»Allmacht« im Staatsrecht: Auflösung in Verfassungs-Normen – Demokratische Wiederkehr in Gleichheit [1 ed.] 9783428559756, 9783428159758

»Allmacht« ist ein Wort des Allgemeinen Sprachgebrauchs. Es steht für Mächtigkeit, für Staatlichkeit als System(bildung)

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»Allmacht« im Staatsrecht: Auflösung in Verfassungs-Normen – Demokratische Wiederkehr in Gleichheit [1 ed.]
 9783428559756, 9783428159758

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 98

WALTER LEISNER

„Allmacht“ im Staatsrecht Auflösung in Verfassungs-Normen – Demokratische Wiederkehr in Gleichheit

Duncker & Humblot · Berlin

WALTER LEISNER

„Allmacht“ im Staatsrecht

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 98

„Allmacht“ im Staatsrecht Auflösung in Verfassungs-Normen – Demokratische Wiederkehr in Gleichheit

Von

Walter Leisner

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-15975-8 (Print) ISBN 978-3-428-55975-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorbemerkung Dieses Thema mag als eine Rechtsfrage erstaunen. Kann es hier um Mehr, um Anderes gehen als um das Verdämmern eines „Rechts-Wortes“, vielleicht gar um eine Götter-Dämmerung eines „Rechtsbegriffs“? „Allmacht“ ist schon verbal ein Wagnis in der geistigen Welt Kants, nicht fassbar in Kategorien reiner oder sogar praktischer Vernunft: Ein typisch „transzendenter Begriff“? Ist nicht bereits „Macht“ geradezu ein „demokratisches Unwort“, aufzulösen jedenfalls in einzelne normative Erscheinungen? Wo soll sich eine rechtliche Form finden, ein auch nur virtueller Raum für Inhalte eines solchen „Begriffs als Recht“? Kann gar noch „Allmacht“ ein Problem des Staatsrechts sein, gekleidet in die Form einer verfassungsrechtlichen Frage? Trotz dergestalt naheliegender Zweifel wird dieses Thema gestellt, im Folgenden behandelt unter Einsatz verfassungsrechtlicher Kategorien. Diese sollen hier verfeinert werden, damit leichter zu handhaben sein in ihrem täglichen praktischen Gebrauch. Zu erwarten steht, darüber hinaus, vielleicht auch ein Gewinn kritischer Bewusstseinsbildung, im Blick nicht nur auf Entwicklungen in Politologie, sondern der Verfassungsdogmatik. Mit dieser muss ja gerade in der Volksherrschaft etwas versucht werden, wozu sie bereits politikwissenschaftlich stets eingesetzt wurde: Klärung von Formen und Wirkungen der Macht im Leben ihrer Subjekte – und zugleich Objekte: der Menschen. Auch im Recht erscheinen sie ja immer noch als klärungsbedürftige Gegenstände in einer Gesamtbetrachtung ihres Wesens, jedes Einzelnen von ihnen. München, im März 2020

Walter Leisner

Inhaltsverzeichnis A. „Allmacht“ im Sprachgebrauch – ein Rechtsproblem? . . . . . . . . . . . . . . . . 11 I. Allgemeiner Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. „Wortinhalt“: Mächtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Die „Qualität“ der Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3. Allmacht: Staatlichkeit als System(bildung) der Macht . . . . . . . . . . 13 II. „Allmacht“ – kein (wesentlich) außerrechtlicher Begriff . . . . . . . . . . . 14 1. „Allmacht“ – kein „Denken jenseits des Rechts“ . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. „Allmacht“: formal und inhaltlich aber „rechtsübergreifend“ . . . . . 14 III. „Allmacht“ – ein Staatsrechtsproblem gerade der Demokratie . . . . . . . 16 1. „Allmacht“: auf der „Staats-Bühne“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2. Rechtlich prägend: inhaltlich und formal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 B. Die Träger einer „Allmacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Allmacht eines „Wesens in Personalität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Gottes-Idee: Macht als All-Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Monarchie – Machtdenken in Personifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Der „Staat“ als Inhaber der Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1. Staat als Rechts-Person: Träger der Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2. Staatssouveränität: Umschlag der Macht-Allmacht in Rechts-Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3. Exkurs: Aristokratie und Allmacht-Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Das „Volk“ als Träger der Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Der „Volkssouverän“ – Inhaber der Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Demokratie: Vom allmächtigen Volk zum „Höchstwert Mensch“ . . 24 IV. „Der Mensch“ – Grundlage und Grenze rechtlicher Allmacht . . . . . . 25 1. Staats-Macht: in „menschlicher Trägerschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

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Inhaltsverzeichnis 2. Allmacht – in „vermenschlichtem Staatsrecht“ ent-dämonisiert . . . 26 V. Exkurs zu Teil B: Allmacht und Demokratische Gleichheit . . . . . . . . . 27 1. „Allmacht in Gleichheit“ – Grundvoraussetzung der Volksherrschaft 27 2. Grundsätzliche Vereinbarkeit von „Gleichheit“ mit „Allmacht“ . . . . 28 VI. Exkurs zu Teil B: Allmacht in Demokratischer Freiheit . . . . . . . . . . . . 29 1. „Allmacht“ in einem Staat von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ 29 2. „Allmacht“ – nur in einem Staatsrecht „Kleiner Freiheit“ (?) . . . . . 31 3. „Allmacht in Freiheit“: letzte Festigkeit in „(steter) Bewegung“ (?) . 31

C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“ . . . . . . 33 I. „Allmacht“ als „faktisches Rechtsphänomen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. „Normative Kraft des Faktischen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. „Demokratie“: „Recht“ in/aus politologischen Inhalten . . . . . . . . . 34 3. „Allmacht“ in der Demokratie: Politisches Phänomen – und zugleich normativ-rechtlicher Ordnungsgegenstand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 II. „Allmacht“ – in einem Staatsrecht von Rechtsnormen? . . . . . . . . . . . . 37 1. Demokratie – (schon) in ihren historischen Anfängen eine NormenOrdnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Allmacht des „Volkes als Souverän“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 III. Demokratische Staatsrechts-Formen und „Allmacht“ . . . . . . . . . . . . . 39 1. Demokratische Machtverteilung auf Staats-Organe geordnet in Verfassungsrechtsformen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Organisationsrechtliche demokratische Gewaltenteilung und Allmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Grundrechte und Staats-Allmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Ergebnis: Keine Allmacht in den Verfassungsrechtsformen der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1. Demokratie als rechtliche Staatsform: Nur einzelne Machtformen, nicht „Allmacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2. Demokratie: „Ent-Machtung des Staates – in einzelnen Rechtsformen“ – keine Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3. Demokratie als Ent-Persönlichung der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4. Demokratie: Rechtlich(e) Entpolitisierung der Staatlichkeit – nicht politische Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Inhaltsverzeichnis

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D. Neue Allmachttendenzen: Abschwächung der Wirkung verfassungsnormativer Staatsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. „Juristische Technisierung“ der Staatsmacht in neuester Zeit . . . . . . . . 46 1. Das „konstitutionelle Staatsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Niedergang des „verfassungsrechtlichen Gleichgewichts in Staatssouveränität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. Demokratische Hierarchisierung statt gleichgewichtiger Teilung der Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Ende eines gleichgewichtigen Staatsdenkens im Organisationsrecht der Volkssouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Parlamentarismus: Weg in ein Verfassungsorganisationsrecht der Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Abschwächung der Schrankenwirkung der Grundrechte . . . . . . . . . . . 50 1. Die Grundrechte: Von einer Staats-Proklamation zu normativer Ausgestaltung der Staatsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Grundrechte: Rechtliche Verengung der Freiheit zu Einzelräumen – und doch Allmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 IV. Demokratie: Auslaufen einer „Machtbändigung in Normbegriffen“ . . 53 1. Demokratie – rechtlich nur Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Rück/Auslauf der Demokratie in frühere – oder neue – Allmacht . 53 E. Demokratie als „Wiederkehr der Allmacht in Gleichheit“ – Staatlichkeit in Zählbarkeit – und doch in Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Die allgemeine Entwicklungstendenz zur Quantifizierung . . . . . . . . . 55 1. Ent-Qualifizierung: Quantifizierung in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Wirken der Quantifizierung: in Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 3. Demokratie: Zwar (All-)Macht qualifizierbar als „liebenswerte Staatlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4. Gerade quantifizierende Demokratie aber als Neue Allmacht: in Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. „Mehrheit“: Der in Gleichheit quantifizierte Mensch – Voraussetzung für Staatsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Mehrheit: Normative Selbstverständlichkeit in der Demokratie . . . 58

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Inhaltsverzeichnis 2. Grundlage, Begründung der Mehrheit: Allein aus Gleichheit der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Menschen: qualitäts- und wertfrei zählbare Wesen in Egalitärer Demokratie – in Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Quantifizierung: Grundlage der „Staatsform Demokratie“ . . . . . . . 60 2. „Neue Allmacht“: in einer neuen demokratischen Gleichheit der Menschen – also doch wieder in Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

F. Staat – auch geöffnet in „Freiheit zu Unendlichkeit“? . . . . . . . . . . . . . . . . 62 G. Schlussbemerkung: Staat – Recht: Glauben nicht wissen! . . . . . . . . . . . . . 64

A. „Allmacht“ im Sprachgebrauch – ein Rechtsproblem? I. Allgemeiner Sprachgebrauch 1. „Wortinhalt“: Mächtigkeit Das Wort Allmacht wird wahrgenommen als eine Form, mit einem Inhalt von etwas, das „(er)fassbar“, auf/vernehmbar ist zwischen Menschen, mag es auch ertönen als ein „Ruf wie Donnerhall“1, geradezu kosmisch-überirdisch klingen. In (all)täglichem Gebrauch erscheint es nur selten in den Kontakten zwischen humanen Wesen, deren laufendem Umgang es nicht mehr abbildend gerecht zu werden scheint, in seinem poetischen, ja pathetischen Anklang. Noch immer wird aber in ihm hörbar etwas wie ein An-Ruf aus einer Vergangenheit, die weiterwirkt – irgendwie mit bedeutsamer Geltungskraft, eben mit Mächtigkeit.

2. Die „Qualität“ der Allmacht Eine doppelte Qualität ist es, in welcher eine „Macht“ in diesem Wort hier in Erscheinung tritt als (be)wirkende Kraft; in ihrem „Vor-Wort All-“ wird dies „formal“ wie „inhaltlich“ angesprochen: a) Formal wird Allmacht als unwiderstehlich angesehen, in ihrer jeweiligen Gegenwart, die ihr nichts ebenso Starkes entgegenzusetzen hat. Gleichgewichtigkeit2, überhaupt eine wie immer gedachte Idee von „Abschwächung“, von Ansätzen zu einer „Balance“ – Derartiges hat gegenüber einer Allmacht keinen Platz, nirgendwo. Und dies gilt auch in der 1 Bereits in diesem „sogleich“, „verbreitet“ naheliegenden Sinngehalt mögen „politische“, ja staatsrechtliche Vorstellungen einst nahegebracht haben, vielleicht noch immer wecken: Machtpolitisches Streben, ja Expansionsdrang. 2 „Gleichgewicht(e)“, vgl. dazu Leisner, W., Gleichgewicht der Gewalten, 2019.

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A. „Allmacht“ im Sprachgebrauch – ein Rechtsproblem?

Zeit: Das Wort „Allmacht“ beinhaltet eine zeitübergreifende Vorstellung; in ihr steht das Alter(n), stehen dessen „Uhren alle, alle still“3. In ihr verdämmert dann auch die Legitimation aller „Tradition“4. Sie heilt zwar keine Wunden – „Du musst sie aber auch nicht fürchten“, liegt doch auch diese „Zeit in den Händen des Vaters“, der Alles geschaffen hat5. Die „Unwiderstehlichkeit“ dieser Omnipotenz liegt (nur) darin, dass jene „All-Macht zu Aller Zeit“, nicht „in der“, sondern auch „für“ die Zukunft, das Temporale sehen lässt als eine volle, unaufteilbar-undifferenzierbare Einheit. Sie schaut der Betrachter eben als einen Zustand, in dem „eine Zeit nicht mehr sein wird“. b) „Inhaltlich allumfassend“ nur kann eine Allmacht gedacht werden. In ihr, besser: unter ihr kann, mag es, darf es zwar einzelne „Bereiche“ geben, ohne deren inhaltliche Feststellbarkeit, ja Wirkmächtigkeit von einer „Allmacht“ nicht gesprochen werden kann. „Zusammenfassung“ drückt sich in ihr aber auch stets aus. Rechnerisch ist dies zwar nicht abschließend zu verdeutlichen, in einer Summierung, die schon das Schulkind beherrscht, sondern erst in den mathematischen Unendlichkeits-Begriffen von Differenzial und Integral. Und ist solche Art von Denken nicht „entdeckt“ worden in jener historischen Periode beginnender, einer nun wirklich „neuesten“ Zeit, welche mit ihrem napoleonisch-imperialen Absolutismus zuerst Schlachten gewinnen konnte, sodann mit solchem Recht ihren Volkssouverän zu krönen unternahm? Muss vielleicht gar folgerichtige Weiterentwicklung nun den „Untergang des Abendlandes“ einläuten, wie ihn Oswald Spengler heraufkommen sah, auch, vielleicht gerade in solchen Ideen einer „Allmacht“, in der nichts mehr wirkt von Recht, nur mehr „reine Gewalt“? Gehört „Allmacht“ nur mehr ihr, einer faktischen „Persönlichen Gewalt“?

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Wie es im Ersten Akt des „Rosenkavaliers“ von Richard Strauß unwiderstehlichem Liebesgefühl zugesungen wird. 4 Als (doch) einer Wesens-Kraft des Staatsrechts, dargestellt bei Leisner, W., Tradition, 2015. 5 Auch diese „Allmacht als Tröstung“, über der/aller Zeit klingt im „Rosenkavalier“ an.

I. Allgemeiner Sprachgebrauch

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3. Allmacht: Staatlichkeit als System(bildung) der Macht a) In jeder „Allheit“ soll wohl stets Eines anklingen, angesprochen werden – und sei es nur, wie hier, in vorsichtig tastenden begrifflichen Versuchen: Eine Verbindung, die nicht nur Verschiedenes nebeneinanderstehen lässt, sondern „zusammenstellt“, „zusammenfasst“. Griechisches Denken begegnet auch hier in jener geheimnisvollen Klarheit, in welcher Apollon die flüchtige Daphne verfolgt. „Systema“6 bezeichnet ja nicht nur den zusammenfassenden Griff, den mit ihm geschaffenen Zustand eines „Zusammen-“, sondern ein „in einer Wesensverbindung Stehen – Bleiben, aus ihr heraus sich weiter Entwickeln“, eben das, was moderne Wissenschaftlichkeit als „System“ sieht. Bisher wurde mit „Allmacht“ immer nur das Teilwort „Macht“ erfasst7, und dies fügt sich auch zwanglos ein in den Allgemeinen Sprachgebrauch. Nun aber gilt es, auch ihrer „Allheit“ gerecht zu werden – gleich zu Beginn einer solchen Untersuchung ein sicher nicht unproblematisches Unterfangen. Einem Denken in „Allmacht in juristischen Formen“ begegnet hier sogleich, wirklich „zuallererst“, als ein „dogmatisch Allgemeinstes“, Umgreifendes: das „Öffentliche – im Staat“. b) Staatlichkeit bedeutet, wesensgemäß, ein formales und ein inhaltliches Denken, in Verbindung dieser beiden Linien, die sich in der Umfassung eines Raumes des Allseitigen zusammenfinden: der Systemkraft und des Systembereichs. Gerade in der Allheitlichkeit dieser beiden Erscheinungsformen, horizontal zugleich und vertikal, in deren „sie“ als solche, untereinander ordnenden Verbindung, kommt etwas zum Ausdruck, was jene große Zufriedenheit bringt: Alles Wichtige, weil Alles Wirksame erkannt, geschaffen, ja wohl auch (ein)geschätzt, vielleicht wirklich geliebt zu haben. „System“ als das große „Nil extra“ steht dann für etwas, das man mit Recht – und eben auch im Recht – nicht nur wahrnehmen, sondern nun wirklich auch verehren darf. In der Allmacht wirkt ein „Anspruch von Exklusivität“, der alles Sonstige, weil ihm gegenüber Gleichgültige, ignoriert. Nähert man sich so – wirklich – dem „Allmächtigen“?

6 Bereits im klassischen attischen Griechisch, bei Platon, bezeichnet das Wort „ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes Ganzes“ (Epin. 991a) – aber auch die Verfassung eines Staates (Pol. 6, 11, 3), etwa die Demokratie (2, 38 6). 7 Vgl. vorsteh. 1. und 2.

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A. „Allmacht“ im Sprachgebrauch – ein Rechtsproblem?

II. „Allmacht“ – kein (wesentlich) außerrechtlicher Begriff 1. „Allmacht“ – kein „Denken jenseits des Rechts“ Einem vordemokratischen gesellschaftlichen Ordnungsbemühen mochte sich die Frage gar nicht stellen, ob „Allmacht jenseits des Rechts“ denkbar sei. Was immer auf Erden faktisch sich vollzog, angestoßen und (weiter) getragen mit unwiderstehlicher, unwiderstandener Kraft – das war eben eo ipso, wesensmäßig, an sich bereits „Macht“; gedankenmäßig geordnet, darin auch zukunftswirksam, war es eben stets zugleich auch Recht. „Macht“ – das war gar nicht vorstellbar „außerhalb von Recht“. Keine Instanz bot sich ja wirksam dem Mächtigkeiten registrierenden Blick, welche „Macht und Recht“ hätte trennen können, im Jenseits wie im Diesseits, „wie im Himmel so auf Erden“8. Solche Machteinheit – das sollte früher stets außerrechtlich, weil überrechtlich gelten: rechtsübergreifend.

2. „Allmacht“: formal und inhaltlich aber „rechtsübergreifend“ a) „Allmächtig“, als formale Bezeichnung von Staatlichkeit – das begegnet jedoch schon früh, an den Anfängen rechtlichen Denkens überhaupt, längst vor dem Einsatz demokratischer Kategorien. Begrifflich sollte mit dem Wort immer etwas wesentlich Übergreifendes ausgedrückt werden. Das so Bezeichnete war stets eindeutig zu verstehen im Sinne von einem „Ganzen, Feststehenden“. Schon in der staatssymbolisierenden Mythologie kommt in der letzten, höchsten Allmacht des Göttervaters, zeitlichentwicklungsmäßig immer mehr, schließlich „in der Idee“ endgültig, die Dynamik einer ruhelosen Titanenwelt zum Stillstand. Der Römische Staat „verkörperte“ diesen Zustand, geistig-unsichtbar und doch gerade darin wirkungsmäßig, potenziell allgegenwärtig, in seiner normativen Ordnungsmacht und zugleich in seiner militärischen Zwangsgewalt. Formal war diese „Römische Staatlichkeit“ in Wort(begriff )en und Legionen nie allein, stets aber wesentlich „auch“ eine Omnipotenz der (von) Rechtsmacht. 8 Der griechische wie der lateinische Text des „Vater Unser“ bezeichnet nicht nur sprachlich zwei Erscheinungen gleich – beide Stellen identifizieren Gleiches: Sicut in coelo et in terra.

II. „Allmacht“ – kein (wesentlich) außerrechtlicher Begriff

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Entgegengesetzt werden konnte, durfte ihr eben nichts, auch, ja vor allem nichts in einer Öffentlichen Macht-Maschinerie in juristischer Form Verfestigtes. Überrechtliches Machtdenken umfasste gleichermaßen außerrechtliche wie rechtliche Potenzen; es konnte gewissermaßen jeweils die eine Mächtigkeit auch zur anderen werden lassen9. b) „Allmacht“ wird aber, ebenso früh, auch bereits inhaltlich verstanden, mit Bezug auf die Regelungsgegenstände, welche diese übergreifende Mächtigkeit „ordnet“. Auch hier übergreift, umfasst Römische Staatsgewalt alsbald „Äußeres“ und „Inneres“ Verhalten, in einem Anspruch von Omnipotenz. Ein attisch-platonisches inneres Daimonion wird nicht (mehr) geachtet von einer Staatsreligion, die zur Staatsräson wird. Die Denkkategorien „potentia“ und „actus“10, werden in ihrer Ordnungsgegenständlichkeit zur Einheit; auch inhaltlich wird „Allmacht“ gebraucht als ein einheitliches Ordnen-Können, das nirgendsmehr etwas (aner)kennt wie ein „stilles Kämmerlein“; es will ja nicht nur menschliches Verhalten schützen, sondern auch menschliches Gut – beides zusammen, zugleich, als „Menschliches Eigen“. „Kein Recht“ sicherte von nun an irgendwelche Inhalte vor dem Zugriff solch übergreifender Allmacht. Rechtlich ausgeformte wie außer/überrechtlich wirkende menschliche Verhaltensinhalte standen auch später, in Fortsetzung Römischer Staats-Omnipotenz, den Kontroll- und Ordnungskräften der Kirche offen. In der kanonischen Rechtsform der Beichte drang sie vor in alle Lebensbereiche mit ihren geistigen Ordnungskräften und -ansprüchen, gleich ob diese bereits eine säkulare rechtliche Verfestigung gefunden hatten oder nicht. Vom Römischen bis ins Kirchliche Recht war alles menschliche Verhalten inhaltlich einer Allmacht unterworfen: der des (Römischen) Staates – als eines (Christlichen) Macht-Gottes. c) Konnte früher, kann heute solche Allmacht, zugleich im formalen wie inhaltlichen Sinn, überhaupt rechtlich erfasst werden? Ist das Wort nicht, aus seiner ganzen Tradition heraus, wesentlich stets rechtsübergreifend gedacht, kann sich mit ihm also gar kein Gegenstand staatsrechtlichem 9 In sprachlichen Ausdrucksformen wurde dieses Denken historisch später wiederum „formalisiert“ im Begriffsvokabular der mittelalterlichen Scholastik: In ihr konnte ein Begriff in seiner Wirkung gesehen werden „entweder nur in potentia“ – oder (bereits) „in actu“: noch in gespeicherter Wirkungsmöglichkeit – oder in schon konkret rechtlich feststellbaren rechtmäßig wirksamen Ergebnissen. 10 Wie sie vorsteh. (unter a)) als formale Kategorien beschrieben wurden.

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A. „Allmacht“ im Sprachgebrauch – ein Rechtsproblem?

Denken bieten? Muss daher eine solche Untersuchung hier bereits schließen, jedenfalls für die Demokratie, als eine sie nun wahrhaft „ausschließende Staatsform“? Ist nicht aller Allmacht gegenüber rechtsdogmatische Kapitulation angesagt gegenüber einer Communis Opinio, nicht nur in Politik und Politologie, sondern auch Iuris et de Iure – in rechtlicher Dogmatik? Das sind nicht rechts-rhetorische Fragen, es sind rechtlich Aporien. Im Folgenden soll dennoch „Allmacht“ Gegenstand einer rechtlichen, ja letztlich einer juristisch-rechtstechnischen Betrachtung sein, nicht einer politologischen Untersuchung. Es geht hier allein um „Allmacht im Recht“: Gibt es Derartiges noch, noch immer, ja gar notwendig, in einem Denken von Demokraten?

III. „Allmacht“ – ein Staatsrechtsproblem gerade der Demokratie 1. „Allmacht“: auf der „Staats-Bühne“ „Die Demokratie als die Staatsform der Gegenwart“ ist nicht mit einem Mal aus einem gedanklichen Normhimmel gefallen, wie ein „Ideen-Meteorit ins geltende Staatsrecht hineingeraten“. Allerdings wird sie laufend politisch geradezu zelebriert, auf lärmenden Straßen, neuerdings in „Nächten der Demokratie“11 – fast erklingt etwas wie ein „Du musst mich lieben!“: – Wagnerianische Sexual-Macht als Staats-Politik. Sollten nicht gerade die Meistersinger „eine Volks-Masse“ als neue Staatlichkeit schon auf der Staats-Bühne zeigen?

2. Rechtlich prägend: inhaltlich und formal Nicht dies aber ist zunächst das Ausgangsproblem der folgenden Untersuchung. Vielmehr hat diese zuallererst danach zu fragen, ob „staatsrechtliche Allmacht“ als solche „inhaltlich prägen(d sein) kann“ auch, ja gerade in der und für die Demokratie. Hat nicht deren Normenordnung 11 Die „Volksherrschaft“ wurde geradezu „ausgerufen“ im September 2018, in einer „langen Nacht der Demokratie“, von den politischen Herrschaftsinstanzen, den audiovisuellen Medien.

III. „Allmacht“ – ein Staatsrechtsproblem gerade der Demokratie

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nach ihren Regelungsgegenständen etwas an sich von „Allmacht“? Hat hier „Volksherrschaft als Staatsform“ rechtlich-inhaltlich eingrenzend etwas verändert? Bei einem solchen Befund wäre in dieser Staatsform vielleicht ja etwas festzustellen wie ein Inhalt ihres Ordnungsgegenstandes. Eine zweite Frage richtet sich an die Demokratie als StaatsgewaltMacht in ihrer „formellen Prägung“ durch etwas wie eine staatsrechtliche Allmacht. Zeigt die Volksherrschaft Rechtsformen, welche „Allmacht“ rechtlich fassbar werden lassen in ihren Trägern? Ist dann „Allmacht“ nicht nur ein gegenständlicher Herrschafts-, sondern auch ein formeller Kompetenzbegriff des demokratischen Öffentlichen Rechts? Beides soll zunächst untersucht werden auf mögliche Rechtsträger einer solchen Machtfülle (i. Folg. B.), sodann nach normativ fassbaren Verfassungsrechtsformen (i. Folg. C.). Für beides stellt sich dann die weitere Frage, ob hier nicht (nur) demokratische Auflösung festzustellen ist, sondern (auch) „Wiederkehr der Demokratie“: Neue Allmachtendenzen (i. Folg. D.), (insbesondere) „Allmacht in Gleichheit“ (i. Folg. E.) – also doch „wieder in Normen“ (?)

B. Die Träger einer „Allmacht“ „Allmacht“ ist in früheren Zeiten nicht als solche ein fassbarer Begriffsinhalt gewesen, noch ist sie heute ein Rechts- oder gar ein Staatsproblem. Stets ging und geht es aber noch immer, wo sie genannt wird, im Ausgangspunkt primär um den (möglichen) Träger einer umfassenden, alles überhöhenden Mächtigkeit. Phasen dieses „Denkens ins Allmacht“ haben deutliche Spuren vor allem im Staatsrecht hinterlassen; ihnen ist zuallererst also dort nachzugehen.

I. Allmacht eines „Wesens in Personalität“ 1. Gottes-Idee: Macht als All-Macht a) Die Vorstellung von einem „höheren“, einem übermenschlichen Wesen, welches laufend überirdische Macht ausübt, mag entstanden sein in, ja aus Schwäche- und Angsterlebnissen, die darin abgewehrt, überwunden werden sollten. Solche apotropäischen Reaktionen wuchsen zusammen, in dem sich historisch entfaltenden Systemdenken der sich „unterworfen“ fühlenden „menschlichen Subjekte“: zu einer Gottes-Idee. In ihr sollten alle höheren Kräfte zusammengefasst erkennbar, ordnungsfähig, menschlich (er)fühlbar werden. Lange wurde dies versucht – bis in die griechische Antike – in einem Polytheismus widerstrebender Gewaltträger. Sodann aber setzten sich irdische Machterfahrungen immer allgemeiner durch, in geistig-systematischer Höherentwicklung, bis in Grundsätzliches, Allumfassendes – eben in Allmachtdenken. b) Auf Erden vorgeformt im Römischen Militär-Machtstaat, wurde dieser geistige Zustand einer (spätantiken) Zeit hinaufgehoben in geistige Systematik von der Kirche, darin viele Jahrhunderte lang fortgetragen als solcher in historisch vielbewunderter, elastisch anpassungsfähiger Wirkungspotenzialität. Diese „Allmacht-Idee“ wurde kirchlich zum unverrückbaren Mittelpunkt der Gottes-Vorstellung, damit geistig zum Wesens-

I. Allmacht eines „Wesens in Personalität“

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Zentrum der Macht als solcher. Wer immer es unternehmen wollte, sie sich anzueignen – er musste jedenfalls und notwendig versuchen, diesen unendlichen Raum als solchen zu besetzen, also doch, „irgendwie ganz“. Wie aber, als „welche Macht“?

2. Monarchie – Machtdenken in Personifizierung a) Die Entdeckung der Person in ihren spezifischen Kräften, der Persönlichkeit als etwas rechtsbegrifflich Fassbaren steht hier wohl am Anfang, die Selbst-Bewusstwerdung der Person als Herrscherin über Sach-Welten, sachlich bestimmbare Komplexe, die, im Leben begegnen – dem „LebeWesen Mensch“. Rechtsdenken wird erreicht in solcher Personifizierung des Begriffes als Träger von Mächtigkeit(en). b) In diesem Sinn steht (etwas wie ein) Monarchisches Denken am Beginn von Vorstellungen der Macht. In ihm erreicht das Wesen Mensch seine Welt, „macht sie sich untertan“, wie es die Genesis bildhaft ausdrückt: „Macht Euch die Erde untertan“: Sie mag dagewesen sein für Euch, faktisch; dies aber zählt nicht die rechtlich/staatlich/allein wichtige, ja existente Welt ist die der Herrschaft der Person über sachlich Begegnendes – über „Gegen-Stände“ – eben der Mensch als Machtträger. Und da dieser Mensch wesentlich begegnet als Einzelmensch, könnte, kann wohl begrifflich der All-Machtträger „zu-nächst“, „zu-allererst“ rechtlich/staatlich nur vorgestellt werden „in Monarchie“, als der Eine Gott – so wie der Eine Monarch auf Erden, als etwas wie ein göttliches Wesen im Menschen. c) Diese Monarchie als personifizierte Rechtsmacht, hat als solche, als durchgehende Rechts- und Staatsform, die gesamte historische Entwicklung prägen, ja wahrhaft beherrschen können, wie sie in solcher Form faktisch im Römischen Staat, gedanklich im Monotheismus des Christentums dazu in besonderer Weise passende Darstellungs- und Denkformen geschichtlich finden konnte. Ob dies nun der berühmt/berüchtigte historische Zufall war, oder eben doch eine „Höhere Fügung“ – für die folgende verfassungsrechtliche Betrachtung mag dies gleich(gültig) bleiben. Sie darf an diesem mächtigen Wege-Zeichen der Monarchie vorübergehen, muss dieses aber in ihrem Staatsdenken gewissermaßen „speichern“. Denn vielleicht wird sie Manches, Wichtiges, vielleicht gar

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B. Die Träger einer „Allmacht“

Wesentliches davon (doch) wiederfinden in einer politisch-rechtlichen Gegenwart. Diese möchte meist so ganz anders sein als jene Vergangenheit, sich damit selbst in Fortschrittlichkeit feiern. Ob ihr dies gelingt, ob diese Entdeckung einer Volksherrschaft, die sich in etwas sieht wie einem einmaligen Progress, darin sich feiert in einer einmaligen Wertigkeit, nicht doch auch, vielleicht gar nur ein eigenartiges „Zurück ad fontes“ ist von Recht und Staat – das könnte sich dann zeigen, spätestens am Ende in Teil E. Der „Mensch als Wesen“, gerade darin, jedenfalls in einer Demokratie, staatsrechtlich als ein wahrhaft Neues – das wird in dieser Betrachtung Frage bleiben …

II. Der „Staat“ als Inhaber der Allmacht 1. Staat als Rechts-Person: Träger der Allmacht „Zu-geschrieben“ wurde diese wesentliche Omnipotenz der Macht, ganz gegenständlich fassbar12, dem „Staat“. Darin sollte die Furchtbarkeit des Rächenden Gottes in der intellektuellen Helligkeit des Siècle des Lumières alle Reste geistiger Gespenstigkeit verlieren. Fassbar werden konnte sie, so schien es doch, dem Menschen, dem neuen Souverän der Demokratie, nur in der juristischen Einzelheit. Und trat nicht dieser „Staat als Recht“ ganz wesentlich hervor „immer im Stück“, stets notwendig in den StückWerken seiner Rechts-Gestaltung? Wo sollte da noch etwas geblieben, etwas zu finden sein von seinem geistigen Ursprung, der Gottes-Idee? Nur in der zu Recht gewordenen, in der Rechtlichen Allmacht, im Staat als Person, als Rechts-Träger der Allmacht.

12 In etwas, das man vielleicht gar einen staatsrechtlichen Sündenfall nennen könnte, in „diabolischem Staats-Recht“: „Geschriebenes forderst Du, Pedant?“ (Goethe, Faust).

II. Der „Staat“ als Inhaber der Allmacht

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2. Staatssouveränität: Umschlag der Macht-Allmacht in Rechts-Allmacht a) Diese Entwicklungsphase hat im Verfassungsrecht entscheidende Spuren hinterlassen, bis in die politische Gegenwart. Es war dies wirklich eine tiefgreifende Veränderung der Strukturen der Gemeinschaft, zugleich des Allmacht-Denkens. Sie vollzog sich in einer Entpersonalisierung der ursprünglich faktisch geprägten „Macht“, hin zu einer rechtlichen Verfassung in Staatlichkeit. Nicht „(in) Tatsachen“ galt es nunmehr zu denken, zu erfassen, zu ordnen, sondern allein über Norm-Schemata war dieses „Wesen Staat zu konstruieren“. „Die Macht“, dieser antike Prometheus, hatte sich solange einer solchen Fesselung zu entziehen gewusst: Nun sollte sie ihn – endlich – binden in menschlichem Denken, bis hinauf in seine höchsten Stufen, selbst in seiner Allmacht. Über sie sollte er dem Recht nicht mehr entschwinden in ein göttliches Empyreum: Im Staat ist die Souveränität im 19. Jahrhundert zu (Verfassungs-)Recht geworden; mit ihr erschien nun nicht mehr jene Macht als eine Ur-Gewalt, als ein originäres Monster, dem Juristen stets faktisch vorgegeben. Domestiziert war sie, verschwunden waren aus ihr die Begrifflichkeiten eines humanen Wesens: in der Entpersönlichung der Staatssouveränität – in Recht. b) Allmacht als Rechtsbegriff: Das schrieb sich die Staatssouveränität in ihrem wahrhaft neuen normativen Denken auf ihre Fahnen; und die der Allmacht wehte ihnen allen voran, ihren einzelnen Institutionen, deren Formen ihre jeweiligen Flaggen anzeigten. Diesen Letzteren mochte zunächst zu folgen sein, zuallererst. Wenn sie aber sodann, in Einzelgehorsam getragen, schließlich aufgestellt wurden, in normativer, bereits bindungsgeneigter Nähe zu einander, so endete dies unter dem großen Banner wiederum einer Staats-Allmacht als Rechtsbegriff. Es war also ein solcher, nicht tatsächliche Macht, in dessen Namen, „unter dem sich Menschen wahrhaft zusammenfanden in (Staats-)Recht“. Der Allmächtige Staat hat der, er hat seiner juristisch geordneten Welt die „Allmacht als RechtsVorstellung“ bewahren können, immer ihr nahe, darin immer weiter … Würde ein solcher „Staat“ sich darin halten können, in dieser seiner rechtlichen Allmacht – gerade in „seiner Staatlichkeit“?

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B. Die Träger einer „Allmacht“

Das wurde nun zur Gretchen-Frage an die Demokratie: „Wie hältst Du’s mit der Staatlichkeit in Personifizierung – zum Volk?“

3. Exkurs: Aristokratie und Allmacht-Denken a) Monotheistisches Denken, allgemein wie insbesondere in den Rechtsformen der Staatlichkeit, mag sich letztlich zurückführen lassen auf, sich jedenfalls historisch entwickelt haben zu Monarchie, jahrhundertelang in immer neuen Erscheinungen dieser Staatsform. Entwicklungsgeschichtlich dürfte aber kaum mehr nachweisbar sein, dass es als solches am Anfang aller Gottesvorstellungen steht. Vielfältige, vielförmige Erscheinungen ihrer Umwelt waren es wohl, welche Menschen in diesem, in einem „vergöttlichenden“ Sinn zu erfassen, ja deuten zu müssen glaubten in Polytheismus. Spätere, deutlicher „erleuchtete“ Zeiten mochten dies als Gespenstererscheinungen in Angstvorstellungen apotropäisch abzuwenden suchen, es letztlich in eine Geister-, ja eine Märchenwelt verbannen. Staatsrechtlich hat dies institutionelle Spuren hinterlassen bis in die Neueste Zeit: in vielfachen Formen verfassungsrechtlicher Aristokratismen. b) Über sie gelang dem institutionellen Rechtsdenken die Bewältigung, die geistige Überwindung des Abstandes einer (später) klarer durchdachte monotheistischen Gottesidee zu den fassbar gewordenen Machterscheinungen dieser Welt. Dies war die große staatliche Leistung des Feudalismus, in dessen Ordnungsanstrengungen in vielfältigen Formen. Doch diese staatsrechtliche Entwicklung sollte, nach einer wahrhaft glänzenden überhöhenden Kulmination unter dem Sonnenkönig, alsbald führen in die ganz anderen, neuen Formen eines staatsrechtlichen Demokratismus. Nicht restaurative Rückbesinnung war nun angesagt, in einer aristokratisierenden Erfassung der staatlichen Allmacht in der Volksherrschaft; nicht jeder ihrer Bürger sollte in ihr geadelt werden, mochten französische Revolutionäre ihren „citoyen“ auch zum Ehrentitel erheben. Überwölbend wurde die notwendige neue staatsrechtliche Legitimation zusammenzufassen versucht, zuerst, und vor allem, in Deutschland, in der rechtlichen Allmachtvorstellung eines „Staates“13, sodann in der des Volkssouveräns14. Aristokratie – das ist verfassungsrechtlich in der Geschichte doch auch eine 13 14

Vorsteh. unter II. 1., 2. I. Folg. III.

III. Das „Volk“ als Träger der Allmacht

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Unter-, eine Ausprägungsform der theistischen, der höheren geistigen Gottesidee geblieben15. In jener konnte auch diese überleben, in ihr eben doch auch „etwas von Allmacht“.

III. Das „Volk“ als Träger der Allmacht 1. Der „Volkssouverän“ – Inhaber der Allmacht a) In der gegenwärtig jedenfalls verbal allgemein akzeptierten Staatsform der Demokratie hat sich grundsätzlich an der im Namen der „Staatssouveränität“16 vollzogenen Jurifizierung der Allmacht, an ihrer Hineinnahme in die Rechtswelt, nichts geändert. Sie wird nun eher noch deutlicher (betont): Die gewaltenteilende Staatssouveränität ruhte ja geistig auf der Vorstellung von einer Gewaltenteilung. In ihr ließ sich die Einheit, wie sie doch im Allmachtbegriff weitestgehend gesehen wird, nur noch rechtsbegrifflich erkennen; politische Wirksamkeit kam dieser Verfassung-Rechtslage als solcher kaum zu. b) Mit der Vorstellung von einer Souveränität des Volkes fand die Staatsmacht zwar wieder zurück – man könnte auch sagen: hinaus – in den weiten Bereich, in welchem eine Verrechtlichung der Macht erfolgen soll, damit auch eine solche der Allmacht; sie war ja in der Staatssouveränität zwar eingegrenzt, als solche aber doch der Staatlichkeit rechtlich zugerechnet, damit eben juristisch erfasst, verfasst worden. c) In der Vorstellung von einer verfassungsrechtlichen Volkssouveränität vollzog sich nun aber zugleich eine Hierarchisierung der Staatsmacht, welche auch die Begrifflichkeit der in sie gewissermaßen hineingenommenen Allmacht erfassen musste. An der Spitze einer Pyramide von Souveränitätsträgern konnte nur „das Volk gedacht“ werden: Ihm musste daher, notwendig, rechts-wesentlich, die Träger-, die Inhaberschaft gerade einer Allmacht zugerechnet werden: Volksallmacht wurde zum höchsten demokratischen Verfassungsbegriff, Volkssouveränität zum Rechtsbegriff. 15

Weshalb sich denn auch, was sich bereits gezeigt hat (vorsteh. II. 3.), etwas wie ein „Demokratischer Aristokratismus“ nicht entfalten konnte: Derartiges wurde sogleich aufgelöst – oder überhöht – in der neuen Humanität einer „Allmacht des Menschen“ (i. Folg IV.). 16 Vorsteh. II.

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B. Die Träger einer „Allmacht“

2. Demokratie: Vom allmächtigen Volk zum „Höchstwert Mensch“ a) Die Verrechtlichung des Macht-, damit eben auch des Allmachtbegriffs, wie sie in der Staatssouveränität stattgefunden hatte (vorsteh. II.), konnte aber im Begriff eines „Volkes“ rechtlich nicht überzeugend auf Dauer aufrechterhalten werden. Denn die verfassungsrechtliche Entwicklung fand in jenem „Volk“ keinen politisch überzeugenden „rechtlichen Punkt“17, von dem aus sich „alles“, die ganze politische Welt, wie nunmehr gefordert, in Demokratie durchdringen, sich damit eben „bewegen lassen konnte“. Dieses „Volk“ war ja im Rechtsdenken nichts anderes, nicht mehr als ein Verfassungsorgan. Seine Höchstwertigkeit in der Verfassungsordnung ließ sich so nicht legitimieren, sondern nur in einem notwendig sogleich ein(zu)setzenden juristischen Weiter-Denken zu einer nun auch politisch haltbaren Grundlage: Zum Einzelmenschen, zum demokratischen Bürger. b) So zeigt sich nun „das Volk“, im verfassungsrechtlichen Souveränitätsdenken, als eine Art von Durchlauf-Begriff: Von ihm aus muss in der Volksherrschaft verfassungsrechtlich sogleich weitergedacht, rechtlich weiterkonstruiert werden: hin zum Menschen, dies fordert „die Demokratie“ in gebieterischer Herrschaftlichkeit. „Das Volk“ ist, in diesem geistigen Entwicklungsvorgang, nichts als eine rechtliche Gedankenbrücke, letztlich vielleicht nur ein verfassungsrechtlicher Notsteg. „Allmächtiges Volk“ – das klingt ja auch nicht einmal politisch überzeugend. Was an ihm schätzens-, ja liebenswert sein mag, für jeden seiner Bürger, das ist seine Gliedhaftigkeit, seine letzte Zurückführbarkeit auf den Einzelmenschen. Gelingt sie nicht, wenn möglich in jedem seiner Bürger, so wird jenem „Volk“ stets etwas wie ein Geruch von blutiger Volksromantik anhaften – bis es eben (seine) Ruhe gefunden hat in Verfassungs-Friede zwischen seinen Bürgern, in einem, nein: in seinem Menschen(bild).

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„Gib mir einen Stand-Punkt, und ich werde die Welt bewegen“.

IV. „Der Mensch“ – Grundlage und Grenze rechtlicher Allmacht

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IV. „Der Mensch“ – Grundlage und Grenze rechtlicher Allmacht 1. Staats-Macht: in „menschlicher Trägerschaft“ Demokratie hat sich stets in der neuesten Geschichte verstanden als ein Verfassungs(rechts)-Rückweg ad fontes, zu den „Ursprüngen des Rechts“ – zu den Menschen. Die notwendige, nicht immer aber voll eingängige, überzeugende Rechtsmechanik dieser Staatsform ließ sich eben letztlich „dann doch aufladen“ aus ihrer menschlichen Basis heraus. Auch dies war allerdings nicht unproblematisch. Denn jener „Bürger“, über den sich derartiges rechtlich vollziehen musste – ihm haftete eben auch etwas an vom „blutig-revolutionären Ruch“ der Revolutionen. Seit deren aller geistigen Mutter, dem französischem Total-Aufstand von 1789, war ja auch ihr Ehren-Titel Citoyen18 ursprünglich gar nicht gemeinschaftlich, sondern eben französisch-revolutionär, d. h. letztlich im Sinn eines individualistischen Aufstandes gedacht, Auch in Deutschland war er zum Revolutionsbegriff, ja zum revolutionären Organ par excellence geworden, wenn auch nicht so umfassend, ja geradezu religionsähnlich wie im großen Nachbarland. Immerhin wurde darin auch die oft so bedrohlich wirkende „Allmacht“ ihrer Trägerschaft durch (den) Menschen zum irgendwie doch „humanen Begriff“. Angeknüpft durfte dabei ja werden, sogar in der Demokratie, an Vergangenheiten, die geprägt waren von staatssouveränem, ja religiösem Denken19. Die Demokratie konnte damit, so schien es doch, all ihre wesentlichen Machtinhalte einer neuen Machtträgerschaft zuordnen: Wenn nicht ihrem „Volk“, so doch ihrem „Menschen“, auf den sie sich eben „rechtlich zu stützen“ vermochte.

18 19

Damals auch adjektivisch gebraucht: „Soldat citoyen“ – „Bürger-Soldat“. Vgl. oben II. und I.

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B. Die Träger einer „Allmacht“

2. Allmacht – in „vermenschlichtem Staatsrecht“ ent-dämonisiert a) Macht – in diesem Wort, eingesetzt eben auch als Rechtsbegriff, liegt von jeher, seit staatsrechtlich unvordenklichen Zeiten, fast immer etwas Bedrohliches, zugleich aber eben auch etwas Liebenswertes. Diese Verbindung scheint geradezu inhaltlich vorgegeben, mit ihr die Kraft eines Denkens in dieser Kategorie. In allen Formen ihres Wort-Gebrauchs ist diese Allmacht auch stets wahrhaft als integrativ erkennbar, als „menschlich wirksam“, gerade in der Demokratie. Von ihr fällt ab das „Zwingende“, es bleibt ihr aber das Bindende einer ungefährlichen und doch kraftspendenden Nähe, wie sie eben das Recht in all seinen Begrifflichkeiten stets vermittelt. b) Allmacht – der Begriff war Jahrhundertelang „göttlich besetzt“, weil religiös, überirdisch vorgestellt; in all seinen begrifflichen (Ver-)Wendungen wurde er stets „irgendwie doch so mit-gedacht“. Dies mag sich selbst dann nicht völlig ändern, wesentlich so bleiben, wenn ein „Denken in Allmacht“ die Menschen erreicht, „voll“, mit all seinen Potenzen. Eben dieses, ein wahrhaft großes, ein „mächtiges Ziel“ steckt sich die Volksherrschaft als Staatsform. In ihm „erreicht der Mensch den Staat als dessen Souverän“: Mensch-Sein tritt auf in Staat-Sein. Nichts in diesem Letzteren kann, darf dem Menschen fremd sein. Das terenzianische Nihil humani a me alienum puto20 bedeutet ja nicht nur „nichts Privates“, sondern auch Nihil publici a me alienum puto, „ist mir fremd“. Dies ist dann menschliche Demokratie, der Volksstaat als Staatsform geöffnet in seinen Menschen. Eine kompliziert erscheinende Gedankenführung endet damit in einer staatsrechtlichen Banalität für den Volksstaat: in der offenen Demokratie. Um sie soll es nun gehen, als einen verfassungsrechtlich geordneten Machtprozess, in dessen Einzelschritten – und sei es „hinunter und immer hinunter“, in „schieres Verfassungsrecht“ – aber eben doch auch zur Allmacht, in sie hinein, … hinauf.

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Terenz, Heauton Timorumenos.

V. Exkurs: Allmacht und Demokratische Gleichheit

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V. Exkurs zu Teil B: Allmacht und Demokratische Gleichheit 1. „Allmacht in Gleichheit“ – Grundvoraussetzung der Volksherrschaft a) „Allmacht“ ist als zugleich überhöhende und umfassende Kategorie in einem Staatsrecht als einer normativierten Ordnung, grundsätzlich, in der Sicht einer Allgemeinen Staatslehre, durchaus denkbar21. Es setzt dies ja lediglich voraus, dass es über als solchen in Einzelnormen bestimmbaren Äußerungen eine rechtlich geordnete Staatsmacht auf einer juristisch fassbaren Ebene gibt. Es muss dann aber diese Allmacht auch etwas darstellen wie eine eben doch formale Normstufe des Öffentlichen Rechts, aus der heraus allen nachgeordneten rechtlichen Ausprägungen der Staatsgewalt gewisse gemeinsame Norm-Inhalte zukommen. Hierarchisches staatsrechtliches Denken muss also in dieser Sicht ordnend wirken; aus seiner pyramidal vorgestellten „Spitze Allmacht“ können rechtlich bestimmbare Charakteristika prägend ausstrahlen auf nachgeordnete Ebenen, auf welchen diese juristische Omnipotenz dann normativ aufgegliedert und näher präzisiert wird. b) Voraussetzung für derartiges normatives Wirken einer „Allmacht“ ist allerdings, dass es mit den Grundentscheidungen, mit den Grundnormen gerade der „Demokratie“ vereinbar ist. Denn nur in einer solchen rechtlichen Ordnung des Staates22 als „Inhabers der Allmacht“ eines „Volkes“, als Trägers der Allmacht23 in ihr, des „Menschen“ als ihrer Grundlage und Grenze im Recht24, kann heute, in der politischen Gegenwart, Verfassungsrecht wirken; frühere Personifizierungen in Monarchie und Aristokratie, wie sie Eingangs dieses Teiles B oben beschrieben wurden, sind eben unwiederbringlich vergangen. c) Diese Voraussetzung der staatsrechtlichen Normwirkung einer menschlichen Allmacht gilt in erster Linie für die Gleichheit: Sie ist 21 Dies entspricht dem seit Hans Kelsens Staatslehre unverrückbar geltenden Begriff des Verfassungsrechts, in dessen grundsätzlicher geistiger Einheit mit der Staatstheorie. 22 Vgl. vorsteh. B. II. 23 Vgl. vorsteh. B. III. 24 Vgl. vorsteh. B. IV.

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B. Die Träger einer „Allmacht“

schlechthin die Grundnorm der Volksherrschaft25, weil in ihr „Volk“ und „Individuum“ in ihrer Verbindung geradezu begriffskonstitutiv wirken. „Allmacht“ muss also verfassungsrechtlich zuallererst gedacht werden können in einer Gleichheitsordnung, in der „etwas wie, etwas von Egalité“ „wesens-prägend“ durchgesetzt werden kann. Darin jedenfalls muss sich Demokratie von allen anderen möglichen Rechtsorganisationformen einer Staatlichkeit unterscheiden; so kann es dann einzelne Rechtskategorien des Staatsrechts geben.

2. Grundsätzliche Vereinbarkeit von „Gleichheit“ mit „Allmacht“ a) Für politisches Denken in Kategorien demokratischen Rechts ist dies, auf einen ersten Blick, „kein Problem“, jedenfalls nicht in einer prinzipiellen Betrachtung. Demokraten haben Monarchien und Aristokratien ja nicht mit dieser ihrer neuen Staatlichkeit ablösen wollen, um in deren Namen ihren weiterhin verfassungsgültigen Machtformen normative Wirksamkeit abzuerkennen, streitig zu machen in einem „anderen Staatsrecht“. „Rechtsallmacht als Normallmacht“ lässt sich ohne weiteres darstellen, weil gerade Rechtssätze eine Allmacht in Gleichheit ausprägen können, wenn sie auch nicht notwendig stets in dieser Weise wirken müssen. „Egalitäre Demokratie“ ist denn auch immer wieder als Form juristischer Omnipotenz geradezu begeistert gefeiert worden sobald ein souveränes Volk aus gleichen Menschen die politische Bühne betreten hat, erst recht, wenn es sich dort mit etwas wie einem Anspruch von Allmacht ausbreiten, diesen intensivieren konnte. Politisch jedenfalls ließ sich dies immer geradezu als selbstverständlich möglich feststellen. b) Und nicht nur als politische und staatsrechtliche Denkmöglichkeit gilt dies, sondern geradezu als eine Denknotwendigkeit in der Demokratie. In dieser Staatlichkeit muss ja gedacht werden können in etwas wie „Volk“26, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Menschen27, welche ihrerseits untereinander in nicht nur vergleichbaren, sondern inhaltlich gleichen Situationen leben. Dass Zusammenschlüsse solcher Art und 25 Siehe dazu näher Nachweise in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG 6. Auflage 2010, Art. 3 Rn. 1. 26 Vgl. oben B. III. 2. 27 Zu diesem Menschenbegriff vgl. oben B. IV.

VI. Exkurs: Allmacht in Demokratischer Freiheit

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deren Aufrechterhaltung ein hohes Maß von öffentlichem Zwangseinsatz erfordern, liegt auf der Hand. Allerdings bleibt auch in dieser Lage „nach unten“ immer noch erheblicher Raum für Differenzierungen. Dies spricht dafür, dass eine „Allmacht staatlicher Zwangsgewalt“ sogar in hierarchischem Ordnungsdenken wirken kann, nicht nur in Hierarchieabbau mit dem Ziel einer einheitlich-gleichförmig ausgestalteten Ordnungsebene. c) Insgesamt mag also eine allgemeine Gleichheitstendenz, wie sie der Demokratie und ihrer staatsrechtlichen Dynamik zweifellos zugrunde liegt, durchaus das demokratische Verfassungsrecht charakterisieren, ja sich dort bis zu Allmachtstendenzen von Rechtsansprüchen steigern können. Ein notwendiger und allseitiger „Zug zu einer unifizierenden VerAllmächtigung“ kann allerdings im demokratischen Staat nicht festgestellt, ihm auch nicht zum Vorwurf einer „verfassungsrechtlichen Verödung“ gemacht werden.

VI. Exkurs zu Teil B: Allmacht in Demokratischer Freiheit 1. „Allmacht“ in einem Staat von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ a) Demokratie ist historisch entstanden, im Staatsdenken zur Staatsform emporgewachsen, im Namen der Devise „Liberté – Egalité – Fraternité“. Diese drei Grundsätze standen, in ihrer siegreichen Begegnung in der Französischen Revolution von 178928 aber nicht beziehungslos nebeneinander: Insgesamt, in ihrer Verbindung sollten sie eine Ordnung charakterisieren. Eine solche war nicht etwa gedacht als ein gleichförmiger Einsatz dieser „Grundgedanken als Überzeugungskräfte“, welche diese Volksherrschaft in Geltung zu (er)halten hätten. Vielmehr wollte „Freiheit“ Entfaltungsvoraussetzungen menschlicher Kräfte dafür wecken und sichern, „Gleichheit“ sodann die rechtlichen Wirkungsstrukturen dieser Ordnung bestimmen, „Brüderlichkeit“ schließlich ständig wirksame Integrationskräfte bereitstellen, welche das komplizierte Zusammenspiel der 28 In verfassungshistorischer Betrachtung werden sie immer wieder als deren durchgehend prägendes Grundbekenntnis dargestellt, obwohl sie ihre staatsrechtlich – wirklich nur „eine“ Proklamation der Freiheit 1789 alsbald finden, sie in der Forderung nach Gleichheit bald wieder verlieren sollten.

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B. Die Träger einer „Allmacht“

beiden anderen Prinzipien laufend, d. h. in seinem ständigen, ununterbrochenen Wirken, in seiner verbindenden und darin verbundenen Effektivität, zu gewährleisten hatten. b) Staatsrechtliches Nachdenken über Allmacht sieht sich also vor die Frage gestellt, ob die Volksherrschaft auch mit ihrem Freiheitsbegriff derartige Entfaltungsvoraussetzungen im Verfassungsrecht bereitzustellen vermag. Diese Problematik unterscheidet sich von der einer grundsätzlichen Vereinbarkeit von Gleichheits- und Allmachts-Denken29. Dort ging es um rechtliche (Ein-)Teilbarkeiten der Wirkungen eines demokratischen Grundbegriffs der Egalität; hier ist jedoch nun zu untersuchen, ob der Staat der Volksherrschaft in seinen inhaltlichen Regelungsbereichen Räume für individuelle Freiheit(en) bereitstellt, in welchen Ordnungskräfte gerade einer „Allmacht“ rechtlich zum Tragen kommen (können oder gar müssen). Antworten sind zu suchen auf die Fragen von Möglichkeiten oder gar Notwendigkeiten eines Allmachtdenkens gerade in einem solchen Staat der Freiheit. Dabei treten nun ganz andere Probleme auf als für „Allmacht und/in Gleichheit“. Verfassungs-Rechtsformen müssen hier in normativer Freiheitssicht grundsätzlich kritisch gesehen werden als demokratische Allmachtsgrenzen30. Dies muss dann überleiten zu gegenwärtigen Entwicklungen von Vorstellungen einer Demokratischen Allmacht31. Hier kann die Betrachtung ausmünden in Überlegungen, ob nicht sogar ein „Zurück zur historischen früheren Allmacht“ angesagt ist, in einem Denken, welches „Neue Allmacht in Gleichheit der Gleichen“ fordert. Erwartet die Gegenwart bereits die Zukunft eines „Auslaufens der Französischen Revolution in einer Totalen Gleichheit ohne Freiheit“32?

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Wie sie vorsteh. unter B. V. problematisiert wurde. Damit wird sich der folgende Teil D. beschäftigen. 31 Auf diese läuft, in allgemein-grundsätzlicher Form der inhaltlich abschließende Teil E. hinaus. 32 Dazu können unter F. nur einige kurze Ausblicke geboten werden. 30

VI. Exkurs: Allmacht in Demokratischer Freiheit

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2. „Allmacht“ – nur in einem Staatsrecht „Kleiner Freiheit“ (?) a) „Freiheit“, verstanden als ein Grundprinzip staatlicher Ordnung in der Demokratie, muss all deren Räume normativ durchwirken (können). Über die Größe derselben im Einzelnen wie auch über die Intensität einer derartigen Ausgestaltung ist damit zwar noch nichts ausgesagt. Wenn nun aber in diesem Gesamt-Wirkungsbereich einer Liberté auch etwas wie eine rechtliche Allmacht irgendwelche Ordnungseffekte entfalten, wenn diese juristische Bestimmung zugänglich sein sollen, so kann dies nur mit einer doppelten Maßgabe angenommen werden: Ein „demokratisches Prinzip Freiheit“ muss sich dann rechtlich mit dieser Omnipotenz koordinieren lassen. Diese beiden Grundaussagen über das Wesen der Volksherrschaft dürfen sich nicht widersprechen. Und zugleich müssen dann „Freiheit“ wie „Allmacht“ in ihrem juristischen Bedeutungskern beide das charakterisieren (können), was rechtlich Staat(sgewalt) genannt werden darf. b) „Allmacht“ lässt sich, nach dem Wesen ihres Begriffsinhalts, in keiner Richtung, sie lässt sich eben überhaupt nicht rechtlich eingrenzen. Die „Freiheit“ jedoch ist, für ihren Gesamt-, wie für Einzelbereiche ihrer Entfaltung, rechtlichen Einschränkungen ihrer Wirksamkeit zugänglich: „Große“, ja sogar grenzenlose Freiheit ist ebenso juristisch denkbar wie etwas wie, in deren Raum, kleinere Freiheitszonen, ja sogar eine „Kleine Freiheit“33. „Liberté“ gibt es eben nicht nur in dem globalen, ja grenzenlosen Verständnis der Französischen Revolution von 1789; „Freiheit“ ist ein „schätzbarer Staatswert“ in jedem Sinn dieser Wort-Begrifflichkeit. Wie lässt sich nun eine solche „Allmacht in einer Kleinen Freiheit“, oder (gar) in einer Mehrheit von solchen, staatsrechtlich vorstellen?

3. „Allmacht in Freiheit“: letzte Festigkeit in „(steter) Bewegung“ (?) a) Soll „Allmacht“ staatsrechtlich gedacht werden in einer Ordnung, welche dennoch zugleich (etwas wie, von) „Freiheit“ kennt, in sich erhält, ja garantiert, so ist eine solche Verbindung nur vorstellbar, wenn typische 33 Diese war einst (nicht nur) eine ironisch-kabarettistische Bezeichnung für die Lage zu einem (vorübergehenden) staatlichen Zustand des besetzten Deutschlands.

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B. Die Träger einer „Allmacht“

Staatlichkeit sich zeigt als eine „Macht laufender Bewegung in Freiheit“. Demokratische Liberté muss stets und wesentlich derart „dynamisiert und darin dynamisierend“ in Erscheinung treten (können), dass sie immer wirkt in einer „Mobilität von Form zu Form“. In dieser Weise kann sie sich dann auch entfalten „von Inhalt zu Inhalt“, von einem Ordnungsgegenstand zum anderen. Stets muss dies jedoch erfolgen in Rechtsformen, also in „normativer Beweglichkeit von Begrenzung zu Begrenzung“. In diesen verliert sich die „Allmacht des Staates“ aber nicht, sie wechselt nur in ihren Erscheinungen. Die politische Kraft, mit der dies geschieht, findet eben darin ihre Wirksamkeit; sie lässt sich deshalb durchaus noch „Allmacht“ nennen. b) Diese Allmacht ist dann zu verstehen als eine „Kraft (aus) letzter Festigkeit“. Sie wirkt gewissermaßen (nur) auf einer höchsten Ebene, auf welcher „der Staat seine Einheit bewahrt“. Sein demokratisches Fluktuieren „erhält“ sich aus dieser Höhe. Gerade weil er „oben in Allmacht fest“ bleibt34, kann er dann „weiter unten in demokratischer Bewegung“ laufend aus- und umgestaltet werden, in der Allmacht nachgeordneter einzelner normativer Ausprägungen. c) Worin dann allerdings diese „letzte, höchste Festigkeit einer Allmacht“ gefunden werden soll, wenn sich ihre Kraft (nur?) in einer ständigen Beweglichkeit äußern soll – das wird jedenfalls herkömmlichen „Denken in rechtlichen Normen“ doch zu einem grundsätzlichen Problem. Eine dergestalt „in ständige Bewegungen geworfene“, letztlich nur in ihnen hervortretende Erscheinung mag man noch immer prinzipiell auf Verfassungsebene verorten. Dort muss dann allerdings „Allmacht“ eine „rechtstechnische Probe“ bestehen: Ob sie sich denn in VerfassungsRechtsformen als ihren demokratischen Grenzen fassen lässt. Denn anders kann solche Omnipotenz – letztlich eben doch eine irdische Übersetzung religiösen Denkens ins Recht – nicht von Juristen erfasst werden, deren täglichen Problemen nicht als etwas wie eine höchste Globallösung dienen. So geht es nun denn in der vorliegenden Betrachtung um:

34 So lässt sich das meist militärisch gedachte „In Treue fest“ in staatsrechtlich Allmacht übersetzen.

C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“ Wenn „Allmacht“ eine Kategorie rechtlichen Denkens sein kann, als die sie vorstehend unter B behandelt wurde, so darf sie grundsätzlich auch in der Volkssouveränität aufgesucht werden, lässt sich in diese einfügen. „Demokratische Allmacht“ ist dann rechtlich zu betrachten in spezifischen Akzentuierungen, und wohl auch Begrenzungen, durch ein verfassungsrechtliches Ordnungsschema. Gibt es eine solche, eine „typisch demokratische Allmachtsvorstellung“, als eine gegenwärtig (be)herrschende Rechtskategorie?

I. „Allmacht“ als „faktisches Rechtsphänomen“ 1. „Normative Kraft des Faktischen“ a) „Reine Faktizität“, Tatsachen nur als tatsächliche Erscheinungen, jenseits aller juristischer, insbesondere normativer Qualifikation – das ist Gegenstand eines gängigen Sprachgebrauchs. Es kann dies aber auch betrachtet werden als eine „Welt“35, welche derjenigen gegenübersteht, vielleicht entgegentritt, die von rechtlichen Vorstellungen und (Aus-) Gestaltungen beherrscht wird. In dem Wort „Ob-jekt“ („Vor-Wurf“) findet dies dann sogar einen plastischen Ausdruck. Aufgabe, ja Tiefenproblem vor allem des Verfassungsdenkens ist es ja, Fakten und Normen einander anzunähern, vielleicht gar begrifflich zusammenzufügen. Dies soll dann erfolgen, wenigstens versucht werden, in der häufig erwähnten, regel-

35 „Du bist eine Welt!“ – das rief Goethe einst seinem Rom zu, der Wiege des Staatsrechts der Gegenwart, und doch sollte in diesem Wort Mehr liegen, (ganz) Anderes vielleicht …

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C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“

mäßig allerdings wenig durchdrungenen, rechtlich nicht selten als geradezu ominös erscheinenden „Normativen Kraft des Faktischen“36. b) Mit diesem Wort vollzieht sich, in selten durchbrochener Regelmäßigkeit, ein für die Demokratie geradezu typischer Vorgang: Man könnte ihn beschreiben als einen „Einbruch des Politischen ins Recht“, vielleicht gar nur als eine Erscheinung des Ersteren in Letzteren. Eine Form der „Rezeption der/von Politik in die Rechtswelt“ wäre dann festzustellen in dieser Normativen Kraft des Faktischen: In ihr entstünde etwas wie ein „politisches Staatsrecht“, dieses „juristische Phänomen“ wäre stets zugleich zu sehen als ein „Politicum“. Offen könnte bleiben, ob eine derartige integrative Verbindung von Tatsächlichem und Rechtlichem sich nicht, wenn auch vielleicht in anderer Weise, in früheren Verfassungszuständen ebenfalls feststellen ließe; jedenfalls wäre hier eine gerade für die Volksherrschaft typische und insoweit eigenständig zu prüfende Problemlage anzutreffen.

2. „Demokratie“: „Recht“ in/aus politologischen Inhalten a) Der Beginn eines „typisch politologischen Denkens“ – wie, wo und wann immer man ihn ansetzt37 – war zugleich der einer tiefgreifenden Veränderung der Sicht auf das Wesen des Staatsrechts. Solange Betrachtungen politischer Entwicklungen nicht als ein eigenständiger Gegenstand wissenschaftlicher Bemühungen gesehen wurden, in Form einer Wissenschaft, jedenfalls eines Wissenschaftszweiges, war es selbstverständlich, Staatsrecht nicht nur zu betreiben als eine verfassungsnormative Disziplin. In seine Betrachtungen waren die Wirkungen aller Kräfte einzubeziehen, welche auf die Entwicklung des Gemeinwesens als eines Ganzen (mit-) bestimmenden Einfluss ausübten. Soziologische Veränderungen, vor allem aber (zunächst nur) religiöse, später (zunehmend auch) philosophische 36 Überwachung, Erhebung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten wurden schon wiederum als Formen klassischer Eingriffe gesehen (s. BVerfGE 65, 1 [43]; 67, 100 [143]). 37 Versuche einer exakten Periodenbestimmung dürften sich hier von vornherein verbieten; gerade von einem „Blickpunkt Allmacht“ aus schließt eine „vorkritische Betrachtung“ im kantischen Sinn sie aus. „Rein normative Betrachtung“ setzt ja erst ein mit dem strengen Wissenschaftsbegriff der Neuesten Zeit, wie ihn die Aufklärung gebracht hat.

I. „Allmacht“ als „faktisches Rechtsphänomen“

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geistige Entwicklungen erschienen, ganz selbstverständlich, als staatsrechtliche Phänomene – schon weil zu deren Ordnung nichts eingesetzt werden konnte, was Anspruch auf eigenständiges wissenschaftliches Denken hätte erheben können. b) Diese geistige Gesamtlage einer politischen Staatlichkeit war staatsrechtlich solange unproblematisch, als es eben eine eigenständige „Politologie“ wissenschaftsterminologisch nicht gab, sie nicht als eine formierte Disziplin systematischen Denkens anerkannt war. Die Entwicklung einer solchen drängte sich nun aber auf, sobald „das Normative in der Rechtswissenschaft“ als deren Wesen klar(er) bewusst wurde. Diese Normativierung des Rechts wiederum erfolgte mit dem Niedergang von einheitlichen Führungsvorstellungen, welche mit Einzelpersonen verbunden waren, in Aristokratie, vor allem aber in deren Spätformen in der zunehmend absoluten, ja geradezu absolutistischen Monarchie. Diese wurde politisch abgelöst, sollte normativ aber fortgesetzt werden in der Staatsform der Demokratie. Nun waren es zwar wiederum Einzelne, es war ja schließlich der Einzelmensch als solcher, der einen, „seinen“ Staat tragen, rechtlich eben legitimieren sollte. Da dies aber machtmäßig/faktisch unmöglich erschien, trug die demokratische Entwicklung weiter, mit logischer Notwendigkeit: Politische Macht wurde nun allein in menschlichen Zusammenschlüssen gesehen – die „Masse“ war gedanklich geboren als ihr Träger, als der politische Souverän, Demokratie als dessen notwendige staatsrechtliche Form. c) Diese „Volkssouveränität“38 war zwar Resultat eines juristischen Denkprozesses, und insoweit konnte sie denn auch durchaus mit rechtlichen Inhalten erfüllt werden. Solche juristische Denkoperationen schöpften nun aber die geistigen Inhalte im demokratischen Sinn einer „Politik“ nicht mehr aus, was zu monarchischer Zeit noch möglich erscheinen mochte. In Formen „volksverbundener Politik“, inhaltlich als eine solche, entstanden neue Disziplinen in bisherigen traditionellen, übergreifenden Bereichen öffentlich-staatlichen Ordnens. Sie wurden als inhaltlich eigenständig gesehen und daher alsbald auch als „Disziplinen des Politischen“ bezeichnet: als Religionspolitik, Militärpolitik, Erziehungspolitik, Kunstpolitik, ja eben auch als inhaltlich gestaltende Rechtspolitik. Das bisher all dies mit-umfassende, in diesem Sinn wirklich „allmächtige 38 Siehe dazu die problemgeschichtliche Untersuchung von Leisner, W., Das Volk. Realer oder fiktiver Souverän, 2005.

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C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“

Recht“ sah sich, als Jurisprudenz, nur mehr erfasst und praktiziert im Sinne einer normativen Technik: In ihr wurden lediglich organisatorische Probleme aufgeworfen, erkennbar, „formalrechtlichen Lösungen zugeführt“. So entfaltete sich eine Politologie als ein inhaltlich bezogenes Ordnungsdenken. Für dieses wurden im demokratischen Staatsrecht formale Regelungsschemata gesucht und schließlich auch bereitgestellt: Demokratie zeigte sich als „Recht in/aus politologischen Inhalten“, zugleich aber auch in rechtlichen Formen.

3. „Allmacht“ in der Demokratie: Politisches Phänomen – und zugleich normativ-rechtlicher Ordnungsgegenstand? a) In einer solchen Dualität von „politischer Inhaltlichkeit“ und „formaler Rechtsnormativität“ muss nun in der Demokratie, gerade in ihr, die herkömmliche frühere aristokratische und vor allem monarchische souveräne Staats-Allmacht betrachtet werden. Für die demokratische Staatsform stellt sich daher die Frage, ob sie rechtlich etwas wie „Allmacht“ überhaupt kennen, organisieren kann, rechtlich zu ihrem Programm darf werden lassen. Es ist dies eine neuartige staatsrechtliche Problemstellung, war doch bisher „Allmacht“ stets ganz selbstverständlich dem Verfassungsrecht zugeordnet, als dessen Wesen gesehen worden. b) Ist alle Macht nun aber normativ zu ordnen, ist dies gerade Wesen der Volkssouveränität, so muss sogleich eine Frage notwendig zum grundsätzlichen Problem werden: Ob ein Begriff wie der der „Allmacht“ überhaupt in solchem Staatsrecht einen Platz haben kann. Oder gilt das Gegenteil: Ist „Demokratie“ rechtsnotwendig vielleicht gar eine Ordnung ohne jede Art, ohne jede Ausprägung von rechtlicher Allmacht? Gibt es in der Volksherrschaft Rechtsnormen?

II. „Allmacht“ – in einem Staatsrecht von Rechtsnormen?

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II. „Allmacht“ – in einem Staatsrecht von Rechtsnormen? 1. Demokratie – (schon) in ihren historischen Anfängen eine Normen-Ordnung a) Unter den drei historisch herkömmlichen, in diesem Sinn wahrhaft klassischen Ordnungen des Gemeinschaftslebens39 tritt jedenfalls die Monarchie nicht notwendig als ein Normensystem in Erscheinung. In ihrer geschichtlichen Höchstform, im Französischen Absolutismus Ludwig XIV., ist sie Gesamtzustand einer „Macht“, die nur durchführungstechnisch ausgestaltet wird – beliebig, immer nach dem Bon Plaisir des Herrschers. Dies galt auch schon für ihre (kleineren) Vorläufer-Ordnungen, die Aristokratien: Sie standen in ihren Staatsgewalt-Ansprüchen wesentlich nebeneinander, wurden allenfalls zusammengefasst in den höheren Religionsordnungen der christlichen Kirchen und der islamischen Gemeinschaften. Einer staatsrechtlichen Normenordnung, welche diesen Zustand juristisch gehalten und staatspolitisch legitimiert hätte, bedurften diese dergestalt persönlich strukturierten Öffentlichen Gewalten nicht. b) Dies änderte sich nun grundlegend, wenn auch staatsgrundsätzlich kaum vertiefend erkannt, mit dem Heraufkommen demokratisch verfasster Gemeinschafts-Ordnungen in Formen der Demokratie, mit deren Vordringen in die Höhen der „Staatsformen“. „Natürlich“ bereits festverbundene Gruppen oder gar Einzelne konnten nun nicht mehr als Inhaber souveräner Macht vorgestellt werden. Eine solche musste vielmehr, von Anfang an und denknotwendig, „Normen“ zugeschrieben werden. Diese gingen zwar notwendig aus von mehr oder weniger (fest) formierten Erlass-Instanzen. Doch Wesen und Zusammensetzung dieser Letzteren konnten wechseln, sie waren nicht, wie für Monarchien und Aristokratien, in politischen Erscheinungsformen bereits vorgegeben. Dies bedeutet(e) für die Demokratie: Sie war (ist) die Einzige unter den drei „klassischen“ Staatsformen, die bereits „ursprünglich“, wesensnotwendig in Erscheinung treten muss(te) als eine rechtliche Norm(en)Ordnung. 39 Von ihnen ist, als solchen, als wissenschaftlichen Vorgaben für alle verfassungsrechtlichen Probleme auszugehen.

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C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“

2. Allmacht des „Volkes als Souverän“? a) Demokratisches Staatsrecht scheint nun allerdings eine Lösung anzubieten, die auch für solche Ordnungsbemühungen einen gewissermaßen vor-rechtlichen, in diesem Sinn „übergreifend politischen Träger“ erkennen lassen mag: Das Volk. Kann nicht ihm, wie in der Monarchie „einem Menschen“, in der Aristokratie Gruppen von solchen40, „die rechtliche Souveränität zugeschrieben werden in der Verfassung“, damit auch eine „Allmacht“, wie früher Monarchen und aristokratischen Fürsten? Lässt sich dann nicht der Machtübergang auf das Volk in der Demokratie ebenso deuten, staatsrechtlich bewältigen wie die vielfachen früheren Rechts-Übergänge, wie die Machtverschiebungen von Aristokratie zu Monarchie und umgekehrt, in vorhergehenden geschichtlichen Perioden? Dann würde auch für die staatsrechtliche Erfassung der „Allmacht“ in der Demokratie keine Grundsatz-Problematik auftreten: Demokratie wäre eben „Allmacht des Volkes als Souverän“. b) Doch dem steht eines grundsätzlich entgegen, was sich soeben41 gezeigt hat: Demokratie war schon ursprünglich, sie ist von ihren Anfängen an rechtlich gedacht worden nicht als getragen von einem politisch-natürlich fassbaren „Inhaber Volk“ – sie war stets nur vorstellbar als eine rechtliche, als eine Normenordnung. Damit aber bleibt für sie das Grundsatz-Problem: Ist in ihr eine „Allmacht“ (rein) normativ überhaupt staatsrechtlich denkbar – eben eine solche „in Demokratie“? Die Antwort war und ist eindeutig negativ: In der Demokratie gab und gibt es nur einzelne rechtliche Machtformen in einzelnen Rechtsformen, also keine rechtliche Allmacht.

40 Auch nach aristokratischem Denken – in seiner Potenzierung sodann zu monarchischen Vorstellungen – war „das Volk“ ja nichts als eine „große Gruppe“ in seinen Ordnungen. 41 Vorsteh. unter 1.

III. Demokratische Staatsrechts-Formen und „Allmacht“

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III. Demokratische Staatsrechts-Formen und „Allmacht“ 1. Demokratische Machtverteilung auf Staats-Organe geordnet in Verfassungsrechtsformen? a) Gewaltenteilung ist für die Volksherrschaft wesensnotwendig, nicht nur das Vorhandensein irgendeiner politischen Trägermehrheit. Mächtigkeiten müssen in der Demokratie aber nicht gleichgewichtig nebeneinander stehen, in solcher Weise geordnet, in Gleichgewichtigkeit. Eine der Gewalten kann vielmehr politisch stärker sein als die andere, und dies mag, soll vielleicht gar, durchaus in (den) rechtlichen Formen der Gewaltenteilung zum Ausdruck kommen: in Verfassungsrechtsformen. Diese Letzteren mögen, in dieser ihrer Machtverteilungsfunktion, gesehen werden in immer neuen Verschiebungslagen, ausgestattet bald mit befehlsstärkeren, dann wieder nur mit untergeordneten Befugnissen. Demokratie verlangt lediglich, dass solche Organe jedenfalls stets so viel an Machtgewicht zum Tragen bringen, dass dies in der Gesamtbalance der Macht noch erkennbar, rechtlich überhaupt noch Gegenstand normativer Festlegung sein kann. b) Diese Gewaltenteilung muss also ihren so definierten Gewalten, den sie ausübenden Rechts-Organen, noch etwas von Eigenständigkeit belassen; sie darf deren Gewalt-Ausschlägen, in den Bewegungen der Waage der Staatlichkeit, nicht vollständige Ruhe verordnen, so dass sie zu einem Nullum würden in der Normenordnung der Demokratie. Eine Nachoder Unterordnung einer Staatsgewalt unter die andere, in Rechtsformen derselben – das ist mit Gewaltenteilung aber noch immer vereinbar. Eine Gewaltenteilung darf sich also zwar, sie muss sich aber nach ihrem rechtlichen Wesen nicht in einem Gewaltengleichgewicht als solchem ausprägen.

2. Organisationsrechtliche demokratische Gewaltenteilung und Allmacht? a) Demokratisches Staatsorganisationsrecht teilt, seit den Anfängen seiner Geltung, die Ausübung der Staatsgewalt auf unter drei Trägern: eben in der Form der Gewaltenteilung. Dieses Einteilungsschema hat sich seit der

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C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“

Französischen Revolution fest eingebürgert in der Staatslehre. Als ein Grundbegriff derselben hat die Séparation des Pouvoirs, in grundsätzlicher Kontinuität42, das jeweils geltende Staatsrecht geprägt, in dessen organisationsrechtlicher Grundstruktur. Damit galt Gewaltenteilung als typische Ausprägung einer Volksherrschaft, „als staatsform-typisch“, über zahlreichen kompetenzrechtlichen Einzelverschiebungen innerhalb der Staatsorganisation: Einmal kam es in der Demokratie zu stärkerer rechtsnormativer Machtkonzentration im Bereich der Legislative in Parlamentsallmacht43, bald zog die Exekutive entscheidende Machtbefugnisse an sich44, bald wieder eine Judikative, welche rechtlich ein „letztes Wort“ sprechen durfte45. Erhalten mussten bleiben, in dieser politik-dynamischen Staatsrechtsentwicklung, immer nur Zuständigkeitssegmente für jede der Drei Gewalten. Sie galten dann als etwas wie ein staatsrechtlicher Beweis für eine rechtliche Grundlagenfestigkeit der Staatsform. b) Es erhebt sich nun die Frage, wie ein wie immer zu bestimmender Begriff „Allmacht“ in Verbindung gebracht werden kann mit einer derart wesensgemäß staatsrechtlich geteilten Staatsmacht. In Betracht kann dies doch nur kommen für eine „Allmacht“, die sich ihrerseits in ihrem Wesen erfassen lässt als eine normativ fassbare Erscheinung. Dies ist für solche Omnipotenz vorstellbar, soweit es bei ihr eben um „Macht“ geht. Der Wort- und Begriffsbestandteil „All-“, der ihr Wesen aber doch bestimmen soll im Sinn einer „allumfassenden Macht“, ist jedoch unvereinbar mit einer „Normativität“. Denn diese verlangt eben rechtlich notwendige Begrenzbarkeit – damit Begrenztheit. Lediglich innerhalb einer bereits normativ eingegrenzten Staatlichkeit, mit Bezug auf all deren Äußerungsformen, kann also in der gewaltenteilenden Demokratie überhaupt von einer normativen Allmacht gesprochen werden. c) Selbst in diesem bereits normativ präzisierten Sinn lässt sich aber „Allmacht“ rechtlich nicht denken in einer gewaltenteilenden Ordnung, wie sie die parlamentarische Demokratie darstellt. Alle staatlichen Befugnisse

42 Vgl. dazu bereits Leisner, W., Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, in: Festschrift für Peter Badura, 2004, S. 289 ff. 43 Beispiele dafür bieten die Erscheinungen einer Souveraineté d’Assemblée. 44 Vor allem im Namen einer „Repräsentation des Staates“. 45 Leisner, W., Der Richter späte Gewalt, 2003; „zu spät“ kam sie allerdings rechtlich ja nie.

III. Demokratische Staatsrechts-Formen und „Allmacht“

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müssen in dieser ja verteilbar sein auf verschiedene Organe46; jedem von ihnen müsste eben „etwas von Allmacht“ doch am Ende unentziehbar zustehen, in aller Gewaltenteilung immer noch – verbleiben. Dann aber kann es eine alle staatliche Befugnisse zusammenfassende „Allmacht des Staates“ nicht geben in, über einer notwendigen staatsrechtlichen Organ-Mehrheit: Demokratische Gewaltenteilung kann als solche organisationsrechtlich Allmacht nicht abbilden, nicht beinhalten.

3. Grundrechte und Staats-Allmacht? a) Demokratie als rechtliche Staatsform, gleichberechtigt neben, immer mehr und schließlich als Gegensatz zu Aristokratie und Monarchie, ist entstanden „zugleich mit“, ja geradezu „aus“ der politischen Freiheitsrechtsbewegung der neuesten Zeit. Diese wurde normativ gefasst, konstitutionalisiert in den Grundrechten. Eine Verfassung ist seither nicht mehr staatsrechtlich denkbar, wo nicht Gewaltenteilung und Achtung der Freiheitsrechte derart juristisch gesichert sind47. Selbst wenn also die normativ verfasste Staatsmacht unter rechtlich bestimmten Organen aufgeteilt ist, mehr oder weniger gleichgewichtig48 – von einer demokratischen Staatlichkeit darf staatsrechtlich nur gesprochen werden, wenn außerdem auch noch all diese organisatorischen Mächtigkeits-Formen inhaltlich unübersteigbare juristische Schranken finden für jeden Einzelnen, an einer Reihe von näher normativ bestimmbaren Freiheitsräumen. b) Demokratisches Staatsrecht kann also begrifflich nur gedacht werden in dem Rahmen, ja innerhalb der einzelnen normativen Rahmenziehungen der Grundrechte als inhaltlicher Geltungsgrenzen solcher freiheitlicher Verfassungsformen. Aus derartiger Machtpräzisierung in rechtlichnormförmiger Inhaltlichkeit ergibt sich denknotwendig wiederum49: Eine wie immer sich rechtlich darstellende Allmacht kann es in einer grund46

Vgl. vorsteh. II. 2. Die französischen Revolutionäre proklamierten ja zu Beginn ihres Aufstandes: „Ein Staat, wo die Garantie der Grundrechte nicht gesichert ist, hat keine Verfassung“. 48 Vgl. vorsteh. 2. 49 D. h. neben der organisationsrechtlichen Beschränkung der Staatlichkeit, oben III. 2. 47

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C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“

rechtsbestimmten Demokratie ebenfalls nicht geben, schon juristisch-begrifflich nicht: Grundrechte bedeuten eben rechtliche Negation einer Staats-Allmacht, und wäre diese auch gewaltenteilend organisiert. c) Staatlichkeit vorgestellt in Normativität – dass ist zwar rechtlich auch mit Grundrechtlichkeit vereinbar: staatsrechtlich normativierte einzelne Freiheitsrechte können so, juristisch näher fassbar, eingegrenzt werden. Etwas wie eine einheitlich normativ zusammengefasste, zusammenfassende „Allmacht“ aber ist in der grundrechtsgeprägten modernen Demokratie nicht möglich – eine solche Vorstellung scheitert an deren nur normativ fassbarem grundrechtlichen Staatsdenken.

IV. Ergebnis: Keine Allmacht in den Verfassungsrechtsformen der Demokratie 1. Demokratie als rechtliche Staatsform: Nur einzelne Machtformen, nicht „Allmacht“ Demokratie ist organisierte Machtausübung in Formen geltenden Staatsrechts. Außerhalb dieser ihrer Erscheinungen, welche wesentlich die Zulässigkeit von Zwang über Menschen begrenzen, ist eine Ausübung von Gewalt, im Namen von Staatlichkeit, rechtlich nicht darstellbar – nicht vorstellbar. Die Volksherrschaft als Staatsform anerkennt (daher), als (ihre) rechtlichen Machtausübungsformen und -bereiche, nur Befugnisstrukturierungen in Gewaltenteilung einer-, Gewaltenbegrenzung in Grundrechten andererseits. „Recht global als Macht“, „Macht (als solche) als Recht“ – das ist solcher Organisation fremd. In einer Demokratie kann es daher rechtlich immer nur einzelne Machtausübungsformen geben, nicht etwas wie „Allmacht“ in einem juristischen Verständnis.

2. Demokratie: „Ent-Machtung des Staates – in einzelnen Rechtsformen“ – keine Allmacht Demokratie ist, seit ihren historischen Anfängen, politisch immer zuallererst verstanden worden als globaler „Sieg des Rechts über die

IV. Ergebnis

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Macht“ in allen öffentlichen Dingen. Etwas wie „Demokratischer Machtstaat“, mit einem Drohpotential gegenüber Menschen aus zusammengeballter Gewalt – das musste dann als mehr oder weniger abgeschwächte Tyrannei erscheinen, solche Massen-Gewalt sollte, ebenso wie Fürstenhoheit, für immer vergangen sein. Volksherrschaft darf daher, in ihrer Staats-Theorie, nur begriffen, insgesamt und im Einzelnen (aus-)gebaut werden als Rechtsform einer EntMachtung aller historischen, ja aller vorstellbaren Staatlichkeit als solcher50. In dieser „Verfassung als Ende der Macht“ hat sich ja, nach demokratischer Überzeugung, etwas bereits vollzogen wie eine „Verwandlung des Staates in Recht51. Dieses Letztere wird aber eben nicht begriffen als eine globale Rechtsmacht; juristisch fassbar ist Staatsrecht nur mehr in einzelnen Machtformen als unterschiedlichen (Staats-)Rechtsformen. Die Antwort für eine Allmacht liegt nahe: Hier kann es solche Allmacht nicht geben – allenfalls als ein Problem, als etwas in Betrachtung(en) Aufzulösendes.

3. Demokratie als Ent-Persönlichung der Macht a) Volksherrschaft muss also Träger ihrer einzelnen Befugnisse bestimmen, dazu Personen als solche benennen. Solche Machtverteilung darf aber keineswegs führen zu einer Machtaneignung, in welcher Machtausübung typische „unverwechselbare persönliche Züge“ annähme, wo sie gar nicht mehr „getrennt von bestimmten Personen“ in feststellbaren einzelnen Geschehensabläufen vorstellbar wäre, hervortretend nur mehr in/ mit diesen. Es darf nicht die Rede sein von etwas wie einer demokratischen Machtausübung „wie unter Adenauer“. Demokratie kennt eben nur Macht-Verwalter, nie Macht-Inhaber. Staatlichkeit zeigt sich in ihr rechtlich stets in personaler wie inhaltlicher „Einzelstückelung“ von Machtbefugnissen; in einer solchen muss sie sich jederzeit juristisch feststellen lassen.

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Vgl. oben 1. Deutlich im Staatsrechts Kelsens, aber auch in den anderen Staatstheorien seiner Zeit. 51

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C. Verfassungs-Rechtsformen als demokratische „Allmacht-Grenzen“

b) Darin liegt zweifellos eine gewisse Spannung zu einer Demokratie, die sich gerade als eine „typisch menschliche“ Staatsform präsentieren will, ja sich darin anpreist als eine „eminent humane Macht“. Ist solches nicht nur möglich in einer Unauswechselbarkeit von sie tragenden Persönlichkeiten52? Muss aber dann Demokratie nicht darauf verzichten, einen „Schönen Staat“53 all ihren Bürgern als auch noch „liebenswert“ vorzustellen, mit der Konsequenz einer „Entpersönlichung als Gefühlsende im Staatsrecht“? Muss dann vielleicht im Folgenden gar ein Zweifel bleiben: Demokratie – eben: Problem, nicht Lösung? „Allmacht“ – das wäre jedenfalls erst recht in einer solchen Entpersönlichten Demokratie juristisch undenkbar; nur in einer „wesentlich persönlich gedachten Volksherrschaft“ müsste, dürfte über sie nachgedacht werden. Dies aber könnte dann nicht mehr begriffen werden als „EntPersönlichung der Macht“: Wo bliebe das „Recht“? Trotz so mancher Romantisierung bleibt es also verfassungsrechtlich dabei: „Die Persönlichkeit“ – sie kann es in der Demokratie rechtlich als Form einer Allmacht nicht geben.

4. Demokratie: Rechtlich(e) Entpolitisierung der Staatlichkeit – nicht politische Allmacht Mag also die demokratische Staatsform zur Problematik einer „Allmacht in Verfassungsrecht“ nicht allenthalben klare Ergebnisse nahelegen54 – eine Folgerung lässt sich jedenfalls als deutlich negativ herausstellen in dieser Untersuchung von „Allmacht im geltenden Staatsrecht“: Demokratie versteht sich als Staatsform nicht als ein „politisches“, sondern als ein deutlich „rechtlich zu entpolitisierendes Staatsrecht“: In einem solchen kann aber schwerlich in einer „Kategorie Allmacht“ gedacht werden. Demokratisches Staatsrecht will Staatlichkeit gerade entpolitisieren, sie herausführen/helfen aus der für alle Politik wesentlichen Diskussions- und Streitlage, selbst wenn dies einen Verzicht auf staatsrechtliche Dynamik

52 Ein „Volk“ als Persönlichkeit“ – das ist, soweit ersichtlich, jedenfalls staatsrechtlich bisher noch nicht oder gar, aus Persönlichkeiten begrifflich vertieft worden … 53 Leisner, W., Der Schöne Staat. Ästhetik in rechtlicher Ordnung, 2018. 54 Vgl. die Zweifel unter vorsteh. 3.

IV. Ergebnis

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mit sich bringt. Diese Denkform versteht sich als ein rechtlicher Felsen in der politischen Brandung. Allmacht lässt sich aber nicht vorstellen als eine Rechtsform in solcher laufender und dauernder Bewegung. Vielmehr liegt in ihr ein Denken, das einen juristischen Hochbau abschließt, nicht dessen Lücken und Risse verschließt. Deshalb kann jene Demokratie, in ihrem klassischen Verständnis der Gewaltenteilung, die doch wesentlich Entpolitisierung im Staatsrecht erstrebt, nicht als eine Form von Staatlichkeit der Allmacht gedacht werden. Öffnen sich nun aber, gerade in neuester Zeit, nicht doch Tore zu neuen Allmachttendenzen, kehrt vielleicht gar hier etwas von vorverfassungsrechtlichem Staatsdenken in die Volksherrschaft zurück?

D. Neue Allmachttendenzen: Abschwächung der Wirkung verfassungsnormativer Staatsschranken I. „Juristische Technisierung“ der Staatsmacht in neuester Zeit 1. Das „konstitutionelle Staatsrecht“ „Die Neuzeit“ wird, seit der Renaissance, gemeinhin eingeteilt in zwei historische Entwicklungsphasen: bis zur Französischen Revolution – und „seit 1789“, als „neueste Zeit“. Diese letztere Periode begann zwar mit einem großen Verfassungsausbruch einer, der Volksgewalt. Bald aber wurde diese, in politisch restaurativer Machtbändigung und neuem juristischen Ordnungsdenken, wieder zurückgeführt in feste verfassungsrechtliche Formen: Gewaltenteilung und Grundrechte. Beide ließen sich zwar, in ihren rechtlichen Ursprüngen in England, in ihren Ansätzen, ja Anfängen, zurückverfolgen bis ins Hohe Mittelalter. Dieses „Englische Staatsrecht“ wurde jedoch, in epochemachendem Denken,55 zum Ausgangs-Vorbild für Neue Verfassungsrechtliche Staatsvorstellungen, geordnet in grundsätzlichen konstitutionellen Einteilungskategorien. In ihnen konnte sich die neue Volksgewalt mit den alten Feudalkräften, Monarchien und Aristokratien, verbinden zu einer spannungsgeladenen, damit juristischer Ordnung bedürftigen Verfassungslage der „konstitutionellen Monarchie“ – bis hin zum amerikanischen Präsidenten als „demokratischem Monarchen“ jenseits des Atlantik.

55 „Das Englische Staatsrecht“ erreichte bereits im 19. Jahrhundert gleiche verfassungsrechtliche Bedeutung für das Verfassungsrecht insgesamt wie das Römische Recht der Pandekten für das Privatrecht.

I. „Juristische Technisierung“ der Staatsmacht in neuester Zeit

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2. Niedergang des „verfassungsrechtlichen Gleichgewichts in Staatssouveränität“ Diese Erscheinung einer „juristischen Technisierung der Staatsmacht“ zeigte sich in deren „Horizontalisierung in der Gleichgewichtigkeit56 der Staatsgewalten“, die „der Freiheit“ in deren Ausgestaltung in einzelnen Grundrechtsräumen. Auch diese Letzteren sollten sich zwar zusammensehen lassen zu einem einheitlichen Verfassungsbild der „Freiheitsrechte“, geordnet in „einer Grundrechtlichkeit“. Diese gesamte verfassungsrechtliche „Spannungslage in Ruhe“ setzte nun aber, bis zur Weimarer Zeit, eine Souveränitätsvorstellung voraus, in welcher keinem der faktisch-politischen Machtträger etwas zukommen durfte wie ein Übergewicht über die anderen. Erreicht schien dies in der „Staatssouveränität“57. In ihr wurde höchste, und zugleich einheitliche, Macht normativ nicht einem politischen Träger (wahrhaft): „zugeschrieben“, sondern einer rechtlich definierten Normlage – eben in Staatlichkeit: „dem Staat“. Diese Entkoppelung der juristischen Macht von der politischen Realität konnte nicht mehr durch eine geistig-wissenschaftliche Veränderung rechtlicher Vorstellungen geändert, radikal-grundsätzlich beseitigt werden, sondern nur durch die Tatsachengewalt eines politischen Erdbebens: Dies geschah in Deutschland im November 1918 mit dem Zusammenbruch der Aristokratie, vor allem aber der Monarchie(n). In dieser politisch einheitlichen demokratischen „Umwertung aller bisherigen staatsrechtlichen Werte“ lassen sich drei Wirkungsstränge unterscheiden: - Niedergang der normativen Gewaltenteilung im Staat58, - Abschwächung der rechtlichen Schrankenwirkung der Grundrechte im Öffentlichen Recht59, - Neuentwicklung der Macht dieses Volkes als „Demokratie“ außerhalb und jenseits von Formen und Inhalten eines gewaltenbändigenden Rechts. 56 Zu dieser Problematik vgl. neuerdings Leisner, W., Das Gleichgewicht der Staats-Gewalten. Wesen demokratischer Staatsmacht, 2019. 57 Als Begriff nur selten gebraucht, ist solche vertiefend nicht dogmatisiert. 58 I. Folg. II. 59 I. Folg. III.

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D. Neue Allmachttendenzen

In all dem – und dies ist für die vorliegende Betrachtung entscheidend – zeigt sich etwas wie „Neue Allmachttendenzen“.

II. Demokratische Hierarchisierung statt gleichgewichtiger Teilung der Gewalten 1. Ende eines gleichgewichtigen Staatsdenkens im Organisationsrecht der Volkssouveränität a) Die Monarchie hatte mit der Renaissance eine neue Vorstellung von einer Macht-Einheit ins Staatsrecht gebracht und sodann laufend verstärkt. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war dies, in Nachwirkungen des „Sonnenkönigtums“, die geistig beherrschende Denkform im Verfassungsrecht geblieben. Der mächtig sodann sich entfaltende politisch-staatskulturelle Individualismus brach schon kurzzeitig durch in den Anfangsphasen der Revolution von 1789. Er begegnete erneut im Organisationsrecht der Einzelausprägungen des Napoleonismus. Erst recht setzte er sich durch in den Einzelinstitutionen des Konstitutionalismus – und nun auch in einer Gleichgewichtslage von Grundrechten. Diese wurde ebenfalls zu Verfassungsrecht, in ihrer juristischen Ausformung in einzelnen Freiheitsräumen. Erreicht war so eine rechtliche „Fraktionierung der Öffentlichen Gewalt“, wie auch eine solche „der Freiheit“. Die Einzelausprägungen beider konnten nun in neu entwickelter staatsrechtlicher Geschicklichkeit, wie sie eine hochentwickelte privatrechtlich Pandektistik hervorgebracht hatte, in Verfassungsrecht übertragen werden: Der „Staat“ des 19./20. Jahrhunderts war rechtlich geboren, getragen von pandektistischem Gleichgewichtsdenken. b) Doch dieser Staats(rechts)zustand eines Gleichgewichts brach organisationsrechtlich 1918 unwiederbringlich zusammen in der immer mächtiger hervortretenden, letztlich eben doch die verfassungsrechtliche Gleichgewichtigkeit durchbrechenden Volksgewalt, in Formen und Inhalten des Parlamentarismus. Die Dynamik, mit welcher dieser Letztere angetreten war, konnte eine Statik gleichgewichtender Gewaltenteilung nicht mehr als eine letzte normative Weisheit des Staatsrechts anerkennen. Der Parlamentarismus forderte nun gebieterisch eine Hierarchisierung im Ver-

II. Demokratische Hierarchisierung

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fassungsrecht. In ihr sollte Macht nicht mehr in Gewaltenruhe verdämmern, sie war nurmehr rechtlich denkbar in Dynamik.

2. Parlamentarismus: Weg in ein Verfassungsorganisationsrecht der Allmacht a) Damit aber öffneten sich verfassungsrechtliche Tore zu einem Denken auch, ja zuallererst in Allmacht. Nur aus ihr konnte ja ein das Staatsrecht nun beherrschender Parlamentarismus seine neue, normativ souveräne, rechtsgestaltende Kraft gewinnen: In Vorstellungen von einem parlamentarisch letztlich eben doch, jenseits aller verfassungsrechtlichen Brechungen, allmächtigen Volkssouverän. b) Als eine Gewalteneinheit musste ja, muss heute noch immer unverändert, diese Demokratie gedacht werden: Volksherrschaft ist eben, verbal-wesentlich, als solche ein „Einheitswort“, es lässt sich nicht aufspalten: - Es kann darin „Demo-“ nicht in einer Pluralität von „Völkern“ gedacht werden. In der Staatsform Demokratie wird „das Volk“ eingeführt in seiner bereits vollzogenen Vereinheitlichung von Bürgern. Neben sich kann es keine anderen Götter mehr haben, auch nicht den Einzelmenschen, das Individuum, gesehen als etwas wie ein „verfassungsrechtlicher Gott“, als Träger seiner Grundrechte. - Demokratie kann aber auch verfassungsbegrifflich nicht zerlegt werden in mehrere „-kratien“, Volksmacht nicht trägermäßig in organisationsrechtlich unterschiedliche Volksmächte. „Einen Staat“, selbst als solchen vorgestellt als eine Organisation, mochte man in der Mehroder gar Vielzahl seiner rechtlichen Erscheinungen einzeln betrachten, nach Rechtskategorien. „Das Volk als Souveränitätsträger“ war bereits als solches organisationsrechtlich vereinheitlicht, es muss nun in dieser seiner politischen Einheitlichkeit „stets rechtlich gehalten bleiben“, gesehen werden. c) So zeigt sich also die neuere parlamentarische Demokratie, aus verschiedenen Blickwinkeln des verfassungsrechtlichen Organisationsrechts betrachtet, doch immer wieder als „allmachtsfähig“, wenn nicht gar als allmachtsbedürftig. Damit aber gerät sie endgültig in einen grund-

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D. Neue Allmachttendenzen

sätzlichen Gegensatz zu einer verfassungsrechtlichen Gewaltenteilung60. Diese kann in der Demokratie nur mehr gedacht werden als eine vertikale; und selbst als einer solchen kommt ihr nicht mehr jene teilungsmäßige Notwendigkeit zu, in welcher sie in der Staatssouveränität der Normen aufgetreten war, sie diese geradezu begrifflich konstituiert hatte. In einem, dem „wahrhaft neuen demokratischen Allmachtdenken“ hat sich also, in normativem Gewand, besser: in normativer Verkleidung, Allmacht erneut eingeschlichen in das Verfassungs-Recht. Ist dieses damit nicht doch entnormativiert, entrechtlicht worden, befindet es sich nicht auf einem Weg dorthin? Dies soll im Folgenden noch weiter-gedacht werden61, nachdem aber die „demokratisch-verfassungsnormative Abschwächung der Staatsschranken“, der Betrachtungsgegenstand dieses Hauptteils D., auch noch für den Grundrechtsbereich62 demokratierechtlich zu Ende gedacht worden ist63.

III. Abschwächung der Schrankenwirkung der Grundrechte 1. Die Grundrechte: Von einer Staats-Proklamation zu normativer Ausgestaltung der Staatsmacht a) Grundrechte waren im 18. Jahrhundert heraufgekommen in die Staatspolitik aus Denkerstuben und auf revolutionären Barrikaden, als Mächtigkeiten des Einzelnen, „des Bürgers“. Dieser hatte gedacht werden können als „frei“, nicht aber als „allmächtig“, als Gegenpol, ja als ein Ende der Allmacht, nicht aber als deren neuer Träger. Die Napoleonische Staatsgewalt wollte ihn zwar als einen solchen zeigen in ihren Bauten, auf den Bajonettspitzen ihrer Grenadiere – und vor allem in ihrem kodifizierten Recht, in dessen universaljuristischem Geltungsanspruch. All dies musste sich aber nun verbinden, unter dem Druck der Siegermächte von 1815, formal zu einer neuen Staatssouveränität, inhaltlich in einer ein60 61 62 63

Vgl. vorsteh. 1. Vgl. unten E. I. Folg. III. I. Folg. IV.

III. Abschwächung der Schrankenwirkung der Grundrechte

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grenzenden konstitutionellen Verrechtlichung von einzelnen Freiheitsräumen in Grundrechten. Pate stand dieser Entwicklung, wie schon für das organisatorische Staatsrecht64, die geistig beherrschende Entfaltung des pandektistischen Privatrechts; und wie im Organisationsrecht der Staatsgewalt kam es auch mit Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Inhaltlichkeit der Grundrechte alsbald zu einer Einzel-Jurifizierung derselben, in einer normativen Ausgestaltung der Staatsmacht. Darin sollte diese nun ebenfalls verrechlicht, über alle politischen Regimeformen hinweg bleibend juristisch verfestigt werden. b) In einer solchen juristisch „einzelbeschränkenden“ Staatskonzeption war rechtlich nun aber kein Platz mehr für ein „Denken in Allmacht“. Die Staatlichkeit ruhte ja auf einem komplexen, aber eben, wie es dieses Wort ausdrücken wollte, auf einem „umfassenden Normengerüst“. Dieser Bau ließ sich in seinen Einzelheiten rechtlich bestimmen, in seinen Ordnungsgehalten der Staatssouveränität auch insgesamt darstellen, wirkungsmäßig juristisch beschreiben. Dabei war jedoch kein „wesentlich einheitlicher Gesamtzug“ auffindbar, der, für eine staatsrechtliche Ordnung charakteristisch, rechtswesentlich hätte in Erscheinung treten können: eben in einer Verfassungsrechtskategorie Allmacht. So war das Verfassungsrecht zugleich „neu zu denken“, sobald sich in dieser Ordnung nicht nur etwas wie „Allmacht in Demokratie“ zeigen, sondern diese Staatsform geradezu wesentlich staatsrechtlich konstituieren sollte. Damit stellte sich unausweichlich solcher Volksherrschaft auch das Problem: Grundrechte als normative Ausgestaltung der Staatsmacht als einer Allmacht (?)

2. Grundrechte: Rechtliche Verengung der Freiheit zu Einzelräumen – und doch Allmacht? a) Diese Entwicklung der Grundrechte, von ihrem ursprünglichen Durchbruch 1789 zu ihrer normativen Ausgestaltung in Katalogen von Einzelfreiheiten, konnte, gerade in Letzterem, viele Wege zu unterschiedlichen Verengungen ihrer jeweiligen rechtlichen Inhalte eröffnen. So mochte etwa ein Grundrecht der Wohnungsfreiheit als solches (nur mehr) in diesem seinen spezifischen Inhalt juristisch zu bestimmen sein, sich daher unter ganz andere und weiterreichende rechtliche Vorbehalte stellen lassen, 64

Vgl. oben II. 1.

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D. Neue Allmachttendenzen

als wenn man es im Kontext einer globalen Gesamt-Freiheit zu betrachten und zu bewerten hätte. Eine prinzipielle „Verfassungswesentlichkeit der Freiheit als solcher“ leuchtete nicht mehr auf in jedem Einzelgrundrecht, in dessen Verletzung oder auch nur Gefährdung. Immer sollte nun nur mehr dessen jeweiliger Einzel-Garantie-Raum in den Blick genommen, dessen Beschränkungen mussten nicht darauf kritisch geprüft werden, ob sich in ihrer Verengung nicht bereits eine solche „der grundrechtlichen Freiheit als solcher, als ganzer“ ankündigte oder gar vollzog. b) Ein wesentlich rechtstypisierendes Beispiel für eine solche grundrechtliche Betrachtungsweise von Einzelfreiheiten ist deren immer stärker hervortretende Untersuchung letztlich, wenigstens tendenziell, ihre Beschränkung auf einen „Wesensgehalt des jeweiligen Grundrechts“. Ein solcher war dann notwendig ganz spezifisch eben nurmehr für „jeweils dieses Freiheitsrecht“ aufzusuchen, normativ aufrecht zu erhalten. Eine „Systematik von Gesamtgrundsätzlichkeit“ verlor sich in Garantien von deren Einzel(bruch)stücken. Einzelne Staatsgewalten65 wurden untersucht auf ihre Einschränkungswirkungen nicht nur gegenüber Einzelfreiheiten, sondern nurmehr auf deren jeweiligen Wesensgehalt, ihren „normativen Kernbereich“. Verfassungssystematik wandelte sich, im Grunde erschöpfte sie sich in Kernbereichdenken. c) Grundgesetzliche Normen verloren damit die Kraft ihrer verfassungsrechtlichen Gesamtwirksamkeit gegenüber einer Globalmächtigkeit der Demokratie als Staatsform. „Die Grundrechte“, zusammengefasst in „einer Grundrechtlichkeit“, stellten nun nurmehr, und immer seltener, etwas wie „letzte Schranken“ einer Demokratie als Staatsgewalt entgegen. Diese sollte, jenen gegenüber, wirken mit Kräften einer Allmacht der bereits politisch immer lauter gepriesenen Volksgewalt, als der einzig legitimen Äußerung der Staatlichkeit. Demokratie nahm so laufend ab an Gewicht in ihrer Grundrechtlichkeit als einer prinzipiellen, allseitigen, verfassungsgrundsätzlichen Schrankenwirksamkeit, gegenüber einer, andererseits, laufend sich verstärkenden, globalen „Macht des Volkes“: Ihm konnte nun das wuchtige Charakteristikum der Allmacht nur mehr selten, letztlich kaum noch streitig gemacht werden. Demokratie hatte damit „die Grundrechtlichkeit in Einzelgrundrechten“ sozusagen hinter sich, normativ geltungsmäßig unter sich gelassen … 65

Vorsteh. 1.

IV. Demokratie: Auslaufen einer „Machtbändigung in Normbegriffen“

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IV. Demokratie: Auslaufen einer „Machtbändigung in Normbegriffen“ 1. Demokratie – rechtlich nur Allmacht Die normative Wirksamkeit einer demokratischen Machtordnung in einzelnen verfassungsrechtlichen Ausgestaltungen der Organisation ihrer Gewaltträger sowie der Gewaltinhalte (Grundrechte) wird schwächer: Allenthalben in den Rechtsgestaltungen der herkömmlichen grundgesetzlich geordneten Staatlichkeit ist dies festzustellen: eine Abschwächung rechtstechnischer Normativität gegenüber wahrhaft „machtvoll“ verfassungspolitisch ins Recht eindringender Allmacht des Staates. Diese „Omnipotenzialisierung“ bedeutet eine grundsätzliche Gefahr für die Möglichkeiten einer verfassungsrechtlichen „Standortbestimmung für den Einzelmenschen“. Kann dieser Allmacht juristisch wirksam ein Einzel-Humanum entgegengestellt werden, rechtlich geordnet in den Normschranken einer Demokratie? Können sie gegen eine Volksallmacht schützen, welche diese Staatsform aber begeisternd prägt, hinweg über so manche Grundsatzzweifel, sie geradezu legitimiert?

2. Rück/Auslauf der Demokratie in frühere – oder neue – Allmacht Hier steht nun eine wahrhaft prinzipielle Grundsatzfrage verfassungsrechtlicher Rechtsentwicklung im Raum: Ist Allmacht zu sehen, wissenschaftlich zu begleiten und zu vertiefen, als ein wesentlicher, ja als ein ewig fortlaufender Fortschritt? Überkommt darin nicht den doch so nüchternen Juristen, in einer Rechts-Gipfel-Schau, etwas wie Begeisterung für eine All-Macht? Kann aber „etwas von ihr“ einem „in Recht Denkenden“ überhaupt begegnen? Der Jurist sieht sich, durch eine so lang seine Vorstellungen beherrschende staatsnormative Denkweise des Verfassungsrechts in dieser, eben doch „macht-vollen“ Versuchung: dass er, in solchem wiederkehrenden Allmacht-Denken, alle „einzelnormativen Denk-Errungenschaften seiner Vorstellungswelt eines demokratisch-staatsgeprägten Überlegens“ über Bord werfen könnte – möchte, um sich wiederzufinden im rauschenden Meer einer vermenschlichten Allmacht. Hatten eine solche nicht bereits

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D. Neue Allmachttendenzen

Aristokratien und Monarchien gekannt, normativ geordnet praktiziert? Warum sollte nicht Gleiches auch dem neuen Souverän gelingen, „dem Volk“? Und wenn nicht ihm, so „dem Menschen“, in dieser Gemeinschaft der wahrhaft menschlichen, gerade darin „humanen Volksherrschaft“, jenseits von allen demokratie-technischen Norm-Mechanismen? Läge darin nicht etwas wie ein „staatsrechtliches Wagnis“, kein „Zurück“, sondern ein „Ewiges Weiter“? Würde darin das Staatsrecht ein Tor zu Ewigkeits-Denken – oder verlöre es sich dann in Rechtsphantasie(n)?

E. Demokratie als „Wiederkehr der Allmacht in Gleichheit“ – Staatlichkeit in Zählbarkeit – und doch in Normen I. Die allgemeine Entwicklungstendenz zur Quantifizierung 1. Ent-Qualifizierung: Quantifizierung in Zahlen Rechtliches Denken ist eingebunden in eine Gesamtentwicklung der Ordnung menschlicher Vorstellungswelten in der neuesten Zeit: Sie verläuft, in weitestem Umfang, von Beurteilungen in Qualifizierung ihrer Gegenstände zu einer Quantifizierung derselben, in Rahmenbildungen für einzelne Unterteilungen von solchen. Eindeutig begegnet dies in den alles wissenschaftliche Denken prägenden Naturwissenschaften, etwa in einer Quantenphysik, welche messbaren Ausschlägen nachgeht in Erscheinungen von Energie(n). Solche Erkenntnis-Operationen müssen sich zurückführen lassen auf die Annahme gleichartiger Rechnungseinheiten, welche erst in ihren (Ver-) Bindungsmodalitäten qualitativ Unterschiedliches generieren: Konstellationen von Kräften, die dann ihrerseits Bewegungen erzeugen, Bilder von/ in Verschiedenartigkeit(en). Solche begegnen als/in Machtkonstellationen, bilden sich in solchen laufend ab in Quantifizierung, fassbar am deutlichsten in Zahlen(werken). Eine Quantifizierung auch, ja gerade des Rechts, liegt also grundsätzlich durchaus auf dieser Linie.

2. Wirken der Quantifizierung: in Allmacht „Quantifizierung“ kann ihre Unbestreitbarkeit, vor allem eine geistig machtvolle, letzt-mächtige Indiskutabilität, stützen auf das Wesen einer

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E. Demokratie als „Wiederkehr der Allmacht in Gleichheit“

Gleichartigkeit, wie sie sich gerade in Zahlenwerken zeigt. Hier werden Qualifizierungen zurückgeführt auf, im Grunde verwandelt in Quantifizierungen; ja es lässt sich dies verallgemeinern: Qualifizierung wird indiskutabel überall dort, insoweit, als sie zur Quantifizierung führt, vollständig, wo sie sich in einer solchen erschöpft. Macht strebt stets zunächst, sodann, am Ende immer, nur eines an: Vormacht, Übermächtigkeit, Alleinbestimmungskraft – in all dem letztlich Allmacht. Ein solches End-Stadium der Macht strahlt dann eine Anziehungskraft aus, welche ihrerseits Dynamisierung erzeugt – Bewegung. Quantifizierung in Zahlen öffnet sich also, ist ein Weg der Umwandlung von allen Qualifizierungen in Quanten. Dies lässt sich nun nachweisen für das Recht, vor allem das Staatsrecht der Demokratie, als einer Entwicklung der Ordnung von Qualität zu Quantität.

3. Demokratie: Zwar (All-)Macht qualifizierbar als „liebenswerte Staatlichkeit“ a) Die vorstehend allgemein beschriebene Entwicklung einer grundsätzlich-generellen Verschiebung von einer qualifizierenden zu einer diese ablösenden quantifizierenden Beurteilung lässt sich insbesondere im Recht feststellen, dort wieder vor allem auf der Ebene des Verfassungsrechts66. Da auf dieser wesentlich übergreifende Ordnungserscheinungen begegnen, ist hier ein solcher Kategorienwandel von besonderem Wirkungsgewicht67. b) Es fehlt aber auch (noch immer) nicht an gegenläufigen Versuchen, einer rechtlich entqualifizierenden Quantifizierung Grenzen zu ziehen: Das unauswechselbare „Humanum“, das einmalig „Menschliche“ wird betont als Wesensmerkmal gerade einer Demokratischen Staatlichkeit68. Diese soll sich nicht in Zählbarkeit erschöpfen, sondern „ihren Bürgern nahe“ erscheinen bis ins Gefühlsmäßige hinein: Volksherrschaft als eine liebenswerte Staatsform. Darin gerade soll etwas Übergreifendes wirken wie eine

66 Dies ist für das Verfassungsrecht besonders hervorzuheben: Denn gerade auf dieser Normebene liegt die Versuchung nahe, dessen Einmaligkeit qualitativ bestimmen zu wollen. 67 Vgl. dazu i. Folg. II. 1. 68 Vgl. i. Folg. II. 2.

I. Die allgemeine Entwicklungstendenz zur Quantifizierung

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All-(gemeine)Macht: eigenartige, aber eben typisch demokratische Omnipotenz. c) Zugunsten einer solchen Verbindung des Staates zur „Allmacht“, in seiner Humanität, kann immerhin hingewiesen werden auf die wesentliche Brückenfunktion, in welcher der Einzelmensch erkennbar wird in der Volksherrschaft: in seiner Potenzialität in Staat und Gesellschaft, in rechtlichen und außernormativen Bereichen, kurz in allem, was es überhaupt zu ordnen gibt/gilt, was damit eben „staatsfähig“ ist – einer Allmacht zugänglich.

4. Gerade quantifizierende Demokratie aber als Neue Allmacht: in Gleichheit Die Volksherrschaft will eine liebenswerte sein69; ein Wagnerianisches „Du musst mich lieben …“ ruft sie jedem ihrer Bürger ständig zu. Darf sie solche „Zu-Neigung“, eine rechtliche Hin-Neigung zu ihrer Macht, auch, vielleicht gerade dort erwarten, wo sie zwingt und beugt – gegenüber, ja mit ihrer Gleichheits-Gewalt? In dieser Rechtlichen Gleichheit, der Egalität als „dem“ juristischen Ordnungsinstrument, welches sie einsetzt, sehen Demokraten etwas wie eine höchste, eine faszinierende „Werthaftigkeit“ ihrer Staatsform. Ob dieser Gleichheitszustand wirklich als hinreichend wertvoll den Bürgern erscheint, so dass sie ihn auch als Ausprägung einer neuen Allmacht (an-) erkennen, diese Macht ohne Menschen als Macht über Menschen – das wird im weiteren Verlauf dieser Untersuchung70 als Problem sich noch stellen, vielleicht ein solches bleiben. Ein zweites, historisch feststehendes Wesensmerkmal der Demokratie muss in dieser Staatsordnung ebenso unverbrüchlich gewahrt bleiben: die Freiheit. Kann sie sich mit solcher Gleichheit, mit deren „kalter Allmacht“ verbinden – in Brüderlichkeit? Kehrt in Fraternité die Liberté zurück in die, in ihre Egalité, in diese Erste Kraft der Volksherrschaft71?

69 70 71

Vorsteh. 3. Unten IV. Dazu dann i. Folg. und Ende F.

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E. Demokratie als „Wiederkehr der Allmacht in Gleichheit“

II. „Mehrheit“: Der in Gleichheit quantifizierte Mensch – Voraussetzung für Staatsentscheidungen 1. Mehrheit: Normative Selbstverständlichkeit in der Demokratie Dass „der Mensch als Einzelindividuum“ ein Quantum sei, als solches nur eine Rechengröße – das ist nicht nur eine mögliche, häufig praktizierte Betrachtungsweise im Staatsrecht; es erscheint dies geradezu als eine methodische Selbstverständlichkeit der Entscheidungsfindung in ihm. Sie wird dort überall, ohne nähere, ja ohne irgendeine Begründung, zugrunde gelegt, wo ein anderes Vorgehen nicht näher zu liegen scheint; dies Letztere würde eben Beurteilungen nach Qualitätskriterien erfordern. Dafür ist aber ein Rückgriff auf die Menschen-Qualität der zugrunde zu legenden Einheiten schon deshalb kaum geeignet, weil ein solcher sogleich auf eine unendliche Wertigkeit hinauslaufen, sich damit in einer „Un-Rechenbarkeit“ solcher Größen zu verlieren scheint. Versperrt eine Beurteilung nach Qualität nicht vorne herein jeden Rückgriff auf Majorität? Es ist also weder rechtsgrundsätzlicher Zufall noch staatsrechtliche Gedankenlosigkeit, welches demokratisches Staatsdenken, nun wirklich unausweichlich, verweist auf die Regel der Mehrheit – es ist ein einfaches juristisch-technisches „faute de mieux“, das keiner Begründung bedarf 72.

2. Grundlage, Begründung der Mehrheit: Allein aus Gleichheit der Menschen a) Einfach nur der Hinweis auf Unmöglichkeit näherer Begründung könnte aber nicht genügen in einem, trotz all seiner „Politisierung“, bereits seit langem, ja gewissermaßen schon traditionell „voll durchrationalisierten Verfassungsrecht“. Dieses gewinnt ja seinerseits, „als solches“, seine juristische Qualität nicht aus irgendwelchen außer- oder überrechtlichen Denkprozessen. Bis in seine Entwicklungsgrundlagen hinein, historisch 72 So wird denn auch, soweit ersichtlich, Majorität als Entscheidungskriterium, oder gar als Entscheidungsgrundlage, weder im wissenschaftlichen Kommentar-, noch im Monografieschrifttum vertiefend problematisiert.

II. „Mehrheit“: Der in Gleichheit quantifizierte Mensch

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hinauf sieht es sich, und dies seit langem, als einen „Vorgang von/in Verwissenschaftlichung“ – also als eine einzige große Rationalisierung. Nur in ihren eigenen, folglich wiederum in rechtssystematischen Prämissen, kann Majorität daher eine tragfähige Begründung finden. b) Und dies geschieht denn nun auch, seit Beginn der Neuzeit, mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie nur ein wahres juristisches System bieten und fordern kann: mit dem Gleichheitsdenken im Recht, aus einer grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen. Diese scheint ja „in die Augen zu fallen“, schon bei einem „ersten Blick“ auf diese Rechtssubjekte als solche, wie er systematisch-„denktechnisch“ sich aufdrängt, noch vor einem weiteren auf ihre, auf die menschlichen Zusammenschlüsse in staatlichen Verbindungen. Menschen sind zunächst einmal „als gleich sichtbar“, in ihrer rein physischen Körperlichkeit. Aus dieser äußerlichen Erscheinung führt dann ein vertiefender Betrachtungsweg zu ihren fundamentalen geistigen Qualitäten. Auch diese sind aber, gesehen als Äußerungspotenzen in der „Äußeren Welt“, prinzipiell stets „die gleichen“, bei allen Menschen: Intellektuelle Ebenen, als Grundlage voluntativen Strebens, gefühlsmäßiges Wünschen bis in begeisterndes Lieben. All dies zeigt sich stets in Einem, welches juristisch die Bezeichnung einer Kraft verdient: in Gleichheit. c) Sie führt sodann „die Menschen“, führt jeden Einzelnen hin zum anderen, bringt und fügt zusammen in einer (Ver-)Bindung, wie sie allein solche Gleichheit hält: systematisch und auf Dauer eben „in Recht“, im Staat, im „Gleichheitsstaat“73. Mit diesem Wirken in, aus Egalität beginnt alles Recht in Staatlichkeit – heute und seit langem, eben demokratischtraditionell: in Mehrheit.

73 Grundsätzlich bereits betrachtet in Leisner, W., Der Gleichheitsstaat – Macht durch Nivellierung, 1980.

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E. Demokratie als „Wiederkehr der Allmacht in Gleichheit“

III. Menschen: qualitäts- und wertfrei zählbare Wesen in Egalitärer Demokratie – in Normen 1. Quantifizierung: Grundlage der „Staatsform Demokratie“ a) Der Höchst-Wert des Menschen wird seit der Französischen Revolution proklamiert, gepriesen, geliebt als Grundlage des demokratischen Staates, damit als die rechtliche Basis einer Volksherrschaft in Werten. „Demokratie“ soll so rechtlich qualifiziert, grade darin ihr Wesen erkannt werden. Allmacht, Gegenstand der vorliegenden Betrachtung, soll so dann gerade auf solchen juristischen Grundsatz-Wegen einen, ja ihren wesensgemäßen Platz finden und behalten, in einer „neuen Demokratie“, welche das Omnipotenz-Denken von Aristokratien und Monarchien ablöst – und es doch zugleich fortsetzt, in „anderen verfassungsrechtlichen Kategorien“. b) Doch gescheitert ist dieser Versuch einer „Qualifizierung der Demokratie als einer Staatsform wesentlich in/aus Gleichheit“ für die Volksherrschaft74: an/in dem für diese Staatsform wesentlichen Mehrheitsdenken. Quantifizierung hat sich vielmehr als „Grundlage der Staatsform Demokratie“ gezeigt; sie verdrängt die früher so weit verbreiteten, mehr beliebten als begründeten Wertvorstellungen der Demokratizität. Damit muss eine lange Zeit geradezu selbstverständliches Denken in Frage gestellt werden. Ist es, in dieser Lage des Verfassungsrechts, möglich, etwas zu wagen wie einen Ausblick auf/in mögliche staatsrechtliche Zukünfte? Bleibt nicht nur Resignation – einmal mehr – an den „Grenzen des Staates“? Diese Frage stellt sich gerade einer Untersuchung, die sich „Allmacht im Staatsrecht“ als Problem gewählt hat(te). Immer wieder musste ihr eigentlicher Gegenstand „vorläufig ausgeblendet“ – stets musste, muss nun doch an ihrem Ende zu ihm zurückgekehrt werden: zu einer Quantifizierung – doch Grundlage der Staatsform? Gilt das nicht auch, ja gerade in Demokratie, welche Allmacht nicht ausblendet, sondern versucht, diese Denkkategorie hineinzunehmen, sie „eben doch zu finden in ihrer Volksherrschaft“? 74

Vgl. dazu vorsteh. II.

III. Menschen

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2. „Neue Allmacht“: in einer neuen demokratischen Gleichheit der Menschen – also doch wieder in Normen a) Die „neue Staatlichkeit der Demokratie“ will „Machtdenken aufheben in Gleichheitsdenken“. Damit aber erstrebt sie nicht mehr und nicht weniger, ja sogar schlechthin grundsätzlich, als „ein Ende aller Macht“. Diese wird für das Volk zu einem „odiosen Wort“, zu einem „Ablehnungs-Begriff“. Was diese Staatsform allein (aner)kennen will, kann, rechtlich darf, ist „Staat als ein Inbegriff von (höchster) RechtsTechnik“, in Zusammenfassung, Integrierung von rechtlichen Merkmalen auf einer technisierten, technisierenden Begriffsebene. Dort begnügt sich der Demokrat als der „Politische Mensch“ damit, etwas „in sich Schlüssiges“ gefunden zu haben. Er will dies ausbauen, weiterbauen, hinaufkonstruieren in eine immer höhere Widerspruchslosigkeit, in welcher er es dann „vorstellen und lieben darf“. Ob die Gegenstände dieses seines Bemühens „wahr sind oder nicht“, erfassbar oder nicht (auch) für ein intellektuelles Denken – dies ist keine Sperr-Problematik für das Staatsrecht. Es darf sich dieses eben offen sehen zu seinem „immer weiteren Schauen“, in immer neue Weiten hinein, und sei es in verdämmernde – immer aber „in Recht“, im Recht der Egalität. b) Und dorthin, in ein solch juristisches Denken, Wollen, Fühlen in Egalität – lässt sich dahin nicht auch einfügen, ja einpassen (selbst ein Recht in) Allmacht – Allmacht im Recht? Ist nicht gerade solche Omnipotenz, sie allein vielleicht, vorzustellen als eine Gleichheit, weil eben nur sie sich verlieren kann, ohne jede Begrenzung, in einer Unendlichkeit, wie sie „Allmacht“ wenn nicht eröffnet, so doch verheißt? Weist nicht gerade in solchem Denken das Recht Horizonte einem Staat, der sich in seinem Wesen der Gleichheit öffnet, der Unendlichkeit – also gerade doch einer „Allmacht“?

F. Staat – auch geöffnet in „Freiheit zu Unendlichkeit“? Allmacht im Staatsrecht: Kann, darf, muss nicht eine solche Betrachtung gerade an dieser Stelle enden, wo sich ihr die Erkenntnis (fast schon) aufdrängt, anders als in „Gleichheit“ lasse sich eben in diesem wahren Groß-Raum gar nicht denken, nichts sich vorstellen in juristischen Kategorien? Muss dann die Demokratie, als Form einer solchen Verbindung von Menschen, nicht Abschied nehmen von dem Gold der Lettern, mit denen sie ihre Devise geschrieben hat auf ihren Tempel Macht: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Das erste dieser ihrer Staatsworte – darf sie es dann nicht mehr kennen, es nicht mehr aussprechen (lassen) von ihren Bürgern, von ihren Mächtigen, von ihren Richtern, als deren letztes Wort75. Freiheit: Demokraten scheinen sich bereits daran gewöhnt zu haben, an dieses Wort zuallererst zu denken, wann immer sie sich anschicken von ihrem Staat zu sprechen, ihren Menschen in ihm. Es geht ihnen in wahrhaft erstaunlicher Leichtigkeit von den Lippen, wenn sie mit ihm ganz offen das für sie Wichtigste ansprechen, mit dem sie am allerstrengsten umgehen in ihrem Recht. Ein wahres Majestätsverbrechen begeht doch, wer an dieser Freiheit auch nur einen Funken staatsrechtlichen Zweifels wahrnehmen oder gar einen solchen dorthin bringen wollte. Muss dann aber nicht die wahrhaft ketzerische Frage folgen, ja einen demokratischen Scheiterhaufen entzünden: „Einer solche Freiheit bedarf es gar nicht (mehr); wenn Gleichheit angesprochen, dieses Wort auch nur ausgesprochen wird, dann ist „für den wahren Demokraten“ eben schon alles gesagt“ über seine Staatsform. In Egalité bleibt er beziehungslos stehen neben seinem „Mitmenschen“, mit dem er sich eben „alles teilt“ – um sich

75 Vertieft behandelt bereits bei Leisner, W., Das letzte Wort. Der Richter späte Gewalt, 2003.

F. Staat – auch geöffnet in „Freiheit zu Unendlichkeit“?

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dann – und warum nicht sogleich? – von ihm zu verabschieden, von seinem „Bruder in Demokratie“. Die – nun wirklich! – Schlussfrage dieser Betrachtung – drängt sie sich nicht unwiderruflich auf, unwidersprechlich: Warum überhaupt noch demokratische Freiheit – genügt nicht „die Gleichheit der Menschen“, vielleicht gar „Die Gleichheit eines Christenmenschen“? Ist dann noch etwas Begeisterndes in solchem demokratischen Staatsrecht? Gibt es ein Verfassungsrecht in den „Altae Moenia Romae“ ohne (etwas) Liebe(nswertes)? Und bleibt nicht doch eine Frage: War nicht stets zuerst Freiheit, vor aller Gleichheit?

G. Schlussbemerkung: Staat – Recht: Glauben nicht wissen! Abgebrochen, nicht beendet wurde diese Suche – nicht „zu Ende gedacht“. Etwas wahrhaft Furchterregendes erscheint am Horizont des Verfassungsrechts, an dieser geistigen Spitze des Rechts: „Nur Wissen“ soll es mehr geben, „Nichts mehr in Glauben – zu glauben“, keine „Schönheit des Staates“ mehr76? Keine Begeisterung aus Ungewissem noch nicht Gewusstem, aus Geglaubtem? So kann sich der Verfasser seinen „Staat in Verfassungsrecht“ nicht denken; im Letzten mag er sich ihn nur „vorstellen zum Glauben“. Nur so wird er ihn immer sehen, wollen, fühlen. Sit venia verbo – Autori! Staatsrecht ist nicht aufgeschrieben (nur) für Kirchgänger – wohl aber für den Religiösen Menschen. Er mag einen Persönlichen Gott nicht mehr sehen (können) – dennoch nimmt er (für) wahr seinen Staat in all dem, was in diesem sich ihm zeigt, was diesen trägt: und deshalb eben auch in einer „Allmacht des Rechts“. So blickte hinauf zum Staat der Untertan zum Fürsten: Er wollte, er wusste ihn „gnädig am Ende“. So untersuchte ihn, seine geistigen Grundlagen, der Staatsrechts-Professor des 19., des beginnenden 20. Jahrhunderts in seinen Systemen des Denkens; denn in ihnen allein war er Mensch, durfte auch er es sein – und wenn auch, in solcher letzten Anstrengung, „letztlich allein“ an seinem Denk- und Schreib-Tisch. In all diesen Anstrengungen war die Strenge des Geistes, aber auch die Liebe in einer Dankbarkeit des Glauben-Dürfens. In all dem war denn auch stets, ist noch immer ein letztes geistiges Ziel wahrhaft vorgegeben dem Staatsrecht, als ein Geschenk an den Höheren Menschen in diesem seinem Hohen Rom: „Etwas von Allmacht“ darf er nicht sehen in seinem Staat – doch er darf an ihn, darin, glauben, als Bürger 76 Wie sie doch noch gesucht wurde in Leisner, W., Der Schöne Staat. Ästhetik in rechtlicher Ordnung, 2018

G. Schlussbemerkung: Staat – Recht: Glauben nicht wissen!

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ihn lieben. Und mehr kann auch eine Staatsrechts-Zukunft nicht wollen, sich nicht wünschen. „Allmacht“ das war so lange Zeit, und es wird wohl wieder in neuer Form: Ein Begriff des Staatsrechts. (Nur) Wegweisungen dahin sollten hier aufgestellt werden. Im Staatsrecht, an ihm, da ist nichts zu fürchten, keine Erstickung in Macht – in Staatszwang. Allmacht hebt den Menschen, den Bürger geistig „hinauf ins Recht“, in höhere Sphären seines Denkens in Staatlichkeit. Er mag in ihm (s)einen Gott (noch) nicht finden, mit dem diese UnterSuchung begann77. Vielleicht war dies aber ein erster Schritt auf einem Weg, sich Ihn zu erschaffen im Menschen, in dessen Humanum. Und damit fängt doch alles Denken an, selbst ein solches in Höhen – und Tiefen – des Staatsrechts.

77

Vgl. am Anfang dieser Untersuchung.