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German Pages 216 Year 2015
Miriam Mesquita Sampaio de Madureira Kommunikative Gleichheit
Edition Moderne Postmoderne
Miriam Mesquita Sampaio de Madureira (Dr. phil.) lehrt Philosophie an der UAM-C in Mexiko-Stadt. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kritische Theorie, die praktische Philosophie des deutschen Idealismus und zeitgenössische politische sowie Sozialphilosophie.
Miriam Mesquita Sampaio de Madureira
Kommunikative Gleichheit Gleichheit und Intersubjektivität im Anschluss an Hegel
Diese Veröffentlichung wurde durch die Heinrich-Böll Stiftung gefördert.
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Inhalt
Vorwort
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Einleitung
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I. Hegels Modernitätsdiagnose, Freiheit und Gleichheit 1. Hegels Modernitätsdiagnose: Entzweiung, Gleichgültigkeit und Herrschaft a) Hegels frühe Kritik an Abstraktion b) Von der Abstraktion zur Entzweiung c) Entzweiung, Gleichgültigkeit und Herrschaft d) Zu Gleichgültigkeit und Herrschaft 2. Entzweiung, Freiheits- und Gleichheitskritik a) Das atomisierte Individuum und die Herrschaft des Subjekts: Hegels Kritik an abstrakter Freiheit b) Das schwebende Allgemeine und der Zwang des Rechts: Hegels Kritik an abstrakter Gleichheit 3. Entzweiung, Unfreiheit und Ungleichheit a) Gleichgültigkeitskritik als Kritik an Unfreiheit b) Herrschaftskritik als Kritik an Ungleichheit
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II. Hegels Versöhnungsansätze, Freiheit und Gleichheit 1. Modernitätsversöhnung und Auffassungen des Sittlichen a) Von der Polis zum Leben b) Die Tragödie im Sittlichen: die doppelte Natur des Absoluten c) Doppelte Sittlichkeit, Freiheit und Gleichheit i) Leben »frei vom Vergehenden« oder »göttliche« Natur, Freiheit und Gleichheit ii) Leben als Verbindung, »andere« Natur des Absoluten, Freiheit und Gleichheit d) Zu Freiheit und Gleichheit in Hegels Jenaer Versöhnungsversuchen 2. Von der Indifferenz zur Gleichheit mit sich selbst: drei Jenaer Versöhnungsansätze a) Das Schicksal und das gleiche Leben: vertikale Relationalität in Frankfurt
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b) Erster Jenaer Versöhnungsansatz: absolute Sittlichkeit und Indifferenz i) Die Differenzschrift ii) Der Naturrechtsaufsatz iii) Das System der Sittlichkeit iv) Gleichheit als absolute Indifferenz c) Zweiter Jenaer Versöhnungsansatz: Absolute Sichselbstgleichheit und Geist eines Volkes als Organisation von Mitten d) Dritter Jenaer Versöhnungsansatz: Gleichheit mit sich selbst als wiederhergestelle Unmittelbarkeit
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III. Intersubjektivität und kommunikative Gleichheit 1. Intersubjektivität, Freiheit und Gleichheit a) Modernität und Intersubjektivität b) Intersubjektivität, Sittlichkeit und Anerkennung c) Intersubjektivität, kommunikative Freiheit und kommunikative Gleichheit d) Kommunikative Freiheit, kommunikative Gleichheit und Anerkennung 2. Kommunikative Gleichheit. Ein Aktualisierungsvorschlag a) Kontexte der Anerkennung: Axel Honneths Anerkennungstheorie und die Frage nach der Gleichheit b) Sphären der Gleichheit: Millers Gerechtigkeits- und Gleichheitskonzeption c) Honneths Anerkennung und Millers Gerechtigkeitstheorie d) Kontexte der Anerkennung als Sphären der kommunikativen Gleichheit e) Exkurs: Kommunikative Gleichheit und distributive Gerechtigkeit
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Literaturverzeichnis I. Primärliteratur zu Hegel und Dokumente II. Sonstige Quellen, Forschungsliteratur und Hilfsmittel
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»[...] so zielt die Kritik der Ungleichheit in der Gleichheit auch auf Gleichheit [...]« Theodor W. Adorno
Vorwort
Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner 2007 in Frankfurt a.M. vorgelegten und 2008 verteidigten Dissertation. Ihre Veröffentlichung hat länger in Anspruch genommen, als ich es ursprünglich vorhatte – nicht zuletzt aufgrund einer noch nicht ganz in Erfüllung gegangenen Hoffnung, vor allem die systematischen Folgen der hier untersuchten Konzeption weiter entwickeln zu können. Bei der Überarbeitung habe ich wohl leider nicht all ihre Mängel beheben können; ich bin aber nach wie vor von ihren Ergebnissen überzeugt, wie auch von der Notwendigkeit, die normative Bedeutung der Gleichheit philosophisch und politisch zu verteidigen. Die theoretische Weiterentwicklung ihrer Thesen lasse ich für künftige Arbeiten. Wenn eine Brasilianerin in Deutschland zum Thema der Gleichheit eine philosophische Untersuchung schreibt, könnte das schnell als Folge eines besonders durch Ungleichheit geprägten Hintergrunds gedeutet werden – mit dem Risiko, wenn nicht als bemitleidenswerte Unterdrückte, dann als bereuende Privilegierte wahrgenommen zu werden. Obwohl meine Sensibilität für Gleichheitsfragen schon sehr lange bestand, war es aber vor allem mein langer Aufenthalt in Deutschland und all das, was ich zunächst in Tübingen und dann in Frankfurt am Main erlebt und gelernt habe, was mich auf die Bedeutung von Gleichheit (und deren Abwesenheit) im Kontext intersubjektiver Beziehungen aufmerksam machte. Ich möchte mich hier vor allem bei jenen bedanken, die während meines Aufenthalts in Frankfurt am Main und danach von Bedeutung waren. Vor allem Prof. Dr. Dr. Axel Honneth, der diese Arbeit seit deren Anfang ermutigend betreut hat und dessen respektvolle Bemerkungen immer sehr produktiv waren, gilt meine Dankbarkeit. Auch Prof. Dr. Dr. Matthias Lutz-Bachmanns freundliche und hilfreiche Unterstützung war für die Anfertigung dieser Arbeit unentbehrlich. Ferner möchte ich mich bei jenen bedanken, die sich die Zeit genommen haben, Teile dieser Untersuchung in verschiedenen Momenten ihrer Ausarbei9
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tung zu lesen und mit mir zu diskutieren: Prof. Dr. Thomas M. Schmitt, Prof. Dr. Rainer Forst und alle Teilnehmer der jeweiligen Kolloquien sowohl Honneths als auch Lutz-Bachmanns zwischen den Jahren 2001 und 2005, wie auch die damaligen Mitglieder des Frankfurter Arbeitskreises für Politische Theorie und Philosophie. Darüber hinaus möchte ich mich besonders bei Peter Storandt bedanken, denn ohne seine sorgfältige, geduldige und wiederholte Korrektur des Textes wäre diese Arbeit nie fertig geworden. Auch Herrn Gero Wierichs vom transcript Verlag bin ich für die freundliche Begleitung bei der Veröffentlichung und seine große Geduld dankbar. Sowohl meine Promotion als auch die Veröffentlichung dieser Untersuchung wurden großzügig durch die Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt; auch ihr gilt selbstverständlich mein Dank. Im Rahmen einer persönlicheren Danksagung muss ich hier leider viele FreundInnen und KollegInnen in Deutschland, Mexiko und Brasilien, die die Entwicklung dieser Untersuchung begleitet haben und denen ich ebenfalls sehr dankbar bin, unerwähnt lassen. Insbesondere möchte ich mich aber bei meinen Eltern Omar und Marina bedanken, denen ich viel von dem schulde, was ich kann und, auch was Gleichheit betrifft, denke. Meine Geschwister Mauricio und Flávia haben ebenfalls die Entwicklung dieser Arbeit immer ermutigend verfolgt. Und selbstverständlich möchte ich mich auch noch einmal bei Gustavo bedanken, mit dem ich schon seit Jahren die Höhen und Tiefen nicht nur der akademischen Arbeit teile und der diese Untersuchung in ihren verschiedenen Schritten die ganze Zeit sehr unterstützt hat. Widmen möchte ich dieses Buch meinem Sohn Paulo, in der Hoffnung auf eine Welt, in der die Gleichheit zu verteidigen keiner Rechtfertigung bedarf.
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Einleitung
,QHLQHUHLQÀXVVUHLFKHQ,QWHUSUHWDWLRQYRQ+HJHOV-HQDHU:HUNHQVDK+DEHUPDV Hegels »ursprüngliche Einsicht« darin, »dass Ich als Selbstbewußtsein nur begriffen werden kann, wenn es Geist ist, d.h. wenn es von der Subjektivität zur Objektivität eines Allgemeinen übergeht, in dem auf der Basis der Gegenseitigkeit die als nichtidentisch sich wissenden Subjekte vereinigt sind.«1 Mit einer besonderen Betonung derselben Grundidee, wenngleich in anderem Zusammenhang, sah auch Theunissen in einer Deutung von Hegels Freiheitsbegriff den Gedanken eines sich durch Gegenseitigkeit konstituierenden Selbst – den er aber nicht nur auf intersubjektive Kontexte begrenzte.2 Diesen Freiheitsbegriff nannte er kommunikative Freiheit: »Kommunikative Freiheit bedeutet, dass der eine den anderen nicht als Grenze, sondern als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt«.3 Mit der Hervorhebung gerade der kommunikativen Aspekte von Hegels Selbst- und Freiheitskonzeption hat sich die Möglichkeit eröffnet, aus Hegels Sittlichkeitskonzeption eine Alternative zur liberalen, von Hegel als »atomistisch« bezeichneten Freiheitsauffassung zu gewinnen, die – anders als die Freiheits-
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Jürgen Habermas: »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser Philosophie des Geistes«. In: Technik und Wissenschaft als ›Ideologie‹, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1968, S. 15. Theunissen sieht in der Wissenschaft der Logik eine »universale Kommunikationstheorie«, die nicht nur intersubjektivistisch zu interpretieren sei, sondern auch im Sinne dessen, »was Hegel, durchaus zu Recht, für die Substanz des christlichen Gott-, Welt- und Menschenverständnisses erachtet« habe.Vgl. Michael Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der hegelschen Logik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980, S. 45f. M. Theunissen, ebd. S. 46. Dieser Ausdruck wird auch von Honneth verwendet: Vgl. Axel Honneth: Leiden um Unbestimmtheit. Stuttgart: Reclam, 2001, S. 28. 11
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konzeption des »reifen« Hegel – eindeutig mit den Errungenschaften der modernen Welt kompatibel ist.4 Zu diesem Freiheitsbegriff und zu seinen späteren Weiterentwicklungen kam Hegel bekanntlich über seine Diagnose der modernen Welt als Welt der Entzweiung und die Kritik an der neuzeitlichen, abstrakten, liberalen Auffassung der Freiheit, die spätestens am Anfang seiner Jenaer Zeit eine explizite Formulierung erhielt. Aber obwohl der Begriff der Freiheit zu Recht als der Leitbegriff in Hegels Philosophie insgesamt gilt, bietet es sich gerade auf der Basis jener Einsicht in die Bedeutung von Intersubjektivität bei Hegel an, die Konsequenzen seiner Modernitätsdiagnose auch für die weniger beachtete, aber ofIHQVLFKWOLFKSDUDOOHOVWDWW¿QGHQGH.ULWLNDQGHUPRGHUQHQªDEVWUDNWHQ©*OHLFKheit näher zu betrachten. Denn während hinsichtlich der Freiheit relativ leicht einzusehen ist, dass Hegels Modernitätsdiagnose zu jener »ursprünglichen Einsicht« hinführte, bleiben die Folgen seiner Kritik bezüglich der Gleichheit im Hintergrund. Es lässt sich aber zeigen, dass gerade Hegels intersubjektivistische Ansätze aus seiner Jenaer Zeit die Möglichkeit bieten, nicht nur Freiheit normativ anders aufzufassen als im modernen liberalen, individualitätszentrierten Sinne, und deshalb auch für zeitgenössische Diskussionen produktiv zu machen, sondern auch Gleichheit – und zwar ohne dass die wesentlichen normativen Züge der modernen Auffassungen jener Begriffe verloren gehen. Damit werden nicht nur den modernen abstrakten Begriffen der Freiheit und der Gleichheit Alternativen gegenübergestellt, sondern auch der Unfreiheit und der Ungleichheit selbst, die schon der junge Hegel als Folgen der Entzweiung in der modernen Welt erkannte. Denn, wie schon Theunissen implizit bemerkte, ist in Hegels Entzweiungskritik nicht nur stets deutlich eine Kritik an einer Gleichgültigkeit, die als Unfreiheit gedeutet werden kann, zu erkennen, sondern auch eine als Ungleichheit zu deutende Herrschaftskritik,5 und zwar in einem Maße, 4
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Zum Charakter von Hegels »reifem« System einschließlich seiner Freiheitskonzeption – die erst im Rahmen der Gesamtkonzeption des Geistes gedeutet werden kann – sind viele Deutungen möglich. Habermas’ Interpretation sieht zwischen Hegels »reifem« System und seinen Jenaer Schriften einen Unterschied in der Auffassung des Geistes, welche die »reife« Auffassung als »monologisch« erVFKHLQHQOlVVWGLH-HQDHUKLQJHJHQDOVGHU,QWHUVXEMHNWLYLWlWYHUSÀLFKWHWXQGGDKHU aktualisierbar. Vgl. Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt: Suhrkamp, 1991, S. 53f. Aus Gründen, die in den folgenden Kapiteln dieser Untersuchung deutlich werden, halte ich Habermas’ Interpretation grundsätzlich für richtig. Damit entwickle ich einen Gedanken, den Theunissen selbst in seiner Untersuchung zu Hegels Wissenschaft der LogikEHLOlX¿JlXHUW,QVHLQHP+LQZHLVGDrauf, dass Aspekte der Logik als eine »chiffrierte politische Theorie« zu lesen sind, bezieht er sich ausdrücklich nicht nur auf Freiheit, sondern auch auf Gleichheit als »politische Begriffe«, die in der Logik ihren Sinn »aus ihrer negativen Herkunft, aus der Aufhebung von Herrschaftsverhältnissen« erhielten. Vgl. M.
EINLEITUNG
GDVVRJDUGLH%HKDXSWXQJ]XOlVVWGDVVHVEHL+HJHOV.ULWLNDQGHU5HÀH[LRQVphilosophie – die ja einen zentralen Aspekt seiner späteren Entzweiungskritik darstellen wird – grundsätzlich um die Kritik an der »Institutionalisierung unUHÀHNWLHUWHU+HUUVFKDIWVYHUKlOWQLVVH©JHKW6 Eine solche Absicht hat diese Untersuchung.7 Die Rechtfertigung dafür, die Frage nach der Gleichheit von der intersubjektivistischen Perspektive Hegels aus aufzunehmen, ergibt sich allerdings nicht nur aus der unzureichenden Beachtung der Folgen von Intersubjektivität für die Gleichheit. Ein weiterer Grund dafür ist ein relativer Vertrauensverlust in die normative Bedeutung der Gleichheit, die in der zeitgenössischen politischen und sozialen Debatte zu beobachten ist.8 Neben der Freiheit schien bis vor Kurzem die liberale Auffassung der Gleichheit einer modernen, universalistischen Gerechtigkeitsauffassung wesentlich zu sein. Nachdem die Gleichheitskonzeption der Antike, die – wie es sich in Aristoteles’ proportioneller Gleichheit zeigt, für welche »Gleichen Gleiches«, »Ungleiches aber Ungleichen« gegeben wird9 –, das Bestehen von Gleichen und Ungleichen voraussetzte, bekanntlich vor allem durch die hellenistische Philosophie und die monotheistischen Religionen auf die Gleichheit aller Menschen vor Gott ausgedehnt wurde, setzte sich die moderne Gleichheitsauffas-
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Theunissen, ebd. S. 448. Auch der Bezug auf Gleichgültigkeit und Herrschaft ist hauptsächlich auf Theunissen zurückzuführen. Vgl. ebd. insgesamt, v.a. aber S. 25ff. So Rolf-Peter Horstmann. Vgl. Rolf-Peter Horstmann: Hegels vorphänomenologische Entwürfe zu einer Philosophie der Subjektivität in Beziehung auf die .ULWLN DQ GHQ 3ULQ]LSLHQ GHU 5HÀH[LRQVSKLORVRSKLH Dissertation. Manuskript. Heidelberg, 1968, S. 18. Diese Termini und Aspekte meiner Interpretation der hegelschen Entzweiungskritik verdanke ich neben Theunissen auch anderen Deutungen von Hegels Logik oder von Problemen, die mit ihr in Verbindung stehen. Vgl. Hinrich Fink-Eitel: Dialektik und Sozialethik. Kommentierende Untersuchungen zu Hegels »Logik«. Meisenheim am Glan: Hain, 1978. Ferner zu Marx, aber in demselben Sinne: Georg Lohmann: Indifferenz und Gesellschaft. Eine kritische Auseinandersetzung PLW0DU[. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991. Obwohl sich die Untersuchungen dieser Autoren eher mit anderen Texten beschäftigen als jenen, um die es hier geht, lässt sich diese Terminologie auch auf die Modernitätsdiagnose des jungen und des Jenaer Hegel übertragen. Einen ausdrücklichen Zusammenhang zwischen Hegels früher Kritik und der Kritik an Gleichgültigkeit und Herrschaft, die Theunissen und Fink-Eitel in Hegels Logik feststellten, stellt Hubertus Busche her. Vgl. Hubertus Busche: Das Leben der Lebendigen. Hegels politisch-religiöse Begründung der Philosophie freier Verbundenheit in seinen frühen Manuskripten. (Hegel-Studien. Beiheft 31.) Bonn: Bouvier, 1987. S. 184ff. Den Bezug seiner eigenen Untersuchung zu Theunissens und Fink-Eitels Untersuchungen zur Logik stellt er auch ausdrücklich dar. Vgl. H. Busche, ebd. S. 18 Fn. 13. Im Folgenden biete ich einen Überblick über verschiedene Formen der Kritik an der liberalen Gleichheit, der aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik 1131a10-b15; ders.: Politik 1280a8-15. 13
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sung in der Neuzeit als jene Vorstellung durch, die mit dem modernen Universalismus eine zentrale Stelle in Gerechtigkeitskonzeptionen einnahm.10 Zwar besaß für die meisten Liberalen individuelle Freiheit (und die damit verbundenen Konzeptionen wie die der Würde und der subjektiven, privaten Autonomie) gegenüber der Gleichheit den Vorrang: Die als gleiche Freiheit verstandene liberale Gleichheit, die auch heute im Zentrum der meisten Auseinandersetzungen um die Gleichheit steht,11 führte diese eindeutig auf Freiheit zurück: Etwa bei John Locke war der Naturzustand ein Zustand der Gleichheit genau in dem Maße, als »all the Power and Jurisdiction is reciprocal, no one having more than other«, was die Gleichheit an die kurz zuvor im Second Treatise of Government behauptete Freiheit jedes Menschen »to order their Actions and dispose RIWKHLU3RVVHVVLRQVDQG3HUVRQVDVWKH\WKLQN¿W©GLHLP*HGDQNHQGHUªSRwer and jurisdiction« impliziert war, zurückband.12 Und auch bei Kant wurde Gleichheit, im Zusammenhang mit dem Gedanken einer gleichen, jedem Menschen als solchem zukommenden Würde,13 im Rahmen des Rechts als Garantie einer reziproken Begrenzung und Bestimmung eines gleichen Spielraums für die individuelle »Willkür« eines jeden bestimmt: Für Kant war das Recht ja »Inbegriff der Bedingungen [...], unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann«.14 Damit zeigte sich eine Auffassung der Gleichheit, welche diese, von der moralischen Gleichheit ausgehend, vor allem als rechtliche Gleichbehandlung verstand.15 Trotz ihrer Rückbindung an die Freiheit schien aber Gleichheit in den meisten Kontexten – vor allem, wenn es um uni10 Zu dieser Entwicklung vgl. Reinhard Koselleck/Otto Brunner et al.: Geschichtliche *UXQGEHJULIIH +LVWRULVFKHV /H[LNRQ ]XU SROLWLVFKVR]LDOHQ 6SUDFKH LQ 'HXWVFKland. 8 Bde. Stuttgart 1972-1997. Vgl. den Eintrag »Gleichheit«, S. 1000ff. Noch deutlicher in: Sylvain Auroux (Hg.): Encyclopédie Philosophique Universelle. Les Notions Philosophiques. Paris: Presses Universitaires de France, 2002, Bd. 1, Eintrag »Égalité«, S. 757ff. 11 Einen Überblick dazu bietet Ulrich Steinworth: Gleiche Freiheit. Politische Philosophie und Verteilungsgerechtigkeit. Berlin: Akademie Verlag, 1999, S. 40ff. 12 John Locke: Two Treatises on Government. Cambridge: Cambridge University Press, 1988, S. 269. 13 Vgl. etwa die zweite Hauptformel des kategorischen Imperativs in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, die im Gedanken der Menschheit diese Gleichheit der Würde implizit ausdrückt. Vgl. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten in AA IV, S. 429: »Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst« (kursiv i.O., MMSM). Kants Werke werden wie üblich nach folgender Ausgabe zitiert: Kant’s Gesammelte Schriften herausgegeben von der Königlich Preuȕischen Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1900ff. 14 Vgl. Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, AA Bd.VI, S. 229-230. 15 Nicht nur zu einer interessanten Einführung in diese Lage vgl. Christoph Menke: Spiegelungen der Gleichheit. Berlin: Akademie-Verlag, 2000, S. 2. 14
EINLEITUNG
versalistische Ansätze ging – mit der modernen Gerechtigkeitsauffassung untrennbar verbunden. Nun sind gerade in den letzten Jahrzehnten aus verschiedenen Richtungen Kritiken an der Bedeutung und den Grenzen des modernen Gleichheitsbegriffs entstanden, die seinen zentralen Wert oder seine Grenzen für eine Konzeption der Gerechtigkeit infrage stellen. Kritiken an der liberalen Gleichheit von nichtliberalen Positionen aus gab es zwar selbstverständlich schon früher – z.B. auch, wie wir sehen werden, von Hegel selbst. Zum einen wurden sie etwa von unterschiedlichen Formen des Konservatismus vertreten, wie schon in der Zeit nach der Französischen Revolution von Edmund Burke16 und im XX. Jahrhundert von Carl Schmitt,17 die jedem universalistischen Anspruch von vornherein eine Absage erteilten. Schmitts Kritik an der liberalen Gleichheit z. B. war Teil einer Kritik am Liberalismus und am Parlamentarismus (und dessen für Schmitt liberaler Verknüpfung mit der Massendemokratie) im Namen einer substanziellen Gleichheitskonzeption; dass eine solche Kritik verheerende Folgen haben kann, ist aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts bekannt.18 Für diese Art von Kritik dürfte in den zeitgenössischen Diskussionen kaum Platz sein. Zum anderen gab es auch schon Kritiken an der liberalen Gleichheit, die zwar nicht im strengen Sinne liberal, aber nicht immer mit dem Liberalismus ganz inkompatibel waren. Diese reichten von verschiedenen Ansätzen des Republikanismus und des Kommunitarismus bis hin zu einem Typus von Kritik, GLHGLH*OHLFKKHLWLP1DPHQLKUHUHLJHQHQ5DGLNDOLVLHUXQJRGHU6HOEVWUHÀH[Lon infrage stellte. So sah im Kontext des Republikanismus etwa Hannah Arendt die liberale Gleichheit, die sie auch aufgrund ihrer Abstraktheit kritisierte, als Aspekt der Durchsetzung von Privatem durchzogener gesellschaftlicher Tätigkeitsformen und Relationen anstelle der politischen Praxis an, die sie für die menschlichste Form des Tätigseins auf der Welt hielt.19 Einige dem Kommuni-
16 Vgl. Edmund Burke: 5HÀHFWLRQV RQ WKH 5HYROXWLRQ LQ )UDQFH. Oxford: Oxford University Press, 2009. 17 Vgl. Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Berlin: Duncker & Humblot, 1996. 18 Vgl. Carl Schmitt: ebd., S. 14: »Bei der Frage der Gleichheit handelt es sich nämlich nicht um abstrakte, logischarithmetische Spielereien, sondern um die Substanz der Gleichheit. [...] Seit dem 19. Jahrhundert besteht sie vor allem in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation, in der nationalen Homogenität.« Und ebd., S. 13f.: »Jede wirkliche Demokratie beruht darauf, dass nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nichtgleiche nicht gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.« 19 In Vita Activa kritisiert Arendt die »moderne Egalität, die auf dem der Gesellschaft inhärenten Konformismus ruht und nur möglich ist, weil das Sich-Verhalten an die Stelle des Handelns in der Rangordnung menschlicher Bezüge getreten 15
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tarismus nahestehende Autoren haben die liberale Gleichheit mit Bezug auf die Bedeutung von Gemeinschaft und Identität infrage gestellt: Hier ist an Charles Taylors Betonung der Bedeutung der Anerkennung der kulturellen Identität gegenüber jener der liberalen neutralen Gleichheit zu denken20 oder noch an Vorschläge wie den Michael Walzers, der für eine Kontextualisierung der Gleichheit in unterschiedlichen Gerechtigkeitssphären plädiert, sodass Gleichheit nun als komplexe Gleichheit aufzufassen wäre.21 Und nicht zuletzt wären hier auch jene Positionen zu verorten, die teilweise an Marx’ Kritik am abstrakten Charakter der liberalen Ideale der Freiheit und Gleichheit anknüpfend,22 auf die Abstraktheit der modernen Gleichheit aufmerksam machen möchten, ohne diese im Ganzen zu verwerfen, oder ihre Kritik sogar mehr oder weniger implizit im Sinne ihrer eigenen Konkretisierung oder des Bewusstwerdens über ihre Grenzen übten.23 Zumindest einige Linien der Kritik, die u.a. im Ausgang von post-1968er sozialen Bewegungen auf die Betonung von Differenz und Inklusion gegenüber der liberalen Gleichheit insistieren, wären wohl in diesem Sinne zu verstehen. 24 Es ist aber auffallend, dass neben der Kritik an der liberalen Gleichheit, die von unterschiedlichen eher nichtliberalen Positionen ausgehend schon früher die liberale Gleichheit infrage gestellt hat, nun auch innerhalb des Liberalismus – und trotz des Weiterbestehens jener liberalen Ansätze, die weiterhin, z.B. in Anlehnung an John Rawls, eine egalitaristische Position vertreten25 – die normative Bedeutung der Gleichheit hinterfragt wird. Vor allem ist hier ein relativ neuer Strang der Kritik zu erwähnen, welcher der liberalen Gleichheit
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ist [...]«. Vgl. Hannah Arendt: Vita Activa, oder vom tätigen Leben. München: Pieper, 1994, S. 42. Vgl. Charles Taylor: »The Politics of Recognition«, in: Amy Gutman (Hg.): MulWLFXOWXUDOLVP([DPLQLQJWKH3ROLWLFVRI5HFRJQLWLRQPrinceton: Princeton University Press, 1994, S. 25-73. Vgl. Michael Walzer: Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality. New York: Basic Books, 1983. Vgl. Karl Marx: »Debatten über das Holzdiebstahtlsgesezt«, in: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke (MEW). Berlin: Dietz Verlag, 1976. Band 1, S. 109-147. Vgl auch seine Kritik an der Äquivalentform in Karl Marx: Das Kapital, Bd. I, Erster Abschnitt, in: Karl Marx/Friedrich Engels: ebd., Band 23, S. 49 – 98. Vgl. etwa Adornos Kritik der Äquivalentform in Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, in ders: Gesammelte Schriften, Frankfurt a.M.: Suhrkamp,1970, S.148ff. Direkt zum Thema der Gleichheit: Ch. Menke: ebd.; sowie ders.: »Grenzen der Gleichheit«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 50 (2002). Vgl. z.B. Iris Marion Young: Justice and the Politics of Difference. Princeton University Press: Princeton, 1990. Vgl. v.a. John Rawls: A Theory of Justice. Cambridge: Harvard University Press, 1971; Ronald Dworkin: Sovereing Virtue. The Theory and Practice of Equality. Cambridge: Harvard University Press, 2000; Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt: Suhrkamp, 1992.
EINLEITUNG
überhaupt ihre normative Bedeutung im Rahmen des Liberalismus mehr oder weniger grundsätzlich absprechen möchte: die Kritik derer, die sich selbst oft als Non- oder Nichtegalitaristen bezeichnen und diese Frage hauptsächlich im Kontext der Verteilungsgerechtigkeit behandeln. So wird besonders im angelsächsischen Raum (aber nicht nur dort) seit einigen Jahren die normative Bedeutung der Gleichheit innerhalb einer Konzeption der Gerechtigkeit von verschiedenen Autoren zugunsten anderer Begriffe – wie etwa Respekt, Würde RGHUDXFK6XI¿]LHQ]±JUXQGVlW]OLFKLQIUDJHJHVWHOOW26 Inwiefern, und warum, soll Gleichheit in einer Gerechtigkeitskonzeption überhaupt als normativer Maßstab gelten? So verweist auch diese letzte Infragestellung der Gleichheit, was deren normative Bedeutung betrifft, zumindest auf ein Problem. Diese Untersuchung beabsichtigt zwar nicht, auf diese Debatten direkt einzuwirken. 27 Es ist allerdings zu vermuten, dass die Konzeption der Gleichheit, die aus Hegels intersubjektivistischen Ansätzen entnommen werden kann, auf viele der Kritiken, die an der liberalen Gleichheit formuliert worden sind, da26 Dieser Kritik, welche die liberale Gleichheit meistens über die mit ihr verbundene Frage nach der Gleichverteilung anvisiert, können etwa Harry Frankfurt, JoVHSK5D]XQG'HUHN3DU¿WVRZLHLPGHXWVFKVSUDFKLJHQ%HUHLFK$QJHOLND.UHEV Thomas Schramme und Wolfgang Kersting zugeordnet werden. Vgl. die etwa die Aufsätze in Angelika Krebs (Hrsg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2000, S. 7ff.; dies.: »Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), Nr. 2. Ferner: Harry Frankfurt: »Equality as a Moral Ideal«, in: Ethics 98 (1987), S. 21-42; Joseph Raz: »Equality«, in: The Morality of Freedom. Oxford: Clarendon Press, 6 'HUHN 3DU¿W ª(TXDOLW\ DQG 3ULRULW\© LQ$QGUHZ 0DQVRQ Ideals of equality. (Ratio Special issue). Oxford: Blackwell 1998, S. 1-20; Thomas Schramme: »Die Anmaßung der Gleichheitsvoraussetzung«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), Nr. 2; sowie Wolfgang Kersting: Kritik der Gleichheit. Über die Grenzen der Gerechtigkeit und der Moral. Weilerswist: Velbrück, 2002. Für einen Überblick über diese Diskussion vgl. A. Krebs: »Einleitung: Die neue Egalitarismuskritik im Überblick«. In: dies. (Hg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2000; und Stefan Gosepath: »Equality«, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, http://plato.stanford.edu/entries/equality, 2001; letzte Aktualisierung 2007. 27 Zu Ansätzen, die noch im Kontext der liberalen Gleichheitsauffassung eine Antwort auf die Debatte um die Bedeutung der Gleichheit bieten könnten, vgl. Stefan Gosepath: Gleiche Gerechtigkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2004. Ferner, wenngleich nicht speziell auf diese Debatte bezogen: Ernst Tugendhat: Vorlesungen über Ethik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1992; ders.: Dialog in Leticia. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997. Und wiederum Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung; und seine Antwort auf Christoph Menkes Gleichheitskritik: ders.: »Kulturelle Gleichbehandlung – und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003). Ich halte Habermas’ Antwort, die nicht nur vom Liberalismus, sondern auch vom Republikanismus ausgeht, um seinen eigenen diskurstheoretischen Ansatz aufzubauen, für die aussichtsreichste dieser möglichen Antworten, was die Frage nach der Gleichheit betrifft. 17
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mit antworten könnte, dass diese sie nicht treffen. Bei dieser Gleichheitskonzeption geht es nämlich nicht um die gleiche Freiheit, die sich als Gleichbehandlung durchs Recht ausdrückt. Auch Hegels eigene Kritik an der modernen Gleichheit hatte deren abstrakten Charakter im Visier; aber obwohl er zunächst versuchte, diesem eine substanzielle Auffassung der Gleichheit entgegenzusetzen, beschränkte sich das Resultat seiner Kritik, sobald ihm in Jena die Bedeutung der modernen Welt ersichtlich wurde, weder auf diese substanzielle Auffassung noch war es die endgültige Absage an die moderne Gleichheit, sondern es war – wie in dieser Untersuchung verdeutlicht wird – eindeutig mit deren egalitaristischem Charakter kompatibel. Die normative Gleichheitskonzeption, die sich Hegels intersubjektivistischen -HQDHU$QVlW]HQHQWQHKPHQOlVVWZHUGHLFKLQ$QOHKQXQJDQGLHJHOlX¿JH%Hzeichnung der entsprechenden intersubjektivitätstheoretischen Freiheitskonzeption, kommunikative Gleichheit nennen. Aus der Einsicht in die intersubjektive Verfassung der sozialen Welt folgt die Einsicht nicht nur in die subjektiven, freiheitsbezogenen Aspekte dieses normativ aufgeladenen intersubjektiven Kontextes, sondern auch in die konstitutive Bedeutung der symmetrischen gegenseitigen Struktur der intersubjektiven Relationen selbst – und damit auch der als kommunikativ verstandenen Gleichheit. So ist kommunikative Gleichheit auf die normativen Beziehungen angewiesen, durch die sich auch kommunikative Freiheit realisiert: die normativen Beziehungen der Anerkennung. Meine Absicht ist es allerdings nicht nur, die These zu belegen, dass sich die Konzeption einer kommunikativen Gleichheit aus Hegels intersubjektivistischen Ansätzen gewinnen lässt. Diese Untersuchung soll auch auf die Folgen sowohl eines intersubjektivistischen Ansatzes für eine Gleichheitskonzeption und deren normative Bedeutung, als auch einer solchen Konzeption selbst aufmerksam machen. Denn sobald nicht von liberal-»atomistischen« Prämissen ausgegangen wird, sondern von der Einsicht in die intersubjektiven Bedingungen vom Selbstbewusstsein, Identität und Freiheit, gewinnt auch Gleichheit an normativem Gewicht: Freiheit und Gleichheit als normative Begriffe zeigen sich als gleichursprünglich und sich gegenseitig bedingend, sodass der im Liberalismus lediglich als gleiche Freiheit verstandenen Gleichheit nun eine verstärkte normative Bedeutung zukommt. An Hegels Modernitätsdiagnose lässt sich zeigen, dass, während die normative Bedeutung der Freiheit aus der Entgegensetzung zur Gleichgültigkeit moderner Beziehungen resultiert, sich die normative Bedeutung der Gleichheit aus dem Bezug zwischen Ungleichheit und Herrschaft ergibt. So wird, innerhalb intersubjektivistischer Gerechtigkeitskonzeptionen, Gleichheit als wesentlicher, der Freiheit gleichwertiger, normativer Aspekt ersichtlich, gerade insofern sie einen normativen Bezug zu dem herrschaftsfreien Charakter der intersubjektiven Relationen des Sittlichen selbst enthält. Damit wird ein Zusammenhang hervorgehoben, der nicht nur Hegel aufgefallen ist: Dass zwischen Ungleichheit und Herrschaft ein Zusam18
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menhang besteht, wird von Autoren unterschiedlichster Perspektiven der sozialen und politischen Philosophie behauptet: Schon Locke war aufgefallen, dass Gleichheit mit der Reziprozität von »Power and Jurisdiction« zusammenhängt;28 und wie es Michael Walzer ausdrückte, »[t]he aim of political egalitarianism« ist «a society free from domination«.29 Bevor wir zu diesem Ergebnis kommen können, muss allerdings zunächst deutlich gemacht werden, dass sich Hegels Philosophie überhaupt mit einer normativen Konzeption der Gleichheit verbinden lässt. Denn bereits das ist alles andere als evident: Schon aufgrund seiner Kritik am neuzeitlichen abstrakten Universalismus kann Hegel schwer direkt als ein Egalitarist im herkömmlichen universalistischen Sinne bezeichnet werden.30 Die ersten zwei Teile dieser Arbeit werden sich deshalb mit der Untersuchung von Hegels Modernitätsdiagnose und deren Folgen in seinen Jenaer Versöhnungsansätzen unter dem doppelten Gesichtspunkt der Freiheit und der Gleichheit beschäftigen, mit der Absicht, zunächst indirekt die Stellung von normativen Gleichheitskonzeptionen überhaupt und einer kommunikativen Gleichheit insbesondere im Rahmen der hegelschen Systemansätze zu verdeutlichen. Ausgangspunkt meiner Darstellung im Teil I ist Hegels Modernitätsdiagnose in seinen frühen und Jenaer Schriften,31 die ich im Sinne einer Diagnose der modernen Entzweiung und ihrer zwei Aspekte, der Gleichgültigkeit und 28 J. Locke, ebd. S. 269. 29 M. Walzer, ebd. S. XIII. 30 Das ist z.B. an seiner Kritik an der »Gestaltlosigkeit des Kosmopolitismus« und der »Leerheit der Rechte der Menschheit und der gleichen Leerheit eines Völkerstaates und der Weltrepublik« im Naturrechtsaufsatz zu bemerken, die den universalistischen Gleichheitsgrundsatz im Auge hat. Vgl. W 2 529f. Hegels Schriften werden hier vor allem nach der Werkausgabe zitiert: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Werke in zwanzig Bänden und Register (Red. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel), Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1969 (= W und anschließend Bandund Seitenzahl). Hegels Jenaer System der Sittlichkeit und Systementwürfe werden nach folgenden Ausgaben zitiert: Hegel, G.W.F.: System der Sittlichkeit [Critik des Fichteschen Naturrechts]. Hamburg: Meiner, 2002 (zitiert als SdS). Hegel, G.W.F.: Jenaer Systementwürfe I. Das System der spekulativen Philosophie. Hamburg: Meiner, 1986 (zitiert als JS I); Hegel, G.W.F.: Jenaer Systementwürfe II. Logik, Metaphysik, Naturphilosophie. Hamburg: Meiner, 1982 (zitiert als JS II); Hegel, G.W.F.: Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Hamburg: Meiner, 1987 (zitiert als JS III). Das System der Sittlichkeit und die Jenaer Systementwürfe werden zitiert nach der Paginierung der Gesammelten Werke, auf welche auch zurückgegriffen wird. Vgl. G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke. In Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff. (zitiert als: GW, anschließend Bandnummer und Seitenzahl). 31 Mit »Hegels frühen Schriften« beziehe ich mich hier vor allem auf jene Schriften, die gewöhnlich als Schriften zu »Volksreligion und Christentum« nach der Bezeichnung der Nohlschen Ausgabe veröffentlicht werden. Vgl. Hegels theologische Jugendschriften. Hg. von Herman Nohl. Tübingen: Mohr, 1907 (zitiert als: N). 19
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der Herrschaft, interpretieren werde. Hegels Kritik an der Gleichgültigkeit der modernen Verhältnisse wird als Kritik an deren Unfreiheit zu verstehen sein, und seine Kritik am Herrschaftscharakter dieser Verhältnisse als Kritik an der modernen Ungleichheit. Dabei werden sich Hegels Unfreiheits- und Ungleichheitskritiken zwar jeweils mit seiner Kritik an den modernen abstrakten Freiheits- und Gleichheitsbegriffen verbunden, aber nicht als damit identisch zeigen. So wird Teil I das Ziel verfolgen darzustellen, dass sich allem Anschein ]XP7URW]LQ+HJHOV0RGHUQLWlWVGLDJQRVHGXUFKDXV$VSHNWH¿QGHQGLHQLFKW nur auf eine Kritik an der modernen Unfreiheit hinweisen, die Hegel aus seiner Deutung der modernen Entzweiung entwickelte, sondern auch eine Kritik an Aspekten der modernen Welt, die als eine Ungleichheitskritik interpretiert werden können – und zwar über die Beziehung, die nach Hegel zwischen Ungleichheit als Asymmetrie in Relationen und Herrschaft besteht. Teil II wird sich dann mit der komplementären These beschäftigen, dass im Rahmen von Hegels Antworten auf seine Modernitätsdiagnose normative Konzeptionen nicht nur der Freiheit, sondern auch der Gleichheit erkennbar sind, die unterschiedlich aufzufassen sind, je nachdem, wie Hegels Ansätze zur Versöhnung der modernen Entzweiung ausfallen. Als Resultat der Darstellung von Hegels Modernitätsdiagnose wird es möglich, vor allem in den verschiedenen Jenaer Versionen des Entwurfs eines Systems, unterschiedliche Antworten auf seine Modernitätskritik und insofern auch auf die moderne Unfreiheit und Ungleichheit zu erkennen. Was allerdings jeweils als normative Auffassung der Freiheit bzw. der Gleichheit gelten wird, an der sich diese Kritik orientiert, ist in Hegels Entwicklung je nach Auffassung des Sittlichen unterschiedlich. In Jena werden sich grundsätzlich drei Antworten auf die moderne Entzweiung zeigen, die mit unterschiedlichen Auffassungen der Sittlichkeit bzw. des Absoluten oder des Geistes verbunden sind: Zwischen einer ersten Konzeption, die mit den ersten Jenaer Schriften und einer Auffassung des Absoluten als Indifferenz zusammenhängt, und der letzten, die, schon nah an seinem »reifen« 6\VWHPJHGDQNHQ DXI GHU .RQ]HSWLRQ HLQHV VHOEVWUHÀH[LYHQ *HLVWHV JUQGHW ist eine intersubjektivistische Lösung meiner Deutung nach vor allem in den Jenaer Systementwürfen I ]X ¿QGHQ -HGHU GLHVHU GUHL$XIIDVVXQJHQ ZHUGHQ ihrerseits unterschiedliche Konzeptionen einer normativen Freiheit und –vor allem hier – einer normativen Gleichheit entsprechen. Im III. Teil der Untersuchung wird schließlich meine Hauptthese direkt aufgenommen. Aus der vorangehenden Rekonstruktion von Hegels Modernitätsdiagnose und Versöhnungsversuchen wird der Ansatz der Jenaer Systementwürfe I hervorgehoben, in dem eine eindeutig intersubjektivistische Perspektive erkennbar ist, und seine Implikationen und Folgen an sich und bezüglich der normativen Freiheits- bzw. Gleichheitskonzeption werden nun näher expliziert. Hier wird sich zeigen, dass diese intersubjektivitätszentrierte Perspektive, die wohl die angemessenste Antwort Hegels auf die Frage nach der modernen Ent20
EINLEITUNG
zweiung ist, notwendigerweise zu jenen alternativen kommunikativ genannten Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit führt. Damit werden wir auch die Folgen dieser Konzeptionen betrachten können: Die intersubjektivistische Deutung der Jenaer Systemansätze führt zur normativen Gleichursprünglichkeit von Freiheit und Gleichheit im Rahmen von Anerkennungsrelationen, GLH DXFK IU GHUHQ %HJULIIH .RQVHTXHQ]HQ KDEHQ ZLUG9RQ HLQHU 'H¿QLWLRQ NRPPXQLNDWLYHU )UHLKHLW DXVJHKHQG ZLUG YHUVXFKW ]X HLQHU 'H¿QLWLRQ NRPmunikativer Gleichheit zu kommen, die diese Bedeutung zutage treten lässt. Abschließend werde ich im Anschluss an Axel Honneths Anerkennungstheorie und David Millers Auffassung der Gleichheit einen Vorschlag für die Aktualisierung der Konzeption der kommunikativen Gleichheit anbieten. Es liegt damit aber schon auf der Hand, dass es bei dieser Untersuchung nicht primär um eine Verteidigung der Gleichheit etwa bloß als Prinzip distributiver Gerechtigkeit geht (und noch weniger um den Versuch, bei Hegel ein solches nachzuweisen), sondern um die Hervorhebung einer Gleichheitskonzeption, die diesseits der Abstraktionen der liberalen Gleichheit als Aspekt sozialer Beziehungen selbst steht. Damit hoffe ich zu einer Aufwertung der normativen Bedeutung der Gleichheit dadurch beizutragen, dass diese nicht wie die liberale Gleichheit auf die Bedeutung von Allgemeinheit reduziert ZLUGVRQGHUQLKUHQ(LJHQZHUWLQGHU)RUGHUXQJQDFK+HUUVFKDIWVIUHLKHLW¿Qdet. Denn lediglich als Allgemeinheit verstanden, wird diese Bedeutung – wie einige der zeitgenössischen Kritiker der Gleichheit mit Recht für die liberale Gleichheit gezeigt haben – tatsächlich auf jene der Freiheit zurückgeführt.32 Die genannte Hervorhebung ist nur dann möglich, wenn der Blick des Sozialtheoretikers nicht von atomistischen, sondern von intersubjektivistischen Prämissen ausgeht – dann aber ist sie zwingend.
32 Von der nichtegalitaristischen liberalen Kritik wird behauptet, bei der nur vermeintlich normativen Bedeutung der Gleichheit, die von Egalitaristen verteidigt wird, gehe es eigentlich um eine Verwechslung von Allgemeinheit und Gleichheit: Viele der Begründungen, die im Sinne von Argumenten für mehr Gleichheit gedeutet werden, seien eigentlich eine Folge der Anwendung eines allgemeinen Kriteriums auf alle. Vgl. z.B. A. Krebs: »Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist«. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 51.Jahrgang 2003, Nr. 2, S. 237. Dieser Punkt ihrer Kritik scheint mir richtig zu sein, obwohl ich der Kritik als ganzer nicht zustimme. 21
I.
Hegels Modernitätsdiagnose, Freiheit und Gleichheit
Hegels Auseinandersetzung mit der modernen Welt ist bekanntlich für die Entwicklung seiner Philosophie wesentlich gewesen. Dass im normativen Hintergrund dieser Auseinandersetzung eine normative Auffassung nicht nur der Freiheit, sondern auch der Gleichheit steht, ist aber weder bekannt, noch selbstverständlich. Die Frage nach dem Bestehen einer normativen Gleichheitskonzeption in Hegels Philosophie lässt sich erst im Rahmen dieser Auseinandersetzung diskutieren. Bereits als Hegel in der Differenzschrift – seiner ersten eigentlich philosophischen Veröffentlichung – vom Bedürfnis der Philosophie schreibt, ist der Zusammenhang zwischen seiner Kritik an den philosophischen Systemen der Zeit und einer Kritik an dem Zustand der Entzweiung »des Zeitalters« (vgl. W 2 20) nicht zu übersehen: Das Bedürfnis der Philosophie ist das Bedürfnis nach einer Versöhnung jener Entzweiung, die Hegel nicht nur in der Philosophie erkennt; sie ist als Folge dessen zu verstehen, dass »die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Wechselwirkung verloren haben und Selbstständigkeit gewinnen« (vgl. W 2 22). Mit dieser Feststellung des Bestehens einer Entzweiung in der modernen Welt richtet sich seine Kritik gegen jene Phänomene oder Zustände, deren Wahrnehmung seit Rousseau als eine Grunderfahrung der Moderne gilt und die später unter Begriffen wie jenem der Entfremdung bekannt wurden. Nun ist ein wesentlicher Teil von Hegels Auseinandersetzung mit der modernen Welt seine Kritik der modernen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit: Spätestens ab dem 1802 erschienenen Naturrechtsaufsatz ist in Hegels Werken immer wieder eine Kritik an den neuzeitlichen Begriffen von Freiheit und Gleichheit anzutreffen, bei welcher beide der Abstraktion bezichtigt werden. Und Hegels Kritik an der modernen Welt enthält, was Freiheit und Gleichheit betrifft, nicht nur diese Kritik an den abstrakten Begriffen der Freiheit und 23
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der Gleichheit, sondern auch eine darüber hinaus gehende Kritik an der Unfreiheit und Ungleichheit, die diese Welt kennzeichnen. Dieser letzte Aspekt seiner Kritik, die durch bestimmte normative Begriffe der Freiheit und der Gleichheit geübt wird, lässt sich aber erst dann richtig erkennen, wenn Hegels Diagnose der modernen Entzweiung als eine Diagnose der Gleichgültigkeit und des Herrschaftscharakters der Verhältnisse der modernen Welt angesehen wird. Die Zusammenhänge zwischen Hegels Modernitätsdiagnose und diesen beiden Aspekten einer Kritik, bei welcher es um (Un-)Freiheit und (Un-) Gleichheit geht, gilt es nun zunächst deutlich zu machen. Die Aufgabe des ersten Teils dieser Untersuchung ist also folgende: Nach einer Darstellung von Hegels früher Modernitätsdiagnose als Kritik an der Gleichgültigkeit und der Herrschaft der modernen Verhältnisse (1.) werde ich zunächst die Kritik an den modernen, für Hegel abstrakten Begriffen der Freiheit und der Gleichheit, wie sie vor allem im Naturrechtsaufsatz erscheint, als durch diese beiden Folgen der Entzweiung bestimmt darstellen (2.); danach werde ich erläutern, inwiefern Hegels Modernitätsdiagnose als eine Kritik an der Unfreiheit und Ungleichheit der modernen Welt gedeutet werden kann (3.); dies wird wiederum durch die Einsicht möglich, dass Gleichgültigkeit als Unfreiheit und Herrschaft als Ungleichheit gedeutet werden können.
1. Hegels Modernitätsdiagnose: Entzweiung, Gleichgültigkeit und Herrschaft
Die Frage nach den Entzweiungen der modernen Welt und die entsprechende Frage nach einer diese Entzweiungen überwindenden (bzw. aufhebenden) Einheit kann möglicherweise nicht nur als Hegels zentrale, sondern auch als seine ursprünglichste Fragestellung angesehen werden. Ein Einblick in Hegels erste Modernitätsdiagnose und ihre Entwicklung bis zu seiner reiferen Kritik der modernen Welt, wie sie schon in seinen Jenaer Schriften erscheint, wird die zentralen Züge dieser Frage und deren Ursprung ersichtlich machen. Dies wird hier in drei Etappen dargestellt: (a) Hegels erste Zeitkritik, (b) seine Modernitätsdiagnose ab seiner Frankfurter Zeit und (c) die Hauptzüge ihrer Entwicklung in Jena; abschließend (d) wird eine nähere Deutung der beiden Aspekte von Hegels Entzweiungskritik unternommen, die aus diesen Erläuterungen hervorgehen werden: der Gleichgültigkeit und der Herrschaft.
a) Hegels frühe Kritik an Abstraktion Erste Anzeichen einer Kritik, die im Zusammenhang mit der Diagnose einer Entzweiung in der modernen Welt steht, gibt es bereits in den Schriften aus 24
HEGELS MODERNITÄTSDIAGNOSE
Hegels Tübinger und frühen Berner Zeit.1 Bereits hier wird eine Kritik an gewissen Aspekten der Religion und der Gesellschaft seiner Zeit ersichtlich, die in diesem Sinne gedeutet werden kann: Hegels Kritik in diesen Schriften wendet sich gegen die Abstraktion, die er in den Verhältnissen seiner Zeit sieht, und den Anspruch solcher abstrakten Verhältnisse, durch eine dem Individuum äußerliche Autorität eine Wirkung erreichen zu wollen. Hegels Thema hier scheint zwar zunächst begrenzter zu sein als eine allgemeine Zeitkritik: In seinen Schriften aus dieser Zeit widmet sich der damalige Theologiestudent hauptsächlich der Frage nach der praktischen Bedeutung der Religion auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene. Allerdings wird bald erkennbar, inwiefern Hegels Auseinandersetzung mit dieser Frage eine Kritik an dem abstrakten Charakter der Verhältnisse der Zeit im Allgemeinen enthält und inwiefern diese frühe Abstraktionskritik wiederum als eine umfassendere Modernitätskritik aufgefasst werden kann, als es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Im Kontext der Frage nach der praktischen Bedeutung der Religion ist zunächst eine gegen verschiedene unmittelbare Gegner gerichtete Kritik wahrzunehmen: als erstes gegen die religiöse Tradition, wie sie Hegel in seiner Zeit am Tübinger Stift kennen lernte,2 aber auch gegen etwas, was Hegel in diesen Texten die »Aufklärung des Verstandes« nennt (W 1 204). Der Kern seiner Kritik ist hier die Auffassung, dass von objektivierten Geboten bzw. praktischen Anleitungen, welche dem Subjekt von außen her aufgedrängt werden – wie jene, die Hegel in dieser religiösen Tradition und in der »Aufklärung des Verstandes« sieht – keine praktische Wirkung zu erwarten sei; eine solche Wirkung sei vielmehr von Kontexten zu erwarten, die eine auch das Individuum umfassende ganzheitliche Harmonie besitzen sollten. Während die objektivierten Gebote als abstrakte Gebote und als Totes verstanden werden, werden jene Zusammenhänge, die eine solche Harmonie
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Als Hegels »Tübinger und frühe Berner Schriften« bezeichne ich v.a. jene Schriften, die in der Zeit um Hegels Umzug von Tübingen nach Bern verfasst und von Herman Nohl als Fragmente zu »Volksreligion und Christentum« veröffentlicht worden sind. Vgl. Herman Nohl (Hg.): Hegels theologische Jugendschriften. Tübingen: Mohr 1907, S. 1-71. Zur Chronologie der frühen Schriften vgl. Gisela Schüler: »Zur Chronologie von Hegels Jugendschriften«, in: Hegel-Studien 2 (1963), S. 111-159. Die Erläuterungen zu den frühen Schriften Hegels in diesem und den nächsten Kapiteln dieses Buches stützen sich teilweise auf die Ergebnisse meiner eigenen Untersuchung: Verf.: Leben und Zeitkritik in Hegels frühen Schriften, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2005. Vgl. dazu Dieter Henrich: Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart: Klett-Cotta, 1991; sowie ders. »Hegel und Hölderin« und »Historische Voraussetzungen von Hegels System«, in: ders.: +HJHOLP.RQWH[W, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1971. S. 9-40 bzw. 41-72. 25
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
aufweisen sollen, als etwas Lebendiges aufgefasst. Eine solche ganzheitliche, lebendige Harmonie bestand für Hegel in der griechischen Polis, die besonders in diesen frühen Texten zugleich als verlorenes Ideal und als normativer Maßstab der Kritik gilt: Die Polis war für ihn durch eine Harmonie gekennzeichnet, in der – so lässt sich aus diesen Darstellungen schließen – Sinnlichkeit und Vernunft, Individuum, Gesellschaft und Natur in einem »Band zusammenverÀRFKWHQ« (W 1 42) gewesen seien. Mit dem Untergang der griechischen Polis sei diese Harmonie verloren gegangen und offenbar – zumindest was die Religion betrifft – eine »Scheidewand zwischen Leben und Lehre« (W 1 41) entstanden. Als eine Möglichkeit, einen solchen harmonischen Kontext wieder herzustellen, betrachtet Hegel im Rahmen seiner frühen Religionskritik die Förderung einer von Rousseaus religion civile3 inspirierten Volksreligion,4 in welcher auch der subjektive Aspekt der Religion zur Geltung kommen sollte – wobei mit subjektiv hier die der objektiven Religion entgegengesetzte Konzeption einer subjektiven Religion gemeint ist.5 Es lässt sich aus diesen Schriften entnehmen, dass diese Konzeption sowohl die Vorstellung einer von Kant inspirierten, dem Fetischglauben entgegengesetzten Vernunftreligion6 als auch die einer Religionsform, die auch sinnlich sein soll, umfasst.7 Wichtig für Hegels Modernitätsdiagnose ist allerdings weniger dieser Lösungsversuch als der Sinn seiner Kritik selbst: Der Verlust jenes Bandes, das Hegel ursprünglich in der lebendigen Harmonie der Polis sah und welches alle Bereiche sowohl des gemeinsamen als auch des individuellen Lebens umfasste, Siehe hierzu Jean-Jacques Rousseau: Du Contrat Social, in: ders.: Oeuvres Complètes, Gagnebin, B./Raymond, M. (Hg.) Bd. III, Paris: Gallimard 1964 (insbes. Livre 4). Die Bedeutung Rousseaus für den jungen Hegel ist bekannt und in verschiedenen Kontexten bemerkbar. S. dazu: Dieter Henrich: »Leutwein über Hegel. Ein Dokument zu Hegels Biographie«, in: Hegel-Studien 3 (1965), S. 35-77; und Hans-Friedrich Fulda/Otto Pöggeler: Rousseau, die Revolution und der junge Hegel, Stuttgart: Klett-Cotta 1991. 4 Vgl. W 1 42: »[...] den Geist des Volkes zu bilden ist zum Teil auch Sache der Volksreligion, zum Teil der politischen Verhältnisse«. =XP 8UVSUXQJ GHU EHJULIÀLFKHQ 8QWHUVFKHLGXQJ ]ZLVFKHQ REMHNWLYHU XQG VXEjektiver Religion bereits in der traditionellen Dogmatik s. GW 1, S. 557, Anmerkung 75, 3. 6 Als »reine« Vernunftreligion ist hier eine Religion gemeint, »die Gott im Geist und in der Wahrheit anbetet, und seinen Dienst nur in die Tugend setzt« (W 1 28). Zur Kants Religionsschrift entnommenen Entgegensetzung zwischen Vernunftreligion und Fetischglauben vgl. Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (in Band VI der AA). Kants Werke werden hier nach der Akademie-Ausgabe (AA) zitiert: I. Kant: Kants Gesammelte Schriften herausgegeben von der Königlich Preuȕischen Akademie der Wissenschaften. Berlin: 1900ff.. 7 Vgl. W 1 12: »Bei sinnlichen Menschen ist auch die Religion sinnlich, – die religiösen Triebfedern zum Guthandeln müssen sinnliche seyn, um auf die Sinnlichkeit wirken zu können [...].«
3
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HEGELS MODERNITÄTSDIAGNOSE
steht also nicht nur am Ursprung des Abstraktwerdens der modernen Verhältnisse, sondern muss offenbar auch wortsinngemäss als der Abstraktionsprozess selbst verstanden werden, durch den die moderne Welt entstanden ist: der Pro]HVVGHU$XÀ|VXQJHLQHVXUVSUQJOLFKHQDOOH9HUKlOWQLVVHGHV/HEHQVXPIDVVHQden sittlichen Zusammenhangs. Als Folge sind die derart abstrakt gewordenen Verhältnisse einerseits durch einen Mangel an Bedeutung für und Wirkung auf das individuelle Leben gekennzeichnet – wie sich am Bestehen einer »Scheidewand zwischen Leben und Lehre« (W 1 41) erkennen lässt – und andererseits dadurch, dass sie in ihren Bezügen zum individuellen Leben einen Zwangscharakter aufweisen, der sich daran zeigt, dass sie sich dem Individuum als etwas Äußerliches aufdrängen. Diese zwei Aspekte der Folgen jenes Abstraktionsprozesses werde ich im Rahmen unserer Untersuchung – teilweise Hegels eigene Bezeichnung antizipierend, und in Anlehnung an andere Interpretationen8 – jeweils als Gleichgültigkeit und Herrschaft bezeichnen. Es ist im Grunde diese erste Kritik an der Abstraktion, die auch Hegels spätere Darstellungen seiner Modernitätsdiagnose als Kritik an der Entzweiung durchziehen wird. Inwiefern Gleichgültigkeit und Herrschaft bereits hier die beiden Aspekte der hegelschen Deutung der modernen Welt darstellen, wird bei einer näheren Betrachtung von Hegels Kritik deutlicher. Schon seine Kritik an der objektiven Religion umfasst mehr als die bloße Kritik an der Religion selbst: Sie richtet sich eigentlich gegen alle gesellschaftlich, religiös und ethisch relevanten Sachverhalte, die aus dem Verlust der Harmonie der Polis hervorgingen; und sie lässt an jedem der kritisierten Sachverhalte erkennen, inwiefern sich diese als gleichgültige, weil eben als bedeutungs- und wirkungslos für das individuelle Leben, verstehen lassen. So manifestiert sich der Verlust des ganzheitlichen harmonischen Kontextes der Polis nicht nur im abstrakten Charakter der objektiven Religion, sondern auch im »Räsonnement« und im »kalte[n] Nachdenken« der Aufklärung (vgl. W 1 24):9 Die Gleichgültigkeit zeigt sich hier LP 9HUKlOWQLV HLQHV DEVWUDNW NODVVL¿]LHUHQGHQ 9HUVWDQGHV VRZRKO ]XU GLHVHP Verstand gleichgültig gewordenen Mannigfaltigkeit der äußeren Natur10 als auch zur – ihm ebenfalls gleichgültigen – Komplexität der »inneren«.11 Und es zeigt sich auch deutlich, inwiefern sich diese erste Abstraktionskritik mit einer Vgl. v.a. Michael Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt./M.: Suhrkamp 1980, v.a. S. 25ff. 'LH%HUHFKQXQJGHV9HUVWDQGHVZLUGZHJHQLKUHU8QIlKLJNHLWNULWLVLHUWª(LQÀX aufs Leben« zu haben (vgl. W 1 21), und es gibt nach Hegel kalte Überzeugungen, »die niemals ins wahre Leben gebracht werden« können (W 1 36). 10 Das ergibt sich aus vielen Ausführungen dieser Schriften. Vgl. z.B. W 1 14. 11 Vgl. gegen die Gleichgültigkeit W 1 11: »So genau in einem System der Moral reine Moralität von Sinnlichkeit in abstracto gesondert werden muß, so sehr diese unter jene erniedrigt wird, – so sehr müssen wir bei Betrachtung des Menschen überhaupt und seines Lebens seine Sinnlichkeit, seine Abhängigkeit von der äußeren und inneren Natur – von dem, was ihn umgibt und in dem er lebt, 8
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Kritik am Herrschaftscharakter der abstrakt gewordenen Verhältnisse verbindet: Nicht nur steht Hegels frühe Kritik an der objektiven Religion, wie gesehen, ausdrücklich gegen den Anspruch, durch äußere Autorität eine praktische Wirkung erzielen zu wollen, sondern diese Herrschaftsdimension wird auch an seiner Kritik am »Wirkenwollen durch Verstand« der Aufklärung (W 1 21) sichtbar, dessen »Operationen« und »Zweifeln« »das Herz mehr erkalten als wärmen« (vgl. W 1 19). Diese erste Kritik an der Objektivität von zunächst religiösen Lehren wird in Hegels Berner Positivitätskritik fortgesetzt. Zwar ist in den Schriften im Umkreis der Positivitätsschrift – und noch stärker in der kurz davor verfassten Schrift Das Leben Jesu – eine offensichtliche Akzentverschiebung mit Bezug auf die früheren Texte zu bemerken, die bekanntlich gewöhnlich Anlass gibt, im Berner Hegel einen Kantianer zu sehen;12 der Zusammenhang mit der früheren Kritik ist aber auch in diesem veränderten Kontext auffallend. Die Schrift Die Positivität der christlichen Religion (W 1 104ff.) ist die zentrale Arbeit aus Hegels Berner Zeit. In dieser Schrift scheint seine Kritik enger an der Religion orientiert zu sein als in jenen ersten Fragmenten: Hier will Hegel die Gründe bestimmen, »durch welche es möglich geworden, daß man frühzeitig christliche Religion als Tugendreligion verkennen, sie anfangs zu einer Sekte und nachher zu einem positiven Glauben machen konnte« (W 1 109). Als »positiven Glauben« bezeichnet Hegel einen »auf Autorität gegründete[n] und den Wert des Menschen gar nicht oder wenigstens nicht allein in Moral setzende[n]« Glauben (W 1 107). Mit der Positivität der christlichen Religion kritisiert Hegel also den zeitgenössischen Zustand der christlichen Religion, die, ursprünglich eine Tugendreligion, zu einem positiven Glauben geworden sei; so ist auch die Positivitätskritik die Geschichte des Verlustes einer ursprünglich zumindest möglichen Harmonie – die hier zwar hauptsächlich mit dem ursprünglichen Christentum, aber teilweise auch noch mit der antiken Polis in Verbindung gebracht wird –, der in einen Zustand der Abstraktion mündete. Wie schon der objektiven Religion, wird nun auch der positiv gewordenen christlichen Religion die Konzeption der subjektiven Religion entgegengesetzt; diese wird in den zentralen Berner Texten aber als Tugendreligion enger und der Konzeption der Vernunftreligion näher stehend gefasst als in den früheren
und von den sinnlichen Neigungen und dem blinden Instinkt vorzüglich in Anschlag bringen.« 12 Hegels Berner Schriften werden in der Forschung als stark durch Kant geprägt angesehen. Zum Verhältnis des jungen Hegel zu Kant s. z.B. Adrian Peperzak,: Le jeune Hegel et la vision morale du monde, La Haye: M. Nijhoof 1960; Ingtraud Görland: Die Kantkritik des jungen Hegel, Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann 1966; sowie Martin Bondeli: Der Kantismus des jungen Hegel. Die Kant-Aneignung und Kant-Überwindung Hegels auf seinem Weg zum philosophischen System, Hamburg: Meiner 1997. 28
HEGELS MODERNITÄTSDIAGNOSE
Fragmenten. So zeigt sich hier eine deutlich stärkere Betonung des im engeren Sinne individuell Subjektiven als desjenigen, was sich dem Positiven normativ entgegensetzt; nicht zufällig ist auch die Bedeutung der Sinnlichkeit und des umfassenden politischen Aspekts der rousseauistisch inspirierten Volksreligion hier kaum noch präsent. Relevant für unsere Fragestellung ist aber, dass hier die Kritik an der Objektivität – im obigen Sinne – der nach Hegel positiv gewordenen christlichen Religion noch deutlicher wahrnehmbar ist als vorher. Die gesamte Kritik an Positivität zielt gerade auf jene Aspekte der Abstraktion, die in seinen ersten Schriften erkennbar wurden: die Distanz, also Gleichgültigkeit des positivierten Glaubens gegenüber dem Individuum, und seine Wirkung durch Autorität, also Herrschaft. Insofern bleiben in der Berner Kritik trotz aller Akzentverschiebung im Grunde dieselben Motive im Zentrum der Kritik, die schon vorher für Hegel von Bedeutung waren: die Äußerlichkeit und der Zwangscharakter der fremd gewordenen positivierten Gehalte der Religion, die im Mittelpunkt seiner ersten Zeitkritik stehen. Zu dieser Kritik an Objektivität wird in Hegels Frankfurter Schriften eine Kritik an Subjektivität hinzukommen, die Hegels Modernitätsdiagnose einen neuen Charakter verleihen wird.
b) Von der Abstraktion zur Entzweiung Obwohl die allgemeine Bedeutung von Hegels Modernitätskritik bereits in seinen Tübinger und Berner Schriften erkennbar ist, wird sich die Weise, wie Hegel diese Kritik versteht, im Laufe seiner Entwicklung deutlich verändern. Von einer relativ unpräzisen Kritik an den abstrakten Verhältnissen der Zeit (in welcher die Entzweiung als Begriff gar nicht explizit auftaucht) wird sich einerseits seine Kritik an Abstraktion immer deutlicher als Kritik an der modernen Entzweiung selbst zeigen und andererseits wird die Bedeutung deren beider Folgen, der Gleichgültigkeit und Herrschaft der modernen Verhältnisse, immer deutlicher erkennbar. Den Hauptzug dieser Entwicklung bildet der Wandel von einer Kritik an Objektivität hin zu einer Kritik an Objektivität und Subjektivität, und somit an dem neuzeitlichen Auseinanderhalten beider, die sich in den ersten Schriften seiner Frankfurter Zeit zum ersten Mal abzeichnet; damit verdeutlicht sich, inwiefern der Abstraktionsprozess, der am Ursprung der modernen Welt stand, nun als Entzweiung verstanden wird. Der Hinweis auf eine »abrupte Wandlung«LQ+HJHOVEHJULIÀLFKHU(QWZLFNlung am Anfang seiner Frankfurter Periode geht auf Dieter Henrich zurück;13 mit dieser »Wandlung« werden einige Aspekte seiner ersten Kritik wieder aufgegriffen und der relative Kantianismus seiner Berner Jahre eindeutig über13 Vgl. Dieter Henrich: »Hegel und Hölderlin«, in: ders., +HJHOLP.RQWH[W, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1971, S. 24. 29
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wunden. Es ist in der Hegelforschung hauptsächlich aufgrund der Untersuchungen Henrichs zur Frühromantik und zum Idealismus bekannt, dass Hegel mit seiner Übersiedelung von Bern nach Frankfurt 1797 in Kontakt mit Hölderlins Vereinigungsphilosophie und den Diskussionen in dessen Freundeskreis getreten ist.14 Damit nimmt Hegels bis dahin in praktischer Absicht geführte Auseinandersetzung mit der Religion einen metaphysischen Charakter an, den sie vorher nicht besaß und der sich in der Konzeption eines allem zugrunde liegenden Seins niederschlägt. In Zusammenhang mit dem Gedanken eines solchen Seins steht der Begriff des Lebens, der, zunächst in Verbindung mit dem Begriff der Liebe, nach und nach die normative Stellung einnimmt, welche in den ersten Schriften die lebendige Sittlichkeit der Polis besaß. Die Frage nach der Positivität der christlichen Religion wird nun hauptsächlich als die Frage behandelt, die Hegel an das Schicksal des ursprünglich lebendigen Geistes des Christentums richtet. In diesem Kontext ändert sich in Frankfurt auch seine Deutung der Gründe, die ihn zur Positivitätskritik führten. Bereits im ersten bekannten Fragment der Frankfurter Zeit, in dem eine Schwerpunktverschiebung ersichtlich wird – dem Fragment Moralität, Liebe, Religion (W 1 239ff.) –, fällt ein Gedanke auf, der auf eine deutliche Änderung auch in Hegels Konzeption von Subjektivität und Positivität hinweist: Neben der Abhängigkeit von einem Objekt – »von einem Objekte abzuhängen« (W 1 241) –, die offensichtlich mit der in Bern behandelten Positivität und somit mit der ersten Kritik an Abstraktion und Objektivität in Zusammenhang steht, erscheint nun zum ersten Mal deren Gegenteil: die »Furcht vor Vereinigung, die höchste Subjektivität« (W 1 241), und zwar als etwas gleichermaßen Abzulehnendes wie die Positivität. Diese »höchste Subjektivität« wird hier als »die Objekte [zu] fürchten, die Flucht vor ihnen« (W 1 241) gekennzeichnet, sodass nun Subjektivität und Positivität als zwei entgegengesetzte Formen von Abhängigkeit erscheinen. Im Rahmen der Auseinandersetzung Hegels mit den Verhältnissen seiner Zeit ist dies offenbar als ein Anzeichen der Einsicht in die Tatsache zu interpretieren, dass die Objektivierung der (moralischen, gesellschaftlichen usw.) Verhältnisse, die in der Auffassung der Positivität erschienen war, einen Kontrapunkt in einer gleichzeitigen »Subjektivierung« hatte. Insofern der Abstraktionsprozess, durch welchen die Lebendigkeit der Antike verloren gegangen war, im Zusammenhang mit der Entstehung solcher positivierten Verhältnisse stand, lässt sich daran eine Vertiefung des Verständnisses derselben festmachen: Hier wird für Hegel ersichtlich, dass dieselben Äußerlichkeitsverhältnisse, die vom Standpunkt des individuellen Subjekts aus als die Entstehung von Positivität erschienen, vom Standpunkt der gesellschaftlichen, objektiven, Verhältnisse aus umgekehrt als die Entstehung von Subjektivität zu deuten wa14 Vgl. v.a. Henrich, ebd., S. 9ff. 30
HEGELS MODERNITÄTSDIAGNOSE
ren: als Isolierung, Entfernung und relativer Bezugsverlust der individuellen Subjekte zum gesellschaftlichen Zusammenhang – und umgekehrt. Im Rahmen dieser veränderten Perspektive fokussiert sich Hegels Kritik nun in einer Entgegensetzung der modernen Verhältnisse – die er hier vor allem mit seiner Deutung des Judentums15 und der zeitgenössischen Lage der christlichen Religion verbindet – zu dem Leben, das er im ursprünglichen Geist des Christentums zu erkennen glaubt. So erscheint in den Schriften zum Geist GHV-XGHQWXPVGLH/DJHLQGHUVLFKGLH]HLWJHQ|VVLVFKH:HOWEH¿QGH]XPHUVten Mal ausdrücklich als Folge einer Entzweiung mit der Natur (N 368), die mit der »noahische[n] Flut« geschehen sei und als ein »tief[es] Zerreißen« (ebd.), eine Zerstörung der ursprünglichen Einheit mit der Natur interpretiert wird, die auch noch als der Moment des Verlustes eines – offenbar rousseauistisch wertpositiv aufgefassten – Naturzustands zu deuten wäre (vgl. W 1 274). Besonders bedeutsam sei allerdings für diese Deutung eine zweite Entzweiung gewesen, die Abraham – der »Stammvater der Juden« (W 1 274) – vollzogen habe: Durch das Verlassen seines Vaterlandes (vgl. W 1 277) habe eine weitere »Trennung« stattgefunden, welche »die Bande des Zusammenlebens und der Liebe zerreißt« (ebd.). Laut Hegel hätte der Geist des Christentums auf diese Lage eine Antwort geben können – was allerdings schließlich misslungen sei, sodass auch im zeitgenössischen Christentum Religion »nie zum vollständigen Leben werden« könne (vgl. W 1 417). So erscheine der christliche Gott, wie auch schon – nach Hegels Deutung – der jüdische, als ein »fremdes, entferntes, unerreichbares Objekt«, der »über aller Himmel Himmel, über aller Verbindung Angehören erhaben, über aller Natur schwebend übermächtig sei« (W 1 426). +LHU ZLUG DOVR GHU 3UR]HVV GHU $XÀ|VXQJ HLQHV XQPLWWHOEDUHQ VLWWOLFKHQ Kontextes von Hegel ausdrücklich in Zusammenhang mit einer Entzweiung gestellt: sowohl von der Natur als auch hinsichtlich des Bandes »des Zusammenlebens und der Liebe« im Vaterland. Damit wird offensichtlich, wie Äußerlichkeit und Abstraktion mit diesem Abstraktionsprozess – den Hegel auch noch mit der 5HÀH[LRQ verbindet (vgl. W 1 371)16 – selbst zusammenhängen: Für das Individuum hat dieser Abstraktionsprozess – also die Entzweiung zwischen dem Individuum und seinem (Lebens-)Kontext – die Bedeutung, dass es sich aus der harmonischen Selbstverständlichkeit des unmittelbaren Bezugs seines Lebens
15 Zu Hegels Bild des Judentums vgl. Hermann Greive: »Fortschritt und Diskriminierung. Juden und Judentum bei Georg Wilhem Friedrich Hegel und Franz Joseph Molitor«. In: Christoph Jamme/Otto Pöggeler.: Homburg von der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis um Hegel und Hölderlin. Stuttgart: Klett-Cotta 1981, S. 300-317. 16 Manfred Baum weist darauf hin, dass zu dieser Zeit 5HÀH[LRQ auch einfach als Trennung verstanden wurde – z.B. von Isaak von Sinclair, der wie Hegel Hölderlins Freundeskreis angehörte. Vgl. Manfred Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn: Bouvier 1986, S. 44. 31
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zum gesellschaftlichen (und für Hegel auch darüber hinausgehenden) Leben des Ganzen löst; von der Seite des Ganzen her gesehen, ist dies offenbar als der relative Verlust des Bezugs des Ganzen zu seinen einzelnen Teilen zu verstehen – ein Bezugsverlust, der die gesamten Verhältnisse der modernen Welt erfasst. In Verbindung mit dieser Deutung der Entzweiung sind in Hegels Frankfurter Schriften eindeutig verschiedene Ebenen einer Zeitkritik auch jenseits der offensichtlicheren Kritik am Zustand der christlichen Religion zu erkennen – einer Zeitkritik, die sich noch einmal eindeutig auf die Diagnose des gleichgültigen, weil abstrakten Charakters der modernen Verhältnisse insgesamt wie auch des Herrschaftscharakters dieser Verhältnisse selbst stützt. Wie ansatzweise schon seine ursprüngliche Tübinger und Berner Kritik, erstreckt sich Hegels Diagnose der Gleichgültigkeit und Herrschaft der modernen Verhältnisse in seinen Frankfurter Schriften auf all jene abstrakten Sachverhalte, die durch die moderne Entzweiung als gegenseitige, mit Autorität verbundene, Distanzierung zwischen Subjekt und Objekt gekennzeichnet sind, welche – nach Hegels nunmehrigem Verständnis – durch das Christentum eine Lösung IU GDV =HUULVVHQVHLQ KlWWH ¿QGHQ N|QQHQ DXI DOOH UHOHYDQWHQ HWKLVFKJHVHOOschaftlichen Verhältnisse, wie auch das Verhältnis zur Natur und zum – auch metaphysisch gemeinten – Leben als Ganzem. 17 So sind solche Folgen der Entzweiung zum Beispiel im Rahmen jener Kritik zu erkennen, die Hegel gegenüber den Konzeptionen der Moralität äußerte, welche er einerseits noch mit dem Judentum, andererseits vor allem mit dem Kantianismus verband und die mit einem besonders abstrakten Verhältnis zwischen subjektiver Moralität und dem Leben des Menschen zusammenhingen: Da richtet sich die Kritik gegen eine Art von Moralität, die nicht das Ganze des Individuums berücksichtigte, sondern eine Unterwerfung der Sinnlichkeit bedeutete (vgl. etwa W 1 323). Auch eine Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit wurde im Rahmen der Kritik am abstrakten Charakter von Gesetzen in der Schrift zum Geist des Christentums sichtbar: In der hier erkennbaren Gegenüberstellung zweier Formen von Gerechtigkeit äußert sich eine Kritik, die sich gegen das abstrakte Verhältnis zwischen dem Individuum und einer ihm äußerlichen Gerechtigkeitskonzeption richtet, und in der Auffassung der Strafe als etwas das individuelle Verbrechen äußerlich Unterdrückendes – das den Verbrecher nicht wieder in das Ganze des Lebens integriert, wie es eine als Schicksal konzipierte Bestrafung tun würde – zeigt sich auch die herrschaftskritische Dimension dieser Kritik (vgl. W 1 338ff.). Darüber hinaus wird in Hegels politischen Schriften eine Kritik am politischen Zustand Deutschlands deutlich, welche die Distanz und Äußerlichkeit zwischen der deutschen Verfassung und dem Geist der Zeit und somit deren abstraktes Verhältnis zueinander beanstandet, das sich in einem (deutschen) Staat manifestiere, aus dem der 17 Zu dieser Zeitkritik vgl. Verf., ebd. 32
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ª*HLVWHQWÀRKHQ©: VHLXQGPLWHLQHUbloß äußerlichen Autorität verbunden bleibe (vgl. W 1 451ff.). Auch ist eine Kritik nicht zu übersehen, die seit den ersten Frankfurter Jahren die Äußerlichkeit – d.h. den abstrakten Charakter – des Verhältnisses zwischen Subjektivität und äußerer Natur zur Voraussetzung hatte und in einer Wahrnehmung der Natur als von etwas, das es zu beherrschen gilt, mündete (vgl. W 1 242).18 Und schließlich ist auch das Verhältnis zwischen Subjektivität und jenem »fremde[n], entfernte[n], unerreichbare[n] Objekt« Gott (W 1 426) als Folge der gegenseitigen Distanzierung im Rahmen der modernen Entzweiung zu deuten; der Herrschaftscharakter auch dieser Beziehung erscheint als Folge dessen, dass das Leben des Ganzen schließlich mit einer Gottesauffassung gleichgesetzt wird, in der Gott, wie bereits zitiert, als eine »über aller Natur schwebend übermächtig[e]« (W 1 426 [Hervorhebung von mir – MMSM]), $QJVWHLQÀ|HQGHIUHPGH0DFKWYHUVWDQGHQZLUG Auffallend ist an all diesen Aspekten der Kritik Hegels auch, dass die Kritik an Herrschaft, die bis dahin in Verbindung mit einer Kritik an Positivität und insofern an dem potenziell herrschaftsbeladenen Charakter der dem Individuum äußerlichen Objektivität stand, nun ausdrücklich zugleich als Kritik an der neuzeitlichen Subjektivität erscheint: Beide Pole der Beziehung zwischen Objektivität und Subjektivität sind nach Hegels Verständnis nun potenziell mit Herrschaft verbunden. Zeigt sich im Verhältnis zwischen der Auffassung von Gott, der Konzeption von Gerechtigkeit und dem (deutschen) Staat zum Leben des Menschen die Herrschaft auf der Seite des Objektiven – d.h. auf der Seite Gottes, der Gerechtigkeit und des »geistlosen« Staates –, so wird Herrschaft noch deutlicher im Fall der Moralität und des Verhältnisses zur Natur seitens einer gegenüber innerer und äußerer Natur fremd gewordenen Subjektivität – sodass nicht zu Unrecht von einer »Dialektik der Aufklärung« beim frühen Hegel gesprochen wird.19
c) Entzweiung, Gleichgültigkeit und Herrschaft Nun wird diese Interpretation der modernen Welt als einer Welt der Entzweiung, die von Gleichgültigkeit und Herrschaft geprägt ist, im Rahmen von He18 Der Bezug zur äußeren Natur wird sich ab dem Naturrechtsaufsatz – wo »der Geist« zum ersten Mal als »höher« als »die Natur« erscheint (vgl. W 2 503) – allerdings ändern. 19 Zur »Dialektik der Aufklärung« in Hegels frühen Schriften vgl. Christoph Jamme: »Jedes Lieblose ist Gewalt. Der junge Hegel, Hölderlin und die Dialektik der Aufklärung«, in: ders./Helmut Schneider (Hg.): Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel, Frankfurt: Suhrkamp 1990, S. 130-170; sowie: ders.: »Aufklärung via Mythologie. Zum Zusammenhang von Naturbeherrschung und Naturfrömmigkeit um 1800«. In: Christoph Jamme/Gerhard Kurz: Idealismus und Aufklärung. Kontinuität und Kritik der Aufklärung in Philosophie und Poesie um 1800. Stuttgart: Klett-Cotta 1988, 35-58. 33
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gels Jenaer Schriften in der paradigmatischen Weise erscheinen, die Hegels Deutung der modernen Welt bekannt gemacht hat. Hegels Jenaer Zeit ist – noch mehr als seine Frankfurter Jahre – bekanntlich die Periode seiner Bildung, die ihn endgültig zu dem machte, der er wurde. Anstatt dass eine Lösung für die Entzweiungen der Zeit in der Religion oder im metaphysischen Sein des Lebens gesucht wird, tritt nun die Philosophie als jene Kraft auf, die in der Lage sein soll, die mögliche Überwindung dieser Entzweiungen zu erreichen. Dies wird bereits in Hegels erster philosophischer Veröffentlichung ersichtlich, der 1801 erschienenen Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (W 2 9ff.): Die bekannte Feststellung über das »Bedürfnis der Philosophie«, die am Anfang dieser Schrift steht, ist ja eine Folge seiner Einsicht in jenen Zustand der Welt, den er bereits in Frankfurt ansatzweise als einen Zustand der Entzweiung gekennzeichnet hatte; und schon in der Differenzschrift wird deutlich, dass Hegel nun die »Überwindung« dieser Entzweiung durch die Philosophie – die ab Jena immer deutlicher als die Hegelsche Aufhebung zu interpretieren sein wird – als ein Bedürfnis »der« Philosophie im doppelten Sinn des Ausdrucks deuten wird: sowohl als ein Bedürfnis der an sich entzweiten Philosophie der Zeit selbst wie auch als ein Bedürfnis der entzweiten modernen Zeit nach Philosophie. So wird Hegel die Frage nach der Entzweiung nun sowohl auf der Ebene des »Zustandes der Zeit« selbst als auch auf der des Zustandes der Philosophien dieser Zeit behandeln. Während sich aber in der Differenzschrift Hegels Kritik vor allem gegen die Philosophie Fichtes (und Reinholds) richtet, behandelt er dieselbe Frage in der 1802 erschienenen Schrift Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften (W 2 434ff.) in einem Kontext, der seine Zeitkritik ersichtlicher macht. Zwar äußert Hegel hier seine Zeitkritik zunächst im Rahmen seiner Kritik an den Philosophien dieser Zeit, d.h. hier an den »unechten« Behandlungsarten des Naturrechts, aber auf eine für die Frage nach seiner Zeitkritik aufschlussreichere Weise. Aufgrund der Thematik dieser Schrift ist der Zusammenhang der Kritik an den Philosophien der Zeit mit den Bedingungen der Zeit selbst leichter erkennbar als etwa in der Differenzschrift: Hegel macht hier selbst – in einigen Bemerkungen, die man methodologisch nennen könnte – auch auf den Zusammenhang zwischen dem »ideellen Spiegel der Wissenschaft« und dem »empirischen Zustande der Welt« (W 2 438) besonders deutlich aufmerksam.20 So wird in Hegels Kritik an den unechten
20 Das hängt für Hegel mit der Bedeutung des Sittlichen zusammen. Vgl. W 2 438: »[...] so wird in dem Zusammenhang aller Dinge das empirische Dasein und der Zustand aller Wissenschaft zwar ebenfalls den Zustand der Welt ausdrücken, aber am nächsten der Zustand des Naturrechts, weil es unmittelbar sich auf das Sittliche, den Beweger aller menschlichen Dinge bezieht [...]«. 34
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wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts seine Kritik, deutlicher als in anderen Schriften der Jenaer Zeit, in einen engen Zusammenhang mit dem Zustand der Welt selbst gestellt (wovon ja die »Behandlungsarten des Naturrechts« auch Ausdruck sind). Hegels Thema im Naturrechtsaufsatz sind, wie der Titel ankündigt, »die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften.« Bevor er aber seine eigene Auffassung von Naturrecht darstellt, die hier als »echte« Behandlungsart gilt, widmet er sich den beiden »wissenschaftlichen Behandlungsarten« desselben, die er als »unecht« kennzeichnet: der »empirischen« und der »rein-formellen«. Im Zusammenhang mit Hegels Kritik an diesen »unechten« »wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts« zeigt sich mehr oder weniger explizit seine Zeitkritik noch einmal in Verbindung mit einer geschichtlichen Deutung, die von den negativen Folgen des Untergangs der griechischen Polis ausgeht und, wie bereits in früheren Schriften, die gesellschaftlichen Verhältnisse im römischen Reich denen der modernen Welt implizit gleichsetzt. Seine Kritik an der modernen Welt im Naturrechtsaufsatz kann – die Schilderung der beiden unechten Behandlungsarten des Naturrechts relativ frei zusammenfassend – folgendermaßen dargestellt werden: Nach dem Untergang der substanziellen Sittlichkeit, die Hegel mit der griechischen Polis gleichsetzt – und die auch noch in diesem Kontext als normativer Maßstab der Kritik fungiert – sei die Gesellschaft zu »einer formlosen und äußeren Harmonie« (W 2 447) von zu isolierten Atomen zersplitterten Individuen verkommen und werde lediglich noch durch etwas »nur über die Vielheit Schwebendes, nicht sie Durchdringendes« (W 2 448) wie das Recht zusammengehalten. Diese gesellschaftliche Form wird als Rechtszustand bezeichnet und geschichtlich zunächst an der Entstehung des römischen Reiches festgemacht, das hier für Hegel, wie erwähnt, einen gewissermaßen modernen Charakter annimmt (vgl. W 2 492). Nach der im Naturrechtsaufsatz enthaltenen Darstellung hängt der Verfall der Polissittlichkeit zu einem solchen von Zersplitterung gekennzeichneten Rechtszustand mit dem Verlust der öffentlichen Tugenden zusammen, die für die Polis unentbehrlich waren, und wird als Prozess einer formellen Anpassung verstanden: der Anpassung eines ersten, mit dem öffentlichen Leben befassten Standes an einen zweiten Stand, der mit der Stellung des bourgeois gleichgesetzt wird (vgl. W 2 494). Daraus resultiere im römischen Reich die Durchsetzung der »matte[n] Gleichgültigkeit des Privatlebens,« das mit dem bourgeois assoziiert wird (vgl. W 2 492): Anstelle der freien, lebendigen, schönen Sittlichkeit der Polis setzt sich mit der »Universalität des römischen Reiches« »das Prinzip der formellen Einheit und der Gleichheit« durch (W 2 491), das sich im Recht ausdrückt. Dem Privatleben des bourgeois entsprechend, habe sich ebenfalls das »IRUPDOH 5HFKWVYHUKlOWQLV ZHOFKHV GDV (LQ]HOQVHLQ ¿[LHUW XQG 35
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absolut setzt« (W 2 492) durchgesetzt; und aufgrund seines abstrakten, äußeren, formellen Charakters übe dieses Recht Zwang. So zeigt sich hier noch einmal, aber nun eindeutiger, als Resultat der $XÀ|VXQJGHUVXEVWDQ]LHOOHQ6LWWOLFKNHLWGHU3ROLVGLHPRGHUQH*HVHOOVFKDIW als eine, in der die »matte Gleichgültigkeit des Privatlebens« (W 2 492) des atomisierten Bourgeois einen Kontrapunkt im Zwangscharakter der diese Gesellschaft zusammenhaltenden (Rechts-)Verhältnisse hat. Die Rede von Gleichgültigkeit und Herrschaft wird also im Naturrechtsaufsatz noch deutlicher als bisher als Hegels eigene Bezeichnung erkennbar; auch die Darstellung dieser zwei Aspekte der Kritik als Folge der modernen Entzweiung wird evidenter. Während der Verlust des Bezugs des Individuums zum Ganzen, den Hegel, wie gesehen, schon früh mit dem Verfall der griechischen Polis verbindet, offenbar nun in die Kritik an der Atomisierung mündet, zeigen sich im Naturrechtsaufsatz – wie ansatzweise bereits in jener ersten Tübinger Kritik an der Objektivität der von außen kommenden Gebote – die Züge einer Kritik an der Verwandlung des ganzheitlichen Zusammenhanges, in dem das Individuum lebt, in ein ihm gegenüberstehendes, ihm entzogenes, abstrahiertes Ganzes besonders deutlich: ein »nur über die Vielheit Schwebendes, nicht sie Durchdringendes« (W 2 448), wie es im Naturrechtsaufsatz heißt. Das Band, auf welches die Individuen ihren Zusammenhalt gründen, ergibt sich nun nicht mehr aus ihrer Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen (Lebens-)Kontext, sondern daraus, dass sie alle gleichermaßen dieser abstrakten Ganzheit gegenüberstehen und ihrer Herrschaft unterworfen sind. :LH VFKRQ LQ +HJHOV )UDQNIXUWHU 6FKULIWHQ ¿QGHQ VLFK *OHLFKJOWLJNHLW und Herrschaft auch in den Jenaer Schriften nicht mehr nur auf Seiten dieses fremd gewordenen objektiven Ganzen: Gleichgültigkeit und Herrschaft kennzeichnen nun eindeutiger sowohl diese Objektivität als auch die davon isolierte, in ihr gleichgültiges Privatleben versunkene individuelle Subjektivität – in dem Sinne, der sich bereits in den Frankfurter Schriften abzeichnete. In Jena wird allerdings immer deutlicher, wie weit diese Deutung geht: die individuelle Subjektivität ist nach Hegel gleichgültig nicht nur gegenüber dieser ihr fremd gewordenen Objektivität im engeren Sinne – die, wie sich erkennen lässt, auch die »Bildung« der Zeit als »objektive« Welt mit einschließt – sowie gegenüber der damit verbundenen intersubjektiven Welt, sondern auch gegenüber sich selbst. Wie sich in der früheren Ansicht, die (kantische) Moralität unterdrücke die »innere Natur«, schon ankündigte, zeigt sich nun die moderne Entzweiung auch auf der Ebene der individuellen Subjektivität selbst: Schon nach der Differenzschrift sei für das Individuum »die innere Harmonie zerstört«, denn »Uneinigkeit und absolute Entzweiung machen das Wesen des Menschen aus« (W 2 88). Und dass sich auch dies mit Herrschaft verbindet, zeigt sich eindeutig bereits aus dem Kontext dieser Feststellung: Hegels Thema in diesem Teil 36
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der Differenzschrift ist wieder die »eigene Unterdrückung« (ebd. [Hervorhebung von mir – MMSM]), die nach seiner Interpretation hier mit Fichtes Philosophie zusammenhängt. Diese Kritik an der Gleichgültigkeit und Herrschaft der Verhältnisse der modernen Welt wird sich in Hegels anderen Jenaer Schriften – und darüber hinaus – fortsetzen. Dabei wird sie aber nie ihren Charakter verlieren, der verdeutlicht, inwiefern Hegels Philosophie von jener Grunderfahrung der Moderne geprägt ist, die lange Zeit die Basis für die künftige Kritik sein wird: die Erfahrung dessen, was später als Entfremdung bezeichnet worden ist. Hegel selbst spricht bereits am Anfang seiner Frankfurter Zeit von »mißtrauisch gewordenen, einander entfremdeten Menschen« (N 245 [Hervorhebung von mir – MMSM]).
d) Zu Gleichgültigkeit und Herrschaft Nachdem die Darstellung ihrer Entwicklung den Sinn von Hegels ModerniWlWVGLDJQRVHGHXWOLFKJHPDFKWKDEHQGUIWHLVWHVQXQVLQQYROOHLQHEHJULIÀLche Klärung vorzunehmen. Ist nach Hegels Diagnose die moderne Welt durch die beiden Folgen der Entzweiung gekennzeichnet, die wir als Gleichgültigkeit XQG+HUUVFKDIWLGHQWL¿]LHUHQNRQQWHQVROlVVWVLFKQXQIUDJHQZLHGLHVH%Hstimmung der beiden Folgen der Entzweiung genau zu verstehen ist. Die Bedeutung von Hegels Kritik an der Gleichgültigkeit der modernen Verhältnisse dürfte zwar bereits durch die bisherigen Darstellungen nicht mehr besonders klärungsbedürftig sein; Gleichgültigkeit kennzeichnet ja jene Grunderfahrung, die relativ unmittelbar mit dem abstrakten Charakter der modernen Verhältnisse zusammenhängt und die ja bereits der Frankfurter Hegel selbst mit einer Auffassung der Entfremdung assoziierte. Und es ist auch deutlich geworden, inwiefern sich Hegels Gleichgültigkeitskritik mit einer Kritik an Herrschaft verbindet: Bei all jenen modernen Verhältnissen, die Hegel kritisiert, wurden zugleich Zeichen von Gleichgültigkeit und von Herrschaft festgestellt. Gleichgültigkeit und Herrschaft scheinen in Hegels Schriften also untrennbar zu sein, so als ob Gleichgültigkeit notwendigerweise die Verhaltensweise der Herrschaft implizieren würde. Bisher wurden diese zwei Folgen der modernen Entzweiung auch von uns gemeinsam behandelt. 1XQ LPSOL]LHUW *OHLFKJOWLJNHLW DEHU UHLQ EHJULIÀLFK QLFKW SHU VH +HUUschaft. Sachverhalte, die einander gleichgültigJHJHQEHUVWHKHQEH¿QGHQVLFK nicht notwendigerweise in einem Herrschaftsverhältnis: Es ist ja durchaus denkbar, dass solche Sachverhalte sich wirklich bloß gleichgültig gegeneinander »verhalten«, d.h. ohne je zueinander in eine Beziehung irgendeiner Art zu treten, geschweige denn in eine Herrschaftsbeziehung. So ist es – obwohl oft im Kontext anderer Auseinandersetzungen, die eine Modernitätskritik mit Gleichgültigkeit und Herrschaft assoziieren, davon ausgegangen wird, dass jene mit Gleichgültigkeit in Verbindung stehenden Phänomene notwendiger37
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weise mit Herrschaft assoziiert sind21 – wohl ratsam zu fragen, wie genau die EHLGHQYRQ +HJHOLGHQWL¿]LHUWHQ)ROJHQGHU(QW]ZHLXQJPLWHLQDQGHU]XVDPmenhängen und inwiefern sie trotz dieses Zusammenhangs als zwei voneinander zu unterscheidende Aspekte der modernen Welt zu verstehen sind. Diese Fragen werden uns helfen, die unterschiedlichen Aspekte von Hegels Kritik genauer zu verstehen. Als Erstes ist zu betonen, dass Gleichgültigkeit, damit sie Herrschaft überhaupt hervorbringen kann, als Verhältnis, also nicht als absolute Gleichgültigkeit aufgefasst werden muss; eine absolute Gleichgültigkeit würde ja kein Verhältnis zwischen den einander gleichgültigen Sachverhalten konstituieren. Und das ist bei Hegel auch der Fall: Eine nähere Betrachtung der Weise, wie diese Begriffe und die mit ihnen zusammenhängenden Konzeptionen schon in den frühen Schriften behandelt werden, zeigt in der Tat, dass Hegel von keiner absoluten Gleichgültigkeit ausgeht. Zwar scheint Gleichgültigkeit ganz am Anfang von Hegels Entwicklung manchmal doch als absolute Gleichgültigkeit verstanden werden zu dürfen: Hegels erste Abstraktionskritik geht, wie gesehen, von der Feststellung einer Trennung aus, welche die Möglichkeit von Bezügen der voneinander getrennten Sachverhalte zueinander nicht zu erlauben scheint – z. B. der vom Leben des Menschen getrennten religiösen Lehre, oder der positivierten Gehalte der christlichen Religion zur einzelnen Subjektivität. Spätestens aber ab Hegels zentralen Frankfurter Schriften wird deutlich, dass dies nicht seine Auffassung der Gleichgültigkeit sein kann. Sobald an die Stelle der allgemeineren Kritik an Abstraktion deutlich die Entzweiungskritik tritt, wird es nicht mehr möglich, Gleichgültigkeit als eine absolute zu verstehen, denn Entzweiung begreift Hegel in seinen ersten Frankfurter Schriften nicht einfach als fatale Zersplitterung oder unwiederbringlichen Verlust eines Ganzen, sondern offenbar als die Etablierung von gewissen Relationen: von Verhältnissen, die freilich gegenüber Hegels normativem Maßstab der Sittlichkeit der Polis als »entzweites«, verfehltes Verhältnis erscheinen mussten. Der Ursprung dieser Deutung der Entzweiung ist ja wieder in der »Wandlung« zu suchen, die seine Überlegungen in Frankfurt erfahren. Wie erwähnt, zeigt sich bereits im Fragment Moralität, Liebe, Religion eine Veränderung in Hegels Deutung von Positivität und Subjektivität, die auf eine neue Interpreta-
21 So behauptet Theunissen, dass »Gleichgültigkeitsverhältnisse bloß verschleierte Herrschaftsverhältnisse sind und immer schon waren«. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, S. 36. Dabei bezieht sich Theunissen allerdings auf die Struktur der Wissenschaft der Logik und der Entsprechung zwischen Gleichgültigkeitsverhältnissen und der Seinslogik, und Herrschaftsverhältnissen und der Wesenslogik. Auch Rahel Jaeggi nimmt in ihrer Untersuchung zum Begriff der Entfremdung auf Theunissens Verbindung beider Begriffe Bezug. Vgl. Rahel Jaeggi: Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems. Frankfurt: Campus 2005, S. 42 (Fußnote 37). 38
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tion hinweist, nach welcher die Entzweiung als die Quelle von Abstraktion erscheint. Nicht nur die Abhängigkeit von einem Objekt – die ja Quelle von Positivität war – sei das Problem, sondern ebenfalls deren Gegenteil, die »Furcht vor Vereinigung, die höchste Subjektivität«, die als »die Objekte [zu] fürchten, die Flucht vor ihnen« (W 1 241) bestimmt wird. Es zeigen sich also in den Begriffen der Positivität – der schon früher als Objektivierung von Verhältnissen verstanden wurde – und der Subjektivität zwei entgegengesetzte, gleichermaßen abzulehnende Haltungen; damit wird auch wiederum zunächst das Auseinanderhalten beider als Zeichen der modernen Entzweiung gedeutet. Allerdings impliziert die Entzweiung von Objektivität und Subjektivität nicht nur das Auseinanderhalten von Objektivität und Subjektivität an sich, sondern die Art von Verhältnis zwischen ihnen, die diese Auseinanderhaltung hervorbringt. Bereits die Rede von Abhängigkeit oder Flucht an dieser Stelle verrät, dass Hegel hier zwischen Subjektivität und Objektivität keine absolute Trennung annimmt: Sowohl die Abhängigkeit von einem Objekt als auch die Flucht vor Objekten sind Weisen der Subjektivität, sich der Objektivität gegenüber zu verhalten, die zugleich Verhaltensweisen der Objektivität ihr gegenüber implizieren. Es geht Hegel hier also nicht nur um eine bloße Feststellung der Entzweiung von Subjektivität und Objektivität, sondern um die Weise, wie sich Subjektivität und Objektivität zueinander verhalten; und das Bestehen eines Verhältnisses verdeutlicht ja, dass Subjektivität und Objektivität einander nicht absolut gleichgültig sind. Dass Gleichgültigkeit hier implizit als Relation verstanden wird, bestätigt sich auch schon in seinen Frankfurter Ausführungen zur jüdischen und christlichen Religion. Ansatzweise bereits in seinen ersten Fragmenten zum Geist des Judentums – wo die Rede von Entzweiung und Herrschaft ja zum ersten Mal deutlicher hervortritt – und erst recht in den späteren Frankfurter Schriften impliziert Gleichgültigkeit ausdrücklich ein Verhältnis. Zwar scheint es auch hier bisweilen die Möglichkeit einer absoluten Absonderung von der Welt zu geben, die früher bemerkbar war: Sowohl Abraham als auch Jesus und die christliche Gemeinde sind für Hegel durch eine Abkehr von der Welt gekennzeichnet, die im Kontext einiger seiner Darstellungen auf eine absolute Trennung hinweisen könnte. Abrahams erster Akt war für Hegel, wie bereits erwähnt, jene »Trennung [...], welche die Bande des Zusammenlebens und der Liebe zerreißt« (W 1 277); auf diese Darstellung folgt in diesem Fragment zum Geist des Judentums die Bemerkung, Abraham habe nicht einmal die »einzige mögliche Beziehung, welche für die entgegengesetzte unendliche Welt möglich war« (deren » Beherrschung «) realisieren können (vgl. W 1 279). Und auch sowohl bei Jesus selbst als auch bei der christlichen Gemeinde sieht Hegel – wenn auch auf verschiedene Weise – den Versuch, in einer »Trennung von der Welt« (W 1 403) zu leben. Dennoch kann weder für Abraham noch für Jesus und die christliche Gemeinde diese Trennung mehr eine absolute sein: Ihre 39
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Absonderung bzw. Trennung von der Welt bezahlen Abraham und das jüdische Volk, Jesus und die christliche Gemeinde gleichermaßen mit jenem bemitleidenswerten Zustand, der ihre jeweiligen Schicksale für Hegel kennzeichnet; gerade der Frankfurter Begriff des Schicksals – den er, wie erwähnt, im Geist des Christentums im Rahmen der Diskussion um Gerechtigkeit einführt (vgl. W 1 338ff.) – impliziert ja die Antwort einer nicht absolut getrennten Welt auf jene, die sich von ihr absondern möchten. Wenn nun deutlich geworden ist, dass Gleichgültigkeit als ein Verhältnis, also nicht als absolute Gleichgültigkeit aufzufassen ist, kann ihr Bezug zur Herrschaft direkter betrachtet werden. Zwar ist hier zunächst noch einmal zu erwähnen, dass für Hegel offenbar tatsächlich Herrschaft notwendigerweise aus Gleichgültigkeit folgt, denn die Art von Beziehung, die in Hegels Darstellungen als Gleichgültigkeit erscheint, scheint direkt mit Herrschaft zusammenzuhängen.22 Kehren wir wieder zu den ersten Frankfurter Darstellungen zu Gleichgültigkeit und Herrschaft zurück, so zeigt sich, dass die »einzige mögliche« Beziehung für den seinen Lebensverhältnissen gegenüber gleichgültig gewordenen Abraham – die er nicht einmal habe realisieren können – für Hegel ja »die Beherrschung« war (vgl. W 1 279). Und auch der Zustand sowohl der jüdischen als auch der christlichen Religion, der auf ihre jeweiligen Schicksale folgte, war ja ganz durch Herrschaft geprägt: Wie bereits gesehen, stellt Hegel in den Schriften zum Geist des Judentums Herrschaft von Anfang an als die Art von Verhältnis dar, die aus dem Zerreißen des Bandes zur Natur (das Hegel hier als den Verlust des Naturzustandes bezeichnet [vgl. W 1 274]) anscheinend notwendigerweise folgte.23 So entsteht nach der »Noahischen Flut« (W 1 275) einerseits die Notwendigkeit, die »nun feindliche« (ebd.) Natur, einschließlich der Tiere (ebd.), zu beherrschen, andererseits werde nun der Mensch, indem er sich dem Gebot habe unterwerfen müssen, »sich selbst zu beschränken, indem sie nicht einander mordeten« (ebd.), von diesem Gebot selbst beherrscht – was hier vor allem bedeutet: von dem dieses Gebot aufstellenden, der ganzen »entgegengesetzte[n] Welt« (W 1 279) »fremden« Gott selbst. Deshalb bleibt die Welt, die das Judentum für Hegel kennzeichnet – und 22 Dass auch früher Gleichgültigkeit Herrschaft implizierte, spricht dafür, dass Hegel implizit bereits vor Frankfurt diese nicht als absolute Gleichgültigkeit verstand. 23 In diesem Sinne interpretiert Hubertus Busche Hegels Darstellung der Verhältnisse Abrahams in den Fragmenten zum Geist des Judentums. Er sieht das »Neuartige und Bedeutsame« an einem von diesen Fragmenten daran, dass »erstmals die beiden bisher veranschaulichten sozialen Beziehungsformen Abrahams, die ja genauer besehen gerade die Kennzeichnen des Fehlens von Beziehung sind, nämlich Gleichgültigkeit und Herrschaft [...] systematisch in eine Grund-Folge-Zusammenhang gebracht werden« [Hervorhebung i.O]. Vgl. Hubertus Busche: Das Leben der Lebendigen. Hegels politisch-religiöse Begründung der Philosophie freier Verbundenheit in seinen frühen Manuskripten. Bonn: Bouvier 1987, S. 184. 40
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die das Christentum nicht habe überwinden können – eine Welt nicht nur der Trennung, sondern auch der Herrschaft. Trotzdem sind Gleichgültigkeit und Herrschaft in Hegels Deutung offensichtlich nicht dasselbe; und es bietet sich an, den Unterschied zwischen beiden Begriffen in der Art von Verhältnis zu suchen, die das Verhältnis der Gleichgültigkeit zu ermöglichen scheint. Denn die Verhältnisse, die Gleichgültigkeit vom Beginn der Frankfurter Schriften an eindeutig kennzeichnen, sind für Hegel nicht bloß deshalb notwendigerweise mit Herrschaft verbunden, weil sie Ausdruck von Entzweiung sind, sondern auch wegen ihrer Einseitigkeit:24 Während die Abhängigkeit von einem Objekt in direkten Zusammenhang mit der Positivitätskritik, und somit mit dem Herrschaftsverhältnis der Objektivität der Subjektivität gegenüber gestellt werden kann, impliziert die Flucht der Subjektivität vor Objekten in dieser neuen Frankfurter Deutung auch wiederum ein Herrschaftsverhältnis: die Herrschaft, welche die von der Objektivität losgelöste Subjektivität dieser gegenüber ausübt. Damit zeigen sich Abhängigkeit und Flucht gerade deshalb als herrschaftsbeladen, weil diese Verhältnisse entweder die eine oder die andere Seite der Subjekt-Objekt-Beziehung betonen und damit eine Art Ungleichgewicht oder Asymmetrie darstellen. Und auch diese Deutung lässt sich bereits durch Hegels Frankfurter Darstellungen bestätigen: all jene Sachverhalte, die Hegel auch als Ausdruck von Herrschaft kritikwürdig erschienen waren – Kants Moralitätsauffassungen, die moderne Haltung der Natur gegenüber, die gesellschaftlichen Verhältnisse, der deutsche Staat, die jüdische (und zeitgenössische christliche) Gottesauffassung –, waren es deshalb, weil das Verhältnis, das sich da zwischen den entzweiten Aspekten der modernen Welt etabliert hatte, durch ein Ungleichgewicht oder eine Einseitigkeit gekennzeichnet war – so als ob die Entzweiung und der Verlust des ursprünglich harmonischen Bezugs notwendigerweise das »Umkippen« eines Verhältnisses in eine Einseitigkeit mit sich bringen würde.25 Damit kommen wir zu einer ersten Einsicht in das, was in Hegels Deutung der Entzweiung mit Gleichgültigkeit und Herrschaft gemeint ist. Die Gleichgültigkeit der modernen Welt ist offenbar als ein Bezugsverlust zu verstehen, der nicht als absolut anzusehen ist. Es bleibt ein Restbezug, der allerdings auf einen Mangel bzw. eine Verfehlung des eigentlichen Bezugs hinzuweisen scheint: als Distanz, als Verfremdung, als Unmöglichkeit einer eigentli-
24 Vgl. zum Verhältnis zwischen Einseitigkeit und Herrschaft M. Theunissen: Sein und Schein, S. 30. 25 Es bleibt zwar noch im Dunkeln, warum gleichgültige Verhältnisse für Hegel notwendigerweise Einseitigkeit produzieren, d.h. »umkippen«. Es reicht aber für unsere Zwecke hier festzustellen, dass sie es für Hegel tun – was er möglicherweise mit Recht annimmt. 41
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chen Beziehung.26 Und ist Gleichgültigkeit als eine Art verfehltes Verhältnis zu verstehen, so ist Herrschaft als das Ungleichgewicht, die Asymmetrie oder Einseitigkeit zu interpretieren, die aus solchen verfehlten Relationen für Hegel notwendigerweise entsteht. Diese Folgen der Entzweiung werden sich für Hegel sowohl in den modernen, abstrakten Begriffen von Freiheit und Gleichheit zeigen, als auch im Sinne der umfassenderen Unfreiheit und Ungleichheit der modernen Welt zu interpretieren sein.
2. Entzweiung, Freiheits- und Gleichheitskritik
Ein wesentlicher Aspekt von Hegels Modernitätsdiagnose, der in den Jenaer Schriften besonders hervortritt, ist seine Kritik an den modernen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit. Sie wird besonders klar formuliert im Naturrechtsaufsatz: In dieser Schrift zeigt sie sich eindeutig als eine Kritik an ihrem abstrakten Charakter, deren Zusammenhang mit Hegels allgemeinerer Deutung der modernen Welt unübersehbar ist. Beide neuzeitlichen Begriffe werden der Abstraktion bezichtigt, die Freiheit vor allem wegen ihrer Ausrichtung auf ein als Atom verstandenes Individuum, die Gleichheit wegen ihres Zusammenhanges mit einem Recht, einem Gesellschafts- bzw. Staatsbegriff, der als über den Individuen »schwebend« anstatt sie integrierend gedeutet wird. Damit stellen sich die neuzeitlichen Auffassungen dieser beiden Begriffe, die Hegel im Rahmen seiner Kritik an den »unechten« Behandlungsarten des Naturrechts als »wesenlose Abstraktionen« (W 2 451) bezeichnet, als Folgen der Entzweiung dar, die er an den Verhältnissen der Zeit diagnostiziert. Im Folgenden werde ich diese Kritik, hauptsächlich von ihrer Darstellung im Naturrechtsaufsatz ausgehend, in ihren zentralen Zügen wiedergeben. Als Leitfaden werden hier die zwei Aspekte von Hegels Modernitätskritik – die Kritik an Gleichgültigkeit und an Herrschaft – dienen. Denn als neuzeitliche Begriffe zeigen sich jene abstrakten Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit an sich selbst als Folgen der modernen Entzweiung: des Gleichgültigkeits-
26 Dabei unterscheidet Busche auch terminologisch zwischen (normativ relevanter) »Beziehung« bzw. »Vereinigung« und (entzweitem) »Verhältnis« bei Hegel. Dieser terminologischen Unterscheidung folge ich hier nicht, der sachlichen aber schon. Vgl. H. Busche: ebd., S. 173. Wir könnten die Gleichgültigkeit, wie schon Theunissen, auch als eine »beziehungslose[...] Beziehung« bezeichnen. Vgl. Michael Theunissen: »Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts«. In: Dieter Henrich/Rolf-Peter Horstmann (Hg.): Hegels Philosophie des Rechts. Stuttgart: Klett-Cotta 1982, S. 350. Auch Rahel Jaeggi in ihrer Untersuchung zum Begriff der Entfremdung bezeichnet diese als »Beziehung der Beziehungslosigkeit«. Vgl. R. Jaeggi, ebd. S. 19ff. 42
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und des Herrschaftscharakters aller modernen Verhältnisse. Hegels Kritik an diesen beiden abstrakten Begriffen, wie sie vor allem im Naturrechtsaufsatz erscheint, werde ich nacheinander behandeln: zunächst die Freiheit (a), dann die Gleichheit (b).
a) Das atomisierte Individuum und die Herrschaft des Subjekts: Hegels Kritik an abstrakter Freiheit Hegels Kritik an der Freiheitsauffassung der Neuzeit steht in ihrem Zusammenhang mit seiner Kritik am neuzeitlichen Subjektivitätsprinzip bekanntlich im Zentrum der Entwicklung seines philosophischen Systems. Im Kontext der im Naturrechtsaufsatz entwickelten Diagnose der modernen Welt erscheint Hegels Freiheitskritik in Verbindung mit seiner Kritik an der Atomisierung, die die Gesellschaft in der Neuzeit erfahren habe. Schon in seinen frühen Schriften hatte er, wie gesehen, die moderne Freiheitsauffassung mit einer Absonderung in Zusammenhang gebracht: Abraham – mit dem Hegel, wie gezeigt, den Ursprung der Entzweiung und insofern eine Art Modernität avant la lettre verband – wurde im Kontext des Geists des Christentums gerade aufgrund eines isolierenden, atomistischen Freiheitsverständnisses kritisiert: Er habe alle seine Beziehungen verlassen, »um frei zu sein« (vgl. N 246). Im Rahmen des Naturrechtsaufsatzes wird diese Kritik fortgesetzt und vertieft. Selbst eine Folge der Entzweiung, wird der moderne Freiheitsbegriff allerdings auch hier nicht nur die Gleichgültigkeit ausdrücken, die im Verhältnis des atomisierten bourgeois zum abstrakt gewordenen gesellschaftlichen Zusammenhang besteht, sondern auch die Herrschaft, die sich mit dieser Isolierung verbindet. Die Freiheitsauffassung, die mit der modernen Entzweiung zusammenhängt, zeigt sich selbst als eine entzweite Auffassung der Freiheit, die zum Einssein in der absoluten Sittlichkeit unfähig und für Hegel schon wegen ihres beschränkten Charakters notwendigerweise mit Zwang verbunden ist. So wird sich Hegels Kritik neben dem gleichgültigen Charakter dieser Freiheitsauffassung auch gegen ihre Verbindung mit der Herrschaft richten. Der Ursprung von Hegels Kritik an der Atomisierung in seiner Sicht der modernen Welt als einer Welt der Entzweiung ist bereits dargestellt worden. In seiner Deutung der Folgen des Untergangs der griechischen Polis – aber auch in jenen Motiven aus der jüdisch-christlichen Tradition, die sich, wie gesehen, in seinen frühen Schriften oft damit vermischen – zeigte sich die Idee, dass der Verlust einer substanziellen Sittlichkeit eine Welt ergeben habe, die durch Trennung, Zerrissenheit, Entzweiung gekennzeichnet und nicht mehr fähig sei, dem Individuum ein harmonisches Leben in einem umfassenderen (Lebens-) Zusammenhang zu bieten. Und wir haben bereits gesehen, wie sich diese Deutung, die schon in Hegels frühen Schriften erkennbar ist, im Naturrechtsaufsatz 43
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ausdrückt: Das Zerreißen jenes Bandes, das in früheren Zeiten das Bestehen eines harmonischen (Lebens-)Kontextes gewährleisten konnte, führt für Hegel zur Entgegensetzung einer isolierten individuellen Subjektivität und jener objektiven wie (inter-)subjektiven Zusammenhänge, die diesem Individuum als äußerlich, abstrakt und herrschaftsbeladen erscheinen. Was Gesellschaft und Staat anbetrifft, ist die Entzweiung in dieser Darstellung als eine deutliche Spaltung zwischen individueller Subjektivität und gesellschaftlicher Ganzheit erkennbar: Einerseits wird jenes das Ganze zusammenhaltende Band mit der Universalität des Rechts assoziiert, die Hegel bereits im römischen Reich ausmacht (vgl. W 2 492) und als etwas darstellt, was über den atomisierten Individuen schwebt, anstatt sie zu integrieren, und Zwang über sie ausübt; andererseits entspricht dieser Lage, wie gesehen, die »matte Gleichgültigkeit des Privatlebens« (ebd.) des isolierten Bourgeois und sein Mangel an Interesse für das gesellschaftliche Ganze – Aspekte, die Hegel mit dem republikanische[n] Charakter des öffentlichen, gemeinschaftlichen Lebens der Polis kontrastiert. Hegels Kritik an der neuzeitlichen Freiheitsauffassung im Naturrechtsaufsatz lässt sich am besten wieder im Kontext seiner Kritik an jenen zwei »wissenschaftlichen Behandlungsarten« des Naturrechts erkennen, die er als »unecht« bezeichnet: die »empirische«, womit er offenbar hauptsächlich die Theorien des Gesellschaftsvertrags des 17.-18. Jahrhunderts assoziiert, und die »rein-formelle«, die er mit der praktischen Philosophie von Kant und Fichte verbindet. Diese Kritik ist grundsätzlich eine Kritik an einer Konzeption, die Freiheit nicht mit der absoluten Sittlichkeit, die Hegel als normativer Maßstab dient, sondern mit den »zerstückelten« Elementen des Sittlichen verbindet – insbesondere mit dem isolierten, dem Ganzen gegenüber gleichgültigen individuellen Subjekt. Im Hintergrund seiner Deutung steht also jene Konzeption der Freiheit, die für Hegel normativen Charakter besitzt und mit der Auffassung des Absoluten als (absoluter) »Indifferenz« (W 2 488) zusammenhängt, die er als das »wahrhaft Absolute« (W 2 459) ansieht: die Freiheit, die Hegel mit dem (positiv konnotierten) »Vernichten der Einzelheit« (W 2 478) in der sittlichen Ganzheit assoziiert und die er später im Text als die Totalität eines »Volkes« bezeichnen wird (vgl. W 2 481). Diese Freiheit ist jene, die für ihn das wahrhafte »Einssein« (ebd.) des Absoluten ausdrücken soll. Der Hauptpunkt von Hegels Freiheitskritik besteht darin, dass durch beide von ihm behandelten Naturrechtsauffassungen der Neuzeit eine abstrakte, der Freiheit der absoluten Sittlichkeit gegenüber nur negative Auffassung der Freiheit vertreten werde; »unecht« sind sie beide, weil sie nicht zu jener Darstellung der absoluten Sittlichkeit gelangen können, die Hegel mit diesem positiv Absoluten eines »Volkes« verbindet (ebd.). Jener Zustand der »Zerstückelung« des Sittlichen, deren Anfänge Hegel schon im römischen Reich sah, zeige sich in beiden »unechten« Behandlungsarten; denn obwohl die »empirische« und die »rein-formelle« zwei verschiedene Ansätze der Behandlung des 44
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Naturrechts darstellen, sind für ihn doch »die Ingredienzien beider, empirische Anschauung und Begriff, dieselben« (W 2 239). Sie unterscheiden sich voneinander lediglich dadurch, dass die »empirische« Behandlungsart die »VerhältQLVVH©DXVGHU(PSLULHªLQGHU%HJULIIVIRUP¿[LHUWXQGVLFKDQGLHVHQHJDWLYH Absolutheit hält, ohne jedoch diese Form der Einheit und den Inhalt derselben zu trennen« (W 2 439), während die »rein-formelle« Behandlungsart gerade durch einen auf die »Absonderung« zwischen Form und Inhalt gestützten »Formalismus« gekennzeichnet ist: d.h. diejenige »Form der Wissenschaft, in welcher der Gegensatz absolut und die reine Einheit oder die Unendlichkeit, das negativ Absolute rein von dem Inhalt abgesondert und für sich gesetzt« sei (ebd.). So werde sowohl in jenen »Systemen« des Naturrechts, »welche antisozialistisch heißen und das Sein des Einzelnen als das Erste und Höchste setzen« (W 2 454) – womit Hegel die »empirische« Behandlungsart meinen dürfte – als auch im »Kantischen und Fichteschen Idealismus« die »Absolutheit des Subjektes« herausgehoben; der Unterschied sei allerdings, dass nur in letzterem diese Absolutheit in die »reine« – und nicht bloß in eine »niedrigere« – Abstraktion gesetzt werde (vgl. W 2 454). Damit wird die Gleichgültigkeit, die für Hegel die modernen Verhältnisse insgesamt kennzeichnet, im modernen Freiheitsbegriff erkennbar. Im Fall der »empirischen« Behandlungsart liegt die Abstraktion bereits in der Vorgehensweise, die für Hegel für diese Theorie kennzeichnend ist: das »Absondern und Fixieren von Bestimmtheiten« (W 2 440), wobei das »vorausgesetzt« werde, »wohin man gelangen will« (W 2 447). So sieht Hegel offenbar bereits darin einen Widerspruch, dass im Kontext der Naturzustandslehren von der Idee einer »natürlichen« Freiheit ausgegangen werde, die im Übergang zum gesellschaftlichen Zustand aufgegeben werden müsse: »[...] das Natürliche aber, welches im sittlichen Verhältnis als ein Aufzugebendes gedacht werden müsste, würde selbst nichts Sittliches sein und also am wenigstens dasselbe in seiner Ursprünglichkeit darstellen« (W 2 449). Somit müsste man mit Hegel diese natürliche Freiheit, die aufzugeben wäre, als eine Rückprojektion der Freiheitskonzeption verstehen, die diese Behandlungsart im Rechtszustand realisiert sieht. Und dies wäre notwendigerweise eine Freiheit, die mit dem abstrakten Bild des Rechtszustandes zusammenhängt, das aus der Vorgehensweise dieser Behandlungsart resultiert: Sowohl in ihrem Ausgang aus dem Chaos des Naturzustandes als auch aus dem Abstraktum einer »Natur und Bestimmung des Menschen« (W 2 444) ergebe diese Behandlungsart ein Bild des Rechtszustandes, das diesen als eine »Einheit« darstellt, die als »ein Anderes und Fremdes« (W 2 446) gegenüber der Mannigfaltigkeit der »Atome« (W 2 445) erscheint, und selbst »nichts als wieder mannigfaltige Verwicklungen des als ursprünglich gesetzten einfachen und abgesondert Vielen […] an die Stelle der vielen atomen Qualitäten [setzt]« (W 2 447). Das ist die Einheit, die Hegel von dieser Behandlungsart als »formlose[…] und äußere[…] Harmonie unter dem 45
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Namen der Gesellschaft und des Staates« (ebd.) gesetzt sieht: »etwas Formelles, nur über der Vielheit Schwebendes, nicht sie Durchdringendes« (W 2 448). Da »das Prinzip der Empirie die Einheit des Einen und des Vielen ausschließt« (ebd.), ist das Verhältnis zwischen den »Subjekten« und »jene[r] höchste[n] *HZDOW©HLQ9HUKlOWQLVGHUªDEVROXWHQ8QWHUZU¿JNHLW©HEG Diese Kritik an der neuzeitlichen Freiheitsauffassung wird dann bei der Darstellung der rein-formellen Behandlungsart ausführlicher; hier wird neben dem gleichgültigen auch der Herrschaftscharakter deutlicher erkennbar, der sich mit dieser Freiheitsauffassung verbindet, wie auch der Zusammenhang dieser Herrschaft mit der modernen Subjektivität – und nicht nur mit der »äußeren Harmonie« der Gesellschaft und des Staates. Hegels Kritik zielt auch hier zunächst auf den abstrakten Charakter des modernen Freiheitsbegriffs, der einerseits – so in der Darstellung der rein-formellen Behandlungsart – als die »allgemeine[…] Freiheit Aller«, andererseits als eine davon getrennte, isolierte »Freiheit der Einzelnen« als »Abstraktion ohne Realität« aufgefasst werde (vgl. W 2 476). So sei hier das »reine Selbstbewußtsein, die reine Einheit oder das leere Sittengesetz, die allgemeine Freiheit aller« »dem realen Bewußtsein, d.i., dem Subjekt, dem Vernunftwesen, der einzelnen Freiheit entgegengesetzt« (W 2 471). Diese Spaltung in zwei »Freiheiten« – die ja als zwei Seiten derselben Freiheitsauffassung zu verstehen sind – zeigte sich schon in der »empirischen« Behandlungsart als die Gegenüberstellung zwischen den »abgesonderten Vielen« und der »formlosen« und »äußeren« Harmonie der Gesellschaft und des Staates; sie könnte als Zeichen einer »Entzweiung« im Begriff der Freiheit selbst angesehen werden. Hier wird allerdings, wie Hegel schon ankündigte, die Betonung auf der Formalität liegen, die mit der Auffassung der allgemeinen »Freiheit aller« – als einer Art formaler Einheitsform der Freiheit aller Einzelnen – zusammenhängt. Eine andere Erläuterung der Aufspaltung der modernen Freiheitskonzeption in Freiheit aller und Freiheit der Einzelnen zeigt sich bei Hegel bereits in der Differenzschrift. Hier erscheint zunächst ein Zusammenhang zwischen der modernen abstrakten Freiheitskonzeption und einer Form von Unbestimmtheit: Hegel erläutert, wie die moderne Freiheitsauffassung zunächst als Unbestimmtes, nur abstrakter »ideeler Faktor« (W 2 83) erscheint, der dann beschränkt werden muss, »damit die Freiheit der anderen Vernunftwesen möglich sei« (W 2 83). Aus dieser Beschränkung entstehen aus der zunächst unbeschränkten Freiheit Bestimmungen, die »durch den Verstand festgesetzt werden« (W 2 XQG GLHVH ª¿[LHUWHQ© %HVWLPPXQJHQ VLQG )ROJH GHU 1RWZHQGLJNHLW GLH Freiheit zu beschränken, und somit als die Kehrseite der abstrakten Unbestimmtheit der modernen Freiheitsauffassung zu verstehen. Beschränkt wird also die allgemeine Freiheit aller, damit diese sich als die Freiheit aller Einzelnen verstehen lässt; diese ist also offensichtlich – wie schon bei Kant – als die individuelle subjektive Freiheit zu verstehen, die in der Freiheit des Ande46
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UHQHLQH*UHQ]H¿QGHW27 So verschiebt sich der Bezugspunkt dieser normativen Freiheitauffassung auf ihre Bedeutung als Freiheit aller, aber als Einzelner. Bereits die Unterscheidung zwischen einer »allgemeinen Freiheit« und einer »Freiheit des Einzelnen« ist aber eine Folge dessen, was Hegel als HauptPDQJHOGHUNDQWLVFKHQXQG¿FKWHVFKHQ3KLORVRSKLHGHXWHWGHU(LQVLFKWLQGLH »Identität des Ideellen und Reellen« (W 2 456), die sich in der praktischen Vernunft ausdrücken »sollte« – die Hegel als die Identität versteht, die er selbst mit dem Absoluten gleichsetzt – nicht »getreu geblieben« zu sein (vgl. W 2 470). Damit wird das »Einssein«, das dieser Philosophie möglich sei, bloß »formal« (ebd.) und zur Konzeption einer bloß negativen »Unendlichkeit« (vgl. z.B. W 2 454), die Hegel noch als das »negativ Absolute« oder als (nur) »relative Identität« (vgl. W 2 459) bezeichnet. Diesem negativ Absoluten steht die Vielheit der isolierten Einzelnen gegenüber, und Folge dieses Auseinanderhaltens zwischen »negativ Absolutem« und empirischer Vielheit ist auch die »Trennung des Sittlichen in Legalität und Moralität« (W 2 470), in der sich wiederum die Unterscheidung zwischen den zwei »Freiheiten« – der »des Einzelnen« und der »aller« – ausdrückt. Gegenüber der normativen Freiheitsauffassung, die Hegel mit dem »absoluten Indifferenzpunkt« der »sittlichen Totalität« »eines Volkes« verbindet, erscheint die »Freiheit aller« des »Kantischen und Fichteschen Idealismus« als eine »zweite«, bloß formale Freiheit (W 2 458), die nicht mit jener übereinstimmen könne, und deren vereinigender Charakter im Vergleich zu ihr nur ein negativer sei. So sei dies »nicht der absolute Standpunkt« (W 2 459). Dies zeige sich noch an der Freiheit der Wahl, der »Ansicht der Freiheit, nach welcher sie eine Wahl sein soll zwischen entgegengesetzten Bestimmtheiten«, wie entweder +A oder -A (W 2 476). Diese bloß »empirische Freiheit« abstrahiere von der Möglichkeit, »daß keins von beiden ist« (W 2 477). Die »absolute Freiheit« wird Hegel durch die Vereinigung ausdrücken, die beide Bestimmtheiten aufhebt: »+A-A=0« (ebd.). In dieser mangelnden Vereinigung, die eigentlich die Nichtvereinigung der atomomisierten Vielen ausdrückt, zeigt sich zunächst wieder die Gleichgültigkeit, die sich für Hegel mit dieser Auffassung der Freiheit verbindet. Kennzeichnend für die Gleichgültigkeit dieser Freiheitskonzeption ist also nicht nur die Formalität und Abstraktheit des über die Individuen schwebenden Allgemeinen, sondern genau so sehr die Haltung dieser selbst dem Allgemeinen gegenüber: als zerstückelte, vom »öffentlichen Mut« (W 2 492) verlassene Atome haben sie nichts für das Ganze übrig als jene »matte Gleichgültigkeit« derer,
27 Vgl. Kants Bestimmung des allgemeinen Prinzip[s] des Rechts in der Metaphysik der Sitten: »Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann«, in: I. Kant: Metaphysik der Sitten, §C (AA VI 230-231). 47
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die in ihr Privatleben versunken sind (ebd.); insofern diese Freiheit gerade als Freiheit aller Einzelnen diejenige ist, welche der Bezug der abstrakten Freiheitsauffassung auf die individuelle Subjektivität zeigt, ist dieser ihr Aspekt (noch eindeutiger als sie selbst als Freiheit aller) derjenige, der die Gleichgültigkeit des modernen Freiheitsbegriffs am deutlichsten erkennen lässt. Und hier zeigt sich ebenfalls der Herrschaftscharakter dieser Freiheitsauffassung. Bereits bei der »empirischen« Behandlungsart hatte Hegel ja hervorgehoben, dass das Verhältnis zwischen der »äußeren« Harmonie von Gesellschaft und Staat und den »abgesonderten« vielen Subjekten nur eines der ª8QWHUZU¿JNHLW©VHLQN|QQHYJO: QXQHUVFKHLQWGLHVH+HUUVFKDIWVdimension zunächst direkt mit der unvollständigen Vereinigung der »Freiheit aller« verbunden. Hegels Gedanke ist hier, dass das bloß »äußere« Verhältnis, das sich in dieser »formalen« Freiheitsauffassung ausdrückt, einer Freiheitsauffassung entspricht, die notwendigerweise einen Herrschaftcharakter aufweist. Denn gerade als beschränkbare bzw. beschränkte Freiheit ist diese Freiheitskonzeption unmittelbar mit Zwang verbunden, wie Hegel im Kontext der Diskussion über das Verständnis der Freiheit als »Freiheit der Wahl« (vgl. W 2 478) erläutert: Gerade das »Setzen« einer Bestimmtheit (als etwas Fixiertem), etwa +A, ist mit Zwang untrennbar verbunden: »Indem –A ein Äußeres gegen die Bestimmtheit +A des Subjekts [ist], so ist es durch dies Verhältnis in fremder Gewalt« (W 2 478). So richtet sich Hegels Kritik gegen eine Freiheitskonzeption, die nicht einfach – wie man vermuten könnte – dem Zwang entgegengesetzt ist, sondern für Hegel – und gut hegelisch – vor allem gerade wegen dieser Entgegensetzung unmittelbar und notwendigerweise mit Zwang verbunden bleibt. Normativer Maßstab dieser Konzeption ist also wiederum Hegels Verständnis der Freiheit als Ausdruck der »absoluten Sittlichkeit« der Totalität eines Volkes (W 2 481), die der Auffassung einer Freiheit, »welche als beschränkbar gesetzt werden kann« (W 2 476), entgegensetzt wird: »[...] eine Freiheit, für welche etwas wahrhaft Äußeres, Fremdes wäre, ist keine )UHLKHLW LKU :HVHQ XQG LKUH IRUPHOOH 'H¿QLWLRQ LVW JHUDGH GD QLFKWV DEVROXW Äußeres ist.« (ebd.)
Die Freiheit, die sich in »Freiheit aller« und »Freiheit des Einzelnen« aufspaltet, drückt also eine »Nichtidentität« (ebd.) aus, da »die Freiheit des Einzelnen« nur »durch die Äußerlichkeit des Zwangs dem Begriff der allgemeinen Freiheit gemäß« gemacht werden könne (ebd.). Die Freiheit, der »nichts absolut Äußeres« wäre, ist für Hegel dagegen »schlechthin alles Zwangs unfähig« (ebd.).28 28 Das zeigt sich auch an Hegels Entgegensetzung von Zwingen und Bezwingen im Naturrechtsaufsatz: W 2 478f. 48
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So entsteht für Hegel bereits aus der Aufspaltung in diese beiden »Freiheiten« und der Äußerlichkeit, die sich damit verbindet, ein Verhältnis des Zwangs, das sich in der Einseitigkeit der Relation zwischen beiden Freiheiten ausdrückt; und dieses Verhältnis manifestiert sich in beiden Bereichen, in die sich, wie erwähnt, für Hegel »das Sittliche« getrennt hat: der »Legalität« und der »Moralität« (vgl. W 2 470). In der »Legalität« zeigt sich diese Freiheitsauffassung – wie Hegel an Fichtes Naturrecht darstellt – als Grundlage von einem »allgemeinen System des Zwangs« (W 2 472), in dem »das Regierte von der Regierung und die Regierung von dem Regierten gezwungen werde« (ebd.); das Resultat ist eine »Hierarchie des Zwangs« (W 2 473), die sich nicht als sittliche Totalität ausdrücken kann. Und in der »Moralität« – deren Kritik viele frühe Motive von Hegels Abstraktionskritik wieder aufnimmt – zeigt sie sich an jenem »reinen Selbstbewußsein«, das sich gegenüber dem empirischen nur durch Herrschaft verhält. Hegels Kritik an Kants Moralitätsauffassung wird hier – wie ansatzweise bereits in der Frankfurter Zeit – zu einer Kritik an der Beherrschung der Sinnlichkeit und der Neigungen durch die Vernunft, die sich mit jenem »reinen Selbstbewußtsein« verbindet, das im »Kantischen oder Fichteschen Idealismus« als bloß unvollständige Identität erscheint. In dem Gedanken, »daß das Reelle unter dem Namen von Sinnlichkeit, Neigungen, unterem Begehrungsvermögen usw.« mit der Vernunft »nicht übereinstimme« und »daß die Vernunft darin bestehe, aus eigener absoluter Selbsttätigkeit und Autonomie zu wollen und jene Sinnlichkeit einzuschränken und zu beherrschen« (W 2 458), werde die »sittliche Natur bloß von der Seite ihrer relativen Identität« aufgefasst (ebd.). Ein Sittlichkeitsprinzip, das sich auf diese bloß relative Identität und nicht auf den »absolute[n] Standpunkt« (W 2 459) stütze, ist für Hegel das »Prinzip der Unsittlichkeit« (W 2 459);29 daran knüpft Hegel auch noch seine Kritik am Formalismus des kantischen kategorischen Imperativs (vgl. W 2 461f.). So lässt sich Hegels Kritik an abstrakter Freiheit auf folgende Weise darstellen:
Abstrakte Freiheit
Gleichgültigkeit
Herrschaft
Atomisierung
Herrschaft der Subjektivität
Tabelle 1: Hegels Kritik an abstrakter Freiheit
b) Das schwebende Allgemeine und der Zwang des Rechts: Hegels Kritik an abstrakter Gleichheit Weniger auffallend als Hegels Kritik am modernen Freiheitsbegriff ist seine Kritik an der modernen Gleichheitskonzeption, die ebenso wie die moderne Freiheit als »wesenslose Abstraktion« (W 2 451) bezeichnet wird; sie 29 Entsprechend auch in der Differenzschrift, W 2 88. 49
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steht im Naturrechtsaufsatz in enger Beziehung zu seiner Freiheitskritik. Der normative Maßstab seiner Kritik an der abstrakten Gleichheit ist wie bei der Freiheitskritik – trotz der Entwicklungen zu Beginn seiner Jenaer Zeit – im Grunde genommen nach wie vor die griechische Polis:30 Anstelle der freien, lebendigen, schönen Sittlichkeit der Polis habe sich mit der »Universalität des römischen Reiches« »das Prinzip der formellen Einheit und der Gleichheit« durchgesetzt (W 2 491), das sich im Recht ausdrücke. Und auch Hegels Kritik an der Gleichheit lässt sich mit seiner Kritik an der Entzweiung und ihren Folgen verbinden: Genauso wie am modernen Freiheitsbegriff zeigen sich am modernen Gleichheitsbegriff die Folgen der Entzweiung als Gleichgültigkeit und Herrschaft. Im Vergleich zu Hegels Kritik an abstrakter Freiheit weist seine Kritik an abstrakter Gleichheit aber einen Unterschied auf: Während sich die Freiheitskritik direkter aus seiner Auseinandersetzung mit den beiden »unechten« Behandlungsarten des Naturrechts ableiten lässt, wird die Gleichheitskritik erst im Bezug zur Freiheitskritik deutlich. Die moderne Konzeption der Gleichheit, die Hegel als abstrakt charakterisiert, hängt direkt mit jener Konzeption der Freiheit zusammen, die er im Rahmen seiner Kritik an der »rein formellen« Behandlungsart als die »Freiheit aller« bezeichnete. Es geht hier offensichtlich um die Gleichheitskonzeption, die sich mit dem Allgemeinheitscharakter der modernen Freiheitsauffassung verbindet: die Gleichheit, die gewöhnlich als der Begriff der gleichen Freiheit verstanden wird und sich im Recht ausdrückt.31 So lässt sich die Entzweiung, die oben als die »Entzweiung« im Begriff der Freiheit gedeutet wurde, als die »Entzweiung« verstehen, die den Begriff der absoluten Sittlichkeit der Polis in die modernen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit aufgespalten hat:32 die »Freiheit des Einzelnen« und die Gleichheit, die sich mit der »Freiheit aller« verbindet. Und es wird auch verständlich, dass – so wie sich Hegels Freiheitskritik gegen die Verbindung
30 Hegels normativer Maßstab – einschließlich seiner normativen Freiheits- und Gleichheitsauffassungen – sowie die Entwicklung seiner Systemkonzeption am Beginn der Jenaer Zeit werden im II. Teil dieser Arbeit näher behandelt. 31 'LHVHHUJLEWVLFK]%DXV.DQWV'H¿QLWLRQGHV5HFKWV9JODXFK.DQW,Metaphysik der Sitten, AA VI 237-238: »FREIHEIT (Unabhängigkeit von eines Anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht. – Die angeborene Gleichheit, d.i. die Unabhängigkeit, nicht zu mehrerem von Anderem verbunden zu werden, als wozu man sie wechselseitig auch verbinden kann; [...] – Alle diese Befugnisse liegen schon im Prinzip der angeborenden Freiheit und sind wirklich von ihr nicht (als Glieder der Einteilung unter einem höheren Rechtsbegriff) unterschieden.« [Hervorhebung i.O.] 32 Ich benutze in diesem Fall Anführungszeichen (»Entzweiung«), um zu betonen, dass es hier nicht um die von Hegel kritisierte Entzweiung geht. 50
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dieser Freiheitskonzeption mit der atomisierten Subjektivität richtet – seine Gleichheitskritik sich gegen dasjenige richten wird, was sich der atomisierten Subjektivität entgegensetzt: das gesellschaftliche Band, das durch den Prozess der Entzweiung dem Individuum als ein über ihm schwebendes Fremdes erscheint. Aufgrund der Abhängigkeit dieses Begriffs der Gleichheit von jenem der Freiheit braucht die Darstellung der Auseinandersetzung Hegels mit den beiden »unechten« Behandlungsarten des Naturrechts hier nicht ausführlich wiederholt zu werden. Bevor wir aber die Gleichheitskritik im Naturrechtsaufsatz betrachten, lohnt es sich – gerade weil sie im Vergleich mit der Freiheitskritik weniger markant ist –, ihren Hintergrund anzusehen. Eine der ersten Darstellungen, in denen Hegels Kritik an der abstrakten Gleichheit als Kritik an der Gleichheit des Rechts deutlich wird, ist die oben erwähnte Entgegensetzung zweier Gerechtigkeitsformen, die in der Frankfurter Schrift zum Geist des Christentums zum Ausdruck kommt und mit Hegels Frankfurter Begriff des Lebens zusammenhängt:33 die der Strafe und die des Schicksals. Diese Auseinandersetzung mit der Gerechtigkeit steht in Zusammenhang mit Hegels Frankfurter Kritik am abstrakten Charakter von Gesetzen, der auch seine Frankfurter Kritik an der Moralität angehört: So wie jene Moralitätsvorstellung, die Hegel, wie bereits erwähnt, einerseits mit dem Judentum, andererseits mit der kantischen Philosophie assoziiert, wird auch eine Auffassung von Gerechtigkeit, die sich auf Gesetze gründet, wegen ihrer Abstraktheit kritisiert; und so wie die Kritik im Fall der Moralität im Namen einer »Ausfüllung des Mangelhaften der Gesetze« (W 1 326) und des damit verbundenen Begriffs des Lebens geführt wird, wird auch jener Gerechtigkeitskonzeption eine andere Konzeption von Gerechtigkeit entgegengesetzt, die diese Abstraktheit nicht besitzen bzw. überwinden soll. Wegen der Allgemeinheit, die sich im Gesetz ausdrückt, sei die Form von Gerechtigkeit, die das Gesetz erfordert – die Strafe –, selbst abstrakt (vgl. W 1 339). Denn kennzeichnend für die Gerechtigkeit als Strafe ist für Hegel die Tatsache, dass die Entgegensetzung zwischen Gesetz und verbrecherischer Tat nicht versöhnt werden kann: Die verbrecherische Tat wird im Rahmen dieser Gerechtigkeitsauffassung als Besonderung der Allgemeinheit dieses Gesetzes verstanden und nicht an sich selbst, als individuelle Tat: »Solange Gesetze das Höchste sind, so lange kann ihr [der Gerechtigkeit – MMSM] QLFKWHQWÀRKHQZHUGHQVRODQJHPXGDV,QGLYLGXHOOHGHP$OOJHPHLQHQDXIgeopfert« werden (vgl. W 1 339). Dadurch bleibe beim Verbrecher ein »Wider33 Diese Kritik habe ich in einem Aufsatz darzustellen versucht, dem Teile der folgenden Darstellung zu den Gerechtigkeitsformen im Geist des Christentums – mit Veränderungen – entnommen wurden. Vgl. Verf., »Das gleiche Leben. Zu Leben und Gleichheit beim jungen Hegel«, in: Andreas Arndt/Paul Cruysberghs/ Adam Przylebski: Hegel-Jahrbuch 2006, 1. Teil, Berlin: Akademie-Verlag 2006, S. 56-60. Zur Konzeption des Schicksals vgl. Teil II, 1.a) dieser Untersuchung. 51
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spruch« zwischen der Wirklichkeit seiner Handlung und seinem »Bewußtsein des Gesetzes« bestehen – und zwar sowohl im Gesetz, als einem »fremde[n] Wesen«, als auch »subjektiv in ihm, als böses Gewissen« (vgl. W 1 340). Die Gerechtigkeitsauffassung, die sich mit dem Schicksal verbindet, ist hingegen als eine konzipiert, die im Kontext des Lebens steht und deshalb die Versöhnung ermöglicht. Bereits in dieser ersten Entwicklung einer Gerechtigkeitsauffassung, die auf der Allgemeinheit von Gesetzen basiert, wird der Zusammenhang sichtbar, der zwischen Hegels Kritik an dieser Gerechtigkeitsform und der Kritik an abstrakter Gleichheit besteht. Zunächst wird deutlich, dass die Gerechtigkeit, die Hegel mit Gesetz und Strafe assoziiert, die des Rechts ist; dann wird sie selbst mit einer Gleichheit in Zusammenhang gebracht, die dem Leben entgegensetzt ist: »Die Strafe des Gesetzes ist nur gerecht; der gemeinsame Charakter, der Zusammenhang des Verbrechens und der Strafe ist nur Gleichheit, nicht Leben« (W 1 353).
Als Ausdruck von »nur Gleichheit, nicht Leben« erweist sich diese Gerechtigkeitsauffassung nun auf eine doppelte Weise: Erstens aufgrund der abstrakten Allgemeinheit des Gesetzes, die dazu führt, dass alle individuellen Taten gegenüber der fremden Allgemeinheit des Gesetzes als das Gleiche – und nicht in ihren jeweiligen Individualitäten – erscheinen und bestraft werden. Hier ist ziemlich eindeutig zu sehen, inwiefern sich diese Kritik als Kritik an der Gleichheitsvorstellung des modernen Rechts deuten lässt: insofern die Gleichheit vor dem Gesetz, die die moderne Gleichheitskonzeption kennzeichnet, sich als das Ausgeliefertsein an ein fremdes Allgemeines erweist, das nicht in der Lage sei, einen lebendigen Zusammenhang oder gemeinsamen Charakter zwischen Verbrecher und Allgemeinheit herzustellen bzw. anzuerkennen, sondern nur einen abstrakten. Im Gegensatz zu Gemeinschaften, die Hegel als »natürlich ungeteiltes Volk« (W 1 376) bezeichnet, sei die Lage »im jetzigen Europa« so, dass »jeder Einzelne nicht das Ganze des Staates in sich trägt, sondern das Band nur ein gedachtes, das gleiche Recht für alle« sei (W 1 376 [Hervorhebung von mir – MMSM]). Darüber hinaus richtet sich diese Kritik offenbar auch gegen den formalen Charakter der Strafe selbst, der dazu führt, dass der durch sie hergestellte Zusammenhang auf einer reziproken, aber formalen Relation gründet: »des gleichen Rechtes, das durch ein Verbrechen in einem andern verletzt worden ist, wird der Verbrecher verlustig« (W 1 338 [Hervorhebung von mir – MMSM]). Gerade diese formale Reziprozität erweist die Gleichheit der Rache bzw. der Wiedervergeltung als Grundlage dieser Art Gerechtigkeit, wie eine andere Stelle zum Talionsgesetz zeigt: 52
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»Auge um Auge, Zahn um Zahn, sagen die Gesetze; die Wiedervergeltung und die Gleichheit derselben ist das heilige Prinzip aller Gerechtigkeit« (W 1 331).
So ist die Gleichheit, die mit der Auffassung von Gerechtigkeit als Gesetz und Strafe zusammenhängt, direkt mit der Allgemeinheit und Formalität und daher Abstraktheit dieser Auffassung verbunden und somit auch selbst – über die Kritik an dieser Gerechtigkeitsform – bereits hier Ziel von Hegels Kritik: Nur Gleichheit kann nicht Leben sein. Die Kritik an abstrakter Gleichheit, die bereits in diesen Schriften sichtbar ist, zeigt sich also als an demselben normativen Maßstab orientiert, dem wir schon in der Jenaer Kritik an abstrakter Freiheit begegnet sind: der sittlichen Totalität, die Hegel in Jena als die absolute Sittlichkeit eines Volkes versteht. Diese Entgegensetzung zwischen abstrakter Gleichheit und Sittlichkeit erscheint in Hegels Frankfurter Schriften auch noch an anderen Stellen, wo Hegel eine angeblich »jüdische« »politische Gleichheit als Bürger« einer mit der griechischen Sittlichkeit assoziierten »republikanische[n] Gleichheit« gegenüberstellt (vgl. N 370). So sind die zentralen Züge von Hegels Kritik an der modernen Welt auch hier bereits wieder deutlich zu erkennen. Die Gleichgültigkeit der Kritik an abstrakter Freiheit wird auf den abstrakten Charakter der damit verbundenen Gleichheit übertragen: die Gleichheit des gleichen Rechts für alle, die nur ein »gedachtes Band« herzustellen vermag; und in der »Aufopferung« des Individuellen für das Allgemeine (vgl. W 1 339), die mit der Durchsetzung des Gesetzes und der Wiedervergeltung verbunden ist und eine Versöhnung schon wegen der Einseitigkeit dieser Beziehung unmöglich macht, zeigt sich auch der Herrschaftscharakter dieser abstrakten Auffassung der Gleichheit. Die Weise nun, wie Hegel seine Kritik an der abstrakten Gleichheit des Rechts im Kontext des Naturrechtsaufsatzes entwickelt, ist schon in dieser frühen Auseinandersetzung mit der Gerechtigkeit vorgezeichnet. Das Thema der Entzweiung sowie die Kritik an der Abstraktheit von Gesetzen erscheint im Naturrechtsaufsatz wieder in der Unterscheidung zwischen »Sitte« und »Gesetz«, die am Ende des Aufsatzes im Rahmen der Darstellung des »Verhältnisses des Naturrechts mit den positiven Rechtswissenschaften« gemacht wird: »Als Sitte und Gesetz eins war, war die Bestimmtheit nichts Positives [...]« (W 2 526). Mit dem Auseinandertreten von Sitte und Gesetz verselbstständige sich offenbar das Gesetz gegenüber der »lebendige[n] Einheit« (ebd.) des Sittlichen; Ergebnis davon sei eine nur »formale Lebendigkeit« (W 2 529). In Übereinstimmung mit diesem Verständnis von Sittlichkeit wird zunächst indirekt deutlich, dass für Hegel die Unterscheidung zwischen moralischer und rechtlicher Gleichheit – wie sich mit Bezug auf die Konzeption der abstrakten Freiheit in der Kritik an der Trennung zwischen beiden »Freiheiten«, bzw. von Moralität und Legalität zeigte – bereits als Folge der Entzweiung zu deuten wäre, so dass seine Kritik an der rechtlichen Gleichheit notwendiger53
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weise auch die moralische Gleichheit trifft. Und da für Hegel jegliche Gleichheitskonzeption, die sich auf das Individuelle richten würde, notwendigerweise zunächst als die gesellschaftliche Gleichheit verstanden werden müsste, die sich auf das für Hegel sittliche Ganze bezieht, richtet sich seine Kritik an der Gleichheit gegen die Weise, wie sich Gleichheit in den formalen gesellschaftlichen Verhältnissen der entzweiten modernen Welt kristallisiert und äußert; und das tut sie wiederum in jenem Recht, das sich mit der Auffassung der »Freiheit aller« verband. Diese Kritik an einer Auffassung von Gleichheit, die mit der abstrakten Allgemeinheit des Rechts in Verbindung steht, wird also in Jena wieder aufgegriffen und im Rahmen der Kritik an den zwei »unechten« Behandlungsarten des Naturrechts fortgesetzt. Im Rahmen unserer Darstellung von Hegels Kritik an abstrakter Freiheit ist bereits deutlich geworden, inwiefern für beide »unechte« Behandlungsarten des Naturrechts die Entgegensetzung zwischen der »matten Gleichgültigkeit des Privatlebens« und dem »formellen Rechtsverhältnis« Ausdruck sowohl eines Mangels an »Einssein« – den wir als Folge der modernen Entzweiung und Zeichen der modernen Gleichgültigkeit deuten konnten – als auch eines Herrschaftsverhältnisses ist; als Entgegensetzung der »Freiheit des Einzelnen« und der »Freiheit aller« wurde dies bei der Betrachtung der »rein-formellen« Behandlungsart deutlich. Nun werden im Naturrechtsaufsatz die »Universalität« des römischen Reiches und ihre »formellen Rechtsverhältnisse« nicht nur mit der Auffassung einer »Freiheit aller«, sondern von Hegel selbst auch ausdrücklich mit der damit zusammenhängenden Konzeption der Gleichheit in Verbindung gebracht: dem »Prinzip der formellen Einheit und der Gleichheit« (W 2 491), auch »Prinzip der Allgemeinheit und Gleichheit« genannt (W 2 491) – das sich im Recht ausdrückt. Das unmittelbare Ergebnis der Durchsetzung des »Prinzips der formellen Einheit und der Gleichheit« ist für Hegel zunächst eine Angleichung, die im Sinne der Durchsetzung einer homogenisierenden abstrakten Allgemeinheit verstanden werden kann; in diesem Sinne erwähnt er die »gleichförmige Herrschaft der Römer« (W 2 492). So sieht Hegel »in dem Verluste der absoluten Sittlichkeit und mit der Erniedrigung des edlen Standes« (W 2 491), wie bereits erwähnt, eine Angleichung der beiden Stände, die er im Text kurz zuvor als die Stände der absoluten Sittlichkeit dargestellt hatte: den der »Freien« und den der »nicht Freien« (vgl. W 2 489). Mit der Durchsetzung der römischen Universalität seien »sich die beiden vorher besonderen Stände gleich geworden« (W 2 491), was Hegel als die »Vermischung beider Stände« versteht, in der »der erste Stand ganz aufgehoben und der zweite zum alleinigen Volk gemacht« wurde (ebd.). Mit der hier angedeuteten Durchsetzung des bourgeois verbindet Hegel den Verlust jenes »öffentlichen Mut[s]« (W 2 492), der für ihn die antike (und d.h. hier, die absolute) Sittlichkeit kennzeichnete. Dieses 54
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Ergebnis lässt sich erst recht nicht in der »Form der Absonderung« korrigieren, die Hegel durch dieses Prinzip bedingt sieht: die Absonderung, »nach welcher sie unter der Form der Allgemeinheit nur als ganzer Stand zum ganzen Stand im Verhältnis der Herrschaft und der Abhängigkeit sind« (W 2 491). Dieser $VSHNWYRQ+HJHOV.ULWLN¿QGHWVLFKDXFKLQVHLQHQZLHGHUKROWHQ.ULWLNHQDP Kosmopolitismus wieder.34 Relevant für uns ist aber Hegels Kritik an der Homogenisierung nicht als ein – freilich fragwürdiges – Lob der gesellschaftlichen »Absonderungen«,35 sondern als Kritik an dem, wodurch sich diese Homogenisierung durchsetzte: am formalen Recht als dem, wodurch allein sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in der modernen Welt bewahren soll. Das »formale Rechtsverhältnis« ist HLQHUVHLWVGDVMHQLJHªZHOFKHVGDV(LQ]HOQVHLQ¿[LHUWXQGDEVROXWVHW]W©: 492), andererseits ist es das »Prinzip der Allgemeinheit und Gleichheit« (W 2 491): Es drückt die Durchsetzung jener – gerade von dem durch es selbst ¿[LHUWHQ(LQ]HOQHQDEJHNRSSHOWHQ±ª)UHLKHLWDOOHU©DXVIUZHOFKHalle gleicherweise als alle Einzelnen gelten. Diese Parallelisierung zwischen dem modernen abstrakten Recht und dem privaten Leben des bourgeois entspricht dem Zusammenhang, den Hegel selbst zwischen diesem Recht und dem von ihm so genannten »System der politischen Ökonomie« (W 2 482) an anderen Stellen des Naturrechtsaufsatzes – und darüber hinaus36 – herstellt. Diese Kritik ist im Rahmen des Naturrechtsaufsatzes auch noch im Kontext der oben zitierten Kritik an Fichtes »allgemeinen Systeme des Zwangs« (W 2 472) wiederzuerkennen, in dem ein »vollkommenes Gleichgewicht« aus wechselseitigen Zwangsverhältnissen besteht. Auch diese Verhältnisstruktur gründet auf einer Art Gleichheit: Laut Hegel sollen nach Fichte beide Seiten der Verhältnisse »mit gleicher Gewalt gegenseitig gezwungen werden und sich zwingen« (W 2 473); das zeige sich daran, dass »das Regierte von der Regierung und die Regierung von dem Regierten gezwungen werde« (ebd.). 34 Vgl. W 2 529f.: »Für diese absolute Gestalt kann sie [die Philosophie der SittOLFKNHLW±0060@QLFKW]XU*HVWDOWORVLJNHLWGHV.RVPRSROLWLVPXVÀLHKHQQRFK zu der Leerheit der Rechte der Menschheit und der gleichen Leerheit eines Völkerstaates und der Weltrepublik, als welche Abstraktionen und Formalitäten das gerade Gegenteil der sittlichen Lebendigkeit enthalten [...]«. Hegels Kritik am Kosmopolitismus führte dazu, dass hinsichtlich dieser Frage meistens negativ Bezug auf ihn genommen wird – wohl zu Recht. Vgl. Matthias Lutz-Bachmann: »Weltweiter Frieden durch eine Weltrepublik?«, in: ders./James Bohmann (Hg.): Weltstaat oder Staatenwelt?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002, S. 34. 35 So sieht Herbert Schnädelbach in Hegels Standeslehre den Gedanken – der ja auch vorhanden ist – dass »Hegel zufolge das jeweilige sittliche Individuum nur als ein intern gegliedertes denkbar« sei, so dass »absolute politische oder ökonoPLVFKH*OHLFKKHLW>«@GHU*UXQG¿JXUGHU,GHQWLWlW©ZLGHUVSUlFKH9JO+HUEHUW Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, Frankfurt: Suhrkamp 2000, S. 50. 36 So etwa im zweiten Abschnitt der »Sittlichkeit«, »Die bürgerliche Gesellschaft«, in Hegels Rechtsphilosophie. Vgl. W 7, S. 182-256. 55
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Nun geht es an dieser Stelle zwar, wie gesehen, zunächst um eine Kritik an Fichtes abstrakter Auffassung der Freiheit als Zwang; allerdings ist auch hier wieder die Kritik am abstrakten Charakter dieser Gleichheit daran zu erkennen, dass diese Gleichheit des »vollkommenen Gleichgewichts« als Ausdruck eines »Sittlichen« gilt, »welches nach dem Verhältnis allein gesetzt wird« (W 2 475). Als Ausdruck eines bloß abstrakten Allgemeinen – das sich in den jeweiligen abstrakten Zwangsverhältnissen manifestiert – geht Fichtes Konzeption für Hegel nicht über jene der Gleichheit des Rechts hinaus; daher kann darauf keine sittliche Totalität gründen. Mit einer solchen bloß formalen Gegenseitigkeit könnte man offensichtlich auch die Gleichheit verbinden, die sich im Vertrag ausdrückt und später Ziel von Hegels Kritik sein wird;37 auch die Gerechtigkeitskonzeption, die im Talionsgesetz kritisiert wurde, ist schon in diesem Sinne zu verstehen. So wiederholt sich im Naturrechtsaufsatz die Gleichheitskritik, die schon in der früheren Auseinandersetzung mit der Gerechtigkeit erkennbar geworden ist. Die moderne Gleichheitsauffassung, die sich im Recht ausdrückt, ist gerade als allgemein und formell als abstrakt zu verstehen, und daher Ziel von Hegels Kritik. Die Einheit der »Freiheit aller«, die Hegel im Rahmen seiner Kritik an der rein-formellen Behandlungsart des Naturrechts als bloß negative und formelle kritisierte, zeigt sich als Gleichheit wieder als jene »formlose[…] und äußere[…] Harmonie unter dem Namen der Gesellschaft und des Staates« (ebd.); sie ist nur »etwas Formelles, nur über der Vielheit Schwebendes, nicht sie Durchdringendes« (W 2 448), eine Gleichheit, die er als eine bloß »äußere, formale Gleichheit« bezeichnet (W 2 484). Deutlich zu erkennen ist auch, inwiefern sich die moderne Gleichgültigkeit auch in der Gleichheitskonzeption manifestiert, die im Zusammenhang mit der Auffassung jener »Freiheit aller« steht, gegen die bereits Hegels Freiheitskritik gerichtet war: Gleichgültig sind nicht nur die in ihren privaten Leben versunkenen Individuen gegenüber dem ihnen fremd gewordenen gesellschaftlichen Ganzen, sondern auch dieses Ganze selbst bezüglich jener isolierten Individuen, denen gegenüber es sich in seiner Allgemeinheit gleichgültig verhält; das trifft auch für das abstrakte Ganze zu, das sich im Recht und dessen formeller Gleichheit niederschlägt. Und so ist es auch verständlich, dass aufgrund ihres abstrakten, äußeren, formellen und das Individuelle ignorierenden Charakters diese Gleichheitskonzeption Zwang über all jenes ausübt, was unter ihre Allgemeinheit subsumiert ist – was die Herrschaftsdimension dieser Gleichheitsauffassung ja unmissverständlich macht.
37 Man könnte es auch im Sinne von Hegels späterer Darstellung des Vertrags in der Rechtsphilosophie verstehen: In der Verbindung zwischen zwei Individuen, die sich im Vertrag ausdrückt, zeigt sich jenes Allgemeine des Rechts als ein bloß abstraktes Gemeinsames. Vgl. W 7 157. 56
HEGELS MODERNITÄTSDIAGNOSE
So kann Hegels Kritik an abstrakter Gleichheit zunächst als das verstanden werden, was sie ist: eine Kritik an abstrakter Gleichheit. Hegels Kritik an der abstrakten Gleichheit ist also eine Kritik an der Gleichheitskonzeption, die mit der entzweiten Freiheitskonzeption der Neuzeit zusammenhängt und ihrem Gleichgültigkeits- und Herrschaftscharakter entspricht. Wesentlich für Hegels Kritik ist ja die Verbindung, die er zwischen der »Freiheit aller«, als der formalen Einheit der »Freiheit des Einzelnen«, und der Auffassung von Gleichheit, die mit dieser Formalität verbunden ist, herstellt. Unsere tabellarische Zusammenfassung kann also folgendermaßen ergänzt werden: Gleichgültigkeit
Herrschaft
Abstrakte Freiheit
Atomisierung
Herrschaft der Subjektivität
Abstrakte Gleichheit
Schwebendes Allgemeines
Zwang des Rechts (= des Objekts)
Tabelle 2: Hegels Kritik an abstrakter Freiheit und abstrakter Gleichheit
3. Entzweiung, Unfreiheit und Ungleichheit
Ist Hegels Kritik an den modernen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit ein wesentlicher Teil seiner Modernitätsdiagnose und in seinen Schriften unschwer zu erkennen, so ist sie nicht die einzige Kritik Hegels an der modernen Welt, die mit Freiheit und Gleichheit in Zusammenhang gebracht werden kann. :LH VHOEVW HLQ REHUÀlFKOLFKHU (LQEOLFN LQ +HJHOV 0RGHUQLWlWVGLDJQRVH GHXWlich machen könnte, enthält Hegels Kritik der modernen Welt offensichtlich eine Kritik an der Unfreiheit, die diese Welt – gemessen an ihren ursprünglichen normativen Maßstab der Sittlichkeit der griechischen Polis – kennzeichnet. Aber darüber hinaus ist seine Modernitätsdiagnose ebenfalls – wenn auch nicht so evident – in einem bestimmten Sinne eine Kritik an der Ungleichheit dieser Welt. Meine These hier ist die, dass, während Hegels Gleichgültigkeitskritik als eine Kritik an der Unfreiheit der modernen Welt verstanden werden darf, die Herrschaftskritik in einem noch zu präzisierenden Sinne als eine Kritik an deren Ungleichheit gedeutet werden kann. Hier ist zunächst deutlich zu machen, dass diese Kritik an Unfreiheit und Ungleichheit zwar mit der Kritik an den modernen abstrakten Begriffen der Freiheit und der Gleichheit im Zusammenhang steht, aber sich nicht auf diese reduziert: Hegels Kritik an der Unfreiheit und Ungleichheit der modernen Welt ist umfassender als jene, leichter wahrnehmbare, Kritik an dem abstrakten Charakter der modernen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit, denn diese Begriffe stellen selbst Aspekte der modernen Welt dar. Es geht um verschiedene Perspektiven einer einzigen Modernitätsdiagnose, 57
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was Freiheit und Gleichheit betrifft: Insofern die modernen Freiheits- und Gleichheitsbegriffe, wie bereits gesehen, jeweils sowohl mit Gleichgültigkeit als auch mit Herrschaft verbunden sind, sind sie Ausdruck sowohl von Unfreiheit als auch von Ungleichheit in Hegels Sinne. So können Hegels Kritik am gleichgültigen Charakter der modernen Begriffe von Freiheit und Gleichheit und seine Kritik an ihrem Herrschaftscharakter als zwei verschiedene Dimensionen einer Kritik angesehen werden, die aber nicht nur in diesen abstrakten Begriffen zu erkennen ist: Unfreiheit und Ungleichheit sind zwar auch in den modernen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit zu erkennen, aber eben nicht nur da – sondern in allen entzweiten Verhältnissen der modernen Welt. Diese Zusammenhänge sollen nun expliziert werden. Nach einer kürzeren – weil nachvollziehbareren – Erläuterung dessen, inwiefern Hegel Gleichgültigkeit als Unfreiheit versteht (a), werde ich deutlich machen, inwiefern und auf welche Weise Herrschaft als Ungleichheit gedeutet werden kann (b). Dabei stellen die obigen Überlegungen zur Unterscheidung zwischen Gleichgültigkeit und Herrschaft als Folgen der modernen Entzweiung den Ausgangspunkt dieser Darstellungen dar.
a) Gleichgültigkeitskritik als Kritik an Unfreiheit Hegels Gleichgültigkeitskritik als eine Kritik an der Unfreiheit der modernen Welt zu erkennen ist relativ unproblematisch; einige Hinweise dürften hier ausreichen, um das Verhältnis zwischen Gleichgültigkeit(-skritik) und Unfreiheit(-skritik) expliziter zu machen. Darauf werde ich mich beschränken. Hegels Kritik an Gleichgültigkeit war ja bereits in seiner ersten Abstraktionskritik erkennbar; wir haben sie als Zeichen jener Distanzierung, Fremdwerdung und relativen Bezugsverlusts zwischen – zunächst – Individuum und Lebenskontext gedeutet, die bekanntlich nicht nur für Hegel die moderne Welt kennzeichnen. Der Entzweiungsprozess, der die Verhältnisse der Gleichgültigkeit hervorrief, war in Hegels Deutung, wie gesehen, auf die Ganzheit bezogen, die Hegel im Sinne der Sittlichkeit der griechischen Polis interpretierte; die moderne Entzweiung ist in Hegels ersten Schriften ja als der Prozess VHOEVW ]X GHXWHQ GXUFK GHQ VLFK GLH 6LWWOLFKNHLW GHU 3ROLV DXÀ|VWH ,QVRIHUQ Gleichgültigkeit für Hegel implizit oder (ab Frankfurt) explizit ein Verhältnis impliziert, haben wir diesen Begriff im Sinne eines verfehlten Verhältnisses zwischen den durch die moderne Entzweiung einander fremd gewordenen Polen einer Relation verstehen können, die durch diese Entfremdung zu einer Gleichgültigkeitsrelation geworden war. Nun wird ja jene Sittlichkeitskonzeption, die Hegel in der Polis erkennt und welche normativen Charakter für ihn annimmt, von ihm selbst seit seinen ersten Texten eindeutig mit der Freiheit der alten Griechen assoziiert; und 58
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dementsprechend steht von vornherein der Gedanke des Fehlens einer solchen Freiheit in der modernen Welt im Zentrum seiner Modernitätsdiagnose. Zunächst ist daran zu erinnern, dass für Hegel der «Grad der politischen Freiheit« neben dem »Geist des Volks, Geschichte, Religion« (vgl. W 1 42) ein konstitutiver Bestandteil jenes »Bandes« (ebd.) ist, das alle Verhältnisse des Lebens in der Polis umfasste; und es gibt in seinen frühen Schriften darüber hinaus viele andere Stellen, an denen Hegel die Freiheit als besonders kennzeichnend für die sittliche Harmonie der Polis (oder für seine Konzeption einer Volksreligion, die ja damals auch seinen normativen Maßstab ausdrückte) erwähnt.38 Zwischen Sittlichkeit und Freiheit besteht allerdings für Hegel nicht nur ein assoziatives Verhältnis: Freiheit wird von ihm offensichtlich als etwas aufgefasst, was – wenigstens in diesen ersten Schriften – mit der Konzeption der Sittlichkeit sogar gleichgesetzt werden kann. Insofern der normative Freiheitsbegriff, den Hegel hier verwendet, über die Freiheit des individuellen, atomisierten Subjektes hinausreichen soll und eindeutig gemeinschaftsbezogen ist, ist Sittlichkeit in einem gewissen Sinne auch selbst Freiheit. Eindeutig wird dieses Verständnis der Freiheit als Sittlichkeit vor allem in seinen frühen Jenaer Schriften, etwa im Bezug der Freiheit zum «Absoluten« und zur «sittlichen Totalität« eines «Volkes« im Naturrechtsaufsatz (vgl. W 2 481), aber auch in der Differenzschrift: »[...] und die Gemeinschaft der Person mit anderen muß daher wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden. Die höchste Gemeinschaft ist die höchste Freiheit [...].« (W 2 82)
Dieser Aspekt von Hegels Freiheitsbegriff besteht nicht nur hier, sondern im Grunde in seinem ganzen Werk; das, was Hegel hier als die »höchste Gemeinschaft« bezeichnet, ist bekanntlich ein zentraler Zug seiner Freiheitsauffassung und in all jenen Kontexten festzumachen, in denen in seinen Schriften implizit oder explizit ein normativer Freiheitsbegriff auftaucht.39 Selbst wenn die Entwick-
38 Z.B. »Volksreligion, die große Gesinnungen erzeugt und nährt, geht Hand in Hand mit der Freiheit« (W 1 41). 39 Das dürfte nur da nicht wahr sein, wo sich Hegel in Bern am strengsten an Kant orientiert und Freiheit fast ausschließlich als Autonomie fasst. Zu Hegels Freiheitsbegriff vgl. Ludwig Siep: »Der Freiheitsbegriff der praktischen Philosophie Hegels in Jena«, in: ders., Praktische Philosophie im deutschen Idealismus, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, S.159-171. Ich bin aber der Meinung, dass Hegel nicht erst nach Bern – also ab Frankfurt –, sondern ansatzweise auch vor Bern – im sog. Tübinger Fragment – Freiheit, wenn schon nicht als Verbindung, so doch als vereinigendes Band auffasst. 59
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lungen von Hegels Auffassung der modernen Welt und seinen normativen Maßstäben seiner Freiheitskonzeption neue Aspekte hinzufügen werden – insofern DE(QGHGHU-HQDHU=HLWHLQUHODWLRQDOHUXQGLQWHUVXEMHNWLYHUVRZLHHLQUHÀH[Lver Aspekt zu dem gemeinschaftlichen Aspekt der Freiheit hinzukommen werden40 –, wird der Bezug von Freiheit auf Sittlichkeit, im Sinne einer solchen »Gemeinschaft«, bis hin zu seiner späteren Rechtsphilosophie nie aufgelöst.41 Mit diesem Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und normativer Freiheit wird auch ersichtlich, wie Gleichgültigkeit als Unfreiheit gedeutet werden kann. Der Verlust der Sittlichkeit der Polis wird, als Folge von Hegels impliziter normativer Freiheitskonzeption, nicht nur mit der Entstehung des modernen, abstrakten Begriffs der Freiheit (und der Gleichheit) assoziiert, sondern auch mit dem Gedanken, dass diese moderne, abstrakte Freiheit, die er im Naturrechtsaufsatz kritisiert hat, eigentlich keine ist: Insofern die »höchste Gemeinschaft« verloren gegangen ist, geht in diesen Schriften auch die »höchste Freiheit« – und damit jede wirkliche Freiheit – verloren. Gerade insofern die modernen, abstrakten Begriffe der Freiheit und der Gleichheit Zeichen der modernen Gleichgültigkeit aufweisen, zeigt sich die moderne Unfreiheit nicht nur am abstrakten Freiheitsbegriff, sondern an beiden – und zwar gerade, insofern beide Ausdruck von Gleichgültigkeit sind. Hier geht es also nur darum, jene Aspekte dieser Begriffe, die als Ausdruck GHV YHUIHKOWHQ 9HUKlOWQLVVHV GHU *OHLFKJOWLJNHLW LGHQWL¿]LHUW ZRUGHQ ZDUHQ als Zeichen der Unfreiheit der modernen Welt zu deuten – oder im Grunde genommen dieselben kritisierten Aspekte nun in Termini der Freiheit/Unfreiheit der modernen Welt insgesamt darzustellen. Es ist ja schon ausführlicher dargestellt worden, wie Hegels Kritik an Gleichgültigkeit sich jeweils in jenen beiden Begriffen widerspiegelte: In der abstrakten Freiheitskonzeption zeigte sich die Gleichgültigkeit gerade darin, dass sich – wie bei der Darstellung der rein-formellen Behandlungsart der Naturrechts gesehen – der Freiheitsbegriff in eine »Freiheit aller« und eine davon abgekoppelte »Freiheit des Einzelnen« verdoppelt: Aus dieser Verdoppelung und in der folgenden »Fixierung« des atomisierten Individuums als Träger der modernen Freiheit entsteht ja sowohl der mangelnde Bezug des privaten Individuums zu politisch-gesellschaftlichen Institutionen als auch die Gleichgültigkeit des Ganzen bezüglich dieses atomisierten Individuums; in dessen atomisierter Subjektivität (die ja Ausgangspunkt für Hegels Kritik im Naturrechtsaufsatz war) ist der Kern von Hegels 40 Bei der Betrachtung der normativen Maßstäbe von Hegels Kritik in Teil II dieser Arbeit werden die verschiedenen Dimensionen seiner Freiheitskonzeption etwas deutlicher. 41 9JOHWZDGLH'H¿QLWLRQGHU6LWWOLFKNHLWLQ+HJHOVGrundlinien der Philosophie des Rechts (hier verkürzend Rechtsphilosophie genannt): »Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute [...] – der zur vorhandenen Welt und zur Natur des Selbstbewußtein gewordene Begriff der Freiheit« (W 7 292). 60
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Kritik an der Gleichgültigkeit, und insofern Unfreiheit des modernen Freiheitsbegriffs zu sehen. Umgekehrt lässt sich gerade im Zusammenhang mit jenem Ganzen, das sich mit der abstrakten Freiheit als »Freiheit aller« gleichsetzen lässt, auch erkennen, inwiefern der moderne abstrakte Begriff der Gleichheit, der ja, wie gesehen, von der modernen abstrakten Freiheit abhängt, Ausdruck von Gleichgültigkeit und insofern Unfreiheit ist. Der moderne Gleichheitsbegriff ist ja mit jenem Allgemeinen verknüpft, das nach Hegels Deutung sowohl in (etwa kantischen) Moralitätsauffassungen als auch (in Hegels Deutung noch eindeutiger) im Recht im Zentrum steht: gleich sind die Individuen nur diesem Allgemeinen gegenüber. So ist dessen »Schweben« über deren Köpfen und dessen Bereitschaft, das Individuelle zu ignorieren und »aufzuopfern«, gerade der Punkt, an dem die moderne Gleichheitsauffassung Unfreiheit in Hegels Sinne ausdrückt; in diesem distanzierten, abstrakten, fremdgewordenen Bezug des Allgemeinen ]XPVLFKXQWHULKPEH¿QGHQGHQ,QGLYLGXXPOlVVWVLFKGLH*OHLFKJOWLJNHLWHUkennen, die wir als Unfreiheit dargestellt haben. Diese Verhältnisse können also – in Übereinstimmung mit den Tabellen, die oben eingeführt worden sind – veranschaulicht werden, indem man die obige Tabelle nun vertikal liest: Gleichgültigkeit = Unfreiheit Abstrakte Freiheit
Atomisierung
Abstrakte Gleichheit
Schwebendes Allgemeines
Tabelle 3: Hegels Kritik an Unfreiheit Wichtig ist aber, dass Hegels Diagnose der Unfreiheit der modernen Welt sich weit über deren abstrakte Begriffe hinaus erstreckt. So sind all jene Zusammenhänge Ausdruck der Unfreiheit der modernen Welt und Zielscheibe von Hegels Kritik, die schon als Ausdruck von Gleichgültigkeit dargestellt worden sind: Moralitätsauffassungen, Gottesvorstellungen, das Verhältnis zur inneren und äußeren Natur, alle verfehlten, bezugslosen, durch Distanz und Fremdheit gekennzeichneten Verhältnisse, in denen Gleichgültigkeit besteht, sind Ausdruck der Unfreiheit der modernen Welt als ganzer; sie sind Zeugen des Mangels an jener »Gemeinschaft«, die für Hegel den freien sittlichen Kontext der griechischen Antike kennzeichnete: der »Gemeinschaft der Person mit anderen«, an deren Stelle sich nun bloß gleichgültig gewordene, unfreie, »einander HQWIUHPGHWH©1 0HQVFKHQEH¿QGHQ
b) Herrschaftskritik als Kritik an Ungleichheit Wie lässt sich nun der andere Aspekt von Hegels Kritik an der modernen Entzweiung, derjenige der Herrschaft, als Kritik an der Ungleichheit der moder61
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
QHQ:HOWLGHQWL¿]LHUHQ",P*HJHQVDW]]XU8QIUHLKHLWVNULWLNLVWGHU%H]XJ]ZLschen Modernitätsdiagnose und Ungleichheitskritik zunächst nicht so evident: Ein abstrakter Egalitarismus wäre bei Hegel ja auch schwer zu belegen, da sich bei ihm auch viele Belege im entgegensetzten Sinne aufzeigen ließen.42 Allerdings zeigt sich Gleichheit in Hegels Modernitätsdiagnose durchaus als normativ relevant: Hegels Herrschaftskritik zeigt sich als Kritik an allen Formen von Asymmetrie in sozialen Beziehungen, und kann also als eine Kritik an der Ungleichheit der modernen Verhältnisse gedeutet werden. Hier ist zu erwähnen, dass Gleichheit für Hegel schon sehr früh eine normative Bedeutung besitzt. Normativ aufgeladene Auffassungen von Gleichheit tauchen in seinen frühen Schriften immer wieder auf, auch wenn sie nicht so explizit sind wie seine normativen Freiheitskonzeptionen. So lässt sich zeigen, dass Hegel seinen frühen normativen Maßstab der Sittlichkeit der Polis auch selbst nicht nur mit Freiheit, sondern auch mit Gleichheit assoziiert: Neben mehreren verstreuten Hinweisen in seinen Berner Schriften auf den Gleichheitscharakter früherer – von ihm als noch nicht entzweit angesehener – Gemeinschaften verbindet Hegel, wie schon kurz erwähnt, in mindestens einem frühen Frankfurter Text auch explizit Gleichheit mit der Sittlichkeitsauffassung der Polis (vgl. N 370): Er spricht in dieser Schrift, wie oben bereits erwähnt, von einer »republikanische[n] Gleichheit«, die er offensichtlich mit den »Griechen« assoziiert und einer »jüdischen« »politischen Gleichheit als Bürger« 42 Z.B. Rechtsphilosophie, §49 Zusatz: »Die Gleichheit, die man etwa in Beziehung auf die Verteilung der Güter einführen möchte, würde, da das Vermögen vom Fleiß abhängt, ohnehin in kurzer Zeit wieder zerstört werden. Was sich aber nicht ausführen läßt, das soll auch nicht ausgeführt werden. Denn die Menschen sind freilich gleich, aber nur als Personen, das heißt rücksichtlich der Quelle ihres Besitzes. Demzufolge müßte jeder Mensch Eigentum haben. Will man daher von Gleichheit sprechen, so ist es diese Gleichheit, die man betrachten muß. Außer derselben fällt aber die Bestimmung der Besonderheit, die Frage, wieviel ich besitze. Hier ist die Behauptung falsch, daß die Gerechtigkeit fordere, das Eigentum eines jeden solle gleich sein, denn diese fordert nur, daß jeder Eigentum haben solle. Vielmehr ist die Besonderheit das, wo gerade die Ungleichheit ihren Platz hat, und die Gleichheit wäre hier Unrecht. Es ist ganz richtig, daß die MenVFKHQKlX¿JQDFKGHQ*WHUQGHUDQGHUHQ/XVWEHNRPPHQGLHVLVWDEHUHEHQGDV Unrecht, denn das Recht ist das, was gleichgültig gegen die Besonderheit bleibt.« (W 7 113). Innerhalb der Hegel-Forschung weist z.B. Martin Bondeli darauf hin, dass Hegel »kein Freund des abstrakten Egalitarismus« gewesen sei, und er habe »an der Französischen Revolution die Forderung der liberté weit höher geschätzt als jene der égalité«, wie Bondeli unter Rekurs auf Rosenkranz bemerkt. Vgl. M. Bondeli: Der Kantianismus des jungen Hegel. Hamburg: Meiner 1997, S. 184. Dass Hegel kein abstrakter Egalitarist war, will ich auch nicht bestreiten; allerdings ist m.E. zumindest im Rahmen seiner intersubjektivitätstheoretischen Schriften möglich, Gleichheit bei Hegel mehr als die »sekundäre« normative Stelle zuzuerkennen, worauf Bondeli anschließend hinweist. Zur »sekundäre[n]« Stelle, vgl. M. Bondeli, ebd., S. 185. 62
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entgegensetzt. Die angeblich »jüdische« »politische Gleichheit als Bürger«, die offensichtlich für die moderne, bereits hier kritisierte Gleichheit steht, sei das Gegenteil der »republikanische[n] Gleichheit« gewesen (ebd.). Insofern Hegel mit »republikanischer Gleichheit« wieder die Harmonie der Polis im Sinne hat, bietet es sich hier an, diese normative Gleichheitsform gerade in ihrer Entgegensetzung zur »politischen Gleichheit als Bürger« mit dem normativen Maßstab der Sittlichkeit zu verbinden, dem ja auch seine normative Konzeption der Freiheit in diesen Texten entstammt. In diesem Sinne wäre die normative Deutung der Polissittlichkeit in Hegels frühen Schriften nicht bloß, wie oben erläutert, als eine Freiheitskonzeption, sondern als eine Konzeption zugleich der Freiheit und der Gleichheit, etwa als eine substanzielle Freiheit-Gleichheits-Konzeption, zu verstehen. Diese Deutung ist übrigens auch begriffsgeschichtlich nicht abwegig: Mit der Verbindung von Sittlichkeit und Gleichheit führt Hegel lediglich den neuzeitlichen Begriff der Gleichheit auf seinen eigenen begriffsgeschichtlichen Ursprung zurück, denn bekanntlich entstand der moderne Begriff der Gleichheit aus dem Gemeinschaftsbegriff der Antike als einer substanziellen Gleichheit unter Gleichen, der dann durch seine Verbreitung, zunächst durch den Hellenismus und die monotheistischen Religionen, universalisiert wurde.43 Über die »republikanische« Gleichheit der Griechen geht allerdings Hegels normative Gleichheitsauffassung erst dann deutlich hinaus, als seine normativen Konzeptionen ab dem Anfang seiner Frankfurter Zeit jenen relationalen Charakter gewinnen, der Gleichgültigkeits- und Herrschaftskritik voneinander zu unterscheiden erlaubt.44 Wie gesehen, entsteht in Hegels frühen Schriften eine deutlich von der Gleichgültigkeitskritik zu unterscheidende Herrschaftskritik erst, als Hegels Modernitätsdiagnose eindeutig als Entzweiungskritik verstanden wird – also am Anfang der Frankfurter Zeit. Und der Grund dafür ist auch ersichtlich gemacht worden: Erst wenn Hegel Gleichgültigkeit explizit als Verhältnis versteht, kann Herrschaft – die ja das Bestehen von Verhältnissen voraussetzt – als solche als eine eigenständige, fassbare Folge der Entzweiung interpretiert werden. Als den Kern von Hegels Herrschaftskritik haben wir oben einen bestimmten Aspekt von Hegels Diagnose der Entzweiung 43 Vgl. Reinhard Koselleck/Otto Brunner et al.: Geschichtliche Grundbegriffe. HisWRULVFKHV/H[LNRQ]XUSROLWLVFKVR]LDOHQ6SUDFKHLQ'HXWVFKODQG. 8 Bde. Stuttgart 1972-1997. Vgl. den Eintrag »Gleichheit«, S. 1000ff. Noch deutlicher in: Sylvain Auroux (Hg.): Encyclopédie Philosophique Universelle. Les Notions Philosophiques. Paris: Presses Universitaires de France 2002, Bd. 1, Eintrag »Égalité«, S. 757ff. 44 Im Sinne einer Gleichheitsauffassung, die über die »republikanische« Gleichheit hinausgeht, wäre auch der Hinweis auf Gleichheit im sog. »Älteste(n) Systemprogramm des deutschen Idealismus« zu deuten. Vgl. W 1 235: »Keine Kraft wird mehr unterdrückt werden. Dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister!« 63
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gedeutet: das Ungleichgewicht, die Einseitigkeit oder Asymmetrie, die aus einer Gleichgültigkeitsbeziehung für Hegel offenbar notwendigerweise folgt. Sowohl Positivität, oder »von einem Objekte abzuhängen«, als auch die »Furcht vor Vereinigung, die höchste Subjektivität« (W 1 241) konnten als Zeichen von Herrschaft in der Entzweiung gedeutet werden. Nun kann gerade diese Deutung von Herrschaft die Möglichkeit eröffnen, darin eine Kritik an Ungleichheit zu sehen. Hegels Herrschaftskritik richtet sich von Anfang an gegen jene asymmetrischen Relationen, die die Welt der Entzweiung mit sich bringt. Aller Zwang, Macht und Unterdrückung, die von äußeren, fremden Autoritäten ausgeht, drückt notwendigerweise eine Asymmetrie aus – und dies nicht nur in Hegels frühen Schriften, sondern immer da, wo Einseitigkeit in Relationen zu deren Kritik führt. Relevant hier ist die normative Auffassung der Liebe, die Hegel der modernen Entzweiung opponiert. Bereits in demselben Fragment, wo die Entgegensetzung von Subjektivität und Objektivität zum ersten Mal als solche in Hegels Schriften deutlich wird, wird dieser Entgegensetzung eine alternative, offensichtlich normativ aufgeladene Form der Beziehung gegenübergestellt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass beide Seiten der Relation in derselben Art von Beziehung zueinander stehen. Diese wird die Beziehung der Liebe genannt: »Die theoretische Synthesen werden ganz objektiv, dem Subjekt ganz entgegengesetzt. Die praktische Tätigkeit vernichtet das Objekt und ist ganz subjektiv – nur in der Liebe allein ist man eins mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht.« (W I 242) [Hervorhebung von mir – MMSM]
Und als Grund dafür, dass sich eine solche Beziehung, in der keine Herrschaft vorkommt, überhaupt etablieren kann, wird von Hegel selbst explizit das Bestehen von Gleichheit angegeben: ©:DKUH9HUHLQLJXQJHLJHQWOLFKH/LHEH¿QGHWQXUXQWHU/HEHQGLJHQVWDWWGLHDQ Macht sich gleich und also durchaus füreinander Lebendige, von keiner Seite gegeneinander Tote sind […].« ( W 1 245/246 – kursiv von mir)
Wenn also Herrschaft als Einseitigkeit oder Asymmetrie zwischen den zwei Polen einer (Gleichgültigkeits-)Relation konzipiert wird, ist gerade das Gleichgewicht zwischen den Relata einer Liebesrelation die Bedingung für die Entstehung dieser Beziehung selbst.45 Gegen Abhängigkeit von einem Objekt und Flucht vor Objekten stellt die Liebe also ein Gleichgewicht oder eine Gegen45 Auch Robert R. Williams sieht in der Konzeption der Liebe eine »coequality«, die in Hegels Auffassung der Anerkennung präsent sei. Vgl. Robert R. Williams: 64
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seitigkeit der Relation dar, die auf Gleichheit gründet: auf der Symmetrie oder Gleichheit zwischen den Lebendigen – denn die normative Beziehung der Liebe ¿QGHWQXUXQWHULebendigen statt, die an Macht sich gleich sind. Dabei ist hervorzuheben, dass trotz ihrer Nähe zum Vertragsgedanken diese – nun normative – Gleichheitskonzeption bereits hier ansatzweise über jene Gegenseitigkeit hinausgeht, die Hegel am Talionsgesetz und an Fichtes »allgemeinem Systeme des Zwangs« (W 2 472) kritisierte:46 Es geht hier nicht bloß um Gegenseitigkeit, sondern offensichtlich um eine Gegenseitigkeit, die sich bereits innerhalb nichtgleichgültiger Verhältnisse – wie der Vereinigung der Liebe±¿QGHWGDPLWDQWLzipiert Hegel den relationalen Charakter, den seine normativen Konzeptionen ab Jena haben werden.47 Auf diese Weise entgehen die Beziehungen, die durch die Gegenseitigkeit der Liebe gekennzeichnet sind, eindeutig dem Verdacht, unter ein »abstraktes Allgemeines« subsumiert zu sein. Damit werden Herrschaft und Ungleichheit bei Hegel in einer Weise gleichgesetzt, die auch verdeutlicht, inwiefern Gleichheit hier eine normative Bedeutung besitzt: Ist Herrschaft als die Ungleichheit zwischen den beiden Polen der Relation zu verstehen, welche diese zu einer einseitigen, ungleichgewichtigen, asymmetrischen Relation macht, so würde eine Gleichheit zwischen beiden Polen der Relation ja für Hegel die Unmöglichkeit von Herrschaft bedeuten – und zwar gerade, insofern dadurch eine gleichgewichtige, also symmetrische, gegenseitige Beziehung gegeben wäre. Die normative Bedeutung der Gleichheit liegt also in der Relevanz von Symmetrie innerhalb von Beziehungen – und der Grund, Ungleichheit zu kritisieren, im Herrschaftscharakter von asymmetrischen Beziehungen. Es ist hier zu erwähnen, dass diese Gleichsetzung von Herrschaft und Ungleichheit, die auf eine normative Bedeutung von Beziehung hinausläuft, welche auf Symmetrie und insofern Gleichheit zwischen deren Polen gründet, sowohl beim früheren als beim späteren Hegel erscheint. In seinen frühen Schriften wird dieser Zusammenhang auch mit Bezug auf andere Gleichheitsfragen ersichtlich: So fällt etwa auf, dass der Grund, warum Hegel sich hier stellenweise ausdrücklich gegen Ungleichheit auch in anderer Hinsicht äußert, zuminGHVWWHLOZHLVHGLUHNWLP9HUKLQGHUQYRQ+HUUVFKDIWOLHJW6R¿QGHQVLFKHWZD
Hegel’s Ethics of Recognition. Berkeley/Los Angeles/London: California University Press, 1997, S. 220. 46 Eine bloß gegenseitige Relation würde unter Hegels Kritik an der Gleich-gültigkeit des »vollkommenen Gleichgewicht[s]« des »perpetuum quietums« fallen, die Hegel im Naturrechtsaufsatz an Fichtes Freiheitsauffassung kritisiert. Vgl. W 2 473f. Hegel antizipiert hier die normative Bedeutung, die er in seiner späteren Schriften Relationen – wie jener der Anerkennung nach seiner Jenaer Zeit – beimessen wird. Dazu aber später. 47 Das hängt damit zusammen, dass Freiheit und Gleichheit hier weiterhin mit Sittlichkeit verbunden bleiben. 65
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in Hegels frühen Schriften und zu Anfang der Jenaer Zeit gelegentlich ausdrückliche Hinweise auf die Notwendigkeit, die Bildung von »immer größerer Differenz und Ungleichheit« im Staat zu »hindern« (vgl. z.B. W 2 483). Diese Bemerkungen hängen zwar zunächst – rousseauistisch – mit dem Gedanken der Notwendigkeit zusammen, eine gewisse Homogenität und Kohäsion in der sittlichen Gemeinschaft zu garantieren, und wären somit eher mit der »republikanische[n] Gleichheit« der Griechen im Zusammenhang zu bringen – bei denen Hegel allerdings Gleichheit übrigens auch als »Gemeinschaft der *WHU©LGHQWL¿]LHUWXQGSRVLWLYEHZHUWHW48 Aber offenbar nicht nur das: Hegel macht im 1802 verfassten System der Sittlichkeit darauf aufmerksam, dass »die Regierung« der »Ungleichheit des Reichtums« » aufs höchste entgegenzuarbeiten« hat (SdS 354). Zwar sei jene Ungleichheit einerseits »an und für sich notwendig«– denn der »Trieb nach Vergrößerung des Reichtums« sei nichts anderes als »die Notwendigkeit, das bestimmte Einzelne, welches »das Besitz« sei, »ins unendliche aufzunehmen« (vgl. SdS 353).49 Aber durch eine solche Ungleichheit werde andererseits »das absolute Band des Volks, das Sittliche« »verschwinden« »und das Volk aufgelöst« (SdS 354). Und Grund für GLHVH$XÀ|VXQJLVWQXQZLHGHUXPJHUDGHGDVVGDPLWªHLQ9HUKlOWQLVGHU+HUUschaft« (SdS 353) hervortritt: »[...] der einzelne ungeheuer Reiche wird eine Macht, er hebt die Form der durchgehenden physischen Abhängigkeit, es von einem Allgemeinen, nicht von einem Besonderen zu sein, auf.« (SdS 353/354)
Zwar erwähnt Hegel im Zusammenhang dieser Darstellung noch, es gehe um eine Frage des »Grade[s]« (SdS 353) des Reichtums, so als ob nur der »ungeheuere« Reichtum ein Problem für die Entstehung von Herrschaft und das Weiterbestehen des Volks darstellen könne. Eindeutig ist aber, dass der Gedanke, Ungleichheit auch im Sinne »des Reichtums« sei zu »hindern«, ausdrück48 Vgl. z.B. die Unterscheidung, die in der Positivitätsschrift expliziter wird, zwischen der frühen »Gleichheit unter den ersten Christen« (W 1 127) – bei denen »Gemeinschaft der Güter« bestanden haben soll (W 1 126) – und der Ungleichheit, die durch die »Allgemeinerwerdung des Christentums« (W 1 129) entstanden sei. Oder, was eine positive Bewertung der Gleichheit betrifft, auch der spätere Hinweis darauf, dass man dem »System des Sansculottismus in Frankreich vielleicht Unrecht getan [habe], wenn man die Quelle der durch dasselbe beabsichtigten größeren Gleichheit des Eigentums allein in der Raubgier suchte« (W 1 439), denn »[w]ie sehr der unverhältnismäßige Reichtum einiger Bürger auch der freiesten Form der Verfassung gefährlich und die Freiheit selbst zu zerstören imstande« (ebd.) sei, lerne man durch die verschiedenen Beispiele aus der Antike, die Hegel anschließend anführt. 49 Hier sieht Hegel offenbar schon, wie später in der Rechtsphilosophie, das Personsein in der modernen Welt als mit Eigentum verbunden. Vgl. W 7 102ff. 66
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lich mit der Notwendigkeit zusammengebracht wird, Herrschaft, die aus der Asymmetrie entsteht, zu verhindern. (Auch noch beim »reiferen« Hegel, der bereits sein System als solches im %OLFN KDW LVW GLHVHU =XVDPPHQKDQJ ]X ¿QGHQ (LQ DXIIDOOHQGHV %HLVSLHO GDfür, das darüber hinaus auch noch den Zusammenhang zwischen Einseitigkeit, Asymmetrie und Ungleichheit verdeutlicht, ist die bekannte Dialektik zwischen Herr und Knecht im Selbstbewusstseinskapitel der Phänomenologie des Geistes (W 3 145ff.): Dort wird bekanntlich die Anerkennungsrelation, die sich im letztlich scheiternden Versuch des Selbstbewusstseins herstellt, sich seiner Gewissheit als Wahrheit zu bestätigen, gerade deshalb als gar keine Anerkennung im starken, normativen Sinne gedeutet, weil es sich um ein einseitiges, ungleiches Verhältnis handelt: »Aber zum eigentlichen Anerkennen fehlt das Moment, daß, was der Herr gegen den Anderen tut, er auch gegen sich selbst, und was der Knecht gegen sich, er auch gegen den Anderen tue. Es ist dadurch ein einseitiges und ungleiches Anerkennen entstanden.« (W 3 151) [Hervorhebung von mir – MMSM]
Darüber hinaus ist anzumerken, dass sich diese gescheiterte Anerkennung gerade deshalb als eine Herrschaftsrelation (die zwischen Herr und Knecht) interpretieren lassen wird, weil sie auf Einseitigkeit und Ungleichheit in dem hier behandelten Sinne gründet (vgl. W 3 152).50 Im Grunde genommen kann das gesamte Projekt der Phänomenologie (und der hegelschen Philosophie insgesamt) als ein Versuch interpretiert werden, nicht nur die Entzweiung und die daraus resultierende Gleichgültigkeit – zwischen Wissen und Gegenstand, Individuum und (gesellschaftlichem) Ganzen, Wahrheit und Geschichte51 –, sondern auch die verschiedenen Einseitigkeiten, Asymmetrien und Herrschaftsrelationen zu überwinden, die mit den unterschiedlichen Gewissheiten des Bewusstseins auf dessen Erfahrungsweg verbunden sind.52 Es dürfte auch kein Zufall sein, dass der Endpunkt dieses Weges – das Wahre, das das Ganze 50 Vgl. dazu Charles Taylor, der auch den normativen Aspekt der Gleichheit in Hegels Herr-und-Knecht-Dialektik betont: Charles Taylor: »The politics of recognition«. In: Amy Gutman (Hg.): 0XOWLFXOWXUDOLVP([DPLQLQJWKHSROLWLFVRIUHFRJnition. Princeton: Princeton University Press 1994, S. 50. 51 Ludwig Siep macht auf diese drei Aspekte der Aufgabe der Phänomenologie des Geistes besonders aufmerksam. Vgl. L. Siep: Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Frankfurt: Suhrkamp 2000, S. 82. 52 6RKDWQDFK]%5ROI3HWHU+RUVWPDQQVFKRQ+HJHOV.ULWLNDQGHU5HÀH[LRQVphilosophie »nicht nur die Bedeutung, Kritik an Fehlformulierungen und formalen Verfehlungen gewisser philosophischen Systeme zu sein, sondern versteht sich zugleich als Aufdeckung einer höchst realer Gefahr [...]: [die] InstitutionaOLVLHUXQJ XQUHÀHNWLHUWHU +HUUVFKDIWVYHUKlOWQLVVH© 9JO 5ROI3HWHU +RUVWPDQQ Hegels vorphänomenologische Entwürfe zu einer Philosophie der Subjektivität 67
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ist – als Sichselbstgleichheit bezeichnet wird (z.B. W 3 25).53 So kann umgekehrt eine Gleichheit, die zunächst bloß als logische Gleichheit verstanden werden könnte, auch in ihren sozialen Wurzeln erkannt werden: Wird Hegels gesamtes Projekt in Kontinuität mit seiner frühen Auseinandersetzung mit der Entzweiung gedeutet (die sich offensichtlich und unbestreitbar, unserer Deutung zufolge sogar überwiegend, auf das Gesellschaftlich-Geschichtliche bezog), so wird deutlich, dass die Gleichheit innerhalb von Relationen, die etwa in der Phänomenologie implizit als Überwindung von Herrschaft gefordert wird, auch als eine Forderung nach Gleichheit innerhalb von (auch sozialen) Relationen zu lesen ist: als die Forderung nach einer Symmetrie, die offensichtlich auch im Hintergrund der modernen, abstrakten Gleichheitskonzeption steht.) Bringt man nun diese Kritik an Ungleichheit wieder mit Hegels Kritik an den modernen abstrakten Begriffen der Freiheit und der Gleichheit in VerbinGXQJVRLVWVLHHEHQGDZLHGHU]X¿QGHQZRVLFKLQEHLGHQ%HJULIIHQ+HUUschaft manifestiert. Auch hier zeigt sich Ungleichheit nicht nur an der abstrakten Gleichheit, sondern an beiden kritisierten abstrakten Begriffen – und zwar gerade, insofern beide Ausdruck der modernen Herrschaft und damit Asymmetrie sind. Und auch hier geht es nun einfach darum, die bereits als Herrschaft kritisierten Aspekte jener Begriffe in Termini der Gleichheit/Ungleichheit der modernen Welt als ganzer darzustellen. Wie gesehen, setzte sich die normative Beziehung der Liebe in Hegels Darstellung gerade jener doppelten Weise der »Abhängigkeit« entgegen, die zwei »Richtungen« von Herrschaft entsprach: die »höchste Subjektivität« und die Abhängigkeit von einem »Objekte« (vgl. W 1 241); diese Herrschaft lässt sich insofern als Ungleichheit darstellen, als sich hier zwei Formen der Asymmetrie zeigen. Diese entsprechen den beiden Richtungen, in denen sich die moderne Herrschaft jeweils im abstrakten Freiheits- bzw. Gleichheitsbegriff zeigt: Die »höchste Subjektivität« lässt sich als der Ungleichheitscharakter des modernen Freiheitsbegriffs wiedererkennen. Die Einseitigkeit der Relation liegt hier auf Seiten der Subjektivität und deren Herrschaft gegenüber all dem, wogegen sich diese gleichgültig verhält. Zwischen der modernen Subjektivität und der objektiven wie intersubjektiven Welt, der äußeren wie inneren Natur besteht eine Asymmetrie, und zwar zu ihren Gunsten: Der Macht, die diese etwa über die Natur ausübt, entspricht (zumindest für den modernen Freiheitsbegriff) keine Gegenmacht der Natur, die dieses Verhältnis in ein Gleichgewicht bringen könnte.
LQ%H]LHKXQJDXIGLH.ULWLNDQGHQ3ULQ]LSLHQGHU5HÀH[LRQVSKLORVRSKLH. Unveröffentlichte Dissertation. Heidelberg 1968, S. 18. 53 Selbstverständlich ist dabei noch zu berücksichtigen, dass Hegel hier eher an Identität als an bloße Gleichheit als Relation denkt. 68
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Und im abstrakten Begriff der Gleichheit kann dagegen die Abhängigkeit von einem Objekt, die ja mit der Positivitätskritik zusammenhing, als eine Ungleichheit gedeutet werden, insofern die Einseitigkeit nun von der »Objekt«-Seite ausgeht: Im Zwangscharakter des »schwebenden« Allgemeinen und des über allem stehenden Rechts ist die Ungleichheitsdimension des modernen Gleichheitsbegriffs wiederzuerkennen. Die Ungleichheit besteht hier also zugunsten jener Instanzen, die dem abstrakten Ganzen entsprechen, dem gegenüber alle gleich sind und welches ja nicht nur über den atomisierten Subjekten »schwebt«, sondern sie auch unterdrückt: dem objektiv auftretenden Recht, einer abstrakten Moralitätsauffassung, dem fremd gewordenen – für Hegel auch göttlichen – Ganzen. Diese Herrschaft der nun als Allgemeines verstandenen positivierten objektiven Welt, oder die Ungleichheit zwischen deren Macht und jener der subsumierten Individuen wird nicht nur den späteren Jenaer Hegel, sondern auch noch den Hegel der Rechtsphilosophie dazu bringen, »den Zwang des Rechts« als die »innere Quelle des Verbrechens« anzusehen.54 Auch diese Zusammenhänge können wieder veranschaulicht werden: Gleichgültigkeit = Unfreiheit
Herrschaft = Ungleichheit
Abstrakte Freiheit
Atomisierung
Herrschaft der Subjektivität
Abstrakte Gleichheit
Schwebendes Allgemeines
Zwang des Rechts (= des Objekts)
Tabelle 4: Hegels Kritik an Unfreiheit und Ungleichheit Relevant ist allerdings selbstverständlich auch hier, dass sich Hegels Kritik an Ungleichheit nicht auf die Kritik an den modernen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit beschränkt. Da die Entstehung von Herrschaft das Bestehen von Gleichgültigkeit voraussetzt, wird auch die Ungleichheitskritik wieder in all jenen Kontexten auszumachen sein, wo bereits Unfreiheit aufgespürt worden war. Aber obwohl die Ungleichheitskritik, wie gesehen, in einem gewissen Sinne von der Unfreiheitskritik abhängt, beziehen sie sich – unserer Interpretation der Unterscheidung zwischen Gleichgültigkeit und Herrschaft entsprechend – auf verschiedene zu kritisierende Aspekte: Ist das Ziel der Kritik der Unfreiheit das Aufzeigen der distanzierten, entfremdeten, bezugslosen Beziehungsformen, die in der modernen Welt erkennbar sind, so wendet sich die Ungleichheitskritik gegen den asymmetrischen, einseitigen Herrschaftscharakter eben solcher Beziehungen. Diese Kritik an Ungleichheit geht also über die Kritik an Unfreiheit genau insofern hinaus, als sie darauf hinweist, dass die moderne Welt auf Asymmetrie gründet: auf der Asymmetrie zwischen ihren
54 Zu dieser Bestimmung des Zwangs des Rechts als Quelle des Verbrechens vgl. JS III 215. Zur Bestimmung in der Rechtsphilosophie vgl. wiederum W 7 178ff. 69
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sich wechselseitig gleichgültig gewordenen sozialen Gliedern.55 So bietet Hegel gerade aufgrund seiner Einsicht in den relationalen Charakter, den die moderne Welt der Entzweiung annimmt, sobald man sie nicht als bloße Zersplitterung des Sittlichen versteht, umgekehrt auch einen gewichtigen Grund an, jede Form von Ungleichheit zu kritisieren: die Herrschaft, die asymmetrische Relationen notwendigerweise bedeuten.
55 Damit wird aber selbstverständlich nicht behauptet, die Antike sei etwa im modernen Sinne egalitärer gewesen. Vermutlich hat sich in Hegels Interpretation, welche die Antike als die Welt vor der Entzweiung sieht, die Gefahr von Herrschaft in diesem Sinne (und somit der Ungleichheit in Beziehungen) schon aufgrund der substanziellen Einigkeit des Sittlichen nicht ergeben. 70
II. Hegels Versöhnungsansätze, Freiheit und Gleichheit
Obwohl sich bereits aus Hegels Modernitätsdiagnose erkennen lässt, in welcher Hinsicht seine Kritik an der modernen Entzweiung einen Bezug zu normativen Auffassungen nicht nur der Freiheit, sondern auch der Gleichheit enthält, werden diese als solche erst aus seinen Antworten auf diese Diagnose deutlich. Der Versuch, auf die Frage nach der modernen Entzweiung eine Antwort zu geben, ist bekanntlich zum Motor von Hegels philosophischer Entwicklung geworden; das Bedürfnis der Philosophie nach einer Versöhnung der Entzweiung, auf welches er am Anfang der Differenzschrift aufmerksam macht, entspricht ja dem Anspruch, jene »Macht der Vereinigung«, die »aus dem Leben der Menschen« verschwunden sei, wiederherzustellen und den nun selbstständig gewordenen »Gegensätze[n]« ihre verlorene »lebendige Wechselwirkung« zurückzugeben (vgl. W 2 22) – sie also wieder miteinander zu versöhnen. Nun wird Hegel in Jena verschiedene Systemansätze entwickeln, die Versuche darstellen, für seine Modernitätsdiagnose und die damit verbundenen theoretischen Probleme eine – je nach Ansatz unterschiedlich konzipierte – LöVXQJ]X¿QGHQ$OOGLHVH6\VWHPDQVlW]HN|QQHQZLHVFKRQ+HJHOV2ULHQWLHrung am normativen Ideal der Polis und der Frankfurter Begriff des Lebens, als Versuche verstanden werden, die Möglichkeit einer Versöhnung der modernen (QW]ZHLXQJ]XGHQNHQXQGEHJULIÀLFK]XIDVVHQ±VHLHVDOVLKUHhEHUZLQGXQJ oder schon als eine Aufhebung im Sinne des »reifen« Hegel. Diese Versöhnungsansätze werden sich mit verschiedenen Auffassungen des Sittlichen und damit der normativen Maßstäbe von Hegels Modernitätskritik verbinden und unterschiedliche Konsequenzen haben, was Hegels normative Konzeptionen der Freiheit und der Gleichheit betrifft. Die Aufgabe dieses Teils ist es nun gerade, an den verschiedenen Lösungsansätzen zum Problem der Entzweiung, die Hegel in Jena formuliert, die in 71
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ihnen implizit enthaltenen normativen Auffassungen von Freiheit und – unserer Fragestellung gemäß – vor allem Gleichheit festzustellen, bevor die Folgen einer dieser normativen Gleichheitsauffassungen vertieft werden können. So werde ich mit einem Überblick über die Weisen, wie Hegel das Sittliche (und damit seine normativen Maßstäbe) auffasst, und ihre Konsequenzen beginnen, angefangen von seinen Tübinger Schriften bis hin zur Ausgangslage seiner Jenaer Entwürfe (1), um dann seine Jenaer Systemansätze darzustellen, die als drei verschiedene Versöhnungsansätze zu unterschiedlichen normativen Auffassungen der Sittlichkeit und damit auch von Freiheit und Gleichheit führen werden (2).
1. Modernitätsversöhnung und Auffassungen des Sittlichen
Spiegelbildlich zu Hegels Diagnose der modernen Welt entwickelt sich im Rahmen seiner frühen und Jenaer Schriften auch der normative Maßstab seiner Kritik: Von einer Kritik an der Abstraktion der modernen Verhältnisse, die vom Standpunkt des einheitlichen Bandes der antiken Sittlichkeit aus geübt wird, geht Hegel in Frankfurt über zu einer Kritik an Entzweiung durch die normativen Konzeptionen der Liebe und dann des Lebens. Diese Entwicklung wird sich in Hegels Jenaer Schriften fortsetzen: dem Frankfurter Begriff des Lebens folgen der Begriff des Absoluten der frühen Jenaer Zeit und die verschiedenen Konzeptionen des Geistes, die von seinen späteren Jenaer Systemansätzen bis hin zu seinen »reifen« Werken reichen und deren letzte Fassung sich als der Kern seiner Philosophie überhaupt durchsetzen wird. Insofern Hegel in Jena aber den objektiven Geist noch nicht deutlich vom absoluten unterscheidet, hängen die Konzeptionen des Geistes in seinen Jenaer Systementwürfen noch direkt mit unterschiedlichen Sittlichkeitskonzeptionen zusammen.1 Wir werden aber sehen, dass sich in Jena die Frage nach der Entzweiung der modernen Welt hin zu einer komplexeren Frage – die einer relativen Verdoppelung von Hegels Auffassung dessen, was als sittlich gelten darf, und damit seinen normativen Maßstäben entspricht – nach dem Verhältnis zwischen zwei Ebenen der Versöhnung und deren Entzweiung voneinander verschieben wird. Diese neue Frage ist Folge von Hegels Einsicht, dass auch die modernen Verhältnisse einen (zumindest relativen) sittlichen Charakter aufweisen; mit dieser Entwicklung wird sich nicht nur die Weise 1
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Erst in seinen letzten Jenaer Systementwürfen deutet sich eine Trennung von Geist und Sittlichkeit an, die auf die späteren Schriften hinweist. Vgl. dazu Rolf-Peter Horstmann: »Einleitung« zu den Jenaer Systementwürfen III, S. XVIf.
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
ändern, wie er, den Änderungen seiner Modernitätsdiagnose selbst entsprechend, die Versöhnung der modernen Entzweiung und deren Aufgaben versteht, sondern auch die damit verbundenen normativen Konzeptionen von Freiheit und Gleichheit. Der Anfang dieser Entwicklung soll in diesem Kapitel erläutert werden. Nach ihrer Darstellung bis hin zum Frankfurter Begriff des Lebens, die auf die bereits beschriebene Problematik seiner frühen Schriften zurückgreift, nun aber von der Perspektive seiner normativen Maßstäbe ausgehend wiedergegeben wird (a), werde ich die Veränderung in Hegels Auseinandersetzung mit der modernen Welt in Jena darstellen, die mit der Verdoppelung seiner Auffassung des Sittlichen zusammenhängt; diese Veränderung lässt sich an der Figur der Tragödie im Sittlichen im Naturrechtsaufsatz zeigen (b). Dann werden wir ihre Bedeutung für die normativen Konzeptionen von Freiheit und Gleichheit verdeutlichen, die sich in Hegels Entwicklung zu Anfang der Jenaer Zeit erkennen lassen (c), sowie die Auswirkungen auf diese Konzeptionen beschreiben, die unter dem Aspekt jener Veränderung Hegels Jenaer Versöhnungsversuche möglicherweise erfahren werden (d). Hegels Jenaer Systemansätze selbst, die diese Versöhnungsversuche darstellen, werden im folgenden Kapitel dieses Teils behandelt.
a) Von der Polis zum Leben Auf Hegels frühe normative Konzeptionen haben wir bei der Darstellung seiner Kritik der modernen Welt bereits mehrfach hingewiesen. Am Beginn seiner Auseinandersetzung mit der modernen Welt als Tübinger Student ist, wie gesehen, alles, was Hegels als normativ versteht, eindeutig mit seinem Ideal der griechischen Polis verbunden. Mit seiner Auffassung der Sittlichkeit stimmen auch seine normativen Konzeptionen von Freiheit und Gleichheit überein, und zwar auf derart enge Weise, dass diese Begriffe kaum als getrennte voneinander zu unterscheiden sind, und Sittlichkeit als eine Art Freiheit und Gleichheit zugleich umfassende Konzeption verstanden werden könnte. Hegels Entwicklung in seinen frühen Schriften zeigt sich daran, dass der ursprünglich einheitlich aufgefasste Begriff der Sittlichkeit einen relationalen Charakter annimmt, auch wenn sich dieser hier nur ansatzweise durchsetzt: Das sittliche Band der Polis wird am Ende seiner Frankfurter Zeit ausdrücklich (auch) als Verbindung des Lebens aufgefasst.2 Hegels frühe Orientierung an der griechischen Antike ist bekanntlich keine Eigenheit unseres Autors, sondern zu seiner Zeit als geisteswissenschaftliche 2
Für viele der Darstellungen zum jungen Hegel stütze ich mich auch hier auf meine eigene frühere Untersuchung. Vgl. Leben und Zeitkritik in Hegels frühen Schriften, Frankfurt a.M.: Peter Lang 2005. 73
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Tendenz ziemlich verbreitet.3 Bei Hegel lässt sich diese Tendenz bereits in seinen ersten Tübinger Schriften zur praktischen Bedeutung der Religion immer wieder an verschiedenen Textstellen deutlich erkennen: etwa wo ein Vergleich der zeitgenössischen Religion mit dem »Glauben der Griechen« eine Rolle spielt, bzw. in den nostalgischen Darstellungen, die dem zeitgenössischen Abendland das alte Griechenland entgegensetzen.4 In der griechischen Polis sollen, wie bereits gesehen, alle Aspekte des gesellschaftlichen wie auch des individuellen Lebens einen harmonischen Zusammenhang gebildet haben. Kennzeichnend für dieses Bild ist außerdem, dass es vor allem auf gesellschaftlich-ethische Aspekte bezogen wird: »Geist des Volks, Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit« (W 1 42) werden offensichtlich als entscheidende Elemente für das Bestehen jenes »Bandes« (ebd.) betrachtet, in dem alles «zusamPHQYHUÀRFKWHQ©HEG JHZHVHQVHLQVROOXQGVWHOOHQJHZLVVHUPDHQVHLQHQ NRQNUHWHQ VXEVWDQ]LHOOHQ *HKDOW GDU$XV GLHVHU 9HUÀHFKWXQJ YHUVFKLHGHQHU gesellschaftlicher Elemente ergibt sich die Sittlichkeit aber als ein Band, das jenseits von Relationen als eine Art undifferenzierte Einheit besteht; erst ihr substanzieller Gehalt wird es ermöglichen, die – wie es Hegel später im Naturrechtsaufsatz ausdrücken wird – »wesenslosen Abstraktionen« der modernen Welt in solchen Termini (d.h. als wesenlose Abstraktionen) zu kritisieren. Der modernen Entzweiung, die hier noch nicht als solche aufgefasst wird, setzt Hegels Kritik also zunächst jene sittliche Integration entgegen, die mit der Entstehung der modernen Welt verloren gegangen sei und auf deren Wiederherstellung – etwa durch eine Volksreligion – der junge Hegel offenbar hofft. Die Richtung dieser Kritik – auf dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit der praktischen Bedeutung von Religion, welche diese Schriften charakterisiert – wurde bereits erläutert. Dabei gilt es aber, sich über diese deutliche Entgegensetzung klarzuwerden: Hegel kontrastiert die lebendige Harmonie der griechischen Polis ausdrücklich mit den Verhältnissen seiner Zeit, die wegen des Fehlens bzw. des Zerfalls einer solchen einheitlichen Harmonie als tot gekennzeichnet werden.5 Das Ergebnis ist, wie erwähnt, die Deutung dieser Verhältnisse als Zustand der Abstraktion, was, wie gesehen, in der Berner Kritik der Positivität weiterentwickelt wird, sodass Hegels Deutung der modernen Welt mit Bezug auf die griechischen Antike sogar Züge einer Art Verfallsgeschichte aufweist. 3
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Zum Verhältnis Hegels – wie auch vieler seiner Zeitgenossen – zur griechischen Antike siehe u.a. Dominique Janicaud: Hegel et le destin de la Grèce. Paris: Vrin 1975; sowie Jaques Taminiaux: La Nostalgie de la Grèce à l’aube de l’Idealisme Allemand. Kant et les grecs dans l’itinéraire de Schiller, de Hölderlin et de Hegel. La Haye: M. Nijhoff 1967. Vgl. z.B. W 1 42ff. Vgl. z.B. die Bezeichnung der »objektiven Religion« seiner Zeit als »totes Kapital« in W 1 13.
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
Nun verbindet sich mit Hegels Ankunft in Frankfurt am Main 1797, wie bereits erwähnt, ein entscheidender Schritt in seinem Denken.6 Bei der Darstellung seiner frühen Modernitätsdiagnose haben wir gesehen, dass gerade zu diesem Zeitpunkt eine Entwicklung in der Weise zu erkennen ist, wie er die Entzweiung und ihre Folgen versteht und deutet: Von einer Kritik an Objektivität geht Hegel zu einer Kritik an Objektivität und Subjektivität und somit zu einer Deutung der modernen Welt über, die in dieser nicht nur Abstraktion, sondern eine Entzweiung im eigentlichen Sinne sieht. Aber es lässt sich mit Hegels Ankunft in Frankfurt eine Entwicklung nicht nur in seiner Modernitätsdiagnose erkennen, sondern auch im normativen Maßstab selbst, den er für diese Diagnose verwendet, und zwar insofern, als er von da an seinen normativen Maßstab bereits ansatzweise als eine Relation auffasst. Der Begriff der Liebe, der oben erwähnt wurde, ist Hegels erster Schritt in diese Richtung. Als Folge von Hegels Kontakt mit dem Freundeskreis um Hölderlin und dessen Ansätzen zu einer Vereinigungsphilosophie wird die Tatsache gedeutet, dass Hegels Auseinandersetzung mit der Religion nun in Zusammenhang mit einem auch metaphysisch aufgefassten Begriff des Lebens als eines Seins steht; dieser übernimmt nun die normative Rolle der lebendigen Sittlichkeit der Polis. Hinzu kommt, dass die Auseinandersetzung mit diesem Begriff des Lebens zunehmend mit logischen Überlegungen zu Ganzheit und Relation, Einheit und Mannigfaltigkeit verbunden wird, die die ersten Schritte zur Entwicklung der hegelschen Dialektik darstellen7 – ohne allerdings den Bezug zu Hegels ursprünglich praktischer Fragestellung ganz zu verlieren. In diesem Kontext steht die Entstehung seines relationalen Begriffs des Lebens; insofern allerdings Hegels relationale normative Konzeptionen immer noch einer arelationalen normativen Konzeption gegenüberstehen, ist diese Entwicklung nur partiell; sie wird sich daran zeigen, dass nun in Hegels Auffassung des Sittlichen, die ja seine normativen Maßstäbe ausdrückt, eine Art (relativer) VerdopSHOXQJVWDWW¿QGHW Die erste Konzeption, die den relationalen Charakter von Hegels Konzeption des Sittlichen erkennen lässt, ist der oben erwähnte Begriff der Liebe, desVHQ%HGHXWXQJIU+HJHODXI+|OGHUOLQV(LQÀXVV]XUFNJHIKUWZLUG8 Die Folgen von Hegels Frankfurter »Wandlung« (Henrich) für sein normatives Ideal sind hier genauso bemerkenswert wie für die Ziele seiner Kritik: Die Liebe, als 6
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Vgl. Dieter Henrich: «Hegel und Hölderlin« und «Historische Voraussetzungen von Hegels System«. In: ders.: +HJHO LP .RQWH[W. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1971. S. 9-40 bzw. 41-72; sowie Christoph Jamme: »Ein ungelehrtes Buch«. Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 17971800. Bonn: Bouvier 1983. Zu dieser Entwicklung vgl. Manfred Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. Bonn: Bouvier 1986. Vgl. D. Henrich, ebd.; sowie Ch. Jamme, ebd. 75
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jene normative Konzeption, die Hegel am Anfang seiner Frankfurter Zeit der diagnostizierten Entzweiung direkt und eindeutig entgegensetzt, wird, wie gesehen, zum ersten Mal als Beziehungsform in demselben Fragment dargestellt, in dem die moderne Entzweiung ebenfalls erstmals als solche erkennbar wurde – dem Fragment, das als Moralität, Liebe, Religion bekannt ist.9 Als »Liebe« kennzeichnet Hegel hier ja eine Relation, bei welcher »[...] man [das Subjekt] eins ist mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht« (W 1 242). Dieser relationale Charakter der Liebe wird aber noch evidenter, wenn die Relation der Liebe deutlich als solche (d.h. als Relation), und nicht als Herstellung von Identität erscheint: »Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm, und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen« (W 1 244) [Hervorhebung von mir – MMSM]
Obwohl das Ziel der Vereinigung der Liebe im Grunde hier zunächst immer noch die Überwindung der Trennung und die Herstellung eines Ganzen ist, kennzeichnet die allmähliche Entwicklung einer relationalen Konzeption der Einheit – also auch der der Sittlichkeit der Polis – als Vereinigung den Anfang eines Weges, der in die Jenaer Konzeptionen des Absoluten und schließlich des Geistes münden wird.10 Aus dieser Idee der Liebe – die die Vorstellung von Vereinigung einschließt, gleichzeitig aber Objektivität und Subjektivität als einander gegenüberstehende Teile der Spaltung einer Einheit betrachtet – entwickelt sich in späteren Frankfurter Schriften der Begriff des Lebens, der die relationale Verhältnisstruktur der Liebe weiterführt. Damit gelangt Hegel aber zu einer eigenständigen, von der Vorstellung der Liebe weitgehend unabhängigen Konzeption einer Einheit, die – wie die einheitliche lebendige Harmonie der Polis – der entzweiten Welt der 5HÀH[LRQ gegenüber normative Bedeutung besitzt, jedoch – anders als die Einheit der Polis – den entzweiten Verhältnissen nicht ganz äußerlich bleibt. Diese Entwicklung kennzeichnet einen zentralen Aspekt der Frankfurter Schriften. Sie zeigt sich auch in vielen der religiösen Deutungen des Lebens, die Hegel in diesen Schriften gibt, wie etwa die Interpretation des christlichen Trinitätsgedankens: Dieser sei durch eine Art von Einheit charakterisiert, die nicht »Begriff«, »nicht nur ein Gedachtes [ist], und vom Lebendigen abstrahiert«, sondern »lebendige Beziehung Lebendiger, gleiches Leben; nur Mo9 Vgl. W 1 239ff. 10 Der relationale Charakter der Liebe war sogar schon im so gennanten Tübinger Fragment erkennbar, wo die Liebe an einer Stelle als etwas »Analoges mit der Vernunft« habend dargestellt wird, »insofern als die Liebe in anderen Menschen VLFKVHOEVW¿QGHWRGHUYLHOPHKUVLFKVHOEVWYHUJHVVHQGVLFKDXVVHLQHU([LVWHQ] KHUDXVVHW]WJOHLFKVDPLQDQGHUHQOHEWHPS¿QGHWXQGWlWLJLVW©: 76
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
GL¿NDWLRQHQGHVVHOEHQ/HEHQVQLFKW(QWJHJHQVHW]XQJGHV:HVHQVQLFKWHLQH Mehrheit absoluter Substantialitäten« (vgl. W 1 376). Dieser Begriff des Lebens nimmt in den Schriften der Frankfurter Zeit bis hin zum sogenannten Systemfragment von 1800 eine grundlegende Stellung ein. Und gerade diese Schrift bietet am deutlichsten die Möglichkeit, das Leben als durch eine relationale Struktur gekennzeichnet aufzufassen. Mit der hier zum ersten Mal ausdrücklich entwickelten Konzeption des Lebens als eines Organismus erreicht Hegels Auffassung des Sittlichen eine Ebene, auf der die kritisierten entzweiten Verhältnisse erstmals in einem gewissen Sinne in den Begriff des Lebens aufgenommen werden. In dieser Konzeption wird das Leben selbst als ein komplexer Zusammenhang von Verhältnissen dargestellt, durch die sich das Ganze im Sinne einer vollkommen relationalen Einheit allererst konstituiert. Hier gilt für jeden durch das Leben in Beziehung gesetzten lebendigen Teil, dass »seine Beziehung [...] nicht mehr absolut als [die] Trennung dieses Bezogenen« ist (W 1 419): dass also die Verbindung den Verbundenen gegenüber keinen Vorrang besitzt und diese insofern als solche bestehen lässt. Außerdem wird dadurch klar, dass der so aufgefasste Zusammenhang nicht etwa als eine homogene undifferenzierte Einheit zu deuten ist: Die Ganzheitsvorstellung, die mit einer derart relationalen Auffassung zusammengebracht werden kann, wäre eher – wie Hegel es darstellt – als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung (W 1 422) zu kennzeichnen. Der Einheitscharakter dieser Vielheit Lebendiger wäre ausschließlich auf deren Bezugscharakter – als eine bezogene Vielheit – zurückzuführen. Dies zeigt sich in diesem Text in der Bestimmung von Individualität, welche auf eine Art Gegenseitigkeit des Verhältnisses von Einschluss/Ausschluss zwischen sich wechselseitig konstituierenden Individualitäten (bzw. hier zwischen diesen und der Unendlichkeit der individuellen Leben außer ihnen) verweist, die dem Leben eine eindeutig relationale Struktur zuspricht: »Der Begriff der Individualität schließt Entgegensetzung gegen unendliche Mannigfaltigkeit und Verbindung mit demselben in sich; ein Mensch ist ein individuelles Leben, insofern er ein anderes ist als alle Elemente und als die Unendlichkeit der individuellen Leben außer ihm; er ist nur ein individuelles Leben, insofern er eins ist mit allen Elementen, aller Unendlichkeit des Leben außer ihm; – er ist nur insofern das All des Leben geteilt ist, er der eine Teil, alles übrige der andere Teil; er ist nur, insofern er kein Teil ist und nichts von ihm abgesondert.« (W 1 419 f.) [Hervorhebungen von mir – MMSM].
Nun ist hier mit Bezug auf Hegels Modernitätsdiagnose ein wesentlicher Schritt zu erkennen: An die Stelle einer Konzeption, die das Bestehen von Verhältnissen – das ja aus einer Zäsur in der normativen Einheit der Polis hervorgeht – nur im Rahmen einer als Verfall gedeuteten Entzweiung verstand, tritt hier 77
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– zumindest ansatzweise – eine Auffassung, bei der jene Verhältnisse selbst die Strukturierung bzw. die interne Ausdifferenzierung des Lebens in Organen (W 1 421) darstellen. Und umgekehrt werden die am Anfang der Entwicklung als isoliert betrachteten objektivierten oder subjektivierten Teile nun doch als solche als zu einer – relationalen – Einheit gehörend und sich gegenseitig bestimmend aufgefasst: einer Einheit, die nun eindeutig nicht mehr mit der Auffassung eines homogenen Bandes übereinstimmt. Wird nun diese Konzeption als eine Art normativ-deskriptive Interpretation der sittlichen Verhältnisse der modernen Welt betrachtet – was sich von der Transformation des normativen Ideals in ein Sein her anbietet –, dann zeigt sich zunächst, dass hier nicht mehr die Rede vom Zerfall der Sittlichkeit infolge des Verfalls der griechischen Polis sein kann: Einerseits zeigt sich diese sittliche Integration als die Integration der Entzweiung; und andererseits die Entzweiung als die Strukturierung der Art von Integration, die sich aus der 9HUÀHFKWXQJ VROFKHU LQWHUVXEMHNWLYHU 9HUKlOWQLVVH HUJLEW 6RPLW JHKW +HJHO hier von einem normativen Maßstab seiner Modernitätskritik, der sich auf das homogene Band der Polissittlichkeit stützte, zum normativen Maßstab der Verbindung des Lebens über – verstanden als eine durch gegenseitige Relationen konstituierte, in sich differenzierte sittliche Einheit. Obwohl auch noch in späteren Schriften Hegels oft ein eher pessimistischer Ton bezüglich der Folgen des Verfalls der Polis festzustellen ist, so zeigt sich bereits hier bei Hegel auch eine gewisse Einsicht in die Unvermeidbarkeit – wenn nicht sogar Wünschbarkeit – der Verhältnisse der modernen Welt. Insofern also dieses Relationalwerden auch im Sinne einer zumindest relativen Annahme der 5HÀH[LRQ und somit der Entzweiung als ein – mit Hegels Jenaer Worten – »Faktor des Lebens« (W 2 21) verstanden werden kann, entspricht dieser nun eine Auffassung der modernen Welt, die in ihr nicht Verfall sieht, sondern ihr mit einer gewissen Ambivalenz begegnet: als gleichzeitiger Entzweiung und Ausdifferenzierung. Und insofern Kritik und normativer Maßstab zugleich ihren Platz innerhalb der Ambivalenzen der modernen Welt und ihrer Verhältnisstruktur haben, gehört der Maßstab der Kritik nun demselben Kontext an wie das Kritisierte – was man auch so ausdrücken könnte, dass von diesem Punkt an Kritik der modernen Welt immanente Kritik zu sein hätte. Allerdings setzt sich die relationale normative Konzeption des Lebens nicht ganz durch. Schon die Auffassung der Liebe zu Beginn der Frankfurter Zeit war doppeldeutig: Die relationale Einheitsauffassung, die als Folge der »Entzweiung« in Hegels normativen Konzeptionen auftaucht, tritt neben, nicht an die Stelle, der ursprünglichen, arelationalen Auffassung der Sittlichkeit, die weiterhin besteht. So kann schon die Vereinigung der Liebe auf eine doppelte Weise verstanden werden: Einerseits begreift die vereinigungsphilosophische Konzeption der Liebe diese bereits zugleich ausdrücklich als eine Vereinigung, also eine Einheit, die sich durch eine Relation konstituiert, in welcher jedoch 78
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
die Relata auch solche bleiben; andererseits aber ist die Liebe für Hegel gleichzeitig offenbar immer noch als eine Einheit zu sehen, die als differenzierungslose Einigkeit aufgefasst werden müsste und sich mit jener einheitlichen, undifferenzierten sittlichen Harmonie der griechischen Polis in Zusammenhang bringen ließe, die Hegel früher als Ideal und normativer Maßstab der Kritik diente. Dieses Letzte ist das Verständnis der Liebe, das am Anfang der Frankfurter Zeit für Hegel sogar noch Vorrang hat: »In der Liebe ist das Getrennte noch, aber nicht mehr als Getrenntes, [sondern] als Einiges, und das Lebendige fühlt das Lebendige.« (W 1 246) Diese Form des Verhältnisses wird auch noch dem Göttlichen gleichgestellt: »Wo Subjekt und Objekt oder Freiheit und Natur so vereinigt gedacht wird, dass Natur Freiheit ist, dass Subjekt und Objekt nicht zu trennen sind, da ist Göttliches [...]« (W 1 242).11 Auch die aus der Auffassung der Liebe entwickelte relationale Konzeption des Lebens löst die mit der Sittlichkeit der Polis zusammenhängende arelationale Auffassung nicht vollkommen ab. Denn gerade die Schrift, die eine besonders deutlich relationale Auffassung des Lebens (als jenes über die Liebe hinausgehenden sittlichen Ganzen) beinhaltet, enthält ebenfalls eine Darstellung des Lebens, die dieses arelational deutet und die relationale Konzeption – die Hegel hier als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung (W NHQQ]HLFKQHW ± ]XU 'DUVWHOOXQJ GHV /HEHQV EOR ªIU GLH 5HÀH[LRQ© (ebd.) und zur »Natur« (W 1 420) degradiert: Im Systemfragment von 1800 wird das Leben – man könnte sagen: »an sich« – als »das Lebendige, frei vom Vergehenden, die Beziehung ohne das Tote und sich Tötende der Mannigfaltigkeit, nicht eine Einheit, eine gedachte Beziehung, sondern allebendiges, allkräftiges, unendliches Leben [...]« (W 1 421)
charakterisiert; dieses Leben sei allerdings vom Standpunkt der 5HÀH[LRQ her EORDOVª6HLQDXHUGHU5HÀH[LRQ©DXI]XIDVVHQYJO: 12 Grund dafür ist nun offenbar der Gedanke, dass noch ein weiterer Unterschied zwischen dem als lebendig zu betrachtenden Geteilten und dem Leben selbst »frei vom Vergehenden« (W 2, 421) besteht. Mit dieser Auffassung, die wir als »Beziehung ohne [..] Mannigfaltigkeit« (ebd.) offensichtlich noch im Sinne der Sittlichkeit der Polis als die einer homogenen Einigkeit verstehen 11 Darauf, dass die Art von Beziehung, die die Liebe impliziert, »die »Gegenqualität zur Gleichgültigkeit und zur Herrschaft« sei, die als »Verhältnisse« »gerade den Verlust von »Beziehung« indizieren«, macht Hubertus Busche aufmerksam. Dabei unterscheidet er, wie erwähnt, im Gegensatz zu mir terminologisch zwischen »Beziehung« bzw. »Vereinigung« und »Verhältnis«. Vgl. H. Busche: Das Leben der Lebendigen. Bonn: Bouvier, 1987, S. 173. 12 'KDQVLFKVHOEVW±MHQVHLWVGHU5HÀH[LRQ±LVWGDV/HEHQQRFKDOVHLQEHUGHUartigen Verbindungen stehendes Undifferenziertes zu verstehen. 79
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müssen, ist also Hegels normativer Maßstab doch nicht vollkommen relational geworden; Hegels ursprüngliche normative Konzeption bleibt sogar noch vorrangig – und wird es auch zu Beginn seiner Jenaer Zeit noch bleiben. Da nun aber die relationale Auffassung des Lebens mit dieser arelationalen Konzeption weiterhin koexistiert, ist es möglich, von einer relativen Verdoppelung von Hegels Auffassung des Sittlichen und somit seines normativen Maßstabs zu sprechen: Einerseits orientiert sich Hegels Kritik an einem normativen Maßstab, der den modernen Verhältnissen immer noch keinen relevanten sittlichen Wert beimisst; andererseits aber zeigt sich an der relationalen Auffassung des Lebens, dass auch die Relationen zwischen den entzweiten Lebendigen eine Form von Sittlichkeit darstellen. Relativ ist diese Verdoppelung deshalb, weil Hegel sich nicht nur im Systemfragment von 1800, sondern auch noch zu Beginn der Jenaer Zeit deutlich genug für eine der beiden Auffassungen des Lebens entscheidet, indem er seiner frühen arelationalen Konzeption den Vorrang vor der Relationalität des Lebens gibt. Diese Verdoppelung, und der Versuch, zwischen zwei normativen Ebenen zu vermitteln, wird trotz dieses Vorrangs zum Problem werden, dessen Lösung sich die Jenaer Schriften werden widmen müssen.
b) Die Tragödie im Sittlichen: die doppelte Natur des Absoluten Die veränderte Konstellation in Hegels Auseinandersetzung mit der modernen Welt, die sich schon in der relativen Verdoppelung des Lebens am Ende seiner Frankfurter Zeit zeigt, wird den Ausgangspunkt der Entwicklung seiner Jenaer Systemansätze bilden. Sie wird in Jena im Bild der Tragödie im Sittlichen erkennbar, das im Naturrechtsaufsatz erscheint und eine doppelte Natur des Absoluten darstellt, welche die Verdoppelung des Lebens weiterführt. Das Bild der Tragödie im Sittlichen ist eine der eindrucksvollsten Charakterisierungen der modernen Welt, die Hegel uns präsentiert. Hegel redet in dem Teil des Naturrechtsaufsatzes, in dem dieses Bild erscheint, von der Aufführung einer Tragödie, die das Absolute »ewig mit sich selbst spielt«, welche das Ergebnis seiner eigenen »gedoppelten Natur« sei: Einerseits sei das Absolute »göttliche«, andererseits »andere« Natur; dabei wird »sein Leben« als »das absolute Einssein dieser Naturen« (vgl. W 2 495) dargestellt. Die »göttliche« Natur meint »die Realität der Sittlichkeit als absoluter Indifferenz« (W 2 494); als seine »andere« Natur erscheint dagegen die Realität »ebenderselben als des reellen Verhältnisses im bestehenden Gegensatze« (W 2 494). Diesem Bild stellt Hegel noch zwei andere Bilder entgegen, die er als Komödien bezeichnet: die »alte oder göttliche Komödie« der »absoluten Lebendigkeit«, wo »absolute Zuversicht und Gewißheit der Realität des Absoluten ohne Gegensätze« (W 2 496) bestanden habe, und die »moderne Komödie«, wo sich kein Schicksal 80
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
ernsthaft realisiere; hier sind »die Gegensätze und das Endliche« »ein wesenloser Schatten« und das Absolute »eine Täuschung« (W 2 499). Wie sich dem Kontext des Bildes der Tragödie im Sittlichen leicht entnehmen lässt, stellt Hegel in diesem Bild zwei »Sittlichkeiten« einander gegenüber: einerseits die absolute Sittlichkeit der »göttlichen« Natur und andererseits die des Bourgeois, die er im Text gerade dargestellt hatte. Auf die Bedeutung der Kritik, die er im Naturrechtsaufsatz an den Verhältnissen der modernen Welt übt, wurde schon hingewiesen. Wichtig ist hier aber, dass im Bild der Tragödie im Sittlichen die Entgegensetzung von absoluter Sittlichkeit und modernen entzweiten, aber durch Relationen verbundenen Verhältnissen als eine Entgegensetzung im Sittlichen dargestellt wird: Hier werden zwei Ebenen der 6LWWOLFKNHLWPLWHLQDQGHUNRQIURQWLHUWXQGJOHLFK]HLWLJLKUªHZLJ©VWDWW¿QGHQGHU .RQÀLNWDEHUDXFKLKUH$QJHZLHVHQKHLWDXIHLQDQGHUKHUYRUJHKREHQ13 Darüber hinaus wird aus der Entgegensetzung dieses Bildes und dessen der EHLGHQ .RP|GLHQ GHXWOLFK GDVV VRZRKO GLHVHU .RQÀLNW DOV DXFK MHQH$QJHZLHVHQKHLWDOVQRWZHQGLJVWDWW¿QGHQGJHGDFKWZHUGHQ'HQQHVIlOOWDXIGDVV Hegel beim Gedanken, das Absolute sei »ewig« in eine Tragödie im Sittlichen verwickelt, davon ausgeht, dass die beiden anderen Weisen des Verhältnisses des Absoluten zur »Objektivität« nicht passend bzw. möglich sind: Einerseits wird hier deutlich, dass die alte Komödie, die offenbar mit dem ursprünglichen Polisideal in Zusammenhang steht, zumindest nicht mehr möglich ist; hier kann etwa ein Bestehen auf dem Polisideal ohne jeglichen Bezug auf den entzweiten/ausdifferenzierten sittlichen Charakter der modernen Welt gemeint sein. Andererseits hat die moderne Komödie, die das Schicksal meidet – und einer Darstellung der Verhältnisse der Neuzeit entsprechen dürfte, so wie jene der kritisierten Naturrechtslehren –, etwas Lächerliches: In einem bloß atomistischen Verständnis der modernen Welt, ohne den Bezug auf ein sittliches Gan]HV¿QGHGHU.RQÀLNWQXULQªNRPLVFKHQ*HJHQVlW]HQ©: VWDWW Nun wird deutlich, dass das, was sich in diesem Bild der Tragödie im Sittlichen zeigt, Hegels Wahrnehmung der modernen Welt ist: als notwendig mit Entzweiung verbunden. Damit setzt dieses Bild jene Einsichten vom Ende der Frankfurter Zeit fort, die im Systemfragment von 1800 erkennbar geworden waren, zieht aber zugleich andere Konsequenzen: Nach der Einsicht, dass das normative Ideal, das den Entzweiungen der modernen Welt gegenübergestellt wurde, nicht mehr als bloßes homogenes gleiches Leben den mannigfaltigen 9HUKlOWQLVVHQGHU5HÀH[LRQHLQIDFKHQWJHJHQJHVHW]WZHUGHQNRQQWHJHKWHVLQ den Jenaer Schriften grundsätzlich darum zu bestimmen, wie der Zusammenhang, die Integration oder auch die Versöhnung einer immer noch normativ 13 Eine andere Interpretation der Tragödie im Sittlichen als Deutung der Moderne bei Hegel gibt Christoph Menke: Tragödie im Sittlichen. Gerechtigkeit und Freiheit nach Hegel, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996. 81
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besetzten Vorstellung einer Einheit mit der nun als konstitutiv für die moderne Welt aufgefassten Entzweiung zu denken sei. So verschiebt sich die allgemeinere Frage nach der Versöhnung der Entzweiung durch eine Konzeption der Sittlichkeit hin zur Frage nach der Versöhnung zwischen einer Einheits- und einer Entzweiungsebene, deren jede jeweils bereits eine Form des Sittlichen, und insofern auch der Versöhnung der Entzweiung, darstellt – also von »göttlicher« und »anderer« Natur. Diese beiden Aspekte der Frage nach der Entzweiung (und deren Versöhnung) können wir jeweils als deren horizontalen bzw. vertikalen Aspekt oder Achse bezeichnen; während die horizontale Achse der Entzweiung bzw. Versöhnung jene ist, die als einzige bisher behandelt worden war und nun im Rahmen beider Naturen des Absoluten jeweils anders aufgefasst wird, entspricht die vertikale Achse dem Problem der Entzweiung bzw. Versöhnung zwischen diesen beiden horizontalen Naturen des Absoluten. Insofern beide Ebenen als sittlich aufgefasst werden, drücken sie beide eine Integration des Entzweiten aus, allerdings auf verschiedene Weise: Während die erste, »göttliche« Ebene diese Integration noch im Sinne des arelationalen Lebens »frei vom Vergehenden« begreift, die das Entzweite in einem gewissen Sinne rückgängig machen möchte, deutet die »andere« Ebene auf eine Integration hin, die das Entzweite als Ausdifferenziertes in Verhältnisse stellt – im Frankfurter Sinne des Lebens als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung (W 1 422), das sich in Jena als Identität der Identität und der Nichtidentität (W 2 96) zeigt. Die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene bezieht sich auf diese Diskrepanz bezüglich der Weisen der Versöhnung, die in jeder »Natur« des Absoluten erscheint, und zielt darauf ab, beide Ebenen nun miteinander zusammenzudenken bzw. zu versöhnen; sie kann als die zentrale Frage in den Jenaer Schriften angesehen werden. Sie wird in der Jenaer Zeit grundsätzlich in zwei Richtungen verfolgt, die sich auch schon aus den Problemen des Systemfragments von 1800 ergeben: Sie kann einerseits unter dem Aspekt der Strukturierung des Ganzen und andererseits hinsichtlich der Zugangsweise des Einzelnen zum Ganzen betrachtet werden. Während es in der ersten Hinsicht – die wir ontologisch nennen könnten – um die Frage geht, ob sich das Absolute selbst durch die Entzweiung strukturiert oder ob es darüber hinaus als der Entzweiung zwar immanent, aber sie auch übersteigend gedacht wird, handelt die zweite – eher epistemische – Hinsicht von der Frage, wie das entzweite individuelle Einzelne das einheitliche Absolute erfassen kann. Es sei noch einmal angemerkt, dass das Bestehen dieser zwei Perspektiven bereits im Systemfragment darauf hinweist, dass die Frage der Entzweiung schon zu Ende der Frankfurter Zeit ansatzweise auf dieselbe Weise wie in Jena aufgefasst wurde: Sie ergibt sich erst aufgrund eines gewissen Inkaufnehmens der Entzweiungen, das auch als Einsicht in die Unumkehrbarkeit – und, wie erwähnt, auch in die relative Wünschbarkeit – der modernen Verhältnisse zu 82
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verstehen ist, die auch als Einsicht in einen gewissen sittlichen (wenn auch GH¿]LWlUHQ &KDUDNWHUGHUPRGHUQHQ:HOWLQWHUSUHWLHUWZHUGHQNDQQ'HQQEHL einem normativen Ideal, das allein von einer unentzweiten Einheit wie der der griechischen Polis ausginge, wäre die Frage des Zugangs des Einzelnen zum Ganzen – die gewissermaßen die ursprüngliche Tübinger Frage nach der praktischen Bedeutung der Religion fürs Leben des Einzelnen fortsetzt14 – im Rahmen eines normativen Bildes des Absoluten gar nicht gegeben. Kennzeichnend für die Jenaer Schriften – und allen Ansätzen aus dieser Zeit gemeinsam – ist der Versuch, beide Aspekte miteinander zu vermitteln und somit die Entzweiung auch auf der vertikalen Achse des Verhältnisses zwischen Einheits- und Entzweiungsebene zu beheben. Aus den verschiedenen Ansätzen, die Hegel in Jena entwickelt, um diese Vermittlung zu erreichen, ergeben sich die verschiedenen Konzeptionen eines Systems, welche die Schriften aus jener Zeit erkennen lassen. Der erste Aspekt der Frage nach der Integration wurde im Systemfragment so ausgedrückt, dass das Problem geklärt werden solle, welches Verhältnis zwischen, einerseits, dem Leben als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung der mannigfaltigen Lebendigen und, andererseits, dem Leben »an sich« besteht, das gerade als »Beziehung ohne [..] Mannigfaltigkeit« (W 1 421) eben keine Beziehung impliziert. Denn obwohl hier Anzeichen vorhanden waren, dass die Relationalität der Verbindungen die Struktur des Lebens selbst darstellt, gab es – wie erwähnt – ebenfalls Anzeichen in entgegengesetzter Richtung: dass nämlich das Leben selbst »das Lebendige, frei vom Vergehenden, die Beziehung ohne das Tote und sich Tötende der Mannigfaltigkeit« sei, die Hegel hier mit »Gott« gleichsetzt; in diesem Zusammenhang wurde die Ebene der Mannigfaltigkeit bloß als »Natur« verstanden (vgl. W 1 420f.). In Jena wird der Gedanke der Strukturierung des Ganzen als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung aus dem Systemfragment in den verschiedenen Deutungen des Verhältnisses zwischen Identität und Differenz weitergeführt. Thematisiert wird sowohl die Verfasstheit des nun als Absolutes aufgefassten Ganzen als auch die Weise, wie das Verhältnis zwischen Ganzem und Teilen gedacht werden solle; zentral dabei ist die Deutung der Identität als Identität der Identität und der Nichtidentität (W 2 96) oder als Einheit der Indifferenz und des Verhältnisses (W 2 457). Als Ergebnis davon lassen sich sowohl die verschiedenen Jenaer Deutungen des Systems verstehen als auch jene Entwicklungen, die zur hegelschen Dialektik führten.15 Der zweite Aspekt der Frage nach der Integration – nämlich der Möglichkeit für das Entzweite, das Ganze zu erfassen – ergibt sich aus der Antwort auf 14 Das ist das Thema von Hegels allerersten Auseinandersetzungen mit der Religion im Rahmen seiner frühen Schriften. Vgl. z.B. W 1 9. 15 Vgl. Manfred Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, S. 88. 83
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die Frage des Systemfragments nach dem Verhältnis zwischen 5HÀH[LRQ und Leben: Dort wurde dargestellt, dass für die 5HÀH[LRQ – und insofern für das DXIGHU(EHQHGHU5HÀH[LRQEHVWHKHQGH(LQ]HOQH±GDVLeben eigentlich ein ª6HLQDXHUGHU5HÀH[LRQ©: XQGQXUGXUFKª5HOLJLRQ©: zugänglich sei. Allerdings war bereits hier ein gewisses Zögern Hegels sichtbar bezüglich der Unmöglichkeit für das individuelle Leben, das Ganze mittels 5HÀH[LRQ]XHUIDVVHQ±ZDVGD]XJHIKUWKDWGDVVEHLLKPKLHUHLQªXQHLQJHstandener Übergang zur Philosophie« gesehen wurde.16 In Jena werden, ausgehend von der Deutung, dass das Absolute nur durch Religion zu erfassen sei, andere Möglichkeiten eines epistemischen und/oder praktischen Zugangs zum Absoluten erprobt, wie die der transzendentalen Anschauung in der Differenzschrift. Schließlich wird sich ab Mitte der Jenaer Zeit infolge der neuen bewusstseinsphilosophischen Perspektive Hegels die Überzeugung durchsetzen, dass die 5HÀH[LRQ selbst die angemessene Zugangsweise zum Absoluten sei. Damit fällt die epistemische Frage nach der Zugangsweise des Einzelnen zum Absoluten schließlich mit der ontologischen Frage nach der Strukturierung des Absoluten zusammen: Der Geist ist nun Substanz und Subjekt, Wirklichkeit und Begriff, absolutes Wissen. Insofern aber in der Jenaer Zeit die Integration von Entzweiung immer deutlicher als eine (hegelsche) Aufhebung zu verstehen ist, sind Hegels Jenaer Ansätze, wie schon ansatzweise seine Frankfurter, in einem gewissen Sinne zwar alles Bilder einer tragischen Integration, aber auch einer integrierten Tragik. Jede Versöhnung von den kritisierten Entzweiungen, die in diesen Ansätzen erkennbar wird, ist in einem gewissen Sinne auch schon, wenn auch auf unterschiedliche Weisen, eine Versöhnung mit ihnen.17
c) Doppelte Sittlichkeit, Freiheit und Gleichheit Nun entsprechen die beiden Weisen der horizontalen Versöhnung der Entzweiung – die der »göttlichen« und die der »anderen« Natur des Absoluten –, die in Jena selbst miteinander versöhnt werden sollen, wie schon bemerkt, zwei verschiedenen Sittlichkeitsauffassungen und damit auch zwei verschiedenen normativen Maßstäben von Hegels Modernitätsdiagnose – einschließlich der Konzeption der Freiheit und der Gleichheit. Dass sich auch in der Frage nach der Natur des Absoluten Hegels Auseinandersetzung mit der modernen Welt 16 Vgl. Manfred Baum: »Zur Vorgeschichte des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs«. In: Hegel-Studien Bd.11. Bonn: Bouvier 1976, S. 89-124, hier 115. 17 Vgl. zur Versöhnung mit den Entzweiungen: Georg Lukács: Der junge Hegel. Über die Beziehung von Dialektik und Ökonomie. 2 Bde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1973, S. 180; sowie Christoph Menke: »›Anerkennung im Kampfe‹. Zu Hegels Jenaer Theorie der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften«. In: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LXXVII (1991), S. 493-507, hier 496. 84
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zeigt, ist ja ersichtlich: Führt man Hegels Auffassung des Absoluten auf die Sittlichkeitskonzeption zurück, der sie entstammt – und die damit in Jena noch so lange verwoben ist, als Hegel noch keine genaue Unterscheidung zwischen dem objektiven und dem absoluten Geist macht –, so kann nicht nur die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene, die in Jena ja zentral sein wird, im Sinne der Integration bzw. Versöhnung der modernen Entzweiung in einer Sittlichkeitskonzeption verstanden werden, sie muss es sogar. So hängt die Frage nach den normativen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit, die ja Hegels Kritik an der modernen Gleichgültigkeit und Herrschaft leiten, mit seiner Auffassung des Absoluten zusammen. Während die horizontale Achse der Entzweiung bzw. Versöhnung im Rahmen einer Sittlichkeitskonzeption als die nach dem Verhältnis Ich-Du verstanden werden kann, die im Rahmen beider Naturen des Absoluten jeweils anders aufgefasst wird, entspricht die vertikale dem Verhältnis Ich-Wir, das sich als das Verhältnis zwischen beiden horizontalen Versöhnungsebenen zeigt. Eine erste Bestimmung von Hegels normativen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit war ja schon im Rahmen unserer Darstellung seiner ModerniWlWVGLDJQRVH]X¿QGHQ1RUPDWLYH.RQ]HSWLRQHQGHU)UHLKHLWXQGGHU*OHLFKheit gab es in Hegels Schriften, wie gesehen, mehr oder minder deutlich seit seinen Anfängen: Bereits mit dem Ideal der Polissittlichkeit war sowohl eine normative Freiheits- als auch eine normative Gleichheitskonzeption verbunden. Die normative Freiheitskonzeption war direkt im Sinne seiner frühen Sittlichkeitskonzeption zu verstehen; aber insofern Hegel das sittliche Band der Polis nicht nur mit der Freiheit, sondern auch mit jener Gleichheit der Griechen, die er »republikanisch« nannte, verband, wurde es möglich, auch von einem normativen Gleichheitsbegriff zu sprechen. Da aber sowohl die normative Freiheit als auch die normative Gleichheit die sittliche Integration in die ganzheitliche Harmonie der Polis als Bezugsgröße hatten, bot es sich bereits bei der Darstellung von Hegels Kritik an, jene beiden normativen Begriffe zunächst nicht scharf voneinander zu unterscheiden, sondern im Sinne seiner ersten Sittlichkeitskonzeption zu interpretieren; deshalb lag es auch nahe, Sittlichkeit als einen Begriff aufzufassen, der zugleich als eine substanzielle Freiheit-Gleichheits-Konzeption verstanden werden konnte. Mit Hegels Übergang zur Vereinigungsphilosophie zu Beginn seiner Frankfurter Zeit ist aber, wie gerade gesehen, seine frühere normative Konzeption eines allumfassenden, aber arelational verstandenen Bandes der Sittlichkeit der Polis durch die Konzeption einer relational aufgefassten Verbindung des Lebens ersetzt bzw. ergänzt worden, die nun neben der Auffassung des Lebens »frei vom Vergehenden« auftritt, welcher weiterhin die erste Konzeption einer undifferenzierten Einheit entspricht. Insofern aber hier das Leben die erste normative Sittlichkeitskonzeption nicht ersetzt, kann man diese Entwicklung, was die gesellschaftlichen Aspekte von Hegels Modernitätsdiagnose betrifft, 85
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
als eine relative »Verdoppelung« von Auffassungen der Sittlichkeit deuten, die nun nebeneinander (aber auch übereinander, da eine dieser Konzeptionen ja den Vorrang behält) bestehen. Insofern die Verdoppelung des Lebens bzw. des Absoluten offensichtlich mit einer Verdoppelung der normativen Konzeption der Sittlichkeit zusammenhängt, ist zu vermuten, dass die beiden Auffassungen des Lebens bzw. die beiden Naturen des Absoluten zu unterschiedlichen normativen Konzeptionen der Freiheit bzw. der Gleichheit führen werden. So kann man als eine Folge der »Verdoppelung« des Lebens bereits die Tatsache ansehen, dass auch die normativen Konzeptionen von Freiheit und Gleichheit nun jeweils auf doppelte Weise erscheinen: einmal im Sinne des arelationalen Lebens »frei vom Vergehenden«, ein andermal als Folge der Relationalität des Lebens als »Verbindung«, und damit auch der Einsicht Hegels in den sittlichen Charakter der modernen Welt – je nachdem, in welchen Zusammenhang diese Begriffe gestellt werden. Und insofern sich zu Beginn der Jenaer Zeit die Frankfurter Verdoppelung des Lebens in der Idee der doppelten Natur des Absoluten fortsetzen wird, wird auch die Verdoppelung der normativen Begriffe der Freiheit bzw. Gleichheit weiter präsent sein. Wird nun Hegels Hauptproblem in Jena die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene, so drückt sich ja darin zunächst, soweit Hegel diese Frage QLFKW GH¿QLWLY O|VW LPPHU QRFK MHQH UHODWLYH 9HUGRSSHOXQJ YRQ QRUPDWLYHQ Maßstäben aus, die schon am Ende der Frankfurter Zeit sichtbar war. Das Problem der Vermittlung von Einheits- und Entzweiungsebene lässt sich also auch als das Problem deuten, wie die Maßstäbe der modernen Welt, die für Hegel EHUHLWVHLQHQRUPDWLYH%HGHXWXQJHUODQJWKDEHQDEHU]XQlFKVWQRFKDOVGH¿zitär angesehen werden, mit dem Ideal der Polis zu vermitteln sind. So können wir zunächst diese zwei Ebenen unabhängig voneinander betrachten und die beiden jeweils normativen Maßstäbe der Freiheit und der Gleichheit expliziter machen, die in Hegels Jenaer Schriften gewissermaßen miteinander konkurrieren.
i) Leben »frei vom Vergehenden« oder »göttliche« Natur, Freiheit und Gleichheit Die normativen Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen, die mit dem Leben als »frei vom Vergehenden« und somit auch mit der »göttlichen« Natur des Absoluten zusammenhängen, stimmen im Grunde mit der früheren republikanischen Freiheit-Gleichheit der Sittlichkeit der Polis überein. Die Sittlichkeitskonzeption, die Hegel in den frühen Schriften mit der griechischen Polis assoziierte und die wir im Anschluss an ihn als republikanische Freiheit-Gleichheit bezeichnet haben, wird in Jena wieder in der Konzeption einer »höchste[n] Gemeinschaft« erscheinen, die Hegel nun mit der »höchste[n] Freiheit« gleichsetzt (vgl. W 2 82): 86
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
»[...] und die Gemeinschaft der Person mit anderen muß daher wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden. Die höchste Gemeinschaft ist die höchste Freiheit [...]. (W 2 82)
Dabei ist offensichtlich, dass sich die »höchste Gemeinschaft« auch im Sinne einer normativen Gleichheitsauffassung interpretieren lässt. Der Begriff einer arelationalen Freiheit in Hegels Jenaer Zeit stellt in seinen Schriften keine Neuheit dar, auch wenn er nun deutlicher erläutert wird. Insofern das Leben als »frei vom Vergehenden« noch am Ende der Frankfurter Zeit als undifferenzierte Einheit aufgefasst wird, ist in einem gewissen Sinne Freiheit für Hegel immer noch im Rahmen einer Sittlichkeit zu denken, die nun im metaphysisch aufgeladenen Kontext des Lebens erscheint. So ist der normative Maßstab von Hegels Kritik, welcher der modernen Gleichgültigkeit und Herrschaft entgegengesetzt wird – trotz der Entwicklung in Hegels Diagnose der Modernität, die überhaupt erst von Gleichgültigkeit und Herrschaft als zwei Aspekten derselben Kritik reden lässt – immer noch das Band der Polis. Die Diagnose ändert sich zwar, die »Therapie« bleibt aber im Grunde noch dieselbe: Die Versöhnung der Entzweiung führt in diesem Kontext schließlich zu deren Überwindung; es geht darum, gegen die Unfreiheit oder Gleichgültigkeit der modernen Welt die Entzweiung, die sie verursacht hat, sozusagen rückgängig zu machen. Die Gleichsetzung der Freiheit mit der »höchste[n] Gemeinschaft« bedeutet zunächst einen Verzicht auf die individuelle Freiheit, wie die Rede vom »Vernichten der Einzelheit« im Naturrechtsaufsatz (W 2 478) deutlich macht: »Durch eine echtfreie Gemeinschaft lebendiger Beziehungen hat das Individuum auf seine Unbestimmtheit, das hieße Freiheit, Verzicht getan« (W 2 83); aber einen, der offenbar für Hegel gerade mit ihrer wahren Realisierung einhergeht. So werden sowohl die abstrakte Unbestimmtheit der modernen Freiheit (die in ihrem verallgemeinernden, noch zu beschränkenden Aspekt als Freiheit allerGHXWOLFKZLUG DOVDXFKLKUH¿[LHUHQGHQEHVFKUlQNWHQ%HVWLPPXQJHQDOV Freiheit jedes Einzelnen) durch die normative Freiheitskonzeption, die Hegel dieser entgegensetzt, aufgehoben. Zwar ist für Hegel auch die »Bestimmung« durch die Gemeinschaft, die sich mit dieser Freiheitskonzeption verbindet, mit einer neuen »Unbestimmtheit« verknüpft, aber mit einer, die mit einer neuen, nicht abstrahierenden lebendigen Bestimmung verbunden ist: Die Bestimmung des Individuums in und durch die Gemeinschaft »hebt« die ursprüngliche Unbestimmtheit der Freiheit »auf«, insofern sie Freiheit gerade als unbestimmte QXQLP6LQQHGHV1LFKW¿[LHUWVHLQV ªEHVWLPPW©ªGLH8QEHVWLPPWKHLWLVWLQ einem lebendigen Verhältnisse, insofern es frei ist, nur das Mögliche, nicht ein zum Herrschenden gemachtes Wirkliches, nicht ein gebietender Begriff« (W 2 83) [Herv. i.O.]. 87
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Damit erscheint die «höchste Freiheit« als eine Freiheit, die »schlechthin alles Zwangs unfähig« ist (W 2 476). Die Unterscheidung zwischen Zwingen und Bezwingen, die Hegel im Kontext seiner Diskussion der »Freiheit der Wahl« (vgl. W 2 478) im Naturrechtsaufsatz einführt, verdeutlicht, dass der Bezug dieser Freiheitsauffassung zum Individuellen jenseits der beschränkten, auf Zwang gegründeten Relationen der modernen Freiheit steht. Die wahre Freiheit steht für Hegel überGHQ¿[LHUWHQ%HVWLPPWKHLWHQGHV9HUVWDQGHV ohne dass damit ein Abstraktionsverhältnis impliziert wäre: »Indem es +A sowohl als –A negiert, ist es bezwungen, aber nicht gezwungen; es würde Zwang QXUHUOHLGHQPVVHQZHQQ$LQLKPDEVROXW¿[LHUWZlUH©: 'HQQ mit Bezwingen verbindet Hegel keinen Zwang: Es geht hier offensichtlich um jenen Verzicht der Individualität auf ihre beschränkte Freiheit, der gerade ihre Erweiterung bedeutet und insofern mit einer »Vernichtung« nur in dem Sinne zusammenhängen kann, dass die Individualität als bloße, beschränkte Individualität vernichtet wird.18 Das Gegenteil von Zwang ist also für Hegel nur da Freiheit, wo es um eine beschränkte Freiheitsauffassung geht – also in der modernen Welt (oder in einer bestimmten Auffassung von ihr).19 Die »wahre[...]«, »höchste« Freiheit ist für Hegel hier jenseits der Freiheit zu verorten, die sich durch solche Entgegensetzungen selbst beschränkt. Auf diese Weise lässt sich gerade die Erweiterung der Freiheit des Individuums in der Gemeinschaft, insofern sie als Alternative dazu dargestellt wird, als Überwindung nicht nur der beschränkten, zwanghaften, abstrakten modernen Freiheitsauffassung verstehen, sondern auch der Unfreiheit, wovon auch die moderne Freiheitskonzeption ein Zeichen ist: der Gleichgültigkeit, die überhaupt zu solchen Beschränkungen führte. Und es bietet sich an, diese Freiheitsauffassung im Sinne ihres gemeinschaftlichen Aspektes als eine Form von republikanischer Freiheit zu deuten, die für ein gewisses Verständnis der »positiven« Freiheit oder der sogenannten »Freiheit der Alten« kennzeichnend ist.20 18 Dieselbe Auffassung steht im Hintergrund auch anderer Darstellungen, wie jener, in welcher Hegel eine als »Wiedervergeltung« verstandene Strafe (die in Jena anders als in Frankfurt im Sinne des frühen Schicksals gedeutet wird) als eine »Wiederherstellung der Freiheit« bezeichnet (vgl. W 2 479/480). Auch jene Stellen, in denen der Tod und der öffentliche Mut im Sinne einer Realisierung der Freiheit in der Gemeinschaft interpretiert wird, sind so zu deuten. Vgl. dazu z.B. W 2 492. 19 So leuchtet auch ein, warum sich gerade Gleichheit – und nicht, wie man erwarten könnte, Freiheit – als normativer Begriff im Kontext von Hegels relationaler Konzeption des Lebens der Herrschaft der modernen Welt entgegensetzen wird. 20 Zur bekannten Unterscheidung zwischen »positiver« und »negativer« Freiheit vgl. Isaiah Berlin: »Two concepts of Liberty«. In: ders., Liberty. Oxford: Oxford University Press 2007, S. 166-217. Zur »Freiheit der Alten« vgl. Benjamin Constant: »De la liberté des anciens comparée à celle des modernes«, in: ders., Écrits politiques. Paris: Gallimard/Folio 1997, S. 591-619. Berlins Kennzeichnung der positiven Freiheit deckt sich m.E. aber nicht ganz mit Hegels Auffassung der Freiheit, auch nicht in dieser Version (die ja weder der Jenaer, noch der 88
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
Da nun die abstrakte Freiheit aller mit der modernen Gleichheit als gleiche Freiheit in direktem Zusammenhang steht, wird Hegels »Modernitätstherapie« im Kontext der arelationalen Auffassung des Lebens, was die Gleichheit betrifft, ähnlich ausfallen, wie es bei der Freiheit der Fall war: Auch hier ist jene Gleichheitskonzeption als die normative zu erkennen, die im Sinne der Sittlichkeit der Polis aufzufassen war. So geht es auch hier darum, gegen die moderne Ungleichheit bzw. Herrschaft die Entzweiung, die an ihrem Ursprung steht, rückgängig zu machen. Auf eine Relation zwischen dieser Gleichheitsauffassung und ihrer Darstellung durch Hegel als jene »republikanische Gleichheit« der Griechen, die er im Rahmen der Frankfurter Schriften der angeblich »jüdischen«, modernen »Gleichheit der Bürger« entgegensetzte (vgl. N 370), wurde oben bereits hingewiesen. Diese Verknüpfung von Gleichheit und Sittlichkeit erscheint in Hegels frühen Schriften nun nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern auch noch direkter im Kontext der arelationalen Auffassung des Lebens als »frei vom Vergehenden«; sie kann da implizit wiedererkannt werden, wo das Leben als das gleiche Leben bezeichnet wird: »lebendige Beziehung Lebendiger, gleiches/HEHQQXU0RGL¿NDWLRQHQGHVVHOEHQ Lebens, nicht Entgegensetzung des Wesens, nicht eine Mehrheit absoluter Substantialitäten« (W 1 376) [Hervorhebungen von mir, MMSM].
Selbst wenn das gleiche Leben in diesen Kontexten offensichtlich eher dasselbe Leben bedeutet, als dass es ausdrücklich auf eine besondere Auffassung der Gleichheit hinweisen würde, lässt sich hier ein impliziter Bezug zu einer normativen Gleichheitskonzeption insofern erkennen, als leicht einzusehen ist, dass das Leben als »lebendige Beziehung Lebendiger« gerade als der sittliche Zusammenhang verstanden wird, mit dem Hegel schon zuvor die »republikanische[...] Gleichheit« der Griechen verband. Insofern dieses gleiche Leben nicht »Begriff« sei, »nicht nur ein Gedachtes, und vom Lebendigen abstrahiert« (ebd.), ist seine Verwandtschaft auch mit jener Freiheit offensichtlich, deren »Unbestimmtheit« in der Differenzschrift als »nicht ein zum Herrschenden gemachtes Wirkliches, nicht ein gebietender Begriff« (W 2 83) bezeichnet wird. Und insofern Hegel die moderne Freiheit aller in der Differenzschrift als abstrakte Unbestimmtheit kritisiert und ihr eine Freiheit als »höchste Gemeinschaft« entgegensetzt, wird implizit auch dem abstrakten Gleichheitsbegriff – der, wie gesehen, als abstrakte Gleichheit des »schwebenden« Allgemeinen direkt von dieser Freiheitsauffassung abhängt – die entsprechende Gleichheitsauffassung entgegengesetzt. »reifen« hegelschen Auffassung der Freiheit entspricht, sondern nur einem ihrer Aspekte). Das kann hier aber leider nicht diskutiert werden. 89
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Im Gegensatz zu den »wesenslosen« Abstraktionen der Neuzeit, die dann im Naturrechtsaufsatz kritisiert werden, geht es bei einer solchen Gleichheitsauffassung gerade um das gleiche Wesen: Die Lebendigen sind ja »nicht Entgegensetzung des Wesens, nicht eine Mehrheit absoluter Substantialitäten« (ebd.), sondern offenbar dieselbe, undifferenzierte Substanz. Diese Gleichheitskonzeption – wie schon die »republikanische[...] Gleichheit« der Griechen – kann also als die im strikten Sinne substanzielle Konzeption der Gleichheit verstanden werden. Insofern diese Gleichheitskonzeption nicht von der entsprechenden Konzeption der Freiheit zu trennen ist, wäre also auch die moderne Ungleichheit bzw. Herrschaft – würde man diese Gleichheitsauffassung als Alternative zur modernen verstehen – dadurch zu beseitigen, dass die Sittlichkeit der Griechen und damit die entsprechende Freiheit-Gleichheit wieder etabliert würden. Wie noch deutlich werden soll, ist diese Konzeption bei Hegel in der *OHLFKKHLWVDXIIDVVXQJVHLQHUHUVWHQ-HQDHU6FKULIWHQZLHGHU]X¿QGHQHWZDLP Sinne der »[...] absoluten Indifferenz der sittlichen Natur«, der »vollkommene[n] Gleichheit aller Teile« und des »absolute[n] reale[n] Einssein des Einzelnen mit dem Absoluten« (W 2 501), wo sich für Hegel an dieser Stelle im Naturrechtsaufsatz nun »die Erde« als »das organische und individuelle Element« »resümier[e]« (ebd.). In dem Maße aber, wie diese Gleichheitskonzeption von einer anderen, relationalen Auffassung begleitet wird, kann sie für Hegel spätestens von diesen Schriften an nicht mehr als ausreichend angemessen für die moderne Welt gelten.
ii) Leben als Verbindung, »andere« Natur des Absoluten, Freiheit und Gleichheit Im Rahmen von Hegels relationalem Begriff des Lebens als Verbindung und der Konzeption der »anderen« Natur des Absoluten ist nun, was seine Freiheitsund Gleichheitskonzeptionen betrifft, eindeutig eine Veränderung im Vergleich zu seinen Vorfrankfurter Schriften zu erkennen: Wird dem Sittlichen, das als relational erscheint, ein gewisser normativer Charakter beigemessen, dann müssen sowohl Freiheit als auch Gleichheit anders aufgefasst werden als im Kontext der einheitsstiftenden Konzeption der Sittlichkeit der »Beziehung ohne […] Mannigfaltigkeit« (W 2 421) des arelationalen Lebens: nämlich weitgehend im Sinne der modernen Freiheit und Gleichheit – die Hegel allerdings (seine eigenen späteren Entwicklungen antizipierend) nicht wie in der modernen atomistischen Weise auffasst. Es wurde schon gezeigt, wie sich ab Hegels Frankfurter Zeit jene ursprüngliche Sittlichkeitskonzeption ändert, die wir gerade als Freiheit-Gleichheit dargestellt haben. Schon die Entstehung der modernen Begriffe von Freiheit und Gleichheit könnte, wie erwähnt, mit einer Art »Entzweiung« in Verbindung gebracht werden: So wäre – in Hegels Deutung – die Entstehung jener abstrak90
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
ten Freiheit, welche die atomisierte individuelle Subjektivität zur Trägerin hat, der Kontrapunkt zur Entstehung jener abstrakten Gleichheit, die mit der Allgemeinheit eines über allem schwebenden Ganzen gleichzusetzen ist. Es bot sich also an, die Entstehung der beiden modernen Begriffe von Freiheit und Gleichheit als eine »Entzweiung« der ursprünglichen Freiheit-Gleichheit der Polissittlichkeit zu deuten. Wenn nun seine Deutung der modernen Entzweiung diese nicht mehr bloß als Zerfall der Einheit der Polis, sondern – wie in der normativen Auffassung des Lebens als Verbindung impliziert – auch als Ausdifferenzierung begreift, ist Entzweiung nicht mehr einseitig mit dem Untergang der sittlichen Harmonie der Polis zu verbinden, die ja als normativer Maßstab von Hegels Kritik diente, sondern eher mit deren Transformation: Anstatt dass die »Entzweiung« der antiken Sittlichkeit so interpretiert wird, dass sie in die atomistische moderne Freiheit und die abstrakte moderne Gleichheit zerfällt, wird sie, als Ausdifferenzierung des Sittlichen aufgefasst, als am Ursprung von Begriffen stehend verstanden, welche für Hegel teilweise bereits eine normative Bedeutung erhalten haben: eben des modernen Freiheits- bzw. Gleichheitsbegriffs. Wie schon bei Hegels Modernitätsdiagnose, geht es hier also um das Verständnis dieser »Entzweiung« im Sinne einer Ausdifferenzierung des Begriffs der Sittlichkeit, die auch als die (noch partielle) Akzeptierung der modernen Verhältnisse und normativen Begriffe als eine Form des Sittlichen gedeutet werden kann. Sobald die Differenzierungen der modernen Welt für Hegel einen normativen Wert erlangen, ist diese der relationalen Auffassung des Sittlichen entsprechende Entwicklung also auch in den normativen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit wiederzuerkennen, insofern nun aus einer relationalen Auffassung der Sittlichkeit ihre zwei normativen Aspekte herausgehoben und voneinander differenziert werden können. So werden die normativen Konzeptionen der Freiheit und der Gleichheit, die bisher einseitig auf die integrative Leistung der »höchste[n] Gemeinschaft« des sittlichen Ganzen auch um den Preis des »Vernichten[s] der Einzelheit« (W 2 478) bezogen waren, nun auch normative Aspekte der Freiheits- und Gleichheits-konzeptionen mit einbeziehen, die deren modernen, »abstrakten« Auffassungen entstammen und damit bereits auf den sittlichen Charakter der modernen Welt hinweisen. Da Hegel aber die Verfassung der modernen Welt nicht atomistisch, sondern als Relationen versteht – und damit einen sittlichen Charakter hinter der modernen Entzweiung erkennt – werden die normativen Begriffe der Freiheit und Gleichheit hier relational aufgefasst. So stehen für Hegel auch die normativen Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen, die aus der modernen Welt stammen, offensichtlich im Kontext einer sittlichen Gemeinschaft. Was sich bezüglich seiner undifferenzierten Sittlichkeitskonzeption ändert, ist also die Weise, wie diese Gemeinschaft verstanden wird: nun nicht als die paradoxale 91
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»Beziehung ohne [..] Mannigfaltigkeit« (W 1 421), sondern ausdrücklich als Verbindung. Diese Konzeptionen, die im Rahmen einer relationalen Konzeption des sittlichen »Ganzen« zu deuten sind, werden in Hegels Schriften um so ersichtlicher, je stärker der relationale Charakter seiner normativen Auffassungen insgesamt zur Geltung kommt. Die relationale Konzeption des Sittlichen wird allerdings von Hegel trotz allem zunächst nicht als die »höchste« Gemeinschaft verstanden, da diese immer noch auf die arelationale »göttliche Natur« über sich hinaus verweist. Der Ausgangspunkt für das Verständnis der Bedeutung der relationalen normativen Freiheits- und Gleichheitskonzeption, in welcher sich Hegels noch relative Einsicht in die moderne Sittlichkeit ausdrückt, ist wiederum jener Begriff, an dem zum ersten Mal eine relationale Konzeption normativen Charakter annimmt: der Begriff der Liebe, und zwar in der Auffassung, bei welcher die Relationalität eindeutig wird: »Der Geliebte ist uns nicht entgegengesetzt, er ist eins mit unserem Wesen; wir sehen nur uns in ihm, und dann ist er doch wieder nicht wir – ein Wunder, das wir nicht zu fassen vermögen« (W 1 244).
Denn hier geht es offensichtlich um eine Art Einheit, bei der zugleich Einheit mit unserem Wesen und, da der Andere doch wieder nicht wir sei, Getrenntheit präsent sind, und die sich insofern von einer undifferenzierten Einigkeit deutlich unterscheidet. Damit ergeben sich normative Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit, bei welchen nicht nur der Bezug zur sittlichen Gemeinschaft normative Bedeutung besitzt, sondern auch dasjenige, was diese nun relationale Gemeinschaft allererst ermöglicht: die Mannigfaltigkeit der entzweiten/ausdifferenzierten Lebendigen, die die Relata dieser Relation sind: ohne Relation keine Relata, ohne Relata keine Relation. Diese relationale Konzeption der Gemeinschaft setzt sich dann in der Auffassung des Lebens als Verbindung und in der anderen Natur des Absoluten fort, so dass es von der Liebe ausgehend möglich ist, auch die mit jenen Konzeptionen des Ganzen zusammenhängenden normativen Freiheits- und Gleichheitsauffassungen zu erkennen. Auf die Bedeutung der relationalen Konzeption der Liebe für eine normative Gleichheitsauffassung ist schon bei der Darstellung von Hegels Kritik der Ungleichheit hingewiesen worden, und zwar im Sinne eben dieser Relationalität. Aus der relationalen Konzeption der Liebe haben wir bereits bei der Darstellung von Hegels Ungleichheitskritik auf eine implizite Forderung nach Gleichheit in seinen relationalen Konzeptionen geschlossen, die als die normative Erwartung symmetrischer Gegenseitigkeit in Relationen gedeutet wurde. Damit »eigentliche Liebe« möglich sei, müssen für Hegel die Lebendigen offensichtlich ein Gleichgewicht oder eine Symmetrie halten, die zugleich 92
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
Bedingung für eine herrschaftsfreie Relation und deren Ausdruck ist und die Hegel ausdrücklich mit dem Bestehen von Gleichheit verbindet: ©:DKUH9HUHLQLJXQJHLJHQWOLFKH/LHEH¿QGHWQXUXQWHU/HEHQGLJHQVWDWWGLHDQ Macht sich gleich und also durchaus füreinander Lebendige, von keiner Seite gegeneinander Tote sind […].« (W 1 245/246)
Da die Lebendigen in der Liebe an Macht sich gleich seien, ist, wie bereits zitiert, »man [das Subjekt] eins [...] mit dem Objekt, es beherrscht nicht und wird nicht beherrscht« (W 1 242). Damit verbanden wir bereits bei unseren Erläuterungen zu Hegels Modernitätsdiagnose eine Deutung der Gleichheit, die insofern über die hegelsche »republikanische[n] Gleichheit« der Griechen hinausging, als sie eine wesentliche Dimension der modernen Gleichheitsauffassung mit einschloss: die symmetrische Form, welche die moderne abstrakte Gleichheit des Rechtes annimmt, sobald sie als eine Relation (etwa im Vertrag) auftaucht. Daran, dass ein formaler Aspekt der modernen Gleichheit – deren Symmetrie – hier eine normative Bedeutung annimmt, zeigt sich Hegels Einsicht, dass in einer bereits entzweiten/ausdifferenzierten Welt Herrschaft nicht mehr durch den Rückgang zu einer substanziellen Gemeinschaft zu neutralisieren ist. Und indem Hegel die symmetrische Struktur der modernen Gleichheit als Aspekt einer Form des Sittlichen aufwertet, stellt er die moderne Gleichheit, in dieser ihrer Auffassung, jenseits der bloßen Formalität und Abstraktheit, die sie in ihrer üblichen »atomistischen« Deutung besitzt: Indem Symmetrie als Aspekt der Etablierung einer sittlichen Relation verstanden wird, verliert das Band des Rechts, in dem sich für Hegel die moderne, abstrakte Gleichheit als gleiche Freiheit aller ausdrückte, sein abstrakten, schwebenden Charakter. Nun kann eine nähere Betrachtung zeigen, dass die Liebe als normativer Begriff in seiner relationalen Version nicht nur auf Gleichheit, sondern auch auf Freiheit bezogen ist. Die normative Freiheitsauffassung, die mit dem Leben als Verbindung und der »anderen« Natur des Absoluten zusammenhängt, ist hier gerade im Kontext der Entgegensetzung zweier Verhältnisarten der entzweiten Subjektivität mit der Natur zu erkennen, die in demselben Fragment, das Hegels »Wandlung« dokumentiert, im Text kurz danach erscheint. Hegel unterscheidet zwischen einem von ihm kritisierten Verhältnis des Begreifens bzw. des objektivierenden Betrachtens einerseits und einem mit der Liebe – die ja mit dem Göttlichen assoziiert wird21 – verwandten Verhältnis andererseits, das er hier als Beleben bzw. Anteilnehmen bezeichnet: »Begreifen ist beherrschen. Die Objekte beleben ist, sie zu Göttern machen.« 21 Vgl. 1 241: »Diese Liebe, von der Einbildungskraft zum Wesen gemacht, ist die Gottheit.« 93
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
»Einen Bach betrachten, wie er nach Gesetzen der Schwere in die tieferen Gegenden fallen muß und von dem Boden und den Ufern eingeschränkt und gedrückt wird, heißt ihn begreifen, ihm eine Seele geben, als an seinesgleichen Anteil an ihm nehmen, – heißt ihn zum Gotte machen« (W 1 242).
Das Begreifen kann hier offensichtlich mit jenen Haltungen zwischen Subjektivität und Objektivität gleichgesetzt werden, die Hegel als Zeichen der Entzweiung deutete: »Abhängigkeit«, »Flucht«, »Beherrschen« und »Beherrschtwerden« (vgl. W 1 239ff.). Hier wird der Bach objektiviert, statt dass als an seinesgleichen Anteil an ihm genommen würde. Nun verbanden bereits die ersten Deutungen der Abstraktheit der modernen Verhältnisse – und somit der Gleichgültigkeit – diese gerade mit der objektivierenden Haltung, die Hegel hier am Begreifen darstellt und dort am »Räsonnement« und am »kalte[n] 1DFKGHQNHQ© GHU $XINOlUXQJ : LGHQWL¿]LHUW *OHLFKJOWLJNHLW ]HLJWH sich bei Hegels Auseinandersetzung in seiner Tübinger Zeit ja im Verhältnis eiQHVDEVWUDNWNODVVL¿]LHUHQGHQ9HUVWDQGHVVRZRKO]XGHUGLHVHP9HUVWDQGJOHLFKgültig gewordenen Mannigfaltigkeit der äußeren Natur als auch zu der Komplexität der »inneren«.22 Hier geht es also wieder um jenen Mangel an »höchste[r] Gemeinschaft«, mit der Hegel ja Freiheit verband – und somit um Unfreiheit. Allerdings wird hier die Gemeinschaft, die für Hegel Freiheit ausdrückt, anders als früher relational aufgefasst. Es ist ja evident, dass das Verhältnis, das hier im Sinne des Belebens, des als an seinesgleichen Anteil an ihm Nehmens, auch des zum Gotte Machens erscheint, die integrative, relationsbildende Bedeutung der Vereinigung der Liebe ausdrückt: Der objektivierenden Haltung des Begreifens wird hier die Möglichkeit eines Bezugs zwischen Subjekt und Objekt entgegengestellt, der eine Gemeinschaft konstituiert, aber eine, die eine Relation darstellt: Der Ausdruck »als an seinesgleichen Anteil an ihm nehmen« impliziert offensichtlich dieselbe Relation, welche die Liebe als Einheit mit unserem Wesen und Getrenntheit von uns selbst kennzeichnete. Wird also die Gleichgültigkeit des Begreifens im Sinne der Unfreiheit der modernen Subjektivität aufgefasst, so behält die Gemeinschaft, die sich nun der Gleichgültigkeit entgegensetzt, einen Bezug zu Subjekt und Objekt, der diese in einer Relation belässt: In der Haltung des Belebens und des Anteilnehmens wird die Subjektivität zu einem »Einssein mit dem Objekt« geführt, das sie nicht zur differenzierungslosen Einigkeit der Gemeinschaft zurückführt, denn Subjekt und Objekt als Relata der Relation bleiben weiter bestehen. So bietet sich an, in Hegels normativer Freiheitskonzeption hier Spuren der modernen Freiheit zu erkennen, die Hegel bisher als bloße Folge von Entzweiung abwertete: In einer Gemeinschaft, die sich aus Relationen konstituiert, kann Freiheit nicht mehr mit dem »Vernichten der Einzelheit« (W 2 478) zusammenhängen, 22 Vgl. dazu oben unsere Darstellung von Hegels früher Kritik der Abstraktion. 94
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
sondern muss auch den beschränkenden Aspekt der modernen Freiheit mit einschließen, der für Hegel bisher die moderne Freiheit gerade als Unfreiheit kennzeichnete. Gegen GLH PRGHUQH *OHLFKJOWLJNHLW HPS¿HKOW +HJHO LQ GLHsem Kontext nicht mehr die Überwindung der modernen Entzweiung/Ausdifferenzierung in einer undifferenzierten Einigkeit, sondern die Etablierung von gemeinschaftsstiftenden Relationen der Anteilnahme an dem Anderen, womit sich eine andere Haltung des differenzierten Subjektes als die des objektivierenden Begreifens den Anderen (und dem Anderen) gegenüber ausdrückt.23 Hier ist anzumerken, dass eine relationale Auffassung einer »höchsten« Gemeinschaft und die entsprechenden Freiheitskonzeption auch noch in HeJHOV5HFKWVSKLORVRSKLH]X¿QGHQVLQGXQG]ZDUHEHQIDOOVLQ=XVDPPHQKDQJ mit dem Begriff der Liebe. In den Notizen im Zusatz zu §7 wird Hegel in der Rechtsphilosophie seine eigene Freiheitskonzeption explizit mit einer Auffassung der Liebe verbinden, die ganz offensichtlich jener seiner ersten Frankfurter Schriften entspricht:24 »[...] dieses ist dann der konkrete Begriff der Freiheit, während die beiden vorigen Momente durchaus abstrakt und einseitig befunden worden sind. Diese Freiheit KDEHQZLUDEHUVFKRQLQGHU)RUPGHU(PS¿QGXQJ]%LQGHU)UHXQGVFKDIWXQG Liebe. Hier ist man nicht einseitig in sich, sondern man beschränkt sich gern in Beziehung auf ein Anderes, weiß sich aber in dieser Beschränkung als sich selbst. In der Freiheit soll sich der Mensch nicht bestimmt fühlen, sondern indem man das Andere als Anderes betrachtet, hat man darin erst sein Selbstgefühl. Die Freiheit liegt also weder in der Unbestimmtheit, noch in der Bestimmtheit, sondern sie ist beides.« (W 7 57).
So kommt der Gemeinschaftskonzeption auch hier jener relationale Aspekt zu, der erst von den Jenaer Schriften an deutlich wird. Diese Relationalität zeigt sich an einer Freiheitskonzeption, die sich immer noch als »höchste Gemeinschaft« versteht, allerdings im Sinne einer Relation zwischen Selbst und Anderem, die offensichtlich der Anteilnahme der frühen Bestimmung der Liebe nahesteht. Zwar schließt Hegels normativer Begriff der Freiheit ab Mitte der -HQDHU=HLW±XQGQRFKGHXWOLFKHULQGHU5HFKWVSKLORVRSKLH±HLQHUHÀH[LYH'Lmension ein, die über die Relationalität der Freiheit der Liebe hinausgeht und nicht ohne Folgen sein wird; allerdings bleibt auch der relationale Zug seiner 23 Zu einer hegelbezogenen relativen Entgegensetzung zwischen zwei Formen der Haltung des Subjekts einer möglichen Objektivität gegenüber, die unserer Deutung nahesteht, kommt auch Axel Honneth über die Begriffe der Verdinglichung und der Anerkennung. Vgl. Axel Honneth: Verdinglichung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2005, S. 65ff. 24 Vgl. die Interpretation dieser Textstelle Hegels bei Axel Honneth, in: ders., Leiden an Unbestimmtheit. Stuttgart: Reclam 2001, S. 26ff. 95
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Freiheitsauffassung offensichtlich immer da erhalten, wo man bei ihm eine BeWRQXQJYRQ,QWHUVXEMHNWLYLWlWXQG$QHUNHQQXQJZLUG¿QGHQN|QQHQ25 Obwohl aber für Hegel nun aus der modernen Entzweiung/Ausdifferenzierung nicht nur, oder nicht notwendigerweise, Gleichgültigkeit und Herrschaft folgt, sondern auch die Möglichkeit, in den modernen Freiheits- und Gleichheitsbegriffen einen Ausdruck des Sittlichen anzusehen, wird diese Möglichkeit allerdings in Hegels Jenaer Schriften zunächst dem normativen Wert der »höchsten« undifferenzierten Gemeinschaft der »göttlichen Natur« untergeordnet: Die sittliche Gemeinschaft, die auf den Relationen zwischen den entzweiten Lebendigen gründet, ist zunächst bloß als »andere« Natur zu betrachten.
d) Zu Freiheit und Gleichheit in Hegels Jenaer Versöhnungsversuchen Die Bestimmung der normativen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit, die in den verschiedenen Versöhnungsansätzen Hegels in Jena Vorrang haben werden, wird von der Weise abhängen, wie er das Problem seiner Jenaer theoretischen Ausgangslage löst. Aus der doppelten Natur des Absoluten und der entsprechenden Verdoppelung der Konzeptionen des Sittlichen wird nun in Jena, wie bereits erwähnt, die Frage nach dem vertikalen Verhältnis zwischen den beiden Ebenen der Entzweiung bzw. der Einheit, die jener doppelten Natur entsprechen, eine besondere Bedeutung erlangen. Während die allgemeinere Frage nach der horizontalen Versöhnung der Entzweiung bereits deutlich genug durch die Verhältnisstruktur des Lebens als Verbindung beantwortet wurde, ist die Frage nach dem vertikalen Verhältnis das Hauptproblem der Jenaer Schriften: die Frage also nach dem Verhältnis zwischen dieser Ebene der verbundenen mannigfaltigen, entzweit-ausdifferenzierten Lebendigen oder der anderen Natur des Absoluten einerseits, und dem Leben »frei vom Vergehenden« oder dessen göttlicher Natur andererseits. Insofern es sich hier schließlich um ein Problem der Sittlichkeit handelt, können wir die Frage nach der horizontalen Integration mit dem Netzwerk reziproker intersubjektiver Relationen als gelöst ansehen, die der anderen Natur des Absoluten entsprechen und als Ich-Du-Verhältnisse betrachtet werden könnten,26 während die neue Frage nach der vertikalen Integration als die nach jener Versöhnung zwischen dieser als Netzwerk gebauten Ebene der Ich-Du-Verhältnisse und dem gesellschaft-
25 Auf das Thema von Intersubjektivität und Anerkennung komme ich in den nächsten zwei Teilen dieser Untersuchung zurück. 26 Dieses Problem kann aber selbstverständlich auch jenseits vom in engem Sinne Gesellschaftlichen als das allgemeinere Problem der Verhältnisstruktur zwischen Subjekt und Objekt verstanden werden. 96
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
lich-politischen sittlichen Wir zu verstehen wäre – also als die Frage nach dem Ich-Wir-Verhältnis27. Nun werden die verschiedenen Lösungen zur Frage nach der vertikalen Integration, die Hegel in Jena anbieten wird, auch für die normativen Freiheitsund Gleichheitsauffassungen Konsequenzen haben. Und es wird bei einer Bestimmung dieser Folgen darum gehen festzulegen, wie die Versöhnung zwischen den zwei »Naturen« des Absoluten in ihrem »ewigen« Widerstreit jeweils auf der vertikalen Achse der Entzweiung erreicht wird, und inwiefern dabei eine der »Naturen« – die »göttliche« oder die »andere« –, und damit die dieser Natur entsprechenden normativen Auffassungen, Vorrang gegenüber der anderen aufweisen und also eher als geeignet anzusehen sein wird, das Absolute »an sich« zu kennzeichnen. Diese Versöhnungsversuche, die also auch als Versöhnung zwischen Ich und Wir verstanden werden können, werden sich in Hegels unterschiedlichen Jenaer Ansätzen zeigen.28 Wie bereits erwähnt, zeigt die Rede von einem »ewigen« Widerstreit zwischen beiden »Naturen« des Absoluten zunächst, dass beide Ebenen unentbehrlich für das Bild des Absoluten sind, das Hegel von Jena an gewonnen hat. Entsprechend kann als Erstes festgehalten werden, dass Freiheit und Gleichheit, wie schon ansatzweise beim Begriff des Lebens am Ende der Frankfurter Zeit, auf beiden Ebenen eine gewisse sittliche Bedeutung haben werden: einerseits in Zusammenhang mit dem substanziell aufgefassten undifferenzierten Absoluten bzw. der Ebene einer immer noch im Sinne der sittlichen GemeinVFKDIWGHU3ROLVYHUVWDQGHQHQ(LQKHLWDQGHUHUVHLWVLP5DKPHQGHU5HÀH[LRQ bzw. der Ebene der integrierten Entzweiung, als relationaler Identität; damit erhalten die abstrakten Begriffe der Freiheit und der Gleichheit, die ja die der 5HÀH[LRQVLQGHLQHRIIHQVLFKWOLFKH$XIZHUWXQJ6RNDQQKLHUMHQH9HUGRSSHlung der normativ relevanten Freiheit und Gleichheit wiedererkannt werden, die sich in Hegels Frankfurter Schriften zeigte; und sie ist auch hier so zu verstehen, dass die Weise, wie die mannigfaltigen Entzweiten im Ganzen des Absoluten (d.h. auch der Sittlichkeit) integriert sind (bzw. sein sollen), sowohl als ihre Teilhabe an einer substanziellen Gemeinschaft als auch als die Strukturie27 'LHVHV9HUKlOWQLVZlUHVRODQJHHVYRQ,QWHUVXEMHNWLYLWlWXQGQLFKWYRQUHÀH[Lver Subjektivität) ausgeht, eher als (Ich-Du)-Wir aufzufassen. Vgl. die berühmte Stelle in der Phänomenologie des Geistes, die den Geist gerade als diese Relation NHQQ]HLFKQHWVLHDOOHUGLQJVEHUHLWVLP5DKPHQGHU6HOEVW UHÀH[LRQGHV*HLVWHV versteht: »Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist« (W 3 145). 28 Zur Entwicklung von Hegels Denken in Jena im Allgemeinen vgl.: Heinz Kimmerle: »Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena«. In: Hegel-Studien, Beiheft 4. Bonn: Bouvier 1968, S. 33-47; Rolf-Peter Horstmann: »Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption«. In: Philosophische Rundschau. Jg. 19. Tübingen 1972, S. 25-44; Klaus Düsing/Dieter Henrich (Hg.): Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling. (Hegel-Studien Beiheft 20.) Bonn: Bouvier 1980. 97
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rung ihrer Verhältnisse durch gegenseitige Relationen zwischen individuierten Relata zu verstehen wäre. Auf die entsprechenden normativen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit, die jeweils mit den arelationalen und relationalen Konzeptionen des Lebens bzw. des Absoluten zusammenhängen, haben wir schon hingewiesen. Welche dieser Konzeptionen nun den Vorrang in Jena erhalten und wie sie jeweils aufgefasst werden sollen, hängt davon ab, wie die vertikale Integration in den jeweiligen Ansätzen begriffen wird. Hegels normative Freiheitskonzeption ab seinen Jenaer Schriften kann bekanntlich – und zwar unabhängig davon, wie diese Konzeption am Ende gedeutet wird29 – als eine »Vermittlung von Polissittlichkeit und modernem Subjektivitätsprinzip« angesehen werden.30 Nun wird auch die normative Gleichheitskonzeption als eine »Vermittlung von Polissittlichkeit und moderner abstrakter Gleichheit« zu verstehen sein. Im Gegensatz zu den frühen Schriften, in denen noch nicht ganz von einer »Vermittlung« die Rede sein konnte, gilt dies für alle Jenaer Schriften. Was aber die genauere Bedeutung dieser Konzeptionen bestimmen wird, ist die Weise dieser Vermittlung: Je nachdem, wie die Frage nach dem Verhältnis der zwei Naturen des Absoluten gelöst wird, wird auch die Antwort auf die Frage lauten, in welcher Hinsicht Freiheit und Gleichheit in einer normativen Bedeutung hauptsächlich aufgefasst werden können: eher im Sinne der sittlichen Gemeinschaft der Polis, als Folge der Relation oder als beides. Wird man also zu dem Schluss kommen, dass die »göttliche«, undifferenzierte Natur dem »eigentlichen« Bild des Absoluten entspricht, wäre dies so zu deuten, dass Hegel hier noch einem normativen Ideal folgt, nach dem die Entzweiung – und insoIHUQGLHPRGHUQHQ$XVGLIIHUHQ]LHUXQJHQ±VFKOLHOLFKQRFKDOVHLQHGH¿]LWlUH Weise des Seins des Absoluten angesehen werden müsste. Dementsprechend würden auch die Freiheits- und die Gleichheitsauffassung, die einen normativen Wert hätten, im Grunde noch im Rahmen der Polissittlichkeit aufgefasst; sie wären also eher auf der Einheits- als auf der Entzweiungsebene zu verorten: Die relationale »andere« Natur des Absoluten wäre nicht in der Lage, die ªK|FKVWH© *HPHLQVFKDIW ]X ELOGHQ XQG ZlUH ZHLWHU DOV GH¿]LWlU DQ]XVHKHQ Das hypothetische, aber bei Hegel unwahrscheinliche Ergebnis, dass gerade die differenzierte – relational aufgefasste – »andere« Natur Vorrang vor der
29 Zur Deutung der Freiheitskonzeption, die sich am Ende dieser Entwicklung durchsetzt, gibt es verschiedene Vorschläge. Dazu aber später. 30 Zum Freiheitsbegriff Hegels in Jena vgl. Ludwig Siep: »Der Freiheitsbegriff der praktischen Philosophie Hegels in Jena«. In: ders.: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, S. 159-171. Hier allerdings beziehe ich mich nicht auf Sieps Unterscheidung zwischen vier Momenten der Freiheit (Autonomie, Vereinigung, Selbstüberwindung und Freigabe), sondern wähle einen anderen Weg der Erläuterung von Hegels Jenaer Freiheitsbegriff, der diese Aspekte auch indirekt mit einbezieht. 98
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
»göttlichen« haben sollte, würde bedeuten, Hegel sähe die von ihm zuvor kritisierten modernen Verhältnisse (die hier allerdings bereits nicht mehr atomistisch aufgefasst werden) nun als den normativen Maßstab seiner Kritik an – im Sinne einer nunmehr vollständigen Akzeptierung der modernen Verhältnisse. Ihr Vorrang gegenüber der »göttlichen« Natur wäre (trotz der Weise, wie Hegel in seiner relationalen Auffassung der modernen Sittlichkeit diese Begriffe YHUVWHKW DOVHLQVHLWLJH'XUFKVHW]XQJHLQHUYRQ+HJHO]XQlFKVWQRFKDOVGH¿zitär angesehenen »anderen« Natur und deren Konzeption der Freiheit und der Gleichheit über die »höchste Gemeinschaft« zu deuten. Anders wären die Folgen, wenn sich herausstellte, dass die zwei »Naturen« des Absoluten in einem symmetrischen Verhältnis stehen: Für die Freiheit müsste dies bedeuten, dass die normative Freiheit nun eindeutig sowohl im Sinne jener Freiheitskonzeption, die mit der Sittlichkeit der Polis zusammenhing, wie auch als Freiheit des Einzelnen aufzufassen wäre; und für die Gleichheit wäre eine normativ relevante Gleichheitskonzeption sowohl im Sinne der substanziellen »republikanische[n] Gleichheit« der Griechen als auch im Sinne der symPHWULVFKHQ *HJHQVHLWLJNHLW GLH GLH9HUKlOWQLVVH GHU 5HÀH[LRQ NHQQ]HLFKQHW zu verstehen; sie würde dann nicht nur die horizontale Gegenseitigkeit implizieren, die etwa im Vertrag erscheint (aber nun ausdrücklich eine sittliche Bedeutung erlangt), sondern sollte, da beide »Naturen« nun durch eine Relation verbunden wären, ebenfalls als eine Gegenseitigkeit auf der vertikalen Achse der Integration, also im Verhältnis Ich-Wir, verstanden werden. Hier müssten also die Konzeptionen der Freiheit und der Gleichheit so gedacht werden, dass ihre normative Bedeutung jeweils mit beiden Aspekten zusammenhinge – und zwar nun zu gleichen Maßen. Hiermit hätten wir wieder jene Konzeptionen GHU)UHLKHLWXQGGHU*OHLFKKHLWGLHYRUOlX¿JLQGHULiebe registriert wurden; nun aber wären sie nicht bloß auf einen Aspekt – den relationalen – von Hegels normativer Sittlichkeitskonzeption zurückzuführen, sondern gründeten sich auf die normative Sittlichkeitskonzeption. Die »höchste« mögliche Gemeinschaft in der modernen Welt würde sich durch ein Gleichgewicht zwischen ihren vereinigenden und ihren differenzierenden Aspekten bilden. Zwei dieser Möglichkeiten werden sich nun in den Versöhnungsansätzen von Hegels Jenaer Schriften zeigen: die erste und die dritte. Die zweite Möglichkeit wird bei Hegel nicht erscheinen.
2. Von der Indifferenz zur Gleichheit mit sich selbst: drei Jenaer Versöhnungsansätze
Im Folgenden werde ich vorschlagen, innerhalb der Jenaer Schriften drei »Lösungen« für das Problem der vertikalen Integration von Einheits- und Entzwei99
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ungsebenen zu unterscheiden, die wiederum drei Versöhnungsversuche darstellen und jeweils drei Auffassungen der normativen Freiheit und der normativen Gleichheit entsprechen. Diese Versöhnungsversuche werden allerdings nicht in allen Fällen exakt der Unterscheidung zwischen den möglichen Verhältnissen zwischen beiden Naturen des Absoluten entsprechen, die gerade vorgestellt worden sind. So wird der erste Versuch einer Versöhnung – der in Hegels ersten Jenaer Schriften erkennbar ist – eine Asymmetrie im Verhältnis zwischen Einheits- und Entzweiungsebene zugunsten der Einheitsebene aufweisen, worauf oben als Möglichkeit hingewiesen wurde; der zweite – ausgeführt in seinen intersubjektivitätstheoretischen Arbeiten – wird eine Symmetrie zwischen beiden Ebenen darstellen, die auch als Möglichkeit erwähnt wurde; und die dritte Lösung – die als Hegels endgültige Antwort auf dieses Problem zum Ende der Jenaer Zeit angesehen werden kann – wird wieder eine Asymmetrie einführen, GLHDOOHUGLQJVDXIHLQHNRPSOH[HUHUHÀH[LYH:HLVHEHLGH(EHQHQYHUPLWWHOW Eine Lösung, die den normativen Vorrang einseitig der Ebene der Entzweiung JHEHQZUGHZLUGVLFKKLHU±ZLHHUZDUWHW±QLFKW¿QGHQ Allen diesen Lösungen ist allerdings gemeinsam, dass sie den abstrakten modernen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit bereits eine zumindest relative Berechtigung zusprechen, indem sie die Ebene der Entzweiung und GHU 5HÀH[LRQ VFKRQ LP 5DKPHQ GHV$EVROXWHQ DQVLHGHOQ ± VHL HV DXFK ]Xnächst nur als negativen Zugang zu ihm. Daran, dass die diese Ebene konstituierenden horizontalen Verhältnisse seit dem Systemfragment von 1800 als grundsätzlich symmetrische aufgefasst werden, zeigt sich schon, dass diese Lösungen die Folgen der Kritik an der modernen Entzweiung bereits teilweise normativ berücksichtigen – d.h., dass die moderne Entzweiung bereits zugleich als Ausdifferenzierung aufgefasst wird. Was aber am Anfang der Jenaer Zeit noch fehlt, ist eine angemessene Antwort auf die Frage nach der vertikalen Integration der Entzweiung, d.h. im Verhältnis Ich-Wir – und insofern die endgültige Lösung der Frage nach Gleichgültigkeit und Herrschaft auch auf dieser vertikalen Achse. Diesem Problem werden sich Hegels Jenaer Schriften widmen. Solange Hegel das Ich-Wir-Verhältnis noch nicht relational auffasst, werden nicht nur diese Lösung der Frage nach der Entzweiung, sondern auch deren Folgen – Gleichgültigkeit und Herrschaft – auf der vertikalen Achse so behandelt werden, wie sie auf der horizontalen Achse vor der Frankfurter Zeit behandelt worden waren: also nicht eindeutig als Relationen. Erst durch ihre Behandlung als Relationen wird den modernen Verhältnissen eine ausdrückliche Berechtigung verliehen. Dies soll nun detaillierter dargestellt werden. Nach einem kurzen Rückblick auf eine Antwort auf die Frage der vertikalen Versöhnung, die Hegels JeQDHU(QWZLFNOXQJEHUHLWVSUl¿JXULHUWXQGLQVHLQHQOHW]WHQ)UDQNIXUWHU6FKULIten ansatzweise erscheint (a), werden diese drei Lösungen zu jener Frage zu erkennen sein; sie werden jeweils an einer der Schriften (oder in einer Grup100
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
pe von Schriften) aus der Jenaer Zeit festgemacht, die für Hegels praktische Philosophie relevant sind.31 Jede dieser Lösungen wird einem anderen Ansatz zu einem System entsprechen und damit auch unterschiedliche Auffassungen dessen implizieren, welche normativen Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen jeweils Vorrang haben sollen. Die erste Lösung ist, wie wir sehen werden, die in den ersten Jenaer Schriften entwickelte, und zwar in der Differenzschrift, im Naturrechtsaufsatz und noch im System der Sittlichkeit (b); eine zweite Antwort auf die Frage nach der vertikalen Integration lässt sich nur an einer einzigen Schrift zeigen, nämlich der Geistesphilosophie der Jenaer Systementwürfe I (c); und schließlich ist eine dritte Lösung zu jener Frage in der Geistesphilosophie der Jenaer Systementwürfe III zu erkennen, die bereits auf Hegels »reife« Systemkonzeption hinweist (d). Dabei sollen die unterschiedlichen Ansätze hier nur insoweit erläutert werden, als es für die Darstellung ihrer Bedeutung für die Integrationsfrage und deren Auswirkungen auf die normativen Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen notwendig erscheint; auch soll, unseren Absichten gemäß, der Frage nach der jeweils relevanten Konzeption der Freiheit nun weniger Aufmerksamkeit geschenkt werden als nach jener der Gleichheit.
a) Das Schicksal und das gleiche Leben: vertikale Relationalität in Frankfurt Bevor wir zur Betrachtung von Hegels drei Jenaer Lösungen übergehen, sollten wir noch kurz zu Hegels Frankfurter Schriften zurückkehren, um auf einen Aspekt der Frage nach der Integration einzugehen, der im Rahmen unserer Darstellung der frühen Schriften noch nicht ausführlich behandelt worden ist. Es geht darum, auf jene Achse aufmerksam zu machen, die oben als vertikal GH¿QLHUWZXUGH±DOVRGDV9HUKlOWQLV,FK:LU±XQGGHUHQ,QWHJUDWLRQGLH]HQWrale Frage in Hegels Jenaer Zeit sein wird. Wir haben oben bereits darauf hingewiesen, dass Hegel zu Beginn seiner Frankfurter Zeit zunächst klar wird, wie die Frage nach der Abstraktion der 31 Ich werde mich hier auf die Hauptschriften Hegels zur praktischen Philosophie aus dieser Zeit konzentrieren. Andere Schriften, wie etwa Glauben und Wissen und die Jenaer Systementwürfe II, werde ich hier trotz ihrer Bedeutung für Hegels Entwicklung nicht behandeln können. Zu Hegels praktischer Philosophie in Jena hier nur einige inzwischen schon »klassische« Abhandlungen: Karl-Heinz Ilting: »Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik«. In: Philosophisches Jahrbuch 71 (1963/64), S. 38-58. Rolf-Peter Horstmann: »Über die Rolle der bürgerlichen Gesellschaft in Hegels politischer Philosophie«. In: Hegel-Studien 9 (1974), S. 209-240; Manfred Riedel: »Hegels Kritik des Naturrechts«. In: ders.: Studien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1969; und Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchung zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München: Karl Alber 1979. 101
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modernen Welt aufzufassen sei: als Entzweiung im eigentlichen Sinne. Im Laufe seiner Entwicklung in Frankfurt wird mit seiner Interpretation der Entzweiung die Einsicht in den ambivalenten – und nicht nur negativen – Charakter der modernen Welt, wie gesehen, immer klarer und in seinen Ansätzen zunehmend evidenter. Diese Einsicht drückt sich dann am Ende der Frankfurter Zeit in der Konzeption des Lebens als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung (W 1 422) aus, was ja der Ebene entspricht, die wir als die der Entzweiung bezeichnet haben, die nun zugleich als Entzweiung und Ausdifferenzierung aufgefasst wird; die – relative – Integration der Entzweiung in die relationale Struktur des Lebens entspricht jener Achse der Entzweiung, die ich horizontal genannt habe. Und es ist ebenfalls genügend detailliert dargestellt worden, wie die Frage nach der Integration von Entzweiung in Hegels frühen Schriften behandelt und gelöst wird: Dem Leben als Verbindung wird ein Leben »frei vom Vergehenden« (W 1 421) gegenübergestellt, das offensichtlich Vorrang hat und für die 5HÀH[LRQ QXU DOV HLQ 6HLQ DXHU GHU 5HÀH[LRQ zu betrachten ist; wenn auch zwischen den verschiedenen lebendigen »Ichs« – horizontal – eine relationale Struktur entsteht, besteht zwischen dieser Ebene und der Ebene des Lebens »frei vom Vergehenden« (ebd.) eine Beziehung, die kein Verhältnis im strenJHQ6LQQHGDUVWHOOW'DV/HEHQMHQVHLWVGHU5HÀH[LRQNDQQQDFKGHPSystemfragment von 1800 nicht durch die Verhältnisstruktur der 5HÀH[LRQ – d.h. des Verstandes und des Bewusstseins –, sondern nur durch Religion erfasst werden (W 1 423). Damit erledigt sich die Frage nach der vertikalen Integration von Einheits- und Entzweiungsebene mit dem Vorrang des arelationalen Lebens, das nur jenseits von Relationen bestehe und nur über den arelationalen Zugang der Religion erfasst werden könne. Würde man daher im Systemfragment von 1800 wirklich die ansatzweise vorhandene Auffassung eines Systems vermuten,32 dann wäre dieses System – ähnlich den Ansätzen aus Hegels früher Jenaer Zeit, die noch näher zu betrachten sein werden – eines, bei dem das Leben an sich als etwas den Lebendigen (oder der Natur) zwar zugrunde Liegendes, aber ihnen gegenüber Jenseitiges zu verstehen wäre; das Verhältnis der LeEHQGLJHQ]XP/HEHQGXUFKGLH5HÀH[LRQZlUHDP(QGH±XQGZLHZLUQRFK sehen werden, hier anders als in Hegels ersten Jenaer Schriften – nicht einmal als ein negatives aufzufassen. Auch auf die Folgen dieser Konzeption für die der Freiheit und der Gleichheit haben wir bereits hingewiesen. Nun sind Hegels Frankfurter Schriften trotz dieses Resultats auch für die Entwicklung der Frage nach der vertikalen Integration von Entzweiung aufschlussreich. Denn auch auf der vertikalen Achse der Integration von Einheitsund Entzweiungsebene koexistiert mit der arelationalen Lösung in Gestalt der 32 Dazu vgl. z.B.: Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart-Weimar: Metzler 2003, S. 91ff. 102
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Religion ein Ansatz, der den Zusammenhang zwischen Ich und Wir teilweise relational versteht: Es geht hier um Hegels frühe Vorstellung vom Schicksal,33 der noch einmal Aufmerksamkeit zu schenken sich lohnt. Bei der Betrachtung von Hegels Modernitätsdiagnose wurde oben bereits erwähnt, dass Hegel in der Schrift zum Geist des Christentums zwischen zwei Formen von Gerechtigkeit unterscheidet:34 der mit dem Gesetz verknüpften Gerechtigkeit als Strafe und der Gerechtigkeit als Schicksal. Wir haben gesehen, wie Hegel in der Gerechtigkeit als Strafe jene Gleichheit erkennt, die er später als die abstrakte Gleichheit des Rechts kritisieren wird: Die Gerechtigkeit der Strafe war »nur Gleichheit, nicht Leben« (W 1 353). Dagegen war das Schicksal für ihn zwar auch eine Form von Bestrafung; allerdings werde dabei das Individuelle nicht wie bei der Strafe dem Allgemeinen »aufgeopfert«, denn es sei ebenfalls als »ein Individuelles« (W 1 342) vorzustellen. Nun verliert das Schicksal gerade dadurch den abstrakten Charakter, den das Gesetz besaß: In ihm seien »das Sollen und die Ausführung dieses Sollens nicht getrennt [...], wie beim Gesetz« (ebd.). Das Verbrechen wird nun nicht mehr als eine Übertretung bzw. Entgegensetzung zu etwas Abstraktem verstanden, sondern als »Verletzung« bzw. »Zerstörung« (ebd.) von etwas, was in demselben Zusammenhang des Lebens steht wie der Verbrecher selbst: »Der Verbrecher meinte mit fremdem Leben zu tun zu haben; aber er hat nur sein eigenes Leben zerstört« (vgl. W 1 343). Weil sich die Zerstörung »innerhalb des *HELHWHVGHV/HEHQVEH¿QGHW©HEG LVWGLH9HUV|KQXQJGXUFKGDV6FKLFNVDO möglich: denn »das Leben kann seine Wunden wieder heilen, das getrennte feindliche Leben wieder in sich selbst zurückkehren und das Machwerk eines Verbrechens, das Gesetz und die Strafe aufheben« (vgl. W 1 344).35 Dadurch wird die Gerechtigkeit als Schicksal befriedigt, und somit der Verbrecher mit dem Ganzen des Lebens wieder versöhnt: »denn der Verbrecher hat das gleiche Leben, das er verletzt hat, in sich als verletzt gefühlt« (W 1 346). Auf die implizite Verbindung von Hegels Frankfurter Auffassung eines gleichen Lebens, die hier wieder erscheint, mit der »republikanische[n] Gleichheit« der Griechen wurde bereits aufmerksam gemacht. Wichtiger aber als der Bezug zum gleichen Leben ist nun gerade die Relationalität, die im Verhältnis zwischen dem Verbrecher und dem Ganzen des Lebens erkennbar ist. Denn es lässt sich dieser Darstellung entnehmen, dass diese Schicksalskonzeption, die über die bloße Gegenseitigkeit der Strafe hinausgeht, auch eine Relation 33 Die folgenden Ausführungen über das Schicksal sind z.T. einem Artikel von mir zum »gleichen Leben« entnommen. Vgl. Verf.: »Das gleiche Leben. Zu Leben und Gleichheit beim jungen Hegel«. In: Andreas Arndt/Paul Cruysberghs/Adam Przylebski: Hegel-Jahrbuch 2006, 1. Teil, Berlin: Akademie-Verlag, 2006, S. 56-60. 34 In Teil I dieser Untersuchung. 35 Vgl. auch in der Phänomenologie des Geistes: »Die Wunden des Geistes heilen, ohne daß Narben bleiben« (W 3 492). 103
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zwischen dem individuellen Verbrecher und dem verletzten Leben impliziert, das ihm als »ein Individuelles« (W 1 342) gegenübertritt. Damit zeigt sich das Schicksal als eine Form von Gerechtigkeit, die nicht nur prinzipiell der Gleichheit der Strafe entgegengesetzt ist, sondern sich ansatzweise auch von einer bloß arelationalen Auffassung der Reintegration des Verbrechers ins Leben unterscheidet – selbst wenn diese letzte Auffassung am Ende (der Auffassung des Lebens hier entsprechend) Vorrang gewinnt. Obwohl es in Hegels Frankfurter Zeit noch nicht explizit um die Integration zweier Ebenen geht, sondern – in dieser Schicksalskonzeption – bloß um die (Re-)Integration eines individuellen Ichs ins Wir des (vorrangig immer noch im Sinne der »republikanische[n] Gleichheit« zu verstehenden) gleichen Lebens, ist hier schon ansatzweise zu erkennen, wie sich die Frage nach der Integration von Ich und Wir in Jena weiter entwickeln wird: über die Etablierung von Relationen auch zwischen jenen beiden Ebenen. Denn durch das Relationalwerden der vertikalen Achse der Integration wird auch die Ebene der Entzweiung implizit aufgewertet: Wenn selbst die Beziehung zwischen dem entzweiten Individuellen und dem Leben durch Relationen bestimmt wird, dringt die Mannigfaltigkeit der Entzweiten auch ins Leben als Ganzes, das dann nicht PHKUªDXHUGHU5HÀH[LRQ©LVW Was bedeutet dies nun für die Frage nach Hegels normativen Konzeptionen? Insofern mit der Auffassung des Schicksals sich auch die vertikale Integrationsachse als relational verstehen lässt, liegt es nahe, die Auffassungen von Freiheit und Gleichheit, die hier normativ bedeutend sind, nicht nur mit der arelationalen »republikanische[n] Gleichheit« und Freiheit der Griechen zu verbinden, sondern ansatzweise auch mit jenen Konzeptionen der Freiheit und der Gleichheit, die zunächst mit Hegels relationalen Ansätzen und der Ebene der Entzweiung verknüpft sind: mit den relationalen Konzeptionen, die bereits Aspekte der modernen normativen Freiheits- und Gleichheitsbegriffe integrierten. Was die Freiheit betrifft, kann bereits die Tatsache, dass die Relation des 6FKLFNVDOV]ZLVFKHQ]ZHLª,QGLYLGXHOOHQ©VWDWW¿QGHWGHPLQGLYLGXHOOHQ9HUbrecher und dem verletzten Leben als »ein Individuelles« (ebd.)), trotz der Weise, wie die Versöhnung geschieht, auf eine gewisse Einsicht in die Bedeutung des individuellen Subjekts hinweisen. Was nun die Gleichheit betrifft, geht es hier offenbar um Symmetrie: Diese war zwar auch in der Gerechtigkeit als Strafe vorhanden, die als »nur Gleichheit, nicht Leben« (W 1 353) verstanden und eben deshalb als abstrakt kritisiert wurde: »des gleichen Rechtes, das durch ein Verbrechen in einem andern verletzt worden ist, wird der Verbrecher verlustig« (W 1 338 – Hervorhebung von mir, MMSM). Hier handelt es sich aber nicht bloß um diese Symmetrie: Die Gleichheit, die in der Reziprozitätsstruktur des Schicksals erkennbar ist, ist offenbar nicht nur Gleichheit, sondern eine Gleichheit, die in dem gleichen Leben gründet. So wirkt die Relationalität der vertikalen Achse auch auf das 104
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Leben, in dem alle Relationen gründen – und auf die damit verbundenen normativen Konzeptionen. Insofern aber hier der Vorrang offensichtlich immer noch dem undifferenzierten Leben zugesprochen wird, werden sich die Durchsetzung einer solchen Relationalität, die zur Symmetrie – und Übereinstimmung – von Einheits- und Entzweiungsebene führt, und deren Folgen für die normativen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit erst später in Hegels Jenaer Schriften wirklich zeigen.36
b) Erster Jenaer Versöhnungsansatz: absolute Sittlichkeit und Indifferenz Nun ist die erste Lösung zur Frage der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene, die in Hegels Jenaer Schriften sichtbar wird, diejenige, die Hegel für die Tragödie im Sittlichen selbst im Naturrechtsaufsatz anbietet; im Rahmen der Jenaer Schriften taucht sie aber eindeutig schon vorher auf, nämlich bereits in der Differenzschrift. Im Kontext dieser Ansätze erscheint das Problem der Integration als das Problem des Verhältnisses zwischen dem Absoluten und der 5HÀH[LRQ (bzw. in den ethisch-gesellschaftlichen Termini des Naturrechtsaufsatzes: zwischen absoluter und relativer Sittlichkeit). Wir werden sehen, dass diese Lösung mit eiQHUEHVWLPPWHQ'HXWXQJGHV9HUKlOWQLVVHV]ZLVFKHQ$EVROXWHPXQG5HÀH[LRQ ]XVDPPHQKlQJWQDFKGHUGDV$EVROXWHGHU5HÀH[LRQLQHLQHPJHZLVVHQ6LQQH »zum Grunde« (W 2 36) liegen soll. Eine solche Lösung wird sich aber nicht nur in der Differenzschrift (1801) und im Naturrechtsaufsatz (1802) zeigen, sondern auch noch – trotz z.T. erheblicher Unterschiede im Systemaufbau – im System der Sittlichkeit (1802/03). Das Verhältnis dieses Lösungsansatzes zu normativen Freiheits- und Gleichheitsauffassungen wird dann am Zusammenhang zwischen der absoluten Sittlichkeit und einer Auffassung der (absoluten) Indifferenz deutlich werden.37
36 Hier ist wichtig zu berücksichtigen, dass die Strafe als Wiedervergeltung im Kontext des Naturrechtsaufsatzes der Konzeption des Schicksals der Schrift zum Geist des Christentums entspricht, welche dort dem Begriff der Strafe (und der Wiedervergeltung) entgegenstand. Es geht hier aber um eine Vergeltung, die sich von der abstrakten Rache distanziert und eine integrative Bedeutung behält. In der Rechtsphilosophie wird die Strafe als Vergeltung – als Folge des Unrechts – in der Sphäre des abstrakten Rechts ihren Platz haben und nicht unmittelbar zur Integration ins Sittliche führen; insofern aber aufgrund des Aufbaus der Rechtsphilosophie das gesamte abstrakte Recht als in die Sittlichkeit mit einbezogen verstanden werden soll, geht auch hier diese integrative Bedeutung nicht verloren. Vgl. dazu W 7 178ff. 37 Diese Indifferenz, die auf eine Identität hinweist, ist nicht mit der Gleichgültigkeit der modernen Verhältnisse zu verwechseln. 105
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i) Die Differenzschrift Die Differenzschrift ist bekanntlich Hegels erste relevante Schrift aus seiner Jenaer Zeit und zugleich seine erste eigentlich philosophische Veröffentlichung. Ihr Thema ist zunächst – wie der Titel besagt – der Verweis auf die »Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie«, wie auch die Kritik an deren Deutung durch Reinhold. Hegels Intention ist aber nicht so sehr der Vergleich zweier Systemkonzeptionen, sondern seine Kritik an Fichtes System (und damit, hier etwas indirekter, auch an Kant) und die Hervorhebung von Schellings Systemkonzeption als jener, mit der er sich KLHU VHOEVW ZHLWJHKHQG LGHQWL¿]LHUW38 Fichtes System und Kants Philosophie werden – wie schon in anderen Schriften Hegels aus dieser Zeit – deswegen kritisiert, weil das »Prinzip der Identität« »nicht Prinzip des Systems« (W 2 94) werde, so dass das »Subjekt = Objekt« »sich daher zu einem subjektiven mache« (ebd.). Im Gegensatz dazu sei das »Prinzip der Identität« »absolutes Prinzip des ganzen Schellingschen Systems« (ebd.), und Subjekt und Objekt »beide als Subjekt-Objekt gesetzt« (ebd.). Reinhold wird dagegen sowohl wegen seiner »Ansicht der Fichteschen und Schellingschen Philosophie« kritisiert als auch aufgrund »seiner eigenen« Philosophie (vgl. W 2 116). Wichtig ist die Differenzschrift hier allerdings wegen der Ansätze zu einem eigenen System, die Hegel im Kontext seiner Deutung jener Autoren weitgehend in Anlehnung an Schelling entwickelt, vor allem hinsichtlich der Frage QDFK GHP9HUKlOWQLV YRQ$EVROXWHP XQG 5HÀH[LRQ DOVR DXFK YRQ (LQKHLWVprinzip und Entzweiungen der Zeit. Denn es ist offensichtlich, dass die Kritik an philosophischen Systemen, die nicht in der Lage seien, den sich aus Kants Philosophie ergebenden Dualismus zu überwinden, als Kritik an den Entzweiungen der Zeit selbst gelesen werden muss. Gemäß der zu Beginn der Differenzschrift ausgedrückten Erwartung, die Entzweiungen der Zeit seien durch die Philosophie aufzuheben, geht Hegel hier von der Frage nach der Möglichkeit aus, das über diesen Entzweiungen stehende Absolute zu erfassen; dies hängt mit der Frage nach dem Prinzip eines philosophischen Systems zusammen, das in der Lage sei, die Entzweiungen der Zeit aufzuheben. Hegel wendet sich hier gegen den Versuch Reinholds, die Entzweiungen der Zeit, soweit sie sich in ihrer Philosophie manifestieren, GXUFK*UXQGVlW]HXQGVRPLWGXUFK5HÀH[LRQ]XEHUZLQGHQDEHUDXFKZLH erwähnt, gegen den Versuch Fichtes, dies durch eine einseitige Einheitskonzeption eines subjektiven Subjekt-Objekts zu erreichen. Demgegenüber – und
38 Zum Verhältnis zu Schelling vgl. Klaus Düsing: Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena. In: Klaus Düsing/Dieter Henrich (Hg.): Hegel in Jena. (Hegel-Studien Beiheft 20.) Bonn: Bouvier 1980. 106
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EHNDQQWOLFKGXUFK6FKHOOLQJEHHLQÀXVVW±VWHOOW+HJHOGHQ6WDQGSXQNWGHUSpekulation vor, welche 5HÀH[LRQ und transzendentale Anschauung vereinigen VROOYJO:I 0LWGHU5HÀH[LRQDVVR]LLHUW+HJHOQRFKGLH'DUVWHOOXQJ des Absoluten als Identität der Identität und der Nichtidentität (W 2 96), die RIIHQVLFKWOLFKGLH)UDQNIXUWHU'DUVWHOOXQJGHV$EVROXWHQIUGLH5HÀH[LRQDOV Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung (W 1 422) weiterführt. $EHUKLHUHQWZLFNHOW+HJHOHLQH$XIIDVVXQJGLHGHU5HÀH[LRQHLQH5ROOH]Xspricht, die bereits über die des Systemfragments von 1800 hinausweist: Zwar ZLUGGLH5HÀH[LRQKLHUZHLWHUKLQPLWGHP6WDQGSXQNWGHV9HUVWDQGHVXQGVRmit mit der Entzweiung assoziiert; aber dadurch, dass sie sich in Antinomien verwickelt, sobald sie über diese Ebene hinauszugehen trachtet, weist sie doch bereits über sich hinaus – und ermöglicht wenigstens eine negative Erfassung des Absoluten. Zu einer positiven Erfassung des Absoluten kann es allerdings erst durch eine transzendentale Anschauung kommen, die auf diese Weise nun die Rolle übernimmt, die die Religion im Systemfragment hatte. Beide zusammen, 5HÀH[LRQ und transzendentale Anschauung, kennzeichnen für Hegel hier den Standpunkt der Spekulation. Noch zu erwähnen ist, dass es in der Differenzschrift neben dieser Darstellung – die eher von der Problematik ausgeht, wie das Absolute aufzufassen wäre – auch einen Ansatz dafür gibt, wie das Absolute selbst als ein System strukturiert sein könnte. So erscheint im dritten, Schelling gewidmeten, Teil der Schrift eine Skizze, die Systemcharakter haben könnte. Unabhängig davon, ob sie eine eigentlich hegelsche Systemskizze darstellt oder vielmehr als Wiedergabe des Schellingschen Systems zu betrachten ist,39 lässt sich hier schon erkennen, woran Hegels Interesse bei seiner Darstellung Schellings liegt. So ist schon hier die Strukturierung des Absoluten – Hegels Intentionen gemäß, die Überwindung der Entzweiungen der Zeit in der Philosophie zu suchen – nicht von deren Auffassung durch die Philosophie zu trennen; deshalb erscheint die Strukturierung des Absoluten bereits hier als eine Strukturierung der Wissenschaft des Absoluten, d.h. der Philosophie. Für die meisten Interpreten entspricht dies der Konstruktion eines viergliedrigen – statt wie später dreigliedrigen – Systemansatzes.40 Offenbar in Anlehnung an Schelling wird hier im Rahmen einer solchen Konstruktion ein System der Natur einem System der Intelligenz entgegengestellt (vgl. W 2 100), denen zwei Wissenschaften entsprechen: jene der Natur 39 Vgl. dazu Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart-Weimar: Metzler 2003. S. 122. 40 Dazu vgl. Heinz Kimmerle: »Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena«. In: Hegel-Studien, Beiheft 4. Bonn: Bouvier, 1968, S. 33-47; Rolf-Peter Horstmann: »Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption«. In: Philosophische Rundschau. Jg. 19. Tübingen 1972. S. 25-44.; sowie W. Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. S. 150ff. 107
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sei der »theoretische Teil«, und jene der Intelligenz, der »praktische Teil der Philosophie« (vgl. W 2 109); dabei habe jeder Teil wieder »einen eigenen theoretischen und praktischen Teil« (ebd.), da jedes System »ein System der Freiheit und der Notwendigkeit zugleich« (W 2 107) sei. Neben der Gleichwertigkeit, die beide Systemteile hier erhalten, ist es wichtig hervorzuheben, dass beide in einem Indifferenzpunkt, der als Anschauung des Absoluten dargestellt wird (vgl. W 2 112), zu einem »Einssein« kommen, das Hegel von einer bloß »äußeren Gleichheit« (W 2 107) deutlich unterscheiden möchte. Versteht man beide »Teile« der Philosophie isoliert betrachtet als noch der 5HÀH[LRQ verhaftet und den Indifferenzpunkt als jenes Absolute, das sich der intellektuellen Anschauung eröffnet, so erkennt man hier wieder jene Deutung, die 5HÀH[LRQ und transzendentale Anschauung als negative und positive Seiten der Spekulation darstellte. Dabei erhält hier allerdings eigentümlicherweise auch die Kunst neben der Spekulation eine Stellung, die sie in anderen Schriften Hegels aus dieser Zeit nicht besitzt: Beide, Kunst und Spekulation, seien »in ihrem Wesen der Gottesdienst, – beides ein lebendiges Anschauen des absoluten Lebens und somit ein Einssein mit ihm« (W 2 113). Die Identitätsauffassung, die damit erreicht wird, ist aber dieselbe: Mit diesem »Einssein« seien in Subjekt und Objekt nicht mehr ein Subjekt und ein Objekt, sondern eine »subjektive transzendentale Anschauung und eine objektive transzendentale Anschauung, jene Ich, diese Natur« (W 2 115) zu erkennen. Kehren wir zu unserer Fragestellung zurück, so sind hier nicht die Details von Hegels Darstellungen der Philosophie der Zeit hervorzuheben, sondern die diesen Darstellungen zugrunde liegende Auffassung des Verhältnisses zwiVFKHQ$EVROXWHP XQG 5HÀH[LRQ =ZDU OlVVW VLFK KLHU ZLH HUZlKQW LP 9HUgleich zum Systemfragment von 1800 eindeutig eine Veränderung bezüglich GHU%HGHXWXQJGHU5HÀH[LRQIHVWVWHOOHQ'LH5HÀH[LRQZLUGKLHUDOV]XPLQGHVW ein Aspekt – der negative – des vereinigenden Prinzips der Spekulation aufgefasst.41 Aber es wird auch deutlich, dass die Überwindung der Entzweiungen der Zeit auch hier nicht ausschließlich mit aus diesen Entzweiungen stamPHQGHQ 0LWWHOQ ]X HUUHLFKHQ LVW 'LH 5HÀH[LRQ EHGDUI GHU WUDQV]HQGHQWDOHQ Anschauung, und das Absolute bleibt als solchesIUGLH(EHQHGHU5HÀH[LRQ – zumindest positiv – unerfassbar. Also wird offensichtlich die Integration, die in der Lage wäre, die Entzweiungen der Zeit zu überwinden, weiterhin als 41 Auf den Zusammenhang des Systemfragments mit der weiteren Entwicklung der hegelschen Gedanken macht Manfred Baum aufmerksam: »War die These des SystemfragmentsJHZHVHQGDGDVUHÀHNWLHUHQGH'HQNHQDOVVROFKHVGDV/HEHQ nicht fassen könne, weil es sich bei diesem Versuch selbst zerstören müßte, so übernimmt die Differenz6FKULIWGLHVH7KHRULHPLWGHU0RGL¿NDWLRQGDGLH$Qtinomien des Denkens selbst die einzig mögliche Weise des Erscheinens des Absoluten darstellen [...]«. Vgl. Manfred Baum: »Zur Vorgeschichte des Hegelschen Unendlichkeitsbegriffs«, S.115. 108
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HWZDVMHQVHLWVGHU5HÀH[LRQ6WHKHQGHVDXIJHIDVVW±GDKHULVWKLHUGLH5HGHYRP $EVROXWHQªZHOFKHVGHU5HÀH[LRQzu Grunde liegt« (W 2 36), so zu verstehen, dass dieser Grund GHU 5HÀH[LRQ ]ZDU LPPDQHQW LVW VLH DEHU GRFK ]XJOHLFK übersteigt. Demgemäß sind auch die beiden Ebenen asymmetrisch konzipiert.42
ii) Der Naturrechtsaufsatz Trotz einiger Veränderungen ist eine ähnliche Asymmetrie auch im kurz nach der Differenzschrift verfassten Naturrechtsaufsatz festzustellen. Auf Hegels Aufsatz zu den wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts wurde im Rahmen dieser Arbeit bereits ausreichend Bezug genommen: In ihm geht es, wie gesehen, grundsätzlich um die Kritik an zwei »unechten« (W 2 439) Arten der »wissenschaftlichen Behandlung des Naturrechts« – der empirischen und der rein-formellen –, und zwar aufgrund ihrer Unfähigkeit, ihren eigentlichen Gegenstand, die absolute Sittlichkeit, angemessen darzustellen bzw. zu erfassen. Während die empirische Wissenschaft »die Verhältnisse in GHU%HJULIIVIRUP¿[LHUW©LVWLQGHUUHLQIRUPHOOHQ:LVVHQVFKDIWªGHU*HJHQsatz absolut und die reine Einheit oder die Unendlichkeit das negativ Absolute rein von dem Inhalt abgesondert und für sich gesetzt« (W 2 439). Insofern diese Unfähigkeit wiederum als Ergebnis des »Zustandes der Welt« (W 2 438) begriffen wird, ist sie als eine Kritik an den Entzweiungen der modernen Welt zu verstehen, wie diese sich auch im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gegenstand (bzw. Wissenschaft und Philosophie) ausdrücken. Dabei sollen – Hegels eigentümlichem deskriptiv-normativem Anspruch entsprechend – einerseits beide unechten Naturrechtsbehandlungen den »empirischen Zustand« HLQHU:HOWªLQGHPLGHHOOHQ6SLHJHOGHU:LVVHQVFKDIWUHÀHNWLHUHQ©: die sich als Zerstückelung der absoluten Sittlichkeit zeigt; und andererseits manifestiere sich hier doch auch das Bild der absoluten Sittlichkeit, aber »verzogen« (W 2 437). Hier wird uns diese Kritik vor allem aufgrund des eigenen Ansatzes Hegels interessieren, der sich in der Konzeption einer absoluten Sittlichkeit ausdrückt. In der Tat ist im Naturrechtsaufsatz eine Auffassung des Absoluten bzw. der 6LWWOLFKNHLW HUUHLFKW GLH YRQ GHU QRWZHQGLJHQ %HGHXWXQJ GHU 5HÀH[LRQ XQG der Ausdifferenzierung überzeugter zu sein scheint als das Systemfragment von 1800 und die Differenzschrift. Ähnlich wie die Darstellung des Lebens im Systemfragment als Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung und die
42 Zur Bedeutung der Auffassung des Grundes in diesen Diskussionen bei Hegel vgl. die Interpretation von Thomas M. Schmidt: Anerkennung und absolute Religion. Frankfurt/M: Frommann-Holzborg 1997. Hier wird dieser Bedeutung allerdings eine andere Betonung gegeben und es werden andere Folgerungen daraus gezogen. 109
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des Absoluten in der Differenzschrift als Identität der Identität und der Nichtidentität, wird das Absolute oder die absolute Sittlichkeit als Einheit oder absolute Identität der Indifferenz und des Verhältnisses gedeutet (W 2 457). Während das »Positive« der absoluten Sittlichkeit das »Einssein« als die Einheit eines Volkes (vgl. W 2 481) ist, ist das »Negative« als Seite des Verhältnisses als relative Sittlichkeit gekennzeichnet. Dieses letzte (d.h. die Seite des Verhältnisses) differenziert sich wiederum in zwei Seiten: eine, in welcher »die Einheit das erste und Positive ist« (W 2 457) und die mit der sittlichen Natur übereinstimmen soll, und eine andere Seite, in welcher »das Viele das Erste und Positive ist« und die Hegel mit der physischen Natur gleichsetzt. Die erste ist die Seite der Idealität bzw. der relativen Identität (W 2 484) oder formalen Indifferenz, in welcher sich die Einheit zwar ausdrückt, allerdings als bloß formale Einheit; dies ist die Seite, die mit der formalen Allgemeinheit bzw. der bloß negativen Unendlichkeit der rein-formalen Behandlungsart des Naturrechts assoziiert wird und der Seite des Rechts entspricht (vgl. W 2 483 ff.). Die andere Seite ist die auf diese bezogene der Realität oder der Vielheit: Sie steht einerseits mit dem »physischen Bedürfnis« und dem »Genuß«, andererseits mit der Ebene der »Arbeit und des Besitzes« (W 2 489) in Zusammenhang und wird mit dem »System der allgemeinen gegenseitigen Abhängigkeit« und »der sogenannten politischen Ökonomie« (W 2 482) in Verbindung gebracht. Weiter unterscheidet Hegel hier zwischen zwei Ständen, dem der »Freien«, welcher der absoluten Sittlichkeit und der Befassung mit dem »Öffentlichen« entspricht, und dem der »nicht Freien«, der sich mit der Sphäre der politischen Ökonomie befasst; dazu kommt noch ein dritter Stand, der mit dem Bauernstand gleichzusetzen ist (W 2 490). Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass gerade die Deutung des Absoluten als »ewig« in ein tragisches Schicksal verwickelt – die im Bild der »Tragödie im Sittlichen« (W 2 496) erscheint –, die Ausdifferenzierungen bzw. Entzweiungen, die zu jener Tragik führen, als nicht einfach zu überwindende darstellt: Das Trauerspiel entsteht erst aus dem Nebeneinander beider Mächte bzw. Naturen des Absoluten. Allerdings wird auch hier deutlich, dass die Lösung, die Hegel selbst im Kontext des Bildes der Tragödie im Sittlichen für dieses »ewige« Spiel gefunden hat, ähnlich ausfällt wie die Deutung des Absoluten in der Differenzschrift. In Kongruenz mit Hegels aristotelischer Behauptung im Naturrechtsaufsatz, wonach »das Volk« »eher der Natur nach als der Einzelne« sei (W 2 505),43 wird der Einzelne schließlich auf das Volk zurückgeführt: So ist »die Sittlichkeit, insofern sie am Einzelnen als solchem sich ausdrückt, ein Negatives« (W 2 505); erst im Volk wäre sie als positive zu verstehen. So ist auch die Bedeutung des Todes zu sehen, durch 43 Vgl. Aristoteles Politik I 1253a25-26: «Es ist damit klar, daß der Staat einmal von Natur ist und außerdem jedem einzelnen vorausgeht.« 110
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den erst das entzweite Absolute zu einer Art Versöhnung kommen kann (vgl. W 2 494f.). Zwar scheint hier zum ersten Mal auch die »Intelligenz« als das »unvermittelte Gegenteil seiner selbst« jene Seite des Absoluten zu sein, die »allein fähig« sei, »indem sie absolute Einzelheit [ist], absolute Allgemeinheit« (W 2 502) und daher »die höchste Identität der Realität und Idealität« zu sein (W 2 503). Damit zeigt sich hier zum einen wiederum, wie sich Hegels Jenaer Ansätze durch die Zusammenführung der Frage nach der Strukturierung des Absoluten mit jener nach dem epistemischen Auffassen des Absoluten bestimmen lassen; und zum anderen ist auch die neue Einsicht Hegels zu erkennen, dass »der Geist höher als die Natur« sei (ebd.). Dass aber nun der »Intelligenz«, d.h. ja dem Bewusstsein, die Aufgabe zugetraut wird, »das absolute Selbstanschauen« (ebd.) des Absoluten zu erreichen, ist noch nicht als ein HLQGHXWLJHU6FKULWWKLQ]XHLQHU$XIZHUWXQJGHU5HÀH[LRQDQ]XVHKHQ'LHVH Intelligenz erfasst hier das Absolute durch die (transzendentale) Anschauung XQGQLFKWGXUFKGLH5HÀH[LRQVRLVWDP(QGHGHUª*HLVW©HEG VHOEVWGDV Ganze, der sich selbst als solches erkennt und jede Differenzierung in sich selbst wiederum vernichtet: »[...] so ist der Geist, der das Anschauen seiner als seiner selbst oder das absolute Erkennen ist, in dem Zurücknehmen des Universums in sich selbst sowohl die auseinandergeworfene Totalität dieser Vielheit, über welche er übergreift, als auch die absolute Idealität derselben, in der er dies Außereinander vernichtet und in VLFK DOV GHQ XQYHUPLWWHOWHQ (LQKHLWVSXQNW GHV XQHQGOLFKHQ %HJULIIV UHÀHNWLHUW© (W 2 503 – Hervorhebung von mir, MMSM).
So ergibt sich schließlich auch hier für das Problem der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene die schon in der Differenzschrift entwickelte Lösung: das Absolute als etwas den modernen Ausdifferenzierungen zwar Immanentes, sie aber Übersteigendes. Wieder bleibt die Integration den Ausdifferenzierungen entzogen, was wiederum auf eine Asymmetrie schließen lässt: Die »göttliche« Natur drückt eher die Natur des Absoluten aus als die »andere«.
iii) Das System der Sittlichkeit Die dritte Schrift aus dieser Zeit, die im Kontext dieses Lösungsversuchs für die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene steht, ist das System der Sittlichkeit von 1802/03. Diese Schrift scheint sich zunächst von Hegels ersten Jenaer Ansätzen deutlich zu unterscheiden: Hier entwickelt Hegel eine Konzeption, die eine eigentümliche, an Schellings Potenzmethode 111
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angelehnte Systemstruktur darstellt.44 Zum einen ist hier hervorzuheben, dass im Rahmen des Systems der Sittlichkeit – nicht wegen, sondern wohl eher trotz dieser Anlehnung an Schelling – sich der Anfang einer Entwicklung zeigt, die für Hegels folgende Jenaer Systementwürfe prägend sein wird: Es erscheint zum ersten Mal jener Begriff der Anerkennung, in welchem sich nun die Relationalität von Hegels Ansätzen ausdrücken wird und der den Kern seiner intersubjektivistischen Konzeptionen darstellen soll.45 Trotz dieser Neuerungen wird aber die Auffassung der absoluten Sittlichkeit im System der Sittlichkeit noch jener Asymmetrie entsprechen, die die vorangehenden Schriften kennzeichnet. Die Interpretation des Systems der Sittlichkeit bietet aufgrund seiner eigentümlichen Struktur besondere Schwierigkeiten. Hegel geht hier von dem Gedanken aus, dass, »um die Idee der absoluten Sittlichkeit zu erkennen [...] die Anschauung dem Begriff vollkommen adäquat gesetzt werden« müsse (SdS 279); daher strukturiert er diesen Systemansatz durchgehend durch wechselseitige Subsumptionen von »Anschauung unter Begriff« und »Begriff unter Anschauung«, wobei nicht immer ganz einsichtig ist, warum die in den jeweiligen Teilen des Systems behandelten Sachverhalte – die als »Potenzen« bezeichnet ZHUGHQZDVHWZDDOVª.RQ¿JXUDWLRQHQ©]XLQWHUSUHWLHUHQLVW46 – als »Anschauung unter Begriff« oder umgekehrt verstanden werden sollen.47 Festzuhalten ist dabei, dass Hegel mit Anschauung nicht die empirische, sondern immer noch jene Anschauung im Blick hat, die er als die transzendentale Anschauung bezeichnete; und unter BegriffMHQH5HODWLRQHQGLHHUELVGDKLQGHU5HÀH[LRQ zuschrieb. So bedeutet »Anschauung unter Begriff« hier die Subsumption des (LQVVHLHQGHQXQWHUGDV5HÀHNWLHUWHGKGHQ9RUUDQJGHU5HÀH[LRQ, und umgeNHKUWEHGHXWHWª%HJULIIXQWHU$QVFKDXXQJ©GLH6XEVXPSWLRQGHV5HÀHNWLHUWHQ unten das Einsseiende, d.h. den Vorrang der Einheit – die allerdings, insofern VLHGHU5HÀH[LRQHQWJHJHQJHVHW]WEOHLEWDOVDEVWUDNWH(LQKHLWDXIJHIDVVWZLUG
44 Vgl. Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie. Ein Kommentar der 7H[WHLQGHU5HLKHQIROJHLKUHU(QWVWHKXQJ. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2000, S. 76. 45 Zur Bedeutung von Hegels Anerkennungsbegriff in Jena vgl. v.a. Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchung zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes; Andreas Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart: Klett-Cotta 1982; und Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik VR]LDOHU.RQÀLNWH. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. 46 Herbert Schnädelbach schlägt dieses Verständnis vor. Vgl. H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, S. 82. 47 Schnädelbach führt die Schwierigkeit, die das System der Sittlichkeit für die Interpretation bietet, sowohl auf das »Schematische und Mechanische« von +HJHOV9HUIDKUHQDOVDXFKGDUDXI]XUFNGDVV+HJHOVHOEVWVHLQHQªEHJULIÀLFKHQ und methodologischen Festlegungen keineswegs konsequent folgt«. Vgl. H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, jeweils S. 111 und 81. 112
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Das System der Sittlichkeit besteht – neben einer kurzen Einleitung – aus drei Hauptteilen, die selbst – ebenfalls nach der Potenzmethode – untergliedert sind: I. Die absolute Sittlichkeit nach dem Verhältnis; II. Das Negative, oder die Freiheit, oder das Verbrechen; und III. Sittlichkeit. Vergleicht man diese Struktur mit jener der absoluten Sittlichkeit im Naturrechtsaufsatz – worauf diese Schrift eindeutig Bezug nimmt48 –, so ist zu erkennen, dass sie sich wechselseitig entsprechen: Die absolute Sittlichkeit, die dort als absolute Identität von Indifferenz und Verhältnis konzipiert wurde, wird auch hier so aufgefasst. Der absoluten Sittlichkeit als Indifferenz entspricht nun Teil III (Sittlichkeit), während der absoluten Sittlichkeit nach dem Verhältnis in ihrer Unterteilung jeweils die Teile I (Die absolute Sittlichkeit nach dem Verhältnis) und II (Das Negative, oder die Freiheit, oder das Verbrechen) entsprechen. Teil I und II sind also deutlich aufeinander bezogen; es ist offenbar Hegels Intention, durch die Strukturierung des Systems mittels wechselseitiger Subsumptionen die gegenseitige Angewiesenheit beider Momente der relativen Sittlichkeit (so wie deren jeweiliger Teilmomente) zu verdeutlichen. Teil I fasst Hegel als Subsumption der Anschauung unter den Begriff (vgl. SdS 279) oder als »das Absolute unter dem Begriff subsumiert« auf (SdS 309), wo die »Einzelheit« (ebd.) oder die »Mannigfaltigkeit des Begriffs und seine absolute %HZHJXQJDQGLH2EHUÀlFKHWULWW©6G6 ,QGHU5HNDSLWXOLHUXQJGHUEHLden vorangehenden Momente der Sittlichkeit zu Beginn des Teils III bezieht sich Hegel auf Teil I als den Teil der »Besonderheit« der Familie, die wiederum einerseits »eine solche Totalität« sei, »in welcher zwar alle Naturpotenzen vereinigt« seien, in welcher jedoch die Anschauung »zugleich im Verhältnis« und »das sich reell objektiv Anschauen des Individuums in dem andern« »mit einer Differenz behaftet« sei (SdS 323). Demgegenüber ist Teil II als »das Negative, oder die Freiheit, oder das Verbrechen« die Ebene des formal Allgemeinen, die auf die erste Ebene bezogen ist; dies wird als Subsumption des Begriffs unter die Anschauung aufgefasst. Diese Ebene kennzeichnet Hegel in seiner Rekapitulierung zu Beginn von Teil III als jene der »Allgemeinheit als abstrakter Einheit«, wofür die »Freiheit vom Verhältnis, das Vernichten der einen Seite desselben durch die andere das Höchste« sei (SdS 323-324). Es wird hier also verständlich, dass es in Teil II um das »Negative« gerade jener Besonderheit geht – also um jene Einheit, die Hegel als »etwas über diesem einzelnen schwebendes, oder etwas Formelles«, als eine »unvollkommene Vereinigung« (SdS 280) versteht. Während also Teil I jener Ebene der relativen Sittlichkeit
48 Vgl. etwa L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 174. Der Titel, den Hegel dem System der Sittlichkeit selbst gab, war ja Critik des Fichteschen Naturrechts; insofern kann der Systemansatz, den Hegel im System der Sittlichkeit entwickelt, als Weiterführung der Folgerungen aus seiner Kritik an der »rein-formellen Behandlungsart« des Naturrechts angesehen werden. 113
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des Naturrechtsaufsatzes entspricht, die durch die Vielheit, oder Realität gekennzeichnet ist, entspricht Teil II – immer noch innerhalb der relativen Sittlichkeit – der Ebene der Einheit als bloß formaler Indifferenz bzw. negativer Allgemeinheit des Rechts – oder Einheit bzw. Idealität. Zwar wird in Teil II nicht wie im Naturrechtsaufsatz das Recht an sich behandelt – dies geschieht, wie noch darzustellen ist, in Abschnitt B von Teil I –, sondern nur das darauf bezogene Verbrechen. Als Freiheit vom Verhältnis beschreibt Teil II trotzdem gerade die Abstraktion von der Vielheit, die die formale, negative Allgemeinheit des Rechts ausdrückt und sich hier im Verbrechen zeigt. Nicht so deutlich ist allerdings das Verhältnis von Teil III (Sittlichkeit) auf die der absoluten Sittlichkeit untergeordneten Teile I und II bezogen. Am Anfang von Teil III stellt Hegel fest, dass »die absolute Natur« in keinem der beiden Unterabschnitte »in Geistesgestalt, und darum auch nicht als Sittlichkeit vorhanden« (SdS 324) sei: »weder die Familie, noch viel weniger die untergeordneten Potenzen, am wenigsten das Negative ist sittlich« (ebd.). Und er führt noch einmal jenen Grund dafür an, den wir aus den vorangehenden Schriften schon kennen: »Die Sittlichkeit muß mit völliger Vernichtung der Besonderheit und der relativen Identität, deren das Naturverhältnis allein fähig [ist], absolute Identität der Intelligenz sein« (ebd.). Hier muss angemerkt werden, dass diese Behauptung Hegels seiner eigenen Bezeichnung des Teils I als »absolute Sittlichkeit nach dem Verhältnis« widerspricht: Auch die untergeordneten Momente sind nicht als völlig von der absoluten Sittlichkeit getrennt zu verstehen.49 Auch die Tatsache, dass das System der Sittlichkeit gegenüber den vorangehenden Systemansätzen eine immer deutlicher werdende relationale Struktur aufweist, könnte auf eine größere Bedeutung der Relationalität und damit auf eine Änderung des Verhältnisses zwiVFKHQ (LQKHLWV XQG 5HÀH[LRQVHEHQH KLQZHLVHQ ± LP 6LQQH GHU %HKDXSWXQJ der Einleitung, die Subsumption von Anschauung unter Begriff sei »ebenso absolut notwendig« (SdS 279) wie die von Begriff unter Anschauung. Mit dieser verstärkten Relationalität verbindet sich die Rolle jener Konzeption, die in Hegels Jenaer intersubjektivitätstheoretischen Ansätzen zentral sein wird: des Begriffs der Anerkennung, der hier zum ersten Mal mit einer eigenen Bedeutung für die Sittlichkeit erscheint. Die zunehmende Bedeutung des Begriffs der Anerkennung innerhalb von Hegels praktischer Philosophie in den Jenaer Schriften wird in der Forschung auf seine in diesen Jahren erneuerte Fichte-Rezeption zurückgeführt.50 Im System der Sittlichkeit ist diese Bedeutung bereits ansatzweise vorhanden; so erscheinen sowohl die interpersonalen Verhältnisse innerhalb der natürlichen Sittlichkeit als auch jene der absoluten 49 Hier müsste Hegel seinem eigenen Ansatz gemäß behaupten, diese Ebenen seien zwar als Indifferenz außerhalb der absoluten Sittlichkeit, aber nicht unsittlich. 50 Dazu v.a. A. Wildt, ebd. 114
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Sittlichkeit in Verbindung mit dieser Konzeption, während das Negative von Teil II im Zusammenhang mit dem Kampf um Anerkennung gedeutet werden kann.51 Diese erste Bedeutung der Anerkennung ist bei Betrachtung der Unterteilung der drei Hauptteile des Systems der Sittlichkeit zu erkennen: Die drei Teile des Fragments werden untergliedert, wobei auch diese Untergliederung der Struktur der wechselseitigen Subsumption – und deren Nichtdifferenzierung – folgt.52 Innerhalb von Teil I (der absoluten Sittlichkeit nach dem Verhältnis) lassen sich also wiederum zwei Teile unterscheiden: A, der als natürliche Sittlichkeit die Familie beschreibt; und B, der immer noch innerhalb der natürlichen Sittlichkeit jener Ebene der Allgemeinheit entspricht, die mit Besitz und Recht zusammenhängt und deren Negativität in Teil II weiter ausgeführt wird. Das Verhältnis der Liebe innerhalb der Familie wird als das »lebendige Verhältnis« (SdS 289) bestimmt, das Hegel in einem Sinne beschreibt, der als Form der Anerkennung aufgefasst werden kann und bereits früher sichtbar geworden ist: »[...] es schaut sich jedes in dem anderen an, als zugleich ein Fremdes« (SdS 289). Diese »Vereinigung des Gefühls« – die selbst auch Folge der Entwicklung in Teil I, Unterabschnitt A ist, die vom Gefühl und der Triade Bedürfnis/Arbeit/Genuss ausgeht (vgl. SdS 282) – löst sich aber im Kind als einem Individuum auf (vgl. SdS 289), das im Recht als Person aufgefasst wird. Und damit verbindet sich eine zweite Form des Anerkennens, die im Unterabschnitt B näher betrachtet wird; sie wird als das »Anerkennen dieses formalen Lebendigseins« (SdS 309) bezeichnet, das wir im Sinne des »Anerkennen[...], das gegenseitig ist, oder die höchste Individualität und äußere Differenz« (SdS 290), in der jedes »ein gleiches, selbstständiges Wesen« sei (ebd.), betrachten dürfen. Am Ende von Teil B erscheint die Familie wieder, aber nun in ihrer rechtlichen Form,53 als Ehe (SdS 308), als Indifferenz der vorangehenden Potenzen, was wieder zum Kind und zur Einsicht führt, dass »diese beiden Seiten GHV/HEHQV©±(OWHUQXQG.LQG±VLFKªÀLHKHQ©6G6 $XVGHU%HVWLP51 Zur Bedeutung des Kampfes um Anerkennung hier vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung; sowie Ludwig Siep, »Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften«. In: Hegel-Studien 9 (1974), S. 155-207; ferner ders., »Zur Dialektik der Anerkennung bei Hegel«. In: ders.: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, S. 172-181. 52 Ich verzichte im Folgenden aber darauf, alle Übergänge im Sinne der jeweiligen Subsumptionen zu beschreiben, da sie für unsere Fragestellung nicht unentbehrlich sind. 53 Die gemeinsame Behandlung von Familie und Ökonomie/Recht im Teil I kann dadurch erklärt werden, dass im System der Sittlichkeit Hegel die Familie noch im Sinne des Oikos versteht. Dazu vgl. L. Siep: »Zur Dialektik der Anerkennung bei Hegel«. In: ders.: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1992, S. 174. 115
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mung des Rechts als Anerkennung folgt das Verbrechen in Teil II als der darauf bezogene Kampf. Schließlich erscheint in der absoluten Sittlichkeit noch eine dritte Form der Anerkennung:54 Im Volk »schaut das Individuum in jedem als sich selbst an« (SdS 325) – aber nun nicht mehr »als ein Fremdes«, sondern so, dass jenes Anerkennen der vorigen Potenzen, das »die höchste Individualität und äußere Differenz« (SdS 290) ausdrückte, nun zu einer absoluten Indifferenz wurde. So zeigt gerade die Weise, wie diese dritte Anerkennungsform in der Indifferenz dargestellt wird, wie die Relationalität dieses Ansatzes hier unterbrochen wird: Die Einheit der beiden untergeordneten Momente der Sittlichkeit wird wieder als jene lebendige Indifferenz des Volkes verstanden, in der »alle natürliche Differenz vernichtet ist« (vgl. SdS 325). Auch die Unterabschnitte des Teils III – in denen die Staatsverfassung, die Stände und die Regierung unter verschiedenen Aspekten behandelt werden – ändern nichts daran, dass hier dieselbe Lösung für die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebenen angewandt wird, die auf einer Asymmetrie zwischen der absoluten Sittlichkeit als Indifferenz und ihr selbst als Verhältnis gründet: Der Übergang von der Ebene des Verhältnisses zur absoluten Sittlichkeit als Indifferenz kann nur als ein arelationaler – um einen Ausdruck aus der Differenzschrift zu gebrauchen (vgl. W 2 114) – Salto mortale verstanden werden.
iv) Gleichheit als absolute Indifferenz Was bedeuten nun die Ergebnisse unserer Betrachtung dieser drei Jenaer Schriften für die Frage nach der Freiheit und vor allem der Gleichheit? Fassen wir zunächst zusammen. Als Erstes ist hier von Interesse zu bemerken, welche Folgen die Entwicklung dieser ersten Systemansätze auf Hegels eigene Modernitätskritik hatte: Auf der Ebene der Entzweiung zeigt sich ein viel differenzierteres Netzwerk von Verhältnissen – Zeugnis der wachsenden Bedeutung von Hegels Einsichten in die Bedingungen der modernen Welt. Die Konsequenzen der Entzweiung sind also teilweise bereits in die absolute Sittlichkeit integriert: Indem die Ebene der Entzweiung nämlich als Teil der ausdifferenzierten Struktur der Sittlichkeit nach dem Verhältnis aufgefasst wird, wird ihr explizit eine sittliche »Natur« und damit ein normativer Charakter zugesprochen. Andererseits zeigt sich nun auch ausdrücklicher, inwiefern Hegels Diagnose der Entzweiung die zwei Aspekte enthält, die uns bisher als Leitfaden seiner Modernitätskritik dienten: Indem Hegel spätestens ab dem Naturrechtsaufsatz die Ebene des Verhältnisses eindeutig weiter in die beiden Richtungen der Vielheit (bzw. der 54 Obwohl hier nicht der Terminus Anerkennung gebraucht wird, sondern jener der Anschauung, kann diese im Sinn einer Anerkennungsrelation verstanden werden. 116
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Realität) und der Einheit (bzw. der Idealität) differenziert, manifestiert sich die Entzweiung einerseits in der Gleichgültigkeit der nebeneinander bestehenden, aber ungebundenen Vielen und andererseits in der Herrschaft, die mit der bloß relativen, abstrakten Verbindung der relativen Sittlichkeit verknüpft ist: Hegel sieht, wie erwähnt, noch im System der Sittlichkeit auch in der Freiheit, die sich im Verhältnis als »Freiheit vom Verhältnis« (SdS 323) zeigt, »das Vernichten der einen Seite desselben durch die andere« (SdS 323-324): ein Vernichten, das wegen seiner Einseitigkeit nicht mit dem im Kontext dieser Schrift identitätsstiftenden Vernichten des Individuellen im Sittlichen zu verwechseln ist und ausdrücklich einen Herrschaftscharakter aufweist. 55 Der Durchsetzung der Relationalität auf der horizontalen Achse der Integration – deren Bedeutung seit dem Systemfragment von 1800 also immer deutlicher wird – entspricht aber noch keine wirkliche Relationalität auf der vertikalen Achse. Wir haben gesehen, wie die Integration von Einheits- und Entzweiungsebene in der Differenzschrift, im Naturrechtsaufsatz und im System der Sittlichkeit im Grunde dieselbe ist: Diese Integration vollzieht sich schließlich in asymmetrischer Weise zugunsten jener Einheit, die mit dem Absoluten bzw. der absoluten Sittlichkeit assoziiert wird. Diese Asymmetrie wurde schon bei der Behandlung der Differenzschrift darauf zurückgeführt, dass in dieser Auffassung das Absolute als etwas begriffen wird, was der ReÀH[LRQ]ZDUDOVHLQLKU,PPDQHQWHV]X*UXQGHOLHJWVLHDEHUEHUVWHLJWXQG es wurde deutlich, dass diese Konzeption auch dem Verständnis der absoluten Sittlichkeit im Naturrechtsaufsatz und im System der Sittlichkeit entspricht. Auch wenn in diesen drei Schriften die Strukturierung unterhalb der Ebene des undifferenzierten Absoluten bzw. der absoluten Sittlichkeit deutlich – und sogar immer deutlicher – relational aufgefasst wird, so ist den drei Ansätzen trotzdem gemeinsam, dass der Übergang von der relationalen Ebene der 5HÀH[LRQ bzw. der absoluten Sittlichkeit nach dem Verhältnis und dem arelationalen Absoluten bzw. der arelationalen absoluter Sittlichkeit nicht – oder zumindest QLFKW JDQ] ± GXUFK GLH 5HÀH[LRQ VHOEVW RGHU GXUFK 9HUKlOWQLVVH VWDWW¿QGHW Zwar wird seit der Differenzschrift GLH 5HÀH[LRQ DOV QHJDWLYH =XJDQJVZHLVH zum Absoluten nicht prinzipiell aus diesem ausgeschlossen, was eine Erweiterung ihrer Bedeutung im Vergleich zum Systemfragment von 1800 darstellt; aber das Absolute – wir könnten sagen: »an sich« – bleibt, wie noch im Sys55 Hier sieht man indirekt, woher die Verbindung der Seinslogik mit der Gleichgültigkeit und der Wesenslogik mit Herrschaft in jenen Deutungen von Hegels Logik stammt, die diese mit Theunissen als eine »chiffrierte politische Theorie« ansehen. Zugleich ist es hier möglich, eine indirekte Bestätigung der Verknüpfung von Herrschaft und Einseitigkeit zu erkennen, die auch meiner eigenen Deutung zugrunde liegt. Zu Theunissens Deutung vgl. wiederum: ders.: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt./M.: Suhrkamp 1980, S. 25ff. Zur »chiffrierten politischen Theorie« vgl. ebd. S. 448. 117
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
temfragment von 1800, IUGLH5HÀH[LRQ etwas jenseits von ihr Liegendes. Die Überwindung der Entzweiung auf der vertikalen Achse des Ich-Wir-Verhältnisses – und somit der Gleichgültigkeit und Herrschaft auf dieser Achse – erfolgt also durch die Hinführung der Entzweiten auf einen gemeinsamen, diese aber als solche – d.h. als Entzweite – vernichtenden Grund. 56 Die Folgen dieser Deutung der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene für die normativen Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit liegen nun auf der Hand: Obwohl beide Ebenen normativ aufgeladen sind, da sie beide einer »sittlichen Natur« entsprechen, ist die Entzweiungs- der Einheitsebene gegenüber immer noch sekundär; normativ bedeutsam bleibt also weiterhin die Sittlichkeitskonzeption, die Hegel schon seit Tübingen mit der griechischen Polis verband. So überrascht es nicht, dass auch die Konzeptionen der Freiheit und Gleichheit, die normative Relevanz besitzen werden, im Rahmen dieser Sittlichkeitsauffassung stehen: Die Freiheit, die Hegel im Naturrechtsaufsatz mit dem Tod für das sittliche Ganze assoziierte, hat nichts mit jener negativen Freiheit zu tun, die mit dem Recht und dem Verbrechen zusammenhängt; während die Vernichtung der Einzelheit, die die sittliche FreiKHLW NHQQ]HLFKQHW VLFK VFKRQ GDUEHU KLQDXV EH¿QGHW VWHKW GLH9HUQLFKWXQJ des Verbrechens noch unterhalb der Bestimmungen des Verhältnisses und der 5HÀH[LRQ :LH GLH )UHLKHLW GLH VLFK GHP =ZDQJ HQWJHJHQVHW]W EOHLEW GLHVH Freiheit dem Recht und dem Verhältnis, von dem sie sich befreien wollte, unmittelbar verhaftet – und die normative Freiheit von der Negativität, aber auch von der Verbindung mit Besonderheit und Differenz immer noch frei. Ähnlich ergeht es der Gleichheit. Der Indifferenz der absoluten Sittlichkeit setzt Hegel immer wieder – z.B. im Naturrechtsaufsatz (W 2 484) – eine formelle Indifferenz entgegen, die er als eine »äußere, formale Gleichheit« (ebd.) bezeichnet. Auch im System der Sittlichkeit wird die lebendige Indifferenz von einer »Gleichheit der Bürgerlichkeit« (SdS 326) abgegrenzt. Und diese lebendige Indifferenz wird als eine »Identität aller« (ebd.) aufgefasst, die »nicht eine abstrakte«, sondern »eine absolute« sei (ebd.), in welcher »das Besondere, das Individuum« »als besonderes Bewußtsein schlechthin dem Allgemeinen gleich« (ebd.) sei. Diese »vollkommene« oder »absolute Gleichheit« (SdS 279) steht also jenseits der »äußeren« (SdS 312) Gleichheit des Verhältnisses. So liegt es nahe, in der absoluten Indifferenz wieder die nicht »äußere, for56 Wollten wir dieses Verhältnis veranschaulichen, so könnte es durch eine Dreiecks-Struktur dargestellt werden, bei welcher allerdings die Einheitsebene als Basis der Entzweiung gegenüber Vorrang besitzen sollte.Thomas M. Schmidt sieht dagegen vor allem die ersten Jenaer Ansätze als durch eine trianguläre Struktur gegeben, die sich aus der für seine Deutung zentralen Unterscheidung von Einheits- und Entzweiungsgrund ergibt. Vgl. dazu.: Thomas M. Schmidt: Anerkennung und absolute Religion. Stuttgart/Bad Cannstadt: Frommann/Holzboog 1997, S. 179f. 118
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
male« Gleichheit zu sehen, sondern jene substanzielle Gleichheitskonzeption, die früher als »republikanische[...] Gleichheit« der Griechen erschien. Und es bietet sich also an, auch im Begriff der (absoluten) Indifferenz nicht nur eine normative Freiheit wiederzuerkennen, sondern auch die hier normativ relevante Gleichheitskonzeption.
c) Zweiter Jenaer Versöhnungsansatz: Absolute Sichselbstgleichheit und Geist eines Volkes als Organisation von Mitten Die zweite Lösung zum Problem der Integration von Einheits- und EntzweiXQJVHEHQHGLHVLFKDP9HUKlOWQLVYRQ$EVROXWHPXQG5HÀH[LRQDEOHVHQOlVVW verbindet sich mit der Geistesphilosophie der Jenaer Systementwürfe I. Das Verhältnis dieser Systemkonzeption zu normativen Freiheits- und Gleichheitsauffassungen soll nun am Zusammenhang zwischen der hier vorhandenen Konzeption des Geistes und einer bestimmten Auffassung der Sichselbstgleichheit dargestellt werden. Die heute als Jenaer Systementwürfe I von 1803/04 bekannten Schriften sind selbst Teil verschiedener Ansätze zu einem System, die Hegel in seinen mittleren und späteren Jenaer Jahren noch vor der Phänomenologie des Geistes verfasst hat.57 Abgesehen vom oben behandelten System der Sittlichkeit – das auch schon im Kontext einer weiteren Systemkonzeption stand – sind nunmehr im Rahmen von Hegels Gesammelten Werken drei Gruppen solcher Ansätze veröffentlicht, die jeweils als Jenaer Systementwürfe I (1803/04), II (1804/05) und III (1805/06) bezeichnet werden. Alle drei sind noch in jener Systemkonzeption zu verorten, die viergliedrig war: Als erster Teil wurde die Logik noch von der Metaphysik unterschieden, die dann als zweiter Teil galt; auf diese beiden folgten Natur- (dritter) und Geistesphilosophie (vierter Teil).58 Dass hier zwischen Logik und Metaphysik unterschieden wird, ist mit Bezug auf unsere Betrachtung der Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene leicht als Folge der Unterscheidung zwischen 5HÀH[LRQ (die ja dem Logikteil entspricht) und Absolutem (das in diesen Systemen dann das Thema einer noch von der Logik unterschiedenen Metaphysik darstellt) zu erNHQQHQ ,P9HUJOHLFK ]X +HJHOV VSlWHUHP ± GH¿QLWLYHP ± 6\VWHP IlOOW QRFK 57 Zur Interpretation verschiedener Aspekte dieser Systeme vgl. z.B. Heinz Kimmerle (Hg.): Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels. Berlin: Akademie 2004. 58 Diese ist aber eine andere Vierteilung als die vom Anfang der Jenaer Zeit, bei welcher die »Indifferenz« in Religion und Kunst den vierten Teil bildete. Die Teilung von Hegels System ab 1803 zeigt schon Anzeichen seines Übergangs zu einer triadischen Konstruktion. Vgl. dazu Th. M. Schmidt: Anerkennung und absolute Religion. Stuttgart-Bad Cannstadt: Frommann-Holzboog 1997, S. 388. 119
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auf, dass – mit Ausnahme der Jenaer Systementwürfe III, wo es sich bereits abzeichnet – innerhalb der Philosophie des Geistes noch nicht zwischen objektivem und absolutem Geist unterschieden wird. Ferner sind nicht in allen drei Ansätzen die vier Hauptteile des Systems vorhanden: von den Jenaer Systementwürfen I sind nicht die Logik und Metaphysik, sondern nur die Natur- und Geistesphilosophie als Fragmente erhalten; von der zweiten Gruppe existieren zwar Logik, Metaphysik und Naturphilosophie, nicht aber die entsprechende Geistesphilosophie;59 und von den Jenaer Systementwürfen III sind heute wiederum nur die Teile vorhanden, die jeweils der Natur- und Geistesphilosophie entsprechen. Außerdem sind diese Teile in vielen Fällen nur fragmentarisch überliefert oder wurden auch von Hegel selbst nur unvollständig entwickelt. Als »Geistesphilosophie« werden von den Jenaer Systementwürfen I jene Fragmente betrachtet, die vom letzten Teil des Fragments 15 bis zum unvollständigen Fragment 22 reichen; auch damit ist die Geistesphilosophie nicht vollständig abgehandelt. Besonders fällt auf, dass – obwohl hier wie im System der Sittlichkeit noch die Rede von Potenzen ist – Hegel nun das Ganze vom Bewusstsein her konstruiert; außerdem spricht er hier nicht mehr von absoluter Sittlichkeit, sondern von Geist. Kennzeichnend für die Jenaer Systementwürfe I und ein Anzeichen dafür, dass hier eine anders aufzufassende Integration von Einheits- und Entzweiungsebene anzutreffen ist, ist die Tatsache, dass sowohl die Ebene, die der absoluten Sittlichkeit im System der Sittlichkeit entsprach, als auch die des ursprünglich in der natürlichen Sittlichkeit verorteten Einzelnen als Bewusstsein bzw. Geist aufgefasst werden. Trotzdem lassen sich noch gewisse Parallelen zum System der Sittlichkeit ausmachen: An diesen Fragmenten ist eine Struktur zu erkennen, die in den drei Potenzen, die in Fragment 20 und 21 dargestellt sind, die Potenz der natürlichen Sittlichkeit sichtbar werden lässt; und im unvollständigen Fragment 22 sind vom – in der zweiten Potenz des Systems der Sittlichkeit behandelten – Kampf um Anerkennung ausgehend die Momente des Anerkennens und des – der absoluten Sittlichkeit entsprechenden – Volkes erkennbar. Die Potenzen erscheinen im Zusammenhang mit dem Volk wieder, denn »sie sind erst existierend in einem Volke« (JS I 319); dabei taucht der letzte Teil, wo man die der Familie entsprechende Ebene der Sittlichkeit in einem Volk vermuten könnte, in dem Fragment nicht mehr auf. Auffallend ist hier wieder die verstärkte Bedeutung der Anerkennung, die nun innerhalb dieser Auffassung des Geistes und damit der Relationalität dieses Ansatzes eine konstitutive Rolle erhält: Die horizontale Achse der Integration von Entzweiung, die schon seit dem Systemfragment von 1800 relational konzipiert war, lässt sich hier weitgehend als durch Anerkennung konstituiert auffassen, sodass von einer horizontalen Achse der Anerkennung (oder einer 59 Deshalb wird sie uns hier nicht weiter beschäftigen. 120
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Ebene interpersonaler Anerkennung, die sich im Ich-Du-Verhältnis zeigt) gesprochen werden kann; hinzuzufügen ist auch, dass die in der Schrift vor der Anerkennung liegenden Verhältnisse, die sich in den noch vor der Familie im eigentlichen Sinne behandelten Potenzen zeigen – der Sprache und des Werkzeugs – ebenfalls so weit relational konstruiert sind, dass man hier – auch wenn nicht beide Seiten Subjekte sind – vielleicht von so etwas wie einer »Protoanerkennung« sprechen könnte. Darüber hinaus wird zum ersten Mal, wenn auch nur ansatzweise, auch auf der vertikalen Achse der Integration eine gewisse Relationalität sichtbar, die es erlauben mag, von einer vertikalen Achse der Anerkennung (der Anerkennung zwischen Ich und Wir) zu sprechen. Es ist nun gerade diese vertikale Relationalität, die die Möglichkeit eröffnet, in den Jenaer Systementwürfen I eine alternative Lösung zur Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene zu sehen. Diese Möglichkeit fußt auf der Weise, wie die verschienenen Formen der Einheit des Wir bezüglich des darin enthaltenen Ichs aufgefasst werden. Zentral ist die Verbindung zwischen zwei Sachverhalten: der Auffassung des Geistes als durchgängiger Organisation von Mitten, welche zu einer noch von Intersubjektivität ausgehenden Konzeption des Geistes führt; und der nunmehrigen Rolle der 5HÀH[LRQ bei der vertikalen Anerkennung, die einerseits – anders als im System der Sittlichkeit – dieser Intersubjektivität den ausgeprägten Sinn eines Verhältnisses zwischen Subjekten verleiht und andererseits die Relationalität auch auf der Ebene der vertikalen Anerkennung ermöglicht, RKQHZLHGHUXPGLHJHVDPWH%HZHJXQJDXIHLQH6HOEVWUHÀH[LRQGHV*HLVWHV zu reduzieren. Die Auffassung des Geistes als Organisation von Mitten zeigt diesen zunächst als eine relationale Struktur, wie schon das Leben und die Sittlichkeit in den vorigen Ansätzen, und bezieht sich offenbar vor allem auf das, was als die horizontale Achse der Anerkennung bezeichnet werden kann. Das Erste, worauf in dieser Hinsicht aufmerksam zu machen wäre, ist die Bedeutung dieser Orientierung der Jenaer Systementwürfe I am Bewusstsein. Denn zwar gehen die Jenaer Systementwürfe I eindeutig von einer Konzeption des Bewusstseins aus – was die Struktur dieses Systementwurfs vom System der Sittlichkeit klar unterscheidet –, aber es wird deutlich, dass diese Konzeption hier noch nicht den Charakter eines Selbstbewusstseins besitzt, den sie in den Jenaer Systementwürfen III erhalten wird:60 Weder dasjenige, was sich im Text als einzelnes Bewusstsein verstehen lässt, noch das »allgemeine Bewußtsein«, das mit dem Geist im Ganzen übereinstimmt, sind grundsätzlich im Sinne einer Subjektivitätskonzeption konstruiert. Die hier erscheinende Kennzeichnung des Bewusstseins als das »unmittelbare einfache Gegenteil seiner selbst« (JS I 60 Vgl. dazu L. Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 183; ferner Th. M. Schmidt, ebd. S. 391. 121
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GHXWHWQLFKWDXIHLQH6HOEVWUHÀH[LRQHLQHVLVROLHUWHQ6XEMHNWVKLQVRQGHUQ auf die relationale Verfasstheit des Geistes selbst als Ganzem;61 sie entspricht, nun in anderen Termini, jenem ursprünglichen Gedanken, der im Leben die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung sah, und ist primär als das allgemeine Bewusstsein des Ganzen und somit als die Strukturierung des Geistes zu verstehen.62 Daher wird das »Wesen« des Bewusstseins in einer Art YRQ(LQKHLWDQJHVLHGHOWGLHQLFKWGXUFK6HOEVWUHÀH[LRQHQWVWHKWVRQGHUQHUVW durch intersubjektivistische Verhältnisse, die als Mitten bezeichnet werden. So ist das Wesen des Bewusstseins im Grunde seine Relationalität selbst: »In dieser Einheit des Gegensatzes ist das sich Bewußtseiende die eine Seite desselben, und das, dessen es sich bewußt wird, die andere. Beide sind wesentlich dasselbe, beide eine unmittelbare Einheit der Einzelheit und der Allgemeinheit« (JS I 273). Als Mitte erscheint hier ihre Einheit »als das Werk beider als das Dritte, worauf sie sich beziehen, in dem sie eins sind, aber [als] dasjenige, woran sie sich ebenso unterscheiden« (JS I 275) [Herv. i.O.]. Die Struktur des Geistes wird dann mit Hilfe von drei Paaren von Mitten beschrieben, die diese vereinigende/unterscheidende Funktion auf verschiedenen Ebenen ausüben sollen, wobei die erste Rubrik der jeweiligen Mitten (Sprache, Werkzeug und Familiengut) der »gebundenen Existenz des Bewußtseins als Mitte« im Sinne von dessen »Sein« als einer Art Vermittlung entspricht, und die zweite (Gedächtnis, Arbeit und Familie) offenbar dieser »gebundenen Existenz« unter der Perspektive ihres »Einsseins« (vgl. JS I 277); hier ist unschwer der doppelte Aspekt zu erkennen, unter welchem alle Relationen bei Hegel betrachtet werden, nämlich die Perspektive ihres Seins als Verhältnis und als Einheit. Von diesen Mitten werden außerdem die ersten zwei als noch vorgesellschaftliche Stufen des Geistes verstanden, die zwei Weisen der »Herrschaft gegen die Natur«, der »idealen« und der »praktischen« (JS I 281), entsprechen sollen: Durch das Paar Gedächtnis/Sprache wird die erste, theoretische Potenz bezeichnet; das Paar Arbeit/Werkzeug beschreibt die zweite, praktische Potenz »des Werkzeuges«. Erst die dritte Potenz »des Besitzes und der Familie« (JS I 301), durch die Mitte Familie/ Familiengut gekennzeichnet, kann – wenn auch nur partiell – im Sinne eines sittlichen Verhältnisses gedeutet werden; wiederum ist die horizontale Achse der Anerkennung in der Familie zu erkennen, die bereits im System der Sittlichkeit erschienen war, obwohl sie eigentlich erst hier den Übergang in die absolute Sittlichkeit vorbereitet; es »schaut das Individuum in dem anderen sich selbst an« (JS I 306). Dabei wäre die zweite Ebene der Anerkennung, die
61 Vgl. R.-P.Horstmann: »Über das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in Hegels Jenaer Schriften«. In: D. Henrich, D./K. Düsing (Hg.) Hegel in Jena. Bonn: Bouvier, 1980. S. 181-196. 62 Vgl. H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, S. 120. 122
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im System der Sittlichkeit in Verbindung mit der der Familie untergeordneten Sphäre des Besitzes und des Rechts zu erkennen war, auch hier noch im Zusammenhang mit der dritten Potenz des Besitzes und der Familie zu deuten; der Kampf um Anerkennung, der zur Sittlichkeit führt, knüpft auch hier an die »Totalität, zu der in der Familie gelangt ist« an, welche »sich in einer anderen solchen Totalität, Bewußtsein, sich als sich selbst« erkennen soll (JS I 307). In dieser anschließend dem Volk entsprechenden Sphäre werden dann die ersten zwei Potenzen wiederholt: Die Sprache erscheint nun als die »Sprache eines Volkes«, und in Zusammenhang mit dem zweiten Potenz der Arbeit werden wieder die Merkmale der bürgerlichen Gesellschaft als eine »allgemeine Abhängigkeit aller voneinander« (JS I 322) dargestellt. Darüber hinaus wird auch ersichtlich – obwohl die Fragmente der Jenaer Systementwürfe I nicht die gesamte Entwicklung darstellen –, dass daran die letzte Ebene der horizontalen Anerkennung im »Volk« als Ganzem angeschlossen werden sollte. Jedoch erlaubt erst die Verbindung dieser Konzeption des Geistes als Mitte mit der Rolle der 5HÀH[LRQ in dieser Schrift auf eine andersgeartete Lösung des Problems der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene zu schließen; wie in den vorigen Ansätzen hängt die Bestimmung dieser Lösung von der Frage ab, die als diejenige nach der vertikalen Achse der Anerkennung bezeichnet wurde. Eine eindeutige Neuerung der Jenaer Systementwürfe I bezüglich des Systems der Sittlichkeit besteht nun darin, dass hier zum ersten Mal der Übergang – durch Kampf – von einer »unteren« Ebene der horizontalen Anerkennung zur nächsten, »höheren« als mit einer 5HÀH[LRQ des einzelnen Bewusstseins verbunden gedeutet wird, sodass nun auch der Übergang zwischen beiden Ebenen eindeutig relational aufgefasst wird. Hegel geht im Anschluss an die Beschreibung der dritten Potenz der Familie davon aus, dass es »absolut notwendig« sei, »dass die Totalität, zu der das Bewußtsein in der Familie gelangt ist, sich in einer anderen solchen Totalität, Bewußtsein, sich als sich selbst anerkennt« (JS I 307). Im Rahmen dieses Kampfes erkennt dieses Bewusstsein sich »ALS ANERKANNT« (JS I 314) [Herv. i.O:]: als seine »Existenz« nur im »absoluten Bewußtsein« bzw. Geist habend. Wichtig ist hier, dass diese Erkenntnis, »dass das Anerkannte Totalität, Bewußtsein nur ist, indem es sich aufhebt«, vom Bewußtsein selbst vollzogen wird: das »ist nun ein Erkenntnis dieses Bewußtseins selbst« (JS , 6R NDQQ GLHVHU hEHUJDQJ DOV HLQH UHÀH[LYH /HLVWXQJ GHV %HZXVVWseins selbst verstanden werden, die eine Entwicklung zum absoluten Geist erst ermöglicht.63 Ein solches Ergebnis würde nun die Jenaer Systementwürfe I einerseits wieder an das System der Sittlichkeit, andererseits an die – noch zu betrachtenden 63 Vgl. L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 185. 123
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– Jenaer Systementwürfe III annähern, wäre da nicht die Tatsache, dass sich, wie gesehen, die Bewusstseinsauffassung im Rahmen der Jenaer Systementwürfe I nicht von der intersubjektivistischen Konzeption der Mitte abkoppeln lässt. An das System der Sittlichkeit würde sich dieser Ansatz annähern, weil hier die Existenz des einzelnen Bewusstseins im Ganzen mit den früheren Vorstellungen von einer absoluten Sittlichkeit übereinzustimmen scheint; und an die Jenaer Systementwürfe IIIZHJHQGHU%HWRQXQJGHU5HÀH[LYLWlW des Bewusstseins als Motor seiner Entwicklung zum Geist, die dort zentral sein wird. $OOHUGLQJVZLUGGHXWOLFKGDVVGLH5HÀH[LRQGLHKLHUVWDWW¿QGHWGLH5HÀH[LRQHLQHV%HZXVVWVHLQVLVWGHVVHQª:HVHQ©QLFKWLQHLQHUintrasubjektiYHQ 5HÀH[LRQVOHLVWXQJ JHVHW]W LVW VRQGHUQ LQ HLQHP UHODWLRQDOHQ intersubMHNWLYHQ9HUKlOWQLV2EZRKOGLHKLHUVWDWW¿QGHQGH5HÀH[LRQYRQHLQHU6HLWH des Verhältnisses ausgeht – dem »Bewusstseienden« –, ist ihr Ergebnis offenbar so zu deuten, dass sich hier eine Relation durch Relationen ihrer Relationalität bewusst wird; dies ist ein anderes Ergebnis, als wenn ein solches Bewusstsein sich seiner selbst zwar durch Relationen bewusst geworden wäre, aber als etwas von diesen Relationen an sich Unabhängiges. So ist das, was hier erkannt wird, nur das, dass etwas Anerkanntes anerkannt ist: dem Bewusstsein wird also deutlich, dass es aus solchen Verhältnissen besteht. Und das wird ihm dadurch deutlich, dass es durch den Kampf sein Verhältnis zu einem anderen Bewusstsein als bereits in einem Anerkennungskontext VWDWW¿QGHQGHUNHQQWGHP.RQWH[WGHV*HLVWHV±GHUVHOEVWnichtDXI5HÀH[Lonen dieser Art gegründet ist. So ist auch die Tatsache, dass das Bewusstsein nur im Geiste existiert, nicht mehr als ein Versinken – bzw. Vernichten – einer relationalen Struktur in ein undifferenziertes Ganzes zu verstehen: Das Ganze des Geistes, worin das Bewusstsein aufgehoben ist, wird aufgrund der Auffassung vom Geist als einem Netzwerk von Mitten von vornherein als Verhältnis konzipiert. Und insofern das Bewusstsein sein eigenes Anerkanntsein erkennt, erkennt es auch den Geist als seine Grundlage an: Auch das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen des Geistes wird nun als Anerkennung konzipiert. Dass auch dieses Verhältnis nun als wechselseitig begriffen wird, sodass der Geist sich auch wiederum nur als das Aufgehobensein der »Bewußtseine« verstehen lässt, ist aus der Vorstellung vom Geist als einem »Kreislauf« (JS I 316) zu schließen: »Dies absolute Bewußtsein ist also ein Aufgehobensein der Bewußtseine als einzelner, ein Aufgehobensein, welches zugleich die ewige Bewegung des Zu-sich-selbst-Werdens eines in einem anderen und des Sich-anders-Werden in sich selbst ist« (JS I 314). Eine solche Konzeption, in welcher Relationalität und Symmetrie auf allen Ebenen besteht, wäre hier als intersubjektivistisch in einem starken Sinne zu bezeichnen. Der Geist als »Sichselbstgleiche[r]« (JS I 315) würde insofern nicht zur absoluten Identität oder Indifferenz übergehen, 124
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
die die vorigen Ansätze kennzeichnete, sondern zu einer Identitätsform, die seine Relationalität bewahrt.64 Nun ist es leichter zu sehen, warum der Ansatz der Jenaer Systementwürfe I eine neue Lösung für die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene bietet: Die Einsicht in das notwendige Bestehen von Entzweiungen in der modernen Welt wird hier bis zur letzten Konsequenz getrieben. Nun stehen Absolutes und 5HÀH[LRQ in einer Relation, sodass auch die Integration dieser zwei Ebenen als eine entzweite Integration verstanden werden sollte. Wenn die Integration der Entzweiungen nun durchgehend als die Entzweiung der Integration gedeutet wird, zeigt sich, dass die Erwartung, es gäbe noch eine Integrationsebene, die als undifferenziert aufzufassen wäre, keinen Bestand mehr hat. Und wenn dem so ist, so ist nun die Entzweiungsebene der Relationen nicht mehr auf eine arelationale Einheitsebene angewiesen. Bekanntlich ist dies nicht Hegels letztes Wort zum Thema Integration und Entzweiung: Dass diese Lösung dann aufgegeben wurde, dürfte damit zusammenhängen, dass Hegel einige ihrer Konsequenzen vermeiden wollte. Hier interessiert aber diese Lösung vor allem wegen der Folgen für die Auffassung von Sittlichkeit, die ja Ausgangspunkt und Horizont von Hegels Ausführungen war: In den Jenaer Systementwürfen I wird bekanntlich »Hegels ursprüngliche Einsicht«,65 was die Freiheit anbetrifft, als Einsicht in die intersubjektive KonsWLWXWLRQYRQ6XEMHNWLYLWlWE]Z,GHQWLWlWLGHQWL¿]LHUWXQGGLHVH$XIIDVVXQJYRQ Freiheit ist auch maßgebend für jene Ansätze, die den intersubjektivistischen Charakter der anerkennungstheoretischen Texte Hegels besonders betonen.66 Die hier dargestellte Deutung der Jenaer Systementwürfe I zeigt allerdings darüber hinaus, dass die Interpretation des Ganzen als durch Intersubjektivität konstituiert auch Folgen für die Gleichheitskonzeption besitzt. Der vorige Lösungsversuch Hegels für das Problem der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene hat zu dem Schluss geführt, dass sein normativer Maßstab – insofern er an der Idee einer undifferenzierten Integrationsebene festhielt – trotz der vielen Veränderungen weiterhin an die Gemeinschaft der Polis geknüpft blieb. So blieben die Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen, die als normativ gelten könnten, noch in Hegels ersten Jenaer Systemansätzen als Indifferenz jener frühen Auffassung der »republikanische[n] Gleich-
64 Würden wir wieder die bildliche Darstellung in Anspruch nehmen, die am Ende des letzten Abschnitts dieses Kapitels benutzt wurde, so ließe sich diese Konzeption als ein auf dem Kopf stehendes »T« veranschaulichen. 65 Vgl. Jürgen Habermas: »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser Philosophie des Geistes«. In: Technik und Wissenschaft als ›Ideologie‹, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1968, S. 15. 66 Wie Axel Honneths Anerkennungstheorie. Vgl. Axel Honneth: Kampf um AnerNHQQXQJ=XUPRUDOLVFKHQ*UDPPDWLNVR]LDOHU.RQÀLNWH. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994. 125
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heit« und Freiheit der Griechen verbunden. Wenn nun eine Art Gleichgewicht E]Z6\PPHWULH]ZLVFKHQ$EVROXWHPXQG5HÀH[LRQEHVWHKWGDVGDKHUUKUW dass beide auch in Relation stehen, müssen die Freiheit und die Gleichheit, die mit dem Ganzen der Sittlichkeit übereinstimmten, auch anders verstanden werden: Die Freiheit erhält nun einen intersubjektiven, relationalen Charakter; und jene Gleichheit, die bisher mit der Indifferenz zusammenhing, wird jetzt durchgängig relational aufgefasst – was auch heißt, dass auch die abstrakte GleichheitGLHPLWGHQ5HODWLRQHQGHU5HÀH[LRQYHUNQSIWZDUGLHQXQVHOEVW als Geist aufgefasst werden müssen, gleichzeitig einen eindeutig normativen Gehalt erhält. Die Folgen davon sind unschwer einzusehen: Wenn dieses Gebilde von Relationen, das als Geist aufgefasst wird, einen normativen Gehalt hat, so muss dieser Gehalt in Zusammenhang mit seinen beiden Aspekten stehen: mit dem einheitlichen Aspekt, nach dem es eine Integration der Entzweiungen ist, und mit dem entzweiten Aspekt, nach dem es als Entzweiung der Integration gedeutet werden müsste. Während der normative Gehalt, der mit dem Einheitsaspekt zusammenhängt, offenbar noch mit der Vorstellung eines Absoluten gedeutet werden muss, ist der normative Aspekt, der mit dem Aspekt der Entzweiungen zusammenhängt, offensichtlich in der Struktur der Relationen zwischen den Entzweiten zu suchen. So sind auch die damit verbundenen normativen Konzeptionen der Freiheit und Gleichheit Folge des Zusammentreffens der modernen abstrakten Auffassungen von Freiheit und Gleichheit mit jenen Konzeptionen, die mit der republikanische[n] Gleichheit und Freiheit der Griechen zusammenhängen. Hier ist also von einer Vermittlung von Polissittlichkeit und modernem Subjektivitätsprinzip im eigentlichen Sinne zu sprechen: in dem Sinne, dass beide Seiten dieser Vermittlung zu gleichen Teilen miteinander vermittelt werden. So wird in dieser intersubjektivistischen Lösung der Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene eine normative Konzeption nicht nur der Freiheit, sondern auch der Gleichheit erkennbar, die alternativ zur bloßen Kontinuität der »republikanische[n] Gleichheit« und Freiheit der Griechen steht. Dies ist die Konzeption, die hier mit der Konzeption der Sichselbstgleichheit gleichgesetzt werden kann: als einer Identität des Geistes mit sich selbst, die allerdings – anders als bisher die Indifferenz – als relational aufzufassen ist.
d) Dritter Jenaer Versöhnungsansatz: Gleichheit mit sich selbst als wiederhergestelle Unmittelbarkeit Die dritte normativ bedeutsame Konzeption der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene, die sich den Jenaer Schriften entnehmen lässt, ist schließlich jene, die sich innerhalb der praktischen Philosophie Hegels ab Mitte der 126
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Jenaer Zeit in der Geistesphilosophie der Jenaer Systementwürfe III abzeichnet. Sie fällt bekanntlich zusammen mit dem eindeutigen Übergang zur – nun klarerweise im Sinne einer SelbstUHÀH[LRQ]XYHUVWHKHQGHQ±5HÀH[LRQ eines subjektivistisch aufgefassten Geistes als dem Element, durch das sich die Entzweiungen der modernen Welt würden überwinden lassen, und entspricht insofern weitgehend der Konzeption, die sich in Hegels System schließlich durchsetzt. Die entsprechende normativ bedeutsame Gleichheitskonzeption wird sich hier in einer subjektivistisch aufgefassten Konzeption der Gleichheit mit sich selbst ausdrücken. Die Jenaer Systementwürfe III sind die letzte Fassung eines Systemansatzes, den Hegel weitgehend noch vor der Phänomenologie des Geistes konzipiert. Wie bereits erwähnt, umfassen diese Schriften heute nur noch – wie im Fall der Jenaer Systementwürfe I – die Natur- und die Geistesphilosophie. Für uns von Bedeutung ist die Geistesphilosophie, die hier viel weiter entwickelt ist als in den Jenaer Systementwürfen I. Sie wird diesmal eindeutig in drei Teile unterteilt: I. Der Geist nach seinem Begriffe; II. Wirklicher Geist; III. Konstitution. Dabei ist hier – trotz vieler Veränderungen – wieder eine relative Parallelität mit dem vorherigen Ansatz einer Geistesphilosophie zu erkennen. So entspricht Teil I der Jenaer Systementwürfe III – der von früheren Herausgebern dieses Textes als »Subjektiver Geist« bezeichnet worden ist – teilweise jenen drei Potenzen des Geistes, die in den Jenaer Systementwürfen I als Sprache, Werkzeug und Besitz und Familie bezeichnet worden waren. In den Jenaer Systementwürfen III enthält dieser Teil die beiden Unterteile Intelligenz und Wille,67 die über die Arbeit wieder in die Familie münden. Anders als in den Jenaer Systementwürfen I führt dann ein von der Familie ausgehender Kampf um Anerkennung zum Wirklichen Geist als »Willen, der Intelligenz ist« (JS III 222) – und nicht direkt zur Ebene der Sittlichkeit oder hier des Volkes. Vor allem diese Bewegung des Kampfes dürfte dem ersten Teil des Fragments 22 der Jenaer Systementwürfe I entsprechen, in welchem der Kampf um Anerkennung behandelt wird. Der Wirkliche Geist selbst – der offensichtlich dem objektiven Geist in Hegels späterer Systematik entspricht – umfasst dann das rechtliche Anerkanntsein (das vom unmittelbaren Anerkanntsein über den Vertrag zu Verbrechen und Strafe führt), aber auch das Gewalthabende Gesetz, das als eine Vorstufe des Teils Konstitution aufzufassen ist, die noch von der Sphäre des Rechts – und nicht von der Konstitution an sich – abhängt. Schließlich ist Teil III der Jenaer Systementwürfe III dann direkt mit jenem Teil des Fragments 22 in Verbindung zu bringen, in dem im Volk die Potenzen des Geistes wieder erscheinen, welcher in anderen Ansätzen 67 Zur Bedeutung des Willens in den Jenaer Systementwürfen III und ihrem Zusammenhang mit Hegels erneuerter Fichterezeption vgl. Wildt, A.: Autonomie und Anerkennung. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982. 127
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der absoluten Sittlichkeit entspricht. Die Konstitution enthält allerdings neben der Bestimmung der Stände und der damit zusammenhängenden Charakterisierung der Regierung einen als C. Kunst, Religion und Wissenschaft bezeichneten letzten Teil, der schon auf Hegels künftige Konzeption des absoluten Geistes hinweist.68 Betrachtet man nun die Jenaer Systementwürfe III hinsichtlich der Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene, so ist als Erstes hervorzuheben, dass die Relationalität, die am Anfang der Jenaer Zeit nur die Ebene der 5HÀH[LRQ kennzeichnete, nun den gesamten Systemansatz umfasst. Sie manifestiert sich aber auf eine doppelte Weise: Einerseits erscheint die Relationalität des Ganzen hier zwar immer noch in jenen Relationen, die als intersubjektiv im Sinne der Anerkennung der früheren Ansätze zu deuten waren; andererseits erscheint aber diese Relationalität auf eine Weise, die sich nicht mehr als intersubjektiv interpretieren lässt: nämlich als jene 5HÀH[LRQ im eigentlichen Sinne, d.h. als SelbstUHÀH[LRQXQGLQVRIHUQDOVHLQHLQWUD subjektive Relation,69 die sich in einer teleologischen Bewegung zeigt, welche mit der Philosophie als Wissen des Ganzen endet. Will man zuerst auf die Relationalität im intersubjektiven Sinne in den Jenaer Systementwürfen III eingehen, so sind auch hier teilweise jene Sphären zu erkennen, die im Zusammenhang mit der horizontalen$QHUNHQQXQJ]X¿QGHQ waren. Auf der horizontalen Achse der Integration von Entzweiung sind wenigstens zwei Ebenen vorhanden, bei denen von einer Relationalität der Anerkennung gesprochen werden kann. Die erste dieser Ebenen ist jene, die mit der Familie zusammenhängt. Hier geht Hegel in dem Abschnitt, in dem der Wille behandelt wird, über die Arbeit und die List zu einer Verdoppelung des Willens über, der als zwei Charaktere erscheint; diese sind als die zwei Geschlechter zu verstehen, deren reziprokes Erkennen – das hier zunächst im biblischen, geschlechtlichen Sinne zu verstehen ist70 – zur Liebe führt. In der Liebe ist »gerade darin« »jedes dem Anderen gleich, worin [es] ihm entgegengesetzt« ist (JS III 209), und »jedes weiß unmittelbar sich im Anderen« (JS III 210). Damit wird die erste Ebene der Anerkennung erreicht; zwar wird diese nur als das »Element der Sittlichkeit, noch nicht sie selbst, nur die Ahndung derselben« (ebd.) bezeichnet, aber trotzdem sei damit für jedes Individuum »sein un-
68 Anzumerken ist, dass Hegel hier Konstitution – ähnlich wie Recht in seiner Rechtsphilosophie – weiter fasst als im nur juristischen Sinne von Verfassung, vielmehr im Sinne der Verfasstheit eines Volkes. 69 Es ist hier daran zu erinnern, dass, wie bereits erwähnt, der frühe Hegel den Terminus 5HÀH[LRQ teilweise bloß als Trennung und als auf jede Art von Relation bezogen – und nicht unbedingt als SelbstUHÀH[LRQ ± DQZHQGHWH 9JO 0DQIUHG Baum: Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn: Bouvier 1986, S. 44. 70 Vgl. z.B. Herbert Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, S. 131. Schnädelbach verweist auf Gen. 4,1. 128
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gebildetes natürliches Selbst« »anerkannt« (ebd.).71 Diese »Einheit der beiden Charaktere« »weiß sich« »als die Liebe« (JS III 212) allerdings erst über ein Drittes: den Familienbesitz (JS III 211), aber vor allem im »Kinde«: »In ihm schauen sie die Liebe an, ihre selbstbewußte Einheit, als selbstbewußte« (JS III 212). Obwohl die Familie bereits als eine Anerkennungsstufe aufgefasst werden kann, kennzeichnet Hegel die Liebe hier als ein »Anerkanntsein, ohne Gegensatz des Willens«, »worin sie nur als Charakter, nicht als freie Willen eintreten« -6 ,,, 0LW GHP +HUDXVWUHWHQ DXV GHP )DPLOLHQYHUEDQG EH¿QGHQ VLFK die Individuen in einem Zustand, den die von Hegel kritisierten Naturrechtslehren als Naturzustand bezeichnet hatten. Aus dem Kampf um Anerkennung, der daraus entsteht, konstruiert Hegel für die Bewusstseine die Einsicht in ihr eigenes Anerkanntsein, das dabei schon vorausgesetzt war.72 Wie Hegel es im Anschluss an jene – hobbessche – Lehre ausdrückt: H[HQGXPHVWDWXQDWXUDH (JS III 214), aber deshalb, weil dieses Anerkanntsein schon vorausgesetzt, den beiden sich noch nicht als Willen auffassenden Charakteren nur nicht bewusst ist: »Es hat für sie zu werden, was sie an sich sind.« (JS III, 218) Mit dieser Einsicht wird hier die zweite Ebene der Anerkennung erreicht, die jene des »allgemeinen Anerkanntseins« im »Wirklichen Geist« ist und dem Recht entspricht, wie die Ausführungen in diesem Abschnitt – vom Anerkanntsein (das aus unmittelbarem Anerkanntsein, Vertrag und Verbrechen und Strafe besteht) zum Gewalthabenden Gesetz – zeigen. Dieses Anerkanntsein wäre also als ein »Anerkanntsein mit Gegensatz der Willen« aufzufassen, das damit dem Anerkanntsein ohne Gegensatz der Willen in der Liebe einen Aspekt der Beschränkung hinzufügt, die mit seinem Bezug auf die Bestätigung des Selbst als freier Wille im Kampfe einhergeht.73 Dieses zweite Moment wird sich als ein horizontales Anerkanntsein in den Verhältnissen des Tausches und des Vertrags zeigen. Auf der dritten Ebene (der Konstitution), die aus dem Verbrechen über die Strafe und das Gewalt habende Gesetz konstruiert wird, ist allerdings keine horizontale Anerkennung mehr erkennbar.74 Betrachtet man nun diese Relationalität unter dem Gesichtspunkt der ReÀH[LYLWlW, die sich in dieser Entwicklung des Geistes zeigt, so zeigt sich, dass
71 Siep weist darauf hin, dass hier das Individuum in seiner »unvertretbaren Individualität« anerkannt wird. Vgl. L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 58. 72 Vgl. A. Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 72; sowie Th. M. Schmidt: Anerkennung und absolute Religion, S. 449. 73 In diesem Sinne kann Siep die Anerkennung als eine »Synthese von Liebe und Kampf« deuten. Vgl. L. Siep, ebd. S. 54ff. Seine Deutung sieht aber in der Liebe und im Kampf zwei Momente derselben Anerkennungsbewegung, die in das rechtliche Anerkanntsein mündet. 74 Darauf macht auch Honneth aufmerksam. Vgl. A. Honneth, ebd. S. 97. 129
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Hegel trotz gewisser Parallelen mit den Jenaer Systementwürfen I in den Jenaer Systementwürfen III eindeutig zu einer neuen Systemkonzeption übergegangen ist. Am auffallendsten und bedeutsamsten für unsere Fragestellung ist die Tatsache, dass der Geist nun nicht mehr als durch Mitten konstituiert beJULIIHQZLUGVRQGHUQGXUFK6HOEVWUHÀH[LRQHQGLHLKPHLQHQVXEMHNWLYHQ&KDrakter verleihen. Das entspricht der Durchsetzung jener Konzeption, die das Bewußtsein als »Gegenteil seiner selbst«75 auffasst und in ihm damit die Möglichkeit der nötigen Vermittlung zwischen Endlichem und Unendlichem – bzw. Entzweiungs- und Einheitsebene – sieht. Hier ist zunächst daran zu erinnern, dass Hegel schon in den Jenaer Systementwürfen I von einer Auffassung des Bewußtseins ausging; allerdings war in MHQHP$QVDW]GDV*DQ]HQLFKWVHOEVWUHÀH[LYNRQVWUXLHUW'LH.RQ]HSWLRQGLH dort als »Gegenteil seiner Selbst« erschien, bezog sich zwar, wie gesehen, auf die Eigenschaft des Bewusstseins, Einzelnheit und Allgemeinheit zugleich zu sein, was ihm teilweise schon den Charakter eines Selbstbewusstseins verlieh. Allerdings beschränkte sich das Selbstbewusstsein des Bewusstseins darauf, sich selbst als Geist bewusst zu werden – was an der einzigen Stelle erkennbar war, an der man in den Jenaer Systementwürfen I von einer 5HÀH[LRQ des Bewusstseins sprechen konnte. Das Ganze des Geistes wurde zwar auch da als Bewusstsein behandelt, besaß aber kein Selbstbewusstsein, das unabhängig vom Selbstbewusstsein der einzelnen Bewusstseine wäre, sondern war durch die verschiedenen relational konstituierten Mitten zu begreifen. Damit war der *HLVW VHOEVW YRP %HVWHKHQ GHU VLFK LQ LKP UHÀHNWLHUHQGHQ %HZXVVWVHLQH DEhängig, und das Selbstbewusstsein jedes Bewusstseins bloß auf das Bewusstsein seiner eigenen Angewiesenheit auf solche Relationen bezogen. +LHUMHGRFKQLFKW'LH5HÀH[LRQGHVHLQ]HOQHQ%HZXVVWVHLQVKDWRIIHQEDU die Funktion, nicht nur dem Bewusstsein sein Wesen als Geist bewusst zu machen, sondern – so ließe sich das verstehen – ihm deutlich zu machen, dass sein Wesen nur in Geist besteht, und insofern das einzelne Bewusstsein auf sein Bestehen im Geist zurückzuführen. Wenn der Geist nun nicht mehr als ein Netzwerk von MittenDXI]XIDVVHQLVWVRQGHUQDOVVHOEVWUHÀH[LYLVWHUQLFKW mehr vom Bestehen dieser Relationen und den einzelnen Bewusstseinen abhängig, sondern umgekehrt. So wird nun auch der Geist als Ganzes – Hegels neuer Verwendung des Schlusses als logischer Figur für die Bestimmung des Geistes entsprechend 76 ±GXUFKDXIHLQDQGHUDXIEDXHQGH5HÀH[LRQHQNRQVWUXiert, die von der Intelligenz ausgehen und in der Philosophie, als Wissen des
75 Vgl. dazu L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, S. 179; sowie Dieter Henrich: »Andersheit und Absolutheit des Geistes. Sieben Schritte von Schelling zu Hegel«. In: ders., Selbstverhältnisse. Stuttgart: Reclam 1982. S. 142-172. 76 Vgl. H. Schnädelbach, Hegels praktische Philosophie, S. 148. 130
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Ganzen, enden. Die teleologische Bewegung, die dahin führt, hat Hegel selbst am Anfang des letzten Abschnitts von Teil III so zusammengefasst: »Als Intelligenz hat das Seiende die Gestalt eines Anderen – als Willen, seiner selbst – Anerkanntsein ist das geistige Element; aber noch unbestimmt in sich, und daher erfüllt mit mannigfaltichem Inhalte – das Gewalthabende Gesetz ist die Bewegung dieses Inhalts – oder das Allgemeine sich anschauend als Vermittlung – die Konstitution ist seine Erzeugung des Inhalts aus sich selbst, es konstituiert sich selbst, aber in der Form des Gegenstandes, – er macht sich zum Inhalte, und als Regierung ist er der seiner selbst gewisse Geist, der es weiß, dass dies sein Inhalt ist, er die Macht darüber; geistiger Inhalt. Er hat also itzt diesen Inhalt als solchen sich selbstwissend zu erzeugen« (JS III 277/278). »Diesen Inhalt als solchen sich selbstwissend zu erzeugen« ist also die Aufgabe des Unterabschnitts C; und diese ganze Entwicklung kommt dann zum Abschluss, wenn das Wissen der Philosophie – nach den »Selbsterzeugungen« der Kunst und der Religion – sich selbst als die »wiederhergestellte Unmittelbarkeit« setzt (vgl. JS III 286). In dieser wird die »Gleichheit [des Geistes] mit sich selbst« erreicht (ebd.).
Für die Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene sind nun, von dieser Darstellung ausgehend, zwei Aspekte bedeutsam. Erstens hat die Tatsache, dass die ganze Entwicklung relational konzipiert wird, direkte Folgen für das Verhältnis von Einheits- und Entzweiungsebene. Die Bedeutung der 5HÀH[LRQ gegenüber dem Grund ist nun so weit gewachsen, dass kein Unterschied mehr zwischen Einheits- und Entzweiungsebene auszumachen ist: Der Grund, d.h. hier das nun als Geist konzipierte Absolute, ist selbst relational verfasst, und die einzige Zugangsweise des Entzweiten zum Absoluten ist die der 5HÀH[LRQGHQQGHU*HLVWLVWVHOEVWUHÀH[LYJHZRUGHQ'LH,QWHJUDWLRQYRQ Einheits- und Entzweiungsebene vollzieht sich so, dass es – wie schon in den Jenaer Systementwürfen I – keine Integrationsebene geben kann, die jenseits der Entzweiungen stünde: beide Ebenen fallen zusammen – allerdings anders als in den Jenaer Systementwürfen I.77 Auf die Bedeutung dieser Entwicklung für Hegels Modernitätsdiagnose ist schon aufmerksam gemacht worden.
77 Zu einer anderen Deutung dieser Entwicklung vgl. Th. M. Schmidt, ebd. S. 485ff. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass das, was Schmidt in seiner Untersuchung als den Verlust der Asymmetrie in Hegels Systemansätzen – und in Hegels System selbst – versteht und bedauert, wohl nicht so sehr der Verlust der Asymmetrie an sich ist, sondern das Zusammenfallen beider Ebenen (sogar unabhängig davon, ob das Verhältnis zwischen ihnen symmetrisch oder asymmetrisch konstruiert wird). Für seine Fragestellung nach einem philosophischen Begriff von Gott scheint mir in der Tat dieses Zusammenfallen zu vermeiden zu sein. Allerdings ist mit Hinblick auf die Frage nach der Auffassung von Sittlichkeit 131
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Zweitens aber zeigt sich bei der Lösung, die diese Integration ausdrückt, letztendlich doch wieder eine Einheit, die nicht so sehr als eine Relation zwischen zwei Relata, sondern vielmehr als eine 5HÀH[LRQ im eigentlichen Sinne aufgefasst wird: d.h. als eine Relation, in welcher beide Relata dasselbe sind – was das Ganze wieder als eine Einheit darstellt, für welche die Relationen doch nicht im eigentlichen Sinne konstitutiv sind. Damit tendiert die Integration von Einheits- und Entzweiungsebene einerseits eher zu einer undifferenzierten Einigkeit von Einheits- und Entzweiungsebene als zu einer Einheit beider, die noch als Relation konzipiert werden könnte. Eine solche Wiederherstellung einer über aller Relation stehenden Einigkeit würde für Hegels Modernitätsdiagnose die Folge haben, die Normativität wieder auf eine dem frühen Ideal der griechischen Polis nahestehende Konzeption zurückzuführen. Allerdings folgt aus dieser Tendenz andererseits noch keine eindeutige Einigkeit: Insofern dieVH5HÀH[LYLWlW]ZHL3ROHLPSOL]LHUW±GHVMHQLJHQGHUEHZXVVWZLUGXQGGHVMHQLJHQEHUGDVGLHVHUVLFKEHZXVVWZLUG±LPSOL]LHUWDXFKGLHVH5HÀH[LYLWlW eine Relation zwischen zwei Relata. Damit wird eine vollkommene Rückkehr zum Polisideal im Grunde verhindert; Hegels Ansatz ist also auch hier als eine Vermittlung zwischen Polissittlichkeit und modernem Subjektivitätsprinzip zu betrachten. Die Frage, die wir uns nun hinsichtlich der Bedeutung dieser Konzeption stellen müssten, betrifft also die Möglichkeit, in der ganzen subjektiven ReÀH[LYLWlWGHV*HLVWHVGRFKGLHintersubjektive Relationalität der Anerkennung zu bewahren. Sie lautet: Kann in einem teleologischen Prozess das Ziel zugleich seine Vorstufen zum Zweck haben? Diese Frage, die Ludwig Siep mit Bezug auf diesen Systemansatz in dieser Form stellte, muss – wie dem Autor ja auch schon klar war – offensichtlich mit »Nein« beantwortet werden.78 Und das zeigt sich vor allem in der Weise, wie bei diesem Systemansatz die horizontalen Ebenen der Anerkennung in die vertikale Achse der Anerkennung zwischen Ich und Wir integriert sind. Oben haben wir auf die drei Ebenen aufmerksam gemacht, auf denen von einer horizontalen Anerkennung die Rede sein könnte. Auf der Ebene der Familie war eindeutig von einem Verhältnis zu sprechen, das als Anerkennung zu bezeichnen wäre: Im Verhältnis, wo »jedes« »unmittelbar sich im Anderen« weiß (JS III 209), zeigte sich das Verhältnis, das Hegel hier als ein Anerkanntsein »ohne Gegensatz der Willen« (JS III 218) darstellt. Diese Charakterisierung bezieht sich zunächst auf die interpersonale Ich-Du-Anerkennung in der
im ethischen und soziopolititischen Sinne ein auf symmetrischen Verhältnissen basiertes Zusammenfallen der Ebenen wohl hilfreicher als eine Konzeption, die auf dem Auseinanderhalten beider bestehen würde. Zur Symmetrie/Asymmetrie bei Hegel vgl. auch L. Siep, ebd. S. 278ff. 78 Vgl. L. Siep, ebd. S. 197. Zu seiner Antwort vgl. S. 278ff. 132
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Liebe; zu einer vertikalen Ich-Wir-Anerkennung kommt es hier im eigentlichen Sinne erst durch das Kind: »In ihm schauen sie die Liebe an, ihre selbstbewußte Einheit, als selbstbewußte.« (JS III 212) Insofern die Ich-Du-Anerkennung hier unmittelbar mit der Ich-Wir-Anerkennung verbunden ist und umgekehrt, lässt sich in diesem Fall aber nicht annehmen, die vertikale Anerkennung hätte etwa einen Vorrang vor der horizontalen: In den Jenaer Systementwürfen I fungiert offenbar das Kind als die Mitte. Das ändert sich allerdings bereits auf der zweiten Ebene, auf der von Anerkennung die Rede sein kann. Zwar lässt sich hier der Kampf um Anerkennung, der in den Wirklichen Geist mündet, noch als ein horizontaler Kampf verstehen, der damit zu einer anderen horizontalen Ebene der Anerkennung führt. Allerdings fällt auf, dass es auf der Ebene des Wirklichen Geistes vor allem darum geht, dass die intersubjektiven Beziehungen, die da als Anerkennung aufzufassen wären, eine Anerkennungsform ausdrücken, die von vornherein eher als vertikal zu bezeichnen wäre: Es geht um das Element des »allgemeinen Anerkanntseins«, das »dieser geistigen Wirklichkeit« entspricht (JS III 223), und insofern weniger um die reziproke interpersonale Anerkennung – also zwischen Ich und Du –, sondern vielmehr um die Anerkennung zwischen einzelnem und gemeinsamem Willen. Damit drückt die horizontale Anerkennung, die sich in Tausch- und Vertragsverhältnissen zeigt, unmittelbar ein vertikales Anerkennungsverhältnis aus. Obwohl damit ja die horizontalen Anerkennungsverhältnisse, auf denen diese vertikale Relation gründet, weiterhin vorhanden sind, scheint hier der Grund der Etablierung von interpersonalen Tausch- und Vertragsverhältnissen die Anerkennung des gemeinsamen durch den einzelnen Willen zu sein. So fällt auch auf, dass hier – anders als noch bei der Anerkennung in der Familie – die Anerkennung des gemeinsamen Willens vom einzelnen Willen als solchem ausgeht anstatt von der reziproken Anerkennung zweier einzelner Willen, die dadurch von sich aus zu einem gemeinsamen Willen führen würde. Inwiefern sich dies bereits eher mit der Relationalität als 5HÀH[LRQ als mit der eigentlichen, intersubjektiven Relationalität des Ansatzes verbindet, zeigt sich womöglich daran, dass der Schritt in den Wirklichen Geist aus dem Kampf von einem einzelnen Willen durchgeführt wird, der hier eine 6HOEVWUHÀH[LRQ angesichts seines eigenen Todes – und in diesem Fragment nicht so sehr des Todes des Anderen – realisiert: Wie Siep erläutert,79 geht es hier beim Sich-als-absolut-Darstellen des einzelnen Willens – anders als in den Jenaer Systementwürfen I – darum zu zeigen, dass das Sein »die reine Bedeutung des Wissens von sich hat« (JS III 220), und das sei nur möglich durch
79 Vgl. L. Siep, ebd. S. 65f. Der Verweis auf die »Versehrbarkeit« des Anderen, auf die Honneth seine Deutung des Kampfes um Anerkennung gründet, lässt sich m.E. eher dem Kampf um Anerkennung in den Jenaer Systementwürfen I entnehmen. Vgl. A. Honneth., ebd., S. 82. 133
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das »durch sich vollbrachte Aufheben des Daseins« »durch sich selbst« (ebd.), was Hegel noch als »Selbstmord« (JS III 221) bezeichne. Damit komme in der Beziehung zum Anderen zum »Wissen der Identität der sich auf sich selbst beziehenden Willen in ihrer ›Reinheit‹« also weniger das Wissen um eine reziprok sich konstituierende Identität als das einer Identität des einzelnen und gemeinsamen Willens an sich zum Ausdruck. Darüber hinaus ist hier der letzte Schritt der Anerkennungsbewegung, die zu jener Ebene führt, die als die dritte Ebene der Anerkennung zu deuten wäre, QXQHLQ.RQÀLNWDXIGHUvertikalen Achse: »Einzelner und gemeinsamer Willen trennen sich« (JS III 229) im Verbrechen, das – wie schon beim frühen Hegel – als Folge gerade des abstrakten und daher zwanghaften Charakters dieser Anerkennung zu deuten ist: »Die innere Quelle des Verbrechens ist der Zwang des Rechts« (JS III 235). Durch die Strafe wird das Anerkanntsein wiederhergestellt, was sich dann im Gewalt habenden Gesetz zeigt. Hier handelt es sich allerdings eindeutig nicht mehr um eine horizontale Anerkennung: Nun sei »durch diesen Zwang« »meine Ehre nicht mehr verletzt«, »denn der Zwang enthält nicht meine Unterwerfung; das Verschwinden meines Selbsts gegen ein anderes Selbst, sondern meiner gegen mich selbst, meiner als Besonderen, gegen mich als Allgemeinen, und zwar diesen nicht als Macht, sondern als Macht des Gesetzes, das ich anerkenne« (JS III 247). Jene Ebene, die als dritte Ebene der Anerkennung aufgefasst werden könnte – die der Konstitution –, ist nun offenbar als die Aufhebung auch dieser letzten Unterwerfung »meiner gegen mich selbst« zu verstehen, indem das »Aufgehobensein sowohl des vereinzelten Daseins, – als des Ansich im Dasein, und als des reinen Ansichseins der Person« (JS III 253) begriffen wird. Auf der dritten Ebene ist, wie erwähnt, in der Tat keine horizontale Anerkennung mehr erkennbar; die Anschauung des Geistes bezieht sich nur auf sich selbst: »So ist dieser Geist die absolute Macht überall, welche in sich selbst lebt, und sich nun die Anschauung seiner selbst als dieses geben (muss), oder sich selbst zum Zwecke macht« (JS III 254). Anstatt jener Anschauung, die es im System der Sittlichkeit dem Individuum ermöglichte, im Volk sich »in jedem als sich selbst« anzuschauen (vgl. SdS 325), ist hier nur noch von einer Anschauung seiner selbst des Geistes die Rede – und zwar als absoluter Macht. So ist es nicht verwunderlich, dass Hegel hier dem Geist das Recht gibt, dem Einzelnen gegenüber »vollkommen tyrannisch zu verfahren« (JS III 259). Zwar hat diese Tyrannei schließlich durch den Gehorsam (ebd.), der durch die »Bildung zum *HKRUVDP©HUUHLFKWZHUGHQVROOªEHUÀVVLJ©]XZHUGHQYJOHEG DXHUdem entspricht dieser Gehorsam jenem Vertrauen seitens der Individuen, das darauf gründet, »daß der Einzelne sein Selbst ebenso darin weiß, als sein Wesen; sich darin erhalten FINDET« (JS III 260). Aber es ist unverkennbar, dass in dieser vertikalen Anerkennungsrelation – die nun gar nicht mehr von einer horizontalen ausgeht, sondern vom Verhältnis des Einzelnen zum Geiste – He134
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gels Ansatz weitgehend wieder zu etwas kommt, das eine Einheit darstellt, in der der Einzelne, wenn schon nicht wie früher vernichtet, so doch jedenfalls nicht so sehr anerkannt wird als vielmehr das Ganze von ihm anerkannt werden soll. 6RIDOOHQ*UXQGXQG5HÀH[LRQ±E]Z(LQKHLWVXQG(QW]ZHLXQJVHEHQH± hier ebenfalls wie in den Jenaer Systementwürfen I zusammen, aber nun so, dass eine neue Asymmetrie entsteht: die zwischen dem Ganzen und dem einzelnen Bewusstsein als Teil dieses Ganzen. Für die Ebene der ethisch-sittlichen Einheit, die sich noch in den Jenaer Systementwürfen III als Konstitution ausdrückt, bedeutet dies wieder einen Vorrang der Einheits- vor der Entzweiungsebene. Da das Ganze, wie gesehen, relational konstruiert wird, ist hier, wie schon in den Jenaer Systementwürfen I, eher von einer gelungenen Vermittlung zwischen antikem Ideal und neuzeitlichem Prinzip zu sprechen als von einer vollkommenen Rückkehr zum ursprünglichen Polisideal. Anders als in den Jenaer Systementwürfen I VWHKW QXQ DEHU QLFKW PHKU GLH 5HÀH[LYLWlW im Dienste der Einsicht in die Relationalität des Ganzen, sondern vielmehr GLH5HODWLRQDOLWlWLP'LHQVWHGHU(LQVLFKWLQGLH5HÀH[LYLWlWGHV*DQ]HQ'LHV würde offenbar, was das Ganze des Geistes betrifft, wenn schon nicht einer monologischen Konzeption,80 so doch einer Auffassung des Geistes im Sinne eines asymmetrischen Innendialogs entsprechen. Diese Konzeption ist offensichtlich bereits jene, die sich bekanntlich im späteren hegelschen System durchsetzen wird.81 Was bedeutet dies nun für die normativen Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen? Zu Hegels »reifer« Freiheitsauffassung ist in der Hegelforschung schon so viel geschrieben worden, dass es uns nicht nötig erscheint, dieses Thema hier noch einmal ausführlich zu behandeln.82 Zur Weise, wie nun »die schöne glückliche Freiheit der Griechen, die so sehr beneidet worden und wird« (JS III 262) und das »höhere Prinzip der neueren Zeit, das die Alten,
80 Dazu vgl. J. Habermas: »Arbeit und Interaktion«, S. 21; sowie A. Honneth, ebd., S. 102. 81 Anders als in den Jenaer Systementwürfen I wäre dies bildlich nicht mehr als ein auf dem Kopf stehendes T, sondern eher als ein spiegelverkehrtes L darzustellen: in dem Sinne, dass die horizontalen Relationen, die noch als intersubjektive Verhältnisse ausgemacht werden können, im Dienste der von einem der Pole der Relation ausgehenden Vertikalen stehen. 82 Eine ausführliche Behandlung des Themas der Freiheit bei Hegel würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Zu unterschiedlichen Deutungen von Hegels »reifer« Freiheitsauffassung vgl. etwa: Rüdiger Bubner: Welche Rationalität bekommt der Gesellschaft?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996, S. 125ff.; Axel Honneth: Leiden an Unbestimmtheit. Stuttgart: Reclam 2001; Alan Patten: Hegel’s Idea of Freedom. Oxford: Oxford University Press 1999; Robert B. Pippin: Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as ethical life. Cambridge University Press: Cambridge 2008. 135
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das Plato nicht kannte« (JS III 263) miteinander vermittelt werden und zu einer eigenständigen normativen Freiheitsauffassung führen, sind verschiedene Deutungen möglich. Bei einer Interpretation von Hegels Freiheitsauffassung ist allerdings m.E. nicht aus den Augen zu verlieren, dass diese Vermittlung eine Vermittlung nicht von zwei, sondern von drei Konzeptionen ist: erstens der Freiheit, die schon der frühe Hegel mit der Sittlichkeit der Polis verband; und zweitens der Freiheit des modernen Subjektivitätsprinzips, allerdings in den zwei Versionen, die hier mit der doppelten Bedeutung von Relationalität verknüpft sind: der Freiheit, die in der intersubjektiven Relationalität der Anerkennungsverhältnisse gründet und in den Jenaer Systementwürfen I als Folge von Hegels »ursprünglicher Einsicht« (Habermas) gedeutet wurde, und der Freiheit, die mit der 5HÀH[LYLWlW der modernen Subjektivität zusammenhängt. Obwohl diese letzte in den Jenaer Systementwürfen III doch schon Vorrang erhält, ist sie meiner Meinung nach nicht einmal in der viel später verfassten Rechtsphilosophie vollkommen von der Intersubjektivität zu trennen – wie jene bereits zitierte Stelle der Rechtsphilosophie deutlich macht, die Freiheit noch eindeutig intersubjektiv versteht (vgl. W 7 57). Die Durchsetzung der Vertikalität gegenüber der Horizontalität der Verhältnisse, die jener Durchsetzung der 5HÀH[LYLWlW gegenüber der Relationalität entspricht und sich schließOLFKLP*HLVWDOVHLQHUVHOEVWUHÀH[LYHQ4XDVL(LQLJNHLWVNRQ]HSWLRQ]HLJWIKUW allerdings zu jener Asymmetrie von Hegels »endgültiger« Sittlichkeitskonzeption, die sich als »Überinstitutionalisierung«83 oder als der Vorrang des Ganzen vor den Teilen mit seinen Folgen für den Schutz des Individuellen und für die Frage nach der Möglichkeit von »Innovationen« manifestiert.84 Die daraus resultierende Freiheitskonzeption entspricht jener der Sittlichkeit als eiQHU VHOEVWUHÀH[LYHQ4XDVL(LQLJNHLWXQGZLUGDOVRHKHU]XHLQHU9HUPLWWOXQJ zwischen Polissittlichkeit und UHÀH[LYHP modernem Subjektivitätsprinzip, als dass ihr intersubjektiver, relationaler Charakter wirklich zur Geltung kommen könnte. Als eine Quasi-Einigkeit mit dem Vorrang der Einheits- vor der Entzweiungsebene ist diese Konzeption zwar nicht mit jener der Freiheit der Polis identisch, aber doch nicht allzu weit von ihr entfernt. Angesichts dieses Ergebnisses lässt sich auch bereits erahnen, wie die normative Gleichheitskonzeption aufzufassen wäre, die sich aus dieser bereits Hegels »endgültiger« Konzeption weitgehend entsprechenden Auffassung des Geistes ergibt. Wie in der normativen Freiheitskonzeption, wäre auch hier in der Gleichheitskonzeption eine Triplizität vorhanden; auch die normative Gleichheit wäre als Vermittlung von Polissittlichkeit und modernem Subjektivitätsprinzip zu verstehen. Als Konsequenz der Polissittlichkeit wäre hier wieder teilweise jene normative Gleichheitskonzeption zu erkennen, die wir als 83 A. Honneth, ebd. S. 120ff. 84 Zu den Folgen der Asymmetrie vgl. wieder Siep, ebd. S. 278. 136
HEGELS VERSÖHNUNGSANSÄTZE
die republikanische[...] Gleichheit der Griechen bezeichnet hatten. Andererseits wäre sie hier mit den beiden Bedeutungen von Relationalität zu vermitteln, in denen sich in diesem Ansatz Hegels Übernahme des modernen Subjektivitätsprinzips zeigt: einerseits der subjektivistischen5HÀH[LYLWlWGLHHLQHU PRGHUQHQ VHOEVWUHÀH[LYHQ )UHLKHLWVNRQ]HSWLRQ HQWVSUlFKH DQGHUHUVHLWV GHU intersubjektiv relationalen Konzeption, die der Freiheit im Sinne jener intersubjektiven Freiheitsauffassung entspricht, die in den Jenaer Systementwürfen I sichtbar wurde und noch in der Rechtsphilosophie erscheint. Als mit der subjektivitätszentrierten Freiheitsauffassung verbunden zeigt sich diese Gleichheit als diejenige, die – wie schon gesehen – in der modernen Welt von der Freiheit abhängig erscheint; als von der intersubjektivistischen Freiheitskonzeption abhängig, würde diese Gleichheitskonzeption wieder zu jener Vermittlung von Polissittlichkeit und modernem Subjektivitätsprinzip führen, die gemäß unserer Deutung der Jenaer Systementwürfe I eine alternative Konzeption der normativen Gleichheit nach sich ziehen könnte. $OOHUGLQJVEOHLEWGLH'XUFKVHW]XQJGHU5HÀH[LYLWlWJHJHQEHUGHU5HODWLonalität und der Vertikalität gegenüber der Horizontalität der Beziehung auch KLHUQLFKWRKQH)ROJHQ$XVGHU.RQ]HSWLRQGHV*HLVWHVDOVHLQHUVHOEVWUHÀH[Lven Quasi-Einigkeit und der sich daraus ergebenden Asymmetrie folgt auch für die Gleichheitskonzeption, dass sie eher eine Vermittlung zwischen der republikanische[n] Gleichheit der Griechen und jener modernen Gleichheit darstellt, die von der UHÀH[LYHQ subjektivitätszentrierten modernen Freiheitskonzeption abhängt, als eine Vermittlung zwischen jener republikanische[n] Gleichheit und der daraus resultierenden Gleichheitskonzeption, die auf Intersubjektivität gründete. Ähnlich wie die entsprechende Freiheitskonzeption ZUGHGLHVH*OHLFKKHLWVNRQ]HSWLRQ±LQVRIHUQVLHGHUDOVVHOEVWUHÀH[LYH4XDsi-Einigkeit zu charakterisierenden Geisteskonzeption und damit dem Vorrang der Einheits- vor der Entzweiungsebene entspricht – zwar nicht völlig mit jener der »republikanische[n] Gleichheit« der Polis übereinstimmen, aber auch nicht so verschieden von ihr sein, dass sie auf eine wirklich neue Konzeption hinweisen würde. So darf sie als jene »Gleichheit mit sich selbst« des Geistes gedeutet werden, die eine »wiederhergestellte Unmittelbarkeit« darstellt (vgl. JS III 286).
137
III. Intersubjektivität und kommunikative Gleichheit
Bisher haben wir zeigen können, dass Hegels Philosophie eine Antwort nicht nur auf seine Kritik an der modernen (als Gleichgültigkeit verstandenen) Unfreiheit enthält, sondern auch auf seine weniger sichtbare Kritik an der modernen Ungleichheit (als Herrschaft). Unserer Rekonstruktion seiner Entwicklung in Jena zufolge entsprachen Hegels Antworten auf die Frage nach der vertikalen Integration von Einheits- und Entzweiungsebene drei verschiedenen Ansätzen, die mit unterschiedlichen Auffassungen des Absoluten bzw. des Geistes zusammenhingen. Die verschiedenen Ansätze eines Systems, durch das der Jenaer Hegel den Folgen der modernen Entzweiung begegnen wollte, hatten, wie gesehen, Konsequenzen nicht nur für eine normative Freiheitskonzeption, sondern auch für eine Gleichheitskonzeption. Sie waren von vornherein als Alternative zu den modernen abstrakten Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit konzipiert, haben aber – infolge seiner zunehmenden Einsicht in die Bedeutung der modernen Welt – auf eine Vermittlung von Hegels ursprünglichem normativem Maßstab der Sittlichkeit der Polis mit eben diesen Auffassungen abgezielt. Allerdings stand je nach Ansatz das Resultat dieser Vermittlung Hegels ursprünglichem normativem Maßstab der Polis näher oder ferner, und dies spiegelte sich in den daraus resultierenden normativen Freiheits- und Gleichheitsauffassungen wieder. Was die Gleichheit betrifft, war in unserer Analyse zunächst eine Gleichheit als Indifferenz ersichtlich, die Hegels erster Jenaer Antwort auf die moderne Entzweiung entsprach; dann die relationale Sichselbstgleichheit der Jenaer Systementwürfe I; und schließlich die Gleichheit mit sich als wiederhergestellte Unmittelbarkeit der Jenaer Systementwürfe III (und danach), welche die Frage nach der normativen Bedeutung dieser GleichKHLWVDXIIDVVXQJDXIGDV*DQ]HGHVVHOEVWUHÀH[LYHQ*HLVWHVEH]RJ'LH*OHLFKKHLW als Indifferenz, die in der Differenzschrift, im Naturrechtsaufsatz und im System 139
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
der Sittlichkeit festgestellt werden konnte, war unserer Deutung nach eindeutig im Rahmen der republikanische[n] Gleichheit der Griechen zu verorten; aber auch die spätere Gleichheit mit sich als wiederhergestellte Unmittelbarkeit der Jenaer Systementwürfe III ZDU WURW] GHU UHÀH[LYHQ 5HODWLRQDOLWlW GLHVHV$Qsatzes, noch mit jener Konzeption in Verbindung zu setzen. Dagegen war die normative Gleichheit, die mit dem intersubjektivistischen Ansatz der Jenaer Systementwürfe I zusammenhing, als einzige nicht unmittelbar auf die Polissittlichkeit zurückzuführen, sondern ließ sich – wie schon die entsprechende Freiheitskonzeption – von der ursprünglichen republikanische[n] Gleichheit eindeutig unterscheiden. Nun können wir diese letzte normative Auffassung der Gleichheit aus einem anderen Blickwinkel betrachten: Wir können nun fragen, ob diese Konzeption als Alternative zur modernen, von Hegel kritisierten abstrakten Gleichheit auch mit Bezug auf systematische Fragestellungen taugt – denn nur dann wäre sie auch für uns noch interessant. Die Aufgabe dieses Hauptteils ist es also, diese letzte Konzeption der Gleichheit in ihren Voraussetzungen, Folgen und ihrer Relevanz mit Hinblick auf ihre mögliche Aktualisierung, herauszuarbeiten und zu explizieren. Im Folgenden werde ich zunächst die Voraussetzungen und die Folgen der relationalen Sichselbstgleichheit (wie auch der entsprechenden Freiheitskonzeption) in Hegels intersubjektivistischen Jenaer Ansätzen hinsichtlich ihrer »Modernität« – d.h. ihrer Kompatibilität mit den modernen Errungenschaften – explizieren (1). Dann werde ich einen Aktualisierungsvorschlag für diese Gleichheitskonzeption anbieten, der von der Anerkennungstheorie Axel Honneths und einem Aspekt der Gerechtigkeitskonzeption David Millers ausgeht (2). Diese Konzeption wird hier (wie die entsprechende Freiheitskonzeption) als kommunikative Gleichheit bezeichnet.
1. Intersubjektivität, Freiheit und Gleichheit
In diesem Kapitel sollen also die Voraussetzungen der normativen Gleichheitskonzeption, die aus Hegels intersubjektivistischem Ansatz in den Jenaer Systementwürfen I folgt, näher und in ihrem Zusammenhang mit der entsprechenden Freiheitskonzeption betrachtet werden. Dabei wird sich zeigen, inwiefern die relationale Sichselbstgleichheit eine zeitgemäße Antwort auf die Frage nach der Ungleichheit bietet, die zugleich eine Alternative zu der modernen abstrakten Gleichheitsauffassung darstellt. Erstens (a) wird sich diese Konzeption insofern als zeitgemäß erweisen, als sie im Rahmen einer Antwort auf Hegels Modernitätsdiagnose steht, bei welcher der Bezug auf das individuelle Subjekt nicht wie bei seinen anderen Versöhnungsansätzen zum Vorrang des 140
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
sittlichen Kontextes vor dem individuellen Subjekt führt, sondern auf die Gleichursprünglichkeit von Individuum und »Volk« hinweist; so kann schon damit dieser Ansatz bereits deskriptiv als eine Alternative zu jener Auffassung der modernen Welt verstanden werden, die von liberalen atomistischen Prämissen ausgeht. Hegels Antwort wird sich allerdings vor allem normativ als eine zeitgemäße Alternative zur Deutung der modernen Welt zeigen, da sie einer Konzeption der Sittlichkeit entspricht, die eine eindeutig moderne Vermittlung zwischen Polissittlichkeit und modernen normativen Auffassungen leistet; den Kern dieser normativen Sittlichkeitskonzeption wird der Begriff der Anerkennung darstellen (b). Danach werde ich auf die daraus resultierenden normativen Konzeptionen der Freiheit und der Gleichheit eingehen und diese zu einer 'H¿QLWLRQ EULQJHQ F GDULQ ZLUG DXFK GLH *OHLFKXUVSUQJOLFKNHLW YRQ )UHLheit und Gleichheit, die sich mit dem Begriff der Anerkennung verbindet, zur Geltung kommen. Abschließend (d) werde ich versuchen, diese Konzeptionen der Freiheit und der Gleichheit etwas konkreter mit der normativen Bedeutung von Anerkennungsbeziehungen zu verbinden.
a) Modernität und Intersubjektivität Hegels intersubjektivistischer Ansatz, der in den Jenaer Systementwürfen I erscheint, bietet bereits deskriptiv eine moderne, zeitgemäße Antwort auf seine Modernitätsdiagnose. Der Grund, warum dieser Ansatz als modern anzusehen ist, liegt zwar in erster Linie darin, dass mit dieser Deutung der modernen Welt jene Entzweiungen, die Hegel als ihre wichtigsten Merkmale diagnostizierte, ohne Rekurs auf etwas diese Welt Transzendierendes versöhnt werden können; die Immanenz der eigenen normativen Maßstäbe verstehe ich als das Hauptkennzeichen der modernen Welt.1 Die Modernität des Ansatzes lässt sich aber auch schon deskriptiv daran erkennen, dass die Sachverhalte, die Hegel ursprünglich als Folge von Entzweiung negativ deutete, nun in deren Relationalität als wesentlicher Aspekt der Verfassung dieser Welt verstanden werden – die also bereits dadurch als versöhnt anzusehen wäre. So wird die Modernität des Ansatzes der Jenaer Systementwürfe I in dieser zunächst deskriptiven Hinsicht gerade in dessen Intersubjektivität liegen. Die Lösung der Frage nach der vertikalen Integration wird sich als eine Vermittlung zwischen Individuum und sittlichem Kontext erweisen, die deren Gleichursprünglichkeit impliziert. Eine Interpretation von Hegels Jenaer Systemansätzen, die diese gerade aufgrund ihres intersubjektivitätstheoretischen Charakters als modern deutet, ist bekanntlich auf Habermas zurückzuführen. Habermas hat nicht nur Hegel als 1
Zu dieser Interpretation, die selbstverständlich nicht nur meine ist, s. z. B. auch Jürgen Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt: Suhrkamp, 1991, S. 16. 141
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
den Philosophen bezeichnet, der zum ersten Mal die Moderne und ihre Grundfrage als philosophisches Problem begriffen und »als das Grundproblem« seiner eigenen Philosophie wahrgenommen hat, sondern die Besonderheit seiner Jenaer Entwürfe gerade in ihrer Aktualisierbarkeit angesehen.2 Darauf nehmen wir jetzt Bezug. Hegels ursprüngliches Problem war ja die Suche nach einer Antwort auf seine Diagnose der modernen Entzweiung – oder wie es Habermas ausdrückt, die Suche nach einer Möglichkeit, die Moderne zu »stabilisieren«.3 Wie aus unserer Untersuchung hervorging, wurde Hegel bereits in seinen ersten Arbeitsjahren immer klarer, dass diese Antwort nicht hinter die Errungenschaften der modernen Welt – die er nach und nach nicht als Verfallserscheinungen, sondern als in vieler Hinsicht wertvoll schätzen lernte – zurückfallen durfte; damit ist der Leitfaden für die Entwicklung seiner gesamten Philosophie auch für Habermas angegeben.4 Nach den verschiedenen Ansätzen zu einem System, die Hegel in seiner Jugend erprobte, meinte er offenbar, die Antwort auf sein ursprüngliches ProbOHPLP*HGDQNHQHLQHVVHOEVWUHÀH[LYHQ*HLVWHVZLHHULP+LQWHUJUXQGVHLQHV reiferen Systems steht, gefunden zu haben: Damit schien für Hegel – wie es Habermas darstellt5 – wohl die moderne Welt durch ihr eigenes Subjektivitätsprinzip »stabilisiert«. Darauf, dass Hegels »reife«, subjektivitätszentrierte Lösung allerdings nicht als ausreichend modernitätsfähig anzusehen war, hat wiederum Habermas selbst hingewiesen:6 Mit der »monologische[n] Selbsterkenntnis«, in der Hegels »reife« Antwort auf die Entzweiungsfrage besteht, behalte »das Subjekt als allgemeines Vorrang vor dem Subjekt als einzelnem«.7 Und auch im Rahmen dieser Untersuchung haben wir einsehen können, inwiefern diese Lösung trotz aller Veränderungen des Ansatzes Hegel zur »wiederhergestellten Unmittelbarkeit« (vgl. JS III 286) zurückbrachte, die nicht allzu weit von der normativen Sittlichkeitskonzeption stand, von der er in Tübingen ausgegangen war. Ebenfalls auf Habermas geht aber auch die Einsicht zurück, dass gerade Hegels Jenaer intersubjektivitätstheoretische Ansätze eine Alternative zur »endgültigen« Fassung seines Systems bieten könnten,8 welche die Moderne nicht hinter die Notwendigkeit, »ihre Normativität aus sich selbst zu schöpfen«,9 zurückfallen ließe. In einem bekannten, 1967 verfassten Aufsatz hat Ha-
2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Habermas: ebd. S. 26. Vgl. Habermas, ebd. Das lässt sich aus Habermas’ Interpretation deutlich erkennen. Vgl. Habermas, ebd. S. 26.ff. Vgl. Habermas, ebd. S. 27. Vgl. Habermas, ebd. S. 49. Vgl. Habermas, ebd. S. 53. Zum Hinweis auf die Jenaer Schriften im Rahmen dieses habermasschen Werkes vgl. Habermas, ebd. S. 42, Anm. 19. Vgl. Habermas, ebd., S. 16.
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INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
bermas mit Bezug auf die Jenaer Systementwürfe I und III die Auffassung vertreten, »daß Hegel in den beiden Jenenser Vorlesungen [d.h. den Jenaer Systementwürfen I und III – MMSM] für den Bildungsprozeß des Geistes eine eigentümliche, später preisgegebene Systematik zugrunde gelegt hat.«10 Hegels nach Habermas »ursprüngliche Einsicht«, »daß Ich als Selbstbewußtsein nur begriffen werden kann, wenn es Geist ist, d.h. wenn es von der Subjektivität zur Objektivität eines Allgemeinen übergeht, in dem auf der Basis der Gegenseitigkeit die als nichtidentisch sich wissenden Subjekte vereinigt sind«,11 VHLKLHUDXIHLQH:HLVHDXVJHIKUWGLHVLFKYRPUHÀH[LYHQ&KDUDNWHUGHV*HLVtes in seiner späteren Konzeption radikal unterscheidet: ª>@ HV LVW QLFKW GHU *HLVW LQ GHU DEVROXWHQ %HZHJXQJ GHU 5HÀH[LRQ VHLQHU selbst, der sich unter anderem auch in Sprache, Arbeit und sittlichem Verhältnis manifestiert, sondern erst der dialektische Zusammenhang von sprachlicher Symbolisierung, Arbeit und Interaktion bestimmt den Begriff des Geistes.«12
Mit dieser Deutung des Begriffs des Geistes verbindet Habermas bekanntlich andere Absichten als nur diese Feststellung.13 Für unsere Frage in diesem Abschnitt ist allerdings vor allem die Auffassung des Geistes relevant, die mit diesen Ansätzen zusammenhängt. Habermas sieht in dem intersubjektivistischen Charakter dieser Ansätze die von Hegel später preisgegebene Möglichkeit, ein »anderes Modell für die Vermittlung des $OOJHPHLQHQXQGGHV(LQ]HOQHQ©]XHQWZLFNHOQGDVLQGHUªK|KHUVWX¿JH>Q@ Intersubjektivität der ungezwungenen Willensbildung in einer unter Kooperationszwängen stehenden Kommunikationsgemeinschaft« bestünde.14 Hier möchte ich allerdings noch einmal deutlich machen, warum sich dieses Ergebnis meiner Deutung zufolge nicht so sehr für beide Systementwürfe, sondern nur für die Jenaer Systementwürfe I bestätigen lässt, als einem Ansatz, der nicht nur intersubjektivitätstheoretisch, sondern im starken Sinne intersubjektivistisch ist – nämlich in dem Sinne, dass der Intersubjektivität ein besonderes Gewicht zukommt.15 Als intersubjektivistisch in diesem Sinne ver10 Vgl. Jürgen Habermas: »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser »Philosophie des Geistes«, in: ders.: Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1969, S. 9. 11 Habermas, ebd. S. 15. 12 Vgl. Habermas, ebd. S. 10. 13 Habermas will damit sowohl auf den Zusammenhang als auch auf die Nichtreduzierbarkeit von Arbeit und Interaktion, und damit von instrumentellem und kommunikativem Handeln aufeinander hinweisen. Vgl. Habermas, »Arbeit und Interaktion«, S. 44ff. 14 Vgl. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 54. 15 Der Ausdruck Intersubjektivität wird umgangssprachlich, aber auch philosophisch auf unterschiedliche Weise verwendet; so können z.B. in einem weiteren 143
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
stehe ich Ansätze, die einerseits das ethisch-gesellschaftliche Gebilde wesentlich als ein Netzwerk von Relationen sich gegenseitig bestimmender Subjekte begreifen (und weder von atomistischen, subjektivitätszentrierten noch von »übersubjektiven« Prämissen wie der Gemeinschaft ausgehen, so wie etwa in Hegels eigener früherer Darstellung der Polis) und andererseits die Subjekte – und zwar als Subjekte – als wesentlich durch jenes Netzwerk von Relationen konstituiert auffassen.16 So ist – obwohl alle Lösungen für die Frage der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene, die Hegel in Jena durchspielte, eine Vermittlung von Polissittlichkeit und Subjektivitätsprinzip implizierten und damit Intersubjektivität als wesentlich für Hegels Ansätze darstellten – in diesem Sinne intersubjektivistisch nur jene Lösung, bei welcher die Relationen als solche im Zentrum des Ansatzes gewahrt blieben und nicht auf arelationale RGHUHKHUUHÀH[LYHhEHUHLQKHLWHQKLQZLHVHQ Die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Absoluten und der 5HÀH[Lon – also auch die Frage nach der vertikalen Integration oder Versöhnung einer Einheitsebene, die zunächst als undifferenziert aufgefasst wurde, und einer Entzweiungsebene, die schon früh »horizontal« eine relationale Versöhnung des Entzweiten darstellte – wurde ja in Jena bei jedem Ansatz anders gelöst. Dabei war in zahlreichen dieser Ansätze eine Tendenz zur Betonung der vertikalen Achse der Integration gegenüber der horizontalen unverkennbar, was dazu führte, dass die Ebene der absoluten Sittlichkeit sowohl im ersten der drei Versöhnungsansätze – jenem der Differenzschrift, des Naturrechtsaufsatzes und des Systems der Sittlichkeit – als auch im letzten – also jenem der Jenaer Systementwürfe III, der sich beim »reifen« Hegel schließlich durchsetzte – mehr Gewicht erhielt als die anderen Ebenen, was eine Asymmetrie auf der vertikalen Achse zu ihren Gunsten zur Folge hatte. Gleichzeitig war aber anzumerken, dass das System der Sittlichkeit und die Jenaer Systementwürfe III aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Folgen asymmetrisch gebaut waren: Im System der Sittlichkeit etwa (dessen Struktur in dieser Hinsicht jener der Differenzschrift und des Naturrechtsaufsatzes entspricht) war, wie gesehen, diese Asymmetrie darauf zurückzuführen, dass Hegel die Ebene der absoluten Sittlichkeit – wenn wir Sinne alle Darstellungen des Sozialen bzw. bei Hegel des Sittlichen als intersubjektive Zusammenhänge gedeutet werden. Hier verwende ich einen engeren Begriff von Intersubjektivität. Zum Hinweis auf mögliche Bedeutungen dieses Begriffs vgl. z.B. Michael Theunissen,: Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts. In: Dieter Henrich: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik. Stuttgart: Klett-Cotta, 1982, S. 320f.. 16 Diese Unterscheidung lässt sich, was ihre Relationalität betrifft, mit der Unterscheidung von internen und externen Relationen behandeln. Vgl. dazu Rolf-Peter Horstmann: Ontologie und Relationen. Hegel, Bradley, Russell und die KontroYHUVHEHULQWHUQHXQGH[WHUQH%H]LHKXQJHQ. Königstein/Ts.: Athenäum, 1984. S. 32. Den Hinweis darauf verdanke ich Thomas M. Schmidt. 144
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
es so ausdrücken dürfen: »an sich« – jenseits der Relationalität der unteren Ebenen verortete. So war diese (Einheits-)Ebene der absoluten Sittlichkeit der Entzweiungsebene übergeordnet; dies führte auch dazu, dass trotz der Relationalität des Ganzen die Integration von Einheits- und Entzweiungsebene sich nicht relational vollzog. Die Asymmetrie in den Jenaer Systementwürfen III entstand dagegen aufgrund der durchgängigen Relationalität, die nun auch auf der vertikalen Achse erkennbar geworden war – allerdings nun eher als ReÀH[LYLWlW. Mit der Durchsetzung einer subjektivitätszentrierten Auffassung des Bewusstseins ab Mitte der Jenaer Zeit wird nun nicht mehr wie vorher der sittliche Kontext als Ausgangspunkt für die Konstruktion des Ganzen vorausgesetzt, sondern das Einzelne des Selbstbewusstseins (und Willens), das mit dem subjektivistischen Charakter des Geistes, also des Ganzen, übereinstimmen soll. Die Asymmetrie in den Jenaer Systementwürfen III war dann darauf zurückzuführen, dass die Ebene der 5HÀH[LRQ, die hier schon differenzierter, im Sinne von Ebenen horizontaler Anerkennungsbeziehungen aufzufassen war, ihre relative Autonomie vor dem Ganzen verloren hatte: Insofern nun – wie beobachtet – die Relationalität in eben diesen Anerkennungsbeziehungen im Dienste der 5HÀH[LYLWlW des Ganzen stand, wurden die hier noch sichtbaren KRUL]RQWDOHQUHODWLRQDOHQ(EHQHQGHU$QHUNHQQXQJ]X6WXIHQHLQHU6HOEVWUHÀHxion des Ganzen. So fand hier tatsächlich eine Integration von Einheits- und Entzweiungsebenen statt – aber eine, welche die Entzweiungsebene gegenüber GHU(LQKHLWVHEHQHZLHGHUDOVGH¿]LWlUGDUVWHOOHQOLHGLHAsymmetrie auf der vertikalen Achse führte also auch in den Jenaer Systementwürfen III notwendigerweise doch zur einem Vorrang des Ganzen gegenüber den intersubjektiv verbundenen Einzelnen. Also dürfte Habermas’ Interpretation von Hegels »reifem« System nicht nur für den Hegel der Phänomenologie des Geistes und danach zutreffen, sondern auch schon für jenen der Jenaer Systementwürfe III: Mit der bereits hier angebotenen Lösung der Entzweiung »befriedigt Hegels Philosophie das Bedürfnis der Moderne nach Selbstbegründung nur um den Preis einer Entwertung der Aktualität und einer Entschärfung der Kritik.«17 Die »eigentümliche« Systematik, die Habermas in Hegels Jenaer Schriften sah, war aber in den Jenaer Systementwürfen IWDWVlFKOLFK]X¿QGHQ-HQHandere Lösung zum Problem der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene erlaubte ja, zu einer anderen Auffassung des Verhältnisses von Absolutem und 5HÀH[LRQ ]X NRPPHQ *HUDGH ZHJHQ LKUHU =ZLVFKHQSRVLWLRQ ]ZLVFKHQ GHU Lösung der ersten Jenaer Schriften und jener der Jenaer Systementwürfe III entwarf die fragmentarische Geistesphilosophie der Jenaer Systementwürfe I eine Art von Integration, die weder eine übergeordnete Sittlichkeit noch eine 17 Vgl. Habermas, ebd. S. 56. Das ist der Grund, warum m.E. alle Versuche, den »reifen« Hegel vor sich selbst zu »retten«, zunächst diese Frage beantworten müssten. 145
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Subjektivitätsvorstellung zum Ausgangs- und Endpunkt des Ganzen nahm. Stattdessen fußte der Aufbau des Ganzen hier auf einer Konzeption des GeisWHVDOVGXUFKª0LWWHQ©NRQVWLWXLHUW±DOVRDXI5HODWLRQHQDOV5HÀH[LRQLP6LQQH HLQHU 6HOEVWUHÀH[LRQ ZDU KLHU QLFKW HLQH %HZHJXQJ GHV *DQ]HQ JHPHLQW sondern das Bewusstwerden des einzelnen Bewusstseins über seine eigene Relationalität. Die Bedeutung dieses Ansatzes haben wir schon oben ersehen können: Im Kontext des Verhältnisses zwischen Einheits- und Entzweiungsebene wäre die Strukturierung des Ganzen in den Jenaer Systementwürfen I so zu deuten, GDVVQXQDXFKGHU%H]XJYRQ$EVROXWHPXQG5HÀH[LRQrelational zu verstehen wäre, also als ein gegenseitiges Sichbestimmen zwischen der Ebene der EinKHLWXQGGHUGHU(QW]ZHLXQJ6RZDUKLHUVFKOLHOLFKGLH(EHQHGHU5HÀH[LRQ nicht mehr auf eine undifferenzierte Ebene der Einheit zurückzuführen, die als GHU5HÀH[LRQ]ZDULPPDQHQWVLHDEHUEHUVWHLJHQG]XEHJUHLIHQZlUHVRQdern beide Ebenen waren als ebenbürtige Weisen des Bestehens des Absoluten anzusehen und als verschiedene Ansichten desselben zu verstehen. Fundamental für uns ist also die Tatsache, dass die Weise, wie in diesem Ansatz die vertikale Integration von Einheits- und Entzweiungsebene ausgeführt wird, zu einer Relation zwischen beiden Ebenen führt, die nicht in ihre Undifferenzierung in GHU6HOEVWUHÀH[LRQGHV*DQ]HQPQGHWVRQGHUQLQHLQUHODWLRQDOHV9HUKlOWQLV zwischen ihnen, das als symmetrisch zu bezeichnen ist. Das könnte auch so ausgedrückt werden, dass die Relationalität, die vorhin nur die in den anderen $QVlW]HQDOVGH¿]LWlUDQJHQRPPHQH(EHQHGHU5HÀH[LRQNHQQ]HLFKQHWHQXQ zur »höchste[n]« für die moderne Welt möglichen »Gemeinschaft« erhoben wird; eine noch »höhere« arelationale »Gemeinschaft«, die Vorrang über diese hätte, gibt es nicht mehr. Was hat das nun deskriptiv für eine Interpretation der modernen Welt zu bedeuten? Als Erstes ist darin das Ergebnis von Hegels Modernitätsdiagnose zu sehen. Als Hauptmerkmal der modernen Welt betrachtete Hegel, wie gesehen, die moderne Entzweiung, die er ins Zentrum seiner Kritik stellte; alle seine Versöhnungsversuche beabsichtigten ja gerade ihre Überwindung bzw. Aufhebung. Nun ist die Lösung der Frage nach der – wie es Habermas formuliert – Möglichkeit der »Stabilisierung« der modernen entzweiten Welt, die sich in den Jenaer Systementwürfen I ausdrückt, keine endgültige Versöhnung der Entzweiung: Wenn sich die Entzweiung der modernen Welt nun – wie schon ansatzweise in der Darstellung des Lebens als Verbindung am Ende der Frankfurter Zeit – nicht nur als Entzweiung, sondern zugleich auch als Ausdifferenzierung dieser Welt interpretieren lässt, kann die Mannigfaltigkeit der entzweiten Individuen und deren Integration in einem relationalen Ganzen nicht als Zeichen eines Verfalls gedeutet werden; zur Identität (oder wirklichen Einigkeit) beider führt dieser Ansatz allerdings nicht mehr. Der Ansatz, welchen uns die Jenaer Systementwürfe I präsentieren, bleibt also notwendi146
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
gerweise mit einer Ambivalenz verknüpft: Als durch Relationen charakterisiert kann dieses Bild der modernen Welt nicht als die Zersplitterung des Sittlichen (und als Zustand der absoluten Differenz, Uneinigkeit und Atomisierung) interpretiert werden. Allerdings drückt sich in ihm auch nicht mehr eine absolute Identität in einer sie miteinander verschmelzenden Einheit aus, wie jene lebendige Harmonie, die Hegel in der griechischen Polis sah und nun offenbar als endgültig verloren interpretiert. Auf die Weise, wie dies aufzufassen wäre, haben wir schon anhand des Bildes der Tragödie im Sittlichen im Naturrechtsaufsatz hingewiesen: Unsere Bezeichnung von Hegels Versöhnungsansatz als einer zwar tragischen Integration, aber auch integrierten Tragik gilt gerade und besonders für die Jenaer Systementwürfe I.18 Gerade in diesem Sinne können wir den Ansatz in den Jenaer Systementwürfen I als intersubjektivistisch bezeichnen. Denn darin ergibt sich ein Bild der modernen Welt, das dem Bild des klassischen Liberalismus insofern nicht entspricht, als an die Stelle jener einsamen, atomistisch gefassten Subjekte, deren mögliche Zusammenkunft – wie in allen modernen kontraktualistischen Theorien – ihrem Bestehen als isolierte Individuen erst nachgeordnet und sekundär sei, vom Anfang an miteinander durch intersubjektive Relationen verbundene Individuen treten, die gerade durch diese Relationen als solche beVWLPPWVLQG=ZDUVWHOOWHGLH(EHQHGHU5HÀH[LRQEHL+HJHOVFKRQVHLWVHLQHQ ersten Jenaer Schriften die modernen Individuen nicht als Atome dar, sondern als bereits in Relationen miteinander verbunden. Solange aber diese Ebene als GH¿]LWlUDQJHVHKHQZXUGHZDULKUH5HODWLRQDOLWlWQLFKWZHVHQWOLFKIULKUH%Hschreibung: Die Relationen waren eher als Folge der Entzweiung denn als Folge von Entzweiung und Differenzierung zu verstehen. Jetzt aber sind diese Relationen als die einzig mögliche Darstellung dieser Welt zu sehen – wie schon bei Hegels früherer Darstellung der (relationalen) Individualität im Rahmen seines Systemfragments von 1800 (die nun nicht mehr auf nur eine der beiden Auffassungen des Lebens bezogen wäre): »Der Begriff der Individualität schließt Entgegensetzung gegen unendliche Mannigfaltigkeit und Verbindung mit demselben in sich; ein Mensch ist ein individuelles Leben, insofern er ein anderes ist als alle Elemente und als die Unendlichkeit der individuellen Leben außer ihm; er ist nur ein individuelles Leben, insofern er eins ist mit allen Elementen, aller Unendlichkeit des Lebens außer ihm; – er ist nur insofern das All des Lebens geteilt ist, er der eine Teil, alles übrige der andere Teil; er ist nur, insofern er kein Teil ist und nichts von ihm abgesondert.« (W 1 419 f.) [Hervorhebungen von mir – MMSM]
18 Vgl. Teil II.1.b dieser Untersuchung. 147
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Im Gegensatz aber auch zum Bezug auf Aristoteles, den Hegel noch im Naturrechtsaufsatz einführt (W 2 505)19 – und der implizit in der späteren Sittlichkeitskonzeption wiederkehrt –, ist hier das Volk nicht »eher« als der Einzelne. Die Frage, wer oder was »eher« sei, das Individuum oder das Volk, kann hier also nicht einmal deskriptiv entschieden werden: Wie Hegel schon im Systemfragment von 1800HLQVDKZHQQDXFK]XQlFKVWQXUIUGLH(EHQHGHU5HÀHxion, ist für eine solche Konzeption »seine Beziehung [des Individuums] [...] nicht mehr absolut als [die] Trennung dieses Bezogenen« (W 1 419). Und da die Betonung der Mannigfaltigkeit mit einer Betonung von Individualität einhergeht, kann man hier ebenfalls schon die Einsicht in das Prinzip erkennen, »das die Alten [...] nicht kannten« (JS III 263): das moderne Prinzip der Subjektivität. Dieses Prinzip wird Hegel zwar erst in den Jenaer Systementwürfen III hervorheben, es ist aber in den Jenaer Systementwürfen I in der SelbstreÀH[LRQGHVHLQ]HOQHQ%HZXVVWVHLQVGDVVLFKVHLQHV%HVWHKHQVDOV5HODWLRQLQ und durch die Mitten des Geistes bewusst wird, bereits eindeutig präsent.20 So überwiegt bei diesem Ansatz, anders als bei Hegels anderen Ansätzen, auch nicht der antikisierende Bezug zum alten Griechenland, sondern die Einsicht in die Ambivalenzen, aber auch die relativen Vorzüge, der modernen Welt. Aus diesem intersubjektivistischen Ansatz ergeben sich deskriptiv also Prämissen für eine Modernitätsdeutung, die zwar anders als die atomistischen liberalen, aber eindeutig auch als modern zu betrachten sind; es sind die, welche sich bereits deskriptiv in der Gleichursprünglichkeit von Individuum und sittlichem Kontext zeigen.
b) Intersubjektivität, Sittlichkeit und Anerkennung Die Frage nach der Modernität des Versöhnungsansatzes, der sich in den Jenaer Systementwürfen I¿QGHWEHDQWZRUWHWVLFKDEHUQLFKWKDXSWVlFKOLFKDXI der deskriptiven Ebene, sondern erst mit Bezug auf die damit verbundenen normativen Annahmen. Dass das Resultat von Hegels Modernitätsdiagnose in den Jenaer Systementwürfen I einen normativen Anspruch ausdrückt, dürfte bereits deutlich sein: Es zeigt sich ja darin, dass sich mit der relationalen, intersubjektivistischen Auffassung des Geistes eine besondere Konzeption der Sittlichkeit verbindet. So geht es nun hauptsächlich darum, zu bestimmen, inwiefern die Sittlichkeitskonzeption des Jenaer Systementwürfe I als modern angesehen werden kann. Nur wenn sich die Quelle dieser Normativität als wahrhaft modern erweist (in dem Sinne, dass ihre Maßstäbe aus der modernen Welt selbst
19 Vgl., wie bereits zitiert, Aristoteles’ Politik I 1253a25-26: »Es ist damit klar, daß der Staat einmal von Natur ist und außerdem jedem einzelnen vorausgeht.« 20 Vgl. wieder unsere Interpretation im Teil II.2.c dieser Untersuchung. 148
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»geschöpft«21 werden), kann Hegels Ansatz in den Jenaer Systementwürfen I – und die mit ihm zusammenhängenden normativen Konzeptionen – überhaupt als eine Alternative zu den liberalen atomistischen Prämissen einerseits und zu Hegels sonstigen Versöhnungsversuchen andererseits angesehen werden. Zur Einsicht in die Modernität der Sittlichkeitskonzeption der Jenaer Systementwürfe I schlage ich nun zunächst einen etwas ungewöhnlichen Weg vor: Die Modernität der Sittlichkeitskonzeption in Hegels intersubjektivistischem Ansatz wird bereits in den metaphysischen Prämissen sichtbar werden, die nach Hegels eigenem Selbstverständnis im Zusammenhang mit dem gesellschaftlich-historischen Charakter der Jenaer Systementwürfe I (wie aller seiner Ansätze) stehen – und uns ansonsten für unsere Fragestellung nicht zu interessieren brauchen. Es wird sich dann zeigen, dass die Modernität dieser Sittlichkeitskonzeption mit dem normativen Charakter der Relationen zusammenhängt, die sie konstituieren: der Relationen der Anerkennung. Es ist ja bekannt, dass die Normativität des Sittlichen bei Hegel auf einen Grund verweist, der nicht nur sittlichen, sondern auch metaphysischen Charakters ist; in ihm wird der »reife« Hegel die Koinzidenz von Vernunft und WirkOLFKNHLW¿QGHQGLHVHLQHXUVSUQJOLFKsoziale Fragestellung für ihn endgültig lösen wird.22 Dies war auch schon in der ethisch-gesellschaftlichen Jenaer Frage nach der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene erkennbar, insofern diese auf das Verhältnis eines als Grund aufgefassten Absoluten bzw. Geistes zur Ebene der Relationen (also der entzweiten Verhältnisse) verwies, die von jenem Grund abhängt.23 Zum genaueren Verständnis des metaphysischen Hintergrunds von Hegels Fragestellung bietet sich nun an, jene Deutung der Intersubjektivität bei Hegel hinzuzuziehen, die ausdrücklich auch Bezug auf den metaphysischen Aspekt seiner ethisch-gesellschaftlichen Ansätze nimmt: die Interpretation, die Michael Theunissen zu Hegels Wissenschaft der Logik wie auch zu der »verdrängten« Intersubjektivität seiner Rechtsphilosophie entwickelt,24 welche in direkten Zusammenhang mit Hegels Jenaer intersubjektivistischen Ansätzen gestellt werden kann. In seiner Untersuchung zur »kritischen Funktion« der hegelschen Wissenschaft der Logik sieht Theunissen die – sich bei Hegel nicht durchsetzende – Möglichkeit, die Logik als eine »universale Kommuni-
21 Vgl. für dieses »Schöpfen« Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 16. 22 So gründet der objektive Geist in Hegels System bekanntlich noch im absoluten Geist. 23 Vgl. Teil II.2 dieser Untersuchung. 24 Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980 ; und ders.: »Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts«. 149
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kationstheorie« zu verstehen.25 Ihm zufolge enthüllt die Begriffslogik, »was Hegel, durchaus zu Recht, für die Substanz des christlichen Gott-, Welt- und Menschenverständnisses erachtet« habe.26 Die Wahrheit, die da enthüllt werde, entspricht für Theunissen einem Wirklichkeitsideal, in dem »alles relatio, und die relatio alles seien, derart, dass die relata nichts für sich zurückbehielten«.27 'LHVH ZDKUH :LUNOLFKNHLW VHL QDFK7KHXQLVVHQ ªGXUFK GLH VSH]L¿VFK QHXWHVtamentliche Koinzidenz von Liebe und Freiheit« geprägt.28 Diese wahre, relationale Wirklichkeit sei aber – und daraus resultiert für Theunissen die Unmöglichkeit, diese bloß intersubjektivitätstheoretisch zu deuten – »nur auf dem Boden eines ›Absoluten‹ möglich, das die Glieder der Beziehung allererst zu sich befreit«.29 Obwohl Theunissen darauf besteht, dass diese »universale Kommunikationstheorie«30 aufgrund ihres metaphysischen Hintergrunds nicht unmittelbar als Intersubjektivitäts- bzw. Gesellschaftstheorie zu verstehen ist,31 sind Bezüge zwischen seiner Deutung von Hegels späteren Werken (oder dem »Verdrängten« in diesen32) und jenen der Jenaer Werke unverkennbar, die auf den intersubjektivitätstheoretischen Charakter von Hegels Ansätzen hinweisen. Und es ist möglich, aufgrund seiner Erläuterungen für den Zusammenhang zwischen den »Kommunizierenden« und dem Absoluten eine andere Interpretation – jenseits seiner »christologischen«, die er aus der Deutung der Urteilsform bei Hegel gewinnt33 – anzubieten. Es ist evident, dass die Relation zwischen »Kommunizierenden« und Absolutem, die Theunissen darstellt, der Jenaer Beziehung zwischen Entzweiungs- und Einheitsebenen entspricht. Versteht man nun den symmetrischen Bezug zwischen Einheits- und Entzweiungsebene, der die Jenaer Systementwürfe I kennzeichnet, als das Zusammentreffen beider Ebenen in der absoluten Relationalität, die Theunissen selbst beschrieben hat, so verschwindet der Gedanke eines Absoluten, das jenseits von dieser Relationalität stünde: Nach dieser Konzeption besteht das Absolute aus den Relationen selbst. Dieser Schritt, der den Übergang zu einer Auffassung darstellt, nach der das Absolute selbst durch Relationen zu begreifen sei, verdeutlicht, dass dieses weder in der Lage sein kann, die Relata zu befreien, noch dass diese auf dem Boden eines ›AbTheunissen: Sein und Schein, S. 46. Vgl. Theunissen, ebd. S. 45. Vgl. Theunissen, ebd. Vgl. Theunissen, ebd. Vgl. Theunissen, ebd. S. 60. Vgl. Theunissen, ebd. S. 46. Vgl. Theunissen, ebd. Vgl. M. Theunissen: »Die verdrängte Intersubjektivität in Hegels Philosophie des Rechts«. 33 Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, S. 43.
25 26 27 28 29 30 31 32
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soluten‹ stehen: Der feste Grund, aus dem sich bei Theunissen ursprünglich die Normativität des Ganzen ableiten ließ, erweist sich hier in einem gewissen Sinne als Abgrund: als eine Art endgültig integrierender Einheit, die höchstens durch ihre Abwesenheit anwesend ist. Damit, so könnten wir sagen, hebt Hegels intersubjektivistischer Ansatz der Jenaer Systementwürfe I seine eigenen metaphysischen Prämissen gewissermaßen selbst auf: Ein fester Grund ist ja QLFKWMHQVHLWVYRP*HJUQGHWHQ]X¿QGHQ:HQQGLHVQRFKDOVPHWDSK\VLVFK zu betrachten wäre, dann nur im Sinne einer Metaphysik ohne Jenseits. Auf diese Weise entsteht eine Konzeption des Geistes, die diesen als radikal immanent begreift. Denn es bietet sich an – wie aus der Deutung des Verhältnisses zwischen Einheits- und Entzweiungsebenen bereits ersichtlich –, gerade im Kontext der Jenaer Systementwürfe I den Grund als etwas zu verstehen, was sich erst durch die Verhältnisse der (weit gefassten) 5HÀH[LRQ konstituiert; dabei wären selbstverständlich aber auch umgekehrt, wie schon in den anderen Ansätzen, die Verhältnisse als durch jenen Grund ermöglicht anzusehen. Damit ergibt sich ein Bild des Geistes, in welchem jene Normativität erst in den und durch die Relationen der 5HÀH[LRQ – d.h. der Relationalität des Ganzen – entsteht. Die Konzeption des Geistes in den Jenaer Systementwürfen I kann also so interpretiert werden, dass sie ihre eigenen metaphysischen Prämissen aufhebt – und zwar gerade insofern, als sich darin dieser Grund als nur durch die und in den Relationen des Sittlichen selbst bestehend zeigen wird. Nun ist offensichtlich, dass diese Immanenz des Grundes auch für die entsprechende Sittlichkeitskonzeption Folgen haben wird. Der normative Charakter der Sitten bezieht sich bei Hegel in seinen verschiedenen Ansätzen mehr oder weniger explizit auf die Selbstverständlichkeit, mit der wir Praktiken folgen, die – so wird er selbst es später ausdrücken34 – zu einer zweiten Natur geworden sind.35 Es geht für ihn ja um eine Normativität, die sich nicht präskriptiv verstehen lässt und auch nicht etwa auf die Einwirkung von Druck DXVEHQGHQ H[WHUQHQ RGHU DXFK VHOEVW DXIHUOHJWHQ 3ÀLFKWHQ ]X UHGX]LHUHQ ist.36 Diese Normativität der Sitten kann man wohl am besten dadurch erklären, dass sich mit ihnen für Hegel Ansprüche, Erwartungen und Verbindlichkeiten assoziieren, die den Individuen als unmittelbare Orientierung für das Handeln
34 Vgl. W 7 §151. 35 Die Beziehung des Normativen zu den Sitten zeigt sich, wie Rüdiger Bubner erinnert, auch jenseits von Hegel in der Bezeichnung der Lehre von »richtigem Handeln« in verschiedenen Sprachen selbst, welche sich aus den jeweiligen Wörtern für »Sitte« ableite: Ethos, Moral, Sittlichkeit. Vgl. Rüdiger Bubner: »Moralität und Sittlichkeit. Die Herkunft eines Gegensatzes«. In: Wolfgang Kuhlmann: Moralität und Sittlichkeit. Das Problem Hegels und die Diskursethik. Frankfurt a.M: Suhrkamp, 1986. 36 6REHKDXSWHWGHUVSlWHUH+HJHOLQGHU6LWWHGLH,GHQWLWlWYRQ5HFKWXQG3ÀLFKW vgl. W 7 §155. 151
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dienen. Dadurch besitzen die Sitten eine gewisse Entlastungsfunktion: Gerade insofern die Sitten unserer Gemeinschaft für uns zu einer zweiten Natur geworden sind, in welcher wir uns erkennen, entlasten sie uns vom Zwang, unsere Handlungen bezüglich ihres moralischen bzw. ethischen Charakters immer aufs Neue selbst begründen zu müssen37. Vorausgesetzt dabei ist – ausdrücklich beim Hegel der Rechtsphilosophie – zwar die Übereinstimmung der als diese zweite Natur konkretisierten Sitten mit dem subjektiven freien Willen, für welchen sich jene als sein »eigene[s] Wesen« (W 7 §147) zeigen. Aber GLH ªULFKWLJH© +DQGOXQJ ]X ZHOFKHU ZLU XQV YHUSÀLFKWHQ LVW GHPQDFK DXFK gemeinschaftlich gegeben und implizit oder explizit durch die Einbindung in unsere Sitten bereits (auch jenseits der unmittelbaren rationalen Begründungsmöglichkeit dieser Handlungen) als solche von uns anerkannt. Das lässt sich auch so ausdrücken, dass durch den als (objektiver) gemeinsamer Grund fungierenden sittlichen Kontext den Individuen das Angeben von (subjektiven) Gründen für ihre Handlungen erspart wird.38 Jedoch ist, wie schon angedeutet, eben die Selbstverständlichkeit, die mit dieser Entlastungsfunktion der bestehenden Sitten in den meisten der hegelschen Ansätze zusammenhängt, wiederum die Grenze, mit der sich jeder Versuch, Hegels ganz frühe oder auch »reife« Ansätze zu aktualisieren, notwendigerweise zumindest auseinandersetzen müsste. Denn gerade insofern diese selbstverständliche Normativität aus bereits vorgefundenen, tradierten Sitten und Institutionen schöpft, hat sie, selbst wenn sie, wie es der späte Hegel ausdrückt, »dem Subjekte nicht ein Fremdes« (W 7 §147) sein soll, einen konventionellen Charakter, der heute als solcher schwer zu übernehmen ist und kaum mit einer modernen Konzeption des Normativen zusammenzubringen wäre.39 Der intersubjektivistischen Geistesauffassung entsprechend sind dagegen die Jenaer Systementwürfe I auch hinsichtlich ihrer Sittlichkeitskonzeption anders. Denn auch die Weise, wie die normative Selbstverständlichkeit der 37 So sei das Verhältnis zwischen Sittlichem und Subjekt »noch identischer [...] als Glaube und Zutrauen«, wenn es auch in eine »Einsicht durch Gründe« übergehen könne (W 7 §147). 38 Zu einer neueren Interpretation dieses Aspektes des Sittlichen bei Hegel, welche die Rationalität des Sittlichen in Zusammenhang mit der subjektiven Rationalität des Handelns stellt, s. Robert B. Pippin: Hegel’s Practical Philosophy. Rational Agency as Ethical Life. Cambridge: Cambridge University Press, 2008, etwa S. ª6XEMHFWLYHO\LWPHDQVWKDWWKHUHÀHFWLRQDQGGHOLEHUDWLRQHVVHQWLDOWRVXFK a subjective dimension (the entertaining of considerations about what one ought to do) are not formalizable, do not involve a method or permanent set of rules or a moral law or any sort of calculation. One deliberates, as he says, ›qua ethical being‹ (sittliches Wesen). This means that considerations like ›because I am her father‹ or ›because that is what a good businessmen does‹ […] simply are practical reasons.« (kursiv i.O.) Pippin betont allerdings m.E. etwas zu stark die subjektive Seite der in den Sitten konkretisierten Gründe für Handlungen. 39 So auch Habermas’ Deutung. Vgl. Habermas, ebd. S. 57. 152
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Sitten im Rahmen der intersubjektivistischen Auffassung des Geistes der Jenaer Systementwürfe I erscheint, verweist nicht so sehr auf jene konventionelle Entlastungsfunktion tradierter Sitten und Institutionen, sondern auf die intersubjektiven Relationen, in denen sie gründen; die Entlastungsfunktion einer zweiten Natur ist im Kontext der Sittlichkeitsauffassung der Jenaer Systementwürfe I also nur relativ. Insofern die der Auffassung des Geistes in den Jenaer Systementwürfen I entsprechende Sittlichkeitskonzeption in einem Netzwerk von intersubjektiven Relationen gründet,40 kann ihr normativer Charakter nicht über das hinausgehen, was diesen Relationen selbst immanent entnommen werden kann: den Relationen der Anerkennung. Was bedeutet nun Anerkennung? Mit diesem Begriff können zwar auch schon frühere Darstellungen aus Hegels Schriften in Zusammenhang gebracht werden, wie die bereits geschilderte der Liebe aus seiner Frankfurter Zeit und die relationale Bestimmung des Lebens und somit der Individualität im Systemfragment von 1800. Eine zentrale Stellung – und ihre eindeutige Bedeutung – erhält diese Konzeption aber, wie gesehen, erst in jenen Schriften der Jenaer Zeit, in denen die Relationalität, die zunächst nur die Ebene der 5HÀH[LRQ bestimmte – etwa in der Differenzschrift als Identität von Identität und Nichtidentität und im Naturrechtsaufsatz als die weiter differenzierte Ebene des Verhältnisses –, immer deutlicher als normativ relevante intersubjektive Beziehungen interpretiert werden konnte (und nicht etwa als eine bloße Wechselwirkung zwischen Mannigfaltigem).41 Das war schon vom System der Sittlichkeit an der Fall, wo der Begriff der Anerkennung als solcher zum ersten Mal erschien, wurde jedoch noch deutlicher in den Jenaer Systementwürfen I und III. Damit wurde zunächst jener Aspekt der Strukturierung des Absoluten, der schon vor diesen Schriften mit einer horizontalen Achse der Integration von Entzweiten verbunden war, eindeutig als Anerkennung in Ich-Du-Beziehungen verstanden; nach und nach wurde aber im Laufe der Jenaer Zeit auch die vertikale Achse der Integration von Einheits- und Entzweiungsebene als das Anerkennungsverhältnis zwischen dem Einzelnen und den sittlichen Institutionen des »Volkes« aufgefasst. Zentral für unsere Fragestellung hier ist die vertikale Anerkennung, denn sie drückt die Symmetrie aus, die sich deskriptiv als die Gleichursprünglich-
40 Zu einer »formalen Sittlichkeit« vgl. Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. =XUPRUDOLVFKHQ*UDPPDWLNVR]LDOHU.RQÀLNWH. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994, S. 274ff. 41 Vgl. dazu v.a. Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchung zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München: Karl Alber 1979. Ferner A. Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moUDOLVFKHQ *UDPPDWLN VR]LDOHU .RQÀLNWH; sowie Andreas Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart: Klett-Cotta 1982. 153
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
keit von (intersubjektiv assoziierten) Individuen und Volk zeigte. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen horizontalen Ebenen und jener der (absoluten) Sittlichkeit bzw. des Volkes oder der Konstitution war, wie gesehen, nicht von vornherein als durch Anerkennungsverhältnisse bestimmt konzipiert; die vertikale Anerkennung wird als solche erst ab Mitte der Jenaer Zeit eindeutig erkennbar. Im Rahmen der Jenaer anerkennungstheoretischen Schriften wurde diese Relation als die Anerkennung des Einzelnen im »Wir« der in verschiedene Sphären gegliederten sittlichen Institutionen verstanden. Auf diese Weise ergab sich ein Netzwerk von Integrationen in verschiedene »Wir«, also sittliche Kontexte, die alle normativ aufgeladen waren und der Sittlichkeit der modernen Welt entsprachen. Solange aber die »Wir«-Ebene im von Hegel zitierten aristotelischen Sinne als »eher« denn die Einzelnen aufgefasst werden konnte, war jene gegenüber diesen eindeutig vorrangig. Und auch wenn man dies schon, wie in den Jenaer Systementwürfen III, als eine vertikale Anerkennungsrelation verstehen kann, so doch viel eher im Sinne einer Anerkennung des Ganzen der bestehenden Sitten durch den Einzelnen als umgekehrt.42 Daher die Unmöglichkeit der Kritik, und das Problem der »Überinstitutionalisierung«. Nach der symmetrischen Auffassung, die in den Jenaer Systementwürfen I erscheint, besteht dagegen jede Anerkennungsrelation in einem »Wir«, das sich zu den intersubjektiv aufeinander bezogenen »Ichs« symmetrisch verhält. Der Gleichursprünglichkeit von Individuum und sittlichem Kontext, die bereits deskriptiv erkennbar war, entspricht normativ das gegenseitige Bestimmen der intersubjektiv aufeinander bezogenen Ichs und eines Wir, das nur in diesen und durch diese Beziehungen besteht. Nun kann genau dieses Ergebnis so interpretiert werden, dass die Normativität der Sitten in den Jenaer Systementwürfen I, im Gegensatz zu Hegels anderen Ansätzen, nicht aus der entlastenden Kraft von vorgefundenen Traditionen und Konventionen zu entnehmen ist, sondern aus den Ansprüchen, Erwartungen und Verbindlichkeiten, die jeweils mit den verschiedenen Anerkennungskontexten, die Hegel beschreibt, zusammenhängen. So ist es unsere Aufgabe zu erklären, wie die Relationen der Anerkennnung normativen Charakter besitzen können. Eine Möglichkeit, den normativen Carakter der Anerkennung näher zu verstehen, bietet Andreas Wildts Interpretation zu Hegels Anerkennungstheorie.43 Wildt hatte in seiner Untersuchung zu Autonomie und Anerkennung das Ziel, die Bedeutung der Anerkennung für eine Konzeption der Moralität hervorzuheben.44 Wildt beschäftigte sich mit der Rolle, die – nach seiner Deutung
42 Vgl. Teil II.2 dieser Untersuchung. 43 Vgl. A. Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart: Klett-Cotta 1982. 44 Vgl. Wildt, ebd. 154
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
– für Hegel »transsubjektive Motivationen, nämlich altruistische Neigungen, Lebenskonzeptionen und moralische Intentionen, bei der Konstitution von moralisch-praktischer Richtigkeit spielen«.45 In diesem Sinne wies er darauf hin, GDVV+HJHOJHUDGHMHQHQ$UWHQYRQ9HUSÀLFKWXQJEHVRQGHUH$XIPHUNVDPNHLW schenkte, die nicht rechtlich einforderbar sind und sich gerade gegen eine Institutionalisierung wehren: Beispiele dafür seien etwa Dankbarkeit, Verzeihung, 7UHXHXQGlKQOLFKH9HUSÀLFKWXQJHQPLWGHQHQ]ZDUHLQHLPSOL]LWH1RUPDWLvität verbunden ist, die sich aber nicht präskriptiv ausdrückt. Derartige PhäQRPHQH VWHKHQ IU :LOGW LP =HQWUXP HLQHU ªQLFKWUHFKWVI|UPLJHQ VSH]L¿VFK ›sittlichen‹ Moralität«, die sich erst in »Lebenszusammenhängen« ausdrückt – und zwar in Anerkennungsbeziehungen. Es bietet sich aber im Kontext von Hegels intersubjektivistischem Ansatz an, alle ethisch-normativen Erwartungen, Ansprüche und Verbindlichkeiten in diesem Sinne zu deuten. Denn nach Hegels hier formulierter Auffassung sind DOOHVLWWOLFKHQ$QVSUFKH±XQGQLFKWQXUMHQH9HUSÀLFKWXQJHQGLHQDFK:LOGW nicht institutionalisierbar sind – zunächst auf der Ebene der »Lebenszusammenhänge« anzutreffen, bevor sie überhaupt institutionalisiert werden können; in diesem Sinne ist auch das Recht zunächst »nichtrechtsförmig« oder sozusagen »vorrechtlich« bzw. »vorinstitutionell«. Anders als bei Wildt sind sie allerdings doch institutionalisierbar – aber im Sinne von für die »Lebenszusammenhänge« durchlässig gebliebenen Institutionen. So bleibt die »Institutionalisierung« von Anerkennungsrelationen bzw. GHQHQWVSUHFKHQGHQHWKLVFKHQ9HUSÀLFKWXQJHQGHU,QGLYLGXHQGHQ/HEHQV]Xsammenhängen, in denen sie entstehen, notwendigerweise verhaftet: Insofern die Sitten hier von der Verhältnisstruktur der Sittlichkeit als Ganzem und also von den diese bestimmenden Anerkennungsverhältnissen abhängen, bewahren sie eine Offenheit, die ihre interne Kritik ermöglicht. ,P*HJHQVDW]]XGHU(QWODVWXQJYRP%HGUIQLVXQVHUH3ÀLFKWHQVHOEVWEHstimmen und selbst Gründe für unsere Handlungen angeben zu müssen – der entlastenden Selbstverständlichkeit einer zweiten Natur, die sich in jenen bereits gegebenen Ansprüchen, Erwartungen und Verbindlichkeiten manifestiert –, kommen wir hier also zu einem anderen Ergebnis: Auch hier wäre eine entlastende relative Selbstverständlichkeit im Sinne einer zweiten Natur präsent als Quelle von Normativität; doch aufgrund der Symmetrie im vertikalen Verhältnis zwischen den intersubjektiven Relationen der Anerkennung und dem Wir der Sitten ist auch genauso sehr die Möglichkeit vorhanden, dem instabilen modernen objektivierten Grund (inter-)subjektive Gründe entgegenzusetzen. Die Ansprüche, Erwartungen und Verbindlichkeiten, die den normativen Gehalt von Hegels Sittlichkeitskonzeption ausmachen, gelten hier nicht per se, sondern sind von den sittlichen Relationen abhängig, in denen sie entstehen. 45 Vgl. S. 15. 155
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Hier zeigt sich also für sich anerkennende Subjekte die – gewiss belastendere – Möglichkeit, sich nicht mit den Sitten und deren Ansprüchen, ErwartunJHQXQG9HUELQGOLFKNHLWHQYROONRPPHQ]XLGHQWL¿]LHUHQVRQGHUQVLFKGDYRQ gegebenenfalls zu distanzieren und sie sogar infrage zu stellen oder zu ändern. Bei Abwesenheit eines selbstverständlich im Voraus gegebenen festen objektiven sittlichen Grundes müssen die sich durch Relationen der Anerkennung in Sitten immer wieder objektivierenden Gründe, wenn nötig, intersubjektiv begründet werden können. Ein eindeutig modernes Resultat.
c) Intersubjektivität, kommunikative Freiheit und kommunikative Gleichheit Durch diese letzten Ausführungen hat sich Hegels Lösung zum Problem der modernen Entzweiung in den Jenaer Systementwürfen I als eine zeitgemäße, mit den modernen Errungenschaften kompatible Alternative zur von ihm selbst kritisierten abstrakten Gesellschaftskonzeption gezeigt. So können wir uns nun den normativen Konzeptionen der Freiheit und vor allem der Gleichheit zuwenden, die aus diesem Ansatz resultieren: den intersubjektivistischen normativen Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit, die hier als kommunikative Freiheit und kommunikative Gleichheit bezeichnet werden sollen; kommunikativ sind sie also in diesem erweiterten, Intersubjektivität betonenden Sinne von Kommunikation.46=XU'H¿QLWLRQYRQNRPPXQLNDWLYHU)UHLKHLWXQGNRPPXQLkativer Gleichheit werden wir wieder auf Theunissen zurückgreifen. TheunisVHQV,QWHUSUHWDWLRQZLUGDEHUKLHUDXVVFKOLHOLFKPLW+LQEOLFNDXIGLHVH'H¿QLtionen betrachtet. Zu diesen normativen Auffassungen der Freiheit und der Gleichheit ist schon Einiges in unseren Untersuchungen zu Hegels Jenaer Systementwürfen I gesagt worden. Als Ergebnis einer Auffassung des Sittlichen, die selbst aus der Vermittlung zwischen Individuum und sittlichem Kontext hervorgeht und diese als gleichursprünglich betrachtet, sind diese Konzeptionen ja selbst ein Ausdruck dieser Vermittlung. Hier ist an die relative »Verdoppelung« normativer Maßstäbe zu erinnern, die wir in Hegels Jenaer Schriften erkennen konnten, und an deren Resultat in den Jenaer Systementwürfen I: Gegenüber den ursprünglich arelationalen normativen Begriffen, die schon immer im Zusammenhang mit Hegels Deutung der Sittlichkeit der Polis 46 Zum Gebrauch vom »kommunikativ« im Zusammenhang mit Hegel vgl.: J. Habermas: »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser »Philosophie des Geistes««. In: Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp,1969; A. Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik VR]LDOHU .RQÀLNWH. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994; M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980. 156
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
standen, waren ab der Frankfurter Zeit auch relationale Begriffe sozusagen als normativ hinzugetreten; das zeigte sich an der Entgegensetzung zweier Konzeptionen des Lebens im Frankfurter Systemfragment von 1800 und an der doppelten Natur des Absoluten im Naturrechtsaufsatz. Deshalb können wir die Gleichursprünglichkeit von Individuum und sittlichem Kontext so deuten, dass dadurch auch jene doppelten normativen Begriffe jeweils miteinander versöhnt werden: einerseits die Freiheit der Polis als »höchste[r] Gemeinschaft« (die deren »göttlicher« Natur entsprach) mit der Freiheit DOVLQGLYLGXDOLWlWVEH]RJHQHUDWRPLVWLVFKHUDEVWUDNWHU)UHLKHLWGHU5HÀH[LRQ (die mit der »anderen« Natur des Absoluten verbunden war); andererseits die »republikanische« Gleichheit der Griechen (»göttliche« Natur) mit der abstrakten relationalen Gleichheit des Rechts, die sich in der Relationalität zeigt (»andere« Natur).47 'DV 5HVXOWDW GLHVHU GRSSHOWHQ EHJULIÀLFKHQ Versöhnung zeigt sich dann in normativen Begriffen der Freiheit und der Gleichheit, die Aspekte beider Seiten der jeweiligen Vermittlung (bzw. Versöhnung) enthalten. Diese Begriffe sind jene, die hier als kommunikativ bezeichnet werden. Ein erster Einblick in die relationalen Konzeptionen, die aus jener Vermittlung resultieren, ergibt sich bereits bei der frühen Konzeption der Liebe – die nun nicht mehr bloß (wie bei unseren Erläuterungen im Teil II) als relationale Darstellung der anderen Natur aufzufassen wäre, sondern als die vollkommene Durchsetzung der relationalen Auffassung des Sittlichen durch deren Vermittlung mit der arelationalen. Von der Liebe ausgehend konnte Freiheit hauptsächlich mit der relationalen Anteilnahme assoziiert werden, die sich der modernen Gleichgültigkeit entgegensetzte; und Gleichheit hauptsächlich mit einer der modernen Herrschaft entgegenstehenden symmetrischen gemeinschaftsstiftenden Gegenseitigkeit. Da allerdings beide Aspekte nicht als voneinander unabhängig zu betrachten sind und erst in der Relation der Anerkennung VWDWW¿QGHQVLQGVLHEHLGHZHQQDXFKPLWXQWHUVFKLHGOLFKHU%HWRQXQJ VRZRKO der Gleichgültigkeit als auch der Herrschaft entgegengesetzt. Der Unterschied zwischen den daraus resultierenden kommunikativen Konzeptionen und den modernen abstrakten Begriffen der Freiheit und der Gleichheit könnte, an unsere früheren Darstellungen anschließend, folgendermaßen veranschaulicht werden:
47 Denn obwohl die relationalen Versionen der abstrakten, modernen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit bei Hegel mit jener Verdoppelung normativer Maßstäbe bereits einen (relativen) Sittlichkeitscharakter erhalten hatten, war darin LPPHUQRFKGLHPRGHUQHDEVWUDNWHQRUPDWLYH%HJULIÀLFKNHLWGLHELVGDKLQQXU PLWGHUGH¿]LWlUHQ(EHQHGHU5HÀH[LRQ]XVDPPHQKLQJ]XHUNHQQHQ9JO7HLO II.1. dieser Untersuchung. 157
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Freiheit
Gleichheit
Abstrakte
Kommunikative
Gleichgültigkeit: Atomisierung
Nichtgleichgültigkeit: gegenseitige Anteilnahme
Herrschaft: Herrschaft des Subjekts
Nichtherrschaft: gegenseitige Anteilnahme
Gleichgültigkeit: Schweben des Allgemeinen
Nichtgleichgültigkeit: Anteil nehmende Gegenseitigkeit
Herrschaft: Zwang des Rechts
Nichtherrschaft: Anteil nehmende Gegenseitigkeit
Tabelle 5: Abstrakte und kommunikative Freiheit und Gleichheit $OOHUGLQJVN|QQHQZLUQXQMHZHLOVHLQHJHQDXHUH'H¿QLWLRQGHU%HJULIIHGHU kommunikativen Freiheit und der kommunikativen Gleichheit formulieren, welche die gewonnenen Einsichten besser auf den Punkt bringt als diese Darstellung, und ihre Implikationen verdeutlichen. =XQlFKVW ]X GLHVHQ 'H¿QLWLRQHQ (LQ JXWHU$XVJDQJVSXQNW IU JHQDXHUH 'H¿QLWLRQHQ GLH GLUHNWHU EHLP %HJULII GHU )UHLKHLW DQVHW]HQ LVW LP 5DKPHQ HLQHU MHQHU +HJHOGHXWXQJHQ ]X ¿QGHQ GHUHQ DXVGUFNOLFKHV ,QWHUHVVH LQ GHU Frage nach der Intersubjektivität von Hegels Ansatz liegt: Michael Theunissens Erläuterungen zur Intersubjektivität (für ihn zur »universalen Kommunikationstheorie«48) in Hegels Wissenschaft der Logik und in der Rechtsphilosophie, auf die oben bereits Bezug genommen wurde und welche gerade deshalb den Vorteil haben, mit Hegels Jenaer Ansätzen in direkten Zusammenhang gebracht werden zu können. Denn Theunissen bietet gerade für eine mögliFKH'H¿QLWLRQGHUkommunikativen Freiheit gute Vorschläge: Zentral für seine Deutung ist der Begriff einer kommunikativen Freiheit, der sich komplementär zum Begriff der Liebe verhalten soll. Allerdings lassen sich verschiedenen 6WHOOHQ VHLQHU ,QWHUSUHWDWLRQ QLFKW QXU HLQH VRQGHUQ VRJDU ]ZHL 'H¿QLWLRQHQ der kommunikativen Freiheit entnehmen. Ausgehend von diesen werde ich eine dritte, meiner Meinung nach angemessenere, Version vorschlagen. Die erste'H¿QLWLRQGHUNRPPXQLNDWLYHQ)UHLKHLWGLH7KHXQLVVHQLQSein und Schein anbietet, versteht Freiheit und Liebe, wie erwähnt, als komplementär. Während für ihn – offensichtlich im Anschluss an Hegels Rechtsphilosophie (vgl. W 7 § 7Z) – kommunikative Freiheit als »Im-Anderen-bei-sichselbst6HLQ© GH¿QLHUW LVW VHL Liebe als »Bei-sich-selbst-Sein-im-Anderen« zu verstehen.49 1XQ WULIIW GLHVH 'H¿QLWLRQ ]ZDU ZLFKWLJH $VSHNWH HLQHU .RQ]HSWLRQ GHU kommunikativen Freiheit wie die aus Hegels Jenaer Systementwürfen I, sie ist 48 Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, S. 46. 49 Vgl. Theunissen, ebd. S. 49. 158
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
aber nicht sehr präzis, bzw. nicht ausreichend. Theunissen scheint hier auf die Entgegensetzung abzustellen, die zwischen einer Betonung des Selbst bei der Freiheit und der Verbindung mit dem Anderen bei der Liebe besteht, und nicht auf den relationalen Charakter der Freiheit, der sich genau darauf bezieht, dass kommunikative Freiheit bereits beide Aspekte mit einschließt. In dieser Version wird also Freiheit zwar in Verbindung zum Anderen gesetzt; sie ist aber mit jenem Aspekt der Beziehung verbunden, der sich einseitig auf das Selbst bezieht; der Bezug zum Anderen wird eher der Liebe zugesprochen. Außerdem ist an dieser Deutung problematisch, dass Liebe in Entgegensetzung zu Freiheit aufgefasst wird – und nicht, wie aus Hegels Schriften offensichtlich, als jene Form, die zur relationalen Auffassung der Anerkennung führen wird. Wird Liebe (relational aufgefasst) als Vorläufer der Jenaer Anerkennung (und daher einer damit verbundenen Konzeption der Freiheit) verstanden, so lässt sich diesem Begriff nicht Freiheit entgegensetzen: Vielmehr ist kommunikative Freiheit – neben Gleichheit –, wie schon klar geworden sein dürfte, als ein Aspekt der Liebes- und Anerkennungsrelation aufzufassen. Darüber hinaus scheint die Gegenseitigkeit der Beziehung, selbst wenn wir die intersubjektive Beziehung als Zusammenhang von Freiheit und Liebe verstehen, nicht deutlich genug ausgedrückt. Die zweite'H¿QLWLRQkommunikativer Freiheit, die Theunissen – nun auch im Anschluss an Marx – an anderer Stelle vorschlägt, lässt diese Gegenseitigkeit deutlicher zutage treten, weist aber andere Probleme auf. Sie lautet: »Kommunikative Freiheit bedeutet, dass der eine den anderen nicht als Grenze, sondern als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt.«50
,QGLHVHU]ZHLWHQ'H¿QLWLRQVFKOLHW7KHXQLVVHQLPSOL]LWZRKODXFKDQHLQHDQdere Hegelstelle an: Es fällt auf, dass noch in der Differenzschrift – wo der normative Maßstab von Hegels Modernitätsdiagnose ja noch mit der griechischen Polis verbunden war – Hegel eine Charakterisierung der »höchsten Freiheit« bietet, die der von Theunissen offensichtlich nahekommt. Wie bereits zitiert: »[...] und die Gemeinschaft der Person mit anderen muß daher wesentlich nicht als eine Beschränkung der wahren Freiheit des Individuums, sondern als eine Erweiterung derselben angesehen werden. Die höchste Gemeinschaft ist die höchste Freiheit [...]« (W 2 82).
Hier wird Freiheit bei Theunissen nicht Liebe entgegengestellt, sondern von Anfang an als im Rahmen von Relationen zwischen »dem einen« und »dem 50 Vgl. Theunissen, ebd., S. 46. 159
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anderen« aufgefasst. Wichtig ist auch, dass die intersubjektive Relation mit dem Anderen nun ausdrücklich im Sinne der reziproken Ermöglichung einer Selbstverwirklichung ausgedrückt wird. Damit verdeutlicht sich in Theunissens Interpretation auch der Zusammenhang, der bei Hegel eindeutig zwischen der intersubjektiven Konstitution der Subjekte (und damit auch der epistemischen Frage nach Selbstbewusstsein, Identität etc.) und der impliziten (sozialethischen) Frage nach dem guten Leben besteht. Allerdings ist auch hier etwas problematisch. Es liegt offensichtlich im Sinne von kommunikativer Freiheit, »dass der eine den anderen« »als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung« erfährt. Dass »der eine den anderen nicht als Grenze« erfährt, impliziert nun allerdings eine Relation zum Anderen, welche die implizit vorhandene Möglichkeit von Gegenseitigkeit wiederum unterminiert: Damit überhaupt eine Relation VWDWW¿Qden kann, muss der eine den Anderen auch als Grenze erfahren. Den Anderen als Grenze wahrzunehmen ist ja Bedingung dafür, sich von ihm als Selbst abzugrenzen; ohne diesen Bezug zu den Grenzen wäre die hier vorhandene normative Freiheitsauffassung wieder als jene »höchste Gemeinschaft« zu verstehen, in welcher sich die »Einzelnheit« in Hegels früheren Deutungen der Sittlichkeit noch zu Anfang der Jenaer Zeit »vernichtete«. Damit fehlt in der ]ZHLWHQ'H¿QLWLRQ7KHXQLVVHQVJHUDGHGDVMHQLJHZDVLQVHLQHUHUVWHQ'H¿QLWLon exzessiv betont worden war: das Selbst als autonomes Subjekt der Freiheit. Ich möchte hier eine dritte 'H¿QLWLRQ YRQ kommunikativer Freiheit vorVFKODJHQGLHEHLGH'H¿QLWLRQHQ7KHXQLVVHQVLQJHZLVVHP6LQQHYHUELQGHW »Kommunikative Freiheit bedeutet, dass der eine den Anderen nicht nur als Grenze, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt.«
Damit soll nun explizit dasselbe ausgedrückt werden, was schon in unserer Bestimmung der kommunikativen Freiheit impliziert war: dass die kommunikative über die moderne individuelle subjektivitätszentrierte Freiheit im Sinne einer gemeinsamen Freiheit hinausgeht, ohne jene jedoch aus dem Auge zu verlieren: Die Möglichkeit, sich abzugrenzen, sich selbst zu bestimmen, auch Sitten infrage stellen zu können, ist ja nicht nur eine Voraussetzung für die Entstehung von Anerkennungsrelationen, sondern auch für Hegel offenbar eine nicht rückgängig zu machende Errungenschaft der modernen Welt, die mit der Autonomie des Subjektes zusammenhängt. So ist diese Freiheitskonzeption noch auf die subjektiven autonomen Relata der Anerkennungsrelation bezogen, insofern sie die Subjekte jener Haltung darstellen, um deren reziproke Selbstverwirklichung es hier geht. Es geht hier um eine autonome Selbstverwirklichung, die nur innerhalb intersubjektiver Relationen, und damit immer in relativer Abhängigkeit vom Anderen, möglich ist. 160
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1XQ N|QQHQ ZLU YRQ GLHVHU 'H¿QLWLRQ GHU kommunikativen Freiheit aus ]X HLQHU 'H¿QLWLRQ GHU kommunikativen Gleichheit selbst übergehen. Bereits GXUFKGLH'H¿QLWLRQHLQHUkommunikativen Freiheit zeigt sich, dass die individuelle (autonome) Selbstverwirklichung, die mit diesem Verständnis der Freiheit verbunden ist, nicht ohne die oder unabhängig von der Relation mit dem und den Anderen erreicht werden kann. Damit aber kommt die normative Bedeutung der dies ermöglichenden Relation selbst eindeutig zur Geltung – und damit auch die Bedeutung der Gleichheit für die Relation der Anerkennung. +LHUELHWHWVLFKDQYRQGHUGXUFKXQVPRGL¿]LHUWHQWKHXQLVVHQVFKHQ'H¿QLWLon der kommunikativen Freiheit auszugehen. In Verbindung damit möchte ich vorschlagen, kommunikative GleichheitIROJHQGHUPDHQ]XGH¿QLHUHQ »Kommunikative Gleichheit bedeutet, dass der eine und der andere die gegenseitige Relation zwischen ihnen nicht nur als abstraktes Band, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverwirklichung als gemeinsamer Selbstverwirklichung erfahren.«
Damit soll, wie schon bei der Freiheit, explizit ausgedrückt werden, was bereits in der Bestimmung der kommunikativen Gleichheit in unserer Tabelle impliziert war: dass die kommunikative Gleichheit über die moderne, bloß formale, abstrakte Gleichheit des Rechts in Richtung der Etablierung einer Gleichheit im Sinne der gemeinschaftsstiftenden Anteilnahme hinausging, ohne jene formale Gleichheit jedoch ganz aus dem Auge zu verlieren, die mit der Symmetrie der Beziehung verknüpft war. So liegt die Betonung bei der Konzeption der kommunikativen Gleichheit nicht wie bei der kommunikativen Freiheit auf den subjektiven Relata, sondern auf der Relation selbst: auf der Relation zueinander, die nicht nur als Folge einer abstrakten reziproken symmetrischen Begrenzung der Freiheit eines jeden dem Anderen gegenüber, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit einer gemeinsamen Selbstverwirklichung erscheint. Diese ist wiederum – und hier erscheint wieder der Bezug auf die individualisierenden »Grenzen« – gegenseitig, und impliziert damit Symmetrie in der Selbstverwirklichung. Die Betonung liegt nun aber nicht auf der individuellen Selbstverwirklichung, sondern auf deren gemeinsamem Charakter, also auf den intersubjektiven sittOLFKHQ.RQWH[W, der jene individuelle Selbstverwirklichung nicht auf eine externe, sondern auf eine interne Weise ermöglicht. Die Verfassung der Relation, welche beide autonomen Selbstverwirklichungen ermöglichen soll, ist dieser reziproken Selbstverwirklichung nicht gleichgültig, sondern wesentlich: Eine einseitige, asymmetrische Relation (wie eine, in welcher nur eins der subjektiven Relata sich autonom selbstverwirklichen könnte) würde im Gegenteil Herrschaft und keine Anerkennung bedeuten. Inwiefern der Begriff der Anerkennung auch normativ auf Gleichheit abzielt, zeigt sich also daran, dass diese 161
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Relation das Ziel nicht nur der (autonome) Selbstverwirklichung ermöglichenden individuellen Freiheit, sondern auch der Etablierung einer entzweiungsüberwindenden bzw. -kompensierenden, symmetrischen, in Hegels Sinne sittlichen Gemeinschaft vor Augen hat, ohne welche keine Selbstverwirklichung möglich ist; die Etablierung einer solchen Gemeinschaft (bzw. die Einsicht in die moderne Welt als Ausdruck des Sittlichen) war ja das ausdrückliche Ziel des gesamten hegelschen Unternehmens. Bevor wir aber zu den systematischen Folgen dieser Bestimmung kommunikativer Gleichheit übergehen, können wir schon auf eine weitere Konsequenz von Hegels intersubjektivistischem Ansatz aufmerksam machen: :LH DXV GHU 'H¿QLWLRQ GHU EHLGHQ NRPPXQLNDWLYHQ %HJULIIH VHOEVW EHUHLWV hervorgeht, vermittelt Hegels Konzeption einer Sittlichkeit, in welcher Individuum und sittlicher Kontext als gleichursprünglich erscheinen – d.h. miteinander versöhnt werden, ohne sich aufeinander zu reduzieren – nicht nur zwischen antiken und modernen Versionen jener beiden Begriffe, sondern auch zwischen den resultierenden Begriffen der kommunikativen Freiheit und der kommunikativen Gleichheit selbst. Insofern nun beiden Aspekten der Relation der Anerkennung das gleiche Gewicht zukommt und die Relation von beiden gleichermaßen abhängt, führt die Gleichursprünglichkeit von Individuum und sittlichem Kontext (d.h. die normativen Folgen eines auch normativ davon ausgehenden Ansatzes) offensichtlich zu einer Gleichursprünglichkeit der Begriffe der Freiheit und der Gleichheit selbst. Freiheit und Gleichheit erscheinen hier nicht mehr als voneinander »entzweit« – wie bei der Konzeption einer subjektiven Freiheit der individuellen Atome, über welchen das Band der rechtlichen Gleichheit als das abstrakte Allgemeine schwebte –; und es geht EHLGHUhEHUZLQGXQJMHQHUEHJULIÀLFKHQ(QW]ZHLXQJDXFKZLHGHUXPQLFKWXP jene Auffassung des Sittlichen, in welcher Freiheit und Gleichheit als eine Art undifferenzierter Freiheits-Gleichheits-Konzeption interpretiert werden konnte. Hier gibt es zwischen beiden Begriffen weder »Entzweiung« noch Identität, sondern eine Relation. So kann die Relation der Anerkennung auch als der Ort angesehen werden, wo die Versöhnung der zunächst aus der »Entzweiung« des Sittlichkeitsbegriffs selbst entstandenen modernen normativen Begriffe der Freiheit und der Gleichheit miteinanderVWDWW¿QGHWGLHDXIGLHVH:HLVHLQLKUHQ kommunikativen Versionen nun eine neue Konkretion erhalten. Damit wird genau der Sinn erkennbar, in dem von einer Gleichursprünglichkeit von Freiheit und Gleichheit gesprochen werden kann: Freiheit und Gleichheit verweisen aufeinander, und als wesentliche Aspekte der Anerkennungsrelation sind beide nicht aufeinander zu reduzieren. Im Gegensatz zu den modernen Freiheits- und Gleichheitskonzeptionen, bei denen, wie unsere Interpretationen von Hegels Kritik an abstrakter Freiheit und Gleichheit ergaben, ein Vorrang der Freiheit als normativer Begriff vor der Gleichheit als gleiche Freiheit zu verzeichnen war, ist hier keiner der beiden Begriffe auf den ande162
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ren zu reduzieren. Jene Gleichheit, die sich unmittelbar mit der Freiheit aller verband, lässt sich hier nicht mehr auf Freiheit zurückführen, sondern ist – und zwar gerade, indem Relationen eine normative Bedeutung erhalten, die jener der Relata vergleichbar ist – genauso relevant für die Normativität der Anerkennung wie Freiheit: Freiheit und Gleichheit sind als normative Begriffe ebenbürtig und setzen einander voraus. Für die Stellung der Freiheit in Hegels System ist dies eine relevante Einsicht. Denn es herrscht meistens Konsens darüber – und was Hegels System als Ganzes betrifft, ist dies tatsächlich nicht zu bestreiten – dass Freiheit der Leitbegriff von Hegels Philosophie ist. Wenn aber unsere Deutung stimmt, trifft dies für den intersubjektivitätstheoretischen Ansatz der Jenaer Systementwürfe I nicht ganz zu: Hier wäre von einem Gleichgewicht zwischen normativen Freiheits- und Gleichheitsauffassungen auszugehen, das nicht zu einem Vorrang der Freiheit führt – solange die intersubjektivistisch aufgefasste anerkennungsbezogene Relationalität des Systems ihren Vorrang vor der subjektiYLWlWV]HQWULHUWHQ5HÀH[LYLWlWEHZDKUHQNDQQ Im Sinne des möglichen systematischen Interesses an diesen Auffassungen wären aber eher andere damit verbundenen Konsequenzen relevant. Denn von einer intersubjektivistischen Prämisse wie der der Jenaer Systementwürfe I ausgehend lässt sich nicht auf den Vorrang normativer Maßstäbe schließen, die wie jene modernen Begriffe, die Hegel atomistisch nannte, einseitig auf Individualität und subjektive Freiheit bezogen sind: Freiheit lässt sich nicht von Gleichheit getrennt behandeln (aber auch nicht umgekehrt). Damit erhält Gleichheit als wesentlicher normativer Aspekt der Relation der Anerkennung – neben der Freiheit, aber nicht ihr untergeordnet – eine eigene normative Bedeutung: einen Eigenwert. Der Ausgang von einer intersubjektivistischen Auffassung des Sittlichen – wie jener Hegels in den Jenaer Systementwürfen I – verbietet also, der Freiheit als normativem Begriff einen Vorrang vor der Gleichheit zuzusprechen.
d) Kommunikative Freiheit, kommunikative Gleichheit und Anerkennung 1DFKGHPGLH'H¿QLWLRQHQGHUNRPPXQLNDWLYHQ)UHLKHLWE]Z*OHLFKKHLWIRUmuliert worden sind, können wir abschließend versuchen, sie etwas konkreter mit der normativen Bedeutung von Anerkennungsbeziehungen selbst zu verbinden. Freiheit und Gleichheit werden sich demnach als Aspekte jener Erwartungen, Ansprüchen und Verbindlichkeiten zeigen, die den normativen, sittlichen, Charakter von Anerkennungsrelationen ausmachen. Kommunikative FreiheitEH]LHKWVLFKXQVHUHUOHW]WHQ'H¿QLWLRQ]XIROJHDXI jenen Aspekt von Anerkennungsrelationen, die auf die Einsicht in die Bedeutung des jeweils Anderen für meine (autonome) Selbstverwirklichung abzielt 163
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(und damit auf die reziproke Bedeutung der so verbundenen Subjekte). Kommunikative Gleichheit bezieht sich demnach dagegen auf jenen Aspekt von Relationen, die auf die Einsicht in die Bedeutung der Relation selbst für die reziproke, gemeinsame (autonome) Selbstverwirklichung ihrer beiden subjektiven Relata abzielt. Hier geht es vor allem um die horizontale Anerkennung. Im Rahmen unserer Analyse der anerkennungstheoretischen Jenaer Schriften haben wir gesehen, wie die horizontale Anerkennung direkt an der Struktur festzumachen war, die unterschiedliche Stufen der Sittlichkeit (im System der Sittlichkeit) oder des Geistes (in den Jenaer Systementwürfen I und III) kennzeichnen sollte. Trotz der z.T. beträchtlichen Unterschiede zwischen diesen Ansätzen war es in allen drei Fällen möglich, verschiedene durch normativ aufgeladene relationale Verhältnisse konstituierte Kontexte zu erkennen, die als Anerkennungsverhältnisse zwischen Individuen gedeutet werden konnten. Hegel sah ja in diesen Schriften die Möglichkeit von horizontalen Anerkennungsbeziehungen grundsätzlich auf drei Ebenen, welche die moderne Gesellschaft kennzeichnen: die der Familie, die des Rechts und die der Konstitution (oder der absoluten Sittlichkeit, oder des Volkes).51 Dabei waren, wie gesehen, in den Entwürfen von 1803/04 und 1805/06, die nicht mehr – wie noch das System der Sittlichkeit – die natürliche Sittlichkeit, sondern das Bewußtsein zum Ausgangspunkt KDWWHQGHQVSH]L¿VFKHWKLVFKJHVHOOVFKDIWOLFKHQ9HUKlOWQLVVHQQRFKHEHQIDOOV relationale) Gestalten des vorgesellschaftlichen theoretischen und praktischen Geistes vorangestellt. Über dieser Struktur von Verhältnissen, teilweise als deren höchste Ebene, befand sich dann die als Ganzes zu betrachtende (absolute) Sittlichkeit bzw. das Volk oder die Konstitution. Von diesen drei Kontexten ausgehend, können wir nun versuchen, die BeGHXWXQJ XQVHUHU 'H¿QLWLRQHQ YRQ NRPPXQLNDWLYHU )UHLKHLW XQG *OHLFKKHLW konkreter zu bestimmen. Es ist schon ersichtlich, dass die Relation dieser sittlichen Kontexte untereinander von der Auffassung der vertikalen Anerkennung je nach Ansatz abhängig war. Aufgrund der Symmetrie im Verhältnis Ich-Wir, die sich in den Jenaer Systementwürfen I zeigte, waren diese Ebenen als ebenbürtige, nicht teleologisch aufeinander aufgebaute sittliche Kontexte des Wir zu verstehen – also als drei gleichwertige Sphären der Anerkennung.52 Ist nun kommunikative Freiheit als die autonome Selbstverwirklichung des intersubjektiv gebundenen Ichs in diesen drei Kontexten des Wir zu verstehen, so könnten wir diese als die Einsicht verstehen, dass der jeweils subjektive Andere in den Beziehungen der Familie, des Rechts und der Konstitution dasjenige ist, was unsere (autonome) Selbstverwirklichung in diesen Bereichen erst 51 Der Einfachheit halber benutze ich hier diese Kennzeichnung der drei hegelschen Sphären, deren Bezeichnung durch Hegel sich je nach Schrift teilweise ändert. 52 Vgl. Teil II.2.c dieser Untersuchung. 164
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ermöglicht. So können wir nun kommunikative Freiheit mit jenen normativen Erwartungen, Ansprüchen und Verbindlichkeiten der mit den jeweiligen Sphären der Anerkennung zusammenhängenden Sitten assoziieren, die (von mir ausgehend) den Anderen im Blick haben – und selbstverständlich umgekehrt. Das ist im Sinne dessen zu verstehen, was mit Bezug auf den Anderen innerhalb von Familien (oder einfach näheren Beziehungen), Rechtsverhältnissen und Relationen der Konstitution unserem sittlichen Verständnis nach erwartet oder gefordert werden kann: zum Beispiel ein besonderes Maß an Empathie in näheren Beziehungen, Loyalität in rechtlichen Vertragsverhältnissen, Wertschätzung anderer Gesellschaftsmitglieder im Bereich der Konstitution. Das alles hat die Abwesenheit von Gleichgültigkeit in den jeweiligen Beziehungen im Blick, die für Hegel eine Bedingung für Anerkennung war. Und Entsprechendes gilt auch für die kommunikative Gleichheit: Kommunikative Gleichheit erscheint also in jenen normativen Erwartungen, Ansprüchen und Verbindlichkeiten der mit den jeweiligen Sphären der Anerkennung assoziierten Sitten, welche die Verfassung der Relation selbst im Blick haben – im Sinne dessen, was mit Bezug auf die Relation innerhalb von näheren Beziehungen wie jenen der Familie, von Rechtsverhältnissen und Relationen der Konstitution unserem sittlichen Verständnis nach berechtigerweise erwartet oder gefordert werden kann: die Erwartung, dass zum Beispiel eben jene Empathie, Loyalität und Wertschätzung, die ich vom Anderen erwarte, im RahPHQJHJHQVHLWLJHUV\PPHWULVFKHU5HODWLRQHQVWDWW¿QGHW'LHVDOOHV]LHOWOHW]Wendlich auf die Abwesenheit von Herrschaft in den jeweiligen Beziehungen, die für Hegel ebenfalls eine Bedingung für Anerkennung war. So kommt damit ein normativer Aspekt der Anerkennungsbeziehung zur Geltung, der nicht auf jenen der kommunikativen Freiheit zu reduzieren ist: jener der Gleichheit. Die systematische Bedeutung des normativen Aspekts der Anerkennung, der hier mit der kommunikativen Gleichheit ausgedrückt wird, soll im nächsten Kapitel deutlicher zutage treten.
2. Kommunikative Gleichheit. Ein Aktualisierungsvorschlag
Nachdem sich im vorigen Abschnitt die Aktualisierbarkeit der kommunikativen Gleichheit im Rahmen von Hegels eigenem Ansatz zeigte, können wir zur Frage nach dem systematischen Interesse dieser Konzeption übergehen. Die Aktualität der kommunikativen Gleichheit wird sich nun, wie bereits angekündigt, durch den Rekurs auf zwei aktuelle Theorien der Gerechtigkeit (im weiten Sinne) zeigen: einerseits auf die Aktualisierung von Hegels Anerkennungstheorie durch Axel Honneth, die den besten Ausgangspunkt für unseren 165
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eigenen Aktualisierungsvorschlag darstellt; und andererseits auf die Gerechtigkeitstheorie von David Miller, die auch einen Zugang zu einer intersubjektiven Gleichheitskonzeption ermöglicht. Diese Verbindung bietet sich auch deshalb an, weil Honneth selbst auf das Bestehen eines möglichen Bezugs zwischen Millers Theorie und seiner eigenen aufmerksam gemacht hat.53 Mein Vorschlag dazu, wie sich beide Theorien verbinden lassen könnten, wird von Honneths Interpretation aber etwas abweichen. Im Folgenden werden zunächst kurz die zentralen Züge von Axel Honneths Anerkennungstheorie und deren Bezug zur Gleicheitsfrage einerseits (a) und von David Millers Gerechtigkeits- und Gleichheitskonzeption andererseits (b) skizziert, bevor ich den möglichen Bezug zwischen ihnen diskutiere, den Honneth selbst sieht (c). Da es mir hier nicht darum geht, die gesamten Theorien dieser beiden Autoren zur Diskussion zu stellen, sondern nur auf deren mögliche Verbindung einzugehen, werde ich mich bei der Darstellung auf das Wesentlichste beschränken. Dann werde ich meinen eigenen Vorschlag einer systematischen Aktualisierung der kommunikativen Gleichheit aus der Kombination dieser beiden Theorien erläutern, die, anders als Honneths Vorschlag, an Millers Konzeption einer sozialen Gleichheit statt an seiner Gerechtigkeitstheorie anknüpft (d). Schließlich soll in einem Exkurs kurz auf das Thema der möglichen Folgen dieser Gleichheitskonzeption für das Thema der Verteilungsgerechtigkeit eingegangen werden, das eigentlich schon jenseits unserer Absichten steht (e). Die kommunikative Gleichheit wird sich dabei als eine komplexe, aber egalitaristische Konzeption der Gleichheit zeigen, gerade indem die normative Bedeutung der Gleichheit als Relation hervorgehoben wird.
a) Kontexte der Anerkennung: Axel Honneths Anerkennungstheorie und die Frage nach der Gleichheit Der selbstverständliche Ausgangspunkt für die Aktualisierung einer normativen Konzeption, die aus Hegels Jenaer anerkennungstheoretischen Ansätzen gewonnen wird, ist die Theorie der Anerkennung, die Axel Honneth entworfen hat. Honneths Anerkennungstheorie ist heute wohl der relevanteste Versuch, von Hegels Jenaer intersubjektivistischen Ansätzen ausgehend eine zum Liberalismus und den daran anknüpfenden prozeduralistischen Theorien alternative Gerechtigkeitskonzeption zu formulieren.54 Allerdings ist in Honneths The53 Vgl. Axel Honneth: »Umverteilung als Anerkennung. Eine Erwiderung auf Nancy Fraser«, in: Nancy Fraser/Axel Honneth: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003, S. 129-224, hier 214. Ich bedanke mich bei Honneth für den Hinweis auf die mögliche Bedeutung von Millers Gleichheitskonzeption für mein eigenes Vorhaben. 54 So versteht Honneth seine eigene Theorie. Vgl. Axel Honneth: »Das Gewebe der Gerechtigkeit. Über die Grenzen des zeitgenössischen Prozeduralismus«. In: 166
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orie die Gleichheit gegenüber der Freiheit als normativem Begriff eindeutig sekundär. Hegels Konzeption der Anerkennung ist bekanntlich nicht nur von Honneth in verschiedenen Studien behandelt worden; ihr Potenzial für mögliche Aktualisierungen wurde im 20. Jahrhundert in unterschiedlichen Hinsichten erforscht. Schon in den 30er Jahren entwickelte Alexandre Kojève eine Deutung der so gennanten Herr-und-Knecht-Dialektik im Abschnitt A des Selbstbewusstseins-Kapitels der Phänomenologie des Geistes (vgl. W 3 145-155), die sehr bekannt und für die französische Hegel-Rezeption besonders relevant wurde.55 Eine andere, neuere Interpretation der hegelschen Anerkennung in den letzten Jahrzehnten geht auf Charles Taylor zurück, der diesen Begriff in den Kontext der Diskussion um den Multikulturalismus stellte;56 sie bestimmt z.T. noch die Weise, wie Hegels Begriff der Anerkennung in der angelsächsischen Welt verstanden wird.57 Allerdings beziehen sich diese Deutungen nicht direkt auf den Anerkennungsbegriff von Hegels Jenaer Schriften, in denen ja sein intersubjektivistischer Ansatz am deutlichsten zu erkennen ist.58 Eindeutig auf diese Schriften und auf das Thema der Intersubjektivität bezogen – und ein Bezugspunkt dieser Arbeit selbst – ist dagegen jene Untersuchungslinie, die vor allem auf Habermas’ Betonung der Bedeutung von Intersubjektivität in Hegels Jenaer Schriften zurückgeht59 und diese Konzeption direkter mit dem Begriff der Anerkennung in Beziehung stellt: So wurde Anerkennung von Ludwig Siep als das »Prinzip« dieser praktischen Philosophie
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Axel Honneth: Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie. Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 51-77. Vgl. Alexandre Kojève: Hegel, eine Vergegenwärtigung seines Denkens: Kommentar zur Phänomenologie des Geistes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988, v.a. S. 20-47. Zur Wirkung v.a. in Frankreich: S. Gwendoline Jarcyzk/Pierre-Jean Labarrière: De Kojève à Hegel. 150 ans de pensée hégeliénne en France. Paris: Albin Michel, 1996. Vgl. Charles Taylor: The Politics of Recognition. In: Amy Gutman (Hg.): MultiFXOWXUDOLVP([DPLQLQJWKH3ROLWLFVRI5HFRJQLWLRQ. Princeton: Princeton University Press, 1994. Vgl. auch die parallelen Beiträge in demselben Band. Dass dieses Verständnis der Anerkennung prägend ist, merkt man etwa daran, dass selbst Nancy Fraser in ihrer Diskussion mit Axel Honneth davon auzugehen scheint, dass Honneths Anerkennungsbegriff der der kulturellen Anerkennung ist. Vgl.: Nancy Fraser: »Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik. Umverteilung, Anerkennung und Beteiligung«, in: Fraser/Honneth: ebd., S. 13-128. Kojève bezieht sich ja ausdrücklich auf die Phänomenologie des Geistes, und auch Taylor stützt seine Darstellung der Anerkennung darauf. Vgl. A. Kojève, ebd.; und Charles Taylor: «The Politics of Recognition«. In: Amy Gutman (Hg.) 0XOWLFXOWXUDOLVP([DPLQLQJWKH3ROLWLFVRI5HFRJQLWLRQ S. 25-73, hier 36. Vgl. Jürgen Habermas: »Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ›Philosophie des Geistes‹«. In: ders.: Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1969, S. 9-47. 167
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bezeichnet, das in der Lage sei, die Konstitution sozialer Institutionen zu beschreiben und zu kritisieren;60 und von Andreas Wildt im Zusammenhang mit der Möglichkeit untersucht, Hegels Kantkritik im Sinne der Vorstellung einer ªQLFKWUHFKWVI|UPLJHQVSH]L¿VFK¾VLWWOLFKHQ½0RUDOLWlW©61 zu deuten. Darüber hinaus ist der Begriff der Anerkennung auch im Kontext anderer Fragestellungen untersucht worden.62 Die umfassendste Aktualisierung von Hegels Gedanken der Anerkennung und den Versuch, diesen Begriff für eine Gerechtigkeitstheorie heute fruchtbar zu machen, bietet aber Honneth. Implizit ebenfalls von Habermas’ Hervorhebung der Intersubjektivität in Hegels frühen Schriften ausgehend, entwickelte Honneth seit der Veröffentlichung von Kampf um Anerkennung 199463 eine Theorie der Anerkennung, die bereits eine bemerkenswerte Debatte um die theoretischen und praktischen Möglichkeiten dieses Begriffs eröffnet hat.64 'LHVH'HEDWWH¿QGHWGHXWOLFKMHQVHLWVGHU%HJUHQ]XQJGHV7KHPDVDXIGLHDXI Taylor zurückzuführende Frage nach dem Multikulturalismus statt: Neben der bereits von Habermas hervorgehobenen allgemeineren Bedeutung der Interaktion, die gewissermaßen im Hintergrund des Anerkennungsgedankens steht, geht es bei Honneth beim Begriff der Anerkennung vor allem darum, in dem weiter gefassten Kontext der intersubjektiven Bedingungen individueller Selbstverhältnisse und ihrer gesellschaftlichen Implikationen eine »normativ JHKDOWYROOH*HVHOOVFKDIWVWKHRULH©]X¿QGHQGLH.ULWHULHQIUHLQH*HUHFKWLJkeitskonzeption bieten könnte.65 Als echter Vertreter der kritischen Theorie der Frankfurter Schule sucht Honneth die Kriterien der Kritik der modernen Gesellschaft, auf welche sich seine »normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie«66 bezieht, in normativen Ansprüchen, die dieser Gesellschaft selbst immanent sind; und diese sind für ihn 60 Vgl. Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchung zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München 1979. 61 Andreas Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart 1982. 62 So ist die hegelsche Anerkennung z.B. von Thomas M. Schmidt mit Hinblick auf ihre Möglichkeiten für die Entwicklung eines philosophischen Gottesbegriffs untersucht und in der Pädagogik von Edith Düsing im Zusammenhang mit der Frage nach der Entwicklung des Selbstbewusstseins betrachtet worden. Vgl. Thomas M. Schmidt: Anerkennung und absolute Religion. Frankfurt/M: Frommann-Holzboog, 1997; und Edith Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Köln: Jürgen Dinter, 1986. 63 Vgl. Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik soziaOHU.RQÀLNWH. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994. 64 Vgl. dazu z.B. die Beiträge vom 6\PSRVLXPRQ$[HO+RQQHWKDQG5HFRJQLWLRQ in Inquiry 45/4 (2002), S. 433-519. Oder den Schwerpunkt Anerkennung in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie, Berlin 53 (2005) 3, S. 377-478. 65 Vgl. A. Honneth: ebd. S. 7. 66 Ebd. 168
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LQGHQLQWHUVXEMHNWLYHQ5HODWLRQHQGHU$QHUNHQQXQJ]X¿QGHQ,P$QVFKOXVV an die Konzeption des Kampfes um Anerkennung, die an Hegels Jenaer Schriften festzumachen ist, sich aber auch auf andere sozialpsychologische, psychoanalytische und philosophische Theorien beziehend, entwickelte Honneth in seiner gleichnamigen Arbeit die Grundlagen seiner als – wie im Untertitel des :HUNHV EH]HLFKQHW ± ª*UDPPDWLN VR]LDOHU .RQÀLNWH© YHUVWDQGHQHQ 7KHRULH der Anerkennung (und des Kampfes um diese). Obwohl Honneth später auch die Theorie der modernen Gesellschaft, die Hegel implizit in seiner Rechtsphilosophie darstellte, zur Entwicklung seines eigenen Ansatzes hinzugezogen hat,67 blieben die Grundstrukturen seiner früheren Fassung einer Anerkennungstheorie weitgehend erhalten. Die Relation der Anerkennung lässt sich nach Honneth normativ sowohl mit der Individuierung und »moralische[n] Sozialisation der Subjekte« verbinden, als auch mit der »moralische[n] Integration der Gesellschaft«, die als ein Prozess der Inklusion verstanden werden kann.68 Honneth geht von Hegels Dreiteilung von Anerkennungsmustern aus, die, wie gesehen, in allen seinen Jenaer anerkennungstheoretischen Schriften zu erkennen war: der ersten Ebene der Anerkennung in der Familie, der zweiten, die mit der rechtlichen Anerkennung und der als bürgerliche Gesellschaft zu bezeichnenden Sphäre zusamPHQ¿HOXQGGHUGULWWHQXQGOHW]WHQ(EHQHGHUabsoluten Sittlichkeit, des Volkes oder der (weit gefassten) Konstitution des Staates. Hegels drei sittliche Ebenen der Anerkennung fungieren auch für Honneth als die Struktur seiner Theorie der modernen Gesellschaft:69 Honneth bezeichnet die verschiedenen Sphären dieser dreiteiligen, aber nicht teleologisch gebauten Struktur konkreter »Muster«70 der subjektiven Anerkennung, jeweils als die der Liebe, des Rechts und der Solidarität (oder auch der Wertschätzung bzw. später Leistung).71 Fundamental für Honneths Gerechtigkeitstheorie ist diese dreiteilige Anerkennungsstruktur zunächst aufgrund ihres Bezugs zur Frage nach der individuHOOHQ,GHQWLWlWE]Z6HOEVWYHUZLUNOLFKXQJ+RQQHWK¿QGHWLQGHQ(QWVWHKXQJVbedingungen gelungener individueller Selbstverhältnisse – was auch heißt, der Ermöglichung ihrer Selbstverwirklichung72 – einen angemessenen Ausgangs67 Vgl. Axel Honneth: Leiden an Unbestimmtheit. Stuttugart: Reclam, 2001; und ders.: Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin: Suhrkamp, 2011. 68 Vgl. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 204. 69 Vgl. zuerst A. Honneth: Kampf um Anerkennung, v.a. S. 148ff. Ich stelle hier ein Bild von Honneths Anerkennungstheorie dar, das teilweise Entwicklungen seiner Konzeption, die erst in späteren Werken erscheinen, vorwegnimmt. 70 Vgl. A. Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 148. 71 Vgl. ebd. Die Bezeichnung »Leistung« für die dritte Sphäre erscheint z.B. in: ders.: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 162. 72 Honneth benutzt unterschiedliche Ausdrücke für das, was durch die Anerkennung ermöglicht werden soll. Da aber die ganze Theorie auf eine (formale) Sittli169
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punkt für die Beurteilung des gerechten Charakters der modernen Gesellschaft und erkennt diese Bedingungen der individuellen Selbstverwirklichung gerade in jenen drei Formen der Anerkennung. Dabei umfasst das »Muster« der Liebe für Honneth die Sphäre intimer Beziehungen, einschließlich etwa der Freundschaft, die der Anerkennung der subjektiven Bedürfnis- und Affektnatur des Individuum entspricht; die des Rechts bezieht sich auch für Honneth auf das Recht selbst, wobei die moralische Zurechnungsfähigkeit anerkannt wird; und die der Solidarität ist auf die Anerkennung besonderer Fähigkeiten und Eigenschaften bezogen, die als Beiträge zur eigenen sozialen Wertegemeinschaft angenommen werden können;73 wie von Honneth in späteren Texten noch weiterentwickelt, bezieht sich in modernen kapitalistischen Gesellschaften dieses Muster der Anerkennung vor allem auf die Sphäre der Arbeit.74 Der Maßstab zur Bestimmung der Gerechtigkeit einer Gesellschaft liegt dementsprechend für Honneth in der Erfüllung der Anerkennungsansprüche eines Individuums auf jenen drei Ebenen, auf denen ein Individuum drei Formen von gelungenen Selbstverhältnissen bilden kann: jeweils das Selbstvertrauen, die Selbstachtung und die Selbstschätzung, die unentbehrlich für eine unverzerrte Identitätsbildung in der modernen Welt sind.75 Damit kann Honneth umgekehrt Kriterien für eine »normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie«76 entwickeln: Die Nichterfüllung der Ansprüche auf Anerkennung, die sich auf den verschiedenen Ebenen artikulieren, drückt sich für ihn in unterschiedlichen, den drei Anerkennungsmustern entsprechenden Formen von MissachtungDXVGLH]XVR]LDOHQ.RQÀLNWHQPRWLYLHUHQN|QQHQXQG sich jeweils als Vergewaltigung, Entrechtung und Entwürdigung kennzeichnen lassen.77 So ergibt sich eine Gerechtigkeitstheorie, die trotz ihrer Weiterentwicklung so nah an Hegels eigenem Ansatz steht, dass es auf der Hand liegt,
73 74
75 76 77
ckeitskonzeption hinausläuft, lässt sich das Ziel der Anerkennung in der Idee der (autonomen) Selbstverwirklichung (d.h. auch der Frage nach dem (gerechten) guten Leben) wie implizit schon bei Hegel verstehen. Ich bevorzuge deshalb diesen Ausdruck gegenüber jenen der »Autonomie«, »Identität, »Integrität«, die bei Honneth auch benutzt werden. Vgl. zur Sittlichkeitskonzeption: Honneth, Kampf um Anerkennung, S. 274-287. Und zu den verschiedenen Begriffen: Axel Honneth, »Antworten auf die Beiträge der Kolloquiumsteinehmer«, in: Christop Halbig, Michael Quante (Hg.): $[HO+RQQHWK6R]LDOSKLORVRSKLH]ZLVFKHQ.ULWLNXQG Anerkennung. Münster: Lit Verlag, 2004, S. 99-121, hier 112. Zu einem Überblick vgl. das Schema in Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 211. Vgl. auch die neuere Bestimmung der Arbeit in: Honneth: «Arbeit und Anerkennung«, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 56 (2008) 3, S. 327-341. Wieder abgedruckt in: Axel Honneth: Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie. S. 51-77. Vgl. Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 274-287. Vgl. ebd. S. 148. Vgl. ebd. S. 212-225.
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sie auch für die Überprüfung der zeitgenössischen Möglichkeiten der kommunikativen Gleichheit als Ausgangspunkt zu nehmen. Hier ist allerdings darauf aufmerksam zu machen, dass nicht die Frage nach der Gleichheit, sondern die nach der Freiheit im Zentrum von Honneths normativem Interesse innerhalb seiner Anerkennungstheorie steht. Zwar versteht Honneth seine Theorie der Anerkennung im Prinzip als einen egalitaristischen Ansatz: Schon in Kampf um Anerkennung kennzeichnet er seine Idee einer »posttraditionalen, demokratischen Sittlichkeit« als das »Ideal einer Gesellschaft«, das sowohl Hegel als auch Mead vor Auge gehabt hätten, »in der sich die universalistischen Errungenschaften der Gleichheit und des Individualismus dermaßen in den Interaktionsmustern niedergeschagen haben, daß alle Subjekte als zugleich autonome und individuierte, als gleichgestellte und GRFKEHVRQGHUH3HUVRQHQ$QHUNHQQXQJ¿QGHQ©78
Daher beschreibt Honneth in Kampf um Anerkennung das Entwicklungspotenzial der Anerkennungsebene, die er hier als »soziale Wertschätzung« kennzeichnet, einerseits als Individualisierung, andererseits ausdrücklich als Egalisierung.79 Und auch in anderen Kontexten der honnethschen Schriften erscheint ein Bezug zur Gleichheit: In Anerkennung oder Umverteilung? kennzeichnet er die »historisch entstandene Anerkennungsordnung der modernen Gesellschaft als normative Voraussetzung einer egalitären Gerechtigkeitskonzeption«.80 Allerdings bezieht Honneth seine Auffassung dessen, worauf die Anerkennung abzielt – also der Selbstverwirklichung, die hinter den drei Mustern der Anerkennung steht –, ausdrücklich hauptsächlich auf Freiheit. Nach der Auffassung, die in seinem Werk überwiegt, spricht Honneth der Gleichheit offensichtlich eine sekundäre Bedeutung zu: Insofern er dazu tendiert, SelbstYHUZLUNOLFKXQJ PLW )UHLKHLW ]X LGHQWL¿]LHUHQ 81 reduziert er Gleichheit auf einen der drei Aspekte der Ermöglichung von Freiheit. Neben die normative 78 Vgl. ebd. S. 281 79 Vgl. ebd. S. 211 80 Vgl. A. Honneth: »Die Pointe der Anerkennung. Eine Entgegnung auf die Entgegnung«, in: Nancy Fraser/Axel Honneth: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003, S. 271-305, hier 302. 81 Vgl. auch hier A. Honneth: »Antworten auf die Beiträge der Kolloquiumsteinehmer«, S. 112: »Vom Anfang an habe ich den Begriff der ›Selbstverwirklichung‹ LQ GHP P|JOLFKVW QHXWUDOHQ NXOWXUXQVSH]L¿VFKHQ 6LQQ YHUZHQGHQ ZROOHQ >@ um Verwechslungen mit der besonderen Bedeutung zu vermeiden, die der BeJULIIGXUFKGDVURPDQWLVFKH$XWKHQWL]LWlWVLGHDOHUKDOWHQKDWKDEHLFKKlX¿JQRFK formalere Begriff wie den der ›persönlichen Integrität‹ oder den der ›Autonomie‹ benutzt. Bei der Verwendung all dieser Begriffe sollte aber stets jeder Aspekt der 171
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Bedeutung des Gleichheitsgrundsatzes in modernen Gesellschaften, den er hauptsächlich mit der Anerkennungsebene des Rechts verbindet, stellt Honneth üblicherweise die Liebe und die Leistung als zwei weitere, nicht egalitäre »Prinzipien der Gerechtigkeit«,82 die jeweils mit jenen zwei anderen Ebenen der Selbstverwirklichung korrelieren. Honneths Betonung der Freiheit ist besonders deutlich im Kontext der Debatte zu erkennen, die zwischen ihm und Nancy Fraser um »Umverteilung und Anerkennung« stattfand.83 Diese Debatte ging ursprünglich von einer Kritik aus, die Fraser an Honneths Anerkennungstheorie geübt hatte. Es ging Fraser grundsätzlich darum, Honneths Konzeption von Anerkennung – die sie, offensichtlich irrtümlicherweise, mit einer »kulturalistische[n] Auffassung der Verteilungsgerechtigkeit« assoziierte –84 die Vorstellung einer »zweidimensionalen« Gerechtigkeit entgegenzusetzen, die Anerkennung und eine mit Gleichheit verbundene Umverteilung als ihre zwei Dimensionen hätte; diese Vorstellung verstand Fraser als das Modell einer »partizipatorischen Parität«.85 Gegen Frasers Betonung der Distributionsfrage dabei machte Honneth die »Pointe« der Anerkennung in dem Versuch deutlich, Gesellschaftstheorie und Gerechtigkeitskonzept zu verbinden durch die Anknüpfung, statt an DistributionsSUREOHPH DQ GDV 8QUHFKWVHPS¿QGHQ GHU %HWURIIHQHQ86 Honneth erläuterte dabei, dass nach seinem Verständnis alle Erfahrungen von Unrecht, auch was so genannte Distributionsfragen angeht, aus Missachtungserfahrungen entstehen – also aus einem Mangel an Anerkennung eines der Aspekte der Freiheit, die für ihn mit der modernen Selbstverwirklichung zusammenhängen.87 Die Bedeutung der Gleichheit als normativer Konzeption – die allerdings bei Fraser nur als Aspekt von Distributionsfragen auftauchte – verband Honneth auch hier mit der Anerkennungsebene des Rechts und bezog sie damit wieder auf eines der drei Gerechtigkeitsprinzipien, die er in der modernen Gesellschaft sieht. Da Honneths drei Prinzipien alle auf Anerkennung abzielen, verteidigte
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›Freiheit‹ im Zentrum stehen, der gemeint ist, wenn von einer ›ungestörten Verwirklichung‹ der eigenen Persönlichkeit gesprochen wird.« Honneth: »Die Pointe der Anerkennung«, S. 302. Vgl. Nancy Fraser/Axel Honneth: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003. Vgl. Nancy Fraser, »Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik. Umverteilung, Anerkennnung und Beteiligung«, in: Nancy Fraser/Axel Honneth: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003, S. 13-128, hier S. 52: »Axel Honneth etwa setzt eine reduktive kulturalistische Auffassung der Verteilungsgerechtigkeit voraus.« Ebd. S 54. Vgl. A. Honneth, »Die Pointe der Anerkennung«, S. 304. Vgl. A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 177f.
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er gegen Fraser einen »anerkennungstheoretischen Monismus«,88 was Gerechtigkeitsfragen anbelangt.89 Hier ist allerdings noch zu erwähnen, dass sich an einigen Stellen von HonQHWKV'HEDWWHPLW)UDVHUGRFKHLQLJH+LQZHLVHGDUDXI¿QGHQGDVVHUGLH0|JOLFKkeit, der Gleichheit eine stärkere normative Bedeutung zuzusprechen, zumindest in Erwägung gezogen hat. Diese Hinweise erscheinen etwa bei einigen hEHUOHJXQJHQ ]XU .RQ]HSWLRQ HLQHU ªK|KHUVWX¿JHQ *OHLFKKHLW© GLH ªEHU© den drei Verteilungssphären zu verorten wäre90 und als die Forderung zu verstehen sei, »dass es alle Subjekte gleichermaßen [Hervorhebung von mir – MMSM] verdienen, je nach Art der sozialen Beziehung in ihrer Bedürftigkeit, ihrer rechtlichen Autonomie oder ihren Leistungen anerkannt zu werden.«91 Auch in einem späteren Aufsatz, in welchem Honneth zum ersten Mal ausdrücklich näher auf das Thema der Gleichheit eingeht, verbindet er eine entsprechende Gleichheitskonzeption mit einem »übergreifenden Egalitarismus, den auch Hegel für die zentrale Herausforderung der Moderne« gehalten habe.92 An diesen Gedanken anknüpfend hätte Honneth offensichtlich die Bedeutung der Gleichheit in seiner Anerkennnungstheorie deutlicher zur Geltung bringen können – und zwar in einem Sinne, der sehr nah an unserer Konzeption einer kommunikativen Gleichheit stünde: Honneth gelangt dort zum GeGDQNHQHLQHVVROFKHQ(JDOLWDULVPXVGXUFKHLQH5HÀH[LRQEHUGLH)ROJHQHLQHU auf Gegenseitigkeit gegründeten kommunikativen Konzeption der Freiheit für die Gerechtigkeit.93 Allerdings scheinen diese Überlegungen keine weiterreichenden Folgen für die Entwicklung seiner Theorie gehabt zu haben, was den Vorrang der Freiheit als des normativen Gehalts der Anerkennung angeht. Im Gegenteil: Im 2011 veröffentlichten Band Das Recht der Freiheit behauptet Honneth, «die Freiheit im Sinne der Autonomie des einzelnen« sei der einzige ethische Wert, der »dazu angetan [war], deren [der modernen Gesellschaft] institutionelle Ordnung auch tatsächlich nachhaltig zu prägen.«94 Über die Gleichheit behauptet er dort in einer Fußnote ausdrücklich: ª'LH,GHHGHU¾*OHLFKKHLW½VLFKHUOLFKHLQÀXUHLFKXQGZLUNPlFKWLJEHWUDFKWHLFK im folgenden nicht als einen eigenständigen Wert, weil sie nämlich nur verstanden
88 89 90 91 92
Vgl. A. Honneth: »Die Pointe der Anerkennung«, S. 273. Vgl. N. Fraser: »Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik«, S. 54. Vgl. A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 216. Ebd. S. 215. Axel Honneth: »Gerechtigkeit und kommunikative Freiheit. Überlegungen im Anschluss an Hegel«. In: Merker, B./Mohr, G./Quante, M. (Hg.): Subjektivität und Anerkennung. Paderborn: Mentis, 2004, S. 213-227, hier 225. 93 Vgl. ebd. S. 214ff. 94 Vgl. A. Honneth: Das Recht der Freiheit, S. 35. 173
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werden kann, wenn sie als Erläuterung des Werts der individuellen Freiheit begriffen wird: daß deren Vollzug allen Mitgliedern moderner Gesellschaften gleichermaßen zusteht. Alles, was sich über die Forderung sozialer Gleichheit aussagen läßt, erhält daher einen Sinn nur durch den Bezug auf individuelle Freiheit.«95
Wenn dem so ist, müssen für die uns beschäftigende Frage nach den systematischen Möglichkeiten einer intersubjektivistischen Auffassung der Gleichheit zu Honneths Anerkennungskonzeption noch andere Gerechtigkeitstheorien hinzugezogen werden.
b) Sphären der Gleichheit: Millers Gerechtigkeits- und Gleichheitskonzeption Einen guten Ausgangspunkt für die Aktualisierung einer Gleichheitskonzeption, die von sozialen Relationen wie derjenigen der Anerkennung ausgeht, bietet die Gerechtigkeits- und Gleichheitstheorie von David Miller. Gegenüber anderen Ansätzen hat jener von David Miller den Vorteil, relativ kompatibel mit Honneths Anerkennungstheorie zu sein: Honneth hat selbst auf mögliche Bezüge zwischen seinem eigenen Ansatz und Millers Gerechtigkeitstheorie aufmerksam gemacht.96 Millers Konzeptionen der Gerechtigkeit und der Gleichheit lassen sich sowohl seinem 1999 auf Englisch erschienenen Werk Grundsätze sozialer Gerechtigkeit97 als auch seiner Auseinandersetzung mit Michael Walzers Gerechtigkeitstheorie98 – von deren Kritik Miller für seine Gleichheitsauffassung ausgeht – und anderen seiner Schriften entnehmen.99 Allerdings beziehen sich seine Konzeption der sozialen Gleichheit und die der Gerechtigkeit auf unterschiedliche Sachverhalte: Einerseits vertritt Miller eine pluralistische Auffassung der distributiven Gerechtigkeit, die auf die Hervorhebung von drei Verteilungsprinzipien hinausläuft, wovon eines das der distributiven Gleichheit
95 Ebd. S. 35, Anm. 1. 96 Vgl. A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung. Eine Erwiderung auf Nancy Fraser«, S. 214ff. 97 David Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt/New York: Campus, 2008. 98 Vgl. David Miller: «Complex Equality« in: David Miller/Michael Walzer: Pluralism, Justice, and Equality. Oxford: Oxford University Press, 1995, S. 197225. Zu Walzers Theorie vgl. Michael Walzer: Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality. New York: Basic Books, S. 198. 99 Wie David Miller: »Equality«, in: G.M.K. Hunt (Hg.): Philosophy and Politics. Cambridge: Cambridge University Press, 1990, S. 77-98. 174
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ist.100 Andererseits behauptet Miller den normativen Wert einer Auffassung der Gleichheit, die diese nicht als distributives Prinzip, sondern als Relation versteht. Diese letzte Gleichheitsform nennt er »soziale« oder auch Statusgleichheit;101 er versteht sie als einen konkreten Zug sozialer Relationen.102 Hier ist besonders relevant zu betonen, dass – obwohl Gleichheit als eines der drei distributiven Prinzipien auch innerhalb seiner Gerechtigkeitstheorie einen Platz hat – die distributive Gleichheit bei Miller nicht mit der sozialen zu verwechseln ist: Soziale Gleichheit und distributive GerechtigkeitsprinziSLHQ N|QQHQ ODXW 0LOOHU VRJDU LQ .RQÀLNW PLWHLQDQGHU WUHWHQ103 Eine Brücke zwischen der Gleichheit als distributivem Prinzip und der sozialen oder Statusgleichheit wird sich allerdings insofern ergeben, als Miller die soziale Gleichheit als eine komplexe Gleichheit versteht, die auf die unterschiedlichen, nicht notwendigerweise egalitären, Verteilungssphären bezogen ist. Zunächst zu Millers Gerechtigkeitstheorie. Miller entwickelt seine Konzeption der sozialen Gerechtigkeit in Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. Obwohl er sich dort von anderen Auffassungen der Verteilungsgerechtigkeit abgrenzt und davor warnt, den Gedanken der »Verteilung« zu wörtlich zu nehmen,104 geht es bei seiner Konzeption doch um die Distribution von Gütern, d.h. von »Vorteilen« (z.B. »Geld und Güter, Vermögen, Arbeitsplätze und Ämter, Bildung, medizinische Versorgung, Kindergeld und Kinderbetreuung, Auszeichnungen und Preise, persönliche Sicherheit, Wohnung, Transportmöglichkeiten und Freizeitgelegenheiten«105) und »Nachteilen oder Belastungen« (z.B. ª0LOLWlUGLHQVWKDUWHJHIlKUOLFKHRGHUHUQLHGULJHQGH$UEHLWVRZLH3ÀHJHDOWHU Menschen«106). Ausgangspunkt seiner Konzeption einer Verteilungsgerechtigkeit sind allerdings weder ein abstraktes Prinzip noch eine Prozedur, sondern die alltäglichen Ansichten zur sozialen Gerechtigkeit, die er hauptsächlich empirischen Untersuchungen entnimmt und die sich im alltäglichen Vollzug der Verteilung innewohnender Distributionsprinzipien ausdrücken.107 Sein Ziel in GLHVHP %XFK VHL HV VR 0LOOHU ªKHUDXV]X¿QGHQ ZHOFKH *UXQGVlW]H GLH JHwöhnlichen Menschen heranziehen, um einen Aspekt ihrer Gesellschaft als gerecht oder ungerecht zu beurteilen, und dann zu zeigen, dass diese Grundsätze, sowohl einzeln als auch zusammengenommen, kohärent sind.«108
100 Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, Kap. 2 »Entwurf einer Gerechtigkeitstheorie«, S. 62-83 gibt einen Umriss seiner Theorie. 101 Vgl. D. Miller, ebd. S. 284f. und 292ff. 102 Vgl. ebd. S. 67. 103 Vgl. D. Miller: «Complex Equality«, S. 197. 104 Vgl. D. Miller, Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 52. 105 Ebd. S. 48. 106 Ebd. 107 Ebd. S. 39. 108 Ebd. 175
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Durch die Betrachtung solcher Praktiken und Meinungen zur Gerechtigkeit kommt Miller zu drei Verteilungsgrundsätzen: Bedarf, Verdienst, Gleichheit.109 Jeder dieser Grundsätze hat nach Miller einen eigenen Geltungsbereich, der einer »Grundform sozialer Beziehung«110 entspreche: In solidarischen Gemeinschaften (wie der Familie oder eher kleinen Gruppen, aber auch in weiteren Kreisen wie einer Kultur oder einer Nation) sei Bedarf das zentrale Verteilungsprinzip,111 in Zweckverbänden (wie für ihn in Arbeitsverhältnissen) das Verdienst;112 und in der eher formal aufgefassten Staatsbürgerschaft die Gleichheit.113 So wird von Gesellschaftsmitgliedern einigermaßen spontan je nach Kontext entschieden, wie jene Vorteile und Nachteile verteilt werden sollen, was Miller auch für normativ zu rechtfertigen hält (z.B. Auszeichnungen nach Verdienst in den Zweckgemeinschaften, medizinische Fürsorge nach Bedarf in solidarischen Gemeinschaften, Rechte nach Gleichheit in der Staatsbürgerschaft). Auf dieser Basis ergibt sich eine plurale Gerechtigkeitstheorie, auf jene drei Prinzipien bezogen, die auch konkret vorhandenen Gerechtigkeitskonzeptionen entsprechen sollen. Nun beschränkt sich die Bedeutung der Gleichheit bei Miller nicht darauf, dasjenige der drei Prinzipien der distributiven Gerechtigkeit zu sein, das sich auf die Staatsbürgerschaft bezieht. Wie erwähnt, behauptet Miller die Existenz zweier Formen normativer Gleichheit: Neben der distributiven Gleichheit, die der Staatsbürgerschaft und dem Recht entspricht, gibt es für Miller eine soziale Gleichheit, die er als Statusgleichheit versteht. Die distributive Gleichheit ist jene, die in Millers pluralistischer Gerechtigkeitstheorie eins der drei Prinzipien darstellt; die soziale oder Statusgleichheit bezieht sich für Miller dagegen auf »den allgemeinen Charakter einer Reihe sozialer Beziehungen« (»the overall character of a set of social relationships«),114 die er als »eine klassenlose Gesellschaft« (»a classless society«)115 bezeichnet, insofern Status von ihm als »die grundsätzliche Stellung einer Person innerhalb der Gesellschaft« (»a persons basic standing within society«)116 verstanden wird. Während die erste »individualistisch« sei, ist die zweite für ihn »holistisch«.117 Eine Gesellschaft, in der Statusgleichheit in Millers Sinne verwirklicht wäre, stellt für ihn »ein gesellschaftliches Ideal« dar, welches, im Gegensatz zur Gleichheit als Vertei-
109 110 111 112 113 114
Ebd. S. 40. Ebd. S. 67. Ebd. S. 68. Ebd. S. 69. Ebd. S. 73. Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 199. Die Übersetzungen der englischen Texte sind von mir. 115 Vgl. D. Miller: »Equality«, S. 97. 116 Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 206. 117 Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 285. 176
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lungsprinzip, tief verankert in unserer Gesellschaft sei:118 »das Ideal einer Gesellschaft«, in welcher die Individuen »einander als Gleiche respektieren und in der, anders ausgedrückt, die Menschen nicht hierarchisch kategorisiert und etwa nach sozialen Klassen sortiert werden«.119 Damit verbindet sich, dass VLHDXFKYRQGHQ|IIHQWOLFKHQ,QVWLWXWLRQHQGHU*HVHOOVFKDIWDOV*OHLFKHGH¿niert werden;120 der Hauptgegner dieser Konzeption wäre bei Miller also eine hierarchisierte (ranked) Gesellschaft.121 Millers Gerechtigkeitskonzeption und seine Auffassung der sozialen Gleichheit stehen aber nicht unvermittelt einander gegenüber, sondern beziehen sich dadurch aufeinander, dass Miller die soziale als eine NRPSOH[H Gleichheitsform betrachtet. Den Gedanken einer NRPSOH[HQ Gleichheit entnimmt Miller Michael Walzers Gerechtigkeitskonzeption, dessen Theorie er selbst diskutiert. In seiner Schrift Spheres of Justice122 war Walzers Absicht der Entwurf einer pluralistischen Gerechtigkeitsauffassung, und zwar in einem doppelten Sinne:123 im Sinne der Gemeinschaftsgebundenheit von Gerechtigkeitsprinzipien; und in dem Sinne, dass er vom Bestehen verschiedener, auf zu verteilende Güter bezogener »Sphären« der distributiven Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft ausgeht. Für Walzer entspricht jeder dieser Sphären insofern ein eigenes internes distributives Prinzip, als jedes Gut sein eigenes Prinzip besitzt.124 Walzer nennt elf Sphären dieser Art: Mitgliedschaft, Sicherheit und Wohlstand, Geld und Güter, Amt, harte Arbeit, Freizeit, Bildung, Verwandtschaft und Liebe, göttliche Gnade, Anerkennung und politische Macht.125 Im Kontext seiner Gerechtigkeitskonzeption verteidigt Walzer eine Auffassung der Gleichheit, die er NRPSOH[ nennt, im Kontrast zur liberalen einfachen Gleichheitskonzeption. Es ist wichtig zu betonen, dass Walzer die normative Bedeutung von Gleichheit ausdrücklich einsieht: Die Forderung nach Gleichheit ist für ihn der Herrschaft entgegengesetzt: »Das Ziel des politischen Egalitarismus ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft« (»The aim of political egali-
Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 293. Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 285. Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 207. Ebd. Vgl. Michael Walzer: Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality. New York: Basic Books 123 David Miller macht auf diesen doppelten Sinn von Walzers Pluralismus aufmerksam. Vgl. Miller, D.: »Introduction«, in: David Miller/Michael Walzer: Pluralism, Justice and Equality. S. 1-16, hier S. 3. 124 Vgl. M. Walzer, Spheres of Justice. S. 6. 125 Jede dieser Sphären wird in einem eigenen Kapitel behandelt: »Membership«, ª6HFXULW\ DQG ZHOIDUH© ª0RQH\ DQG FRPPRGLWLHV© ª2I¿FH© ª+DUG ZRUN© »Free time«, »Education«, »Kinship and love«, »Divine grace«, »Recognition«, »Political power«. Vgl. ebd. 118 119 120 121 122
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tarianism is a society free from domination«).126 Aber diese müsse durch eine komplexe Gleichheitsauffassung erfolgen, da »einfache Gleichheit nicht aufrechtzuerhalten« sei (»simple equality cannot be sustained«);127 das Ziel der Überwindung von Herrschaft sei durch seinen pluralischen Ansatz eher zu erreichen.128 Im Hintergrund dieser Annahmen steht also die Prämisse, dass eine pluralistische, kontextgebundene Gerechtigkeitsauffassung angemessener wäre als die liberalen. Zentral für Walzers Unterscheidung zwischen einer einfachen und einer NRPSOH[HQ Gleichheit ist der Unterschied zwischen Monopol (monopoly) und Dominanz (dominance). Dominanz in Walzers Sinne (nicht zu verwechseln mit Herrschaft, domination) bezeichnet ein Merkmal von zu verteilenden Gütern: »Ich nenne ein Gut dominant, wenn Individuen, die es besitzen, dadurch, dass sie es besitzen, eine Vielzahl anderer Güter beherrschen« (»I call a good dominant if the individuals who have it, because they have it, can command a wide range of other goods«).129 Das ist der Fall, wenn etwa der Besitz von (viel) Geld die Möglichkeit eröffnet, z.B. bessere Bildung oder politische Macht zu erkaufen. Monopol bezeichnet den Besitz oder die Kontrolle über soziale Güter, um deren Dominanz zu benutzen.130 Während nach Walzer die Verfechter einer einfachen Gleichheit sich der Überwindung von Monopolen widmen, sei die Absicht seiner Theorie die Verhinderung von Dominanz.131 Dafür formuliert er ein offenes Verteilungsprinzip (»open-ended distributive principle«): »Kein gesellschaftliches Gut X soll an Männer und Frauen verteilt werden, die ein anderes Gut Y besitzen, nur weil sie Y besitzen und ungeachtet der Bedeutung von X.«132
Eine Gesellschaft, die komplex egalitaristisch wäre, kennzeichnet Walzer dadurch, dass verschiedene gesellschaftliche Güter in verschiedenen Formen der Verteilung besessen werden, aber keins dieser Güter in andere Güter umgewandelt werden kann.133
126 Vgl. M. Walzer, Spheres of Justice. S. XIII. Auch ebd.: «Die Erfahrung von Unterordnung […] liegt hinter der Idee von Gleichheit« (»The experience of subordination […] lies behind the vision of equality«). 127 Ebd. S. 16. 128 Ebd. S. 17f. 129 Ebd. S. 10. 130 Ebd. S. 11. 131 Ebd. S. 17. 132 Ebd. S. 20: »No social good x should be distributed to men and women who possess some other good y merely because they possess y and without regard to the meaning of x.« 133 Ebd. S. 19f. 178
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
So geht es bei Walzers Gesellschaftskonzeption nicht darum, dass Güter an sich egalitär verteilt werden, sondern darum, dass das umfassendere Ergebnis der unterschiedlichen, innerhalb der jeweiligen Sphären nicht unbedingt egalitären Verteilungen einen Zustand herstellt, in dem im Großen und Ganzen eine Art Gleichgewicht herrscht: Individuum A mag viel Geld haben, erhält aber nicht schon deshalb etwa bessere Bildungschancen; B hat bessere Bildung, erhält aber nicht schon deshalb etwa politische Macht, usw. Zwar werden Güter in jeder Sphäre oft ungleich verteilt, aber das allgemeine Ergebnis ist, dass dank der Verhinderung von Übergriffen einer Sphäre auf die andere voraussichtlich kein Individuum in mehreren Sphären zugleich einen Vorrang haben wird (d.h. Reichtum bedeutet nicht auch besseren Zugang zu Bildung, politische Macht nicht bessere medizinische Versorgung, usw.), sodass sich keine Hierarchien bilden dürften. Insofern Individuen einen Vorrang in einer Sphäre erhalten können, aber nicht in mehreren gleichzeitig, ergibt sich dadurch jene Form von Gleichheit, die Walzer NRPSOH[ nennt. So wirkt die Verhinderung von Dominanz (dominance) durch die komplexe Gleichheit auch Herrschaft (domination) entgegen. Nun geht Miller in seinem Ansatz explizit von Walzers Konzeption einer komplexen Gleichheit aus, die er in einem Sinne reinterpretiert, den er selbst als »revisionistisch« kennzeichnet.134 Wie schon Walzer, meint Miller mit komSOH[ eine Gleichheitskonzeption, die sich nicht (wie die einfache Gleichheit) als die Forderung nach allgemeiner gleicher Verteilung eines X (wobei dieses ; ]X GH¿QLHUHQ ZlUH YHUVWHKHQ OlVVW VRQGHUQ DOV HLQ 1HEHQHIIHNW by-product) verschiedener voneinander getrennter Verteilungen, die auch nichtegalitär sein können.135 Aber Miller knüpft an Walzers Auffassung an, um sie in einem etwas egalitaristischeren Sinne zu vertiefen. Als Erstes interpretiert Miller den Sinn von Walzers Verteidigung der komplexen Gleichheit so, dass er das Ziel von dessen Konzeption nicht so sehr in der Verhinderung von Herrschaft (domination) sieht, sondern als die Idee der Statusgleichheit deutet,136 die in Walzers Gedanken einer »gleichen Staatsbürgerschaft« (»equal citizienship«) bereits erkennbar gewesen, aber unentwickelt geblieben sei.137 Daran knüpft er das Ziel seiner eigenen Konzeption, die sich als die einer komplexen Gleichheit verstehen lassen soll, die jedoch, anders als Walzers, eine Form von einfacher Gleichheit (eben »equality of citizenship«) voraussetzt.138
134 135 136 137
Vgl. D. Miller: »Equality«, S. 95. Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 198f. Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 206. Vgl. D. Miller: »Equality«, S. 95 Anm. 24. Auch Miller: «Complex Equality«, S. 205. 138 Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 198 Anm. 3. 179
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Die Vermittlung zwischen seiner eigenen pluralistischen Gerechtigkeitstheorie und seiner Auffassung der sozialen Statusgleichheit besteht nun darin, dass auch bei ihm, gemäß jenen drei Grundsätzen des Verdienstes, des Bedarfs und der Gleichheit, unterschiedliche, auch ungleiche Verteilungen von Gütern möglich sind – aber das umfassendere Ergebnis dieser Verteilungen soll die soziale Statusgleichheit, als eine komplexe Gleichheitsform, die sich auf soziale Relationen bezieht, sein: »Wo eine Gesellschaft viele getrennte Verteilungssphären anerkennt, werden die Individuen typischerweise in jeder Sphäre sehr unterschiedliche Positionen einnehmen. Einige werden Erfolg haben beim Geldverdienen, andere werden anerkannt als Künstler oder Wissenschaftler [...]. Da die Positionen untereinander nicht vergleichbar sind […], ist es von einem gesellschaftlichen Standpunkt aus nicht möglich, diese Individuen insgesamt untereinander zu hierarchisieren […]. Wo eine allgemeine Hierarchisierung nicht möglich ist, wird der individuelle Status nur von ihrer gemeinsamen Position als Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft abhängen.«139
Hier wird erkennbar, dass sich Millers Ansatz, wie der Walzers, vor allem der Idee einer hierarchisierten Gesellschaft widersetzt. Miller weicht allerdings in einem entscheidenden Punkt von Walzer ab: Seine Interpretation von Walzers Ziel als gleicher Staatsbürgerschaft stellt infrage, ob Walzers Verhinderung von Dominanz (dominance) ausreichend wäre, um die komplexe soziale Gleichheit herzustellen. Wenn es nur um Verhinderung von Dominanz ginge, wäre Walzers Egalitarismus nach Miller »sehr schwach«140 und würde »einen echten Egalitaristen wahrscheinlich nicht befriedigen« (sie sei »unlikelily to satisfy any egalitarian worth his salt«)141. Stattdessen schlägt Miller vor, neben der Dominanz sei auch die Überlegenheit (pre-eminence) eines Gutes zu vermeiden: die Situation, bei der eine Sphäre ]ZDU QLFKW GLH9HUWHLOXQJ LQ DQGHUHQ 6SKlUHQ EHHLQÀXVVW DEHU VR EHGHXWHQG geworden ist, dass die Stellung einer Person in ihr deren allgemeinere soziale Lage bestimmt.142 Dies sei in unserer Gesellschaft vor allem beim Geld der 139 Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 206f: »Where a society recognizes many separate spheres of distribution, individuals will characteristically rank very differently in the several spheres. Some will be successful at making money, others will achieve recognition as artists or scientists […]. Because the ranks are incommensurable with one another […], it is not possible from a social point of view to rank individuals against one another overall […]. Where overall ranking is impossible, the status of individuals depends only on their common position as members of a particular society.« 140 Vgl. D. Miller: »Equality«, S. 95. 141 Ebd. 142 Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 212. 180
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Fall;143 aber in anderen Gesellschaften sei es möglich, dass andere Güter eine solche Stellung einnehmen – z.B. politische Macht. In diesem Fall sei pre-eminence durch öffentliche Maßnahmen und Eingriffe in die Sphären selbst (wie etwa Steuern) durchaus zu verhindern, und zwar, indem auch die Ungleichheit innerhalb der Sphären kontrolliert wird.144 Schon damit geht Miller einen deutlichen Schritt über Walzer hinaus, für den die Kontrolle der Ungleichheit innerhalb der distributiven Sphären entbehrlich war. Es gibt aber noch andere Aspekte, die Miller im Gegensatz zu Walzer berücksichtigt: z.B. Situationen, in denen die spontane Verteilung zu einer (auch zufälligen) Konzentration von Gütern auf eine oder wenige PersoQHQIKUWRKQHGDVV'RPLQDQ]VWDWW¿QGHW(LQ%HLVSLHOGDVHUGDIUDQIKUW ist das eines Kindes, das in seiner Schule der Beste in allen Bereichen wäre (einschließlich Sport, Kunst usw.)145. Miller meint, solche Situationen einer »kumulative[n] Ungleichheit«146 seien, selbst wenn sie nur zufällig sind, nicht wünschenswert und ihnen müsste entgegengewirkt werden. Eine Möglichkeit der Eindämmung unerwünschter Resultate bei der pluralistischen Verteilungsgerechtigkeit, die er vorschlägt, könnte etwa die Verhinderung eines Kollapses von Sphären ineinander darstellen, damit so viele Sphären wie möglich bestehen bleiben, in denen sich Menschen besser oder schlechter stellen können.147 Durch die Verhinderung von Dominanz, Überlegenheit und anderen unerwünschten Lagen könnte sich nach Miller eine Situation (annähernd) sozialer Gleichheit in seinem nun einfachen Sinne herstellen: in dem Sinne nämlich, dass alle sich als Gleiche in ihren Relationen zueinander als Staatsbürger betrachten.148 Es ist dabei offensichtlich, dass diese Situation nicht grundsätzlich über distributive Gleichheit erreicht wird – d.h. dadurch, dass Güter grundsätzlich gleichverteilt werden – und diese auch nicht immer notwendigerweise erfordert; Miller weist aber darauf hin, dass das Streben nach sozialer Gleichheit auch distributive Konsequenzen haben könnte.
c) Honneths Anerkennung und Millers Gerechtigkeitstheorie Wie sind nun Millers Gerechtigkeits- und Gleichheitskonzeptionen – die durchaus zu einem anderen Diskussionskontext zu gehören scheinen als Honneths Hegel-Aktualisierung – mit Honneths Anerkennungstheorie zu verbinden? Der erste Vorschlag, wie beide Theorien miteinander in Zusammenhang gebracht werden könnten, kommt von Honneth selbst. Vor allem in seinen 143 144 145 146 147 148
Ebd. Vgl. D. Miller: »Equality«, S.96. Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 204 Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 296. Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S. 224. Vgl. D. Miller: »Equality«, S. 95. 181
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Aufsätzen in Umverteilung oder Anerkennung?149 macht Honneth ausdrücklich sowohl auf Unterschiede als auch auf Gemeinsamkeiten zwischen seiner und Millers Theorie aufmerksam. Für Honneth ist es vor allem die Idee einer pluralistischen Gerechtigkeitskonzeption, die eine Annäherung zwischen seiner eigenen Anerkennungstheorie und Millers Theorie der Verteilungsgerechtigkeit ermöglicht. Bereits im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Nancy Fraser hat Honneth auf Parallelen zwischen seiner eigenen und Millers Gerechtigkeitstheorie hingewiesen.150 Zwar erwähnt Honneth dort zwei Aspekte, in denen beide Theorien nicht übereinstimmen: Während Miller laut Honneth erstens seinen Pluralismus aus »empirischen Resultaten der Gerechtigkeitsforschung« und aus einer »sozialontologischen Unterscheidung von Beziehungsmustern« gewonnen habe,151 sei die Teilung von Sphären bzw. Gerechtigkeitsprinzipien in seiner eigenen Theorie auf die »Besinnung auf historisch hervorgebrachte Bedingungen der persönlichen Identitätsbildung« gegründet.152 Darüber hinaus wolle Miller »seine drei Prinzipien allein als Verteilungsgrundsätze verstanden ZLVVHQ>@GLHVSKlUHQVSH]L¿VFKUHJHOQZLHGLHVR]LDOMHZHLOVZHUWJHVFKlW]ten Güter verteilt werden sollen«, während Honneth selbst »die drei Prinzipien zunächst als Anerkennungsformen zu begreifen suche, womit MHZHLOV VSH]L¿VFKH (LQVWHOOXQJHQ XQG PRUDOLVFKH 5FNVLFKWVQDKPHQ YHUNQSIW sein sollen; und erst dort, wo sich aus diesen Typen des moralischen Respekts zugleich Konsequenzen in Hinblick auf die Verteilung bestimmter Güter ergeben, [...] in einem indirekten Sinn auch von Verteilungsprinzipien sprechen« [würde]. 153
Allerdings scheint bei Honneth die Überzeugung Vorrang zu haben, dass es eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede gebe.154 Als Hauptgemeinsamkeit 149 Vgl. A. Honneth, »Umverteilung als Anerkennung«, sowie ders.: »Die Pointe der Anerkennung. Eine Entgegnung auf die Entgegnung«, in: Nancy Fraser/ Axel Honneth: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003, S. 129-224 bzw. 271-305. 150 Vgl. A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 214. 151 Ebd. 152 A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 214-215. 153 Honneth, ebd. S. 215. 154 Vgl. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung. Eine Erwiderung auf Nancy Fraser«, S. 214ff. Mehr oder weniger implizit in seinem Vorwort zu Millers Buch: Axel Honneth: »Philosophie als Sozialforschung: Die Gesellschaftstheorie von David Miller«, in: David Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt/ New York: Campus, 2008. Ferner: Axel Honneth: »Rejoinder«, in: Bert van den Brink/David Owen (Hg.): 5HFRJQLWLRQDQG3RZHU$[HO+RQQHWKDQGWKH7UDGLtion of Critical Social Theory. Cambridge: Cambridge University Press, 2007, S. 365; Axel Honneth: »Gerechtigkeit und kommunikative Freiheit. Überlegungen im Anschluss an Hegel«, S. 225. 182
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
zwischen Miller und ihm selbst sieht Honneth vor allem die dreiteilige Hauptstruktur beider Theorien155 – also die »Überzeugung, dass die moderne Idee der sozialen Gerechtigkeit in drei Facetten aufgeteilt werden sollte, die jeweils eine der Hinsichten benennen, in denen die Individuen gleichbehandelt werden müssen«: also des Bedürfnisses, der Gleichheit und des Verdienstes.156 Es wäre aber, was die Parallelen zwischen beiden Gerechtigkeitstheorien betrifft, zunächst zu fragen, ob die Dreiteilung beider Theorien sich so direkt entspricht, wie es aussieht; denn neben den Unterschieden, die Honneth idenWL¿]LHUWVLQGGRFKDQGHUH$VSHNWHHUNHQQEDULQGHQHQHV$EZHLFKXQJHQJLEW So bezog sich Millers Betonung von Bedarf, Verdienst und Gleichheit als Prinzipien der Verteilung zwar mehr oder minder explizit, wie auch die Honneths, auf verschiedene Formen sozialer Beziehung. Allerdings scheint hier erstens fragwürdig, inwiefern Miller diese drei Prinzipien wirklich auf drei deutlich unterscheidbare normative Bereiche der Gesellschaft bezog, wie es Honneth nach Hegels Sittlichkeitskonzeption tut; und zweitens (falls dem so wäre), inwiefern Millers Sphären überhaupt Honneths drei Kontexten von Anerkennung entsprechen könnten. Für Honneth beziehen sich Liebe, Recht und Wertschätzung ja eindeutig auf drei konkrete Kontexte bzw. normative gesellschaftliche Bereiche, in die sich intersubjektive Anerkennung in der modernen Welt differenziert habe; diese waren ja schon beim Jenaer Hegel erkennbar. Diese von Hegel übernommenen sittlichen Kontexte sind für ihn durch je bestimmte Muster der Anerkennung konstituiert, die – wie oben zitiert – mit »Aspekten« der Gerechtigkeit assoziiert sind, welche gewissermaßen als deren Prinzipien verstanden werden könnten: die der Bedürftigkeit, der Gleichheit und der Leistung bzw. des Beitrags. Primär sind für Honneth nach Hegel allerdings die Formen der Anerkennung, d.h. die sittlichen Relationen, die dieser Konstruktion als Grundlage dienen: jeweils die der Liebe, des Rechts und der Wertschätzung. Nun beziehen sich Millers Prinzipien der Gerechtigkeit zwar auch auf Beziehungen, die soziale Kontexte zu implizieren scheinen: Bedarf auf solidarische Gemeinschaften, Verdienst auf Zweckgemeinschaften und Gleichheit auf den Kontext von Staatsbürgerschaft.157 Es ist offensichtlich, dass seine drei Prinzipien Honneths drei »Hinsichten« der Gerechtigkeit weitgehend entsprechen. Allerdings ist nicht deutlich, ob Millers Beziehungen überhaupt eigene Bereiche bilden oder ob dieselbe Beziehungsform in unterschiedlichen Kontexten auftauchen könnte. So bezieht Miller z.B. solidarische, nach dem Prinzip des Bedarfs fungierende Gemeinschaften nicht nur auf den intim-persönlichen Bereich der Familie (oder etwa der engen, freundschaftlichen Beziehungen), 155 Honneth, »Umverteilung als Anerkennung«, S. 215ff. 156 Ebd. 157 Vgl. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 67ff. 183
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
sondern auch auf die Nation,158 d.h. die Ebene der Relationen der Gesellschaft als ganzer, die man, würden diese Beziehungen als gesellschaftliche Bereiche verstanden, als »über« jenen der Zweckgemeinschaft stehend vermuten müsste. Wäre das als eine vierte Ebene bzw. Sphäre in Millers Ansatz zu deuten? Wären nun Millers Beziehungsformen tatsächlich als Bereiche zu verstehen, so wäre auch die Frage berechtigt, ob Millers Struktur (solidarische Gemeinschaften-Zweckverbände-Staatsbürgerschaft bzw. Bedarf-Verdienst-Gleichheit) wirklich mit der Honneths (Liebe-Recht-Wertschätzung, bzw. Bedarf-Gleichheit-Leistung) kompatibel ist. Die Übereinstimmung zwischen Millers Bereichen Solidarische Gemeinschaften/Bedarf und Honneths Bereichen Liebe/ Bedarf ist ja eindeutig. Auch Millers durch Gleichheit bestimmte Staatsbürgerschaft, die formal aufgefasst wird,159 ließe sich noch problemlos mit Honneths Sphäre des Rechts und der Gleichheit gleichsetzen, obwohl Miller dieser Sphäre eine höhere Bedeutung beimisst als jene, die Honneth dem Recht zuspricht. Würden wir Millers Hinweis auf die Solidarität der Nation als die Kennzeichnung einer weiteren Sphäre verstehen (was nicht eindeutig ist), so wäre mit Honneth (und Hegel) keineswegs inkompatibel, dass »über« der durch Gleichheit für Miller bestimmten Staatsbürgerschaft eine Sphäre der Solidarität in der Nation stehen würde; sie würde dann mit dem Bereich übereinstimmen, den Hegel als Konstitutiton bzw. Staat und Honneth nicht nur als den der Wertschätzung, sondern auch als jenen der Solidarität verstand. Aber daraus würden andere Schwierigkeiten entstehen: Wir müssten dann klären, was mit dem millerschen Verdienst geschähe, das in seinem Ansatz nicht wie bei Honneth mit Solidarität, sondern mit der Zweckgemeinschaft übereinstimmte. Wäre Millers Sphäre des Verdienstes, die er als eine Zweckgemeinschaft versteht, mit Honneths Wertschätzung gleichzusetzen, wie Honneth vorzuschlagen scheint,160 so wären sie nicht kompatibel. Honneths Wertschätzung soll, wie Hegels Auffassung der Sittlichkeit der Konstitution, notwendigerweise mehr bedeuten als eine Zweckgemeinschaft, wie Honneths Bezeichnung derselben auch als Solidarität deutlich macht. Eine Zweckgemeinschaft müsste man bei Honneth eher (wenn überhaupt)161 in der Sphäre des Rechts vermuten. Der Grund nun, warum diese Schwierigkeiten entstehen, ist aber leicht auszumachen: Da Miller, wie Honneth anmerkt,162 zwar von empirisch gewonnenen Prinzipien und Beziehungen ausgeht, aber keinen Anspruch erhebt, die historisch gegebene Form moderner Gesellschaften aus deren normativen 158 159 160 161
Ebd. S. 68. Ebd. S. 73. Vgl. Honneth, S. 215. Auch die Sphäre des Rechts ist für Honneth nach Hegel ja ein sittlicher, d.h. normativ aufgeladener Kontext, der nicht rein formal und im Sinne der Zweckrationalität aufzufassen ist. 162 Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 214-215. 184
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
Grundlagen heraus darzustellen, braucht er sich größere Gedanken zu ihrer Struktur nicht zu machen. Es geht bei Miller offensichtlich eher darum, dass diese Beziehungsformen Prinzipien entsprechen, welche die Verteilung von Gütern spontan regeln, als darum, diese drei Beziehungsformen als normativ relevant für die moderne Lebensform zu behaupten oder sie mit einer Grundstruktur moderner Gesellschaften zu verbinden. Darüber hinaus weist die Bestimmung der Staatsbürgerschaft durch Gleichheit bei Miller auf eine Auffassung der Gesellschaft hin, die doch eindeutig näher am Liberalismus steht als die Honneths – es sei denn, man würde die Solidarität der Nation als eine Art Sittlichkeit verstehen, was bei Miller ja nicht ganz deutlich ist. So lassen sich Millers Sphären auch nicht unmittelbar als sittliche Sphären im Sinne Hegels deuten. Es bietet sich also an, was die Aktualisierung einer Auffassung der Gerechtigkeit als durch normative Sphären konstituiert betrifft, von der Darstellung solcher Sphären durch Honneth auszugehen und die Frage nach deren Entsprechung zu Millers Darstellung im Folgenden weitgehend zu ignorieren.
d) Kontexte der Anerkennung als Sphären der kommunikativen Gleichheit Nun lassen sich Honneths und Millers Theorien auf eine andere Weise aber doch verbinden. Im Gegensatz zu seiner dreiteiligen Gerechtigkeitskonzeption ergibt gerade Millers Idee der sozialen Gleichheit einen interessanteren Bezugspunkt zu Honneths Aktualisierung von Hegels Theorie. Meine Interpretation des Aspekts, in dem Millers Theorie für einen von Hegel ausgehenden Ansatz wie Honneths Anerkennungstheorie relevant sein könnte, ist also von Honneths eigener etwas abweichend: Millers soziale Gleichheit wird mit Hinblick auf Honneths Anerkennungstheorie weitere Perspektiven eröffnen und die Bedeutung einer kommunikativen Gleichheit auch im Rahmen zeitgenössischer Diskussionen deutlicher machen. Darüber hinaus wird sich dadurch auch wieder ein indirekter Übergang zur Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit zeigen. Wie oben gezeigt wurde, stellte Miller als Ziel seiner Gerechtigkeitstheorie die Erreichung einer Lage dar, die er als die einer sozialen Gleichheit kennzeichnet: einer Gleichheit der »grundsätzliche[n] Stellung einer Person innerhalb der Gesellschaft« (»a person’s basic standing within society«);163 diese ergab sich für Miller als NRPSOH[H Gleichheit, als Folge von unterschiedlichen, auch ungleichen Verteilungen, bezog sich ja aber nicht mehr auf die distributive Gerechtigkeit, sondern auf das »Ideal einer Gesellschaft«, in welcher die Individuen »einander als Gleiche respektieren und in der, anders ausgedrückt, die Menschen nicht hierarchisch kategorisiert und etwa nach sozialen Klassen
163 Vgl. D. Miller: »Complex Equality«, S.206. 185
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
sortiert werden«164 – eine Gesellschaft, die Miller sogar als »klassenlose Gesellschaft«165 bezeichnete. In der Tat bezieht sich auch Honneth in seiner Auseinandersetzung mit Millers Theorie gerade auf diese Gleichheitskonzeption, wenn er sie als die Kon]HSWLRQHLQHUªK|KHUVWX¿JHQ*OHLFKKHLW©EH]HLFKQHWGLHªEHU©GHQGUHL9HUteilungssphären zu verorten wäre.166 Obwohl er selbst diese Idee, wie erwähnt, nicht weiterentwickelt, deutet Honneth diese Gleichheit als die Forderung, »dass es alle Subjekte gleichermaßen verdienen, je nach Art der sozialen Beziehung in ihrer Bedürftigkeit, ihrer rechtlichen Autonomie oder ihren Leistungen anerkannt zu werden«;167 und wie ebenfalls erwähnt, verbindet er eine entsprechende Gleichheitskonzeption mit einem »übergreifenden Egalitarismus, den auch Hegel für die zentrale Herausforderung der Moderne« gehalten habe.168 Die drei »Facetten« von Millers Gerechtigkeitstheorie deutet Honneth allerdings als drei Weisen, wie Individuen »gleichbehandelt« werden müssen.169 Allerdings scheint mir bei dieser Deutung der möglichen Bedeutung der Gleichheit das normative Potenzial, das deren Relevanz in einer anerkennungstheoretischen Gerechtigkeitskonzeption ausmacht, nicht ausreichend zur Geltung zu kommen. Abgesehen davon, dass Honneth diesen Gedanken auch nicht weiterverfolgt, wird hier doch die normative Bedeutung der Gleichheit wieder auf die bloße Frage nach der Distribution von Gütern reduziert – nur, dass diese nun jeweils als so etwas wie Bedarfsgegenstände, Rechte und Ausdrücke von Wertschätzung verstanden werden. Dabei wäre bereits offensichtlich das Verständnis dieser Sachverhalte (Bedarfsgegenstände, Rechte, Ausdrücke von Wertschätzung) als zu verteilender Güter zu hinterfragen;170 vor allem aber wird hier der normative Charakter von intersubjektiven Relationen nicht ausreichend betont. Demgegenüber schlage ich vor, Millers Betonung der Gleichheit als Relation ernst zu nehmen – und zwar ernster, als er selbst und Honneth dies zu tun scheinen. Nämlich in dem Sinne, in dem wir kommunikative Gleichheit im $QVFKOXVVDQ+HJHOGH¿QLHUWKDEHQ 164 165 166 167 168 169 170
186
Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 285. Vgl. D. Miller: »Equality«, S. 97. Vgl. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 216. Vgl. ebd. S. 215. Axel Honneth: »Gerechtigkeit und kommunikative Freiheit«, S. 225. Vgl. A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 215. Im Sinne von Iris Marion Young. Vgl. Iris Marion Young: Justice and the Politics of Difference. Princeton: Princeton University Press, 1990, S. 25ff. Zumindest wären sicher nicht all diese Sachverhalte als Güter zu verstehen. Auf das Problem einer Gerechtigkeitskonzeption, die sich auf Verteilung gründet, machen aber sowohl Miller als auch Honneth aufmerksam. Vgl. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 52; A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 177ff.
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
»Kommunikative Gleichheit bedeutet, dass der eine und der andere die symmetrische gegenseitige Relation zwischen ihnen nicht nur als abstraktes Band, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverwirklichung als gemeinsamer Selbstverwirklichung erfahren.«
Damit werden wir zu einer Einsicht gelangen können, inwiefern sich Hegels Kontexte der Anerkennung konkreter als Sphären der – kommunikativen – Gleichheit verstehen lassen. Diese Einsicht ist in Honneths Ansatz bereits implizit vorhanden und läßt sich durch den Rekurs auf Miller deutlich explizieren. Was heißt es nun, Gleichheit als Relation ernst zu nehmen? Als Erstes heißt es, zum Bewusstsein zu bringen, dass Gleichheit nicht hauptsächlich ein Verteilungskriterium, sondern von vornherein eine Relation ist. Millers größtes Verdienst in dieser Hinsicht ist es zu betonen, warum im Kontext der Kritik an der liberalen Gleichheit auch schon Walzer – bei aller Gemeinschaftsbezogenheit, die seine Theorie offensichtlich darstellt – an einer Idee der Gleichheit und des Egalitarismus festhielt: in der Einsicht, dass Gleichheit Herrschaft entgegengesetzt ist. Wie es Walzer selbst ausdrückte: »Das Ziel des politischen Egalitarismus ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft« (»The aim of political egalitarianism is a society free from domination).«171 Für Millers Theorie der Gleichheit geht es hier um den Wert jener Horizontalität der sozialen Beziehungen, die er als ein tief verankertes gesellschaftliches Ideal erkennt:172 das Ideal einer nicht-hierarchisierten Gesellschaft, in der sich alle als Gleiche betrachten könnten, das er als das Ideal der Statusgleichheit deutet. In Gegensatz zu Miller sehe ich aber bei der Frage nach der Bedeutung der Gleichheit nicht die Frage nach dem Status (oder der relativen Stellung in der Gesellschaft) als zentral – als ob es nur darum ginge, nicht hierarchisch »kategorisiert« und nach sozialen Klassen »sortiert« zu werden173 –, sondern gerade den Grund, warum diese Sortierung zu verwerfen ist. Und dies ist eben die Tatsache, dass Hierarchien – und hier setzt Walzer den richtigen Akzent – Herrschaft bedeuten; und zwar innerhalb eben jener Relationen, in denen Individuen sich als Gleiche zu betrachten hätten. Nun kommt in einem intersubjektivistischen Ansatz, der ohnehin von normativen Relationen ausgeht, der relationale Charakter der Relation der Gleichheit und deren Bedeutung noch klarer zur Geltung als bei Walzer und Miller. Verbindet man Millers Gedanken der sozialen Gleichheit mit Honneths Aktualisierung der Anerkennungstheorie Hegels, so ergeben sich Folgen, die
171 Vgl. Michael Walzer: Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality. New York: Basic Books, 1983, S. XIII. 172 Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 293. 173 Vgl. ebd. S. 285. 187
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
weiter reichen als die, auf die Honneth selbst aufmerksam macht. Der Bezug zwischen Millers sozialer Gleichheit und Honneths drei Sphären der Anerkennung ist demnach nicht hauptsächlich, wie er es ausdrückt,174 der eines Gleichheitsgrundsatzes zu drei »Facetten« der Gleichbehandlung, sondern liegt etwas tiefer, nämlich in der Struktur der Relation selbst. Daraus wird sich die Konzeption einer komplexen Gleichheit ergeben, die NRPSOH[ nicht im Sinne von Millers (und Walzers) ursprünglichem Vorschlag ist, dass sie sich aus dem Resultat verschiedener Verteilungskontexte zusammensetzt, sondern in einem anderen Sinne. .RPSOH[ ist sie zunächst, weil sie sich aus drei Kontexten normativer Relationen ergibt: den Relationen der Anerkennung. Die Weise nun, wie Gleichheit in den Strukturen der Anerkennungsrelation selbst zu verorten ist, wurde ansatzweise schon bei unseren Erläuterungen zu Hegel dargestellt; sie lässt sich aber von Honneths Anerkennungskonzeption ausgehend in ihrer Aktualität ersichtlicher machen. Honneth versteht Anerkennung als normativ relevant, wie gesehen, in einer doppelten Hinsicht: im Sinne der Individuierung und »moralische[n] Sozialisation der Subjekte«, d.h. im Sinne der beim Gedanken der Anerkennung zentralen Frage nach den »Bedingungen der persönlichen Identitätsbildung«, die mit der individuellen Selbstverwirklichung zusammenhängt;175 und im Sinne der »moralische[n] Integration der Gesellschaft«, die er als einen Prozess der »Inklusion« versteht;176 dabei wird Inklusion als Prozess der »wachsenden Einbeziehung von Subjekten in den Kreis der vollwertigen Gesellschaftsmitglieder«177GH¿QLHUW6RNHQQ]HLFKnen diese zwei Dimensionen auch die Hinsichten, in denen sich die gegebenen Anerkennungsmuster einer Gesellschaft selbst intern transzendieren können, d.h. in denen ein »moralischer Fortschritt« möglich wäre.178 Nun ist schon in einem deskriptiven Verständnis der modernen Welt, das nicht »atomistisch« sein soll, die Betonung einer so verstandenen Inklusion etwas befremdlich: Von einer »wachsenden Einbeziehung von Subjekten in den Kreis der vollwertigen Gesellschaftsmitglieder«179 kann man nur reden, wenn man von atomisierten, noch nicht in Anerkennungsrelationen gebundenen Subjekten ausgeht – also von losen Subjekten, die dann anerkannt bzw. einbezogen werden. Versteht man Anerkennung – wie im Kontext dieser Untersuchung – als die normative Kernrelation einer von vornherein als Netzwerk von Relationen verstandenen modernen Welt, dann kann es nicht um lose Subjekte gehen: Selbst das missachtetste (oder das unsichtbarste, oder gar verdinglichteste) Subjekt steht im Rahmen einer (negativen) Aner174 175 176 177 178 179 188
Honneth: »Umverteilung als Anerkennung« S. 215ff. Ebd. S. 214-215. Ebd. S. 204. Ebd. S. 218. Ebd. S. 219ff. Ebd. S. 218.
INTERSUBJEKTIVITÄT UND KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
kennungsrelation; denn geht man nicht von atomistischen Prämissen aus, ist auch Missachtung (oder das Unsichtbarmachen, oder gar das Verdinglichen) eine Relation.180 So wäre es sinnvoller, die Integration der Gesellschaft, die Honneth zu Recht als einen zweiten normativen Aspekt der Anerkennung neben dem individuaOLWlWV]HQWULHUWHQ LGHQWL¿]LHUW QLFKW DOV Inklusion, sondern als symmetrisierende Egalisierung unter den schon immer voneinander intersubjektiv abhängigen Subjekten zu verstehen:181 Es geht bei der Integration einer Gesellschaft, die sich schon von vornherein als Netzwerk von Relationen versteht, darum, Gleichheit, d.h. Herrschaftsfreiheit, in den bestehenden Beziehungen zu etablieren bwz. zu erweitern. Und dies ist ein Aspekt der Relation, der sich nicht direkt mit der »persönlichen Identitätsbildung« deckt, sondern auf die Verfasstheit der Relation selbst bezogen ist. Hier können wir die kommunikative Gleichheit wiedererkennen, die sich sowohl als diese normativ bedeutsame Gleichheit als Symmetrie in der Relation selbst verstehen ließ als auch als die Weise, wie sich Millers soziale Gleichheit innerhalb von Anerkennungsrelationen zeigen würde: als der Bezug der normativen Relation der Anerkennung auf die notwendigerweise gemeinsamen Bedingungen der individuellen Selbstverwirklichung, im Sinne von Symmetrie und Abwesenheit von Herrschaft in der Beziehung. Daraus folgt nun also die Weise, wie Honneths und Millers Ansatz bezüglich einer Gleichheit, die nicht mehr grundsätzlich als die Gleichbehandlung des Rechts aufgefasst werden darf, miteinander verbunden werden könnten. Aus Honneths drei Sphären der Anerkennung ergeben sich drei Formen der Gleichheit, die Miller sozial nannte und die ich kommunikativ nenne. Zwar können sie, wie Honneth vorschlägt, als Folge dessen verstanden werden, »dass es alle Subjekte gleichermaßen verdienen, je nach Art der sozialen Beziehung in ihrer Bedürftigkeit, ihrer rechtlichen Autonomie oder ihren Leistun-
180 Ich meine hier die ein Individuum bestimmenden intersubjektiven Relationen; also nicht nur im positiven Sinne der Anerkennung als Bejahung oder Bestätigung von Fähigkeiten bzw. Eigenschaften, sondern im negativen, diesem entgegengesetzten Sinne. Da zwischen diesen Extremen eher ein Kontinuum als eine abstrakte Entgegensetzung besteht, können auch intersubjektive Beziehungsformen, die Honneth an der Grenze der Anerkennung verortet, wie die Unsichtbarkeit bzw. die Verdinglichung, als (negativ besetzte) Anerkennung verstanden werden. Das interessante Problem der Unsichtbarkeit und der Verdinglichung kann aber leider hier nicht eingehend betrachtet werden. Zur Behandlung dieser Themen bei Honneth vgl. Axel Honneth: »Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von ›Anerkennung‹«, in: ders.: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003, S. 10-27. Axel Honneth: Verdinglichung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2005. 181 Honneth verstand schon das Entwicklungspotential von Wertschätzung als Egalisierung. Vgl. Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 211. 189
KOMMUNIKATIVE GLEICHHEIT
gen anerkannt zu werden«;182 allerdings ist dies hier nicht Folge einer Gleichbehandlung, die von oben herab auf alle Subjekte »angewendet« würde, sondern davon, dass die normative Relation der Anerkennung intern selbst diese Forderung stellt. Es geht darum, jede Anerkennungsrelation so zu verstehen, dass sie einen doppelten Bezug enthält. Einerseits enthält jede solche Relation den Bezug auf die sich gegenseitig verbindenen Individualitäten als Pole der Relation; das ist der Aspekt, der oben als jener der kommunikativen Freiheit gedeutet worden ist: »Kommunikative Freiheit bedeutet, dass der eine den anderen nicht nur als Grenze, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt.«
Anders als in jenen Konzeptionen, in denen Freiheit selbstbezogen verstanden wird und der Andere bloß als eine mögliche Grenze meiner Willkür erscheint, erfährt sich das moderne Individuum nach dieser Konzeption als auf den Anderen in drei Aspekten seiner eigenen Selbstverwirklichung bezogen: in seiner eigenen Bedürftigkeit, indem seine basalsten individuellen Bedürfnisse nach Fürsorge, Liebe, Freundschaft durch den Anderen nicht begrenzt, sondern gerade ermöglicht bzw. erfüllt werden; in seiner eigenen Autonomie, indem seine Eigenschaft als autonomes Rechtssubjekt vom Anderen nicht begrenzt, sondern garantiert wird; und in seiner eigenen Leistung bzw. seinem Beitrag für die Gesellschaft, indem auch sein Beitrag nicht begrenzt, sondern gerade durch den Anderen solidarisch ermöglicht wird. Denn das, was ein Individuum in privaten Beziehungen, rechtlichen Verhältnissen und Leistungskontexten – wie etwa dem Arbeitsleben – erfährt bzw. erreicht (oder auch nicht), ist nicht GHQNEDURKQHGLH8QWHUVWW]XQJGLH$QVW|HGHQ(LQÀXVVRGHUDXFKGHQ:Lderstand) von Familie, Freunden (oder Feinden), Lehrern, Kollegen und auch Institutionen, mit denen er interagiert; self-made ist ja kein Mensch. So zeigen sich darin jene drei Formen der kommunikativen Freiheit, die Honneth im Sinne der Bedingungen individueller Selbstverwirklichung als die von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstschätzung kennzeichnete; dabei ist schon vorausgesetzt, dass dieses Selbst immer schon intersubjektiv durch den Bezug auf den Anderen verstanden wird.183 Andererseits zeigt sich bereits dadurch – nimmt man diese reziproke Ermöglichung wirklich ernst – auch der andere Bezug der Anerkennungsrelation: der auf die Relation selbst, die wir bereits oben mit der kommunikativen
182 Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 215. 183 Auf die Folgen, die sich aus einem solchen Verständnis der kommunikativen Freiheit ergeben, macht Honneth selbst aufmerksam, ohne sie weiter zu entwickeln. Vgl. Honneth: »Gerechtigkeit und kommunikative Freiheit«. 190
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Gleichheit verbunden haben. Also die Weisen, in denen in modernen Gesellschaften »der Eine und der Andere die gegenseitige Relation zwischen ihnen nicht nur als abstraktes Band, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverwirklichung als gemeinsamer Selbstverwirklichung erfahren.«
Auch wieder anders als in jenen Konzeptionen, sind die intersubjektiven Relationen zwischen den Individuen deren jeweiligen individuellen Selbstverwirklichungen nicht äußerlich, sondern für sie gerade konstitutiv. Hier steht nicht die reziproke Abhängigkeit der Individuen voneinander im Vordergrund, sondern beider vom gemeinsamen Kontext, der eben durch diese Beziehung hergestellt wird und dessen Struktur für die jeweiligen Selbstverwirklichungen wesentlich ist: Nur wenn dieser gemeinsame Kontext eine symmetrische, herrschaftsfreie Beziehung garantieren kann, lässt sich wirklich von der Möglichkeit individueller Selbstverwirklichung beider reden. Dass die Relation »nicht nur als abstraktes Band, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverwirklichung als gemeinsamer Selbstverwirklichung« erfahren wird, bedeutet also zweierlei: erstens, dass die jeweilige Selbstverwirklichung des Einen und des Anderen aufeinander derart bezogen sind, dass beide nicht erfolgen können ohne einen gemeinsamen Kontext, d.h. dass sie zwei Aspekte einer gemeinsamen Selbstverwirklichung im Sinne der Etablierung einer gemeinsamen sittlichen Lebensform darstellen; und darüber hinaus, dass eben deshalb die Verfassung dieser Relation – und daher auch die symmetrische Gegenseitigkeit, die sie impliziert – einen eigenen sittlichen Wert erhält und gegenüber meiner individuellen Selbstverwirklichung (und der meines jeweils Anderen) nicht indifferent sein kann. So erfahren die Individuen hier ihre gegenseitige Relation nicht nur als abstraktes Band, sondern auch als die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Selbstverwirklichung als einer gemeinsamen Selbstverwirklichung, bei welcher die Symmetrie der Relation unentbehrlich ist, sollen beide Selbstverwirklichungen zur Geltung kommen: als eine gemeinsame Bedürftigkeit, eine gemeinsame – insofern relativ dezentrierte – Autonomie; und ein gemeinsamer, gesellschaftlicher Beitrag – in dem Sinne, dass damit auch die, atomistisch gesehen, bloß individuelle Leistung einen gemeinsamen Charakter erhält. Damit erreichen auch wir eine erste Einsicht in die Bedeutung, die die aus Hegel gewonnene Auffassung einer kommunikativen Gleichheit in zeitgenössischen Ansätzen haben könnte. Den drei Kontexten der Anerkennung entsprechen demnach drei Sphären der Gleichheit, insofern sie sich mit drei Formen der kommunikativen Gleichheit verbinden: die der gemeinsamen symmetrischen Aspekte der Bedürftigkeit, der Autonomie und des Beitrags. Durch den Bezug auf die Gemeinsamkeit der Selbstverwirklichung wird daher hier, so 191
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können wir nun mit Miller behaupten, der Wert der Horizontalität, also der Herrschaftsfreiheit all jener Beziehungen hervorgehoben, die für das moderne Individuum einen normativen Charakter annehmen. Diese wäre – ähnlich wie bei Honneth mit Bezug auf die Freiheit – im Sinne der Bedingungen gemeinsamer Selbstverwirklichung als die Herstellung gegenseitigen Vertrauens, universalistischer gleicher Achtung und Solidarität zu verstehen. Darüber hinaus zeigt sich dabei auch, dass die Tatsache, dass manche Beziehungen auf den ersten Blick asymmetrisch erscheinen, nicht relevant für diese Einsicht ist: Nicht die Tatsache, dass etwa elterliche Fürsorge nicht strikt symmetrisch verläuft, ist relevant, sondern dass diese Fürsorge sich aus der impliziten Einsicht in eine gemeinsame Bedürftigkeit, die eigentlich symmetrisch ist, speist;184 für die Anerkennung von Autonomie ist die Reziprozität des Rechts bereits konstitutiv; und selbst der vermeintlichen Anerkennung von Leistung als etwas rein Individuellem könnte wohl der Hinweis auf die gemeinsame gegenseitige, also auch symmetrische Abhängigkeit auch von gesellschaftlichen Beiträgen gegenübergestellt werden. Denn für ein nicht individualistisch-atomistisches Verständnis der modernen Welt ist sicher keine Leistung unabhängig vom Kontext ihrer Hervorbringung. 6RGUIWHHLQ7HLOMHQHU8QUHFKWVHPS¿QGXQJHQGLHQDFK+RQQHWK]X.lPSfen um Anerkennung führen, ebenfalls nicht in erster Linie aus der Wahrnehmung einer Missachtung des individualisierenden, sondern des im obigen Sinne gemeinsamen Aspekts der durch die Anerkennung ermöglichten Selbstverwirklichung entstehen und somit auf strukturelle Asymmetrien in bestehenden Anerkennungsbeziehungen hinweisen. Man denke nur an traditionelle, offensichtlich herrschaftsgeprägte (etwa sexistische) Formen familiärer Beziehungen, wie etwa die unterschiedliche Anerkennung von Bedürfnissen zwischen Mann und Frau (oder auch Kindern und Erwachsenen) in traditionellen Kontexten; oder an die nur angeblich vorhandene Symmetrie (um ein klassisches Beispiel zu nehmen) von Arbeitsverträgen; oder auch an die systematische hohe Wertschätzung bestimmter Formen gesellschaftlicher Leistung im Vergleich zur fast missachtenden Haltung gegenüber anderen in kapitalistischen Gesellschaften (wie die angeblich reziproke Anerkennung zwischen dem erfolgreichen Unternehmer und der von ihm sehr gelobten Firmenputzfrau, oder auch die systematische, auch monetär ausgedrückte, Wertschätzung bestimmter Arten von Erfolg – etwa im Finanzmarkt – verglichen mit der Haltung gegenüber jene, die als »Verlierer« – auf Englisch losers– gelten sol184 So ist die Rolle des Mitleids in vielen Ansätzen gerade durch den Hinweis auf die Möglichkeit einer Einfühlung in den Anderen zu erklären, die im Sinne dieser gemeinsamen Bedürftigkeit gedeutet werden kann. Man denke z.B. an Rousseaus pitié naturelle. Vgl. Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes, in: ders.: Œuvres Complètes. Bd. III. Paris: Gallimard 1964, S. 155. 192
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len).185 Hier wäre – nicht zuletzt mit dem Hegel der Phänomenologie des Geistes selbst 186 – auch danach zu fragen, ob eine asymmetrisch gebauten Anerkennungsrelation überhaupt (d.h. auch für den »herrschenden« Pol der Beziehung) als Anerkennungsrelation gelten könnte. Gerade aus diesen strukturellen Asymmetrien, die eindeutig Herrschaftsbeziehungen ausdrücken, ergeben sich Ansatzpunkte für eine immanente Kritik der bestehenden Anerkennungsverhältnisse, die nicht die individualitätsbezogenen Aspekte der Anerkennung im Auge hat, die mit Freiheit assoziiert werden können, sondern die strukturellen, relationsbezogenen Aspekte, die mit der Gleichheit in der Beziehungen zusammenhängen. Während die erste Art immanenter Kritik auf eine Vertiefung und Erweiterung der Individualisierung abzielt, die mit der normativen Relation der Anerkennung zusammenhängt, zielt die zweite eindeutig auf die Egalisierung der Beziehung selbst – d.h. auf die Etablierung von Symmetrie zwischen den aufeinander bezogenen Gliedern. Selbstverständlich werden beide Kritikarten Folgen auch für den anderen, gerade nicht anvisierten Aspekt der Anerkennung haben; sie bezeichnen allerdings eindeutig unterschiedliche Dimensionen. Beide Dimensionen der Anerkennung und der entsprechenden Kritikarten können, an Honneths Darstellung anknüpfend,187 folgendermaßen dargestellt werden: Individualitätsbezogene Freiheitsdimension: Kommunikative Freiheit
Relationsbezogene Gleichheitsdimension: Kommunikative Gleichheit
Liebe
Individuelle Bedürfnisnatur Selbstvertrauen
Gemeinsame Bedürftigkeit Gegenseitiges Vertrauen
Recht
Individuelle Autonomie Selbstachtung
Gemeinsame Autonomie Universalistische gleiche Achtung
Wertschätzung
Individuelle Leistung Selbstschätzung
Gemeinsamer Beitrag Solidarität
Ziel der Kritik
Individualisierung
Egalisierung
Tabelle 6: Dimensionen der Anerkennung
185 Die Frage nach dem eventuell ideologischen Charakter der Anerkennung könnte wohl ausgehend von der Frage nach der Gleichheit behandelt werden, da das Ideologische in einer Anerkennungsrelation sich gerade auf deren verdeckten oder unbewußten Herrschaftscharakter beziehen könnte. Leider kann ich dies hier nicht weiter entwickeln. Zur Frage nach der Ideologie s. Axel Honneth: »Recognition as Ideology«, in: Bert van den Brink/David Owen (Hg.): Recognition DQG3RZHU$[HO+RQQHWKDQGWKH7UDGLWLRQRI&ULWLFDO6RFLDO7KHRU\. Cambridge, Cambridge University Press, 2007, S. 323-347. 186 W 3 145ff. 187 Vgl. A. Honneth: Kampf um Anerkennung, S. 211. 193
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Mit diesem Ergebnis lösen wir bereits die Absicht dieser Untersuchung ein, nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit zu beweisen, Gleichheit (in einer bestimmten Auffassung) als normative Folge eines intersubjektivistischen Ansatzes zu sehen: als kommunikative Gleichheit. Aus der Verbindung von Honneths Aktualisierung des hegelschen Ansatzes und Millers Idee einer sozialen Gleichheit ergibt sich also eine relevante Einsicht in die Möglichkeiten, die sich aus Hegels Anerkennungstheorie für die Gleichheit ergaben – und umgekehrt: Hegels und Honneths Kontexte der Anerkennung sind also auch in diesem stärkeren Sinne Sphären (auch) der Gleichheit. Die kommunikative Gleichheit eröffnet damit neue Perspektiven, was die normative Bedeutung der Gleichheit betrifft: Vor allem macht sie deutlich – und deutlicher als die liberale Gleichheit im Sinne von Gleichbehandlung – dass Gleichheit einen unentbehrlichen, eigenen, normativen Wert hat, der ersichtlich wird, sobald die intersubjektive soziale Natur des modernen Individuums ausreichend zur Geltung kommt. Gleichheit ist Teil der modernen Sitten – von Sitten also, die in der Lage sind, sich immanent zu kritisieren, über ihre eigenen Begrenzungen hinauszugehen und neuen Formen von Gleichgültigkeit und Herrschaft VHOEVWUHÀH[LY]XEHJHJQHQDOV.ULWLNGHUQRFKYRUKDQGHQHQUnfreiheit in der modernen Freiheit, die sich noch als Gleichgültigkeit zeigt – oder an der noch vorhandenen Ungleichheit, die sich noch mit der modernen liberalen Gleichheit, wie schon Hegel eingesehen hatte, als Herrschaft erweist.
e) Exkurs: Kommunikative Gleichheit und distributive Gerechtigkeit Abschließend möchte ich noch kurz auf eine andere Frage eingehen. Obwohl das Problem der Verteilung für eine Gerechtigkeitskonzeption, die auf Relationen bezogen ist, ja sekundär ist, eröffnet doch die Konzeption einer kommunikativen Gleichheit Möglichkeiten, auch dieser Frage nachzugehen. Die Einsicht, dass für das Verständnis der individuellen Selbstverwirklichung, das mit dem intersubjektivistischen (kommunikativen) Begriff der Freiheit zusammenhängt, die Struktur der intersubjektiven, diese Selbstverwirklichung ermöglichenden Relation dieser nicht äußerlich und indifferent ist, erfordert, dass auch das Gleichgewicht dieser Relation ins Auge gefasst wird. Die Möglichkeiten, die Distributionsfrage von der kommunikativen Gleichheit ausgehend zu behandeln, ergeben sich also nicht direkt, sondern als Resultat der Art von Anerkennungsrelation, die in jeder Anerkennungssphäre besteht. Diese Folgen der Konzeption einer kommunikativen Gleichheit für die Verteilungsgerechtigkeit werde ich im Folgenden kurz skizzieren. Als Erstes ist evident, dass für eine Anerkennungstheorie nicht die Rede von Verteilungssphären im Sinne Walzers und Millers sein kann: Grundlegend, und die Verteilungsfrage bestimmend, sind hier (wie schon bei Hon194
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QHWK GLH XQWHUVFKLHGOLFKHQ .RQWH[WH LQ GHQHQ $QHUNHQQXQJ VWDWW¿QGHW nicht das zu verteilende Gut oder das Prinzip selbst. Diese Kontexte lassen sich weitgehend mit den Verteilungsprinzipien assoziieren, die Honneth selbst im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Miller als für jede Sphäre kennzeichnend angibt:188 die der Liebe mit dem Prinzip des Bedarfs, wie bei Honneth; die Sphäre des Rechts mit einem Prinzip, das ich lieber als das der Achtung (die als gleiche Achtung hinter der modernen Auffassung der Gleichheit steht) bezeichnen würde, statt als das der Gleichheit an sich wie bei Honneth;189 und die der Wertschätzung wie noch einmal bei Honneth mit dem der Leistung. Was die Güter anbetrifft, wird dadurch schon klar, dass, redet man im Rahmen einer Anerkennungstheorie von Verteilung, anzunehmen ist, dass ein Gut je nach Anerkennungssphäre auf verschiedene Weise verteilt werden kann: Etwa können Essen oder Geld oder Arbeitsplätze (angenommen, sie alle wären als Güter für unterschiedliche Anerkennungssphären relevant) sowohl nach Bedarf als auch nach Achtung oder Leistung verteilt werden, je nachdem, in welchem Kontext sie gerade berücksichtigt werden: Etwa kann Essen kann im Kontext einer Familie nach Bedarf – d.h. je nachdem, wer hungriger ist, oder mehr Kalorien braucht – verteilt werden; im Kontext von rechtlich geregelten Beziehungen, wie etwa bei der Verteilung von Essensmarken als Sozialhilfe, nach Achtung vor der Autonomie jeder Empfänger, was im Prinzip zu einer gleichen Verteilung führen wird; und im Kontext der sozialen Wertschätzung kann nach Leistung verteilt werden, z.B. indem berücksichtigt wird, wer am meisten zu einer bestimmten Aktion beigetragen hat. Allerdings wären schon diese Verteilungsprinzipien immer in zweierlei Hinsicht zu betrachten. Unserer Deutung nach besteht ja jede Relation der Anerkennung einerseits – wie oben – aus einem freiheitsverbürgenden, individualisierenden und andererseits aus einem gleichheitsverbürgenden, egalisierenden Aspekt. Wollten wir also die Verteilungsfrage mithilfe der Anerkennungstheorie lösen, bietet sich an – wie bereits deutlich geworden sein dürfte –, das Prinzip, das jeder Sphäre entspricht, auf die beiden Aspekte der Anerkennung zu beziehen: auf die kommunikative Freiheit und auf die kommunikative Gleichheit. Damit könnte bei jeder Anerkennungssphäre immer sowohl ein individualisierender als auch ein symmetrierender Aspekt desselben »Verteilungsprinzip« angewendet werden, sodass zwar nicht gleichheitsbezogene, aber auch nicht freiheitsbezogene Prinzipien jeweils Vorrang bei der Lösung der Distri-
188 A. Honneth: »Umverteilung als Anerkennung«, S. 214-215. 189 Insofern die Gleichheitskonzeption, die beim Recht als Prinzip dient, die universalistische gleiche Freiheit ist, wird m.E. das Prinzip des Rechts als das der Achtung (oder des Respekts) vor der individuellen Autonomie bezeichnet, welche notwendigerweise als gleich aufgefasst wird. 195
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butionsfrage haben werden.190 Wenn also die Prinzipien des Bedarfs, der Achtung und der Leistung als im Rahmen von Relationen stehend verstanden werden, wird der individualisierende Aspekt des Prinzips des Bedarfs mit dem der gemeinsamen symmetrischen Bedürftigkeit korrelieren; der der individuellen Achtung mit dem der gemeinsamen symmetrischen gleichen Achtung; und derjenige der individualisierenden Leistung mit dem des gemeinsamen symmetrischen Beitrags. Und dies wird wiederum eigene Konsequenzen haben. So gäbe es bei Verteilungen, die auf der Grundlage von Anerkennungsmustern durchgeführt werden, keine apriorische Antwort, wie ein bestimmtes Gut ]XYHUWHLOHQZlUH2EHLQHJOHLFKHRGHUHLQHXQJOHLFKH9HUWHLOXQJVWDWW¿QGHQ soll, kann nicht im Voraus entschieden werden; das Resultat einer Verteilung wird sich immer aus einem Abwägen zwischen individualisierenden und gemeinschaftlich-egalisierenden Aspekten desselben Prinzips ergeben müssen: Abzuwägen ist bei jeder Verteilung, inwieweit eine individuelle oder eine gemeinsame Berücksichtigung des Grundsatzes angewendet werden soll. Weder kann also die Frage, welche Güter gleich oder ungleich verteilt werden sollen, noch die Frage, in welcher Sphäre auf welche Weise zu verteilen sei, im Voraus entschieden werden. Das Abwägen zwischen Prinzipien bei jeder Verteilung lässt sich auch veranschaulichen, denn Beispiele eines solchen Abwägens – das offenbar ebenIDOOVVSRQWDQLQDOOWlJOLFKHQ6LWXDWLRQHQVWDWW¿QGHWZLHGLH/HW]WHQWVFKHLGXQJ die Miller »seinen« empirischen Forschungen entnahm191 – gibt es genug; nicht zufällig hält die Figur der Justitia eine Waage in der Hand. Im Fall von Bedarf, der in intimen Beziehungen wie jener der Familie als Prinzip gilt, ist oft der größere Hunger eines Kindes gegen das gleiche Nahrungsbedürfnis eines anderen bei der Verteilung von Essen abzuwägen: Der individuelle Bedarf muss immer mit dem Risiko, Vorzugshierarchien zwischen den Kindern herzu190 Damit können wir indirekt vielen Problemen jener Debatte beikommen, welche die Frage »Warum Gleichheit?« in ihr Zentrum stellte, da sie ja von der liberalen, gegenüber der Freiheit tatsächlich sekundären Auffassung der Gleichheit als gleicher Freiheit ausging. Vgl. zu dieser Debatte etwa die bereits erwähnten Aufsätze in Angelika Krebs (Hg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2000, S. 7ff.; dies.: »Warum Gerechtigkeit nicht als Gleichheit zu begreifen ist«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), Nr. 2.; Ferner: Harry Frankfurt: »Equality as a Moral Ideal«, in: Ethics 98 (1987), S. 21-42; Joseph Raz: »Equality«, in: The Morality of Freedom. Oxford: ClarenGRQ3UHVV6'HUHN3DU¿Wª(TXDOLW\DQG3ULRULW\©LQ$QGUHZ Manson: Ideals of equality. (Ratio Special issue). Oxford: Blackwell 1998, S. 1-20; Thomas Schramme: »Die Anmaßung der Gleichheitsvoraussetzung«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), Nr. 2; sowie Wolfgang Kersting: Kritik der Gleichheit. Über die Grenzen der Gerechtigkeit und der Moral. Weilerswist: Velbrück, 2002. Leider kann diese Diskussion hier nicht weiter entwickelt werden. 191 Vgl. D. Miller: Grundsätze sozialer Gerechtigkeit, S. 39. 196
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stellen und die gemeinsame Bedürftigkeit aus dem Auge zu verlieren, abgewogen werden. Im Fall der Achtung ist selbstverständlich die Berücksichtigung individueller Autonomie nicht von der symmetrischen gemeinsamen gleichen Achtung zu trennen, die den intersubjektiven Charakter auch dieser Relationen begründet und eindeutig etwa in der Rechtsgleichheit erscheint; aber wie das obige Beispiel der Verteilung von Essensmarken verdeutlicht, gibt es Rechte, die nur besonderen Gruppen zustehen, die dann wiederum aufgrund ihrer individuellen Autonomie besonders berücksichtigt werden, gerade damit die gleiche Achtung aller gewährt wird. Im Fall der Leistung, etwa bei der Verteilung von Auszeichnungen, wäre die angeblich höhere Leistung eines Individuums (z.B. in der Wissenschaft) der Abhängigkeit eben dieser Leistungen vom Kontext des gemeinsamen Beitrags (der mit ihm arbeitenden Forschungsgruppe) gegenüberzustellen, die auf die sozialen, intersubjektiven Ausgangsbedingungen seiner Leistungen verweist (die bekanntlich der ganzen Frage des »Verdienstes« als Auszeichnungsprinzip zugrunde liegen). Es wird an diesen Beispielen deutlich, dass ein automatisches einseitiges Ausgehen von individualisierenden oder gemeinschaftsbezogenen Aspekten jedes Prinzips zu Ungerechtigkeiten gerade dadurch führen könnte, dass es den entgegengesetzten Aspekt außer Acht lassen würde. So ist unsere Version einer anerkennungsbezogenen Theorie der Verteilungsgerechtigkeit in dem Sinne pluralistisch und kontextgebunden, als sie keinen Vorrang eines Prinzips der Gerechtigkeit, sondern die Gleichwertigkeit von individualitäts- und relationsbezogenen Prinzipien in den verschiedenen Kontexten der sozialen Anerkennung behaupten möchte. Und es wird hier auch deutlich, dass die potenzielle Ungerechtigkeit in den Fällen, in denen die Gemeinsamkeit der Relation außer Acht gelassen wird, mit der Etablierung von Asymmetrien in den jeweiligen Anerkennungskontexten zusammenhängt – also von Herrschaft –, während die entgegengesetzte Ungerechtigkeitsform auf die Gleichgültigkeit gegenüber der Partikularität individueller Fälle bezogen ist, die wir – hier im Übereinstimmung mit Honneth – als Zeichen von Unfreiheit verstanden haben. Die Einsicht in die Komplexität der Frage nach der Verteilung, wenn sie aus einer intersubjektivistischen Perspektive betrachtet wird, dürfte auch politische Folgen haben, etwa bei der Diskussion um sozialstaatliche Maßnahmen. Was die normative Bedeutung der Gleichheit angeht, zeigt sich dabei auch noch etwas, das sich bei der üblichen liberalen Gleichheitskonzeption nicht wahrnehmen ließ: Ist Gleichheit, als soziale, kommunikative Gleichheit verstanden, als Ausdruck der Herrschaftsfreiheit intersubjektiver Relationen zu begreifen, so erhält sie auch als Verteilungsprinzip eine eigene normative Bedeutung, die jener der Freiheit nicht untergeordnet ist, obwohl beide kommunikativen Begriffe sich wechselseitig aufeinander beziehen. Der wichtigste Grund, auf der Bedeutung von Gleichheit auch bei Verteilungsfragen zu bestehen, ist gerade 197
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die Möglichkeit von Herrschaft, die jede Anerkennungsrelation asymmetrisch zu machen droht. Insofern eine Gerechtigkeitsauffassung, welche die relationale, auf Anerkennungsbeziehungen gegründete Verfasstheit der Gesellschaft ernst nimmt, Gründe anbietet, auf Gleichheit als normativem Wert zu bestehen (und dies sogar erfordert), ist sie als Konzeption eindeutig egalitaristisch. Umgekehrt dürfte wohl der Verzicht auf Gleichheit als eigenständigen normativen Wert bei Gerechtigkeitstheorien ein implizites Inkaufnehmen von Herrschaft bedeuten.
198
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Steffi Hobuss, Nicola Tams (Hg.) Lassen und Tun Kulturphilosophische Debatten zum Verhältnis von Gabe und kulturellen Praktiken August 2014, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2475-5
Franziska Martinsen, Oliver Flügel-Martinsen (Hg.) Gewaltbefragungen Beiträge zur Theorie von Politik und Gewalt 2013, 234 Seiten, kart., 26,99 €, ISBN 978-3-8376-2541-7
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Edition Moderne Postmoderne Annika Schlitte, Thomas Hünefeldt, Daniel Romic, Joost van Loon (Hg.) Philosophie des Ortes Reflexionen zum Spatial Turn in den Sozialund Kulturwissenschaften Mai 2014, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2644-5
Paul Sörensen, Nikolai Münch (Hg.) Politische Theorie und das Denken Heideggers 2013, 252 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2389-5
Sabine Till Die Stimme zwischen Immanenz und Transzendenz Zu einer Denkfigur bei Emmanuel Lévinas, Jacques Lacan, Jacques Derrida und Gilles Deleuze 2013, 226 Seiten, kart., 27,99 €, ISBN 978-3-8376-2430-4
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Filipe Campello Die Natur der Sittlichkeit Grundlagen einer Theorie der Institutionen nach Hegel Juli 2014, ca. 230 Seiten, kart., ca. 28,99 €, ISBN 978-3-8376-2666-7
Mara-Daria Cojocaru Die Geschichte von der guten Stadt Politische Philosophie zwischen urbaner Selbstverständigung und Utopie 2012, 256 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2021-4
Stefan Deines, Daniel Martin Feige, Martin Seel (Hg.) Formen kulturellen Wandels 2012, 278 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1870-9
Christian Dries Die Welt als Vernichtungslager Eine kritische Theorie der Moderne im Anschluss an Günther Anders, Hannah Arendt und Hans Jonas 2012, 518 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1949-2
Maximilian Lakitsch Unbehagen im modernen Staat Über die Grundlagen staatlicher Gewalt 2013, 244 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2368-0
Hilge Landweer, Catherine Newmark, Christine Kley, Simone Miller (Hg.) Philosophie und die Potenziale der Gender Studies Peripherie und Zentrum im Feld der Theorie 2012, 346 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2152-5
Christian Lavagno Jenseits der Ordnung Versuch einer philosophischen Ataxiologie 2012, 228 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1998-0
Matthias Mayer Objekt-Subjekt F. W. J. Schellings Naturphilosophie als Beitrag zu einer Kritik der Verdinglichung Februar 2014, 388 Seiten, kart., 38,99 €, ISBN 978-3-8376-2586-8
Martin Müller Private Romantik, öffentlicher Pragmatismus? Richard Rortys transformative Neubeschreibung des Liberalismus Januar 2014, 784 Seiten, kart., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2041-2
José M. Romero (Hg.) Immanente Kritik heute Grundlagen und Aktualität eines sozialphilosophischen Begriffs Juni 2014, ca. 160 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2581-3
Juliane Spitta Gemeinschaft jenseits von Identität? Über die paradoxe Renaissance einer politischen Idee 2012, 356 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2236-2
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