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German Pages 277 [280] Year 2021
Markus Kleinert Andere Klarheit Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie
Ottheinrich-Bibel: Verklärung Christi (um 1430)
Markus Kleinert
Andere Klarheit Versuch über die Verklärung in Kunst, Religion und Philosophie
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT.
Inhalt
I. Verklärung als fern- und naheliegendes Thema . . . . . . .
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I.1. Motiv, Begriff, Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I.2. Grundlagenforschung und Sendungsbewusstsein . . . . 41 II. Kreuz und Herrlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II.1. Luther als Dolmetscher und Theologe des Kreuzes . . 72 II.2. Mit Catharina Regina von Greiffenberg auf dem Tabor 80 II.3. Augsburger Verklärung der Reformation . . . . . . . . 91 III. Kierkegaards Kritik der Verklärung . . . . . . . . . . . . .
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III.1. Ästhetisch-religiöse Ambiguität. . . . . . . . . . . . . III.2. Fiktive Vergegenwärtigung und reale Gegenwart:
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Christus-Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Nietzsches Neigung zur Verklärung . . . . . . . . . . . . . 119 IV.1. Ein überhörtes Herzwort:
Auf- und Verklärung, Sublimierung, Seligkeit . . . . . 119 IV.2. Verklärter Herbst:
Goethe und Stifter, Spätstil, Trostworte . . . . . . . . 136 V. Transfiguration in Ost und West . . . . . . . . . . . . . . . 159 V.1. Heilige Narren und religiös-philosophische Renaissance in Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 V.2. The American Way: The Transfiguration of Life . . . . 168 VI. Verklärung durch Humor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 VI.1. Jean Pauls Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 VI.2. Peter Hilles Zukunftsphilologie . . . . . . . . . . . . . 187 VI.3. Theodor Fontanes Lichtregie . . . . . . . . . . . . . . 192 VII. Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 VII.1. Inflationäres Verklären: Gläubige, Genies, Geliebte
und Gefallene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 VII.2. Esoterische Traditionspflege am Beispiel Leopold Zieglers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 VII.3. Ein Leitbild für die Nachkriegszeit und Einzelaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 5
INHALT
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Drucknachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Literatur / Musik / Bildende Kunst. 2. Religion / Theologie . . . . . . . . . 3. Philosophie / Kunsttheorie . . . . . 4. Wörterbücher / Lexika . . . . . . . Forschungsliteratur . . . . . . . . . . .
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248 248 248 252 256 259 259
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
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Verklärung. Ein dunkles Grün, ohne Abstich, überzog einförmig und matt den ganzen Wald. Sonst ward keine Farbe gefunden. Da fiel aus einer streifenden Wolke ein milder Staubregen sanft rauschend herab auf die harrenden Blätter: und als nun die Sonne hinter dem Gewölke wieder hervorblickte, da war der Wald verändert; und alles war Glanz und Farbe, und aus jedem zitternden Wassertropfen blickte der Himmel. So ist die Seele. Sie ruht kalt und ohne Reiz in der Alltäglichkeit, und hält die Blume geschlossen. – Da bricht eine äußere Verklärung in sie hinein, sey es der Freude, der Andacht oder der Liebe; und plötzlich entbrennt sie in Licht und Gluth, strahlt was sie empfing, unnennbar schön und selig zurück, und scheint entrückt aus dem Staube der Erde. Aber die flimmernden Tropfen auf den Blättern wird der Wind verwehn und die Dürre schlürfen, und der funkelnde Seelentag hat für Stunden nur Sekunden, und schnell ist alles verwischt, dort und hier. Glücklich der Mensch, der des Äußeren nicht bedarf, um sein Inneres zu erhellen! der selbstthätig die Begeisterung weckt, wovon er flammen will, und aus dem Eigenen die Strahlen spinnt, die ihn verklären! Karl Lappe: Blätter (1829)
I. Verklärung als fern- und naheliegendes Thema
I.1. Motiv, Begriff, Geschichte
Sieben Jahre nach Mozarts Tod veröffentlicht Friedrich Rochlitz in der von ihm herausgegebenen Allgemeinen Musikalischen Zeitung »Verbürgte Anekdoten aus Wolfgang Gottlieb Mozarts Leben, ein Beytrag zur richtigern Kenntnis dieses Mannes, als Mensch und Künstler«. Er greift damit in Kontroversen über Mozarts Leben und Werk ein und trägt selbst zur Legendenbildung bei. Das gilt besonders für Mozarts letztes Werk, das Requiem, dessen Entstehung in ein unheimliches Licht getaucht wird. Der anonym bleibende Auftraggeber und dessen sonderbarer Bote hätten in Mozart nämlich den Glauben hervorgerufen, »er arbeite dies Stück zu seiner eignen Todesfeyer«. Und Rochlitz fügt noch hinzu: »Von dieser Idee ließ er sich nicht abbringen; arbeitete also, wie Raphael seine Verklärung, stets im Gefühl seines nahen Todes, und lieferte, wie dieser, die Verklärung seiner selbst.«1 Den Vergleich von Raffael und Mozart entfaltet Rochlitz zwei Jahre später in einem eigenen Artikel, der auch den Zusammenhang von Todesahnung und Verklärung aufgreift. In einem spielerischen Vergleich, der über sich aufdrängende Analogien die Verschiedenheit nicht übersieht, skizziert Rochlitz eine Genieästhetik, die die geniale Erfindung über die talentierte Ausführung stellt und insbesondere das Spätwerk von Raffael und Mozart würdigt (von einem Alterswerk lässt sich ja nicht sprechen). Die Entstehung und Bedeutung des jeweils letzten Werkes wird folgendermaßen beschrieben: Beyde fühlten die kalte Hand des Todes, die sie schon ergriff; beyde wollten sich erst noch Denkmähler für die Ewigkeit stiften; Beyde wählten die Verklärung – Raphael, des Erlösers, Mozart der Erlöseten. Mit dem Eifer derer, welche die Larve des Todes um sich schweben sehen, und mit der Anstrengung derer, welche fühlen ›das ist dein Leztes,‹ arbeiteten beyde und gaben hier gleichsam die Quint1 Friedrich Rochlitz: Verbürgte Anekdoten aus Wolfgang Gottlieb Mozarts Leben, Nr."10, 5.#Dez. 1798, Sp."150$f. 9
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
essenz ihrer heiligsten Gefühle. Beyder Verklärungen verklärten sie selbst. Raphaels Werk wurde das erste der neuern Mahlerey, Mozarts, das erste der neuern religiösen Musik […].2 Die Charakterisierung von Mozarts Requiem, mit dem sich das von Todesahnungen getriebene Genie selbst verewigt habe, als das Meisterwerk ›religiöser Musik‹ verweist nebenbei auf den ›Requiemstreit‹, der sich an der Frage nach der alleinigen Urheberschaft Mozarts entzündete, und auf die Überwindung des Ordnungsschemas von kirchlicher und weltlicher Musik (wobei Rochlitz mit Bezug auf Raffaels und Mozarts letzte Werke in der zitierten Passage noch einschränkend anmerkt, dass »manche Kenner die Haltung einiger Theile in beyden etwas zu schwarz« finden).3 Wie anregend Rochlitz’ Artikel war, der noch Jahrzehnte später weiterverbreitet wurde, zeigt sich an den vielen Variationen des Vergleichs von Raffael und Mozart. Auch in einem Mitte des 19.#Jahrhunderts verfassten Volksstück mit Szenen aus Mozarts Leben von Leonhart Wohlmuth ist der Einfluss von Rochlitz nicht zu verkennen, wobei der bei diesem Raffael und Mozart verbindende Bezug auf die Verklärung nun eher als Überbietungsversuch präsentiert wird. So entgegnet Mozart der um seine Gesundheit bangenden Constanze: Ich muß meine Sendung erfüllen, so lange der Wille mich noch trägt, die Kraft mich noch begleitet. – Du kennst Raphaels Verklärung: sie ist sein letztes Werk! Wie er in Farben, so will ich eine Verklärung in Tönen malen, aber nicht nur die Verklärung des Herrn, nein, die Verklärung aller Geister, zu der sie aus den Schrecken des Grabes, aus den Schauern der Auferstehung empor schweben. Als ein Versöhnungsgesang zwischen Zeit und Ewigkeit soll mein Requiem hingehen über die Erde und all’ die harrenden Gemüther erheben und tragen, auf mächtigen Schwingen – über die Wolken empor!4 Ob die Verklärung aller Auferstandenen ein anspruchsvolleres Sujet bildet als die solitäre Verklärung des Herrn, darf bezweifelt werden, doch illustriert die Szene, wie populär der auf die Verklärung fokussierende Vergleich von Raffael und Mozart geworden war. Nun ist dieser Fokus weniger selbstverständlich, als es die angeführten Beispiele 2 Friedrich Rochlitz: Raphael und Mozart, Sp."651. 3 Zum musikkritischen Kontext vgl. Elizabeth Kramer: The Idea of Transfiguration in the Early German Reception of Mozart’s Requiem. 4 Leonhart Wohlmuth: Mozart, S."53. 10
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
mit ihrer auffallenden rhetorischen Markierung des Verklärungsbegriffs nahelegen (besonders beliebt in dieser Hinsicht die Kombination von transitiver und reflexiver Verwendung: Verklärung von jemandem und Verklärung seiner selbst), denn mit der hier und heute üblichen Rede von Verklärung lässt sich das kaum in Verbindung bringen. In der Alltagssprache wird mit dem Wort ›Verklärung‹ heute schließlich eine Überhöhung, und zwar vor allem eine ungerechtfertigte Überhöhung (Fälschung, Täuschung oder Beschönigung) bezeichnet, deren Musterbeispiel die Verklärung der Vergangenheit ist. Um sich dem Bedeutungswandel der Verklärung und damit dem Thema dieses Buches anzunähern, sollen die beiden bei Rochlitz genannten Varianten der Verklärung, die des Erlösers und die der Erlösten, erst einmal gesondert betrachtet werden. Zunächst zur zweiten Variante, der Verklärung der Erlösten, die unmittelbar verständlich scheint: Sie bezeichnet die nach christlichen Vorstellungen auf den Tod eines Gläubigen folgende Erhebung zu Gott, wie auch immer der Zusammenhang von Tod, Auferstehung und Aufnahme ins Himmelreich im Einzelnen bestimmt wird.5 Wenn man sich danach umsieht, wie diese Auferstehungs- oder Himmelfahrts-Variante der Verklärung zur Zeit der Veröffentlichung von Rochlitz’ Artikel in den Künsten thematisiert wird, stößt man auf eine explizit als ›Verklärungen‹ bezeichnete Gruppe von Texten, in denen zu erbaulichen Zwecken die Bewährung des Christen in der Todesstunde und seine triumphale Erhebung vor den Thron des Höchsten geschildert wird. Auf diese Weise gestaltet zum Beispiel Heinrich Jung-Stilling in Lavaters Verklärung (1801) den Todesaugenblick und die anschließende Erhöhung seines verstorbenen Freundes als seraphisches Schlüsseldrama (und nach demselben Muster wird später sein eigener Tod samt anschließender Himmelfahrt dramatisiert werden). In diesen Texten kommt eine vom Pietismus und von theosophischen Geistesströmungen geprägte Religiosität zum Ausdruck, die sich mit ›Szenen aus der Geisterwelt‹ dem Absolutheitsanspruch aufklärerischer Vernunft entgegenstellt. Bekannter und für die Zeit bezeichnender sind allerdings Verklärungsszenen, in denen die Motivik von Auferstehung und Himmelfahrt übernommen, der Bezug auf das Christentum aber gelockert oder gelöst wird. Das Muster hierfür ist die Goethes Faust beschließende »Bergschluchten«-Szene, die in Ro5 Vgl. z.$B. Michael Wolter: Die Auferstehung der Toten und die Auferstehung Jesu. 11
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
bert Schumanns musikalischer Reflexion über Szenen aus Goethes »Faust« ausdrücklich »Fausts Verklärung« genannt wird. Die von Goethe eingesetzten Elemente einer katholisch gefärbten Glaubenswelt lassen sich durchaus als Verklärung bezeichnen, jener Prozess der Steigerung, Vervollkommnung und ›Umartung‹, der nach Fausts Tod vom seraphischen Blick der seligen Knaben über die Engel mit Faustens Entelechie bis vor die Mater gloriosa führt, mit den Worten des Doctor Marianus: Die Herrliche, mitteninn, Im Sternenkranze, Die Himmelskönigin, Ich seh’s am Glanze.6 Die künstlerische Anverwandlung lässt die religiöse Referenz der Verklärung jedoch in den Hintergrund treten und vieldeutig werden, schließlich ist die christliche Vorlage in Goethes Tragödie durch andere Weltanschauungen relativiert und einer ästhetischen Perspektive unterstellt. Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn Wagner den Schluss von Tristan und Isolde als ›Verklärung‹ und nicht als ›Liebestod‹ bezeichnet. Isoldes Schlussgesang enthält Anspielungen auf die christliche Himmelfahrt, wobei in diesem Fall der Geliebte marienhafte Züge bekommt: Immer lichter wie er leuchtet, wie er minnig immer mächt’ger, Stern-umstrahlet hoch sich hebt […].7 Isoldes Ekstase führt wohlgemerkt nicht zur Transzendierung der Welt, sondern zum Aufgehen »in des Welt-Athems / wehendem All«, ehe sie, laut Anweisung, »wie verklärt« auf Tristans Leiche niedersinkt.8 Und in diese Reihe zunehmend ins Kunstsystem verlagerter 6 FA I 7/1, S."460 (V."11993-11996). 7 Richard Wagner: Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd."VII, S."110; übrigens eine Reminiszenz an Goethes »Bergschluchten«-Szene, vgl. Dieter Borchmeyer: Richard Wagner, S."350$f. 8 Richard Wagner, a.a.O., S."112. Vgl. Wagners programmatische Erläuterung: Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd."XII, S."347: »Doch, was das Schicksal für das Leben trennte, lebt nun verklärt im Tode auf; die Pforte der Vereinigung 12
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
und säkularisierter Auferstehungen und Himmelfahrten gehört schließlich auch die Tondichtung Tod und Verklärung von Richard Strauss, deren Konzeption auf Fausts finale Erhebung und Isoldes Liebes-Verklärung zurückverweist. Was bei Strauss Ende des 19.#Jahrhunderts unter Verklärung zu verstehen ist, erschließt sich aus der musikalisch zum Ausdruck gebrachten Verwandlung und Erhebung, nicht aber aus dem der Komposition nachträglich unterlegten Gedicht von Alexander Ritter – denn was ist das eigentlich für eine ›Welterlösung‹ und ›Weltverklärung‹, die der Sterbende als Widerhall des Universums vernimmt? Die angeführten ästhetischen Apotheosen, auf die an späterer Stelle noch genauer eingegangen wird, sollen nur verdeutlichen, dass die Rede von Verklärung im Sinne der Auferstehung und Himmelfahrt geläufig geblieben ist und gerade im Bereich künstlerischer Produktion stimulierend wirkt, wobei der christliche Bezugsrahmen an Bestimmtheit und Verbindlichkeit verliert. Das gilt auch für die Gegenwart, in der die rhetorische Verbindung von Tod und Verklärung Bestand hat, mag sie auch etwas pathetisch wirken und eine komische Brechung herausfordern. In dem vor einigen Jahren erschienenen Roman Die Auferstehung von Karl-Heinz Ott veranlasst der vermeintliche Tod des Familienoberhaupts folgenden Wortwechsel zwischen den Kindern: »Ich finde, er hat was Verklärtes. [/] Verklärt? Finde ich jetzt ein bisschen übertrieben. Aber entspannt. Irgendwie entspannt, könnte man sagen. Als hätte so ein Tod etwas Tröstliches.«9 Nach der Verklärung der Erlösten, der Auferstehungs- und Himmelfahrts-Variante, nun zu der anderen bei Rochlitz genannten Variante: der Verklärung des Erlösers. Auch in diesem Fall scheint eine Erläuterung auf den ersten Blick unnötig: Bezugspunkt ist der in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas enthaltene Bericht über die Verklärung Jesu auf dem Berge (Mt"17,1-9[13]; Mk"9,2-10[13]; Lk"9,28-36). Doch anders als die Vorstellung von einer Auferstehung und Auffahrt in den Himmel ist die Verklärungsberg-Geschichte dem (westeuropäischen) kulturellen Gedächtnis eher fremd geblieben, weshalb zunächst einmal die Bibelepisode zu vergegenwärtigen ist. Hier die bei Markus gegebene Version: ist geöffnet. Über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die seligste Erfüllung des glühenden Sehnens, ewige Vereinigung in ungemessenen Räumen, ohne Schranken, ohne Banden, unzertrennbar! –« 9 Karl-Heinz Ott: Die Auferstehung, S."186. 13
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus, Jakobus und Johannes und führte sie auf einen hohen Berg, nur sie allein. Und er wurde vor ihnen verklärt; und seine Kleider wurden hell und sehr weiß, wie sie kein Bleicher auf Erden so weiß machen kann. Und es erschien ihnen Elia mit Mose, und sie redeten mit Jesus. Und Petrus antwortete und sprach zu Jesus: Rabbi, hier ist für uns gut sein; wir wollen drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Er wusste aber nicht, was er redete; denn sie waren verstört. Und es kam eine Wolke, die überschattete sie. Und eine Stimme geschah aus der Wolke: Das ist mein lieber Sohn; den sollt ihr hören! Und auf einmal, als sie um sich blickten, sahen sie niemand mehr bei sich als Jesus allein. Als sie aber vom Berg herabgingen, gebot ihnen Jesus, dass sie niemandem sagen sollten, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn auferstünde von den Toten. Und sie behielten das Wort und befragten sich untereinander: Was ist das, auferstehen von den Toten? Und sie fragten ihn und sprachen: Sagen nicht die Schriftgelehrten, dass zuvor Elia kommen muss? Er aber sprach zu ihnen: Elia soll ja zuvor kommen und alles wieder zurechtbringen. Wie steht dann geschrieben von dem Menschensohn, dass er viel leiden und verachtet werden soll? Aber ich sage euch: Elia ist gekommen, und sie haben ihm angetan, was sie wollten, wie von ihm geschrieben steht. (Mk"9,2-13)10 Es sind insbesondere temporale Aspekte, die diese Episode so eigenartig und einzigartig erscheinen lassen: So handelt es sich um eine vorübergehende Verwandlung und Verherrlichung, einen Vorschein von Herrlichkeit, im Gegensatz zu der zuvor illustrierten endgültigen Verwandlung der Auferstehung und Himmelfahrt; und diese vorübergehende Erscheinung Jesu in seiner Hoheit zeigt sich vor seiner Passion, vor der Erniedrigung, vor Leiden, Tod am Kreuz und Auferstehung. Das Verhältnis von menschlicher und göttlicher Erscheinung des Gottmenschen ist insofern paradox, als, wie Marius Reiser anmerkt, »der vorösterliche Jesus wenigstens für einen Augenblick die Natur des Erhöhten zeigt, während der Erhöhte nach Ostern immer nur die Natur des Menschen Jesus von Nazareth zeigt«.11 Die Offenbarung der Herrlichkeit ebendes vorösterlichen Jesus verdeutlicht nach François Vouga die dem Evangelium eigene Dialektik des Alltags, insofern sie auf Lehre und Wirken des menschgewordenen Gottes 10 Die Bibel wird, wenn nicht anders vermerkt, nach der Lutherbibel 2017 zitiert. 11 Marius Reiser: Die Verklärung Jesu (Mk"9,2-10), S."34. 14
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
und deren Bedeutung für die alltägliche Existenz des Menschen verweist.12 So irritierend die Verklärungsberg-Geschichte aufgrund ihrer paradoxen Struktur als vorläufige und vorausweisende Vollendung ist, die Konfrontation mit ihr scheint unausweichlich, schließlich handelt es sich nicht um ein beiläufiges Geschehen, sondern um ein – worauf schon die Platzierung innerhalb der Texte hindeutet – zentrales Ereignis der drei synoptischen Evangelien: Die Verklärung auf dem Berge bildet die Mitte der Lebensgeschichte Jesu, sie verweist zurück auf seine Taufe und voraus auf seine Wiederkunft und sie bekräftigt das Zusammenwirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Zugleich setzt die Verklärung Jesu das Neue Testament zum Alten Testament in Beziehung, wobei das Trennende wie das Verbindende hervorgehoben werden kann, etwa die Überbietung des mosaischen Gesetzes durch das jesuanische Evangelium oder die Teilhabe an einer gemeinsamen Autorität durch das Entsprechungsverhältnis von Elia und Johannes dem Täufer. Die Verklärung auf dem Berge stellt somit ein singuläres und komplexes Geschehen dar, das zu den zentralen Elementen des Christentums zählt – und das in der Geschichte der westlichen Kulturen doch seltsam unbeachtet bleibt. Das gilt natürlich nicht ausnahmslos. Eine berühmte Ausnahme wurde ja in dem Artikel von Rochlitz erwähnt, Raffaels Darstellung der Verklärung des Erlösers auf seinem letzten Gemälde (Abb.$$1). Raffaels Darstellung ist herausragend, weil es ihm gelingt, die Singularität und Komplexität der VerklärungsbergGeschichte durch eine Reihe originärer bildnerischer Ideen wiederzugeben, deren auffälligste selbstverständlich die Verschränkung des Verklärungsgeschehens mit der in den synoptischen Evangelien darauf folgenden Episode der Heilung eines besessenen (mondsüchtigen) Knaben ist (Mk"9,14-29 parr.), so dass die Entrückung in höhere Sphären in einer Beziehung zur niederen, dämonischen Wirklichkeit steht. 12 François Vouga: Die Transfiguration Christi, S."29: »Die wesentliche Aussage der Transfiguration ist, dass die historische Person Jesu von Nazareth, der sein Leben hingeben und sterben wird, die Gegenwart der Transzendenz verkörpert, die die Geschichte des Alltags schenkt und bestimmt. Die Aussage der göttlichen Stimme, die aus der Wolke kommt, verweist auf die wesentliche Bedeutung der Szene: Es geht nicht um die Verherrlichung Jesu, sondern um die Deutung, um das Verständnis, um eine Veränderung und um die Befreiung der menschlichen Existenz innerhalb ihres Alltags. Die Transfiguration Christi offenbart die unmögliche Möglichkeit, die Zeitlichkeit der menschlichen Existenz von der Wirklichkeit der Transzendenz her als Gabe Gottes zu verstehen und zu gestalten.« 15
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
Der etablierte Bildtitel Transfiguration wird dieser Komposition eigentlich nicht gerecht. Raffaels Darstellung ist nun allerdings kein Einwand gegen die konstatierte kulturelle Irrelevanz der Verklärungsberg-Geschichte, sie kann diesen Befund vielmehr bestätigen: Zum einen dadurch, dass es sich bei Raffaels Darstellung eben um eine Ausnahme, eine der innerhalb der westlichen Kunstgeschichte seltenen originellen Darstellungsweisen handelt; zum anderen und vor allem aber dadurch, dass Raffaels Gemälde über einen langen Zeitraum, von seiner Entstehung bis ins 20.#Jahrhundert, als kontroverses Leitbild unzählige affirmative und kritische Kommentare hervorruft,13 sich diese Kommentare aber meist auf Raffaels Darstellungsweise konzentrieren und kaum der biblischen Vorlage widmen. Um ein Beispiel für diese Vernachlässigung der biblischen Vorlage zu geben, sei noch einmal an den Artikel von Friedrich Rochlitz erinnert, von dem diese Überlegungen ihren Ausgang genommen haben. Rochlitz verweist zwar darauf, dass Raffael in seinem letzten Werk die Verklärung des Erlösers dargestellt hat, doch vor allem im Hinblick auf die damit vollbrachte Selbstvollendung des Genies. Die vorläufige Verklärung des Erlösers tritt tendenziell hinter der endgültigen Erlösung des Genies zurück.14 Dieselbe Gewichtung findet sich in der 13 Ein Verzeichnis literarischer und bildnerischer Referenzen enthält Sebastian Dohe: Leitbild Raffael – Raffaels Leitbilder, S."288-300 bzw. S."301-315. Welche Bedeutung Raffaels letztem Gemälde beigemessen wird, lässt sich zum Beispiel daran ersehen, dass sich das Gemälde zu der Zeit, in der Rochlitz’ Artikel über Raffael und Mozart veröffentlicht wird, als Beutekunst in Paris befindet und von Napoleon kulturpolitisch eingesetzt wird, als Symbol des Führungsanspruchs der französischen Kultur und der Unsterblichkeit des künstlerischen Genies wie seines politischen Schutzherrn, vgl. Martin Rosenberg: Raphael’s »Transfiguration« and Napoleon’s Cultural Politics. 14 In anderen Versionen des Vergleichs von Raffael und Mozart werden die religiösen Referenzen der Verklärung etwas stärker ausgeführt, z.$B. Hermann Ulrici: Raphael im Vergleich mit Mozart, S."247: »Raphaels letztes Gemälde, die Transfiguration […] und Mozarts Schwanengesang, das berühmte Requiem, drückten jedes in seiner Weise die Sehnsucht nach der himmlischen Verklärung aus, welche als Erhebung zum Göttlichen ihre Seele stets durchzogen, am Ende ihres Lebens aber wie eine Vorahnung des Todes sie ergriffen und gerade zu jenen Compositionen begeistert haben mag.«; Friedrich Ritter von Hentl: Raphael und Mozart, S."86: »Wie nun hier die menschliche Natur in Christus verklärt erscheint, so zeigt sie sich im unteren Theile des Gemäldes in ihrer tiefsten Zerrüttung. […] Auch dieses Werk ist eine Verklärung Christi; denn auch in ihm webt die große That der Erlösung mit allen ihren Verheißungen und Erfüllungen; auch in ihm weckt die Diesirae Stimme des Gewissens, in dem von der Sünde besessenen Menschen das Bewußtsein seiner Schuld, und läßt 16
Abb. 1: Raffael: Transfiguration (1516-1520)
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
folgenden Elegie des Dichters Friedrich von Matthisson, dem Rochlitz’ Artikel gewidmet ist: Raphaels Verklärung Als er das Wunderbild kaum der hohen Verklärung vollendet, Trug seine Seele zu Gott freundlich ein Seraph empor. Göttlich das Göttliche lohnend, erhub zur Fülle des Lebens Und in der Blüte des Ruhms, ihn zur Verklärung der Herr.15 Die anhand des Rochlitz-Artikels erfolgte erste Annäherung an das Thema lässt sich so zusammenfassen: Der Kontrast zwischen der in quantitativer wie qualitativer Hinsicht auffälligen Bezugnahme auf die Verklärung, wie sie die Variationen des Vergleichs von Raffael und Mozart illustrieren, und der hier und heute üblichen Rede von Verklärung verweist auf einen tiefgreifenden Bedeutungswandel; und bei genauerer Betrachtung der religiösen Referenzen des Verklärungsbegriffs fällt auf, dass die Verklärung im Sinne der endgültigen Verherrlichung im (westeuropäischen) kulturellen Gedächtnis präsent geblieben ist, während die auf der Verklärungsberg-Geschichte basierende Variante der vorläufigen und vorausweisenden Verherrlichung darin kaum aufgenommen oder verdrängt wurde. Die zweite Annäherung an das Thema beginnt mit der Konsultation ausgewählter Wörterbücher. Im Teutschen Sprachschatz (1691) verzeichnet Kaspar von Stieler unter dem Stichwort ›Verklären‹ zwei Bedeutungen: Das Wort wird als Synonym für ›Erklären‹ verwendet, seine eigentliche Bedeutung sei aber ein Strahlen und Glänzen bewirkendes ›Klar-Machen‹ (»clarificare, illuminare & illustrare«), dessen religiöse Qualität durch Verweis auf die Rede vom verklärten Leib der Seligen verdeutlicht wird.16 In ähnlicher Weise wird die Doppeldeutigihn sehnsuchtsvoll aufblicken zu dem verklärten Heilande und seinem Versöhnungsopfer.« 15 Friedrich von Matthisson: Raphaels Verklärung. 16 Kaspar von Stieler: Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs$/ oder Teutscher Sprachschatz, Sp."967$f. Die Doppeldeutigkeit ›erklären‹/›klar machen‹ lässt sich weiter zurückverfolgen, vgl. Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, Bd."3 (1878), Sp."145. Wie Günther#W. Rohr in einer Studie zur Entlehnung des Adjektivs ›klâr‹ im 12.#Jahrhundert zeigt, erfolgt die Entlehnung aus dem Lateinischen mit besonderer Rücksicht auf das biblische Bedeutungsspektrum, während die Bedeutung der ›Erklärung‹ später hinzukommt; in der Studie wird die allmähliche Verbindung von profaner und sakraler Verwendung rekonstruiert, Rohr: ›klârheit‹ zwischen Geistlichkeit und 18
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
keit in Johann Christoph Adelungs Wörterbuch (1811) vermerkt: Die Verwendung des Wortes ›Verklären‹ in der Bedeutung von ›Erklären‹ gilt nun als veraltet (ganz abgesehen von der wörtlichen Bedeutung ›klar, hell, heiter machen‹, »in welchem Verstande es doch nur noch zuweilen in der dichterischen Schreibart vorkommt«); die Verwendung zur Kennzeichnung eines religiös qualifizierten ›Klar-Machens‹ erscheint als eine Besonderheit der deutschen Bibel und religiösen Literatur, deren Bedeutung wie folgt spezifiziert und paraphrasiert wird: Deutliche Erkenntniß von jemandes Klarheit, d.$i. Herrlichkeit, wirken; eine nur in der Deutschen Bibel und biblischen Schreibart übliche Bedeutung. […] Nach einer andern gleichfalls nur biblischen Bedeutung bezeichnet es durch eine Verwandlung der außerwesentlichen Umstände einen höhern Grad der Klarheit, der Feinheit, der Bewegungskraft und Geschwindigkeit ertheilen. In diesem Verstande ward Christus auf Thabor verklärt.17 So überzeugend die Unterscheidung zwischen dem Erkennen von Klarheit und der Verwandlung in Klarheit ist, so bedenklich ist die beiläufige Beschreibung der Verklärung Jesu auf dem Berge als »Verwandlung der außerwesentlichen Umstände«, weil das Paradox des Gottmenschen durch Veräußerlichung des Menschlichen aufgelöst wird. In den Artikeln des Grimm’schen Wörterbuchs zu den Stichworten ›verklären‹ und ›verklärung‹ wird die bei Stieler und Adelung gegebene Bedeutungsgliederung im Wesentlichen bestätigt, allerdings werden die beiden Hauptbedeutungen in umgekehrter Reihenfolge, also zuerst die Bedeutung ›klar machen‹ und dann die Bedeutung ›erklären‹ behandelt und vielfach untergliedert. Die Anordnung innerWeltlichkeit, S."79: »Mit Sakralgegenständen ist eine Verbindung vom weltlichen zum religiösen Bereich benannt; denn der irdische Glanz diente zur Darstellung göttlicher Herrlichkeit. Die Dichter deuteten diese Verbindung selbst an, indem sie göttliche Verklärung mit dem strahlenden Glanz der Sonne erläuterten. Das Adjektiv klâr im religiösen Sinne bedeutet ›verklärt‹, klârheit zuerst die Herrlichkeit Gottes, dann auch die Marias. Von Maria ausgehend ist klâr in die Minnelyrik eingedrungen; für die frühe Zeit ist die Übertragung von klâr auf Minne und Tugend belegt.« Von einer Einführung des Wortes in die Literatur durch Wolfram von Eschenbach kann demnach nicht gesprochen werden, vgl. dagegen Claudia Brinker-von der Heyde: ›Lieht‹, ›schîn‹, ›glast‹ und ›glanz‹ in Wolframs von Eschenbach »Parzival«, S."92 Anm."9. Vgl. ferner Winfried Ulrich: Semantische Untersuchungen zum Wortschatz des Kirchenliedes im 16.#Jahrhundert, S."110-112. 17 Johann Christoph Adelung (Hg.): Grammatisch-kritisches Wörterbuch, Bd."4, Sp."1070. 19
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
halb der Untergruppen entspricht einer zunehmenden Vergeistigung, Verinnerlichung oder Sakralisierung der Semantik. Besonders hervorgehoben wird »der in der sprache der kirche üblich gewordene gebrauch: verklären für emporheben über das irdische, erhöhen durch abwerfen der irdischen schwächen. hier gibt verklären das neutestamentliche δοξαζειν, δοξαζεσθαι, μεταμορφουν, μεταμορφουσθαι wieder.« Die Verwendung des Substantivs ›verklärung‹ zur Wiedergabe des kirchlichen ›transfiguratio‹ wird auf das ausgehende 15.#Jahrhundert datiert. Von den vielen untergeordneten Bedeutungen sei hier nur herausgegriffen, dass die Bedeutung der ›Entrückung ins Überirdische‹ dazu geführt hat, dass das Wort auch auf Verstorbene angewandt wird.18 Auch diesen Wortgebrauch haben die einleitenden Bemerkungen zu Raffael und Mozart bereits vor Augen geführt. Die Schwierigkeit solch lexikalischer Darstellungen besteht weniger in der Bedeutungsuntergliederung denn in der genauen Bestimmung des in einer Hauptbedeutung implizierten Verwandlungsbegriffs, worauf anlässlich des Adelung’schen Kommentars zur Verklärung Jesu schon hingewiesen wurde. Wie kompliziert die Spezifizierung der als Verklärung bezeichneten Verwandlung ist, zeigt zum Beispiel der einschlägige Artikel in Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon (1746). Darin wird die neutestamentliche Verwendung des Verklärungsbegriffs zunächst mit Bezug auf Christus und unter Hervorhebung des Zusammenhangs von Kreuz und Herrlichkeit behandelt, dann mit Bezug auf die verklärten Leiber der Gläubigen und unter Berufung auf Phil 3,21: »der unsern geringen Leib verwandeln [μετασχηματισει] wird, dass er gleich werde seinem verherrlichten Leibe nach der Kraft, mit der er sich alle Dinge untertan machen kann.« Diese Verwandlung des Leibes wird folgendermaßen kommentiert: Das Wort μετασχηματισει heisset etwas in eine gantz andere Forme giessen, wie ein Goldschmidt einen alten verdorbenen Becher endlich in einen Hauffen zusammen schläget, die Stücken in den Schmeltz-Tiegel wirfft, und nach der gäntzlichen Veränderung ein neues schönes Gefässe daraus machet. Es heisset, in eine andere 18 Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd."25, Sp."650-654 bzw. Sp."654$f., das Zitat Sp."651; vgl. z.$B. Joachim Heinrich Campe (Hg.): Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd."5 (1811), S."317; Daniel Sanders: Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd."2 (1876), S."923; Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch (1883), S."165; Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch (1897), S."504. 20
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Gestalt verwandeln, wie ein Comödiant seine eigentliche Person aus, dargegen die Person des Königes anziehet, und mit derselben auch allen königlichen Ornat anleget: Also wird Gott unsere Leiber gantz umgiessen, und von aller Unreinigkeit säubern. Er wird diesen heßlichen Sack ausziehen, und uns ein schön Kleid anlegen. Den Leib sollen wir zwar behalten, den wir hier haben, und der Substanz und Wesen nach keinen andern bekommen, wohl aber eine andere Gestalt, ein ander Ansehen, anderen Qualitäten und Eigenschafften.19 Der Kommentar hebt die Totalität der Umformung oder Umgestaltung hervor. Der Vergleich mit dem Goldschmied, der einen verdorbenen Becher zerschlägt und einschmilzt, um daraus ein neues Gefäß zu gießen, weckt neben biblischen Assoziationen vielleicht auch die Vorstellung mystisch-alchimistischer Techniken.20 Besonders bemerkenswert ist der Vergleich mit dem Schauspieler, der Maske und Kostüm des Königs anlegt, weil damit nolens volens das Illusionäre der Verwandlung signalisiert wird. Die Vergleiche verdeutlichen so die grundsätzliche Problematik des Verwandlungsbegriffs, wenn dieser die gänzlich veränderte Erscheinung eines unveränderlichen Wesens, völlig neue Eigenschaften einer sich gleich bleibenden Substanz, Differenz und Identität zugleich erfassen soll. Als ein Gegenstück zu Zedlers die Differenz akzentuierender Erläuterung der Verwandlung des Leibes sei noch ein Aphorismus des Philosophen Franz von Baader wiedergegeben, der sich ebenfalls der Metaphorik des Schmiedens bedient, damit aber gerade die Verbindung von Schöpfer und Geschöpf hervorhebt:
19 Johann Heinrich Zedler (Hg.): Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd."47 (1746), Sp."1016-1018, hier Sp."1018. 20 Vgl. in Bezug auf die Bibel z.$B. Röm"9,21; II"Tim"2,20$f.; in Bezug auf die Mystik z.$B. Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann, Erstes Buch, Nr."246, S."87: »Die Tingierung. // Der heilge Geist, der schmelzt, der Vater, der verzehrt, / Der Sohn ist die Tinktur, die Gold macht und verklärt.« In der Blütezeit der ›Deutschen Mystik‹ ist ›Verklärung‹ gemäß der Grimm’schen Datierung noch nicht als theologischer Terminus etabliert, allerdings wird die Verwendung des Wortes ›Klarheit‹ zur Bezeichnung himmlischer Herrlichkeit gerade durch die Mystik befördert, Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd."11, Sp."1002: »das wort ist besonders durch die mystiker in gang gekommen, durch das innere schauen der göttlichen herrlichkeit kommt auch in die menschenseele jene ›klarheit‹, was sich dann sachlich mit der ›klarheit‹ der erkenntnis berührt«. 21
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
Wenn man ein im Feuer hellglühendes Eisen ins Wasser wirft, so kömmt dasselbe als finster, hart, kalt u.$s.$f. zum Vorschein, und zwar nicht weil es nun erst zum Eisen geworden ist oder seine Natur erst hiermit erhalten wie im Feuer selbe verloren hat. Auf ähnliche Weise verhält es sich mit der Creatürlichkeit in Bezug auf ihre Vollendung in Gott, welche die Schrift auch die Verklärung heisst, und der irdisch gewordene Mensch selber ist als ein solches Eisen zu betrachten, in welchem das göttliche Feuer erloschen ist, mit welchem göttlichen oder himmlischen Feuer in ihm als einem nicht geraubten, sondern ihm gegebenen und anvertrauten Feuer, dieser Prometheus die finster gewordene Natur und Creatur ausser sich wieder hätte anzünden und verklären sollen.21 Dass die Idee der Verwandlung, insbesondere im Sinne einer Leib und Geist betreffenden Erhebung, in einem engen Zusammenhang mit religiösen Vorstellungen steht und dieser Zusammenhang keineswegs nur auf das Christentum beschränkt ist, führt Clemens Heselhaus in einer skizzenhaften Typologie der Metamorphose aus: Der Zusammenhang der Metamorphose mit dem religiösen Denken, den Hegel schon aus dem Grundtypus der Degradation der Person ableitet, wird vielleicht aus dem andern Grundtypus der Erhebung (Ascension) noch deutlicher. Wir kennen ihn aus der antiken Mythologie als Verstirnung oder Vergottung. Diese Vorstellung spielt in den hellenistischen Mysterienreligionen eine Rolle. Als Parallelvorstellung (μεταμόρφωσις, transformari, transfigurari) zur Wiedergeburt bezeichnet er die leibliche Verklärung (Vergottung) und geistige Wesensänderung. Und die jüdische Apokalyptik und Mystik macht mit dem Bilde der Verwandlung den Übergang aus dem Irdischen zum Überweltlichen vorstellbar. So gebraucht auch das Neue Testament den Begriff der Metamorphose von der Verklärung Jesu als Ausdruck der eschatologischen Wirklichkeit, und Paulus verwendet den Begriff, um jenen unsichtbaren Vorgang zu bezeichnen, der in den Christen schon während dieses Lebens beginnen soll und der eine unablässig fortschreitende Verwandlung auf das Bild dessen hin ist, dessen Herrlichkeit sie schauen werden.22 21 Franz von Baader: Aus meinem Tagebuche, S."255. Vgl. auch die um das Thema des verklärten Leibes kreisenden Schriften des Baader-Schülers Julius Hamberger. 22 Clemens Heselhaus: Metamorphose-Dichtungen und Metamorphose22
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
Die Vielfalt der Verwandlungsvorstellungen spiegelt sich im dazugehörigen Vokabular, ohne sich doch eindeutig zuordnen zu lassen. Während der Begriff der ›Metamorphose‹ (zumal im Plural) vor allem mit Ovid und der Antike assoziiert wird oder auch mit Goethes naturwissenschaftlichen Schriften und Lehrgedichten, werden die Begriffe ›Verklärung‹ und ›Transfiguration‹ eher mit christlichen Vorstellungen, dem in den Wörterbuch-Artikeln betonten biblischen Gebrauch verbunden.23 Bemerkenswerterweise weckt der im Mittelpunkt dieser Studie stehende Verklärungsbegriff bereits zu der Zeit des modischen Vergleichs von Raffael und Mozart selbst Aufmerksamkeit. In diesen zeitgenössischen Bemerkungen zum Verklärungsbegriff ist eine Verschleifung der biblischen Prägung zu beobachten. So hält der Hegel-Schüler Karl Rosenkranz 1834 in seinem Tagebuch fest: Verklärung ist ein schöner, jetzt vielgebrauchter, zunächst aber unbestimmter Ausdruck. Unmittelbar bezeichnet er das Lichtwerden des Dunkeln. Mittelbar den Übergang aus dem Verworrenen ins Geordnete, den Verstand Anmuthende. Weiterhin das Übergehen von einem niedrigern Zustand in einen höhern überhaupt. Hierbei ist aber zu merken, daß nicht nur von quantitativer Steigerung, sondern auch von qualitativer Veränderung die Rede sein muß. Wir nennen z.$B. Verstorbene auch Verklärte.24 Aufhellung, rationale Durchdringung (klar und deutlich), qualitative Änderung, das sind nach Rosenkranz Bestandteile der Bedeutung des wörtlich und übertragen verwendeten Verklärungsbegriffs. In seiner Abhandlung »Die Verklärung der Natur«, die Rosenkranz drei Jahre später in der Zeitschrift für spekulative Theologie veröffentlicht, versteht er unter Verklärung dementsprechend einen auf vielfältige Weise erfolgenden Prozess der Vergeistigung, der im Christentum kulminiert, ohne dass die biblische Verwendung des Verklärungsbegriffs berücksichtigt würde.25 In begriffsgeschichtlicher Hinsicht noch bemerkensungen, S."122$f. Vgl. Andreas Dorschels Ideengeschichte der Verwandlung, die hier im Forschungsbericht vorgestellt wird. 23 Vgl. z.$B. Verena Kuni: Metamorphose, S."76$f. 24 Karl Rosenkranz: Aus einem Tagebuch, S."3. Zur Stilisierung des wesentlich später publizierten Tagebuchs, das mit der auf diese Weise programmatische Bedeutung erhaltenden Verklärungs-Notiz eröffnet wird, vgl. Andreas Dorschel: Denktagebücher, S."270$f. 25 Karl Rosenkranz: Die Verklärung der Natur. Vgl. Wilhelm Kühlmann: Das Ende der ›Verklärung‹, S."426-430. 23
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
werter ist, dass der ebenfalls zu Hegels Schülerkreis zählende Gustav Leopold Städler der Verklärung sogar einen kleinen Aufsatz widmet, der 1865 aus dem Nachlass veröffentlicht wird. Das Wort ›Verklärung‹, welches nach Städler »zu den sinnvollsten unserer Sprache« gehört, bezeichnet demnach eine Leib und Geist betreffende Erhebung, eine (wie schon bei Rosenkranz) an Hegels spekulative Selbstaufhebung alles Endlichen im absoluten Geist anschließende Vergeistigung, die nun in einem optimistischen Bildungsprogramm kulminiert: Je mehr wir uns bestrebten, alles Dunkele und Düstere an uns zu vertilgen, gleichsam die unreinen Schatten, die das von allen Seiten beschränkte und beschränkende Leben auf uns wirft, von uns zu vertreiben; je mehr es uns gelänge, das heitere, freudige und erfreuende Licht unserer Geistigkeit durchaus walten und wirken zu lassen: desto mehr würden wir in derjenigen Klarheit und Reinheit erscheinen, die eigentlich unsere innerste Menschennatur ausmacht, und unsere Verklärung, jetzt nur ein jenseit des Grabes stehender Gedanke, würde schon diesseit desselben eine Wahrheit haben.26 Die Kommentare von Rosenkranz und Städler belegen die Anziehungskraft, die der Verklärungsbegriff trotz zunehmend inflationären Gebrauchs hat. Dass solche philosophischen Definitionsversuche wenig Aussicht auf Erfolg gehabt haben dürften, mag auch den übergangenen religiösen Anklängen geschuldet sein. Die Bedeutungsanalyse des Verklärungsbegriffs wird, wie die Wörterbuch-Artikel und Begriffs-Kommentare zeigen, dann kompliziert, wenn die implizierte Idee der Verwandlung beziehungsweise die spezifisch christliche Idee der Verwandlung bestimmt werden müssen. Was diese Versuche zur Bestimmung der Bedeutung außerdem veranschaulichen, ist, dass sich der Verklärungsbegriff von Alternativen aus dem Begriffsfeld der Verwandlung in auffälliger Weise unterscheidet, indem er den visuellen Aspekt der Aufhellung, des Strahlens, Glänzens oder Leuchtens mit der Verwandlung verbindet. Der Verklärungsbegriff verweist auf die Semantik des Lichts oder genauer dessen vielfältige, zum Beispiel philosophische, theologische und rhetorische Semantisierungen.27 Die damit einhergehenden Fragen sind 26 Gustav Leopold Städler: Die Verklärung, S."269 bzw. S."271. 27 Einen Überblick über die Funktion der Lichtmetapher in Philosophie und Theologie vermittelt Johann Kreuzer: Licht. Den rhetorischen Aspekt verdeutlicht Bernhard Asmuth: Perspicuitas, indem die Verwandtschaft der 24
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von ebenso grundsätzlicher Art wie die mit der Verwandlung verbundenen, sie betreffen etwa die Vermittlung von Licht und Dunkel, die Gleichsetzung und Verschiedenheit von Licht und Erleuchtetem oder die Unterscheidbarkeit von wahrer und scheinbarer Aufklärung. Dass Gottes Glorie und die Glorifizierung von Schöpfer und Geschöpf durch die Lichtmetaphorik jedenfalls nicht unmittelbar verständlich werden, hat C.#S. Lewis mit der berechtigten Frage verdeutlicht: »who wishes to become a kind of living electric light bulb?«28 Durch die Geschichte von der Verklärung Jesu werden die Fragen der Lichtsemantik spezifiziert, sie betreffen dann zum Beispiel die beseligende und verstörende Wirkung des Lichts29 oder das Verhältnis zwischen visueller Verwandlung von Antlitz und Gewand und auditiver Bestätigung durch die Stimme aus der Wolke, das Verhältnis von Licht und Wort.30 Nachdem anhand des populären Vergleichs von Raffael und Mozart auf den Bedeutungswandel des Verklärungsbegriffs und die unterschiedliche kulturelle Relevanz seiner religiösen Referenzen, der Himmelfahrt beziehungsweise der Verklärung auf dem Berge, aufmerksam gemacht wurde, konnte mithilfe einiger lexikalischer Beiträge der Bedeutungskomplex des Verklärungsbegriffs umrissen werden, zu dessen Komplexität die impliziten Beziehungen zum Verwandlungsbegriff und zur Lichtsemantik beitragen. Die Zusammengehörigkeit von Verklärung, Verwandlung und Licht tritt bei der Verklärung Jesu auf besondere Weise vor Augen. Deshalb soll dieses Motiv in einer dritten Annäherung an das Thema genauer betrachtet werden, zunächst im Hinblick auf die Stellung innerhalb der Bibel und dann im Hinblick auf die religionsgeschichtliche Wirkung.
griffe ›perspicuitas‹ und ›claritas‹ sowie ein zeitweiliger Zusammenhang mit der religiösen Verklärung dargestellt wird. 28 C.#S. Lewis: The Weight of Glory, S."11; zum tieferen Verständnis dieses Aspekts der Herrlichkeit vgl. dann S."16-18. 29 Walter Sparn: »… und es ward Licht.«, S."87. Nach Dietmar Voss ist die Verklärung Jesu ein Musterbeispiel für die platonisch-christliche Positivierung der Sonnenmetaphorik, deren destruktive Seite von der ästhetischen Avantgarde wieder geltend gemacht wird: Das Licht und die Worte, S."82-86 und S."93 Anm."16. Vgl. ferner zu Verklärung und Dämmerung Hermann Timm: Zwischenfälle, S."119-122. 30 Walter Sparn: »… und es ward Licht.«, S."89$f. Übrigens ist die Verklärung Jesu bei Origines selbst eine Allegorie der Bibelexegese, vgl. Marius Reiser: Die Verklärung Jesu (Mk"9,2-10), S."35-38. 25
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Die Verklärung Jesu wird in den drei synoptischen Evangelien in mehr oder weniger differierenden Versionen geschildert.31 Die matthäische Version ähnelt stark der schon zitierten markinischen, sie akzentuiert jedoch zum Beispiel die Lichtqualität der Verwandlung Jesu und der göttlichen Wolke: Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. Und die Jünger fragten ihn und sprachen: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elia kommen? Er antwortete und sprach: Ja, Elia kommt und wird alles zurechtbringen. Doch ich sage euch: Elia ist schon gekommen, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern haben mit ihm getan, was sie wollten. So wird auch der Menschensohn durch sie leiden müssen. Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte. (Mt"17,1-13) Die lukanische Version unterscheidet sich auffallend von der markinischen und matthäischen, indem sie die Verklärung Jesu mit dessen Gebet verbindet und explizit von ›Klarheit‹ spricht, um die Herrlichkeit Jesu wie auch von Mose und Elia zu bezeichnen; auch wird darin der Inhalt der Ankündigungen von Mose und Elia angegeben, die das Ende (den ›Ausgang‹ in Luther 1984) der Lebensgeschichte Jesu in Jerusalem betreffen; schließlich werden dem betenden und verklärten 31 Synoptische Darstellung z.$B. in Carlo Maria Martini: Welche Schönheit rettet die Welt?, S."23-25. 26
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Jesus (vorausdeutend auf den Ölgarten) die schlafenden Jünger gegenübergestellt: Und es begab sich etwa acht Tage nach diesen Reden, dass er mit sich nahm Petrus, Johannes und Jakobus und ging auf einen Berg, um zu beten. Und als er betete, wurde das Aussehen seines Angesichts ein anderes, und sein Gewand wurde weiß und glänzte. Und siehe, zwei Männer redeten mit ihm; das waren Mose und Elia. Die erschienen in himmlischer Klarheit und redeten von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte. Petrus aber und die mit ihm waren, waren voller Schlaf. Als sie aber aufwachten, sahen sie seine Klarheit und die zwei Männer, die bei ihm standen. Und es begab sich, als sie von ihm schieden, sprach Petrus zu Jesus: Meister, hier ist für uns gut sein! Lasst uns drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Er wusste aber nicht, was er redete. Als er aber dies redete, kam eine Wolke und überschattete sie; und sie erschraken, als sie in die Wolke hineinkamen. Und es geschah eine Stimme aus der Wolke, die sprach: Dies ist mein auserwählter Sohn; den sollt ihr hören! Und als die Stimme geschah, fanden sie Jesus allein. Und sie schwiegen und verkündeten in jenen Tagen niemandem, was sie gesehen hatten. (Lk"9,28-36) Die Berichte über die Verklärung Jesu stehen unabhängig von ihren jeweiligen Eigenheiten innerhalb der Bibel in vielfältigen Verweisungszusammenhängen, die Vergegenwärtigung Christi in seiner Gottmenschlichkeit weist zurück in die Vergangenheit und voraus in die Zukunft. Paulus versteht sie als Zeugnis für die endgültige Aufhebung des Gesetzes durch das Evangelium, weil die Berufung in den Neuen Bund das Schauen der Herrlichkeit Gottes und Eingehen in diese verheißt, während im Alten Bund nur eine vergängliche Teilhabe möglich war, wie er sie Mose auf dem Sinai zuschreibt (wie auch die Umhüllung dieser Vergänglichkeit wegen).32 Die mit der (mittelbaren) Schau der Herrlichkeit Gottes einhergehende Verwandlung und Verherrlichung des Gläubigen wird in den berühmten Versen des zweiten Korintherbriefs beschrieben: »Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von
32 Klaus Berger: Paulus, S."50-54. 27
Abb. 2: Anonym: Darstellung biblischer Szenen (17. Jh.)
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dem Herrn, der der Geist ist.« (II"Kor"3,18 in Luther 1984)33 Als im paulinischen Geist ausgeführte Darstellung des Verhältnisses von Mose auf dem Sinai und Jesus auf dem Tabor kann der hier wiedergegebene Stich aus dem 17.#Jahrhundert gelten (Abb."2). Die Gegensätzlichkeit kommt auf allen Ebenen bildlich wie sprachlich zum Ausdruck: von Moses Empfang des Gesetzes im göttlichen Gewitter und der Bestätigung der Gottessohnschaft Jesu durch die Stimme aus der lichten Wolke (Mt"17,5) über die tödliche Grenze zwischen Berg und Volk (Ex"19,12) und das Wohlsein des Petrus auf dem Berg beim Anblick der zu Jesus sprechenden himmlischen Gestalten (Mt"17,4) bis zu den Inschriften, die die Erfüllung des Gesetzes gebieten (Dtn"27,26) und das Gesetz im Glauben an Christus aufheben (Röm"10,4). Während die Gegenüberstellung von Mose auf dem Sinai und Jesus auf dem Tabor im Anschluss an Paulus typologisch konventionalisiert ist, wird die Verklärung Christi in einem hier ebenfalls wiedergegebenen Scheibenriss aus dem 16.#Jahrhundert (Abb."3) auf unkonventionelle Weise zum Alten Testament in Beziehung gesetzt. Grundlage der Verbindung von Altem und Neuem Testament ist in diesem Fall folgender Vers aus dem Johannesevangelium: »Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.« (Joh"3,14-15) Der johanneische Vergleich verweist auf eine Episode aus dem 4."Buch Mose: Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben. (Num 21,6-9) 33 Hannes Langbein betont den Begriff der Oszillation, um in Überlegungen zum Gottesglanz bei Paulus die sichtbar-unsichtbare Vermittlung von geschaffenem und gefallenem Menschen zu beschreiben, Glanz und Ebenbildlichkeit, v.$a. S."286-289. Das wird dem sinnlichen Eindruck des Flimmerns gerecht, der mit dem Verklärungsbegriff im heutigen Sprachgebrauch assoziiert werden kann, doch besteht die Gefahr, dass die Simultanität des Paradoxes in der Sukzession des Wechsels aufgelöst wird. 30
Abb. 3: Monogrammist BH: Die eherne Schlange und die Verklärung Christi (16. Jh.)
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
Dass der Zeichner des Scheibenrisses die vom Evangelisten Johannes mit der Erhöhung der ehernen Schlange verglichene Erhöhung des Menschensohns gerade mit der Verklärung Christi illustriert, ist bemerkenswert. Denn so naheliegend es ist, die Verklärung Christi als prototypische Erhöhung zu verstehen, so ist doch zum einen daran zu erinnern, dass das Johannesevangelium die Verklärungsepisode nicht enthält, zum anderen erscheint die an einer Stange aufgerichtete eherne Schlange überdeutlich als Präfiguration des Kreuzes, zu dem sich bei der Verklärung Christi keine Entsprechung findet. Der Zusammenhang von Erniedrigung und Erhöhung, Kreuz und Herrlichkeit, wird vom Zeichner durch die den Bildern von der ehernen Schlange und dem verklärten Christus beigegebenen kleinen Bilder angedeutet, die mit dem Tanz um das Goldene Kalb beziehungsweise dem Hohen Rat auf den von Mose überwundenen Götzendienst beziehungsweise die bevorstehende Passion Christi verweisen. Die typologische Verbindung der Erhöhungsbilder von Mose mit der ehernen Schlage und der Verklärung Christi bleibt (auch bei Berücksichtigung der Gegenbilder der Erniedrigung) eine Besonderheit. Ein expliziter Rückverweis auf die in den drei synoptischen Evangelien geschilderte Verklärung Jesu findet sich innerhalb des Neuen Testaments im zweiten Brief des Petrus, wenn dieser anlässlich der Ermahnung zum Fleiß im Christentum und zur Pflege des prophetischen Wortes an das Geschehen auf dem heiligen Berg erinnert: Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. (II Petr 1,16-18) Ein anschauliches Beispiel für die vorausweisende Bedeutung der Verklärung Jesu (die untergründig auch im Vergleich von Raffael und Mozart mit der Verbindung von Verklärung auf dem Berge, Auferstehung und Himmelfahrt präsent ist) gibt der Kunsthistoriker Jack#M. Greenstein, indem er auf die Beziehung zwischen Raffaels Transfiguration und Michelangelos Jüngstem Gericht aufmerksam macht. Michelangelos Anordnung und Darstellung von Christus, Johannes dem Täufer und Petrus zeigt diese als figurale Erfüllung des verklärten Jesus 32
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
mit Elia und Mose.34 Während das Thema der Verklärung Jesu (insbesondere in der matthäischen Version) kulturelles Gemeingut und die Deutung als Vorschein der herrlichen Wiederkehr Jesu beim Jüngsten Gericht ein theologischer Topos war,35 wurden diese beiden Themen in der bildenden Kunst sonst nicht so deutlich miteinander verbunden.36 Das Verhältnis von Transfiguration und Parusie erläutert Greenstein anhand des unterschiedlichen Auftretens der Verherrlichten: »At the Transfiguration, Christ, Elijah, and Moses appeared in glory; in Michelangelo’s fresco, Christ, St.#John the Baptist, and St.#Peter come in glory. This difference in deportment brings out the significance of the figural connection between the two themes: the Transfiguration foreshadowed the glory of the Second Coming.«37 Für den Beziehungsreichtum der Verklärung Jesu innerhalb der Bibel, wie anhand des rückbezüglichen Vergleichs von Gesetz und Evangelium (Paulus), der aktuellen Bekräftigung des Glaubens (Petrus) und der Vorausdeutung auf die Parusie illustriert, ließen sich leicht weitere Beispiele finden. Außergewöhnlich ist dagegen die Kombination der Verklärung Jesu mit paganen Traditionen, wie in einem aus dem 18. und 19.#Jahrhundert stammenden Bilderzyklus mit 12 Sibyllen, der sich heute in der Kirche San Telmo in Buenos Aires befindet. Die Sibyllen vermitteln ja zwischen heidnischer Antike und christlicher Moderne, indem sie in diesem Fall auf Stationen des Lebensweges Jesu vorausdeuten, so die Tiburtinische Sibylle auf die Transfiguration auf dem Berg Tabor (Abb."4). Der vergleichende Blick auf die Verklärung Jesu entdeckt einerseits eine Vielzahl möglicher Relationen, andererseits die strukturelle Einzigartigkeit der vorläufigen und vorausweisenden Verwandlung und Verherrlichung des Gottmenschen.38 Zwar gibt es 34 Jack#M. Greenstein: »How Glorious the Second Coming of Christ«, S."35, 4651. 35 Zum theologischen Kontext ebd., S."41-46; zur Sonderstellung des matthäischen Verklärungsberichts, S."54 Anm."21: »St.#Matthew’s account was the most influential. Since it was read in the liturgy on Ember Saturday of Lent and on the Feast of the Transfiguration (August 6), it served as the master text for most medieval and Renaissance sermons on the Transfiguration. However, modern critics have given greater attention to Mark’s account, because they presume it to be the earliest and, for that reason, the most reliable one.« 36 Ebd., S."37. 37 Ebd., S."51. Als ein Beispiel für die originelle Verbindung von Verklärung und Wiederkehr Christi in der modernen Literatur sei Edwin Muirs Gedicht The Transfiguration (1949) genannt. 38 Marius Reiser: Die Verklärung Jesu (Mk"9,2-10), S."34: »Der eigentümliche und gerade im Vergleich mit den Ostererzählungen so deutlich hervortretende 33
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
in der vergleichenden Religionsgeschichte Interpretationsansätze, wonach zum Beispiel im Gilgamesch-Epos sowohl die Verklärung Jesu als auch eine entsprechende Verklärung Buddhas vorgebildet sei.39 Doch gerade letztere, das Bild des Buddha in der Glorie, lässt die Verschiedenheit hervortreten, handelt es sich doch um ein endgültiges Aufgehen im All-Einen. So ist zumindest Vorsicht angeraten, sollte nicht jede Verwandlung und Entrückung sofort mit der Verklärung im Sinne der Verklärung Jesu gleichgesetzt werden – und das gilt erst recht für profane Verzückungen. Das seiner vielen Verweisungszusammenhänge wie seiner Singularität wegen durchaus auffällige Motiv der Verklärung Jesu hat, wie anlässlich des Vergleichs von Raffael und Mozart bemerkt, im kulturellen Bewusstsein erstaunlich wenig Beachtung gefunden. Allerdings ist diese Feststellung aus religionsgeschichtlicher Sicht sofort einzuschränken: Das gilt für den von den Westkirchen geprägten Kulturkreis. Im Einflussbereich der Ostkirchen ist die Verklärung Jesu ein das kulturelle Leben stark und dauerhaft prägendes Motiv, wie sich schon an der frühen Herausbildung ikonographischer Muster und der Etablierung des Fests der Verklärung des Herrn im Zyklus der zwölf großen Kirchenfeste (wohl im 6.#Jahrhundert) erkennen lässt, während entsprechende Entwicklungen im Westen wesentlich später auftreten und ohne Breitenwirkung bleiben. Auch dies natürlich nur der Tendenz nach, ein berühmtes Beispiel für eine originelle Darstellung, die von der dann im Hochmittelalter konventionalisierten figurativen Darstellungsweise abweicht, ist die symbolische Darstellung im Apsismosaik von St.#Apollinare in Classe bei Ravenna (6.#Jahrhundert). In den liturgischen Kalender der katholischen Kirche wurde das am 6.#August gefeierte Fest der Verklärung des Herrn 1457 durch Papst Callixt#III. eingeführt, anlässlich des vorjährigen Siegs über die Türken bei Belgrad, also ungefähr ein halbes Jahrhundert vor Raffaels origineller Darstellung.40 Die unterschiedliche Relevanz der Verklärung Jesu für die Kirchen des Ostens und Westens dürfte durch die jeweilige singuläre Charakter der Verklärungsgeschichte erklärt schließlich auch, warum es bisher nicht befriedigend gelungen ist, sie einer bestimmten Gattung zuzuordnen. Sie sprengt alle Kategorien. Auch die antike Religionsgeschichte kennt keine wirklich vergleichbare Überlieferung, die etwa erzählte, wie ein Mensch göttliche Gestalt annimmt und sich dann wieder in einen Menschen zurückverwandelt.« Vgl. aber François Vouga: Die Transfiguration Christi, S."21-23. 39 Peter Jensen: Die Verklärungsberg-Szene und Nachbar-Episoden in einem chinesischen Märchen? (1932). 40 Vgl. Wilhelm Stählin: Verklärung, S."80. 34
Abb. 4: Tiburtinische Sibylle, San Pedro Telmo, Buenos Aires (19. Jh.)
I . VERKLÄRUNG ALS FERN - UND NAHELIEGENDES THEMA
Rezeption der Theologie der Kirchenväter gefördert worden sein, in deren Schriften die Verklärung auf dem Berge vielfältig behandelt wird.41 Die Ausrichtung auf die Verklärung Jesu zeigt sich besonders in der Mystik der östlichen Christenheit. Als antizipative Vermittlung von Immanenz und Transzendenz, die mithilfe neuplatonischer Spekulation entfaltet werden konnte, wurde die Verklärung Jesu in dieser Mystik, so Volker Leppin, »zu einem Paradigma für mystische Erkenntnis, die eben von diesem aus dem Jenseits in das Diesseits scheinenden Licht hervorgerufen werden sollte, also gewissermaßen eine Verlängerung jener Verklärung in das irdische Dasein hinein darstellte.«42 Als theoretische Entwicklung und praktische Umsetzung dieser verklärungsorientierten Mystik sind vor allem die Theologie des Gregor Palamas aus dem 14.#Jahrhundert und die Frömmigkeitsbewegung des Hesychasmus zu nennen, die eng mit den Mönchen und Klöstern auf dem Berg Athos verbunden ist.43 Der Widerspruch zwischen der absoluten Transzendenz Gottes einerseits und einer sich in der Verklärung ereignenden Vermittlung von Transzendenz und Immanenz andererseits soll bei Palamas durch die Unterscheidung von Gottes Wesen und seinen Energien, die sich wie Sonne und Sonnenstrahlen zueinander verhalten, aufgehoben werden. Praktisch soll die Vermittlung von Transzendenz und Immanenz durch beständige Wiederholung des sogenannten Jesus-Gebets bewirkt werden, das eine eigentümliche Ruhe herbeiführt, in welcher das Licht der Verklärung 41 Vgl. mit exemplarischem Bezug auf Origines und Hilarius von Poitiers Michael Figura: Theologische und mystische Bedeutung der Verklärung Jesu bei den Kirchenvätern, S."18: »Die geistliche Botschaft der Verklärung Jesu lässt sich kurz zusammenfassen. Sie ist in der Vätertheologie eine Auslegung des Philipperhymnus des Apostels Paulus (Phil 2,5-11). Hier wird die Erniedrigung Jesu in seiner Menschwerdung bereits vorab verbunden mit seiner Erhöhung zur Rechten Gottes durch Kreuz und Leid und mit seiner Einsetzung zum Kyrios. Für die Jünger Jesu und letztlich für alle an Gott Glaubenden ist die Verklärung Jesu immer wieder ein Zeichen der Hoffnung, dass wir an seiner Herrlichkeit teilnehmen dürfen.« Zu der für das orthodoxe Christentum charakteristischen patristisch-hymnographischen Bibelexegese vgl. Cosmin Pricop: Der Weg des Wunderverständnisses in der orthodoxen biblischen Theologie am Beispiel der Verklärungsgeschichte. 42 Volker Leppin: Die christliche Mystik, S."46. 43 Ebd., S."48-55. Einen Überblick über die Entwicklung des Hesychasmus gibt Sergej#S. Choružij: Die mystische Verwandlung des Menschen, S."73-78: Von der Herausbildung als spezifisch christliche, auf Theosis hinwirkende Praxis im Mönchstum des 4. bis 7.#Jahrhunderts über die Ausweitung zur allgemeinen Frömmigkeitspraxis im Byzanz des 13. und 14.#Jahrhunderts bis zur volksreligiösen und kulturellen Verbreitung im Russland des 19. und 20.#Jahrhunderts. 36
I . 1 . MOTIV , BEGRIFF , GESCHICHTE
Jesu wahrnehmbar wird: »Dieses meditative Gebet führte zu der für die Bewegung namengebenden hēsychia, einer inneren Ruhe, die die Grundlage für die Schau eines Lichtes bildete, das bereits der wichtigste Lehrer des frühen Hesychasmus, Gregorius Sinaites (gest. nach 1337), in seiner ›Predigt über die Verklärung‹ ausdrücklich mit dem göttlichen Taborlicht gleichsetzte.«44 Angesichts der Leitbildfunktion der Verklärung Jesu im orthodoxen Christentum, wie sie Palamismus und Hesychasmus bis heute vor Augen führen, darf mit Blick auf die Westkirchen und die von ihnen geprägte Kultur wohl von Vernachlässigung gesprochen werden. In drei Anläufen wurde bislang das Thema dieses Buches umkreist: die Verklärung im Spannungsfeld von Kunst, Religion und Philosophie. Zunächst wurde anlässlich des Vergleichs von Raffael und Mozart auf die religiösen Referenzen des Verklärungsbegriffs, die Verklärung Jesu beziehungsweise Auferstehung und Himmelfahrt und auf deren unterschiedliche kulturelle Präsenz aufmerksam gemacht. Mithilfe lexikalischer Beiträge wurde dann der Bedeutungskomplex des Verklärungsbegriffs mit seinen Bezügen zum Verwandlungskonzept und zur Lichtsemantik umrissen. Das im ästhetischen Diskurs wie im kulturellen Bewusstsein eher verdrängte und dabei für das Bedeutungsspektrum des Verklärungsbegriffs konstitutive biblische Motiv der Verklärung Jesu wurde schließlich im Hinblick auf typologische Verbindungen und strukturelle Singularität genauer betrachtet und die Vernachlässigung des Motivs im westeuropäischen Kulturkreis durch den vergleichenden Blick gen Osten noch einmal verdeutlicht. Der so aus verschiedenen Perspektiven in den Blick genommene Bedeutungswandel der Verklärung ist nicht allein mit Verweis auf die wie auch immer spezifizierte Säkularisierung und damit einhergehende Abwertung oder Vergleichgültigung von Bibelkenntnis und religiöser Bildung verständlich zu machen, wenngleich Letztere nicht übersehen werden darf. Doch zum Bildungsaspekt ist zunächst anzumerken, dass die Elemente der religiösen Tradition von solchen sozialen Prozessen nicht vollständig und gleichermaßen betroffen sind, was der Kontrast zwischen der kulturellen Präsenz des Himmelfahrt-Motivs und Absenz des Tabor-Motivs vor Augen führt. Ferner lassen sich Bibelkenntnisse nicht immer eindeutig bestimmen. Die Verklärung Jesu gehört einerseits nicht zu den biblischen Elementen, die unter säkularen Bedingungen als Bildungsgut gepflegt werden. Welcher 44 Volker Leppin: Die christliche Mystik, S."48. 37
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Passagier denkt beim Halt des ICE in Montabaur wohl an den Mons Tabor, ebenden Berg, der seit dem frühen Christentum meist mit dem Berg der Verklärungsgeschichte identifiziert wird?45 Andererseits ist der in derselben Geschichte Petrus zugeschriebene Ausruf »Hier ist gut sein!« als Redewendung in die Alltagssprache eingegangen, deren biblischer Klang wahrgenommen wird, ohne dass der ursprüngliche Kontext vertraut sein müsste. Wie anders noch bei Gotthilf Heinrich Schubert, der sich in der Begeisterung über den »schönsten Berg der Erde« selbst in einen verzückten Petrus verwandelt! Wer den Berg Tabor gesehen und seinen Gipfel bestiegen hat, der kann wohl sagen: ich habe den schönsten Berg der Erde, ich habe den Berg gesehen, da mir die Worte: ›hier ist es gut seyn,‹ welche Petrus sprach, als der HErr hier verklärt wurde (Matth. 17, 4.), von selber sich in’s Herz und auf die Lippen drängten. Wie die Gestalt eines Knieenden und Betenden, der sich, fern von den Andern, in die Einsamkeit begeben hat, ragt dieser Berg, abgesondert von der Reihe der andern nachbarlichen Höhen des kleinen Hermon hervor; auf seinem Gipfel, der nicht ohne bedeutende Anstrengung von der Ebene aus erstiegen wird, genießt man eine Aussicht, welcher sich an Fülle der Naturschönheiten, wie an der Bedeutenheit und Kraft der Erinnerungen, die sich an sie knüpfen, keine andere der Erde vergleichen läßt. […] Oben auf dem Gipfel, wo Moses und Elias mit dem HErrn sprachen, und die Jünger: Petrus, Johannes und Jakobus, von der Betäubung eines süßen Entzückens ergriffen wurden, als die lichte Wolke sie überschattete, aus der die Stimme erscholl: ›Dieß ist mein lieber Sohn‹ (Matth. 17, 5.), hatte die Andacht der früheren Bewohner des Landes eine Kirche und eine Kapelle erbaut; 45 Dass der Berg in der biblischen Verklärungsgeschichte nicht namentlich identifiziert wird, ist selbst bezeichnend, wie Hermann Matthias Polemann in seinen »Gedancken über die Frage: Warum der Berg der Verklärung Christi$/ mit seinem eigentlichen Namen in der Schrift nicht angezeiget worden?« (1742) ausführt. Die Unbestimmtheit verhindert demnach zum einen, dass Idolatrie, Aberglaube und Reliquienkult an einem bestimmten Ort ansetzen können, S."46: »Damit dieser Ort in den folgenden Zeiten nicht mögte vor ein besonder Heiligthum ausgerufen werden, an welchem man allein erhörlich beten und sich dem Himmel recht nähern könte.« Und die Unbestimmtheit verhindert zum anderen, dass die bildliche Rede der Bibel verkannt, der Vorschein des Himmels veräußerlicht und verdinglicht wird, S."51: »weil die Verklärung Christi ohne Zweifel auch ein Fürbild seyn solte derjenigen Herrlichkeit"/ zu welcher einmahl alle beharrlich Gläubige mit Christo ihrem Haupte nach diesem Leben gelangen sollen«. 38
Abb. 5: Johann Martin Bernatz / Gotthilf Heinrich v. Schubert: Album von Palästina (1841)
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auch stand ein Kloster der Taboriten auf dem Berge; jetzt sieht man von allen diesen Gebäuden nur noch einzelne Gemäuer.46 Der Bedeutungswandel der Verklärung soll hier also nicht als Begleiteffekt der Säkularisierung, sondern durch das Herausarbeiten von Grundhaltungen in Bezug auf Verklärung, Verherrlichung und Herrlichkeit verständlich gemacht werden, die selbst religiös begründet sein können, so dass der Bedeutungswandel der Verklärung auch intrinsisch motiviert ist. Ein religiöser Vorbehalt gegenüber der Verklärung kann konfessionell bedingt sein, auch unabhängig von einer bewussten Konfessionszugehörigkeit, denn auf solche Grundhaltungen wird auch dort Bezug genommen, wo deren Überwindung beabsichtigt ist oder sie gar nicht mehr als religiöse Konfessionen identifiziert werden.47 Die religionsimmanente Reserve gegenüber der Verklärung ist eine Voraussetzung dafür, dass das im Bereich der etablierten Religion eher irrelevante religiöse Motiv in heterodoxen, esoterischen oder diffusen Randbereichen an Relevanz gewinnt, und vor allem für die vielfältige Aneignung des Verklärungsvokabulars und Transfigurationsthemas in anderen Bereichen, insbesondere der Kunst und Philosophie. Solche Verlagerungen sind nicht irreversibel, da säkularisierte religiöse Begriffe und Motive in anderen Zusammenhängen sakralisierend wirken können oder eine religiöse Wiederaneignung möglich ist. Für diese Vielfalt an Anziehungen und Abstoßungen, Transformatoren und Widerständen, der die Verklärung zwischen Kunst, Religion und Philosophie ausgesetzt ist, scheint das (freilich etwas abgenutzte) Bild des Spannungsfelds durchaus treffend. Dass in einer so angelegten Studie sehr verschiedenartige Texte, literarische, theologische und philosophische Quellen und Forschungsbeiträge zu berücksichtigen sind, versteht sich von selbst und zeichnete sich in der Einführung ins Thema bereits ab. Welche Texte aber genau berücksichtigt werden, ist nicht selbstverständlich, weshalb die getroffene Auswahl folgendermaßen begründet sei: Um den Bedeutungswandel der Verklärung darstellen und deuten zu können, werden hier bevorzugt Texte berücksichtigt, die den deutschen Terminus explizit und prägnant (nicht selten schon im Titel) enthalten und die möglichst Terminologie und Idee der Transfiguration thematisieren. 46 Johann Martin Bernatz / Gotthilf Heinrich v. Schubert: Album von Palästina, unpag. (Schuberts Erläuterung des Bildes »Der Tabor«, hier Abb. 5). 47 Wie Konfessionen auch und gerade unter säkularen Bedingungen Kulturen prägen, hat aus literaturwissenschaftlicher Sicht besonders Wolfgang Braungart aufgezeigt. 40
I . 2 . GRUNDLAGENFORSCHUNG UND SENDUNGSBEWUSSTSEIN
Hinzugenommen werden Texte, die, auch unabhängig von der deutschen Begrifflichkeit, begriffsgeschichtliche Tendenzen oder Zäsuren markieren – nicht zuletzt durch die Kritik an der Verklärungsidee. Die Textauswahl ist damit durch die Konzentration auf die neuere deutsche Literatur eingeschränkt, andere Nationalliteraturen werden sporadisch hinzugezogen. Die Hinweise auf andere Künste, auf Malerei, Bildhauerei und Musik, dienen eher der Veranschaulichung und Ergänzung. Wollte man dieser Vorgehensweise einen Namen geben, könnte man von einer Wort- und Begriffsgeschichte sprechen, die aufgrund ihrer interdisziplinären, Kunst, Religion und Philosophie einbeziehenden Anlage und der Relevanz soziokultureller Faktoren wie Bildung oder Säkularisierung immer auch diskurs- und kulturgeschichtliche Aspekte zu berücksichtigen hat. Ob der Bedeutungswandel der Verklärung auf diese Weise überzeugend dargestellt und gedeutet wird, entscheidet sich nicht bei der abstrakten Benennung der Methode, sondern in der konkreten Durchführung. Eine Besonderheit der vorliegenden Studie besteht darin, dass sie einerseits zeigen soll, dass es sich bei der Verklärung um ein ergiebiges Thema von allgemeinem Interesse handelt, andererseits die wissenschaftliche und alltagskulturelle Gleichgültigkeit gegenüber diesem Thema erklären muss – ob sie dieser doppelten Herausforderung gerecht wird, mag man am Ende beurteilen.
I.2. Grundlagenforschung und Sendungsbewusstsein
Das alltagskulturelle Desinteresse an der Verklärungsthematik spiegelt sich in der Forschung. Selbstverständlich gibt es eine Fülle fachwissenschaftlicher Untersuchungen, die zum Beispiel die Auslegung der biblischen Berichte über die Verklärung Jesu, deren Bedeutung für einen bestimmten Kirchenvater oder deren Darstellung bei einem bestimmten Künstler betreffen, doch nur wenige Studien befassen sich in einer umfassenderen und die kulturelle Relevanz berücksichtigenden Weise mit dem Thema der Verklärung.48 Diese Studien sind zum Teil 48 Einen Eindruck von der Forschungslage vermitteln die Lexikon-Artikel von Marco Frenschkowski / Bernd Oberdorfer / Michael Kunzler / Diane Apostolos-Cappadona: Verklärung Jesu Christi (Religion in Geschichte und Gegenwart, 4."Aufl., 2005); Johannes#M. Nützel / Eva-Maria Faber / Theodor MaasEwerd / Eva-Bettina Krems: Verklärung Jesu (Lexikon für Theologie und 41
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von religiösen oder weltanschaulichen Positionen geprägt, die einerseits für das Thema sensibilisiert haben, dessen Behandlung aber andererseits auch mit einem entsprechenden religiösen oder weltanschaulichen Programm kombinieren. Da diese Studien überwiegend kaum bekannt sein dürften – was sich auch daran zeigt, dass sie oft völlig unabhängig voneinander entstanden sind – und da diese Studien für die weitere Untersuchung sowohl in informativer wie in programmatischer Hinsicht interessant sind, seien sie etwas ausführlicher vorgestellt. Wegen der Verbindung von grundlegender wissenschaftlicher Arbeit und oft ausgeprägtem Sendungsbewusstsein des Autors steht kein eintöniger Forschungsbericht zu befürchten. Die Konzentration auf allgemeine und grundsätzliche Thematisierungen der Verklärung bedeutet im Umkehrschluss, dass die fachwissenschaftliche Literatur, zum Beispiel zum literarischen Realismus, in diesem Forschungsbericht nicht berücksichtigt ist (sondern an geeigneter Stelle in den folgenden Kapiteln referiert wird). In der Reihe »Frankfurter Zeitgemäße Broschüren« erscheint 1912 eine kleine Studie über Die Verklärung auf Thabor in Liturgie und Kunst, Geschichte und Leben von Anton de Waal, die zunächst das verbreitete Desinteresse an der Verklärung Jesu aus der Innensicht der katholischen Kirche bestätigt: Leider geht das Fest der Verklärung mit seiner tiefen Bedeutung an den Augen unseres katholischen Volkes im allgemeinen unbeachtet vorüber: warum halten wir Priester nicht an dem Sonntage vor oder nach dem 6.#August eine Predigt über diesen reichen Stoff? Und möchten wir Priester, die wir in den heiligen Gezelten des Herrn wohnen dürfen, auch selber etwas von jener Wonne im Anblicke unseres verklärten Herrn und Heilandes nachempfinden, die den Apostel Petrus ausrufen ließ: »Herr, hier ist gut sein; hier wollen wir Hütten bauen!« Was die Erscheinung auf dem hl.#Berge für die drei Apostel sein sollte, was sie für die Kirche ist, das soll sie auch besonders uns Priestern bringen: Erneuerung und Festigung unseres Glaubens an den Menschgewordenen, innigeren Anschluß an seine Kirche mit ihrem Petrus, Stärkung in Leid und Verfolgung, Hoffnung auf Zutritt in die aeterna tabernacula. In der hl.#Messe bei der Elevation sind unsere erhobenen Hände der Thabor, über Kirche, 3."Aufl., 2001); Hermann Josef Sieben: Transfiguration du Seigneur (Dictionnaire de spiritualité, ascétique et mystique, doctrine et histoire, 1991); ferner Thomas#F. Best: The Transfiguration: A Select Bibliography (1981). 42
I . 2 . GRUNDLAGENFORSCHUNG UND SENDUNGSBEWUSSTSEIN
welchem der Verklärte als der göttliche Hohepriester vor dem Angesichte seines himmlischen Vaters erscheint, angebetet von den Engeln und seligen Geistern, die unverhüllt seine Majestät und Glorie, die Sonne seiner Gottheit und das Gewand seiner verklärten Menschheit schauen, und unser Glaube hört über der Hostie das Wort des ewigen Vaters: »Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe«; – seliges Wort, wenn es zugleich auch Dir selber jedesmal gelten kann!49 Der nicht zuletzt an sich und seine Priesterkollegen gerichtete Appell des Autors reagiert nicht nur auf das allgemeine Desinteresse, sondern hat einen konkreten Anlass und ist insofern tatsächlich ›zeitgemäß‹: Die Transfiguration wird der katholischen Kirche nämlich als neues Labarum für den Kampf empfohlen, den sie gegen eine drohende Islamisierung und das zeitgenössische, durch aufklärerische Religionskritik50 geförderte Heidentum zu führen habe. Die Transfiguration, deren Kirchenfest ja anlässlich eines siegreichen Religionskriegs eingeführt wurde, sei im gegenwärtigen Kampf besonders für die Mission wichtig, die eher am glorreichen Gottessohn in seiner Verklärung als am Gekreuzigten ansetzen sollte: »Im ganzen Leben des Herrn gibt es kein Ereignis, das ihn so göttlich groß in den Augen der Sterblichen erscheinen läßt und doch zugleich in einer allmenschlich so leicht erfaßlichen und die Einbildungskraft anregenden und befriedigenden Erscheinung, als das von Thabor.«51 Vor diesem Hintergrund entwirft de Waal ein umfassendes Programm zur Förderung der Verehrung des verklärten Heilands: Er fordert, wie schon gehört, die Priester als »Herolde des verklärten Gottmenschen«52 zu einer intensiveren Vergegenwärtigung der Verklärung Jesu auf; die Künstler, die Maler und Komponisten, sollten sich dieses vernachlässigten Sujets annehmen (die Dichter werden nur beiläufig im Hinblick auf einen Liedtext angesprochen); darüber hinaus regt de Waal die Wiederbelebung von Wallfahrten53 und die Gründung entsprechender Bruderschaften und Vereine
49 Anton de Waal: Die Verklärung auf Thabor in Liturgie und Kunst, Geschichte und Leben, S."6$f. (hier und im Folgenden nach der separaten Paginierung). 50 Ebd., S."30 Anm."25. 51 Ebd., S."27. 52 Ebd., S."33. 53 Zu Tabor-Pilgerfahrten im Heiligen Land vgl. Konrad Onasch: Verklärung Christi, S."367. Die Wallfahrten der böhmischen Taboriten werden hier in Kap."II kurz angesprochen. 43
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an. Doch bei allem Engagement für die Transfiguration erkennt er auch das Eigenleben religiöser Andachtsformen an: Nach allem Gesagten läßt sich nicht leugnen, daß das Geheimnis der Transfiguration mit seiner wunderbaren Macht zur Weckung und Vertiefung des Glaubens und des kirchlichen Geistes bisher zu wenig beachtet und betrachtet worden ist. Woher diese Vernachlässigung komme, ist eine ebenso müßige Frage wie die, warum die Herz-Jesu-Andacht nicht zu allen Zeiten in der Kirche geübt und gepflegt, warum die eucharistischen Andachten sich erst mit der Anordnung des Fronleichnamsfestes entwickelten. Das Seelenleben der Kirche ist eben eine Blume, die im warmen Sonnenscheine des hl.#Geistes immer neue Blüten treibt.54 Man mag in diesem Programm die fixe Idee eines gelehrten Geistlichen erblicken, doch ist zu bedenken, dass de Waal zu dieser Zeit Päpstlicher Hausprälat und Apostolischer Protonotar unter Papst Pius#X. war und daher über etwas kirchenpolitischen Einfluss verfügte. Vielleicht hat der Papst, mit dessen Pontifikat eine antimodernistische Kampfstimmung verbunden ist,55 in der auch die Allianz von Priestern 54 Anton de Waal: Die Verklärung auf Thabor in Liturgie und Kunst, Geschichte und Leben, S."35; vgl. zur Eigendynamik religiöser Symbole grundsätzlich Paul Tillich: Das religiöse Symbol (1928), insb. S."194-196. De Waal betont die Verwandtschaft zwischen einer auf die Verklärung Jesu bezogenen Andacht und der Herz-Jesu-Andacht, S."34: »Maler und Bildhauer haben zahlreiche HerzJesu-Bilder geschaffen, selten ein einwandfrei gutes. Nun berührt die HerzJesu-Andacht sich ja nahe mit derjenigen zum verklärten Heilande: Kann der Künstler, vorzüglich der Maler, sich denn nicht vorstellen, wie der Herr auf Thabor sein Herz offenbart? Warum haben wir keine Thabor-Kirchen, wie wir Herz-Jesu-Kirchen haben?« Übrigens sind am Salvatoraltar des Brixner Doms beide Motive miteinander verbunden: Das Altarblatt von Christoph Unterberger folgt Raffaels Transfiguration (wohlgemerkt nur der oberen Bildhälfte mit der Verklärung Jesu), auf dem Altar steht eine Herz-Jesu-Darstellung. 55 In Hermann Stehrs populärem Roman Der Heiligenhof (1918) wird diese Atmosphäre folgendermaßen beschrieben, S."321$f.: »Dazu befand sich in jener Zeit ganz Deutschland, ja die ganze Welt wie am Ausgange eines unruhevollen Drängens, für den Menschen ein neues, lebensvolleres Verhältnis zu der ewigen Macht zu finden. Papst Leo XIII., der weise, gelassene Nachfolger Petri in Rom, war gestorben, und die Jesuiten hatten es erreicht, die Wahl Pius’#X. durchzusetzen. Die scholastische Glaubensinbrunst dieser bäuerlich-einfachen Natur erwies sich als geeignet, aller Duldung rücksichtslos zu Leibe zu gehen. Und so verbreitete sich schon bald durch die ganze katholische Welt eine heftige Kampfstimmung gegen die Verwässerung des römischen Bekenntnisses durch ein allzu freundliches Verhältnis zu anderen Konfessionen und gegen jede läßliche Schwäche bei Abweichungen von der inneren Heilszucht.« 44
Abb. 6: Johann Michael Feichtmayr: Verklärung Christi, Klosterkirche Ottobeuren (1763/64)
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und Künstlern mobilisiert wurde,56 ja unter dem Eindruck von de Waals Programm die Stellung des Fests der Verklärung des Herrn in der liturgischen Ordnung erhöht.57 Doch wie auch immer die zeitgenössische Wirkung von de Waals Programm einzuschätzen ist, am allgemeinen Desinteresse gegenüber der Transfiguration hat es nichts geändert. Mit Blick auf die von de Waal besonders angesprochenen Maler und Komponisten sei hinzugefügt, dass es selbstverständlich auch in der westlichen (religiösen) Kunst immer wieder bemerkenswerte Werke mit der Verklärung Jesu als Motiv gibt, die aber vergleichsweise selten sind. In den bildenden Künsten sind solche Darstellungen oft stark auf den Kirchenraum bezogen, indem die malerische Darstellung in der Kuppel die Blickrichtung des Betrachters derjenigen der drei Jünger angleicht oder die plastische Darstellung die Kanzelhaube als heiligen Berg gestaltet (Abb."6), die Gestaltung des Altartabernakels die Verbindung von Transfiguration und Eucharistie zum Ausdruck bringt oder die Platzierung der Figur des verklärten Christus vor einem Fenster natürliches und übernatürliches Licht zusammenführt (Abb.$$7). Für eine grundlegende musikalische Reflexion über die Transfiguration musste wohl auf Olivier Messiaens vierzehnsätziges Oratorium gewartet werden, das am 7.#Juni 1969 uraufgeführt wurde. Kurz nach Erscheinen wurde de Waals Studie von Ildefons Herwegen in der Zeitschrift Pastor bonus rezensiert. Herwegen stimmt der von de Waal empfohlenen Neuausrichtung am verklärten Heiland grundsätzlich zu, deren Notwendigkeit andeutungsweise mentalitätsgeschichtlich begründet wird, insofern eine zunehmend an der Menschlichkeit Jesu interessierte Spiritualität den Aspekt der Göttlichkeit des Gottmenschen und der Angleichung des Gläubigen an diese verdrängt habe. Dieser Tendenz werde allerdings bereits durch eine Neugewichtung der Liturgie und Eucharistie, aber auch durch die Herz-JesuAndacht entgegengearbeitet, weshalb sich eine eigens der Verklärung Jesu gewidmete Andacht erübrige. Der Gedanke an den verklärten Heiland hat das Geistesleben der alten Kirche beherrscht. Zeuge dessen ist neben der Kunst […] auch die Liturgie. Erst mit dem beginnenden und fortschreitenden Mittelalter hat sich die Volksandacht unter dem Einflusse des germanischen Gemütslebens und der Berührung mit dem hl.#Lande in den Kreuzzügen allmählich überwiegend dem menschlichen Leben 56 Vgl. z.$B. Tobias Becker: Das doppelte Mirakel, S."436$f. 57 Hansjörg auf der Maur: Feiern im Rhythmus der Zeit I, S."189. 46
Abb. 7: Hochaltar von Giovanni Giuliani in der Pfarrkirche Gaaden (nach 1735)
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Christi zugewandt. Dem katholischen Gebetsgeiste wieder die Richtung auf die erhabenen Ideen der christlichen Frühzeit zu geben, ist daher ein großes Verdienst der vorliegenden Broschüre. Mit dem Gedanken an den verklärten Gottessohn geht Hand in Hand die dem Christentum wesentliche Tendenz, dem verklärten Christus den verklärten Christen entgegenzuführen. Gewiß hat niemand in unseren Tagen diesem Bestreben einen mächtigern Impuls gegeben, als unser heil. Vater Pius#X. durch seine Kommuniondekrete. Die eucharistische Bewegung, in die wir uns mitten hineingestellt sehen, ist eine lebendige Verwirklichung des Verklärungsgedankens. Wer immer, Priester oder Laie, ein jeder an seinem Platze und zunächst in sich selbst, dem eucharistischen Heiland die Wege bereiten hilft, der fördert die Verklärung des mystischen Leibes Christi und damit zugleich die Liebe zum verklärten Heiland. Auch die HerzJesu-Andacht, die mit Recht »eucharistisch« genannt werden kann und an die der Verfasser selbst erinnert, führt in die Gedanken der Verklärung ein. Eine ihrer ersten Jüngerinnen, die hl.#Mechtildis, schaut wiederholt und gerade in Verbindung mit der hl.#Kommunion das himmlische Jerusalem und den Thron des verklärten Erlösers. Wenn ich noch hinzufüge, daß auch das neu erwachende Interesse für die Liturgie der hl.#Kirche die Geister naturgemäß auf den »König der Herrlichkeit« hinlenken muß, so wird man die Ueberzeugung gewinnen, daß es einer neuen Andacht nicht bedarf, um das von de Waal angestrebte Ziel zu erreichen. Die urkräftigen Heiligungsmittel des Zeitalters der Märtyrer: Eucharistie und Liturgie, werden auch der bedrängten und schwer ringenden Gegenwart das Geheimnis der »Maiestas Domini« erschließen, wenn sie wieder das tägliche Brot des gläubigen Volkes werden.58 Für die Neugewichtung der Liturgie, die die Spiritualität wieder am verherrlichten Gottmenschen ausrichtet und in der eine entsprechende Verherrlichung des Gläubigen verwirklicht wird, hat sich Herwegen als Abt von Maria Laach nachhaltig eingesetzt. Derselbe Verklärungsbegriff, bei dem die Anbindung an die Verklärung auf Tabor zugunsten eines weiteren Verständnisses von christlicher Verherrlichung gelockert wird, wird zum Beispiel auch in Herwegens Aufsatz »Der Verklärungsgedanke in der Liturgie« (1913) verwendet, in dem die Ver-
58 Ildefons Herwegen: [Rez.] Anton de Waal: Die Verklärung auf Tabor in Liturgie und Kunst, Geschichte und Leben, S."440. 48
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herrlichung als ästhetisches Prinzip der Liturgie geltend gemacht59 und folgendermaßen expliziert wird: »Verklärung im christlichen Sinne ist die Erhebung des Menschen aus dem Zustande der Natur zur Übernatur, zu einer Teilnahme am göttlichen Sein, am göttlichen Lichte und Glanze.«60 Eine weitere umfassende Betrachtung der Verklärung Jesu, ebenfalls aus katholischer Sicht, bietet Anton Gundlachs Buch Verklärung des Herrn aus dem Jahr 1957, mit dem Untertitel Die Botschaft vom Heiligen Berg. Anlass der Studie ist für Gundlach zunächst die Erinnerung an die Einführung des entsprechenden Kirchenfestes (wobei er de Waals exzeptionelles Bemühen um dieses Fest würdigt), hinzu kommt die Erinnerung an den ersten Atombombenabwurf 1945 an ebendiesem Festtag, schließlich die Hoffnung, dass die Hinwendung zur Verklärung Jesu der Ökumene förderlich sein könne.61 Die intensive Beschäftigung mit diesem Detail aus dem Leben Jesu ermögliche »eine wahrhafte Einführung in das Wesen Jesu, des Christus, wahrhafte Christusexerzitien«.62 In seinen Anmerkungen zum biblischen Bericht über die Verklärung Jesu misst Gundlach der väterlichen Bestätigung der Gottessohnschaft und insbesondere des nur bei Lukas enthaltenen Hineinkommens in die Wolke (Lk"9,34: »Als er aber dies 59 Ildefons Herwegen: Der Verklärungsgedanke in der Liturgie, S."25$f.: »Ordnungsgemäß vollzieht sich die Gnadenmitteilung stets durch einen liturgischen Akt, so daß die Liturgie zur Trägerin und ersten Vermittlerin der inneren Verklärung wird. Sie muß also ihre äußere Form in Wort und Handlung so gestalten, daß sie die Idee der Verklärung in einer dem jeweiligen Heiligungsakte angemessenen Weise zur Darstellung bringt. Damit wird der Verklärungsgedanke – schon sein Begriff verlangt das – kunstschöpferisch in der Liturgie, er wird geradezu das Prinzip, das die Liturgie zum Kunstwerk von Ebenmaß und Schönheit von innen heraus gestaltet.« 60 Ebd., S."27; vgl. S."46$f.: »Wie die Kunst der Basiliken in der Apsis ihre höchste Steigerung erfährt, in der die Maiestas Domini auf strahlendem Goldgrunde thront und die Gläubigen zur Seligkeit des Himmels einladet, so strebt auch die Liturgie stets dem Glorienlichte der Gottverähnlichung entgegen. Sie vermittelt und sinnbildet den Aufstieg des Christen aus dem rein natürlichen Dasein zum Berge der Gottheit. Die eucharistische Gottvereinigung, in der alle größeren liturgischen Akte gipfeln, bedeutet hinieden das, was im Jenseits die Anschauung Gottes ist. So leitet die Liturgie als Trägerin der irdischen Verklärung den leuchtenden Glanz der Ewigkeitssonne in das Leben des Christen und gleicht seine Seele der himmlischen Verklärung an, die ihn im Reiche der Auserwählten umfluten wird.« 61 Anton Gundlach: Verklärung des Herrn, S."4$f.; vgl. zur Ökumene S."124-127. 62 Ebd., S."5; vgl. S."116. Ein Beispiel für Exerzitien, die tatsächlich bei der Verklärung Christi ansetzen, gibt Anselm Bisling: Mons Thabor sive Solitudo Exercitiorum Spiritualium (1682). 49
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redete, kam eine Wolke und überschattete sie; und sie erschraken, als sie in die Wolke hineinkamen.«) zentrale Bedeutung bei, und zwar vor allem in typologischer Hinsicht, so als Vorausdeutung auf die Himmelfahrt: »Das Zeugnis des Vaters ist der Mittelpunkt der ganzen Szene, das sich vor allem in der Hereinnahme in die Wolke zeigt. Der Nebensatz: ›als jene in die Wolke eintraten‹, dürfte das Kernstück des ganzen Berichtes sein. Am Himmelfahrtstage ›entrückt eine Wolke Jesus ihren Blicken‹ Apg"1,9, so daß Verklärung Jesu und Himmelfahrt durch das Verhülltwerden in der Wolke zusammenrücken.«63 Oder als Rückverweis auf das Alte Testament und insbesondere Mose auf dem Sinai: »Diese Verbindung des in die Wolke Hineintretens […] ist Eigengut des Lukas. [/] Lk hat damit den tiefsten Sinn des Verklärungsberichtes angegeben, obwohl er grammatikalisch in einem Nebensatz geformt ist. Die Wolke hat für den alttestamentlichen Menschen eine mystische Bedeutung. Sie zeigt die Gegenwart Gottes an. Wer in die Wolke tritt, tritt in die Gegenwart Gottes ein.«64 Damit das Evangelium in dieser Weise wahrgenommen werden kann, dürfe der Blick allerdings nicht durch apokryphe Apokalyptik oder Mystizismus getrübt sein. Gundlach hebt, wie schon de Waal und Herwegen, die enge Verwandtschaft zwischen der Verklärung Jesu und der Liturgie als Vorwegnahme der Wiederkehr des Gottmenschen in seiner Herrlichkeit hervor, geht aber auch auf die Schwierigkeiten ein, die sich einer zeitgemäßen Vermittlung der Liturgie stellen.65
63 Anton Gundlach: Verklärung des Herrn, S."28. 64 Ebd., S."117; vgl. S."120: »Wie Moses in das Wolkendunkel geführt wurde, so wurde Jesus in dieser Stunde in die Wolke hineingenommen. Nicht die Verwandlung des Herrn anläßlich seines Gebetes, noch die akustische Bezeugung des Vaters vor den Jüngern ist der Höhepunkt der Botschaft vom Heiligen Berg, sondern die Hereinnahme Jesu in die Wolke. Sie stellt das feierlichste, würdigste, gnadenvollste, tröstende Bekenntnis des Vaters zu seinem Sohn, zu seinem getreuesten Knecht, zu dem einzigen, auf den er sich verlassen konnte, dar. Für die Jünger muß dieses Verhalten äußerst beschämend gewesen sein und um der Beschämnis willen erschreckend. ›Sie fürchteten sich.‹ Gott zeigt gegen seinen Sohn, gegen seinen getreuesten Knecht seine größte Liebestat.« 65 Ebd., S."86-90. Während Herwegen die kulturelle Konzentration auf die Menschlichkeit des Gottmenschen als Problem für die Liturgie moniert, erscheint bei Gundlach mit Blick auf die individuelle religiöse Entwicklung die Konzentration auf die Göttlichkeit des Gottmenschen problematisch, so zitiert er aus einem Zeitungsartikel von Otto Karrer, S."48: »in der Betonung der Göttlichkeit fiel die Menschlichkeit des Herrn zurück – abgesehen etwa von pietistischer ›Jesusfrömmigkeit‹ und der analogen Herz-Jesu-›Andacht‹ […].« 50
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In diese Reihe katholischer Beiträge zur Verklärung Jesu gehört auch Carlo Maria Martinis Schrift Welche Schönheit rettet die Welt? Reflexionen über den dreifaltigen Gott (2000, im italienischen Original 1999), vom verstorbenen Mailänder Erzbischof verfasst als Pastoralbrief zum Anbruch des neuen Jahrtausends. Der Nachvollzug der Verklärung auf dem Berge soll bei Martini zum Geheimnis der Trinität und zu dem darin enthaltenen Zusammenhang von Kreuz und Herrlichkeit hinführen: »Das Geheimnis der Dreifaltigkeit verlangt danach, dass man sich selbst in sie hineinnehmen lässt, und dazu gehört auch das Ja zum Leiden.«66 Die Passion gehört so zu der in der Verklärung Jesu auf einzigartige Weise vermittelten Schönheit des Lebens: »Wer die Erfahrung der Schönheit macht, die auf dem Tabor erschienen ist und sich im Pascha-Mysterium, im Geheimnis von Kreuz und Auferstehung vollendet hat, wer der Verkündigung des Wortes glaubt und sich mit dem Vater versöhnen lässt in der Gemeinschaft der Kirche, der entdeckt die Schönheit des Lebens – in einer Art und Weise, wie nichts und niemand auf der Welt sie vermitteln kann.«67 Durch diese Entdeckung kann eine Mission im weiteren Sinne gefördert werden: »Gerade am Beginn des neuen Millenniums kann die Begegnung mit der göttlichen Schönheit eine neue missionarische Leidenschaft wecken – in vielerlei Gestalt: im Verkündigen der Schönheit der göttlichen Dreifaltigkeit, in der Hinführung zu ihrer Erfahrung, im Zeugnis der Liebe, die ihr entspringt, im Einsatz für die Gerechtigkeit, in der Erziehung der Jugend zu solchen Werten … All dies sind Aufgaben, die der ›Abstieg vom Berg‹ beinhaltet.«68 Insofern die Verklärung Jesu mit einem missionarischen Impuls verbunden wird, der sich an die Priesterschaft selbst, aber zum Beispiel auch an die Künstler richtet (schon der auf Dostojewskijs Myschkin anspielende Titel lässt an die Schönheit der Kunst denken),69 erinnert Martinis Schrift ein wenig an die von de Waal, die zu Beginn des Forschungsberichts vorgestellt wurde. Einen ganz anderen Zugang zum Thema der Transfiguration wählt der Kirchenhistoriker Konrad Onasch in seiner Studie Die Idee der 66 Carlo Maria Martini: Welche Schönheit rettet die Welt?, S."17. 67 Ebd., S."58. Martini stützt sich mit dieser ›theologischen Ästhetik‹ ausdrücklich auf Hans Urs von Balthasar, aus dessen Hauptwerk Herrlichkeit im Anhang Auszüge zusammengestellt sind. 68 Ebd., S."63, vgl. S."67: »Liturgie und geistliches Leben, Katechese und Evangelisierung, Dialog und Dienst der Liebe könnten neuen Schwung bekommen, wenn wir wieder der Schönheit Gottes begegnen. Das Jahr 2.000 kann eine wichtige Wegetappe sein: vielleicht eine Art Tabor …« 69 Vgl. ebd., S."64$f. 51
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metamorphōsis (Verklärung) in den Liturgien, in der russischen Philosophie und im russischen Frömmigkeitsleben von 1944. Motiviert wurde Onasch zu dieser Studie zum einen durch den Stellenwert der Idee der Verklärung in der Ostkirche, der dem der Rechtfertigung in der Westkirche gleichkomme, zum anderen durch die mithilfe ebender Verklärungsidee mögliche Überwindung der negativistischen Existenzphilosophie und einer damit verbundenen persönlichen Glaubenskrise.70 Die Idee der Verklärung ist Onasch zufolge allein in der Auferstehung Christi, der Anastasis, und der in ihr vollbrachten Überwindung des Todes begründet. Um die Verklärungsidee zu erfassen, dürfe die allein durch Jesus Christus als Gottmensch vollbrachte Überwindung des Todes jedoch nicht mit einer (existenzphilosophisch) dialektischen Deutung von Leben und Tod verwechselt werden: Das Studium der, die dialektische Schau des Lebens interpretierenden Philos. (Jaspers, Heidegger) u. Relig. Phil. (Kierkegaard, Barth, Gogarten) im Gegensatz zur genuin christl. Schau (Luther, Ostkirche) in Antinomien erlaubt mir, auf die Differenz zwischen Dialektik und Antinomismus hinzuweisen. Eine dialekt. Sicht erfaßt nur polare Gegensätze wie Tod und Leben, läßt sie entweder als solche bestehen, oder löst sie in einem Dritten auf. Ersten Weg geht weithin die Philos. und die Rel. Phil. Die genuin christl. Theologie läßt den Gegensätzen ihre vollen antinom. Werte, überwindet (nicht auflösen!) sie aber in der Person des Gottmenschen. Es ist wirklich ein neues Sein, oder geschichtstheologisch gesprochen, ein neuer aiōn, der die Überwindung der Antinomien in Christus bringt.71 Das mit der »Überwindung der Antinomien in Christus« herbeigeführte »neue[$] Sein« ist selbst wesentlich auf Verwandlung angelegt, in einen Verwandlungsprozess eingebunden, erst durch dieses Merkmal wird die Verklärungsidee vollständig erfasst (und zugleich ein 70 Konrad Onasch: Die Idee der metamorphōsis (Verklärung) in den Liturgien, in der russischen Philosophie und im russischen Frömmigkeitsleben, S."7; vgl. zum zweiten Motiv S."97: »nicht im Scheitern menschlicher Existenz ist dieses Sein der Transzendenz sichtbar und erfahrbar (so Karl Jaspers), sondern in der Seligkeit einer nova vita, die die Werte des Menschseins nicht zerstört, sondern verwandelt, erhöht!« 71 Ebd., S."19 Anm."3. Vgl. zur geschichtstheologischen Bedeutung des Heiligen Geistes S."61: »Das Pneuma ist die göttliche, aber eigenständige Macht (Problem des filioque!) nach der metamorphōsis des Kyrios, die große Klammer des verklärten Lebens, ihre innerste Garantie.« 52
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Unterschied zwischen lutherischem und ostkirchlichem Antinomismus angedeutet): »Nicht nur eine negative Erfüllung bringt die anastasis (Beseitigung des Todes), sondern auch eine positive: Verklärung, Durchstrahlung unseres irdischen notvollen Daseins mit dem Licht der Auferstehung, so daß es von nun an einem Änderungsprozeß unterliegt.«72 In das durch den Gottmenschen verwandelte und sich weiterhin auf das Heil hin verwandelnde Sein wird der Mensch vor allem durch den Vollzug von Ritus und Liturgie einbezogen, darin gewinnt es für ihn existenzielle Bedeutung. Das gilt insbesondere für die Eucharistie, in der das Göttliche mit dem Kreatürlichen vermittelt und Letzteres in den göttlichen Verwandlungsprozess integriert wird.73 Auf vergleichbare Weise vermittelt die Ikone Transzendenz und Immanenz, so dass sie zum Zeichen des allein durch Christus verwandelten und sich verwandelnden Seins wird.74 Die vorbildliche Verwirklichung einer dem verklärten Sein gemäßen Existenz erkennt Onasch im russischen Heiligenleben, wobei er auf zwei Typen russischer Heiligengestalten genauer eingeht: den Starez und den unbekannten russischen Pilger (Strannik). Die Entstehung solcher Typen asketischer Existenz wurde demnach von der patristischen Tradition gefördert, insbesondere von der Interpretation des Gebets bei Origines (»daß die verwandelte Welt im Typos des Lichtes dem Beter sich offenbart, ein Gedanke, der sich später in der Praxis des Hesychasmus und auch im Starzentum durchgesetzt hat«).75 Doch mehr als die Herkunft interessiert Onasch die aktuelle Bedeutung solcher Existenzweisen, mit denen die Verklärung der Welt und des Lebens hier und jetzt verwirklicht werden soll, so verweist er auf eine geistige Krise und Neuorientierung der Intellektuellen und Künst72 Ebd., S."24. 73 Vgl. ebd., S."37: »Dieser schon angedeutete Antinomismus: einerseits der verklärte Christus, andererseits seine Gegenwart als Leidender, unsere Existenznot Tragender in der Eucharistie, findet seine Lösung in der Transsubstantiation.« 74 Ebd., S."54: »Die Ikone ist das antinomische ›Symbol‹ des ›Zusammenfallens‹ von Schöpfer und Geschöpf, Profanem und Heiligem, Transzendenz und Immanenz. Dieses antinomische Material wird im Platonismus und seiner UrbildAbbild-Korrelation nicht nur gnoseologisch von der Ostkirche übernommen, sondern gewinnt jenen Transparenzcharakter des Göttlichen erst durch die Metamorphose, die in der anastasis Christi sich gründet: sie wird eikōn einer verwandelten Welt, eines verwandelten Seins und einer verwandelten Existenz. Sichtbar aber wird diese neue Welt nur dem, der selbst verwandelt ist, selbst pneumatophōros geworden ist.« 75 Ebd., S."78. 53
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ler in der jüngsten Vergangenheit: »Das Starzentum aber hat einen, fast schicksalhaften Einschnitt in die Geistesgeschichte Rußlands in der Optina-Einsiedelei hervorgerufen. Es war eine Krisis, in der sich damals Dostojewskij, Tolstoj, Kir[e]jewskij, Solovjov nach Optina begab: noch einmal, und zum letzten Male wurde mit einer Intensität die Idee der Weltverwandlung, der Seins- und Daseinsmetamorphose in die Nation getragen.«76 Dass die Idee der Metamorphose nicht nur im vorbildhaften Leben der Heiligen, sondern auch in der Volksfrömmigkeit ihren Niederschlag gefunden hat, illustriert Onasch anhand literarischer Beispiele, indem er zum Beispiel die Figur des Markel aus Dostojewskijs Brüdern Karamasow als verwandelten Menschen im Zustand des Paradieses heraushebt.77 Nachdem er die Idee der Verklärung in Ritus und Liturgie, Heiligenleben und Volksfrömmigkeit verfolgt hat, wendet sich Onasch (übrigens abweichend von der im Buchtitel genannten Reihenfolge) der russischen Religionsphilosophie oder ›Theosophie‹78 zu, als deren teils streng der religiösen Tradition verpflichtete, teils der Spekulation zuneigende Repräsentanten Pavel Florenskij, Sergej Bulgakow, Nikolaj Berdjajew und Vladimir Solovjov behandelt werden (Transliteration und bisweilen unterschiedliche Schreibweisen hier beibehalten).79 Kennzeichnend für diese geistige Bewegung ist die ontologische Prämisse, dass das Sein in Gott und durch Christus fundiert sei, wobei das Sein auf eigentümliche Weise in sich unterschieden ist, woraus in Bezug auf das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz folgt: »dieses Verhältnis ist antinomischer Natur! Es gibt ein transzendentes, will sagen absolut-göttliches Sein, es gibt aber auch ein kosmisches Sein.«80 Die dadurch möglichen Vermittlungen zwischen Transzendenz und Immanenz werden besonders mit dem (allerdings mehrdeutigen)81 Begriff der heiligen Sophia verbunden, wobei in allem Irdischen eine Spiegelung des Göttlichen und der Trieb zur Vergöttlichung erscheinen kann: »Alles, was diese Welt an künstlerischer und religiöser Schönheit zu bieten hat, an kultureller Leistung und wissenschaftlichem erōs, ist 76 Ebd., S."95. 77 Ebd., S."109. 78 Ebd., S."115. Zum Zusammenhang mit der hesychastischen Tradition vgl. Sergej#S. Choružij: Die mystische Verwandlung des Menschen, S."81-83. 79 Zum Umfeld dieser Bewegung gehört auch der Schriftsteller Andrej Belyj (Boris Bugajew), der schon mit seinem Pseudonym auf die Farbe Weiß als Symbol der Auferstehung und Verklärung anspielt. 80 Konrad Onasch: Die Idee der metamorphōsis, S."117. 81 Ebd., S."131. 54
Abb. 8: Ikone der Verklärung Christi (Nowgorod, frühes 16. Jh.)
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sophianischer Natur, ist Abglanz des Göttlichen, Abbilder göttlicher Urbilder.«82 Von entscheidender Bedeutung ist allerdings (und damit führt Onasch ein der gesamten Studie zugrundeliegendes Motiv genauer aus), dass diese sophianische Verwandlung, Verklärung und Vergöttlichung des Irdischen nicht der protestantischen Rechtfertigungslehre angeglichen wird: »Ebenfalls von der ontischen Sicht her ist also die sophianische Erlösung zu verstehen: sie geschieht vorbildlich in Christus; wobei die Tat am Kreuz nicht im Sinne der westlichen justificatio, sondern im Sinne der östlichen urbildhaften theōpoiesis verstanden sein will.«83 Die in der russischen Religionsphilosophie sophiologisch entfaltete Idee der Verklärung ist beileibe keine bloß akademische Angelegenheit, sie enthält, was schon anlässlich der Neuorientierung der geistigen Elite im Optina-Kloster angedeutet wurde, den Appell zu einer von der ostkirchlichen Spiritualität getragenen vollständigen Verwandlung der Kultur, die Onasch im Anschluss an Berdjajew so beschreibt: In einer Askese, die die alte kirchenväterliche von dieser neuen Schau her verwandelt, »dem Mönchtum in der Welt« beginnt die metamorphōsis des gesamten Bereiches des Menschlichen, vor allem der Kultur. Auch sie muß sich gründen auf der Askese, aber der »Askese des Genies«, wie ich es einmal nennen möchte, d.$h., der Reinigung und Befreiung der göttlichen Werte in der menschlichen Existenz, in dem wesentlich-Mensch-werden. Nicht Kultur im säkularen Sinne, sondern die Offenbarung des sophianischen Seins, »die religiöse Verwandlung der Kultur in das Sein wird die schöpferische Antwort der menschlichen Freiheit an Gott sein«.84 82 Ebd., S."129. 83 Ebd., S."132; vgl. S."133: »Es scheint mir eine katabasis eis allo genos zu sein, mit den Kategorien der sola gratia und ihrer Justificationsidee, oder auch mit denen der westlichen Transzendenz-Immanenz-Problematik an dies Gebilde heranzugehen. Es ist genügend aufgewiesen worden, daß die Sophiologie im Grunde nur eine kühne spekulative Entfaltung einer der genuinsten ostkirchlichen Ideen ist: der Metamorphose.« 84 Ebd., S."134; vgl. S."135$f.: »Es wäre eine nicht nur reizvolle, sondern auch dringend zeitgemäße Aufgabe, unser Thema an dieser Stelle weiterzuführen: wie die Idee der metamorphōsis sich nun in der gewaltigen Problematik der russischen ›Moderne‹ (Slavophilismus, Westlertum, Panslavismus, russischer Messianismus und deren Wurzelungen im Bolschewismus) entfaltet, z.$T. weg von den ostkirchlichen Traditionen der Pravoslavje, immer aber im Sinne folgender Worte Berdjajews, denen wir noch die soziale Sehnsucht des russischen Volkes hinzufügen dürfen: ›Die gesamte russische Literatur des 19.#Jahrhunderts ist ein Heraustreten über die Grenzen der Kultur, sie ist vom Willen der religiösen 56
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Wenn man bedenkt, dass Onasch die Idee der Verklärung ausdrücklich als östliches Gegenstück zur westlichen der Rechtfertigung einführt und mit ihr die Überwindung eigener (durch die Existenzphilosophie ausgelöster) Glaubenszweifel verbindet, wird noch deutlicher, dass auch diese Studie ein eigenes spirituelles Programm enthält. Zugleich betätigt sich Onasch als Vermittler zwischen östlichen und westlichen Denk- und Empfindungsweisen, was auf ähnliche Weise in Rilkes Stunden-Buch geschehe.85 Eine solche wesentliche Unterscheidung östlicher und westlicher Denk- und Empfindungsweisen, die gerade in Bezug auf die Verklärung sichtbar würden, findet sich zur Zeit der Entstehung von Onaschs Studie häufiger und auch später noch gelegentlich, sie wird auch in diesem Bericht wieder auftreten.86 In späteren Forschungsbeiträgen hat sich Onasch speziell der ostkirchlichen Deutung der Verklärung auf dem Berge gewidmet und dabei weitere Aspekte der Verklärungsidee thematisiert. In dem kleinen Aufsatz »Verklärung Christi. Ikonographie, Liturgie und Dogma« (1951) zeigt Onasch, wie die biblische Verklärungsgeschichte (auch unter dem Einfluss des Hesychasmus) weniger im Hinblick auf das Verhältnis von Gott und Mensch und mehr im Hinblick auf das Verhältnis von Gott und Natur gedeutet wurde, so dass das Fest der Verklärung des Herrn einen kosmischen Akzent erhielt, der mit der Erntezeit harmoniert. Und in einer stichwortartigen Darstellung der Ostkirche hebt Onasch hinsichtlich der »Verklärung Christi« (1981) das hier bislang nicht beachtete Verhältnis von religiöser Herrlichkeit und politischer Herrschaft hervor, insofern die Etablierung des Fests der Verklärung des Herrn mit einer ›politischen Christologie‹ verUmgestaltung des Lebens erfüllt. Das zeigte sich im Schicksal Gogols, Dostojewskijs und Tolstojs. Damit ist der religiöse Gedanke erfüllt von Tschaadajew und den Slavophilen bis zu W.#Ssolowjow, K.#Leontjew, N.#Fjodorow und den modernsten religionsphilosophischen Strömungen. Sie sind erfüllt von einer heiligen Unzufriedenheit mit der Kultur, von dem Durst ihrer Umgestaltung in die Kirche, der Erlangung eines höheren Seins‹.« 85 Ebd., S."73 Anm."1: »Diese ganze östliche Welt in der Problematik westl. Denkens und Fühlens geschaut übrigens in Rilkes Stundenbuch und Buch vom mönchischen Leben.« 86 Vgl. z.$B. Julius Tyciak: Erlöste Schöpfung (1938); Josef Casper: Weltverklärung im liturgischen Geiste der Ostkirche (erschienen 1939 in der von Ildefons Herwegen herausgegebenen Reihe »Ecclesia orans«); Johann Auer (Die Bedeutung der Verklärung Christi für das Leben des Christen und für die Kirche Christi, 1984) unterscheidet zwischen einer auf die Gottesschau in dieser Welt ausgerichteten östlichen Denkweise und einer auf die Seligkeit im Himmel ausgerichteten westlichen. 57
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bunden gewesen sein mag: »Wahrscheinlich wird man die Entstehung des Festes noch früher, Anfang des 6 Jh., ansetzen dürfen. Seine volle Entfaltung gehört aber in die Epoche des Kaisers Justinian#I. (gest. 565), dessen theol. Vorstellungen von der imperialen Herrlichkeit Christi […] der Idee der metamorphosis tu Christu entgegenkamen.«87 Während Onasch die ostkirchliche Verklärungsidee als Alternative zur westkirchlichen Rechtfertigungslehre präsentiert, betont der lutherische Theologe Wilhelm Stählin deren Komplementarität. In seinem nur wenige Seiten umfassenden, doch äußerst gehaltvollen Aufsatz »Verklärung«, der 1963 in einer Festschrift für Hans Asmussen erscheint, geht Stählin vom Befund eines in der evangelischen Kirche herrschenden Desinteresses an der Verklärung aus, weshalb sich kaum sagen lasse, dass »die ›Verklärung‹ eine wirkliche Bedeutung für das Verständnis des Evangeliums[,] überhaupt unserer eigenen Existenz gewonnen habe«.88 Nachdem Stählin die biblische Bedeutung der Verklärung anhand von Luthers Wortgebrauch bestimmt hat, erläutert er die Relevanz der Verklärung für eine christliche Existenz: Zu der als Verklärung artikulierten Auferstehungshoffnung, die auch die Leiblichkeit und Gemeinschaftlichkeit des Menschen betrifft, kommt ein kosmischer Aspekt hinzu, insofern die gesamte Schöpfung in die verwandelnde Verherrlichung des Schöpfers einbezogen ist. Und da diese kosmische Verklärung besonders in der ostkirchlichen Frömmigkeit gegenwärtig gehalten wird, kann der ökumenische Austausch zur Überwindung einseitiger Positionen, auch einer einseitigen Rechtfertigungslehre, beitragen: Insofern hat die Betonung der Verklärung auch einen deutlich ökumenischen Bezug, indem uns dieser biblische Begriff eine wesentliche Seite der ostkirchlichen Frömmigkeit nahe bringt. Statt um einer isolierten und dadurch verengten Rechtfertigungslehre willen die Fülle der Heiligen Schrift zu verleugnen, sollten wir uns die Kühnheit des biblischen Denkens von der auf der ganzen Welt liegenden Verheißung zu eigen machen. Nur in der Fülle und Weite des biblischen Denkens kann die Einheit der ganzen heiligen Kirche begründet und erhalten werden. Der Glaube an die Verklärung ist
87 Konrad Onasch: Verklärung Christi, S."367. Nach Norbert Stenta (Gedanken zum Fest der Verklärung, 1928) feiert die Ostkirche mit dem verklärten Christus eigentlich den der Auferstehung und Himmelfahrt. 88 Wilhelm Stählin: Verklärung, S."80. 58
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ein wesentlicher Beitrag zu dieser Fülle, die wir so vielfach verloren oder verleugnet haben.89 Neben den bisher behandelten (mehr oder weniger selbstkritischen) katholisch und evangelisch geprägten Beiträgen darf in diesem Bericht auch eine anglikanisch grundierte Studie nicht fehlen: das 1969 in deutscher Übersetzung erschienene Buch Doxa: Gottes Herrlichkeit und Christi Verklärung von Arthur Michael Ramsey, seinerzeit Erzbischof von Canterbury.90 Ramsey untersucht den biblischen Begriffskomplex der Herrlichkeit, der sowohl Spezifikum der jüdisch-christlichen Tradition als auch von universaler Bedeutung sei und dessen gegenwärtige Verwendung zwischen theologischer und säkularer Semantik changiere, und diese Untersuchung dient nicht zuletzt der Suche nach einem ökumenischen Ansatz. Der erste Teil des Buches geht den Vorstellungen von Gottes Herrlichkeit durch das Alte und das Neue Testament nach, die mit je eigenen Akzentuierungen und begriffsgeschichtlichen Entwicklungen mit den Worten ›Kabod‹, ›Shekinah‹ und ›Doxa‹ verbunden sind. Die in den alttestamentarischen Vorstellungen von Herrlichkeit hervortretenden Spannungen zwischen absoluter und sich immanent zeigender Transzendenz oder Transzendenz und Personalisierung tendieren laut Ramsey hin auf ihre endliche Auflösung (sit venia verbo) im Paradox des Gottmenschen Jesus Christus. Wenn Ramsey dann auf die Herrlichkeit des Menschensohns in seinem Leben und Leiden wie in seiner Auferstehung und Wiederkunft eingeht, wird auch die Verklärung auf dem Berge berührt, vor allem aber das Johannesevangelium behandelt, in dem zwar die Tabor-Episode nicht enthalten ist, das Thema der Herrlichkeit aber durchgängig präsent und für Gehalt und Gestalt konstitutiv.91 Im Rückblick auf seine Untersuchung der biblischen Vorstellungen von Gottes Herrlichkeit betont Ramsey die mit diesen verbundene und für das Christentum weiterhin wichtige Vermittlung, dass die göttliche Transzendenz unter dem Aspekt der Herrlichkeit auch der Sinneswahrnehmung des Menschen zugänglich sein kann. Wir haben gesehen, wie der Kabod Jahwes in sich die Vorstellungen von Kraft, Wesensäußerung, Strahlenglanz und physischer Zugäng89 Ebd., S."85. 90 Die erste Auflage der englischen Ausgabe erschien 1949, die deutsche Übersetzung folgt der zweiten von 1967 (und wird übrigens in dem von Hans Urs von Balthasar geleiteten Johannes Verlag veröffentlicht). 91 Arthur Michael Ramsey: Doxa, S."77. 59
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lichkeit vereinigt, die weder reinlich entwirrt noch historisch geordnet werden können. Wir haben gesehen, wie das griechische Wort δόξα eine neue Bedeutung annimmt, um die biblische Vorstellung in ihrer Vielfalt und Einheit auszudrücken und um eine Vorlage zu schaffen, an die die neutestamentlichen Schriftstellen sich halten konnten. Dann kam die Offenbarung der Herrlichkeit im Evangelium. Auch hier sind die Vorstellungen von Macht, Wesensausdruck, Strahlungskraft und physischer Erreichbarkeit des Erlösers noch miteingeschlossen, denn wenn die Andeutungen körperlicherfahrbarer Herrlichkeit jetzt auch ganz den ethischen und transzendenten Aspekten untergeordnet werden, so verschwinden sie doch nie ganz. Bis zuletzt bleibt die Sehnsucht des Menschen die gleiche wie in Tagen Moses’: Gott zu schauen. Der Christ soll die alte Bitte: »zeig mir, ich bitte dich, deine Herrlichkeit«, nicht als etwas Fleischliches mißachten.92 Ramsey betont auch die Korrespondenz zwischen Gottes Herrlichkeit und der Verherrlichung Gottes durch den Menschen, wodurch das Lob der Herrlichkeit Gottes zu einem Grundzug christlicher Existenz wird, dessen Reflexion sich (gemäß der theologischen Enzyklopädie) doxologisch niederschlägt: »So erfüllt ein Geist der Lobpreisung die frühen Christen bei all ihrem Tun und Leiden, und die großen ausdrücklichen Doxologien sind nur der konzentrierteste Ausdruck dieses Geistes.«93 Der zweite Teil von Ramseys Buch widmet sich der Verklärung Christi als einem besonderen Fall von Verherrlichung.94 Zunächst wird die Deutungsgeschichte der Bibelepisode dargestellt,95 deren Kontroversen sich besonders an der Frage nach der Historizität des Ereignisses (und damit zusammenhängend der geschichtlichen Glaubwürdigkeit des markinischen Berichts) entzünden; ein anderer Streitpunkt betrifft die Frage, ob es sich bei der Verklärung Christi um ein objektives Geschehen oder eine subjektive Vision gehandelt habe oder beides miteinander verbunden sei; schließlich wird das Verhältnis der Verklärung Jesu zu seiner zukünftigen Herrlichkeit in Verbindung mit der Auferstehung und Wiederkunft diskutiert. Dabei werden auch die in der Verklärungsgeschichte enthaltenen Spannungen herausgestellt, etwa 92 93 94 95
Ebd., S."111. Ebd., S."124-137, hier S."131. Ebd., S."139-201. Ebd., S."141-154. 60
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die Vorausdeutung auf Passion und Parusie oder das Verhältnis von Hoheit und Erniedrigung des Gottessohns. Doch beschäftigt sich Ramsey nicht nur mit dem Bibeltext und seiner theologischen Interpretation, sondern auch, in einem eigenen Kapitel über die »Verklärung im Leben der Kirche«,96 mit der kulturellen Wirkungsgeschichte. Die so unterschiedliche Gewichtung der Verklärung in der Ost- und der Westkirche wird, ähnlich wie in Onaschs Studie, mit unterschiedlichen Denk- und Empfindungsweisen begründet, einer kosmologisch-mystischen beziehungsweise anthropologisch-moralischen Perspektive, die aber, während Onasch die Unvereinbarkeit hervorhebt, gerade zusammengehören und nicht isoliert und verabsolutiert werden dürfen. Der Osten liebte es, die kosmischen Wirkungen der durch Christus bewirkten Erlösung zu betonen und hat das christliche Leben immer unter dem Gesichtspunkt unserer Beteiligung an der neuen Schöpfung betrachtet. Es ist eher eine mystische als eine moralische Blickrichtung. Der Westen, der eher moralisch als mystisch denkt, hat sich stärker für die Rechtfertigung und Heiligung des menschlichen Lebens interessiert und ist dabei zuweilen in Moralismus und Werkgerechtigkeit verfallen, die beide die kosmische Einbettung des christlichen Lebens aus dem Auge verlieren. Der Osten hat das Kreuz so sehr im Licht der Auferstehung gesehen, daß es zuweilen seiner besonderen Bedeutung beraubt wurde und ganz im Lichtglanz des Osterfestes aufging. Der Westen seinerseits hat zu oft das Kreuz von der Auferstehung getrennt. Diese Gegensätze erklären auch, warum der Osten instinktiv die Verklärung ins Herz schloß und mit Wärme und Zähigkeit an ihrer Bedeutung festhielt. Während westliche Ausleger sich oft gefragt haben, was für sittliche und praktische Lehren aus dem Ereignis gezogen werden können, hat sich der Osten zumeist damit begnügt, sich einfach über die Herrlichkeit zu freuen, die der heilige Berg über Christus, die Christen und den ganzen Kosmos ergießt.97 Wie die Verklärung Christi für die ostkirchliche Frömmigkeit weniger ein einzelnes Element des Glaubens ist, »sondern weit eher das Sinnbild für etwas, das alles Dogma und allen Gottesdienst durchzieht«, so erscheint sie auch in der russischen Theologie bei mehr oder weniger 96 Ebd., S."176-196. 97 Ebd., S."186$f. Vgl. zur kosmischen Transfiguration Andreas Andreopoulos: Metamorphosis, S."145-154. 61
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strenger Bezugnahme auf die Verklärungsgeschichte als Symbol für »die Metamorphose der ganzen Schöpfung, herbeigeführt durch die Auferstehung Christi«.98 Was ja auch Onaschs Darstellung der russischen Religionsphilosophie vor Augen geführt hat. Eine Besonderheit von Ramseys Untersuchung ist, dass er im Hinblick auf die Transfiguration in der anglikanischen Kirche zunächst deren allgemeine Vernachlässigung im Reformationszeitalter vermerkt, für dessen radikale Vereinseitigungen die Verklärung als Symbol der Vermittlung kaum attraktiv gewesen sei. Die Reformation hat wenig zur Deutung der Verklärung beigetragen. Die Verlagerung des Schwergewichts von den Evangelien auf die Paulusbriefe, die heftige Reaktion gegen verzerrte Ansichten über die Gemeinschaft der Heiligen, das Mißtrauen vor der Mystik – sie genügen, um diese Vernachlässigung zu erklären. Da im 16.#Jahrhundert auf beiden Seiten das Gleichgewicht und die Ganzheit des christlichen Glaubens gestört waren, besaß die Verklärungsepisode wenig Anziehungskraft; sie, die doch jene Synthesen – Kreuz und Auferstehung, Erlösung und Schöpfung – versinnbildlichte, die in der mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Theologie des Westens oft zu kurz kamen.99 Das Verhältnis der Reformation zur Transfiguration Christi wird hier im nächsten Kapitel noch genauer betrachtet. Was schließlich die Relevanz der Verklärung in der anglikanischen Kirche betrifft, so ermöglicht zumindest deren Festkalender die spirituelle Orientierung an der Transfiguration. Das Wiederaufleben einer reicheren Lex Credendi bleibt jedoch eng verbunden mit der Wiedergewinnung der Lex Orandi, und dies ist, bezüglich der Verklärung, kennzeichnend für den modernen Anglikanismus. Ehre gebührt der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten von Amerika, die 1886 den Verklärungstag zum kirchlichen Festtag erklärte. Die schottische Kirche, die Kirche von Südafrika und die kanadische Kirche haben diese Observanz übernommen; 98 Arthur Michael Ramsey: Doxa, S."188 bzw. S."190, vgl. auch ebd.: »In diesem Gedankenzusammenhang wird das Wort ›Verklärung‹ zuweilen mit Bezug auf das Ereignis gebraucht, in dem der Vorgang am klarsten symbolisiert worden ist: der Verklärung Jesu, häufiger freilich ohne Bezug darauf und nur im Blick auf die Früchte der Auferstehung.« 99 Ebd., S."192. Vgl. zur Ausrichtung an Paulus und deren Spätfolgen auch Donald Evans: Academic Scepticism, Spiritual Reality and Transfiguration, S."184$f. 62
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und die Tatsache, daß der Tag in das Deposited Book von 1928 aufgenommen wurde, machte seine Anerkennung vielen englischen Gemeinden vertraut, wo Christen darum beten, daß Gott, der vor der Passion seines Sohns auf dem Berg seine Herrlichkeit offenbarte, ihnen die Kraft zum Tragen des Kreuzes und eine Verwandlung in sein Ebenbild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit gewähren möge.100 Dass Ramsey sich für eine stärkere Orientierung an der Verklärung einsetzt, macht diese Darstellung ihrer Wirkung im Leben der Kirche deutlich, insofern die ausgleichende und vervollständigende Verklärung, Symbol der Synthese, Einseitigkeiten entgegenwirkt und Ökumene fördert. Diese synthetisierende Kraft der Verklärung gründet darin, dass sie bei angemessener Betrachtung das Ganze des christlichen Glaubens erschließen kann: »Aber sie steht da als ein Zugang zu den erlösenden Ereignissen des Evangeliums und gleicht einem Spiegel, in dem das christliche Mysterium in seiner Einheit geschaut werden kann.«101 Und diese Kraft der Verklärung zeigt sich noch in der säkularen und gewöhnlichen Begriffsverwendung: »So stark ist die Wirkung der Theologie auf die Sprache, daß das Wort ›verklären‹ – einer biblischen Geschichte entnommen, der oft kaum Beachtung geschenkt wird –, sich in der Umgangssprache der christlichen Welt eingebürgert hat.«102 Ramseys Begriffsforschung begnügt sich jedoch nicht mit dem Nachweis theologischer Spuren in der Umgangssprache, sie identifiziert, wie er im Anschluss an Arnold#J. Toynbees Typologie der Kultur formuliert, eine auf die Verwandlung der Welt gerichtete Einstellung und Verhaltensweise: »Weltverwandlung ist eine Glaubenshaltung, bei der ›wir die Gesamtsituation, an der auch wir teilhaben, in einen größeren Zusammenhang stellen, der dieser Gesamtsituation dann eine neue Bedeutung gibt‹. Für solch einen Glauben […] ist die biblische Lehre von der Glorie das Grundschema und das Verklärungsereignis das Sinnbild.«103 Die so explizierten Intentionen belegen, dass auch Ramsey, wie die zuvor vorgestellten Autoren, mit seiner Studie ein spirituelles Programm verbindet. Darauf macht auch Benjamin Thomas aufmerksam,104 der die anglikanische Hermeneutik gerade mit Bezug auf die 100 101 102 103 104
Arthur Michael Ramsey: Doxa, S."196. Ebd., S."197. Ebd., S."198. Ebd., S."200. Benjamin Thomas: An Anglican Hermeneutic of the Transfiguration, zu Ramseys Studie S."124-131. 63
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Transfiguration untersucht hat. Demnach gehört diese Verbindung von Wissenschaft und Erbauung zu den Kennzeichen einer anglikanischen Hermeneutik.105 Während die bisher vorgestellten Beiträge von kirchlichen Konfessionen geprägt waren, handelt es sich bei dem 2003 erschienenen Buch Die Verklärung auf dem Berge: Erkenntnis und Kunst des Philosophen Manfred Krüger um eine anthroposophisch grundierte Studie und letztlich »um den Versuch einer Erhellung der Wahrheit im Evangelium und in der künstlerischen Verwirklichung, sowie um das Erleben im Denken, also um die Versöhnung von Wissenschaft, Kunst, Religion«.106 Um die Verklärung mit dieser Intention in Wort, Bild und Denken behandeln zu können, wird als Verstehensbedingung des Interpreten ausdrücklich eine andächtige und kritische Haltung gegenüber dem Gegenstand gefordert. Der erste von den drei Teilen des Buches enthält Betrachtungen zum Evangelium (die vor allem an den Matthäus-Kommentar des Origines angelehnt sind), in denen die Verklärung Christi als vorweggenommene Vollendung erscheint, die zur Einbeziehung der Menschheit durch die Passion von Christus gewissermaßen aufgeschoben wird.107 Im Rahmen der Betrachtung der biblischen Verklärungsberichte werden mehr oder weniger naheliegende Verweise und Vergleiche angesprochen, wie das Verhältnis zu den Gralsmysterien108 oder der Apotheose Buddhas.109 Der zweite und bei weitem umfangreichste Teil des Buches enthält Betrachtungen zu Werken der bildenden Kunst (das Buch erscheint in einer kunstgeschichtlichen Reihe), insbesondere natürlich zu Raffaels Darstellung der Verklärung. Auf eine für diese Studie typische Weise sind in den Reflexionen über Raffael konkrete Beobachtungen mit ausgesprochen spekulativen Deutungen zusammengestellt, wenn es etwa heißt: »In der Konzeption des aufschwebenden Christus kommt die Menschheitswende zum Ausdruck: Der menschliche Leib erhält seine Unsterblichkeit zurück. Niemals vorher ist Jesus Christus so gemalt worden: schwebend wohl, aber nicht aufschwebend. Der Zusammenhang mit der Taufe erscheint in der Malweise Raphaels als Umkehr. Taufe bedeutet Inkarnation, Herabkunft. Transfiguration bedeutet Verwandlung, Aufsteigen als Präfiguration der Himmelfahrt und Ankündigung 105 106 107 108 109
Ebd., S."207-223, insb. S."221. Manfred Krüger: Die Verklärung auf dem Berge, S."7. Ebd., S."37. Ebd., S."52 Anm."150; vgl. S."122, 151-154. Ebd., S."69-71. 64
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der Erlösung am Jüngsten Tag.«110 Die Spekulation dominiert bei der Identifikation der Figuren in der unteren Bildhälfte, wenn Krüger den großen, rot gewandeten und nach oben weisenden Jünger mit dem auferweckten Lazarus und diesen wiederum mit Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, identifiziert und auf diese Weise Bezüge zu den anderen Johannes-Figuren, dem Zeugen der Verklärung auf dem Berge sowie Johannes dem Täufer durch die Gestalt des Elia, doch auch zum Schreiber des Johannesevangeliums herstellt. Wie auch immer man diese Spekulationen beurteilen mag, es ist hervorzuheben, dass sie mit einer Vielzahl aufschlussreicher verifizierbarer Beobachtungen verbunden sind und überdies der Widerspruch zur theologischen Schulmeinung deutlich angezeigt wird. Unvergleichlich ist die Zusammenstellung der betrachteten Bilder, die etwa Tizians Transfiguration und die verwandte Assunta ebenso berücksichtigt wie die Verklärung auf dem Berge von Lucas Cranach d.$Ä. Nicht zuletzt der Vergleich von Bildern und Ikonen legt es nahe, die unterschiedliche Gewichtung der Verklärung in der Kirche und Kultur des Westens und Ostens zu erörtern, die Krüger, wie Onasch und Ramsey, mit einer unterschiedlichen Denk- und Empfindungsweise begründet, in diesem Fall mit einer eher imaginativen oder eher intuitiven Haltung (die aber grundsätzlich miteinander zu verbinden sind): Es ist bezeichnend, daß sich das Fest der Verklärung im Westen nicht durchsetzen ließ. Der tiefere Grund liegt in der unterschiedlichen Beziehung der Menschen zum Geist. Dafür ist auch der filioque-Streit ein Symptom. Im Westen wird das Denken mehr imaginativ – hervorbringend – erlebt; im Osten mehr inspirativ – empfangend. Die östliche Haltung ist die ältere und hat den Anspruch auf Objektivität. Die westlich-subjektive Haltung macht sich vor allem seit der Entstehung des mittelalterlichen Nominalismus geltend. [/] Die Imagination ist immer subjektiv – ichbehaftet. Das heißt aber nicht, daß der Imaginierende nicht zur Inspiration kommen könnte. Inspiration ist aus der Ichkraft heraus wiederzuerringen. In der wiedergewonnenen Inspiration wird dann auch die Imagination objektiv gültig. Das zeigen die großen Werke jener Künstler, die sich dem Thema der Verklärung auch im Westen gestellt haben.111 110 Ebd., S."197-236, hier S."215. 111 Ebd., S."300. 65
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Die angedeutete Vermittlung wird auch im dritten Teil des Buches behandelt, in dem Kunst und Philosophie als Wege zu einer die gegensätzlichen Haltungen aufhebenden und versöhnenden Selbsterkenntnis gedeutet werden. Der über die Bewusstseinszustände oder Erkenntnisstufen der Imagination, Inspiration und Intuition führende Erkenntnisprozess ist offensichtlich an Rudolf Steiners Anthroposophie orientiert,112 auf die auch explizit Bezug genommen wird: »Ähnlich formulierte Rudolf Steiner im Jahre 1888 in seinem grundlegenden Essay ›Goethe als Vater einer neuen Ästhetik‹. Nicht auf ein Verkörpern eines Übersinnlichen käme es an, ›sondern auf ein Umgestalten des Sinnlich-Tatsächlichen‹: Das Schöne, schreibt er, ›ist nicht das Göttliche in einem sinnlichen Gewande; nein, es ist das SinnlichWirkliche in einem göttlichen Gewande‹. Das aber heißt Transfiguration: das Sinnlich-Wirkliche in einem göttlichen Gewande.«113 Der angedeutete Erkenntnisprozess bildet den Maßstab, an dem philosophische und ästhetische Konzepte gemessen werden, so zum Beispiel die als objektiv beziehungsweise subjektiv gekennzeichneten Ästhetiken von Wladimir Solowjow und Arthur#C. Danto.114 Mit diesem Erkenntnisprozess ist zugleich das Ziel von Krügers auf eine Versöhnung von Kunst, Religion und Wissenschaft hinwirkenden Arbeit bestimmt, die Idee der Weltverwandlung, die in je eigener Gestalt auch für Onasch und Ramsey leitend ist: »Verklärendes Denken entspringt der Intuition des ›Ich bin‹ und ergreift das vergänglich Seiende, um es zu verwandeln und so in die Große Verklärung einzubeziehen. Im verklärenden Denken wächst der Mensch seiner Bestimmung ent-
112 Ebd., S."331-336. Vgl. auch die anthroposophische Interpretation von Walter Weber: Vom Geheimnis der Verklärung Christi (1960). Rudolf Steiners Konzeption der Bewusstseinszustände skizziert z.$B. Gerhard Wehr: Spirituelle Meister des Westens, S."77-81. 113 Manfred Krüger: Die Verklärung auf dem Berge, S."341. 114 Ebd., S."343: »Wladimir Solowjow hat mit Blick auf das dreieinige Ideal von Wahrheit, Schönheit, Güte ›eine dreifache Aufgabe der Kunst‹ formuliert: ›Erstens die direkte Objektivation jener tiefsten inneren Bestimmungen und Eigenschaften der lebendigen Idee, die nicht von der Natur ausgedrückt werden können; zweitens die Durchgeistigung der natürlichen Schönheit und hierdurch drittens die Verewigung ihrer individuellen Erscheinungen.‹«; S."344 Anm."756: »Die gegensätzliche, subjektivistisch-nominalistische Sicht vertritt Arthur#C. Danto. Das Kunstwerk, schreibt er, ›veräußerlicht eine Weise, die Welt zu sehen‹, wobei diese ›Weise‹ auch ›das Innere‹ oder die Sicht einer Epoche sein kann […].« Auf Solowjow und Danto wird in der vorliegenden Studie noch eingegangen (Kap."V.1 bzw. VII.3). 66
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gegen, die Novalis mit dem Ausdruck ›Messias der Natur‹ umschrieben hat.«115 Der letzte hier vorzustellende Forschungsbeitrag unterscheidet sich von den vorigen schon dadurch, dass die wissenschaftliche Forschung nicht mit einer konfessionell oder weltanschaulich bestimmten Sendung verknüpft ist. Der Philosoph Andreas Dorschel hat in mehreren Arbeiten die Idee der Verwandlung untersucht, sehr konzentriert bereits in einem Aufsatz, der in den Sammelband Verwandlungsmusik (2007) einführt. In dem Aufsatz werden drei Verwandlungsideen unterschieden: erstens die in den Ovidischen Metamorphosen artikulierte Fluktuation, die statt der Leitunterscheidung von Identität und Alterität eine unaufhebbare Ambiguität aufweist, welche Fortschrittsund Vollendungsvorstellungen ebenso konterkariert wie philosophische Konzeptualisierungsversuche (zumal mit platonisch-christlicher Präferenz der Unwandelbarkeit); zweitens die christliche Verwandlungsidee, die die Vielzahl und Vieldeutigkeit der Verwandlungen auf eine (irreversible) teleologische Verwandlung reduziert, die in den miteinander zusammenhängenden Motiven der Auferstehung der Toten beziehungsweise Gerechten (und deren an Gott ausgerichteter Umgestaltung), der Transfiguration Christi sowie der Eucharistie erscheint (während alle weiteren Verwandlungen der Kontrolle durch die Dämonologie unterliegen);116 drittens die alchimistische Idee der Verwandlung als (purifizierende) Begegnung von Polaritäten, die christliche und heidnische Elemente, teleologische Perfektibilität und gnostische Vergottung (anstelle der Angleichung an Gott)117 einschließt. Die demnach für die christliche Verwandlungsidee wesentlichen Motive der Auferstehung, Verklärung und Eucharistie lassen sich zum Beispiel mit Federico Zuccaros Disegno für eine Quarantore-Dekoration illustrieren (Abb."9): Die Quarantore-Andacht erinnert nämlich durch vierzigstündige Anbetung der Eucharistie (erstes Motiv) an die Zeit zwischen Kreuzigung und Auferstehung (zweites Motiv) und in Zuccaros Entwurf durch die als Mose und Elia erscheinenden Nebenfiguren außerdem an die Verklärung auf dem Berge (drittes Motiv). Für jede der drei Verwandlungsideen, also für das antike, christliche und alchimistische Verwandlungskonzept, gibt Dorschel ein musikalisches 115 Ebd., S."356. 116 Andreas Dorschel: Die Idee der Verwandlung, S."23-31; zur Verklärung auf dem Berge mit besonderer Rücksicht auf ihre trinitarische Bedeutung S."26-28. 117 Ebd., S."33; vgl. S."48 Anm."34. 67
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Beispiel. Die musikalische Umsetzung der christlichen Verwandlungsidee erläutert Dorschel anhand von Bruckners Symphonien, deren Themen bei rhythmisch stabiler Identität durch Änderung etwa von Tonhöhe, Modalität und Klangfarbe eine zugleich vorbestimmte und sich doch plötzlich ereignende ›lichte Erhöhung‹ zum Ausdruck bringen.118 Diese ideengeschichtlichen Überlegungen hat Dorschel in seinem zwei Jahre später erschienenen Buch Verwandlung weiter ausgeführt, in dem auch aktuelle Verwandlungstechnologien berücksichtigt und methodologische Reflexionen zur Ideengeschichte hinzugefügt werden. In dem Kapitel, das der christlichen Verwandlungsidee gewidmet ist, wird die Verklärung auf dem Berge genauer betrachtet.119 Dabei 118 Ebd., S."40: »Lichte Erhöhung: dieser Art der Verwandlung werden Themen Brucknerscher Symphonien teilhaftig. In der Transfiguration Jesu auf dem Berg bleibt ja der Umriß seines Leibes unverändert; verwandelt wird er durch ein Strahlen, das sowohl über ihn wie aus ihm zu kommen scheint. Die Wahrung der Gestalt vollzieht Bruckner, indem er die Rhythmik der Themen, die er in solcher Weise verklärt, unangetastet läßt […]. Der Rhythmus verbürgt Identität durch alle Verwandlung hindurch. Licht aber wird es um die Gestalt etwa durch den Wechsel von tiefer zu hoher Lage, von Moll oder modaler Harmonik (wie in der Sechsten) nach Dur, von Chromatik zu Diatonik, oder von verhangener zu leuchtender Klangfarbe. Zu solcher Glorifikation und Exaltation aber ist die Gestalt bestimmt. Wie Jesus von Anbeginn zur Erhöhung ausersehen war, sind es auch die Brucknerschen Themen: Das Thema der Solotrompete in der Dritten Symphonie (I.#Satz, T.#5$ff.), offenbart in deren letzten Takten, nun von drei Trompeten gespielt (IV.#Satz, T.#451$ff.), seine wahre Natur im Licht des Akkords der Durtonika, und es bedarf zu dieser Offenbarung nur der Veränderung einer einzigen Note. Und doch verdankt sich die Kraft der Verwandlung, die bei Bruckner erfahren wird, dem Eindruck des Plötzlichen. Offenbarung ist weder Arbeit, der Modus der Entwicklung Beethovenscher Sonatensätze, noch Kunst des Übergangs, zu der Wagner aspirierte. Nicht permanent und kontinuierlich ist sie am Werke, sondern jäh. Da wir so lange oder am Beginn mancher Brucknerschen Coda jedenfalls wieder im Dunkeln tappen, erscheint das Licht des Blechs an deren Ende noch einmal so gleißend. Im Gegensatz zu manchen Interpreten seiner Werke und manchen Tontechnikern in deren Dienste, deren ganzer Stolz die Brutalität einer Fanfare ist, war dem Komponisten freilich geläufig, Blenden sei nicht die höchste Wirkung des Lichts; in der Coda des Kopfsatzes der Siebenten obliegt die letzte Transfiguration des Themas nicht den Trompeten, sondern Hörnern, Posaunen und Kontra-Baßtuba (T.#433$ff.).« Wie stimmig scheint es da, dass Bruckner bei seinem Orgelspiel in der Stiftskirche Kremsmünster auf das gewaltige Altargemälde der Verklärung Christi von Johann Andreas Wolff traf, das hier noch in einem anderen Zusammenhang angesprochen wird (Abb."14 in Kap."IV.2). 119 Andreas Dorschel: Verwandlung, S."49-84; zur Verklärung auf dem Berge S."70-79. 68
Abb. 9: Federico Zuccaro: Disegno für eine Quarantore-Dekoration (16. Jh.)
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wird unter anderem das Paradox einer gleichzeitig gesteigerten Präsenz und Absenz (Entrückung) des Verklärten verdeutlicht, das dem christlichen Verwandlungskonzept entsprechend der Vereindeutigung und endgültigen Feststellung der Identität dient (während die heidnisch vieldeutige Verwandlung Identität zugleich voraussetzt und infrage stellt); verdeutlicht wird auch das Paradox der Vision als Sehen des Unsichtbaren, das nicht mithilfe des Subjekt-Objekt-Schemas aufgelöst werden kann, sondern dem Blick des Gläubigen entspricht; ferner wird die Frage berührt, ob die Transfiguration die Bedeutung der Passion in der Heilsgeschichte relativiert – und ebendiese Frage, die Frage nach dem Verhältnis von Passion und Transfiguration, von Kreuz und Herrlichkeit, wird hier im Folgenden wiederholt aufgeworfen und auf ganz verschiedene Weise beantwortet werden. An dieser Stelle lässt sich im Rückblick auf die so verschiedenartigen Forschungsbeiträge aus der katholischen (Anton de Waal, Anton Gundlach, Carlo Maria Martini), evangelischen (Konrad Onasch, Wilhelm Stählin) und anglikanischen (Arthur#M. Ramsey) Theologie sowie aus einer anthroposophisch (Manfred Krüger) beziehungsweise ideengeschichtlich (Andreas Dorschel) interessierten Philosophie festhalten, dass in allen Beiträgen die kulturelle Relevanz der Transfigurationsthematik konstatiert wurde und ebenso deren merkwürdige Marginalisierung. Die Forschungsbeiträge bestätigen darüber hinaus mit ihrer zumeist doppelten, informativen und programmatischen Absicht, worauf auch die einführenden motivischen, begrifflichen und geschichtlichen Annäherungen an das Thema schon hindeuteten: Die Verklärung auf dem Berge ist keine biblische Bagatelle, deren Bedeutungswandel mit Verweis auf die Säkularisierung oder Bildungsdefizite abgetan werden kann, der Bedeutungswandel lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr auf Grundhaltungen und Lebenseinstellungen, die letztlich alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen, wofür die spirituellen und kulturellen Programme der vorgestellten Beiträge bereits Beispiele bieten, von der Liturgiereform über die religiöse Kulturrevolution oder die ökumenische Weltverwandlung bis zur esoterischen Selbsterkenntnis.
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II. Kreuz und Herrlichkeit
Wenn hier und heute überhaupt von religiöser Verklärung die Rede ist, dann gewiss eher im Zusammenhang mit der katholischen oder orthodoxen Kirche denn mit dem Protestantismus – mit Letzterem allenfalls im absprechenden Sinne, etwa in der Klage über die glanzlose Gestalt des evangelischen Gottesdienstes, die noch in den Echokammern kirchenferner Milieus nachhallt. In den im vorigen Kapitel vorgestellten Forschungsbeiträgen wurde das Verhältnis von Verklärung und Protestantismus bereits berührt, wenn diese Beiträge zu zeigen versuchten, dass die Verklärung als Symbol einer totalisierenden Synthese den Partikularisierungs- und Radikalisierungstendenzen des Reformationszeitalters fremd bleiben musste (Arthur#M. Ramsey) oder die ostkirchliche Idee der Verklärung eine Alternative beziehungsweise ein ergänzendes Gegenstück zur westkirchlichen Idee der Rechtfertigung bildet (Konrad Onasch bzw. Wilhelm Stählin). Dass der Protestantismus nicht notwendigerweise ein distanziertes Verhältnis zur Verklärung hat, zeigt schon ein Blick auf die Vielfalt reformatorischer Bewegungen, denn zu diesen gehört eine, für die die Verklärung auf dem Berge identitätsstiftend und namensgebend ist: die Gruppierung der ›Taboriten‹, die ihren Namen den Wallfahrten auf den böhmischen Berg Tabor und der darauf gegründeten gleichnamigen Stadt verdankt (wobei die Übernahme biblischer Ortsnamen nicht ungewöhnlich war).1 Zum zentralen Bezugspunkt wurde der Tabor für diese Gruppierung nicht nur wegen der Erinnerung an die Verklärung Jesu und der Hoffnung auf eine wiederholte Offenbarung, sondern auch aufgrund der Erinnerung an den Tabor als Kampfstätte des auserwählten Volkes (Jdc 4,2-24) und die Siegeshoffnung für den eigenen endzeitlich verstandenen Kampf. Die Taboriten vertraten nach dem Konzil zu Konstanz und der Verurteilung und Verbrennung von Jan Hus eine radikale, über den Bereich der Kirche hinausgehende Sozialreform, doch wurde die Gruppierung binnen anderthalb Jahrzehnten in den Hussitenkriegen größtenteils aufgelöst. Spuren dieser reforma1 Vgl. z.$B. Frank Staeck / Caroline Welsch: Ketzer, Täufer, Utopisten, S."65-77. 71
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
tionsgeschichtlichen Episode, in der die Verheißungen der biblischen Verklärungsgeschichte im Böhmen des 15.#Jahrhunderts verwirklicht werden sollten, auch im politischen Kampf, ließen sich in verschiedenen Bereichen und bis in die deutsche Literatur des 20.#Jahrhunderts hinein weiterverfolgen. In der vorliegenden Studie soll das Verhältnis des Protestantismus zur Verklärung jedoch mit Bezug auf Luther dargestellt werden, weil so das Vorurteil eines distanzierten Verhältnisses weniger widerlegt denn in eine theologisch begründete Distanz überführt wird, ehe dann mit Bezug auf Catharina Regina von Greiffenberg gezeigt wird, wie eine diese begründete Distanz reflektierende Betrachtung der Herrlichkeit aussehen kann. Und noch Kierkegaards Kritik der Verklärung und Nietzsches Neigung zur Verklärung, die in den darauffolgenden Kapiteln in den Blick genommen werden, lassen sich als Radikalisierung der mit Luther fundierten Distanz beziehungsweise als radikale Gegenreaktion auf die mit Luther fundierte Distanz verstehen.
II.1. Luther als Dolmetscher und Theologe des Kreuzes Lutherus auch gros zierde trug$/ Und manchen Lehrer uberwug$/ Mit klarheit$/ der bey Christi Fahn$/ Nicht het so viel$/ als er gethan. 'Bartholomäus Ringwaldt: $Christliche Warnung des $Trewen Eckarts (1590)
Für das Verständnis des Bedeutungswandels der Verklärung ist Luther in mehrfacher Hinsicht eine Schlüsselfigur. Auffällig ist die Entscheidung des Dolmetschers, der die im Griechischen als ›Metamorphose‹ bezeichnete Verwandlung Jesu in seiner Bibelübersetzung mit dem Wort ›Verklärung‹ wiedergegeben hat, das eben zusätzliche und andere Assoziationen weckt, und sei es nur, dass der visuelle Aspekt der Verwandlung, das Scheinen, Glänzen und Leuchten, betont wird; doch ist sogleich zu präzisieren, dass Luther damit eine in der deutschsprachigen Kirche bereits vorhandene Begrifflichkeit aufgenommen, diese also mit seiner Bibelübersetzung nicht eingeführt, sondern autorisiert und popularisiert hat. Während etwa in der Ottheinrich-Bibel aus der ersten Hälfte des 15.#Jahrhunderts die Verklärung Jesu als ›Verwandlung‹, ›Transfiguration‹ oder ›veränderte Erscheinung‹ 72
II . 1 . LUTHER ALS DOLMETSCHER UND THEOLOGE DES KREUZES
net wird,2 lautet die Beschriftung der entsprechenden Szene auf dem Großen Zittauer Fastentuch von 1472 (mit bemerkenswerter, doch nicht unüblicher Hervorhebung der Göttlichkeit des Gottmenschen): »gott sich vorclerte czu thabor off dem berge« (Abb."10).3 Das entspricht in etwa der Angabe im Grimm’schen Wörterbuch, wonach das Substantiv ›Verklärung‹ im ausgehenden 15.#Jahrhundert zur Wiedergabe von ›transfiguratio‹ etabliert wird.4 In Luthers Schriften wird das Wort ›verklären‹ in beiden zeittypischen Bedeutungen verwendet, also einerseits im Sinne von ›verherrlichen‹ und ›erhöhen‹, andererseits im Sinne von ›erklären‹ und ›verdeutlichen‹ (übrigens findet sich in Luthers Wortschatz auch die mit negativem Präfix gebildete ›Unverklärung‹ als Synonym für ›Finsternis‹).5 Um sich einer Antwort auf die Frage zu nähern, warum Luther zur Kennzeichnung der ›Metamorphose‹ Jesu auf dem Berge den neuartigen Terminus ›Verklärung‹ bevorzugt, während die Vulgata mit dem Terminus ›transfiguratio‹ konservativer, der ›Umgestaltung‹ verpflichtet bleibt, lässt sich zunächst allgemein auf die religiöse Semantisierung verweisen, die der Begriff ›claritas‹ beziehungsweise ›Klarheit‹ bei Luther und in der mittelalterlichen Theologie und Philosophie erfährt. Luther nutzt das gesamte Bedeutungsspektrum der ›Klarheit‹, von der Übersetzungsalternative für ›Herrlichkeit‹ (in der Übersetzung von ›doxa‹ beziehungsweise ›claritas‹, ›gloria‹ und ›maiestas‹) bis zum theologischhermeneutischen Grundprinzip der ›Klarheit der Heiligen Schrift‹ (›claritas scripturae‹).6 Vor diesem Hintergrund ist es bereits naheliegend, dass Luther auch zur Bezeichnung der herrlichen Verwandlung 2 Ottheinrich-Bibel, Cgm 8010(1, fol.28r (Mt"17,2); Cgm 8010(2, fol.57r (Mk"9,2); Cgm 8010(3, fol.86r (Lk"9,29). Vgl. Jeffrey#F. Hamburger: Die OttheinrichBibel, der performative Aspekt des Text-Bild-Verhältnisses wird dort gerade am Beispiel der Verklärung Christi erläutert, S."58; Thomas Rainer, Ottheinrich-Bibel: Verklärung Christi, Mt"17,1-9, Reproduktion der Gesamtseite mit Text und Bild, S."171 (vgl. hier das Frontispiz). 3 Vgl. Friedhelm Mennekes (Hg.): Die Zittauer Bibel, S."120$f. 4 Bei der Verwendung des Wortes ›clarificatio‹ zur Bezeichnung der Verklärung Christi, die mindestens durch eine Ausgabe von Albrecht Altdorfers Holzschnitt-Folge Sündenfall und Erlösung des Menschengeschlechts belegt ist (»Clarificatio Christi in Monte Thabor«, die Ausgabe erscheint 1604 unter dem irreführenden Titel: Alberti Dvreri Noriberg. German. Icones Sacrae), handelt es sich möglicherweise um eine von der deutschen Begrifflichkeit angeregte Rückübersetzung. 5 Vgl. Heinrich Schott: Biblische Handconcordanz, ›Verklären‹ S."874; Wilhelm Stählin: Verklärung, S."81-83. 6 Vgl. nochmals Bernhard Asmuth: Perspicuitas, Sp."835-844, insb. Sp."840$f. 73
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
Jesu auf dem Berge auf das Begriffsfeld der ›Klarheit‹ zurückgreift. Doch kommt im Falle der Verwandlung Jesu ein besonderer Beweggrund hinzu, wenn man sich die mit dem Verwandlungsbegriff verbundene Problematik der Vermittlung von Identität und Differenz in Erinnerung ruft und die dem Christentum eigene Intention zur Verringerung und Vereindeutigung von Verwandlungsgeschichten, die Andreas Dorschel als Reaktion auf die heidnische mythisch-poetische Vervielfältigung und Vieldeutigkeit der Metamorphosen erläutert hat. Die Verklärung Jesu ist, das signalisiert schon Luthers Wortwahl, eine eigenartige und einzigartige Verwandlung und keine weitere Metamorphose. Allerdings wird die Verwandlung Jesu durch Luthers Wortwahl auf eine Weise spezifiziert, die sie nicht nur vom unbestimmten Verwandlungsbegriff abhebt, sondern die zugleich die ›Klarheit‹ im Sinne der Herrlichkeit, genauer: die antizipierte Glorie hervorhebt – und damit einen gerade für Luthers eigene Theologie problematischen Aspekt. Zu einem Problem wird die Verklärungsgeschichte, wenn der Vorschein der Herrlichkeit die Vorausdeutung auf das Kreuz einfach überstrahlt, der Zusammenhang von Transfiguration und Passion verdrängt wird, wozu gerade die Überwältigungsästhetik des sinnlich-übersinnlichen Ereignisses verleiten mag, so dass der Aspekt der Herrlichkeit aus dem heilsgeschichtlichen Zusammenhang isoliert und absolut gesetzt wird – wie es gemeinhin Petrus unterstellt wird: »Herr, hier ist gut sein!« Die derart vereinfachte und verfälschte Verklärung entspricht einer auf Gottes unverborgene Herrlichkeit gerichteten Theologie, in der das Kreuz dezentriert und relativiert ist. Als Gegenstück zu einer solchen Theologie der Ehren hat Luther in seiner Heidelberger Disputation von 1518 die Theologie des Kreuzes entwickelt,7 der zufolge sich Gottes Herrlichkeit dem Menschen allein indirekt, durch ihren Gegensatz, in der Erniedrigung und Schmach des Kreuzes zeigt. Luthers Heidelberger Disputation umfasst 40 Thesen, 28 theologische und 12 philosophische, von denen hier erstere relevant sind. In ihnen stellt Luther zunächst den dialektischen, das heißt auf spezifische Weise indirekten Zusammenhang von Gesetz und Gerechtigkeit dar. Während die Werke des (nicht gerechten wie gerechten) Menschen (auch entgegen dem Anschein) stets Todsünde sind, sind Gottes Werke 7 Martin Luther: Die Heidelberger Disputation. 1518 (Übersetzung: Georg Helbig), S."105-121 (in Klammern jeweils das lateinische Original nach der Weimarer Ausgabe, Martin Luther: Disputatio Heidelbergae habita. 1518, S."350-374). 74
Abb. 10: Großes Zittauer Fastentuch: Verklärung Christi (1472)
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
(auch entgegen dem Anschein) stets verdienstvoll, und zwar dadurch, dass sie im Menschen das Sündenbewusstsein hervorrufen und verstärken und ihn durch die Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit zu einer demütigen und gottesfürchtigen Haltung führen, der gegenüber Gott sich barmherzig erweisen kann. Das uneigentliche, durch das sündhafte Menschenwerk vermittelte und von ihm affizierte Werk Gottes, die Hervorbringung und Stärkung von Gottesfurcht, ermöglicht so Gottes eigentliches Werk der Gnade: »So bringt Gottes fremdes Werk schließlich sein eigentliches Werk zustande, indem es den Menschen zum Sünder macht, damit es ihn gerecht mache.«8 Nur über die Selbstanklage des Menschen können dessen Werke also auf die Rechtfertigung bezogen werden: »so viel wir uns Schuld geben, so viel rechtfertigt uns Gott«.9 Danach entwickelt Luther eine dieser Dialektik entsprechende Theologie: die theologia crucis (vor allem in den Thesen 19 bis 24). Der wahre Theologe erkennt Gott demnach nicht direkt, anhand sichtbarer Werke, da Gott in der Welt nur indirekt, vermittelt durch Gegensätze und in Gegensätzen erkennbar ist: »So ist es nun für niemand genug und nützet keinem etwas, Gott in seiner Herrlichkeit und Majestät zu erkennen, wenn er ihn nicht zugleich in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt.«10 Das Gegensatzverhältnis zwischen wahrem und falschem Theologen und das Umwertungsverhältnis zwischen theologia crucis und theologia gloriae wird in der 21. These besonders deutlich: 21. Der Theologe der Ehren nennt das Böse gut und das Gute böse. Der Theologe des Kreuzes nennt die Dinge beim rechten Namen. Das ist klar; denn da er Christus nicht kennt, kennt er auch den im Leiden verborgenen Gott nicht. Darum zieht er die Werke den Leiden, die Herrlichkeit dem Kreuz, die Kraft der Ohnmacht, die Weisheit der Torheit, kurz: das Gute dem Bösen vor. Das sind die, die der Apostel »Feinde des Kreuzes Christi« nennt (Phil. 3,18). Sie hassen ja gewißlich Kreuz und Leiden; aber dafür lieben sie die Werke mit ihrem Gleißen, und so kommt es, daß sie das Gute des 8 Ebd., S."115 (»Sic opus alienum Dei inducit tandem opus eius proprium, dum facit peccatorem, ut iustum faciat.«, S."361). 9 Ebd., S."112 (»quia quantum nos accusamus, tantum Deus excusat«, S."359). 10 Ebd., S."116 (»Ita ut nulli iam satis sit ac prosit, qui cognoscit Deum in gloria et maiestate, nisi cognoscat eundem in humilitate et ignominia crucis.«, S."362). Vgl. ebd.: »Also in Christus, dem Gekreuzigten, ist die wahre Theologie und Gotteserkenntnis.« (»Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei.«) 76
II . 1 . LUTHER ALS DOLMETSCHER UND THEOLOGE DES KREUZES
Kreuzes böse und das Böse des Werkes gut nennen. Aber Gott kann nur in Kreuz und Leiden gefunden werden […]. Daher nennen die Freunde des Kreuzes das Kreuz gut und die Werke böse; denn durch das Kreuz werden die Werke abgebaut und Adam wird gekreuzigt, der durch die Werke vielmehr erbaut wird. Durch die eigenen Werke muß ja eine »Inflation« entstehen, es sei denn, man wäre zuvor durch Leiden und Übel vollständig ausgezogen und zu einem Nichts gemacht worden, und zwar so lange, bis man weiß, daß man selbst nichts ist und die Werke nicht des Menschen, sondern Gottes Werke sind.11 Wenn Gott nicht in der Erniedrigung erkannt wird, braucht nach seiner Herrlichkeit gar nicht erst gesucht zu werden, wenn sich der Mensch im Stolz auf seine Werke aufbläht, statt in der Aufgabe aller Selbst- und Weltentwürfe zur Realisierung der eigenen Nichtigkeit vor Gott zu gelangen, ist die Pädagogik des Gesetzes pervertiert – dagegen ist die Theologie des Kreuzes der Ansatzpunkt für menschliches Denken und Handeln, »aber ohne die Theologie des Kreuzes mißbraucht der Mensch das Beste zum Schlimmsten«.12 Die Glorie Gottes lässt sich nur vom Kreuz aus und mit diesem zugleich in den Blick nehmen, die neue Existenz des Gläubigen ist nur im Nachvollzug von Erniedrigung und Erhöhung des Gottmenschen möglich: »Soll aber einer von neuem geboren werden, dann muß er zuvor sterben und mit des Menschen Sohn erhöht werden. Sterben sage ich, d.$h.: den Tod als gegenwärtig fühlen.«13 Überhaupt hat sich die theologia crucis zuerst und vor allem im Vollzug, als Impuls zu praktischer Nachahmung, und nachgeordnet als Theorie zu bewähren.
11 Ebd., S."117 (»XXI.#Theologus gloriae dicit Malum bonum et bonum malum, Theologus crucis dicit id quod res est. // Patet, quia dum ignorat Christum, ignorat Deum absconditum in passionibus. Ideo praefert opera passionibus et gloriam cruci, potentiam infirmitati, sapientiam stulticiae, et universaliter bonum malo. Tales sunt quos Apostulus vocat Inimicos crucis Christi. Utique quia odiunt crucem et passiones, Amant vero opera et gloriam illorum, Ac sic bonum crucis dicunt malum et malum operis dicunt bonum. At Deum non inveniri nisi in passionibus et cruce […]. Ideo amici crucis dicunt crucem esse bonam et opera mala, quia per crucem destruuntur opera et crucifigitur Adam, qui per opera potius aedificatur. Impossibile est enim, ut non infletur operibus suis bonis, qui non prius exinanitus et destructus est passionibus et malis, donec sciat seipsum esse nihil et opera non sua sed Dei esse.«, S."362). 12 Ebd., S."118 (»sed homo sine Theologia crucis optimis pessime abutitur«, S."363). 13 Ebd., S."119 (»Si renasci, ergo prius mori et exaltari cum filio hominis: Mori, inquam, id est, mortem praesentem sentire.«, S."363). 77
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
Luthers Theologie des Kreuzes ist im Hinblick auf den Bedeutungswandel der Verklärung wichtig, weil sie auf beispielhafte Weise gute Gründe für eine Distanz gegenüber der vorweggenommenen Verherrlichung bietet (ohne dass die Bibelepisode der Verklärung Christi in Luthers Disputation erwähnt würde). Die prinzipielle Problematisierung der Bezugnahme auf die Herrlichkeit ist für die vorliegende Studie von grundlegender Bedeutung und wichtiger als Luthers gelegentliche Bezugnahmen auf die Verklärungsgeschichte, die er zum Beispiel (in Anmerkungen zum Matthäusevangelium von 1538) mit der Gewissheit des ewigen Lebens oder der paulinischen Typologie von Gesetz und Evangelium verbindet.14 Die mit Luther theologisch begründete Reserve gegenüber der Verklärung kann in verschiedenen Weisen weiterentwickelt werden, je nachdem, ob die Hinwendung zur Verklärung und Herrlichkeit mit der Möglichkeit zur Verdrängung der Leidensgeschichte und Lähmung des Nachfolgeimpulses verbunden ist oder ob diese als notwendige Folge jeder Hinwendung zur Glorie begriffen werden. Die in Luthers Disputation entwickelte theologia crucis, die für sein Werk grundlegend bleibt,15 war und ist dabei Missverständnissen ausgesetzt: Sie ist nicht mit einer selbstzweckhaften Fixierung auf die Passion zu verwechseln, die den dialektischen Zusammenhang von Kreuz und Herrlichkeit als bloße Antithese zur theologia gloriae auflöst, wie etwa Jürgen Ebach anmerkt.16 Ein besonders folgenreiches Missverständnis besteht darin, dass Luthers Kritik der theologia gloriae mit einer Kritik der Herrlichkeit verwechselt wird, während die theologia crucis das Fundament für die richtige Bezugnahme auf die Herrlichkeit bereitstellt und diese auch fordert (wie sie bei Luther vor allem im praktisch-seelsorgerlichen Bereich 14 Vgl. Erwin Mühlhaupt (Hg.): D.#Martin Luthers Evangelien-Auslegung, Zweiter Teil: Das Matthäus-Evangelium (Kap."3-25), S."573-579; Dritter Teil: Markus- und Lukasevangelium (Mark."1-13; Luk."3-21), S."132$f. 15 Vgl. Walther von Loewenich: Luthers Theologia crucis, zur Heidelberger Disputation S."11-20, zusammenfassend S."18: »1. Theologia crucis steht als Offenbarungstheologie in scharfem Gegensatz zur Spekulation. 2. Offenbarung Gottes ist indirekte, verhüllte Offenbarung. 3. Offenbarung Gottes wird darum nicht in den ›Werken‹, sondern in den ›Leiden‹ erkannt, wobei der Doppelsinn dieser Ausdrücke zu beachten ist. 4. Diese Erkenntnis des in seiner Offenbarung verhüllten Gottes ist Sache des Glaubens. 5. Die Art der Gotteserkenntnis spiegelt sich wider in dem praktischen Leidensgedanken der theologia crucis.« Vgl. aktuell z.$B. Heinrich Bedford-Strohm: Den Sinn des Kreuzes öffentlich machen. 16 Jürgen Ebach: »Hoch und heilig wohne ich – und bei dem Zermalmten und Geisterniederten«, S."204. 78
II . 1 . LUTHER ALS DOLMETSCHER UND THEOLOGE DES KREUZES
denn auch erfolgt sei), so Athina Lexutt.17 Das Vorurteil, dass der Protestantismus grundsätzliche Glorienabstinenz fordere, dürfte in Verbindung mit der begründeten Reserve gegenüber direkten Bezugnahmen auf die Herrlichkeit dazu beigetragen haben, dass die Verklärung auf dem Berge protestantisch geprägten Kulturen besonders fremd erscheinen musste. In der Beseitigung dieses Missverständnisses und Vermittlung des lutherisch eröffneten Zugangs zur Herrlichkeit erkennt Lexutt eine aktuelle Aufgabe des Protestantismus, deren Bewältigung sich übrigens auch auf den evangelischen Gottesdienst auswirken könnte: »Begriff und Sache sind mithin für die protestantische Theologie keineswegs ad acta zu legen und es wäre – im Blick auf vielerlei, u.$a. auch auf neue Akzente in einer verantwortlichen, gottesdienstlichen Spiritualität – viel gewonnen, wenn sich der Protestantismus dieses Erbes erinnerte. Doch ist zu beachten, in welchem Rahmen solche Rede von der Herrlichkeit geschehen kann. Und den gibt Luther klar vor mit der theologia crucis.«18 Zusätzlich zu dem offensichtlichen Einfluss seiner Bibelübersetzung und dem verborgenen, doch vielleicht umso nachhaltigeren Einfluss seiner theologia crucis könnte Luther den Bedeutungswandel der Verklärung auch noch in einer weiteren Hinsicht beeinflusst haben: Sein reformatorisches Auftreten könnte sich nämlich auf die Konzeption von Raffaels leitbildhafter Transfiguration ausgewirkt haben. Damian Dombrowski hat eine solche Interpretation skizziert, der zufolge die untere Bildhälfte mit der Heilung eines besessenen Knaben das ursprüngliche Bildkonzept bildet (entworfen bekanntlich im Wettstreit mit Sebastiano del Piombos Auferweckung des Lazarus), welches von Raffael dann unter dem Eindruck des Wittenberger Thesenanschlags durch die Verklärungsszene ergänzt und umgedeutet wurde, so dass Petrus als Mittler zwischen beiden Bildhälften ins Zentrum rückt.19 Jean-Blaise Fellay hat anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 Raffael und Luther als Repräsentanten eines unversöhnlichen Gegensatzes dargestellt: Während Raffael in einen ebenso traditionellen wie zu17 Athina Lexutt: Herrlichkeit und Kreuz, S."215. 18 Ebd., S."221. 19 Damian Dombrowski: Göttliches und Menschliches in Raffaels Transfiguration (2008), S."31$f. Eine vergleichbare Verwendung des Verklärungsmotivs zur Stärkung der Position Petri und des Papstamtes findet sich bei Bernini, der für die Glorie über dem Hauptaltar der Peterskirche ursprünglich den verklärten Christus (nicht die Taube des Heiligen Geistes) vorgesehen hatte, so die auf der Grundlage eines erhaltenen Modells entwickelte These von Kurt Rossacher (Die Metamorphose, 1979), vgl. auch Abb.$$7 in Kap.$$I.2. 79
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
kunftsweisenden christlichen Humanismus eingebunden sei, vertrete Luther einen radikalen Reduktionismus; Raffaels Transfiguration wird dabei von Fellay ausdrücklich als Beitrag zur Rechtfertigungsdebatte interpretiert;20 letztlich werde mit diesem Kunstwerk bekräftigt, dass der heilende Glaube zum einen auf der Vision des verherrlichten Christus beruht, zum anderen der Mitwirkung des Menschen bedarf, hier der Liebe des Vaters des besessenen Knaben, da die Liebe den Glauben selbst verwandelt.21 Durch die Ausrichtung auf die Herrlichkeit und die Mitwirkung des Menschen erscheint Raffael in Fellays Gegenüberstellung als Vertreter der Gegenreformation (oder einer alternativen Binnenreform der katholischen Kirche), die Luthers Theologie des Kreuzes entschieden entgegensteht. Wenn diese Interpretationsansätze berechtigt sind, die in Raffaels letztem Gemälde eine Reaktion auf die Wittenberger Reformation und einen Beitrag zum Streit über die Rechtfertigung erkennen, dann hätte Luther den Bedeutungswandel der Verklärung nicht nur terminologisch und theologisch, sondern auch ikonographisch entscheidend beeinflusst. Dass Gegenüberstellungen wie die von Raffael und Luther mit Vorsicht zu behandeln sind, zeigt sich am Vorurteil, dass der Katholizismus dem Thema der Herrlichkeit grundsätzlich geneigt sei, während es der Protestantismus aus Prinzip vernachlässigen müsse – denn zumindest Letzteres ist aus literaturgeschichtlicher Sicht leicht zu widerlegen.
II.2. Mit Catharina Regina von Greiffenberg auf dem Tabor
Das Thema der Herrlichkeit wird im protestantischen Schrifttum durchaus und nicht zuletzt mit Bezug auf die Verklärung auf dem Berge behandelt, zuweilen sogar sehr ausführlich, so veröffentlicht zum Beispiel Peder Palladius, Mitinitiator der Reformation Dänemarks, unter dem Titel Den Offuermaade Herlige Historie"/ om vor Herris Jesu Christi ærefulde forklarelse paa Thabor bierg [Die über die Maßen herrliche Geschichte"/ von der ehrenvollen Verklärung unseres Herrn Jesus Christus auf dem Berg Tabor] (1554) eine Sammlung von 16 Predigten, der lutherische Theologe Georg Weinrich unter dem Titel Die schöne"/ Trostreiche Historia Von der herrlichen unnd 20 Jean-Blaise Fellay: Der Maler Raffael und der Reformator Luther, S."26-28. 21 Ebd., S."29. 80
II . 2 . MIT CATHARINA REGINA VON GREIFFENBERG AUF DEM TABOR
Majestetischen Vorklehrung unsers lieben Heylandes und Erlösers JEsu Christi"/ so auff dem Berge Thabor geschehen (1600, 3."Aufl. 1604) immerhin zehn Predigten und sein Kollege Johann Martin Chladenius unter dem Titel Der verklärte JESUS (1709) zwölf ›ausführliche Betrachtungen‹ mit je einer ›geistlichen Ode‹. Aus dem Nachlass des pietistischen Theologen Georg Cunrad Rieger wird 1745 unter dem Titel Die Geschichte von der Verklärung JEsu Christi auf dem Berge Tabor eine Sammlung von 17 Predigten zur matthäischen Verklärungsperikope herausgegeben. Und einen besonders pointierten Titel wählt Christian Brämer, Pastor an der deutschen Sankt-Petri-Kirche in Kopenhagen, für sein einschlägiges Emblembuch: Himmels-Gedancken verfasset auf dem Berg Thabor und bei der Erklärung der Verklärung Christi entdecket (1690). Solche Schriften, die sich aus protestantischer Perspektive eingehend mit der Verklärungsgeschichte und deren Umständen beschäftigen, konnten das stereotype Bild der Konfession offensichtlich nicht korrigieren, eher schon dürfte das Stereotyp zur Marginalisierung der Schriften beigetragen haben. Als in inhaltlicher wie formal-stilistischer Hinsicht besonders eindrucksvolles Beispiel aus diesem Korpus sei hier ein ungefähr 150 Seiten umfassender Text von Catharina Regina von Greiffenberg ausgewählt: »Des Höchstheiligen JEsus-Lebens Neunte Betrachtung. Von seiner herrlichen Verklärung am Berge Tabor«, erschienen 1693 innerhalb ihrer 12 ›Betrachtungen‹ Des Allerheiligisten Lebens JESU Christi […] Von Dessen Heiligem Wandel"/ Wundern und Weissagungen"/ von- und biß zu seinem Allerheiligsten Leiden und Sterben […] Zu Vermehrung der Ehre GOttes"/ und Erweckung wahrer Andacht"/ verfasset"/ und verfärtigt. Diese Betrachtungen gehören zu dem gewaltigen Werkkomplex von vier derartigen Sammlungen, welche sich neben dem Leben Jesu auch der Menschwerdung, der Passion sowie der Auferstehung und Himmelfahrt widmen. Diese Andachtsbücher, die im Laufe eines Vierteljahrhunderts entstanden und von denen drei erhalten sind, bestehen aus »emblematischen Prosameditationen mit eingelegten Gedichten« und bilden, wie Friedhelm Kemp im Anschluss an Ruth Liwerski formuliert, »die reifste Leistung der Greiffenberg und damit zugleich ihr Hauptwerk«.22 Nun zeichnet sich Catharina Regina von Greiffenberg innerhalb des der religiösen, künstlerischen und politischen Inszenierung und Glorifizierung ohnehin geneigten 22 Friedhelm Kemp: Nachwort, S."509; zum Werkkomplex der Betrachtungen S."509-521. 81
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
Barockzeitalters durch eine wohl singuläre Konzentration auf die Herrlichkeit Gottes und die korrespondierende Aufgabe der Verherrlichung, des Lobens, Ehrens und Preisens aus, die in der Wortschöpfung ›Deoglori‹ zusammentreten.23 Ihre, wie es in der Sammlung der Geistlichen Sonnette"/ Lieder und Gedichte (1662) heißt, »einig- und äussert-geliebte Seelen-Göttin$/ die Himmlische Deoglori«24 hat Greiffenberg auch mit ihrem Erweckungserlebnis 1651 in einer Kirche in Pressburg assoziiert, wo ihr erstmals das ›Deoglori licht‹ aufgegangen sei.25 Angesichts dieser Affinität zur Herrlichkeit und Verherrlichung darf man auf Greiffenbergs Betrachtung jener Bibelepisode gespannt sein, die in besonderer Weise die Verherrlichung und Herrlichkeit thematisiert: die der Verklärung auf dem Berge. Greiffenbergs Originalität zeigt bereits das zur Betrachtung gehörende Sinnbild (Abb."11), das auf den ersten Blick nur durch das Motiv der (mit drei Markierungen versehenen) strahlenden Sonne auf die biblische Verklärungsgeschichte bezogen scheint und das aus heutiger Sicht eher an die Symbolik der Aufklärung erinnern mag. Inwiefern die Verklärung Jesu zu Recht als eine Art Aufklärung versinnbildlicht wird, führt Greiffenberg in der lyrischen ›Erklärung‹ des Sinnbilds aus: DIe wahre Menschheit-Seul mit Reinigkeit umgeben$/
Die über Demant klar$/ in der die Gottheit spielt Mit tausend Strahlen-Glantz$/ in welcher sie zu schweben Von Anbeginn beginnt$/ doch vor der Welt verhüllt Mit dem Verhehlungs-Zelt. Als aber Ihm beliebet Zu weisen einen Blick von Seiner Herrlichkeit$/ Den Glori-Vorhang Er ein wenig nur wegschiebet$/ Der Wolcken Span’sche Wand gerucket wird beyseit$/ 23 Max Wehrli: Catharina Regina von Greiffenberg: »Über das unaussprechliche Heilige Geistes-Eingeben«, S."581: »Die Gloria (doxa, kabod) ist für die Dichterin die eigentliche Erscheinungsform Gottes geworden, der sie gerne den eigentümlichen Namen Deoglori gegeben hat. Das ursprüngliche Dei gloria als Subjekt scheint hier zusammenzufallen mit dem Objekt menschlichen Lobpreisens: Deo gloria, und es ist ja auch als Ursprung und zurückkehrender Widerschein die eine und selbe Herrlichkeit, der Kreis, in welchem der fromme Mensch steht, in welchem Gott sich ewig selber lobt.« Vgl. Verena Fässler: Hell-Dunkel in der barocken Dichtung, S."72-84, wo auch der Bezug zur Verklärung Christi hervorgehoben wird. 24 Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette$/ Lieder und Gedichte, S."252-254. 25 Horst-Joachim Frank: Catharina Regina von Greiffenberg, S."19-21. 82
Abb. 11: Catharina Regina von Greiffenberg: Sinn-Bild zur Betrachtung der Verklärung Jesu (1693)
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
Verhüll’- und Hehlungs-Zelt im Augenblick muß fallen$/ Wie bey † Rudolffo dort$/ der Gottheit Blick und Blitz$/ Maystättisch stehen da$/ in welcher Sonne wallen$/ Vor Klarheit man verblendt$/ der Gottheit Sonn-Antlitz Drey-Einigheit formirt$/ in der Er$/ Sie in Ihme$/ Der Geist durchblitzet Ihn mit Milliontem Schein$/ Der Vatter von Ihm rufft$/ mit Wunder-Donner-Stimme$/ Diß ist mein lieber Sohn$/ an dem mein Lust allein. Die Kleider wie der Schnee$/ das Antlitz wie die Sonne$/ Die donnrend GOttes-Stimm Ihm GOttes Sohn erklärt$/ Dis ein Beweiß-Blick ist verborgner Gottheits-Wonne$$/ Ein Füncklein von der Sonn$$/ die Er aus Lieb entbährt. † Bey Rudolffo#I. aus dem Hoch-löblichen Haus von Oesterreich$$/ als Ottocar$$/ König in Böhmen$$/ vor ihm kniende$$/ die Lehen empfienge$$/ wurde das Gezelt eilend niederfallen gemachet.26
Das im Gottmenschen verkörperte ideale Verhältnis von Menschheit und Gottheit, in dem die Menschheit die Gottheit reflektiert, im Glanz der Gottheit schwebt, ist vor der Welt verborgen – nur im Augenblick der sonnenhaften Verklärung gewährt der Menschensohn einen »Beweiß-blikk Verborgener Herrlichkeit« (so die Inscriptio des Sinnbilds), der insbesondere die immanente Trinität (»ein Beweiß-Blick […] verborgner Gottheits-Wonne«) offenbart. Indem sie bei der Offenbarung der Dreieinigkeit ansetzt und die väterliche Legitimation aus der Wolke vor die Verwandlung von Gewand und Antlitz des Sohnes setzt, kehrt Greiffenbergs Erklärung, nebenbei bemerkt, den Verlauf der biblischen Geschichte um. Zur Darstellung der Dialektik von Offenbarung und Verbergung werden bei Greiffenberg biblische Topoi auf originelle Art anverwandelt, so wird zum Beispiel das Zelt weniger mit der Offenbarung denn mit der Verbergung der Göttlichkeit verbunden, vor allem aber durch die Analogie der spanischen Wand mit menschlicher Möblierung assoziiert; und die durch das niederfallende Zelt gebildete Analogie zwischen erhabener Offenbarung und (erklärungsbedürftiger) politischer Aktion deutet bei aller Unverhältnismäßigkeit ein Verwandtschaftsverhältnis von religiöser und politischer Herrschaft an.
26 Catharina Regina von Greiffenberg: Des Höchstheiligen JEsus-Lebens Neunte Betrachtung, »Erklärung des Neundten Sinn-Bilds«, S."(o). 84
II . 2 . MIT CATHARINA REGINA VON GREIFFENBERG AUF DEM TABOR
Vor ihrer Betrachtung der Verklärung Jesu – »ein ewiger DenckZweck und unaufhörliches Preiß-Spiel unserer Sinnen und Gedancken« –27 verweist Greiffenberg auf das dieser vorangehende Gespräch Jesu mit den Jüngern über den Zusammenhang von Kreuz und Herrlichkeit, der so bei der anschließenden Aneignung der Verklärungsgeschichte immer im Sinn zu behalten ist. Die Aneignung selbst vollzieht den Verlauf der biblischen Geschichte nach, wobei Einzelheiten der biblischen Berichte herausgehoben und mitunter spekulativ und in langen Digressionen erläutert werden, so wird etwa anlässlich des im lukanischen Bericht erwähnten Gebets eine Vielzahl biblischer Parallelstellen zum Motiv des einsamen Gebets angeführt und das bei Lukas nicht genauer bestimmte Gebet Jesu mit Joh"17,5 identifiziert: »Vatter! verkläre mich mit der Klarheit$/ die ich bey dir hatte von Anbeginn der Welt.«28 In Greiffenbergs Betrachtung der Verwandlung Jesu ist das Unbehagen gegenüber dem vieldeutigen Verwandlungsbegriff zu spüren, dem mit der Differenzierung begegnet wird, dass sich die Klarheit des Gottmenschen in der statt durch die Metamorphose (des Antlitzes, des Leibes, der Kleider) zeige. Noch bedeutsamer und bezeichnender ist das von Greiffenberg hervorgehobene Verhältnis zwischen Zeigen und Nicht-Zeigen der Klarheit, da nur Letzteres die Passion, den Fortgang der Heilsgeschichte und somit die Erlösung des Menschen ermöglicht. Greiffenberg führt Offenbarung und Verbergung, Erhöhung und Erniedrigung, Herrlichkeit und Kreuz unter Aufbietung aller rhetorisch-poetischen Mittel so zusammen, dass deren paradoxe Einheit vergegenwärtigt wird, die Verbergung, Erniedrigung und Schmach des Kreuzes selbst zur Offenbarung wird, erhebend und herrlich. Da erscheinet$/ was vor ein Wolthat Er uns durch die nit ErscheinenLassung seiner Klarheit gethan: Dann wann er seine KlarheitsHerrlichkeit hätte erscheinen lassen$/ so hätt ihn kein Mensch fragen und binden dürffen$/ folgends hätt er nicht leiden$/ noch uns erlösen können: daher wir alle diese Gnaden seiner Entäusserung zu dancken haben. Wer wolte oder würde sich unterfangen haben$/ diesen H.#GlantzUmfangenen zufangen? wer unterwunden$/ diese ausstrahlenden Glantz-Sonne zu binden? wer würde in dieses über-Engel-liebliche Antlitz geschlagen haben? wer diesen mehr als Silber- und Schnee27 Ebd., S."348. 28 Ebd., S."364. 85
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
weiß gleissenden Rucken zu geisseln$/ und mit Blut zu färben? wer würde so keck gewesen seyn$/ diesem mit Million göttlichen Strahlen umgebenen Haupt eine Dornen-Crone einzudrucken? Wer hätte sich unterstanden$/ diese Himmel-blitzende Händ und Füsse zu durchgraben? wann sie solche Strahlen von sich hätten leuchten lassen? wer wäre so vermessen gewesen den jenigen an das Creutz zu hängen$/ der tausendmal herrlich- und schröcklicher gläntzete$/ als der Engel$/ der bey dem Grab Christi die Soldaten und Hüter verjagte. Welcher Mensch auf der Welt hätte das Hertz gehabt$/ Christo (auch da Er todt war$/) die Hertz-Wunde zu machen$/ wann sein Leib mit solch jrrdischer Klarheit wäre umgeben gewesen? wer auch von seinen Lieben- und an ihn Glaubenden$/ würde unternommen haben$/ ihn vom Creutz zu nehmen$/ um diesen über-himmlisch-strahlenden Leib unter die Erde zu begraben. Also wäre das gantze Leiden Christi zurück geblieben$/ und folgends auch das hohe Erlösungs-Werck$/ und alle unsere Seeligkeit$/ wann der HErr JEsus hätte seine Strahlen und himmlische Herrlichkeit scheinen lassen? dahero wir ja höchstnothwendig ihme vor diese hohe Wolthat deren Entäusserung und Einhaltung$/ zu dancken verpflichtet seynd.29 Neben dieser Vergegenwärtigung der paradoxen Einheit von Kreuz und Herrlichkeit, des auch als ›coincidentia oppositorum‹ beschreibbaren göttlichen Wirkens,30 gehören narrative Perspektivenwechsel zu den Merkmalen von Greiffenbergs Betrachtung. Anlässlich des Gesprächs von Mose und Elia mit dem verklärten Jesus übernimmt Greiffenberg die prophetische Perspektive, um das Gespräch über den Jesus vorbestimmten ›Ausgang‹ zu einem Ausblick auf die endgültige Verklärung des Gläubigen und die ewige Herrlichkeit auszugestal29 Ebd., S."367-369; vgl. anlässlich des Schweigegebots S."486-488. Die Originalität dieser Deutung der Verhüllung Christi betont Verena Fässler: Hell-Dunkel in der barocken Dichtung, S."78 Anm."146. Insofern die rhetorisch-poetischen Mittel der Explikation dessen dienen, was im Bekenntnis »Nichts als JESUS« (S."439) impliziert ist, lässt sich Greiffenbergs Manierismus gegenüber einer pietistischen Verurteilung der Kunst rechtfertigen, vgl. Joachim Jacob: Unterwegs zur Kunstreligion?, S."173-176. 30 Catharina Regina von Greiffenberg: Des Höchstheiligen JEsus-Lebens Neunte Betrachtung, S."458: »Die Wolke erleuchtet und umschattet zugleich: GOttes Weege seyn klaar$/ und dunckel; ansehlich und unbeschaulich$/ jenes von Pracht$/ dieses von Majestät; sie machen dunckel vor lauter Glantz-Uberfluß$/ und beschatten mit überschwäncklicher Klarheit (Herrlichkeit) […]«. 86
II . 2 . MIT CATHARINA REGINA VON GREIFFENBERG AUF DEM TABOR
ten.31 Hinsichtlich der finalen Verklärung des Gläubigen stellt sich wieder das Problem des Verwandlungsbegriffs, der in diesem Fall als Angleichung an Gott (im Unterschied zur Gleichsetzung) spezifiziert wird. Man wird Ihn sehen wie er ist$/ und solch sehen$/ kan uns gleichsam machen$/ wie er ist$/ nicht nach der Wesenheit$/ sondern nach der Herrlich- und Seeligkeit; dann man kan GOtt nicht sehen wie er ist$/ daß man nicht auch zugleich herrlich$/ und glücklich werde; dann er ist ein so überschwänglich und ausstrahlendes Gut$/ daß man zugleich geniessen und werden muß$/ was er (auf gewisse Weise) ist$/ wann man ihn ansihet. Also wird diese Ansehung eine solche Vereinigung mit bringen$/ die gleichsam in die göttliche Natur versetzen$/ und verschmeltzen wird$/ gleichwie der Stahl im Feuer glütig$/ heiß$/ und weich wird$/ also mehr des Feuers als seine Natur hat. Da wird ein Wunder-hohes Ein$/ eine Versenckung ohne Verliehrung in GOtt$/ eine Vergöttlichung der wesentlichen MenschenPerson$/ eine Mittheilung Gottes Herrlichkeit$/ eine Geniessung des All-Guts auf die allersüsseste Weise der Empfindlichkeit seyn. Das Eisen wird$/ im Feuer$/ ein Feuer$/ und bleibt doch ein Eisen$/ gleichsam ein Eisen-Feuer$/ oder Feuer-Eisen: Also bleibt der Mensch Mensch$/ aber mit vergöttlichter Herrlichkeit$/ gleichsam$/ auf gewiße Weise$/ ein GOtt-Mensch$/ oder fast Mensch-GOtt$/ so viel die Begnädigung$/ und Glückseeligkeit betrifft$/ nicht aber nach dem Wesen$/ und Selbstand.32 Ausführlich wird die himmlische Gesellschaft mit ihrer Hierarchie von Engeln, Erzvätern, Aposteln, Erstlingen der Kirche und Auserwählten betrachtet, das Loben und Preisen, der sinnliche und geistige Genuss der ewigen Seligkeit, deren zeitlicher Vorgeschmack die Verklärung Jesu ist.33 In der fortgesetzten Betrachtung der Verklärungs31 Vgl. zum Inhalt des Gesprächs zwischen Jesus, Mose und Elia ebd., S."454, 458, 485. 32 Ebd., S."384$f. Greiffenberg spezifiziert die Angleichung des Gläubigen an Gott mit der Metapher des Um- und Verschmelzens, der man hier in den einführenden Bemerkungen mehrfach begegnet ist, wenn das Konzept der Verwandlung bei Angelus Silesius, Zedler und Baader mithilfe dieser Metapher jeweils genauer bestimmt wird. 33 Vgl. zum Verhältnis von Verklärung und Wiederkehr in Herrlichkeit folgende Passage, die auch die eschatologische Ausrichtung von Greiffenbergs eigenem literarischen Wirken berührt, ebd., S."433$f.: »Ach ja! komme du glückseeliges Kommen der Vollkommenheit; komme du Ewigkeit des ewig-erlangten 87
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
geschichte wird anlässlich der Stimme aus der Wolke in Greiffenbergs Betrachtung auch die Perspektive Gottes selber eingenommen, um die Identität der drei Personen der Trinität zu unterstreichen: »Er ist mir gleich-wesend$/ Consubstantiale, so wohl in der Arth und Qualität$/ als in der Quantität der ewigen Ewigkeit$/ nicht nur gleich uud mit wesend$/ sondern eines Wesens mit mir; (wie auch der heilige Geist) denn man muß uns einen GOtt in der Dreyfaltigkeit$/ und die Dreyfaltigkeit in einiger Gottheit$/ ehren und anbeten.«34 Und aus derselben göttlichen Perspektive wird das auf die Bekräftigung der Sohnschaft folgende Gebot: »Den sollt ihr hören!« auf die reformatorische Rechtfertigungslehre bezogen: Höret ihn in dem Articul von der Rechtfertigung$/ wann er sagt: Also hat GOtt die Welt geliebet$/ daß er seinen eingebohrnen Sohn gab$/ auf daß alle$/ die an ihn glauben$/ nicht verlohren werden$/ sondern das ewige Leben haben. Höret und mercket es$/ daß die ursprüngliche wahre Ursach eurer Gerechtigkeit vor GOtt$/ meine unergründliche$/ unverschuldete$/ überschwengliche Liebe seye: Daß ich$/ Krafft solcher$/ aus ewig-unverdienlicher Gnade diesen meinen eingebohrnen Sohn der Welt gegeben$/ auf daß alle$/ die an ihn glauben$/ nicht$/ nicht$/ nicht$/ verlohren werden$/ sondern das ewige Leben haben.35 langbaren! Komme du Zeit$/ in der die Zeit zu ihrer Zeitigung kommen$/ und die Frucht der Ewigkeit gebracht. Ja komm HErr JESU$/ komme$/ der du jetzund so begierig zum Werk der Erlösung zu deinen bittern Leiden und Sterben auf das erste mal auf Erden gekommen. Komme doch bald zum würcklichen Erlösen deiner Glaubigen$/ und zu deiner Glori zum andern mal. Ach! daß die Himmel zerrissen$/ wie der Vorhäng im Tempel bald zerreissen wird! daß die Wolcken zersprüngen wie ein Glaß! Ach! daß deine Zukunfft Flügel hätte$/ wie eine Taube$/ und sie der Wind oder Geist deiner Barmhertzigkeit treiben möchte$/ daß sie bald daher flöge! Ach! daß sie als ein Segel-Schiff auf den Meer deiner Güte daher käme$/ und deine Lieben zu sich nehmende$/ in den Port führete! Wie hoch verlanget$/ uns deine Gegenwart zu geniessen$/ und in dem Buch deiner Allsehung zu lesen? Ach! alle (geistliche) Bücher sind Sporn zu diesem All-Buch; sie sind Pfeile$/ die in dieses Schwartze schiessen.« 34 Ebd., S."463. 35 Ebd., S."472; vgl. S."475: »Ihr dörffet aber darum nicht meinen oder sagen$/ das die guten Wercke von dem Christenthum$/ oder von Christo ausgeschlossen werden$/ ach nein keines Wegs! Er ist so wol$/ wann er von diesen$/ als wann er vom Glauben prediget$/ zu hören: Er schliesset nicht sie$/ sondern nur ihre fälschlich-vermeinte Verdienstlichkeit aus; Nicht ihre Gegenwart$/ sondern nur ihre Verdienstes-Meinung; ihre Gegenheit ist geziemlich$/ aber nicht würcklich$/ wie der Purpur den König zwar zieret$/ aber nicht Creiret$/ er wird ein König$/ ehe er den Purpur anleget$/ oder in dem Purpur$/ aber nicht durch den 88
II . 2 . MIT CATHARINA REGINA VON GREIFFENBERG AUF DEM TABOR
Anhand dieser göttlichen Selbstauslegung des Gebots, auf den Gottessohn zu hören, lässt sich auch das Zusammenwirken von prosaischer und gebundener Rede in Greiffenbergs Betrachtung illustrieren: Höret$/ ach! höret ihn$/ und glaubet an ihn$/ denn der Glaube kommt aus dem Gehör$/ höret doch was er euch sagen wird: Wer an ihn glaubet$/ wird nicht verlohren werden […] Es fällt in den keine Verlierung$/ wer sich durch Glauben in die Allheit verschraubet: Alle Vernichtungen$/ müssen ihm zur Verphönixung dienen? 'Wer schon in der Allheit schwebt$/ 'Der fraget nichts darnach$/ 'Weil er über als erhebt$/ 'So lachet er der Schmach! Es muß ihm der Tod ein tausendfaches Leben zinsen$/ der Glaub an diesen meinen geliebten Sohn$/ bringet ihn in das ewige Leben$/ wo lauter Leben$/ Freud$/ und Ewigkeit ist$/ ein ewig-lebendige Freud$/ ein ewig-freudiges Leben$/ und eine lebendig- und freudige Ewigkeit; darum höret und glaubet an ihn$/ so werdet ihr leben und seelig seyn!36 In der Folge werden noch weitere Streitpunkte der Reformation wie die eucharistische Verwandlung angesprochen,37 nun wieder aus der Purpur; die guten Wercke seyn die Früchte des Glaubens und der Seeligkeit$/ dahero nicht vor dem Stamm oder dessen Ursach zuhalten; sie seyn$/ nothwendig$/ als eine Probe$/ nit als ein Erwerbung$/ zu welcher sie eben so untüchtig als sie zu jener nöthig seyn$/ denn; was überschwenglich- zu erwerben$/ darzu gehöret gleiche Uberschwänglichkeit.«; S."476: »allein das theur überschweuckliche$/ ertz-vollkommene$/ unaussprechliche Verdienst meines geliebten Sohns JEsu Christi$/ dieses ist die einige würckliche$/ verdienstliche$/ anfangend- und ausmachende Ursach eurer Seeligkeit; an diesen glaubet$/ so habt ihr das ewige Leben; doch höret ihn (wie gesagt) nicht weniger$/ in der Sitten- und TugendLehre$/ als in der jenigen$/ von Erlangung der ewigen Seeligkeit«. 36 Ebd., S."473$f. Vgl. zur Kombination von Prosa und Poesie z.$B. S."387, 396$f., 437$f., 499. 37 Ebd., S."478-480, insb. S."480: »Ach ihr Menschen! höret$/ und gehorchet ihm oh$/ höret wann er saget: Diß ist mein Blut! was kann klärer seyn$/ nicht ein Figur$/ Vorbild$/ Zeug und Zeichen desselben; sondern eben das Blut$/ das er vor euch vergiessen wird$/ zur Vergebung der Sünden. Nun wird er ja sein göttliches Blut am Creutz vor euch vergiessen$/ und durch sein eigenes Blut einmahl eingehen in das Allerheiligste$/ daß er eine ewige Erlösung euch erwerbe. Dahero ist selbiges real-wesend- und eigenbahrlich im H.#Abendmal$/ wie könnt ihr es verneinen? wie könnt ihr es verweigern zu trincken$/ oder nach seiner Verordnung auszutheilen? Dieses Blut$/ das sonst besser redet als Habels Blut$/ wird zu GOtt schreyen von der Erden$/ und über diese Verkehrung$/ und Verachtung klagen.« 89
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
Perspektive der Verfasserin, der ›innigsten Liebhaberin und eifrigsten Verehrerin‹ (wie es im Titel heißt) des auf dem Tabor Verklärten. Doch schwerer noch als solche expliziten Referenzen auf die Reformation wiegt Greiffenbergs Vergegenwärtigung der paradoxen Einheit von Kreuz und Herrlichkeit, die bei der in- und extensiven Betrachtung der Verklärung auf dem Berge doch die kreuzestheologisch begründbare Distanz wahrt, sich vor einer Verabsolutierung der Herrlichkeit in Acht nimmt. Greiffenbergs Perspektivensensibilität wird noch einmal in der abschließenden, von Jubel und Dank erfüllten Rekapitulation der Betrachtung deutlich,38 in der das von Jesus über die Verklärung verhängte Schweigegebot ebenso (prospektiv) gepriesen wird: Ich dancke dir auch$/ mein weisest- und getreuester Seeligmacher! daß du aus klügester Vorsichtigkeit$/ ihnen dieses Gesicht$/ von deiner allerherrlichsten Auferstehug von den Todten verbotten auszubreiten$/ damit$/ durch Erkennung deiner allerheiligsten göttlichen Majestät$/ dein uns seeligmachendes Leyden nicht verhindert würde$/ O übermenschlich-mehr als englisch’ und allein pur-göttliche Güt’ und Himmelmüthigkeit! mit Verzögerung deiner Ehre$/ dein Leyden und Schmertzen nicht umgehen zu machen. Du wolltest lieber deine Glori aufgezogen$/ als deine Schmach$/ an dem Creutz aufgehängt zu werden$/ verhindert sehen. Das Lob deiner Herrlichkeit soll schweigen$/ bis dein Blut-Schweis$/ deiner GeißelStriemen und Dorn-Ritze$/ deine Hände$/ Füsse und Seiten-Wunden genug geredet hätten? die Erkänntnus deiner Gottheit-Sonne muß unter der Wolcke der Verheelung bleiben$/ bis die Sonne deiner Liebe in deinem betrübten Leyden hell genug geschienen hat. O da thue deine Abgründ auf in meinem und aller Menschen Hertzen$/ diese Hertz-Abgrund-Gütigkeit höchst zu preisen!39 Wie (retrospektiv) die Aufhebung des Gebots: sondern der ertz-gut-thuende JEsus ist auch unendlich zu preißen vor die alsdann nach seiner Auferstehung von den Todten gegebene Erlaubnus$/ es so dann zu verkündigen$/ und auszubreiten$/ damit die Eröffnung dieser Herrlichkeit$/ die er noch im Elends-Stand gehabt$/ der jenigen von der Todten-Auferstehung$/ desto mehrer Beglaubung und Nachdruck gebe$/ und also zu unserm Heyl 38 Ebd., S."493-505. 39 Ebd., S."501$f. 90
II . 3 . AUGSBURGER VERKLÄRUNG DER REFORMATION
gedeyete$/ weil seyn Auferstehung der Triumph unserer Seeligmachung ist; Daher er ja unaussetzlich von diese Erlaubung mit Lobes-Lorbeern zu überlauben ist.40
II.3. Augsburger Verklärung der Reformation
Während sich also durchaus bemerkenswerte Beispiele für eine genuin protestantische Auseinandersetzung mit dem Thema der Herrlichkeit und speziell der Verklärung Jesu auf dem Tabor finden, für die stellvertretend Greiffenbergs Betrachtung ausgewählt wurde, wird die Reformation selbst kaum mit der Verklärungsgeschichte in Verbindung gebracht. Eine Ausnahme bildet das von Balthasar Friedrich Leizel nach Johann Philipp Haid verfertigte Friedensgemälde, nebst folgendem Lied der evangelischen Schuljugend in Augspurg ausgetheilt an ihrem Friedensfest den 9.%August des Jahrs 1780. Die erste Feier des Augsburger Hohen Friedensfestes am 8.#August 1650, mit dem der Standhaftigkeit der Augsburger Protestanten in den Bedrängnissen des Dreißigjährigen Krieges gedacht und die Wiedererlangung ihrer Rechte und Parität gefeiert wurde, war mit einem Fest für die Kinder verbunden, an welchem die evangelische Schuljugend fortan zuerst mit Bildern verzierte ›Friedensgebete‹ und später ein Bild und Text kombinierendes ›Friedensgemälde‹ erhielt.41 Das Motiv des Friedensgemäldes für das Jahr 1780 ist die Verklärung auf dem Berge (Abb."12). Schon mit seinem starken Hell-Dunkel-Kontrast korrespondiert das Bild des verklärten Christus offensichtlich dem für die Festpredigten gewählten Bibeltext: »Psalm XXVII, 1. Der Herr ist mein Licht und mein Heyl, vor wem sollt ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?« In der 27 Strophen umfassenden liedhaften Reimerklärung zum Friedensgemälde wird anfangs in den ersten drei Strophen der Zusammenhang von Knechtsgestalt und Herrlichkeit des Gottmenschen angedeutet und danach die Verklärung auf dem Berge in Anlehnung an den lukanischen Bericht beschrieben (Strophe 4 bis 12). In den verbleibenden 15 Strophen 40 Ebd., S."502$f. 41 Vgl. Helmut Gier (Hg.): 350 Jahre Augsburger Hohes Friedensfest, Einführung in die Geschichte des Augsburger Hohen Friedensfestes S."7-12, zum Friedensgemälde 1780 S."117; Ulrike Albrecht: Die Augsburger Friedensgemälde 16511789, zum Friedensgemälde 1780 Kat. S."144; Horst Jesse: Friedensgemälde 1650-1789, Wiedergabe des Friedensgemäldes 1780 S."342$f. 91
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
wird die biblische Episode dann auf die Geschichte und Gegenwart des Christentums und dabei besonders auf die Reformation bezogen: Das von der Verklärung ausstrahlende Licht des Evangeliums weicht in einer irregehenden und schläfrigen Christenheit der Dunkelheit, die erst Luthers Bibelübersetzung mit ihrer strahlenden Verkündigung wieder aufhebt: Da sahest du hernieder, Zerstreuetest die Nacht, Gabst uns die Bibel wieder, Hast Wahrheit uns gebracht. Die segensvolle Wahrheit, Dein Evangelium, Erschien in heller Klarheit: Preiß dir und Dank und Ruhm! Da jauchzeten die Herzen, Der Glaube wurde rein, Da wiechen Gram und Schmerzen, Hier, hieß es, ist gut seyn.42 Während es in der religiösen Literatur durchaus üblich ist, die Verklärung Christi mit der wahren Aneigung und Ausdeutung der Heiligen Schrift zu verbinden,43 geschieht dies für gewöhnlich nicht unter Bezugnahme auf eine bestimmte Übersetzung beziehungsweise ein bestimmtes Bekenntnis. Die Parallelisierung von Verklärungs- und Reformationsgeschichte geht jedoch noch weiter. Die nochmalige Verdunklung der reinen Lehre in den Konfessionskriegen und insbesondere dem Dreißigjährigen Krieg, unter dem auch die Augsburger Protestanten durch Entlassung ihrer Geistlichen und Schließung ihrer Schulen und Kirchen (selbst Abriss der Letzteren) zu leiden hatten, wird erst durch eine göttliche Intervention, analog der Stimme aus der Wolke, aufgehoben, die den gegenwärtig bestehenden und gefeierten Frieden herbeiführt:
42 Strophe 16 bis 18. 43 So z.$B. in einer geistlichen Ode von Martin Chladenius: Der verklärte JESUS (1709), S."241-246, hier S."244: »Komm JEsu$/ und verklähre dich / In meinem armen Hertzen / Entzünde und erwärme mich! / Zünd an die hellen Kertzen: / Laß doch dein heilig Wort / An dem tuncklen Ort$// In meinem finstren Sinn$// So lang ich leb und bin / Mit seinem Glantze strahlen.« 92
Abb. 12: Augsburger Friedensgemälde für das Jahr 1780
II . KREUZ UND HERRLICHKEIT
Bis deine Gottes-Stimme Erklang, Allmächtiger! Du sprachst zu Krieg und Grimme: »Nicht weiter, bis hierher!« Westphalens holder Friede gab Deutschland Glük und Ruh, Und sprach, Dank deiner Güte Uns unsre Rechte zu. Noch stehen diese Rechte, Noch können, frei von Zwang, Dir dienen deine Knechte Ihr ganzes Leben lang.44 Es folgt die Bitte, dass dieser Frieden fortdauern möge, damit die reine Lehre vernommen und vor allem auch umgesetzt werden könne, ehe die letzte der 27 Strophen die Erklärung des Bildmotivs mit dem zitierten Psalm zusammenführt: Wir preißen deinen Namen Für alles Licht und Heyl! Wir glauben, hilf uns! Amen, Herr unser Licht und Heyl! Wenn das Verhältnis des Protestantismus zur Verklärung also auch komplexer ist, als es das Klischee einer asketischen Idealen verpflichteten Konfession erscheinen lassen mag, wie in diesem Kapitel anhand von Luthers Theologie des Kreuzes und Greiffenbergs Betrachtung der Verklärung Jesu gezeigt, bleibt die mit dem Augsburger Friedensgemälde 1780 vollzogene Parallelisierung von Verklärungs- und Reformationsgeschichte doch eine Besonderheit.
44 Strophe 22 bis 24. 94
III. Kierkegaards Kritik der Verklärung
Kierkegaard adaptiert und radikalisiert zwei Aspekte der Transfigurationsthematik, die aus dem vorigen Kapitel bekannt sind: zum einen das Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit im Anschluss an Luthers theologia crucis, zum anderen das Verhältnis von Religion und Ästhetik im Hinblick auf eine wirkungsvolle Repräsentation von Kreuz und Herrlichkeit, die im Falle Greiffenbergs zur kunstvollen Vergegenwärtigung ihrer paradoxen Einheit führte. Was Kierkegaards Kritik besonders herausfordert, ist die Verwechslung von ästhetisch eingebildeter und religiös existenzieller Verklärung, die von einer doppeldeutigen Begrifflichkeit noch begünstigt wird – hier für klare Begriffe und Unterscheidungen zu sorgen, liegt nicht zuletzt im Interesse des ›religiösen Schriftstellers‹ Kierkegaard, der sich selbst indirekt, durch Pseudonyme, literarische Fiktionen und ästhetische Konstruktionen mitteilt. Ein eindrucksvolles Beispiel für eine ästhetische Verklärung des Alltäglichen hat Kierkegaard in seiner frühen, Fragment gebliebenen Erzählung Johannes Climacus oder De omnibus dubitandum est gegeben. Über die Kindheit des Protagonisten Johannes Climacus heißt es dort in einer Passage, die die Wirkung des Erzählens auf die Einbildungskraft zugleich zum Gegenstand hat und vorführt: Sein Zuhause bot nicht viele Zerstreuungen, und da er so gut wie niemals herauskam, wurde er es früh gewohnt, sich mit sich selber zu beschäftigen und mit seinen eignen Gedanken. Sein Vater war ein sehr strenger Mann, dem Anschein nach trocken und prosaisch, indessen er unter dieser Friesjacke eine glühende Einbildungskraft verbarg, die auch sein hohes Alter nicht abzustumpfen vermochte. Wenn Johannes zuweilen um Erlaubnis bat, ausgehen zu dürfen, wurde er zumeist abschlägig beschieden; wohingegen der Vater gelegentlich zum Entgelt ihm vorschlug, an seiner Hand die Diele auf und nieder zu spazieren. Dies war beim ersten Augenschein ein dürftiger Ersatz, und doch ging es damit ebenso wie mit der Friesjacke, er barg etwas ganz anderes in sich. Der Vorschlag ward angenommen, und es wurde Johannes ganz überlassen zu bestimmen, 95
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
wo es hingehen sollte. Sie gingen dann aus dem Tore, zu einem naheliegenden Lustschlößchen, oder hinaus zum Uferstrand, oder umher in den Straßen, alles gemäß dem wie Johannes es wollte; denn der Vater vermochte alles. Während sie so die Diele auf und nieder gingen, erzählte der Vater alles, was sie sahen; sie grüßten die Vorübergehenden, Wagen ratterten an ihnen vorüber und übertäubten die Stimme des Vaters; die Früchte der Kuchenfrau waren einladender denn je. Er erzählte alles so genau, so lebendig, so gegenwärtig bis zur unbedeutendsten Einzelheit, die Johannes bekannt war, so ausführlich und anschaulich, was ihm unbekannt war, daß er, wenn er eine halbe Stunde mit dem Vater spaziert war, so überwältigt und müde worden war, als wenn er einen ganzen Tag aus gewesen wäre. Die Zauberkunst des Vaters lernte Johannes ihm bald ab. Was vorher episch vor sich gegangen war, das geschah nun dramatisch; sie redeten miteinander auf dem Spaziergang. Gingen sie auf bekannten Wegen, so paßten sie gegenseitig aufeinander, daß nichts übersehen würde; war der Weg Johannes fremd, so legte er sich auf Vermutungen, indes des Vaters allmächtige Einbildungskraft imstande war, alles zu gestalten, jeglichen kindlichen Wunsch als Einschlag zu verwenden in dem Drama, das vor sich ging. Für Johannes war es, als entstünde die Welt mitten unter dem Gespräch, als wäre der Vater der Herrgott und er selber sein Liebling, der Erlaubnis erhielt, seine törichten Einfälle dreinzumengen, ganz so ausgelassen wie er wollte; denn er wurde niemals abgewiesen, der Vater niemals gestört, es kam alles mit herein und allemal zu Johannes’ Zufriedenheit.1 Der Zweifel daran, dass das Äußere das Innere, das Innere das Äußere sei, mit dem Kierkegaards Entweder – Oder (1843) einsetzt, erweist sich auch in dieser vermutlich zeitgleich entstandenen Erzählung als berechtigt: Das prosaische Äußere des Vaters verbirgt einen Erzähler, dessen dichterisches Vermögen in deutlicher Anspielung auf die Genieästhetik als menschliches Pendant göttlicher Schöpferkraft gilt. Die imaginären Spaziergänge von Vater und Sohn können dank dieser Einbildungskraft zur Kompensation für reale werden, weil die fingierte Wirklichkeit der tatsächlichen zum Verwechseln gleicht und sogar intensiver wirkt. Kierkegaards Climacus-Erzählung illustriert so das 1 Der Nachweis von Kierkegaards Texten nennt zunächst die deutsche Übersetzung, dann in Klammern das dänische Original, hier GW 10, 114$f. (SKS 15, 18$f.). Wo keine Übersetzung angegeben ist, stammt diese v. Verf. 96
III . 1 . ÄSTHETISCH - RELIGIÖSE AMBIGUITÄT
Potential der Phantasie zu einer vorübergehenden Verwandlung der Wirklichkeit.2 Als eine negative Version dieser ästhetischen Verklärung lässt sich die romantische Ironie verstehen, die Kierkegaard in seiner Magisterabhandlung Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (1841) kritisiert hat (wobei die Climacus-Erzählung aus pädagogisch-psychologischer Sicht bedenklich genug ist). Die romantische Ironie verschafft Kierkegaard zufolge dadurch eine gewisse Freiheit, dass sie die Wirklichkeit mit selbst erzeugten und aufgehobenen Fiktionen auf Abstand hält, die Romantiker belassen es demnach bei einer zeitweiligen Entlastung vom Realitätsprinzip, ohne sich selbst rückhaltlos der ironischen Destruktion auszusetzen, aus der ein völlig anderes Selbst- und Weltbild hervorgehen könnte. Wenn Kierkegaard in seiner Abhandlung der kritisierten romantischen Ironie die Ironie des Sokrates als konsequente und selbstbezügliche Negativität entgegenstellt, ist hinzuzufügen, dass es sich bei diesem Sokratesverständnis um eine heuristische Fiktion handelt, mit deren Hilfe Kierkegaard die widersprüchlichen Sokrates-Darstellungen bei Xenophon, Plato und Aristophanes vereinen zu können glaubt, dass dieses Sokratesverständnis aber letztlich ohne historische oder geschichtsphilosophische Absicherung auskommen muss. In Anbetracht von Kierkegaards faszinierter (Climacus-Erzählung) und kritischer (Ironie-Schrift) Bezugnahme auf die ästhetische Verklärung lässt sich fragen, worin er selbst sich eigentlich als ›religiöser Schriftsteller‹ von einem Virtuosen jener Kunst unterscheidet, die den jungen Johannes Climacus an der Hand des Vaters verzaubert? Um der Antwort auf diese Frage näherzukommen, ist es sinnvoll, auch der religiösen Verklärung in Kierkegaards Werk nachzugehen.
III.1. Ästhetisch-religiöse Ambiguität
Als Zeugnis einer grundlegenden Wandlung in Kierkegaards Lebenslauf, die sein Selbst- und Weltbild für immer verändert hat, wird manchmal folgende Journalaufzeichnung gedeutet: Es gibt eine unbeschreibliche Freude, die uns ebenso unerklärlich durchglüht wie der Ausbruch des Apostels ohne Motivation her2 Und zugleich die für das 19.#Jahrhundert bezeichnende Hinwendung zum Interieur, vgl. Bernd Stiegler: Reisender Stillstand, S."134-139. 97
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
vortritt: »Freuet Euch, und abermals sage ich: freuet Euch«. – Nicht eine Freude über dieses oder jenes, sondern der kräftige Ausruf der Seele »mit Zung’ und Mund aus Herzens Grund«: »ich freue mich an meiner Freude, aus, in, mit, bei, auf, an und mit meiner Freude« – ein himmlischer Kehrreim, der gleichsam urplötzlich unseren sonstigen Gesang unterbricht; eine Freude, die wie ein Windhauch kühlt und erfrischt, eine Böe vom Passat, der vom Hain Mamre zu den ewigen Hütten weht. d. 19.#Mai [1838], Vormitt. 10½ Uhr.3 Die Aufzeichnung dokumentiert in dieser Interpretationstradition eine Bekehrung oder Erweckung, wobei wegen der exakten zeitlichen Fixierung ein Bezug zur pietistischen Vorstellung des ›Gnadenblicks‹ im Sinne des plötzlichen Aufleuchtens der göttlichen Gnade nahegelegt wird.4 So auffällig wie die Zeitangabe ist jedoch auch der kunstvolle bis gekünstelte Stil der Aufzeichnung, der freilich weder ein Indiz noch ein Kriterium dafür ist, ob eine echte religiöse Erfahrung beschrieben wird. Man beachte nur, wie Kierkegaard zur Beschreibung der unbeschreiblichen Freude Vorlagen montiert, die zum Teil als Zitate gekennzeichnet sind und dem Neuen und dem Alten Testament entstammen, doch auch einem Nachtwächter-Lied, die an einen grammatischen Merkvers erinnern und an den Jargon der Universitätsphilosophie.5 Wenn Kierkegaard mit dieser Aufzeichnung einen vom Evangelium bewirkten Sinneswandel festhält, dann in originell stilisierter Weise und nicht durch die bloße Übernahme religiöser Redeweisen – wobei sich durchaus Vorlagen oder Vergleichsmöglichkeiten für Kierkegaards Aufzeichnung finden lassen, dazu gehört natürlich Pascals Mémorial, im vorliegenden Zusammenhang könnte man auch an Greiffenbergs Erweckungserlebnis und ›Glori-Licht‹ erinnern. Angesichts der Aufmerksamkeit, die Kierkegaards Notiz gefunden hat, überrascht die Vernachlässigung des Kontexts. Von der unmittelbar vorhergehenden, auf den 21.#April datierten Aufzeichnung hat sich zwar nur ein Wort erhalten, doch könnte dieses Wort zur Deutung der Notiz über die Freude beitragen: das Wort ›Transfiguration‹.6 Wer diesem Schlagwort in Kierkegaards Gesamtwerk nachgeht, ent3 4 5 6
DD:113, DSKE 1, 222 [Übers. modifiziert] (SKS 17, 254$f.). So z.$B. Emanuel Hirsch: Kierkegaard-Studien I, S."32-51. Vgl. den Kommentar in DSKE 1, 541. DD:112, DSKE 1, 222 (SKS 17, 254).
98
III . 1 . ÄSTHETISCH - RELIGIÖSE AMBIGUITÄT
deckt weitere Bezugnahmen auf die Terminologie und Thematik der Transfiguration und insbesondere die Transfiguration Christi, darunter eine Aufzeichnung in demselben Journal, die (wenn auch ein Dreivierteljahr später notiert) besonders gut zur Aufzeichnung über die Freude zu passen scheint: Der erste Eindruck, den man vom Xstt. [Christentum] bekommt, ist so wohltuend, so mächtig, dass er im Nu unser ganzes Gemüta verwandelt, so dass es kein Wunder ist, wenn wir mit den Jüngern wünschen, auf dem Berg zu bleiben, um dort unser Zelt aufzuschlagen (cfr. Mk. IX,5 etc.); aber wie die Jünger müssen wir wieder herunter vom Berg, und oft wartet da eine ebenso harte Prüfung, wie der Dämonische es für die Jünger gewesen ist. (cfr. Mk. IX,11 usw.) d. 18.#Jan. 39.7 cfr. Luk IX,29.
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Es liegt nahe, beim Lesen dieser Aufzeichnung an Raffaels letztes Gemälde zu denken. Denn durch die Verschränkung von Verklärung auf dem Berge und Heilung eines besessenen Knaben tritt Raffael der Gefahr entgegen, dass die Transfiguration aus der Heilsgeschichte herausgelöst und damit der Zusammenhang von Erhöhung und Erniedrigung ausgeblendet wird, den Kierkegaards Aufzeichnung betont. Während zum Beispiel Kierkegaards Zeitgenosse Hans Lassen Martensen in einer Abhandlung über Meister Eckhart die Transfiguration Christi als Symbol für die Kontemplation deutet, für die Erhebung auf »den Berg der Betrachtung, den geistigen Thabor«,8 verwendet Kierkegaard das Motiv in einer humoristischen Journalaufzeichnung gerade zur Hervorhebung der lächerlichen Verstrickung in die sinnlich-irdischen Niederungen: »man bleibt bei der Erde und die Verwandlung geschieht nicht mit einem [selbst], sondern mit dem Berg der Verklärung, der 7 DD:201, DSKE 1, 247$f. (SKS 17, 277). Die Lektüre der Verklärungsperikopen belegt auch eine Aufzeichnung, die den Lebenslauf des Menschen mit den fünf mosaischen Büchern analogisiert und dabei auf die lukanische Version der Verklärungsgeschichte verweist, DD:190, DSKE 1, 244 (SKS 17, 274): »Das Leben eines jeden Einzelnen hat auch seine Genesis und danach seinen Exodusa (seinen Auszug in die Welt), seinen Levitikus, wo sich der Sinn zum Himmlischen wendet, seine ›Numeri‹, wo man die Jahre zu zählen beginnt, sein Deuteronomion. [/] d. 6.#Jan. 39.« a cfr. Luk."IX,31. 8 Hans Lassen Martensen: Meister Eckart, S."87. 99
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
sich in einen Misthaufen verwandelt«.9 Insofern das Motiv der Transfiguration Christi zur Ausblendung der Passion und zur Selbsterhebung verleiten kann, ist Kierkegaards Zurückhaltung gegenüber der Verklärungsperikope verständlich, auf die er in seinem Werk eher selten und meist im Sinne üblicher Deutungsmuster Bezug nimmt, wonach die Verklärung Christi auf dem Tabor etwa das Gegenstück zur Gottesbegegnung von Mose auf dem Sinai bildet.10 Und doch ist in Kierkegaards frühen Texten eine von der Terminologie und Thematik der Transfiguration ausgehende Faszination zu spüren. So phantasiert Kierkegaard zum Beispiel (zur gleichen Zeit, in der die Aufzeichnung über den wohltuenden ersten Eindruck vom Christentum und die Unmöglichkeit, diesen einfach festzuhalten, entstanden ist) über eine idealisierte Geliebte: Diese ist ihm »so gegenwärtig, meinen Geist so mächtig erfüllend, dass ich transfiguriert werde vor mir selbst und fühle, dass hier gut sein ist«, zugleich bleibt die Geliebte Gegenstand unendlicher Sehnsucht, »lockst Du mich verklärt aus einer anderen Welt?«11 Als sei er bei dieser Gelegenheit auf die schillernde Bedeutung des dänischen Wortes ›Forklarelse‹ aufmerksam geworden, notiert Kierkegaard auf der nächsten Seite: Jegliche Poesie ist die Verklärung [Forklarelse] (d.$h. Transfiguration) des Lebens durch dessen Erklärung [Forklarelse] (indem es erklärt, aufgeklärt, entwickelt u.s.w. wird). Es ist recht bemerkenswert, dass die Sprache diese Doppelbedeutung hat. d. 5.#Feb. 39.12
9 JJ:374c, DSKE 2, 273$f. (SKS 18, 264$f.). 10 NB23:12, SKS 24, 211: »Die Klarheit des Gesetzes – Die Klarheit des Evangeliums. [/] Als Moses vom Berg mit dem Gesetz herabkam, konnte es keiner aushalten, sein Antlitz anzusehen – vor Klarheit. Als Xstus auf dem Berg verklärt wurde, konnten die Jünger diese Klarheit nicht nur aushalten, sondern fanden sie sogar unendlich wohltuend. [/] Die Klarheit des Gesetzes ist tötlich, die des Evangeliums unendlich wohltuend. [/] Diese Bemerkung findet sich ungefähr so bei Luther in der Predigt über die Epistel für den 12. Sonntag nach Trinitatis.« Das Gesetz kann, einer anderen Aufzeichnung zufolge, auch als Zuchtmeister der zur Täuschung neigenden Einbildungskraft fungieren, NB15:36, SKS 23, 28: »Bei der Transfiguration waren Moses und Elias zugegen – so gilt im Verhältnis zu jeder Entrückung u. Dergl., dass das Gesetz und die Propheten dabei sind, damit es nicht phantastisch ist. Ungefähr dies wird gesagt von Richard v. St.#Viktor.« 11 EE:7, DSKE 2, 4$f. (SKS 18, 8$f.). 12 EE:11, DSKE 2, 7 (SKS 18, 10). 100
III . 1 . ÄSTHETISCH - RELIGIÖSE AMBIGUITÄT
Die sprachliche Doppeldeutigkeit, die sich im Deutschen ja ebenso findet (und die in den einführenden lexikalischen Bemerkungen weiter aufgegliedert wurde), sorgt bei Kierkegaard für zusätzliche Irritationen: Wenn die Hinwendung zur Transfiguration Christi wegen der drohenden Auflösung des heilsgeschichtlichen Zusammenhangs von Transfiguration und Passion problematisch ist, dann rückt der doppeldeutige Verklärungsbegriff das religiöse Geschehen auch noch verdächtig nahe an die Sphäre der Ästhetik heran, an die Poesie, die sich, folgt man Kierkegaards Aufzeichnung, mit dem schönen Schein selbst erzeugter Erklärungen begnügt. Die Frage, ob und wie die poetische Verklärung, der schöne Schein, mit der religiösen Verklärung zusammenhängt und wie sich Letztere angemessen mitteilen lässt, wird hier gleich anhand von Kierkegaards Spätwerk erörtert. Mit Blick auf Kierkegaards Interesse an der Terminologie und Thematik der Transfiguration ist noch zu erwähnen, dass sich in seinen frühen Notizen auch Anklänge an den populären, idealistisch und romantisch geprägten Gebrauch des Verklärungsbegriffs finden. So zum Beispiel in folgender Aufzeichnung: Was ich das Mythologisch-Poetische in der Geschichte nenne, ist der Nimbus, der über jedem echten Streben in ihr schwebt – nicht eine Abstraktion, sondern eine Verklärung, nicht das prosaisch Wirkliche; und jede echte geschichtliche Richtung wird auch eine solche Ideen-Mythologie erzeugen. Den 17.#Oktober 1836.13 Man rufe sich in Erinnerung, dass der Hegelianer Karl Rosenkranz bereits 1834 in seinem Tagebuch die Unbestimmtheit des Begriffs monierte! Wenn das Thema der Transfiguration in der Kierkegaard-Forschung überhaupt Beachtung gefunden hat, dann ohne eingehendere Thematisierung des Zusammenhangs von religiöser und künstlerischer oder philosophischer Verklärung. So konzentriert sich die einschlägige Studie von Isak Winkel Holm auf Kierkegaards Kritik der ästhetischen Verklärung, die von der Konkretheit des Lebens abstrahiert und zwischen bildlicher Unmittelbarkeit und begrifflicher Reflexion letztlich
13 Papir 195, T 1, 84 (SKS 27, 153). Vgl. FF:110, DSKE 2, 99 (SKS 18, 97): »Was ist der Msch., dieses Staubgefäß im Blumenkelch der Ewigkeit (die Transfiguration der Geschichte). [/] d. 12.#April.« 101
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
keinen Zusammenhang stiften kann.14 Das für diese Ästhetik paradigmatische Verfahren der romantisch-willkürlichen Erinnerung wird im berühmten ›Ritterburg‹-Aphorismus aus dem ersten Teil von Entweder – Oder auf die Formel gebracht: »Alles Erlebte tauche ich hinab in die Taufe des Vergessens zur Ewigkeit der Erinnerung.«15 Dieses Verfahren beschreibt Kierkegaard zum Beispiel auch schon in einem Brief an seine Verlobte Regine Olsen aus dem Jahr 1841, in dem die Verwandlung der unmittelbaren Wirklichkeit in eine subjektiv auszukostende Erinnerung als Verklärung oder Transfiguration charakterisiert wird, wobei der Brief auch hinsichtlich der Ästhetisierung der Korrespondenz sowie des Verhältnisses zwischen den Verlobten bezeichnend ist: Meine Regine! Der Augenblick will uns nicht günstig sein. Nun denn, so wollen wir uns erinnern. Die Erinnerung ist mein Element; und meine Erinnerung ist ewig frisch, sie schlängelt sich gleich einem rinnenden Wasser durch die Heide meines Lebens und summt und singt, singt und summt immer das Gleiche, lullt die Sorgen ein, winkt mir zu und lockt mich, sie zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen, wo sie hervorsprudelt aus den dunklen Erinnerungen der Kindheit. […] Für mich verklärt, transfiguriert sich jede harmonische Berührung von der Idee und dem Leben augenblicklich in eine Erinnerung, und während mir diese das längst Vergangene nahebringt, schiebt sie das eben erst Vergangene weit zurück, um es im ›Hell-Dunkel‹ [deutsch] der Erinnerung hervorzuziehen. Obgleich uns so ja gerade heute der Augenblick seinen Beistand verweigert hat, obgleich die Stunde, während ich dieses schreibe, noch nicht gekommen ist, erinnere ich mich an all dieses wie an etwas längst Vergangenes, wodurch es den Stachel des Schmerzes verliert und die Süße der Wehmut behält. Dein S.K.16 Dass sich Kierkegaard nicht nur mit der ästhetischen Verklärung beschäftigt, sondern weiterhin an der religiösen Verklärung interessiert bleibt sowie an deren Verhältnis zueinander, belegt zum Beispiel die erbauliche Rede »Der rechte Beter streitet im Gebet und siegt – damit, 14 Isak Winkel Holm: Poesiens himmelbrev, S."41-57. 15 GW 1, 45$f. [Übers. n. Heinrich Fauteck] (SKS 3, 51). 16 Brief Nr."31, GW 25, 57$f. [Übers. modifiziert] (Brev 151, SKS 28, 240$f.). 102
III . 1 . ÄSTHETISCH - RELIGIÖSE AMBIGUITÄT
daß Gott siegt« aus den Vier erbaulichen Reden von 1844. Das ästhetische Verfahren der Verklärung durch Erklärung oder Aufklärung, das in der Notiz über die doppelte Bedeutung des Wortes ›Verklärung‹ angedeutet ist, wird in Kierkegaards erbaulicher Rede gewissermaßen auf den Kopf gestellt, weil darin gerade alle menschlichen Erklärungsversuche zu überwinden sind, was sich dadurch zeigt, dass sich die gewöhnlichen Vorstellungen von Bitte, Sieg und Niederlage verändern und verkehren. Beten bewirkt, statt ein Mittel zum Zweck zu sein, im Menschen die Vergegenwärtigung und Verinnerlichung des Verhältnisses zu Gott. Dadurch, dass sich der betende Mensch in diesem Verhältnis von der an Gott gerichteten Forderung nach verständlichen Erklärungen löst und nicht einmal mehr mit diesem Verzicht gegenüber Gott positioniert,17 kann seine Identität als Gottes Ebenbild sichtbar werden, die Verklärung in Gott geschehen: Wer ist es nun der da gesiegt? Es ist Gott, denn die Erklärung die der Beter begehrte, hat er nicht gegeben, und hat sie nicht so gegeben wie der Streitende sie begehrt hat. Aber der Streitende, er hat auch gesiegt. Oder wäre es kein Sieg, daß er anstatt von Gott eine Erklärung zu empfangen, in Gott verklärt worden ist, und diese seine Verklärung ist, daß er Gottes Bild widerspiegelt.18 Die Frage nach Sieg und Niederlage ist dann hinfällig, »denn hier siegen alle beide seliger als wenn der Liebenden Streit verklärt wird zu desto größerer Liebe«.19 Um es kurz zu rekapitulieren: Kierkegaards Journal-Aufzeichnung über die ›unbeschreibliche Freude‹, bei der offenbleiben muss, ob sie eine echte oder imaginierte Bekehrung zum Ausdruck bringt, hat die Aufmerksamkeit auf das benachbarte Schlagwort ›Transfiguration‹ gelenkt. Indem dessen Spuren in Kierkegaards Werk nachgegangen 17 Vgl. GW 13, 86-110, hier 108$f. (SKS 5, 361-381, hier 380): »Jetzt ist der Augenblick da. Wem würde der Streitende wohl zu gleichen wünschen es sei denn Gott; wofern er aber selbst etwas ist oder etwas sein will, ist dies Etwas hinreichend, um die Gleichheit zu hindern. Allein wenn er selbst zu nichts wird, allein dann kann Gott ihn durchleuchten, so daß er Gott gleicht. Wie viel er auch sei, das Gott gleich Sein kann er nicht ausdrücken, Gott kann sich in ihm abdrücken allein, wenn er selbst zu Nichts geworden ist. Wenn das Meer alle seine Kraft anstrengt, so kann es das Bild des Himmels gerade nicht widerspiegeln, auch nur die mindeste Bewegung, so spiegelt es den Himmel nicht rein; doch wenn es stille wird und tief, senkt sich das Bild des Himmels in sein Nichts.« 18 GW 13, 109 (SKS 5, 380). 19 GW 13, 110 (SKS 5, 381). 103
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
wurde, hat sich einerseits gezeigt, dass Kierkegaard in unauffälliger, aber vielfältiger Weise auf das Thema und Vokabular der Verklärung Bezug nimmt, und andererseits, dass die Verklärung sein Misstrauen weckt, besonders wenn die Verklärung des Gläubigen mit der dichterischen Verklärung, dem selbst erzeugten schönen Schein verwechselt wird – und diese Spannung zwischen religiöser Verwandlung und ästhetischer Inszenierung passt wiederum zur Aufzeichnung über die ›unbeschreibliche Freude‹.
III.2. Fiktive Vergegenwärtigung und reale Gegenwart: Christus-Bilder
Als ausgedehnte Reflexion darüber, wie die Verwandlung durch den Glauben thematisiert und kommuniziert werden kann und welche Funktion der (künstlerischen) Einbildungskraft dabei zukommt, lässt sich der dritte Teil von Kierkegaards Einübung im Christentum (1850) verstehen, der aus einem Zyklus von sieben ›christlichen Erörterungen‹ besteht, mit der Überschrift: »Von der Hoheit her will er sie alle zu sich ziehen«.20 Dass die Erörterungen von einem christlichen Standpunkt aus erfolgen, signalisiert schon das von Kierkegaard für die Einübung wie zuvor bereits für Die Krankheit zum Tode (1849) gewählte Verfasserpseudonym Anti-Climacus, die Gegenfigur zum Pseudonym Johannes Climacus, durch das die Frage nach dem Christwerden in den Philosophischen Brocken (1844) und der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (1846) sympathetisch-distanziert erörtert worden war. In der ersten und der zweiten Erörterung des Zyklus »Von der Hoheit her will er sie alle zu sich ziehen« werden das Unterscheidende wie das Verbindende von Ziehendem und Gezogenem angedeutet: Die Unveränderlichkeit des zur Herrlichkeit ›verklärten‹21 Gottmenschen steht im Gegensatz zur Wandelbarkeit des Menschen, dessen Widersprüchlichkeit als Sünder und Erlöster wiederum eine Ähnlichkeit mit der Widersprüchlichkeit von Geringheit und Hoheit des Gott20 GW 26, 149-262 (SKS 12, 149-253); mit Bezug auf Joh"12,32: »Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.« Vgl. Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit, Bd."III/2: Theologie, Teil"2: Neuer Bund, S."323 Anm."16: »Die einzige Szene bei Joh, die gleichzeitig der Verklärungsszene wie der Ölbergszene entspricht ist Jo"12,27-33.« 21 GW 26, 152 (SKS 12, 156). 104
III . 2 . FIKTIVE VERGEGENWÄRTIGUNG UND REALE GEGENWART
menschen aufweist. Zur genaueren Bestimmung der durch Differenz und Analogie gekennzeichneten Beziehung von Gottmensch und Mensch rückt die dritte Erörterung das Medium des Bildes in den Mittelpunkt – und zwar das Bild des Erniedrigten. Während der Blick auf den Erhöhten dazu verleitet, den Zusammenhang von Erhöhung und Erniedrigung zu übersehen, das eine einzige Leidensgeschichte bildende irdische Dasein des Gottmenschen zu übergehen22 und den weltlichen Maßstab von Hoheit mit dem christlichen gleichzusetzen, vermag es das Bild des Erniedrigten, den inneren Widerspruch des Gottmenschen und die Ungleichartigkeit von weltlichem und christlichem Maßstab zu vergegenwärtigen – vorausgesetzt, dass das Bild des Erniedrigten wirklich gegenwärtig und wirksam ist: »o, möge doch von dir in deiner Erniedrigung das Bild so lebendig vor uns stehen, erweckend und überredend, daß wir uns gezogen fühlen zu dir in der Geringheit, gezogen fühlen dazu, dir in deiner Geringheit gleichen zu wollen, dir, der du von der Hoheit her sie alle ziehen willst zu dir.«23 Damit das Bild des Erniedrigten auf diese Art wirksam werden kann, muss es von bewusst oder unbewusst etablierten Betrachtungsmustern befreit werden, die ein distanziertes Verhältnis zwischen Bild und Betrachter bewirken, indem zum Beispiel ästhetische oder historische Gesichtspunkte an Relevanz gewinnen, und für diese Reinigung benötigt Anti-Climacus ein hermeneutisches Als-ob: Vergiß, wo möglich, einen Augenblick alles, was du von ihm weißt, reiß los dich von der vielleicht doch schläfrigen Gewohnheit, mit der du wissend worden bist von ihm: Tu so, als hörtest du die Geschichte seiner Erniedrigung zum ersten Male. Oder meinst du, 22 GW 26, 169 (SKS 12, 171): »Wohl wahr nämlich, es gab eine Zeit in seinem Leben, einen Abschnitt, wo es ja beinahe wie eine Herrlichkeit aussah. Indes hat nicht etwa auch in dieser Zeit das Geschlecht auf ihn gehackt mit quälendem Mißverstehen, das es ihm widerfahren ließ? Und selbst in dem Augenblick seines Lebens, da es sich menschlich am herrlichsten ausnahm, bemerkt man doch leicht, daß diese Herrlichkeit eher die eines Vulkans und nichts Sicheres ist, nichts, darauf zu trauen, man ahnt, daß diese Herrlichkeit etwas andres zu bedeuten hat, daß sie, der Höhe gleich, von der einer herabfällt – ein Verhältnis, ein geheimes Einverständnis hat mit ihrem geraden Widerspiel, mit dem Schrecken des Untergangs, zweideutig ist gleich dem Augenblick, da jenes Weib ihn salbte mit köstlicher Salbe.« Wenn die Verklärung auf dem Berge während jenes Zeitabschnitts im Leben Jesu geschieht, in dem es sich nach menschlichem Maßstab am herrlichsten ausnahm, dann darf darüber eben nicht die Beziehung zur Passion übersehen werden, auf die auch Leidensankündigung und Jüngerunverständnis verweisen. 23 GW 26, 167 (SKS 12, 170). 105
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
das könntest du nicht, nun wohl, so wollen wir uns helfen auf andre Weise, wir wollen ein Kind zu Hilfe nehmen, ein Kind, das nicht damit verhudelt ist, daß es als eine einfache Schullektion einen Hümpel auswendig gelernt hat über Leiden und Sterben Jesu Christi, ein Kind, welches jetzt zum ersten Mal die Geschichte davon hört, und wollen zusehen, welche Wirkung es tut, wenn wir sie nur einigermaßen erzählen.24 Die Erzählung von Anti-Climacus beginnt damit, dass einem Kind inmitten plakativer Darstellungen mythischer Helden und weltgeschichtlicher Herrscher wie Wilhelm Tell oder Napoleon ein Bild des Gekreuzigten präsentiert wird, und sie verfolgt, welche Reaktionen dieses Bild spontan und bei zunehmender Kenntnis der in der Kreuzigung kulminierenden Leidensgeschichte hervorruft. Dabei wird die Ungleichartigkeit des Bildes immer deutlicher, von der irritierenden Hässlichkeit im Vergleich zu den idealisierten Heroen und Potentaten bis zur absoluten Inkommensurabilität des Gottmenschen, dessen Leidensgeschichte das Kind so stark beeindruckt, dass es von der Verherrlichung erst einmal nichts wissen will. Auch verfolgt Anti-Climacus einen Reifeprozess in der Reaktion, vom Staunen des Kindes über den Racheimpuls des Jünglings, der gegen eine derart schuldig gewordene Welt ankämpfen will, bis zur reflektierten Nachfolge desjenigen, der den Streit als Verstrickung in die Welt durchschaut und nur noch eine Nachahmung des Vorbilds kennt: »annähernd so zu leiden, wie Er gelitten«.25 Wenn die auf diese Weise von Anti-Climacus vergegenwärtigte Geschichte den Hörenden oder Lesenden bewegt und letztlich zur Nachfolge im Leiden drängt, dann hat die Fiktion respektive Erzählung ihre Funktion erfüllt und sich insofern selbst aufgehoben, als ihre Wirkung von einer faktisch ersten Konfrontation mit dem Leiden und Sterben Jesu Christi ununterscheidbar ist. Die Vergegenwärtigung mittels Fiktion konzentriert sich bei AntiClimacus wohlgemerkt auf das Bild des Erniedrigten, weil der Ansatz beim Erhöhten weltlichen Triumphalismus hervorbringt (die Erhöhung darf nur zur Spezifizierung christlicher Nachfolge im Leiden in den Blick geraten). Doch wie könnte, so lässt sich um des Kontrastes 24 GW 26, 174 [Übers. modifiziert] (SKS 12, 176). Vgl. GW 26, 177 (SKS 12, 178): »Erzähle es dem Kinde recht lebendig, so als hättest du selbst zuvor es nie gehört, zuvor es keinem erzählt; erzähle es, als hättest du selbst das Ganze erdacht, jedoch vergiß keinen Zug, der überliefert ist, nur magst du beim Erzählen gut und gern vergessen, daß es überliefert ist.« 25 GW 26, 179 (SKS 12, 180). 106
III . 2 . FIKTIVE VERGEGENWÄRTIGUNG UND REALE GEGENWART
willen fragen, das Bild des Erhöhten eigentlich dargestellt und zur Wirkung gebracht werden? Während es Anti-Climacus in seinen auf das Kreuz ausgerichteten Erörterungen konsequenterweise beim bloßen Verweis auf die Erhöhung belässt, findet sich in der zeitgenössischen Literatur und sogar in Kierkegaards Umfeld eine Thematisierung der Erhöhung Christi, ein Bild des Verherrlichten, das als Gegenbild zu Anti-Climacus verstanden werden kann und hier in einem kurzen Exkurs berücksichtigt werden soll. In der Novelle Die Extreme (1835) von Thomasine Gyllembourg ist das Bild des verherrlichten Christus ein zentrales Motiv. Dass Kierkegaard mit dieser Novelle früh vertraut war, zeigt sich daran, dass er in seiner Andersen-Kritik Aus eines noch Lebenden Papieren (1838) auf die relevante Novellenfigur, den Maler Palmer, und deren Feier der Herrlichkeit des Lebens anspielt.26 In einem Gespräch mit dem Protagonisten der Novelle namens Hermes entfaltet dieser Maler Palmer seine Ansichten über die Darstellung des Lebens Jesu, wonach nicht der Kampf zwischen Göttlichem und Menschlichem in der Passion dargestellt werden sollte, sondern der Sieg des Göttlichen über die Welt, wie er in der Auferstehung erscheint.27 Für seine Vision eines entsprechenden Bildes lässt sich der Maler besonders von der Begegnung Jesu mit den Jüngern in Emmaus inspirieren (hinzu kommt die Inspiration durch Swedenborg, dessen Lehre von der Seele als Medium zwischen Leib und Geist eine künstlerisch darstellbare allmähliche Vergeistigung impliziere). Der Maler beschreibt die Emmaus-Szene so: In meiner Phantasie malte ich mir diese Szene aus: die Überraschung der kleinen getreuen Schar; ihren Übergang von Angst und Sorge zu seliger Freude; die leuchtende, halb verklärte Gestalt zwischen ihnen in dem dunklen, verschlossenen Raum, worin sie demütig sich selbst und ihren Kummer verborgen hatten. Ich dachte mir diese Stätte als ein verfallenes Gewölbe orientalischer Architektur, mit einer Öffnung hoch oben in der Decke, durch welche einige Palmzweige, angestrahlt vom Sonnenuntergang eines asiatischen Tages, zu sehen waren, dessen rote Strahlen mit dem reinen weißen Licht kontrastierten, das von der Gestalt des Er26 GW 30, 52 (SKS 1, 22); mit Bezug auf Thomasine Gyllembourg: Extremerne, S."15. Kierkegaards Interesse an Gyllembourgs Novelle dürfte nicht zuletzt durch die Rezension seines Lehrers Poul Martin Møller geweckt worden sein, die er beiläufig in Entweder – Oder erwähnt, GW 1, 257 (SKS 2, 233). 27 Thomasine Gyllembourg: Extremerne, S."87-93. 107
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lösers ausging, als einem Symbol für das Licht, das der Welt aufging.28 Die Ausführung dieser Vision in einem Altarbild gelingt dem Maler allerdings erst, nachdem ihm der Auferstandene im Traum erschienen ist (wie Raffael die Madonna mit dem Jesuskind). Bemerkenswerterweise sind es in der Novelle Palmers Ansichten über die Darstellung des Erhöhten und der Bericht über die zu dieser Darstellung befähigende persönliche Offenbarung, die Hermes, ursprünglich Repräsentant des Zweifels, zum Glauben führen.29 Mit der Diskussion über die Darstellung des erhöhten Christus und der wundersam bekehrenden Wirkung ebendieser Darstellung bildet Gyllembourgs Novelle ein Gegenstück zu den Erörterungen von Kierkegaards Anti-Climacus. Ehe der Gang von dessen Erörterungen weiterverfolgt wird, soll anlässlich der Diskussion über die Darstellung des erhöhten Christus in Gyllembourgs Novelle noch ergänzt werden, dass die von der MalerFigur für die Darstellung des Erhöhten gewählte Emmaus-Szene natürlich nicht zwingend zu einseitiger Verherrlichung führen muss. Auch dafür findet sich ein literarischer Beleg. So hat Paul Vermehren in seinem Emblembuch Jesus und Seine Kirche (1713) just die EmmausSzene (nach Lk"24,13-35) mit der Verklärung auf dem Berge kombiniert (Abb. 13), indem er im Bildteil das Gespräch von Mose und Elia mit dem Verklärten und die darin enthaltene Ankündigung der Passion (Lk"9,28-36, hier 31) zu dem Gespräch der Emmausjünger mit dem Auferstandenen in Beziehung setzt, worin der Zusammenhang von Leiden und Herrlichkeit bestätigt wird (Lk"24,26). Das ›Vergleichungs-Sonnett‹ im Textteil hebt in diesem Sinne den Zusammenhang von Erniedrigung und Erhöhung hervor und kulminiert im Appell des Gläubigen an sich selbst, sich die Taten und Worte des Erlösers im Hinblick auf die eigene Verklärung recht zu vergegenwärtigen: 'Wenn man von JEsu spricht$/ so ist er uns nicht weit: Zwe Jünger reden hie von seinem bittern Leyden$/ Sein Tod beraubet sie der Hoffnung aller Freuden$/ 'Er hörts$/ und tröstet sie in der Kleinmüthigkeit. 'Bey Emaus erscheint des Tabors Herrlichkeit; Der Außgang ist erfüllt$/ und JEsus zeiget beyden$/ Daß seinen Creutz-Tod er zwar können nicht vermeyden$/ 'Wie Moses$/ und nach ihm$/ die Seher propheceyt; 28 Ebd., S."88. 29 Ebd., S."160-162. 108
Abb. 13: Paul Vermehren: Jesus und Seine Kirche (1713)
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
Doch$/ daß er auch nunmehr erwecket und verkläret$/ Dem Tod die Macht gelegt$/ des Teuffels Reich verstöret. 'Weg$/ Trägheit$/ halte mir itzt meine Augen nicht: 'Laß meinen Goel mich in seinen Thaten kennen$/ Laß mich in heisser Lieb’ durch seine Worte brennen$/ 'So wird durch Golgatha mein Tabor auffgericht.30 Der kleine Exkurs zu Thomasine Gyllembourgs Novelle und dem von der Emmaus-Szene angeregten Bild des Erhöhten und Paul Vermehrens emblematischem Vergleich von Tabor und Emmaus hat zumindest angedeutet, wie anziehend das Bild des Erhöhten auf die Einbildungskraft wirken kann. Dagegen führt Kierkegaards Anti-Climacus in seiner vierten Erörterung aus, dass auch das Bild des Erniedrigten mithilfe der Einbildungskraft anziehend gemacht werden kann, sich die wirkliche Vergegenwärtigung aber in der Aufhebung der vergegenwärtigenden Fiktion und Bereitschaft zur wirklichen Nachfolge beweist, was AntiClimacus mit einer doppelten Kritik der Einbildungskraft begründet. Die Einbildungskraft kann demnach das Vorbild des Gottmenschen schon deshalb nicht wiedergeben, weil die Repräsentation immer etwas anderes bleibt als reale Nachfolge (erster Einwand), doch selbst als unwirkliche Repräsentation verfälscht die Einbildungskraft das Vorbild, weil sie die Leidensgeschichte nur als Geschichte, als abgeschlossenes Geschehen (zweiter Einwand), vergegenwärtigen kann. Die wahre Vollkommenheit ist nämlich, daß diese Vollkommenheit – nicht dagewesen ist (denn das geht ihn, den Vollendeten an, nicht mich), sondern da ist Tag um Tag, versucht in den wirklichen Leiden dieser Wirklichkeit. Jedoch dies Letzte kann von der Einbildungskraft nicht wiedergegeben werden – es kann ja überhaupt nicht wiedergegeben werden, es kann nur sein –, und daher sieht das Bild der Vollkommenheit, so wie die Einbildung es darstellt, allemal so leicht aus, so überredend.31
30 Paul Vermehren: Jesus und Seine Kirche, S."[65]. 31 GW 26, 187 (SKS 12, 187). Vgl. GW 26, 189 (SKS 12, 189): »sondern des Lebens Ernst ist, die Vollkommenheit (Idealität) sein wollen, ausdrücken wollen in der alltäglichen Wirklichkeit, es wirklich wollen, sodaß man nicht zu seinem eignen Verderben ein für allemal emsig einen Strich darüber zieht, auch nicht so aufgeblasen ist, es eitel zu nehmen als einen Traum – o, dort wie hier ein trauriger Mangel an Ernst! – sondern mit Demut es will in der Wirklichkeit.« 110
III . 2 . FIKTIVE VERGEGENWÄRTIGUNG UND REALE GEGENWART
So bleibt selbst die gelungenste Vergegenwärtigung des gottmenschlichen Vorbilds ein frommer Betrug, weil die Einbildungskraft das allein die Annäherung ans Vorbild bewirkende reale Leiden idealisiert: »Aber die Einbildungskraft ist die Fähigkeit zu vervollkommnen (idealisieren) und hat wesentlich ein Verhältnis zur Hoheit, Vollkommenheit, nur ein unvollkommnes hingegen zur Unvollkommenheit.«32 Das durch Einbildungskraft vergegenwärtigte Vorbild muss sich durch die Umbildung seines Nachahmers beweisen, dessen irdische Leidensbereitschaft Abglanz himmlischer Herrlichkeit ist.33 Welche Folgen es hat, wenn die Unwirklichkeit und Idealisierung der Einbildung ignoriert wird, zeigt Anti-Climacus in seiner fünften Erörterung anhand der Vorstellung einer triumphierenden Kirche, die am Bild des Erhöhten und der Herrlichkeit als Ergebnis ausgerichtet ist, so dass sich in ihr die Bereitschaft zur Nachfolge im Leiden erübrigt hat. Diese Vorstellung von der triumphierenden Kirche ist für Anti-Climacus beileibe kein Gedankenexperiment, findet er sie doch in seiner eigenen Zeit soziokulturell realisiert, unbewusst und uneingestanden, deshalb nur desto gründlicher und gefährlicher, insofern seine Zeitgenossen das Christsein als Selbstverständlichkeit betrachten und für sich beanspruchen und sich gegen jede Kritik am derart verfassten Christentum, der Einbildung einer ›bestehenden Christenheit‹, mit Verweis auf die verborgene Innerlichkeit immunisieren. Der Einbildung eines längst etablierten Christentums hält Anti-Climacus entgegen, dass die Inkommensurabilität des gottmenschlichen Vorbilds permanent gegen die Neigung zur Nivellierung markiert werden muss, sich die Kirche mit der Welt niemals arrangieren, sondern in der Welt 32 GW 26, 192 (SKS 12, 191). 33 GW 26, 198 (SKS 12, 196$f.): »So verhält es sich mit Hoheit und Geringheit. Die Erniedrigung des wahren Christen ist nicht recht und schlecht eine Erniedrigung, sie ist lediglich eine Abspiegelung der Hoheit, aber eine Abspiegelung in dieser Welt, in der die Hoheit sich nur zeigt als verkehrt in Geringheit und Erniedrigung. Der Stern steht in Wahrheit hoch am Himmel, steht darum immer noch ebenso hoch am Himmel, daß er tief im Grunde der Erde zu wohnen scheint, wenn man im Meer ihn erschaut; und so ist das Christ Sein die allerhöchste Erhöhung, ob sie gleich in der Abspiegelung dieser Welt sich zeigen muß als allertiefste Erniedrigung. Die Erniedrigung ist also in gewissem Sinne die Hoheit; sobald du die Welt fortnimmst, dies trübende Element, das mit seinem Spiegeln verwirrt, sobald der Christ stirbt, so ist er in der Hoheit, in der er schon zuvor gewesen, was indes die Welt hier nicht sehen durfte, ebensowenig wie einer, der sein Haupt nicht zu erheben vermöchte und daher den Stern nur tief unten im Grunde des Meeres schauen dürfte, es sich beikommen ließ, daß er eigentlich in der Höhe steht.« 111
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
nur als streitende Kirche bestehen kann, »die im Verhältnis steht zu Christus in seiner Erniedrigung, ob auch zu ihm gezogen von der Hoheit her.«34 Was Anti-Climacus in der fünften Erörterung mit dem Gegensatz von triumphierender und streitender Kirche in soziokultureller Hinsicht behandelt, wird in der sechsten Erörterung mit Bezug auf das individuelle Verhalten wiederholt, insofern sich der einzelne Mensch dem gottmenschlichen Vorbild gegenüber bewundernd oder nachahmend verhalten kann. Im Falle der Bewunderung oder Anbetung wird die Herrlichkeit aus dem widersprüchlichen Zusammenhang mit der Leidensgeschichte herausgelöst, während dieser Widerspruch doch gerade Anlass zur Nachfolge sein soll. Das heißt nicht, dass Bewunderung gänzlich abgelehnt wird, sie ist als Missverständnis sogar notwendig, insofern sie zur Beschäftigung mit dem Christentum veranlasst (man erinnere sich an das Staunen des Kindes über das Bild des Gekreuzigten in der dritten Erörterung) – nur darf die Bewunderung die Entwicklung angemessenerer Verhaltensweisen gegenüber dem Vorbild, die mit der Nachfolge endet, nicht blockieren. Wenn der Bewunderer beim Bild des Erhöhten verweilt und dadurch von der Entwicklung zum Nachfolger abgehalten wird, dann wird diese Bewunderung durch die künstlerische Darstellung des Christentums, gar Christi selbst, noch einmal potenziert: »und daher brachte auch die Bewunderung mitten in der Christenheit ein neues Heidentum zur Welt: die christliche Kunst«.35 Weil die christliche Kunst die bewundernde Einstellung gegenüber dem Christentum fördert, muss Anti-Climacus sie ablehnen und doch zugestehen, dass die christliche Kunst in einem Zeitalter Interesse am Christentum wecken kann, das dem Christentum weder bewundernd noch nachfolgend, sondern schlechterdings gleichgültig gegenübersteht.36 In seiner abschließenden siebten Erörterung fasst Anti-Climacus die christliche Dialektik von Erhöhung und Erniedrigung zusammen, indem er auf das Johannesevangelium zurückkommt, nun aber zu dem Vers übergeht, der auf den bislang im Mittelpunkt stehenden Vers (Joh"12,32: »Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.«) folgt: 34 GW 26, 231$f. (SKS 12, 226). 35 GW 26, 255 (SKS 12, 246). 36 GW 26, 257$f. (SKS 12, 248): »daß man auf die unterschiedlichsten Weisen die Kunst zu Hilfe nehmen muß, um die Christenheit dahin zu bringen, daß sie dem Christentum doch einige Teilnahme beweise«. 112
III . 2 . FIKTIVE VERGEGENWÄRTIGUNG UND REALE GEGENWART
Er sagt im folgenden Verse, 33: das sagte er (Christus) aber, zu deuten, welches Todes er sterben würde. Also erklärt der Apostel die Erhöhung von der Erde als die Erniedrigung, als die tiefste Erniedrigung, die Kreuzigung. Christlich verstanden ist mithin in dieser Welt Erhöhung Erniedrigung. Alsdann ist Christus in die Hoheit eingegangen, aber was er zur Nachfolge hinterlassen, das ist ja sein Leben und Wandel auf Erden: daß wahre Erhöhung Erniedrigung ist oder daß Erniedrigung wahre Erhöhung ist.37 Diese eindeutige Bestimmung des christlichen Verständnisses von Erhöhung und Erniedrigung darf nicht übersehen lassen, dass das Wirken der Einbildungskraft dabei (auf genau bestimmte Weise) zweideutig bleibt: Die fiktive Vergegenwärtigung des Erniedrigten kann bewusst oder unbewusst angewandte Distanzierungstechniken ausschalten und einen unmittelbaren Eindruck bewirken, eine Evidenz, die sich in faktischer Nachahmung des Vorbilds äußert (dritte Erörterung); der Grund, weshalb sich die Leidensgeschichte und deren Bezug zur Herrlichkeit nur inadäquat vor- und darstellen lässt, ist die mit der Einbildungskraft untrennbar verbundene Idealisierung (vierte Erörterung); die von der Einbildungskraft erzeugten idealisierten Darstellungen des Christentums können allerdings ein Anlass zur persönlichen Aneignung sein, und das gilt sogar für die potenzierte Idealisierung des Christentums in der christlichen Kunst, die zur bloßen Bewunderung verleitet, doch auch der Indifferenz des Zeitalters entgegenwirkt (sechste Erörterung). Die ästhetische Fiktion erweist sich somit in den Erörterungen von Anti-Climacus als zugleich notwendiges und unzulängliches Mittel im Hinblick auf die Verwandlung durch den Glauben. An dieser Stelle lässt sich in Bezug auf die für Kierkegaard relevanten Aspekte der Transfigurationsthematik schon einmal festhalten: Das Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit wird von Kierkegaard oder genauer seinem Pseudonym Johannes Anti-Climacus eindeutig und auch einseitig38 mit der alleinigen Ausrichtung am Erniedrigten, am Kreuz Christi bestimmt. Die Frage nach der Darstellung und Mitteilung dieser Ausrichtung am Erniedrigten, die das Verhältnis von ästhetischer und religiöser Verklärung betrifft, ist nach Kierkegaard respektive Anti-Climacus schwieriger zu beantworten, denn dafür ist 37 GW 26, 259 (SKS 12, 250). 38 Vgl. Hermann Deuser: »›Einübung im Christentum‹: Kritische Anmerkungen zu Kierkegaards Theologie«, S."82-85. 113
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
die herausgearbeitete Ambivalenz zu beachten (die ästhetische Fiktion als notwendiges und unzulängliches Mittel zum religiösen Zweck). Diese Ambivalenz kann die Gestalt von Kierkegaards Werk verständlicher machen, das von der Unruhe ständig neu erzeugter und wieder aufgehobener Fiktionen gekennzeichnet ist und auf diese Weise auf eine existenzielle Reaktion des Rezipienten hinwirkt. Ein solches Verfahren ist nicht formelhaft zu erfassen, sondern nur am einzelnen Werk aufzuzeigen, was auch für die Einübung im Christentum des Anti-Climacus gilt, von der hier nur der dritte Teil interpretiert wurde, dem eine erweckende und verinnerlichende Einladung (»Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben«) und begriffliche Klärung (»Selig der sich an mir nicht ärgert«) vorangestellt ist.39 Auffälliger als diese Modulationen des christlichen Verfasserpseudonyms Anti-Climacus ist im Hinblick auf Kierkegaards Gesamtwerk die Verwendung der Pseudonymität überhaupt und die parallele Produktion ästhetischer und religiöser Schriften, ergänzt durch den Mikrokosmos der nachgelassenen Papiere. Wie virtuos Kierkegaard die ambivalente Fiktionalität einsetzt, zeigt sich bereits im Debüt Entweder – Oder: Eine romantisch verschachtelte Dichtung mag das Interesse des Lesers wecken, der sich unversehens in den heillosen Streit zweier Lebensanschauungen hineingezogen findet, die sich gegenseitig ihrer inneren Widersprüchlichkeit überführen, so dass das Buch ohne positives Ergebnis endet – oder genauer, mit der Andeutung einer nur indirekt, eben durch die Selbstaufhebung konfligierender Lebensanschauungen bezeichenbaren Alternative, die von der 39 Wie das Thema des Ärgernisses zur Transfiguration in Beziehung gesetzt werden kann, zeigt Merold Westphal (anlässlich einer Auseinandersetzung mit Jean-Luc Marions Phänomenologie des ›gesättigten‹ Phänomens und deren Veranschaulichung durch die Verklärung Christi sowie des von John#D. Caputo dagegen erhobenen Einwands der theologia gloriae), Transfiguration as Saturated Phenomenon, S."32$f.: »Perhaps Kierkegaard can be helpful in illuminating how the transfiguration is not a triumphal transition from faith to sight nor an aufhebung of the theology of the cross in a theology of glory.« Und im Anschluss an Anti-Climacus: »Having turned from the offense of loftiness to faith, the question now is whether they [the disciples] can and will also turn from the offense of lowliness to faith and affirm this Jesus as the Messiah, the Son of God. The first move would signify an incomplete faith, one especially vulnerable to a triumphalist theology of glory […]. […] The second move is a more complete faith, one not trying to turn itself into sight because it is too busy pondering the paradox of lowliness as the flip side of the paradox of loftiness – that is, when it has any time to ponder at all. For the most part its energy will need to be spent following Jesus on the way of the cross.« 114
III . 2 . FIKTIVE VERGEGENWÄRTIGUNG UND REALE GEGENWART
Theorie zur Praxis führt, zu einer sich zuerst und vor allem als Handlungsimpuls äußernden Lebensanschauung. Dass Kierkegaard diese riskante literarische Verfahrensweise gerade angesichts der Komplexitätssteigerung seines rasch anwachsenden Gesamtwerks selbst unheimlich war, zeigen die unzähligen Überlegungen, ob nicht doch zumindest einmal eine direkte Mitteilung nötig sei. Die ausgeführteste Fassung erhalten diese Überlegungen in der von Kierkegaard nicht veröffentlichten Schrift Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller (verfasst vor allem 1848), deren Untertitel keinen Zweifel an der Autorintention offenzulassen scheint: »Eine direkte Mitteilung [/] Meldung an die Geschichte«. Und doch verläuft dieser Versuch einer direkten Mitteilung anders als erwartet: Um sich als (ausschließlich) religiöser Schriftsteller auszuweisen, setzt Kierkegaard zu einer Selbstdarstellung an, die der Struktur seiner Ironieschrift folgt, er charakterisiert sich als schreibenden Sokrates. Und genauso, wie sich sein Sokratesverständnis heuristisch zu bewähren hat, ohne historische oder geschichtsphilosophische Absicherung, bleibt auch Kierkegaards Selbstverständnis eine Annahme, die sich in der Praxis zu bewähren hat, ohne sich objektivieren zu lassen. Der Vorbehalt gegenüber der Fiktion als notwendigem und unzulänglichem Mittel religiöser Mitteilung kann erst aufgegeben werden, wenn Kierkegaard nicht länger ›Papiere eines noch Lebenden‹ produziert, sondern selbst ins Reich der Verklärung eingetreten ist, wenn er nicht länger auf das Gespräch von Mose und Elia mit Jesus verweist, sondern dieses Gespräch selbst führt – so in der selbst gewählten Grabsteinstrophe aus Hans Adolph Brorsons Lied »Halleluja! Ich habe meinen Jesus gefunden«: Noch eine kleine Zeit, So ist’s gewonnen, So ist der ganze Streit Ins Nichts entronnen; Im Rosensaal darf ich Ohn Unterbrechen, Auf ewig, ewiglich Mit Jesus sprechen.40
40 Übers. v. Eduard Geismar, zit. n. Gerhard Krause: Ein Sonderfall des sogenannten Ewigkeitsliedes, S."362; darin ausführlich zum originellen Motiv des Rosensaals und unaufhörlichen Sprechens mit Jesus S."373-377. 115
III . KIERKEGAARDS KRITIK DER VERKLÄRUNG
Kierkegaards Problematisierung einer Ästhetik mit religiöser Absicht trägt zu jenem Diskurs über Kunst und Religion bei, der im 20.#Jahrhundert zum Beispiel von Karl Barth und Hans Urs von Balthasar fortgesetzt wird und nicht zuletzt das Christus-Bild betrifft. In diesem Diskurs wird das Verhältnis von Kunst und Religion manchmal auch ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt der Transfiguration diskutiert. So unterscheidet zum Beispiel Wolfhart Pannenberg die vorübergehende Veränderung des Realitätsbewusstseins durch künstlerische Fiktionen von der spezifisch religiösen Umkehrung des Realitätsbewusstseins, bei der die Transfiguration als Strukturprinzip, nämlich »indirekte Darstellung Gottes an der durch seine Gegenwart verherrlichten Kreatur«, sowohl eine Verdinglichung religiöser Vorstellungen als auch eine bloße Verdopplung der gewöhnlichen Wirklichkeit verhindert.41 Die religiöse Einbildungskraft radikalisiert den Gegensatz von Fiktionalität und Faktizität vielmehr so, dass religiöse Fiktionen eine ganz andere Auffassung des Faktischen bewirken, ohne doch selbst mit Fakten verwechselt werden zu dürfen. Als ein mit Kierkegaards Anliegen in bestimmter Hinsicht vergleichbarer Beitrag zum Verhältnis von ästhetischer und religiöser Verklärung lässt sich Bruno Latours Essay Jubilieren (2011, franz. 2002) verstehen. Latour umkreist in versuchsweise verwendeten Redeweisen das Problem religiöser Rede: Um ihre verwandelnde (transfigurierende) Wirkung entfalten zu können, bedarf die religiöse Rede einer Wiederholung, die sich von der vermeintlich treuen Wiedergabe von Inhalten und Formen freimacht und eine aktualisierende Übersetzung der Botschaft wagt. Die nihilistische Verwirrung der Gegenwart geht nach Latour darauf zurück, dass einerseits die Aufgabe der erneuernden Wiederholung, der Wiedergewinnung von Performanz, verkannt und mit der Wiedergabe bestimmter Semantiken und Grammatiken verwechselt wird und dass andererseits die herkömmlichen religiösen Institutionen als selbstverständlicher Bezugsrahmen religiöser Kommunikation nicht mehr zur Verfügung stehen. Die verwandelnde Wirkung religiöser Rede lässt sich nicht durch den bloßen Rückgriff auf Traditionsbestände garantieren, sondern nur von einer Vergegenwärtigung erhoffen, die, wie stark oder schwach der Rückgriff auf die Tradition auch ist, ein Wagnis bleibt. Die Herausforderung besteht genauer darin, für die Wiederholung transfigurierender religiöser Rede mit Fiktionen zu experimentieren, ohne dem Verdacht der Fiktionalität 41 Wolfhart Pannenberg: Verdinglichung und Transfiguration (1983), S."524. 116
III . 2 . FIKTIVE VERGEGENWÄRTIGUNG UND REALE GEGENWART
religiöser Wahrheit zu erliegen, vielmehr im Sinn zu behalten, »daß die Religion um der Wahrheit willen tatsächlich lügen oder zumindest, falls dieses Wort schockiert, zu gelehrten, nein, zu frommen, nein, zu vernünftigen Elaboraten greifen muß.«42
42 Bruno Latour: Jubilieren, S."102. 117
IV. Nietzsches Neigung zur Verklärung
Während es bei Kierkegaard als ›religiösem Schriftsteller‹ naheliegt, dass ihn das Thema der Verklärung beschäftigt, ist das bei Nietzsche als dem Repräsentanten radikaler Religionskritik keineswegs selbstverständlich. Warum sollte Nietzsche das bei Luther problematisierte und beim späten Kierkegaard nochmals zugespitzte Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit interessieren? Am ehesten vielleicht im Hinblick auf eine Umwertung, als erster Schritt zur Aufhebung der ganzen Problematik. Auch die Kierkegaard umtreibende ästhetisch-religiöse Ambiguität der Verklärung ist für Nietzsche nicht notwendigerweise problematisch. Vielmehr weitet Nietzsche die Frage nach der Funktion der Verklärung noch aus, über die Bereiche von Kunst und Religion hinaus, er vergleicht nicht nur die ästhetische und die religiöse Verklärung, sondern auch eine entsprechende Funktion der Wissenschaften oder der Philosophie selbst. Doch ehe Gründe für Nietzsches Affinität zum christlich konnotierten Verklärungsbegriff erwogen werden können, ist diese Affinität im ersten Teilkapitel erst einmal anhand ausgewählter Belege zu veranschaulichen. Nietzsches Neigung zur Verklärung, die in der Forschung wenig Beachtung gefunden hat, lässt sich mit Bezug auf seine Philosophie begründen, sie macht darüber hinaus einige seiner Wahlverwandtschaften verständlicher. Das gilt für seine Andeutungen zu einer an Goethe und Stifter orientierten Ästhetik, denen im zweiten Teilkapitel nachgegangen wird, es ließe sich aber auch anhand seiner Verbindung zu manchen der russischen und amerikanischen Autoren und Werke ausführen, die im nächsten Kapitel behandelt werden.
IV.1. Ein überhörtes Herzwort: Auf- und Verklärung, Sublimierung, Seligkeit
In seinen frühen Schriften verwendet Nietzsche das Verklärungsvokabular häufig und nachdrücklich, auch in einer Vielzahl selbst geprägter Wortbildungen. Wie präsent dabei auch die christlichen 119
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
Verklärungsmotive sind, nicht zuletzt die Transfiguration Christi, illustriert schon jene Stelle, die einem wohl als Erstes in den Sinn kommt, wenn im Zusammenhang mit Nietzsche von Verklärung die Rede ist. In seinem Erstlingswerk Die Geburt der Tragödie verweist Nietzsche bekanntlich auf Raffaels letztes Gemälde, um das Zusammenwirken von Apollinischem und Dionysischem, der beiden ›Kunsttriebe der Natur‹, zu erläutern: In seiner Transfiguration zeigt uns die untere Hälfte, mit dem besessenen Knaben, den verzweifelnden Trägern, den rathlos geängstigten Jüngern, die Wiederspiegelung des ewigen Urschmerzes, des einzigen Grundes der Welt: der Schein ist hier Widerschein des ewigen Widerspruchs, des Vaters der Dinge. Aus diesem Schein steigt nun, wie ein ambrosischer Duft, eine visionsgleiche neue Scheinwelt empor, von der jene im ersten Schein Befangenen nichts sehen – ein leuchtendes Schweben in reinster Wonne und schmerzlosem, aus weiten Augen strahlenden Anschauen. Hier haben wir, in höchster Kunstsymbolik, jene apollinische Schönheitswelt und ihren Untergrund, die schreckliche Weisheit des Silen, vor unseren Blicken und begreifen, durch Intuition, ihre gegenseitige Nothwendigkeit. Apollo aber tritt uns wiederum als die Vergöttlichung des principii individuationis entgegen, in dem allein das ewig erreichte Ziel des Ur-Einen, seine Erlösung durch den Schein, sich vollzieht: er zeigt uns, mit erhabenen Gebärden, wie die ganze Welt der Qual nöthig ist, damit durch sie der Einzelne zur Erzeugung der erlösenden Vision gedrängt werde und dann, ins Anschauen derselben versunken, ruhig auf seinem schwankenden Kahne, inmitten des Meeres, sitze.1 Raffaels Darstellung der Verklärung Christi verwendet Nietzsche, um die ästhetische Rechtfertigung des Daseins zu veranschaulichen, wonach die vom Schmerz beherrschte Erscheinungswelt aus sich selbst den schönen und in der Kontemplation vom Schmerz erlösenden Schein hervortreibt. Zu beachten ist, dass sich Nietzsches Unterscheidung zwischen scheinhafter Wirklichkeit und erlösend-visionärem Schein und seine Analogie von Apollinischem und Traumzustand mit 1 Die Geburt der Tragödie 4, KSA 1, 39$f. Nietzsches Verbindung von Raffaels Christus mit Apollo wirkt etwas weniger gewagt, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass Michelangelos Christus im Jüngsten Gericht Züge des Apollo Belvedere trägt, vgl. Jack#M. Greenstein: »How Glorious the Second Coming of Christ«, S."49. 120
IV . 1 . EIN ÜBERHÖRTES HERZWORT
Elementen der biblischen Verklärungsgeschichte in Verbindung bringen lässt, dem Strahlen des Antlitzes und Gewandes Jesu und den (bei Lukas) schlafenden Jüngern, während die von Nietzsche hervorgehobene »gegenseitige Nothwendigkeit« von Apollinischem und Dionysischem auf Raffaels originelle Bildkomposition mit der Verbindung von Verklärung Christi und Heilung eines besessenen Knaben Bezug nimmt.2 Nietzsche greift nicht nur Raffaels Kombination der biblischen Episoden auf, sondern auch die vom Gemälde nahegelegte umgekehrte Abfolge, wenn er zunächst die untere Szene des Schmerzes und dann die obere Szene der Seligkeit betrachtet. Nietzsches Bezugnahme auf Raffaels letztes Gemälde ist nicht ungewöhnlich, wenn man die damalige Leitbildfunktion des Gemäldes bedenkt (hier ist nur an den Vergleich von Raffael und Mozart in der Einführung zu erinnern). Doch auch Nietzsches Bezugnahme auf das Motiv der Verklärung Christi ist nicht ungewöhnlich, vielmehr gehört das Motiv in Nietzsches Freundeskreis zum selbstverständlichen Bildungsgut, auf das mehr oder weniger spezifisch angespielt werden kann. Das verdeutlicht ein Brief von Cosima Wagner an Nietzsche, der Anfang März 1872, also kurz nach Erscheinen der Tragödienschrift, verfasst wurde. Darin schreibt Cosima: »Ach! ob vom Parnass oder vom Thabor, vom Helikon oder vom Golgatha, wir bedürfen des Schutzes aller Geister aller Höhen, und ich rufe sie alle an – d.$h. den Thaborgeist wenig, bei Thabor denke ich nur mit Sympathie an die Hussiten.«3 Interessant ist an dieser Briefstelle nicht nur die spielerische Bezugnahme auf die Verklärung Christi, sondern dass ausgerechnet der Tabor als Stätte christlicher Verherrlichung kritisch hervorgehoben wird und dabei auch noch auf die religiös-politische Wirkungsgeschichte der Verklärung Christi, nämlich die böhmischen Taboriten (»Hussiten«), angespielt wird. In Nietzsches Tragödienschrift ist der Verklärungsbegriff primär funktional bestimmt, er bezeichnet die Erzeugung erlösender Visionen, die das Dasein bejahenswert erscheinen lassen. Die religiösen Assoziationen des Begriffs können – wie auch Nietzsches Rede von 2 Vgl. Jürgen Ebach: »Hoch und heilig wohne ich – und bei dem Zermalmten und Geisterniederten«, S."211 Anm."21: »ob die ›gegenseitige Notwendigkeit‹ beider Welten (beider ›Scheine‹) nicht etwas anderes ist als der Zusammenhang beider Szenen in den Evangelien, denn die ›doxa‹ Christi deckt den Schein auf und läßt das ›Unten‹ nicht unverändert zurück.« 3 Zit. n. Dieter Borchmeyer / Jörg Salaquarda (Hg.): Nietzsche und Wagner, Bd."1, S."166-168, hier S."168. 121
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
›Erlösung‹, ›Rechtfertigung‹ und ›Heiligung‹ – die existenzielle Relevanz der funktional definierten Verklärung bekräftigen. Das Erreichen der »metaphysischen Verklärungsabsicht«4 hat sich in der Überwindung des Pessimismus zu erweisen, auf welche Weise diese auch immer erfolgt: mit der Tragödie als Verschränkung von »Verklärungsrausch« und »Verklärungsschein«,5 doch auch mit der sokratischen Aufklärung und der von ihr veranlassten Verwissenschaftlichung des Weltbilds, und nicht zuletzt mit der Musik, deren »verklärende Macht […] alle Dinge verwandelt aussehen« lässt.6 Solche Lebensanschauungen und Symbolsysteme lassen sich nicht vereinheitlichen, sondern nur aufgrund ihrer Funktion vergleichen; sie lassen sich auch nicht nach Belieben ändern, sondern nur in ihrer Eigendynamik, Selbsterzeugung und Selbstaufhebung beobachten. Der funktional bestimmte Verklärungsbegriff ermöglicht also Vergleichbarkeit ohne Gleichsetzung, was Nietzsches analogischem Ansatz, seinem Versuch, historische und aktuelle Erfahrungen zu parallelisieren und durch Rekonstruktion vergangener Existenzweisen eine Vorahnung zukünftiger zu gewinnen, entspricht. Weil sich diese Dynamik von Lebensanschauungen nicht kontrollieren lässt, können Manipulationsversuche kontraproduktiv wirken, 4 Die Geburt der Tragödie 24, KSA 1, 151. 5 Die dionysische Weltanschauung 1, KSA 1, 558 bzw. Die Geburt der Tragödie 25, KSA 1, 155. 6 NL 1869, KSA 7, 3[54], 75. Vgl. NL 1874, KSA 7, 34[32], 802: »Es giebt die Musik, welche dies erklärt: wie alles nur Spiel, im Grunde nur Seligkeit sein kann. Deshalb ist sie die verklärende Kunst, metaphysisch durch und durch.«; NL 1884, KSA 11, 25[241], 75: »Die Musik als Nachklang von Zuständen, deren begrifflicher Ausdruck Mystik war – Verklärungs-Gefühl des Einzelnen, transfiguration.« Dass in dieser Hochschätzung der Musik ein instrumentelles Verhältnis stecken und gerade Wagners Musik weniger eine Alternative zur Rationalisierung denn deren äußerste Steigerung sein könnte, vermerkt Heidegger in einer sarkastischen Aufzeichnung, die sich in den höchst problematischen »Schwarzen Heften« findet, hier aber doch wiedergegeben sei, auch wegen Heideggers Umwertung des Verklärungsvokabulars, Heidegger: Überlegungen VII-XI (Schwarze Hefte 1938/39), S."132$f.: »Die höchste Form der Erklärung und deshalb immer noch Erklärung ist die Verklärung. Denn dieser geschichtslose, aber durch und durch historische Mensch ist keineswegs ein nüchterner Rechner, in ihm feiert die Romantik ihren höchsten Triumph; die Musik, das Wort- und Wahrheitslose, aber durch und durch Gerechnete, und doch an das ›Leben‹, den Leib gehende, wird ›die‹ Kunst, die alle Künste in sich und um sich versammelt; d.$h. die Kunst wird zur τεχνη im Sinne der Technik, politisch bestellt und berechenbar, ein Mittel unter anderen zur Handlichmachung des Vorhandenen und zwar in der Weise der Verklärung. ›Lohengrin‹ und immer wieder ›Lohengrin‹ und Panzerwagen und Flugzeuggeschwader gehören zusammen, sind dasselbe.« 122
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an die Stelle der erlösenden Vision, des hinreißenden und darum als solcher nicht bewussten Scheins, tritt die mehr oder weniger bewusste Täuschung. Daher verwendet Nietzsche den Verklärungsbegriff gelegentlich auch zur Bezeichnung der vorgetäuschten Idealisierung. So könne etwa der moderne Mensch die griechische Antike gar nicht schätzen, »hätte [sie] nicht diese traditionelle Verklärung um sich«, würde er sie »mit Abscheu von sich stossen: die Verklärung also ist unächt, von Goldpapier.«7 Unzugänglich bleibt die Antike übrigens auch denjenigen, die sich professionell mit ihr beschäftigen, in einer tabellarischen Notiz kennzeichnet Nietzsche die Griechen als »religiöse Verklärer des Alltäglichen«, die Philologen dagegen als »schmutzige Pedanten«.8 Nietzsches Darstellung der Eigendynamik von Existenzweisen erhebt sich über eine pessimistische Lebensanschauung, die sich allein von ästhetischer Kontemplation oder praktischer Askese, der vorübergehenden oder endgültigen Abkehr von der Welt, Freiheit verspricht und als deren Repräsentant Wagner gilt. Stimmigerweise wählt Wagner mit Tizians Assunta (nach seiner in Cosimas Tagebuch festgehaltenen pointierten Bemerkung nicht die Gottesmutter, sondern Isolde »in der Liebes-Verklärung«)9 für sich ein Leitbild, dessen Struktur derjenigen von Raffaels Transfiguration ähnelt, das aber eine endgültige Erlösung, die Verklärung im Sinne der Himmelfahrt darstellt. Dagegen eignet sich Raffaels Transfiguration als Sinnbild für Nietzsches ›meta-aufklärerische‹ Tragödienschrift, weil sowohl die Verklärung Christi als auch deren Verbindung mit der Heilung des Besessenen auf Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit hindeuten, auf die Anerkennung universaler Prozessualität, die weder kontemplativ zu verdrängen noch asketisch zu überwinden, sondern immer von neuem und auf neue Weise zu affirmieren ist.10 7 NL 1875, KSA 8, 3[14], 18. Vgl. zu der (in Anführungszeichen gesetzten) Verklärung als Täuschungsmanöver NL 1874, KSA 7, 34[23], 799: »Überhaupt ist ›verklären‹ jetzt das beliebteste Verfahren bei Dingen, die nicht reinlich sind […].«; NL 1887, KSA 12, 10[113], 521$f.: »Klugheit der Idealisten, nur Missionäre und Vertreter eines Ideals zu sein: sie ›verklären‹ sich damit in den Augen derer, welche an Uneigennützigkeit und Heroism glauben.« 8 NL 1875, KSA 8, 5[59], 57. 9 Zit. n. Dieter Borchmeyer: Richard Wagner, S."213. Vgl. zur Motivgeschichte von Mariä Himmelfahrt und Tizians leitbildhafter Darstellung Barbara Vinken: Himmelwärts entrückt, v.$a. S."20-26. 10 Eine Konsequenz dieser affirmierten Prozessualität ist es, dass auch Raffaels letztes Gemälde nicht als zeitloses Leitbild gelten kann, vgl. Morgenröthe 8, 123
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
Während sich Nietzsches Tragödienschrift der Eigendynamik soziokulturell manifestierter Lebensanschauungen widmet, wendet sich seine Unzeitgemässe Betrachtung über Schopenhauer als Erzieher derselben Thematik mit Betonung des individuellen Bildungsprozesses zu, wieder mit auffälliger Verwendung des Verklärungsbegriffs. Schopenhauer zählt demnach zu jenen Vorbildern, »aus deren Anblick die Sterblichen wohl noch für lange den Antrieb zu einer Verklärung ihres eignen Lebens nehmen werden«.11 Denn zum einen lässt sich Schopenhauer bei seinem Urteil über den Wert des Daseins nicht von der gegebenen Kultur blenden, er urteilt auf der Grundlage »einer verklärten Physis«12 oder (mit einem von Eckart Goebel hervorgehobenen Begriff) ›Sublimierung‹13 – zum anderen urteilt er rücksichtslos. Schopenhauers negatives Urteil über den Wert des Daseins bezieht konsequenterweise den Urteilenden mit ein und drängt so auf eine Veränderung und Verwandlung, die Nietzsche mithilfe des Verklärungsbegriffs und insbesondere der Verwandtschaft von Auf- und Verklärung darstellt. Dieser Prozess beginnt damit, dass Wahrheitssuche und Glücksverlangen konsequent aufgegeben werden, so dass mit dem UnwirklichWerden der gewohnten Wirklichkeit (Verklärung) eine neue Aufklärung beginnen kann: Wer aber Unwahrheit in allem sucht und dem Unglücke sich freiwillig gesellt, dem wird vielleicht ein anderes Wunder der Enttäuschung bereitet: etwas Unaussprechbares, von dem Glück und Wahrheit nur götzenhafte Nachbilder sind, naht sich ihm, die Erde verliert ihre Schwere, die Ereignisse und Mächte der Erde werden traumhaft, wie an Sommerabenden breitet sich Verklärung um ihn aus. Dem Schauenden ist, als ob er gerade zu wachen anfinge und als ob nur noch die Wolken eines verschwebenden Traumes um ihn her spielten. Auch diese werden einst verweht sein: dann ist es Tag.14
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KSA 3, 21: »Transfiguration. – Die rathlos Leidenden, die verworren Träumenden, die überirdisch Entzückten, – diess sind die drei Grade, in welche Raffael die Menschen eintheilt. So blicken wir nicht mehr in die Welt – und auch Raffael dürfte es jetzt nicht mehr: er würde eine neue Transfiguration mit Augen sehen.« Schopenhauer als Erzieher 4, KSA 1, 369. Schopenhauer als Erzieher 3, KSA 1, 362. Vgl. Eckart Goebel: Jenseits des Unbehagens, S."77-121, v.$a. S."121. Schopenhauer als Erzieher 4, KSA 1, 375; vgl. NL 1874, KSA 7, 34[8], 794$f.: »Schopenhauer erzog sich selbst gegen die Zeit, und im Kampfe mit ihrem Bewusstsein bekämpfte er sich selbst. So strebt er zu seinem Kerne zurück, dort wo er Genius ist, und die Menschheit in ihrer höchsten Kraft erkennt. Von da
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Ähnlich stellt Nietzsche den Übergang zu einer philosophisch, künstlerisch oder religiös artikulierbaren Anschauung der Natur dar, die von teleologischen Täuschungen befreit den Eindruck erfüllter Gegenwart vermittelt, wozu sich Nietzsche wieder der Verwandtschaft von Aufund Verklärung bedient und auch der Idiomatik des Verklärungsvokabulars (›verklärte Mienen‹): Das sind jene wahrhaften Menschen, jene Nicht-mehr-Thiere, die Philosophen, Künstler und Heiligen; bei ihrem Erscheinen und durch ihr Erscheinen macht die Natur, die nie springt, ihren einzigen Sprung und zwar einen Freudesprung, denn sie fühlt sich zum ersten Male am Ziele, dort nämlich, wo sie begreift, dass sie verlernen müsse, Ziele zu haben und dass sie das Spiel des Lebens und Werdens zu hoch gespielt habe. Sie verklärt sich bei dieser Erkenntniss, und eine milde Abendmüdigkeit, das, was die Menschen »die Schönheit« nennen, ruht auf ihrem Gesichte. Was sie jetzt, mit diesen verklärten Mienen ausspricht, das ist die grosse Aufklärung über das Dasein; und der höchste Wunsch, den Sterbliche wünschen können, ist, andauernd und offnen Ohr’s an dieser Aufklärung theilzunehmen.15 In den aphoristischen Büchern der mittleren Werkphase verwendet Nietzsche den Verklärungsbegriff weniger häufig und auffällig, allerdings enthält der zweite Band von Menschliches, Allzumenschliches einen Aphorismus, der auf den ersten Blick wie eine Definition der Verklärung anmutet: Die guten Drei. – Ruhe, Grösse, Sonnenlicht, – diese drei umfassen Alles, was ein Denker wünscht und auch von sich fordert: seine Hoffnungen und Pflichten, seine Ansprüche im Intellectuellen und Moralischen, sogar in der täglichen Lebensweise und selbst im aus, spricht er über das Dasein, als Genius und Verklärer der Welt, über die Welt – und nennt ihren Unwerth, selbst den des Genius. – Er ist vorbildlich, in der Art, wie er zu sich und damit über sich hinaus kommt. Jeder ist im Grunde Genius, insofern er einmal da ist und einen ganz neuen Blick auf die Dinge wirft. Er vermehrt die Natur, er zeugt mit diesem neuen Blick.« 15 Schopenhauer als Erzieher 5, KSA 1, 380. Vgl. zum Verhältnis von Auf- und Verklärung unter dem Gesichtspunkt der Lichtmetaphorik Andrea Bertino: Lichtmetaphorik und Schatten Gottes in Nietzsches neuer Aufklärung, v.$a. S."209-216; dort wird auch betont, wie sehr sich Nietzsches individuelle und momenthafte Aufklärung von einer gesellschaftsbezogenen und der Idee stetigen Fortschritts anhängenden Aufklärung unterscheidet. 125
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Landschaftlichen seines Wohnsitzes. Ihnen entsprechen einmal erhebende Gedanken, sodann beruhigende, drittens aufhellende, – viertens aber Gedanken, welche an allen drei Eigenschaften Antheil haben, in denen alles Irdische zur Verklärung kommt: es ist das Reich, wo die grosse Dreifaltigkeit der Freude herrscht.16 Das mag an die Definitionsversuche in Hegels Schülerschaft erinnern, zumal eine Aufhebung der drei Momente angedeutet ist. Dass Nietzsches Aphorismus, wie bei diesem Autor zu erwarten, weniger eindeutig ist, als es scheint, signalisiert nicht nur die fragwürdige Anverwandlung der religiösen Rede von Verklärung und Dreifaltigkeit, sondern auch ein kleines Irritationsmoment: Die Ordnung der großen Trias (Ruhe, Größe, Sonnenlicht) ist bei der Zuordnung entsprechender Gedanken (erhebend, beruhigend, aufhellend) selbst in Unordnung gebracht. In einer Reihe von Fragmenten aus den 1880er Jahren gebraucht Nietzsche den Verklärungsbegriff dann wieder öfter und markanter, insbesondere in Bezug auf die menschliche Sinnlichkeit und deren Gegenstände, so zum Beispiel in der folgenden Gegenüberstellung von künstlerischer Lebensbejahung und philosophischer Askese: In der Hauptsache gebe ich den Künstlern mehr Recht als allen Philosophen bisher: sie verloren die große Spur nicht, auf der das Leben geht, sie liebten die Dinge »dieser Welt«, – sie liebten ihre Sinne. […] Ich wünsche mir selber und allen denen, welche ohne die Ängste eines Puritaner-Gewissens leben – leben dürfen, eine immer größere Vergeistigung und Vervielfältigung der Sinne; ja wir wollen den Sinnen dankbar sein für ihre Feinheit, Fülle und Kraft und ihnen das Beste von Geist, was wir haben, dagegen bieten. […] es ist ein Merkmal der Wohlgerathenheit, wenn Einer gleich Goethen mit immer größerer Lust und Herzlichkeit an »den Dingen der Welt« hängt: – dergestalt nämlich hält er die große Auffassung des Menschen fest, daß der Mensch der Verklärer des Daseins wird, wenn er sich selbst verklären lernt.17 Allerdings wird die Rolle der Künstler in derselben Aufzeichnung mit Verweis auf Wagners Pessimismus gleich wieder eingeschränkt. Am 16 Der Wanderer und sein Schatten 332, KSA 2, 697$f. 17 NL 1885, KSA 11, 37[12], 587$f.; vgl. NL 1885, KSA 11, 35[73], 541: »der Übermensch, der Verklärer des Daseins«. 126
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Maßstab der mit dem Namen Dionysos bezeichneten »höchsten bisher auf Erden erreichten Welt-Bejahung und Daseins-Verklärung« versagen ohnehin selbst die herausragendsten Künstler der Moderne, wie Raffael oder Goethe.18 So stellt sich die Forderung nach lebensbejahenden Visionen und Verfahren ständig neu, ohne dass tradierte einfach übernommen werden könnten: »es muß solche geben, die alle Verrichtungen heiligen, nicht nur Essen und Trinken: und nicht nur im Gedächtniß an sie, oder im Eins-Werden mit ihnen, sondern immer von Neuem und auf neue Weise soll diese Welt verklärt werden.«19 Insofern die Verklärung der Welt mit der Verklärung seiner selbst zusammenhängt, ist es nur konsequent, dass Nietzsche in seinen späteren Schriften auf letztere eingeht und auf die Person des Philosophen Friedrich Nietzsche einschließlich der körperlichen Verfassung und materiellen Lebensumstände. In der Vorrede zur Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft von 1887 wird diese Schrift als Zeugnis einer solchen Verklärung vorgestellt, an der die seelische, körperliche und geistige Konstitution des Philosophen Anteil hat, wobei die Philosophie, in einem vielzitierten Nachsatz, mit der Fähigkeit zur Verwandlung oder zu spezifischer Sublimierung gleichgesetzt wird: »Ein Philosoph, der den Gang durch viele Gesundheiten gemacht hat und immer wieder macht, ist auch durch ebensoviele Philosophien hindurchgegangen: er kann eben nicht anders als seinen Zustand jedes Mal in die geistigste Form und Ferne umzusetzen, – diese Kunst der Transfiguration ist eben Philosophie.«20 Diese Transfiguration setzt eine wechselhafte Konstitution voraus, sie rechtfertigt die Krankheit (wie die Welt des Schmerzes auf Raffaels Gemälde nach Nietzsche die ver-
18 NL 1885, KSA 11, 41[7], 681. Vgl. dagegen im Hinblick auf den christlichen Gottesbegriff: Der Antichrist 18, KSA 6, 185: »Gott zum Widerspruch des Lebens abgeartet, statt dessen Verklärung und ewiges Ja zu sein!« Und im Hinblick auf den davon korrumpierten Kunstbegriff NL 1884, KSA 11, 26[3], 151: »Es [das Christentum] verdirbt zuletzt gar noch den Begriff des Künstlers: es hat eine schüchterne Hypocrisie über Raffael gegossen, zuletzt ist auch sein verklärter Christus ein flatterndes schwärmerisches Mönchlein, das er nicht wagt, nackt zu zeigen. Goethe steht gut da.« Vgl. ferner die Hinweise zu einer ›Physiologie der Ästhetik‹, die der Verwandlung sinnlichen Interesses im ästhetischen Zustand nachgeht, v.$a. Zur Geneaologie der Moral III 8, KSA 5, 351-356. 19 NL 1885, KSA 12, 1[127], 40. 20 Die fröhliche Wissenschaft, Vorrede 2, KSA 3, 349. Vgl. mit der gebotenen Vorsicht den Brief Nietzsches an seine Schwester vom 29.#November 1881, den diese selbst mitteilt, Elisabeth Förster-Nietzsche: Der einsame Nietzsche, S."153$f. 127
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
klärende Vision hervortreibt), auch und gerade die äußerste Krise: »der grosse Schmerz« ist »der letzte Befreier des Geistes«.21 Während der funktional bestimmte Verklärungsbegriff in Nietzsches Texten der frühen und mittleren Werkphase die Dynamik von Lebensanschauungen in kultureller oder individueller Hinsicht und mit besonderer Rücksicht auf Nietzsches eigene Philosophie kennzeichnet, werden in den späten Texten die religiösen Konnotationen des Verklärungsbegriffs hervorgehoben. In seiner zunächst von Herablassung, dann von gemischten Gefühlen und schließlich von Anteilnahme bestimmten Ausführungen über den psychologischen Typus des Erlösers hebt der Antichrist in Nietzsches gleichnamiger Schrift die symbolische Qualität der jesuanischen Rede hervor, die nicht unterscheidend operiert und Differenzen stabilisiert, sondern ein Gefühl vollkommener Glückseligkeit zum Ausdruck bringt: Aber es liegt ja auf der Hand, was mit den Zeichen »Vater« und »Sohn« angerührt wird – nicht auf jeder Hand, ich gebe es zu: mit dem Wort »Sohn« ist der Eintritt in das Gesammt-VerklärungsGefühl aller Dinge (die Seligkeit) ausgedrückt, mit dem Wort »Vater« dieses Gefühl selbst, das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl.22 Nietzsches Antichrist erläutert den christlichen Symbolismus auf außergewöhnliche Weise, die zwar herkömmliche religiöse Termini aufgreift und insbesondere an das eschatologische ›Mysterium der Verklärung und der letzten Dinge‹ denken lässt, für die sich aber keine direkte theologische Vorlage findet (das auffällige Fehlen des Geistbegriffs an der zitierten Stelle ließe sich damit erklären, dass sich der Antichrist gegen ein dogmatistisches Missverständnis des Christentums richtet, für das die Trinitätslehre ein Beispiel ist). Der Erlöser erscheint so nicht als zentrale Figur der Heilsgeschichte, er bildet vielmehr als Typus eine Identifikationsfigur, mit welcher der Antichrist in seiner polemischen Gegenüberstellung von anziehender jesuanischer Gegenwart und abstoßender paulinischer Christentumsgeschichte experimentiert, aber auch Nietzsche selbst im Rahmen der Erzählung seiner Lebensgeschichte in Ecce homo sowie in den noch im Zuge des geistigen Zusammenbruchs verfassten testamentarischen ›Zetteln‹. Ein Beispiel für die mehr oder weniger bewusst vollzogene Identifikation mit dem Typus des Erlösers ist Nietzsches Turiner Notiz an Peter 21 Die fröhliche Wissenschaft, Vorrede 2, KSA 3, 350. 22 Der Antichrist 34, KSA 6, 206$f. 128
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Gast (Heinrich Köselitz) vom 4.#Januar 1889: »Meinem maëstro Pietro [/] Singe mir ein neues Lied: die Welt ist verklärt und alle Himmel freuen sich. [/] Der Gekreuzigte.«23 Die auffällige Hervorhebung der religiösen Konnotationen des Verklärungsbegriffs in Nietzsches Spätwerk, seine Rede vom »Gesammt-Verklärungs-Gefühl aller Dinge« und der Verklärung der Welt darf nicht übersehen lassen, dass damit Momente innerhalb eines Prozesses bezeichnet werden, dass »das Ewigkeits-, das Vollendungs-Gefühl« nicht mit der Ewigkeit und Vollendung identisch ist, sich vielmehr in der Geschichte einstellt und auf die Geschichte bezogen bleibt, sei es die Geschichte des Christentums, sei es die eigene Lebensgeschichte, und noch die letzten ›Zettel‹ belassen es nicht bei der einmaligen Feststellung des Endes der Geschichte, sondern variieren dieses Thema und geben Anweisungen für die Zukunft. Wie dieser am Leitfaden der Verklärung unternommene Gang durch Nietzsches Werk vor Augen geführt hat, wird der Verklärungsbegriff darin durchgängig, von den kulturphilosophischen Reflexionen über die ›Verklärungsabsicht‹ von Kunst, Religion und Wissenschaft über die Selbstcharakteristik der Philosophie als ›Sublimierung‹ bis zu den religionsphilosophischen Reflexionen über die Psychologie des Erlösers, auf einen Prozess bezogen, er bezeichnet Möglichkeiten der Veränderung, Steigerung, Verwandlung und Verherrlichung innerhalb eines umfassenden Prozesses. Doch warum wählt Nietzsche zu deren Bezeichnung bevorzugt das christlich konnotierte Vokabular? Das gilt für das von Nietzsche besonders häufig verwendete Wort ›Verklärung‹, doch auch für das Wort ›Transfiguration‹ und schließlich, wenn auch weniger eindeutig, für das Wort ›Metamorphose‹. Dass die Verwandlung damit spezifiziert wird, verdeutlicht die paraphrasierende Kombination der Termini: »Verklärungs-Gefühl […], transfiguration«; »[d]ie Transfiguration, die zeitweilige Metamorphose«.24 Ein wichtiger Aspekt ist im zweiten Beleg bereits genannt: die Ver23 KSB 8, Nr."1247, 575; vgl. den Brief an Meta von Salis vom 3.#Januar 1889, KSB 8, Nr."1239, 572. 24 NL 1884, KSA 11, 25[241], 75 bzw. NL 1888, KSA 13, 14[127], 309. Vgl. Christa Lichtenstern: Metamorphose in der Kunst des 19. und 20.#Jahrhunderts, Bd."2: Metamorphose, S."2: »Der christliche Aszensionsgehalt der Metamorphose scheint in der Folgezeit immer dort durch, wo ein entelechetisches Moment der geistigen Läuterung und der Ich-Verwandlung angesprochen wird. Dies ist z.$B. beim späten Goethe der Fall […]. Eine solche latente Tradition liegt […] ebenfalls Friedrich Nietzsches Appellen zur seelisch-geistigen Selbstverwandlung im Zeichen des Übermenschen und der Umwertungsphilosophie 129
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
wandlung ist vorübergehend. Diesem Aspekt entspricht von den beiden biblischen Verklärungsmotiven die Verklärung auf dem Berge – im Unterschied zur Auferstehung und Himmelfahrt. Wie fern Nietzsche die Motivik von Auferstehung und Himmelfahrt steht, verdeutlicht die zentrale Chiffre vom Tod Gottes. Hans Blumenberg hat in seinem Buch Matthäuspassion darauf hingewiesen, dass die Passion im Zuge der Reformation eine derart absolute Bedeutung erlangt hat (man denke an die Theologie des Kreuzes), dass Nietzsche eine von den Vorstellungen der Auferstehung und Himmelfahrt veranlasste Reaktion auf die Rede vom Tod Gottes gar nicht in den Sinn kommen konnte: Im Gegensatz zum Gemeindekult ist für den einsamen Bibelleser, wie ihn die Reformation allererst entdecken sollte, die Auferstehung kein ›starker‹ Eindruck. Das ist wichtig, wenn man sich vergegenwärtigen soll, daß der Pastorensohn und Bibelvertraute Nietzsche für seinen Tod Gottes der Möglichkeit einer Auferstehung nichts entgegenzusetzen braucht – diese Assoziation liegt nicht nahe. Die Passion, nicht die Vision, hatte den Standard des Realismus geschaffen, an dem fortan alles zu messen war, was Wirklichkeit zu sein beanspruchte. Die höchst überflüssige Himmelfahrt ist geradezu das Kontraststück zur Passion. Wozu ein Abschied von keiner Gegenwärtigkeit, da der Auferstandene doch nicht wieder mit seiner Schar lebte wie zuvor, sondern sie nur episodisch heimsuchte?25 So fern Nietzsche in struktureller Hinsicht das Motiv der endgültigen Vollendung durch Auferstehung und Himmelfahrt steht, so nahe das Motiv der vorübergehenden Verklärung auf dem Berge, weil es dem Dynamismus seiner Philosophie entspricht. Und wie die vorübergehende Verherrlichung Christi auf seine Erniedrigung bezogen ist, so bleiben Nietzsches Versuche zur Verklärung von Welt und Selbst auf einen Prozess bezogen, der immer von neuem und auf neue Weise zu affirmieren und nicht einfach tautologisch zu bejahen ist. Der Aspekt des Vorübergehenden kann Nietzsches Affinität zum christlich konnotierten Verklärungsbegriff verständlicher machen, was keineswegs besagt, dass Nietzsche mit dieser Strukturanalogie christliche Bezüge untergeschoben werden sollen – im Gegenteil, die Berücksichtigung grunde – auch wenn Nietzsche das christliche Erbe verweigert. Dieses Paradoxon gehört zu ihm.« Vgl. ferner Verena Kuni: Metamorphose, S."81. 25 Hans Blumenberg: Matthäuspassion, S."303$f.; vgl. bezüglich der Verklärung auf dem Berge S."213, 260. 130
IV . 1 . EIN ÜBERHÖRTES HERZWORT
der christlichen Konnotationen des Verklärungsbegriffs kann Nietzsches Religionskritik verstärken: Indem Nietzsche mit dem Verklärungsbegriff auf ein theologisch problematisiertes und kulturell marginalisiertes Element des Christentums anspielt, kann er die Ausrichtung auf das Kreuz und auf asketische Verachtung von Leib und Welt aus dem Innersten des Christentums heraus relativieren, schon durch die Wortwahl wird das Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit umgewertet, wohlgemerkt in zuletzt fundamentalkritischer Absicht. Dieser inhaltliche Aspekt der aufgewerteten Herrlichkeit macht, zusammen mit dem strukturellen Aspekt des Vorübergehenden, Transitorischen, Nietzsches Vorliebe für den christlich geprägten Verklärungsbegriff noch verständlicher, hinzu kommen weitere Aspekte des gewöhnlichen wie des religiösen Verklärungsbegriffs, von denen als Beispiel noch einmal die durch die Lichtmetaphorik nahegelegte Assoziation von Auf- und Verklärung hervorgehoben sei, die Nietzsche in vielen semantischen, morphologischen und idiomatischen Variationen nutzt. Dass das Thema der Verklärung in der Nietzsche-Forschung kaum Beachtung gefunden hat, verdeutlicht dessen allgemeine kulturelle, letztlich Unkenntnis oder Gleichgültigkeit bewirkende Marginalisierung – denn Nietzsches Verwendung des Verklärungsbegriffs ist doch in quantitativer wie qualitativer Hinsicht auffällig. Es gibt allerdings Ausnahmen. Manfred Kaempfert hat in seiner 1971 erschienenen Studie zur religiösen und religionsbezogenen Sprache bei Nietzsche bereits dessen Affinität zum Begriffskomplex der Verklärung deutlich vermerkt (und das, obwohl in dem der Studie beigegebenen Wörterbuch nur ungefähr ein Drittel der Belege verzeichnet sind).26 Paul van Tongeren hat in seinem Aufsatz »Die Kunst der Transfiguration« (1994) gezeigt, dass die Transfiguration, genauer Raffaels Darstellung, für Nietzsche in allen Werkphasen ein Leitbild bleibt. Er macht in diesem Zusammenhang auf die mögliche Dreiteilung von Raffaels Gemälde aufmerksam, welche die beiden Szenen der Verklärung Jesu und der Heilung eines besessenen Knaben um die beiden beobachtenden Figuren in der linken Bildmitte als eigenständiges Element erweitert.27 Raffaels Transfiguration versinnbildlicht auf diese Weise Nietzsches Perspektivismus, der mit Bezug auf das Verhältnis von illusionärem 26 Manfred Kaempfert: Säkularisation und neue Heiligkeit, S."486-489. 27 Paul van Tongeren: Die Kunst der Transfiguration, S."85-94. Über verschiedene Ansätze zur Deutung dieser beiden Figuren informieren z.$B. Damian Dombrowski: Göttliches und Menschliches in Raffaels Transfiguration, S."35 Anm."20; Manfred Krüger: Die Verklärung auf dem Berge, S."217 Anm."353. 131
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
und visionärem Schein und auf das insbesondere autobiographisch relevante Verhältnis von Teilnehmer- und Beobachter-Perspektive interpretiert wird. Letzteren Aspekt hatte Louis Marin bereits in seinem Aufsatz »Transfiguration in Raphael, Stendhal, and Nietzsche« (1988) in den Mittelpunkt gerückt, der dem Zusammenhang von Selbstdarstellung und Selbstverwandlung anhand der autobiographischen Schriften nachgeht.28 Mit Bezug auf Nietzsches mittlere Werkphase wurde die Verklärung zum Beispiel in Verbindung mit den Chiffren des ›Südens‹ (Martina Bretz)29 und des ›großen Lebens‹ (Nicola Nicodemo) untersucht.30 Nietzsches formelhafte Kennzeichnung der Philosophie als ›Kunst der Transfiguration‹ (in der Vorrede zur Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft) wurde von Tyler#T. Roberts mit Bezug auf antike und christliche, auf die Kontrolle und Verwandlung von Körper und Geist abzielende Askesepraktiken interpretiert31 und von Eike Brock als Perspektivismus im Sinne einer ›antinihilistischen Lebenskunst‹.32 Mit besonderer Aufmerksamkeit hat Heinrich Detering das Thema der Verklärung in seinem Buch Der Antichrist und der Gekreuzigte (2010) behandelt, und zwar im Hinblick auf die temporale und narrative Struktur von Nietzsches Spätwerk, das im Austragen der Spannung zwischen Zeitlosigkeit und Geschichte seine Gestalt erhält. Das gilt für die vom Antichrist angedeutete Psychologie des Erlösers, insofern sich die durch das Verklärungsvokabular33 evozierte erfüllte Gegenwart dem Erzählen entzieht, während der Gegensatz von jesuanischer Präsenz und paulinisch-christlicher Heilsgeschichte zum Erzählen antreibt. Diese Kluft zwischen jesuanischer Präsenz und paulinisch-christlichem Narrativ soll durch eine antichristliche Erzählung wieder geschlossen werden.34 Dieselbe Widersprüchlichkeit 28 Louis Marin: Transfiguration in Raphael, Stendhal, and Nietzsche. Vgl. in Bezug auf Nietzsches Autobiographie auch R.#Lanier Anderson: Nietzsche on Redemption and Transfiguration (2009). 29 Martina Bretz: Kunst der Transfiguration (1996). 30 Nicola Nicodemo: Das große Leben als Verklärungsprozess (2012). 31 Tyler#T. Roberts: »This Art of Transfiguration Is Philosophy«: Nietzsche’s Asceticism (1996). 32 Eike Brock: Vom Schönmachen aller Dinge (2014). 33 Vgl. Heinrich Detering: Der Antichrist und der Gekreuzigte, S."187$f. Anm."79; S."193 Anm."25. 34 Ebd., S."164: »Der Erzähler muss also ›anti-christlich‹ im Sinne eines polemischen Einspruchs gegen das Christentum auftreten, um als ›anti-christlich‹ im Sinne einer typologischen Wiederkehr in Erscheinung treten zu können. Er muss in beharrlicher Dekonstruktionsarbeit vom a-chronischen ›Leben Jesu‹ erzählen und von einer ihm folgenden Un-Heilsgeschichte; er muss von 132
IV . 1 . EIN ÜBERHÖRTES HERZWORT
liegt in Deterings Deutung Nietzsches Erzählung der eigenen Lebensgeschichte zugrunde, wenn auch diese dem »Muster der Passionsgeschichte als einer Verklärungsgeschichte und zugleich der fortschreitenden Enthüllung verborgener Göttlichkeit«35 folgt. Die Bedeutung, die dem Thema der Verklärung bei Nietzsche zukommt, ist in der Forschung also nicht unbemerkt geblieben, doch konzentrieren sich die einschlägigen Beiträge weitgehend auf Nietzsches Werk, ohne die komplexe Begriffsgeschichte einzubeziehen, so wird die biblische Verklärungsgeschichte berücksichtigt, nicht aber deren Deutungs- und Wirkungsgeschichte – weshalb kulturgeschichtliche Korrespondenzen gar nicht erst in den Blick geraten und Nietzsches Affinität nur eingeschränkt interpretiert oder auch hinsichtlich ihrer Originalität eingeschätzt werden kann. Nietzsches Interesse an der Verklärung ist beileibe kein Einzelfall, allerdings findet man ein vergleichbar intensives Interesse nicht dort, wo man es zuerst erwarten würde, das heißt in der Theologie. In den für die Theologie des 19.#Jahrhunderts repräsentativen Positionen wird die Transfiguration zum Beispiel als Traum, Naturphänomen oder Wunder interpretiert, wobei im Zusammenhang mit Nietzsche die Deutung der Verklärung als Mythos bei David Friedrich Strauß und im Anschluss an diesen zu erwähnen ist.36 Weil die Theologie der Transfiguration keine besondere Aufmerksamkeit schenkt (oder nur in heterodoxen und esoterischen Strömungen), kann das Thema umso unbefangener und intensiver in der Kunst und der Philosophie angeeignet werden – und für solche künstlerisch und philosophisch vermittelten Verklärungen ist Nietzsche überaus empfänglich. Wenngleich die Verklärung Christi in der Theologie eher beiläufig behandelt wird, sei eine theologisch-philologische Kontroverse hervorgehoben, die zwar erst nach Nietzsches Tod, in den zwanziger Jahren des 20.#Jahrhunderts ausgetragen wird, hier aber schon ihrer Kontrahenten wegen von Interesse ist. geblicher Sünde und falscher Erlösung sprechen, um das ursprüngliche ›Recht des Evangeliums‹ wieder zur Geltung zu bringen, in einem dann wieder zeitlosen Modus der Darstellung eines zeitlosen Glücks, in einer alle Geschichtlichkeit transzendierenden, dauernden Verklärung.« 35 Ebd., S."161. 36 Eine zeitgenössische Übersicht bietet Warren Joseph Moulton: The Significance of the Transfiguration (1901), S."176-188; zur Mythos-Theorie S."181-186. Vgl. David Friedrich Strauß: Das Leben Jesu, Bd."2 (1836), §§$101-103, S."252-274. Moulton selbst hebt an der Transfiguration übrigens neben dem Aspekt der Legitimation Jesu die Vorbereitung der Jünger auf eine veränderte MessiasVorstellung hervor, S."189-210. 133
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
Adolf von Harnack hat in seinem Vortrag »Die Verklärungsgeschichte Jesu, der Bericht des Paulus (I."Kor"15,3$ff.) und die beiden Christusvisionen des Petrus« (1922) die Bedeutung von Petrus als erstem Zeugen der Auferstehung hervorgehoben.37 Um den eigenen Glauben an die Auferstehung im Kampf mit dem Zweifel angesichts der Kreuzigung zu stärken, konnte Petrus die Erinnerung an die Verklärung auf dem Berge aufbieten, die so zur Fundierung des christlichen Glaubens beigetragen hat: Dann aber gewinnt der Vorgang eine außerordentliche Bedeutung; denn es ist nun zu beachten, daß Petrus, als die Katastrophe der Kreuzigung hereingebrochen war und er sich innerlich sträuben mußte, ihr das letzte Wort zu lassen, sich nicht nur an Worte Jesu und den tiefen Eindruck seines irdischen Lebens zu klammern brauchte – das schien alles Lügen gestraft zu sein –, sondern daß ihm auch eine über den Kreuzestod schon im voraus triumphierende Erinnerung zu Gebote stand: er hatte Jesum als Messias in himmlischer Glorie einst auf dem Berge gesehen. Dies war ihm eine Tatsache, und eben aus dieser Tatsache heraus überwand sein neu aufkeimender Glaube alle Zweifel und ließ ihn eine zweite Vision des Herrn in der Glorie erleben. Die erste Christusvision hatte sein Bekenntnis und die Bejahung durch den Meister zur Voraussetzung; jetzt kam sie seinem verwundeten und verlöschenden Glauben zu Hilfe, führte ihn aus dem Unterbewußtsein wieder in die Höhe und wirkte so mächtig, daß sie sich selbst wiederholte. Aber Elias mit Moses zeigte sich nicht wieder! Der, der da gekreuzigt war, allein und in seiner Herrlichkeit stand vor ihm.38 37 Vgl. Eduard Meyer: Ursprung und Anfänge des Christentums, Bd."1: Die Evangelien (1921), S."152-157. 38 Adolf von Harnack: Die Verklärungsgeschichte Jesu, der Bericht des Paulus (I."Kor"15,3$ff.) und die beiden Christusvisionen des Petrus, S."70. Vgl. zum Verhältnis der beiden Christusvisionen des Petrus und deren Bedeutung für die Fundierung des christlichen Glaubens S."80: »Petrus hat zwei Visionen erlebt, eine bei den irdischen Lebzeiten Jesu, die andere nach der Kreuzigung; die zweite stand mit der ersten in engstem Zusammenhang und ist mit durch sie hervorgerufen bzw. ermöglicht worden; denn so wunderbar es ist, einen noch lebenden Menschen in himmlischer Glorie zu schauen […], so ist es noch viel wunderbarer, einen am Kreuz Gestorbenen in dieser Herrlichkeit zu sehen. […] Aber indem man das konstatiert, darf nicht vergessen werden, daß die Anerkennung Jesu als des Messias noch in sein irdisches Leben und vor die Verklärungsvision fällt. Sie ist eine Folge des Eindrucks der Person und des Wirkens Jesu (auf Petrus u.$A.) gewesen, und sie ist die tiefste Wurzel des Christentums.« 134
IV . 1 . EIN ÜBERHÖRTES HERZWORT
Gegen diese Auffassung der Verklärung hat Ulrich von WilamowitzMoellendorff in einem Vortrag über »Die Verklärung Christi« (1926) aus philologischer Perspektive Einspruch erhoben.39 Demnach ist das Leben Jesu allein (vollständig und verlässlich) im Markusevangelium wiedergegeben (sofern es für die Fundierung des christlichen Glaubens von Belang ist):40 Das göttliche Wort bei der Taufe macht Jesus zum Messias; die Wiederholung dieses Wortes bei der Verklärung ertönt, als der noch im Fleische wandelnde Jesus mit den beiden Vorläufern in demselben Glanze der Verklärung vor den drei Jüngern erscheint. Wohl verstanden ihn auch diese damals nicht, verstanden auch die Ankündigung seines Leidens nicht; aber diese hat sich erfüllt: wir glauben also auch die andere, haben schon in der Verklärung die Gewißheit, so daß wir die Bestätigung durch den Engel am Grabe kaum nötig haben. Wir werden auch nicht erwarten, daß der Verklärte sich zeigte, bloß um seine Erhöhung zu beweisen: wir sind ja täglich und stündlich darauf gefaßt, daß er mit dem himmlischen Reiche erscheine; daß es manche seiner Jünger noch sehen werden, hat er ja selbst gesagt.41 Die Christusvisionen des Petrus sind demnach keineswegs notwendig für die Fundierung des christlichen Glaubens. Auch ist der markinische Bericht über die Verklärung auf dem Berge nicht eine nach dem Muster der zweiten Christusvision des Petrus gestaltete und nachträglich eingefügte Episode: Daher kann die späte Überlieferung, die das Evangelium auf einen Dolmetscher des Petrus zurückführt, nicht bestehen. […] Es klingt zuerst scheinbar, daß die Verklärung nach der Vision des Petrus gestaltet wäre, die er in Galiläa gehabt hat; aber abgesehen davon, daß wir damit in Wahrheit nur die Erzählung des Markus, die keine Vision kennt, auf eine Vision zurückführen, über die wir gar 39 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Die Verklärung Christi, S."280 Anm."1. 40 Vgl. ebd., S."291: »Aber die Lehre Jesu lebte in der Kirche mit ihren sittlichen Forderungen und der Befreiung vom Gesetze fort; die menschliche Person Jesu war schon dem Paulus gleichgültig, erst recht dem vierten Evangelisten, und gleichgültig ist sie in Wahrheit der ganzen alten Kirche: der kommt es auf sein Sterben und seine Gottheit, nicht auf sein Leben an, und doch ist es hier wie bei so manchen von den ewig wirkenden Menschen das Entscheidende, wie sie waren und wirkten.« 41 Ebd., S."288. 135
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
nichts wissen, paßt die Begleitung durch Moses und Elias für eine Erscheinung, die durch die Sehnsucht nach dem eben gekreuzigten Meister hervorgerufen ist? Was sollten die beiden Begleiter, wenn Jesus dem Petrus als Auferstandener erschien? Neben dem lebenden Jesus vertreten sie das himmlische Reich, aus dem die Stimme Gottes an die Jünger ertönt, damit diese den Messias anerkennen und auf ihn hören. Da ersetzt sie die Erscheinungen des Auferstandenen, die noch nicht oder doch für Markus nicht existieren. Mich dünkt das Zukunftsbild des Jesus im Himmel schöner als der auferweckte Leichnam.42 Was hätte Nietzsche wohl zu dieser akademischen Debatte über die Verklärung gesagt?
IV.2. Verklärter Herbst: Goethe und Stifter, Spätstil, Trostworte
Dass Nietzsche den Nachsommer von Adalbert Stifter wiederholt liest und schätzt, versteht sich nicht von selbst, scheint doch der eigene revolutionäre Gestus dem demonstrativ konservativen Charakter des Stifter’schen Werkes völlig zu widersprechen. Wenn Nietzsche den Roman im zweiten Band von Menschliches, Allzumenschliches zum überschaubaren »Schatz der deutschen Prosa« zählt, mag noch ein provokativer Ton mitschwingen: Wenn man von Goethe’s Schriften absieht und namentlich von Goethe’s Unterhaltungen mit Eckermann, dem besten deutschen Buche, das es giebt: was bleibt eigentlich von der deutschen ProsaLitteratur übrig, das es verdiente, wieder und wieder gelesen zu werden? Lichtenberg’s Aphorismen, das erste Buch von JungStilling’s Lebensgeschichte, Adalbert Stifter’s Nachsommer und Gottfried Keller’s Leute von Seldwyla, – und damit wird es einstweilen am Ende sein.43 Von Provokation ist in der folgenden Aufzeichnung aus dem Herbst 1888 nichts mehr zu spüren:
42 Ebd., S."292$f. 43 Der Wanderer und sein Schatten 109, KSA 2, 599. 136
IV . 2 . VERKLÄRTER HERBST
Was Goethe angeht: so war der erste Eindruck, ein sehr früher Eindruck, vollkommen entscheidend: die Löwen-Novelle, seltsamer Weise das Erste, was ich von ihm kennen lernte, gab mir ein für alle Mal meinen Begriff, meinen Geschmack »Goethe«. Eine verklärtreine Herbstlichkeit im Genießen und im Reifwerdenlassen, – im Warten, eine Oktober-Sonne bis ins Geistigste hinauf; etwas Goldenes und Versüßendes, etwas Mildes, nicht Marmor – das nenne ich Goethisch. Ich habe später, um dieses Begriffs »Goethe« halber, den »Nachsommer« Adalbert Stifters mit tiefer Gewogenheit in mich aufgenommen: im Grunde das einzige deutsche Buch nach Goethe, das für mich Zauber hat.44 Goethes Novelle gilt als Paradigma einer Ästhetik der Reife und Milde, die beiläufig vom Klassizismus (›Marmor‹) abgegrenzt wird und im weiteren Verlauf der Aufzeichnung auch Goethes Faust gegenübergestellt, der, bei aller Anerkennung für die urwüchsige Lutherische Sprache, in ästhetischer Hinsicht fragmentarisch und in philosophischer Hinsicht kontingent sei (womit denn doch wieder ein polemischer Ton hinzukommt). Ernst Bertram ist diesen Hinweisen zu einer von Goethe und Stifter repräsentierten Ästhetik in seinem NietzscheBuch von 1918 nachgegangen.45 Bertram macht darauf aufmerksam, 44 NL 1888, 24[10], KSA 13, 634$f., hier 634. Nietzsches Darstellung seines frühen Goethe-Bildes ist übrigens zutreffend, wie Hans Gerald Hödl anhand eines an Goethes Novelle angelehnten Prosaentwurfs des jugendlichen Nietzsche zeigt: Verklärt-reine Herbstlichkeit, S."259-266. 45 Ernst Bertram: Nietzsche, S."238-248. Übrigens hat Leopold Ziegler in seinem Buch Volk, Staat und Persönlichkeit (1917) Nietzsches Bekenntnis zu Stifter bereits besondere Bedeutung beigemessen, S."200$f.: »Wie sehr dieser verschriene Individualist gesellschaftlich zu empfinden fähig war, verrät ein so kleiner und bescheidener Zug, daß der Philosoph der Umwertung zu seinen fünf oder sechs liebsten Büchern Adalbert Stifters ›Nachsommer‹ zählt: dieses vielleicht geläutertste und keuscheste, aber auch unwirklichste und verhaltenste Buch deutscher Prosa; wo sich eine Anzahl seelisch Jungfräulicher zu einem Ring kampfloser Verbundenheit rund zusammenschließt; wo höchste geistige Bildung mit herzlicher Einfalt gepaart als gemeinsames Besitztum der Familie erworben und gewahrt werden; wo man, wie einstmals in jenem Athen, ›das Schöne ohne Verschwendung liebt und die Wissenschaften ohne Übertreibung übt,‹ – die goldenen Worte des thukydideischen Perikles passen auf niemanden besser wie auf Stifters wunschhafte Gestalten; – und wo endlich das Vorgefühl des nahen Abschiednehmens von allen diesen Herrlichkeiten wie ein Duft verblühender Rosen aus jeder Zeile und aus jedem Wort süß ersterbend weht. Wahrhaftig, wer dieses Buch der mildesten Beschönigung lieben kann, dies Buch, von einem Künstler auf den Tisch Gottes gelegt wie ehemals ein religiöses Weihgeschenk: er muß sich und seine uneingestandenste Sehnsucht irgend darin wiederfinden. Daß gerade Nietzsche es liebt, verstattet einen Blick hinter den 137
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
dass in Nietzsches Aphorismus »Der Dichter als Wegweiser für die Zukunft«46 aus dem zweiten Band von Menschliches, Allzumenschliches (also im Umfeld von Nietzsches Kanon deutscher Prosa) die in der späten Notiz angedeutete Ästhetik bereits ausgeführt scheint. Der Dichter soll nach Nietzsches Aphorismus »an dem schönen Menschenbilde fortdichten und jene Fälle auswittern, wo mitten in unserer modernen Welt und Wirklichkeit […] die schöne grosse Seele noch möglich ist«; die dichterische Darstellung reiner und maßvoller Figuren und Handlungen dient als Grundierung, »das Umschliessende, Allgemeine, Goldgrundhafte, auf dem jetzt erst die zarten Unterschiede der verkörperten Ideale das eigentliche Gemälde – das der immer wachsenden menschlichen Hoheit« bilden; statt jedoch Goethe als einem Vertreter dieser Ästhetik zu folgen, würden die zeitgenössischen Dichter durch ihre Fixierung aufs Pathos zur Erniedrigung des Menschen beitragen (»die unbedenklichen Darsteller des Halbthiers und der mit Kraft und Natur verwechselten Unreife und Unmässigkeit«). So weit Nietzsches programmatischer Aphorismus. Eine malerische Realisierung dieser Ästhetik der Reife und des Maßes findet Nietzsche bei Claude Lorrain, wie Bertram ebenfalls in seinem Nietzsche-Buch ausführt.47 Und was die Musik betrifft, so verweist Nietzsche, nicht ganz unbefangen, auf die ›Löwenmusik‹ seines Freundes Peter Gast.48 Wenn sich die Nietzsche-Forschung später der so angedeuteten Ästhetik gewidmet hat, dann in der Fortführung von Bertrams Interpreta-
dichten Vorhang seines Allerheiligsten. Denn ich vermute, es ist ihm damit ungefähr wie uns selbst ergangen, wobei ich freilich meiner Sache nicht gewiß bin, ob ich hier noch von ›uns‹ sprechen darf: er mag sich an einem Morgentraum edler menschlicher Geselligkeit geletzt haben, nachdem die Lebenswirklichkeit ihm jede Hoffnung auf eine solche grausam benommen hatte.« Vgl. Leopold Ziegler: Dreiflügelbild (1958, aus dem Nachlass veröffentlicht 1961), S."139-204. 46 Vermischte Meinungen und Sprüche 99, KSA 2, 419$f. 47 Ernst Betram: Nietzsche, S."249-260. Vgl. Martina Bretz: Kunst der Transfiguration, S."160$f. 48 Brief von Nietzsche an Peter Gast (Heinrich Köselitz) vom 19.#April 1887, KSB 8, Nr."834, 60$f.: »Ich will dahinter kommen, warum Ihre ›Löwenmusik‹ mir in dem Maaße erquicklich, heilkräftig, innig, heiter, verklärt erscheint, wie – nun zum Beispiel wie Goethe’s Löwennovelle (Sie kennen sie doch? es ist der frühste und stärkste Eindruck, den ich von Goethe habe) oder wie Stifters Nachsommer. In dieser Richtung liegt noch eine ganze Welt der Schönheit […].« Seit Nietzsche Köselitz das Buch empfohlen hatte (Karte an Köselitz vom 5.#Nov. 1879, KSB 5, Nr."900, 461$f.), gehört die Begeisterung für das Buch zu den Erkennungszeichen der Freunde. 138
IV . 2 . VERKLÄRTER HERBST
tion, so dass diese Ästhetik vor allem als Gegenstück zu der von Wagner repräsentierten Romantik verstanden wird.49 Dieser Deutungsansatz soll durch Berücksichtigung des Transfigurationsthemas erweitert und vertieft werden, weil so die Goethe und Stifter von Nietzsche zuerkannte paradigmatische Qualität begreiflicher wird. Dass sich die in Nietzsches später Aufzeichnung genannten Werke, Goethes Novelle und Stifters Nachsommer, mit dem Thema der Verklärung in Verbindung bringen lassen, ist offensichtlich. So kann etwa die Zähmung äußerer und innerer Wildheit in Goethes Novelle als Verklärung der Natur begriffen werden, die mit dem auf Daniel in der Löwengrube verweisenden Schlussbild des musizierenden Kindes »in seiner Verklärung«50 samt gezähmtem Löwen endet. Überdeutlich hatte Goethe das Verklärungsmotiv bereits in der Schlussszene des Egmont verwendet, wenn Egmont im Traum die Personifikation der Freiheit erscheint, »von einer Klarheit umflossen« und mit den Zügen des geliebten Klärchens, und diese träumerische Vorwegnahme der Heldenverklärung die Bereitschaft zum wirklichen Opfertod weckt;51 zur Rechtfertigung dieser Szene hat Goethe später auch auf Raffaels Transfiguration als Versinnbildlichung des Verhältnisses von Idealität und Realität Bezug genommen.52 Auch mit Blick auf Stifter und dessen Nachsommer scheint die von Nietzsche nahegelegte Verbindung mit dem Thema der Verklärung unmittelbar überzeugend, wie die Kommentare von Ernst Bertram und Leopold Ziegler zeigen. Um jedoch genauer angeben zu können, was in diesem Fall unter Verklärung zu verstehen ist, soll Stifters 1857 veröffentlichter Roman (laut Selbstbezeichnung ›eine Erzählung‹) etwas eingehender betrachtet werden. Wie sich Stifters Nachsommer mit dem Thema der Verklärung in Verbindung bringen lässt, wird noch deutlicher, wenn zum Kontrast Kierkegaards Wiederholungsschrift von 1843 hinzugezogen wird, die in bestimmter Hinsicht das genaue Gegenstück ist. Nun werden Kierkegaard und Stifter selten miteinander verglichen. Zu verschieden wirken das jüngste Kind eines Wollwarenhändlers aus Kopenhagen und das älteste Kind eines Leinwebers aus dem südböhmischen Oberplan, der Einfluss des Pietismus in Gestalt der Herrnhuter Brüdergemeine 49 Vgl. Renate Müller-Buck: »Oktober-Sonne bis ins Geistigste hinauf«; Helga Bleckwenn: Nietzsches Nachsommer-Lob. 50 FA I 8, 555. 51 FA I 5, 549$f. 52 Italienische Reise (Zweiter Römischer Aufenthalt), FA I 15/1, 417 bzw. 486$f. 139
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
und der eines liberalen Katholizismus im Benediktinerstift Kremsmünster, vergleichbar erscheinen allenfalls die unerfüllten Liebesbeziehungen zu Regine Olsen beziehungsweise Fanny Greipl oder auch der Kollaps des Kirchenkämpfers und der Selbstmordversuch des vom Nervenleiden Ausgezehrten. So ist es nicht verwunderlich, dass sich nur ein Forschungsbeitrag dem Verhältnis beider Zeitgenossen widmet.53 Wenn allerdings das Problem der Wiederholung in den Mittelpunkt gerückt und als Vergleichspunkt gewählt wird, scheint die Zusammenstellung von Kierkegaards Wiederholung und Stifters Nachsommer weniger abwegig – denn dann stehen sich die Konzeptionen von erlösender und verklärender Wiederholung gegenüber. Beide sollen nun in kurzen Interpretationen herausgearbeitet werden. Kierkegaards Wiederholungsschrift wird im Untertitel als »[e]in Versuch in der experimentierenden Psychologie« bezeichnet,54 wobei darin eigentlich zwei Versuche dargestellt sind: erstens ein Selbstversuch von Constantin Constantius, dem von Kierkegaard für diese Schrift gewählten Pseudonym und Erzähler, und zweitens ein Experiment, das ein namenlos bleibender junger Mann teils unter der Aufsicht von Constantin Constantius, teils gegen dessen Rat durchführt. Die Wiederholung wird von Constantin Constantius anfangs abstrakt als Prinzip glücklichen Gegenwärtigseins und Bestandhabens charakterisiert, als ein Prinzip, das für die Moderne bezeichnend und richtungsweisend sei und sich von der melancholischen Erinnerung der antiken Philosophie ebenso unterscheide wie von der Vermittlung der zeitgenössischen Philosophie, welche dem faktischen Existieren entweder entgegenlaufen oder es zugunsten abstrakten Denkens übergehen würden. Die so geweckten Erwartungen an die Wiederholung scheinen durch den Handlungsverlauf der Schrift enttäuscht werden zu sollen, wird darin doch vor allem die Unmöglichkeit einer Wiederholung vorgeführt oder, was aufs Gleiche hinausläuft, die Fragwürdigkeit und Verkehrtheit aller eintretenden Wiederholungen. Statt Ursprünglichkeit, Unmittelbarkeit und Authentizität wiederherzustellen oder zu erneuern, machen diese Wiederholungen Entfremdung erst recht bewusst. Das zeigt der Selbstversuch von Constantin Constantius, der zur Erprobung der Möglichkeit und Bedeutung der Wiederholung spontan ein zweites Mal nach Berlin reist, ohne die neuen Eindrücke mit den 53 Christa Kühnhold: Adalbert Stifter – Ein Zeitgenosse Kierkegaards. 54 GW 5, 1 (SKS 4, 7). 140
IV . 2 . VERKLÄRTER HERBST
Erinnerungen an seinen ersten Besuch in Einklang bringen zu können, alles scheint verändert, jede Kontinuität trügerisch. Fruchtlos scheint das Bemühen um eine Wiederholung, wenn schon die Absicht verhindert, dass sich der ursprüngliche Zustand wieder einstellen kann. Beschworen wird der Zauber des ersten Aufenthalts insbesondere beim nochmaligen Besuch des Königstädter Theaters, in dem eine Posse von Nestroy aufgeführt wird. Vormals wirkte dort alles aufs Angenehmste zusammen: das durch die Spannung zwischen Klischees und Improvisation die Phantasie stimulierende Genre der Posse, der einsame Logenplatz, die musikalische Einstimmung, das Interagieren von Schauspieler und Publikum, Letzteres »die Stimme der Natur auf der Galerie«55 (wie überhaupt der Hörsinn die dominierende Sinneswahrnehmung in Kierkegaards Wiederholungsschrift ist). Das naive Treiben im Theater konnte so mit sentimentalen Kindheitserinnerungen des Besuchers verschwimmen. Seine ultimative Verfeinerung erhielt dieser Genuss durch den Anblick eines selbstvergessenen Mädchens in der gegenüberliegenden Loge. Wie könnte es überraschen, dass sich eine solche Konstellation nicht erneut einstellt, Constantin Constantius das Theater überstürzt verlässt, danach ebenso seine Berliner Pension, in der ihm nun jedes Detail, der Schreibtisch, die Gasbeleuchtung, irgendwie fehl am Platze scheint – nur um bei seiner Rückkehr entdecken zu müssen, dass das eigene Heim entgegen seinen Anweisungen gerade einer Generalreinigung unterzogen wird und nichts mehr so ist, wie es war. Das Ergebnis dieser Serie von Enttäuschungen ist für Constantin Constantius eine pessimistische Lebensanschauung, die zwar Augenblicke der Verklärung kennt,56 die Möglichkeit eines anhaltend glücklichen Lebens aber bestreitet. Dabei wirkt das Erkenntnisinteresse als negativ verstärkender Faktor, habe doch gerade die Frage nach der Wiederholung den Genuss der zweiten Berlin-Reise verhindert, doch auch ein Begnügen mit der phrasenhaften Rede vom ›Strom des Lebens‹, auf die sich letztlich alle, »geistliche wie weltliche Redner, Dichter wie Prosaiker, Schiffer wie Leichenbitter, Helden wie Memmen«,57 einigen können. So gibt Constantin Constantius alle theoretischen Ambitionen auf, um die bestehende Ordnung nach Kräften zu konservieren (wie es seinem Namen entspricht), in der Überzeugung, »daß man durch Unerschütterlichkeit 55 GW 5, 39 (SKS 4, 40). 56 GW 5, 48 (SKS 4, 47). 57 GW 5, 48 (SKS 4, 48). 141
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
und dadurch, daß man seine Beobachtungsgabe abstumpft, eine Einförmigkeit erzielen kann, welche weit mehr die Macht hat zu betäuben als die launischsten Zerstreuungen und zugleich im Laufe der Zeit mächtiger und mächtiger wird gleich einer Beschwörungsformel.«58 Vor dem Hintergrund der so beschworenen Einförmigkeit gewinnt jener andere Versuch in der experimentierenden Psychologie an Bedeutung, den Constantin Constantius als Vertrauter eines jungen Mannes begleitet und in dessen Verlauf sich vielleicht doch die Möglichkeit einer Wiederholung zeigt. Den jungen Mann treibt nämlich ein Liebesverhältnis um, in welchem er die Unbefangenheit gegenüber der Geliebten verloren hat, und da er das Verhältnis weder aufgeben kann noch aufgeben möchte, muss er die ursprüngliche Unbefangenheit irgendwie zurückgewinnen. Auf einen Plan von Constantin Constantius, der durch ausgeklügelte Täuschung »eine Wiederherstellung des früheren Zustands«59 herbeizuführen verspricht, lässt sich der junge Mensch nicht ein. Er orientiert sich vielmehr an einem religiösen Vorbild, was der zurückgewiesene Ratgeber folgendermaßen kommentiert: Mein Freund sucht also glücklicherweise keine Aufklärung bei einem weltberühmten Philosophen oder bei einem öffentlichen ordentlichen Professor, er wendet sich an einen privatisierenden Denker, welcher voreinst der Welt Herrlichkeit besessen hatte, sich aber später vom Leben zurückzog – mit andern Worten, er nimmt seine Zuflucht zu Hiob, der nicht auf einem Katheder Figur macht und mit beteuernden Gestikulationen für die Wahrheit seiner Sätze einsteht, sondern in der Asche sitzt und sich mit einem Tonscherben kratzt, und ohne dies Werk der Hände zu unterbrechen, flüchtige Winke und Bemerkungen hinwirft. Hier meint er gefunden zu haben, was er gesucht; in diesem kleinen Kreis von Hiob und Frau samt drei Freunden klingt, seiner Meinung nach, die Wahrheit herrlicher und froher und wahrer als auf einem griechischen Symposion.60 In den sieben Briefen des jungen Mannes an Constantin Constantius, die dieser dann wiedergibt, lässt sich mitvollziehen, wie Lebensekel und Sprachkrise, die Folgen einer fundamentalen Entfremdung, durch 58 GW 5, 51 (SKS 4, 50). 59 GW 5, 17 (SKS 4, 21). 60 GW 5, 59 (SKS 4, 57). 142
IV . 2 . VERKLÄRTER HERBST
Aneignung der biblischen Hiobsgeschichte überwunden werden sollen. Dazu gehört selbstverständlich das wiederholte Lesen: »Obwohl ich das Buch immer wieder gelesen, ist jedes Wort mir neu. Jedesmal, wenn ich zu einem Worte komme, wird es zum ersten Mal geboren oder entsteht es mit Ursprungsmacht in meiner Seele.«61 Die existenzielle Vergegenwärtigung und Aneignung erweist sich dadurch, dass der von Hiob gegen alle Erklärungsangebote behauptete Glaube an Gottes Gerechtigkeit zum eigenen Handlungsimpuls wird und damit Distanzierungstechniken der Ästhetisierung (Hiob als Glaubensheld) oder Rationalisierung (Hiobs Prüfung) ausschaltet. Wie Hiob die Erklärungen seiner Freunde abweist, so der junge Mann den Plan des Constantin Constantius, eine Wiederholung durch Manipulation zu befördern, im Glauben daran, dass, wenn Hiob nach dem Gewitter, in welchem ihm der Herr antwortet, alles zweifach wiederbekommt (Hi 38-42), dass dann auch in seinem Fall eine Wiederholung möglich ist: »Ich warte auf ein Gewitter – und auf die Wiederholung.«62 An diesem Punkt der Entwicklung kann sich der theoriemüde Constantin Constantius eine Zwischenbemerkung nicht verkneifen: »Das, woran er [der junge Mann] leidet, ist eine unzeitige melancholische Hochherzigkeit, die nirgends zu Hause ist außer im Hirn eines Dichters. Er wartet auf ein Gewitter, welches ihn zum Ehemann machen soll, vielleicht einen Schlaganfall.«63 Doch es kommt anders, im nachgereichten achten Brief des jungen Mannes wird eine unerwartete Aktion der Geliebten (die inzwischen einen Anderen geheiratet hat) als die erhoffte Wiederholung präsentiert: »Es kam ja auch wie ein Gewitter, wenn ich es auch ihrer Großmut zu danken habe, daß es eintrat.«64 Diese Wiederholung entziehe sich einem außenstehenden Beobachter, ereigne sich allein in der Innerlichkeit, »wo man jeglichen Augenblick das Leben einsetzt, jeglichen Augenblick es verliert und wieder neu gewinnt«.65 Als wolle er angesichts dieser Entwicklung die Deutungshoheit zurückgewinnen, wendet sich Constantin Constantius zum Schluss mit einem eigenen Brief direkt an den Leser des Buches, in dem er auf die Dialektik von Allgemeinheit und Ausnahme und auf den Unterschied zwischen einer ästhetischen Selbstrechtfertigung und einer religiösen Rechtfertigung der Ausnahme aufmerksam macht – 61 62 63 64 65
GW 5, 76 (SKS 4, 73). GW 5, 83 (SKS 4, 81). GW 5, 85 (SKS 4, 83). GW 5, 89 (SKS 4, 87). GW 5, 90 (SKS 4, 88).
143
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
womit er den jungen Mann einer ästhetisch-religiösen Selbsttäuschung zu überführen und selbst das letzte Wort zu behalten versucht. So ist in Bezug auf Kierkegaards Wiederholungsschrift festzuhalten, dass diese mittels einer sowohl den Bericht des Constantin Constantius als auch die Briefe des jungen Mannes und erst recht deren Zusammenspiel prägenden Poetik der Unruhe und Uneigentlichkeit (als deren Vorbild Hamann genannt wird)66 die Frage nach der Möglichkeit der Wiederholung offenlässt, dabei aber verdeutlicht, dass die Wiederholung als Wiedergewinn von Ursprünglichkeit etwas anderes ist als eine begrifflich konstruierte oder poetisch inszenierte Wiederholung. Auch in Stifters Nachsommer wird das Problem der Wiederholung anhand zweier modellhafter Handlungsverläufe thematisiert (›der Wege sind verschiedene‹), deren Hauptfiguren ein wenig an Kierkegaards Constantin Constantius und den jungen Mann erinnern können, wobei die Rollen dann vertauscht sind: Der Roman folgt zum einen der eigenartig kontinuierlichen Bildungsgeschichte eines jungen Mannes, der erst ganz am Ende, im letzten Kapitel des dritten Teils, namentlich identifiziert wird (Heinrich Drendorf) und der um der im Roman herrschenden Atmosphäre der Anonymität und Allgemeinheit willen hier weiterhin als junger Mensch oder junger Mann bezeichnet wird; zum anderen wird darin die entsagungsreiche Geschichte eines väterlichen Freundes mitgeteilt, die Merkmale einer Hiobsiade hat. Zunächst zur Geschichte des jungen Mannes, die den größten Teil des Romans einnimmt. In seiner Jugend darf sich dieser auf der Suche nach der eigenen Bestimmung allgemein wissenschaftlich bilden, entsprechend der unbestimmt gehaltenen Vorhersage seines Vaters: »ich müßte einmal ein Beschreiber der Dinge werden, oder ein Künstler, welcher aus Stoffen Gegenstände fertigt, an denen er so Antheil nimmt, oder wenigstens ein Gelehrter, der die Merkmale und Beschaffenheiten der Sachen erforscht.«67 Und so beschreibt und zeichnet er denn nach und nach Steine, Pflanzen und Tiere, die Erde, den Himmel und das Wetter, wobei er weniger an die etablierte wissenschaftliche Systematik anknüpft als alternative Ordnungen entwirft. Auf einer seiner Wanderungen im Gebirge führt ein vermeintlich unmittelbar bevorstehen66 GW 5, 22 (SKS 4, 26): »indem ich nach Hamanns Beispiel ›mit mancherlei Zungen mich ausdrücke, und die Sprache der Sophisten, der Wortspiele, der Creter und Araber, Weißen und Mohren und Creolen rede, Critik, Mythologie, Rebus und Grundsätze durcheinanderschwätze, und bald ϰατ’ ανϑρωπον bald ϰατ’ εξοχην argumentiere‹«. 67 HKG 4/1, 30. 144
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des Gewitter den hinsichtlich seiner Beobachtungsgabe durchaus selbstbewussten jungen Menschen zu der arkadisch-paradiesisch anmutenden Anlage des Rosenhauses, dessen Eigentümer, der Gastfreund, die Vorhersage des Gewitters korrigiert und sich dabei auf unabsichtlich gemachte Beobachtungen der Natur und daraus gezogene Schlüsse beruft. So heißt es über die das Ausbleiben des Gewitters anzeigenden Naturphänomene: »Ich habe diesen Zusammenhang nicht ergründet, […] noch weniger den Ausdruck dafür gefunden; beides dürfte in dieser Allgemeinheit wohl sehr schwer sein; aber ich habe zufällig einige Beobachtungen gemacht, habe sie dann absichtlich wiederholt, und daraus Erfahrungen gesammelt, und Ergebnisse zusammen gestellt, die eine Voraussage mit fast völliger Gewißheit möglich machen.«68 Diese Haltung der Geduld und Unvoreingenommenheit erläutert der Gastfreund dem jungen Menschen dann so: »Viele Menschen, welche gewohnt sind, sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten diese Dinge für klein; aber bei Gott ist es nicht so; das ist nicht groß, an dem wir vielmal unsern Maßstab umlegen können, und das ist nicht klein, wofür wir keinen Maßstab mehr haben. Das sehen wir daraus, weil er alles mit gleicher Sorgfalt behandelt.«69 Und angesichts der den jungen Menschen verwirrenden Gegensätzlichkeit von städtischer Geschäftigkeit und Beschaulichkeit des Rosenhauses führt er das später weiter aus: Weil die Menschen nur ein Einziges wollen und preisen, weil sie, um sich zu sättigen, sich in das Einseitige stürzen, machen sie sich unglücklich. Wenn wir nur in uns selber in Ordnung wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben. Aber wenn ein Übermaß von Wünschen und Begehrungen in uns ist, so hören wir nur diese immer an, und vermögen nicht die Unschuld der Dinge außer uns zu fassen. Leider heißen wir sie wichtig, wenn sie Gegenstände unserer Leidenschaften sind, und unwichtig, wenn sie zu diesen in keinen Beziehungen stehen, während es doch oft umgekehrt sein kann.70 Um die Ordnung im eigenen Inneren und im Verhältnis zwischen dem Inneren und den Dingen herzustellen, wendet sich der junge Mensch neben der Wissenschaft der Kunst, und zwar vor allem der bildenden 68 HKG 4/1, 120. 69 HKG 4/1, 122. 70 HKG 4/1, 217$f. 145
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Kunst zu (wie für Stifters Roman der Gesichtssinn überhaupt die dominierende Sinneswahrnehmung ist). Der Besuch einer Theatervorstellung von Shakespeares König Lear wirkt dagegen als abschreckendes Beispiel für Maßlosigkeit nach: Die Überreizung der Einbildungskraft und die fatale Ungeduld in der Dramenhandlung erschüttern den jungen Mann wie auch das von ihm erblickte Mädchen, das später seine Frau werden wird (wie anders dagegen der passionierte Theatergänger Constantin Constantius). Nicht das gesellschaftliche Spektakel, sondern die einsame Begegnung mit einer von Gewitterblitzen erleuchteten Marmorstatue im Haus des Gastfreundes wird für den jungen Mann bei Stifter zum ästhetischen Erweckungserlebnis. Die durch das Kunstwerk eröffnete Sichtweise bedarf jedoch der beständigen Einübung, wie zum Beispiel in den weit weniger dramatischen Bildbetrachtungen der Hausgemeinschaft: »Man wiederholte vielleicht oft gesagte Worte, man zeigte sich Manches, das man schon oft gesehen hatte, und machte sich auf Dinge aufmerksam, die man ohnehin kannte. So wiederholte man den Genuß, und verlebte sich in das Kunstwerk.«71 Die Entwicklungsgeschichte des so gebildeten jungen Mannes erreicht beim Wiedererkennen der zuvor mehrfach aus der Distanz bemerkten und doch verkannten Geliebten einen Höhepunkt. Die ganze Welt scheint in diesem Augenblick verklärt: Wie hatte seit einigen Augenblicken alles sich um mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Gestalt gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Nataliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne, gesehen hatte. Das unermüdlich fließende Wasser die Alabasterschale der Marmor waren verjüngt; die weißen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüssigkeit rann plätscherte oder pippte oder tönte im einzelnen Falle anders; das sonnenglänzende Grün von draußen sah als ein neues freundlich herein, und selbst das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauses herabschlug, tönte jezt als ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hause gegangen war.72 71 HKG 4/2, 123$f. 72 HKG 4/2, 262. Vgl. anlässlich der von den Eltern gutgeheißenen Verbindung HKG 4/3, 71: »Alles, die Wolken die Sterne die Bäume die Felder schwebten in einem Glanze, und selbst die Personen ihrer [Nataliens] Mutter und ihres alten Freundes waren verklärter.« 146
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Es ist bezeichnend für Stifters Nachsommer, dass die Handlung mit diesem Höhepunkt keineswegs endet oder äußerliche Hemmnisse einer Verbindung der Liebenden entgegenstehen, sondern die Bildungs- und Entwicklungsgeschichte der Protagonisten stetig fortgesetzt wird. Diese Bildung zielt auf eine alle persönlichen Präferenzen übersteigende, von Geduld, Anteilnahme und Liebe bestimmte Gesinnung und Haltung, deren Ausdrucksformen von der Anbetung des Unbedingten über die verhältnismäßige Liebe innerhalb der Sphäre der Sittlichkeit bis zur bloßen Liebhaberei reichen (und aus der nur die vermeintlich ›edlen Leidenschaften‹ als Quelle der Einseitigkeit ausgeschlossen werden).73 Der Optimismus, der diese so überdeutlich harmonische und kontinuierliche, auf produktiven Wiederholungen basierende Bildungsgeschichte bestimmt, kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Gastfreund anlässlich eines Gesprächs über die Möglichkeit des Verfehlens der eigenen Bestimmung diese Möglichkeit nur unter der Voraussetzung eines grundsätzlich positiv ausgerichteten Menschenbildes erörtert. In der Frage nach dem Erfüllen oder Verfehlen der eigenen Bestimmung zeigt sich nämlich laut dem Gastfreund »die Freiheit der Seele, die ihre Anlage einem Gegenstande zuwenden kann oder sich von ihm fern halten, die ihr Paradies sehen, sich von ihm abwenden und dann trauern kann, daß sie sich von ihm abgewendet hat, oder die endlich in das Paradies eingeht, und sich glücklich fühlt, daß sie eingegangen ist.«74 Dieser Optimismus ist nun gerade beim väterlichen Gastfreund, dem Freiherrn von Risach, nicht selbstverständlich, dessen spät, nachträglich, im Roman mitgeteilte Lebensgeschichte von Brüchen und Entsagungen, Diskontinuität und Resignation, gekennzeichnet ist. So verhinderten die Umstände, dass er seine künstlerischen Anlagen entfalten konnte. Eine alternativ ergriffene politische Karriere beendete er selbst (wie sollte sich auch jemand im politischen System behaupten können, der seine Aufmerksamkeit nicht auf einen vorgegebenen Zweck richtet, sondern auf das, »was die Dinge nur für sich forderten, und was ihrer Wesenheit gemäß war, damit sie das wieder werden, was sie waren, und das, was ihnen genommen wurde, erhalten, ohne welchem sie nicht sein können, was sie sind«).75 Die gravierendste Entsagung betrifft das junge Mädchen, dem der verwaiste und notdürftig 73 HKG 4/3, 63. 74 HKG 4/3, 60. 75 HKG 4/3, 145. 147
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als Hauslehrer untergekommene Risach einst seine Liebe gestanden hatte (während der Bruder des Mädchens bezeichnenderweise unreife Äpfel sammelt). Dass dieser Sündenfall und seine Folgen verwunden werden können, liegt an der für Stifters Roman titelgebenden Wiederholung, dem Nachsommer, den die Entsagenden nach Irrungen und Wirrungen am Ende ihres Lebens als andere Art von Glück erfahren: Die »gewitterartige[$]« Liebe als Passion hat sich in eine Liebe verwandelt, die »als stille durchaus aufrichtige süsse Freundschaft auftritt, die über alles Lob und über allen Tadel erhaben ist, und die vielleicht das Spiegelklarste ist, was menschliche Verhältnisse aufzuweisen haben.«76 Und diese sublimierende Wiederholung wird mit dem Ritual der gemeinschaftlichen Betrachtung der Rosenblüte gefeiert. So führen beide Handlungsstränge in Stifters Roman, die kontinuierliche Entwicklung des jungen Mannes wie die diskontinuierliche des Gastfreunds, zum Optimismus im Hinblick auf Möglichkeit und Bedeutung der Wiederholung. Von diesem Optimismus sind auch die kulturellen Aktivitäten des Rosenhauses getragen. In einer als Übergangszeit empfundenen Gegenwart, die die revolutionären Vereinseitigungen der Vergangenheit überwinden könnte, ohne doch die zukünftigen Entwicklungen und vor allem den sich abzeichnenden Einfluss der Naturwissenschaften schon einschätzen zu können, in dieser Übergangzeit soll durch ein umfassendes Wiederherstellungsprogramm die Möglichkeit der Vervollkommnung gewahrt werden. Das Sinnbild dieser Wiederherstellung, die sich von der Neuschöpfung wie von der Nachahmung unterscheidet und der es um die Weiterführung von Anfängen (das ›Wiederbeleben‹) geht, ist der Kerberger Altar.77 Die Darstellung der Wiederholung als Wiederherstellung geschieht bei Stifter mittels einer Poetik der Ruhe und Eigentlichkeit. Die eigentliche Rede wird ausdrücklich gegenüber dem Gebrauch von Redensarten oder gesellschaftlichen Floskeln gewürdigt,78 ebenso die Zurückhaltung gegenüber der »Sprechlust«.79 Mit Vorsicht wird besonders 76 HKG 4/3, 223. Vgl. das vom jungen Mann unabsichtlich mitgehörte Gespräch zwischen Mathilde und dem Freiherrn von Risach, HKG 4/2, 121: »›Wie diese Rosen abgeblüht sind, so ist unser Glück abgeblüht.‹ [/] Ihr antwortete die Stimme meines Gastfreundes, welche sagte: ›Es ist nicht abgeblüht, es hat nur eine andere Gestalt.‹« 77 HKG 4/1, 283-286; vgl. HKG 4/1, 110-112. Vgl. zum Zusammenhang von Kunst und Religion HKG 4/2, 143-146; zur Bildung des Schönen HKG 4/3, 57-69. 78 HKG 4/1, 175 bzw. HKG 4/1, 188$f. 79 HKG 4/3, 232. 148
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die »wissenschaftliche Necksprache«80 und die Redeweise der zeitgenössischen Philosophie betrachtet, an die der Maßstab der gewöhnlichen Sprache und des gemeinen Menschenverstands angelegt wird.81 Die fatalen Folgen unzeitiger und uneigentlicher Rede werden ja durch die tragisch beendete erste Liebe zwischen Risach und Mathilde mit ihrer erzwungenen Geheimniskrämerei und dem vermeintlichen Verrat illustriert. Die Klarheit und Deutlichkeit der Erzählkonstruktion beruht nicht zuletzt auf der Einstimmigkeit, die so konsequent beibehalten wird, dass der Erzähler sogar seine Briefwechsel nur referiert und nicht zitiert. Vor dem Hintergrund dieser kurzen Interpretationen lässt sich wohl festhalten, dass Kierkegaards Wiederholung und Stifters Nachsommer im Hinblick auf das Problem der Wiederholung und dessen Darstellung genau gegensätzliche Positionen repräsentieren. Während bei Kierkegaard aus ironisch-pessimistischer Perspektive (Constantin Constantius) lebensgeschichtliche Brüche und deren mögliche Heilung (der junge Mann) problematisiert werden, ist eine solche Heilung aus der von Stifter dargestellten heiter-optimistischen Perspektive nicht nötig, da sie entweder gar nicht erst auftreten (der junge Mensch) oder aber verheilt scheinen (der Gastfreund). Bei Kierkegaard verdeutlicht das Unglück der ausbleibenden Wiederholung die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, die mit ästhetischen Mitteln vergegenwärtigt, aber nicht aufgehoben werden kann und die so auf eine religiöse Erlösung verweist. Bei Stifter führt die durch wissenschaftliche und künstlerische Bildung geförderte Haltung der Geduld und Gelassenheit zur Mitwirkung an einem umfassenden kulturellen Wiederherstellungsprogramm, das auf die allmähliche Vervollkommnung von Mensch und Welt abzielt. In Anspielung auf das Gewittermotiv lässt sich das so zusammenfassen: Bei Kierkegaard zählt das erlösende Gewitter, Stifter akzentuiert (mit dem zur Naturbeobachtung anhaltenden ausbleibenden Gewitter, mit den ästhetisches Erleben initiierenden Gewitterblitzen, selbst mit der Metapher von gewitterartiger Passion und spiegelklarer Liebe) das Warten, mit den Worten des Gastfreundes aus dem Rosenhaus, »und es wird hier wie überall gut sein: Ergebung Vertrauen Warten«.82
80 HKG 4/1, 219. 81 HKG 4/2, 240. 82 HKG 4/2, 146. 149
IV . NIETZSCHES NEIGUNG ZUR VERKLÄRUNG
Der Vergleich von Kierkegaard und Stifter nimmt sich so seltsam aus, weil sie in nahezu allen Belangen gegensätzlich sind, was ja die Analyse der Wiederholungskonzepte in Kierkegaards Wiederholung und Stifters Nachsommer bestätigt – und ebendeshalb werden so die Konzepte von erlösender und verklärender Wiederholung deutlich erkennbar. Dass Stifters Nachsommer als eine auf Vervollkommnung und Vollkommenheit und nicht auf Fall und Erlösung ausgerichtete Vater-und-Sohn-Geschichte Nietzsche fasziniert, ist in Anbetracht von dessen fundamentaler Kritik an einer religiösen und insbesondere kreuzestheologischen Abwertung der Welt sehr verständlich. Das bedeutet nicht, dass Stifters Roman ein alternatives religiöses (verklärungstheologisches) Programm unterstellt wird. Entscheidend sind auch nicht direkte Bezugnahmen auf die biblische Verklärungsgeschichte, die sich in Stifters Werken durchaus finden, oder indirekte Bezugnahmen, wie sie vor allem durch den auffälligen Einsatz der Farbsymbolik des Weißen einschließlich seiner biblischen Konnotationen erfolgen. Wie vertraut Stifter mit der biblischen Verklärungsgeschichte war, lässt schon der Umstand erahnen, dass er während seiner Schulzeit in Kremsmünster das monumentale Altargemälde der Verklärung Christi von Johann Andreas Wolff vor Augen hatte (Abb."14).83 Entscheidend für die Verbindung von Stifters Nachsommer mit dem Thema der Verklärung ist die Struktur des Romans: die Wiederholung zum Zwecke der Wiederherstellung. Wenn nach einer entsprechenden Theologie gesucht würde, könnte man dem Hinweis von Clemens Heselhaus folgen, der die Wiederherstellung als Leitidee des 19.#Jahrhunderts anhand von Stifters Nachsommer erläutert84 und eine verwandte Konzeption bei Franz von Baader gefunden hat.85 Baaders 83 Rudolf Preimesberger (Zu Andreas Wolfs Hochaltarbild der Stiftskirche von Kremsmünster) hat gezeigt, wie in diesem Altar durch die Beziehungen, die zwischen Wolffs (oder Wolfs) Gemälde und der Apsis, der Gestik der benachbarten Engelsfiguren und dem Tabernakel bestehen, das die Kirchenarchitektur bestimmende theologische Programm zusammenfassend symbolisiert ist. 84 Clemens Heselhaus: Wiederherstellung, S."54-60; zusammenfassend S."73: »Diese drei Quellen: die Entwertung des Zeit- und Epochenbewußtseins, das Hinausgewiesensein auf die christliche Heilsverwirklichung jenseits dieser entwerteten Zeit und die Anschauung vom Leben und von der Geschichte als eines Kreislaufes, worin ein christlich-mystisches Gnadenmoment eingesenkt ist, entsprechen genau den drei Formen der Wiederherstellung, die ich bei Stifter zu erkennen glaube, der Restauratio als Aufholung des Zeitverfalls, der Restitutio als Wiedererhöhung der gefallenen Natur, der Regeneratio als Geheimnis des steten Neubeginns.« 85 Ebd., S."74-77. 150
Abb. 14: Hochaltar der Stiftskirche Kremsmünster mit Johann Andreas Wolffs Verklärung Christi (1712)
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philosophische Theologie empfiehlt sich in der Tat als theologisches Pendant zu Stifters Roman, weil Baader die auf Sündenfall und Erlösung fokussierte Heilsgeschichte umgewichtet, insofern die Menschwerdung Gottes auch unabhängig vom Sündenfall zur Verklärung des Kosmos geschieht, zu welcher der Mensch mit berufen ist. Die Mitwirkung des Menschen an der Verklärung der Welt beschreibt Baader in seinen Sätzen aus der Bildungs- oder Begründungslehre des Lebens (1820) so: Nicht nur der Mensch ist folglich schon in seinem Erdenleben des theilweisen Erhobenwerden in die ihm höhere (göttliche) Natur oder Region fähig, und ihrer bedürftig, nicht nur sind es durch ihn andre, sich mit ihm in Rapport setzende, Menschen; sondern selbst die Naturen unter ihm sind einer ähnlichen ihrer Urnatur entsprechenden Verklärung durch ihn fähig. Und wenn diese Zeit schon nur der Winter der Ewigkeit ist, so vermag doch der Mensch gleich einem verständigen Gärtner auch mitten in diesem eisigen Winter, wenigst einzelne, wenn auch nur flüchtige und schnell sich wieder schließende Blüthen der Ewigkeit hervorzurufen, jenen Paradieszustand der Natur hiemit, wenn auch nur unvollkommen, außer sich anticipirend, den er bereits in sich bleibender anticipirte.86 Diese Beschreibung ließe sich leicht auf Stifters Nachsommer und das Rosenhaus als irdisches und künstliches Paradies beziehen – dessen Angehörigen allerdings gerade die philosophische Spekulation suspekt ist (»wissenschaftliche Necksprache«). Nietzsches Wertschätzung beruht jedenfalls auf der ästhetischen Eigenart von Stifters Roman und nicht auf irgendwelchen darin enthaltenen philosophischen oder theologischen Programmen. Der Wegweiser für die Zukunft, von dem Nietzsche in jenem Aphorismus aus Menschliches, Allzumenschliches spricht, der seine späten Andeutungen zu Goethe und Stifter vorwegzunehmen scheint, dieser Wegweiser ist eben nicht der Philosoph oder der Theologe, sondern der Dichter. An dieser Stelle soll noch einmal von neuem bei Nietzsches Aufzeichnung über die »verklärt-reine Herbstlichkeit« von Goethes Novelle und Stifters Nachsommer angesetzt werden. Zu jenem Diskurs über den Spätstil, der mit Thomas Manns Essay über den alten Fontane (1910) und Simmels Rembrandt-Buch (1916) einsetzt, gehören 86 Franz von Baader: Sätze aus der Bildungs- oder Begründungslehre des Lebens, S."26 (Satz 41). 152
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nämlich auch Beiträge, die direkt auf Nietzsches Aufzeichnung Bezug nehmen oder sich doch leicht zu dieser in Beziehung setzen lassen – und andere Aspekte als Nietzsche hervorheben. In seinem Aufsatz »Spätstil Beethovens« (1937) kehrt Adorno die gewöhnliche Ansicht, wonach im Spätwerk ein sich über alle Konventionen hinwegsetzender Subjektivismus zum Ausdruck komme, dadurch um, dass er gerade die Bedeutung der Konvention betont. Als literarische Beispiele für das spätstiltypische Verhältnis von künstlerischer Subjektivität und Konvention verweist Adorno beiläufig auf den alten Goethe und den alten Stifter, wobei er dies später nur mit Bezug auf Goethe durch Hinweis auf den ›Stoffüberschuss‹ in Faust II und den Wanderjahren ein wenig konkretisiert.87 Für Adornos Interpretation ist das veränderte Verhältnis von Subjektivität und Konvention von entscheidender Bedeutung, weil sich darin die Selbstüberwindung eines die Konvention wie den Konventionsbruch als Mittel beherrschenden Subjekts vollzieht, die Selbstüberwindung, die einen Vorschein realer, über die Trennung von künstlerischem Freiraum und Wirklichkeitszwängen hinausführender Erlösung vermittelt. Thomas Mann greift diese sakralisierende Interpretation von Beethovens Spätstil bekanntlich ein Jahrzehnt später im Doktor Faustus humoristisch auf. Während Adorno unter dem Gesichtspunkt des Spätstils an Goethe und Stifter also allein ein formales Merkmal interessiert, konzentriert sich Gottfried Benn in seiner Rede »Altern als Problem für Künstler« (1954) allein auf den Inhalt. Benns Rede, die bereits auf einen elaborierten Spätstil-Diskurs reagiert, erklärt das Altern zur Bewährungsprobe für die Selbstbehauptung des künstlerischen Subjekts (im Gegensatz zur erlösenden Selbstaufhebung bei Adorno). Nur wenn das künstlerische Individuum von gesellschaftlichen Rücksichten frei und sich selbst gegenüber ehrlich bleibt, das heißt ›idealistischen‹ Sinngebungen widersteht (wie sie als »ein spezifischer deutsch-idealistischer Drang«88 schon im Spätstil-Begriff impliziert sind, weil er die Lebensgeschichte des Künstlers als sinnvolle Entwicklung erscheinen lässt), kann es ›absolute‹ Kunst schaffen, die als Kunst die Alltagswirklichkeit transzendiert. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation betrachtet Benn dann als repräsentative Alterswerke Goethes Novelle und Faust II (wohlgemerkt nur im Hinblick auf den Inhalt) – und kann in diesen
87 Theodor#W. Adorno: Spätstil Beethovens, S."14 bzw. S."16. 88 Gottfried Benn: Altern als Problem für Künstler, S."133. 153
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Werken nur eine überkommene idealistische Weltsicht oder phantasierende Weltflucht erkennen. Nimm sie noch einmal vor, die berühmtesten Alterswerke – wes Zeichens sind sie? Zum Beispiel die »Novelle«: Eine Menagerie fängt Feuer, die Buden brennen ab, die Tiger brechen aus, die Löwen sind los, und alles verläuft harmonisch – nein, diese Erde ist abgebrannt, von Blitzen enthäutet, heute beißen die Tiger. Oder wie ist es mit diesem zweiten Teil des Faust? Sicher das geheimnisvollste Geschenk Deutschlands an die Völker der Erde, aber alle diese Chöre, Greifen, Lamien, Pulcinellen, Imsen, Kraniche und Empusen, alles summt und brummelt vor sich hin und flötet in die Elfenkreise und Sternenkränze und selige Knaben. Wo kommt das alles eigentlich her, das schwebt doch völlig im Imaginären, das ist ja Tischrücken, Telepathie, Schrulligkeiten, da steht Einer auf einem Balkon, irreal und unbeweglich, und bläst hell oder dunkel gefärbte Seifenblasen, immer neue Tonpfeifen und Strohhalme zaubert er hervor, die bunten Kugeln abzublasen – ein großartiger Balkongott, Antike und Barock noch implantiert, Wunder und Geheimnisse um seine Schöße, aber heute sieht man doch nur noch hin mit etwas Feuchtigkeit im Auge. Des Zeichens sind sie.89 In einer aphoristischen Notiz mit dem Titel »Eine Kammfirma« hatte Benn bereits 1944 gegen den zeitgenössischen literarischen Betrieb polemisiert, in dem klassische und moderne Werke als Erbauungsliteratur vermarktet werden, um eine diffuse religiöse Stimmung zu erzeugen. Als Bibel dieser Kunstreligion gilt Goethes Novelle, doch auch Stifter gehört zu den kanonischen Autoren. Offensichtlich bereitet es Benn Vergnügen, diese weihevolle Haltung der Kunst gegenüber zu parodieren und zu profanieren: Hofmannsthal kämmt sich mit Heimann über einen Kamm, wenn er ihn beifällig zitiert: »Ein Mann, der mit 35 stirbt, ist auf jedem Punkt seines Lebens ein Mann, der mit 35 stirbt. Das ist das, was Goethe die Entelechie nannte.« Ja, diese Kammfirma heißt historisch-publizistisch »Novellen«goethe und wird heute vertreten von gewissen modernen Verlagen und gewissen modernen literarischen Preisträgern, größere Einlagen hatte man von Stifter bezogen. Die Firma signiert: Alles ist Eins und Alles west im Allgemeinen, und 89 Ebd., S."145. 154
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wenn ich eine Tomate auf mein Schmalzbrot schneide – nein, diese ewige purpurne Fülle, dies letztlich Schöne –!– und diese Tomate ist gar keine Tomate, sondern ein Granatenes, so ründet sich Alles und der größte Gott fährt immer im Kreise. […] Man muss Alles recht deuten, dann verwischen sich die den Deutschen so lästigen Konturen, man muss nur recht schauen, dann kommen die Zusammenhänge, nämlich die Zusammenhänge des bürgerlichen Alls, von dem man in der Tat sagen kann, es west Alles in Allem: die Tomate in der Schmalzstulle und der Registrator in der Klapperschlange. Aber außerhalb der Kammfirma führt das zu nichts, höchstens zu gewissen Grundgefühlen in der Dämmerstunde.90 Benns Notiz lässt sich als Gegenstück zu Nietzsches Aufzeichnung über Goethe und Stifter verstehen, insofern Nietzsches Andeutungen zu einer Ästhetik des Maßes und der Reife eine marktorientierte Ästhetik entgegengehalten wird: Goethes Novelle und Stifter als Paradigmen einer kitschigen Erbauungsliteratur, die bürgerliche Sinnbedürfnisse befriedigen soll, indem sie in prätentiöser Sprache das große Ganze vorspiegelt. Der Verdacht, dass eine verklärende, idealisierende Kunst nur die kitschige und ideologische Beschönigung der dürftigen Realität ist, begleitet die ästhetische Anwendung des Verklärungsbegriffs immer schon, dieser Verdacht wird aber besonders laut gegenüber der programmatischen ›Verklärung der Wirklichkeit‹ und des dazu eingesetzten Humors im Realismus, mit der inflationären Verwendung des Verklärungsbegriffs in der Literatur der Jahrhundertwende scheint sich dieser Verdacht dann erst recht zu bewahrheiten – auf beide Entwicklungen wird hier in späteren Kapiteln noch eingegangen, sie gehören zum literaturgeschichtlichen Hintergrund von Benns Polemik. Was Nietzsches Aufzeichnung und den angedeuteten Diskurs über den Spätstil betrifft, so ist festzuhalten, dass Nietzsche an Goethes und Stifters späten Werken das Moment der Milde hervorhebt, während dieselben Werke für Adorno und Benn formale oder inhaltliche Extreme exemplifizieren. Und noch ein drittes Mal ist bei Nietzsches Interesse an Stifters Nachsommer anzusetzen, denn neben den Aspekten der Wiederholung und des Spätstils lässt sich noch eine weitere Verbindung zum Thema der Verklärung feststellen. Nietzsche hat nämlich nicht nur Stifters Roman gelesen, sondern auch dessen Briefe aus der Zeit der Entstehung und Veröffentlichung des Romans, wie Ernst Bertram ebenfalls schon 90 Gottfried Benn: Eine Kammfirma. 155
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früh anhand von Lektürespuren in Nietzsches Exemplar des entsprechenden Bandes der (von Johannes Aprent besorgten) Ausgabe der Briefe gezeigt hat. Darin hat Nietzsche unter anderem Stifters Brief vom 12.#Juni 1856 an seinen Verleger und Freund Gustav Heckenast markiert, in dem Stifter dem um seine verstorbene Frau Trauernden Trost zuspricht.91 Stifter verweist zunächst darauf, dass der Schmerz auf eine Persönlichkeit wie die seines Briefpartners eine ›verklärende‹, das heißt vergeistigende und erhebende Wirkung haben kann: »Bei wem der Schmerz so geistig und so sittlich ist, der wird durch ihn verklärt, und wird ein größerer Mensch – ja der Schmerz selber wird ihm endlich ein Kleinod, das er kaum missen möchte.«92 Dann weist Stifter darauf hin, dass das Bild der Verstorbenen, Verklärten, auf den Überlebenden ja durchaus real fortwirken kann. Der physische Umgang ist nun eben ersetzt durch einen spirituellen Umgang (der bezeichnenderweise mit einer nachsommerlichen Atmosphäre verglichen wird): einen Umgang, dessen Schmerz milder, dessen Glück aber immer dauernder wird, wie ein Nachsommer, in welchem die Gewitter und die Hitze aufgehört haben, aber eine milde Wärme und zarte Durchsichtigkeit alle Gegenstände rein und ruhig vor uns hinstellt, abgeklärt und vorbereitet, daß einmal der nahe Winter sie in seine Hülle aufnehme, was für uns den Tod und das Weggehen von dieser Erde bedeuten mag.93 Schließlich antwortet Stifter auf die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele und dem Wiedersehen nach dem Tode, und zwar mit dem Verweis auf ein allgemein menschliches, philosophischen wie religiösen Lehren zugrundeliegendes Grundvertrauen: »aber was auch sein möge hinter jener Grenze, die unsere Augen schließt: es ist das Beste, Herrlichste und Weiseste, dessen dürfen wir gewiß sein, das lehrt das Stück Leben, welches wir Diesseits nennen, hinreichend, unsere Vernunft kann es nicht anders vorstellen, und Gott wäre nicht Gott,
91 Ernst Bertram: Nietzsche die Briefe Adalbert Stifters lesend (1925), S."15; mit Bezug auf Adalbert Stifter: Briefe, Bd."2, S."118-126. Vgl. Hermann Augustin: Adalbert Stifter und das christliche Weltbild, S."303-309. 92 Adalbert Stifter: Briefe, Bd."2, S."119. Stifters Trostspruch ähnelt verdächtig Nietzsches Rechtfertigung des ›großen Schmerzes‹ im Hinblick auf die philosophische ›Kunst der Transfiguration‹ (in der Vorrede zur Neuausgabe der Fröhlichen Wissenschaft). 93 Ebd., S."122. 156
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wenn es anders wäre.«94 Nach diesem dreifachen Trostversuch kommt Stifter am Ende des Briefes kurz auf den Titel seiner ›NachsommerErzählung‹ und das Fortleben des eigenen Werkes zu sprechen, so dass selbst in diesem einfühlsamen Brief über Schmerz, Tod und Verklärung ein Gedanke aufkommt an die Selbstverewigung des Genies durch das eigene Werk.
94 Ebd., S."123$f.; vgl. S."124: »Lassen Sie den eben ausgesprochenen Gedanken, den die Christen Gottergebung nennen, den die Alten Stoa oder wie immer nannten – da ist er, seit das menschliche Geschlecht da ist – Platz in Ihrem Herzen fassen, lassen Sie seinen Inhalt immer tiefer wirken und klarer werden: dann haben Sie eine Stütze für das ganze Leben, ja für die Ewigkeit, und es gibt nichts, was über Sie hinaus ragte; denn der Gedanke ruht auf Gott, und über Gott ist nichts.« 157
V. Transfiguration in Ost und West
V.1. Heilige Narren und religiös-philosophische Renaissance in Russland
Die zentrale Stellung der Verklärungsidee in den Ostkirchen und von ihnen geprägten Kulturen wurde schon mehrfach betont (gerade im Kontrast zur Marginalisierung im Einflussbereich der Westkirchen), wobei diese Idee einer sich vollziehenden und dabei den Menschen passiv wie aktiv einbeziehenden Verwandlung und Verherrlichung der Welt ebenso mit der gesamten Heilsgeschichte wie mit der Episode der Verklärung Christi verbunden werden kann. Ein in Kunst und Leben in Erscheinung tretender und Aufmerksamkeit erregender Repräsentant dieser Verklärungsidee ist der ›heilige Narr‹, der durch vorgespielte Verrücktheit oder echte Einfalt an einer Umkehr der ›verkehrten Welt‹ und an deren Weihe mitwirkt. Mit Dostojewskijs Der Idiot (1868) soll hier der berühmteste russische Beitrag zu dieser Narrenliteratur berücksichtigt werden,1 zumal er Nietzsche (beziehungsweise seinem Antichrist) bei der Darstellung der Psychologie des Erlösers vor Augen gestanden haben dürfte.2 Im Hinblick auf das Thema der Transfiguration ist an Myschkin, dem Protagonisten von Dostojewskijs Roman, zunächst von Interesse, dass er in einem Bericht über die Scheinhinrichtung eines Bekannten den Schmerz der Todesgewissheit mit einer Vision verbindet, der Verwandlung in die eine Kirche erleuchtenden Strahlen der Sonne,3 die 1 Vgl. z.$B. Jacqueline Leonhardt-Aumüller: »Narren um Christi willen«, S."92-98. 2 Andreas Urs Sommer: Kommentar zu Nietzsches »Der Antichrist«, v.$a. S."21$f., 162-165. 3 Fjodor Dostojewskij: Der Idiot, S."89: »Eine Kirche war dort in der Nähe, und ihr oberer Teil mit der vergoldeten Kuppel leuchtete in der grellen Sonne. Er erinnerte sich, daß er furchtbar hartnäckig diese Kuppel und die sie umleuchtenden Strahlen fixiert hatte; er konnte den Blick nicht von den Strahlen lösen; ihm schien, daß diese Strahlen seine neue Natur wären, daß er in drei Minuten auf irgendeine Weise, irgendwie in sie eingehen würde …« 159
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
von der ostkirchlichen Taborlicht-Mystik inspiriert scheint. Übrigens trägt Myschkin diesen Bericht den drei Töchtern von General Jepantschin vor, deren Wohnung »in der Richtung der Kirche Christi Verklärung«4 liegt. Markanter und origineller als die Verbindung von Tod und Verklärung ist die Koinzidenz von Erhöhung und Erniedrigung, die bei Myschkins epileptischen Anfällen auftritt. Diese Koinzidenz zeigt sich besonders im Rahmen einer Abendgesellschaft (im siebten Kapitel des vierten Teils), in deren Verlauf sich Myschkin anlässlich der Nachricht über die Konversion seines Gönners Pawlitschew zur römisch-katholischen Kirche zu einer Rede über die rettende Kraft des russischen Christentums hinreißen lässt.5 Nachdem der Redner in seiner Begeisterung eine chinesische Vase umgestoßen hat, obwohl die ihm besonders zugetane Generalstochter Aglaja (deren Name ja Glanz verheißt) doch gerade dagegen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte, durchfährt Myschkin ein ›mystisches‹ Erschrecken und Entzücken.6 Der darauf üblicherweise folgende Anfall bleibt zunächst aus, und die Gesellschaft übergeht Myschkins Missgeschick, weshalb dieser seine Rede trotz verschiedener Ablenkungsversuche fortführt, bis ihn, der gerade die Herrlichkeit der Welt rühmt (»aber begegnen wir nicht auf Schritt und Tritt unzähligen herrlich schönen Dingen, die sogar der verlorenste Mensch herrlich schön finden muß?«),7 dann doch ein Anfall ereilt: 4 Ebd., S."22. 5 Vgl. Reinhold Schneider: Das Kreuz im Osten, S."103-110. 6 Dostojewskij: Der Idiot, S."779-802, hier S."792$f.: »Aber wir können nicht umhin, eine seltsame Empfindung zu erwähnen, die im nämlichen Augenblick sich seiner bemächtigte und plötzlich aus dem Gedränge aller anderen unklaren und eigentümlichen Empfindungen hervortrat: Es waren nicht die Scham, nicht der Schrecken, nicht die Plötzlichkeit, die ihn am meisten bestürzten, sondern die eingetretene Prophezeiung! Was eigentlich an diesem Gedanken so bestürzend war, konnte er sich nicht erklären; er fühlte nur, daß er bis ins tiefste Herz getroffen war, und stand reglos da, in einem mystischen Schrecken. Noch ein Augenblick, und alles schien sich vor ihm zu weiten, statt des Entsetzens war Licht und Freude und Entzücken; sein Atem stockte und … aber schon war der Augenblick vorüber. Gott sei Dank, das war es nicht!« Vgl. das fünfte Kapitel des zweiten Teils, in dem Myschkin den mystischen Augenblick durch Verweis auf die Bibel (Apk"10,6) und eine Mohammed-Legende kennzeichnet, S."323341, hier S."328: »[…] in diesem Moment wird mir irgendwie das sonderbare Wort verständlich, ›daß hinfort keine Zeit mehr sein soll‹. Wahrscheinlich […] ist es jene Sekunde, die nicht lang genug war, damit der Wasserkrug des Epileptikers Mahomet auslief, jedoch lang genug, um in der Sekunde sämtliche Wohnungen Allahs in Augenschein zu nehmen.« 7 Ebd., S."801. 160
V . 1 . HEILIGE NARREN UND RELIGIÖS - PHILOSOPHISCHE RENAISSANCE
Er redete im Stehen, schon seit einer Weile. Der alte Herr sah schon erschrocken zu ihm auf. Lisaweta Prokofjewna, die als erste begriff, rief: »Oh, mein Gott!« und schlug die Hände zusammen. Aglaja stürzte sofort auf ihn zu, um ihn rechtzeitig in ihren Armen aufzufangen, und hörte entsetzt, mit schmerzverzerrtem Gesicht, den furchtbaren Schrei des »Geistes, der ihn überfällt und herumreißt«. Der Kranke lag auf dem Teppich, jemand hatte ihm eilig ein Kissen unter den Kopf geschoben.8 Der Erzähler bringt Myschkin durch das Bibel-Zitat mit dem besessenen Knaben in Verbindung, dessen Heilung auf die Verklärung Christi folgt. Die Kombination von mystischer Erhöhung und dämonischer Erniedrigung in Dostojewskijs Darstellung von Myschkins Anfall ähnelt der Verschränkung beider Bibel-Episoden auf Raffaels Gemälde, wobei die biblische Folge der Ereignisse bei Dostojewskij beibehalten wird, während Raffaels Darstellung auch eine Umkehrung zulässt (wie sie ja Nietzsche bei der Deutung des Bildes in der Tragödienschrift vornimmt). Die zur Charakterisierung Myschkins eingesetzten BibelBezüge sind selbstverständlich nicht mit Gleichsetzungen zu verwechseln, der kindliche und kranke Sonderling Myschkin unterscheidet sich vom besessenen Knaben wie vom verklärten Jesus. Dass Myschkin eine vieldeutige Figur bleibt, veranschaulicht auf andere Weise das Verhalten der übrigen Figuren: Einerseits wird der Fürst von seinen Mitmenschen mit verschiedenen Repräsentanten der Idee des ›heiligen Narren‹, mit ›Gottesnarren‹ und dem ›Ritter von der traurigen Gestalt‹, in Verbindung gebracht, andererseits bleiben diese Assoziationen so unverbindlich, dass keiner den sich abzeichnenden Gang der Geschichte aufhält, die zu Myschkins Passion wird, doch auch Merkmale einer tragischen Verstrickung in undurchschaubare Schuldzusammenhänge aufweist und, nicht zu vergessen, auch Züge einer Krankengeschichte.9
8 Ebd. Vgl. Mk"9,20: »Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn hin und her. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund.«; Lk"9,42: »Und da er zu ihm kam, riss ihn der Dämon zu Boden und zerrte ihn hin und her.« 9 Hier könnte ein Vergleich mit Stanisław Lems Roman Das Hospital der Verklärung (verfasst 1948) ansetzen, in dem sich mehr oder weniger deutlich Varianten des Narrentypus sowie seiner psychologischen und religiösen Konzeptualisierung erkennen lassen (welche sich zuletzt gegen politischen Terror bewähren müssen). 161
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
Die Vieldeutigkeit des Narren ist auch das beherrschende Thema eines Romans, der zur Zeit seiner Veröffentlichung als deutsches Pendant zu Dostojewskijs Idiot betrachtet wurde: Der Narr in Christo Emanuel Quint (1910) von Gerhart Hauptmann. In Hauptmanns Roman bietet der Erzähler verschiedene Sichtweisen auf die Lebensgeschichte des Helden, indem er einerseits rationale Erklärungsmöglichkeiten für Quints (Selbst-)Stilisierung zum Messias vorbringt, etwa massenpsychologische Effekte einer übersteigerten Einbildungskraft, die mit religiösen Projektionen die prekäre soziale Situation der Weber kompensiert, und andererseits eine von Äußerlichkeiten unabhängige Glaubensgewissheit anerkennt: »Wer könnte nun mit Gewißheit behaupten, Gott, Christus wäre in diesem leiblichen Irrtum nicht als geistige Wahrheit zugegen gewesen?«10 Die Geschichte wird von dem Erzähler im letzten Jahrzehnt des 19.#Jahrhunderts in Deutschland situiert.11 Der Narr in Christo Emanuel Quint erscheint somit in einer modernen Gesellschaft, für die Industriearbeit und Alpintourismus so selbstverständlich ist wie die gegenkulturelle Lebensreform, deren asketische Repräsentanten als ›Kohlrabi-Apostel‹ verspottet werden.12 Die kritische Distanz des Erzählers gegenüber Quint ist auch in der ungefähr in der Mitte des Romans (im 18. von 30 Kapiteln) mitgeteilten Episode erkennbar, die Quint mit der biblischen Verklärung auf dem Berge verbindet. Nachdem Quint einen Verführungsversuch der für ihn in jeder Hinsicht entflammten Gärtnerstochter Ruth Heidebrand abgewehrt hat (»ihren irdisch-himmlischen Hochzeitsflug«),13 begleitet er das ihm nachgereiste Mädchen zurück in ihr Elternhaus (was ihn dann in verhängnisvoller Weise dem Verdacht der Verführung aussetzen wird). Die sich auf der nächtlichen Wanderung von Quint und Ruth ereignende Verklärung wird vom Erzähler folgendermaßen referiert und interpretiert: 10 Gerhart Hauptmann: Der Narr in Christo Emanuel Quint, S."338. Die Funktion des Erzählers wird bereits in der zeitgenössischen Rezeption, z.$B. von Hermann Stehr, betont. 11 Ebd., S."94. 12 Ebd., S."111: »Das geflügelte Wort, das dem Narren durch Hundegebell entgegenschallte, war aber dies: Kohlrabi-Apostel. Denn etwas von jenem überspannten Unsinn des vegetarischen Lebensprinzips war den Gevattern natürlich geläufig: sowohl denen, die aus Breslau herübergekommen, als jenen, die in der Stadt Dresden ansässig waren. Ganz besonders in dieser Stadt sah man zuweilen Leute in härenen Hemden, barfuß und einen Strick um den Leib, die Haare bis auf die Schulter reichend, durch die Straßen ziehen.« 13 Ebd., S."358. 162
V . 1 . HEILIGE NARREN UND RELIGIÖS - PHILOSOPHISCHE RENAISSANCE
Sie [Ruth Heidebrand] hat bekannt, daß der Sonderling, den sie den Heiland nannte, ihre Hand ergriffen, noch bevor sie das Dorf und den Wagen erreichten und bis dahin, etwa eine Stunde Wegs, nicht mehr freigegeben hat. Sie hat ferner versichert, wie es denn auch der Wahrheit entsprach, sie sei dadurch wie durch einen himmlischen Zauber gestärkt, getröstet, ja mit der Gewißheit eines ewigen himmlischen Glückes erfüllt worden. Sie hat schließlich behauptet, daß der arme Narr verzückt und in einer heiligen Glorie mit Jesus, Moses und Elias geredet habe: trotzdem doch, nach ihrer Meinung, Emanuel selber der Heiland war. Die Ursache ihres Irrtums war diese. Emanuel fing nach einiger Zeit, während er ihre Hand in der seinen hielt, in beinahe hymnischer Weise zu reden an, wobei sie der tiefen, immer heller werdenden Röte des Sonnenaufgangs entgegenpilgerten. Er sprach von der strahlenden Kraft des Gestirns, das mit demselben Glanz und derselben Freude ins Leben trete, als es nach vollbrachtem Tag sich zum Opfer darbringe. Die Sonne wandere, sagte er. Sie ruhe in Gott, aber sie ruhe auf ihrem Wege, geschweige in den Hütten und Häusern der Menschen, nicht aus. Was göttlich sei, sagte er, das wandere. So wandert der Heiland, wandert der Gottessohn, wandert der Menschensohn, über die Welt, wandere ein Jeglicher, der aus dem Geist geboren wäre, unbehaust, ohne bleibende Stätte, ohne Vermögen, ohne Dach, ohne Weib, ohne Kind, ohne auch nur eine Ruhestätte für sein Haupt. Und als die Sonne wirklich heraufgestiegen kam, riß Quint, der verzückt und entrückt, wie es von Kindheit an immer wieder ein Zwang in ihm forderte, niederfiel, auch die kleine Ruth auf die Knie nieder. Nach diesem Vorgang, der den stammelnden und lallenden Quint in dem an ihm bereits bekannten, ausgesprochen krankhaften Zustand zeigte, worin er der exaltierten Ruth als im Gespräch mit Jesus und den Propheten erschien, beruhigte sich sein Wesen zu einer friedlichen Heiterkeit.14 Die durch die Berührung noch verstärkte Wirkung Quints auf Ruth ist so stark, dass sie den vom Erzähler hervorgehobenen Selbstwiderspruch ihrer Vision gar nicht bemerkt, wenn sie Quint-Christus zur biblischen Verklärungsszene hinzuzählt. Der Erzähler erklärt Ruths 14 Ebd., S."360$f. Mit vergleichbaren Lichteffekten erscheint Quint z.$B. im Mondschein vor seiner Gemeinde, S."213. 163
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
Verklärungsvision dann durch das Zusammenwirken äußerlicher und innerlicher Faktoren, des Naturschauspiels der Morgenröte und der Suggestionskraft von Quints religiöser Rede (deren assoziative Anverwandlung biblischer Rede als Inspiration gilt), kulminierend im gemeinsamen ›Lichtgebet‹, wobei der Erzähler auch eine krankhafte Anlage Quints andeutet. Die verschiedenen Erklärungsangebote sollten nicht übersehen lassen, dass der Erzähler keine völlige Erklärbarkeit des Phänomens Quint beansprucht, dass er auch mit Blick auf Quints Leidensgeschichte im Zweifel bleibt, wie es um die Heiligkeit dieses von Täuschungen und Selbsttäuschungen getriebenen Narren letztlich bestellt ist. Dostojewskijs Myschkin illustriert, wie das für das orthodoxe Christentum zentrale Thema der Transfiguration in der Kunst aufgegriffen und zugleich der Eigengesetzlichkeit des Kunstwerks unterstellt werden kann – wobei das religiöse Thema gerade wegen dieser künstlerischen Vermittlung für die westeuropäische Kunst und Philosophie an Anziehungskraft gewonnen haben mag (die möglicherweise auch Hauptmann zur Konzeption seines Quint-Romans angeregt hat). Dass die ostkirchliche Betonung des Transfigurationsthemas auch die philosophische Reflexion beeinflusst, belegt zum Beispiel die sich Ende des 19.#Jahrhunderts in Russland formierende religiös-philosophische Renaissance, zu deren Vertretern Wladimir Solowjew, Nikolaj Berdjajew und Pavel Florenskij zählen (wie im Forschungsbericht schon anlässlich der Untersuchung von Konrad Onasch erwähnt).15 Da Wladimir Solowjew für diese Geistesströmung von grundlegender Bedeutung ist, seien stellvertretend zwei seiner Aufsätze vorgestellt, die der Übersetzer Wladimir Szyłkarski unter der treffenden Überschrift ›Schönheit als Offenbarung der All-Einheit‹ zusammengefasst hat. Unter dem Dostojewskijs Myschkin entlehnten Motto »Die Schönheit wird die Welt retten« nähert sich Solowjew in seinem Aufsatz »Die Schönheit in der Natur« (1889) der Bestimmung idealer Schönheit dadurch an, dass diese die Wirklichkeit verändert und verbessert und nicht bloß beschönigt, dass sie unbedingt wertvoll und nicht vom Nutzwert abhängig ist und dass sie als Verkörperung der Idee von einer Illusion zu unterscheiden ist. Schließlich definiert er Schönheit als »Verwandlung der Materie durch die Verkörperung des anderen, 15 Vgl. z.$B. Ulrich Schmid: Russische Religionsphilosophen des 20.#Jahrhunderts, S."25-36; Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit, Bd."II: Fächer der Stile, S."645-716. 164
V . 1 . HEILIGE NARREN UND RELIGIÖS - PHILOSOPHISCHE RENAISSANCE
des übermateriellen [idealen] Prinzips in ihr«.16 Das Zusammenwirken von Materie und Idee wird genauer bestimmt als Wechselwirkung, gegenseitige Durchdringung oder ›Durchlichtung‹. Diese manifestiert sich nach Solowjew mit zunehmender Perfektion in den Formen der anorganischen und der organischen Natur,17 als deren Ziel die ›positive All-Einheit‹ erkennbar ist, das heißt die Vereinigung von absoluter Freiheit der Teile und absoluter Einheit des Ganzen.18 Insofern die schöne Gestalt eine vollkommenere Verkörperung der Idee darstellt als die hässliche, die allerdings durch und in Schönheit zu verwandeln und nicht einfach zu beseitigen ist, deutet sich der Übergang zur Kunst an, den Solowjew mit seinem Aufsatz »Der allgemeine Sinn der Kunst« (1890) vollzieht. Die in der Kunst bewusst ins Werk gesetzte Schönheit perpetuiert und perfektioniert die in der Natur begonnene Wechselwirkung von Idee und Materie, indem Letztere die Idee nicht nur widerspiegelt, sondern durch die darin real präsente Idee umgestaltet (verklärt) wird. In der Natur sind aber die dunklen Kräfte nur überwunden, und nicht vom allweltlichen Sinn durchdrungen. Dieser Sieg ist oberflächlich und unvollständig, und die Schönheit der Natur ist gerade nur eine Decke, die über das böse Leben geworfen ist, nicht aber eine Umgestaltung dieses Lebens. Eben deshalb muß der Mensch mit seinem vernünftigen Bewußtsein nicht nur Ziel des Natur-Prozesses sein, sondern auch Mittel für die tiefere und vollere Einwirkung des idealen Prinzips auf die Natur.19 16 Wladimir Solowjew: Die Schönheit in der Natur, S."128. 17 Ebd., S."145: »Das schöpferische Prinzip des Weltalls (der Logos), das vom Stoff an seiner Oberfläche als Licht zurückgeworfen wird und das im Innern des Stoffes das Leben entzündet, bildet in der Gestalt tierischer und pflanzlicher Organismen ausgeprägte und stabile Lebensformen, die, allmählich zu immer größerer Vollkommenheit aufsteigend, schließlich als Material und Umwelt für eine wahre Verkörperung der allumfassenden und unteilbaren Idee dienen können.« 18 Ebd., S."132. 19 Wladimir Solowjew: Der allgemeine Sinn der Kunst, S."174. Vgl. S."176: »Um wirklich realisiert zu werden, müssen das Gute und die Wahrheit zu einer schöpferischen Kraft im Subjekt werden, welche die Wirklichkeit umgestaltet und nicht nur widerspiegelt.«; S."178: »Die volle sinnliche Verwirklichung dieser allgemeinen Solidarität oder positiven All-Einheit, diese vollkommene Schönheit, nicht als Widerspiegelung der Idee durch die Materie, sondern als ihre tatsächliche Anwesenheit in dieser, – setzt vor allem die tiefste und engste Wechselwirkung zwischen dem inneren oder geistigen und dem äußeren oder stofflichen Dasein voraus.« Vgl. Solowjew: Die Schönheit in der Natur, S."166$f.: 165
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
Die Aufgabe der Kunst besteht daher in der Vervollständigung und Vervollkommnung der in der Natur verwirklichten Wechselwirkung von Idee und Materie, wobei Solowjew beständig darum bemüht ist, die auf Gleichwertigkeit gründende Wechselwirkung von einer übergriffigen Spiritualisierung oder Naturalisierung zu unterscheiden (Erstere wird beiläufig der Hegel’schen Philosophie zugeschrieben).20 Im Zuge einer genaueren Bestimmung der Aufgabe der Kunst präzisiert Solowjew auch deren Verhältnis zu einer umfassenden Umgestaltung der Welt, an der die Kunst mitwirkt und deren Vollendung in der Kunst vorweggenommen wird – und diese eschatologische Perspektive lässt den Zusammenhang von Kunst und Religion hervortreten. Hieraus folgt eine dreifache Aufgabe der Kunst überhaupt: Erstens die direkte Objektivation jener tiefsten inneren Bestimmungen und Eigenschaften der lebendigen Idee, die nicht von der Natur ausgedrückt werden können; zweitens die Durchgeistigung der natürlichen Schönheit und hierdurch drittens die Verewigung ihrer individuellen Erscheinungen. Das ist die Verwandlung von physischem Leben in geistiges, das erstens sein Wort oder seine Offenbarung in sich selbst hat, fähig ist, sich unmittelbar nach außen auszudrücken; das zweitens imstande ist, Materie innerlich umzuwandeln, zu durchgeistigen oder sich wahrhaft in ihr zu verkörpern, und das drittens frei ist von der Macht des materiellen Prozesses und deshalb ewig besteht. Die vollkommene Verkörperung dieser geistigen Fülle in unserer Wirklichkeit, die Realisierung absoluter Schönheit oder Erschaffung eines allumfassenden geistigen Organismus ist die höchste Aufgabe der Kunst. Es ist klar, daß die Erfüllung dieser Aufgabe mit dem Ende des gesamten Weltprozesses zusammenfallen muß. Solange noch Geschichte dauert, können wir nur partielle und fragmentarische Vorwegnahmen (Antizipationen) der vollkommenen Schönheit haben; indem die gegenwärtig existierenden Künste in ihren größten Schöpfungen einen Schimmer der ewigen Schönheit in unserer fließenden Wirklichkeit erfassen und ihn »Diese Schöpfung ist ein Prozeß, der zwei eng miteinander verbundene Ziele hat, ein allgemeines und ein besonderes. Das allgemeine ist die Verkörperung der realen Idee, das heißt des Lichtes und des Lebens in den verschiedenen Formen der natürlichen Schönheit; das besondere Ziel aber ist die Erschaffung des Menschen, das heißt derjenigen Form, die zugleich mit der größten körperlichen Schönheit auch die höchste innere Potenzierung von Licht und Leben darstellt, welche Selbstbewußtsein heißt.« 20 Solowjew: Der allgemeine Sinn der Kunst, S."179. 166
V . 1 . HEILIGE NARREN UND RELIGIÖS - PHILOSOPHISCHE RENAISSANCE
für uns erhalten und verstärken, nehmen sie die unirdische, für uns heraufgekommene Wirklichkeit vorweg, geben uns ein Vorgefühl von ihr und dienen auf diese Weise als Übergang und Bindeglied zwischen der Schönheit der Natur und der des zukünftigen Lebens. Eine so verstandene Kunst hört auf, leerer Zeitvertreib zu sein, und wird zu einer wichtigen und wahrhaft erbaulichen Angelegenheit, jedoch keineswegs im Sinne einer didaktischen Predigt, sondern nur im Sinne begeisterter Prophetie.21 Die künstlerische Vermittlung zwischen irdischer und überirdischer Schönheit kann auf verschiedene Weise geschehen: durch direkte (magische) oder indirekte (intensivierende) Idealisierung der Wirklichkeit, aber auch ex negativo durch Verschärfung des Kontrasts zwischen Ideal und Leben. Als Beispiel für die letztgenannte Verfahrensweise nennt Solowjew Goethes Faust, weil die in der abschließenden »Bergschluchten«-Szene dargestellte Verklärung mit der vorangehenden Tragödie nur äußerlich verbunden sei.22 Darüber hinaus deutet Solowjew an, dass die Kunst im Zuge ihrer Selbstvervollkommnung von einem positiv oder negativ auf die Idee verweisenden Symbolsystem zu einer praktischen Verklärung des Lebens übergehen wird: »Die endgültige Aufgabe der vollkommenen Kunst ist es, das absolute Ideal nicht nur in der Vorstellung, sondern auch in der Tat selbst zu verwirklichen, – sie muß unser tatsächliches Leben durchgeistigen, verwandeln.«23
21 Ebd., S."181$f.; vgl. die Definition von Kunst, S."183: »jede wahrnehmbare Darstellung irgendeines Gegenstandes und einer Erscheinung im Hinblick auf ihren endgültigen Zustand oder im Lichte der zukünftigen Welt ist ein Kunstwerk«. 22 Ebd., S."188: »Der positive Sinn dieser lyrisch-epischen Tragödie eröffnet sich unmittelbar erst in der letzten Szene des zweiten Teils und wird im abschließenden Chor ›Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis‹ abstrakt zusammengefaßt. Wo aber ist eine direkte organische Verbindung zwischen dieser Apotheose und den übrigen Teilen der Tragödie? Die himmlischen Mächte und ›das ewig Weibliche‹ erscheinen von oben, folglich doch von außen, und enthüllen sich nicht im Innern, aus dem Inhalt selbst. Die Idee der letzten Szene ist im ganzen ›Faust‹ gegenwärtig[,] aber sie wird von der teils realen, teils phantastischen Handlung, aus der die Tragödie selbst besteht, bloß reflektiert. Ebenso wie ein Lichtstrahl zum Genuß des Beschauers in einem Diamanten spielt, jedoch ohne auch nur die geringste Veränderung in der materiellen Grundlage des Steins zu bewirken, so bestrahlt hier das geistige Licht des absoluten Ideals, von der Einbildungskraft des Künstlers gebrochen, die dunkle menschliche Wirklichkeit, verändert aber nicht im geringsten ihr Wesen.« 23 Ebd., S."188$f. 167
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
Solowjew entwirft mit seinen Schriften ein Systemprogramm, das konstitutiv und exemplarisch ist für die russische religiös-philosophische Renaissance und viele andere Vertreter auf die eine oder andere Weise beeinflusst. Die ausgewählten Aufsätze illustrieren, wie Solowjew die Verklärungsidee zu einem System universaler Synthese entfaltet, die über Gegensätze wie den von Natur und Kunst oder Mensch und Gott hinausführt (und übrigens auch eine Wiedervereinigung der christlichen Kirchen einschließt). Wenn aber Mensch und Welt in diesen Prozess der Vervollkommnung und Vollendung eingebunden sind, werden alle geschichtlichen Ereignisse zu Momenten der Entwicklung und als solche gerechtfertigt – einschließlich der Leidensgeschichte Christi und der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Dass die kreuzestheologischen Argumente gegen eine Ausrichtung auf die Herrlichkeit in der Philosophie Solowjews nicht verfangen, macht wiederum verständlich, dass Solowjew Nietzsches Philosophie affirmativ rezipieren kann, indem Nietzsches Übermensch als Ausdruck der Selbsttranszendenz in den umfassenden Prozess der Vergöttlichung des Menschen eingeordnet wird. Der Blick auf Dostojewskij und Solowjew bestätigt, dass sich die für das orthodoxe Christentum zentrale Idee der Metamorphose – erwartungsgemäß – in der davon geprägten Kunst und Philosophie niederschlägt, zugleich wird das Spektrum dieses Niederschlags deutlich: Während Dostojewskij mit Myschkin einen Funken der Verklärungshoffnung in einer dämonisch verfinsterten Welt aufglimmen lässt und die Frage nach der Erlösung offenhält, wird das Böse in Solowjews Systementwurf nur im Hinblick auf seine ästhetische Verwandlung in einem universalen Verklärungsgeschehen betrachtet.
V.2. The American Way: The Transfiguration of Life
Während in der östlichen Hemisphäre ästhetische und philosophische Anverwandlungen der religiösen Verklärungsidee erwartbar sind, mag überraschen, zumal nach der vielfach festgestellten Vernachlässigung im Einflussbereich der Westkirchen, dass diese Idee auch in der westlichen Hemisphäre kulturprägend geworden sein sollte. Der Blick nach Amerika ist daher schon deshalb lohnend, weil er die schematische Gegenüberstellung von östlicher Emphase und westlicher Indifferenz relativiert. 168
V . 2 . THE AMERICAN WAY : THE TRANSFIGURATION OF LIFE
Dass der Transzendentalismus mit der Idee der Transfiguration harmoniert, ist leicht zu verstehen, erfolgt mit dieser geistigen Bewegung doch eine Ablösung vom Puritanismus,24 in deren Folge die Natur weniger im Hinblick auf die Sündhaftigkeit denn im Hinblick auf die Vervollkommnungsfähigkeit betrachtet wird. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint Ralph Waldo Emersons programmatischer Essay »Nature« (1836) wie eine Vorwegnahme von Solowjews Spekulation über die Schönheit in der Natur. Jan Stievermann macht darauf aufmerksam, dass der christliche Transfigurationsterminus bei Emerson als Leitmetapher fungiert, um das eigene poetische Verfahren im Verhältnis zur europäischen Tradition als Verwandlung und Vollendung statt als Bruch oder Nachahmung zu kennzeichnen.25 Diese poetologische Metaphorisierung der Transfiguration kann Merkmale beider christlicher Verklärungsmotive aufgreifen, der finalen Verwandlung der Auferstehung wie der vorübergehenden Verwandlung der Verklärung auf dem Berge. Auf Raffaels Darstellung der Verklärung Christi hat Emerson, der das Gemälde in Rom selbst betrachten konnte, ausdrücklich Bezug genommen.26 Und Emerson hat, wie Larry#J. Reynolds zeigt,27 Raffaels Gemälde sogar als ein Leitbild für die sich in Concord versammelnde Gemeinschaft gewählt – und zwar als strittiges Leitbild, insofern damit Emersons messianischer Führungsanspruch gegenüber den zu Propheten herabgestuften Begleitern signalisiert werden sollte. Zu diesen Begleitern zählte Nathaniel Hawthorne, der mit seiner Frau das alte Pfarrhaus von Concord bewohnt hat, in dem zuvor Emerson gewohnt und seinen Essay »Nature« verfasst hatte, wobei zur Ausstattung des Paares auch eine von Emerson geschenkte Raffael-
24 Vgl. z.$B. Manfred Pütz / Gottfried Krieger: Einleitung, S."40-44, 50. 25 Jan Stievermann: Der Sündenfall der Nachahmung, S."102: »In einer als Auferweckung von den Toten gedachten poetischen Übersetzung der Literaturtraditionen der Alten Welt soll im bezugnehmenden Text ein wahrhaft Neues, Höheres entstehen. Denn mit der christlichen Vorstellung der Auferstehung ist untrennbar die Idee der absoluten novitas, einer apokalyptischen Erneuerung verbunden, bei der die alte, stoffliche Leiblichkeit in eine geistige verwandelt wird.«; vgl. S."484-506. 26 Larry#J. Reynolds: Hawthorne’s Labors in Concord, S."15 bzw. S."32 Anm."15. Ein Beispiel für eine originelle Raffael-Deutung aus Emersons Umfeld bietet William#T. Harris: Notes on Raphael’s »Transfiguration« (1867) – demnach zeigt zum Beispiel die ganze Familie des besessenen Knaben Krankheitsanzeichen. 27 Reynolds: Hawthorne’s Labors in Concord, S."14. 169
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
Reproduktion gehörte.28 Hawthornes essayistischer Bericht über diesen Aufenthalt, »The Old Manse« (1846), ist im Hinblick auf die amerikanische Adaption der Transfigurationsidee erhellend, weil Hawthorne dem Transzendentalismus nahesteht und doch eine gewisse Distanz wahrt. Diese Position lässt sich zum Beispiel in der Darstellung des Concord River erkennen, der zunächst unscheinbar wirkt, dann aber folgendermaßen gerühmt wird: In the light of a calm and golden sunset, it becomes lovely beyond expression […]. Each tree and rock, and every blade of grass, is distinctly imaged, and, however unsightly in reality, assumes ideal beauty in the reflection. The minutest things of earth, and the broad aspect of the firmament, are pictured equally without effort, and with the same felicity of success. All the sky glows downward at our feet; the rich clouds float through the unruffled bosom of the stream, like heavenly thoughts through a peaceful heart. We will not then, malign our river as gross and impure, while it can glorify itself with so adequate a picture of Heaven that broods above it; or, if we remember its tawny hue and the muddiness of its bed, let it be a symbol, that the earthliest human soul has an infinite spiritual capacity, and may contain the better world within its depths. But, indeed, the same lesson might be drawn out of an mud-puddle in the streets of a city – and, being taught us everywhere, it must be true.29 Der Fluss wird zum Spiegel, der im goldenen Licht der untergehenden Sonne die Wirklichkeit eigentümlich klar und schön wiedergibt, gleichgültig, ob es sich um einen Grashalm oder den Sternenhimmel handelt. Wenn solch unmittelbares Erleben der Harmonie von Himmel und Erde, Innerem und Äußerem durch Reflexion unterbrochen wird, bleibt das Erlebnis doch ein Zeichen für die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen, ein Appell zur Besinnung auf die verschüttete Gottebenbildlichkeit des Menschen. Diese Botschaft wird von Hawthorne jedoch nicht mit prophetischem Pathos verkündet, sondern ironisch mitgeteilt, wenn der Umstand, dass sie ebenso einer schlammigen Pfütze in den Straßen der Stadt zu entnehmen sei, als Bestätigung gilt – 28 Ebd., S."16. 29 Nathaniel Hawthorne: The Old Manse, S."5. Vgl. auch das Nachwort (Eine kleine Weile im Garten Eden) von Karl-Heinz Ott zu seiner deutschen Übersetzung. 170
V . 2 . THE AMERICAN WAY : THE TRANSFIGURATION OF LIFE
womit weniger die Botschaft diskreditiert wird denn die gerade in Concord gepflegte Naturschwärmerei. Um die alltagskulturelle Präsenz der Transfigurationsidee im Amerika des 19.#Jahrhunderts zu belegen, sollen im Folgenden einige weniger bekannte Texte aus dem Kreis oder doch geistigen Umfeld der Transzendentalisten herangezogen werden, die aufschlussreich sind, weil sie die Transfiguration mit Bezug auf die Verklärung Christi behandeln und die Bibel-Episode auf die alltägliche Verklärung von Mensch und Welt beziehen. Frederic Henry Hedge, unitarischer Pfarrer und Mitbegründer des ›Transcendental Club‹, veröffentlicht 1838 im Western Messenger eine Predigt über die Verklärung Christi (»The Transfiguration«), in der er diese Episode mit Blick auf die Aneignung der christlichen Botschaft auslegt. Wenn die Verklärung Christi den Jüngern die Herrlichkeit und herrliche Bestimmung ihres Meisters vermitteln sollte, dann lassen sich laut Hedge in der menschlichen Erfahrung Analogien zu diesem Ereignis finden, und zwar jene außerordentlichen Augenblicke, in denen eine geistige Aneignung des Christentums erfolgt und jede fleischliche Einschränkung aufgehoben ist: »All that christianity unfolds is then transfigured before us, and this transfiguration is of Christ, for it is only by and through him who is the informing word that such visions are vouchsafed to us.«30 In solchen Momenten, die eine Intellekt, Gefühl und Willen einschließende Erhebung erfordern, erscheinen die Elemente des Christentums mit anderer Deutlichkeit und Dringlichkeit: das Wissen, insofern die Inhalte der Religion neu, herrlich und lebendig wirken (»illumination which gives not only light, but freshness and splendor and the glow of life to all that it touches«),31 wie das Tun, insofern die Überzeugung zum Handeln drängt, und schließlich das Vertrauen auf die eigene Bestimmung. Hedge resümiert: These then are the elements which make up that spiritual transfiguration of which, like the favored disciples of [the] old, we are sometimes permitted to partake in the course of our earthly service. The great central truths of religion, which are Christ himself speaking to us from his invisible kingdom, and with him Moses and Elias – the law of duty, and prophecies of glory and immortality – all combine to form one radiant image, one und[i]vided impres30 Frederic Henry Hedge: The Transfiguration, S."83. 31 Ebd., S."85. 171
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
sion – all unite to illustrate the glory of God and the destiny of man.32 Der Vorschein göttlicher Herrlichkeit und menschlicher Bestimmung, der die Gläubigen den drei auserwählten Zeugen der Verklärung auf dem Berge angleicht, soll im alltäglichen Leben als Orientierung und Motivation dienen, zu einer entschlossenen und fortschreitenden Heiligung des eigenen Lebens führen. Als weiteres Beispiel sei die Rede »The Transfiguration of Life« von James Freeman Clarke (1810-1888) genannt, die eine gleichnamige, 1909 postum im Verlag der American Unitarian Association erschienene Sammlung seiner Reden beschließt (leider ohne Angaben zum Entstehungskontext der Texte). Clarke, der ebenfalls zum ›Transcendental Club‹ gehörte, deutet die Verklärung Jesu als Vorbild für eine Verwandlung des Leibes, die diesen beseelt und dadurch verschönt, die jedoch nichts Irrationales an sich habe und deren schwächeres Abbild aus dem Alltag vertraut sei: »It was a higher example of what we see every day, the body glorified by the soul.«33 Eine entsprechende Verwandlung zeige sich im Verhältnis von Mensch und Natur, insofern Letztere zu gewissen Zeiten, wie zum Beispiel im Nachsommer, als kosmische Harmonie erfahren wird. There are some spring and October days which are like a concert or oratorio – when earth, air, trees, sunshine, blue sky, grass, are all in the same happy mood, all in tune together, no discord to jar the full harmony. In such days the earth becomes a Bible – the rocky strata its Book of Genesis, the singing of the birds its Book of Psalms, the air full of sunlight and fragrance its Gospels, and the changing lights, the advancing hours, its Book of Revelation, showing to us how God is all in all.34 Die Verklärung des Lebens durch den Vorschein eines höheren oder idealen Daseins kann sich nach Clarke in jeder Lebenssituation ereignen, bei der Hausarbeit wie bei der Bibellesung – »that one can sweep a room for the sake of God, man, truth, and be happy and Christian in doing it«.35 Eine solche Verklärung des Lebens lässt sich 32 33 34 35
Ebd., S."87. James Freeman Clarke: The Transfiguration of Life, S."230$f. Ebd., S."233$f. Ebd., S."235. 172
V . 2 . THE AMERICAN WAY : THE TRANSFIGURATION OF LIFE
weder erzwingen noch auf Dauer stellen, besonders förderlich können ihr die Kunst (wobei Clarke seltsamerweise nur die Dichtung und die Malerei berücksichtigt und die Musik übergeht)36 und die Religion sein (wobei besonders an den Unitarismus gedacht ist). Denselben Titel »The Transfiguration of Life« trägt eine Predigt von Edward Sumner Atwood, Pfarrer an der South Congregational Church in Salem, Massachusetts, die 1888 in einem gleichnamigen Band mit ausgewählten Predigten zum Andenken an den im selben Jahr Verstorbenen veröffentlicht wurde. Die besagte Predigt, die den Band eröffnet, wird im Inhaltsverzeichnis als »A Sermon for Every Day« bezeichnet. Die allgemeine, nicht an einen bestimmten Anlass oder Gegenstand gebundene Bedeutung der Predigt erklärt sich damit, dass die Transfiguration Christi nach Atwood ein Sinnbild dafür ist, dass der Mensch das eigene Leben mithilfe der göttlichen Gnade verklären, seine ewigen Anlagen in der Zeit zur Erscheinung bringen kann und soll: And so the great practical truth of which we all now and then get dim and partial glimpses grows sharp in outline and august in reality, – the possibility of the Transfiguration of Life, – in which the best that is in us, with the help of the best that is for us, the grace of God, shall get uppermost and outermost, and instead of being, as we so often are, the mere hints and suggestions of the men and women we were meant to be, all our immortal capacities will unfold and the divine grace and beauty which belongs to them will disclose itself and shine through the dust and smoke of earthly surroundings, as the glory of the true Christ shone through the night shadows that shrouded the Holy Mount.37 Dass der Mensch jeden Tag, hier und heute, auf die Verklärung des eigenen Lebens hinzuwirken hat, verdeutlicht Atwood auch dadurch, dass er die symbolisch interpretierte Transfiguration Christi auf dem heiligen Berg zu einem eigenen Erlebnis in den Bergen New Hampshires in Beziehung setzt: 36 Clarkes ästhetisches Paradigma ähnelt übrigens dem Nietzsches, wie unterschiedlich die Begründung auch sein mag, ebd., S."239: »The true landscape painter gives us Nature transfigured by the soul. We delight in a picture of Claude or Poussin, because it not only expresses what the artist saw, but adds to it a gleam of lustre known neither to sea nor land, but borrowed from the soul itself.« 37 Edward#S. Atwood: The Transfiguration of Life, S."18$f. 173
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
I stood two Sabbath nights ago on one of the slopes of the New Hampshire ranges, at the close of a cold gray day through whose long hours storm and brightness had been battling for possession of the sky. The heavens were slated with handbreadths of cloud overlapping each other, the breath of mist was in the air, the drops of the spent rain were dripping from the trees, the remoter peaks were scarcely distinguishable, the nearer summits were sullen and forbidding, the scenes seemed set for the funeral of a dead world. But the day was not to go out in that mournful fashion. Suddenly by some breath of God the veil of obscurity was rent in twain from top to bottom, and in the uncovered light of the sun, unspeakable glories kindled and flamed. Each smallest cloud stood out in separate distinctness, an island with inland of crimson and beach of gold, and in and out through all the shining archipelago there was the wash and flow of amber seas. The mountains, flooded with purple light, were pyramids of amethyst and jasper, the air was tremulous and scintillant with motes of brightness. Patches of rainbow drifted here and there and vanished in a blaze of color. Look up or down, east or west, nowhere was found a spot untouched by the transfiguration of the hour, and I knew by actual vision what God could make of this old and worn earth.38 Der Prediger wendet seine ganze Beredsamkeit auf, um das Naturerlebnis vor Augen zu führen: den Umschlag von einer trüben und betrübenden Abendstimmung, in der sich die Natur den Sinnen des Wanderers entzieht, zu einem durch das Aufreißen des Wolkenvorhangs und den durchdringenden Sonnenschein bewirkten Schauspiel, in dem die Natur zugleich klar und deutlich und in überwältigendem Glänzen, Strahlen und Funkeln erscheint – und dessen Wahrnehmung die Möglichkeit einer völligen Verwandlung der Welt verbürgt. Bezeichnenderweise belässt es Atwood nicht bei dieser Szene, vielmehr wendet er sich wieder dem Alltag zu, denn die Verklärung des Lebens ist nicht auf spektakuläre Ausnahmesituationen angewiesen, sie geschieht im alltäglichen Leben, mit seinen Nöten und Sorgen, Pflichten, Anerkennungen und Freuden, und gegenüber dieser allmählichen (Selbst-)Vervollkommnung des Menschen verflüchtigt sich selbst die bezaubernde Vision aus den Bergen New Hampshires:
38 Ebd., S."25$f. 174
V . 2 . THE AMERICAN WAY : THE TRANSFIGURATION OF LIFE
To so put ourselves and do our work in the light of the Sun of Righteousness that every thing in us shall share in his brightness; to have our needs and sorrows illumined with his gracious love; to see his grace make the humblest duty and the lowliest lot something fair and pleasant; to feel within us the uplift and thrill of the growth of God-likeness; to know that all that we are and do is becoming more and more divine in men’s thought about us; to be conscious of increase of spiritual power and enlargement of character, – this is no fleeting glory of sunset skies that charms for a moment and is gone, but the beginning of eternal day.39 Als letztes Beispiel für diese amerikanische Ausprägung der Verklärungsidee sei eine 1890 veröffentlichte Rede von James Morris Whiton mit dem Titel »The Transfiguration: A Glimpse of the Unseen World« herangezogen. Whiton, aus Boston gebürtig und zu der Zeit eigentlich Pfarrer an der Trinity Congregational Church in New York City, hat diese Rede während eines Aufenthalts in London im Rahmen der Vertretung eines Kollegen gehalten (»Preached in Anerley Congregational Church, Sunday Morning, August 26, 1888«). Die Verklärung Christi ist für Whiton keine einzigartige Verwandlung, sondern das prophetische Vorbild aller heilsgeschichtlichen Verwandlungen, sie weist voraus auf die Erhöhung des Erniedrigten und die Umwertung des Kreuzes vom Zeichen der Schande zum Zeichen der Herrlichkeit und auf die Verklärung der Welt und der Gläubigen. History has shown us other jewels, other transfigurations. What we call by pre-eminence the Transfiguration, was simply the first, the prophetic one, like the bright star that first comes out in the evening sky in promise of the whole train of constellations that are to gild the dome of night. The transfigured form of the outcast Teacher, as He prayed alone on the mount, was prophetic of the transfigured character in which He should be hailed by a converted world as its Saviour; prophetic of the transfigured Cross, which from an emblem of shame was to become from its connection with Him an emblem of glory; prophetic, also, of the transfiguration which His Spirit should work upon that world; prophetic of the countless transfigurations of individual souls into new creatures through faith in Him.40 39 Ebd., S."26$f. 40 James Morris Whiton: The Transfiguration, S."130$f. 175
V . TRANSFIGURATION IN OST UND WEST
Die prophetische Blickrichtung behält Whiton bei, wenn er die Verklärung auf dem Berge, wie im Untertitel der Rede, als einen Vorblick in die unsichtbare Welt deutet, der mit den Visionen und Auditionen mancher Sterbender vergleichbar sei, wobei Whiton zugleich vor Spiritismus warnt.41 In der weiteren Beschäftigung mit der Verklärung Christi erfolgt eine bemerkenswerte Umkehrung der Blickrichtung, da nun vor allem die von Mose und Elia signalisierte Anteilnahme am Geschick Jesu hervorgehoben wird, also der teilnehmende Blick aus dem Jenseits ins Diesseits, und aus dieser Perspektive erscheint die weitere Geschichte als fortschreitender Verklärungsprozess: This fact, that the death of Jesus at Jerusalem was so evidently a matter of knowledge and interest to the glorified dead, is therefore a sign that events of a similar kind – all events that have to do with the advancement of God’s kingdom on earth – are matters of similar knowledge and interest to the heavenly community. The career of a Luther reforming religion, the sailing of pious Pilgrims to plant Christianity in a new world, the abolition of accursed evils like slavery and intemperance, the institution of Christian missions and Christian charities, and – not less – those so-called »secular events« that mightily promote truth and brotherhood, like the introduction of the printing press, the opening of electric communications – in a word, all earthly movements that have to do with the development of the kingdom of heaven among men, we may believe to be now matters of knowledge and interest among those who have gone up through the death-gate into the higher ranges of the service of God.42 Die bei der Verklärung Christi bewiesene Anteilnahme der Himmlischen am irdischen Geschehen wird erweitert zur Betrachtung der Weltgeschichte unter dem Gesichtspunkt ihrer Verklärung, welche christlich-religiöse Ereignisse wie die Reformation oder die Christianisierung der Neuen Welt ebenso einschließt wie die Durchsetzung humanistischer Ideen und zu der sogar säkulare Entwicklungen wie die Einführung neuer Kommunikationsmedien (sofern sie der Wahrheit und Brüderlichkeit förderlich sind!) beitragen können. Im Rückblick auf diese Beispiele einer bestimmten Art amerikanischer Erbauungsliteratur fällt zunächst auf, dass die Verklärung Christi 41 Ebd., S."133 bzw. S."135. 42 Ebd., S."140$f. 176
V . 2 . THE AMERICAN WAY : THE TRANSFIGURATION OF LIFE
darin als selbstverständlicher Bezugspunkt dient (wobei der überwiegend kirchliche Rahmen der Publikationen und das die Autoren verbindende Milieu Neuenglands zu berücksichtigen sind). Bemerkenswert ist dann aber auch, wie die Verklärung Christi als Vorbild für eine Verklärung von Mensch und Welt dient, zu der die Aneignung der christlichen Botschaft (Frederic Henry Hedge) und vergleichbare Verklärungserlebnisse in Natur und Kunst (James Freeman Clarke) anhalten und die im täglichen Leben des Einzelnen (Edward Sumner Atwood) wie in der Weltgeschichte (James Morris Whiton) zu verwirklichen ist. An dieser programmatischen Verklärung von Mensch und Welt ist einerseits ein christliches Selbstverständnis bemerkenswert, das Religionskritik überhaupt nicht zu kennen scheint, andererseits wird die Verklärungsidee mit einer solchen Unbefangenheit und einem derart positiven Menschenbild und fortschrittsfreundlichen Geschichtsoptimismus gegenüber der Theologie des Kreuzes geltend gemacht, wie es sich Nietzsche wohl kaum hätte träumen lassen.
177
VI. Verklärung durch Humor
Das Verfahren der Verklärung durch Humor hat heute einen zweifelhaften Ruf. Wenn davon im Alltag die Rede ist, tritt die negative Seite beider Begriffe hervor: Verklärung durch Humor bezeichnet dann nämlich eine mithilfe des Lächerlichen beziehungsweise des Lächerlich-Machens bewirkte Verkehrung negativer Werte ins Positive, eine Beschönigung, deren artikulatorisches und funktionales Spektrum vom solidarisierenden Scherz bis zum Zynismus des schwarzen Humors reicht. Der Humor steht ohnehin im Verdacht der Konfliktvermeidung oder bloß oberflächlichen Harmonie, der Versöhnlichkeit, wonach der gemütsvolle Humorist gute Miene zum bösen Spiel macht. Wie stark dieser Verdacht ist, zeigt sich daran, dass die zahlreichen Beiträge zum modernen Humor-Diskurs auf ihn reagieren zu müssen glauben, in kaum einem fehlt der Hinweis, dass Humor nicht im gewöhnlichen Sinne verstanden werden dürfe, sondern ein emphatisches Verständnis vorliegt, und dass zwischen populärem und wahrem Humor zu unterscheiden sei. Eine literarische Darstellung solcher Differenzierung zwischen falschem und echtem Humor bietet Joseph Roths Roman Die Kapuzinergruft, in dem ein auf Figurenebene thematisierter banaler Humorbegriff im Handlungsverlauf mit der existenziellen Erschütterung des Ich-Erzählers verbunden wird und dieser Kontrast von seichter Unterhaltung und bitterem Ernst die für Roths Roman charakteristische humoristische Wirkung erzeugt. Bereits auf der Hochzeitsreise bemerkt der Protagonist des Romans Franz-Ferdinand von Trotta die Distanz, die zwischen ihm und seiner in der Hektik der Mobilmachung geheirateten Frau herrscht. Einige ihrer Handlungen auf der Fahrt in der Elektrischen Bahn nach Baden beleidigten mich beinahe. So zog sie zum Beispiel, kaum zehn Minuten nachdem […] sich die Bahn in Bewegung gesetzt hatte, ein Buch aus dem Köfferchen. Es lag, neben dem ToilettenEtui, über der Wäsche – ich dachte an Brauthemd – und die Tatsache allein, dass ein gleichgültiges Buch auf einem nahezu 179
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
mentalen Gewand liegen durfte, erschien mir würdelos. Es waren übrigens gesammelte Skizzen eines jener norddeutschen Humoristen, die damals zugleich mit unserer Nibelungentreue, mit dem Deutschen Schulverein, mit den Hochschul-Dozenten aus Pommern, Danzig, Mecklenburg und Königsberg, in Wien ihre verregnete Heiterkeit spazieren führten und ihr strapaziöses Behagen zu verbreiten begannen. Elisabeth sah von Zeit zu Zeit aus dem Buch auf, blickte mich an, schaute eine Weile zum Fenster hinaus, unterdrückte ein Gähnen und las weiter. Auch hatte sie eine Art, die Kniee übereinanderzuschlagen, die mir geradezu indezent vorkam. Ob das Buch ihr gefalle, fragte ich sie. »Humorvoll!« entschied sie schlankwegs. Sie reichte mir das Buch, damit ich selbst prüfe. Ich begann, eine der törichten Geschichten in der Mitte zu lesen, es war die Rede von dem goldigen Humor August des Starken und von einer Beziehung zu einer seiner fürwitzigen Hofdamen. Die zwei Eigenschaftswörter, für mein Gefühl durchaus bezeichnend für preussische und sächsische Seelen, sobald sie sich in Sonntags-Rast befinden, genügten mir. Ich sagte: »Ja, goldig und fürwitzig!« Elisabeth lächelte und las weiter.1 Die kurze Zeit, die diesem Ehepaar wegen des Krieges bleibt, verstreicht ohne Annäherung, weil Elisabeth an Franz-Ferdinand und der Festlichkeit der Hochzeitsreise so wenig Interesse hat, dass sie lieber zu einer Lektüre greift, deren primärer Zweck das Verbreiten einer heiteren und behaglichen Atmosphäre ist. Die Situation verschärft sich noch, als das Paar in Baden angelangt ist, wo Jacques, der alte Diener der von Trottas, bereits Vorkehrungen getroffen hat. Jacques bricht zusammen und Franz-Ferdinand verbringt die Hochzeitsnacht, unter Billigung der Braut, bei dem Sterbenden. Unter dem Eindruck des Sterbeprozesses erscheint ihm das Verhalten der Braut am nächsten Morgen erst recht erschreckend gleichgültig und frivol. Sie sass immer noch über ihrem Humoristen, trank Tee und schob kleine Scheibchen Toast mit Marmelade in ihren lieben roten Mund. Sie legte das Buch auf den Tisch und breitete die Arme aus. »Jaques«, begann ich, »Jaques …« und stockte. Ich wollte das fürchterlich entscheidende Wort nicht aussprechen. Um den Mund Elisabeths aber züngelte ein lüsternes und gleichgültiges und froh1 Joseph Roth: Die Kapuzinergruft, S."107$f. Zum Topos des ›goldigen‹ Humors vgl. Wolfgang Preisendanz: Humor, S."102. 180
VI . 1 . JEAN PAULS TESTAMENT
gemutes Lächeln, das ich in diesem Augenblick mit einem makabren Wort allein verscheuchen zu können glaubte, – und also sagte ich: »Er stirbt!« Sie lies die ausgebreiteten Arme fallen und antwortete nur: »Er ist alt!«2 Nun ist die ganze Situation gewiss weniger eindeutig, als es dieses Referat nahelegt, gerade das Zurückschrecken des Bräutigams vor der sinnlich-sexuell unbefangenen Braut mag andere Gründe haben. Eindeutig ist die Kritik des Erzählers an einer humoristischen Literatur, die nur unterhalten will und dafür alles goldig, heimelig und heiter erscheinen lässt – und deren Banalität im Kontrast zu der von Roth mittels Verschränkung von Komik und Tragik, Melancholie und Heiterkeit erzeugten humoristischen Wirkung besonders deutlich wird. Dass das Verfahren der Verklärung durch Humor aus historischer Perspektive keineswegs mit banaler Beschönigung gleichzusetzen ist, soll in diesem Kapitel anhand dreier Repräsentanten der deutschen Literatur des 19.#Jahrhunderts – Jean Paul, Peter Hille und Theodor Fontane – gezeigt werden, wobei zur Attraktivität des Verfahrens die Komplexität des Verklärungsbegriffs und auch seine religiöse Konnotierung beigetragen hat.
VI.1. Jean Pauls Testament
Jean Pauls Werk ist zweifellos zentraler Bezugspunkt der Entwicklung des (deutschen) Humorbegriffs im 19.#Jahrhundert, doch auch die Verwendung des Verklärungsvokabulars hat Jean Paul nachhaltig beeinflusst, wie das Grimm’sche Wörterbuch bezeugt. Ein Element in Jean Pauls Poetik ist die Erhebung beziehungsweise das Emporgehobenwerden in höhere Sphären. Man denke nur an die Auferstehungsszene der Unsichtbaren Loge, wenn der zehnjährige Gustav nach Jahren der Erziehung unter der Erde zum ersten Mal ins Freie tritt: Die ganze Welt ist für das Kind ein Faszinosum, die allmählich aufgehende Sonne erscheint ihm »wie eine vom göttlichen Throne niedergesunkene Krone Gottes«, vor welcher es »mit geblendetem Auge und Geiste« betend niederstürzt; woraufhin der Erzähler erwägt, ob diese sonderbare Auferstehung zu Lebzeiten nicht ein Gleichnis für die Auferstehung nach dem Tode und die Aufnahme in den Himmel sein 2 Joseph Roth: Die Kapuzinergruft, S."112. 181
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
könnte.3 Charakteristisch für Jean Pauls Werk ist allerdings, dass solche Erhebungen nicht isoliert auftreten, sondern stets zusammen mit andersartigen, gegenläufigen Inhalten und Formen, die rührende Szene mit einer Fußnote zur Tränenflüssigkeit. Diese Kombinatorik bildet das poetologische Pendant zur Lehre von den drei Wegen, glücklicher zu werden, die im »Billett an meine Freunde« im Quintus Fixlein entwickelt wird: dem steten Wechsel von Übersteigung und Einschränkung, Selbstüberschreitung und Selbstbescheidung. Transzendenz und Immanenz können jedoch auch dadurch miteinander verschränkt werden, dass das beständige Aufweisen eigener und fremder Beschränkung einen Aufschwung fördert, der allerdings riskant bleibt, ohne transzendente Rückendeckung auskommen muss und allein die Beschränkungen im Blick behält – ebendies ist die negative Dialektik des Humors, für die Jean Paul in der Vorschule der Ästhetik das eindrückliche Bild vom Vogel Merops gefunden hat, der kopfüber in den Himmel auffliegt.4 Nun könnte man meinen, die religiösen Begriffe, mit denen Jean Paul das zu seiner Poetik gehörende Moment der Transzendierung bezeichnet, also Auferstehung, Himmelfahrt oder Verklärung, seien mehr oder weniger austauschbar. Dagegen ist zu betonen, dass die Verklärung in besonderer Weise mit Jean Pauls Poetik harmoniert, weil damit nach dem Modell der biblischen Verklärung auf dem Berge das Transitorische solcher Aufschwünge betont wird, die Verschränkung von Aufstieg und Verzückung mit Abstieg und Verzagtheit. Diese Strukturanalogie von biblischer Verklärungsgeschichte und Jean Pauls Poetik erklärt seine Liebe zur Tabor-Metapher. In ihrer 2015 erschienenen, grundlegenden Studie Jean Paul und das Buch der Bücher berücksichtigt Jadwiga Kita-Huber die Metaphorik der Tabor-Verklärung besonders im Hinblick auf die Ästhetik.5 Jean Paul ist ihr zufolge »einer der ersten deutschen Schriftsteller, der von der ›poetischen Verklärung‹ spricht und dabei ausdrücklich die biblische Geschichte aufruft«,6 was eine (etwa parodistische) Umfunktionalisierung der biblischen Begrifflichkeit keineswegs ausschließe und mit dem Hinweis auf die Säkularisierung ebenso wenig erfasst werde wie durch die Gleichsetzung mit dem Verklärungspostulat des Realismus (auf das im Fontane-Abschnitt zurückgekommen wird). 3 4 5 6
Jean Paul: Sämtliche Werke, I/1, S."63. Dazu pointiert Ralf Simon: 1804. Merops oder: Der Hintern der Erhabenheit. Jadwiga Kita-Huber: Jean Paul und das Buch der Bücher, S."229-250. Ebd., S."229. 182
VI . 1 . JEAN PAULS TESTAMENT
Vielmehr verwendet Jean Paul die Metaphorik der Tabor-Verklärung poetologisch, um die Eigenart der poetischen Verwandlung der Wirklichkeit zu kennzeichnen, doch auch innerhalb fiktionaler Kontexte, etwa zur Figurencharakteristik, indem er die Metaphorik in den empfindsamen Erzählstil integriert. Wie eng Jean Pauls Werk mit der Idee der Verklärung verbunden ist, zeigt sich selbst in einer Situation, die der Schriftsteller gar nicht mehr beeinflussen kann: auf seinem Begräbnis am 17.#November 1825. Dass von dem Verstorbenen als einem Verklärten gesprochen wird, ist gängiger Wortgebrauch der Zeit, schließlich ist er nun ein dem Irdischen Entrückter. Einer der beiden Redner an Jean Pauls Grab, der Königlich-Baierische Studien-Rector und Lyceal-Professor Dr. Georg Andreas Gabler, verfällt in seiner an die Jugend gerichteten Rede regelrecht der Verklärungsmetaphorik: Doch in der bunten Fülle und Mannigfaltigkeit seiner schöpferischen Gedanken […] ist […] Er es, dessen Blick den nach oben führenden Lichtfaden nie verliert; Er, der des Menschen hoher Würde und letzter Bestimmung überall eingedenk, ihren reinen Strahlenglanz, wie eine Lichtmasse von oben auf ein dunkles Gemählde, über das irdische Leben, über seine Wechsel und Hinfälligkeiten, seine Schwächen und Schmerzen ausbreitet und dadurch seinen Werken einen unnachahmlichen Glanz und Zauber der Verklärung und der Versöhnung verleiht; Er der Weise, der auf den lichten Höhen des Geistes wandelt, und, den Blick nach oben gerichtet, den Geist selbst und seine Unsterblichkeit denkt.7 Zu diesem Pathos passt die Geste, dem Verstorbenen das Manuskript seiner letzten, unvollendeten Schrift Selina mit ins Grab zu geben, und das in mehrfacher Hinsicht. Zunächst einmal ist in Jean Pauls Schrift mit dem Untertitel Über die Unsterblichkeit der Seele (gedacht als eine Fortführung des Kampaner Tals) dem Thema entsprechend viel von Tod und Verklärung die Rede. Um sich in den gesprächsweise entwickelten Lebensanschauungen als Advokat eines gefühlsfundierten Unsterblichkeitsglaubens gegen den Nihilismus und andere Anfechtungen wie den Spinozismus behaupten zu können, stärkt sich der Erzähler Jean Paul am erhabenen Naturschauspiel wie am spiritistischen Experiment im Gefolge Swedenborgs und Mesmers. Zur Illustration 7 Georg Andreas Gabler: Einige Worte an die studierende Jugend zu Baireuth bei Jean Paul Friedrich Richter’s Grabe, am 17.#November 1825, S."1117. 183
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
zwei Belege, die den mal mehr, mal weniger humoristischen Einsatz der Verklärungs- und Tabor-Metaphorik veranschaulichen. Nach einer abschreckenden Darstellung des geschwächten oder geschwundenen Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele verweist der Erzähler auf eine natürliche Gelegenheit zu Erhabenheitserfahrungen: »Unterwegs sind mir Gewitter – sobald sie nur mich und den Kutscher nicht erschlagen – ganz erwünscht und oft Himmelfahrtfeste, zu welchen der Wagen mir als niedriger Tabor und als Sternwarte dient und die ich feiern kann ohne große Ausgaben von Zeit, indes man hingegen in der Studierstube seine wichtigsten Stunden unter den Gewittermonaten durch das ewige Hinlaufen ans Fenster und das Besichtigen der Wolken zusetzt.«8 Und über die vom Erzähler in hypnotischen Schlaf versetzte Titelheldin heißt es: »So hatte denn in Selina alles Nervenlicht sich im Innersten ihres Wesens angehäuft und das letzte Kleid ihres Ich wie auf einem Tabor glänzend gemacht; und dieses schimmerte nun, wie im Dunkeln der lichteinsaugende Diamant, im Dunkel des Traums.«9 Solche natürlichen und künstlichen Verklärungen sind in der vom Lichtvokabular beherrschten Schrift Jean Pauls, in der beständig Glanz, Schimmer und Strahlen beschworen werden, ein Vorschein endgültiger Verwandlung, der über die Unvorstellbarkeit der endgültigen Verwandlung und das unvorstellbare Verhältnis von natürlichem und verklärtem Leib hinweghelfen soll: Unsere heiligsten Güter sind ja schon die Anfänge der Seligkeit, nach der wir schmachten; und obgleich das Reich unsers Herzens nur als ein bunter farbenreicher Wolkenklumpe tief am Horizonte auf der Erde liegt, der den irdischen Tagen keine Heiterkeit ansagt1, so ist er doch der Anfang des Regenbogens, der über die schmutzige dunkle Erde mit Glanzfarben als eine Pforte des ewigen Friedens durch den Himmel fliegt und der Zukunft lauter Sonne verspricht.10 1
Bekanntlich bedeutet das bunte Wolkenstückchen am Horizont, die sogenannte Wassergalle, Regenwetter; ein ganz glän-
8 Jean Paul: Sämtliche Werke, I/6, S."1121. 9 Ebd., S."1214. Vgl. S."1220: »[…] und wenn die magnetische Alchemie sogar Seelen von gemeinem Gehalt in edle Metalle verwandelt und ihnen Hochdeutsch, Hochgefühle, Dichterflug und frommes Herz verlieh: wie muß erst eine Selina, die sogleich von dem Tabor ihres Lebens mit glänzendem Gewand ins magnetische Ätherschiff ging, sich oben in ganz neuen Höhen verklären!« 10 Ebd., S."1211. 184
Abb. 15: Nicolas-André Monsiau: Der Tod Raffaels (Präsentationszeichnung) (1804)
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
zender Regenbogen hingegen, der nach langer Nässe erscheint, verkündigt schöne Tage. Dass Jean Paul sein letztes Werk mit ins Grab gegeben wird, ist also im Hinblick auf den Inhalt dieses Werkes durchaus stimmig, es ist aber auch deshalb erwähnenswert, weil damit an eine berühmte Szene erinnert wird: die Aufstellung von Raffaels letztem Gemälde neben dem aufgebahrten Meister. Wie gegenwärtig und anregend die von Vasaris Lebensbeschreibung11 veranlasste Vorstellung vom verstorbenen Genie neben seiner eigenen Transfiguration war, ist daran zu ersehen, dass die Szene selbst zu einem Sujet wird, der ›Tod des Raffael‹ zu malerischen Darstellungen veranlasst. Als ein Beispiel für diese malerische Verklärung des Malers der Verklärung sei hier eine Zeichnung von Nicolas-André Monsiau von 1804 wiedergegeben (Abb."15).12 Und als literarisches Beispiel sei der Zeichnung ein Auszug aus den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796) von Wackenroder und Tieck an die Seite gestellt: »Der Leichnam lag in seinem Arbeitszimmer, und ein köstliches Leichengedicht, das göttliche Gemählde von der Transfiguration, stand neben dem Sarge auf der Stafeley. – Dies Gemählde, worin wir noch jetzt das Elend der Erde, den Trost edler Männer, und die Glorie des Himmelreichs in so herrlicher Vereinigung dargestellt sehn, – und der Meister, von dem es erdacht und ausgeführt war, kalt und bleich daneben.«13 Jean Paul hat in seinem Selina-Fragment selbst auf diese Szene Bezug genommen: »Aber mit der Mutter verklärte sich die Tochter, wiewohl auf irdische Weise; und wie man neben Raffaels Sarge seine letzte Kunstgeburt, die Verklärung aufstellte: so stand Selina neu erglänzend neben der Hülle ihrer Schöpferin.«14 Die Nachahmung dieser Szene auf Jean Pauls Begräbnis war somit gewissermaßen von ihm autorisiert. Jean Pauls häufige, nachdrückliche und nuancierte Verwendung des Verklärungsvokabulars ist umso bemerkenswerter, als sich zu seiner Zeit bereits sowohl die Säkularisierung als auch die Banalisierung des Verklärungsbegriffs abzeichnen. Diese begriffsgeschichtlichen Faktoren sind im Sinn zu behalten, damit die Originalität von Peter Hilles Verwendung des Verklärungsbegriffs gewürdigt werden kann. 11 Giorgio Vasari: Das Leben des Raffael, S."84. 12 Vgl. Martin Rosenberg: Raphael’s »Transfiguration« and Napoleon’s Cultural Politics, S."198, 200-205. 13 Wilhelm Heinrich Wackenroder / Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, S."205. 14 Jean Paul: Sämtliche Werke I/6, S."1133. 186
VI . 2 . PETER HILLES ZUKUNFTSPHILOLOGIE
VI.2. Peter Hilles Zukunftsphilologie
Zu den frühen literaturkritischen Arbeiten Peter Hilles gehört der 1878 in den Deutschen Monatsblättern veröffentlichte Essay »Die Literatur der Erkenntnis und der Humor«. Hilles trotz seiner Neigung zur assoziativen Verknüpfung und aphoristischen Verdichtung doch systematisch strukturierter Versuch basiert auf dem Vergleich von Turgenjew mit dem amerikanischen Schriftsteller Bret Harte, von russischem Pessimismus und amerikanischem Optimismus. Das Bindeglied dieses Vergleichs ist der Humor. Der Humor erscheine in Turgenjews Werk, wenn dessen pessimistischer Blick inmitten der Erbärmlichkeit der Welt auf Erhabenes stößt. Dabei dürfe Humor natürlich nicht im Sinne von Entertainment verstanden werden, »[a]ber«, fährt Hille fort, nehmen wir mit Lazarus den Humor als Verklärung des Staubes, als Idealität der Wirklichkeit, als Komik mit erhabener Spitze, oder als Scherz mit Tragik, (fühlen wir doch im größten Jammer Lachreiz!) so hat die Bezeichnung nichts Verletzendes.15 Doch weshalb kennzeichnet Hille den echten, nicht mit bloßer Unterhaltung zu verwechselnden Humor durch Verweis auf Lazarus und die »Verklärung des Staubes«? Zu beachten ist die Doppeldeutigkeit dieses Verweises. Der Name Lazarus und die Rede von der Verklärung des Staubes mögen an die biblische Geschichte von der Auferweckung des Lazarus denken lassen (Joh"11,1-45). Bedenkt man jedoch, dass Hille an der zitierten Stelle den Humor thematisiert und diesem eine Vermittlung von Idealität und Realität, Komik und Erhabenem, Scherz und Tragik zuschreibt, rückt eine zweite Referenz in den Vordergrund: die Abhandlung »Der Humor als psychologisches Phänomen« von Moritz Lazarus. In dieser stark von Jean Paul beeinflussten Abhandlung hatte Moritz Lazarus den Humor eben als Vermittlungsprinzip begriffen, das einen Ausgleich und eine Befriedung von Gegensätzen herbeiführt, ohne diese selbst oder ihre Gegensätzlichkeit aufzuheben. Die beiden Lesarten des Lazarus-Verweises bei Hille ergänzen einander insofern, als der Bibelton zur religiösen Metaphorik von Moritz Lazarus’ Abhandlung passt, der zufolge die humoristische Vermittlung von Idealität und Realität im ›absoluten Humor‹ gipfelt, »wo auf beiden Seiten weder Sieg noch Niederlage, sondern ein herrlicher und gerechter Friedensschluß, ein tausendjähriges Himmelreich auf Erden 15 Peter Hille: Gesammelte Werke in sechs Bänden 5, S."139. 187
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
erscheint, wo die Sonne der Idee die dunkeln Thalgründe der Sinnlichkeit zwar nicht ganz zu erhellen aber doch zu fruchtbarem Wachsthum erwärmen, der edle Stahl des Gedankens den rohen Stein der Sinne nicht immer künstlerisch gestalten, aber doch ihm Funken entlocken kann.«16 So beiläufig, wie Hille in der zitierten Passage (und im ganzen Essay nur an dieser Stelle) zur Charakterisierung von Turgenjews Humor auf Moritz Lazarus anspielt, so beiläufig nimmt er bei der Kennzeichnung der amerikanischen, Harte’schen Variante des Humors auf Jean Paul Bezug (und auch das nur an dieser einen Stelle): Die Transzendenz des Realen, Geistesgrazie des Stoffes, wie wir im Humor sie haben, ist noch sehr jung. Ihre Höhepunkte berühren wir eben jetzt. Die Behandlungsart des Humors hat seit Jean Paul eine Veränderung erfahren. [/] Bei diesem kam die Weihe mehr idealistisch von oben herunter, bestand in Überschwenglichkeit, war Schwärmerei, Gefühlsseligkeit. Bei Bret Harte ist der Schwerpunkt in die Realistik verlegt, der Humor mit dem Fleisch seines Trägers bekleidet und bekundet sich in markiger Weise.17 Der Vergleich von Turgenjew und Harte ist in Hilles Essay nur die Basis für eine Vielzahl literarischer Bezüge, angedeuteter Typisierungen und Schematisierungen, die Verweise allein in der deutschen Literatur reichen von Annette von Droste-Hülshoff über Otto Ludwig bis zu Leopold von Sacher-Masoch; zugleich dient Hille der Humor als Ausgangspunkt für ausgreifende geschichtsphilosophische und kulturtheoretische Überlegungen. Dabei hebt Hille, wie in den beiden zitierten Passagen, in immer neuen Variationen die vermittelnde, versöhnende und verklärende Funktion des Humors hervor, und das in einer mehr oder weniger metaphorisch gebrauchten religiösen, vom Verklärungsvokabular geprägten Sprache. Die Annäherung des Humors an den Bereich der Religion kulminiert in dem Bekenntnis: »Ja der Humor ist Glaube an Gott, Hoffnung auf Besserung, sichere Erwartung der Unsterblichkeit, er ist das Panier des Ideals. [/] Der Humor ist Verklärung des Lebens, realer Optimismus.«18 Doch so nachdrücklich der Humor an dieser Stelle als Artikulation eines religiösen Glaubens bestimmt wird, so un16 Moritz Lazarus: Der Humor als psychologisches Phänomen (revidierte Fassung der ersten Veröffentlichung von 1853), S."219. Den Schlüsselcharakter dieser Passage bemerkt bereits Adolf Zeising: Ästhetische Forschungen (1855), S."461$f. 17 Peter Hille: Gesammelte Werke in sechs Bänden 5, S."143. 18 Ebd., S."142. 188
VI . 2 . PETER HILLES ZUKUNFTSPHILOLOGIE
bestimmt bleibt dieser Glaube selbst. Von der Anlehnung an christliche Glaubensinhalte und Ausdrucksformen sollte vor allem nicht auf ein Bekenntnis zum Christentum geschlossen werden. Was sich in Hilles Essay äußert, ist – darin ist Michael Kieneckers Studie zu Hilles Humorbegriff ganz zuzustimmen – eine religiöse Grundüberzeugung,19 die vom Bildungsgedanken, von der Idee einer Weiter- und Höherentwicklung geprägt ist und die zum Beispiel auch als spinozistischer Monismus gegen den christlichen Dualismus gewendet werden kann.20 Unter Hinzuziehung von Hilles literarischem Werk ergänzt Michael Kienecker den im frühen Essay betonten idealisierenden (verklärenden) Humor, der die Realität mit Blick auf die Idealität modelliert, durch einen säkularisierenden Humor, der die Kollision der Idealität mit der Realität hervorhebt; damit sind zwei Varianten des Humors bezeichnet, deren Zusammenwirken die Attraktivität des Humors als Artikulation von Religiosität unter den Bedingungen einer säkularen Moderne erklären kann. Wenn sich im Humor ein religiöser Glaube artikuliert, stellt sich neben der Frage nach dem Gehalt dieses Glaubens auch die nach der Aktualität dieser Artikulationsweise, die bei Hille widersprüchlich beantwortet wird: Einerseits ist die humoristische Weltanschauung nicht an eine bestimmte historische Situation gebunden, andererseits tritt die Notwendigkeit der humoristischen Versöhnung gerade in der Gegenwart hervor. Festgehalten werden kann mit Bezug auf Hilles Humor-Essay die implizite und explizite Verbindung von Humor und Religiosität, als deren sprachlicher Ausdruck sich das Verklärungsvokabular anbietet. Wie präsent die biblische Präfiguration des Verklärungsbegriffs in Hilles Werk ist, sei noch an seiner Adaption der Verklärungsperikope illustriert, die später in das religiöse Hauptwerk Das Mysterium Jesu integriert wird. Veröffentlicht wurde dieser Text zuerst 1893 in der Zeitschrift Sphinx, dem ›Organ der Theosophischen Vereinigung‹, also in der Nachbarschaft von Artikeln über Astralkörper, Telepathie und Spiritismus.21 An Hilles Text »Die Verklärung« interessiert hier 19 Michael Kienecker: »Der Humor ist der Modelleur der Welt.«, S."120-123. 20 Peter Hille: Gesammelte Werke in sechs Bänden 5, S."144: »Er [der Humor] nimmt den Grund unter seinen Füßen fort, um ihn zu Äther um sein Haupt zu gestalten. Er löst die Erde in den Himmel auf, umfaßt das Leben und erzieht zur Ewigkeit. Der Idealismus ist die Lehre, er ist das Beispiel, jener verwirft das Leben, dieser erklärt und verklärt es, jener ist Christus, dieser Spinoza.« Vgl. Michael Kienecker: »Der Humor ist der Modelleur der Welt.«, S."127. 21 Peter Hille: Die Verklärung, S."146$f. Der Zusatz »Aus der ›Heiligen Zeit‹« verweist auf eine Titel-Alternative zu Das Mysterium Jesu. 189
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
vor allem der Bezug auf die biblische Vorlage, doch kann diese dezidiert religiöse Verklärung auch als Kontraststück zu der zwischen sakraler und profaner Bedeutung schillernden humoristischen Verklärung dienen. Hilles Adaption der Transfiguration Christi beginnt mit dem Topos des heiligen Berges als Ort der Kontemplation: Der Sohn des Menschen stieg gern die ernsten Wege des Berges hinan zu den Höhen. Da lag unter ihm die Welt, leidenschaftslos wie unter den gütigen Augen Abbas – das ist des Vaters –, die Kinderstube des Höchsten. Da war er näher dem Vater, der Heimat. Und auch seinen Jüngern fühlte er sich näher, wo ihre Gedanken nicht so im Irdischen wurzelten. Die Welt der Reinheit, der Höhe, voller Sanftheit göttlicher Vollendung. Wenig sprach der Herr, der Meister, wie denn auch das Steigen den Atem, den ganzen Atem, das sittliche Steigen den ganzen sittlichen Atem, des Menschen vollen Willen verlangt. Aber was er sprach, stieg aus jähen Tiefen, überraschte, forschte aus. Hier war er der Mann der Einsamkeit, der Sammlung, der Sohn des Vaters, der zur Heimat ging in stummer Begleitung der Fremden, die noch nicht reif waren für das Heiligtum. Nur drunten am blauen sanften Genesareth war auch sein Auge so blausanft, gütig, nicht so heiligscharf, da lehrte er und half er, der Menschensohn.22 Das Wirken des Menschensohns in der niederen Wirklichkeit wird dann anhand jener beiden Bibelepisoden dargestellt, die der Verklärung auf dem Berge vorangehen. Zum einen des Petrusbekenntnisses, durch das sich dieser Jünger vor allen anderen auszeichnet: »Und nun forschte der Meister: ›Wer sagt ihr, daß ich sei?‹ Und es antwortete nicht Johannes, dessen sanftes Antlitz mit innigem Glanze sich zu durchschimmern begann, nein der ältliche Petrus, dessen kindlich ungestümes, mehr entfahrendes als bewilligtes Zutagetreten dem Herrn immer so ergreifend war: ›Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn‹.«23 Hille schildert das Zurückschrecken des Petrus vor seinem spontanen Bekenntnis und wie dieser Schrecken durch die Verheißung, er sei der Fels der Kirche, noch gesteigert wird. In Hilles psycho22 Peter Hille: Die Verklärung, S."146. 23 Ebd. 190
VI . 2 . PETER HILLES ZUKUNFTSPHILOLOGIE
logischer Darstellung der menschlichen Verwirrung angesichts des göttlichen Auftrags ist ein Hauch von Humor zu verspüren: »Und noch demütiger ward Petrus, noch verwirrter, und schleuderte mit seiner Sandale ein Steinchen fort, das ihm im Wege lag.«24 Auch an der zweiten Episode, durch die das irdische Wirken Jesu vorgestellt wird, ist Petrus wesentlich beteiligt, wenngleich dieses Mal als Negativbeispiel. Auf die Ankündigung von Leiden, Tod und Auferstehung seines Herrn reagiert der Jünger mit dem menschlichen Wunsch nach Abwendung dieses Geschicks, der mit ›übermenschlicher‹ Härte zurückgewiesen wird: »[…] da ward der geistige Meister zornig über die irdische Störung und wies den Bestürzten nach irdischem Maßstab schier über die Maßen zurecht: ›Hebe dich Satan von mir; du bist mir ärgerlich, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist‹.«25 Erst nachdem auf diese Weise anhand von Petrus Glaubensstärke und Glaubensschwäche vor Augen geführt sind, wendet sich Hille im letzten Viertel seines Textes wieder dem Berg und der eigentlichen Verklärungsgeschichte zu: Wenn der Heiland seine inneren Stufen erstieg, der Trauer, der Sammlung, der Verklärung, so nahm er Dreie mit sich, ganz oder bis in das Vorzimmer seiner Einsamkeit. Es war dies Johannes, der Freund mit seiner sanften, weiblichen Jünglingsseele, die treue Zuverlässigkeit des Simon und des Jakobus wortlostraute Verwandtennatur. Und nun auf der Höhe legten der Jünger bereite, zitternde Seelen sich auseinander wie Blumenblätter vor der Sonne. Der Sohn aber trat in die Gottheit des Vaters und sie leuchtete, und die Wärme des Vaters sprach aus der Umarmung und redete voller Bedürfnis der Überfülle nach Mitteilung zu den menschlichen Freunden seines göttlich Gezeugten. »Dies ist mein vielgeliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe«. Und so zog er auch sie in den Kreis des Göttlichen.26 Neben der angedeuteten Verlagerung in ein innerliches Geschehen fällt an Hilles Adaption der Verklärungsperikope vor allem die Harmonisierung zugunsten einer sich organisch vollziehenden Entwicklungsund Erhöhungsgeschichte auf, aus der alle Irritationsmomente ge24 Ebd., S."147. 25 Ebd. 26 Ebd. 191
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
schwunden sind, der Schrecken der Jünger, die voreilige Reaktion des Petrus (die doch im Petrusbekenntnis und seiner Reaktion auf die Leidensankündigung vorbereitet ist), ganz zu schweigen vom Abstieg in das verwirrende und überfordernde Weltgeschehen. Hilles Verklärung wird so zum Sinnbild einer Selbstverwandlung und Selbstüberwindung, die nicht im christlichen Rahmen verbleiben muss, sondern zum Beispiel, angesichts des Publikationsorts, zu theosophischen Ausblicken ins Jenseits in Beziehung gesetzt werden kann. Dieser Universalisierung der Tabor-Szene zum Symbol der Entwicklung und Erhöhung entspricht das dem Text in der Zeitschrift vorangestellte Bild, das einen mit ausgebreiteten Schwingen zur strahlenden Sonne aufsteigenden Adler zeigt (wie anders der sich verkehrt herum erhebende Wappenvogel des Jean Paul’schen Humors Merops). Blickt man von Hilles Adaption der Transfiguration Christi auf seinen frühen Humor-Essay zurück, tritt die Dialektik des Humors deutlicher hervor, wonach die Idealisierung immer an den Realismus, das Transzendieren an die Immanenz gebunden bleiben muss, um wirklich »Verklärung des Lebens, realer Optimismus« zu sein. Trotz seiner Originalität scheint Hilles Werk in der Forschung zum Humor und Realismus kaum beachtet worden zu sein. Ganz anders verhält es sich mit dem Werk des dritten und letzten Autors dieser kleinen Beispielreihe.
VI.3. Theodor Fontanes Lichtregie
Von den literaturkritischen Anfängen an ist Verklärung der unübersehbare Schlüsselbegriff in Fontanes Poetik und auch die enge Beziehung dieser Verklärungspoetik zum Humor hat Fontane selbst hervorgehoben. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang gewiss folgende Passage aus Fontanes Brief an Friedrich Stephany vom 10.#Oktober 1889: Der Realismus wird ganz falsch aufgefaßt, wenn man von ihm annimmt, er sei mit der Häßlichkeit ein für allemal vermählt; er wird erst ganz echt sein, wenn er sich umgekehrt mit der Schönheit vermählt und das nebenherlaufende Häßliche, das nun mal zum Leben gehört, verklärt hat. Wie und wodurch? das ist seine Sache zu finden; der beste Weg ist der des Humors.27 27 Theodor Fontane: Werke, Schriften und Briefe, Abt."IV / Bd."3: Briefe 18791889, Nr."690, S."729. 192
VI . 3 . THEODOR FONTANES LICHTREGIE
Doch wie lässt sich dieser an der Schönheit orientierte Realismus, der den Gegenpol des Hässlichen am besten mittels Humor verwandeln kann, genauer verstehen? In der Forschung wurde die Frage nach der Bedeutung und dem Zusammenhang von Verklärung und Humor bei Fontane unterschiedlich beantwortet. Wolfgang Preisendanz hat im Fontane-Kapitel seiner grundlegenden Studie über Humor als dichterische Einbildungskraft die poetologische Bedeutung von Fontanes Verklärungsbegriff betont,28 der eine gerade aufgrund der religiösen Prägung des Begriffs positiv bewertete künstlerische Verwandlung oder ›Modelung‹ der Wirklichkeit bezeichne,29 welche nicht mit einer ästhetischen Beschönigung und erst recht nicht mit einer beschönigenden Weltanschauung zu verwechseln sei. Die humoristische Verklärung sei deshalb keine Gemütsverfassung, »sondern ein Darstellungsprinzip, das Gewähr einer eigenständigen poetischen, d.$h. einer erst durch Imagination und Sprache der Dichtung wahren Wirklichkeit ist.«30 In seinen unter den Titel Verklärung gestellten Untersuchungen zu Fontanes Werk hat Hugo Aust die Position von Preisendanz insofern relativiert, als in Fontanes Verklärung poetologische und weltanschauliche Momente zusammenwirken würden: die Autonomie der Literatur und eine in ihr vergegenwärtigte Sinndimension beziehungsweise Versöhnungsperspektive, »verklärte Wirklichkeit ist die sich ausdrückende und konkret erscheinende Wahrheit.«31 In seinen späteren Beiträgen zu Fontanes Poetik hat Aust diese Interpretation weiter ausgeführt und produktions-, darstellungs- und wirkungsästhetische Aspekte der Verklärung unterschieden, die die Differenz von Kunst und Wirklichkeit, das Verfahren der Poetisierung und die künstlerische Konfliktbehandlung betreffen.32 Heinrich Detering schließt in einigen grundsätzlichen Bemerkungen zum Verklärungspostulat des poetischen Realismus eher an Aust als an Preisendanz an, wenn er die Verklärung als primär ideologische Kategorie begreift, der dann ästhetische Verfahrensweisen entsprechen, weshalb die Verklärung in den Realismus-Programmen nicht 28 Wolfgang Preisendanz: Humor als dichterische Einbildungskraft, S."214-241, 337-339. 29 Ebd., S."216. 30 Ebd., S."219. 31 Hugo Aust: Theodor Fontane: »Verklärung«, S."24. Vgl. Walter Gebhard: »Der Zusammenhang der Dinge«, S."447-469. 32 Vgl. die einschlägigen Artikel von Hugo Aust im Fontane-Handbuch (sowie diejenigen von Helmuth Nürnberger und Dietmar Storch im Fontane-Lexikon); ferner Aust: Literatur des Realismus, S."53-55; Aust: Realismus, S."75-78. 193
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
einfach eine Beschönigung der Realität bezeichnet, sondern zwischen den widersprüchlichen Forderungen nach Autonomie der Literatur (Idealisierung) einerseits und emphatischem Wirklichkeitsbezug andererseits vermitteln soll.33 Den problemgeschichtlichen Horizont des poetischen Realismus hat Wilhelm Kühlmann mit Blick auf die Autorisierung und Verabsolutierung eines säkularen Naturbegriffs skizziert: Vor diesem Hintergrund erscheinen die gegen Naturalismus und Materialismus gerichteten Poetiken der Verklärung als ästhetische Revisions- oder Kompensationsversuche eines fundamentalen, im Sozialdarwinismus kulminierenden Säkularisierungsprozesses.34 In jüngerer Zeit hat Alexander Löck das Thema der Verklärung bei Fontane aufgegriffen und bei dem Wirklichkeitsbegriff angesetzt, der im Verklärungskonzept des literarischen Realismus impliziert ist. Die Verklärung markiert demnach den Spannungszustand zwischen subjektiver Deutung und deutungsresistenter Wirklichkeit, Sinngebungsbedürfnis und kontingenter Realität. Wenn Löck als terminologische Alternative zum Verklärungsbegriff den Begriff der ›Re-Poetisierung‹ vorschlägt, soll damit die Reflexivität der poetischen Verklärung betont werden, die auf die Darstellung ›prosaischer‹ Wirklichkeit angewiesen bleibt, zugleich wird die Bezeichnung des poetischen Verfahrens von den religiösen Konnotationen befreit, die der Verklärungsbegriff mit sich führt.35 Dass dieser Gewinn an begrifflicher Präzision auch einen Verlust verursacht, weil die religiöse Prägung des Verklärungsbegriffs trotz Überführung in die Ästhetik von Bedeutung bleibt, soll gleich an einem Beispiel demonstriert werden. Angesichts dieser Forschungspositionen zur humoristischen Verklärung mit ihren unterschiedlichen Gewichtungen von ästhetischen und religiösen beziehungsweise weltanschaulichen Bedeutungsanteilen ist grundsätzlich festzustellen, dass die Wahl eines religiös konnotierten Begriffs als Leitbegriff für ein dezidiert säkulares Literaturprogramm bemerkenswert bleibt, wenngleich die Übernahme des religiös konnotierten Begriffs nicht mit dem Anschluss an die religiöse Tradition gleichzusetzen ist. Das realistische Verklärungspostulat gründet sich nach Hugo Aust vielmehr auf eine »›Wirklichkeitsfrömmigkeit‹, die sich nicht metaphysisch, sondern immanent sakralisiert legitimieren will«.36 In Anbetracht der intensiven 33 Heinrich Detering: Theodizee und Erzählverfahren, S."51$f. Anm."14. 34 Wilhelm Kühlmann: Das Ende der ›Verklärung‹, v.$a. S."447-452. 35 Alexander Löck: »Auge und Liebe gehören immer zusammen.«, S."98 Anm."31 bzw. S."100 Anm."43. 36 Hugo Aust: Fontanes Poetik: Verklärung, S."428. 194
VI . 3 . THEODOR FONTANES LICHTREGIE
Forschung zur humoristischen Verklärung mag überraschen, dass die hier herangezogenen Humor-Essays von Peter Hille und Moritz Lazarus kaum berücksichtigt scheinen, obgleich Lazarus doch zeitweise mit Fontane befreundet war. Doch unabhängig von solchen Fragen der Quellenforschung soll nun ein Doppelbild humoristischer Verklärung aus Fontanes Stechlin betrachtet werden. Die Relevanz des Humors für diesen Roman wird dem Leser gleich auf den ersten Seiten, bei der Einführung des alten Stechlin, überdeutlich signalisiert. Zu religiösen Vorstellungen wahrt dieses Original laut Erzähler eine humoristische Distanz, so widerstrebt dem Witwer eine zweite Heirat »halb aus Ordnungssinn und halb aus ästhetischer Rücksicht. ›Wir glauben doch alle mehr oder weniger an eine Auferstehung‹ (das heißt, er persönlich glaubte eigentlich nicht daran), ›und wenn ich dann oben ankomme mit einer rechts und einer links, so is das doch immer eine genierliche Sache.‹«37 Am Ende des 23. Kapitels, genau in der Mitte des Romans, hat dieser Dubslav von Stechlin dann doch eine Art Vision. Auf einem Spaziergang sinniert er über die mit der Verlobung seines Sohnes und dessen Englandmission bevorstehende Änderung seiner Lebensverhältnisse, über Altes und Neues. Dabei sah er vor sich hin und malte mit seinem Stock Figuren in den Sand. Der Wald war ganz still; auf dem See schwanden die letzten roten Lichter, und aus einiger Entfernung klangen Schläge herüber, wie wenn Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr hin und sah eben auf die von Globsow her heraufführende schmale Straße, als er einer alten Frau von wohl siebzig gewahr wurde, die, mit einer mit Reisig bepackten Kiepe, den leis ansteigenden Weg heraufkam, etliche Schritte vor ihr ein Kind mit ein paar Enzianstauden in der Hand. Das Kind, ein Mädchen, mochte zehn Jahre sein, und das Licht fiel so, daß das blonde wirre Haar wie leuchtend um des Kindes Kopf stand.38 Die Andeutung eines verklärenden Strahlenkranzes bei diesem Kind, von vornherein mit dem wilden Erscheinungsbild der natürlichen Tochter erklärt, kann als Vorausdeutung darauf gelten, dass die Gesellschaft dieses Kindes für den kranken Stechlin noch wichtig und tröst37 Theodor Fontane: Der Stechlin, S."9. An der Zurückhaltung von Pastor Lorenzen in den Fragen von Erlösung und Unsterblichkeit erweist sich für Dubslav von Stechlin gerade dessen Redlichkeit, S."434. 38 Ebd., S."266$f. 195
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
lich werden wird.39 Doch die religiöse Stilisierung betrifft nicht nur das Kind, Dubslav von Stechlin wird, wenn er Figuren in den Sand malt, mit einem jesuanischen Zug versehen, und in seinem Gespräch mit der Großmutter des Mädchens mögen sich motivische Anklänge an die biblische Geschichte von der Sünderin (Ehebrecherin) erkennen lassen. Wie dann in dem sich anschließenden Gespräch die prekären Verhältnisse von Großmutter, Mutter und Tochter beschönigt werden, illustriert einen weiteren Aspekt humoristischer Verklärung. Auf Stechlins ungläubige Frage nach dem Befinden der in der Ferne weilenden, unverheirateten Mutter Karline (»Geht es ihr denn so gut?«) antwortet die Großmutter, die alte Buschen: »Joa; man kann et binah seggen. Se plätt’t ümmer. Alle so’ne plätten ümmer. Ick wihr oak dissen Summer mit Agnessen (se heet Agnes) in Berlin, un doa wihr’n wi joa tosamen in’n Cirkus. Un Karline wihr ganz fidel.«40 Doch Fontane belässt es nicht beim Kontrast dieser beiden Verklärungsverfahren, der religiös überhöhten Begegnung in der Natur und der Verdrängung hässlicher Lebensumstände im Zirkuszelt. Fontanes Kunst humoristischer Verklärung zeigt sich darin, wie er diese Verklärungen um Dubslav von Stechlin in einer anderen Atmosphäre, im Hause der Barbys, spiegelt. Denn unmittelbar nach der beschriebenen Begegnung im Wald trifft der Leser zu Beginn des 24.$$Kapitels, er hat in der ersten Buchausgabe des Romans nur eine Seite umzublättern, auf eine Diskussion über die Verklärung der Wirklichkeit, in der sich Gräfin Melusine (mit dem geistesverwandten Dubslav demnächst familiär verbunden, wenn auch nicht als Schwiegertochter) gegen herkömmliche Herrlichkeitsbilder und für eine Verklärung der banalen Wirklichkeit ausspricht. Auf die Frage ihrer Besucherin, der Baronin Berchtesgaden, ob sie den Maler Franz Skarbina kenne, antwortet die Gräfin: »Gewiß,« sagte Melusine, »den kenn’ ich sehr gut. Aber allerdings erst von der letzten Ausstellung her. Und was, außer den Gaslaternen im Nebel, mir so eigentlich von ihm vorschwebt, das ist ein kleines Bild: langer Hotelkorridor, Thür an Thür, und vor einer der 39 Vgl. das innere Leuchten Elfriedes, die Agnes am Krankenbett des alten Stechlin Gesellschaft leistet, ebd., S."424. Das die beiden Kinder auszeichnende Leuchten ähnelt Wilhelm Raabes Glorifizierung von Gesten der Selbstlosigkeit als Hoffnungszeichen in einer hoffnungslosen Welt, vgl. Heinrich Detering: »Raabe im Sterben.«, S."16. 40 Fontane: Der Stechlin, S."268. 196
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vielen Thüren ein paar Damenstiefelchen. Reizend. Aber die Hauptsache war doch die Beleuchtung. Von irgend woher fiel ein Licht ein und vergoldete das Ganze, den Flur und die Stiefelchen.« »Richtig,« sagte die Baronin. »Das war von ihm. Und gerade das hat Ihnen so sehr gefallen?« »Ja. Was auch natürlich ist. In meinen italienischen Tagen – wenn ich von ›italienischen Tagen‹ spreche, so meine ich übrigens nie meine Verheiratungstage; während meiner Verheiratungstage hab’ ich Gott sei Dank so gut wie garnichts gesehn, kaum meinen Mann, aber freilich immer noch zu viel – also während meiner italienischen Tage hab’ ich vor so vielen Himmelfahrten gestanden, daß ich jetzt für Stiefeletten im Sonnenschein bin.«41 Die mit künstlerischen Mitteln bewirkte Verklärung des Gewöhnlichen, die selbst einen so wenig heimeligen Ort wie einen Hotelkorridor in ein goldenes Licht zu tauchen vermag, tritt an die Stelle religiöser Verklärungsvorstellungen. Dass diese Verklärung des Gewöhnlichen eine gewisse Abgeklärtheit voraussetzt,42 wird im weiteren Verlauf des Gesprächs noch deutlicher. »Ganz mein Fall, liebe Melusine. Freilich bin ich jetzt nebenher auch noch fürs Japanische: Wasser und drei Binsen und ein Storch daneben. In meinen Jahren darf ich ja von Storch sprechen. Früher hätt’ ich vielleicht Kranich gesagt.«
41 Ebd., S."269. Ein entsprechendes Bild ist nicht identifiziert, vgl. Claude Keisch / Peter-Klaus Schuster / Moritz Wullen: Fontane und die bildende Kunst, S."222225. Ein Nachhall der von Melusine angedeuteten negativen Erfahrungen ist in dem Bericht zu vernehmen, den sie dem alten Stechlin über Woldemars und Armgards Aufbruch zur Hochzeitsreise und einen auf dem Weg nach Italien vorgesehenen Zwischenhalt zur Besichtigung der Dresdner Gemäldegalerie gibt, Fontane: Der Stechlin, S."366$f.: »Sie hat eben den liebenswürdigsten und besten Mann und ich könnt’ ihn ihr beinah beneiden, trotzdem ich noch im Abschiedsmoment einen wahren Schreck kriegte, als ich ihn sagen hörte, daß er morgen vormittag mit ihr vor die Sixtinische Madonna treten wolle. Worte, bei denen er noch dazu wie verklärt aussah. Und das find’ ich einfach unerhört. Warum, werden Sie mich vielleicht fragen. Nun denn, weil es erstens eine Beleidigung ist, sich auf eine Madonna so extrem zu freuen, wenn man eine Braut oder gar eine junge Frau zur Seite hat, und zweitens, weil dieser geplante Galeriebesuch einen Mangel an Disposition und Ökonomie bedeutet, der mich für Woldemars ganze Zukunft besorgt machen kann.« 42 Übrigens hält ausgerechnet die nüchterne Adelheid dem jungen Stechlin Abgeklärtheit vor, ebd., S."117: »solch Verstandesmensch, wie du bist, so ruhig und dabei so ›abgeklärt‹, wie manche jetzt sagen«. 197
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»Nein, Baronin, das glaub’ ich Ihnen nicht. Sie waren immer für das, was sie jetzt Realismus nennen, was meistens mehr Ton und Farbe hat, und dazu gehört auch der Storch. Deshalb lieb’ ich Sie ja gerade so sehr. Ach, daß doch das Natürliche wieder obenauf käme.«43 Zum Wesen des von Melusine gewürdigten Realismus gehört es, sich auf die ganze Realität einlassen zu können und diese so wiederzugeben, dass auch die banalen oder peinlichen Seiten des Lebens verwandelt scheinen – wie es bei den »Stiefeletten im Sonnenschein« geschieht, aber auch in Melusines eigenem Gesprächsverhalten, ihrem Versuch, die Enttäuschung über die verfehlte Eheschließung in einem heiteren Konversationsstil zu verwinden. Betrachtet man die beiden Textabschnitte zusammen, die Begegnung im Wald und die Konversation im Damenzimmer, wird ein spiegelbildliches Verhältnis sichtbar, sie relativieren und komplettieren einander: Abgeschiedenheit und Urbanität, Zauber des Urwüchsigen und Verzauberung der Warenwelt, Zirkus und Salon, religiöse Stilisierung und künstlerische Modelung – im Roman rücken diese verschiedenartigen und gegensätzlichen Wirklichkeitssegmente in einen nicht anders, nicht direkt, sondern eben nur durch eine übergreifende humoristische Verklärung darstellbaren Zusammenhang, ›den großen Zusammenhang der Dinge‹.44 So weit ein Versuch, Spuren des religiösen Verklärungsbegriffs noch am Ende des 19.#Jahrhunderts bei Fontane nachzuweisen. Die Geschichte der engen Beziehung von Humor und Verklärung ist damit natürlich nicht zu Ende. Auch handelt es sich nicht um eine Verfallsgeschichte, was der offensichtliche Bedeutungsverlust der religiösen Transfiguration innerhalb des mit Jean Paul und Fontane abgesteckten Zeitraums vermuten lassen könnte. Wenn das mehr oder weniger latente Fortwirken der an den drei Autoren des 19.#Jahrhunderts herausgestellten humoristischen Verklärung berücksichtigt wird, ließe 43 Ebd., S."269$f. 44 Der mit dem Humor verbundene (religiöse) Totalitätsanspruch kennzeichnet eine Reihe von Humor-Theorien, die von Jean Paul bis zu Harald Höffding reicht. Der in Höffdings seinerzeit populärer psychologischer Studie als ›kosmisches Lebensgefühl‹ thematisierte ›große Humor‹ basiert darauf, »daß der Mensch die Vorstellung von einer großen Ordnung der Dinge hat, im Verhältnis zu der die Enttäuschungen, Widersprüche und Leiden, die das Leben bringt, als etwas dastehen, das doch auch mit zum Dasein gehört und Anspruch darauf hat, da zu sein, wie es gleichzeitig das Vertrauen auf den großen Zusammenhang, in dem die Werte des Lebens sich entfalten, nicht zu brechen vermag.«, Harald Höffding: Humor als Lebensgefühl (1918, dänisch 1913), S."129. 198
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sich die Beispielreihe leicht bis in die Gegenwartsliteratur verlängern, was abschließend anhand von Brigitte Kronauers Roman Gewäsch und Gewimmel (2013) angedeutet werden soll. In diesem literarischen Wimmelbild wird auf Jean Pauls Ästhetik und sein Verständnis vom Humor als dem umgekehrt Erhabenen deutlich angespielt, wenn die überaus selbstbewusst auftretende Erzählerinstanz die bei einer Figur durch ›quälenden Juckreiz‹ ausgelöste Desorientierung so kommentiert: »Wenn jedoch die Person zur Kühlung in die Nacht nach draußen lief, stellte sich das Jucken, beim Blick zum Firmament, als Gänsehaut des Universums heraus, das sich nach seinem Vorbild in glühenden Punkten verkrampfte. Hatte sich nun der Himmel an ihrer, der zermürbten Person, irdischen Lächerlichkeit angesteckt, oder umgekehrt, sie an der Erhabenheit des Alls?«45 Eine Beziehung zu Jean Paul belegt auch die Lebensbilanz der Figur Pratz, eines Schriftstellers, der – gewappnet mit der Losung: »Wir hacken wie die Steindohle nach jedem Glanze.« – bis zu seiner Heimholung mit Selbstzweifeln und dem Unverständnis der Umgebung zu ringen hat.46 Im Hinblick auf die humoristische Verklärung sind solche Referenzen jedoch nebensächlich, entscheidend ist die Strukturanalogie, die Dialektik von Lächerlichem und Erhabenem, Idealisierung und emphatischem Realismus, Verklärung und Abgeklärtheit, wie sie in der Beispielreihe in verschiedenen Varianten aufgezeigt wurde und wie sie im vorletzten Textabschnitt von Kronauers Roman in konzentrierter Form zu erkennen ist. Darin wird einerseits eine ins Kosmische ausgreifende, biblische und poetische Phantasien von Schöpfung und Apokalypse vermischende Vision des Geistlichen Dillburg (der vom lächerlich45 Brigitte Kronauer: Gewäsch und Gewimmel, S."440. 46 Ebd., S."442-462, z.$B. S."452: »Der Glanzsatz eben, jetzt war er sicher, stammte von Jean Paul. Das mußte man den wirklichen Dichtern lassen: Sie gaben dem, der den unweigerlichen Verlusten des Voranlebens ausgesetzt war, für Augenblicke fast alles Verlorene wieder. Wenn sich auch (oder gerade weil) der ›Glanz‹ im Echtleben bloß als ein Reflex oder billiger Lack herausstellte.« Die zeitweilige Verklärung des Lebens durch das dichterische Wort kennzeichnet auf ähnlich humoristische Weise der ›Glanz‹-Artikel in Tranchirers letzte Gedanken über die Vermehrung der Lust und des Schreckens von Ror Wolf, S."55: »Daß auch das Wort seine Schattenseiten hat, versteht sich von selbst; wir wollen sie aber gern übersehen. Das Wort soll glänzen, der Glanz des Wortes sollte die Welt verzaubern. Wir vergraben das Wort deshalb nicht in einem düsteren Winkel, sondern stellen es so auf, daß es zu leuchten beginnt. Wer ein persönliches Verhältnis zu seinen Worten hat und sie wie seine Freunde liebt, der wird an ihnen viel Freude haben: bei der Verschönerung seines Feierabends und bei der Verbesserung seiner gesamten Verhältnisse.« 199
VI . VERKLÄRUNG DURCH HUMOR
erhabenen Juckreiz zermürbten Figur) wiedergegeben, die andererseits schon wegen der Vermittlung über verschiedene Stationen – von einem auf dem Hüpfball Übungen absolvierenden Patienten der Therapeutin mitgeteilt, die sie nachts an ihren neben ihr im Bett liegenden und zumindest an dieser Vision nicht sonderlich interessierten Freund weitergibt – beständig mit dem Alltäglichen und Banalen arrangiert werden muss: »Unbeirrt fährt Elsa fort. Es erweise sich, so Dillburg, durch die nicht ganz zuverlässige Stimme Winds hindurch, als das alles Entscheidende und Allerergreifendste: das Bewohnen des gesamten Raums zwischen Himmel und Erde mit einer unendlichen Fülle von Wesen, die sich ohne Ausnahme, und sei es unwissentlich und ob sie sich sträubten oder nicht, im allmächtigen Sog des auslöschenden, wiedergebärenden höchsten Lichts befänden. [/] ›Schläfst du?‹«47 Kosmologie und Komik gehören im Humor eben zusammen, der Ausgriff aufs Ganze und die indirekte Mitteilung mit ihrer unberechenbaren Eigendynamik. Wenn der Humorist seinen Frieden mit der Welt allerdings dadurch macht, dass er Gegensätze und Widersprüche verharmlost oder ausblendet, bestätigt er den Verdacht der Banalisierung und Beschönigung, der die Rede von humoristischer Verklärung begleitet. Die Neigung zur Vereinfachung des humoristischen Verfahrens auf eine Zustimmung im Großen und Ganzen ist zweifellos vorhanden und psychologisch verständlich, wie leicht geht deshalb humoristische Gelassenheit über in Gleichgültigkeit,48 Zufriedenheit mit sich selbst und der Welt, oder aus theologischer Sicht: »eine verkitschte, folkloristische theologia gloriae«.49 Diese Kritik ist der Prüfstein, an dem der Humor zeigen muss, ob er mehr als bloß ›goldig‹ ist. Hoffnung spendet da Peter Hilles Aphorismus: »Es ist nicht alles Talmi, was glänzt.«50
47 Kronauer: Gewäsch und Gewimmel, S."605-611, hier S."611. 48 Vgl. Bernhard Lypp: Unglückliches Bewußtsein – Ästhetik der Existenz – Ironie, S."290: »Gegenüber dem in der Ironie tätigen Verschwinden der alltäglichen Welt, ihrem unnachsichtigen Negativismus, breitet der Humor den milden und nachsichtigen Schleier des Religiösen schon über die alltägliche Welt aus […]. Im Humor ist die Verklärung des Alltäglichen und des Banalen ohne Aufschub vollzogen. Diese Verklärung haben wir als gelassenen Umgang mit uns selbst und der Welt und als Plädoyer für den Pluralismus aller Darstellungsund Ausdrucksweisen zu verstehen.« 49 Jürgen Peter Albert: Humor als Autonomie und als Christonomie, S."163. 50 Peter Hille: Gesammelte Werke in sechs Bänden 5, S."307. 200
VII. Entwicklungstendenzen
Um den Bedeutungswandel der Verklärung im 20.#Jahrhundert und bis in die Gegenwart zumindest in groben Zügen erfassen zu können, soll noch einmal bei der Unterscheidung der biblischen Motive der Auferstehung und Himmelfahrt beziehungsweise der Verklärung auf dem Berge angesetzt werden, wie sie in der Einführung anlässlich des Vergleichs von Raffael und Mozart herausgestellt wurde. Wenn dort darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die endgültige Verklärung im Sinne von Auferstehung und Himmelfahrt auch bei allmählicher Herauslösung aus dem religiösen Bezugsrahmen kulturell präsent und produktiv bleibt, die vorübergehende Verklärung Christi hingegen kulturell irrelevant, dann lässt sich diese Beobachtung für das 20.#Jahrhundert dahingehend präzisieren, dass der eine finale Verwandlung bezeichnende Verklärungsbegriff zu bestimmten Zeiten populär wird, ein mehr oder weniger banales Modewort, während ein voraussetzungsreicherer, auch den Bezug auf die Verklärung Christi einschließender Verklärungsbegriff in isolierten und esoterischen Zirkeln als Erkennungszeichen, Parole, dient. Nur vereinzelt finden sich in Kunst, Religion und Philosophie der Gegenwart Versuche, die Verklärungsidee zu aktualisieren und dem Verklärungsbegriff emphatische Bedeutung zu verleihen.
VII.1. Inflationäres Verklären: Gläubige, Genies, Geliebte und Gefallene
Die Tendenz zur Popularisierung eines zunehmend vage mit Auferstehung und Himmelfahrt assoziierten Verklärungsbegriffs wird deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie fest der Begriff noch in der Goethezeit mit dem christlichen Vorstellungskreis verbunden ist. So liegt zum Beispiel Franz Schuberts Lied Verklärung (1813) das Gedicht »The Dying Christian to his Soul« von Alexander Pope zugrunde, in der Übersetzung von Herder, in welcher der wörtlichen Übersetzung (»Der sterbende Christ an seine Seele«) ganz selbstverständlich als 201
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
poetische Einstimmung und lyrische Abbreviatur der Verklärungsbegriff vorangestellt ist. In der Einführung wurde beiläufig eine als ›Verklärung‹ bezeichnete Textgattung erwähnt, in der Tod, Auferstehung und Himmelfahrt des vorbildlichen Christen zur Darstellung gebracht wird, und diese soll nun genauer betrachtet werden.1 Inhaltlich und formal schließen diese ›Verklärungen‹ an Klopstock an, der die ›Muse von Tabor‹ zur Muse der christlichen Dichtkunst erkoren2 und dessen Dichtung sich zur Anschauung Gottes (visio beatifica) erhoben hatte, dabei griechische Silbenmaße im Deutschen nachahmend. Ein Musterbeispiel für die besagte Textgattung ist Lavaters Verklärung, besungen von Heinrich Stilling (1801). In den ersten beiden der insgesamt vier Szenen des in Hexametern verfassten ›Gesangs‹ wird der Sterbende durch zwei Seraphim als Märtyrer charakterisiert. Der eine Seraph hebt hervor, dass sich der im Zusammenhang mit der Eroberung Zürichs durch französische Truppen tödlich verwundete Lavater ebenso im Kampf um den Glauben bewährt habe (dem biblischen Motto II"Tim"4,7-8 entsprechend) wie im politischen Kampf: »Tod für Jesus Christus – und Tod fürs Vaterland ist ihm, / Immer der größte Gedank’ – und Bruder! jetzt stirbt er für beyde – / Lavater stirbt – den erhabensten Tod, an der Vaterlands Wunde. –«3 Worin der andere Seraph ein Zeichen der Vorsehung erkennt, die dem Abfall der Christenheit durch ein unmittelbar anschauliches Vorbild begegnet: Würd’ auch Christus durch Zeichen und Wunder die Seinigen stärken, Dennoch es würde nicht glauben der Unchrist; die Probe des Glaubens Fänden die Glaubenden nicht, die sie reif macht zur ersten Erstehung. Diesen war Lavater Muster, und darum sollt er den Gipfel Aller Gipfel der Leiden, und Proben des Glaubens erklimmen. Siehe, er hat ihn erklimmt – da steht er, ein Zeuge der Wahrheit, Nah’ am Ziel! Er selbst das größte der Zeichen und Wunder.4 1 Vgl. Hans-Friedrich Reske zur Apotheose als literarischer Gattung. 2 Friedrich Gottlieb Klopstock: Der Messias, I.#Gesang, V."238-240 (Ausgewählte Werke, S."204 mit Anmerkung S."1272): »Die du himmlische Lieder mich lehrst, Gespielin der Engel, / Seherin Gottes, du Hörerin hoher unsterblicher Stimmen, / Melde mir, Sionitin [in früheren Fassungen: Muse von Tabor], das Lied, das die Engel itzt sangen.« 3 Heinrich Stilling: Lavaters Verklärung, S."4. 4 Ebd., S."9. 202
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Nach diesem vorgreifenden Rühmen des Märtyrers wird in der dritten Szene Lavaters von weiteren Seraphim begleitetes Sterben und Auffahren in den Himmel dargestellt, wo er vorangegangene Freunde wiedererkennt, ehe er in der vierten Szene vom Protomärtyrer Stephanus vor den strahlenden Thron des Weltenherrschers geführt wird, der ihn in seine Arme schließt. An dieser Stelle muss die Einbildungskraft des Dichters Jung-Stilling versagen, der die Bedeutung der gegebenen Darstellung eines vorbildlichen Christen für sich und seine Leser in folgender Bitte zusammenfasst: »Geist der ewigen Liebe! befrey uns von dem was die Seele / Noch ans Irdische fesselt, damit wir dereinst im Erwachen / So wie Lavater hier, in einem Fluge bey Ihm sind! / Ihm, der war, und ist, und seyn wird, Ihm – Hallelujah!«5 Allerdings fügt Jung-Stilling dem Gedicht noch eine Reihe von Anmerkungen hinzu, die nicht nur die Übersetzung hebräischer Namen und biographische Details zu Lavater und den im Himmel wiedergetroffenen Freunden enthalten, sondern auch – als gelte es dem Vorwurf einer übertriebenen Verherrlichung des Verstorbenen zuvorzukommen – eine Rechtfertigung der Charakterisierung Lavaters als Blutzeugen.6 Der Text über Lavater ist nicht der erste Beitrag Jung-Stillings zu dieser Textgattung. Auf ähnliche Weise hatte Jung-Stilling bereits 1788 Tod, Auferstehung und Himmelfahrt des Predigers Dionysius Eickel dargestellt (Eickels Verklärung), der zwar nicht als Märtyrer, aber doch als Identifikationsfigur zur Rettung der vom Glauben abfallenden Christenheit erscheint. Beide Texte werden von Jung-Stilling später in seine Scenen aus dem Geisterreiche aufgenommen. Der solchen Verklärungsszenen so geneigte Jung-Stilling wird noch im Jahr seines Todes selbst in einer entsprechenden Dichtung verherrlicht, und zwar von Christian Gottlob Barth in einem anonym veröffentlichten Text mit dem Titel Stillings Siegesfeier (1817). Barths im Untertitel als »Scene aus der Geisterwelt« bezeichneter Text folgt ausdrücklich Jung-Stillings Gesang über Lavaters Verklärung. Doch nun ist es Jung-Stilling selbst, der zum Gegenstand eines seraphischen Gesprächs wird, dessen Sterbelager, Tod und Auferstehen dargestellt werden, der Verstorbene im Himmel wiedererkennt, darunter Lavater und Eickel, welche sich bei ihm für die Darstellung ihrer Verklärung gewissermaßen revanchieren können: »Uns ist es Freude, / Dir, der du uns’re Verklärung
5 Ebd., S."29. 6 Ebd., S."30-32. 203
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
sangst, entgegen zu eilen«.7 Jung-Stilling erhält im Jenseits die Bestätigung seiner diesseitigen Vorblicke in die Geisterwelt und wird vom geistesverwandten Hesekiel (»Der ich im Erdenthal schon seine Herrlichkeit schaute«)8 vor Gott geführt. In Anbetracht der Relevanz konfessioneller Differenzen für die Einstellung gegenüber dem Thema der Verklärung (Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit) ist an der vorgestellten Textgruppe die protestantische beziehungsweise pietistische Prägung der Autoren bemerkenswert, wenn letztere auch nicht immer so deutlich zum Ausdruck gebracht wird wie in Gotthilf Heinrich Schuberts einschlägigem Beitrag Tobias Kießlings Verklärung (1824), in welchem die Gemeinschaft der Himmlischen mit der Brüdergemeine zusammenzufallen scheint: »Franke, Lavater, Rehberger, Schöner, Jung-Stilling, Erdle, Spangenberg, Zinzendorf u."a."m.«9 Vor diesem Hintergrund mag überraschen, mit welcher Intensität und Extensität in dieser Textgruppe der Triumph des Gläubigen poetisch dargestellt wird, unbekümmert um kreuzestheologische Vorbehalte und in Anlehnung an spiritistische, zum Beispiel Swedenborg’sche Visionen himmlischer Herrlichkeit. Die dichterische Verherrlichung des Freundes als vorbildlichen Christen ermöglicht es, die Glaubensgewissheit innerhalb des Freundeskreises zu festigen und der vermeintlich vom Glauben abgefallenen Umwelt ein Vorbild bieten zu können. Dass die Umwelt diesem Angebot großes Interesse entgegengebracht hat, darf bezweifelt werden, tritt in der zeitgenössischen Literatur doch zunehmend die Verklärung des genialen Künstlers an die Stelle der Verklärung des vorbildlichen Christen, wie in der Einführung schon angedeutet. So stiftet etwa Christian Gottlob Vischer mit der siebenstrophigen Ode Verklärung Müllers (1821) dem einige Jahre zuvor verstorbenen Kupferstecher Johann Friedrich Wilhelm Müller ein Andenken, das die aus der Textgruppe religiöser Verklärungen vertrauten Topoi mit der Glorifizierung des genialen Künstlers kombiniert, besonders deutlich in den folgenden Versen der zweiten Strophe: »Du, Märtyrer! du, Raphael Müller! geh’st / Im Hochtriumph zu himmlischen Zielen ein!«10 Da unklar bleibt, inwiefern das von Krankheit bestimmte Leben Müllers als ein Martyrium im 7 Zit. n. Johann Heinrich Jung-Stilling: Lebensgeschichte (in die Barths Text integriert wird), S."673. 8 Ebd., S."676. 9 Gotthilf Heinrich Schubert: Tobias Kießlings Verklärung, S."109. 10 Christian Gottlob Vischer: Verklärung Müllers, S."102. 204
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Abb. 16: Luise Duttenhofer: Scherenschnitt (1821)
religiösen Sinne gelten soll und inwiefern der vor allem für seine Stiche nach Raffaels Vorlagen berühmte Künstler mit dem künstlerischen Vorbild gleichgesetzt werden soll, schillert diese Verklärung zwischen religiöser Erhebung in die ewige Seligkeit, auf die auch die Vignette von Luise Duttenhofer deutet (Abb."16), und durch geniales künstlerisches Schaffen errungener Unsterblichkeit. Als Inbegriff des Genies gilt in der deutschen Literatur selbstverständlich Goethe. Mit der »Bergschluchten«-Szene seiner Faust-Tragödie hat er ein Muster für die ästhetische Übernahme und Abänderung religiöser Verklärungsvorstellungen vorgegeben: Fausts Verwandlung erfolgt während einer allmählichen Erhebung über das Irdische, nicht im Himmel; an seiner Verwandlung wirkt der Strebende mit; und die unmittelbar zu Hilfe kommende Liebe schließt die irdische Liebe Gretchens ein (wie die Liebe des ›gottverklärten‹ Sohns durch die Sünderin vermittelt wird). Während die im Kreis um Jung-Stilling dargestellten Himmelfahrten in künstlerischer Hinsicht einförmig und in erster Linie dem Andenken des zum religiösen Vorbild stilisierten Verstorbenen verpflichtet sind, erscheint Goethes »Bergschluchten«Szene im Zusammenhang der Tragödie als komisch oder ironisch relativierte Metamorphose.11 Wie wirkmächtig die Goethe’sche Vorlage bleibt, zeigt sich zum Beispiel Mitte des 19.#Jahrhunderts an der Schlussszene von Wagners Tristan und Isolde, der Vereinigung der 11 Vgl. besonders den Kommentar von Albrecht Schöne, der Goethes Anlehnung an origineisch-theologische und naturwissenschaftliche Metamorphosekonzepte als Gegenentwurf zur Vorstellung des Gerichts und Theologie des Kreuzes erläutert. 205
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
Liebenden mit dem vergöttlichten Weltganzen, oder am Ende desselben Jahrhunderts an Richard Strauss’ Tondichtung Tod und Verklärung, für die Alexander Ritter zunächst den Titel »Seraphische Fantasie« und ein Motto aus der »Bergschluchten«-Szene vorgeschlagen hatte.12 Goethe hat durch sein Werk die künstlerische Darstellungsweise der Verklärung beeinflusst, er wurde aber auch selbst zum Gegenstand derartiger Darstellungen. So veröffentlicht zum Beispiel Ernst Ortlepp im Todesjahr 1832 das aus 14 vierzeiligen Strophen bestehende Gedicht Göthe’s Verklärung. Darin wird unter Bezugnahme auf die als Motto gewählten Verse: »Wie er so heimlich glücklich lebt, / Da droben in den Wolken schwebt!«13 eine Verherrlichung des Verstorbenen dargestellt, allerdings nicht als Erhebung vor den Thron des Höchsten, sondern als Aufnahme in die vergöttlichte Natur, deren Personifikationen zunächst den Verlust beklagen (»Er ist nicht mehr!«), bis in der sechsten Strophe die Gegenwart des Genies in seinem Werk und in der Natur selbst wahrnehmbar wird: Da wogt der Glanz hernieder, Die Himmelslyra erschallt; Sie hören die alten Lieder Und sehen die Wolkengestalt!14 Die Klage schlägt deshalb um in das Rühmen des Verewigten (»Er ist unsterblich!«), dessen fortdauernde Gegenwart die letzte Strophe versichert: So lange wird er leben Da droben am Himmelszelt, Und unten wiederklingen Im Busen einer Welt.15
12 Willi Schuh: Richard Strauss, S."185-189, 241$f. Vgl. zum kompositorischen Muster Walter Werbeck: Richard Strauss, S."31; Peter Gülke: Tod mit und ohne Verklärung, S."285-288. 13 Goethe: Erklärung eines alten Holzschnittes vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung, FA I 1, 357-362, hier 139 (V."181$f.), die mit diesen Versen beginnende letzte Strophe wird bei Goethe so fortgeführt: »Ein Eichkranz ewig jung belaubt / Den setzt die Nachwelt ihm aufs Haupt, / In Froschpfuhl all das Volk verbannt, / Das seinen Meister je verkannt.« 14 Ernst Ortlepp: Göthe’s Verklärung, S."4. 15 Ebd., S."5 bzw. S."6. 206
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Unter demselben Titel Goethe’s Verklärung erscheint 1849 ohne Angabe des Verfassers ein vierseitiger Text, der im Untertitel als visionäre Glorifizierung zu Lebzeiten stilisiert ist: Durch ein Traumgesicht des Fräul. v. Klettenberg 1774. Die Seherin sagt dem Freund demnach eine glänzende Zukunft voraus, einschließlich der Verewigung durch ein Denkmal: »Und so wirst über ird’schem, bangem Streben / Du, gleich dem Stern, in ew’ger Klarheit schweben.«16 Dagegen stellt ein im Untertitel als Seitenstück zu dieser Vision bezeichneter zweiseitiger Text Goethe vor dem Weltenrichter, der im selben Jahr ebenfalls anonym erscheint, die Schreckensvision eines als egoistisches Genie verfehlten Lebens dar, noch Goethes letzte Worte verraten laut einer Anmerkung »einen zur Reue stachelnden Mangel an Erkenntniß des wahren Dichterberufes: zu wirken für das Wohl der Menschheit und des Vaterlandes, an Eifer für des deutschen Volkes Ehre und Wohlsein, an christlicher Tugend und Weltanschauung, an religiöser Schwungkraft in die Regionen des höchsten göttlichen Lichtes«.17 Der auf das biblische Motiv der Auferstehung und Himmelfahrt verweisende Verklärungsbegriff bleibt also vor allem durch Übertragung auf den ästhetischen Bereich, die Verherrlichung beziehungsweise Selbstverherrlichung des genialen Künstlers, kulturell präsent und produktiv, wobei diese Übertragung mit einem Verlust an semantischer Präzision und Komplexität einhergehen kann, dessen letzte Konsequenz ein von religiösen Referenzen wie ästhetischen Kriterien abgelöster, nur mehr die Absicht der Verherrlichung bezeichnender Verklärungsbegriff ist – der auch und gerade die Fälschung, Täuschung und Beschönigung einschließt. Mit dieser Diffusion und Reduktion der Transfigurationssemantik ist allerdings nur eine Tendenz bezeichnet, die Ausnahmen und Abweichungen zulässt. So ist der Verklärungsbegriff zum Beispiel im Fin de Siècle außerordentlich beliebt, und das mit unterschiedlichen Nuancierungen und auf unterschiedlichem Niveau: Mit dem Verklärungsbegriff werden um die Jahrhundertwende vor allem Augenblicke der Vereinigung und Einheit in einer Zeit des Verfalls und Zerfalls bezeichnet, seien es nun jene mystischen Einheitserlebnisse, die bei Hofmannsthal und Rilke den Kontrast zur herrschenden Erfahrungs- und Sprachkrise bilden, sei es eine Mensch und Natur verbindende symbolistische Idealisie16 Goethe’s Verklärung, S."[4]. 17 Goethe vor dem Weltenrichter, S."[2]. 207
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
rung wie auf Ferdinand Hodlers Gemälde Verklärung (Abb."17), das auch an die Ikonographie des verklärten Christus mit der Mandorla erinnern mag, sei es die sich über moralische Differenzen erhebende Vereinigung der Liebenden wie in Richard Dehmels Gedicht Verklärte Nacht (1896), das Arnold Schönberg zu seinem gleichnamigen Streichsextett angeregt hat (1899, Orchestrierung 1917). Zur Illustration einer tendenziell inflationären und zum Kitsch neigenden Verwendung des Verklärungsbegriffs sei Max Bruns’ Buch Verklärungen: Von den letzten Schönheiten der Liebe (1900) gewählt, das der Autor zu einer unter den Begriff der ›Andacht‹ gestellten Reihe eigener Schriften gezählt hat.18 Als Motti sind dem Buch mehrere adaptierte und kombinierte Zitate von Novalis vorangestellt, die dessen Fragmentsammlungen Blüthenstaub und Das allgemeine Brouillon sowie dazugehörenden Vorarbeiten entnommen sind und mit denen die romantischen Ideale einer erhebenden Verinnerlichung und prozesshaften Potenzierung aufgerufen werden, die wiederum auf eine bestimmte Selbstreflexion verweisen: »Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transcendentalen Selbst zu bemächtigen.«19 Vor dem Hintergrund dieser romantischen Programmtik erscheint Bruns’ eigener Text dann als neuromantische Verwirklichung eines solchen, ein neues Selbstverständnis herbeiführenden Bildungsprozesses. Unter der Überschrift »Vor- und Nachklang – In meinem Gartenhause« wird einleitend die Erzählsituation skizziert: Der Erzähler gedenkt in der Abgeschiedenheit seiner Geliebten, die unter Verwendung des Verklärungsvokabulars als Sonne und Licht eines dunklen und trüben Lebens vorgestellt wird. Das Vorhaben, die vergangene Liebe mithilfe eines Tagebuchs (»Das Tagebuch einer Liebe –!«) zu vergegenwärtigen, versetzt ihn sogleich in einen Zustand der Beseligung, in dem Erinnerung und Ahnung (»Vor- und Nachklang«), persönliches Gedenken und Mitteilungsabsicht, unbewusste und dichterische Mitteilung ununterscheidbar werden:
18 Zu diesen ›Andachten‹ oder ›Büchern des Werdens‹ zählt Bruns: I.#Lenz. Ein Buch von Kraft und Schönheit. Gedichte (1899); II.#Wir Narren! Ein Andachtbuch für Narren und solche die es werden möchten (für 1899 angekündigt, nicht erschienen); III.#Zwei-Einheit. Ein Andachtbuch für Menschen (1900); IV.#Verklärungen. Von den letzten Schönheiten der Liebe (1900); V.#Himmelfahrt. Ein Andachtwerk des Geistes (1901). 19 Max Bruns: Verklärungen, S."4; vgl. Novalis: Blüthenstaub, Nr."28 (Werke, Bd."2, S."239). 208
Abb. 17: Ferdinand Hodler: Verklärung (um 1906)
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
In stillem Gedenken will ich’s einmal noch für mich durchblättern. Keinem Menschen weihe ich diese Zeilen. Ich schaffe keine Kunstwerke; ich schreibe keine Bücher –: ich rede wie ein Kind im Schlafe von wunderbaren Ahnungen und tiefen, seelenfernen Offenbarungen. Und dennoch: Wenn ich’s recht vermöchte, so müßten auch sie, und gerade sie, zum Kunstwerke werden –: Beseligte Ahnung! Das ist das tiefste Wesen aller Menschenkunst!20 Die eigentliche poetische ›Andacht‹ erstreckt sich dann über 50 als ›Verklärungen‹ bezeichnete kurze Kapitel, die in formaler Hinsicht zwischen lyrischer Prosa, Prosagedichten und Gedichten wechseln und die im Hinblick auf das Liebesverhältnis erkennen lassen, dass die vom Erzähler gefeierte Vereinigung der Seelen (das ›Seelenglück‹) als Gegenstück zu einer sinnlichen (sexuellen) wie zu einer sittlichen (ehelichen) Vereinigung begriffen wird. Um die Reinheit der Geliebten und des Verhältnisses zu ihr zu verdeutlichen, ist dem Erzähler kein Naturbild zu kitschig (»zwei osterjunge[$] Blüten, die ihre Kelche zueinanderneigen«)21 und keine religiöse Gleichsetzung zu gewagt (Maria, Christus, der Heilige Gral).22 Um einen Eindruck zu ermöglichen, sei hier »Der Verklärungen zweiundzwanzigstes Stück« vollständig wiedergegeben, das zum einen die ständig variierende Verwendung des Verklärungsvokabulars und zum anderen den auf die Novalis-Motti zurückverweisenden Bildungsprozess illustriert: Gestern warst Du bei mir und wir kamen im Gespräche auf die völlige Vergeistigung des Menschen, schon hier auf der Erde. Ich sprach von einem Leben in Träumen, die doch so wahrhaft und fühlbar zugegen sind wie die Luft um uns her, wie das Mondlicht auf den Jasminblüten Nachts im Garten, wie das Raunen und Wispern in den Birkenzweigen. Ich sprach von einer völligen Lostrennung des Geistes von den Dingen der Erde; von einer außerordentlichen Objektivierung über die Umgebung hinaus; von einer still verklärten Selbstgenügsamkeit; von einer schmerzlosen Abgeschiedenheit von allen Menschen, die in eine Reihe rücken mit allen anderen Erscheinungen der ›Außenwelt‹, nicht erniedrigt, sondern verklärt. 20 Max Bruns: Verklärungen, S."6$f. 21 Ebd., S."25. 22 Ebd., S."28, 74, 54. 210
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Du hattest ein feines, leichtes Lächeln; etwas endlos Liebes, Mildes, Gütiges lag darin, aber doch auch – ich möchte sagen: die leise Betonung einer Distanz! Nicht aus einer eingebildeten Überlegenheit heraus, sondern eben nur als gerade, schlichte Äußerung eines naiven So-empfindens. Das hat mich innerst erfreut: Du bist lauter Wahrhaftigkeit und Reine, du einzig herrliche Herzensverklärerin! Und doch will auch eine leise Wehmut über mich kommen –: Du lebst nun schlicht und klar Dein urbestimmtes Menschenleben und verrichtest heute wie morgen Dein unergrübelt selbstverständliches Werk, – auch an mir. Wenn aber Alles ausgereift sein wird, und die winzigsten Keime, die Du in mich gelegt hast und noch täglich in mich senkest, werden hervorgekommen sein, wenn diese selige Verklärung und Durchläuterung mich ganz ergriffen und umfaßt halten wird –: Dann wird mein tiefstes Ich – auch Dir entwachsen sein, dann wird zu meinen heimlich wundersamsten Traumgesichten Dein blonder Mädchenkopf sich leise schütteln, und dieses Lächeln, das mich gestern so erfreute, wird mich in stille Einsamkeiten weisen. Wird dann mein Menschenblick die Stärke haben, auch noch Dir ferne Alles sonnverklärt zu sehen –? Spätere Nachschrift: Ich lächle – vielleicht wie damals Du lächeltest, mit dieser »leisen Betonung einer Distanz« –: Damals – Als ich noch Mensch war .$.$.$.$. Ich ahnte noch nicht das letzte Lächeln: des Wissenden – –23 Diese Darstellung mag zunächst in geschlechtertypologischer Hinsicht überraschen, präsentiert der Erzähler doch sich selbst als romantischen Schwärmer und die Geliebte als nüchterne Erzieherin, deren Erziehung allerdings unbewusst erfolgt, auf unmittelbarem Empfinden beruht, womit die gängigen Geschlechterrollen wieder bestätigt sind. Die vom Erzähler mit der Geliebten besprochene »völlige Vergeistigung des Menschen« schon zu Lebzeiten wird als eine Überwindung irdischer Abhängigkeitsverhältnisse gekennzeichnet, die sich als positive Verwandlung von der negativ definierten Befreiung unterscheide. Diese Verwandlung, »selige Verklärung und Durchläuterung«, schließt die Überwindung der Abhängigkeit von der vorbildlichen Geliebten 23 Ebd., S."45$f.; vgl. S."17$f. 211
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
ein. Während diese Freiheit den Erzähler erst ängstigt, soll die »[s]pätere Nachschrift« zeigen, dass auch die menschliche Abhängigkeit von der Geliebten überwunden und verwandelt ist – in einen Zustand ›übermenschlicher‹ Selbstgenügsamkeit, der eine innere Unendlichkeit und zugleich die Möglichkeit der wahren und endgültigen Vereinigung der Liebenden erschließt. Aufgrund dieser inneren Unabhängigkeit und der Gewissheit des Einsseins mit der Geliebten kann der Erzähler in den folgenden Kapiteln deren Krankheit und Tod mit der Ruhe des Gerechtfertigtseins behandeln, bewirkt doch das unselige Schicksal jene Verwandlung der Liebenden, deren Folge, die ewig selige Vereinigung, im 50. Kapitel wie folgt zum Ausdruck gebracht wird (»Der Verklärungen letztes Stück«): »So sind wir nun völlig Eins: Ein Glanz, Ein Atmen, Ein leuchtendes Schweigen –! / [BlumenVignette] / Unsere letzte, tiefe, ewige Verklärung –: / Ein .". leuchtendes .". Schweigen / – – – – – / AMEN!«24 Die Selbstüberwindung des Erzählers, der seine mit der Erinnerung fortbestehende Abhängigkeit von der Geliebten löst und ebendadurch ein neues Selbstverständnis sowie eine tiefere Verbindung mit der Verstorbenen gewinnt, zeigt sich sprachlich im permanenten Markieren der Grenzen des Sagbaren zur Andeutung des Unsagbaren, in einer inszenierten Selbstaufhebung der Rede. Die dazu eingesetzten poetischen Mittel lassen sich gerade im zitierten Schluss-Stück leicht erkennen: Ausrufe, Wiederholungen (hier auch eines Satzglieds, das durch Kursivierung und Auslassungszeichen zusätzlich hervorgehoben wird, wobei die Auslassungszeichen die Wörter zugleich trennen und einzeln hervorheben), vor allem aber das häufige Unterbrechen und Abbrechen der Mitteilung durch Gedankenstriche und Auslassungszeichen (Erstere auch zum Zeichen beredten Schweigens aneinandergereiht) – all dies dient einer Kunst ›beseligter Ahnung‹, wie es in den Vorbemerkungen des Erzählers hieß. Gerade die letzten drei Zeilen oder Verse führen die Selbstaufhebung der Rede vor, indem die grammatisch und graphisch markierte selbst geprägte Formel »Ein .". leuchtendes .". Schweigen« übergeht in ein durch Gedankenstriche angezeigtes Verstummen und Schweigen, auf das die ebenfalls grammatisch und graphisch markierte tradierte Formel »AMEN!« folgt. Die Stelle verdeutlicht zugleich, dass semantische und pragmatische Vagheit als Stilmittel eingesetzt wird, denn für die Erzeugung einer beseligten und ahnungsvollen Stimmung mag es gleichgültig oder sogar 24 Ebd., S."91. 212
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Abb. 18: Alfons Petzold: Verklärung (1917)
nachteilig sein, wenn die synästhetische Metapher des ›leuchtenden Schweigens‹ verständig auflösbar oder das Verhältnis von persönlichpoetischem Gedenken und religiöser Andacht eindeutig bestimmbar ist. Diese Vagheit betrifft nicht zuletzt den Verklärungsbegriff, der in Bruns’ Buch mit außergewöhnlicher Emphase verwendet wird, die auch zeigt, dass dieses forcierte Steigern und Übersteigen leicht zu Ermüdungserscheinungen führt. Die Beliebtheit des Verklärungsvokabulars in Texten dieser Art, die zum Andenken an die verstorbene Geliebte und zur literarischen Verewigung wie zur privaten Trauerarbeit verfasst werden, wird jedenfalls weder durch die vage Bedeutung noch durch den häufigen Gebrauch beeinträchtigt.25 Neben der Verherrlichung des Genies und der Verherrlichung der Geliebten gibt es einen weiteren Bereich, in dem der vom biblischen Auferstehungs- und Himmelfahrtsmotiv geprägte Verklärungsbegriff anhaltend und zeitweise notgedrungen häufig Anwendung findet: die Verherrlichung von Gefallenen. Bezeichnend hierfür ist der Titel einer 25 Vgl. z.$B. Alfons Petzold: Johanna. Ein Buch der Verklärung (1915); Julius Koch: Andacht und Verklärung. Eine Totenklage (1934). 213
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
(von Wilhelm Meyer herausgegebenen) Sammlung von ›Bibelworten an Kriegergräbern‹: Nach der Bewährung die Verklärung (1916). Eine dramatisch-literarische Verbindung von totem Soldaten und christlicher Verklärung bietet Alfons Petzold mit seinem im Untertitel als Legende bezeichneten einaktigen Drama Verklärung (1917). Am Anfang des Stücks steht die von der Mutter eines gefallenen Soldaten seiner Braut vorgetragene Erzählung, worin die Toten nach ihrer Auferstehung Gott ihr Leid klagen beziehungsweise Gott anklagen. Der weitere Verlauf des Stücks führt vor, auf welch wundersame Weise die beiden Trauernden doch getröstet werden sollen. In einer ersten visionären Szene wird von dem in Dämmerung versinkenden Zimmer mit Mutter und Braut aus eine von den Strahlen des himmlischen Jerusalems in klares und sanftes Licht getauchte Landschaft sichtbar, in welcher die Chöre der seligen Frauen und Männer erscheinen und das Mitleid Christi rühmen (viele detaillierte Regieanweisungen betreffen die Beleuchtung).26 Diese Vision wird überblendet durch die Hervorhebung eines Bühnenausschnitts, der einen Friedhof zeigt, »Grabhügel und Kreuze […], von einem fahlen Phosphorglanz belegt«.27 Auf dem Friedhof erscheint der Geist des Vaters mit dem Trost-Spruch: »Liebe ist des Lebens stärkster Klang, / Übertönt auf ewig jeden Tod.«28 Wenngleich die Braut der Mutter beide Visionen noch einmal in Erinnerung ruft,29 hält diese an ihrer Klage fest. Da zeigt sich den Frauen als dritte Vision das Bild dreier tötlich verwundeter Soldaten, die ihr Leid selbst im Hinblick auf den endgültigen Triumph der Liebe rechtfertigen, so dass sie friedlich sterben, glorifiziert durch das Mondlicht, die Sterne am Himmel und die Himmlischen selbst. Diese Ausrichtung auf das triumphierende Reich der Liebe wird dann von den Himmlischen, etwa dem heiligen Franziskus und der Gottesmutter autorisiert und schließlich vom Engel der Verheißung folgendermaßen formuliert: 26 Nach Erika Fischer-Lichte kann das im Drama eingesetzte Licht auch unter säkularen Bedingungen eine Transzendenzerfahrung vermitteln, doch bleibt genauer zu bestimmen, was dann unter Verklärung zu verstehen ist, FischerLichte: Beleuchtung, Erleuchtung, Verklärung, v.$a. S."239. 27 Alfons Petzold: Verklärung, S."23. 28 Ebd., S."24. 29 Ebd., S."25$f.: »Komm Mutter, mach dich von der Folter frei / Steige mit mir vom Berg der Qual herunter, / Denn daß auch deinem Schmerz ein Ende sei, / Das will die Nacht und ihre großen Wunder. / Es haben dir die Seligen verkündet, / Wie ihr Geleucht von dir verdunkelt ist, / Es sprach der Vater, dieser frohe Christ, / Daß alles Leid zuletzt in Liebe mündet.« 214
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Unendlich wird die Lust Aus allen Wesen klingen, Verklärte werden rufen: Ihr Dunklen kommt herbei! So wird sich Brust an Brust Die Menschheit aufwärts ringen Und jubeln auf den Stufen: Die Lieb’ ist worden frei!30 Nachdem die letzten vier dieser Verse vom Chor der Heiligen wiederholt wurden, kann abschließend auch die Mutter des toten Soldaten den letzten Vers wiederholen – »ganz leise und innig«.31 Damit schließt sich ein Kreis, der von der Bewährung des Christen in der Todesstunde und dessen Vorbildfunktion für die vom Glauben abgefallene Christenheit über die Verherrlichung des genialen Künstlers beziehungsweise der inspirierenden verstorbenen Geliebten bis zur Bewährung des Soldaten geführt hat, dessen Tod durch Integration in die Heilsgeschichte gerechtfertigt scheint. Die Popularisierung des Verklärungsbegriffs bezieht sich in diesen Fällen, denen sich unzählige direkte und indirekte Bezugnahmen auf Totenerwachen und Himmelfahrten in der Literatur des Fin de Siècle und frühen 20.#Jahrhunderts hinzufügen ließen, auf den eine endgültige Verwandlung bezeichnenden Verklärungsbegriff, der dem biblischen Motiv der Auferstehung und Himmelfahrt Christi entspricht. Belege für eine künstlerische Aufnahme des eine vorläufige Verwandlung bezeichnenden Verklärungsbegriffs, der dem biblischen Motiv der Verklärung Christi entspricht, finden sich dagegen kaum, schon die bloße Bezugnahme auf das biblische Motiv ist selten. Zwei dieser seltenen Beispiele, in denen die Transfiguration Christi ästhetisch adaptiert wird, seien kurz vorgestellt. Zuerst das Gedicht Christus auf dem Tabor (1915) von Friedrich Lienhard: Christus auf dem Tabor Jenseits der Drangsal, Funkelnd von Kraft der Gnade, Stehst du, Sonnengestalt, Und in Goldlicht verwandelt sich dort Vergängliches Leid. 30 Ebd., S."32$f. 31 Ebd., S."33. 215
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
So bist du jenseits Und dennoch erreichbar: Denn wir, So oft wir den Wassern der Drangsal Entsteigen, wie du entstiegest – Sonnenumflossen stehn wir bei dir, Goldgepanzert, verwandelt in Licht. Siehe, so standest du einst, Als du in Hüllen der Erde gingst, Vorauswerfend Glanz der künftigen Herrlichkeit, Groß auf dem Tabor. Zwiesprache hielten mit dir Erhabene Meister der Urzeit: Elias und Mose. Unter dir aber, in Schatten und Schwere, Schlummerten Gassen und Märkte der Menschen. Da trat aus dir heraus Das erdgefangne, das ewige Licht: Wie zum Bade legtest du ab Die Hüllen der Erde, Den Rabbi, den Galiläer – Und auf dem Tabor stand Der funkelnde Gottmensch! Trat aus den Hüllen und stand, Stand wie die Opferflammensäule Groß auf dem nächtlichen Tabor! Da nahten sich jene, funkelnd wie du, Die beiden Großen der Vorzeit, Traten hervor aus verhüllendem Lichtgewölk, Wurden Gestalt und standen in Glanz Auf dem Gipfel des Tabor. Und sie tauschten mit dir die strahlende Rede, Grüßten dich von den Seligen, Erfüllten mit Flammenkraft die verzückten Jünger – Und traten wieder zurück In die geheimnistiefe Mondnacht.
216
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Du aber, Meister, und deine Jünger – Schweigend, leuchtend, wissendes Lächeln Auf hell nachschimmerndem Antlitz, Wandeltest wieder hinab zu den dunklen Menschen. Lienhards hymnisch-pathetische Darstellung der Verklärung auf dem Berge in der dritten und vierten Strophe, die auf die in den ersten beiden Strophen dargestellte Überwindung irdischer Bedrängnis in himmlischer Seligkeit vorausdeutet, folgt weitgehend der biblischen Vorlage, wenn auch mit kleinen Änderungen und Erweiterungen, etwa der Verbindung von Licht- und Goldmetaphorik (»Goldlicht«, »Goldgepanzert«). Im Vergleich mit den biblischen Berichten fällt vor allem die Vernachlässigung des trinitarischen Aspekts auf (die Legitimierung Christi durch die Stimme aus der Wolke). Auffallend ist auch die mit der Verwandlung Jesu verbundene Entfernung jüdischer Attribute (»Den Rabbi, den Galiläer«), die sich vor dem Hintergrund von Lienhards Engagement für die völkisch-nationalistische ›Heimatkunst‹ noch eindeutiger antijüdisch ausnimmt, wobei zugleich festzuhalten ist, dass Mose und Elia als den Autoritäten der »Urzeit« oder »Vorzeit« im Gedicht dieselbe Herrlichkeit zuerkannt wird wie dem »funkelnde[n] Gottmensch[en]« (»funkelnd wie du«). Auch verleiht Lienhard in der fünften Strophe Jesus durch das Motiv des Nachglanzes (»Auf hell nachschimmerndem Antlitz«) mosaische Züge (nach der paulinischen Kennzeichnung des vom Sinai herabgestiegenen Mose). Der Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Judentum ließe sich die nach dem Verhältnis zu den diversen religiösen Strömungen der Jahrhundertwende mit ihren Licht- und Sonnenkulten an die Seite stellen, doch hier soll Lienhards Gedicht lediglich die literarische Adaption der Verklärung auf dem Berge illustrieren. Als weiteres Beispiel für eine solche Anverwandlung sei der Roman Der Berg der Verklärung (1931) des auch schriftstellerisch wirkenden Pfarrers Georg Türk genannt. Welche Bedeutung der biblischen Verklärung auf dem Berge in diesem Roman zukommt, wie es der Titel signalisiert, wird gleich auf den ersten Seiten mit Bezug auf die Hauptfigur, den alten Baron Gerhard v. Linden zu Kreuzlinden, genauer ausgeführt: Jeden Freitagmorgen unternimmt dieser Baron einen Spaziergang, der ihn vom Friedhof des Dorfes und einem im Wald verborgenen Wasser, genannt ›Herzeleid‹, auf schmalem Pfad zu einer bewaldeten Kuppe führt, ebendem ›Berg der Verklärung‹. Auf diesen Gängen rezitiert der Baron zum einen die folgenden Verse: »Leucht 217
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
uns selbst in jene Welt, / du verklärte Gnadensonne, / führ’ uns durch das Tränenfeld / in das Land der süßen Wonne, / da die Lust, die uns erhöht, / nie vergeht.«32 Zum anderen liest er die Geschichte der Verklärung Christi im Lukasevangelium.33 Die Bedeutung dieses persönlichen Rituals, das auf die endgültige Erlösung wie auf die vorläufige Verklärung verweist, um weltliches Leid und himmlische Seligkeit in einen sinnvollen Zusammenhang bringen zu können, wird in der Romanhandlung zunächst nicht mit Bezug auf den Baron selbst erschlossen, sondern anhand der Wirkung des Barons auf seine Enkelin Ruth und auch auf deren Mann, den Bildhauer Werner Neydheim. Beide werden unter dem Einfluss des Barons von selbstischen Zügen, mögen diese nun hinter sozialem Engagement verborgen sein oder sich in genialischer Selbstinszenierung zeigen, zur Selbstüberwindung, Demut und selbstlosen Liebe geführt. Das Sinnbild dieser Verwandlung ist jeweils die Begleitung des Barons auf seinem rituellen Spaziergang. Dabei erweist sich der Baron insbesondere im Verhältnis zur Enkelin als ebenso einfühlsamer wie selbstgewisser geistlicher Ratgeber, wenn er etwa im Anschluss an die dieses Mal von der Enkelin vorgelesene Geschichte der Verklärung Christi erklärt: Die heiligen Stätten sind nicht an Raum und Zeit gebunden. Der Mensch findet den Weg zu ihnen viel leichter aus den Tälern des Leides als von den Höhen der Freude. Denn in den Tälern des Leides lernen wir, das Bleibende zu suchen. Auf dem Berg der Verklärung offenbart das Leiden seinen tiefsten Sinn. Es wird als Notwendigkeit erkannt. Begreiflich, daß wir auf dem Berg der Verklärung Hütten bauen möchten. Aber der Weg führt wieder hinunter in die Täler. Dort soll das Fünklein Ewigkeit, das wir mitbringen, zur wärmenden, reinigenden Flamme werden … Willst du nicht auch den Weg auf den Berg der Verklärung suchen? Es ist ein weites, mühseliges Wandern. Die unsichtbaren Hände, die dein Leben durchwalten, haben dich in Not geführt, damit du deine Augen aufhebst zu der fernen, leuchtenden Höhe. Du wirst die Not überwinden, wenn die Sehnsucht nach dem Berg der Verklärung in dir ist …34 32 Georg Türk: Der Berg der Verklärung, S."5, vgl. S."124. Es handelt sich um die fünfte Strophe des Kirchenliedes Morgenglanz der Ewigkeit mit dem Text von Christian Knorr von Rosenroth. 33 Ebd. 34 Ebd., S."108$f. 218
VII . 1 . INFLATIONÄRES VERKLÄREN
Der Berg der Verklärung wird in Türks Roman so überdeutlich als existenzielles Symbol verwendet. Ohne dessen vielfältige Anwendung hier auszubreiten, seien nur zwei Aspekte herausgegriffen. Der erste betrifft die Frage nach der Einzigartigkeit der christlichen Symbolik. So wird in einem Gespräch über die Religion, das sich zwischen dem Baron und dem Vater des besagten Bildhauers, einem Altgermanisten, entspinnt, auch das zeitgenössische Interesse am germanischen Götterglauben erörtert, zugespitzt in der Frage, ob nun auch Kappellen für Wotan zu erwarten sind (der Roman erscheint ja Anfang der dreißiger Jahre). Die Bedeutung des Germanentums beziehungsweise seiner neuheidnischen Wiederbelebung wird vom Baron relativiert, ohne dabei die völkisch-politische Motivation jener Aktualisierungsversuche zu thematisieren: »Vielleicht kommt Wodan da und dort zu neuen Ehren. Den Frieden, nach dem sich die Menschen sehnen, wird er nicht geben. Er wird niemand auf den Berg der Verklärung führen …«35 Neben dieser Diskussion über die Singularität des Christentums, die nicht zuletzt im Hinblick auf die historischen Umstände von Interesse ist, sei schließlich noch eine Veränderung angesprochen, die mit dem Baron selbst vor sich geht. Nachdem er der Enkelin von seiner Lebensgeschichte und seinem eigenen Leid erzählt hat, verliert der Verklärungsberg für ihn nicht an Bedeutung, wohl aber das Ritual des freitäglichen Spaziergangs, er muss sich den Sinn seines Lebens nicht länger auf diese Weise vergegenwärtigen: »Alle die Tage, die ihm noch zugemessen wurden, waren ein Verweilen auf dem Berg der Verklärung. Er bedurfte des Symbols nicht mehr.«36 Georg Türks Roman ist, wie das zuvor angeführte Gedicht von Friedrich Lienhard, vor allem in motivischer Hinsicht von Interesse, als literarische Anverwandlung der Verklärung auf dem Berge, während seine literarische Qualität vernachlässigt werden darf, etwa die konventionelle Erzählweise und stereotype Figurenzeichnung, zumal ästhetische Kriterien in dieser christlichen Literatur offenkundig der erbaulichen Funktion untergeordnet sind. Wie ungewohnt die Bezugnahme auf die Verklärung im Sinne der Verklärung Christi ist, zeigt sich vielleicht auch daran, dass Türk die Kenntnis der biblischen Geschichte bei seinem Leserkreis nicht einfach voraussetzt, sondern deren Wiedergabe in die Handlung einflicht. Wie anders verhält es 35 Ebd., S."63. 36 Ebd., S."123; vgl. seine Erinnerung an die eigene Aneigung der Verklärung Christi, S."114. 219
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
sich mit der Anspielung auf eine mit Auferstehung und Himmelfahrt assoziierte Verklärung, die Max Bruns’ poetische Andachten an die verstorbene Geliebte und Alfons Petzolds Drama vom toten Soldaten vor Augen geführt haben.
VII.2. Esoterische Traditionspflege am Beispiel Leopold Zieglers
Wenn sich in der ersten Hälfte des 20.#Jahrhunderts überhaupt ein tiefer gehendes Interesse an der Ideengeschichte und Begrifflichkeit der Verklärung findet, dann nur bei Einzelnen, die sich allenfalls zu mehr oder weniger esoterischen Zirkeln zusammenschließen. Zu diesen Solitären gehört der Religionsphilosoph Leopold Ziegler, dessen 1917 veröffentlichtes Büchlein Volk, Staat und Persönlichkeit im selben Jahr von Lisbeth Schäfer in Die Rheinlande (Monatsschrift für deutsche Kunst und Dichtung) besprochen und dabei mit folgenden Worten empfohlen wird: Eine Verklärung möchte man diese Schrift heißen, und um es gleich zu sagen, nicht nur im Sinne der Erläuterung und Aufhellung und nicht mit der allzu abgegriffenen Münze dieser Begriffe in unserer täglichen Sprache, sondern in jenem transzendentalen Sinn, der wie auf einen Wink die trüben Schleier weghebt, die Trägheit und Furcht, Knechtschaft der Triebe und der Mangel an Intuition und jeglichem Willen zur Gerechtigkeit darübergebreitet haben, sodaß wir ihre Mahnung und Forderung in einem neuen Licht leuchten sehen, von einer Läuterung und von da aus von einer Verklärung der Begriffe sprechen dürfen.37 Auf diesen emphatischen Verklärungsbegriff, der die ursprüngliche Doppelbedeutung von Erklärung und Verherrlichung nutzt und der eine von der gewöhnlichen Aufklärung unterschiedene, die gesamte Lebensanschauung (Erkennen, Wollen und Fühlen) betreffende und verändernde ›Einweihung‹ bezeichnet, kommt Ziegler in einem Brief zurück, den er am 23.#Mai 1917 an die Rezensentin schreibt: Besonders getroffen fühl’ ich mich durch die Worte, daß mein Werkchen eine »Verklärung« genannt wird. Wie sehr dies in der 37 Lisbeth Schäfer: Fahne und Vereidigung, S."124. 220
VII . 2 . ESOTERISCHE TRADITIONSPFLEGE
Tat meine innersten Absichten bloß legt, darf ich Ihnen vielleicht an einem kleinen Beispiel erläutern, das ich neulich zu meiner Frau gerade als wir von meinen Absichten sprachen, äußerte. Mein Vater betrieb nämlich eine staatliche Vergolderei und hat sich jeweils geweigert, einen andern Beruf als den des Vergolders zu führen, obwohl ihm häufig nahe gelegt wurde, sich doch Kaufmann zu nennen, wie es der Ausbreitung und Führung des Geschäfts entsprochen hätte. Daran mich immer wieder gern erinnernd, sagte ich kürzlich zu meiner Frau, daß ich doch eigentlich nichts anderes sei als der Sohn meines Vaters, dessen einzige Freude und wohl auch einzige Kunst es sei, die Dinglichkeiten der Welt ein bisschen zu vergolden, damit etwa das Licht auf ihnen spielen könne – heute beweist mir nun Ihr Urteil, daß ich nicht ganz vergeblich mein Handwerk betrieben habe und der produktive Leser heute schon etwas von der Vergoldung erahnt, in der einmal die Meisterschaft zu erwerben der sehnlichste Wunsch meines Lebens wäre. Jeder richtig gesehene Begriff scheint mir in diesem Sinne eine Verklärung der Wirklichkeit, die er umspannen soll, und die Philosophie als die unerlernbare Kunst, Begriffe zu »sehen«, ist nichts als bewusst geübte Verklärung – Vergolderei!38 Nun handelt es sich bei Zieglers Affinität zum Verklärungsbegriff nicht bloß um eine Anekdote, vielmehr wird bereits im besagten Büchlein an zentraler Stelle die Idee einer Verklärung des Lebens und der Welt angedeutet und dabei das alchimistisch akzentuierte Verklärungsvokabular genutzt, wenn nämlich das zeitgenössische Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft und Gesellschaft in Beziehung gesetzt wird zum Ideal der mit Gott verbundenen und von Gottes Wirken zeugenden totalen Persönlichkeit des Christen.39 38 Leopold Ziegler: Gesammelte Werke in Einzelbänden, Bd."5: Briefe und Dokumente, S."61$f., hier S."61 (zur Adressatin vgl. den Kommentar von Manfred Bosch, S."61 Anm."33). 39 Leopold Ziegler: Volk, Staat und Persönlichkeit, S."231: »Wer aber, er sei denn vorsätzlich verstockt, ahnt nicht gerade hier die einzige wahrnehmbare Möglichkeit, über die gespenstige Verlassenheit dieses gegenwärtigen Weltalters endlich zu triumphieren und jenen wunderbar erfüllten Zustand der Seele wieder herbeizuführen, der den Menschen des lutherischen Glaubens – und Luther war in sehr wesentlichen Zügen eine augustinische Natur! – in die Nachbarschaft des homerischen Griechen rücken würde? Ich meine in die Nachbarschaft einer Gläubigkeit, seelenstark und gemütskräftig genug, um die etlichen Gegebenheiten des Lebens in die luzide Sphäre einer göttlichen Überglänztheit wieder einzutauchen und den Zustand einer beinahe vollkommenen Weltheiligung 221
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
Ziegler hat sich sein gesamtes Werk hindurch intensiv mit dem Themenkomplex der Herrlichkeit und Verklärung beschäftigt, so zum Beispiel in dem Buch Überlieferung (1936), das in die drei Teile Ritus, Mythos und Doxa gegliedert ist.40 Im hier relevanten dritten Teil stellt Ziegler fest, dass der Begriff ›Doxa‹ im biblischen Sinne nicht mit ›heiliger Lehre‹ gleichzusetzen sei, weil er »[n]ach evangelischem Sprachgebrauch nämlich hinausweist auf die unmittelbare Selbstvergegenwärtigung desselben Heiligen, welches Vorwurf und Gegenstand der heiligen Geschichte und der heiligen Handlung ist – hinausweist mithin auf die Selbstvergegenwärtigung des Gottes als solchen!«41 Diese als Selbstvergegenwärtigung und Gegenwart Gottes zu verstehende ›Herrlichkeit‹, wie sie am mächtigsten in der Identitätsformel ›Ich bin‹ zum Ausdruck komme, bezeichne chiffrenhaft der Begriff ›schekinâh‹.42 Nun ist diese Begriffsklärung nicht nur von theologisch-exegetischer Relevanz, sie hat Folgen für das Menschen- und Weltbild, zumal Ziegler seine Überlegungen zur Herrlichkeit des Herrn mit der Idee des ›ewigen oder allgemeinen Menschen‹ (Eschatos Adam) verknüpft, die eine zyklische Folge von Menschwerdungen Gottes und Vergöttlichungen des Menschen bezeichnet. Diese Idee komme in den verschiedenen Religionen zum Ausdruck, die so zu einer ›integralen Tradition‹ (René Guénon) beitragen. Auch im Christentum sei diese Idee impliziert, wobei Ziegler die wichtige Einschränkung macht, daß die evangelische Christologie in jeder Zeile zwar eine Lehre vom Ewigen Menschen voraussetzt, sei es als mythisches Urwissen in symbolischer Gestalt, oder sei es als echte Doxa, als echtes Dogma wieder aufzurichten: mit dem einzigen, allerdings grundlegenden Unterschied, daß wir diesen Glauben aus unsäglich versteintem Unglauben erst (durch innerlich erzeugte Wärme) allmählich herauszuläutern, herauszuschmelzen hätten, anstatt ihn einfach (durch die Gunst einer glücklichen Geburt) mit unsrer Kindheit selig anzutreten?« 40 Leopold Ziegler: Überlieferung, »Buch der Doxa« S."331-531. 41 Ebd., S."336. 42 Ebd. Einen Eindruck vom Bedeutungsspektrum dieses Begriffs vermittelt Gershom Scholem: Zur Entwicklungsgeschichte der kabbalistischen Konzeption der Schechinah (1953), indem der Bedeutungswandel von der Anwesenheit Gottes in der Welt über seine Herrlichkeit bis zu einer spezifischen Entfaltung rekonstruiert wird, in deren Folge die personifizierte Schechinah als Medium göttlicher Energien oder das ›Ewig-Weibliche‹ gilt. Jürgen Moltmann setzt später bei ebendiesem Begriff an, um das Geheimnis der Gegenwart Gottes im Judentum und Christentum zu vergleichen und eine auf den Aspekt der Erniedrigung ausgerichtete Solidaritätschristologie von einer auf die Erhöhung ausgerichteten ›utopischen‹ Christologie zu unterscheiden (Schechina, 2006). 222
VII . 2 . ESOTERISCHE TRADITIONSPFLEGE
nach Art des absoluten Wissens: daß sie uns aber eben diese Lehre, eine Anthropologie höchsten Stiles, bis heute schuldig geblieben ist und damit uns selbst in unserer Eigenschaft als Christen von einer geistigen Not in die andere stürzt.43 Die christliche Religion erhält dadurch eine Sonderstellung, dass sie einerseits als Ausdruck der Idee vom ›ewigen Menschen‹ den anderen Religionen gleichgeordnet ist, die noch ausstehende existenzielle Aneignung des erschienenen Jesus Christus aber andererseits die mythische Wiederholung von Menschwerdung und Vergöttlichung durchbrechen und zu einer Aufhebung aller Religionen im übergeordneten Christentum, im Zeichen des Kreuzes, führen werde: »So ist im alleräußersten, nämlich abermals eschatologischen Begriffe der Herr des Evangeliums notwendig und unabänderlich der letzte Gott, der alle Götter in sich vereinigt und in sich verklärt.«44 Welche konkreten Folgen diese abstrakt anmutenden religionsphilosophischen Spekulationen für das Menschenbild haben, hat ein Vierteljahrhundert später der Theologe Ernst Benz im Rahmen einer Untersuchung zur Ideengeschichte des Übermenschen deutlich gemacht: »Unter den Denkern der zeitgenössischen Philosophie ist Leopold Ziegler der einzige, der eine moderne Anthropologie von der christlichen Idee einer Transformation des Menschen her entworfen und gleichzeitig eine philosophische Abgrenzung dieser Idee des ›Neuen Menschen‹ gegenüber dem modernen biologischen Evolutionsbegriff versucht hat.«45 Im Hinblick auf den Verklärungsbegriff ist vor allem das erste von Benz hervorgehobene Merkmal der Ziegler’schen Religionsphilosophie wichtig, der Ausgang von »der christlichen Idee einer Transformation des Menschen«, denn diese Idee der Verwandlung, Vervollkommnung oder Vergottung des Menschen entspricht eben der Verklärung. Da diese Verklärungsidee mit der Rechtfertigungslehre in einem Spannungs- oder Gegensatzverhältnis steht, wurde sie, wie hier in verschiedenen Zusammenhängen bemerkt, vor allem in heterodoxen theologischen Bewegungen kultiviert. Dementsprechend betont Benz, 43 Leopold Ziegler: Überlieferung, S."422. 44 Ebd., S."468; vgl. S."358: »von allen heiligen Schriften und Büchern verschmelzt nur das Evangelium Historisches und Äonisches zu einem Dritten, Neuen und Höheren, zu einem Metahistorischen, Hyperäonischen und Eschatologischen.« 45 Ernst Benz: Das Bild des Übermenschen in der christlichen Religionsphilosophie der Gegenwart, S."275-291, 299$f., hier S."275. Vgl. Gerhard Wehr: Spirituelle Meister des Westens, S."181-195, 281$f. 223
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
daß sich Ziegler in keiner Weise damit zufrieden geben will, die traditionelle kirchliche Christologie zu wiederholen, die auf dem restaurativen Schema der Satisfaktion und Rechtfertigung aufgebaut ist, – er greift zurück auf das Bild vom ›Ewigen Menschen‹, vom ›Göttlichen Menschen‹, wie es in der Tradition der christlichen Gnosis, der ostkirchlichen Mystik, der jüdischen Kabbala, aufleuchtend in einer theosophisch voll entwickelten Form in den Schriften Jacob Boehmes, F.#C. Oetingers und Emanuel Swedenborgs erscheint.46 Verglichen mit Zieglers Adaption und Aktualisierung der Verklärungsidee ist die von Benz als zweites Merkmal hervorgehobene Abgrenzung von theologischer Transformation und biologischer Evolution hier nachrangig.47 Zieglers intensives Bemühen um die Verklärungsidee darf nicht übersehen lassen, dass er eine Außenseiterposition einnimmt, die sich gelegentlich – etwa durch Ernst Benz oder Konrad Onasch (der Ziegler einen seiner Aufsätze über die Verklärung widmet und in ähnlicher Weise die Ideen von Metamorphose und Satisfaktion gegeneinanderstellt) – mit der Universitätstheologie berührt, ohne doch eine Umorientierung zu bewirken. Damit ist Ziegler ein Vertreter jener absichtlich oder gezwungen esoterisch erfolgenden Vermittlung, die die Überlieferung der Verklärungsidee in der westeuropäischen Kultur zu einem großen Teil bestimmt.
46 Ernst Benz: Das Bild des Übermenschen in der christlichen Religionsphilosophie der Gegenwart, S."281; vgl. S."281$f.: »Von Anfang an weist Zieglers Lehre vom Ewigen Menschen einen progressiv-evolutionären, ›endabsichtlichen‹ Zug auf […] und gerade dadurch unterscheidet er sich wesentlich von der statischen, von dem Gedanken der Repristination bestimmten Auffassung der orthodoxen Dogmatik.« 47 Ebd., S."289: »daß die Entwicklung des Lebens nur verstanden werden kann, wenn man die traditionelle Deszendenztheorie umkehrt: nie kann Höheres aus Niederem entstehen, nie kann der Mensch aus der Tierreihe hervorgehen, es sei denn, daß das Höhere von Anfang an als Leitidee, als inneres Modell, als ›Endabsicht‹ die Evolution von innen her bestimmte und vorwärtstriebe und auf ihr Ende, das heißt auf ihre völlige Verwirklichung, Darstellung und Verleiblichung hinführte.« 224
VII . 3 . EIN LEITBILD FÜR DIE NACHKRIEGSZEIT UND EINZELASPEKTE
VII.3. Ein Leitbild für die Nachkriegszeit und Einzelaspekte
Der Abwurf der Atombombe auf Hiroshima am 6.#August 1945, dem mit dem Fest der Verklärung des Herrn verbundenen Datum, hat einige Theologen, Philosophen und Schriftsteller dazu veranlasst, die Verklärung (in einem mehr oder weniger spezifizierten Sinn) als Gegensatz zur atomaren Apokalypse darzustellen. So eröffnet zum Beispiel der russische Theologe Nikolaus von Arseniew sein Buch Die Verklärung der Welt und des Lebens im ästhetischen und religiösen Erlebnis (1955) mit den folgenden, bereits 1948 niedergeschriebenen Worten: Ist es angebracht, in der heutigen Welt der Verheerung und der Entweihung, des Hasses und der Zerstörung, in dieser Welt der Atombombe, die in das innerste Gewebe der Weltstruktur entweihend eingreift, in der Welt der eingeäscherten Städte und der hungernden, frierenden Bevölkerungen, der zerrissenen und zerstörten Familien und verkrüppelten Jugend, in einer Welt, in der das Unrecht so blutig regiert hat und noch weiter regiert – denn es ist auch jetzt noch nicht abgelöst durch Recht und Menschlichkeit –, ist es angebracht, in dieser Welt der Verkümmerung und Zerstörung, in der auch das Physische und Naturhafte hineingezogen ist in diesen beschleunigten Zerstörungsprozeß, gerade hier und jetzt von der Verklärung der Welt zu sprechen?48 Der erste Teil des Buches behandelt dann das ästhetische Erlebnis, wie es die Kunst, doch zum Beispiel auch das Glück der Kindheit und des Familienlebens vermitteln können, das für die eigene Zeit der Einleitung zufolge jedoch verloren scheint, wobei nach Arseniew eine allein auf dem ästhetischen Erlebnis basierende Verklärung des Lebens grundsätzlich an dessen Vergänglichkeit scheitern muss. Die im zweiten Teil behandelte Verklärung basiert dagegen auf dem religiösen Erlebnis, das durch Aneignung der vom historischen Jesus Christus vollbrachten ontologischen Verwandlung des Lebens dessen Vergänglichkeit überwindet – vorausgesetzt, dass sich der Gläubige Kreuz und Verklärung in ihrer widersprüchlichen Einheit aneignet: Die Verklärung durch den Tod oder, noch richtiger: durch Seinen Tod, aber durch Seinen Tod, der in mir lebendig und wirksam 48 Nikolaus von Arseniew: Die Verklärung der Welt und des Lebens im ästhetischen und religiösen Erlebnis, S."9. 225
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wird, durch mein freiwilliges Mitgekreuzigtsein mit Ihm. Und die Verklärung durch Seine Auferstehung und Sein erhöhtes auferstandenes Leben. Das eine mit dem anderen unzertrennlich verbunden. Und beides ist eins: der Durchbruch Gottes, des göttlichen Logos, in Demut und maßloser Herablassung, und in der Herrlichkeit der Auferstehung, unser neues Leben. Daher Kreuz und Verklärung: unzertrennlich voneinander für den Christen. Männlich-demütige Nüchternheit, Aktivität und Kampf, Furcht und Beben, freudigschmerzvolles, ernstes Mitgekreuzigtsein und Mitsterben, SichHinopfern, Sich-Beteiligen an dem Tode des Herrn und – das anbrechende neue Leben, das aus dem Tode des Herrn heraussprießt (daher spricht die Ostkirche so oft von dem »lebenspendenden« Kreuze): das Wirken in uns, die neue Wirklichkeit des Heiligen Geistes in uns.49 Arseniews Buch lässt sich einer verhältnismäßig populären religiösen Nachkriegsliteratur zurechnen, die wegen des Einsatzes der Verklärung als Gegenbild zu dem vom Atomkrieg verdüsterten Menschenund Weltbild und auch wegen der Vermittlung von ostkirchlicher und westkirchlicher Theologie von Interesse ist; der Verklärungsbegriff bleibt dabei wegen des Nebeneinanders von ästhetischen und religiösen Bezügen, bei letzteren kann es sich um die Verklärung Christi oder seine Auferstehung und Himmelfahrt oder aber in ostkirchlicher Manier um die von Christus eingeleitete Metamorphose der ganzen Welt handeln, vieldeutig. Ähnliches gilt für das Buch Erlebnis und Verklärung (1949) von Wilhelm Vershofen, der im Klappentext als Dichterphilosoph vorgestellt wird (und als Begründer der modernen Marktforschung gilt). In einem fiktiven Gespräch lässt Vershofen am Ende seines Buches verschiedene historische Personen zusammenkommen, darunter Thoreau, Franz von Assisi und Jeanne d’Arc, damit diese angesichts der von der Atombombe repräsentierten Auslöschung die Aufgabe des Menschen erörtern, die schließlich damit bestimmt wird: die Welt in Liebe zu erneuern.50 In den vorhergehenden Ausführungen macht Vershofen vor allem den Zusammenhang von Verstand und ›Schau‹ oder ›Erlebnis‹ geltend, der im Zeitalter der Naturwissenschaften und Technik durch die Eigendynamik der Rationalisierung, die Verselbständigung verständigen Denkens, aufgelöst werde. Die Unverzicht49 Ebd., S."182. 50 Wilhelm Vershofen: Erlebnis und Verklärung, S."149-175. 226
VII . 3 . EIN LEITBILD FÜR DIE NACHKRIEGSZEIT UND EINZELASPEKTE
barkeit der ›Schau‹ verdeutlicht Vershofen mit der Idee des Gottmenschen, die nicht durch rationale Erklärung, sondern durch Erlebnis der widersprüchlichen Einheit von Gott und Mensch Letzteren vor extremer Selbstüberschätzung oder -unterschätzung bewahren und zur Wahrnehmung seiner globalen Verantwortung anhalten könne. Die titelgebenden Begriffe ›Erlebnis‹ und ›Verklärung‹ beziehen sich somit auf die handlungsmotivierende Aneignung der regulativen Idee des Gottmenschen und allenfalls assoziativ auf die biblischen Verklärungsmotive, wie besonders folgende Passage illustriert: Dem Verstande mag es einleuchten, daß die schriftliche Form der Überlieferung des Lebens und der Lehre Christi erst dann als notwendig erkannt wurde, als es galt, die bis dahin allein vorhandene mündliche vor willkürlicher Um- und Ausdichtung zu bewahren. Für die Schau aber verhält es sich anders, nämlich so: Der damaligen Zeit war aufgegeben eine Ineins-Setzung von Gott und Mensch zu finden, die Gott nicht entwürdigte und den Menschen nicht in einen Rang erhob, in dem er nur lächerlich wirken konnte. Erst nachträglich konnte man die Verklärung Christi in ihrer tiefsten Bedeutung anschauen und so stark erleben, daß man zu glauben gezwungen war. Selbst Gott, wenn er unter uns in der Gestalt unseres Nachbarn zu wohnen käme, würde von uns nach kurzer Frist nicht anders behandelt werden können, wie eben der Nachbar. Nur dem, was fern ist, können wir hohen Rang zuerkennen. Der stärkste Glaube aber ist die größte Tat. Deshalb konnte der große Glaube an Christus nicht früher eine geschlossene Form finden, als bis die Evangelien geschrieben wurden. Aber wenn Christus nicht die zweite Person in der Gottheit gewesen ist, wenn die Trinität nur ein Symbol, ein Bild, darstellt, so bedeutet das überhaupt nichts Entscheidendes. Was die Menschheit brauchte und immer wieder brauchen wird, aus der Sonderheit ihres Wesens heraus, war eine Wiederverknüpfung mit dem Urgrunde und zugleich eine Bindung an das höchst erschaubare Ziel, eine Re-Ligio, die es ihr ermöglichte, sich gottnah und gottverbunden zu fühlen.51 Während Arseniew und Vershofen die Verklärungsidee also aus christlicher beziehungsweise humanistischer Perspektive aktualisieren, um unter dem Schock des Atombombenabwurfs ein positives Menschen- und Weltbild, anthropologische und kosmologische Aspekte 51 Ebd., S."77$f. 227
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
der Transfiguration geltend zu machen, lässt sich in der zweiten Hälfte des 20.#Jahrhunderts doch zumindest eine eigenständige, umfassende und genuin theologische Behandlung des Themas der Herrlichkeit finden, gemeint ist selbstverständlich die gleichnamige Trilogie von Hans Urs von Balthasar aus den 1960er Jahren, aus der hier besonders der letzte Teilband zur Theologie des Neuen Bundes (1969) relevant ist.52 Darin bestimmt Balthasar, was die Chiffre ›Doxa‹ im Neuen Testament bedeutet, mit gelegentlicher Bezugnahme auch auf die im Forschungsbericht vorgestellte Studie von Arthur#M. Ramsey. Der Herrlichkeitsbegriff verweist laut Balthasar auf ein ganzes Spektrum voneinander unterscheidbarer und miteinander zusammenhängender Bedeutungsnuancen: »von Herrschaftlichkeit (in der Schöpfung) über Hoheit (im Versöhnungswerk) zu Herrlichkeit (im endgültigen Durchbruch der Erlösung). Desgleichen auf die nicht einzuebnende Abschattung (mit vielerlei Übergängen) zwischen Wucht (›Macht‹) und Glanz (›Licht‹).«53 Um das Bedeutungsspektrum der Herrlichkeit würdigen zu können, bedarf es nach Balthasar einer theologischen Hermeneutik, die die Heilsgeschichte vom Ganzen her und nicht von einem einzelnen Ereignis (auch dem Osterereignis) deutet. Diese hermeneutische Neuausrichtung veranschaulicht Balthasar anhand dreier Momente der Lebensgeschichte Jesu. »An drei Punkten der synoptischen Berichte kann […] die theologisch geforderte ›Entösterlichung‹ aufgezeigt werden: den Wundern Jesu, seinen Gleichnissen, seiner Verklärung.«54 In Anbetracht seiner umfassenden Untersuchung des Herrlichkeitsbegriffs mag überraschen, dass Balthasar der Verklärung Christi nur ein paar Seiten widmet (und dabei die Besonderheiten der deutsche Begrifflichkeit übergeht).55 Wie konzentriert diese knappen Ausführungen zur Verklärung auf dem Berge allerdings sind, kann die folgende, zusammenfassende Passage verdeutlichen, die außer dem mit der Verklärung markierten Übergang von Altem und Neuem Bund und dem dabei zugleich markierten Gegenwartsbezug der Verheißung Christi beiläufig noch das Verhältnis der synoptischen Verklärungsberichte zum Johannesevangelium und zu den Petrus-Briefen erläutert:
52 Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit, Bd."III/2: Theologie, Teil"2: Neuer Bund, v.$a. S."219-359. 53 Ebd., S."242. 54 Ebd., S."307. 55 Ebd., S."317-323. Vgl. Marius Reiser: Die Verklärung Jesu (Mk"9,2-10), S."37$f. 228
VII . 3 . EIN LEITBILD FÜR DIE NACHKRIEGSZEIT UND EINZELASPEKTE
Das Erstaunliche an der Verklärung ist, daß in dieser Nacht auf dem hohen Berg die immer entgleitende Doxa des Alten Bundes in all ihren Stufen und Gestalten für einen Augenblick Gegenwart wird, und zwar in ihrer alttestamentlichen Form sich unmittelbar erfüllt an Jesus und inmitten seines Gebetes zum Vater – nicht so, wie sie bei Johannes sich gleichsam übersteigen und auflösen wird in dieses Verhältnis hinein, so daß Jesu gesamte Existenz verborgenere oder offenere Glorie werden und damit eine eigene Verklärungsszene sich erübrigen wird, sondern so, daß die Zwischenstufe sichtbar wird, der Augenblick, da die alttestamentliche Herrlichkeit sich auf einen Punkt sammelt, um ein- und überzugehen in die neue. Aber diese Sammlung des Zerstreuten: vom Sinai über Elias bis hin zu Daniel, ist zugleich ein sich Schärfen zum Pfeil, der nun geradenwegs auf das Letzte hinzielt: die Einheit von Kreuz und Parusie. Was früher über den doppelten Zeithorizont Jesu gesagt wurde, muß hier vor Augen stehen: Kreuz ist Weltende, und dessen Jenseits ist Parusie. Sofern hier Verklärung des irdischen Jesus, seiner irdischen Kleider und irgendwie der von ihm beschienenen Welt vor sich geht, ist sie Verheißung und Angeld eschatologischer Verwandlung der Welt im ganzen, und für Paulus wird diese unsichtbarsichtbar mit dem Vollzug des christlichen Lebens – als Widerspiegelung der Herrlichkeit Christi – wahrhaft beginnen (2"Kor"3). Aber alles das vollzieht sich in tiefster Verborgenheit – bei Lk in einer Szenerie, die derjenigen der Versuchung wie des Ölbergs befremdlich nahesteht – fernab von den Menschen, vor drei Zeugen, die halb schlafen und die, was sie gesehen haben, in strenges Schweigen versiegeln müssen. Erst ganz zu Ende der apostolischen Zeit wird aus zwei Andeutungen des 1."Petrusbriefs (1"Pt"5,1; 1,11) der zweite Brief das Ereignis aus seiner Verborgenheit ziehen und daraus einen Augenzeugenbeweis für die noch ausstehende eschatologische Herrlichkeit machen (2"Pt"1,16-18); aber dieser Bericht eines pseudonymen »Epopten« ist in seiner »Veröffentlichung« irgendwie zurückgekehrt in die Apokalyptik und unterwegs zu den gnostischen Auswertungen des Ereignisses in der apokryphen Literatur.56
56 Hans Urs von Balthasar: Herrlichkeit, Bd."III/2: Theologie, Teil"2: Neuer Bund, S."322$f. 229
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
Wenngleich Balthasars in der Auseinandersetzung mit den Künsten und dabei besonders der Literatur57 entwickelte Theologie der Herrlichkeit und ›theologische Ästhetik‹ in der westkirchlichen Theologiegeschichte eine Ausnahme bildet, lassen sich aus diskursgeschichtlicher Perspektive Kontroversen identifizieren, die Aspekte des Herrlichkeitsbegriffs betreffen und mehr oder weniger stark auf Balthasars Werk rekurrieren. Eine dieser Kontroversen betrifft das Verhältnis von theologischer und philosophischer Ästhetik und damit auch das Verhältnis von Kunst und Religion. Als einflussreicher und auch in terminologischer Hinsicht interessanter Beitrag zu dieser Debatte ist Arthur#C. Dantos Buch Die Verklärung des Gewöhnlichen (1991, englisch 1981 unter dem Titel The Transfiguration of the Commonplace) zu nennen. Was die Wahl dieses Titels betrifft, so könnte neben dem von Danto anekdotisch mitgeteilten Bezug auf eine Erzählung von Muriel Spark auch, bedenkt man Dantos einschlägige Forschungen, Nietzsches Affinität zum Verklärungsbegriff von Belang sein. Nun weist Danto jeden Versuch zurück, die Verwandlung eines realen Dings in ein Kunstwerk mit der Verklärung Christi kurzschließen zu wollen, insofern diese Assoziation zur Nivellierung der Spezifika künstlerischer Verwandlung führt.58 Die wörtlich verstandene Transfiguration Christi ist für die Analyse der künstlerischen Transfiguration irrelevant, die metaphorisch verstandene könnte ein Modell bereitstellen, über dessen Eignung zur Analyse des kunstspezifischen Übergangs aus der alltäglichen Lebenswelt in eine künstliche Welt in der Welt allerdings erst nach genauerer Entwicklung und Anwendung des Modells zu entscheiden wäre – wobei dann zu beachten ist, dass sich die Bedeutungsunterschiede der Wörter ›Transfiguration‹ und ›Verklärung‹ auf die jeweilige Metaphorik und Modellbildung auswirken. Gegen eine solche Trennung von Kunst und Religion hat George Steiner mit seinem Buch Von realer Gegenwart (1990, englisch 1989) Einspruch erhoben, da eine ästhetische Erfahrung, die sich durch Verwandlung des Erfahrungssubjekts als wahr erweist, zumindest die Annahme einer in der Kunst real gegenwärtigen, diese ›durchstrahlenden‹ Transzendenz voraussetze (Transzendenz als hermeneutisches Als-ob).59 Den 57 Vgl. Georg Langenhorst: Theologie & Literatur, S."32-36. 58 Arthur#C. Danto: Die Verklärung des Gewöhnlichen, S."11$f. 59 George Steiner: Von realer Gegenwart, S."299. Bezeichnenderweise bezieht sich Botho Strauß in seinem Nachwort zur deutschen Übersetzung zur Erläuterung der sakramentalen Qualität des Kunstwerks auf Pavel Florenskij, 230
VII . 3 . EIN LEITBILD FÜR DIE NACHKRIEGSZEIT UND EINZELASPEKTE
Übergang von dieser allgemeinen Bezugnahme auf Transzendenz zur christlichen Transzendenz vollzieht dann zum Beispiel Rolf Kühn mit einer ›christlichen Ästhetik‹, die ausdrücklich an Balthasar anschließt: Der schöne Schein der Kunst hat seinen Grund demnach in der religiösen Erscheinung, das heißt der Selbstvergegenwärtigung Gottes nach dem Muster der Verklärung Christi, und ist daher nicht mit einer Illusion gleichzusetzen, weshalb umgekehrt nur durch Fundierung in der Herrlichkeit Gottes eine wahrhaft ästhetische Existenz möglich sei.60 Auf einen anderen Aspekt der Herrlichkeit macht Giorgio Agamben mit seinem (zum ›Homo Sacer‹-Projekt gehörenden) Buch Herrschaft und Herrlichkeit: Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung (2010, italienisch 2007) aufmerksam.61 Agamben markiert eine Differenz zwischen der in der Herrlichkeit vergegenwärtigten Herrschaft Gottes und der trinitarischen Ökonomie mit einer letztlich zirkulären wechselseitigen Verherrlichung der drei Personen. Nach Agamben ist die von Balthasar beispielhaft betriebene Ästhetisierung der Herrlichkeit durch eine Entpolitisierung der Theologie motiviert, während Doxologien und Akklamationen gerade »eine Übergangszone bilden, in der Politik und Theologie ununterscheidbar werden«.62 Die Ästhetisierung der Herrlichkeit verkennt und verdeckt demnach deren Funktion als Vermittlungsinstanz von Theologie und Politik beziehungsweise Ökonomie: »Die Herrlichkeit ist also deshalb unverzichtbar, weil durch sie der von der Trinitätslehre nie ganz überwundene Bruch von Theologie und Ökonomie ausgefüllt wird, weil diese nur in ihrer blendenden Gestalt wieder miteinander versöhnt
also einen Vertreter der russischen religiös-philosophischen Renaissance (Der Aufstand gegen die sekundäre Welt, S."309$f.). 60 Rolf Kühn: Herrlichkeit der Offenbarung und Verklärung Christi (2008), S."49: »Erst damit gelangt eine ästhetische Existenz zu ihrer Vollendung, denn sie weiß als Gewißheit im rein affektiven Sinne, daß der Glanz des Lebens nicht künstlich oder fingierend hervorzubringen ist, sondern dessen immanentes oder phänomenologisches Wesen schlechthin bildet – es ist jener Glanz der Herrlichkeit, wie er sich über das gesamte Leben Jesu spannt, um Unmittelbarkeit des Willens oder des Reiches Gottes im jeweiligen Vollzug zu sein. […] Erst dadurch ist die ästhetische Verwandlung der Erscheinung der Welt durch die Kunst keine Illusion, sondern vielmehr mögliche Rückbesinnung auf den Kern, den jeder Glanz verheißt, nämlich die Selbstverherrlichung Gottes in seinem und unserem Leben.« Vgl. den ähnlich ausgerichteten, erkenntniskritisch ansetzenden Beitrag von Jörg Splett: Transfiguration (2013). 61 Giorgio Agamben: Herrschaft und Herrlichkeit, insb. S."237-301. 62 Ebd., S."275. 231
VII . ENTWICKLUNGSTENDENZEN
werden können.«63 Unabhängig davon, wie Agambens genealogische Dekonstruktion im Detail durchgeführt wird und wie sich diese zur theologischen Dogmatik verhält, verdient das von ihm markierte Verhältnis von Herrschaft und Herrlichkeit, politischer Macht und religiöser Transzendenz, Aufmerksamkeit. So ist bemerkenswert, dass der politische Aspekt der Herrlichkeit in der vorliegenden, allerdings auch auf das Verhältnis von Kunst, Religion und Philosophie fokussierten Untersuchung nur selten berührt wurde, so zum Beispiel anlässlich der Gesellschaftsutopie der böhmischen Taboriten. So schwierig das Erkennen und Einschätzen von Entwicklungstendenzen mit der Annäherung an die eigene Zeit wird, so lässt sich auf der Grundlage der unterschiedlichen Präsenz der Verklärungsidee in ostkirchlich und westkirchlich geprägten Kulturen zumindest feststellen, dass die Relevanz der Transfiguration im orthodoxen Christentum in den Werken entsprechend geprägter Künstler und Wissenschaftler erwartungsgemäß Spuren hinterlassen kann, die in einigen Fällen, zum Beispiel bei Andrej Tarkovskij oder Mircea Eliade, auch in der Forschung Beachtung finden.64 Daneben gibt es von der ostkirchlichen Tradition inspirierte Versuche, die Verklärungsidee in anthropologischer Hinsicht, im Sinne eines auf Selbstüberschreitung und Vervollkommnung angelegten Menschenbildes zu aktualisieren, so zum Beispiel die auf die hesychastische Tradition rekurrierende ›synergetische Anthropologie‹ von Sergej#S. Choružij.65 Nachdrücklicher noch wird von orthodoxen Theologen der kosmologische Aspekt der Transfiguration betont, die mit der Verklärung Christi verbundene Weihe der Welt, eine Verwandlung und Verherrlichung, für deren Fortsetzung der Mensch Mitverantwortung trägt.66 Dass sich diese ökologisch akzentuierte orthodoxe Weltverklärung mit westlichen Ansätzen zu 63 Ebd., S."276. 64 Vgl. zu diesen Beispielen Diane Apostolos-Cappadona: Introduction: Mircea Eliade: The Scholar as Artist, Critic, and Poet bzw. Cornelia#E. Martyn: Die Poetik der Verklärung. Und was ließe sich im Hinblick auf das Thema der Verklärung in Fotografie und Film nicht noch alles ausführen! 65 Die Synergie fungiert nach Sergej#S. Choružij als Paradigma einer antiessentialistischen Anthropologie: Die mystische Verwandlung des Menschen (2010), S."98: »dass die Synergie […] verallgemeinert verstanden werden kann als energetisches Paradigma des ontologischen Transzensus, der gespeist wird aus Energien von zweierlei Natur und Quelle und der den aktuellen Übergang in eine andere Seinsart darstellt, im Unterschied zu den Formen des Transzensus, die in der Existenzphilosophie oder anderen philosophischen Schulen beschrieben werden«. 66 Vgl. z.$B. John Chryssavgis: A New Heaven and a New Earth (2013). 232
VII . 3 . EIN LEITBILD FÜR DIE NACHKRIEGSZEIT UND EINZELASPEKTE
einer spirituellen Ökologie berühren kann,67 ist hier nach den Ausführungen zur Präsenz der Transfigurationsidee in der amerikanischen Kultur wohl gar nicht mehr so verwunderlich. So ist es auch verständlich, dass die Transfigurationsidee für eine Annäherung von östlicher und westlicher Theologie sorgen soll, schließlich war hier schon mehrfach zu bemerken, dass die Thematisierung der Transfiguration mit ökumenischen Interessen verbunden sein kann. In jüngerer Zeit hat zum Beispiel D.#Gregory van Dussen die Transfiguration in diesem Sinne thematisiert, um aus methodistischer Perspektive die Gegenüberstellung von westlicher Rechtfertigung und östlicher Theosis zu überwinden; die Verklärung auf dem Berge wird so zum Sinnbild christlicher Hoffnung, die nicht mit weltlichem Optimismus, einer verhältnismäßig positiven Lebenseinstellung zu verwechseln ist, sondern eine absolut fundierte Haltung bezeichnet: »It is rooted in God’s intention for humanity, for each one of us, and for the universe, symbolized most powerfully by the transfiguration.«68 Wie isoliert solche ostkirchlich inspirierten Aktualisierungsversuche der Verklärungsidee auch anmuten, sie sind doch auffallender als entsprechende Versuche in den Westkirchen, wo zum Beispiel eine Wiederentdeckung der Idee und des Vokabulars der Verklärung zur Förderung einer lebendigen Spiritualität und zeitgemäßen religiösen Rede angeregt wird.69 Dagegen scheint der Verklärungsbegriff im Bereich der Kunst zugleich überrepräsentiert und unterbestimmt, wenn beispielsweise die Kunst wieder und wieder als Verklärung der Welt von deren Erklärung abgegrenzt wird. Dazu ist im Rückblick auf den nachgezeichneten Bedeutungswandel der Verklärung zumindest anzumerken, dass die künstlerischen Bezugnahmen, wie stimmig sie im Einzelfall auch sein mögen, konventionell wirken – originell wäre eine theologische Aneignung und Aktualisierung der Verklärung, zumal von protestantischer Seite, die den vor 500 Jahren begründeten kreuzestheologischen Bedenken gerecht würde.
67 Vgl. z.$B. John Gatta: Making Nature Sacred (2004). 68 D.#Gregory van Dussen: Transfiguration and Hope (2018), S."121. 69 Vgl. z.$B. Regina Bäumer / Michael Plattig: Herrlichkeit in der Spiritualitätsgeschichte (2008), S."442. 233
VIII. Zusammenfassung
Dass die Verklärung ein ergiebiges Thema ist, überdies von allgemeinem Interesse, versteht sich nicht von selbst. Schließlich wird unter Verklärung für gewöhnlich eine übertriebene und unberechtigte Verherrlichung verstanden. Die in religiösen Zusammenhängen gebräuchliche Rede von Verklärung im Sinne der Verherrlichung und Verwandlung in Herrlichkeit wird selten thematisiert, das gilt besonders für die biblische Verklärung Christi auf dem Berge. Deshalb hat diese Studie eine doppelte Aufgabe: Sie soll die Relevanz und kulturelle Produktivität der Verklärung aufzeigen und zugleich deren (alltagskulturelle wie wissenschaftliche) Missachtung verständlich machen. Der Begriffskomplex der Verklärung wird im ersten Kapitel zunächst durch Unterscheidung zweier biblischer Bezüge erschlossen: der Verklärung Christi und seiner Auferstehung beziehungsweise Himmelfahrt, also der vorübergehenden Verherrlichung vor und der endgültigen Verherrlichung nach der Passion, von denen hier und heute in erster Linie, wenn nicht ausschließlich das zweite Motiv im kulturellen Bewusstsein präsent ist. Zu den dann betrachteten lexikalischen Eigenschaften des deutschen Verklärungsbegriffs gehört neben der biblisch-religiösen Verwendung die Verbindung mit den Begriffen der Verwandlung und des Lichts (sowie dessen Funktion als kultureller Leitmetapher). Die genauere Betrachtung des kulturell marginalisierten Motivs der Verklärung Christi zeigt schließlich, dass dieses auf einzigartige Weise das Paradox des Gottmenschen vergegenwärtigt (als vorübergehende Erscheinung des Erniedrigten in seiner Hoheit und scheinbar vorweggenommene Vollendung der Heilsgeschichte), wobei die religions- und kulturgeschichtliche Reaktion auf das so präsentierte Paradox sehr unterschiedlich ist, insofern die Indifferenz im Einflussbereich der Westkirchen mit der Leitbildfunktion im Einflussbereich der Ostkirchen kontrastiert. Die Irrelevanz dieser motivischen, begrifflichen und geschichtlichen Aspekte für die alltagssprachliche Verwendung des Verklärungsbegriffs verweist auf einen Bedeutungswandel, der nicht allein von äußeren Faktoren wie dem Abnehmen religiöser Bildung bestimmt wird, sondern auch von inneren ( 235
VIII . ZUSAMMENFASSUNG
ten) Motiven. Darauf deutet auch die Forschungslage, insofern die Verklärung Christi in den Beiträgen, die sich über fachspezifische Interessen hinaus mit deren kultureller Relevanz beschäftigen, zum Zeichen von Grundhaltungen oder Weltorientierungen wird, die sich in der Bewertung von Verherrlichung, Herrlichkeit und Herrschaft unterscheiden. In diesen Forschungsbeiträgen wird zum Beispiel die ostkirchliche Idee der vervollkommnenden Verwandlung von Mensch und Welt der westkirchlichen Rechtfertigungslehre gegenübergestellt, und das je nach Absicht des Forschenden als Alternative oder wechselseitige Ergänzung. Die intrinsische Motivation des Bedeutungswandels der Verklärung wird im zweiten Kapitel anhand von Luthers in mehrfacher Hinsicht entscheidendem Einfluss herausgearbeitet. Luther etabliert mit seiner Bibelübersetzung das religiöse Vokabular der Verklärung; zugleich begründet er eine Theologie des Kreuzes (theologia crucis), die eine direkte (nicht durch den Gegensatz vermittelte) Orientierung an der Herrlichkeit unter den Verdacht einer Relativierung der Passion und Verkehrung des Christentums stellt. Zur Grundfrage wird so das Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit: Führt die Hinwendung zur Glorie und zum Verklärten zwangsläufig zu einer Dezentrierung des Kreuzes und Theologie der Ehren (theologia gloriae)? Als Versinnbildlichung dieser Frage lässt sich ein Altarbild verstehen, das dem Meister des Marienlebens zugeschrieben wird und das gerade Kreuzigung, Verklärung und Auferstehung aufeinander bezieht (Abb."19). Catharina Regina von Greiffenberg, deren Betrachtung der Verklärung Christi auf dem Tabor als Beispiel für eine Luthers kreuzestheologische Kritik reflektierende Hinwendung zur Herrlichkeit herangezogen wird, beantwortet die Frage nach dem Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit dadurch, dass sie deren paradoxe Einheit mit poetischen Mitteln zu vergegenwärtigen sucht. Obwohl dem Luthertum leicht eine einseitige Ausrichtung auf das Kreuz unterstellt wird, nötigt gerade Luthers Theologie zur Reflexion über das Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit – nur ausnahmsweise wird jedoch die Luther’sche Reformation selbst als Verklärungsgeschichte präsentiert, wie auf dem Augsburger Friedensgemälde von 1780. Kierkegaard, der sich zunächst von dem zwischen poetischer und religiöser Verwendung changierenden Verklärungsbegriff fasziniert zeigt, radikalisiert in seinem Spätwerk Luthers Kritik an der Ausrichtung auf die Herrlichkeit, insofern die durch Einbildungskraft vermittelte (idealisierende) Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte ein 236
VIII . ZUSAMMENFASSUNG
Abb. 19: Meister des Marienlebens: Triptychon (15. Jh.)
ebenso notwendiges wie ungenügendes Verfahren bleibt, solange sie nicht zu praktischer Leidensnachfolge bewegt (drittes Kapitel). Nietzsches im vierten Kapitel dargestellte Affinität zum Verklärungsbegriff beruht darauf, dass sich damit die Notwendigkeit zur Verherrlichung von Selbst und Welt bei Anerkennung ihrer Vergänglichkeit artikulieren und zugleich ein selbst- und weltfeindliches Christentum durch ein diesem selbst entlehntes Motiv kritisieren lässt. Wie Nietzsches Affinität zur Verklärung seine literarischen Wertungen beeinflusst, wird am Beispiel seiner Andeutungen zu einer von Goethe und Stifter repräsentierten Ästhetik veranschaulicht, insbesondere an Stifters Konzept der verklärenden Wiederholung und Wiederherstellung (die durch den Vergleich mit Kierkegaards Konzept der erlösenden Wiederholung zusätzlich Kontur erhält). Wie präsent die Idee der Transfiguration im 19.#Jahrhundert ist, wird im fünften Kapitel durch Seitenblicke auf zwei Kulturräume verdeutlicht: zum einen auf die erwartbare Präsenz der Transfigurationsidee in der russischen Literatur und Philosophie (Narrenliteratur und religiös-philosophische Renaissance), zum anderen auf die vielleicht überraschende Präsenz dieser Idee in der Neuen Welt (Transzendentalismus und unitarische Erbauungsliteratur) – wobei sich im zweiten Fall ein von Kreuzestheologie wie Religionskritik unberührter und auf eine fortschreitende Verherrlichung von Mensch und Welt vertrauender Optimismus der bloßen Affirmation des Bestehenden bis zur Ununterscheidbarkeit angleichen kann. 237
VIII . ZUSAMMENFASSUNG
Ebendiesem Verdacht bloßer Affirmation sieht sich das im sechsten Kapitel behandelte Verfahren der Verklärung durch Humor ausgesetzt. Die theologische Frage nach dem Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit kehrt in ästhetischer Gestalt wieder, wenn in den Humorund Realismus-Debatten des 19.#Jahrhunderts gefragt wird, ob die programmatische ›Verklärung der Wirklichkeit‹ zwangsläufig Beschönigung bedeutet. Dass die Poetik der humoristischen Verklärung gegen diesen Pauschalverdacht in Schutz zu nehmen ist, wird anhand der Dialektik von Selbstkritik und Totalitätsanspruch bei Jean Paul, Peter Hille und Theodor Fontane gezeigt. Zu den im siebten Kapitel angedeuteten begriffsgeschichtlichen Entwicklungstendenzen gehört die zeitweilige Inflation des (entsprechend der Auferstehung und Himmelfahrt Christi) eine endgültige Verwandlung und Verherrlichung bezeichnenden Verklärungsbegriffs, der gleichermaßen auf den vorbildlichen Christen, das Genie, die Geliebte oder den toten Soldaten angewendet werden kann, während der (entsprechend der Verklärung Christi) eine vorläufige Verwandlung und Verherrlichung bezeichnende Verklärungsbegriff nur in mehr oder weniger esoterischen Zirkeln kultiviert wird, so zum Beispiel im Wirkungskreis des Religionsphilosophen Leopold Ziegler. Während die Verklärung vorübergehend als Leitbild für eine durch den Atombombenabwurf (am Festtag der Verklärung des Herrn) erschütterte Nachkriegsgesellschaft Beachtung findet, werden gegenwärtig einzelne, etwa kunsttheoretische oder politisch-philosophische Aspekte aufgegriffen, so zum Beispiel bei Arthur#C. Danto und Giorgio Agamben. Wenn der Bedeutungswandel des in der Alltagssprache unscheinbaren und eher negativ konnotierten Verklärungsbegriffs auf diese Weise rekonstruiert wird, zeigt sich, welche fundamentalen Themen und Probleme damit verbunden sind, vor allem das religionsinterne Verhältnis von Kreuz und Herrlichkeit, doch auch das Verhältnis der Religion zu anderen Bereichen der Gesellschaft. Zugleich lässt der im Verklärungsbegriff implizierte Bezug auf die Herrlichkeit verschiedene Haltungen des Menschen zur Welt und zu sich selbst hervortreten. Diese Haltungen können konfessionell geprägt sein, wenn etwa der in Luthers Theologie des Kreuzes begründete Vorbehalt gegenüber der Verklärung nachwirkt, sie können aber auch auf einem Konfessionsstereotyp beruhen, während hier, um beim Beispiel des Protestantismus zu bleiben, gerade von dieser Seite zeitweilig ein starkes Interesse an der Verklärung zu bemerken war. Das Verdrängen der mit dem 238
VIII . ZUSAMMENFASSUNG
Verklärungsbegriff verbundenen Themen und Probleme durch Verlagerung auf andere Sinnsysteme ist jedenfalls nur eine Scheinlösung, insofern die von der westkirchlichen Theologie missachtete Verklärungsidee zwar in der Kunst und der Philosophie aufgenommen werden kann, darin aber vereinfacht und vereinseitigt eine dem religiösen Triumphalismus entsprechende kitschige Kunst und ideologische Philosophie hervorbringen kann. Für diese Nachzeichnung des Bedeutungswandels der Verklärung sind kanonisch leitbildhafte Werke wie Raffaels Transfiguration oder Goethes »Bergschluchten«-Szene ebenso aufschlussreich wie vernachlässigte Werke, etwa die barocke Literatur zur Verklärung Christi, esoterische Religionsphilosophien oder Jugendstilbelletristik. Eine solche Herangehensweise ist schon deshalb originell, weil das Thema üblicherweise nur aus fachwissenschaftlicher Perspektive oder als Eigentümlichkeit eines Künstlers, Theologen oder Philosophen betrachtet wird, nicht selten auch schlicht unbemerkt bleibt. Wenn auf diese Weise die Relevanz und kulturelle Produktivität der Verklärungsthematik erkennbar werden (die selbst der Einwand, wer oder was in diesem Vesuch noch alles hätte berücksichtigt werden müssen, bestätigt) und zugleich Gründe für deren alltagskulturelle wie wissenschaftliche Missachtung angegeben werden können (besonders theologische Argumente gegen das Ansetzen bei der Herrlichkeit und deren kulturelles Fortwirken), dann lässt sich als Ergebnis festhalten, dass die Verklärung ein ergiebiges Thema bildet, das letztlich von allgemeinem Interesse ist, weil es Grundhaltungen und Mentalitätsunterschiede in Bezug auf Verherrlichung, Herrlichkeit und Herrschaft hervortreten lässt. Am Ende dieses Buches sei noch dessen Titel kurz kommentiert, der einem Gedicht entlehnt ist, das in einzigartiger Weise das Ende der Geschichte in den Blick nimmt: Hölderlins Friedensfeier. Die Atmosphäre des Aufklarens nach einem Gewitter, mit der Hölderlins Hymne anhebt, kennzeichnet auch deren zweite Strophe, insofern darin das Verhältnis zwischen den Himmlischen und den Menschen immer klarer hervortritt, das Verhältnis zwischen dem erwarteten »Fürsten des Fests«1 und den Sterblichen, dem sterblichen Dichter-Sänger, ein Verhältnis, das zugleich die Begrenztheit menschlicher Weisheit verdeutlicht, zusammengefasst in der berühmten Gnome: »Ein Weiser mag mir manches erhellen; wo aber / Ein Gott noch auch erscheint, / Da 1 MA I, 362 (V."15). 239
VIII . ZUSAMMENFASSUNG
ist doch andere Klarheit.«2 Der Kontrast von rationaler Erhellung und epiphanischer Klarheit macht das anscheinend Ähnliche und doch Unvergleichliche schlagartig bewusst. Während es zumindest naheliegt, die »andere Klarheit« mit der Verklärung zu assoziieren, wird dieser Begriff an einer späteren Stelle des Gedichts explizit verwendet. Zu den Vorstellungen, mittels derer die Geschichte als Prozess der Vergeistigung und Vollendung veranschaulicht wird, gehört nämlich die Vorstellung vom Schöpfer als Künstler. Dieser Vergleich wird in der siebten Strophe, die den Blick weniger auf das Erscheinen Gottes in der Welt denn auf sein Wirken in der Welt und in der Zeit richtet, folgendermaßen ausgeführt: Wo aber wirkt der Geist, sind wir auch mit, und streiten, Was wohl das Beste sei. So dünkt mir jetzt das Beste, Wenn nun vollendet sein Bild und fertig ist der Meister, Und selbst verklärt davon aus seiner Werkstatt tritt, Der stille Gott der Zeit und nur der Liebe Gesez, Das schönausgleichende gilt von hier an bis zum Himmel.3 Mit dem Motiv des Meisters, der sich durch das vollendete Bild selbst verklärt, von Hölderlin zur Darstellung der an ihr Ende gelangenden Geschichte und dem Anbruch des Friedensreiches eingesetzt, kehrt die vorliegende Untersuchung zu ihrem Anfang zurück. Allerdings verwendet Hölderlin das Motiv des sich durch sein Werk verklärenden Künstlers zur Veranschaulichung religiös-eschatologischer Vorstellungen, während im einleitenden Vergleich von Raffael und Mozart die religiösen Verklärungsmotive eher dem Ruhm des sich durch sein Werk selbst verewigenden Künstlers dienten. Da sich der Vergleich von Raffael und Mozart auf deren letzte Werke konzentrierte, auf Raffaels Transfiguration und Mozarts Requiem, sei nebenbei bemerkt, dass Hölderlin im Entstehungszeitraum seiner Friedensfeier möglicherweise Raffaels letztes Gemälde gesehen hat. Denn wenn Hölderlin seinem Freund Casimir Ulrich Boehlen2 MA I, 362 (V."22-24). Vgl. im ersten Versentwurf, MA I, 356 (V."10-13): »Denn manches mag ein Weiser oder / Der treuanblikenden Freunde einer erhellen, wenn aber / Ein Gott erscheint, auf Himmel und Erd und Meer / Kömt allerneuende Klarheit.« Zu Hölderlins Bezugnahme auf den ersten Korintherbrief und Luthers Übersetzung (insb. I"Kor"15,41, hier nach Luther 1912: »Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne; denn ein Stern übertrifft den andern an Klarheit.«) vgl. Jochen Schmidt: Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen, S."18$f. 3 MA I, 364 (V."85-90). 240
VIII . ZUSAMMENFASSUNG
dorff in jenem berühmten Brief vom November 1802 schreibt, der »Anblik der Antiquen hat mir einen Eindruk gegeben, der mir nicht allein die Griechen verständlicher macht, sondern überhaupt das Höchste der Kunst«,4 dann dürfte es sich bei diesen »Antiquen« um die von Napoleon in Italien geraubten und in Paris ausgestellten Werke handeln, die Hölderlin dort auf seinem Rückweg von Bordeaux sehen konnte.5 Und als ein ebenbürtiges Werk der Moderne hatte Napoleon den antiken Werken Raffaels Transfiguration an die Seite gestellt.6 Sollte sich Hölderlin eine Gelegenheit zur Betrachtung von Raffaels Werk geboten haben, hätte er diese gewiss genutzt, nicht zuletzt wegen der Rühmung Raffaels in den Dichtungen seiner Freunde, in Boehlendorffs Fernando7 und Wilhelm Heinses Ardinghello.8 Doch das sind nur Spekulationen, es ist ja auch nicht entscheidend, ob Hölderlin Raffaels letztes Gemälde gesehen hat. Aufschlussreich ist Hölderlins Friedensfeier hier wegen der Anverwandlung künstlerischer und religiöser Verklärungsmotive: dem Meister in der Werkstatt, dem Erscheinen des Gottes, der Gemeinschaft der Seligen, auch wegen des Motivs der Reife, das auf das bevorstehende Ende der Geschichte deutet, und nicht zuletzt wegen ihrer hoffnungsfrohen Haltung. Von dieser zeugt bereits Hölderlins frühester Entwurf. Bei Matthäus endet die Verklärung auf dem Berge für die drei Zeugen so: »Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!«9 Bei Hölderlin heißt es: »Bald wird auch noch anderes klar / seyn, und wir fürchten es nicht.«10
4 MA II, 920-922, hier 921. 5 Vgl. den Kommentar MA III, 551. 6 Vgl. nochmals Martin Rosenberg: Raphael’s »Transfiguration« and Napoleon’s Cultural Politics. 7 Casimir Ulrich Boehlendorff: Fernando oder Kunstweihe (1801), v.$a. S."341349. Vgl. MA II, 912-914. 8 Wilhelm Heinse: Ardinghello, Zweyter Band (1787), zu Raffaels letztem Gemälde S."32-34. 9 Mt"17,7. 10 MA I, 355 (V."19$f.). 241
Dank
Tiefe Dankbarkeit empfinde ich gegenüber Heinrich Detering, der sich dieses Forschungsvorhabens aufs liebenswürdigste angenommen und es als Habilitationsschrift betreut hat, unser auf diese Weise eröffnetes Gespräch ist für mich ein wundervolles Geschenk. Hermann Deuser danke ich für das freundschaftliche Gespräch, das die Arbeit an diesem Buch kontinuierlich begleitet hat, ich kann seinen Rat und seine Anteilnahme gar nicht genug würdigen. Bernhard Lypp danke ich dafür, dass er die Entwicklung dieser Arbeit von den ersten Anfängen an so wohlwollend gefördert hat, nicht zuletzt durch seinen kritischen Blick. Karin Hoff und Joachim Ringleben danke ich für die Begutachtung der Habilitationsschrift und ihre wertvollen Empfehlungen. Bei Wolfgang Braungart, Mathias Mayer, George Pattison und Magnus Schlette möchte ich mich für den so anregenden wie ermutigenden und hilfreichen Austausch bedanken. Danken möchte ich an dieser Stelle natürlich auch denen, die mich durch Gespräche und Hinweise unterstützt haben: Niels Jørgen Cappelørn, Andreas Dorschel, Günter Häntzschel, Zoltán Hidas, Klaus-Michael Kodalle, Volkhard Krech, Brigitte Kronauer (†), Manfred Krüger (†), Gesche Linde, Dietmar Mieth, Heinrich Niehues-Pröbsting, Karl-Heinz Ott, Andreas Pettenkofer, Ekaterina Poljakova, Richard Purkarthofer, Ettore Rocca, Gerhard Schreiber, Heiko Schulz, Curt Stauss, Andreas Urs Sommer, Manfred Sommer, Elisabete#M. de Sousa, Peter Tschuggnall, Paul van Tongeren, Markus Vinzent und Christian Wiebe. Für die Bereitstellung von Bildern danke ich den im Abbildungsnachweis genannten Personen und Einrichtungen, insbesondere Johannes Schaber. Für die anregende Arbeitsatmosphäre danke ich den Mitgliedern des MaxWeber-Kollegs, besonders Bettina Hollstein und Hartmut Rosa, und für die angenehme Zusammenarbeit dem Wallstein Verlag, namentlich Diane Coleman Brandt. Für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen danke ich der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften und dem Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort. Darüber hinaus standen mir für die Veröffentlichung erfreulicherweise die Mittel des Max-Weber-Preises für 242
DANK
forschung 2020 zur Verfügung – für diese Auszeichnung der Habilitationsschrift bin ich sehr dankbar. Und für die alltägliche und umso beglückendere Bewahrheitung dessen, dass, mit Nikolaus von Arseniew gesprochen, die Verklärung des Lebens in der Familie erfahrbar ist, danke ich Katarina, Alma und Ignaz.
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Drucknachweis
Vorarbeiten zu diesem Buch (insbesondere zu den Kapiteln III, IV und VI) wurden in folgenden Aufsätzen veröffentlicht: – Glanz und Ermattung. Über die Verklärung als Bezugspunkt von Kunst und Religion, in: Der religiöse Charme der Kunst, hg. v. Thomas Erne u. Peter Schüz, Paderborn u.$a. 2012, S."201-217. – »daß der Mensch der Verklärer des Daseins wird, wenn er sich selbst verklären lernt«. Nietzsches Neigung zur Verklärung, in: Nietzsche als Kritiker und Denker der Transformation, hg. v. Helmut Heit u. Sigridur Thorgeirsdottir, Berlin/Boston 2016, S."25-36. – »Es ist nicht alles Talmi, was glänzt.« Humor und Verklärung bei Jean Paul, Peter Hille und Theodor Fontane, in: Humor und Religiosität in der Moderne, hg. v. Gerald Hartung u. Markus Kleinert, Wiesbaden 2017, S."173-193. – Warten auf ein Gewitter. Zur Wiederholung in Literatur und Religion anhand von Kierkegaard und Stifter, in: Literatur/Religion. Bilanz und Perspektiven eines interdisziplinären Forschungsgebietes, hg. v. Wolfgang Braungart, Joachim Jacob u. Jan-Heiner Tück, Berlin 2019, S."171-183. – »Tu so, als hörtest du die Geschichte seiner Erniedrigung zum ersten Mal«. Fiktion und Transfiguration bei Kierkegaard, in: Vernunft – Fiktion – Glaube, hg. v. Markus Firchow u. Michael Moxter, Leipzig 2020, S."77-94.
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Abbildungen
Umschlag und Frontispiz Ottheinrich-Bibel: Verklärung Christi (um 1430), Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 8010(1, fol.28v, urn:nbn:de:bvb:12-bsb000 21200-0. Abb."1 Raffael: Transfiguration (1516-1520), Vatikanische Pinakothek, Rom © bpk / DeA Picture Library / G.#Nimatallah. Abb."2 Anonym: Darstellung biblischer Szenen (17."Jh.), Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Graph. C: 554.2. Abb."3 Monogrammist BH: Die eherne Schlange und die Verklärung Christi (16."Jh.), Albertina, Wien. Abb."4 Tiburtinische Sibylle, San Pedro Telmo, Buenos Aires (19."Jh.), Rechte nicht zu ermitteln. Abb."5 Johann Martin Bernatz / Gotthilf Heinrich v. Schubert: Album von Palästina (1841), Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, HV 1685, S."171, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11254283-6. Abb."6 Johann Michael Feichtmayr: Verklärung Christi (1763/64), Klosterkirche Ottobeuren © Foto: Johannes Schaber. Abb."7 Hochaltar von Giovanni Giuliani, Pfarrkirche Gaaden, Niederösterreich (nach 1735) © Foto: Elisabeth Vavra. Abb."8 Ikone der Verklärung Christi (Nowgorod, frühes 16."Jh.), Das Staatliche Eremitage Museum, St.#Petersburg © Foto: Das Staatliche Eremitage Museum, St.#Petersburg / Pavel Demidov. Abb."9 Federico Zuccaro: Design for a Quarantore Decoration (16."Jh.), The Metropolitan Museum of Art, New York © bpk / The Metropolitan Museum of Art. Abb."10 Großes Zittauer Fastentuch: Verklärung Christi (1472) © Städtische Museen Zittau / Foto: Christoph von Viràg. Abb."11 Catharina Regina von Greiffenberg: Sinn-Bild zur Betrachtung der Verklärung Jesu (1693), Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Wa 6316, nach S."348. Abb."12 Friedensgemälde für das Jahr 1780, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 2° S"115. Abb."13 Paul Vermehren: Jesus und Seine Kirche (1713), Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, 2 Th Pr 232, S."[65], urn:nbn:de:bvb:12-bsb11 204956-5. Abb."14 Hochaltar der Stiftskirche Kremsmünster mit Johann Andreas Wolffs Verklärung Christi (1712) © Stift Kremsmünster / Foto: Reinhold Weissenbrunner.
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ABBILDUNGEN
Abb."15 Nicolas-André Monsiau: Der Tod Raffaels (Präsentationszeichnung) (1804), Hamburger Kunsthalle © Hamburger Kunsthalle / bpk, Foto: Christoph Irrgang. Abb."16 Luise Duttenhofer: Scherenschnitt (1821), Staatsbibliothek zu Berlin, Yn 3286, S."101. Abb."17 Ferdinand Hodler: Verklärung (um 1906), Von der Heydt-Museum, Wuppertal © Von der Heydt-Museum Wuppertal / Foto: Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal. Abb."18 Alfons Petzold: Verklärung (1917), privates Exemplar. Abb."19 Meister des Marienlebens: Triptychon: Kreuzigung, Verklärung auf dem Berg Tabor, Auferstehung (15."Jh.), Bonn, private Sammlung © Bildarchiv Foto Marburg.
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Siglen
DSKE Søren Kierkegaard: Deutsche Søren Kierkegaard Edition, hg. v. Niels
Jørgen Cappelørn u.$a., Berlin / New York 2005$ff. Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche (Frankfurter Ausgabe), 40"Bde., hg. v. Friedmar Apel u.$a., Frankfurt a.$M. 1987-2013. GW Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke, übers. u. hg. v. Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes u. Hans-Martin Junghans, 36"Abt. in 26"Bdn. u. Registerbd., Düsseldorf/Köln 1950-1969. HKG Adalbert Stifter: Werke und Briefe. Historisch-Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Alfred Doppler u.$a., Stuttgart/Berlin/Köln 1978$ff. KSA Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, Neuausgabe, München – Berlin / New York 1999. KSB Friedrich Nietzsche: Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari, München – Berlin / New York 22003. MA Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe (Münchner Ausgabe), 3"Bde., hg. v. Michael Knaupp, München/Wien 1992-1993. SKS Søren Kierkegaards Skrifter, hg. v. Niels Jørgen Cappelørn u.$a., Bd."1-28/K1-K28, Kopenhagen 1997-2012. T Sören Kierkegaard: Die Tagebücher, übers. u. hg. v. Hayo Gerdes, Bd."1-5, Düsseldorf/Köln 1962-1974. FA
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Literatur
Quellen
Zur leichteren Übersicht sind die Quellen in folgende Rubriken unterteilt: 1. Literatur / Musik / Bildende Kunst; 2. Religion / Theologie; 3. Philosophie / Kunsttheorie; 4. Wörterbücher / Lexika. 1. Literatur / Musik / Bildende Kunst Anonym: Goethe’s Verklärung. (Durch ein Traumgesicht des Fräul. v. Klettenberg 1774.), Leipzig o.J. Anonym: Goethe vor dem Weltenrichter. (Ein Seitenstück zu »Goethe’s Verklärung.«), Leipzig o.J. [Altdorfer, Albrecht]: Alberti Dvreri Noriberg. German. Icones Sacrae. In historiam Salutis humanae per Redemptorem nostrum IESVM CHRISTVM Dei & Mariae filium instauratae. Quas singulas selectißimi flores ex verbo Dei & S.#patrum scriptis decerpti exornant. Nunc primum e tenebris in lucem editae, [Hamburg] 1604. Angelus Silesius [Johannes Scheffler]: Cherubinischer Wandersmann oder Geistreiche Sinn- und Schlussreime, hg. v. Louise Gnädinger, Zürich 1986. [Barth, Christian Gottlob]: Stillings Siegesfeier. Eine Scene aus der Geisterwelt, in: Johann Heinrich Jung’s, genannt Stilling, Lebensgeschichte, oder dessen Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft, Lehrjahre, häusliches Leben und Alter, Vorwort v. J.#N. Grollmann, Stuttgart 1835, S."669-676. Benn, Gottfried: Altern als Problem für Künstler, in: Ders.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, hg. v. Gerhard Schuster u. Holger Hof, Bd."VI: Prosa 4, Stuttgart 2001, S."123-150. – Eine Kammfirma, in: Ders.: Sämtliche Werke. Stuttgarter Ausgabe, hg. v. Gerhard Schuster u. Holger Hof, Bd."IV: Prosa 2, Stuttgart 1989, S."374$f. Bernatz, Johann Martin / Gotthilf Heinrich v. Schubert: Album von Palästina. Bilder aus dem heiligen Lande. Vierzig ausgewählte Original-Ansichten biblisch-wichtiger Orte, treu nach der Natur gezeichnet von J[ohann] M[artin] Bernatz. Mit erläuterndem Texte von G[otthilf] H[einrich] v. Schubert, Stuttgart 1841. Boehlendorff, Casimir Ulrich: Fernando oder Kunstweihe. Eine dramatische Idylle, in: Ders.: Werke in 3 Bänden, hg. v. Frieder Schellhase, Bd."2, Frankfurt a.$M. / Basel 2000, S."279-401. 248
QUELLEN : LITERATUR / MUSIK / BILDENDE KUNST
Bruns, Max: Verklärungen. Von den letzten Schönheiten der Liebe, Leipzig 1900. Dehmel, Richard: Verklärte Nacht, in: Ders.: Weib und Welt. Gedichte, Berlin 1896, S."61-63. – Zwei Menschen. Roman in Romanzen, Berlin 1916. Dostojewskij, Fjodor: Der Idiot. Roman, aus dem Russischen neu übers. v. Swetlana Geier, Frankfurt a.$M. 62005. Fontane, Theodor: Der Stechlin. Roman, hg. v. Klaus-Peter Möller, Berlin 2001 (Große Brandenburger Ausgabe, Bd."17). – Werke, Schriften und Briefe, Abt."IV, Bd."3: Briefe 1879-1889, hg. v. Otto Drude, Manfred Helge u. Helmuth Nürnberger, München 1980. Gabler, Georg Andreas: Einige Worte an die studierende Jugend zu Baireuth bei Jean Paul Friedrich Richter’s Grabe, am 17.#November 1825, in: Bayreuther Zeitung, Nr."231, 22.#Nov. 1825, S."1116-1118. Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche (Frankfurter Ausgabe), 40"Bde., hg. v. Friedmar Apel u.$a., Frankfurt a.$M. 1987-2013. Greiffenberg, Catharina Regina von: Geistliche Sonnette$/ Lieder und Gedichte$/ zu Gottseeligem Zeitvertreib$/ erfunden und gesetzet durch Fräulein Catharina Regina$/ Fräulein von Greiffenberg$/ geb. Freyherrin von Seyßenegg: Nunmehr Ihr zu Ehren und Gedächtniß$/ zwar ohne ihr Wissen$/ zum Druck gefördert$/ durch ihren Vettern Hanns Rudolf von Greiffenberg$/ Freiherrn zu Seyßenegg, Nürnberg 1662 [Wiederabdruck in: Catharina Regina von Greiffenberg: Sämtliche Werke in zehn Bänden, hg. v. Martin Bircher u. Friedhelm Kemp, Bd."1: Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte. Anhang: Nachwort – Materialien – Register, Millwood, N."Y., 1983]. – Des Höchstheiligen JEsus-Lebens Neunte Betrachtung. Von seiner herrlichen Verklärung am Berge Tabor, in: Dies.: Des Allerheiligisten Lebens JESU Christi Ubrige Sechs Betrachtungen Von Dessen heiligem Wandel$/ Wundern und Weissagungen$/ von- und biß zu seinem Allerheiligsten Leiden und Sterben. Denen auch eine Andacht vom Heiligen Abendmahl hinzugefügt$/ Durch Dessen innigste Liebhaberin und eifrigste Verehrerin Catharina Regina$/ Frau von Greiffenberg$/ gebohrne Freyherrin auf Seysenegg$/ Zu Vermehrung der Ehre GOttes$/ und Erweckung wahrer Andacht$/ verfasset$/ und verfärtigt, Nürnberg 1693, S."348-505 [Wiederabdruck in: Catharina Regina von Greiffenberg: Sämtliche Werke in zehn Bänden, hg. v. Martin Bircher u. Friedhelm Kemp, Bd."7: Des Allerheiligsten Lebens JESU Christi Ubrige Sechs Betrachtungen. Betrachtungen 7-9, Millwood, N."Y., 1983]. Gyllembourg, Thomasine: Extremerne, in: Skrifter af Forfatteren til »En Hverdags-Historie«, Bd."4, hg. v. Johan Ludvig Heiberg, Kopenhagen 1849, S."1-163. [Haid, Johann Philipp / Balthasar Friedrich Leizel]: Friedensgemälde, nebst folgendem Lied der evangelischen Schuljugend in Augspurg ausgetheilt an ihrem Friedensfest den 9.#August des Jahrs 1780, [Friedensgemälde] https:// mediatum.bibliothek.uni-augsburg.de/node?id=38296; [Text] https:// 249
LITERATUR
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QUELLEN : LITERATUR / MUSIK / BILDENDE KUNST
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LITERATUR
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2. Religion / Theologie Arseniew, Nikolaus von: Ostkirche und Mystik. (I.#Vom Geist der morgenländischen Kirche; II.#Verklärung der Welt und des Lebens in der christlichen Mystik). Mit einem Geleitwort des Herausgebers [Friedrich Heiler], München 1925. – Die Verklärung der Welt und des Lebens im ästhetischen und religiösen Erlebnis, Gütersloh 1955. Atwood, Edward S[umner]: The Transfiguration of Life. A Sermon for Every Day, in: Ders.: The Transfiguration of Life and Other Sermons. A Memorial Volume, Boston/Chicago 1888, S."11-27. Auer, Johann: Die Bedeutung der Verklärung Christi für das Leben des Christen und für die Kirche Christi, in: Die Mysterien des Lebens Jesu und die christliche Existenz, hg. v. Leo Scheffczyk, Aschaffenburg 1984, S."146-176. Balthasar, Hans Urs von: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, 3 Bde., Einsiedeln 1961-1969. Bedford-Strohm, Heinrich: Den Sinn des Kreuzes öffentlich machen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.#Mai 2018, S."7. Beumelburg, Johann Christian: Tabor oder die Verklärung Christi, in: Ders.: Die Berge, welche nach dem Zeugnis der heiligen Geschichte, durch grosse Begebenheiten merkwürdig worden sind, Basel 1762, S."55-60. Bisling, Anselm: Mons Thabor sive Solitudo Exercitiorum Spiritualium, in qua Philotheus, & Monophilus, Duce & Comite Theophobo per triplicem viam, Purgativam, Illuminativam, et Unitivam, quasi tria Tabernacula Moysis, Eliae, et Jesu Christi, Decem Dierum spatio digressus transfiguratur in splendorem vitae perfectioris […], Einsiedeln 1682. Brämer, Christian: Himmels-Gedancken Verfasset auf dem Berg Thabor$/ Und bey der Erklärung Der Verklärung Christi entdecket. Auch Mit einem allgemeinem Register$/ und vielen Sinn-Bildern$/ unter Königl. Maytt. zu Dännem. Norwegen$/ wie auch Chur-Fürstl. Durchl. zu Sachsen$/ allergnädigsten Privilegiis, außgegeben Durch M.#Christian Brämer$/ Lubec., Copenhagen$/ Auf des Autor. Unkosten Bey Johann Jacob Bornheinrich gedrucket$/ 1690. Brown, Frank Burch: Transfiguration. Poetic Metaphor and the Languages of Religious Belief, Chapel Hill u.$a. 1983. Casper, Josef: Weltverklärung im liturgischen Geiste der Ostkirche. Mit einem Vorwort v. Myron Hornykewitsch, Freiburg 1939. 252
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LITERATUR
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Personenregister
Kursive Seitenzahlen beziehen sich auf den Fußnotentext.
Adelung, Johann Christoph 19$f. Adorno, Theodor W. 153, 155 Agamben, Giorgio 231$f., 238 Albert, Jürgen Peter 200 Albrecht, Ulrike 91 Altdorfer, Albrecht 73 Andersen, Hans Christian 107 Anderson, R. Lanier 132 Andreopoulos, Andreas 61 Angelus Silesius (Johannes Scheffler) 21, 87 Apostolos-Cappadona, Diane 41, 232 Aprent, Johannes 156 Arseniew, Nikolaus von 225-227 Asmussen, Hans 58 Asmuth, Bernhard 24"f., 73 Atwood, Edward Sumner 173-175, 177 Auer, Johann 57 auf der Maur, Hansjörg 46 Augustin, Hermann 156 Aust, Hugo 193$f. Baader, Franz von 21$f., 87, 150152 Bäumer, Regina 233 Balthasar, Hans Urs von 51, 59, 104, 116, 164, 228-231 Barth, Christian Gottlob 203$f. Barth, Karl 52, 116 Becker, Tobias 46 Bedford-Strohm, Heinrich 78 Benn, Gottfried 153-155 Benz, Ernst 223$f.
Berdjajew, Nikolaj A. 54-56, 164 Berger, Klaus 27 Bernatz, Johann Martin 39$f. Bernini, Gian Lorenzo 79 Bertino, Andrea 125 Bertram, Ernst 137-139, 155$f. Best, Thomas F. 42 Beyle, Marie-Henri → Stendhal Bisling, Anselm 49 Bleckwenn, Helga 139 Blumenberg, Hans 130 Boehlendorff, Casimir Ulrich 240$f. Böhme, Jakob 224 Borchmeyer, Dieter 12, 121, 123 Bosch, Manfred 221 Brämer, Christian 81 Braungart, Wolfgang 40 Bretz, Martina 132 Brinker-von der Heyde, Claudia 19 Brock, Eike 132 Brorson, Hans Adolph 115 Bruckner, Anton 68 Bruns, Max 208-213, 220 Bulgakow, Sergej N. 54 Callixt III. 34 Campe, Joachim Heinrich 20 Caputo, John D. 114 Casper, Josef 57 Chladenius, Johann Martin 81, 92 Choružij, Sergej S. 36, 54, 232 Chryssavgis, John 232 Clarke, James Freeman 172$f., 177 Cranach d. Ä., Lucas 65 271
PERSONENREGISTER
Danto, Arthur C. 66, 230, 238 Dehmel, Richard 208 Detering, Heinrich 132$f., 193$f., 196 Deuser, Hermann 113 Dohe, Sebastian 16 Dombrowski, Damian 79, 131 Dorschel, Andreas 23, 67-70, 74 Dostojewskij, Fjodor M. 51, 54, 159-162, 164, 168 Droste-Hülshoff, Annette von 188 Dussen, D. Gregory van 233 Duttenhofer, Luise 205 Ebach, Jürgen 78, 121 Eckermann, Johann Peter 136 Eickel, Dionysius 203 Eliade, Mircea 232 Emerson, Ralph Waldo 169 Erdle, Conrad August 204 Evans, Donald 62 Faber, Eva-Maria 41 Fässler, Verena 82, 86 Feichtmayr, Johann Michael 45 Fellay, Jean-Blaise 79$f. Figura, Michael 36 Fischer-Lichte, Erika 214 Fjodorow, Nikolai F. 57 Florenskij, Pavel A. 54, 164, 230 Förster-Nietzsche, Elisabeth 127 Fontane, Theodor 181$f., 192-198, 238 Francke, August Hermann 204 Frank, Horst-Joachim 82 Frenschkowski, Marco 41 Gabler, Georg Andreas 183 Gatta, John 233 Gebhard, Walter 193 Geismar, Eduard 115 Gier, Helmut 91 Giuliani, Giovanni 47 Goebel, Eckart 124 Goethe, Johann Wolfgang von 11$f., 23, 66, 119, 126$f., 129, 136-139, 152-155, 167, 205-207, 237, 239 272
Gogarten, Friedrich 52 Gogol, Nikolai W. 57 Greenstein, Jack M. 32$f., 120 Gregorius Sinaites 37 Greiffenberg, Catharina Regina von 72, 80-91, 94$f., 98, 236 Greipl, Fanny 140 Grimm, Jacob 19-21, 73, 181 Grimm, Wilhelm 19-21, 73, 181 Gülke, Peter 206 Guénon, René 222 Gundlach, Anton 49$f., 70 Gyllembourg-Ehrensvärd, Thomasine 107-110 Haid, Johann Philipp 91 Hamann, Johann Georg 144 Hamberger, Julius 22 Hamburger, Jeffrey F. 73 Hardenberg, Friedrich von → Novalis Harnack, Adolf von 134 Harris, William T. 169 Harte, Bret 187$f. Hawthorne, Nathaniel 169-171 Heckenast, Gustav 156$f. Hedge, Frederic Henry 171$f., 177 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 22-24, 101, 126, 166 Heidegger, Martin 52, 122 Heimann, Moritz 154 Heinse, Wilhelm 241 Hentl, Friedrich Ritter von 16 Herder, Johann Gottfried 201 Herwegen, Ildefons 46-50, 57 Heselhaus, Clemens 22, 150 Hilarius von Poitiers 36 Hille, Peter 181, 186-192, 195, 200, 238 Hirsch, Emanuel 98 Hodler, Ferdinand 208$f. Hödl, Hans Gerald 137 Höffding, Harald 198 Hölderlin, Friedrich 239-241 Hofmannsthal, Hugo von 154, 207 Holm, Isak Winkel 101$f. Hus, Jan 71
PERSONENREGISTER
Jacob, Joachim 86 Jaspers, Karl 52 Jean Paul 181-188, 192, 198$f., 238 Jensen, Peter 34 Jesse, Horst 91 Jung-Stilling, Heinrich 11, 202205 Justinian I. 58 Kaempfert, Manfred 131 Karrer, Otto 50 Keisch, Claude 197 Keller, Gottfried 136 Kemp, Friedhelm 81 Kienecker, Michael 189 Kierkegaard, Søren 52, 72, 95-117, 119, 139-144, 149$f., 236$f. Kirejewski, Iwan W. 54 Kita-Huber, Jadwiga 182$f. Klopstock, Friedrich Gottlieb 202 Kluge, Friedrich 20 Knorr von Rosenroth, Christian 218 Koch, Julius 213 Köselitz, Heinrich (Peter Gast) 128$f., 138 Kramer, Elizabeth 10 Krause, Gerhard 115 Krems, Eva-Bettina 41 Kreuzer, Johann 24 Krieger, Gottfried 169 Kronauer, Brigitte 199$f. Krüger, Manfred 64-67, 70, 131 Kühlmann, Wilhelm 23, 194 Kühn, Rolf 231 Kühnhold, Christa 140 Kuni, Verena 23, 130 Kunzler, Michael 41 Langbein, Hannes 30 Langenhorst, Georg 230 Lappe, Karl 7 Latour, Bruno 116$f. Lazarus, Moritz 187$f., 195 Leizel, Balthasar Friedrich 91 Lem, Stanisław 161
Leonhardt-Aumüller, Jacqueline 159 Leontjew, Konstantin N. 57 Leppin, Volker 36$f. Lewis, C.$$S. 25 Lexer, Matthias 18 Lexutt, Athina 78$f. Lichtenberg, Georg Christoph 136 Lichtenstern, Christa 129 Lienhard, Friedrich 215-217, 219 Liwerski, Ruth 81 Löck, Alexander 194 Loewenich, Walther von 78 Lorrain, Claude 138, 173 Ludwig, Otto 188 Luther, Martin 52$f., 58, 72-80, 92-94, 100, 119, 137, 176, 221, 236, 238, 240 Lypp, Bernhard 200 Maas-Ewerd, Theodor 41 Mann, Thomas 152$f. Marin, Louis 132 Marion, Jean-Luc 114 Martensen, Hans Lassen 99 Martini, Carlo Maria 26, 51, 70 Martyn, Cornelia E. 232 Matthisson, Friedrich von 18 Mechthild von Hackeborn 48 Meister des Marienlebens 236$f. Meister Eckhart 99 Mennekes, Friedhelm 73 Mesmer, Franz Anton 183 Messiaen, Olivier 46 Meyer, Eduard 134 Meyer, Wilhelm 214 Michelangelo Buonarroti 32$f., 120 Møller, Poul Martin 107 Moltmann, Jürgen 222 Monsiau, Nicolas-André 185$f. Moulton, Warren Joseph 133 Mozart, Constanze 10 Mozart, Wolfgang Amadeus 9$f., 16, 18, 20, 23, 25, 34, 37, 121, 201, 240 Mühlhaupt, Erwin 78 273
PERSONENREGISTER
Müller, Johann Friedrich Wilhelm 204$f. Müller-Buck, Renate 139 Muir, Edwin 33 Napoleon Bonaparte 16, 106, 241 Nestroy, Johann Nepomuk 141 Nicodemo, Nicola 132 Nietzsche, Friedrich 72, 119-157, 159, 161, 168, 173, 177, 230, 237 Novalis (Friedrich von Hardenberg) 67, 208, 210 Nürnberger, Helmuth 193 Nützel, Johannes M. 41 Oberdorfer, Bernd 41 Oetinger, Friedrich Christoph 224 Olsen, Regine 102, 140 Onasch, Konrad 43, 51-58, 61$f., 65$f., 70$f., 164, 224 Origines 25, 36, 53, 64, 205 Ortlepp, Ernst 206 Ott, Karl-Heinz 13, 170 Ovid 23, 67 Palamas, Gregor 36 Palladius, Peder 80 Pannenberg, Wolfhart 116 Pascal, Blaise 98 Paul, Hermann 20 Petzold, Alfons 213-215, 220 Pius X. 44, 48 Plattig, Michael 233 Polemann, Hermann Matthias 38 Pope, Alexander 201 Poussin, Nicolas 173 Preimesberger, Rudolf 150 Preisendanz, Wolfgang 180, 193 Pricop, Cosmin 36 Pütz, Manfred 169 Raabe, Wilhelm 196 Raffael 9$f., 15-18, 20, 23, 25, 32, 34, 37, 44, 64, 79$f., 99, 108, 120$f., 123$f., 127, 131$f., 139, 161, 169$f., 185$f., 201, 204$f., 239-241 274
Rainer, Thomas 73 Ramsey, Arthur Michael 59-63, 65$f., 70$f., 228 Rehberger, Andreas 204 Reiser, Marius 14, 25, 33$f., 228 Reske, Hans-Friedrich 202 Reynolds, Larry J. 169 Richard von St.$$Viktor 100 Richter, Johann Paul Friedrich → Jean Paul Rieger, Georg Cunrad 81 Rilke, Rainer Maria 57, 207 Ringwaldt, Bartholomäus 72 Ritter, Alexander 13, 206 Roberts, Tyler T. 132 Rochlitz, Friedrich 9-11, 13, 15-18 Rohr, Günther W. 18"f. Rosenberg, Martin 16, 186, 241 Rosenkranz, Karl 23$f., 101 Rossacher, Kurt 79 Roth, Joseph 179-181 Sacher-Masoch, Leopold von 188 Salaquarda, Jörg 121 Salis-Marschlins, Meta von 129 Sanders, Daniel 20 Schäfer, Lisbeth 220 Scheffler, Johannes → Angelus Silesius Schmid, Ulrich 164 Schmidt, Jochen 240 Schneider, Reinhold 160 Schönberg, Arnold 208 Schöne, Albrecht 205 Schöner, Johann Gottfried 204 Scholem, Gershom 222 Schopenhauer, Arthur 124$f. Schott, Heinrich 73 Schubert, Franz 201 Schubert, Gotthilf Heinrich 38-40, 204 Schuh, Willi 206 Schumann, Robert 11$f. Schuster, Peter-Klaus 197 Sebastiano del Piombo 79 Shakespeare, William 146 Sieben, Hermann Josef 42
PERSONENREGISTER
Simmel, Georg 152 Simon, Ralf 182 Skarbina, Franz 196$f. Solowjow (auch Solovjov, Solowjew), Wladimir S. 54, 57, 66, 164-169 Sommer, Andreas Urs 159 Spangenberg, August Gottlieb 204 Spark, Muriel 230 Sparn, Walter 25 Splett, Jörg 231 Staeck, Frank 71 Städler, Gustav Leopold 24 Stählin, Wilhelm 34, 58$f., 70$f., 73 Stehr, Hermann 44, 162 Steiner, George 230$f. Steiner, Rudolf 66 Stendhal (Marie-Henri Beyle) 132 Stenta, Norbert 58 Stephany, Friedrich 192 Stiegler, Bernd 97 Stieler, Kaspar von 18$f. Stievermann, Jan 169 Stifter, Adalbert 119, 136-157, 237 Storch, Dietmar 193 Strauß, Botho 230"f. Strauß, David Friedrich 133 Strauss, Richard 13, 206 Swedenborg, Emanuel 107, 183, 204 Szyłkarski, Wladimir 164 Tarkovskij, Andrej A. 232 Tell, Wilhelm 106 Thomas, Benjamin 63$f. Tieck, Ludwig 186 Tillich, Paul 44 Timm, Hermann 25 Tizian 65, 123 Tolstoi, Lew N. 54, 57 Tongeren, Paul van 131$f. Toynbee, Arnold J. 63 Tschaadajew, Pjotr J. 57 Türk, Georg 217-219
Turgenjew, Iwan S. 187$f. Tyciak, Julius 57 Ulrich, Winfried 19 Ulrici, Hermann 16 Unterberger, Christoph 44 Vasari, Giorgio 186 Vershofen, Wilhelm 226$f. Vinken, Barbara 123 Vischer, Christian Gottlob 204 Voss, Dietmar 25 Vouga, François 14$f., 34 Waal, Anton de 42-51, 70 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 186 Wagner, Cosima 121, 123 Wagner, Richard 12$f., 68, 122, 123, 126, 139, 205$f. Weber, Walter 66 Wehr, Gerhard 66, 223 Wehrli, Max 82 Weinrich, Georg 80$f. Welsch, Caroline 71 Werbeck, Walter 206 Westphal, Merold 114 Whiton, James Morris 175-177 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 135$f. Wohlmuth, Leonhart 10 Wolf, Ror 199 Wolff, Johann Andreas 68, 150$f. Wolfram von Eschenbach 19 Wolter, Michael 11 Wullen, Moritz 197 Zedler, Johann Heinrich 20$f., 87 Zeising, Adolf 188 Ziegler, Leopold 137"f., 139, 220224, 238 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 204 Zuccaro, Federico 67, 69
275
Sachregister
Ästhetik 51, 95-117, 136-155, 164168, 228-231, 237 Alchimie 21, 67, 184, 221 Andacht 44-48, 50, 67, 81, 208-213 Andere Klarheit 239-241 Anglikanismus 59-64 Anthropologie 222-224, 232 Anthroposophie 64-67 Antizipation 14, 33, 36, 50, 64, 74, 166$f., 172, 184, 235 Apotheose 11-13, 201-215 Atombombe 49, 225-228, 238 Auferstehung 11-13, 52$f., 61$f., 67, 107, 130, 181$f., 195, 201-215, 226, 235$f., 238 Aufklärung 11, 25, 82, 122-125, 131, 220 Beschönigung 11, 155, 179-181, 192195, 200, 207, 238 Bibelübersetzung 72-74, 92, 236 Bild 22, 27, 53, 56, 63, 103, 105-113, 116, 170 Bildung 24, 37$f., 41, 70, 121, 124$f., 144-152, 208-212, 235 Claritas 25, 73 Doxa 59$f., 73, 121, 222, 228$f. Doxologie 60, 231 Einbildungskraft 43, 95-117, 236 Erhöhung/Erniedrigung 14, 30-32, 36, 77, 104-114, 160$f., 222 Erklärung 18$f., 73, 81, 100, 103, 122, 220, 233 Eschatologie 22, 87$f., 128, 166$f., 222-224, 229, 239-241 276
Esoterik 40, 133, 220-224, 238 Eucharistie 42-49, 53, 67, 89 Fest der Verklärung Christi 34, 42$f., 46, 49, 57$f., 62$f., 65, 225, 238 Gebet 26$f., 36$f., 53, 85, 102$f. Genie 9$f., 16, 96, 157, 186, 204-207, 238 Gloria 73, 82 Gold 21, 123, 180, 197, 217, 220$f. Heiliger Berg 38, 46, 99$f., 173$f., 190, 217-219 Herrlichkeit 19, 21, 59$f., 74-79, 104$f., 222, 228$f., 231$f., 238 Hesychasmus 36$f., 53$f., 57, 232 Himmelfahrt 11-13, 50, 123, 130, 201-215, 235, 238 Humor 155, 179-200, 238 Ideengeschichte 67-70 Ikone 53, 55 Kabod 59$f. Katholizismus 34, 42-51, 79$f. Kitsch 155, 208, 210, 239 Klarheit 18$f., 21, 26, 73$f., 85$f., 100, 139 Kosmologie 57-59, 61, 232$f. Lexikologie 18-25, 235 Licht 24$f., 36$f., 125, 165$f., 184, 195200, 214, 217, 235 Liturgie 46-50, 53 Metamorphose 22$f., 67, 72-74, 129$f., 205
SACHREGISTER
Mystik 21, 36$f., 122, 160$f., 207, 224 Narr 159-164, 208, 237 Ökologie 232$f. Ökumene 49, 58$f., 63, 168, 233 Optimismus 147$f., 187$f., 233, 237 Orthodoxe Kirchen 34-37, 51-58, 61$f., 159-168, 224-226, 232$f., 235$f. Palamismus 36$f. Paradox 14$f., 30, 70, 85$f., 114, 225$f., 235$f. Passion 51, 70, 74-79, 85$f., 105-113, 130, 236 Perspicuitas 24$f., 73 Pessimismus 122$f., 141, 187$f. Pietismus 11, 50, 81, 86, 98, 139, 204 Politik 16, 57$f., 72, 84, 121, 231$f., 238 Protestantismus 58$f., 71-94, 204, 233, 238 Realismus 130, 192-195, 198, 238 Rechtfertigung 52, 56-59, 61, 74-80, 88, 223$f., 233, 236 Reformation 62, 71-80, 88-94, 130, 236 Religionskritik 43, 119, 131, 237 Rhetorik 24$f. Russische religiös-philosophische Renaissance 54-57, 164-168, 230$f., 237 Säkularisierung 11-13, 37-41, 70, 176, 182, 194, 214 Schechinah 59, 222 Spätstil 152-155 Spiritismus 107, 176, 183$f., 189, 204 Sublimierung 124, 127
Tabor 38-40, 43, 182-184 Taboriten 71$f., 121, 232 Taborlicht 36$f., 160 Theologie der Ehren (theologia gloriae) 74-79, 114, 200, 236 Theologie des Kreuzes (theologia crucis) 74-79, 90, 130, 150, 168, 204$f., 233, 236-238 Theosis 36, 233 Theosophie 11, 54, 189, 224 Transfiguration 20, 73, 98, 100$f., 127, 129, 171-177, 230 Transitorisch 14$f., 33, 116, 123, 130$f., 182, 235, 238 Transzendentalismus 169-177, 237 Trinität 67, 84, 88, 231$f. Typologie 27-33, 50, 100 Unitarismus 171-177, 237 Verklärung auf dem Berge 13-18, 26-37, 41-74, 78-94, 99$f., 108110, 114, 120$f., 123$f., 130$f., 133136, 150$f., 159-164, 169-177, 182$f., 189-192, 201, 215-219, 228$f., 232$f., 235-239 Verklärung des Leibes 18, 20-22, 172, 184 Verklärung der Welt 53-57, 63, 126-129, 152, 164-168, 225$f. Verklärung der Wirklichkeit 155, 192-195, 238 Vervollkommnung 148-150, 164170, 173-175, 223, 232, 236 Verwandlung 19-23, 67-70, 74, 85, 87, 129, 230$f., 235$f. Weiß 54, 150 Wiederholung 36, 116$f., 140-152, 223, 237
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