeigt war. In der ersten Entscheidung (RG in Recht 1909, Nr. 975, urt. v. 16. Februar 1909) hatte der Verkäufer auf die Veranlassung des Käufers hin erklärt, das verkaufte Schiff sei in der Lage, gewisse Schleusen zu passieren. Das RG sah darin lediglich die Mitteilung einer "subjektiven Meinung" des Verkäufers, die als solche nicht dem Erfordernis 281

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH f) Das "Ostfriesiscbe Herdbucbbullen-Urteil" des OLG Rostock284 : Die Zurückweisung einer Zusicherungshaftung aufgrund des objektiven Kriteriums des beiderseitig bekannten Verwendungszwecks

Als letzte Entscheidung aus der Zeit der frühen exegetischen' Periode verdient das "Ostfriesische Herdbuchbullen-Urteil" noch besondere Aufmerksamkeit, weil es sich mit einer Begründung des Berufungsgerichts auseinanderzusetzen hatte, in der erstmals die objektiven Haftungskriterien des beiden Vertragsparteien bekannten "Verwendungszweckes" und der besonderen "Umstände des Falles" in Erscheinung traten286 • Sie wurden jedoch seitens des OLG Rostock in seltsamer Weise mit den Voraussetzungen des "Mühlen-Urteils" vermengt und führten daher leider im Ergebnis zu einer Ablehnung der Zusicherung. Gegenstand des Kaufes waren zwei "Ostfriesische Herdbuchbullen" zu Zuchtzwecken. Der Käufer erhielt zwei Tiere zugesagt, von denen jedoch nur eines "angekört" und damit das andere zur Zucht ungeeignet war. Das Berufungsgericht gab der geltend gemachten Wandlungseinrede mit der Begründung statt, eine Zusicherung könne nach dem Gesetz auch stillschweigend vereinbart werden. Dazu müsse lediglich ein V erhalten der Parteien vorliegen, aus dem nach der "Lebenserfahrung und

Verkehrsanschauung auf einen dahingehenden Geschäftswillen geschlossen werden" könne. Aus Bestellung und Lieferung von Tieren der

der "Vertragsmäßigkeit" genüge. Dabei blieb unklar, ob dem Werturteilscharakter der Erklärung für die Verneinung einer Zusicherung entscheidende Bedeutung zugemessen wurde oder das Nichterfülltsein des "Vertragsmäßigkeitserfordernisses" . In dem zweiten Urteil (RG Recht 1909, Nr. 2101, Urt. v. 31. März 1909) wurde hingegen ausschließlich auf den letzten Punkt abgestellt. Der Verkäufer hatte hier vor dem notariellen Vertragsabschluß und der Auflassung Erklärungen über das verkaufte Grundstück abgegeben, bei denen es sich wie es hieß - "lediglich um falsche Versicherungen, indessen um solche, die eine angeblich vorhandene Eigenschaft des Grundstücks zum Gegenstand" hatten, gehandelt haben soll. Beide Urteile sind nur auf der Grundlage eines objektiven Fehlerbegriffes verständlich. Unter Zugrundelegung des subjektiven Fehlerbegriffs hätte einer Einräumung der Wandlung nichts im Wege gestanden, für einen Schadensersatz wäre aber kein Raum verblieben, da die Erklärungen in beiden Fällen weder die notwendige Intensität aufweisen noch weitere objektive Haftungskriterien gegeben sind. 284 OLGR 21, 197 f., Urt. v. 11. März 1910. 285 OLG Rostock, a.a.O., OLGR 21, 197 f., Urt. v. 11. März 1910. Bereits in RGZ 70, 82 ff. (86 f.), Urt. v. 4. Dezember 1908 wurde zwar schon eine stillschweigende Aufnahme des Verwendungszweckes - Bewohnbarkeit von Nebenräumen - in den Vertragsinhalt angenommen, weil der Käufer ein Verzeichnis der vennietbaren Räume und der Mietwerte angefordert hatte, die Haftung des Verkäufers wurde aber im Ergebnis über ein arglistiges Verschweigen begründet; gleichwohl blieb dieses Urteil nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung der Zusicherungshaftung, s. u. (S. 133 f., Fn. 367) RG in Recht 1914, Nr. 333, Urt. v. 21. November 1913.

H. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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spezifischen Art entnahm das Gericht die Zusicherung, daß diese auch "zu Zuchtzwecken geeignet und daher von guter Beschaffenheit sein" sollten. Das OLG Rostock288 hingegen wies diese Begründung zurück. Eine Zusicherung müsse durch eine "positive Willensbetätigung" zum Inhalt des Vertrages gemacht werden. Unter Berufung auf das "GrundstücksUrteil"287 sah es dazu als nicht ausreichend an, eine bloße übereinkunft der Parteien des Inhalts genügen zu lassen, daß die Kaufsache einem bestimmten Gebrauche beim Käufer dienen solle. Entscheidendes Gewicht gegen eine selbständige Bewertung des vertraglichen Verwendungszweckes der Kaufsache wurde dann dem im objektiven Fehlerbegriff wurzelnden Argument beigelegt, das Gesetz unterscheide ausdrücklich zwischen der "Tauglichkeit der Sache zu dem im Vertrag vorausgesetzten Gebrauch" und dem "Fehlen zugesicherter Eigenschaften" und knüpfe unterschiedliche Rechtsfolgen daran. Entsprechend seiner ursprünglich aufgestellten Anforderungen des Vorliegens einer positiven Willensbetätigung und in übereinstimmung zu den Ausführungen des Berufungsgerichtes räumte es dann aber ein, daß zur Feststellung einer Zusicherung auch an das Verhalten des Verkäufers angeknüpft werden könne. Dieses Verhalten sollte aber - wie es die an dieser Stelle in sich widersprüchliche Entscheidungsbegründung fordert - an den strengen Maßstäben des "Mühlen-Urteils" zur Ermittlung des "positiven Willens" bei Willenserklärungen gemessen werden. Hierauf ließ das Gericht noch die bloße Behauptung folgen, daß in Frage kommende objektive "besondere Umstände" für eine Haftung weder in der Eigenschaft "von Zuchtbullen guter Beschaffenheit" noch in der Höhe des Kaufpreises "alleine" zu sehen seien!88. Die Fragwürdigkeit der Urteilsbegründungdurch das OLG Rostock als Revisionsinstanz bedarf keines näheren Eingehens. Die objektiven Haftungskriterien der "besonderen Umstände", des "vertraglichen Verwendungszweckes" sowie der "Stellung des Verkäufers" als eines sachkundigen Viehhändlers hätten in ihrer Gewichtung ohne weiteres ausgereicht, einen Sachverhalt und - im Falle des Eintritts eines konkreten Schadens - über die Wandlung und Minderung hinaus auch einen Schadensersatz wegen Nichterfüllung für den Käufer zu begründen. 2. Die mittlere exegetische Periode (1911-1925)

In der Zeit ab 1910, nachdem die erste Phase einer praktischen Entfaltung des Gesetzbuches abgeschlossen war, ist eine zunehmende Ver288 OLGR 21, 197 f., Urt. v. 11. März 1910. 287 JW 1905, 530 (siehe oben, S. 98). 288 OLG Rostock, a.a.O. (Fn. 284).

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

blassung der betonten Ausrichtung am Willensdogma zu beobachten. Unter den nun stärker in den Vordergrund rückenden Gegentendenzen, wie sie vornehmlich in der Auslegungslehre ihren Niederschlag fanden 28e , ist auch die in immer stärkerem Maße deutlicher werdende Abnahme der Bereitschaft einzuordnen, die Kriterien des "Mühlen-Urteils" als verbindliche und abschließende Festlegung des Zusicherungstatbestandes hinzunehmen. Im wesentlichen verdient daher innerhalb dieser Periode nur das in der Literatur oft neben dem "Mühlen-Urteil" als Leitentscheidung für die "enge" Linie zitierte "ErbengemeinschaftsUrteil"290 besondere Hervorhebung. Dort ging es um die Frage, ob die Mietfreiheit von Wohnräumen eines verkauften Gebäudes zugesichert war. Im Zeitpunkt der notariellen Beurkundung des Grundstückskaufvertrages wurde eine Erbengemeinschaft als Verkäufer vertreten. In den vorangegangenen Kaufgesprächen hatte der Vertreter, ohne jedoch eine entsprechende Vollmacht zu besitzen, mehrfach gegenüber dem Käufer die Mietfreiheit erklärt, eine Aufnahme in die notarielle Vertragsurkunde hingegen unterblieb. Obgleich das RG eine Zusicherung nach den Grundsätzen des "Mühlen-Urteils" bereits ausdrücklich als zweifelhaft erachtete, ging es dennoch auf die Möglichkeit einer Heilung gern. § 313 S. 2 ein. Dabei unterlag es mit seiner Begründung insoweit einem Zirkelschluß, als es der Möglichkeit einer etwaigen Heilung die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der notariellen Urkunde entgegenhielt. Dieser methodische Fehler wirkte sich jedoch nicht auf das Ergebnis des Urteils aus. Das Gericht konnte nämlich am Ende zutreffend feststellen, daß eine Zusicherungshaftung deshalb hier nicht in Betracht kam, weil - und daher ist das Urteil auch für die "enge" Linie gar nicht repräsentativ die Vermietung der Räume keinen Sach-, sondern vielmehr einen Rechtsmangel darstellt. Am Ende dieser Periode steht das "Triebwagen-Urteil"20t, dessen sachgerechte Lösung uns heute unter Zugrundelegung des subjektiven Fehlerbegriffs keine Schwierigkeiten mehr bereitet. Danach besteht nämlich für die Gründe kein Raum mehr, aufgrund derer sich das OLG Hamburg wohl veranlaßt sah, übertrieben strenge Maßstäbe an die objektive überprüfbarkeit des Wahrheitsgehaltes einer Verkäufererklärung anzulegen. Das Gericht erblickte in der Äußerung, ein ge289 Vgl. zur Herausbildung eines immer stärker in Erscheinung tretenden Bedürfnisses nach objektiven Maßstäben für eine Ergänzung des Willens im Rahmen der Auslegung, insbesondere zu ihrer Herleitung aus der Verkehrssitte, Lüderitz, Auslegung, S. 397 ff.; aus dem älteren Schrifttum siehe das bereits am Anfang der vorliegenden mittleren exegetischen Periode erschienene Werk von Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte (1914), S. 60 ff. 290 RG Warn Rspr. 1917, Nr. 100 (S. 144), Urt. v. 20. Dezember 1916. 291 OLG llamburg in OLGR 45, 144 f., urt. v. 26. Juni 1924.

11. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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brauchter Triebwagen sei "wenig gebraucht" und "in sehr gutem Zustand", nicht den Charakter einer Zusicherung, da sie im Gegensatz etwa zu der Zusage der "Betriebsfähigkeit" keine klar erfaßbare Eigenschaft beinhalte. Der Verkäufer hatte in seinem Schreiben einige Zeit nach dem ersten Kaufgespräch zwar weiter eingeräumt, der Wagen sei "in sehr gutem betriebsfähigem Zustande". In der Stellungnahme hierzu am Ende des Urteils bestätigte das Gericht jedoch seine Auffassung, indem es entscheidend darauf abstellte, daß das Werturteil über gebrauchte Wagen "notwendig mehr oder weniger subjektiv" sei292 . 3. Die späte exegetische Periode (1926-1939) In dieser Zeit ergingen auffallenderweise nur noch solche Urteile, in denen eine Haftung aus Zusicherung im Ergebnis durchweg zutreffend abzulehnen war. a) "Hans Thoma-Lithographie"293: Die besondere Risikolage im Kunsthandel

In diesem Urteil, das eine große Bekanntheit erlangte und als Ausgangsentscheidung der folgenden Periode angesehen werden kann, ging es um einen Ende März des Jahres 1924 stattgefundenen Verkauf eines "Thoma'schen Oelgemäldes", d. h. eines in Öl gemalten, mit dem Namen des Künstlers Hans Thoma versehenen Landschaftsbildes zum Kaufpreise von 4000,- GM. Letzterer wurde vereinbarungsgemäß in der Weise beglichen, daß die klagende Käuferin dem beklagten Verkäufer ein gleichfalls zu 4000,- GM bewertetes Originalbild des Malers "Sehr." überließ. Die Parteien waren sich dabei bei Vertragsabschluß darüber einig, daß es sich bei dem erstgenannten Bilde um eine übermalte Lithographie einer Zeichnung von Hans Thoma handele sowie ferner auch darüber, daß die nachträgliche übermalung von Hans Thoma selbst signiert worden sei. Im nachhinein stellte sich jedoch heraus, daß das Bild von anderer Hand übermalt und mit gefälschtem Signum versehen worden war. Das RG verneinte eine stillschweigende Zusicherung 292 Zu diesem Argument vgl. oben die Kritik des "Hypotheken-Urteils", S. 95 f.; im Gegensatz zu dem "Triebwagen-Urteil" wurde die Zusicherung dagegen zu Recht verneint in einem Urteil des OLG München (BayRpflZ 26, 46 f., urt. v. 6. Juni 1925) zum Tierhandel, bei dem es um die Altersangabe von Pferden ging. Eine Zusicherung schied hier aufgrund der tatsächlichen Besonderheit aus, daß sich das Alter dieser Tiere nur mit einem Spielraum von etwa zwei Jahren ermitteln läßt und sie erst in einem Alter von sechs bis acht Jahren ihre volle Leistungs- und Verwendungsfähigkeit und damit auch ihren höchsten Wert erreichen; unzutreffend daher KüppeT, Die Deutsche Rechtsprechung (Diss. 1933), S. 8. 293 RGZ 114, 239 ff., Urt. v. 6. Juli 1929.

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

vorwiegend aufgrund der zutreffenden Überlegung, daß im Bereiche des Kunsthandels - beide Parteien waren Kunsthändler - eine besondere Risikolage gegeben sei29'. Hier bestehe naturgemäß und daher für den Käufer auch erkennbar immer in bestimmten Grenzen die Gefahr der Unechtheit. Wolle er sie aufgrund besonderer Umstände, etwa des Kaufpreises oder ähnlichem, nicht auf sich nehmen, so müsse er sich eine ausdrückliche Zusicherung vom Verkäufer erteilen lassen. Das Signum allein könne jedenfalls noch keine stillschweigende Zusicherung der Echtheit beinhalten. Das Gericht wollte hierauf erkennbar den Schwerpunkt seiner Argumentation gelegt sehen. Sofern es aber zusätzlich noch die im Zeitpunkt des Urteils durch den subjektiven Fehlerbegriff bereits überholte Begründung anführte205 , vertragsmäßig vorausgesetzte Eigenschaften könnten deshalb nicht schon als zugesichert gelten, weil das Gesetz zwischen ihnen und solchen, die besonders zugesichert werden, unterscheide, liegt wiederum eine Scheinbegründung vor. Wie der Gesamtzusammenhang der Begründung nämlich deutlich macht, liegt der eigentliche Grund für das konkrete Urteilsergebnis ausschließlich in der besonderen Risikolage beim Kunsthandel. b) Das "Hakney-Hengst-Urteil"2oe: Die bloße Kenntnis des Erwerbszweckes des Verkäufers begründet im Tierhandel keine Haftung für einen bei der tlbergabe vorhandenen, aber nicht zu den Hauptmängeln zählenden Fehler, aum wenn es für den erwähnten Gebrauchszweck von Erheblicl1keit ist

Eine besondere Sachlage kennzeichnet auch das "Hakney-HengstUrteil", in dessen Sachverhalt der Käufer gegen den Kaufpreiszahlungsanspruch des Verkäufers eine Wandlungseinrede mit der Begründung geltend machte, daß der von ihm zum Preise von 10 000,- RM erworbene Hengst wegen zeitweiliger Verrenkung der Kniescheibe zum Decken ungeeignet war. Sowohl RG als auch die Vorinstanz urteilten übereinstimmend, zur Annahme einer stillschweigenden Zusicherung könne die zweifellos beim Verkäufer vorhanden gewesene Kenntnis vom konkreten Verwendungszweck allein nicht genügen. Es müsse vielmehr "das Einstehen für das Vorhandensein aller hierfür gebotenen Voraussetzungen stillschweigend zum Vertragsinhalt gemacht" worden sein. zu, Aus diesem Grunde auch ablehnend das OLG München in Seuff A 65, 181 ff., Urt. v. 1. Dezember 1909. 296 RGZ 114, 239 ff. (241). 208 RGZ 123, 147 ff., urt. v. 21. Dezember 1928.

H. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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Zwar ließ die Begründung offen, was man sich unter den "gebotenen Voraussetzungen" im einzelnen vorstellen darf. Ebenso auch die sich dar an anknüpfende Frage, unter welchen Umständen überhaupt wenn nicht im vorliegenden Falle aufgrund der positiven Kenntnis des Verkäufers vom Verwendungszweck - noch etwas stillschweigend zum Vertragsinhalt erhoben werden kann. Es handelt sich jedoch auch hier um eine im Ergebnis zutreffende Entscheidung, weil ihr ein Viehkauf i. S. d. § 481 zugrundelag und es sich bei der seitens des Käufers geltend gemachten Beanstandung nicht um einen bei Pferden zu den Hauptmängeln gehörenden "Fehler" handelte2D7 • Hieraus folgt einmal, daß die Vorschrift des § 459 Ir 1 nicht zur Anwendung gelangt und es deshalb im vorliegenden Falle unerheblich ist, ob auch die normale Deckfähigkeit des Hengstes zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch gehört oder nicht. Zum anderen ergibt sich daraus auch, daß für eine erweiterte Haftung i. S. d. § 492 I 1 nach dem vorliegenden Sachverhalt kein Platz war. Hierzu kann die Kenntnis des Verkäufers weder für sich allein noch im Zusammenwirken mit dem objektiven Vertragsumstand besonderer Sachwalterstellung des Tierhändlers ausreichen, sondern es ist ausschließlich eine ""übernahme der Gewährleistung wegen eines nicht zu den Hauptmängeln gehörenden Fehlers durch den Verkäufer" erforderlich. Dazu genügt nach der zutreffenden Auffassung des RG2V8 die Kenntnis des Verwendungszweckes für sich allein nicht, sondern es ist eine unmittelbare übernahme der Gewährleistung erforderlich"2Do. Andernfalls hätte es der Vorschrift des § 492 überhaupt nicht bedurft. Schließlich könnte auch mit demselben Recht die Übernahme einer Gewähr für Eigenschaften angenommen werden, die zum gewöhnlichen Gebrauch notwendig oder vorausgesetzt sind, womit letztlich - worauf das RG ebenfalls zutreffend hinwiegaoo - § 482 und das gesamte darauf beruhende sondergesetzlich geregelte Viehmängelrecht hinfällig wäre. c) Das "Fordson-Traktor-Urteil"lt1: Die Streitigkeit fiber das Vorliegen einer "Verkebrsauffassung"

Ebenso wurde eine "stillschweigende Zusicherung" zutreffenderweise in dem vorliegenden "Fordson-Traktor-Fall" verneint. Der Käufer behauptete hier das Fehlen der stillschweigend zugesicherten Eigenschaft 207 RGZ 123, 147 ff. (148). 208 RGZ 123, 147 ff. (148). 2DD Wie sie das Gericht dann später in dem "Pferde-Fall" freilich aufgrund des objektiven Vertragsumstandes der Verkehrsübung zu Recht schon in einer bloßen "Anpreisung" des Verkäufers erblickte, RG in Seuff A, Bd. 58, Nr. 4 (S. 8 f.), Urt. v. 16. Mai 1902, siehe dazu unten, S. 116 ff. 300 RGZ 123, 147 ff. (148 f.). 301 RG in Seuff A 86, Nr. 77, urt v. 6. Januar 1932.

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

der "Fabrikneuheit" lediglich deshalb, weil ihm zu Ohren kam, daß der Verkäufer in früherer Zeit den Zylinderblock des verkauften FordsonTraktors ausgebaut hatte und kurze Zeit später durch einen nachbestellten völlig neuen ersetzte. Wohl mit Recht wurde vom RG gegenüber dem Berufungsgericht eine dahingehende "allgemeine Verkehrsauffassung" bezweifelt, derzufolge unter "fabrikneu" zu verstehen sei, daß an der Maschine "nicht der geringste" Eingriff vorgenommen wurde. Sämtliche Teile der Fordfabrikate seien vielmehr derart "normalisiert", daß sie ebensogut wie in einer Fabrik auch von jedem sachkundigen Monteur zusammengesetzt werden könnten. Sie wurden in der Tat auch in Einzelteilen an "autorisierte Vertreter" ausgeliefert, so daß hier mit Recht das Bestehen der geltend gemachten "allgemeinen Verkehrsauffassung" zu verneinen war. d) Das "Venusberg-Urteil"u:: Die Beweislast des Käufers im Hinblick auf die Abgabe einer Zusicherungserklärung als Grund für die Ablehnung einer Zusicl1erungshaftung

Den Abschluß der späten Periode bildete das berühmt gewordene "Venusberg-Urteil". Hier ging es um den Verkauf eines in besonders schöner Lage befindlichen Baugrundstückes. Die Erklärung des Verkäufers, vor dem Kaufgrundstück am "Fuße des bewaldeten Venusbergs in B." gelegene mittlere Straßengrundstücke würden nicht bebaut werden und der Blick auf den bewaldeten Berghang bliebe infolgedessen frei, wurde nicht in die notarielle Vertragsurkunde aufgenommen. Das Berufungsgericht argumentierte sehr zurückhaltend, indem es den Verpflichtungswillen des Verkäufers bestritt. Er habe mit seiner Erklärung lediglich die tatsächliche Lage, "so wie sie ihm damals erschienen sei, anpreisend versichert". Das RG räumte dagegen zunächst zutreffend ein, daß in der Regel ein Mangel aus nichts anderem als einer tatsächlichen "Lage" erwachse. Die "typische" Form einer Anpreisung sei hier nicht ohne weiteres erkennbar. Bei der Feststellung eines Verpflichtungswillens komme es entscheidend auf die Erklärung selbst und "nicht auf einen darin etwa nicht zum Ausdruck gelangten abweichenden inneren Willen" an303 • Im Anschluß hieran stimmte das RG jedoch der weiteren Urteilsbegründung des Berufungsgerichts zu. Die klagende Käuferin habe keine befriedigende Erklärung dafür gegeben, warum die Vertragsurkunde "über die angeblich geradezu grundlegende Zusicherung der Unbebaubarkeit schweigt und weshalb diese Zusicherung auch nur bei Vorver302 303

RGZ 161, 330 ff., Urt. v. 5. Oktober 1939. RGZ 161, 330 ff. (336).

H. Kap.: Die "enge" Entscheidungslinie des RG

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handlungen gegeben sein soll, beim Vertragsschluß vor dem Notar aber unstreitig überhaupt nicht zur Sprache gebracht worden ist"So4. Das Gericht behauptete dann, "stillschweigende Zusicherungen" seien zwar rechtlich möglich, tatsächlich aber nur in den seltensten Fällen anzunehmen. Obgleich es vorher einen "Fehler" des Baugrundstücks bejaht hatte und demzufolge offensichtlich den subjektiven Fehlerbegriff zugrundelegte, begründete es jedoch letztere Behauptung mit dem Hinweis auf das "Hans Thoma-Lithographie-Urteil" sowie das dort verwendete, nur auf der Grundlage einer objektiven Fehlerkonzeption plausible Argument305, vertragsmäßig vorausgesetzte Eigenschaften könnten nicht schon als zugesichert gelten, da das Gesetz zwischen beiden unterscheide. Aufgrund der Tragweite einer Zusicherung - so argumentierte das RG schließlich, indem es wieder auf die Urteilsbegründung des Berufungsgerichts zurückgriff - "hätte man deren Beurkundung erwarten sollen". Die klagende Käuferin habe die tatsächliche Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Beurkundung gegen sich, so daß "die eingehend begründete Annahme des Berufungsgerichts, daß diese Vermutung nicht widerlegt sei", "keinen rechtlichen Bedenken" begegneSo8 . Der Entscheidung ist in ihrem Ansatz und dem erzielten Ergebnis zuzustimmen. Da die Veränderung in Form der Bebaubarkeit der Nachbargrundstücke erst nach Gefahrübergang eintrat, hat das RG zu Recht die einschlägigen Behelfe in der Fortwirkung des ursprünglichen Vertrages gesucht. Hinsichtlich des Ergebnisses, eine Zusicherung zu verneinen, bleibt anzumerken, daß die Beweisnot der Käuferin, entsprechende objektive Vertragsumstände darzulegen und zu beweisen, hierfür den eigentlichen Grund bildete. Hinter dem Rückgriff auf das "Hans Thoma-Lithographie-Urteil" und die enge Umschreibung der Zusicherung, wie sie der Sache nach im "Mühlen-Urteil" entwickelt wurde, steht genaugenommen nichts anderes als der Versuch, die durch die vorliegende Beweislage vorgezeichnete Lösung zusätzlich noch in eine bestimmte dogmatische Form einzukleiden807 • Er beinhaltet demnach auch den Charakter einer Scheinbegründung, wie er auch schon oben anhand des "Mühlen-Urteils" und anderer Entscheidungen offengelegt wurde. Auch dem "Venusberg-Urteil" liegt damit kein eigentlicher Fall der Zusicherung zugrunde, so daß demnach auch seinen hierzu entRGZ 161, 330 ff. (336). Siehe oben, S. 103 f. 306 RGZ 161, 330 ff. (337). 307 Damit bestätigt auch das "Venusberg-Urteil" eine alte praktische Erfahrungsregel, die von Brecher, Festschr. f. A. Nikisch (1958), S. 227 ff. (240) dahingehend treffend zusammengefaßt wurde: "Aber wenn man ihn auch nicht sieht (den Geist rechtlicher Verantwortung), so bleibt er doch gegenwärtig, als blinder Passagier versteckt im täglichen ,Handgepäck' der Beweislast, der Beweiswürdigung und des Verfahrens." 304

305

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

haltenen Ausführungen kein exemplarischer Stellenwert für ihre praktische Bedeutung zukommt. Wie vielmehr der anschließende Blick auf die Breite der entgegengesetzten Rechtsprechungskette einer "weiten" Handhabung der Zusicherung zeigen soll, wurde dieses Institut keineswegs nur "in seltenen Fällen" angewendet. Es zeichnet sich dann aber auch eine erhebliche Veränderung in den Strukturmerkmalen des Fallmaterials ab, in dem der Falltypus mehr in den Vordergrund tritt, bei dem dem Käufer nicht mehr "beschränkt" - wie etwa hier im "Venusberg-Urteil" - mit Wandlung hätte hinlänglich geholfen werden können, sondern bei dem es primär um die Frage des Ausgleichs von Beeinträchtigungen des Integritätsinteresses und damit den Behelf des "Schadensersatzes wegen Nichterfüllung" gehen wird.

III. Kapitel

Die entgegengesetzte "weite" Linie der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zur Zusicherung anhand chronologisch geordneter Aufzeichnung der Entwicklung einer allmählichen Herausbildung von objektiven Haftungsprinzipien Überblickt man das hierzu seit Inkrafttreten des BGB bis zum Jahre 1939 ergangene Entscheidungsmaterial, so läßt sich feststellen, daß es bereits dem RG in seiner Judikatur gelang, im Hinblick auf drei der wichtigsten objektiven Haftungsprinzipien eine Differenzierung herbeizuführen. Entsprechend diesen Kriterien soll das Entscheidungsmaterial in drei Fallgruppen systematisiert wiedergegeben werden. Durch eine chronologische Ordnung soll der entwicklungsgeschichtliche Verlauf ihrer Herleitung verdeutlicht werden. Hiernach kommt sowohl der Fallgruppe einer Haftung kraft besonderer Intensität der Eigenschaftsvereinbarung als auch derjenigen kraft Handelsbrauchs - im Falle der Beteiligung eines nicht gewerblich tätigen Käufers entsprechend kraft Verkehrssitte bzw. Verkehrsanschauung - eine ganz besondere Bedeutung zu. Bei ersterer erfolgt immerhin noch ein Anknüpfen an Angaben des Verkäufers, wenn auch im weitesten Sinne, so daß der Schritt zu einer Ergänzung der ausschließlich rechtsgeschäftlichen Verankerung der Zusicherung durch objektiv vertragsstrukturelle Haftungsmomente noch sehr groß ist. Demgegenüber handelt es sich bei Handelsbräuchen, Usancen uhd der Verkehrssitte schon aus der Natur der Sache heraus um den Rahmen einer rein objektiv-rechtlich festgelegten Ordnung. Ungeachtet der im Laufe der Zeit langsam erfolgten Herausbildung einzelner Merkmale und Haftungsprinzipien dieser Ordnung vermochte sich schon sehr früh ein allgemeiner Gesichtspunkt der Haftung aufgrund "besonderer Umstände" des Kaufvertrages zu emanzipieren, der wiederum für weitere Verfeinerungen Raum ließ. Eine davon wurde noch vom Reichsgericht selbst vorgenommen, und zwar in der umfahgmäßig gegenüber den beiden ersten Fallgruppen erheblich kleineren Gruppe einer Haftung aufgrund besonderen, vertraglich vereinbarten Verwendungszweckes der Kaufsache.

2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

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1. Fallgruppe:

Die besondere Verdichtung (Intensität) der Eigenschaftsvereinbarung a) Das ,,Bierumsatz-Urteil''808: Die Verdichtung von Verkäuferangaben aufgrund ihres Einflusses auf die Kaufpreisbewilligung

Gegenstand dieser Entscheidung, deren wesentliche Begründungsstütze das "Landstellen-Urteil"SOD bildet, war der Verkauf einer Gastwirtschaft, bei dem der für das vorhergehende Jahr erzielte Bierumsatz vom Verkäufer zu hoch angegeben wurde. Das RG befand, daß es sich hierbei nicht um bloße "erkennbare Anpreisungen" gehandelt habe. Es sei nämlich zu fragen, ob die Verkäufererklärung so geartet war, daß "der Käufer daraus einen Schluß auf die für die Zukunft zu erwartenden Erträge bei vernünftiger Erwägung ziehen konnte". Hierzu wurde in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ausgeführt, daß von beiden Vertragsteilen auf den Bierumsatz offenbar ein besonderes Gewicht gelegt wurde. Hierfür spräche bereits der besondere Umstand der erheblichen zeitlichen Dauer, für die der fragliche Bierumsatz angegeben wurde. Auch die Bewilligung des konkreten Kaufpreises wurde als entscheidender Faktor für eine Risikoverteilung hervorgehoben. Diese Überlegungen führten das Gericht zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage, indem es feststellte, daß der Käufer aufgrund dieser besonderen Umstände "darauf rechnen durfte und (damit auch) darauf gerechnet hat, es handle sich um Verhältnisse, deren künftiges Fortbestehen vernünftigerweise erwartet werden könne"310. b) Das "Grundstücks-UrteU"111

Diese Entscheidung ist gerade in ihrer Fortführung des im vorangegangenen dargestellten Urteils von besonderem Interesse. Der Verkäufer erklärte hier beim Verkauf eines Grundstückes wörtlich: "Wenn das Grundstück im Tale läge, wäre es 1000,- RM wert." Das RG befand in Übereinstimmung mit der Entscheidung des OLG Naumburg als Berufungsinstanz, daß es sich bei der in dieser Feststellung RGZ 52, 1 ff. (2 f.), Urt. v. 7. Juni 1902. RG in Seuff A, Bd. 40, Nr. 102, 155 f., siehe dazu oben, 1. Teil, S. 26 ff. (29 ff.). 310 So RGZ 52, 1 ff. (2 f.) unter (maßgeblicher) Berufung auf das "Landstellen-Urteil". 311 RG in Recht 1909, Nr. 2929, Urt. v. 13. Juli 1909. 308

309

UI. Kap.: Die "weite" Entscheidungslinie des RG

111

zum Ausdruck kommenden Schätzung keineswegs um "eine ganz haltlose Anpreisung" handele. Das von der Revision vermißte tatsächliche Moment sah es darin, "daß sie (die Erklärung) die objektive Beschaffenheit des Landes als eine solche hinstellte, wie sie ein im Tale gelegenes Land, dessen Bodenwert dort 1000,- RM für den Morgen beträgt, hat". Daraus sei für den vorliegenden Fall zu schließen, daß ausschließlich die mit der Höhenlage verbundene Erschwerung der Bewirtschaftung des Grundstückes als wertmindernder Faktor in Betracht kommen solle und der Wertunterschied folglich nicht durch eine eventuelle Minderung der Güte des Berg- im Gegensatz zu derjenigen des Tallandes hervorgerufen werde. Das RG bestätigte damit im gegebenen Falle das Vorliegen einer Zusicherung, indem es entschied, daß auch hypothetische Angaben ("wenn das Grundstück im Tale läge, wäre es 1000,- RM wert") hierfür in Betracht kommen könnten31!. Mag dies für den heutigen Betrachter als selbstverständlich erscheinen, da der Verkäufer erkennbar mit seiner Erklärung einen Vergleich anstellte, nach dem die Qualität des Grundstücks derjenigen eines im Tal gelegenen entsprechen sollte, so zeigt jedoch die im Jahre 1933 von Küpper 313 daran geäußerte Kritik, daß diese Betrachtungsweise im Zeitpunkt des Ergehens des Urteils hoch eine Besonderheit darstellte. Er sieht in der Erklärung des Verkäufers nur eine übertreibung, die lediglich ein "Werturteil" enthalte, das "namentlich im Munde lebhafter Menschen nichts Seltenes" darstelle und vermißt die Begründung dafür, aus welchen Umständen die Erklärung als "Vertragsinhalt charakterisiert" werden könne. Hier sei offenbar aus Billigkeitserwägungen, um dem Käufer helfen zu können, der Grundsatz "von der vertraglichen Garantie" aufgegeben worden. Dieser Kritik steht jedoch entgegen, daß mit der überwindung des Positivismus für die Erkennbarkeit von Werturteilen dasselbe wie für sonstige Erklärungen gilt314, so daß sich auch hieran rechtliche Wirkungen khüpfen können. Der Ansatz des RG, die Vertragserklärung des Verkäufers von einem objektiven Empfängerstandpunkt aus zu bewerten und sich auf diese Weise bei der Feststellung einer Zusicherung an der vertraglichen Interessenlage zu orientieren, verdient Zustimmung. War der Blick auf diese Interessenlage erst einmal eröffnet, dann blieb auch für das römisch-rechtliche "promissum" bzw. den "Grundsatz von der vertraglichen Garantie" kein Raum mehr. Erst indem man ihn aufgab und davon Abstand nahm, ihm dem Einzelvertrage überzustülpen, 312

313 314

RG in Recht 1909, Nr. 2929, Urt. v. 13. Juli 1909. Die Deutsche Rechtsprechung (Diss. 1933), S. 12 f. Siehe hierzu schon oben, S. 86 ff. (91 f.), 95 f., 103 (Fn. 292).

112

2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

wurde es möglich, auf die vertragliche Risikoverteilung selbst wie dies im "Grundstücks-Urteil" geschehen ist - zurückzugreifen und damit vertragsgerechtere Ergebnisse zu erzielen, ohne daß es dabei auf allgemeine, nur schwer kontrollierbare Billigkeitserwägungen ankommt. c) Das "Umsatz-Urteil"115

Wie fruchtbar sich das Abrücken von dem seinerzeit im "MühlenUrteil" festgeschriebenen Erfordernis eines besonders zu ermittelnden vertraglichen Garantiewillens des Verkäufers zugunsten einer Ausdeutung des Einzelvertrages vom Bewertungshorizont eines objektiven Betrachters aus erwies, zeigt auch das noch im selben Jahre wie die vorherige Entscheidung ergangene "Umsatz-Urteil"318. Hierin entschied das RG, daß einer ziffernmäßigen Angabe des Verkäufers nicht dadurch die für eine Zusicherung erforderliche Bestimmtheit genommen wird, daß der Ziffer das Wort "zirka" hinzugefügt wurde. Dadurch werde nämlich nur - wie das Gericht fortfuhr - eine Haftung für geringfügige Abweichungen ausgeschlossen. Im vorliegenden Falle, bei dem es um eine Abweichung von einer mit der Beifügung des Wortes "cirka" angegebenen Umsatzzahl ging, war nach Ansicht des RG jedoch die Geringfügigkeit überschritten. Es lag vielmehr hier eine als "erheblich" einzustufende Abweichung vor, die nicht mehr von dem Ausdruck "cirka" abgedeckt zu werden vermochte. Als solche hatte sie zur Folge, daß dem Käufer ein Schadensersatzanspruch aus § 463 zu gewähren war317 • RG in Recht 1909, Nr. 3045, Urt. v. 2. Oktober 1909. a.a.O., RG in Recht 1909, Nr. 3045, urt. v. 2. Oktober 1909. 317 Fragwürdig erscheint demgegenüber das urteil des RG v. 25. März 1914 in Recht 1914, 1819, in dem entschieden wurde, eine Verkäufererklärung, das verkaufte Gebäude sei dem Gastwirtschaftsbetrieb zu dienen "geeignet", enthalte zugleich die Zusicherung der Eigenschaft, daß es zur Zeit des Gefahrüberganges von einer die Konzessionserteilung ermöglichenden Beschaffenheit sei. Für eine so weit gehende Verdichtung der Erklärung gibt die bloße Verwendung des Ausdrucks "geeignet" allein noch nichts her; etwaige weitere besondere Umstände - wie z. B. einzelne Modalitäten des Kaufgespräches, die Höhe des Kaufpreises, näher ins Einzelne gehende tatsächliche lJberprüfungen der Geeignetheit der Kaufsache zum konkreten Verwendungszweck, u. ä. - läßt der zu knapp wiedergegebene Sachverhalt nicht erkennen. - Richtig hat verhältnismäßig kurze Zeit später das OLG Rostock (in OLGR 33, 281, Urt. v. 13. Juli 1916) entschieden: Danach enthält die Angabe eines bestimmten Alters die Zusicherung, "daß die (verkaufte) Maschine kein nennenswert höheres Alter hat als das genannte". Dennoch konnte der Käufer hier aber aus dem Umstand des doppelten Alters der Maschine keinen Schadensersatz herleiten, weil sie noch besonders gut erhalten und insofern zu bezweifeln war, ob sie sich auch während der ganzen Zeit in Gebrauch befunden hatte. Es verblieb ihm daher aus der nichterfüllten Zusicherung nur ein Anspruch auf Preisminderung, dem mit Recht stattgegeben wurde. 315

316

III. Kap.: Die "weite" Entscheidungslinie des RG

113

d) Das "Konfitürengeschäft-Urteil"S18

In diesem letzten Urteil der vorliegenden Fallgruppe erwarb der Käufer im Dezember des Jahres 1919 ein Konfitürengeschäft zum Preis von 8000,- RM in der Absicht, es als Eigenbetrieb zu führen. Da das Geschäft vom Verkäufer in einem gemieteten Laden betrieben wurde, trat er in den zwischen diesem und der Vermieterin bestehenden, bis zum 1. November 1921 unkündbaren Mietvertrag ein. Die Vermieterin selbst war jedoch nur Untermieterin des Ladens. Schon bald nach Abschluß des Kaufvertrages stellte sich heraus, daß der Hauseigentümer rechtlich einwandfrei zum 1. April 1920 gekündigt hatte. Der Käufer verlangte nun vom Verkäufer Wandlung des Kaufs sowie Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises. Das RG stimmte dem OLG München als Berufungsinstanz dahingehend zu, daß dem vorliegenden Kaufvertrage die Zusicherung eines auf zwei Jahre unkündbaren Mietrechts entnommen werden könne. In der "rechtlichen Beziehung" zwischen Kaufgegenstand und Mietrecht sei eine Eigenschaft des ersteren zu sehen, für deren Fehlen zur Zeit der Übergabe der Verkäufer auch im Falle seiner Unkenntnis zu haften habe. Eine Zusicherung brauche nämlich - wie das RG ausführte - "nicht mit ausdrücklichen Worten gegeben zu werden, sondern kann vielmehr auch, wie hier, als stillschweigend den Umständen entnommen werden"319. Diese Umstände in Form objektiver Haftungskriterien, die vom Zusicherungswillen als solchem nicht erfaßt zu werden brauchen, bestanden hier in der Besonderheit, daß der Käufer aufgrund der auch dem Verkäufer bekannten Gesamtumstände mit einem Bestehen des Mietrechtes bis zum 1. November 1921 rechnen durfte. Deshalb haben sich nach der Begründung des vorliegenden Urteils320, das den Abschluß dieser Fallgruppe bildet, im gegebenen Falle Kaufgegenstand und Mietrecht zu einer "rechtlichen Beziehung" verdichtet, so daß der Käufer - gemessen RG in Seuff A 77, 282, Urt. v. 17. März 1922. RG in Seuff A 77, 282, Urt. v. 17. März 1922. 320 RG, a.a.O., RG in Seuff A 77, 282, Urt. v. 17. März 1922; in dem "Lichtspieltheater-Urteil" des RG in Jahrb. des Dt. Rechtes, Bd. 29 (1930), § 463, Nr.5 ging es dagegen um keine zu der vorliegenden Fallgruppe gehörende Zusicherungsproblematik. Der Verkäufer hatte hier beim Verkauf seines Lichtspielbetriebes erklärt, daß "durchschnittliche Einnahmen bis zu 400,bis 600,- RM bei normalen Filmen je Vorstellung erzielt werden können". Dabei handelte es sich jedoch erwiesenermaßen um eine "absichtlich irreführende" Bezifferung der Ertragsfähigkeit des Betriebes, so daß statt der von dem Gericht eingeräumten Geltendmachung "von Gewährmängeln" wegen "betrügerischer Eigenschaftszusicherung" wohl besser eine arglistige Eigenschaftsvorspiegelung i. S. d. § 463 S. 2 angenommen worden wäre. Im übrigen wurde auch einer Anfechtung wegen Arglist stattgegeben. 318 31U

8 Böckler

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2. Teil: Die Zusicherung in der Judikatur des RG und BGH

am Urteil eines objektiven Betrachters - dem Verhalten des Verkäufers den Erklärungswert entnehmen durfte, daß dieser auch für ein Bestehen des Mietrechts bis zum 1. November 1921 einstehen wolle. Das kann aber nur die Konsequenz haben, daß die genannte Beziehung zwischen Kaufgegenstand und Mietrecht vom Kaufvertrag mitumfaßt wird und der Verkäufer infolgedessen für ihr tatsächliches Vorhandensein das volle Risiko übernommen hat. Nichts anderes beinhaltet - wie dieses Urteil sehr deutlich gemacht hat - die Wertung, daß sie "stillschweigend zugesichert" wurde 321 •

321

Die Entscheidung des RG im "Konfitürengeschäft-Urteil" (Seuff A 77,

282) zeigt sehr deutlich die Nähe der Zusicherung zum Institut des Wegfalls

der Geschäftsgrundlage (WGG). Die h. L. wendet bekanntlich das Institut der Geschäftsgrundlage unter der Differenzierung zwischen subjektiven (dem Irrtumsrecht angenäherten) und objektiven Grundlagen an, wobei sie hinsichtlich letzterer wiederum eine weitere Aufgliederung in die Fallgruppen der sog. "Äquivalenz-" und "Zweckstörungen" vornimmt: Beiden Fallgruppen liegt das Bild nachträglich eingetretener Umstände zugrunde, an die die Vertragsparteien zwar nicht unmittelbar angeknüpft haben, deren nachträgliche Änderung aber den Zweck und damit meist auch den Inhalt einer Leistung in einer für die betroffene Partei unzumutbaren Weise verändert (Nw. oben, 1. Teil, S. 73, Fn. 216). Zusicherung und Wegfall der (objektiven) Geschäftsgrundlage stimmen bei genauerer Betrachtung wesensmäßig darin überein, daß über ihre jeweilige Anwendung auch nicht vereinbarte Momente rechtliche Auswirkungen erlangen können. Der dabei vorgenommene Eingriff in das Vertragsverhältnis erfolgt in beiden Fällen über das Institut der ergänzenden Vertragsauslegung, hinter dessen Anwendung sich jedoch eine richterrechtliche Wertung im Sinne objektiven Rechts verbirgt. In der Regel geht es schließlich dabei sowohl bei der Zusicherung als auch bei dem Institut des Wegfalls der (objektiven) Geschäftsgrundlage um eine Durchsetzung des rechtlichen Schutzes konkreter - nicht in den vertraglichen Erklärungstatbestand eingegangener - zumeist wirtschaftlicher Motive (vgl. so schon O. Lenel, JherJb, Bd. 19 [1881], 154 ff. [214 f.D einer oder beider Vertragsparteien, die gleichsam die objektive Grundlage des Vertrages bilden, weil die sich darin manifestierende Wertung für beide Vertragsparteien "maßgeblich" war, siehe für das Institut des WGG Schmidt-Rimpler, Zum Problem der Geschäftsgrundlage, Festschr. f. H. C. Nipperdey (1955), S. 1 ff. (5 ff., 9 ff., 16 ff.); Reinhardt, Die Vereinigung subjektiver und objektiver Gestaltungskräfte im Vertrage, Festschr. f. W. Schmidt-Rimpler (1957), S. 115 ff.; Henkel, Die ergänzende Vertragsauslegung, AcP 159 (1960/1961), 106 ff. Im Ergebnis wird daher im Rahmen der Anwendung beider Institute - der nicht im Sinne einer Verkäufergarantie "erteilten" Zusicherung sowie des Institutes des Wegfalls der (objektiven) Geschäftsgrundlage - nichts anderes vorgenommen, als eine Herausarbeitung der dem einzelnen Vertrage möglicherweise innewohnenden objektiven Gestaltungsprinzipien und daran anschließend eine Verknüpfung mit denjenigen Rechtsfolgen, die durch die Interessenlage des einzelnen Vertragsverhältnisses als "richtig" vorgezeichnet sind. - Das RG hat im vorliegenden "Konfitürengeschäft-Urteil" zu Recht die Zusicherung angewandt, da die "Störung" des Vertrages hier aus einem von Anfang an bestandenen Sachmangel erwuchs, der jetzt auf dem Hintergrund des dem Verkäufer bekannten und somit objektiven Vertrags sinnes gegebenenfalls sogar auch die Herleitung eines Schadensersatzanspruches gerechtfertigt hätte.

Irr. Kap.: Die "weite" Entscheidungslinie des RG

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2. Fallgruppe: Die Verkäuferhaftung aufgrund Handelsbrauchs (bzw. Usance) und allgemeiner Verkehrssitte a) Das "Santa-Clara-Pflaumen-UrteU·