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German Pages 726 [728] Year 2001
ALBERTUS MAGNUS
Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens.
Neue Folge Band 10
Im Auftrag der Dominikanerprovinz Teutonia herausgegeben von Walter Senner OP (Federführender Herausgeber) Kaspar Elm Ulrich Engel OP Isnard W. Frank OP Ulrich Horst OP
ALBERTUS MAGNUS Zum Gedenken nach 800 Jahren: Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven
Herausgegeben im Auftrag der Dominikanerprovinz Teutonia durch Walter Senner OP unter Mitarbeit von Henryk Anzulewicz, Maria Burger, Ruth Meyer, Maria Nauert, Pablo C. Sicouly OP, Joachim Söder, Klaus-Bernward Springer
Akademie Verlag
Gedruckt mit Unterstützung der Dominikanerprovinz Teutonia
Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-05-003563-3
ISSN 0942-4059 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2001 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM MEDIA, Berlin Bindung: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany
Inhaltsverzeichnis SENNER, Walter OP HONNEFELDER, Ludger Albertus Magnus Institut
1. Teil
Vorwort Albertus Magnus 1200-2000 Albertus Magnus: Gesamtverzeichnis der Werke und ihrer Abkürzungen
IX-XVI XVII-XXIV XXV-XXIX
ALBERTS QUELLEN
Die Erprobung der Vernunft. Vom Umgang mit Traditionen in De homine JECK, Udo Reinhold Albert der Große über Anaximander Zur Rezeption des Moses Maimonides im RIGO, Caterina Werk des Albertus Magnus The Reception ofAvicennas ' "Philosophia BERTOLACCI, Amos Prima " in Albert the Great 's Commentary on the "Metaphysics ": the case of the doctine of unity WÉBER, Édouard-Henri OP Un thème de la philosophie arabe interprété par Albert le Grand SÖDER, Joachim
2. Teil AERTSEN, Jan
ANZULEWICZ, Henryk FÜHRER, Markus L. WÖHLER, Hans-Ulrich SANTOS-NOYA, Manuel GULDENTOPS, G u y
LIPKE, Stephan
1-13 15-27 29-66
67-78 79-90
PRIMA PHILOSOPHIA, ERKENNTNIS
Die Frage nach dem Ersten und Grundlegenden. Albert der Große und die Lehre von den Transzendentalien „ Bonum " als Schlüsselbegriff bei Albertus Magnus Albertus Magnus ' Theory of Divine Illumination Alberts des Großen Lehre von den Kontrarietäten Die Universalienlehre der „ Nominales " in der Darstellung Alberts des Großen Albert 's Influence on Bate 's Metaphysics and Noetics Die Bedeutung der Seele für die Einheit des Menschen nach De homine
91-112 113-140 141-155 157-169 171-194 195-206 207-219
VI
3. Teil SCHÖNBERGER, R a l f SAARINEN, R i s t o MCCLUSKEY, C o l l e e n TROTTMANN, C h r i s t i a n
Inhaltsverzeichnis
WILLE Rationale Spontaneität. Zur Theorie des Willens bei Albertus Magnus Die aristotelische Willensschwäche im Mittelalter: der Beitrag von Albertus Magnus Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action La synderese selon Albert le Grand
4. Teil
ETHIK UND POLITIK
MÜLLER, Jörn
Ethics as a Practical Science in Albert the Great's Commentaries on the Nicomachean Ethics Philosophische Ethik im Rahmen der Theologie bei Albertus Magnus Die Entwicklung der Bestimmung der Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus Albert's Readings of Aristotle 's MoralPhilosophical Treatises on Pleasure vis-ä-vis Three Recent Perspectives on his Thought Ordo naturae et ordo politicus unter ontotheologischer Perspektive bei Albert dem Großen Politische Theorie und politische Praxis: Albertus Magnus und die städtische Gemeinde Albertus Magnus und politisch ausweglose Situationen in Köln
ERNST, Stephan STAMMKÖTTER, F r a n z -
Bernhard TRACEY, Martin J.
PIERPAULI, José Ricardo
SCHMIDT, Hans-Joachim STEHKÄMPER, Hugo
5. Teil MEYER, Ruth
ASÜA, Miguel de PARAVICINI BAGLIANI,
Agostino HOSSFELD, P a u l LINDGREN, U t a
221 -234 235-242 243-254 255-273
275-285 287-301 303-310
311 -325
327-341 343-357 359-373
PHILOSOPfflA NATURALIS „Positio vero est quidam situs partium et generationis ordinatio ". Zur Kategorie der Lage bei Albertus Magnus Minerals, Plants and Animals from A to Z. The Inventory of the Natural World in Albert the Great 's philosophia naturalis Le Speculum Astronomiae. Enquete sur les manuscrits Das zweite Buch der Meteora des Albertus Magnus Abschied von Aristoteles. Die Zeit als Problem
375-388
3 89-400 401 -411 413-426 427-435
Inhaltsverzeichnis
KÖHLER, Theodor Wolfram OSB
6. Teil EMERY, Gilles OP OLSZEWSKI, Mikolaj HOENEN, Maarten F. HOEDL, Ludwig
BLASBERG, Ralf
OBENAUER, Klaus OP HORST, Ulrich OP
CONFORTI, Patrizia
7 . TEIL HOYE, William J. MOONAN, Lawrence SLCOULY, Pablo C. OP
SCHINAGL, Elisabeth SPRINGER, Klaus-Bernward
Der Tiervergleich als philosophisch-anthropologisches Schlüsselparadigma - der Beitrag Alberts des Großen BIBLISCHE U N D SYSTEMATISCHE THEOLOGIE La relation dans la théologie de S. Albert le Grand St. Albert the Great's Theory Of Interpretation of the Bible Glaube und Vernunft. Die Trinitäts Theologie des Albertus Magnus Wesenseinheit und Personbeziehungen im frühen trinitätstheologischen Denken Alberts des Großen „Qui tempus ab aevo ire iubes ". Zur positiven Theologie der Zeit im Frühwerk und in der Summa des Albertus Magnus Zur Prädestinationslehre des hl. Albertus Magnus Albertus Magnus und Thomas von Aquin zu Matthäus 16,18 f . Ein Beitrag zur Lehre vom päpstlichen Primat La doctrine de la grâce d'union et son évolution chez Albert le Grand et ses contemporains MYSTIK U N D SPIRITUALITÄT Mystische Theologie nach Albert dem Großen What is a negative theology? Albert's answer Gebet als „ instrumentum theologiae ". Zu einer Aussage Alberts des Großen in seinem Kommentar zu Ps.-Dionysius' De divinis nominibus Naturwissen in den Predigten der Handschrift Leipzig Univ. 683 Albertus Magnus und die „religiöse Frauenbewegung"
VII
437-454
455-465 467-478 479-492
493-513
515-535 537-552
553-571
573-586
587- 603 605-618
619-631 633-645 647-662
VIII
Inhaltsverzeichnis
Register Textstellen bei Albertus Magnus Handschriftenregister Personen aus Bibel, Antike und Mittelalter
665-677 679-680 681-687
S a c h r e g i s t e r (vorzugsweise lateinische Begriffe)
689-697
Vorwort In der Geschichtschreibung des Abendlandes hat nur der heilige Albertus Magnus - neben Papst Leo und der Mystikerin Gertrud von Helfta - den Beinamen „der (die) Große" erhalten, ohne daß diese Ehrung für militärische Siege erfolgt wäre. Er allein ist wegen seiner wissenschaftlichen Leistungen so genannt worden: magnus in philosophia - bereits zu Lebzeiten1. Dieses wissenschaftliche Profil vereinte er mit organisatorischem Geschick und mit einer tiefen Verankerung im christlichen Glauben, die sich in einer innigen Frömmigkeit und in geschätztem seelsorglichem Rat ausdrückte. Für die deutschen Dominikaner ist er nicht nur Begründer ihrer intellektuellen Tradition, sondern auch heute Vorbild für Offenheit, Vielseitigkeit und Gottvertrauen. Im Jahr 2000 waren mindestens 800 Jahre seit der Geburt jenes wirklich staunenswert vielseitigen doctor universalis vergangen, der an Breite des Wissens und innovativer Kraft nicht nur alle seine Zeitgenossen übertraf. Im Spätjahr 1999 erarbeiteten P. Thomas Krauth OP, damals Prior des Dominikanerkonvents an St. Andreas in Köln und damit Hüter der Reliquien des hl. Albertus Magnus - und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Albertus Magnus Instituts, Bonn, - das die kritische Edition seiner Werke betreut - gemeinsam ein Konzept für die Vortragsreihe des Ferienforums in St. Andreas für dieses Jubiläumsjahr. Dabei entstand die Anregung, nicht nur die Vorträge in einer Veröffentlichung zu dokumentieren2, sondern auch den aktuellen Forschungsstand - und hierbei vor allem innovative Entwicklungen - in einem Sammelband festzuhalten. Besonders Herr Dr. Anzulewicz, Editor an dem Bonner Institut, setzte sich für diese Idee ein. Spontane Befürwortung fand das Vorhaben auch bei dem Herausgeberkreis der Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Die Dominikaner-Ordenssprovinz Teutonia hatte bereits 1980 zu Alberts 700. Todestag einen Band veranlaßt3, jetzt gab sie mir den ehrenvollen Auftrag, dieses Projekt zur Erinnerung an seinen 800. Geburtstag zu koordinieren. Angesichts der angespannten Personalsituation konnte aus dem Dominikanerorden nur P. Pablo Sicouly OP an der Redaktion mitarbeiten. Frau Dr. Maria Burger, Frau Dr. Ruth Meyer und die Herren Dr. Henryk Anzulewicz und Dr. Joachim R. Söder vom Albertus-Magnus-Institut so wie Herr Dr. Klaus-Bernward Springer, Mainz, Geschäftsführer des Instituts zur Erforschung der Geschichte des Dominikanerordens im deutschen Sprachraum, erklärten sich hochherzig bereit, mit uns die Konzeption näher auszuarbeiten und die Redaktion zu übernehmen. Erst dadurch wurde das Projekt realisierbar.
2
G R A B M A N N , Martin: Der Einfluß Alberts des Großen auf das mittelalterliche Geistesleben (1928), neubearb. in: Ders.: Mittelalterliches Geistesleben, Bd. 2. München 1936, hier S. 336-338. Albertus Magnus 1200-2000. In: Wort und Antwort 41 (2000), H. 4. Albertus Magnus Doctor universalis 1280-1980, hrsg. von Gerbert Meyer OP und Albert Zimmermann. Mainz 1980 (Walberberger Studien, Phil. Reihe, 6).
X
WALTER SENNER
In den letzten Jahren sind durch die Forschung neue Konturen in Alberts Philosophie gefunden und vielfaltige Studien zu den naturwissenschaftlichen Disziplinen hervorgebracht worden 4 . Parallel zu einem Forschungsdefizit in der Theologie des Mittelalters überhaupt 5 mangelte es in jüngerer Zeit an Arbeiten zur Theologie des Albertus Magnus, der ja Magister in theologia war. Hier können wir mit Befriedigung festeilen, daß wir zahlreiche Beiträge erhalten haben und hoffen, daß diese zu einem belebenden Impuls für künftige Forschungen werden. Eine Einladung zur Mitarbeit erging an alle uns bekannten Albertus-Magnus Forscherinnen und Forscher. Sie war bewußt weder auf bestimmte Fächer, noch auf bestimmte Forschungsrichtungen beschränkt: unsere Absicht ist es nicht, eine bestimmte Albert-Interpretation wissenschaftspolitisch zu lancieren, sondern die Verständigung gerade auch die interdisziplinäre - über Albertus Magnus und sein Werk zu fördern, ohne die ein tieferes Verstehen dieses so komplexen, wie thematisch breiten Denkers nicht möglich ist. Neben den verdienten und bekannten wollten wir besonders auch junge Autorinnen und Autoren ansprechen, auf die wir durch methodisch oder vom Untersuchungsgegenstand her neue Beiträge aufmerksam geworden waren. An dieser Stelle möchte ich mich bei all' denen entschuldigen, deren Arbeiten uns nicht - oder nicht rechtzeitig - bekannt geworden sind. Erfreulich viele der Eingeladenen reagierten positiv, wenn auch leider einige, deren Beiträge wir gerne hier gesehen hätten, aus Alters- oder Krankheitsgründen absagen mußten. Da wir bewußt nicht in Konkurrenz zu den verdienstvollen „Wegen der Forschung" treten - also keinen Querschnitt durch die Albert-Forschung des letzten Jahrhunderts zusammenstellen - sondern neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven darbieten wollen - sind alle Beiträge hier erstmals veröffentlicht. Der vorliegende Band ist so eine Momentaufnahmen aktueller Forschung geworden, sie ist nicht vollständig flächendeckend, aber doch umfassender als bisherige Sammlungen. Daß sich dabei zu zahlreichen Fragen keine „Einheitsmeinung" ergeben hat, liegt in der Natur des wissenschaftlichen Diskurses als eines unabgeschlossenen Prozesses: es zeigt, daß wir unser Ziel, die verschiedenen Perspektiven zu Wort kommen zu lassen, wenigstens zum guten Teil erreicht haben. Mittels der Register werden Interessierte die unterschiedlichen Positionen zu den jeweils gesuchten Themen schnell auffinden können. Da den Autorinnen und Verfassern der Beiträge enge Grenzen hinsichtlich des Umfangs gezogen werden mußten, sind als zu knapp und gerafft empfundene Argumentationsgänge nicht ihnen anzulasten, sondern dem Herausgeber.
Siehe hierzu den umfassenden Literaturbericht von ANZULEWICZ, Henryk: Neuere Forschungen zu Albertus Magnus. Bestandsaufnahme und Problemstellungen. In: Recherches de théologie et philosophie médiévales 66 (1999), S. 163-206. Zur philosophischen Bewertung auch HONNEFELDER, Ludger: S. XVII - X X V in diesem Bd. Symptomatisch ist, daß GOETZ, Hans-Werner: Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung. Darmstadt 1999 - der Autor ist immerhin Vorsitzender des sich interdisziplinär verstehenden Mediävistenverbandes - ohne einen Abschnitt über Theologie auskommt.
Vorwort
XI
Um den realisierbaren Umfang - sowohl thematisch als auch arbeits- und herstellungsmäßig - nicht zu überschreiten, mußte leider die umfangreiche und vielfältige spätere Rezeption Alberts ausgeklammert bleiben. Das ist um so bedauerlicher, als uns ein ganze Reihe sehr interessanter Themenvorschläge aus diesem Bereich unterbreitet worden sind. Es bleibt zu hoffen, daß sich Gelegenheit findet, von diesem reich bestellten Feld eine Ernte in Form eines eigenen Sammelbandes einzubringen. Die Rezeption durch Zeitgenossen des doctor universalis ist zwar nur in einem Beitrag ausdrücklich Thema 6 , sie wird aber an vielen Stellen angesprochen, wie ein Blick in das Personenregister zeigt. Der Vergleich mit seinem Schüler Thomas von Aquin legt sich natürlich besonders nahe; auch die dominikanischen Autoren in diesem Band betrachten Albert aber nicht als bloßen Vorläufer: Sein Proprium könnte aus einer solchen Perspektive nicht angemessen in den Blick kommen. Eine Vorstellung der einzelnen Beiträge würde - bei dem Umfang des Bandes und der Vielfalt seiner Themen - den Rahmen eines Vorwortes sprengen. Hier seien so nur die Teile umrissen, die sich, in leichter Verschiebung gegenüber einem ursprünglichen Plan, als Aufgliederung aus den eingesandten Beiträgen ergeben haben: In einem ersten Teil sind fünf Beiträge zu Alberts Quellen zusammengestellt. Einer von ihnen, zu Alberts Moses Maimonides-Rezeption 7 , ist erheblich länger als es dem gesetzten Rahmen entspricht: eine einschneidende Kürzung hätte seinen Wert, eine das Gesamtwerk Alberts umfassende Darstellung zu sein, zu stark herabgesetzt. Die Eigenart der prima philosophia als einer Philosophie des Ersterkannten 8 läßt es zu, ihr im sieben Beiträge umfassenden zweiten Teil die Erkenntnisproblematik beizuordnen. Vier Beiträge zur Willensproblematik und synderesis bilden als dritter Teil das Scharnier zwischen Erkenntnis und Ethik, die mit der Politik den vierten Teil aus sieben Beiträgen bildet. Das breite Spektrum der von Albertus Magnus so umfassend durch Beobachtung und Experiment, wie in der aristotelischen Theorie erforschten Natur ist in der heutigen Forschung - kaum verwunderlich - nicht vollständig präsent. Nur einige, allerdings wichtige Facetten können in den sechs Beiträgen des fünften Teils philosophia naturalis thematisiert werden. Den Beitrag von Ruth Meyer zur Kategorie der Lage 9 hat das Redaktionsteam nur mit Bedenken hier, statt in die philosophia prima eingeordnet, doch diese Grundlagenfrage jeder Naturerkenntnis schien uns hier an ihrem spezifischeren Platz. In den acht Beiträgen des sechsten Teils werden Themen der - im Mittelalter und damit auch für Albert nicht getrennten - biblischen und systematischen Theologie behandelt. Es wird hier deutlich, wie die Theologie in Gegenstand und Methode eigen-
6 7 8 9
Siehe unten, S. 195-206. Siehe unten, S. 29-66. Vgl. unten. S. XX f. u. 105-107. Siehe unten, S. 375-388.
XII
WALTER SENNER
ständig ist, aber dennoch weder auf die philosophisch grundgelegten Standards von Argumentation verzichtet werden kann, noch auf philosophische Reflexion von der natürlichen Vernunft zugänglichen Themen der Theologie. Das bedeutet nicht eine bloße Indienstnahme der Philosophie als ancilla theologiae, wie aber das Verhältnis beider näherhin zu bestimmen ist, bleibt kontrovers - in der Albert-Interpretation und auch in diesem Band. Ohne in eine Diskussion einzutreten, ob Albertus Magnus (auch) ein Mystiker war, und welche Kriterien für eine solche Bezeichnung zugrunde zu legen wären, ist festzustellen, daß er durch seine Kommentierung des Corpus Dionysiacum eine Theologie der Mystik entwickelt hat. Von daher ist der Terminus im Titel des siebten Teils „Mystik und Spiritualität" gerechtfertigt. Buchstäblich in letzter Minute sprach der Herausgeber Dr. Elisabeth Schinagl nach einem Vortrag Ende Mai 2001 an. Ihr Beitrag, der auch gut in den fünften Teil gepaßt hätte10, erreichte uns gerade noch rechtzeitig. Ohne ihn wäre das umfangreiche Wirken Alberts als Prediger ganz aus dem Blickfeld geblieben. Der verhältnismäßig kurze Anmerkungsapparat ist nicht der Verfasserin anzulasten, sondern dem Herausgeber, der sie nicht nur zur Kürze, sondern auch zur Eile angetrieben hat. Natürlich ist sich das Redaktionsteam bewußt, daß die Gliederung des Bandes nicht ohne ein Vorverständnis möglich war, und die Einordnung zu kontroversen Einschätzungen Anlaß gibt. Wir hoffen, daß sie den Leserinnen und Lesern dennoch eine Hilfe sein möge, ihren je eigenen Weg in das komplexe und hochgradig vernetzte Denken des doctor universalis zu finden. Vorangestellt ist ein einleitender, orientierender Beitrag von Prof. Ludger Honnefelder, Leiter des Albertus-Magnus-Instituts, Bonn, in dem eine Einschätzung der jüngeren Forschung, besonders zur prima philosophia, dem Fundament für die Theorie der natürlichen Erkenntnis, und ihrem Verhältnis zur Theologie gegeben wird. Es kann und soll nicht verhohlen werden, daß der hier vorgelegte Band erhebliche weiße Flecken aufweist: Alberts Biographie ist nur in kurzen Abschnitten - und zumeist nur implizit behandelt, seine Schriften zur Logik bleiben weitgehend ausgeklammert, es fehlt eine breitere thematische Befassung mit der Anthropologie - hier wird die kritische Ausgabe von De homine in der Editio Coloniensis in einigen Jahren eine sicherere Grundlage bieten. Auffällig ist, daß gerade zum Corpus Dionysiacum mehrere zugesagte Beiträge nicht fertig gestellt werden konnten: ob die Komplexität dieses, in seiner Wirkung kaum zu unterschätzenden Oeuvres des vorgeblichen Apostelschülers und seine - nicht auf einen einfachen Nenner zu bringende Kommentierung durch Albertus Magnus noch längerer Reflexion bedarf? Gerade hier läge ein besonders fruchtbares Thema für die weitere wissenschaftliche Diskussion.
10
Siehe unten, S. 633-645; vgl. besonders KÖHLER, Theodor W. zum Tiervergleich, S. 437-45.
Vorwort
XIII
Da an dieser Sammlung Forschende aus vielen verschiedenen Ländern und Fächern mitgewirkt haben und wir ihm Leserinnen und Leser aus zumindest ebenso vielen Regionen und Disziplinen erhoffen, haben wir, das Redaktionsteam, die jeweils fachspezifischen Abkürzungen für Serienwerke, Zeitschriften und Ähnliches aufgelöst - wir wollen ja kein Quizbuch vorlegen. Unverzichtbar erschienen uns dagegen Kurzbezeichnungen für die Werke Alberts. Als klarste und einfachste Lösung haben wir dafür die von dem Albertus-Magnus-Institut erarbeiteten und im Conspectus am Schluß der Bände der Editio Coloniensis abgedruckten verwendet. Sie sind nachstehend auf S. XXVXXIX in einem Verzeichnis zu finden, das uns das Albertus-Magnus-Institut freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, und das hier nach den Sigeln der Werke geordnet ist. In den Registern sind Nennungen der jeweiligen Albert-Stellen, Personen, Handschriften oder Sachen im Text der Beiträge und in den Anmerkungen wiedergegeben letztere kursiv. In das Register von Textstellen bei Albertus Magnus sind Zitate aus seinen Werken und (kursiv) Verweise auf Textstellen aufgenommen - nicht jedoch allgemeine Erwähnungen ganzer Werke. Indexiert ist jeweils die kleinste Texteinheit, auf die Bezug genommen wird; auf einzelne Argumentationsteile unterhalb dieser Ebene wird nicht gesondert verwiesen. Das Register der Handschriften ist nach den Orts-, sodann den Bibliotheksnamen jeweils in ihrer heutigen offiziellen Form - und schließlich gegebenenfalls den Sammlungsbezeichnungen und den Signaturen geordnet. Personen aus Bibel, Antike und Mittelalter sind in einem eigenen Verzeichnis zusammengestellt. Angesichts der geradezu babylonischen Sprachverwirrung, die in der internationalen Literatur herrscht, sind hier, wo immer möglich, die lateinischen Namensformen nach den „Regeln für die alphabetische Katalogisierung" (RAK)" wiedergegeben - bei Dominikanern jedoch mit Vorzug nach Kaeppeli 12 . Da es hier um einen mediävistischen Kontext geht, sind auch hebräische und arabische Personennamen in ihrer latinisierten Form angesetzt; von der Namensform in der Originalsprache wird gegebenenfalls verwiesen, wenn sie sich stark unterscheidet - nicht jedoch von in moderne Sprachen übersetzten Namen. Um die Register nicht über das auszudehnen, was wir in dem knappen Zeitrahmen bewältigen konnten, mußte ein Verzeichnis neuzeitlicher und zeitgenössischer Personen entfallen. Das Sachregister beruht im wesentlichen auf Angaben der Autorinnen und Autoren. Es ist kein philologischer Wortindex, sondern eine Auswahl derjenigen Stellen, bei denen auf die jeweiligen Begriffe näher eingegangen wird. Freilich war eine Vereinheitlichung nötig: Da Albertus Magnus sich in wissenschaftlichem Kontext der lateinischen Sprache bediente und seine überlieferten Werke in ihr - zumeist näherhin in scholasti-
'1
Regeln zur Alphabetischen Katalogisierung - Personennamen des Mittelalters, hrsg. von der Bayerischen Staatsbibliothek, Red. Claudia Fabian. München 2 2000. KAEPPELI, Thomas: Scriptores Ordinis Praedicatorum medii aevii. T. 1-4. Roma 1970-1993.
XIV
WALTER SENNER
scher Fachterminologie - verfaßt sind, legte es sich nahe, lateinische Begriffe zugrunde zu legen. Dort, wo es keine solche Termini gibt (oder sie einer heutigen, mediävistisch beschlagenen Leserschaft gänzlich unbekannt wären) sind dafür deutsche eingesetzt. Englische und französische Begriffe sind latinisiert oder verdeutscht. Normalform ist der Nominativ Singular, bzw. der Infinitiv. Bei Begriffen aus mehreren Worten ist das Wort vorangestellt, das an andere, im Index bereits vorhandene, anschließt (also bonum summum statt summum bonum); um das Auffinden zu erleichtern, finden sich bei den am meisten gesuchten Stellen Verweisungen auf den Eintrag. Herzlich möchte ich den Einrichtungen danken, die uns Hilfe gewährt haben: dem Albertus-Magnus-Institut, Bonn, und dem Dominikanerkonvent Hl. Kreuz, Köln, für ihre Gastfreundschaft zu unseren Redaktionstreffen - ersteres und die Dominikanerprovinz Teutonia, Köln, haben darüber hinaus ihre Büro- und Kommunikations-Infrastruktur freigebig zur Verfügung gestellt. Das Institut für Europäische Geschichte, Mainz, Abteilung Abendländische Religionsgeschichte, hat freundlicherweise für die Endredaktion seine EDV und einen Arbeitsraum bereitgestellt. Besonderen Dank verdienen die, ohne die der Band nicht zustande gekommen wäre: Die sechs Damen und siebenunddreißig Herren, die ihr Wissen, ihre Kraft und Zeit in die Beiträge investiert haben. Das Redaktionsteam, mit mir Herr Dr. Anzulewicz, Frau Dr. Burger, Frau Dr. Meyer, P. Pablo Sicouly OP, Herr Dr. Söder und Herr Dr. Springer - ohne sie wäre die erhebliche Arbeit der Korrekturen, Vereinheitlichung der Formalia und Registererstellung nicht zu bewältigen gewesen; Herr Dr. Springer hat mit mir die Schlußredaktion übernommen und in gut zwei Wochen mit nicht nachlassender Energie und Umsicht alle Schwierigkeiten überwunden. Frau Maria Nauert, die Sekretärin der Ordensprovinz, hat trotz einer Erkrankung den Großteil der umfangreichen Korrespondenz und - zumal in der Zeit, in der ich häufig zwischen Rom, Köln und anderen Orten unterwegs war - viel Koordinationsarbeit umsichtig erledigt. Herr Manfred Karras vom Akademie Verlag hat auch diesen Band der Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens engagiert und effizient betreut. „In dulcedine societatis quaerere veritatem" 13 , so hat Albertus Magnus sein Ideal wissenschaftlicher Arbeit ausgedrückt, und so hat der Herausgeber die Zusammenarbeit im Redaktionsteam erfahren - durch alle Schwierigkeiten hindurch und um alle (besonders: EDV-) Klippen herum. Die Wahrheit, die wir suchen, ist eine - nicht in eine philosophische und eine theologische teilbar - auch wenn es verschiedene Wege gibt, sich zu nähern. Sie wird uns frei machen 14 . Nach Alberts Überzeugung machen auch die studio liberalia frei 15 , die Studien der Philosophie, der Natur, der „Weltweisheit" insgesamt,
13
Politico,
14
Joh. 8,32b; vgl. ALBERTUS Magnus: Super Ioh., ad locum: Ed. Paris, t. 24, S. 352.
15
Ebd.:S. 352a.
epilogus: Ed. Paris, t. 8, S. 804.
Vorwort
XV
doch die tiefste Dimension der Wahrheit ist Gottes Weisheit, aus der alles ist16. In diesem Band haben verschiedene Annäherungswege und -weisen an den doctor universalis Ausdruck gefunden. Keine, keiner kann von sich behaupten, die Wahrheit allein zu besitzen, aber in der societas, der „scientific Community", können wir uns gegenseitig auf dem Weg zur Wahrheit weiterhelfen. Wenn dieses Buch ein Schritt dazu ist, dann ist es das beste Gedenken, mit dem wir den heiligen Albertus Magnus ehren können.
Mainz, am Fest des hl. Hyazinth, 17. August 2001 fr. Walter Senner OP
16
Ebd.: S. 352b.
LUDGER HONNEFELDER,
Bonn
Albertus Magnus 1200 - 20001 Etwa 800 Jahre trennen uns von Alberts des Großen Geburtsjahr. Denn soweit wir aus den uns erhaltenen Quellen Rückschlüsse ziehen können2, muß Albert um das Jahr 1200 in Lauingen an der Donau geboren worden sein, bevor er am 15. November 1280 octogenarius et amplius in Köln verstarb und beigesetzt wurde. Was läßt uns noch nach acht Jahrhunderten die Erinnerung an ihn wachhalten? Warum ist sein Werk zum Gegenstand aufwendiger kritischer Edition und ebenso intensiver wie detaillierter Forschung geworden? Was ist der Grund, warum man ihn - als einzigen Philosophen und Theologen - schon früh mit dem Beinamen „der Große" ausgezeichnet hat - ist es die Person Alberts und sein Leben oder ist es der Enzyklopädist, der das Wissen der Zeit in seinem Oeuvre versammelte, oder ist es der Naturwissenschaftler, der selbst zu forschen begann, oder der Theologe, der die Disziplin in zentralen Punkten voranbrachte, oder ist es etwas ganz anderes, das mit diesen Kategorien nicht zu beschreiben ist? Gewiß ist es eindrucksvoll, wie sich in der Biographie Alberts der predigende Ordensmann mit dem forschenden Gelehrten, dem akademischen Lehrer und dem bischöflich wirkenden und friedenstiftenden homo politicus verbinden. Doch wären nur Person und Leben von Bedeutung, das Interesse an Albert ginge über das der Kirchengeschichte und der Hagiographie kaum hinaus. Auch der Pflanzen, Tiere und Gesteine beobachtende und selbst experimentierende Naturforscher fände ebenso wie der unermüdliche Enzyklopädist heute kaum noch eine über die Wissenschaftsgeschichte hinausgehende Aufmerksamkeit. Selbst in Philosophie und Theologie sind es bei allen Verdiensten nicht signifikante spezifische Lehren, die an Alberts Wirken über den Umkreis der beiden Disziplinen hinaus erinnern. Was also ist es, was ihn als einen „Großen" erscheinen läßt? I.
Daß der Theologe Albert sich auf dem Höhepunkt seines Wirkens entschließt, „alle Teile der Philosophie den Lateinern einsichtig zu machen"3 und deshalb die gigantische Aufgabe in Angriff nimmt, das verloren gegangene Gut der griechischen und arabisch-
1
2
3
Überarbeitete und erweiterte Fassung einer Ansprache aus Anlaß des 800. Geburtsjahres Alberts des Großen bei der vom Albertus-Magnus-Institut in Bonn am 17. November 2000 veranstalteten Lectio Albertina. Vgl. LOHRUM, Meinolf: Überlegungen zum Geburtsjahr Alberts des Großen. In: SENNER, Walter (Hrsg.): Omnia disce (FS Willehad P. Eckert). Köln 1996, S. 153-158. ALBERTUS Magnus: Phys. I, tr. 1, c. 1: Ed. Colon, t. 4,1, S. 1.
XVIII
LUDGER HONNEFELDER
en Wissenschaften dem lateinischen Westen neu zu erschließen, gibt einen Hinweis zur Beantwortung dieser Frage, freilich noch nicht die Antwort selbst. Als Albert diese Aufgabe übernimmt, ist er nahezu 50 Jahre alt. Er hat eine „erste theologische Periode" 4 seines Wirkens hinter sich und steht in der „dionysischen Periode", das heißt in der Kommentierung aller Werke des neuplatonischen Corpus Dionysiacum, als er drei Jahre nach Vorliegen der lateinischen Übersetzung durch Robert Grosseteste die Erklärung einer ersten aristotelischen Schrift, nämlich der Nikomachischen Ethik in Angriff nimmt. Wie wir wissen, folgen 35 weitere Kommentare zu den restlichen aristotelischen Schriften. Daß er mit der aristotelischen Ethik beginnt, macht die Herausforderung deutlich, der er sich mit der übernommenen Aufgabe stellt. Denn was er hier kommentiert, ist der Entwurf einer Ethik, die das menschliche Leben als Projekt eines Lebens aus universaler Wahrheit interpretiert und deshalb im bios theoretikos, im philosophischen Leben, die paradigmatische Gestalt gelungenen menschlichen Lebens erblickt. Es ist eine Ethik autonomer Selbstbestimmung und sozialer Verantwortung, ohne einer Offenbarung zu bedürfen oder von Gnade sprechen zu müssen. Und zu dieser Ethik paßt eine Metaphysik, die sich als „Erste Philosophie" versteht, nämlich als die Disziplin, in der die Frage nach dem gültigen Wissen ihren Abschluß findet, weil sie Erkenntnis des Ganzen und Ersten vermittelt. Beide Texte stellen für den christlichen Westen eine Provokation dar, vor allem, wenn man sie in dem wissenschaftlichen Anspruch ernst nimmt, den sie erheben. Und eben das tut Albert. Solange man die wieder bekannt gewordenen Texte des Aristoteles als einen Steinbruch betrachtet, aus dem dieses oder jenes Nützliche entnehmbar und in die eigene Lehre integrierbar ist und anderes abgewiesen oder beiseite gelassen werden kann, ist die Herausforderung gering. Nimmt man sie dagegen in ihrem Anspruch, einen bestimmten Wahrheitszusammenhang in inhaltlicher Vollständigkeit und begründungslogischer Unabhängigkeit zu entfalten, treten sie in Konkurrenz zu den tradierten theologischen Lehren und ihrem universalen Anspruch. Nicht ohne Grund enthält die 1277 ausgesprochene Verurteilung von 217 dem christlichen Glauben widersprechenden Sätzen durch Bischof Tempier beispielsweise Sätze wie den, daß es keine vernunftgemäß zu erörternde Frage gibt, die der Philosoph nicht erörtern und entscheiden dürfte, daß die Weisen der Welt ausschließlich die Philosophen seien oder daß die Glückseligkeit in diesem Leben und nicht in einem anderen besessen werde. 5 Die anstehende Konfrontation betrifft nicht nur einzelne Lehren. ,,[Z]um ersten Mal", so beschreibt Fernand Van Steenberghen den Vorgang, „verschafft sich ein kompaktes System wissenschaftlicher und philosophischer Disziplinen Eingang in die
4
5
V A N STEENBERGHEN, Fernand: Die Philosophie im 13. Jahrhundert, hrsg. v. Max A. ROESLE, München [u.a.] 1977, S. 256. Vgl. die Sätze 145, 154 und 176, in: Chartularium Universitatis Parisiensis, hrsg. v. Heinrich DENIFLE / Emile CHATELAIN, vol. I, Paris 1889, n° 473, S. 551-553.
Albertus Magnus 1200 - 2000
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christliche Welt. ... Eine heidnische Weisheit tritt auf einmal der christlichen Weisheit gegenüber." 6 Albert erkennt, daß hier weder Verbote weiterhelfen, noch die tradierte Strategie, wie sie Bonaventura noch einmal versucht, nämlich die neue Philosophie als ein begrenztes und ungewisses Wissen teils kritisch abzuweisen, teils in die als vera philosophia verstandene christliche Theologie einzuschmelzen. 7 Albert weiß, wovon die Rede ist. Er kennt aus der eigenen Kommentierung des Corpus Dionysiacum und anderer Schriften das Einheitsdenken des Neuplatonismus und das an ihm orientierte Konzept einer Theologie als alles umfassender und integrierender Einheitswissenschaft. Und er lernt nun nicht nur den Kosmos der aristotelischen Wissenschaften mit ihrer inhaltlichen Fülle kennen, sondern auch das damit verbundene Wissenschaftsverständnis, das an die Stelle der neuplatonischen Einheitswissenschaft das Konzept einer geordneten Vielheit von differenten Wissenschaften setzt. Das Ganze der Welt und des menschlichen Daseins kann von dem an den Ausgang bei der Sinneserfahrung gebundenen menschlichen Intellekt nur in einer geordneten Vielheit von Zugriffen erfaßt werden. Die Einheit kann nur als begrifflich gegliederte und logisch hergestellte Beziehungseinheit verstanden werden. 8 Daß Albert bei seinen Kommentierungen der verschiedenen aristotelischen Lehrschriften so tief in den Duktus des Denkens eintaucht, daß er nurmehr wie Aristoteles zu sprechen scheint, hat nicht nur mit der gewählten Methode der Paraphrase zu tun, sondern resultiert auch aus der Tatsache, daß Albert den wissenschaftstheoretischen Anspruch ernst nimmt, nach dem jede Wissenschaft ihren eigenen, in sich stehenden Wahrheitsanspruch besitzt, der aus den eigenen Prinzipien zu entfalten ist. Die wissenschaftstheoretischen Reflexionen, die Albert im Anschluß an die aristotelische Wissenschaftstheorie in den Vorworten seinen Ausfuhrungen in den einzelnen Kommentaren voranschickt 9 , zeigen, daß Albert bei jeder Zeile weiß, was er da tut. Albert vermittelt seiner Epoche nicht nur einen neuen Kosmos des wissenschaftlichen Wissens, sondern eine neue Perspektive der Wissenschaft. Es ist die Perspektive einer autonomen und gleichwohl endlichen Vernunft. Sie ist ein Vermögen, das das Ganze im Modus der Wissenschaft zu erfassen vermag, das sich jedoch auf dieses Ganze nur auf dem Weg der Forschung, nämlich im Ausgang von der sinnlichen Erfahrung in einer in mannigfachen Bezügen stehenden Mehrheit je begrenzter Zugriffe zu beziehen vermag. Die Einheit des Ganzen und seines Ursprungs kann von einer solchen Vernunft nur als eine Einheit der Beziehung des Differenten gedacht werden. Eben dies
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Vgl. V A N STEENBERGHEN [Anm. 4], S. 268f. Zum Zusammenhang vgl. HONNEFELDER, Ludger: Christliche Theologie als „wahre Philosophie". In: COLPE, Carsten u.a. (Hrsg.): Spätantike und Christentum, Berlin 1992, S. 55-75. Vgl. dazu ausfuhrlicher die demnächst erscheinenden Beiträge der anläßlich des 800. Geburtsjahrs Alberts des Großen vom Albertus-Magnus-Institut in Bonn am 14.-18. 8. 2001 veranstalteten Internationalen Konferenz Die Anfänge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter. Vgl. vor allem die Vorworte zu Alberts Kommentierungen der Nikomachischen Ethik, der Physik und der Metaphysik.
XX
LUDGER HONNEFELDER
ist die Formel, die Albert der Vieleinheit der aristotelischen Wissenschaften und der dahinter stehenden Wissenschaftstheorie entnimmt und mit der er in Ablösung der neuplatonisch-theologischen Einheitswissenschaft seiner Epoche einen neuen Denkweg eröffnet. 10 Bezeichnenderweise fuhrt er für das neue Studium universale in Köln ein Curriculum ein, das nicht mehr der an der Sentenzen- und Bibelkommentierung orientierten Pariser Ordnung entspricht, sondern mit Vorlesungen zum Corpus Dionysiacum und vor allem zur Nikomachischen Ethik der „Wende zur Philosophie" 11 folgt, die er der verbreiteten Abneigung der Theologen gegen die Philosophie entgegensetzt 12 . II. Albert ist sich der prekären Seiten des an Aristoteles orientierten Modells bewußt; denn er kennt die Extreme der Aristotelesdeutung und die mit ihnen verbundenen Aporien. Er bekämpft die averroistische These von der Einheit des Intellekts, betont aber die Verschiedenheit von Philosophie und Theologie als zwei je eigenen Wissenschaften so entschieden, daß Siger von Brabant sich auf diese Unterscheidung beziehen kann, freilich um daraus Folgerungen zu ziehen, die Albert nicht zieht. „[Wäre] Alberts Enzyklopädie um ein Jahrzehnt früher erschienen", so vermutet van Steenberghen, „hätte sie vielleicht in präventiver Weise das Entstehen des heterodoxen Aristotelismus verhindert" 13 . Albert kennt durch seine intensive Kommentierung der dionysischen Schriften aber auch die neuplatonische Alternative zu Averroes und deren inhärente Probleme. Folgt man nämlich der Denkordnung, wie sie das Corpus Dionysiacum wiedergibt, dann geht das Gute dem Seienden voraus 14 . Eben damit aber wird die absolute Transzendenz offenkundig, die nach Plotin das Eine als das schlechthin Erste von allem anderen, auch dem Seienden trennt. Wie aber kann dieses Eine erkannt und gedacht werden, wenn man mit Aristoteles der menschlichen Vernunft einen privilegierten Erkenntniszugang in Form intellektueller Anschauung abspricht? Das Äußerste, das eine an den Ausgangspunkt bei der sinnlichen Erfahrung gebundene Vernunft zu erkennen vermag, sind
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12
13 14
Vgl. ausfuhrlicher HONNEFELDER, Ludger: Albertus Magnus und die Aktualität der mittelalterlichen Philosophie. In: HONNEFELDER, Ludger / DREYER, Mechthild (Hrsg.): Albertus Magnus und die Editio Coloniensis, Münster 1999 (Lectio Albertina, 1), S. 23-38. STURLESE, Loris: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen 748-1280, München 1993, S. 3 3 2 - 2 4 2 . Vgl. dazu SENNER, Walter: Albertus Magnus als Gründungsregens des Kölner Studium generale der Dominikaner. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (Hrsg.): Geistesleben im 13. Jahrhundert, Berlin - N e w York 2000 (Miscellanea Mediaevalia, 27), S. 149-169. V A N STEENBERGHEN [Anm. 4], S. 284. Vgl. die Abfolge von c. 4 und c. 5 in ALBERTUS Magnus: Super Dion. De div. nom.: Ed. Colon, t. 37,1, S. 113-326.
Albertus Magnus 1200 - 2000
XXI
- wie Albert mit Avicenna feststellt - die „allgemeinsten Begriffe", die in „Auflösung" unserer abstraktiv gewonnenen gegenständlichen Begriffe erfaßt werden können und die sich als solche erweisen, die alle Kategorien „übersteigen" (transcendunt). 15 Deshalb stellt Albert in seinem Kommentar zu De divinis nominibus fest, daß das „Gute" nur dann als etwas dem „Seienden" Voraufgehendes verstanden werden kann, wenn mit dem „Guten" das Ziel gemeint ist, das die Ursache zum Wirken veranlaßt und das deshalb als die Ursache der Ursachen zu betrachten ist.16 Der neuplatonischen Metaphysik des Ausgangs von einem Ersten wird damit von Albert, wie J. Aertsen zurecht betont hat 17 , eine Metaphysik des Ausgangs vom Ersterkannten, nämlich dem Begriff „Seienden" vorgeordnet. Was von der neuplatonischen Einheitsmetaphysik festzuhalten ist, wird von Albert in eine aristotelisch-avicenneisch, d.h. als Wissenschaft vom Erst18
erkannten konzipierte Metaphysik eingeschmolzen. Denn es ist Aristoteles, dem Albert am Leitfaden des Avicenna folgt, wenn er als den Gegenstand, nämlich das subiectum der „Ersten Philosophie" nicht das erste ausgezeichnete Seiende, nämlich Gott, bezeichnet, sondern den Begriff des „Seienden". Der conceptus entis ist das subiectum, „auf das als das gemeinsame Prädikat die Teile und Unterschiede (des Subjekts) zurückgeführt werden ... und dem die Eigentümlichkeiten folgen, von denen bewiesen wird, daß sie dem Subjekt zukommen" 19 . Bezeichnenderweise läßt sich nach Albert die Bedeutung des commune praedicatum „Seiendes" nur am Leitfaden einer Analogie, d.h. von einem ersten, nämlich dem ausgezeichnet Seienden der Substanz bzw. Gottes her gewinnen. Dieser aristotelische Leitfaden gestattet ihm, in der Erkenntnis des göttlich Seienden den Abschluß der Metaphysik zu sehen und den aus Proklos-Texten kompilierten Liber de causis als den Schlußstein der aristotelischen Metaphysik zu lesen. Dies ist möglich, weil Albert das „Sein" (esse) als das Erstgeschaffene eines ersten Seienden versteht, das Aristoteles als
15
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18
19
ALBERTUS Magnus: Metaph. 1.1, tr. 1, c. 2: Ed. Colon, t. 16,1, S. 5, 12-33; ibid., tr. 2, c. 3: S. 20, 3 - S . 21,27. Vgl. ALBERTUS Magnus: Super Dion. De div. nom., c. 4, n. 55: Ed. Colon, t. 37,1, S. 162, 69 S. 164, 77. Vgl. dazu AERTSEN, Jan A.: Albertus Magnus und die mittelalterliche Philosophie. In: Allgemeine Zeitschrift fiir Philosophie 21 (1996), S. 111 - 128, bes. S. 122. Vgl. AERTSEN, Jan A.: Die Transzendentalienlehre bei Thomas von Aquin in ihren historischen Hintergründen und philosophischen Motiven. In: ZIMMERMANN, Albert (Hrsg.): Thomas von Aquin. Werk und Wirkung im Licht neuerer Forschungen, Berlin 1988 (Miscellanea Mediaevalia, 19), S.82-102, hier bes. S. 83f.; ders.: Albert der Große und die Lehre von den Transzendentalien. In: Omnia disce [Anm. 2], S. 159-168, u. in diesem Band, S. 91 - 112. Zum größeren Zusammenhang vgl. HONNEFELDER, Ludger: Der zweite Anfang der Metaphysik. Voraussetzungen, Ansätze und Folgen der Wiederbegründung der Metaphysik im 13./14. Jahrhundert. In: BECKMANN, Jan P. [u.a.] (Hrsg.): Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen. Hamburg 2 1996, S. 165-186. ALBERTUS Magnus: Metaph. I, tr. 1, c. 2: Ed. Colon, t. 16,1, S. 3, 64-68: „subiectum est in scientia, ad quod sicut ad commune praedicatum reducuntur partes et differentiae (...) et ad quod consequuntur passiones, quae inesse subiecto demonstrantur."
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LUDGER HONNEFELDER
den reinen Akt denkt. 20 Thomas folgt diesem Konzept und denkt das endliche Seiende als Einheit von Sein und Wesen und das erste Seiende als das subsistierende Sein selbst. An der Fortführung wird deutlich, daß es der Gedanke des „Seins" ist, der es Albert gestattet, die von Aristoteles vorgezeichnete Beziehung zwischen dem ersterkannten Begriff „Seiendes" und dem ersten Seienden zu denken und in der Gotteserkenntnis nicht einen zweiten Teil der Metaphysik zu sehen 21 , sondern sie als deren Abschluß zu betrachten, in der der allgemeinste Begriff, der die Erkenntnis Gottes allererst ermöglicht, seine Bedeutungserfüllung erfahrt. Die aristotelische Theologik wird in einer als Theorie der Transzendentalien verstandenen Ontologie grundgelegt, deren Sinn sich in der Entfaltung zur Ontotheologie zeigt. 22 III. Albert entwickelt dieses Konzept nicht nur, um das aristotelische Projekt einer „Ersten Philosophie" plausibel zu machen. Er braucht es für die auf Offenbarung gegründete Theologie, soll sie sich angesichts der Herausforderung durch die neue aristotelischarabische wissenschaftliche Weltsicht noch behaupten können. Eine am Paradigma und mit den Mitteln der neuplatonischen Einheitsmetaphysik entwickelte Theologie kann dies nicht leisten. Das scheitert schon an den Spannungen, die sich zwischen dem neuplatonischen Einen und dem christlichen Gott auftun. Wie die erwähnte Umdeutung des neuplatonischen Vorrangs des Guten vor dem Seienden in Alberts Kommentar zu De divinis nominibus zeigt , ist sich Albert des Problems durchaus bewußt. Mehr noch: Wie Alberts Bestimmung des Gegenstands der Metaphysik zeigt, weiß er, daß von einem ersten ausgezeichnet Seienden im Horizont menschlicher Vernunft nur geredet werden kann, wenn die Erkenntnis der transkategorialen Begriffe, der communissima gesichert ist. Gewiß kann christliche Theologie sich auf Offenbarung stützen, doch setzt auch Offenbarung zu ihrer Verständlichkeit die Erschlossenheit der communissima voraus. Soll solche Rede in Form von scientia entfaltet werden, muß diese Erschlossenheit explizit ausgewiesen werden. Die Offenbarungstheologie bedarf der „Ersten Philosophie" nicht nur zu ihrer „Vorhalle", sondern zu ihrer Durchführung in wissenschaftlicher Gestalt. Dies läßt die Theologie keineswegs in Metaphysik aufgehen. Gerade das von Aristoteles entwickelte philosophische Programm der theoria als Erfüllung der menschlichen Lebensform und deren Konzipierung als Theorie der transkategorialen communissima macht deutlich, daß das Projekt der Philosophie seinen Anspruch erheben, aber
20
21 22 23
Vgl. ausführlicher WIELAND, Georg: Untersuchungen zum Seinsbegriff im Metaphysikkommentar Alberts des Großen. Münster 1992 (Beiträge zurGeschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N F., 7). So LIBERA, Alain de: Albert le Grand et la philosophie. Paris 1990. Vgl. HONNEFELDER: Der zweite Anfang der Metaphysik [Anm. 15]. Vgl. Anm. 14.
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Albertus Magnus 1200 - 2000
selbst nicht einlösen kann, und eine auf Offenbarung sich stützende Theologie notwendig macht. Die Theologie aber kann ihre Aufgabe nicht erfüllen, so macht Albert bereits in seinem Sentenzenkommentar deutlich, wenn sie sich nicht als Wissenschaft (scientia) ausweist 24 . Daher sieht Albert den Gegenstand der Theologie nicht mehr einfach nach augustinischem Muster in den „res et signa", sondern nimmt - und dies als erster unter den Theologen der Zeit - zur genaueren Bestimmung von Einheit, Gegenstand und Methode der Theologie die Kategorien der aristotelischen Theorie der Wissenschaften zu Hilfe, wie sie sich in den Zweiten Analytiken finden. Im Prolog und im ersten Traktat des ersten Buchs seiner im Alter verfaßten Summe der Theologie, der Summa de mirabili scientia dei, verwendet Albert nicht nur diese Kategorien, er benutzt auch das von Aristoteles entwickelte Konzept der „Ersten Philosophie" als Folie, um auf deren Hintergrund deutlich zu machen, was das Spezifikum der auf Offenbarung sich stützenden Theologie ausmacht 25 . Theologie ist die höchste Wissenschaft sowohl in Bezug auf den Rang ihres Gegenstands {subiecti honorabilitate) als auch auf die Gewißheit ihrer Beweise (certitudine demonstrationum)26. Da es der Offenbarung und des Glaubens bedarf, um das von Aristoteles zur Einfuhrung der „Ersten Philosophie" als Weisheit herangezogene Ziel zu erreichen, auf das das Streben der menschlichen Natur angelegt ist, ist allein die auf Offenbarung sich beziehende Theologie im höchsten Maß Weisheit: „haec scientia sola sit sapientia vel maxime" 27 . Ein durch Offenbarung und Glauben vermitteltes Wissen vermag die für die endliche Vernunft charakteristische Differenz 28
von theoretischem und praktischem Erkennen hinter sich zu lassen . Da sich die Theologie zwar nicht auf das Seiende als Seiendes und seine Teile bezieht, insofern sie seiend sind, sondern in Form der Analogie auf ein bestimmtes Seiendes, nämlich dasjenige Seiende, das der Gegenstand des höchsten frui ist29 und das am Ende des Prologes als der im Modus der Unendlichkeit seiende Gott bezeichnet wird 30 , bezieht sie sich auf das Ganze im Modus des Partikulären. Deshalb ist sie, wie Albert vermerkt, weder universale noch partikuläre Wissenschaft 31 . Unter den Anspruch der Wissenschaftlichkeit gestellt, zeigt sie ihre spezifische und durch nichts anderes zu ersetzende Leistung als Weisheit.
24
25 26 27 28 29 30 31
Vgl. ALBERTUS Magnus: / Sent. d. 1, a. 1, und a. 5: Ed. Paris, t. 25, S.15a-b u. 19b. - Zum Verständnis der Theologie in Alberts Dionysius-Kommentaren vgl. neuerlich BURGER, Maria: Das Verhältnis von Philosophie und Theologie in den Dionysius-Kommentaren Alberts des Großen. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (Hrsg.): Was ist Philosophie im Mittelalter?, Berlin - N e w York 1998 (Miscellanea Mediaevalia, 26), S. 5 7 9 - 5 8 6 . Vgl. ALBERTUS Magnus: Summa /prol. und tr. 1, q. 3: Ed. Colon, t. 34,1, S. 1-4; S. 9 - 1 4 . Vgl. op. cit., 1.1, prol.: Ed. Colon, t. 34,1, S. 1, 6 - 3 2 . Vgl. loc. cit.: S. 2, 7 1 - 7 3 . Vgl. op. cit., 1. I, tr. 1, q. 3, c. 3: S. 13, 3 0 - 8 2 . Vgl. op. cit., 1.1, tr. 1, q. 3, c. 4: S. 14, 29-48. Vgl. op. cit., 1.1, prol.: S. 3, 68 - 4, 3. Vgl. op. cit., 1.1, tr. 1, q. 3, c. 4: S. 13, 84 - 14, 48.
XXIV
LUDGER HONNEFELDER
Daher behält Albert die Gliederung der Theologie nach dem neuplatonischen Schema von egressus und regressus, wie sie seit Eriugena bekannt und von Alexander von Haies zur Interpretation der Gliederung des Sentenzenbuchs des Lombarden benutzt wird 32 , nur noch äußerlich bei, folgt aber im ordo disciplinae dem Leitfaden der „Ersten Philosophie", um sich als das durch Philosophie nicht ersetzbare Andere der Philosophie zu erweisen, das gleichwohl seinen Anspruch unter den Bedingungen der Philosophie nur durch sie auszuweisen vermag. * *
*
Kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Was Albert seine bis heute das Interesse auf sich ziehende ,Größe' verliehen hat, ist die Bedeutung, die er auf einer der signifikantesten Epochenschwellen gewonnen hat, die den Weg von der antiken Entdeckung des Logos zur modernen wissenschaftlichen Rationalität kennzeichnen und unsere kulturelle Identität bis heute prägen. Albert hat seine Epoche für den Weltzugang durch die Wissenschaften geöffnet, wie ihn Aristoteles und seine jüdischen und arabischen Kommentatoren und Systematisierer vorbereiteten. Umgekehrt hat er diesen rationalen Weltzugang einer kritischen Öffnung zugeführt, die den tradierten Offenbarungsglauben als Sache der fragenden Vernunft selbst erscheinen läßt. Damit hat er der produktiven Wechselwirkung die Bahn gebrochen, die der Vernunft die ihr eigene Dialektik von Ausgriff und Grenze und dem Glauben die für ihn konstitutive Verwiesenheit auf die Vernunft hat bewußt werden lassen.
32
In Bezug auf Thomas von Aquin und den Aufbau der Summa Theologiae vgl. neuerlich METZ, Wilhelm: Die Architektonik der Summa theologiae des Thomas von Aquin. Hamburg 1998 (Paradeigmata, 18).
Albertus Magnus: Gesamtverzeichnis der Werke und ihrer Abkürzungen Gesamtausgaben Ed. Lugdun. ed. Petrus Jamny. Ed. Paris. ed. Auguste E. Borgnet Ed. Colon, begründet von Bernhard Geyer, ed. Albertus-Magnus-Institut, Bonn.
Abkürzung Anal. Post. Anal. Pr. De anima De animal. De bono De cáelo et mundo De causis et proc. univ. De causis propr. elem. De corp. dom.
Werktitel Analitica posteriora Analitica priora De anima De animalibus
Lyon 1651 Paris 1890- 1899 Münster i. W. 1951-
Ed. Lugdun.
Ed. Paris. Ed. Colon.
1,513-658
2,1-232
-
1,289-512
1,459-809
-
3a, 1-188
5,117-443
7/1
6
11.12
-
Andere Edition: Hermann Stadler, Bd. 1-2. Münster i. Wf. 1916-1920 28 De bono
De cáelo et mundo
2", 1-200
4,1-343
5/1
De causis et processu universitatis a prima causa De causis proprietatum elementorum De corpore domini
5,528-655
10,361-628
17/2
5,292-329
9,585-657
5/2,47-106
21",1-139
38,191-463
-
-
-
(De sacramento Eucharistiae)
De divis.
De divisione
Andere Edition: ed. Paulus de Loë. Bonn 1913. D e fato D e gen.
et corr. D e homine
De fato De generatione et corruptione De homine
-
-
17/1,65-78
2M-72
4,345-476
5/1,107-219
19"
35
-
XXVI
Abkürzung De incarn. De intell. et int. De iuv. et sen. De IV coaeq.
Albertus Magnus: Werke
Werktitel De incarnatione De intellectu et Intelligibili De iuventute et senectute (De aetate) De quattuor coaequaevis De memoria et reminiscentia De morte et vita
De memoria et rem. De morte et vita De mot. De motibus animaanimal. lium De mul. forti Liber de muliere forti seu In cap. XI Proverbiorum De myst. De mysterio missae Missae (De sacrificio missae) De nat. boni De natura boni De nat. et De natura et origine orig. an. animae De nat. loci De natura loci De nutrim. De nutrimento et nuet nutr. tritali De praedic. De praedicamentis De princ. De principiis motus motus proc. processivi
Ed. Lugdun.
Ed. Paris. Ed. Colon.
-
-
26,171-235
5,239-262
9,477-525
-
5,131-138
9,305-321
-
19a
34,307-789
5,52-63
9,97-119
-
5,159-175
9,345-373
-
5,109-131
9,257-303
-
12"
18,1-242
21 c , 1 -92
38,1-189
-
-
-
25/1
5,185-217
9,375-436
12,1-46
5,262-292
9,527-584
5/2,1-46
5,175-184
9,323-343
-
1,94-193
1,149-304
-
5,508-527
10,321-360
12,47-76
Andere Edition: ed. Hermann Stadler. München 1909.
De resurr. De sacram. De sensu et sens. De sex princ.
De resurrectione De sacramentis De sensu et sensato Liber sex principiorum
-
-
26,237-354
-
-
26,1-170
5,1-51
9,1-96
-
1,194-236
1,305-372
XXVII
Albertus Magnus: Werke
Werktitel Abkürzung De somno De somno et vigilia et vig. De sophist, el. D e sophisticis elenDe spir. et resp. De unitate intell. De V univ.
chis De spiritu et respiratione D e unitate intellectus
Ed. Lugdun. 5,64-109
Ed. Paris. 9,121-212
Ed. Colon. -
1,840-959
2,525-713
-
5,139-159
9,213-255
-
5,218-238
9,437-475
17/1,1-30
1,1-148 Super Porphyrium de "N 1,1-94 versalibus 5,342-507 10,1-320 De veget. De vegetabilibus Andere Edition: ed. Ernestus Meyer et Carolus Jessen. Berlin 1867. 17/1,31-44 De XV probi. De quindecim problematibus Andere Edition: ed. Pierre Mandonnet. Louvain 21908. 4a 7 Ethica Ethica 3b 6 16 Metaph. Metaphysica d 4,477-832 2 , 1-209 Meteora Meteora d 2 ,210-272 5,1-116 Miner. Mineralia 1,237-289 1,373-457 Peri herm. Peri hermeneias -
—
(De interpretatione) 2a, 1 -3 84 3 4 Physica b 4 8 Politica 17/1,45-64 Problemata determinata Andere Edition: ed. James A. Weisheipl. In: Mediaeval Studies 22 (1960), S. 303-354. 12,77-321 Quaest. super Quaestiones super De De animai. animalibus 25/2 Quaest. Quaestiones theol. 25.26 I Sent. Super I Sententiarum 14 27 II Sent. — Super II Sententiarum 15" 28 15" Ill Sent. — Super III SententiaPhys. Politica Probi, determ.
—
—
rum
—
—
XXVIII
Abkürzung IV Sent. Serm.
Albertus Magnus: Werke
Ed. Lugdun. Werktitel Super IV Sententia16 rum Sermones Parisienses
Ed. Paris. Ed. Colon. 29.30
—
-
-
17
31
34/1 (q.l50A)
18
32
-
ed. Bernhard Geyer. München 1966.
Summa I
Summa II
Super Bar. Super Dan. Super Dion. De cael. hier. Super Dion. De div. nom. Super Dion. De eccl. hier. Super Dion. Epist. Super Dion. Myst. theol. Super Ethica Super Euclid.
Summa theologiae sive de mirabili scientia Dei I Summa theologiae sive de mirabili scientia Dei II Super Baruch Super Danielem Super Dionysium De cadesti hierarchia Super Dionysium De divinis nominibus Super Dionysium De ecclesiastica hierarchia Super Dionysii Epistulas Super Dionysii Mysticam theologiam Super Ethica Super Euclidem
8a, 40-72
18,355-445
-
8", 1-80
18,447-653
-
13a
14,1-468
36/1 37/1
13", 1-116
14,469-809
36/2
13", 137-196
14,8671035
37/2,477-554
13", 117-136
14,811-865
37/2,453-475
-
-
-
-
14 -
Andere Edition: ed. Paul Tummers. Nijmegen 1984.
Super Ez. Super 1er. Super lob
Super Ezechielem (fragm.) Super Ieremiam (fragm.) Super lob
—
19,638-639
—
19,633-637
-
-
-
2
Super loh. Super Is.
Andere Edition: ed. Melchior Weiß. Paris 1905. 24 II a Super Iohannem
Super Isaiam
-
-
-
19
Albertus Magnus: Werke
Abkürzung Super Luc. Super Marcum
Super Matth. Super proph. min. Super Threnos Top.
Werktitel Super Lucam Super Marcum Super Matthaeum Super XII prophetas minores (ex. gr. Super Ionam) Super Threnos Topica
XXIX
Ed. Lugdun.
Ed. Paris.
10
22.23
9 b ,1-194
21,339-809
-
9 , 1-444
20.21,1-336
21
8C, 1-272
19
8 a ,l-39
18,243-353
-
1,658-839
2,233-524
-
a
Ed. Colon.
JOACHIM R . SÖDER,
Bonn
Die Erprobung der Vernunft. Vom Umgang mit Traditionen in De homine In seiner Monographie über „Die deutsche Philosophie im Mittelalter" behauptet Loris Sturlese, das Jahr 1250, in dem Albert der Große in Köln über die „Nikomachische Ethik" Vorlesungen hielt, markiere eine Wende im wissenschaftlichen Selbstverständnis des doctor universalis. Ab diesem Zeitpunkt würde er seinen „Entschluß ..., die Konfrontation mit dem antiken philosophischen Rationalismus aufzunehmen" 1 , in die Tat umsetzen. Diese „neue, breit angelegte Strategie" ziele darauf, den Zeitgenossen jenen „wissenschaftlichen und philosophischen Rationalismus ... in seiner ausfuhrlicheren, charakteristischeren und wirkungsvolleren Form (zu) präsentieren ..., nämlich in der Gesamtheit der Schriften des Aristoteles."2 In eine ähnliche Richtung weist Georg Wielands Interpretation des mit der genannten Ethik-Vorlesung verbundenen „epochalen Anspruchs": „Albert betreibt" - so Wieland - „nichts Geringeres als die umfassende Etablierung einer von der Theologie vollständig unabhängigen Philosophie, die sich einzig und allein menschlicher Leistung und menschlicher Vernunft verdankt und der kulturell dominierenden Theologie als eine selbständige Größe gegenübertritt. Es gibt von jetzt ab ... zwei prinzipiell konkurrierende Wirklichkeitsdeutungen."3 Hat sich Albert 1250 tatsächlich vom Theologen zum Philosophen, näherhin zum Aristoteliker gewandelt? Hat er die theologischen und religiösen Bindungen zugunsten einer „intellektuellen Unabhängigkeit"4 aufgegeben? Auf den ersten Blick scheinen hierfür eine Reihe von Fakten zu sprechen: Im Prolog des Kommentars zur aristotelischen Physik, der gleichfalls in dem angegebenen Jahr entstanden sein dürfte, entwirft Albert sein wissenschaftliches Großprojekt, alle Bücher des Aristoteles zu paraphrasieren und zu erläutern. Außerdem will er diejenigen Lehrstücke oder auch ganze Bücher, die Aristoteles selbst nicht ausgeführt hat oder die nicht überliefert wurden, kurzerhand selbst verfassen5. Aus diesen Worten spricht Alberts Auffassung, im Corpus Aristoteli-
2 3
4
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STURLESE, Loris: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (748-1280). München 1993, p. 333. Ebd., p. 335. WIELAND, Georg: Albertus Magnus und die Frage nach dem menschlichen Glück - zur ersten Kölner Ethikvorlesung. In: AERTSEN, Jan A. (Hrsg.): Albert der Große in Köln. Köln 1999 (Kölner Universitätsreden, H. 80), p. 26. In diese Richtung deutet die Frage, die THEISS, Peter: Die Wahrnehmungspsychologie und Sinnesphysiologie des Albertus Magnus. Frankfurt/Main 1997, p. 28, aufwirft. Vgl. ALBERTUS Magnus: Physica, 1. I, tr. 1, c. 1: Ed. Colon, t. 4,1, p. 1: „Taliter autem procedendo libros perficiemus eodem numero et nominibus, quibus fecit libros suos Aristoteles. Et ad-
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cum liege ein umfassendes ,System' aller Wissenschaften vor, eine wissenschaftliche Weltsicht im ganzen, die es den Lateinern zugänglich zu machen gelte6. Etwa zwanzig Jahre lang arbeitet sich Albert ab an der Einlösung des aufgestellten Programms, „der Ordnung und der Lehrmeinung des Aristoteles zu folgen"7: Es entstehen bis 1270 knapp vierzig Werke, die entweder Kommentare zu aristotelischen (bzw. pseudo-aristotelischen) Schriften sind oder aber Auslegungen anderer Autoren bzw. eigene Bücher, die die von Albert im aristotelischen .System' vermuteten Lücken füllen. Aristoteles' rationalistischer Ausgriff auf alle Bereiche der Wirklichkeit kontrastiert dem traditionellen Anspruch der sich auf göttliche Selbstoffenbarung berufenden christlichen Theologie, den universalen Orientierungsrahmen für jegliches Wissen bereitzustellen. Hier scheint es nur ein Entweder - Oder zu geben. Mit seinem 1250 begonnen Aristoteles-Projekt stellt sich Albert offenbar eindeutig auf die Seite ,des Philosophen'. Sicherlich, und hierin ist Sturlese uneingeschränkt zuzustimmen, markiert die Tatsache, daß Albert an der neugegründeten Kölner Dominikanerhochschule Vorlesungen über Aristoteles hält und in der Folge fast alle verfugbaren Aristoteles-Schriften paraphrasiert und kommentiert, einen tiefen Einschnitt im europäischen Wissenschaftsbetrieb. Ob dies jedoch auch dahin zu verstehen ist, daß Albert fiir sich selbst eine Wende weg von der Theologie vollzieht und sich fortan als .Philosoph' versteht, scheint mir keineswegs ausgemacht. Vordergründig dürfte dieser starken These widersprechen, daß Alberts große Bibelkommentare sämtlich nach 1250 anzusetzen sind8 und daß sein letztes, großangelegtes, aber unvollendetes Wissenschaftsprojekt ausgerechnet eine „Summe der Theologie" zu sein beansprucht. Sind diese Werke sozusagen wider bessere Einsicht entstanden? Oder müssen wir in Alberts langem Leben vielleicht mit mehreren „Wenden" rechnen?9 Zu befragen ist Sturleses These freilich auch in die zeitlich entgegengesetzte Richtung: Was heißt es, 1250 als Wende ,von der Theologie zur Philosophie' anzusehen? Bedeutet das, daß Albert bis dahin philosophische Argumente nur zur Bekräftigung einer theologisch immer schon feststehenden Wahrheit benutzt?
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demus etiam alicubi partes librorum imperfectas et alicubi libros intermissos vel omissos, quos vel Aristoteles non fecit vel forte si fecit, ad nos non pervenerunt." Vgl. hierzu etwa auch die detaillierte Aufgliederung aller naturwissenschaftlichen Disziplinen und ihre Zuweisung an einzelne Bücher des Aristoteles in ALBERTUS Magnus: Physica, 1. I, tr. 1, c. 4: Ed. Colon, t. 4,1, p. 6. A L B E R T U S Magnus: Physica, 1. I, tr. 1, c. 1: Ed. Colon, t. 4,1, p. 1: „Erit autem modus noster in hoc opere Aristotelis ordinem et sententiam sequi." Die meisten sind in die 1260er Jahre zu datieren, der Matthäus-Kommentar ist vielleicht schon Ende der 50er Jahre begonnen worden; vgl. ANZULEWICZ, Henryk: De forma resultante in speculo des Albertus Magnus. Münster 1999 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N.F. 53,1), p. 17. STURLESE [Anm. 1], p. 357 reißt diese Frage selbst an.
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Stimmt es, daß sich ,,[a]lle seine bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Werke ... innerhalb des üblichen Rahmens der beruflichen Aktivitäten eines Lektors und Lehrers der Heiligen Schrift" 10 bewegen? Zur Beantwortung dieser Fragen bedürfte es einer Untersuchung mit monographischen Ausmaßen, was an dieser Stelle nicht zu leisten ist. Die folgenden Überlegungen wollen gleichwohl ein kleines Mosaiksteinchen zur vorläufigen Orientierung beitragen. Sie sehen sich als Beitrag zu der von Sturlese als „dringendes Forschungsdesiderat"" angemahnten eingehenderen Erforschung der Frühschriften Alberts. Für unseren Sondierungsversuch darf die umfangreiche Abhandlung „Über den Menschen" unter mehrfacher Hinsicht als besonders geeignet angesehen werden. Die Schrift ist etwa 1242 in Paris entstanden, also deutlich vor der sogenannten „Wende". Sie behandelt ein Thema, das zentral für Alberts Denkbemühungen ist und ihn bis in die Spätwerke hinein beschäftigt 12 . Für dieses Denken dürfen die methodischen Standards ebenso wie die inhaltlichen Einsichten, wie sie in „De homine" Ausdruck finden, als repräsentativ angesehen werden 13 . Wir wollen uns in drei konzentrischen Fragebewegungen an das Problem des wissenschaftlichen Selbstverständisses Alberts und seines Umgangs mit den unterschiedlichen Traditionen herantasten.
I. Theologie oder Philosophie? „De homine" ist Teil eines auf den ersten Blick ganz und gar theologischen Projekts, nämlich dem einer „Summe über die gesamte Schöpfungswirklichkeit" {Summa de creaturis). Der erste Teil dieser Summe, bekannt unter dem nur zum Teil zutreffenden Titel „De quatuor coaequaevis", behandelt zunächst und sehr ausführlich die vier geschöpflichen Urwirklichkeiten (coaequaeva) Zeit, Engel, Erste Materie und Himmel. Sie stellen jene ,Urgeschöpflichkeiten' dar, die den einzelnen Schöpfungswerken des biblischen Sechstageberichts der Natur nach vorausliegen. Diesem schöpfungstheologischen Grundlegungsteil folgt die deutlich kürzere Erörterung des biblischen Sechstagewerkes in der Reihenfolge, wie Gen. 1, 1-31 die jeweiligen Schöpfungen berichtet. Als Albert an die Stelle kommt, da von der Erschaffung des Menschen zu handeln wäre, spart er diese Erörterung explizit aus, da er ihr eine eigene, umfangreiche Abhandlung zu widmen gedenkt, nämlich das Werk „De homine"I4.
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Loc. cit., p. 333. Ebd. Vgl. Alberts Schriften mit anthropologischen Fragestellungen: De anima (1254/57), De intellectu et intelligibili, De natura et orìgine animae (1260er Jahre), De unitate intellectus (um 1263), De XVproblematibus (Ende der 1260er Jahre), Summa theologiae II (nach 1274). Vgl. WIELAND, Georg: Zwischen Natur und Vernunft. Alberts des Großen Begriff vom Menschen. Münster 1999 (Lectio Albertina 2), p. 4. A L B E R T U S Magnus: De IV coaequaevis, tr. 4, q. 73, a. 9: Ed. Paris, t. 34, p. 760: „Consequenter antequam de homine quaeratur, quaerendum est de his operibus [sc. sex dierum] in communi ..."
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Somit haben wir in der „Summa de creaturis" ein Doppelwerk vor uns, das thematisch zwar nicht zum Standardlehrprogramm eines angehenden Pariser Theologiemagisters gehört, das aber ganz klar im theologischen Horizont der jüdisch-christlichen Offenbarungsreligion verortet ist. Auch noch die Einleitungspassage zu „De homine" bestärkt diese Überzeugung, welche die Zweiteilung des anthropologischen Stoffs ankündigt: Zunächst ist über den Menschen zu handeln secundum statum eins in seipso, und hernach über den natürlichen Ort des Menschen - nicht etwa in erster Linie die Welt, sondern, ganz biblisch, das Paradies! 15 Zwar berücksichtigt Albert in der Ausfuhrung dieses zweiten Programmpunkts auch abschließend das „habitaculum hominis, quod est mundus" 16 , doch läßt er nunmehr bei seinen Ausfuhrungen die eigentliche anthropologische Frageperspektive fast gänzlich beiseite und nimmt diesen Schlußteil zum Anlaß, über Ewigkeit oder Vergänglichkeit, Einzigkeit oder Pluralität und schließlich Ordnung und Vollkommenheit des Universums nachzudenken. Auf diese Weise schließt sich der Kreis der „Summa de creaturis", die mit den geschöpflichen Urwirklichkeiten (coaequaeva), die aller konkreten Einzel-Schöpfung des Sechstagewerkes vorausliegen, anhebt und mit Reflexionen auf die Allgesamtheit des Schöpfungswerkes (universum) endet 17 . Ein Blick auf die Raumaufteilung macht allerdings sofort klar, daß Albert in „De homine" seine Interessen sehr ungleich gewichtet: Der in der Einleitungspassage angekündigte zweite Teil De loco hominis erweist sich eher als Anhängsel an die geradezu erdrückend ausfuhrlichen Erörterungen des ersten Teils unter der Überschrift „Der Mensch an sich selbst"; letzterer steht zu jenem quantitativ etwa im Verhältnis 30 : 1. Dieser große und im eigentlichen Sinn anthropologische Hauptteil ist dreifach untergliedert: Gefragt wird erstens nach der Seele des Menschen, zweitens nach seinem Leib und schließlich drittens nach der aus Leib und Seele konstituierten Ganzheit 18 . Doch
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A u f diesen Artikel folgt noch ein weiterer über die Sabbatruhe Gottes am siebten Tag der Schöpfung. Vgl. A L B E R T U S Magnus: De homine (cod. Ann Arbor 203: I, fol. l ra : Ed. Paris., p. 1): „Consequenter transeundum est ad quaerendum de homine. De quo primo quaerendum est secundum statum eius in seipso et postea de loco eius, qui paradisus dicitur." - Das Werk De homine wird zitiert nach dem auf handschriftlicher Grundlage konstituierten Text der in Vorbereitung befindlichen kritischen Edition. Die in den unkritischen Druckausgaben verwendete Gliederung in Traktate, Quaestionen und Artikel findet sich nicht in den Handschriften und wird deshalb hier unterdrückt; stattdessen übernehme ich die Folioangaben des Codex Ann Arbor, University o f Michigan, Taubman Library 203 (Sigle I), welcher der kritischen Edition als Leithandschrift zugrunde liegt. Dies gewährleistet eine Identifizierung der Zitate in der Editio Coloniensis. Ebd. (/, fol. 101 vb -104 vb : Ed. Paris., p. 644-661). Auch im letzten Satz des Doppelwerkes kommt diese Einbettung in den beide Werke übergreifenden Gesamtrahmen zum Ausdruck, wenn es ebd. (/ fol. 104 vb : Ed. Paris., p. 661) heißt: „Et haec de creaturis dicta sufFiciant." Vgl. ebd. (/, fol. l ra : Ed. Paris., p. 1): „Circa statum eius in seipso quaerenda sunt tria. Quorum primum est de anima ipsius, secundum de corpore, tertium de coniuncto."
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auch hier sind die Proportionen disparat: In der unkritischen Ausgabe von Borgnet beanspruchen die beiden letztgenannten Abschnitte De corpore und De coniuncto zusammen gerade einmal 17 Seiten, denen 620 Seiten De anima gegenüberstehen, ein Umstand, der wohl dazu führte, daß das gesamte Werk in einigen Handschriften auch unter dem (sachlich irreführenden) Titel „Über die Seele" überliefert ist. Der Verdacht, daß „De homineii doch ein rein theologisches Werk ist, findet besonders augenfällig in dem, wenngleich kurzen Teil über die Leiblichkeit Nahrung; denn dort heißt es ausdrücklich, nachdem die Erörterungen über die Seele abgeschlossen seien, müsse im folgenden der Leib des Menschen in den Blick genommen werden, jedoch nur „soweit er für den Theologen relevant ist"19. Dieses sei der Leib des ersten Menschen vor dem Sündenfall, und gefragt wird nach seiner Zusammensetzung, seiner Sterblichkeit oder Unsterblichkeit und danach, ob der Mensch auch im Urzustand der Nahrungsaufnahme bedurft und Nachkommen gezeugt hätte. Ohne die Annahme offenbarungstheologischer Prämissen laufen die Argumentationen dieses ganzen Abschnitts ins Leere. Wenn wir uns angesichts dieses Befundes nun dem großen Hauptteil über die Seele zuwenden, stellen wir überrascht fest, daß hier offenbarungstheologische Argumente so gut wie ganz zurücktreten. Vielmehr finden wir uns in einer streng philosophisch voranschreitenden Disputation, die nach einer wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Grundlegung ihren systematischen Ausgangspunkt bei der Erörterung von Substanz und Wesen der Seele nimmt und sich über die verschiedenen Seelenteile und -arten und ihre zugehörigen Leistungen immer breiter auffächert. Allein das Gliederungsschema ist anders als in den Abschnitten De corpore und De paradiso - sichtlich nicht einem biblischen oder auch nur im weiteren Sinn theologischen Kontext entnommen, sondern eine Systematisierung aristotelischer Ansätze. Im Abschnitt De substantia et natura animae geht es um die ontologische und naturphilosophische Bestimmung der Seele; die über 250 quaestionenformig gebauten Untersuchungen „Über die Seelenteile, ihre Einteilung, jeweiligen Eigenschaften und Leistungen" sind größtenteils naturphilosophischer Art. Zwar schöpft Albert reichlich aus dem Argumentenschatz kirchlich anerkannter Autoritäten, jedoch verwendet er die Zitate gerade nicht in autoritärer Weise, sondern in argumentativer. Ein typisches Beispiel hierfür ist Alberts freimütiger Umgang mit dem altkirchlichen Bischof Nemesios von Emesa, den er auf Grund einer falschen Zuschreibung seines Werkes „Ilepi (pvoeas ctvOptbjio'u" {„De natura hominis") für den Kirchenvater Gregor von Nyssa (Gregorius Nixenus) hält. Bei der Erörterung der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele zitiert Albert längere Abschnitte aus Nemesios' Werk, der seinerseits die in Piatons „Phaidon" vorgetragenen Argumente referiert. In seiner determinatio urteilt Albert dann: „Auch die von Gregor von Nyssa aus Piatons ,Phaidon' vorge-
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Ebd. ( / fol. 98*: Ed. Paris., p. 621): „Consequenter transeundum est ad quaerendum de corpore hominis quantum pertinet ad theologum. Et quaeruntur tria de corpore ipsius Adae. Quorum primum de compositione corporis eius; secundum de immortalitate eius; tertium de edulio et generatione eius si perstitisset sine peccato."
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brachten Argumente können stehen bleiben, mit Ausnahme des ersten. Denn Gregor, dieser alte Platoniker, stimmte mit Piaton sehr darin überein, daß geistige Gehalte Wiedererinnerungen wären und die Seelen zeitlich vor den Körpern erschaffen worden seien. Daher weist er auch den Philosophen Eunomios zurück, der behauptete, die Seele sei eine unkörperliche und im Körper erschaffene Substanz. Gregor fürchtete nämlich die sich daraus ergebende Schlußfolgerung: ,Wenn die Vernunftseele nirgends anders als im Körper erschaffen ist, wird sie wohl auch in dem Moment zugrunde gehen, da der Körper zugrundegeht.' Wir aber werden weiter unten nachweisen, daß weder die geistigen Gehalte Wiedererinnerungen sind, noch daß die Vernunftseele zeitlich vor dem Körper erschaffen wird, noch daß sie in dem Moment zugrundegeht, da der Körper zugrundegeht."20 Hier werden Argumente einer gut etablierten theologischen Tradition am Maßstab der Vernunft geprüft und gegebenenfalls auch verworfen. Weder ein Rückgriff auf Offenbarungswahrheiten noch auf Autoritäten als Autoritäten kennzeichnet dieses Vorgehen, es ist nicht im eigentlichen Sinn theologisch, denn unabhängig von Glaubensüberzeugungen ist das Argument rein als solches menschlicher Vernunfteinsicht und Prüfung zugänglich. Als vorläufiges Ergebnis unserer ersten Sondierung zeigt sich eine merkwürdige Ambivalenz: „De homine" kann als theologisches Werk betrachtet werden, sofern es im Rahmen der „Summe über die gesamte Schöpfungswirklichkeit" präsentiert wird, die ihrerseits in ihrer Makrostruktur ersichtlich einem biblischen Gliederungsschema folgt. Neben dieser formalen Verortung wird der Befund auch inhaltlich durch einige Abschnitte gestützt, die sich ausschließlich und zum Teil auch ausdrücklich mit Gegenständen der Offenbarung und des Glaubens beschäftigen {De corpore hominis quantum pertinet ad theologum; de paradisö). Der bei weitem überwiegende Hauptteil des Werkes allerdings beansprucht, ohne offenbarungstheologische Prämissen auszukommen und Argumente nicht-christlicher wie christlicher Denker abzuwägen und zu einem kohärenten Ganzen zusammenzubringen. Er wäre demnach eher der Philosophie zuzurechnen. Wir wollen diesen Strang im nächsten Abschnitt ein wenig weiterverfolgen und näheren Aufschluß über die .philosophischen' Elemente der Anthropologie Alberts zu gewinnen suchen.
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Loc. cit. ( / fol. 9 rb : Ed. Paris., p. 54): „Rationes etiam positae a Gregorio Nixeno ex Phaedone Piatonis stare possunt praeter primam. Gregorius enim iste Platonicus fuit valde concedens cum Platone doctrinas esse rememorationes et animas ante corpora esse creatas. Unde etiam reprehendit Eunomium philosophum, qui dixit animam esse substantiam incorpoream et in corpore creatam. Gregorius enim timebat hanc conclusionem quod si anima rationalis non crearetur nisi in corpore, et destrueretur destructo corpore. Sed nos infra probabimus quod nec doctrinae rememorationes sunt, nec anima rationalis creata est ante corpus, nec etiam destruitur destructo corpore." - Vgl. eine fast gleichlautende Wendung ebd. ( / f o l . 13va: Ed. Paris., p. 79).
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II. Platonismus oder Aristotelismus? Versuche, die Philosophie Alberts zu charakterisieren, bewegen sich fast durchweg zwischen den Etiketten „(neu-)platonisch" und „aristotelisch". Damit wird von vornherein die Originalität und Eigenständigkeit seiner denkerischen Position in Abrede gestellt. Freilich ist das mit diesen Interpretationsschemata gewonnene Albert-Bild merkwürdig schillernd: Sehen die einen ihn als Vertreter eines durch Dionysios, Proklos und Avicenna vermittelten Neuplatonismus21 mit dem fïir Neuplatoniker signifikanten Hang, aristotelische Philosopheme gewissermaßen aufzusaugen, zu entschärfen und in das eigene ,System' zu integrieren, so ordnen ihn andere Philosophiehistoriker(innen)22 unter Hinweis auf die Aristoteles-Paraphrase und exzessive Averroes-Benutzung in die Großschublade des (christlichen) Aristotelismus ein. Beiden Deutungsalternativen ist es eigen, jeweils ganz bestimmte Züge des Albertschen Denkens stärker hervortreten zu lassen und die jeweils komplementären oder gar widersprechenden als weniger belangreich zu behandeln. Zwischen diesen Extrempositionen stehen jene, die die Heterogeneität der unterschiedlichen Traditionsbezüge nicht einebnen wollen und infolgedessen Albert als Eklektiker darstellen, dem es an systematischer Kraft gebricht23. Für alle drei der hier idealtypisch überhöht gezeichneten Positionen lassen sich zuhauf Belege im Œuvre des doctor universalis finden. Außer Frage steht, daß Albert selbst der Ansicht ist, Philosophie könne nur unter Berücksichtigung beider Denkrichtungen, der platonischen wie der aristotelischen, im vollen Bewußtsein ihrer Differenzen ordentlich betrieben werden24. Diesem universalen' Ansatz ist auch ,JDe homine" verpflichtet: Zwar sind Alberts direkte Platon-Kenntnisse eher spärlich und wohl meistens der indirekten Überlieferung verdankt25. Doch ist er sich zentraler platonischer Auffassungen über den Menschen und seine Seele sehr wohl bewußt. Hierzu zählen die Lehren von der Unsterblichkleit, Präexistenz und Anamnesis. 21
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Vgl. LIBERA, Alain de: La philosophie médiévale. Paris 2 1995, p. 398, w o er Albert als „néoplatonicien convaincu" bezeichnet. Sehr viel differenzierter behandelt der Verfasser die Frage in seiner Albert-Monographie; vgl. ders., Albert le Grand et la philosophie. Paris 1990. Vgl. G R A B M A N N , Martin: Der Einfluß Alberts des Großen auf das mittelalterliche Geistesleben. In: ders.: Mittelalterliches Geistesleben. Bd. 2. München 1936, p. 324-412; CRAEMER-RUEGENBERG, Ingrid: Albertus Magnus. München 1980. Exemplarisch hierfür das Urteil von BERNHART, Joseph: Die philosophische Mystik des Mittelalters von ihren antiken Ursprüngen bis zur Renaissance. München 1922, p. 146: „Er schweißt das Vielerlei, das er übernimmt, nicht in Eins zusammen, er springt von der Bahn der einen Tradition in die der andern, er wandelt sich rasch, er schreibt peinliche Widersprüche auf derselben Seite nieder ..." Ähnlich WIELAND, Georg: Albertus Magnus. In: Lexikon für Theologie und Kirche3, I, 339: „das Werk A.s zeigt keine systemat. Geschlossenheit". Vgl. ALBERTUS Magnus: Metaph. 1.1, tr. 5, c. 15: Ed. Colon, t. 16,1, p. 89: „non perficitur homo in philosophia nisi ex scientia duarum philosophiarum Aristotelis et Piatonis." Vgl. GAUL, Leopold: Alberts des Großen Verhältnis zu Piaton Eine literarische und philosophiegeschichtliche Untersuchung. Münster 1913 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, 12,1)
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Daß Albert auch schon vor 1250 und dem Beginn der Aristoteles-Paraphrase sehr subtile Kenntnisse der Schriften des Stagiriten gehabt hat, scheint inzwischen eigens betont werden zu müssen. Die These von der „Wende" könnte nämlich - oberflächlich betrachtet - insinuieren, daß jener theologische Denker, der bis dahin das Gesamtwerk des Dionysius Areopagita kommentiert hatte, durch die Lektüre der „Nikomachischen E thik" und der „Physik" im Aristotelismus ein völlig anderes, neuartiges Paradigma des Philosophierens entdeckt und sich fortan diesem „wissenschaftlichen Rationalismus" zuwendet. Es wäre demnach ein Übergang von der Leitfigur des spekulativ-mystischen, christlich-neuplatonischen Dionysios hin zu jener des rational-nüchternen, heidnischinnerweltlichen Aristoteles in Anschlag zu bringen, ein Übergang, der sich historisch etwa an jenem Datum der Beendigung des Kommentars zu den Dionysios-Briefen und dem Beginn der „Physik"-Paraphrase festmachen ließe. Eine solche suggestiv-plausible Periodisierung läßt sich allerdings bei genauerem Hinsehen in die überlieferten Texte schwerlich halten. S o ließe sich beispielsweise über die in „De homine" in großer Zahl verstreuten Zitate aus „Ilepi yuxfiq" mühelos und weitgehend wörtlich die gesamte Seelen-Schrift des Aristoteles rekonstruieren. Albert kennt die einschlägigen Schriften (meist mit ihren arabischen Kommentaren) minutiös und er bedient sich ihrer extensiv. Wie aber geht er mit solch disparaten Anthropologien wie der platonischen vom „inneren Menschen" und der aristotelischen einer durch Seele und Leib konstituierten Substanz um? Aufschlußreich hierfür sind die platzgreifenden Erörterungen über die verschiedenen Definitionen der Seele, in denen sich unterschiedliche anthropologische Konzeptionen wiederspiegeln 26 . Bezeichnenderweise beginnt diese Untersuchung nicht mit dem aporetischen Gegeneinanderstellen unvereinbarer Wesensbestimmungen, sondern bereits mit der Angabe eines übergreifenden Ordnungssystems, in dem die von Albert am Ende der Disputation agestrebte Synthese bereits vorgezeichnet ist: „Drittens wird untersucht, was die Seele hinsichtlich ihrer Substanz und Natur ist. Das heißt: Es soll ihre Definition untersucht werden. Hierzu ergeben sich drei Fragekreise: Der erste beschäftigt sich mit den Definitionen der Seele als einer bestimmten für sich existierenden Substanz; der zweite mit der Definition der Seele als Entelechie eines beseelten Körpers; der dritte mit der Definition der Seele hinsichtlich ihrer Natur(haftigkeit), das heißt, sie wird betrachtet als bestimmte Natur eines Körpers." 27
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Vgl. ALBERTUS Magnus: De homine (/ fol. 2 r a -10 v a : Ed. Paris., p. 9-62). Ebd. ( / fol. 2 r a : Ed. Paris., p. 9): „Tertio quaeritur, quid sit anima secundum substantiam et naturam. Et quaeratur de difFinitione eius; circa quam quaeruntur tria. Quorum primum est de diffinitionibus animae secundum quod est substantia quaedam per se existens; secundum de diffinitione ipsius secundum quod est perfectio corporis animati; tertium de diffinitione ipsius secundum suam naturarli, idest secundum quod est ut natura quaedam corporis considerata."
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Die beiden ersten Definitionsklassen nehmen die Seele also unter ontologischer Fragestellung in den Blick - einmal absolut, einmal als Co-Prinzip des Leibes, während die dritte in naturphilosophischer Absicht ihr Was zu erhellen sucht. Nach Aufstellung dieses dreifachen Klassifizierungssystems überrascht uns Albert mit der Entscheidung, zuerst die Definitionen der sancti erörtern zu wollen und anschliessend die der philosophi2*. Zu den theologischen Autoritäten der sancti zählen Pseudo-Augustinus, Remigius, Johannes Damascenus und Pseudo-Bernhard (= Wilhelm von St. Thierry), als philosophische Gewährsmänner werden - in dieser Reihenfolge - Piaton, Seneca, Pseudo-Alexander von Aphrodisias (Alfred von Sareshel) und Aristoteles herangezogen. Das Zweier-Schema sanctilphilosophi steht quer zum ursprünglich entwickelten Dreier-Schema und scheint mit diesem prima facie inkompatibel. Es zeigt sich jedoch, daß Albert durchaus die systematische Kraft aufbringt, die historisch vorfindlichen Ansichten der erwähnten christlichen und nicht-christlichen Denker so zu ordnen, daß sie sich in das sachlich gebotene Dreier-System einfügen und gegenseitig komplementieren. Die Definitionen der kirchlich anerkannten Autoritäten konvergieren darin, daß sie die Seele als etwas betrachten, das unkörperlich ist und Selbstand in sich besitzt. Dementsprechend fallen sie unter den ersten Typ der DreierGliederung: Seele als für sich existierende Substanz. Die Piaton zugeschriebene Definition „anima est substantia incorporea movens corpus" 29 entnimmt Albert der Schrift „De differentia animae et spiritus" des Qustä ibn Lüqä. Insofern hier das Wesen der Seele - wie bei den Kirchenvätern - als unkörperliche Substanz bestimmt wird, kann er sie ohne Umschweife ebenfalls dem Typ I zuordnen 30 . Lediglich der Nachsatz, daß die Seele den Leib bewegt, löst eine längere Erörterung darüber aus, wie dies geschieht. In ähnlicher Weise verfährt Albert mit Seneca und Pseudo-Alexander. Die aristotelischen Definitionen dagegen lassen ein anderes Bild von der Seele erkennen, deshalb müssen sie aus der historischen Abfolge herausgenommen und eigens behandelt werden 31 . Zentral für Albert ist Aristoteles' Bestimmung aus ,J)e anima" II, 1 (412a27): „Anima est primus actus corporis physici potentia vitam habentis" 32 . Hier wird die Seele in ihrer ontologischen Hinordnung auf den Leib als Entelechie definiert, sie ist, mag sie auch Selbstand in sich haben, ihrem Wesen nach ganz auf den Leib hin ausgerichtet, den sie
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Zur Unterscheidung von ,sancti' und ,philosophi' vgl. ANZULEWICZ, Henryk: Anthropologie des Albertus Magnus als Ort des Dialogs zwischen den 'sancti' und 'philosophi'. In: PRCELA, Frano (Hrsg.), Dialog/Dijalog. Zagreb / Mainz 1996, p. 47-53b, hier bes. p. 48. ALBERTUS Magnus: De homine (/ fol. 3vb: Ed. Paris., p. 20). Vgl. ebd. (Ed. Paris., p. 21): „Circa diffinitionem vero Piatonis de hoc quod dicitur .substantia incorporea', supra disputatum est." Vgl. ebd. (Ed. Paris., p. 20): „Quia vero Aristoteles et sequentes ipsum aliter diffiniunt animam, propter hoc prius disputetur de istis [sc. difïinitionibus Piatonis et Senecae et Alexandri], et postea ponantur diifinitiones suae [sc. Aristotelis]." Ebd. (/ fol. fol. 5^: Ed. Paris., p. 31 ).
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zu der ihm möglichen Vollendungsgestalt bringen soll 33 . In ähnliche Richtung zielt die zweite Definition aus „De anima" (412b 16), wonach die Seele „ratio physici corporis" 34 ist. Beide Definitionen gehören somit zum Typ II des Albertschen Klassifikationsschemas. Die dritte und letzte der aristotelischen Definitionen schließlich beleuchtet demgegenüber einen ganz neuen Aspekt: Die Seele ist für Lebewesen „Prinzip und Ursache des Lebens" (413a20; 414al2). Diese Bestimmung ist nicht primär ontologisch, sondern sagt etwas über die Funktion der Seele im Reich der Natur, näherhin der organischen natürlichen Körper 35 , und somit vertritt sie Typ III der systematischen Einteilung. Alberts Bemühen geht nun darauf zu zeigen, daß diese drei Definitionstypen sich keinesfalls ausschließen, sondern jeweils unterschiedliche Aspekte ein und derselben Sache beleuchten und sich somit gegenseitig komplementieren: Für sich betrachtet kann der menschlichen Seele so etwas wie Selbstand zugesprochen werden, worauf die christliche Tradition (sancti) mit Piaton abhebt; im Blick auf ein leibliches Substrat stellt die Seele ontologisch das Prinzip der Aktuierung und Entelechie dar, das als solches streng auf den Leib hingeordnet ist, ja in gewissem Sinn seiner bedarf - hier zieht Albert wohl als erster die anthropologischen Konsequenzen aus der aristotelischen Substanzmetaphysik; naturphilosophisch dagegen ist die Seele als Lebensprinzip organischer natürlicher Körper anzusehen, ja sie ist als solche selbst der Inbegriff der Natur, eine Bestimmung, die für die systematische Entfaltung und theoretische Ausarbeitung der seit dem 12. Jahrhundert verstärkt aufgekommenen Naturforschung von besonderem Interesse ist. Folgt Albert hier philosophisch dem Piatonismus oder dem Aristotelismus? Die Frage, das sollte deutlich geworden sein, ist falsch gestellt. Es geht hier nicht um die Bevorzugung einer Denkweise oder Tradition gegenüber einer anderen, sondern um die Prüfung von Argumenten mit und an der Vernunft: Argumente, die gegeneinander abgewogen und in eine bestimmte Ordnung bzw., modern gesprochen, Theorie eingebracht werden. Diese Theorie selbst entstammt offensichtlich nicht wiederum einer der genannten Traditionen, sondern stellt den Versuch dar, divergierende, aber sachlich begründete Geltungsansprüche über das Wesen der menschlichen Seele als Aspekte einer übergeordneten Systematik verständlich zu machen.
III. Aristoteles oder die „Peripatetiker"? Betrachtet man „De homine" im ganzen, so kann man sich freilich des Eindrucks schwerlich erwehren, daß der „Rationalismus" des Aristoteles, sein Interesse an Naturbeobachtung und Beschreibung, die Einordnung der Einzelergebnisse in einen großen
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Zur Bedeutung dieser Auffassung für Alberts Anthropologie vgl. den Beitrag von Stephan LIPKE in diesem Band. ALBERTUS Magnus: De homine (/ fol. 9rb: Ed. Paris., p. 54). Vgl. ebd. (/fol. 9vb-10va: Ed. Paris., p. 56-62).
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Zusammenhang, der auch die letzten bzw. ersten Prinzipien der Wirklichkeit zu ergründen versucht, sich über weite Strecken stark mit Alberts eigenen Neigungen deckt. In der Klassifizierung der Seelendefinitionen haben wir gesehen, daß zwei der drei Definitionstypen allein durch aristotelische Bestimmungen exemplifiziert werden. Der dritte Typ, die naturphilosophische Definition der Seele als Lebensprinzip und somit als Inbegriff der Natur selbst, ist Ausgangspunkt für die vielen Einzeluntersuchungen „Über die Seelenteile, ihre Einteilung, jeweiligen Eigenschaften und Leistungen", die dem Umfang nach den Hauptteil des Werkes ausmachen36. Ist nicht hier Albert ganz „Aristoteliker"? Die Frage kann redlicherweise nicht gänzlich ohne textliche Rückversicherung beantwortet werden. Ich wähle als Beispiel die Quaestionen zur Traumproblematik37. Hier fallt ins Auge, daß Albert die Leitfragen der Untersuchung sämtlich und nahezu wörtlich den einschlägigen Pragmatien der arva naturalia" entnimmt38. Doch auch die in diesen Untersuchungen entwickelte Theorie, wie Traumbilder sinnesphysiologisch entstehen, ist in ihren Grundzügen aristotelisch: Der Traum wird ähnlich wie die Sinnesvorstellung im Wachzustand als eine Bewegung aufgefaßt39. Wo aber liegt dann der Unterschied zwischen Wachen und Träumen? Albert findet in der Epitome zu ,J)e somno et vigilia" des Averroes (den er auf Grund einer falschen Zuschreibung der lateinischen Übersetzung hier mit dem Namen ,Alfarabius' bezeichnet) eine plausible Systematisisierung des angerissenen Gedankens, die er fast wörtlich übernimmt: Im Traum findet eine Umkehrung der Bewegungsrichtung im Sinnesapparat statt. Im Wachzustand nehmen die Einzelsinne Eindrücke der Außenwelt auf, die durch den sensus communis gebündelt in der imaginatio ein Vorstellungsbild erzeugen. Diese Vorstellungsbilder wirken im Schlaf auf den sensus communis zurück, der die Bewegung an die Einzelsinne weiterleitet, worauf der Eindruck einer sinnlichen Wahrnehmung entsteht, dem jedoch in der Außenwelt keine Realität korrespondiert40.
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Vgl. ALBERTUS Magnus: De homine (/ fol. 10 va -98 rb : Ed. Paris., p. 62-620). Für eine genauere Analyse dieser Quaestionen vgl. SÖDER, Joachim: Albert der Große über Sinne und Träume. Beobachtungen am »Traumtraktat« von De homine. In: Micrologus 10 (2002). Nämlich De somno et vigilia, De insommniis und De divinatone per somnum; die drei Schriften sind im Mittelalter unter dem gemeinsamen Titel De somno et vigilia als Bücher I—III bekannt. Vgl. ARISTOTELES, De insomniis, 1. 1: 459a 17-19; 1. III: 461b 11-22. Vgl. ALBERTUS Magnus: De homine ( / fol. 63*: Ed. Paris., p. 412): „Dicendum quod in somnio per se non est nisi phantasma ut sensibile acceptum in sensu communi. Et hoc patet per Alfarabium sic dicentem: Quod in somnio videt homo quasi sentiat per quinqué sensus absque eo quod ibi fit aliquod sensibile extrinsecum, hoc accidit per contrarium motum ei qui est in vigilia. In vigilia enim extrínseca movent sensus, et sensus communis movet imaginativam. In somno autem revertitur et movet sensum communem, et sensus communis movet particularem, et sic accidit quod homo comprehendit sensibilia, licet non sint extrínseca, quia intentiones eorum sunt in instrumentis sensuum." Ähnliches Grundschema auch ( / fol. 43 va : Ed. Paris., p. 406). - Vgl. A V E R ROES, Parva naturalia (ed. Shields). Cambridge (Mass.) 1949, p. 98sq.
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JOACHIM R . SÖDER
Die etwas vagen Hinweise bei Aristoteles befriedigen also nicht Alberts ,Theoriebedürfnis' - er stillt es bei dem Systematiker Averroes. Untersucht man die inhaltliche Ausgestaltung dieser Traumtheorie, ergeben sich in den Details neue, überraschende Wendungen. Es stellt sich ja die Frage, was die Umkehrung der Bewegungsrichtung veranlaßt. Averroes schlägt vor, als Ursache die Lockerung der Bande der vis cogitativa anzusehen, mit denen im Wachzustand das Vorstellungsvermögen im Zaum gehalten wird41. Diese eher metaphorische Erklärung übergeht Albert; was er sucht, ist ein ,rein naturwissenschaftliches' Modell. Er findet es in der galenischen Physiologie, die über Hunain ibn Ishäq, Qustä ibn Lüqä und Constantinus Africanus dem Abendland vermittelt wird. Im offenen Widerspruch zu Aristoteles sehen Galen und seine Gefolgsleute nicht das Herz, sondern das Gehirn als Zentralorgan (ctp^ri) an und lokalisieren in ihm, näherhin in der .ersten Gehirnhöhle' {prima concavitas cerebri), und nicht im Herzen etwa den sensus communis. Dieses bei den arabischen Medizinern weitgehend akzeptierte enzephalozentrische Modell wirkt auf Albert dermaßen überzeugend, daß er Aristoteles' kardiozentrische Vorstellung42 nicht einmal als Einwand ernsthaft in Erwägung zieht43. Dergleichen Beispiele ließen sich noch beliebig viele finden. Die Tatsache, daß einer der entscheidenden Katalysatoren der lateinischen Aristoteles-Rezeption im Einzelfall die Position ,des Philosophen' schlichtweg ignoriert und stattdessen gegenläufigen Ansichten den Vorzug gibt, mag einen an die gängigen philosophiehistorischen Zuordnungsschemata gewöhnten Betrachter irritieren. Geht man aber von diesen komplexitätsreduzierenden Etiketten, den Vergröberungen, Verkrustungen und Klitterungen einmal ab und nimmt Philosophie als Streben nach wahrer Erkenntnis ernst, dann gewinnt Alberts Vorgehensweise Plausibilität: Ihm geht es in der philosophia realis nicht in erster Linie darum, was Aristoteles gesagt hat, sondern um die Erkenntnis der Dinge, wie sie sind. Zwar bietet Aristoteles hierzu eine Fülle von Einzeluntersuchungen, die er in Lehrstücken und Theorien zu systematischen Einheiten zusammenfuhrt. Doch wo die Einzelforschung seit den Zeiten des Hellenismus fortgeschritten ist, werden - man möchte sagen: selbstverständlich - die neuen Ergebnisse rezipiert. Gerade im Bereich der Naturbeobachtung, der Physiologie, der Medizin gelten die Wissenschaftler des arabischen Kulturkreises als die maßgeblichen Autoritäten. Es nimmt daher nicht wunder, wenn sich Albert in diesen Fragen an den arabischen faläsifah orientiert, jenen ,Philosophen', die sich - zu recht oder zu unrecht - als ,Peripatetiker' in einer gewissen,
41 42 43
Vgl. AVERROES, Parva naturalia (ed. Shields p. 99). Vgl. ARISTOTELES, De somno, I. II: 455a 12-456a 6. Vgl. ALBERTUS Magnus: De homine ( / fol. 48ra"b: Ed. Paris., p. 314): „Sicut dicit Avicenna, 'dispositio sensus communis est talis quod ex ipso est principium cuiuslibet virtutis sensibilis, et postea redit ad ipsum cum lucro'. Cum ergo nervi sentiendi nascantur ex prima parte cerebri, eo quod prima pars mollior est, et mollities facit multum ad impressiones sensibilium, dicimus quod organum sensus communis est in prima concavitate cerebri, quae plena est spiritu sensibili." Vgl. ebd. ( / f o l . 51 ra : Ed. Paris., p. 333).
Die Erprobung der Vernunft
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wenn auch nicht sklavischen Tradition zu Aristoteles sahen. Maßstab der Orientierung ist jedoch im einen wie im anderen Fall nicht die größere oder geringere Autorität als solche, sondern das sich vor der Vernunft ausweisende Argument. Diese wenigen Stichproben legen nahe, daß Albert um 1242 theologische und philosophische Interessen verfolgt, daß er platonischen und aristotelischen Geltungsansprüchen ihr jeweiliges Recht zuweist, daß er Argumente ,des Philosophen' des Peripatos gegen jene der ,peripatetischen Philosophen' arabischer Provenienz (faläsifah) abwägt und bisweilen zugunsten jener entscheidet. In der Mikroperspektive verschwimmen die großen Linien des Entweder-Oder, des ,Bis-dahin-so/ab-dann-anders'. Die Beurteilungslage wird dadurch sehr viel komplizierter, aber Albert auch interessanter. Was sich als Konstante in diesem differenzierten Umgang mit differenten Denktraditionen durchhält, ist die durchgängige Orientierung an der ratio: am Argument, dessen Anspruch sich vernünftig begründen lassen muß. Ob hierin nun ein spezifisch aristotelisches Element zu sehen ist oder nicht - es handelt sich um so etwas wie die Erprobung der Vernunft.
UDO REINHOLD JECK, B o c h u m
Albert der Große über Anaximander 1. Als Martin Heidegger 1950 seinen Sammelband „Holzwege" veröffentlichte 1 , fugte er diesem Buch auch eine Abhandlung mit dem Titel ,Der Spruch des Anaximander' bei 2 . Der Text erregte Aufsehen und fand große Beachtung. Heidegger näherte sich nämlich diesem archaischen griechischen Denker auf völlig ungewöhnliche Weise 3 . Er hat sicher übertrieben, als er dabei die kryptischen Motive seines eigenen Denkens in jenen einzig erhaltenen und zudem mit großen Unsicherheiten behafteten Satz des Griechen hineininterpretierte, aber er lenkte damit erneut die Aufmerksamkeit auf den Anfang der Philosophie. Zugleich erlangte Anaximander, ein unter Gebirgen philologischer Gelehrsamkeit verschütteter und in Labyrinthen kritischer Fragmentsammlungen verschollener früher Exponent des abendländischen Denkens plötzlich eine geradezu atemberaubende Aktualität 4 . Heideggers Rezeption der anfanglichen griechischen Philosophie löste Enthusiasmus aus, aber bei aller Begeisterung versäumte die Forschung doch jene grundlegende Leistung, die heute bei der Annäherung an jeden großen Philosophen als selbstverständlich gilt: Eine Analyse der umfangreichen Wirkungsgeschichte Anaximanders fehlt nämlich bisher. Ihn ereilte insofern ein Schicksal, das er mit vielen anderen Denkern seiner Zeit teilt: In dem außerordentlich großen Aufwand, den die Eruierung der antiken Nachrichten über Leben und Lehre der Vorsokratiker zu Recht erfordert, geriet die Geschichte ihrer unübersehbaren Nachwirkung fast vollständig in Vergessenheit; sie fand bisher nur ein sporadisches Interesse. Auf die Historiker der Philosophie wartet daher noch die Bearbeitung eines umfangreichen Arbeitsfeldes. 2. Zu den am meisten vernachlässigten Regionen dieses Gebietes zählen die Reaktionen der mittelalterlichen Philosophen auf das vorsokratische Denken. Kaum jemand erwartet hier noch bedeutende Ergebnisse. Es galt und gilt als ausgemacht, daß sich dort neue Fragmente oder interessante Nachrichten zur frühen griechischen Philosophie kaum finden lassen. Daher schätzte die Forschung die entsprechenden Quellen des Mittelalters nur gering ein und nahm auch die Wirkung der Vorsokratiker in dieser Epoche nur selten zur Kenntnis.
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Cf. HEIDEGGER, Martin: Holzwege. Frankfurt am Main "1963 ('1950), S. 296-343. Cf. Ders.: Grundbegriffe. Freiburger Vorlesung Sommersemester 1941, hrsg. v. Petra Jaeger. Frankfurt am Main 1981 (Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1923-1944, Bd. 51). Cf. PÖGGELER, Otto: Der Denkweg Martin Heideggers. Pfullingen 1963, S. 195-207. Cf. DIELS, Hermann / KRANZ, Walther: Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. 1. Zürich-Hildesheim "1989 (= Reprint der 6. Aufl. 1951).
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U D O REINHOLD JECK
Diese Intention führte in eine Sackgasse und bedarf als Fehlentwicklung dringend der Korrektur. Ein einzelner Aufsatz kann allerdings auch keine Abhilfe schaffen. Er vermag lediglich an einem paradigmatischen Beispiel zu zeigen, welche Informationen sich hier erwarten lassen. Was vielleicht noch im Verborgenen schlummert, weiß niemand, denn die historische Erforschung der mittelalterlichen Philosophie hat schon zu vielen überraschenden Erkenntnissen geführt. Eine grundlegende Fallstudie über die Reaktion Alberts des Großen auf das Denken Anaximanders erscheint insofern als hilfreich und dringend notwendig. Der Dominikaner galt immer als einer der prominentesten Philosophen des Mittelalters. Seine Werke studierten die fuhrenden Denker in allen Phasen dieser Epoche intensiv. Alberts Äußerungen besaßen Gewicht und die damit verknüpften Urteile Autorität. Was immer er sagte, es erhielt mehr Aufmerksamkeit als die Meinungen subalterner Autoren. 3. Albert selbst stand bei der Bearbeitung des frühen griechischen Denkens vor kaum überwindbaren Schwierigkeiten. Zunächst gab es über den Verlauf der philosophischen Frühgeschichte nur ganz oberflächliche Ansichten, die sich oft in der Nähe willkürlicher Spekulationen bewegten. Schon eine Skizze der Entwicklung griechischer Philosophie im Sinne einer Chronologie lag noch weit außerhalb der damaligen Möglichkeiten. Erst der allmähliche Zuwachs an Informationen, der sich über Jahrhunderte hinzog, schuf hier Abhilfe. Wichtige Quellen standen damals noch nicht zur Verfügung: Es mangelte an der Kenntnis zahlreicher wichtiger Manuskripte, und im 13. Jahrhundert gab es nur wenige philologisch gebildete Fachleute mit Kenntnissen der griechischen Sprache. Auf Alberts Schreibtisch befand sich deshalb keine Ausgabe der Fragmente vorsokratischer Philosophen. Selbst der Begriff fehlte noch. Jenes Produkt neuzeitlicher Gelehrsamkeit, das dem modernen Historiker archaischer griechischer Philosophie als unentbehrliches Werkzeug zur Verfügung steht, hätte Albert ohnehin nur ganz partiell nutzen können, denn auch er beherrschte das Griechische nicht. Die vertiefte Einsicht in originäre Quellen blieb ihm daher lebenslang verschlossen. Zur Erforschung der Ansicht eines frühen griechischen Denkers befand sich der Dominikaner demnach in keiner besonders günstigen Lage. Daß er dennoch zu einigen wichtigen Aspekten der Konzeption Anaximanders vorstieß und dabei sogar eine interessante Interpretation vorlegte, zeigt erneut die Qualität seines philosophischen Genius. 4. Obwohl die sprachliche Barriere für Albert letztlich unüberwindlich blieb, besaß er dennoch wertvolleres Quellenmaterial, als es auf dem ersten Blick scheint. Er verfügte sogar über einige für den Zugang zur Philosophie Anaximanders äußerst wichtige Texte. Obwohl ihm der sog. , Spruch des Anaximander' verschlossen blieb, kannte der Dominikaner aus der „Physik" des Aristoteles das Grundkonzept des frühen Griechen
Albert der Große über Anaximander
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in Gestalt der Philosophie des »Unendlichen' 5 . Er profitierte dabei von der Tatsache, daß die Schrift des Stagiriten viele wichtige Informationen zur älteren griechischen Philosophie enthält. Albert studierte sie allerdings nicht im Original, sondern las das Werk in lateinischen Versionen unterschiedlicher Qualität. Dazu besaß er als Hilfe den umfangreichen „Physikkommentar" des Averroes 6 , der seinerseits auf die Arbeiten griechischer und arabischer Aristoteleskommentatoren zurückging 7 . Die Auslegung des Arabers durfte Albert daher nicht übergehen 8 . Der Dominikaner rezipierte insofern keine nebensächlichen oder sekundären Quellen, sondern grundlegende Mitteilungen zum Anfang des philosophischen Denkens in Griechenland. Jeder, der die „Physik" des Aristoteles studierte, las darin Mitteilungen über Anaximander. Er konnte deshalb in etwa wissen, was dieser archaische Philosoph einst gedacht hatte; er mußte nur genau hinschauen, konzentriert lesen und intensiv nachdenken. Albert erfüllte diese Bedingungen und hinterließ deshalb interessante Äußerungen zur Konzeption Anaximanders. Dies geschah jedoch lediglich im Kontext einer Aristotelesexegese, d. h., er studierte das Denken des frühen Griechen aus fremder Perspektive. Für ihn galt, was noch für die gegenwärtige Forschung zutrifft: Keiner, der sich zur Philosophie Anaximanders äußern will, kommt ohne die Angaben des Aristoteles aus. Albert macht hier keine Ausnahme. In der langen und bisher nur in groben Umrissen bekannten Rezeptionsgeschichte Anaximanders nimmt er sogar einen besonderen Platz ein: Obwohl seine Interpretation eine große Abhängigkeit von Averroes zeigt, gelangte er dennoch in gewisser Weise zu einer eigenen Auslegung. Diese Ausführungen dürfen daher Aufmerksamkeit beanspruchen. Das Bild, das Albert dabei von Anaximander zeichnete, liegt jedoch nicht einfach vor aller Augen. Es bedarf vielmehr der Rekonstruktion aus mehreren Textstellen. Erst ihre Zusammenführung läßt den Grad der Annäherung des Dominikaners an die Philosophie des archaischen Denkers erkennen. 5. Aristoteles äußerte sich zuerst im vierten Abschnitt des ersten Buchs der „Physikvorlesung" zu Anaximander 9 . Diese Sentenz soll zunächst zur Sprache kommen. Sie läßt sich allerdings nur im Kontext der allgemeinen Analyse, die der Stagirite dort vornahm, angemessen verstehen. Im ersten Buch der „Physik" begann Aristoteles die Untersuchung mit Überlegungen zur Beschaffenheit der Natur aus der Perspektive ihrer Prinzipien und unter Berücksichtigung zentraler Thesen älterer griechischer Denker. Er
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7 8 9
Cf. ARISTOTELES: Phys., ed. W. D. Ross. Oxonii 1950. Cf. AVERROES: Aristotelis Opera cum Averrois commentariis. Venetiis 1562 (= Reprint Frankfurt a. M. 1962). Cf. Ders.: Aristotelis dephysico auditu: Ed. Venet. [Anm. 6], t. 4. Cf. ALBERTUS Magnus: Phys.: Ed. Colon., t. 4,1. Andere Äußerungen Alberts zu Anaximander außerhalb seines Physikkommentars bleiben in dieser Untersuchung unberücksichtigt.
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U D O REINHOLD JECK
ging dort gemäß seiner Gewohnheit zunächst historisch vor und referierte die grundlegenden Probleme der Konstitution einer Naturphilosophie durch kritische Reflexionen zu repräsentativen Positionen früher Physiologen. Aristoteles betrachtete diese Philosophen zwar nicht als regellose Gruppe, aber er konzipierte dennoch gewisse Richtlinien zu einer angemessenen Sichtung ihrer differenten Positionen. Er wollte jedoch keinesfalls eine starre Systematik oder gewaltsame Ordnung in die reiche Mannigfaltigkeit der naturphilosophischen Überlieferung einbringen. Der Stagirite erarbeitete sich eher eine Klassifizierung, die wesentliche Züge dieser Theorien zur Anschauung bringen sollte. Sie diente ihm als roter Faden und sicherer Weg durch das Labyrinth der Weltentwürfe der frühen Denker Griechenlands. Aristoteles brauchte deshalb an dieser Stelle kein diffiziles Modell der immanenten Entwicklung dieser Philosophien, sondern eher ein handliches Instrument zu ihrer Bearbeitung. Im Hinblick darauf arbeitete er zunächst mit einer groben Klassifizierung und teilte die frühen Philosophen in zwei Gruppen ein: Die erste Klasse dieser Denker stimmte in ihren Theorien nach seiner Ansicht darin überein, daß sie den primären Weltkörper mit einem der vier Elemente identifizierte oder ihm eine spezifische, darüber hinausgehende elementare Substanz zusprach 1 0 . Daneben bemerkte der Stagirite in den Theorien zahlreicher älterer Naturphilosophen noch eine weitere Gemeinsamkeit und faßte sie aufgrund dieser gemeinsamen Intention in ihren Überlegungen zu einer zweiten Gruppe zusammen: Diese Denker, so behauptete er, gingen in ihren Überlegungen zunächst von der ursprünglichen Einheit aus, wobei sich die in diesem Einen enthaltenen Gegensätze aus der Einheit aussondern. Diese Auffassung schrieb Aristoteles nicht nur Anaximander zu, denn eine vergleichbare Theorie vertraten auch jene Denker, die bei der Erklärung des Universums mit den elementaren Grundbegriffen ,Eines' und , Vieles' operierten. Dazu zählte Aristoteles sowohl Empedokles als auch Anaxagoras, mit denen er sich dann weiterhin intensiv beschäftigte. Zu Anaximander äußerte er sich allerdings nicht mehr, sondern verfaßte über ihn in diesem Zusammenhang nur eine sehr kurze Reflexion, die noch nicht einmal den Status eines wörtlichen Zitats besitzt 11 : „... oí 8' EK Toí> evöc, évovaaq
xáq e v a v i i ó t r i t a q eKKpivea0oa, äaKEp 'Ava^í(xav5póq
q>T|
x a w n q apxn, akX' aüxT| xa>v aXXav e i v a i 8OK£T KAI JCEPIEXEIV äq l c a t a aunPePeKoq, ouovcoc 5e m i OJtEp ov xi (Again, each thing's substance is one non-coincidentally; equally, it J
is also just what a certain kind of thing-that-is is ). wa-aydan naqulu inna gawhara kulli wahidin mina 91-aSya'i wahidun la bi-naw'i l-'aradi wa-li-dalika naqulu inna gawhara kulli Say'in huwiyyatun (We also say that the substance of everything is one not accidentally; therefore we say that the substance of everything is a being). The second text is a passage o f A, 6, where Aristotle states that the essence o f 'one' is to be a principle o f number:
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On the Aristotelian doctrine of unity cfr. BÄRTHLEFN, Karl: Die Transzendentalienlehre der Alten Ontologie, I. Teil: Die Transzendentalienlehre im Corpus Aristotelicum. Berlin [u.a.] 1972; BERTI, Enrico: Il problema della sostanzialità dell'essere e dell'uno nella Metafisica di Aristotele. In: Idem, Studi Aristotelici. L'Aquila 1974, pp. 183-184; Idem: L'uno ed i molti nella Metafisica di Aristotele. In: MELCHIORRE, Vittorio (ed.): L'uno e i molti. Milano 1990, pp. 155-180; COULUBARITSIS, Lambros: Le Statut de l'Un dans la «Métaphysique». In: Revue Philosophique de Louvain 90 (1992), pp. 497-521; ELDERS, Leon: Aristotle's Theory of the One. A Commentary on BookX of the Metaphysics. Assen 1959; HALPER, Edward: Aristotle on the Convertibility of One and Being. In: The New Scholasticism 59 (1985), pp. 213-227; LOUX, Michael J.: Aristotle on the Transcendentals. In: Phronesis 18 (1973), pp. 225-239; MAKIN, Stephen: Aristotle on Unity and Being. In: Proceedings of the Cambridge Philological Society 214 (1988), pp. 77-103; MORRISON, Donald: The Place of Unity in Aristotle's Metaphysical Project. In: Proceedings of the Boston Area Colloquium 9 (1993), pp. 131-156; RUNGALDIER, Edmund: Einheit und Identität als «formale Begriffe» in der Metaphysik des Aristoteles. In: Theological Philosophy 64 (1989), pp. 557-566; WHITE, Nicholas P.: Aristotle on Sameness and Oneness. In: Philosophical Review SO (1971), pp. 177-197. The Greek of Texts 1-2 is that of Aristotle's Metaphysics. A rev. Text with introd. and Commentary, by William D. Ross. Oxford 1924. Aristotle's Metaphysics, Books 77 A and E. Transl. with notes by Christopher Kirwan. Oxford 1971, p. 3. Arabic translation in AVERROÈS [note 4]: p. 310, 11-12.
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AMOS BERTOLACCI
Text 2 (, 6, 1016 b 17-18): TO 8E evi eivai apxfj tivi eaxiv apiS^ou eTvai. To be one is to be a kind of origin of number ). wa-anniyyatu I-wahidi hiya btida'un ma li-l-'adadi" (The essence of 'one' is a certain principle of number).
In "Philosophia prima" III, 1 Avicenna accepts Text 2 without qualification: 12
Text 3: amma kawnuhu mabda'a li-l-'adadi fa-amrun qaribun mina 1-muta'ammili (That ['one'] is the principle of number is something easy [to understand] for the person who reflects [upon it]). Quod autem [sc. unum] initium sit numeri bene consideranti facile est intelligere' 3 .
According to Avicenna, a consequence of Text 2 is that unity is an accident. For number belongs to one of the nine accidental categories, namely quantity; its principle, therefore, i.e. unity, has to be an accident too. Avicenna devotes chapter III, 3, as we will shortly see, to this implication of Text 2. But if the validity of Text 2 and of its implications is granted, then Text 1, in Avicenna's view, cannot be taken literally. For, if unity is an accident, as Text 2 implies, it cannot be an essential feature of the substance of everything. Consequently, in a passage of "Philosophia prima" VII, 1, which can be considered Avicenna's own reformulation of Text 1, every allusion to the essential relationship between the substance of each thing, on the one hand, and unity and being, on the other, disappears: 14
Text 4: wa-kullu Say'in fa-lahu wugudun wahidun quicquid est, unum est .
(Everything has a being which is one). Nam
In a famous section of the "Long Commentary", in the context of the exegesis of Text 1, Averroes criticizes Avicenna for his interpretation of Text 1 and Text 2. In Averroes' opinion, in fact, these two texts do not refer to the same kind of 'one': Text 5: wa-minha annahu anna anna hada 1-wahida 1-maqula 'ala gamfi 1-maqulati huwa 1-wahidu Had! huwa mabda'u l-'adadi wa-l-'adadu 'aradu fa-'taqada anna sma 1-waKdi yadullu mina 1-mawgudati 'ala 'aradin wa-l-wahidu Had! huwa mabda'u l-'adadi innama huwa mina 1-mawgudati llati
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" 12 13 14
ARISTOTELES: Metaph.: transl. Kirwan [note 8], p. 38. Arabic translation in AVERROÈS [note 4], p. 543, 13. IBN SÌNÀ: Al-Shija Al-Ilàhiyyàt (1) [note 3], p. 96, 1. AVICENNA: Liber de Philosophia prima, ¡-IV [note 2]: p. 107, 69-70. IBN SlNÀ: Al-ShifS Al-llàhiyyàt (2) [note 3], p. 303, 7-8. AVICENNA: Liber de Philosophia prima, V-X [note 2]: p. 349, 12. Avicenna probably reformulates Text 1 talking into account passages of the "Metaphysics" such as Z, 16, 1040 b 21-24, and I, 2, 1053 b 21-26, where Aristotle denies the substantiality of 'being' and 'one'.
The Reception of Avicenna's "Philosophia Prima"
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yuqalu 'alayha smu 1-wahidi wa-in kana ahaqquha bi-hada' 6 (Again, [Avicenna went astray] since he thought that this 'one' which is said of all categories was the 'one' which is the principle of number; but number is an accident; hence he believed that the name 'one' meant, among beings, an accident. Rather, the 'one' which is the principle of number is only one of the beings of which the name 'one' is said, even though it is worthier than those of that [i.e. of being called 'one']). Et etiam, quia existimavit, quod unum dictum de omnibus praedicamentis, est illud unum, quod est principium numerorum. Numerus autem est accidens. Unde opinatus est iste, quod hoc nomen unum significat accidens in entibus: et non inteilexit, quod unum, quod est principium numerorum, est ex entibus, de quibus dicitur hoc nomen unum, licet sit magis dignum hoc .
This text makes clear that Averroes does not assume Text 2 without qualifications. He thinks that the 'one' mentioned in it by Aristotle is not the 'one' tout court - as it appears from Aristotle's statement - but only a particular kind of 'one' (albeit the most important). Hence, according to Averroes, what is true about the 'one' dealt with in Text 2 - i.e. its being the principle of number and, consequently, the accidentality of its unity - cannot be transferred to the 'one' dealt with in Text 1. This latter concerns not a special instance of 'one', but the 'one' which is universally predicable of all categories (in other words, it concerns the transcendental 'one'). A thorough discussion of the validity of Avicenna's and Averroes' interpretation of the Aristotelian doctrine of 'one' and unity lies outside the boundaries of the present contribution. Both Avicenna and Averroes accept a presupposition which makes Text 1 and Text 2 mutually incompatible, namely the necessity for the principle of an accident (in this case, the principle of number) to be itself an accident. Both of them modify substantially the doctrine of one of the two aforementioned Aristotelian texts, in order to eliminate the supposed discordance between them: as we have seen, Avicenna modifies Text 1 (cfr. Text 4), Averroes does the same with Text 2 (cfr. Text 5). An attentive evaluation of the correctness of Averroes' criticism of Avicenna's doctrine of 'one' and unity exceeds the limits of this contribution as well. Averroes is often charged of having misunderstood Avicenna's intentions, transferring on a ontological plan what Avicenna says on a purely logical level18. But, as far as the doctrine of the accidentality of unity is concerned, Avicenna himself seems to interweave the logical analysis with the ontological investigation. This, at least, is what results from chapter III, 3 of the Philosophia prima, whose target is to prove the ontological accidentality of unity. In this chapter, Avicenna himself passes from the ontological plan - where unity is an accident - to the logical one - where the predication of 'one' is the predication of an accidental - and vice versa. In addition, sometimes he does not clearly distinguish
16
AVERROES [note 4]: p. 314, 7-11. Aristotelis Metaphysicorum libriXIIII [note 4], fol. 67D-E. Cfr. ALONSO ALONSO, Manuel: Accidente, accidental y número según Avicena. In: Al-Andalus 28 (1963), pp. 117-154, especially pp. 146-154.
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AMOS BERTOLACCI
'unity' - the ontological accident - from 'one' - the logical accidental, and mentions the former in contexts where only the latter would be fit. What is of interest here is that in Albert's reworking of Philosophia prima III, 3 (namely of Avicenna's proof of the accidentality of unity) Averroes' distinction between the two different meanings of 'one', as expressed in Text 5, plays a fundamental role.
2.
The source of Albert's quotation: Avicenna, "Philosophia prima" III, 3
In the third treatise of the Philosophia prima, Avicenna deals with three of the nonsubstantial categories (quantity, quality and relation), aiming at showing their accidentality. Chapters III, 2-6 take into account the category of quantity. Among them, chapters III, 2-3 focus on the concept of 'one', which Avicenna regards as the principle of quantity. Chapter III, 2 establishes the different ways according to which 'one' can be understood. Chapter III, 3, on the other hand, focuses on the essence of 'one' and on the accidental nature of unity. The accidentality of unity is propedeutic - 'one' being the principle of quantity - to the proof of the accidentality of quantity. The accidentality of unity is an essential element of Avicenna's doctrine of universals (Philosophia prima V, 1-2), according to which a nature is one or many (as it is universal or particular) by accident 19 . Chapter III, 3 of the Philosophia prima 0 can be divided into two parts. In the first part (§ 1), Avicenna shows the impossibility of defining, properly speaking, the concepts of 'one', multiplicity and number. Avicenna deals, first of all, with the concepts of 'one' and multiplicity (§ 1.1), mentioning one pseudo-definition o f ' o n e ' (§ 1.1.1) and three pseudo-definitions of multiplicity (§§ 1.1.2-4). The impossibility of properly defining these concepts is due, according to Avicenna, to the fact that in the pseudo-definition of 'one' ('the one cannot be divided') the notion of multiplicity is ultimately required (since to be divided is to be multiplied), whereas in the pseudo-definitions of multiplicity ('multiplicity is the compound of unities', 'multiplicity is made of unities', 'multiplicity is what is counted by means of the one') the notion of 'one', or notions reducible to the notion of multiplicity itself, are employed. Avicenna explains that this interference between the pseudo-definitions of 'one' and multiplicity takes place since 'one' is more known to the intellect, whereas multiplicity is more known to the imagination (§ 1.2). Avicenna takes into account, then, the case of number (§ 1.3), of which he reports two pseudo-definitions (§§ 1.3.1-2). The situation of number with regard to
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Albert quotes Philosophia prima V, 1-2 in the digressions Metaph., 1. V, tr. 6, c. 5-7. Cfr. IBN SlNA: Al-ShijaAl-Ilahiyyat (I) [note 3], pp. 104-110; AVICENNA: Liber de Philosophia prima, I-IV [note 2]: pp. 114-122.
The Reception of Avicenna's "Philosophia Prima"
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definition is similar to that of 'one' and multiplicity, since in the pseudo-definitions of number we encounter either the notion of multiplicity, which, according to Avicenna, is identical to number, or other notions which can be reconducted to the notion of multiplicity. At the end of the first part of the chapter (§ 1.4), Avicenna says that of 'one', multiplicity and number only material descriptions, not formal definitions, can be given. In the second part of the chapter (§ 2), Avicenna shows that number is an accident. According to him, number is an accident since its principle, namely unity, is an accident too (§ 2.1). The proof of the accidentality of unity is given in two demonstrations. The first demonstration (§ 2.1.1) has both an ontological and a logical dimension. In it Avicenna considers unity in the context of predication, referring to what he has already established in the Commentary on Porphyry's "Eisagoge", and derives from its role in this context some conclusions about its ontological status. The structure of Avicenna's argument is the following: (1) unity cannot be predicated of a substance as its genus or its differentia, since (2) it is not a part of the quiddity of a substance, but rather a concomitant of it. (3) The predication of unity is, therefore, the predication of an 'accidental'. (4) Unity is an accident. Propositions (1) and (3) belong to the logical plan; propositions (2) and (4) to the ontological one. At the logical level, Avicenna evidently means the predication of 'one' when he speaks of the predication of unity. The second demonstration (§ 2.1.2) has a strong ontological character. In it Avicenna takes into account unity with regard to its existence. The demonstration has the form of a reductio ad absurdum: Avicenna proves that unity is an accident since from the hypothesis that it exists in separation from a substance (being consequently itself a substance) absurd consequences follow. The second part of the chapter ends with the answer to an objection (§ 2.1.3) and with the conclusion, where, from the accidentality of unity, Avicenna infers the accidentality of number (§ 2.2). The content of chapter III, 3 can be summarized in the following diagram21: Title (p. 114,21-23) § 1 Difficulties in the definition of 'one', multiplicity and number (pp. 114, 24117, 79): §1.1 The cases of 'one' and multiplicity (pp. 114, 24-115, 40): §1.1.1 Pseudo-definition of 'one' (p. 114,24-29) § 1.1.2 First pseudo-definition of multiplicity (pp. 114, 29-115, 34) § 1.1.3 Second pseudo-definition of multiplicity (p. 115, 34-36) § 1.1.4 Third pseudo-definition of multiplicity (p. 115, 36-40) § 1.2 'One' is prior in the intellect, multiplicity is prior in the imagination (pp. 115,41-116, 54) § 1.3 The case of number (pp. 116,55-117,75): § 1.3.1 First pseudo-definition of number (p. 116, 55-65)
21
Page numbers are those of the critical edition of the Latin translation.
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AMOS BERTOLACCI
§ 1.3.2 § 1.4 §2 § 2.1 §2.1.1 §2.1.2 §2.1.3 § 2.2
Second pseudo-definition of number (pp. 116, 66-117, 75) Conclusion of the first part (p. 117, 75-79) Number is an accident (pp. 117, 80-122, 71): Unity is an accident (pp. 117, 80-121, 52): First demonstration (pp. 117, 80-118, 93) Second demonstration (pp. 118, 94-121, 52) Objection and answer (pp. 121, 53-122, 69) If unity is an accident, also number is an accident (p. 122,69-71)
Chapter III, 3 of Avicenna's Philosophia prima has no correspondence in Aristotle. Albert quotes implicitly almost all of it in the digression V, 1,8, which represents a sort of paraphrase of Avicenna's text. In quoting chapter III, 3, Albert recasts its overall structure, omits or adds some short sections and changes on occasion the content of the sections he quotes. I have described in detail elsewhere the method that Albert adopts in the quotation of this chapter 22 . What is of interest here are the modifications he imposes on Avicenna's doctrine of unity.
3.
The differences between the doctrine of 'one' and unity in Avicenna's chapter III, 3 and in Albert's digression V, 1,8.
When quoting the title of Avicenna's chapter and sections § 1.1.1, § 1.3.2 and § 2.2 of it, Albert emphasizes that the discussion does not concern 'one' and unity in general, but only that particular kind of 'one' and unity which is the principle of number. He does so by means of some significant additions, which I report in italics in the three following texts: Text 6 (1. V, tr. 1, c. 8: p. 227, 41-43; cfr. Avicenna, title): Et est digressio declarans quiditatem unius, secundum quod est principium numeri [italics mine]. Text 7 (Loc. cit.: p. 227, 44-228, 8; cfr. Avicenna, § 1.1.1, § 1.3.2): Unum autem praeter omnes inductos modos sumptum est id quod est principium numeri. ... Per omnia igitur inducta patet, quod difficile valde est invenire quiditatem unius, secundum quod est numeri principium, cum tarnen hoc sit unius esse proprium, quod est principium numeri esse. Et cum numerus sit accidens, oportet ipsum unum quod est principium numeri, de natura accidentis esse [italics mine].
22
BERTOLACCI: Le citazioni [note 5].
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Text 8 (1. IV, tr. 1, c. 8: p. 228, 50-56; cfr. Avicenna, § 2.2): Est igitur haec unitas quae est principium numeri, accidens. Ergo et numerus accidens, qui est collectio taliter discretorum, et est permanentiam habens in suis partibus propter indivisibilitates permanentes. Et sic inventum est verum esse unius, quod est principium numeri, et verum esse numeri [italics mine]. A c c o r d i n g to A v i c e n n a , o n the contrary, chapter III, 3 deals w i t h ' o n e ' and unity in general. T h i s is the main d i f f e r e n c e b e t w e e n A l b e r t ' s and A v i c e n n a ' s doctrines o f t h e s e c o n c e p t s . In this w a y Albert qualifies A v i c e n n a ' s doctrine o f the accidentality o f unity, restricting it to the c a s e o f the unity principle o f number, and l e a v e s o p e n the possibility o f the e x i s t e n c e o f other kinds o f unity not h a v i n g an accidental nature. A c o n s e q u e n c e o f this shift in the doctrine o f unity, as d o c u m e n t e d by T e x t s 6 - 8 , is o b s e r v a b l e o n A l b e r t ' s w a y o f quoting the doctrine o f multiplicity that A v i c e n n a prop o s e s in s e c t i o n s § 1.1.1-3 o f chapter III, 3. W h e n q u o t i n g them, Albert in several o c c a s i o n presents 'number' as s y n o n y m o f ' m u l t i p l i c i t y ' : Text 9 (Loc. cit.: p. 227, 47-71): Si enim dicamus sic, quod est indivisibile non habens positionem, idem erit dictum, quod unum est, quod non dividitur positione carens. Sed quod non dividitur, convertitur secundum intellectum cum hoc quod non multiplicatur, cum hoc constet quod nihil est causa numeri et multitudinis nisi divisio. Sic ergo dicendo multitudo et numerus sunt in diffinitione unius. Quod est inconveniens, cum unum sit principium, sui iteratione et aggregatione constituens et numerum et multitudinem. Amplius, quacumque diffinitione diffinitur multitudo sive numerus, semper in diffinitione ilia ponitur unum. Multitudo enim est id quod aggregatur ex unis vel unitatibus. Cadit igitur unum in diffinitione multitudinis et numeri. Et etiam alio modo videtur peccare diffinitio, quia cum dicitur, quod multitudo vel numerus est aggregatum ex uno, cum aggregatum non sit aliquid aliud quam ipsa multitudo vel numerus, ponitur idem sub alio nomine in diffinitione sui ipsius. Amplius, si aggregatum est aliquid intelligibile et diffinibile, hoc non potest intelligi nisi per multitudinem et numerum, et sic ista circulariter diffiniunt se invicem [italics mine]. F o l l o w i n g the s a m e line o f thought o f T e x t 9, Albert transforms the third p s e u d o - d e f i n i t i o n o f multiplicity in A v i c e n n a ( § 1 . 1 . 4 ) in a p s e u d o - d e f i n i t i o n o f number: Text 10 (Loc. cit.: Loc. cit.: p. 227, 71-72): Si autem sic dicimus: 'numerus est multitudo numerata vel mensurata per unum' ... [italics mine] (cfr. Avicenna, p. 115, 36-37: Item, cum dicimus quod multitudo est id quod numeratur per unum ...). A s a matter o f fact, A v i c e n n a h i m s e l f states in s e c t i o n § 1.1.4 o f chapter III, 3 that 'ipsa ... multitudo est ipse numerus' 2 3 . B u t this h a p p e n s incidentally and o n l y o n c e . Albert, o n the contrary, repeats several t i m e s the identity b e t w e e n multiplicity and number, as w e clearly s e e in T e x t 9, or p r e s u p p o s e s it, as it is w i t n e s s e d b y T e x t 10. T h e reason o f A l -
23
AVICENNA: Liber de Philosophia prima, I-IV [note 2]: p. 116, 56-57.
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bert's insistence may be his desire of emphasizing a thesis which can be considered a consequence of his main point, namely of the fact that 'one' is the principle of number. Since 'one', in Albert's digression, is the principle of number, multiplicity, which derives from it, can only be a number. In Albert's quotation of the second part of chapter III, 3 there are some entire sections he adds to Avicenna's text. Among the sections that Albert adds, two are particularly relevant. The first of these is a sort of introduction to Albert's quotation of Avicenna's first demonstration of the accidentality of unity (§2.1.1). In it, Albert clarifies which other types of unity there are besides the unity principle of number, whose accidentality he is going to prove. Albert introduces a distinction, absent in Avicenna, between two kinds of unity, and applies only to the second of them the accidentality Avicenna establishes about unity tout court. The distinction Albert introduces is analogous to that Averroes establishes in Text 5 as a distinction Avicenna failed to respect: Text 11 (1. V, tr. 1, c. 8: Loc. cit.: p. 228, 27-33): Quod autem haec [sc. unitas quae est principium numeri] sit accidens, sic probatur: Quamvis enim, sicut iam dudum diximus, unum cum ente convertatur, et ipsa forma rei terminans sit unitas ipsius, tamen ex hoc quod quodlibet sic in se terminatum est, sequitur ipsum indivisibilitas, quae secundum naturam est post esse ipsius.
The first kind of unity in Text 11 is 'the determining form itself of the thing' (ipsa forma rei terminans). Evidently with this expression Albert means the substantial form. But, Albert adds, in so far as determined by this form, everything has its own indivisibility (indivisibilitas), which is posterior to its (substantial) being. Indivisibility is the second kind of unity of Text 11. In what immediately follows Text 11, Albert proves, by quoting Avicenna's § 2.1.1, that indivisibility is an accident. Indivisibility is, therefore, the same as the unity principle of number, which Albert recalls at the beginning of Text 1124. The two kinds of unity are, hence, the unity of the substantial form (which, of course, has a substantial nature) and the unity principle of number, which is the same as the indivisibility and has an accidental character. In the digression V, 1, 8 Albert restricts the demonstration of the accidentality of unity, taken from Avicenna, to the unity principle of number, or indivisibility, without questioning the substantiality of the other kind of unity. In this way, Albert reconciles Avicenna's doctrine of unity with Averroes' one. The distinction established in Text 11 recurs elsewhere in Albert's commentary. Albert develops the same point in greater detail, for example, in the digression IV, 1, 5. Albert probably refers, among others, to this text when, in Text 11, he uses the expression 'sicut iam dudum diximus':
24
Later on Albert identifies unitas (in the sense o f unity principle of number) and indivisibilitas
as
synonyms; cfr. infra, Text 13: "... tamen manet hoc accidens quod est indivisibilitas sive unitas ..."
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Text 12 (1. IV, tr. 1, c. 5: p. 167, 52-59): Et hoc modo duplex est unitas. Quarum una est terminus substantiae vel entis, et unum huiusmodi est entis terminativum, et hoc est causa unitatum, non de genere unitatum existens. Alia est unitas, quae est indivisibile sive indivisibilitas causata et abstracta ab hoc uno, et hoc est accidens, cuius collectio facit numerum, et hoc unum non est convertibile cum ente, sed primum.
In Text 12 Albert describes the first kind of 'one' or unity as terminus substantiae vel entis and entis terminativum (cfr. the description of unity as ipsa forma rei terminans in Text 11), and as convertibile cum ente (cfr. unum cum ente convertatur in Text 11); he further adds that this unity is causa unitatum, non de genere unitatum existens. As to the second kind of unity, it is called in Text 12, as in Text 11, indivisibile sive indivisibilitas.; Albert adds that it is caused and abstracted from the first kind of 'one', and that it is not convertible with being. In a second section that Albert adds to the quotation of the second part of Avicenna's chapter III, 3, Albert gives us some more informations about the particular status of the unity principle of number. This section of Albert's digression is a sort of conclusion of Albert's quotation of Avicenna's second demonstration of the accidentall y of unity (§ 2.1.2). Avicenna's demonstration is based on the impossibility for unity of existing in separation from substances. Albert explains why the unity principle of number, albeit being an accident, is, at the same time, inseparable from substances: Text 13 (1. V, tr. 1, c. 8: p. 228, 91-98): Licet enim secundum quod principium numeri est, non sit pars, quae sit genus vel differentia, tamen manet hoc accidens quod est indivisibilitas sive unitas, de differentiae proprio actu, qui est terminare et finire esse ad terminum potentiae et actus. Et quia iste actus differentiae rem non relinquit, ideo unitas, qua quaelibet res dicitur una, rem ipsam numquam relinquit.
In Text 13 we can appreciate Albert's originality. In this text Albert, at the same time, provides an explanation of Avicenna's doctrine, which Avicenna himself does not give, and escapes the rigidity of Averroes's distinction between the two types of unity. Albert explains the inseparability of unity from substances, which Avicenna simply presupposes and demonstrates by means of a reductio ad absurdum, by linking the second kind of unity with a component of the essence of things, namely the specific difference. Albert says that this unity derives from the proper act of the specific difference, which is to delimit and put boundaries to the being of things. But in this way Albert somehow overcomes Averroès' distinction between the two kinds of unity, and places also the second kind of unity, not only the first one, in connection with essence. Whereas Averroes sharply distinguishes between the essential unity, on the one hand, and the accidental unity, on the other, Albert in this text regards the accidental unity as a sui generis accident, given its dependence on the specific difference.
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In sum, Albert in the digression 1. V, tr. 1, c. 8 reproduces the doctrine of Avicenna's chapter III, 3 in the perspective of Averroes' criticism of it. Albert quotes implicitly the text of this chapter, placing however Avicenna's doctrine in a new context. This new context is given by Averroes' distinction between the accidental numerical unity and the non-accidental transcendental unity. Averroes reproaches Avicenna for not having respected such a distinction. We can therefore rightly regard Albert's digression as a case of 'hidden' or 'implicit criticism' of Avicenna. For Albert changes Avicenna's text in order to make it safe from Averroes' attacks. From this point of view, digression V, 1, 8 is the specular image of another digression (IV, 1, 5), where, as I have shown elsewhere, Albert implicitly modifies Averroes's criticism against Avicenna's doctrine of unity and being, in order to make this criticism inoffensive 25 . This implicit reworking of Avicenna's and Averroes' texts in cases of disagreement between these two authors reveals the deep intelligence Albert had of the Arabic interpretations of Aristotle, and his peculiar project of an unitarian use of the Arabic Aristotelianism.
25
BERTOLACCI, Amos: Albert the Great, Metaphysica IV, 1, 5: From the Refutatio to the Excusatio of Avicenna's Theory of Unity. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (eds.): Was ist Philosophie im Mittelalter. Berlin [u.a.] 1998, pp. 881-887. Cfr. LIBERA, Alain de: D'Avicenne à Averroès et retour. Sur les sources arabes de la théorie scolastique de l'un transcendental. In: Arabie Sciences and Philosophy 4 (1994), pp. 141-179, especially pp. 152-156.
ÉDOUARD HENRI W É B E R , Paris
Un thème de la philosophie arabe interprété par Albert le Grand Un thème philosophique recueilli auprès des philosophes de langue arabe et plus précisément d'Avicenne en version latine, celui d'universel, fait chez Albert le Grand l'objet d'une réinterprétation d'importance, le fait a été remarqué par des historiens 1 . On tente ici de retracer l'originalité de cette interprétation en soulignant l'inspiration décisive qu'y joue la théologie révélée. Albert le souligne à maintes reprises, le thème d'universel appartient à la fois à la logique et à la philosophie première. Dès ses exposés d'ordre logique situés au seuil de son entreprise philosophique mais vraisemblablement rédigés de pair avec celle-ci comme le suggèrent ses multiples renvois à ses ouvrages de philosophie première, il part de l'exposé de Porphyre en son Isagoge dans la version latine due à Boèce, là où le philosophe grec annonce qu'il ne cherchera pas à élucider les trois grandes questions qu'il simplement énonce 2 . Après une paraphrase explicative de ce triple problème, Albert à son tour déclare qu'il ne va pas faire plus que montrer la difficulté de coordonner le réalisme aristotélicien et l'idéalisme platonicien. Néanmoins, « pour ne pas laisser l'esprit de son lecteur en suspens», il explicite assez la question pour déjà dépasser l'opposition traditionnelle Aristote-Platon 3 . Le débat était toujours actuel au temps d'Albert, les nominalistes assurant que les universaux n'existent qu'en pensée, tandis que la théorie des formes-Idées transcendantes hors de toute pensée séduisait maints théologiens 4 . Albert offre d'emblée des indications utiles qu'il dit puisées dans les
2 3 4
LIBERA, Alain de: Théorie des universaux et réalisme logique chez Albert le Grand. In: Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques 65 (1981) p. 55-74; idem: Albert le Grand ou l'antiplatonisme sans Platon. In: DIXSAUT, Monique (éd.): Contre Platon, I, Paris 1993 (Tradition de la pensée classique), p. 249-271; idem: Albert le Grand et le platonisme, de la doctrine des Idées à la théorie des trois états de l'universel. In: Egbert P. BOS / Pieter A. MEIJER (éd.): On Proclus and his Influence in Medieval Philosophy. Leiden/New York/Kôln 1992 (Philosophia antiqua, 531), p. 89-119 ; WÉBER, Édouard H.: Le thème avicennien du triple universel chez quelques maîtres parisiens du 13 e siècle. In: LIBERA, Alain de / ELAMRANI-JAMAL, Abdella / GALLONIER, Alain: Langages et philosophie, Paris 1997, p. 256-280. PORPHYRIUS: Isagoge, 2: texte grec et trad. Alain de Libera [e.a.]: Paris 1998, p. 1. ALBERTUS Magnus: Depraedic., 1. II, c.3: Ed. Paris, t. 1, p. 20b. Op. cit., p. 20bs.
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doctrines d'auteurs arabes, notamment en la Logique d'Avicenne 5 . La thèse d'Avicenne du triple universel l'amène à exposer sa façon personnelle d'articuler ces trois modes de la notion litigieuse d'universel: La raison de ce qui précède est affirmée par Avicenne déclarant que toutes choses sont à entendre de trois façons, à savoir : [l]-seIon les principes de leur essence ; [2]-selon l'être qu'elles ont dans leurs sujets singuliers ; [3]-selon qu'elles sont dans la pensée intellective .
En présence du différend Platon-Aristote que bien des historiens considèrent inconciliable, le maître colonais déploie la problématique en théologien qui épreuve l'indigence rationnelle des dires théologiques traditionnels en épistémologie7 Introducteur dans l'aire latine aux philosophies gréco-arabes, Albert se veut d'abord théologien, ce qui motive ses exigences philosophiques. Une question oppose, lestées chacune de sept arguments, la théorie nominaliste et celle des Idées séparées dotées d'une réalité propre8. Elle se fonde sur la version latine de la Logyca du philosophe iranien: L'essence de toute chose est soit [1] dans les choses elles-mêmes, soit [2] dans la pensée intellective ... . Dans le premier cas elle est considérée soit pour ce qu'elle est sans la référer à ce qui lui est consécutif; soit considérée en tant qu'elle est dans la pensée intellective. En ce dernier cas, l'essence entraîne au titre de sa suite les accidents qui sont propres à l'être sien: investie en un sup9
pôt (suppositio), attribution de mode universel ou particulier, par essence ou par accident, etc. .
Les ayant reçus des grecs mais pour les sérieusement aristotéliser, Avicenne évoque souvent ces trois modes de l'universel, notamment à propos de la participation à la causalité créatrice prêtée aux Intelligences séparées. Sa Logyca compare celles-ci et les réalités subordonnées au savoir technique en l'âme de l'artisan à l'endroit des ouvrages de l'art. Ainsi la sagesse divine et la pensée des Intelligences angéliques ont la raison de toutes
5 6
8 9
Op. cit., 1. IX, c. 1: p. 144a. Op. cit., 1.1, c. 2: p. 4b. ALBERTUS Magnus: De anima, 1. III, tr. 2, c. 1: Ed. Colon, (toujours préférée pour les œuvres parues) t. 7,1, p. 177, 59 s : « ... abhorremus verba doctorum latinorum eo quod nobis videtur quod in verbis eorum nullo modo quiescit anima, propterea quod sententiam veritatis nec ostendunt nec verbis propriis attingunt». ALBERT: De praedic., 1. II, c. 2: p. 19b s. AVICENNA: Logica, I, 1 : Venetiis 1508, fol. 2*.
Un thème de philosophie arabe
81
choses sur le mode d'un être antérieur à la multiplicité de ces choses10. La Métaphysique du Shifa expose une acception de l'essence considérée en elle-même à part de tout rapport à autre chose qu'elle, ce que retient Albert pour le réinterpréter: L'universel est: [1] ce qui est prédiqué en acte de plusieurs choses; [2] en tant qu'intention (noétique), ainsi «homme» qualifié d'universel attribuable à plusieurs sujets humains, même si aucun de ceux-ci n'existe en acte; [3] ce qu'il n'est pas impossible d'entendre comme attribuable à plusieurs, par exemple, «soleil» ... . Donc l'universel, du fait qu'il est universel, est un certain quelque chose
(quoddam)
à quoi quelque chose d'autre échoit. ... Ainsi la définition de la «chevalinité» est autre
que celle de l'universalité qui n'est pas contenue dans «chevalinité», dont la définition ne la requiert pas, car universel échoit à «chevalinité». Donc «chevalinité» n'est rien d'autre que «chevalinité» .
Tout en retenant cette notion d'essence considérée de façon absolue, Albert ne l'entend pas comme tant d'interprètes au sens d'indifférence de l'essence d'une chose à l'égard de l'être effectivement en acte, comme le fera Kant pour ses cent thalers. Son De intellectu et intelligibili, déclarant prendre position sur un problème discuté de son temps, rappelle que le réalisme d'Aristote professé par les péripatéticiens au premier rang desquels il range Avicenne, Algazel, Averroès, Abubacher et bien d'autres, est contesté par un auteur sans doute contemporain car non nommé: Mais quelqu'un qui n'est pas de mince autorité parmi les latins n'admet pas la thèse péripatéticienne. Il affirme que d'un certain point de vue l'universel est une réalité existant dans les choses réelles. S'il n'était pas tel, on ne pourrait pas l'attribuer avec vérité aux choses. Quant à nous, nous suivrons une voie moyenne.
Le théologien colonais ajoute ici deux arguments: [1] Une chose n'est objet d'intellection qu'en raison de sa forme. L'universel étant ce qui est objet d'intellection, il faut qu'il soit la vraie forme de cette chose. Il est donc quelque chose en elle. [2] Rien n'est plus vrai dans les choses que ce qui en elles est leur tout et qui, [de soi] un, est présent en de multiples sujets et est dit d'eux {in multis et de multis). Même multiplié, cela ne cesse pas d'être leur raison d'être (non amittit rationem essendi). Pour être dit d'eux, il doit en être la vraie essence leur, soit substantielle, soit accidentelle. Il faut donc que pour être unique en de multiples sujets et en être issu, l'universel soit vraiment dans les choses12. Ensuite Albert développe sa position:
10 1
'
12
Op. cit., III: fol. 2 VI . AVICENNA: Shifa V, c. 1 : Venitiis 1508, fol. 86 v l . ALBERTUS Magnus: De intell, et int., 1.1, tr. 2, c. 2: Ed. Paris, t. 9, p. 493a.
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Nous tenons que l'essence de chaque chose est à considérer de deux points de vue: [1] en tant que nature déterminément-différente dans l'ordre réel, c'est-à-dire appartenant à cette chose où elle se trouve; [2] étant d'ordre réel, donc en cette chose, cette essence y est individuée. Au premier point de vue, il y a encore deux considérations possibles: [1.1] en tant que nature considérée absolument comme essence qui existe en soi, n ' a d'être que comme telle essence et est quelque chose d'un; [1.2] selon l'aptitude de cette même essence à être communiquée, ce qui lui vaut de conférer l'être à de multiples sujets, même si concernant tel sujet cela ne se vérifie pas. Selon ce dernier aspect, cette essence est dite au sens propre un universel. En effet toute essence apte à être communiquée à de multiples sujets est un universel, ne le constaterait-on qu'en un seul exemplaire, ainsi [essence de] soleil, [de] lune, etc. ... Quant à cette aptitude, l'universel est hors de la pensée et dans la chose, mais quant à son existence en acte en plusieurs sujets il n'est que dans la pensée. C'est pourquoi pour les Péripatéticiens l'universel n'est que dans la pensée, rapportant cette affirmation à l'universel en acte d'exister en des choses multiples, sans considérer à cette aptitude pour ellemême. A l'objection que l'universel est alors ... antérieur à la chose et non pas postérieur à elle, ainsi qu'Aristote l'oppose en déclarant que l'universel est soit rien, soit postérieur aux choses singulières, nous répondrons que l'universel est sans aucun doute antérieur à la chose, mais que l'acte de son universalité, étant causé par l'intellect agent, est cela qui, en la chose existante, est la quiddité prédiquée avec vérité de cette chose. Chacune des deux thèses ici opposées étant comprise de cette façon, il est clair que l'une et l'autre dit vrai quant à son point de vue .
Plus loin Albert rappelle que la philosophie dite platonicienne, en fait Avicenne confirmé par Eustrate, série un triple universel: Un premier universel, antérieur à la chose, en est la cause formelle et en contient d'avance tout l'être sur un mode virtuel, séparé et immuable. Cause, il est nécessairement antérieur à elle. ... Platon le dit exister en soi, séparé et d'ordre mathématique, principe du savoir et cause formelle du devenir de toutes les choses engendrées tout en leur restant extérieur.... Un deuxième universel est dit présent dans la chose car forme imprimée par l'universel du premier type, les formes des choses en étant issues, à l'instar des empreintes du sceau, etymago. ... Un troisième universel est postérieur à la chose, car considéré à partir d'elle. Mais Aristote contredit cette théorie et montre que si l'être et l'essence des choses sont de la sorte immuables et incorruptibles, alors ces universaux ne
13
ALBERTUS Magnus: De intell, et int., 1. I, tr. 2, c. 2 et 3: Ed. Paris, t. 9, p. 493a-494b. La Somme d'or de Guillaume d'Auxerre évoque également pour les désapprouver des tenants de cette thèse qui identifieraient le monde archétype et le monde sensible seulement distincts en raison: GUILLELMI Altissiodorensis: Summa aurea, II, 1, c. 2: éd. Jean Ribaillier. Paris-Rome 1982, t. II/l, p. 14, 10s. Se rapproche de cette identification une formule de PETRUS Lombardus: Glossae super Hebraeos 11, 3 (... ut ex invisibilibus visibilia fierent)-. PL 192, 489D-490A, écrivant des choses visibles effets des Idées créatrices: proinde antequam fierent et erant et non erant.
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concernent absolument pas l'être des choses réellement existantes, que nous ne connaissons de telles choses que par les principes relevant de leur être propre, et que par suite l'on n'en connaît aucune par de tels universaux qui sont donc inutiles pour la science des choses . À la thèse des trois états de l'universel, le maître coloriais associe l'exposé par Averroès explicitant l'indication d'Aristote sur le savoir pratique de l'artisan principe de l'œuvre d'art et sériant les trois étapes de toute forme, d'abord celle de santé en l'âme du médecin, puis chez le corps guéri, enfin en l'âme du malade connaissant sa santé retrouvée: Le Commentateur (Averroès) distingue un triple universel : celui qui, antérieur à la chose, en est la cause en la possédant a priori (praehabens rem), tout comme la forme de l'œuvre présente chez l'artisan est cause par mode d'exemple de ce qui est produit dans le réel. Selon ce sens, l'on qualifie un livre de source-modèle des multiples copies du fait qu'il est cause du texte commun en toutes, non ... qu'elles en participent de manière univoque, mais du fait de ce texte devenu commun moyennant la diversité des parchemins et de l'écriture des copistes. ... Un autre universel se trouve dans la chose singulière, y ayant son être. Enfin un autre universel est consécutif à la chose, car il ne doit son être qu'à l'abstraction sans pouvoir exister tel dans le réel. Il est en effet impossible, rappelle Philosophe ..., que ce qui est abstrait de la chose ne lui soit pas consécutif, disant encore au traité De l'âme, que ... l'universel «être-animé» ou n'est rien ou est postérieur (au vivant) . L'interprétation d'Albert du thème des universaux fait tout à fait siennes les exigences de l'aristotélisme tout en les développant en accord avec les leçons du Stagirite sur la relation de l'être et de l'un: «Il semble préférable d'affirmer avec Averroès que le Premier Moteur est par son intellection mesure de l'étant de statut substantiel» 16 . Le maître colonais écrit: L'universel qui est antérieur à la chose se dit en deux sens. [1] Toutes les choses sont... dans la Pensée de la Cause Première comme en cette lumière formelle qui, Principe [suprême], est forme de toutes choses sur un mode d'Un[-]iversalité. ... Stoïciens et Péripatéticiens enseignent que les universaux sont les formes de toutes les choses en y étant premiers et raison formelle, les contenant d'avance sur un mode universel, immatériel, un-et-simple (simpliciter). C'est l'universel ante rem, lequel présente un être spécifique, celui d'être cause intellective au sens de lumière issue de la Pensée Première propre à l'Intellect Cause universelle conférant l'existence à tout. [2] Selon l'autre acception, l'universel antérieur à la chose est avant elle, non pas du point de vue temporel, mais en
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ALBERTUS Magnus: De intell, et int., 1.1, tr. 2, c. 5: p. 496; idem: Phys., 1.1, tr. 1, c. 6: Ed. Colon, t. 4,1, p. 10, 53 s. ALBERTUS Magnus: Super Dion, de div. nom., c. 2 § 84: Ed. Colon, t. 37,1, Munster 1972, p. 97, 49 s; op. cit., c. 6 § 3: p. 329, 26 s. AVERROES: Aristotelis Metaphysicorum Lib. VII, comm. 23 : Venetiis 1562, t. 8, fol. 173VH-I. ALBERTUS Magnus: Metaph., 1. X, tr. 1, c. 6: Ed. Colon, t. 16,2, p. 438, 5 s.
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nature-essentielle (substantià) et en raison. Il est la forme essentielle au sens aristotélicien de cause formelle, car acte de telle forme constituant l'être de la chose. Son effet propre est l'existence de tout ce qu'est cette chose. Il ne diffère pas en toutes les choses de même espèce ou forme et présente de soi une unique relation avec toutes. On lui attribue l'universalité au titre de leur nature et raison. Cet universel dit dans la chose est la forme qui est participée en acte ou en puissance par plusieurs sujets existants. On nomme universelle cette forme du fait qu'elle est de soi toujours communicable en de multiples sujets Un dernier universel et postérieur à la chose est cette même forme que l'on a abstraite, ce qui amène à dire que l'expérience constitue l'universel et le souvenir . Le triple état de l'universel exprime donc une suite coordonnée de trois moments à la fois formels et réels car d'ordre causal: L'universel est triple ... . L'antérieur à la chose est la cause la contenant d'avance. ... Autre est l'universel qui, étant nature de cette chose, lui est antérieur (prius re ipsa) tout en en étant contemporain. C'est la nature formelle de la chose ..., ainsi «homme» qui, au sens d'essence, se dit en deux sens: [1] selon l'essence même et [2] selon ce qui lui survient. [1] Selon l'essence même, c'est l'essence sans considérer autre chose qu'elle, sans la subjecter en un matériau singularisant. [2] Du point de vue de ce qui lui survient, on la voit en rapport avec autre chose qu'elle, soit [2.1] au point de vue de l'être [en acte] (esse) qu'elle reçoit ... , ainsi [2.1.1] quand survient à l'essence de «homme» d'être en notre intellect possible comme en son lieu spécifique, ou [2.1.2] au point de vue de l'être qu'elle a en un matériau, elle est l'acte d'une matière. L'entend-on selon l'être qu'elle a en la matière d'un sujet particulier, le sens se dédouble: [2.1.2.1] -soit selon sa puissance et aptitude à être multipliée en des sujets particuliers pour lesquels cette essence est un universel; [2.1.2.2] -soit 18 comme nature commune à ces multiples sujets auxquels elle vaut d'être des suppôts singuliers . En son commentaire avec questions sur Y Éthique, Albert évoque, concernant la notion de bonum que le Stagirite détermine comme objet de désir universel, les trois universaux selon Eustrate 19 . Sans admettre comme Eustrate la thèse de Platon déterminant que le bien est une chose en soi et en y préférant l'optique d'Aristote le situant dans l'ordre du multiple selon le mode du magis et minus, il précise, avec appui sur Denys, que le bien est objet de désir en tant que cause exemplaire et non pas comme chose unique et identique pour tous. C'est au titre de cause transcendante d'un acquis intériorisé dans l'être m ê m e du sujet connaissant et désirant que le bien est antérieur à la chose. L'universel bonum descend sur un mode exemplarisant depuis cette Nature Première en laquelle il se trouve par mode d'unité pour conférer aux choses multiples une imitation proportionnée à leur nature à elles de cette Nature suprême leur source.
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Op. cit., I. V, tr. 6, c. 5: Ed. Colon, t. 16,1, p. 285, 59 s. Op. cit., 1. VII, tr. 5, c. 1: p. 372, 53s; comme en son lieu: allusion au ARISTOTELES: De anima III, c. 4: 429a 27 (la forme-idée de la pierre dans l'âme). Idem: Super Ethica, 1.1, lect. 1, § 9: Ed. Colon, t. 14,1, p. 7, 26 s.; lect. 5, § 29: p. 25, 1 s.
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Confirmation par Aristote lui-même est alléguée pour cette acception héritée de Denys pour qui le Bien divin se diffuse en participations selon différents degrés20. Selon le Stagirite, le mode maximal d'une qualité est cause des modalités moindres de cette même qualité, ainsi la chaleur qui, en tant que maximale dans le feu, est cause des degrés variés de chaleur chez les corps ambiants. Ainsi montré aristotélicien, ce sens de cause formelle exemplaire est intégré en la notion d'universel cause formelle exemplaire et donc ante rem. Ce sens ainsi élargi est situé dans le moment de l'essence de chaque chose créée considérée absolument en compagnie d'Avicenne21. Adepte du réalisme d'Aristote, Albert le développe à partir de la noétique du Stagirite et de ses exposés sur les rapports de l'un et de l'être exposés notamment aux livres X et XII de sa Métaphysique22. Il situe en Dieu et très précisément, selon la Révélation, dans le Verbe ou Logos divin les Idées créatrices comprises selon l'hénologie du théologien grec Denys qui, assumant des discernements issus du (néo)-platonisme, les a adaptés à la doctrine théologique de la création. Soulignant que Denys est ici, à propos de l'unité et de l'unicité de la Pensée divine, en accord avec le Stagirite, le maître colonais écrit: Dans le Principe Premier, il n'y a pas de pluralité numérique où s'identifierait de l'antérieur et du postérieur. Aussi ne peut-on à ce sujet que consignifier une pluralité. Nous enseignons en effet qu'il n'y a [en Dieu] qu'une Idée [subsistante] unique et non pas plusieurs, car il n'y a pluralité que par 23
rapport aux choses [multiples], l'unité caractérisant le Principe du multiple .
Ici Albert retient la notion de Scot Érigène relative aux Idées divines Causes primordiales24. Sans leur reconnaître un statut créé comme le fait Érigène les déterminant à la fois créées et créantes, il qualifie l'universel ante rem d'instance causale créante25. L'universel qui est en la chose pour la constituer, le théologien colonais le définit comme imago
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ARISTOTELES: Metaph. 11,1: 993b 25 s. Voir: LIBERA, Alain de: L'art des généralités, Paris 1999, p. 576, pour la position d'Avicenne fidèle à l'optique d'Aristote à propos du moment absolu de l'essence (fidélité qu'à la différence des Latini dénoncés par l'A., Albert a bien discernée, peut-on ajouter). Voir d'ALBERTUS Magnus: Metaph., 1. X, tr. 1, c. 5: p. 437, 59 s: « ... eius quod est metrum videtur esse proprium quod sit causa; est autem primus motor per suum intellectum agentem causa; est igitur et primum mensurans ». Idem: Super Ethica 1. I, lect. 5, § 29: p. 25, 25 s. L'Université de Paris bannit le 13 janvier 1241 (mesure qu'elle rappelle en 1244 quand Albert va en 1245 être promu maître en théologie) la thèse platonicienne de multiples vérités éternelles (Chartularium Universitatis Parisiensis, éd. par Heinrich DENIFLE/Émile CHATELAIN, vol. I, Paris 1889, n. 128 (Septimus), p. 170 s.). Idem: Super Dion, de div. nom., c. 5, § 24: p. 316, 64 s. Idem: De causis et proc. univ., 1. II, tr. 2 c. 22: Ed. Colon, t. 17,2, p. 116, 46: « factivum rei et constitutivum ».
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formae (de l'Idée divine). Le troisième universel, qui est abstrait par notre pensée, est caractérisé comme écho du précédent et imitation de l'universel ante rem6. Les universaux selon l'interprétation d'Albert se fondent ainsi sur des considérants d'ordre causal qui s'inspirent à la fois du théologien Denys et de la théologie du Verbe divin dont il est dit «tout fut par lui» (Joh. 1,3). Du fait de l'exemplarité créatrice de la Pensée divine à l'endroit du créé, notre théologien souligne le statut ontologique, en chaque sujet créé, de l'intériorisation effective de l'effet suscité par l'influx causal transcendant. Recueillie de Denys, la notion d'être accompli, bene esse, est montrée s'adjoignant avec celle d'être, esse. Elle est confirmée avec la métaphysique et la téléologie aristotéliciennes. Ainsi l'être de l'homme, esse, et son être accompli, bene esse, sont des réalités au titre d'effets de cette procession divine créatrice et restauratrice ayant leurs source et mesure transcendantes en la procession intratrinitaire des Personnes divines révélées: La perfection qui émane de la Cause Première en toute chose réside en ce que toutes choses accèdent au terme du développement ultime qu'elles désirent obtenir.... On entend ici « perfection » au sens, non seulement des perfections essentielles premières, mais aussi des perfections qui, acquises par la suite (secundis), permettent à tout sujet (créé) d'atteindre son développement ultime selon son être heureux (secundum bene esse) .
Cette notion d'être accompli à acquérir est associée à celle, aristotélicienne, de perfection finale elle-même doublée du thème de participation à l'excellence du Bien divin, comme le montre le commentaire du traité Du Ciel: Toute l'excellence, nobilitas, qui est propre à la Cause Première, est participée par toutes choses sur un mode proportionné à elles, et ainsi chacune d'elles acquiert sa propre excellence selon sa mesure propre. Toute chose en effet « désire l'être divin » et à cette fin exerce toute son activité .
Avec la doctrine dionysienne de la causalité anagogique selon laquelle Dieu Cause Première qui, Bien suprême, attire toutes choses vers lui-même pour leur accomplissement, Albert, fondé à titre principal sur la Révélation, précise que la promotion des humains se réalise par un partage de la félicité divine par mode d'intellection directe suscitée par
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Loc. cit., p. 116, 60 s.: « primum est formans et forma, secundum imago formae, tertium resultatio imaginis ad similitudinem formae formantis ». ALBERTUS Magnus: Super Dion, de div. nom., c. 13, § 2: p. 432, 56 s.; voir op cit., c. 4, § 1: p. 113, 8 s.; § 32: p. 138, 8: bene esse concerne la progression vers Dieu; op. cit., § 187: p. 272, 25, bene esse référé à la grâce; op. cit., § 198: p. 278, 10; c. 5, § 30: p. 320, 31 : esse et deiformiter esse, i. e. bene esse. Idem: De caelo et mundo, I. II, tr. 3, c. 14: Ed. Colon, t. 5,1, p. 172, 52 s.; ARISTOTELES: De anima, II, 4: 415a 34: toute chose désire toujours participer autant que possible au divin; ALBERTUS Magnus: De anima, 1. Il, tr. 2, c. 1 : p. 84, 59 s.
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grâce de l'essence divine elle-même . Cette causalité transcendante, qui s'exerce au bénéfice des choses singulières, suppose chez notre théologien le discernement d'Avicenne relatif à l'universel ante rem au sens d'essence considérée absolument. L'universel «essence» (d'homme) auquel survient de se trouver en l'intellect possible comme en son lieu spécifique est en ce même intellect au titre 32 attain A g a i n s t this argument, w h i c h Aquinas d e v e l o p s in his De unitate intellectus, Bate objects that it is impossible for anything to subsist by itself without matter and at the s a m e time to b e constituted in existence by matter. H o w e v e r , the act o f matter in its proper sense and an intellectual substance h a v e such incompatible features. For the activity o f an intellectual substance s h o w s that it is not material, but merely a form w h i c h „by itself is the principle o f the b o d y ' s actuality" 33 . After this criticism o f Aquinas, Bate adds: „Hence Ulrich says in his 'De summo bono': 'The intellect cannot be the act of a body', and venerable Albert too admits this in some places. However, [when Aquinas holds] that the human soul exists per se in virtue of its own existence, in which matter has a share, this undoubtedly cannot mean that the intellect is the act of matter as such or that matter's being-in-act is the being of the intellect; for this is obviously impossible. Rather, matter has a share in the existence of the intellectual soul in such a manner that the existence of the body and man's activity derive from the soul" 34 .
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See Spec., Ill, 19: p. 230, 93-6; III, 20: p. 235, 22-^8. Cf. THEMISTIUS: De anima, I, 4: ed. Gerard Verbeke. Leiden 2 1973 (Corpus Latinum Commentariorum in Aristotelem Graecum, t. I), p. 65, 0 - 8 ; SIMPLICIUS: De caelo, I, 9: ed. Iohannes Heiberg. Berolini 1894 (Commentaria in Aristotelem Graeca, 7), p. 279,16-18. See Spec., Ill, 21: p. 236, 52-59. Cf. THOMAS de Aquino: De unitate intellectus, I: [n. 28] p. 296, 469-478. See Spec., Ill, 22: p. 238, 18 - p. 239, 38. Cf. THOMAS de Aquino: De unitate intellectus, 3: [n. 28] p. 307, 378-401. See Spec., Ill, 22: p. 239, 3 9 ^ 9 . Spec., Ill, 22: p. 239, 49 - p. 240, 58. Cf. ULRICUS Theobaldi de Argentina: De summo bono, IV, 3, 1: Vat. lat. 1311, fol. 107*; ALBERTUS Magnus: De anima, I. Ill, tr. 2, c. 4: Ed. Colon, t. 7,1, p. 183, 29-30; De intell. et int., 1.1, tr. 1, c. 5: ed. cit., p. 485b„ 1. 2, c. 8: p. 515b.
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Here, as in many other chapters, Bate is prejudiced against Aquinas. Since he cannot deny that Aquinas' argument contains some truth, he tries to point out its inadequacy. With that aim, he tactically opposes the authority of Ulrich and „venerable Albert" to the „famous commentator". However, Bate's use of Albert's noetics is not merely rhetorical. A number of passages make clear that Bate knows how to integrate appropriate quotations from Albert's works into his own psychology. While discussing the relation between the intellect and phantasms, Bate cites Albert to the effect that „the intellect is formal in respect of phantasy, just as phantasy is formal in respect of the common sense and the common sense in respect of the particular senses"35. This means that the intellect comprises everything of which man can become conscious. Since, then, the species of all intelligible objects are virtually contained in the agent intellect, with which the potential intellect is substantially identical,, Albert says that in [thinking] any of the intelligible objects, one thinks nothing but the light of the agent intellect"36. Insofar as the agent intellect in man is separated from the body, it is always thinking. Yet, because of man's materiality, the human intellect is sometimes only in potency. As Bate observes with Albert, the intellect is not immediately actualized at birth: „for although [a baby] simultaneously has reason and appetite in potency, it does not have perfect reason according to its perfect actuality, namely according to prudence, at the same time as it has appetite"37. Speaking more generally, Bate holds with Albert that „by nearing the body the potential intellect becomes removed from the light of the Intelligence, just as the transparent in the air is removed from the nature of that which is in itself luminous"38. The foregoing citations from Albert, which are disseminated throughout the psychological parts of the Speculum divinorum, could suffice to demonstrate the Albertian inspiration of Bate's noetics. The most interesting aspect of Bate's reception of Albert, however, is to be found in the ethical ideal in which his doctrine of the human intellect culminates39. According to Bate, the „confidence of the philosophizer" consists in the formal
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See Spec., XV, 10: „Et inde concludit Albertus quod intellectus formalis est respectu phantasiae, sicut phantasia respectu sensus communis et sensus communis respectu sensuum particularium". Cf. A L B E R T U S Magnus: De anima, 1. III, tr. 3, c. 3: ed. cit., p. 212, 5 9 - 6 3 ; the quotation from Albert is surrounded by quotations from AVERROES: De anima III, 32: p. 437, 29 - p. 474, 61 and 36: p. 499, 5 7 1 - 5 7 7 . Spec., II, 38: p. 148, 91-95. Cf. ALBERTUS Magnus: De intell. et int., 1. II, tr. unicus, c. 5: ed. cit., p. 511a. Spec., V, 7: p. 145, 84-89. Cf. ALBERTUS Magnus: Politica, 1. VII, c. 14: Ed. Paris, t. 8, p. 734b. Spec., Ill, 8: p. 192, 78-82. Cf. ALBERTUS Magnus: De intell. et int., I. II, tr. unicus, c. 4: ed. cit., p. 509b. On Bate's ethical ideal, see STEEL, Carlos: Medieval Philosophy an Impossible Project? Thomas Aquinas and the ' Averroistic' Ideal of Happiness. In: AERTSEN / SPEER (Hrsg.): Was ist Philosophie im Mittelalter? [n. 25], pp. 152-174, esp. pp. 161-169; and my article: Henry Bate's Aristocratic Eudaemonism. In: AERTSEN, Jan / EMERY, Kent / SPEER, Andreas (Hrsg.): Nach der Verurteilung von 1277. Berlin [New York] 2001 (MM, Bd. 28), pp. 657-681.
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conjunction with the agent intellect. When the agent intellect merely produces thoughts in man, it is joined to him only as an efficient cause and acts without his cooperation. Supreme happiness, however, requires man's own activity and consequently a formal union with the agent intellect: „for it is the form whereby we perform this activity, which is our activity insofar as we are human beings". This argument, which Bate attributes to Alfarabi, though it is actually transcribed from Albert's De anima, constitutes the quintessence of his anti-Thomistic eudemonism40. Taking man's bodily disposition into consideration, Aquinas shatters the illusion of a formal conjunction which should enable man to know the immaterial substances during his terrestrial life. With Albert, however, Bate maintains that it is possible for the human intellect to comprehend something immaterial. It is certain that the intellect thinks immaterial things after death. Moreover, even during the earthly life, the intellect is sometimes formally united to the agent intellect and then thinks separate beings. Otherwise, man could not reach contemplative happiness on earth, and such a view would contradict the Peripatetic tradition. Hence, the goal of the philosophers must be the 'intellectus adeptus', the condition of the intellect which is joined to all intelligible objects41. The quotation from Albert's De anima, inserted as a synthesis at the very end of Part XVI, unveils the Albertian inspiration of the previous chapter, in which Albert is not cited. There, Bate identifies the ultimate aim with the „holy virtue of prophecy" praised by Avicenna and accepts Eustratius' view that the most divine men „tirelessly reflect the First Light". Yet, Bate emphasizes that the „ecstatic transformation" occurs very seldom in the whole life of those who ascend to the summit of philosophy. Indeed, the highest intellectual pleasure is experienced only in a kind of rapture owing to what Avempace calls a „divine possibility". In the light of the final citation, the references to Avicenna, Avempace, and Eustratius, as well as the philosophical usage of the notions 'transformation' and 'rapture' are obviously reminiscent of Albert's ethical ideal42. 40
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See Spec., XVI, 2: „Unde et Alfarabius in 10 suae Ethicae Nicomachicae dicit quod fiducia philosophantis est coniungi intellectui agenti non tantum ut efficienti, sed etiam sicut formae. ... tunc coniungetur ei ita quod ipse intelligat in optimo statu suae felicitatis; forma enim est, inquit, per quam operamur hoc opus quod nostrum est, in quantum homines sumus". Cf. ALBERTUS Magnus: De anima, 1. Ili, tr. 3, c. 11: ed. cit., p. 221, 47-60; on Albert's argument, see LIBERA, A. de: Albert le Grand et la philosophie, [n. 17], p. 244. See Spec., XVI, 16, where Bate cites ALBERTUS Magnus: De anima, 1. Ill, tr.3, c.12: ed. cit., p.224, 70 - p. 225, 14. Cf. LIBERA, A. de: Albert le Grand et la philosophie, [n. 17], pp. 2 4 8 - 2 5 1 and 2 6 2 - 2 6 5 . See Spec., XVI, 15: „Suprema ... dici potest quae secundum intellectum delectatio divinissima, secundum quam videlicet penitus ultra possibilitatem suam naturalem in id quod superexcellens optimum et amabilissimum est, extenditur intellectualiter et in ipsum tamquam dono divinae gratiae ... extatice transformatur". In this chapter, Bate quotes, among other texts, AVICENNA: De anima, V, 6: éd. Simone Van Riet. Louvain 1968 (Avicenna Latinus, 1), p. 150, 71 - p. 153, 18, and EUSTRATIUS: In Ethicam, I, 16: ed. Paul Mercken. Leiden 1973 (Corpus Latinum Commentariorum in Aristotelem Graecum, 6, 1), p. 171, 1 - p. 172, 7. The reference to Avempace is taken from AVERROES: De anima, III, 36: p. 494, 4 2 9 - 4 3 0 . For parallels in Albert, see ALBERTUS Mag-
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H o w e v e r s p e c u l a t i v e B a t e ' s ideal m a y be, it a l s o has practical c o n s e q u e n c e s . This is attested b y the d e p i c t i o n o f the prophetic philosopher, w h i c h he b o r r o w s f r o m Albert: „The form of the cosmos and the Intelligence that is substantially separated spreads and pours its light throughout the whole sphere subjected to it. ... When the intellect extends itself, it finds the [divine] light everywhere present, it is informed, and imbued by it, and enlightened in accordance with heavenly beauty. In this manner too, the souls of outstanding men encompass more than their own bodies, when their souls are attached to the forms of the cosmos. ... These are the men who bring about, as the philosophers say, wonderful acts in converting human beings and natural things. ... And in this light, many illumined men perceive the order of natural things and foretell [the future]" 43 . B y w a y o f introducing this quotation, B a t e remarks: „Albert himself confirms in his 'On the Intellect and the Intelligible' that the manner in which the Intelligence communicates with and is attached to the soul, as suggested by Averroes, is reasonable" 44 . W i t h the p a s s a g e from De intellectu, Bate attempts to correct the o n e i r o l o g y w h i c h Albert e x p o u n d s in his De somno et vigilia. There, indeed, Albert argues against A v e r r o e s that the form w h i c h p r o c e e d s from the First C a u s e into the celestial i n t e l l i g e n c e s „ d o e s not s e e m to contribute to the k n o w l e d g e o f the future, e v e n if it is imprinted into the soul, s i n c e it is the f o r m o f a work, not o f a k n o w l e d g e o f s o m e t h i n g in the future or o f s o m e t h i n g else" 4 5 . S i n c e B a t e counters A l b e r t ' s criticism o f A v e r r o e s
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nus De anima, 1. Ill, tr. 3, c. 8: ed. cit., p. 218, 8 - 1 4 and p. 222, 4 - 1 4 (on Avempace and Eustratius); De intell. et int., 1. II, tr. unicus, c. 10 (on intellectual 'sanctity'); De somno et vig., 1. Ill, tr. l , c . 3 - 5 (on 'rapture'); De XVprobi, 1 : Ed. Colon, t. 17,1, p. 33, 65-69 (on the 'transformation' of philosophers into gods). 'Transformatio' is also used philosophically in the Auctoritates Aristotelis: [n. 18], p. 139, 95. Spec., XVII, 18: St.-Omer, Bibliothèque municipale, Ms. 587 (= Q , fol. 294 r b v a : „Intellects igitur, inquit, extendens se invenit lumen ubique praesens et informatur et imbuitur ilio et clarificatur ad pulchritudinem caelestem. Et hoc etiam modo animae excellentium virorum plura ambiunt quam corpora propria, quando animae eorum formis mundi applicantur. ... Et hi sunt de quibus dicunt philosophi quod operantur mirabilia in conversionibus hominum et naturarum. ... Et multi viri illustres in hoc lumine ordinem rerum naturarum percipiunt in ordine istius luminis et praedicunt". Cf. ALBERTUS Magnus: De intell. et int., 1. II, tr. unicus, c. 11: ed. cit., pp. 519a520a. For a similar argument, see Spec., XXIII, 7: p. 406, 22 - p. 407, 49 (where Albert is not mentioned). Spec., XVII, 18: C, fol. 294rb: „ ... modum communicationis et applicationis intelligentiae cum anima quem Averroes innuit, rationabilem esse testatur ipsemet Albertus in libro suo 'De intellectu et intelligibili'". See Spec., XVII, 17, where Bate quotes Averroes' exposition on dreams before citing Albert's criticism of Averroes. Cf. AVERROES: De sompno et vigilia-, ed. Aemilia Ledyard Shields / Hein-
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GUY GULDENTOPS
by adducing a more optimistic text of the Doctor universalis, he turns out to be an attentive compiler, fascinated by Albert's Hermetic model of human life. Compared with the huge number of quotations from Greek and Roman philosophers, from Averroes and Aquinas, the amount of Albert-citations in the Speculum divinorum is quite low. Yet, Albert is the only philosopher whom Bate sometimes honored as „venerable". Moreover, some important themes in Bate's encyclopedia derive from Albert's psychological and metaphysical works. Like Albert, Bate is convinced that man, when „enlightened in accordance with heavenly beauty", may already divine something of the Supreme Good on earth. Far from heralding the Aufklärung of the 18th century, this philosophical 'confidence' announces essential elements of 15th-century Albertism. Hence, Bate is to be regarded as one of the links in the chain between Albert and authors such as Heymericus de Campo, John of Malines, and Denys the Carthusian46. After all, it is quite understandable that Pico della Mirandola considered Bate „a disciple of Albert the Great"47.
rich Blumberg. Cambridge (Mass.) 1949 (CCAA [n. 29], Versionum Lat. Vol. VII), p. 100, 19 - p. 111, 24; ALBERTUS Magnus: De somno et vigilia, 1. III, tr. 1, c. 7: Ed. Paris, t. 9, p. 187a-b. On Albert's oneirology, see RICKLIN, Thomas: Albert le Grand, commentateur: L'exemple du De somno et vigilia III, 1. In: CHENEVAL, Francis / IMBACH, Ruedi / RICKLIN, Thomas (éds.): Albert le Grand et sa réception au moyen âge . In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 45 (1998), pp. 3 1 - 5 5 . 46
47
Cf. MEERSSEMAN, Gilles: Geschichte des Albertismus. H. II. Romae 1935, p. Adriaan: Le „Tractatus de homine" de Jean de Malines. In: Tijdschrift voor filosofìe 3 - 8 9 , esp. p. 4, n. 7; EMERY, Kent: Did Denys the Carthusian also read Henricus letin de philosophie médiévale 32 (1990), pp. 196-206. See PICO DELLA MIRANDOLA, Giovanni: Disputationes adversus astrologiam IX, 3: ed. GARIN, Eugenio. Firenze 1952 (Ed. nazionale dei classici del pensiero 296; cf. our introduction to Spec., Parts XX-XXIII, p. XXVI, n. 7.
61; PATTIN, 39 (1977), pp. Bate? In: Buldivinatricem italiano, 3), p.
Stephan Lipke, Bonn
Die Bedeutung der Seele für die Einheit des Menschen nach De homine 1. Thema, Anliegen und Vorgehensweise der Untersuchung Die Frage nach der Einheit des Menschen und der Bedeutung der Seele für diese spielt im Rahmen der anthropologischen Auseinandersetzungen des 13. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle. Dabei wird im allgemeinen Thomas von Aquin das Verdienst zugeschrieben, mit Hilfe aristotelischer Kategorien (Form und Materie) gegen platonistischdualistische Tendenzen die Einheit des Menschen neu in den Blick bekommen zu haben 1 . Dieses Verdienst soll hier nicht bestritten werden. Allerdings bietet das Fortschreiten der kritischen Edition der Werke seines Lehrers Albertus Magnus die Gelegenheit zu der Nachfrage, ob das Werk des Thomas von Aquin in seiner Zeit völlig analogielos dasteht oder ob es bereits Vorläufer hat. Konkret soll hier bzgl. einer bestimmten Teilfrage kritisch nachgefragt werden, ob und inwieweit die - besonders auf Arthur Schneider zurückgehende - Einschätzung zutrifft, Albert habe es in seiner Psychologie nicht vermocht, ein (womöglich eigenständiges) System zu entwickeln und durchzuhalten, sondern habe einerseits zwar in für seine Zeit neuartigem Ausmaß Lehren des Aristoteles rezipiert, andererseits aber zum Teil unverbunden neben diese auch neuplatonische oder augustinistische Elemente gestellt 2 . Dieselbe Nachfrage richtet sich auch an die ähnlich geartete These Sturleses, Albert habe „es sich auf seinem Weg [konkret in „De homine"] weder mit den Heiligen noch mit den Philosophen verderben wollen" 3 . Es geht also hier darum, zu klären, welche Antwort Albert auf eine entscheidende Frage der Anthropologie gibt, nämlich auf
Vgl. SCHNEIDER, Theodor: Die Einheit des Menschen. Münster 1973, S. 57 f. - Eine ähnliche, wenn auch etwas differenziertere Einschätzung begegnet in: RATZINGER, Joseph: Eschatologie. 6., erw. Auflage Regensburg 1990 (Kleine Katholische Dogmatik, 9), S. 125: „Angesichts der Schwere einer solchen Aufgabe kann es nicht verwundern, daß diese Synthese [zwischen Leibbezug und Unterschiedenheit der Seele vom Leib, der Verf.] nur langsam gereift ist; ihre endgültige und überzeugende Gestalt hat sie erst bei Thomas von Aquin gefunden." 2
3
Vgl. etwa SCHNEIDER, Arthur: Die Psychologie Alberts des Großen, Teilbd. 1. Münster 1903 / Teilbd. 2. Münster 1906 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie im Mittelalter 4,5-6), S. X; 2; 533. STURLESE, Loris: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. München 1993, S. 367 f.
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die Frage, wie sich die Einheit des Menschen mit seiner „irreduziblen Doppelaspektivität"4 vereinbaren läßt, und wie Albert in der Beantwortung dieser Frage mit den verschiedenen ihm vorgegebenen Traditionen und Theorien umgeht. Aus den zur Verfugung stehenden Quellen wurde die wohl um 1242 in Paris entstandene disputatio doctrinalis „De homine"5 ausgewählt, weil für diese feststeht, daß sich in ihr Alberts eigene Meinung zur Psychologie am umfangreichsten dargestellt findet6. Die Untersuchung folgt in ihrer Grundstruktur primär den ersten quaestiones von „De homine". Dies liegt u. a. deshalb nahe, weil diese Struktur der Abhandlung neuplatonischer und aristotelischer Lehren nacheinander beispielsweise einer der bislang wichtigsten Untersuchungen zu diesem Thema, nämlich dem Werk von Arthur Schneider über die „Psychologie Alberts des Großen", zugrunde liegt. Außerdem gilt ja die Untersuchung nicht zuletzt der Frage, ob und inwieweit die zweifellos vorhandenen Elemente aus verschiedenen philosophischen Denkschulen zueinander im Widerspruch stehen. Dazu empfiehlt es sich aber meiner Meinung nach, nicht einfach systematisch die gesamte Schrift in den Blick zu nehmen, um dann z. B. festzustellen, daß Albert bezüglich einer bestimmten Frage an einer Stelle neuplatonische Begrifflichkeit rezipiert, an einer anderen hingegen aristotelische, ohne diese zu einem eigenständigen System zusammenzufügen. Vielmehr ist zu fragen, wie Albert im einzelnen mit den ihm historisch vorgegebenen Begriffen und Definitionen umgeht und sie womöglich übernimmt, aber modifiziert, und ob im Hintergrund dieser jeweils vorgenommenen Modifikationen nicht womöglich doch ein eigenständiges, konsistentes Menschenbild steht. An den Schluß der Untersuchung soll dann ein kurzer Ausblick in der Form eines Vergleiches mit der entsprechenden Lehre des hl. Thomas gestellt werden, welcher der Überprüfung der Frage dienen soll, in welchem Verhältnis die beiden Lehren zueinander stehen.
4
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Zum Begriff der „Doppelaspektivität" vgl. HONNEFELDER, Ludger: Das Problem der Philosophischen Anthropologie. In: Ders. (Hrsg.): Die Einheit des Menschen. Zur Grundfrage der philosophischen Anthropologie. Paderborn 1994, S. 20. Zu allen Einleitungsfragen bzgl. „De homine" vgl. ANZULEWICZ, Henryk: De forma résultante in speculo. Die theologische Relevanz des Bildbegriffs und des Spiegelbildmodells in den Frühwerken des Albertus Magnus, 2 Bde. Münster 1999 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N.F. 53,1-2). Vgl. SCHNEIDER [Anm. 2], S. 4. - Vgl. ebenso ANZULEWICZ, Henryk: Anthropologie des Albertus Magnus als Ort des Dialogs zwischen den „sancti" und „philosophi", in: PRCELA, Frano (Hrsg.): Dialog. Auf dem Weg zur Wahrheit und zum Glauben (= FS P. Augustin Pavlovi'c OP). Z a g r e b / M a i n z 1996, S. 48.
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Als Textgrundlage dient die unkritische Ausgabe von „De homine", erstellt 1896 von A. Borgnet 7 . Zu danken habe ich jedoch auch dem Bonner Albertus-Magnus-Institut, das mir eine vorläufige Version der kritischen Ausgabe der Schrift (demnächst herauszugeben von Henryk Anzulewicz und Joachim R. Söder als Ed. Colon, t. 27,2) für die Untersuchung zur Verfügung gestellt hat.
2. Alberts Vorgehensweise: Warum zuerst die Seele? An den Anfang seiner Schrift stellt Albert eine Erläuterung seiner Vorgehensweise. Darin zeigt er sich durchaus der Tatsache bewusst, daß es nicht notwendigerweise angemessen ist, eine Schrift über den Menschen mit der Erörterung über die Seele zu beginnen. Vielmehr scheint die Wissenschaftstheorie des Aristoteles gerade das umgekehrte Vorgehen nahezulegen: vom sinnlich wahrnehmbaren Leib zur bloß dem Denken zugänglichen Seele 8 , von den Objekten der Akte, welche die Akte bestimmen, über die Akte hin zu den Seelenpotenzen, aus denen diese kommen 9 , kurz gefasst: vom sinnlich Wahrnehmbaren zum nur Gedachten, also scheinbar weniger Sicheren. Andererseits ist die Seele doch, in sich und als Ganzes betrachtet, nicht nur eine Summe von einzelnen Seelenvermögen, die einzelnen Akten (actus secundi) zugrunde liegen, sondern selbst Akt, nämlich actus primus, d. h. Verwirklichung, des Leibes, geht also diesem substantiell und sachlich voraus 10 . Deshalb ist sie auch in einer disputatio doctrinalis wie „De homine", die naturwissenschaftlich-empirische Überlegungen zwar enthält, aber in der Hauptsache doch deduktiv von den übergeordneten Prinzipien und Ursachen auf deren Wirkungen schließt, zuerst zu behandeln .
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A L B E R T U S Magnus, De homine: Ed. Paris, t. 35 (im folgenden nur als „De homine" zitiert). Ebd., tr. 1, q. 1, a. 1, arg. 1: S. 2a: „Omnis cognitio intelligibilium ortum habet ex cognitione sensibilium secundum aliquem modum: substantia animae et natura sunt de numero cognoscibilium et intelligibilium: ergo cognitio earum ortum habebit ex cognitione sensibilium: sensibilia autem illa ex quibus cognoscitur anima, non sunt nisi ex parte corporis vel actuum eius, qui conveniunt ei secundum partes; ergo de illis deberet esse disputatio prior". Ebd., arg. 3: S. 3a: „Prius sunt actus potentiis et primi secundum rationem. Si autem sie et his adhuc priora sunt opposita, id est, obiecta; ergo videtur quod ab obiectis est ineipiendum, et postea de actibus, deinde de potentiis, et tandem de substantia et natura animae est disputandum". - Als Beispiel fur die Vorordnung des Objekts vor den Akt und des Aktes vor das zugehörige (Seelen-) Vermögen könnte man anführen, daß die Musik (Objekt) dazu benötigt wird, das Musizieren zu definieren: „Musizieren" heißt der Akt, in welchem jemand Musik hervorbringt. Ebenso wird auch das Vermögen in diesem Beispiel vom Akt her definiert: „Musikalität" heißt (u. a.) die Fähigkeit, zu musizieren. Ebd., sed contra 1: S. 3a: „Omnis actus praecedit id cuius est actus, substantia et ratione: anima est actus corporis: ergo praeceditur corpus secundum substantiam et rationem. Cum ergo disputatio ineipiat ab eo quod prius est substantia et ratione, debet ineipere ab anima". Zu De homine als disputatio doctrinalis vgl. ebd.
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Noch ein weiterer Grund spricht dafür, die Seele dem Leib vorzuordnen: „Die Seele wird auch genannt ein edles, ehrenwertes und wunderbares Gut", ja ein „Göttliches und Bestes und Erstrebenswertes", weil sie immateriell und von der Materie relativ unabhängig sowie auf die Wissenschaften und Tugenden, aber auch auf die getrennten Substanzen bezogen ist12. Fest steht also für Albert, daß die Seele dem Leib vorgeordnet ist. Es zeichnet sich aber ab, daß es für ihn - wie zuvor v. a. für Costa ben Luca und Avicenna - zwei völlig verschiedene Aspekte dieser Vorordnung gibt: Man kann die Seele betrachten in bezug auf den Leib, und zwar als dessen Prinzip oder Akt, oder aber in ihrer Unterschiedenheit vom Leib und damit als den vornehmeren, höheren Teil des Menschen13.
3. Die diffinitiones sanctorum Die letztere Linie begegnet gerade auch in den Seelendefmitionen der sogenannten sancti, d. h. maßgeblicher Schriftsteller der christlichen Tradition, die Albert ausführlich abhandelt. Diese verkennen zwar nicht den Bezug der Seele zum Leib, fassen diesen aber doch vornehmlich als ein „Regieren" oder „Lenken" auf und betonen stark die Substantialität der menschlichen Seele: „Die Seele ist eine der Vernunft teilhaftige Substanz, daraufhin eingerichtet, den Leib zu regieren." (Ps.-Augustinus) bzw.: „Die Seele ist eine unkörperliche Substanz, die den Leib regiert." (Ps.-Remigius, wahrscheinlich Nemesius von Emesa) bzw.: „Die Seele ist eine lebende, einfache und unkörperliche Substanz, den leiblichen Augen gemäß der eigenen Natur unsichtbar, unsterblich, vernunftbegabt, intellektuell, unvorstellbar, den werkzeugartigen Leib nutzend und diesem Leben, Wachstum und sinnliche Wahrnehmung zuteilend, die den Intellekt nicht als et-
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Ebd., ad 4: S. 5b: „Anima enim dicitur bonum nobile et honorabile et mirabile. Et secundum physicam rationem dicitur ipsa bonum et optimum, secundum quod est terminus et ultimus finis in natura: ab eo enim quod est finis est bonum, et ab eo quod est ultimus est optimum. Et hoc patet ex ratione formae quae ponitur in fine primi Physicorum, scilicet quod est divinum et optimum et appetibile". - Weiter (ebd., ad 4: 6a): „Honorabilius vero dicitur anima per relationem ad ea quae perficiunt ipsam secundum bene esse, ut scientiae et virtutes, quibus alia natura perfectibilis non invenitur ... Mirabilis autem secundum quod ipsa est in aliqua sui parte de numero substantiarum separatarum: illae enim substantiae propter hoc quod multum sunt elevatae super sensum et imaginationem, admirabile esse habent in contemplantibus eas". Ebd., tr. 1, q. 4, a. 1 sol.: S. 34a: „Si tamen attenditur id quod est anima, tunc potest considerari duobus modis, scilicet secundum esse quod habet in se, et sic non diffinitur in comparatione ad corpus, vel secundum comparationem ad corpus". - Zum Bezug zu Costa ben Luca vgl. SCHNEIDER [Anm. 2], S. 366. - Zum Bezug zu Avicenna vgl. PEGIS, Anton Charles: St. Thomas and the Problem of the Soul in the Thirteenth Century. Toronto 1934 /Neudruck Wetteren 1976, S. 94 f.
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was anderes außer ihr hat, sondern auch als ihren reinsten Teil." (Johannes von Damaskus) sowie schließlich: „Die Seele ist eine unkörperliche, der Vernunft fähige Sache, daraufhin eingerichtet, den Leib zu beleben" (Ps.-Bemhard)' 4 . Besonders zu erörtern ist die Art und Weise, in der Albert die Lehre von der Substantialität der menschlichen Seele festhält. Er sieht nämlich durchaus die Gefahr, hierdurch Leib und Seele als zwei unterschiedlichen species specialissimae (im Sinne der Arbor porphyrianä) aufzufassen, so daß dann scheinbar der leiblich verfasste Esel und der Leib des Menschen einander näher verwandt wären als Leib und Seele innerhalb des Menschen; ebenfalls scheint ihm die Rede von der Seele als „Substanz" problematisch, weil durch sie die Einigung von Leib und Seele bloß noch akzidentell erscheint 15 . Deshalb schlägt er vor, die anima rationalis als „Substanz" aufzufassen, aber nicht als species, die der anderen species Leib oder Mensch fremd gegenüberstünde, sondern vielmehr als differentia specifica, d. h. als das entscheidende Merkmal, welches den einen und ganzen Menschen über die anderen Lebewesen hinaus erst als das konstituiert, was er eigentlich und als ganzer ist, nämlich animal rationale16. Um nun die Lehre von der Seele als Substanz von der Assoziation freizuhalten, diese sei dem Leib nur akzidentell geeint, weist Albert unter Bezugnahme auf „De quattuor coaequaevis" darauf hin, daß die Materie des Leibes, wie jede andere Materie auch, in sich keine Form hat, sondern einfach ist. Da also die Materie in sich der Form entbehrt, ist sie ihrem ganzen Wesen nach auf die Seele als Form hingeordnet 17 . Auch die Seele ihrerseits ist nicht, wie der „universale Hylemorphismus" im Gefolge Avicebrons von allen Dingen unterhalb des Schöpfers unterstellt, aus Materie und Form (hyle und morphe, deshalb „universaler Hylemorphismus") zusammengesetzt, sondern rein geistig, auch wenn sich in ihr, da sie nicht wie der Schöpfer actus purus ist, zwischen konkretem Sein (quod est) und Verwirklichungsgestalt (quo est/esse) unterscheiden
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Alle Definitionen sind zitiert nach: ALBERTUS Magnus: De homine, tr. 1, q.2, a. 1 : S. 10a. Vgl. ebd., vor allem arg. 7: S. IIb. Ebd., sol.: S. 12b: „ ... duobus modis potest considerari [anima], scilicet ut species, et sic improprie sumetur et vane: quia species non est, licet quidam aliter dicant; vel ut differentia, et sie magis proprie sumetur, sicut differentiam unam dieimus vegetabile, aliam sensibile, aliam rationale... aliter enim oporteret dicere, quod anima esset species constituta, quod non est verum, sed est potius differentia constituens". - Ferner (ebd., ad 6: S. 13b): „Loquendo autem proprie de anima, dieimus ipsam esse substantialem formam, quae constituit id cuius est forma secundum esse et rationem specificam.". Ebd.: „ ... dicendum quod in corpore organico nulla forma specifica est ante animam. Caro enim non est caro nisi per hoc quod est medium in sensu tactus ... [es folgen weitere Beispiele]". - Die einschlägige Stelle aus „De quattuor coaequaevis" lautet: „Dieimus, quod materia ... simplex est, non habens compositionem penitus, ... nisi tantum ordinis ad formam cum substantia materiae" (ALBERTUS Magnus: De IV coaeq., tr. 1, q. 2, a. 4 sol.: ed. Paris, t. 34, S. 329b f.). - Die Behauptung von SCHNEIDER ([Anm. 2] S. 22 f.), Albert mache anders als Thomas in der Anthropologie keinen Gebrauch von der Denkmöglichkeit einer gänzlich un-informierten materia prima, läßt sich dementsprechend nicht halten.
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läßt18. Da also auch die Seele nicht aus Materie und Form zusammengesetzt ist, fehlt ihr ein nach Aristoteles maßgebliches Kriterium einer absolut eigenständigen Substanz (einmal abgesehen von Gott und den Engeln) - auch dies ein starkes Indiz dafür, daß die Einigung von Leib und Seele nicht rein akzidentell ist. In sich geeint und auf diese Weise auf den einen Leib hingeordnet ist die Seele aber auch in ihren verschiedenen Teilen. Sie besteht also keinesfalls aus mehreren Teilen (vernunftbegabter, sensitiver und vegetativer Seele) nebeneinander, sondern der Mensch hat nur die vernunftbegabte Seele, ebenso wie das Tier nur die sensitive. Aus der einen Seele „fließen" dann aber die untergeordneten Seelenvermögen, von denen man auch sagen kann, daß sie in der vernunftbegabten Seele enthalten sind „wie das Dreieck im Viereck", nämlich als ein Teil, der seiner Substanz nach vom Größeren und Ganzen nicht verschieden ist19. Entgegen einer Gefahr der traditionellen Rede von der vernunftbegabten Seele als „Substanz" betont also Albert, daß die vernunftbegabte Seele in sich eine Einheit bildet, die nicht vernunftbegabten Seelenteile nicht ausgenommen, und daß die Substanz Seele ihrem ganzen Wesen nach auf den Leib hingeordnet ist, ebenso wie dieser auf die Seele. Zudem steht die menschliche Seele „im Schatten der Erkenntnis (in umbra intelligentiae)", d. h. als „Geist in Welt" (Rahner) ist die anima rationalis nicht mit den Engeln mit ihrer Erkenntnis durch unmittelbare Anschauung vergleichbar, sondern auch im Erkennen wesentlich auf sinnliche Erkenntnis und Schlussfolgern aus dieser ange20 wiesen .
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Op. cit., tr. 1, q. 7, a. 3 sol.: S. 102a: „Solutio omnium harum objectionum et similium [d.h. der Argumente für den ,universalen Hylemorphismus'] habetur ex quaestione de simplicitate angeli. Dicimus enim animam esse compositam, sed non ex materia et forma, sed ex quod est et quo est". - In der hier angeführten quaestio de simplicitate angeli heißt es u. a.: „Dicimus, quod angelus est substantia composita: et dicimus quatuor esse principia substantiae compositae, scilicet materiam et formam, et quod est et esse ... Similiter esse voco formam compositi quod praedicatur de ipso composite, sicut homo est esse Socratis ... in his enim quae non sunt generabilia (ut dicunt quidam philosophi) non est forma partis, sed totius tantum ... esse ... dicit actum eius quod est" ( A L B E R T U S Magnus: De IVcoaeq., tr. 4, q. 21, a. 1: S. 463b ff.). A L B E R T U S Magnus: De homine, tr. 1, q. 7, a. 1, arg. 4: S. 89b f.: „Item, Dicit Philosophus in II De anima, quod sicut trigonus in tetragono est, sie Vegetativum in sensitivo est et sensitivum in rationali. Sed trigonus in tetragono existens non est distinetum ab illo per substantiam: ergo similiter Vegetativum et sensitivum non sunt distineta per substantiam a rationali; ergo sunt una substantia". - Ferner (ebd., ad object. 1: S. 94a): „Anima enim rationalis est substantia una et incorruptibilis tantum existens, ex qua fluunt quaedam potentiae". Op. cit., tr. 1, q. 2, a. 4, ad 4: S. 17a: „ ... ratio duobus modis dicitur, ut supra habitum est in quaestione de Angelis, scilicet ratio quae est in umbra intelligentiae, sicut dicit Isaac in libro De diffinitionibus, et ratio quae est lumen intelligentiae. Primo modo est in hominibus, secundo modo est in angelis ...". Vgl. ähnlich A L B E R T U S Magnus : De IVcoaeq., tr. 4, q. 22, a. 1 ad 5: S. 468a.
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Interessant ist schließlich noch ein Hinweis, den Albert in Anlehnung an die Rede des Johannes von Damaskus von der Seele als „lebendiger Substanz" gibt: Lebendig könne zweierlei sein, nämlich zum einen das, was Leben empfange, aber zum anderen auch das, was Leben gebe. Für die Seele nun gelte letzteres . Hierin erweist sich Albert m. E. als Vorläufer der thomanischen Lehre, die Seele sei in sich lebendig, gebe aber doch auch dem Leib das Leben, das sie in sich habe, weiter. Diese Lehre aber bildet die entscheidende Grundlage für die Synthese zwischen der Theorie von der Seele als Substanz und derjenigen von der Seele als Akt der Substanz „Mensch": Die Seele lebt aus sich, und sie belebt den Menschen (mitsamt des Leibes). Wenn nun der Mensch stirbt, so kann sie den Leib nicht mehr beleben; das heißt aber nicht, daß sie das Leben auch in sich selbst nicht mehr haben könnte.
4. Die diffinitiones philosophorum Nach einigen maßgeblichen Seelendefinitionen der christlichen Tradition handelt Albert auch solche philosophischer Provenienz ab.
4.1 Die nicht-aristotelischen Definitionen 22
Zunächst kommt er zu einigen nicht-aristotelischen Definitionen , die in mancher Hinsicht denjenigen der christlichen Tradition recht nahe kommen. Im Gegensatz zu diesen wagt er es aber, die Theorien aus der philosophischen Tradition zum Teil scharf zu kritisieren. So weist er die Lehre zurück, die Seele sei in sich bewegt und bewege durch ihre Bewegungen den Leib. Vielmehr sei sie in sich unbewegt, bewege sich aber akzidentell als Teil des Menschen zusammen mit dem Leib. Auch die Lehren von der Seelenwanderung oder von der Seele als Harmonie des Leibes weist Albert zurück. Zugestehen muss er allerdings, daß es für die Seele zu ihrer Glückseligkeit besser sei, vom Leib getrennt zu sein. In verschiedener Hinsicht verteidigt er also auch hier die Hinordnung der Seele auf einen einzigen Leib; und selbst die Annahme, es sei besser für die Seele, vom Leib getrennt zu werden, trägt wohl nur der Glaubenstatsache Rechnung, daß das Leben des Menschen auf Erden faktisch infolge der Sünde mit Leiden behaftet ist, während dieser Zustand nach dem Tode aufzuhören vermag.
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Vgl. op. cit., tr. 1, q. 2, a. 5 sol.: S. 18b. Vgl. a. ARISTOTELES, De anima, II, 2 : 414a 4-13. Zum folgenden vgl. op. cit., tr. 1, q. 3, a. 3: S. 20-30.
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4.2 Die aristotelischen Definitionen Entscheidender sind allerdings die dann folgenden Definitionen der Seele nach Aristoteles. Deren wichtigste, am ausführlichsten erörterte lautet: „Anima est primus actus corporis physici, potentia vitam habentis. Huiusmodi autem est quodcumque organi«23
cum Diese Definition nun scheint gerade nicht, wie die vorherigen, den Selbstand der menschlichen Seele überzubetonen, sondern im Gegenteil deren Gebundenheit an den Leib24. Deshalb betont Albert in Anlehnung an Avicenna, man könne die Seele in zweifacher Weise betrachten, nämlich zum einen secundum esse quod habet25 in se, zum anderen secundum comparationem ad corpus; hier nun geschehe letzteres . Deshalb auch zieht Albert die Bezeichnung der Seele als perfectio der als forma vor: Sie vollendet den Leib zwar auch, indem sie ihn in-formiert bzw. aktuiert, aber eben nicht zuletzt auch dadurch, daß sie als vernunftbegabte dank ihrer Kenntnisse den ganzen Menschen und den Leib wie ein Steuermann Zielen wie der Glückseligkeit entgegenlenkt. Auch das verbindet sie mit dem Steuermann, daß sie ohne den Leib sein kann, so wie dieser ohne sein Schiff"'. Dieses Argument betont sehr stark die Unterschiedenheit zwischen anima rationalis und Leib; es ist aber wohl überzogen, wenn Pegis27 Albert vorwirft, er sehe die Beziehungen der Seele zum Leib als „only the external or accidental aspects of the soul", bedeutet für Albert doch immerhin die Tatsache, daß die Seele actus corporis ist, die substantialis differentia zwischen Seele und Engel28. Aus den weiteren umfangreichen Ausführungen, die leider nicht umfassend untersucht werden können, seien hier nur einzelne Aussagen aufgegriffen: So betont Albert auch hier wieder, wie schon unter Bezugnahme auf Johannes von Damaskus, daß es zwei Weisen gibt, Leben zu haben: einmal, wenn etwas Leben gibt, zum anderen, wenn etwas Leben empfangt29. Auch weist er die Lehre zurück, die Seele sei präexistent, sei es im Sinne der platonischen Anamnesis-Lehre, sei es im Sinne der monistischen AllEinheits-Lehre eines Alexander von Aphrodisias oder David von Dinant, denen zufolge Gott, Geist und Materie dasselbe zu sein scheinen30. Damit sichert er abermals die Ein-
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A L B E R T U S Magnus: De homine, tr. 1, q. 4: S. 31. - Das Zitat vgl. ARISTOTELES: De anima, II, 1: 412a 27 f. Vgl. op. cit., tr. 1, q. 4, a. 1 argg. 8-15: S. 33 f. (unter Anführung der Kritik des Nemesius von Emesa / „Gregorius Nixenus"). Vgl. loc. cit., sol.: S. 34a. Zu diesem Gedankengang vgl. loc. cit., ad 5: S. 35a. PEGIS [Anm. 13], S. 119. Vgl. ALBERTUS Magnus: De homine, tr. 1, q. 4, a. 1 sol.: S. 34a. Vgl. op. cit., tr. 1, q. 4, a. 4 ad 8: S. 49a.
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heit des Menschen in Seele und Leib, die füreinander geschaffen sind, und zwar als eine Zusammengehörigkeit von Geist und Materie, die inmitten eines Kosmos, der nicht monistisch, sondern in Geist und Materie differenziert gedacht werden muss, einmalig ist. Zur Erklärung dieser ersten und wichtigsten aristotelischen Definition ist schließlich noch die dritte von besonderer Bedeutung: Sie besagt, daß die Seele principium et causa vitae in mortalibus ist31, und hat damit die Bedeutung, zu erklären, weshalb es überhaupt berechtigt ist, die Seele als Formalursache (forma/actus/perfectio) des Leibes zu bezeichnen: Wenn zum einen das aristotelische Diktum vivere viventibus est esse gilt und es zum anderen die Seele ist, die das Lebewesen belebt (beseelt), dann gilt auch, daß die Seele das Lebewesen, hier den Menschen, in seinem Sein konstituiert32. Auch hier liegt wieder das bereits erwähnte Element zur Synthese zwischen Subsistenz der Seele einerseits, Leibbezug andererseits, bereit: Die Seele belebt den Leib, also muss sie selbst Leben haben (die menschliche noch dazu unvergängliches), aber nicht bloß um ihrer selbst, sondern auch um des Leibes willen.
5. Zusammenfassung und weiterführender Ausblick Bezüglich Alberts Vorgehensweise fällt also insgesamt auf, daß er sich auf zwei verschiedene Traditionslinien der Psychologie bezieht, nämlich einerseits auf die eher platonische, seiner christlichen Umwelt vertrautere, andererseits auf die peripatetische33. Beide Linien rezipiert Albert, aber nicht ohne sie jeweils erheblichen Korrekturen oder Klarstellungen zu unterziehen bzw. ihre jeweiligen Einseitigkeiten zu benennen. Methodisch erscheint ein solches Vorgehen angemessen, da es Albert darum geht, insbesondere zwischen den sancti, die er ja niemals explizit kritisiert, und Aristoteles zu harmonisieren und einen Ausgleich zu schaffen34. Dieses Bemühen scheint der Überzeugung zu entstammen, daß es zwischen beiden keinen grundsätzlichen Widerspruch gibt und daß eine Anthropologie auf dem „Konsens" zwischen ihnen aufzubauen ist35.
30
Hierzu vgl. op. cit., q. 4, a. 5, ad object. 2: S. 54b, sowie, q. 5, a. 2: S. 67b f. - Zur letztgenannten Lehre vgl. u., a. STEENBERGHEN, Fernand Van: Die Philosophie im 13. Jahrhundert. Paderborn 1977 (dt. hrsg. von Max A. Roesle), S. 91-93.
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Vgl. A L B E R T U S Magnus: De homine, tr. 1, q. 4, a. 7: S. 56b. Vgl. loc. cit.: S. 56b -. 59a, vor allem die sol.: S. 58b f.
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Vgl. ANZULEWICZ, Henryk: Der Anthropologieentwurf des Albertus Magnus und die Frage nach dem Begriff und wissenschaftssystematischen Ort einer mittelalterlichen Anthropologie. In: AERTSEN, Jan A./SPEER, Andreas (Hrsg.): Was ist Philosophie im Mittelalter? Berlin-New York 1998 (= Miscellanea Mediaevalia, 26), S. 758. ANZULEWICZ [Anm. 6], S. 50. Ebd., S. 53b mit Anm. 31.
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Die eingangs erwähnten Thesen Arthur Schneiders und Loris Sturleses haben also wenigstens insofern ihre Berechtigung, als Albert tatsächlich an einer Art von Synthese oder Mittelweg zwischen verschiedenen philosophischen Denkschulen gelegen ist. Das muss aber nicht notwendigerweise heißen, daß die Synthese in sich widersprüchlich bleibt und nicht zu einer geschlossenen Gesamtkonzeption fuhrt, geschweige denn, daß Albert im Grunde Platoniker bleibt und dem Aristotelismus nur eine untergeordnete Rolle beimisst36. Um also die Berechtigung solcher Thesen genauer zu prüfen, soll kurz zusammengefasst werden, was Albert in De homine über die Seele und ihre Bedeutung für die Einheit des Menschen sagt: Die anima rationalis kann unter zwei Aspekten betrachtet werden, nämlich zum einen in sich selbst, zum anderen in ihrer Beziehung zum Leib. Unter ersterem Aspekt ist sie eine unkörperliche Substanz - daran hält Albert mit der eher platonischen Tradition fest. Auch ist sie wesentlich auf die Erkenntnis von Dingen hingeordnet, welche den Bereich des Leiblichen und des sinnlich Wahrnehmbaren übersteigen. Andererseits bringt sie aber Entscheidendes mit, um mit dem Leibe eine Einheit, nämlich den einen, individuellen Menschen, zu bilden. Albert betont also - und dies ist insbesondere gegen Arthur Schneider festzuhalten - schon in der Erörterung der nichtaristotelischen Seelendefinitionen die innige gegenseitige Hinordnung von menschlichem Leib und vernunftbegabter Seele und deutet auch bereits an, wie sich diese beschreiben läßt, nämlich als Zueinander oder Einheit von Materie einerseits und Entelechie andererseits. Dieses auf im 13. Jahrhundert allgemein rezipierten, aber teilweise (etwa bei den universalen Hylemorphisten) anders angewandten aristotelischen Kategorien beruhende Modell entfaltet Albert dann in seinen Ausführungen über drei aristotelische Seelendefinitionen. Hier kommt er mit Aristoteles zu dem Ergebnis, daß die vernunftbegabte Seele eben deshalb Entelechie, d. h. Verwirklichung, des menschlichen Leibes ist, weil sie diesem das Leben, das sie selbst besitzt und ohne das der Leib nicht existieren würde, weitergibt. Albert lehnt es allerdings überwiegend ab, den Ausdruck entelecheia in bezug auf die menschliche Seele, wie es durchaus möglich wäre, mit forma zu übersetzen. Stattdessen bevorzugt er den Begriff der perfectio. Damit will er den Eindruck vermeiden, die aristotelische Psychologie binde die menschliche Seele zu eng an den Leib und gefährde dadurch die Lehre von deren Subsistenz und damit Unsterblichkeit. Daß Albert in diesem Zusammenhang etwa die vernunftbegabte Seele im Leib mit dem Steuermann auf seinem Schiff vergleicht, also deren Unabhängigkeit vom Leib sehr massiv betont, muss freilich in der Tat als Relikt aus einer mehr platonisch-neuplatonischen Psychologie, gleich ob christlicher oder arabischer Prägung, bezeichnet werden. Allerdings ist auffallig, daß derartige Aussagen, ebenso wie andererseits klarste Betonungen der Einheit des Menschen, sowohl in der Diskussion der nicht-aristote-
36
Diese These findet sich bei PEGIS [Anm. 13], S. 120.
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lischen wie in derjenigen der aristotelischen Seelendefinitionen zu finden sind. Dadurch zeigt Albert, daß er selbst eine klare und eigenständige Psychologie hat, die sowohl die Hinordnung der Seele auf den Leib als auch deren Subsistenz betont. Zugleich will er aber aufweisen, daß diese Position sowohl mit den Lehren der sancti vereinbar, also im theologischen Sinne „traditionsgemäß", ist als auch im Einklang mit der Lehre des von manchen Zeitgenossen sehr hoch geschätzten, von anderen aber krasser Irrtümer verdächtigten Aristoteles steht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch noch, daß Albert gegen Tendenzen vor allem arabischer Peripatetiker betont, daß der höchste Seelenteil, der intellectus agens, auch nur eine Potenz der individuellen Seele ist37 und daß die Seele jedes einzelnen Menschen individuell ist, also dezidiert im Dienste der Einheit dieses konkreten Menschen steht38. Die von Albert gewählte „historische", von der Diskussion vorgegebener Lehren geprägte Vorgehensweise fuhrt also m. E. nicht zu sachlichen Problemen, wohl aber zu terminologischen Unstimmigkeiten, ebenso wie seine Tendenz zur Harmonisierung dazu fuhrt, daß er an einzelnen Relikten älterer, platonisierender Psychologie festhält. Demgegenüber ist das Vorgehen des Thomas von Aquin ein ganz anderes. Dieser behandelt zwar psychologische Fragen auch unter historischer Perspektive39, aber ein umfangreicher Aufweis, daß seine Lehre mit derjenigen der älteren christlichen Autoritäten übereinstimmt und folglich traditionsgemäß ist, findet sich bei ihm nicht. Stattdessen ist seine hauptsächliche Vorgehensweise systematisch. Dies allein könnte es ihm ermöglichen, terminologisch und sachlich stringenter zu argumentieren. Und in der Tat bietet seine Psychologie, insbesondere in der „Summa theologiae", gegenüber derjenigen Alberts erhebliche Fortschritte: So hat Thomas keine Probleme damit, die menschliche Seele, und zwar v. a. das, was ihr eigentliches Wesen ausmacht, nämlich den Intellekt, als forma corporis zu bezeichnen. Verbunden damit erklärt er es für weniger adäquat, anzunehmen, sie sei mit dem menschlichen Leib wie ein Beweger mit dem von ihm Bewegten geeint40. Außerdem betont Thomas schärfer noch als Albert, daß die Seele keine vollständige Substanz, kein hoc aliquid, ist41. Besonders beachtlich ist zudem, daß er sich vollständig von dem bei Albert öfter begegnenden platonisierenden, in dieser Form von Avicenna stammenden Vergleich der menschlichen Seele im Leib mit dem Steuermann auf dem Schiff fernzuhalten vermag42.
37 38 39
41
Vgl. A L B E R T U S Magnus: De homine, tr. 1, q. 55, a. 3: S. 461a-469a. Vgl. op. cit., tr. 1, q. 5, a. 1: S. 63a-67b. Beispiele vgl. PEGIS [Anm. 13], S. 147 ff. T H O M A S de Aquino: Summa theologiae, Ia, q. 76, a. 1, c.a. - Zu den Konsequenzen, die Thomas daraus zieht, daß die Seele nicht adäquat als motor zu bezeichnen ist, vgl. loc. cit., a. 3, c.a. u. ö. Vgl. op. cit., V, q. 75, a. 2 ad 1. So erklärt er diesem Bild gegenüber ausdrücklich eine Deutung der Seele als Form, des Leibes aber als Materie, für adäquater. Siehe hierzu THOMAS de Aquino: II Sent., d. 1, q. 2, a. 4, ad 3: ed. Stanislaus E. Frette [u.a.], Paris 1873 (= Opera omnia, 8), S. 29a.
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Andererseits kommt auch Thomas nicht umhin, wie Albert daran festzuhalten, daß die Seele aus sich heraus subsistent und unsterblich ist43. Überzeugend ist es nun, wie es Thomas gelingt, diese Lehre zu vertreten, ohne aber dabei einem Dualismus zu verfallen: Er stellt nämlich fest, die Seele subsistiere aus sich heraus, wenn auch als unvollständig, und gebe ihr Leben und ihr Subsistieren dem Leibe weiter44. Demnach hat sie ihr eigenes Lebensprinzip in sich, nicht aus dem Leib; dennoch haben Leib und Seele auch wiederum nicht zwei verschiedene Lebensprinzipien, sondern die vernunftbegabte Seele empfangt das Leben (im Moment ihrer Erschaffung durch Gott im Leibe, wie hinzuzudenken ist), um es dem Leibe weiterzugeben. Im Moment des Todes dann geht der Leib zugrunde, so daß die Seele ihm ihr Leben nicht mehr verleihen kann. Das hindert aber nicht, daß sie selbst als vernunftbegabte, den Bereich des Leiblichen übersteigende weiterleben kann und muss. Diese Lösung des großen Problems, eine überzeugende Synthese zwischen der Lehre von der Subsistenz und Unsterblichkeit der anima rationalis und der vom Menschen als wirklicher, substantieller, nicht bloß akzidenteller Einheit aus sterblichem Leib und unsterblicher anima rationalis zu schaffen, findet sich in solch systematischer Verdichtung und Präzision erstmals bei Thomas. Entscheidendes hiervon ist aber bereits bei Albert angelegt, so wenn dieser die vernunftbegabte Seele zwar als Substanz, aber zugleich auch als differentia specifica fasst, welche den Menschen als die eigentliche Substanz bzw. Spezies konstituiert, oder wenn er mit Aristoteles lehrt, die Seele konstituiere das Lebewesen, indem sie diesem das Leben verleihe. Allerdings fehlt hier noch die nötige begriffliche Präzision und Verdichtung. Zudem finden sich bei Albert problematische Elemente platonisierenden Denkens sowie - teilweise methodisch bedingt - terminologische Schwankungen. Alles dies erklärt, warum die Auffassung des Thomas (auch in der Psychologie) im Laufe der Jahrhunderte zum Paradigma einer an Aristoteles orientierten Lehre wurde, wohingegen diejenige Alberts bisweilen, so v. a. von Arthur Schneider, als inkonsistent abqualifiziert wurde. Es ändert aber nichts daran, daß sachlich wesentliche Vorarbeiten für eine mit der christlichen Orthodoxie und Tradition vereinbare Rezeption der aristotelischen Theorie von der vernunftbegabten Seele als Entelechie des menschlichen Leibes etliche Jahre vor Beginn der Tätigkeit des hl. Thomas durch dessen Lehrer, den hl. Albert, geleistet wurden. Deshalb kann man vielleicht sagen, daß Albert dieser Art und Weise, die Einheit des Menschen zu explizieren, den Weg bereitet hat, ohne sie aber in jeder Hinsicht konsequent zu entwickeln. Diese Aufgabe hat dann wiederum sein großer Schüler geleistet. Eine offene Frage bleibt allerdings: Wieso greift Albert in seiner späten „Summa theologiae" die mittlerweile von Thomas gebotene Systematisierung und Präzisierung, die er ja kennt und verteidigt, nicht auf? daß er dies nicht tut, ist ja eines der Hauptargumente für die Kritik von Arthur Schneider. Eine - historische, aber auch werkimmanent-systematische - Klärung dieser Frage scheint mir neben einer Untersuchung 43 44
Vgl. THOMAS de Aquino: Summa theologiae, Ia, q. 75, a. 2, c.a.; bzw. loc. cit., a. 6, c.a. Vgl. op. cit., Ia, q. 76, a. 1 ad 5.
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der weiteren anthropologischen Schriften bzw. Textpassagen („De anima"-Kommentar, „De quindecim problematibus", „De unitate intellectus" u. a.) ein unverzichtbarer Bestandteil der Interpretation von Alberts Lehre über den Menschen.
ROLF SCHÖNBERGER, Regensburg
Rationale Spontaneität. Die Theorie des Willens bei Albertus Magnus 1. Zur Problemstellung Diejenige Weise des Denkens, das man als Philosophie bezeichnet, kommt nicht selten dann auf, wenn Weltdeutungen, deren Verschiedenheit keinen Ausgleich zuzulassen scheint, unmittelbar aufeinandertreffen. Eine solche Situation bringt die Frage auf, ob sich wider allem Anschein ein Ausgleich denkerisch doch finden läßt oder ob es zwischen unverträglichen Deutungen einer Entscheidung bedarf. Eine solche „Entscheidung" - wenn man diesen Begriff tatsächlich auch in theoretischen und sogar epochalen Zusammenhängen, die keinen benennbaren Entscheidungsträger erkennen lassen, verwenden kann - läßt sich in der Philosophie nur nach dem Maßstab der Wahrheit und Einsichtigkeit treffen. Eine Entscheidungssituation der genannten Art kann man in der mittelalterlichen Philosophie des 13. Jahrhunderts besonders differenziert und eindringlich studieren, da hier entgegengesetzte, aber zugleich universelle Weltdeutungen aufeinanderstoßen. Dies gilt sogar für das Problem des Willens. Die im Wesentlichen augustinische Tradition, deren wichtigster Vertreter Anselm von Canterbury war, hatte eine besonders profilierte Theorie des Willens entwickelt. Diese wird nun konfrontiert mit der aristotelischen Lehre vom etcoöcnov. Man muß hier von einer Konfrontation sprechen, obgleich man nicht ohne weiteres, d. h. ohne weitere Einschränkungen, von einer aristotelischen Theorie des Willens bzw. der Willensfreiheit1 reden kann, die auf ein alternatives Lehrstück aus der Tradition des Augustinismus träfe. Aber da jene eingangs getroffene Feststellung nicht davon abhängt, daß zwei Theorien in jeder Hinsicht vergleichbar sind, ist es völlig ausreichend, wenn sie in einer relevanten Hinsicht aufeinander beziehbar sind. Auch auf diesem Feld war Albertus Magnus ein Denker, der sich eine umfassende Aneignung zum Ziel gesetzt hatte. Bevor wir uns der Willenslehre Alberts in seinen verschiedenen Werken zuwenden, sei eine zugegebenermaßen schematisierte Gegenüberstellung der beiden relevanten Lehren versucht. Daß die Charakterisierung durch -ismen allzu plakativ sein muß, ist ein zwar zutreffender, aber eher trivialer Einwand;
GILSON, Etienne: L'esprit de la philosophie médiévale. qu'Aristote n'y parle ni de liberté, ni de libre arbitre."
Vol. 2. Paris 1932, p. 102: „C'est un fait
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wichtiger ist vielmehr, daß das philosophische Denken allererst einen spezifischen Begriff von Vernunft und Wille entwickeln muß und daher nicht einen common senseBegriff voraussetzen darf, unter den dann die jeweiligen Tendenzen zu subsumieren wären2. Die Gegenstellung von Augustinismus und Aristotelismus, die eine theoretische Verständigung, nicht bloß eine institutionell-politische Bereinigung erfordert, macht sich gewiß beim Problem der Freiheit besonders bemerkbar. Eine solche hat Albertus Magnus unternommen. Diese bezieht sich aber nicht bloß auf die Tradition des Aristotelismus und des Augustinismus; denn auch das, was man grob mit Augustinismus bezeichnet, erweist sich, gerade im Hinblick auf das Problem der Freiheit, schon beim ersten Zugang als ein hochkomplexes Gebilde. Was nun Alberts Versuch der Aneignung, die auf einer Einheit in Form der Verträglichkeit beruht, angeht, war die Interpretationsliteratur der Vergangenheit ziemlich unzufrieden. G. C. Reilly hat in seinem Buch „The Psychology of Saint Albert the Great compared with that of Saint Thomas" Albert weitgehend gegen Vorwürfe wegen Widersprüchlichkeiten verteidigen wollen. Beim Problem der Willensfreiheit schienen ihm allerdings seine Bemühungen aussichtslos: „In the matter of the will and freedom, however, there is good foundation for charges inconsistency, not in the sense that he accepted and approved contradictory opinions, but in the sense that the opinions he did accept are not in harmony with his other psychological opinions."3 Nachdem Lottin in seiner großen Untersuchung zur Geschichte der Lehre von der Willensfreiheit Alberts Konzeption in der Summa de creaturis mit der im zweiten Buch seines „Sentenzenkommentars" verglichen hat, konstatiert er: „La différence entre les deux conceptions est, on le voit, profonde." 4 Auch die vielleicht wohlwollendste, aber auch souveränste Darstellung, die P. Michaud-Quantin vorgelegt hat, muß mitunter Einschränkungen hinsichtlich der Konsistenz machen: „II ne s'agit pas, comme en d'autres cas, d'une imprécision de doctrine ou d'expression; chacun des exposés reste parfaitement cohérent et net, mais il s'oppose aux autres."5
Dies ist die denkerische Schwäche der alten Untersuchung von SIEDLER, Dionys: Intellektualismus und Voluntarismus bei Albertus Magnus. Münster 1941 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter, 36,2); sie hat ihre Stärke in den vielen aufgedeckten Bezügen 3
5
Alberts zu seinem historischen Kontext. REILLY, George C.: The Psychology ofSaint Albert the Great compared with that of Saint Thomas. Washington 1934, p. 75. LOTTIN, Odon: Libre arbitre et liberté depuis saint Anselme jusqu'à la fin du XIII e siècle. In: Ders.: Psychologie et morale aux XIf et XIIIe siècles. Vol. 1. Gembloux 2 1957, p. 11-389; hier p. 126; dort auch Verweis auf einen weiteren, aber unzulänglichen Harmonisierungsversuch: DROUIN, F. M.: Le libre arbitre dans l'organisme psychologique selon Albert le Grand. In: Etudes d'histoire littéraire et doctrinale du XIIÎ siècle, 2 (1932), p. 91-120. MICHAUD-QUANTIN, Pierre: La psychologie 206; cf. p. 208.
de l'activité
chez Albert le Grand. Paris 1966, p.
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Um zunächst die beiden Traditionen ganz grob zu kennzeichnen: • Aristoteles' Problem ist es, welche Handlungen als freiwillig anerkannt werden können, für welche dies nicht gilt und welche nur in gemischter Weise freiwillig heißen können. Eine Lehre vom Willen im engeren Sinne hat Aristoteles gar nicht entwickelt - was ihm im Mittelalter immer wieder zum Vorwurf gemacht wurde 6 . • Augustinus hingegen lokalisiert die Freiheit als ein Vermögen der menschlichen Seele. Der Wille ist als solcher frei - jedenfalls in den Feldern, die auch Aristoteles ins Auge gefaßt hatte (nicht im Hinblick darauf, sich aus eigener Souveränität zu seinem Heil bestimmen zu können). • Zudem ist der Wille nicht bloß ein Können neben anderen - auch wenn er damit analogisiert wird sondern bestimmt zugleich das Tätigwerden aller anderen. Nun sind allerdings die Lehrtraditionen nicht kongruent mit der Überlieferung der jeweiligen Textkorpora. Aristoteles ist nämlich - was unsere Frage angeht - auch unabhängig von der sog. Aristoteles-Rezeption im engeren Sinne bereits präsent: Dies betrifft beispielsweise die Ausführungen, die Boethius in seinem Peri hermeneias-Kommentar zu unserem Problem macht. Dies gilt aber sogar für Texte, die im Hinblick auf ihren aristotelischen Hintergrund gar nicht erkennbar waren. Hier ist etwa die ca. 1150 übersetzte Schrift des Nemesius von Emesa zu nennen, die man mit einer ähnlich betitelten des Gregor von Nyssa (De creatione hominis) verwechselte, welche NemesiusSchrift aber in den Kapiteln über das Freiwillige zweifellos die Nikomachische Ethik benutzte 7 . Aristoteles' Lehre vom Freiwilligen stand somit in einem Buch eines christlichen Autors. Wenn auch nicht als aristotelisch deklariert, war sie damit inhaltlich bereits präsent, längst bevor die entsprechenden Passagen der „Nikomachischen Ethik" selbst ins Lateinische übersetzt wurden. Ähnlich verhält es sich mit den entsprechenden Kapiteln in der Schrift De fide orthodoxa des Johannes von Damaskus, die bei diesem
6
GUILLELMUS Altissiodorensis: Tractatus de anima, VI, 1, 7: Ed. Paris., t. 2. Paris 1674 (= Nachdr. Frankfurt a. M. 1963), p. 95a: „non solum neglexisse videntur sed etiam penitus non curasse"; eher milde und verteidigend JOHANNES Duns Scotus, Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, 1. IX, q. 15, n. 53: Opera philosophica, vol. 4. St. Bonaventure 1997, p. 692: „potest dici quod actus intellectus praevius est communiter actui voluntatis, et nobis notior. Aristoteles de manifestioribus saepius locutus est, unde de voluntate pauca dixisse." N E M E S I U S Emesenus: De natura hominis, c. 29 (28) f.: Traduction de Burgundio de Pise, éd. crit. par Gerard Verbeke [e.a.]. Leiden 1975 (Corpus Latinorum commentariorum in Aristotelem Graecorum, Suppl. 1), p. 1 1 8 - 1 2 0 . Genauer gesagt: Es handelt sich um den 3. Teil seiner Schrift rtriyn yvcboecoi;. Beide griechischen Werke wurden von Burgundio von Pisa ins Lateinische übersetzt: Vgl. MÜCKLE, J. T.: Greek Works Translated Directly into Latin before 1350. In: Medieval Studies 5 (1943), S. 102-114; hier 113 f.
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Lehrstück ihrerseits auf der Nemesius-Schrift aufbaute, dadurch aber dem nicht als aristotelisch durchschauten Lehrstück nur noch zusätzliches Gewicht verlieh. Immer wieder findet man daher in der Scholastik die genannten Namen aneinandergereiht 9 .
2. Alberts Verteidigung der Freiheit Abgesehen von den überlieferungsgeschichtlichen Verwicklungen sind aber auch die rezeptionsgeschichtlichen Filiationen von Interesse. Alberts Ansatz wird immer wieder in eine gewisse Nähe zum Averroismus gebracht. Da diesem jedoch vorgeworfen wurde, deterministische Implikationen nicht vermeiden zu können, muß zuerst gefragt werden, wie denn Albert die Behauptung der Freiheit begründet. Hier ist nun von besonderem Interesse Alberts Antwort auf einen Brief, den ihm wohl Aegidius von Lessines geschickt hat. Darin bittet er ihn um seine Stellungnahme zu einigen Thesen, die zu einem erheblichen Teil mit denjenigen identisch sind, die am 10. Dezember 1270 vom Bischof von Paris verurteilt worden sind. Der Herausgeber lokalisiert gleichwohl den entsprechenden Text De quindecim problematibus vor der Verurteilung. Die Leugnung der Freiheit ist aber auch von der Sache her problematisch, da im zeitlichen Kontext Alberts m. W. die menschliche Selbstbestimmung in seiner Willensbildung und Willensrealisierung von niemandem explizit geleugnet wurde. Es kann also nur die Frage sein, ob sich Theorien identifizieren lassen, die in jener These resultieren. In seinem Opusculum spricht Albert an zwei Stellen von einer entsprechenden These: voluntas hominis ex necessitate vult. Thesen dieser Art fordern zuerst nicht Alberts Argumentationslust, sondern vielmehr seinen Zorn heraus: Derlei könne nur ein homo penitus illiteratus vertreten 10 ; ähnlich ist die Bestreitung der Überzeugung, daß das Wählen ein Akt des (freien) Willens ist, eine indiskutable These: ita absurdum est illud, quod non est dignum responsione 11 . Alberts Antwort in Kapitel III besteht denn auch weniger in bestimmten Gegenargumenten, sondern in einem Verweis darauf, was hier auf dem Spiele steht. Die These von der Notwendigkeit der Willensbestimmung widerspricht der Vernunft und den großen Moraltraditionen der Aristoteliker und der Stoiker. Denn diese machen gerade einen Unterschied zwischen Natur, einem Agens,
9
T H O M A S de Aquino: Summa theologiae, lMl a e , q. 6, a. 1; ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 1, q. 4, a. 5: Ed. Colon., t. 38, p. 57, 69-72; Ders.: Super Matth., c. VI, 10: Ed. Colon, t. 21,1, p. 197, 84; p. 198, 10; ebd. c. VII, 12: p. 256, 20; Ders.: Summa I, tr. 20, q. 79: Ed. Paris., t. 31, p. 838a; ebd. II, tr. 15, q. 96: Ed. Paris., t. 33, p. 216b; ebd. q. 97, m. 1: p. 220a; ebd. tr. 16, q. 99, m. 1: p. 233b; 234a; Ders.: De homine, q. 65, a. 1: Ed. Paris., t. 35, p. 548a; ebd. q. 70, a. 4: p. 583b; Ders.: Super Dion. De div. nom., c. 4, n. 131: Ed. Colon., t. 37,1, p. 223, 12-13; Ders.: Super Ethica, 1. III, lect. 6, n. 193: Ed. Colon., t. 14,1, p. 172, 70-72 etc.
10
ALBERTUS Magnus: De XVprobi, Loc. cit., p. 36, 8-9.
"
a. 3: ed. Colon., t. 17,1, p. 35, 62.
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das auf eines hin bestimmt ist, und dem Willen, der sich auf vieles richten kann und daher auswählen muß. In der Konsequenz jener These liegt, daß von Wille im eigentlichen Sinn dann gar nicht mehr die Rede sein kann. Dies scheinen eher Argumente ad hominem zu sein, da ja lediglich Folgerungen sichtbar gemacht werden, welche nur dann argumentative Kraft enthalten, wenn der Kontrahent eben diese Folgerungen nicht zu ziehen bereit ist. Eben dies aber darf man hier unterstellen. Einzig die astrologische Variante des Determinismus beantwortet Albert mit mehreren Einzeleinwänden 12 . Erst im Kapitel IX kommt Albert auf Gründe zu sprechen, die man für jene These anfuhren könnte: Das liberum arbitrium müsse insofern als unfrei gelten, als es eine passive Potenz darstellt. Die Passivität wiederum wird damit begründet, daß das erstrebte Ziel das Streben in einer notwendigen Weise bewegt. Dies wiederum scheint zirkulär zu sein, doch nur dann, wenn man die beiden Kapitel zusammenspannt. Im Text wird nur die Passivität des Entscheidungsvermögens behauptet. Aber worin liegt die Passivität? Die These sagt es zwar nicht, doch kann man es sich nicht allzu schwer verdeutlichen: Das Phänomen des Strebens läßt sich nur unter mindestens zwei Bedingungen denken: 1. als gerichtete Bewegung; 2. als Realisierung einer stets latenten Tendenz. Ein im Horizont auftretendes Strebensziel generiert also nicht das Streben, sondern erweckt es nur; dies aber tut es wegen der Gerichtetheit des Strebens unmittelbar; es springt sozusagen darauf an. Albert hat auch für diese These kein großes Verständnis: omnino absurdum est et contra principa ethicorum philosophorum . Auch hier handelt es sich offenbar nicht um ein Lehrstück naiver oder radikaler Aristoteliker, sondern gerade um einen Einwand gegen diese. Man wirft dem Aristotelismus insbesondere von franziskanischer Seite vor, mit dem Strebenskonzept des Willens zugleich dessen Freiheit aufzuheben 14 . Hier also versucht Albert gerade zu zeigen, daß diese Konsequenz nicht nur nicht notwendig, sondern ganz unsachgemäß ist. Albert entwickelt seinen Gedanken in zwei Schritten: Zuerst greift er eine aristotelische Unterscheidung auf: Sinnesorgane verhalten sich zwar passiv zu den entsprechenden Wirkungen der Dinge, aber sie werden doch von diesen nicht einfach überfahren. Sie sind als Vermögen einer spezifischen Potenzialität, deren Realisierung die Realität der Wahrnehmung ausmacht. Insofern es sich hingegen um eine bloße und unspezifische Wirkung handelt - der Schlag aufs Auge - kommt auch keine Wahrnehmung zustande, sondern etwa eine Schmerzempfindung. Diese besondere Art der Einwirkung
12
MICHAUD-QUANTIN [Anm. 5], p. 223-226. ALBERTUS Magnus: De XVprobt., a. 9: [Anm. 10], p. 41, 13-14; zu einer entsprechenden These hat THOMAS de Aquino (De malo 6: Opera omnia (ed. Leonina), t. 23. Roma [u.a.] 1982, p. 148, 253-256) - wohl ziemlich zur selben Zeit (cf. TORRELL, Jean-Pierre: Magister Thomas. Freiburg i. Br. 1995, p. 350) - gesagt: „Est enim annumeranda inter extraneas philosophiae opiniones: quia non solum contrariatur fidei, sed subvertit omnia principia philosophiae moralis." STADTER, Ernst: Psychologie und Metaphysik der menschlichen Freiheit. Die ideengeschichtliche Entwicklung zwischen Bonaventura und Duns Scotus. München 1971.
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nennt Albert acceptio\ in ganz ähnlichem Sinne ließe sich auch receptio, receptibilitas verwenden. Da hier Formen aufgebracht werden, kann es sich um keine reine Passivität handeln. Dies gilt für Wahrnehmungen ebenso wie für das Streben. Dies letztere wird zudem gar nicht unmittelbar von einem es reizenden Gegenstand ausgelöst, sondern vielmehr durch den Intellekt vermittelt: „intellectus de appetibili in appetitum faciat nuntium" . Diese Beteiligung der seelischen Formen kehrt in einem zweiten Schritt die Sache überhaupt um: Diese Tätigkeiten sind nicht deswegen nur in einem bloß eingeschränkten Maße passiv, weil sie in gewisser Weise auch aktiv sind; vielmehr sind sie in erster Linie aktiv: „simpliciter sunt activa et secundum quid sunt passiva"16. Es muß sich um zwei Gedanken handeln, durch die die Idee oder auch das unmittelbare Bewußtsein der Freiheit gefaßt wird. Das eine ist die Verteidigung der Freiheit durch den Nachweis, daß keine der möglichen Einreden diese tatsächlich als eine Fiktion erweist. Jene Einreden rekurrieren auf die Vorstellung des Schicksals ebenso wie auf die Überzeugung vom göttlichen Vorherwissen. Dies gehört zu den klassischen Problemstellungen der philosophischen Diskussion der Freiheit. Was aber hier gegen mögliche Widersprüche verteidigt wird, setzt ja bereits einen bestimmten Begriff von Freiheit voraus. Diese muß ihrerseits erst durch einen explizierten Begriff gedacht werden, soll ihre Verteidigung nicht eine gänzlich vage Grundlage haben. Es muß also gezeigt werden, wie sie selbst möglich ist. Neuere Freiheitstheorien, etwa die Bergsons oder Jaspers', haben sogar bestritten, daß sich Freiheit überhaupt definieren lasse, da in der Definition eine Fixierung liege, welche im Gedanken der Freiheit gerade eliminiert wird. Aber das Problem bleibt, wie man denn sonst Rechenschaft geben könne von dem, was man hier meint. Schon der Umstand, daß wir durchaus in verschiedenem Sinne von Freiheit reden, macht es erforderlich, diese möglichst klar und genau voneinander abzugrenzen. Dieser Umstand zeigt aber auch, daß Freiheit nicht bloß Gegenstand eines unmittelbaren Bewußtseins sein kann; immer nämlich ist die Frage möglich, wovon genau dies ein Bewußtsein ist. Ein Zweites hängt damit zusammen. Das Faktum des Wollens ist für Augustinus Inhalt eines unmittelbaren Bewußtseins. Da dieses Bewußtsein aber offensichtlich nicht die Stabilität hat, sich gegen wirkliche oder vermutete Widersprüche zu behaupten, 15
ALBERTUS Magnus: De XVprobi., 9: [Anm. 10], p. 41, 25-26. Loc. cit., p. 41, 37-38. - Das Tätigsein der nicht vernunftbestimmten Lebewesen ist hingegen weitgehend passiv. Die Scholastik zitiert immer wieder das Adagium des JOHANNES Damascenus: De fide orthodoxa II, 27 (c. 41): Patrologia Graeca 94, 9 6 0 D (lat. Übers, des Burgundio: ed. Eligius M. Buytaert. St. Bonaventure u.a. 1955, p. 153) „magis aguntur quam agant": ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. III, lect. 3, n. 170: [Anm. 9], p. 152, 44-45; Ders.: Summa I, tr. 20, q. 79: [Anm. 9], p. 840a; BONAVENTURA: II Sent., d. 25, p. 1, q. 1: ed. Quaracchi, t. 2. 1885, p. 593a; T H O M A S de Aquino: De veritate q. 22, a. 4: Opera omnia (Ed. Leonina), t. 22,3. Roma 1976, p. 620, 77-78; Ders.: Summa contra gentiles II, c. 76: Opera omnia (Ed. Leonina), t. 13, Roma 1918, pp. 480-482. HENRICUS Gandavensis: Quodlibeta I, q. 16: Opera omnia (Ed. Lovaniensis), t. 5. Leuven-Leiden 1979, p. 97, 76sq.; p. 109, 33.
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kann es gar nicht umhin, sich auf eine weitere Selbstdurchdringung einzulassen. Aber auch dies wäre noch eine bloß äußere Notwendigkeit. Insofern das Freiheitsbewußtsein für die Selbstverständigung des Menschen konstitutiv ist, muß es auch ein freies Interesse an der Freiheit geben. Nicht erst Dante 17 formuliert Elogen der Freiheit. Auch bei Thomas von Aquin 18 oder anderen Autoren ließe sich entsprechendes belegen. Die für Albertus Magnus spezifische Lehre ist in seinen Texten nicht leicht zu eruieren. Er hält sich in seinen Werken sehr eng an die überkommenen Bestimmungen. Dies macht es in der Tat schwer, seine eigene Intention herauszupräparieren und die Mittel genau einzuschätzen, die er für die Erreichung dieser Intention einzusetzen vermag. Es gibt nun aber ein solches Albert-spezifisches Lehrstück: Dies ist die Behauptung, das liberum arbitrium sei neben Vernunft und Wille ein drittes Vermögen 19 . Zwar lassen sich hierfür ebenfalls einige Vorläufer benennen, doch ist in deren Unterscheidung hauptsächlich das theologische Motiv wirksam, auch in der Willensbestimmung ein Trinitätsanalogon vorweisen zu können 20 . Die Freiheitstheoretiker seiner und der nachfolgenden Generation haben diese zusätzliche Unterscheidung weithin bestritten; es sei nur auf den Aristotelismus-Kritiker Bonaventura21 und auf den Albert-Schüler Thomas von Aquin 22 verwiesen.
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„Lo maggior don che Dio per sua larghezza / Fesse creando, ed alla sua bontate / Più conformato, e quel ch'ei più apprezza, / Fu della voluntà la liberiate, / Di che le creature intelligenti, / E tutte e sole, fuoro e son dotate." DANTE Alighieri: Paradiso V, 19-24: a cura di Giorgio Petrocchi. Milano 1967 (Le Opere di Dante Alighieri. Edizione Nazionale, VII, 4), p. 69; Ders.: „ ... manifestum esse potest quod hec libertas sive principium hoc totius nostre libertatis est maxime donum humane nature a Deo collatum - sicut in Paradiso Comedie iam dixi - quia per ipsum hic felicitamur ut homines, per ipsum alibi felicitamur ut dii." Monarchia I, xii, 6: a cura di Pietro Giorgio Ricci. Milano 1965 (Le Opere ... V), p. 158, 24 - 159, 28. THOMAS de Aquino: Summa theologiae I a -II ae , prol.: „sicut Damascenus dicit, homo factus ad imaginem Dei dicitur, secundum quod per imaginem significatur 'intellectuale et arbitrio liberum et per se potestativum'" (der zweite Teil der Summa betrachtet daher den Menschen unter dem Aspekt der Freiheit, durch die der Mensch nämlich Prinzip seiner Handlungen ist); Ders.: De perfezione spiritualis vitae, c.l I: Opera omnia (Ed. Leonina), t. 41. Roma 1970, p. B 79, 116 f.: „Nihil autem est homini amabilius übertäte propriae voluntatis." Cf. ALBERTUS Magnus: De homine, q. 70; II Sent., d. 25, a. 1; Super Ethica, 1. III, lect. 4, n. 173. Mit Verweis auf LOTTIN, der diese These bei Alexander von Haies (p. 137-140) und einigen unbekannteren bzw. anonymen Pariser Magistri belegt (p. 88-92), MICHAUD-QUANTIN [Anm. 5], p. 212-216. BONAVENTURA: II Seni., d. 25 p. 1, q. 2: [Anm. 16], p. 595-597. THOMAS de Aquino: De ventate, q. 24, a. 6: Opera omnia (Ed. Leonina), t. 22,3. Roma 1976, p. 695,56-84; Ders.: II Sent., d. 24, q. 1, a.3: ed. Pierre Mandonnet. Paris 1929, p. 658 sq.; Ders.: Summa theologiae Ia, q. 83, a. 4.
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3. Vernunft und Wille Um diese zusätzliche Differenzierung, die Albert für unabdingbar hält, zu verstehen, ist es nötig, sich zunächst die beiden Vermögen kurz zu vergegenwärtigen, gegen die Albert das Vermögen der Entscheidungsfreiheit abhebt. Es ist unverkennbar, daß Albert die Begriffe der beiden Vermögen im wesentlichen mit Hilfe derjenigen Konzeptionen entwickelt, die ihm aus der Tradition vorgegeben sind. Aber die Tradition ist keine einheitliche Größe. Wie schon hervorgehoben kommen hier durchaus unterschiedliche und - aber je nach dem Grad der Grundsätzlichkeit des Gesichtspunktes! - sogar gegensätzliche Positionen zum Tragen. Diese Zugangsweise wird aber durch etwas erleichtert, was für die hier in Rede stehende Problematik nicht ganz zufällig ist. Da vom Willen ebenso wie von der Freiheit nicht direkt die Rede sein kann, bedarf es immer einer Deutung bestimmter Erfahrungen. Die Tradition stellt solche Deutungen zur Verfügung. Die Diagnose, zu welcher Einheit und Konsistenz ein Denker wie Albert solche Deutungen zu bringen vermag, muß sich allerdings einem angemessenen Maßstab unterstellen. Dieser Maßstab kann nicht unsere Auffassung jener Konzepte und unsere, auf der Basis anderen historischen Wissens und veränderter denkerischer Konstellationen gewonnene Einschätzung sein, sondern vielmehr die Deutung, die der historische Autor seinerseits diesen Deutungen gibt. Nun aber zum Inhalt. Der Wille läßt sich nur in Abhebung gegen andere Vermögen der Seele beschreiben. Vor allem das unmittelbare Auf-etwas-aus-Sein, der Trieb und das Begehren, und das vermittelte Etwas-Auffassen, die Vernunft, kommen hier in Frage. Mit Aristoteles und ebenso mit Johannes von Damaskus, den Albert selbstverständlich wie eine zweite Quelle behandelt, sagt er, der Wille sei „in der Vernunft", in ratione23. Dies gilt nicht etwa deswegen, weil der Wille von sich her schon vernünftig wäre, sondern weil er auf die Vernunft angewiesen ist, um zu sich selbst zu kommen. Warum ist das so? Alles, worauf sich der Wille zu richten vermag, muß den Aspekt des Erstrebenswerten, eben des Guten aufweisen. Dies ist aber nur dann mit der conditio humana identifizierbar, wenn die Gegebenheit des Guten zugleich eine Sache der Beurteilung, und das heißt der Vernunft ist24. Dadurch und nur dadurch unterscheidet sich das stre25 bende Sich-auf-etwas-richten vom bloßen Begehren, wie Albert mit Augustinus sagt .
23
ALBERTUS: De homine, q. 65: [Anm. 9], p. 547; ebd., a. 2: p. 551b; Ders.: II Sent., d. 25, a. 1: Ed. Paris., t. 27, p. 423b; Ders.: Ethica, III, tr. 1, c. 15: Ed. Paris., t. 7, p. 215b; Ders.: Super Matth., c. VI, 10: [Anm. 9], p. 197, 84-89; Ders.: De bono, tr. 4, q. 1, a. 3: [Anm. 9], p. 231, 5-6; ebd., tr. 1, q. 4, a. 4: p. 57, 65-67; Ders.: De anima, 1. III, tr. 4, c. 1: Ed. Colon., t. 7,1, p. 229, 42; Ders.: Summa II, tr. 16, q. 99, m. 1 ad 3: [Anm. 9], p. 233b; etc.
24
ALBERTUS Magnus: De homine, q. 65, a. 2: [Anm. 9], p. 551b.
25
AUGUSTINUS: De sermone domini in monte II, 22, 74: Patrologia latina 34, 1303: „Voluntas namque non est nisi in bonis; nam in malis flagitiosisque factis non voluntas, sed cupiditas proprie dicitur" (zitiert bei ALBERTUS Magnus, Super Matth., c. VII, 12: [Anm. 9] p. 256, 16-19). - Bei
Rationale Spontaneität
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Die andere, nicht weniger wichtige Unterscheidung basiert nicht auf den Begriffen der jeweiligen Vermögen, sondern auf der Beziehung, die der Wille selbst zu diesen konstituiert. Diese kann nur selbst eine willentliche sein. Aber was ist mit dieser trivialen Auskunft gesagt? Etwas gänzlich Nichttriviales: Der Wille bewegt diese anderen Vermögen und ist daher ein Erstes. Albert beruft sich für dieses Konzept mehrfach auf ein traditionelles Lehrstück, das er aber nicht immer demselben Autor zuschreibt. Den Willen ganz allgemein betrachten, heißt: secundum quod se habet ad omnes operationes nostras, prout dicit Anseimus, quod est universalis motor virium, et sie cadit supra omnia quae sunt in nobis, quia dieimus, quod volumus intelligere, ratiocinari, eligere, et sie etiam est eorum quae sund ad finem. .
Wie in der Transzendentalphilosophie das „ich denke" alle Vorstellungen begleiten können muß, so ist im Augustinismus der Wille für alle inneren und äußeren Handlungen die universale Ursache. Was bei Aristoteles Gott für den Kosmos leistet, erbringt bei Augustinus, Anselm und Albert für die menschliche Seele der Wille: Der Wille ist universalis motor virium. Aber warum ist dies so? Albert bringt hierfür, soweit ich sehe, kein Argument. Es ließe sich aber in Analogie zur transzendentalen Apperzeption unschwer ein Argument rekonstruieren: Alle diese Tätigkeiten sind nur dann und insofern meine Tätigkeiten, als sie durch meinen Willen, kraft meines Wollens vollzogen werden; anders gesagt: Geschehnisse werden unter der Bedingung meines Willens zu meinen Tätigkeiten. Aber damit ist natürlich noch nicht die Frage beantwortet, ob denn tatsächlich alle seelischen Vorgänge als meine gedacht werden müssen. Dies müssen sie allerdings dann, wenn Einsicht und Irrtum als meine Einsicht und mein Irrtum anzuer-
26
Augustinus wird andererseits das Begehren ein Fall von amor, jener Grundausrichtung des Menschen, die ihm immer zugerechnet werden kann: AUGUSTINUS: De civitate Dei XIV, 6: CChr.SL 48, p. 421: „voluntas est quippe in omnibus; immo omnes nihil aliud quam voluntates sunt"; Ders.: De libero arbitrio III, 17, 48: Corpus Christinorum. Series Latina (Im Folgenden = CChr.SL) 29, p. 304: „cupiditas porro inproba voluntas est"; ebd. III, 1, 2: CChr.SL 29, p. 275: „nulla re mentem servam libidinis nisi propria volúntate". ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. III, lect. 4, n. 178: [Anm. 9], p. 157, 77-82; Ders.: Super Matth., c. VI, 10: [Anm. 9] p. 198, 1-7: „est motor omnium virtutum rationalium et irrationalium et ad imperium eius agunt aut cessant ab actione, sicut dicit Augustinus; si enim volo et quando volo, intelligo, et si volo et quando volo, video, et sic de aliis. Unde voluntas motor est in omnibus in toto regno intellectualis naturae, quaecumque sit, si ve creata si ve increata"; Ders.: De IV coaeq., tr. 4, q. 27, a. 2: Ed. Paris., t. 34, p. 492b; Ders.: De homine, q. 65, a. 2: [Anm. 9], p. 551b-552b; op. cit. q. 70, a. 3: p. 581 b; Ders.: II Sent., d. 25, a. 1: [Anm. 23], p. 424b: „omnis potentia participans libertatem voluntatis est universalis in movendo alias ad actum; Ders.: De anima, 1. III, tr. 4, c. 10: [Anm. 23], p. 241, 67; Ders.: Summa I, tr. 20, q. 79: [Anm. 9], p. 837; ebd., II, tr. 15, q. 99 n. 1: p. 234b; auch THOMAS von Aquin erkennt dies an, De malo, q. 6: [Anm. 13] p. 149, 351 : „intelligo enim quia volo"; Ders.: Summa theologiae Ia, q. 82, a. 4.
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kennen sind, was man nur dann aufheben dürfte, wenn man bereit wäre, die argumentative Auseinandersetzung überhaupt als sinnlos zu deklarieren. Dann erübrigte sich aber auch die Frage. Der Prinzipiencharakter des Willens wird von Albert ähnlich stark unterstrichen wie in der augustinischen Tradition insgesamt. Albert kommentiert die Abfolge der aristotelischen Diskussion über das Freiwillige, die auffälligerweise mit der Bestimmung des Unfreiwilligen beginnt, mit einem Gedanken, der seine Analogie in der negativen Theologie hat 27 . Der alles bewegende Beweger der Seelenkräfte wird von keiner anderen Kraft bewegt. Gleichwohl aber muß noch eine zusätzliche, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für seine Tätigkeit gedacht werden. Denn nicht das Gute als solches ist das Ziel des Willens, sondern vielmehr das Gute, sofern es aufgefaßt wird. Es muß etwas als gut beurteilt werden. Dies kann der Wille nicht leisten. Weder liegt im Begriff des Willens eine kognitive Funktion beschlossen, noch liegt in der Auffassung als solcher ein Streben nach dem Aufgefaßten. Der Wille selbst - darin dem appetitus vergleichbar 28 - ist blind 29 . Wenn man die Überlegungen Alberts gegen die Erörterungen des Aristoteles hält, dann fällt sogleich auf, daß durch die stoische und christliche Tradition mittlerweile ein Subjektwechsel stattgefunden hat. Für Aristoteles ist es keine primär psychologische Frage, ob wir stets, nie oder nur unter bestimmten kontingenten Bedingungen freiwillig handeln. Aristoteles nennt nicht bestimmte seelische Akte freiwillig, sondern vielmehr Handlungen. Mit Bezug auf Handlungsarten greift er das zu seiner Zeit vieldiskutierte Problem des Freiwilligen auf: Tut man derlei freiwillig? Es geht ihm nicht um die prinzipielle Frage, ob dem Menschen überhaupt Handlungen zurechenbar sind - wiewohl die Antwort auf eine solche Frage sich mit den denkerischen Mitteln seiner Philosophie rekonstruieren ließe. Er stellt die Frage ja innerhalb der Ethik. Unfreiwillige Handlungen sind deshalb ihrerseits Gegenstand sittlich relevanter Handlungen (Nachsicht; Mitleid) wie es freiwillige Handlungen, etwa unter widrigen Bedingungen, ebenfalls sind. Freiwilligkeit im aristotelischen Sinne ist nicht allgemeine Bedingung der Zurechenbarkeit, sondern in gewissem Sinne selbst eine sittliche Leistung. Nun gibt es aber Grenzfälle. Das Gepäck, um bei dem berühmten Beispiel des Aristoteles zu bleiben, bei Seesturm über Bord zu werfen, enthält beide Elemente. Man
27
ALBERTUS Magnus: Ethica, 1. Ill, tr. 1, c. 2: [Anm. 23], p. 197a-b: „Nullum enim principium primum secundum quod primum est, potest determinari nisi per negationem vel privationem, sicut dicimus primum esse ante quod nihil est. Et cum voluntarium primum principium sit operationum, determinari non potest nisi per negationem vel privationem; et haec determinatio involuntarium praecedit determinationem voluntarii." Op. cit., c. 12: p. 210b: „appetitus non videt sicut oculus".
29
ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. I, lect. 7, n. 40: [Anm. 9], p. 39, 88-89: „voluntas de se caeca est"; Ders.: Super Matth., c. V, 38: [Anm. 9] p. 149, 35-37: „nihil autem mobilius et instabilius et dubitabilius et ignorantiae permixtius est quam voluntas".
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tut solches unfreiwillig, da man sein Gepäck ja an das Reiseziel bringen möchte; man tut es aber in gewisser Weise auch freiwillig, da diese Handlung ja auf einer Entscheidung beruht (nach antikem Seerecht mußte über eine solche Maßnahme abgestimmt werden). Da dieses letztere Element aber eine bestimmende Rolle spielt, sa^t Aristoteles: „Solche Handlungen sind gemischt, gleichen aber eher den freiwilligen." Albertus Magnus folgt natürlich dieser Diagnose. Im Kontext der übrigen Texte ist aber ganz offenkundig, daß Albert eine möglichst weitgehende Zurechenbarkeit menschlicher Handlungen begründen will. Für sich selbst betrachtet ist der menschliche Wille ein ganz freies Vermögen: Et si obicias, quod voluntas, cum sit libera, non potest trahi, dicendum, quod verum est, secundum quod consideratur per se, ut est potentia separata quaedam, sed secundum quod est coniuncta cami et sanguini, trahitur per actum efficienter, sed non sufficienter.
Diese Analyse des strebensfreien Verstandes widerspricht nicht dem Prinzip, daß alles Vermögen eines lebendigen Wesens eine innere Tendenz aufweisen. Es kommt hier nämlich auf den genauen Gesichtspunkt der Betrachtung an. Der Verstand stellt nicht nur Sachverhalte fest, sondern beurteilt sie auch; er beurteilt die Eignung bestimmter Dinge oder Handlungen zur Erreichung bestimmter Ziele. Eben dies meint ja das Gutsein. Aber eben aus der Erfahrung der Beurteilung ergibt sich, daß diese Erkenntnis für sich genommen noch kein Streben enthält. Wenn dem nämlich so wäre, dann liefe die Feststellung des Erstrebenswertseins auf die Initiierung des Strebens hinaus. Aber zu finden, es wäre gut A zu tun, folgt keineswegs, A zu tun. Der Verstand ist daher nach Albert in seiner Freiheit aus unterschiedlichen Perspektiven zu beurteilen: Als ein geistiges Vermögen, das als solches nicht durch eine einzelne Wirklichkeit bestimmt ist, kann es frei genannt werden; frei heißt hier: abgelöst von der vereinzelnden Materie. Aber der Prozeß der Einsicht ist doch von solch rigorosem Zwang, daß hier von Freiheit nicht die Rede sein kann. Einer Evidenz kann man sich eben nicht entziehen 32 .
30
A R I S T O T E L E S : Ethica Nicomachea
31
A L B E R T U S Magnus: Super homine,
Ethica,
III, 1; 1 1 0 9 b l 1-12. 1. III, lect. 1, n. 157: [Anm. 9], p. 141, 79-84; Ders.: De
q. 70, a. 2: [Anm. 9], p. 577b: „voluntas in nobis Semper est libera"; Ders.: Summa
II, tr.
15, q. 96: [Anm. 9], p. 219b: „libertas a coactione numquam est amissibilis, quia a natura est". Der Satz aus Jesus Sirach (15, 14) - „Er schuf am Anfang den Menschen / und überließ ihn der Macht seiner Entscheidung" - wird denn auch bei Albert in diesem Sinne in Anspruch genommen: Matth.,
Super
c. VI, 10: [Anm. 9], p. 199, 13 sq.; auch anderwärts in der Scholastik immer wieder zitiert:
T H O M A S de Aquino: Summa
theologiae
J O H A N N E S D u n s Scotus: Lectura
Ia, q. 22, a. 2, arg. 4; ebd. H a -II ae , q. 104, a. 1, arg. 1;
II, d. 34-37, q. 1-5, n. 118: Ed. Vat., t. 19. Civitas Vaticana
1993, p. 356; Meister ECKHART: Expositio Stuttgart 1964, p. 2 7 5 f.
libri Genesis
I, n. 120: Ders.: Lateinische
Werke,
1.
232
ROLF SCHÖNBERGER
4. Die Freiheit des Entscheidens und Handelns Diese beiden Bestimmungen der Vernunft und des Willens lassen es als solche noch nicht zu, den Akt einer Entscheidung zu denken. Es stehen sich ein Beurteilungsvermögen und ein Vermögen des Strebens gegenüber. Wenn das erste das zweite nicht einschließt, das zweite aber keine Wahl beinhaltet, dann bedarf es einer weiteren Instanz, die den Akt des Wählens zu setzen vermag. Dies ist keine völlig andere Instanz. Albertus verwendet für das liberum arbitrium eine ganze Reihe von Formeln, die den engen Zusammenhang mit den beiden anderen seelischen Vermögen festhalten sollen. Sein Akt ist der des Wählens (eligere), es ist daher ein Vermögen, qui habet aliquid rationis et aliquid voluntatis33. Vernunft und Wille, so Albert, gehen nicht in die Definition des liberum arbitrium ein - so als ob dieses aus diesen beiden bestünde - , sondern allenfalls in dem Sinne, daß die freie Entscheidung die Leistungen beider voraussetzt34. Der Ausdruck liberum arbitrium enthält in sich die Freiheit der Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des Guten und Schlechten überhaupt.35. Albert denkt hier eine stufenweise Abfolge von aufeinander aufbauenden Leistungen: Die Vernunft begreift mehreres unter dem Gesichtspunkt des Erstrebenswerten und stellt der Seele vor, was erstrebenswert ist; der zweite Akt ist der des Willens, welcher dieser Einschätzung zustimmt (consentientis); der dritte Akt ist der des Wählens dessen, was vom Willen geliebt wird. Und dieser letzte Akt ist der des liberum arbitrium. Albert scheint dies nicht genug zu sein. Es muß noch der vollendete Wille {perfecta voluntas) hinzukommen, der dann die Verfolgung des Zieles wirklich initiiert. Interessant ist diese Theorie nicht bloß deswegen, weil sie nicht etwa naiv eine Komplexität behauptet, die eine spätere kritischere Konzeption als reduzierbar erweisen kann. Albert hat es mit einer Vielzahl verschiedener Konzeptionen und vor allem mit einer Mannigfaltigkeit aufeinander nicht abbildbarer terminologischer Festlegungen zu tun. Er kennt durchaus in dieser frühen Schrift bereits die These von der Identität von Wahlfreiheit und Wille. Sein Gegeneinwand lautet: „licet libertas in voluntate sit plus quam in ratione, tarnen non sequitur ex hoc quod liberum arbitrium sit voluntas; eo enim quod liberum arbitrium sit consequens rationem et voluntatem, habet aliquid de
32
ALBERTUS Magnus: Ethica, 1. III, tr. 1, c. 1: [Anm. 23], p. 196a: „Hoc etiam modo intellectus et ratio contemplativa non sua sunt in veritate contemplatorum; obligatione syllogistica coguntur ad assensum. Quod vero primum causa libertatis est, voluntas est"; Ders.: De anima, 1. III, tr. 4, c. 5: [Anm. 23], p. 234, 75-76. - Dies könnte mit etwas verändertem Vokabular ungefähr auch so bei Duns Scotus stehen - und dies tut es auch: JOHANNES Duns Scotus: Quaestiones super libros Metaphysicorum Aristotelis, 1. IX, q. 15, n. 36: [Anm. 6] p. 684: „intellectus cadit sub natura."
33
ALBERTUS Magnus: De homine, q. 70, a. 1: [Anm. 9], p. 575a-b.
34
Op. cit., a. 3: p. 581a. Op. cit., a. l : p . 569b.
35
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utroque"36. Das Argument wendet also gegen die Identifizierung ein, daß ja in der freien Entscheidung eine Doppelung von zwei Funktionen gedacht werden müsse, die gerade nicht von einem einzigen Vermögen erbracht werden kann. Deren Unterschiedenheit ist ja der einzige Grund für die Unterscheidung der sie tragenden Vermögen. Wenn also überhaupt Vernunft und Wille zwei verschiedene Vermögen sind - was dann erst Nominalisten wie etwa Johannes Buridan bestritten haben - , dann muß auch die Entscheidungsfreiheit selbst noch einmal als eine eigene Funktion gedacht werden. Sie realisiert sich zwar in der Kooperation von Vernunft und Wille, ist aber mit keinem der beiden identisch. Albert konstruiert nicht den Begriff der Freiheit. Er geht vom dem aus, was in verschiedenen Kontexten als Freiheit bezeichnet wird. Aber dies muß in eine Ordnung gebracht werden. Die Bezüge dieses Netzes werden allerdings nicht entwickelt, sondern aufgenommen. Ursprünglich ist Freiheit der Spielraum der Willensbestimmung, die noch ohne Präferenz ist: „liberum velle attribuitur libertati primae jjropter flexibilitatem voluntatis, quae non magis inclinatur ad unum quam ad alterum" . Diese Ausrichtbarkeit des Willens kann aber deswegen nicht der vollständige Begriff der Willensfreiheit sein, da der Wille wie jedes Vermögen eines Formalobjektes bedarf. Dieses ist das Gute. Das Gute aber steht immer unter dem Gegensatz von Sein und Schein. Piaton hat sogar behauptet, erst das fundamentale Interesse am Guten durchbreche die Ambivalenz der Tugend, deren Vorteile ja auch durch den bloßen Schein zu erreichen sind38. Der Schein der Ehrenhaftigkeit mag zuträglich sein, aber das bloß scheinbare Gute ist eben nicht zuträglich. Aristoteles kennt ebenfalls das Problem des Scheines. Aber genau dies bringt in die Willensbestimmung ein Moment der Erkenntnis hinein. Da der Wille immer auf das Gute geht, er dieses aber auch verfehlen kann, gibt es die Situation, etwas erreicht zu haben, von dem man im nachhinein sagen muß, das habe ich nicht gewollt. Daher kann man auch bei Albertus Magnus den Gedanken belegt finden, daß freie Handlungen nur solche sind, die erstens keinen instrumentellen Charakter haben. Er verwendet hierfür das Adagium des Aristoteles: „liberum autem est quod causa sui"39. Hierbei ergibt sich nun aber eine aufschlußreiche Verschiebung: Auch bei Albert kann der Ausdruck causa sui in wörtlicher Bedeutung für das stehen, was um seiner selbst willen getan wird40. Da aber inzwischen nicht bloß Tätigkeiten und Künste im Blick stehen, sondern die spontane Willensinitiative selbst, heißt causa sui bei Albert auch:
36
38 39 40
Op. cit., a. 2: p. 577b; cf. p. 578b. Op. cit., a. 4: p. 586a. PLATON: Politeia 505d. ARISTOTELES: Metaphysica I, 3: 982b 25. ALBERTUS Magnus: II Sent., d. 24, a. 1: [Anm. 23], p. 402a; Metaph., Colon., t. 16,2, p. 485, 4-5.
1. XI, tr. 2, c. 3: Ed.
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Grund der eigenen Tätigkeit 41 . Die Freiheit der Handlungen ist aber zweitens auch noch orientiert an der Struktur des Willens, auf ein Erstrebenswertes in seinen unterschiedlichen Graden gerichtet zu sein: Libere enim facit, quando non coactionis, sed amoris causa voluntas fertur in actum; liberius autem, quando non nisi honestis intendit, quae sola libera sunt, quia sola propter se appetuntur.42
41
42
ALBERTUS: Summa II, tr. 16, q. 99, m. 1: [Anm. 9], p. 233a: „quod cogitur, causa sui non est, et per consequens liberum non est. Dicit enim Aristoteles in primo primae philosophiae, quod liberum dicimus, qui causa sui est. Et si libera non est, voluntas non est"; Ders.: II Sent., d. 25, a. 2: [Anm. 23], p. 424a: „nulla potentia in actu omnino causa sui est nisi voluntas ... ideo dicitur communiter, quod voluntatis causa nulla quaerenda est"; Ders.: De nomine, q. 70, a. 4: [Anm. 9], p. 585a; p. 586b; nicht ganz so eindeutig: Ders.: Super Matth. VI, 10: [Anm. 9] p. 198, 40, 52; p. 198,71; Ders.: De anima III, tr. 4, c. 10: [Anm. 23], p. 241, 73-74; Ders.: Ethica, 1. III, tr. I, c. 1: [Anm. 23], p. 196a. ALBERTUS: Super Matth., c. VI, 10: [Anm. 9], p. 198, 55-59; zugleich sind auch nur solche Handlungen im emphatischen Sinne menschlich, vgl. Ders.: De anima, 1. III, tr. 4, c. 3: [Anm. 23], p. 232: „Haec est etiam causa, quod opera honesta dicuntur esse secundum naturam hominis, inquantum est homo, opera autem turpia et inhonesta dicuntur esse contra naturam hominis, inquantum est homo".
RISTO SAARINEN, Helsinki
Die aristotelische Willensschwäche im Mittelalter: Der Beitrag von Albertus Magnus 1. Das Problem der Willensschwäche (ctKpaaia) Im siebenten Buch seiner Nikomachischen Ethik (Ethica ad Nicomachumf diskutiert Aristoteles das Phänomen, daß jemand nicht tut, was er für das Beste hält, obwohl er es tun könnte. Dieses Phänomen nennt Aristoteles ctKpaaia, die Willensschwäche. Sokrates hatte bestritten, daß es cctcpaaia gibt, weil man gegen besseres Wissen überhaupt nicht handeln kann. Aristoteles denkt, daß die sokratische Position den Phänomenen widerspricht, weil akratisches Verhalten üblich zu sein scheint und einer Erklärung bedarf. Nach einer ausführlichen Behandlung von ctKpaaia kommt Aristoteles allerdings selbst zu dem Ergebnis, daß das Wissen der akratischen Person während seiner akratischen Handlung mangelhaft sein muß. Die aristotelische ctKpacria ist ein Lieblingsthema der heutigen Philosophie geworden, weil sie wichtige Analogien mit dem modernen Denken hat2. Der aristotelische praktische Syllogismus ist ein Beispiel dafür, wie die Handlung als Ergebnis eines intellektualen Kalküls entsteht. Für die aristotelische und die moderne Theorie der rationalen Handlung bleibt es ein Problem, warum viele Menschen angeblich den Zielen nicht folgen, die sie für das Beste halten. Moderne Denker setzen oft voraus, daß das Problem der Willensschwäche in der abendländischen Philosophie zwischen Augustin und dem 20. Jahrhundert nicht behandelt wurde, weil die christliche Auffassung von der Sünde und der Freiheit des Willens dieses Phänomen als selbstverständlich fand. Dieser Voraussetzung zufolge kann der freie Wille des Menschen im christlichen Voluntarismus die schlechtere Alternative wählen bzw. bewußt sündigen3. In meiner Studie Weakness of the Will in Medieval Thought: From Augustine to Buridan4 wird gezeigt, daß diese Voraussetzung historisch nicht stimmt. In den lateinischen Kommentaren zur Nikomachischen Ethik zwischen 1250 und 1350 wurde die aristotelische Willensschwäche ausführlich diskutiert. Ähnlich wie Aristoteles hielten die Scholastiker ctKpaaia für ein äußerst schwer erklärbares Phänomen. Unterschiedii-
In der Folge: EN. 2
3 4
Vgl. z.B. GOSLING, Justin: Weakness of the Will. London 1990. Dt. z.B. WOLF, Ursula: Zum Problem der Willensschwäche. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 39 (1985), S. 21-33. So z.B. CHARLTON, William: Weakness of Will. Oxford 1988. Leiden 1994 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 44).
236
RISTO SAARJNEN
che Erklärungen wurden angeboten und kein scholastischer Denker war damit zufrieden, daß der Mensch einfach gegen sein besseres Wissen sündigt. Bereits in der augustinischen Tradition wurde der freie Wille als Tugend angesehen, deren Freiheit nicht als posse peccare gedacht wurde5. Im aristotelischen Kontext ist der freie Wille ein rationaler Appetitus, der als solcher durchaus rational bestimmt ist und darum auf das Beste angewiesen bleibt. Auch wenn die freie Selbstbestimmung des Willens im Skotismus angenommen wird, erscheint der Wille dort als eine rational bestimmte Fähigkeit, die nicht gegen das Wissen handelt6. Albertus Magnus hat die zwei ersten lateinischen Kommentare zum siebenten Buch der Ethica ad Nicomachum geschrieben. Seine ausfuhrlichen Erklärungen der öcicpacria sind schon an sich philosophisch bedeutsam; darüber hinaus beeinflußten sie die späteren scholastischen Kommentare. Im folgenden werde ich den Beitrag Alberts darstellen. Nach einigen Bemerkungen zu der Eigenart der lateinischen Übersetzung der Nikomachischen Ethik durch Robert Grosseteste (2.) werden die zwei Kommentare Alberts analysiert (3.). Zum Schluß (4.) wird Alberts Beitrag mit Thomas von Aquin verglichen.
2.
Robert Grossetestes lateinische Übersetzung der Ethica ad Nicomachum
Die drei ersten Bücher der Ethica ad Nicomachum waren schon im späten 12. und frühen 13. Jh. in den lateinischen Universitäten bekannt. Die gesamte Nikomachische Ethik wurde von Robert Grosseteste 1246-1247 übersetzt. Das Phänomen der Willensschwäche wurde durch diese Übersetzung bekannt. In der augustinischen Tradition kann man einige Themen identifizieren, die später im Aristotelismus mit ö t K p a a i a in Verbindung gebracht werden. Neben der Diskussion des Apostels Paulus in Rom. 7 sind Augustins Erläuterungen zum Thema „gegen den Willen handeln" (invitus facere) sowie die frühscholastische Erörterung des konditionalen Willens {velleitas, voluntas conditionalis) in dieser Hinsicht von Bedeutung. Aber die aristotelische c t K p a c r i a war vor Grosseteste im Abendland nicht bekannt7. c c t c p a m a wurde von Grosseteste konsequent mit incontinentia wiedergegeben. Weil die ¿7U0u)j.ia von ihm mit concupiscentia übersetzt wurde, ist die Assoziation mit der augustinischen sexuellen Unenthaltsamkeit für die mittelalterliche ccKpacia-Diskussion 5
Z.B. A N S E L M U S Cantuariensis, vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 43-51.
6
So z.B. JOHANNES Buridanus, vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 161-187 und KRIEGER, Gerhard: Der Begriff der praktischen Vernunft bei Johannes Buridanus. Münster 1986. Erst mit Ockham verändert sich die Lage, wie z.B. Rega WOOD (Willing Wickedly: Ockham and Burley Compared. In: Vivarium 37 (1999), S. 72-93), gezeigt hat.
7
Mit Ausnahme der sog. Ethica borghesiana, vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 87. Zu invitus facere, velleitas, voluntas conditionalis und ähnlichen Themen vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 20-86 und KNUUTTILA, Simo / HOLOPAINEN, Taina: Conditional Will and Conditional Norms in Medieval Thought. In: Synthese 96 (1993), S. 115-132.
Die aristotelische Willensschwäche im Mittelalter
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charakteristisch. Ein kurzer anonymer griechischer Kommentar wurde Grossetestes Übersetzung beigefügt. Dieser Kommentar benutzt den Ehebruch als Beispiel ftir ccKpaaia. Aristoteles selber verbindet aber die Willensschwäche nicht mit den sexuellen Lastern. Auf der anderen Seite ist es auch klar, daß die lateinischen Kommentare zu Ethica ad Nicomachum VII die aristotelische continentia von der augustinischen Bedeutung des Begriffs „sexuelle Enthaltsamkeit" klar unterscheiden können8. Die aristotelische c t K p i ß e i a wurde von Grosseteste mit certitudo wiedergegeben. Diese Wortwahl war von großer Bedeutung, erstens weil certitudo kein Begriff des klassischen Lateins war, sondern erst in der Kirchenvätersprache des 4. Jh. im Zusammenhang des subjektiven Vertrauens (fiducia) erscheint9. Zweitens, wenn Aristoteles sagt, die wissenschaftliche Präzision ( a K p i ß e i a ) sei in der Ethik geringer als in der Mathematik10, findet der lateinische Leser dort die Meinung, die subjektive Gewißheit der Ethik sei mangelhaft. Dieser Gedanke ist für Alberts Erklärung von átcpaaícc bedeutungsvoll. Den griechischen evSo^oq übersetzt Grosseteste mit probabilis. So sind die aristotelischen angesehenen Meinungen für den lateinischen Leser „wahrscheinliche" Meinungen. Die probabilia sind in der aristotelischen Rhetorik Argumente und Beweise, die „in den meisten Fällen"" wahr sind. So sind die ethischen ev5oi;a mit den rhetorischen Argumenten eng verbunden. Die lateinische Übersetzung bewirkt es, daß die ethischen Urteile bei Aristoteles anscheinend durch die mangelnde Gewißheit und Wahrscheinlichkeit charakterisiert sind. Die Analogie zwischen Ethik und Rhetorik geht einigermaßen auf Aristoteles zurück, aber die lateinische Übersetzung verstärkt diese Analogie und macht sie für die Erklärung von ócicpaaía fruchtbar. Grossetestes Übersetzung wurde von Albertus Magnus zusammen mit dem griechischen Kommentar gelesen, den Grosseteste auch übersetzte12. Der Kommentar zu Ethica ad Nicomachum VII ist zumeist eine philosophisch uninteressante Paraphrase. An einer Stelle ist die Begrifflichkeit des Kommentars allerdings m. E. von Bedeutung. Aristoteles sagt, die akratische Person vergesse die ultima propositio des Syllogismus13. Normalerweise haben die mittelalterlichen und auch modernen Ausleger diese Behauptung so verstanden, daß der aKpatfjq z.B. im Syllogismus (1) Die Süßigkeiten müssen abgelehnt werden, (2) Diese ist eine Süßigkeit, (3) Diese muß abgelehnt werden, den partikularen Untersatz (2) vergißt. So weiß der ocKpocrnq die allgemeinen Vorsätze, aber er irrt in der Identifizierung der partikularen Umstände.
8
Vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 87-94.
9
Vgl. SCHRIMM-HEINS, Andrea: Gewissheit und Sicherheit. In: Archiv für Begriffsgeschichte (1991), S. 123-213. EN VII,1: 1145b 1-7. ut inpluribus. ARISTOTELES, Rhetorica 1,2: 1357a 23-33.
34
Vgl. MERCKEN, Henri Paul F. (Hrsg.): Greek Commentaries on the Nicomachean Ethics Aristotle. Louvain 1991 (Corpus Latinorum Commentariorum in Aristotelem Graecum, 6,3). EN VII,3: 1147b 9.
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10 11 12
13
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Der griechische Kommentar stellt fest, daß (2) eine partikulare Sinneswahrnehmung {cognitio sensibilis) ist. Das Wissen (scientia) richtet sich auf universale Wahrheiten; deswegen hat diese Wahrnehmung (cognitio) nicht mit dem Wissen zu tun. So bleibt das Wissen unberührt in der akratischen Handlung; der Fehler bzw. das Vergessen betrifft nur die partikulare Sinneswahrnehmung14. Der griechische Kommentar folgt der Intention des Aristoteles, aber die Terminologie ist hier reicher als im Quellentext. Aristoteles benutzt in der Ethica ad Nicomachum VII nicht das Wort yvcoou; / cognitio, während der Kommentar offenbar zwischen der klaren, universalen scientia und der sinnlichen, partikularen cognitio unterscheidet15. Diese Unterscheidung wird von Albertus Magnus angenommen und weiterentwickelt.
3. Alberts Kommentare zu Ethica ad Nicomachum VII In seinem ersten Kommentar zum siebten Buch der Ethica ad Nicomachum, verfaßt zwischen 1248 und 1252, erläutert Albert die sokratische Position16 anhand der Frage, ob das Wissen durch die Leidenschaften überwunden werden kann. Er stellt fest, daß die scientia an dieser Stelle, anders als in der Nikomachischen Ethik17, keinen allgemeingültigen habitus demonstrativus bedeutet, sondern sie ist eine sichere Wahrnehmung der Handlungsalternativen {cognitio certitudinalis operabilium). Eine solche Wahrnehmung kann manchmal als scientia perfecta bezeichnet werden. In solchem Fall hat Sokrates recht: ein sicheres Wissen kann nicht durch Leidenschaften überwunden werden 18 . Alberts Erklärung des akratischen Verhaltens ist im ersten Kommentar mit dem cognitio-Begriff eng verbunden. Wenn man die Ethik der partikularen Handlungen betrachtet, ist es unmöglich, eine sichere Wahrnehmung (certitudinalis cognitio) zu erreichen, weil die partikularen Umstände wechselhaft sind und nur für mehr oder weniger wahrscheinliche Meinungen Anlaß geben. Eine vollkommene Gewißheit erreicht die ethische Überlegung nur, wenn sie von den universalen Prinzipien ausgeht19. In der
14
Vgl. MERCKEN [Anm. 12], S. 29.
15
Vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 90-92.
16
EN VII,1-2: 1145b 21-22. EN VI,3: 1139b 18-25.
17 18
Vgl. ALBERTUS Magnus: Super Ethica commentum et quaestiones [= Super Ethica], 1. VII, lect. 2: Ed. Colon., t. 14, S. 522, 43-50: „Solutio: Dicendum, quod scientia non dicitur hic 'habitus demonstrativus', sed certitudinalis cognitio operabilium; haec quidem igitur scientia potest esse perfecta, quando scilicet aliquis habet rectam aestimationem de operabilibus et in universali et in particulari et in agere, et tunc impossibile est, quod scientia a passionibus pertrahatur, et sic verificatur dictum Socratis."
19
Vgl. loc. cit.: S. 523, 48-58: „ ... moralia dupliciter possunt considerari: aut inquantum sunt determinata ad particulare opus, et sic de ipsis non potest haberi certitudinalis cognitio propter sui variationem, sed per quaedam probabilia diiudicantur, et sic ipsorum est opinio; aut secundum
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akratischen Person bleibt das Wissen der partikularen Umstände, die der Untersatz bzw. die Konklusion des praktischen Syllogismus beschreibt, unvollkommen. Die scientia der universalen Wahrheiten im Obersatz bleibt unberührt, aber man kann gegen dieses Wissen sündigen, da die Wahrnehmung der partikularen Umstände unvollkommen ist20. So kann man gegen ein ungewisses Wissen handeln. Albert konstatiert, daß der ccKpcrrrn; bewußt (sciens) sündigen kann, weil der Obersatz des Syllogismus nicht durch die Leidenschaften überwunden wird. Allerdings verursacht die Ungewißheit hinsichtlich der partikularen Umstände, daß der Obersatz nicht als principium conclusionis tätig ist21. Wenn Sokrates sagt, niemand handelt gegen die eigene scientia, hat er in diesem Sinne recht22. Die akratische Person handelt gegen ein Wissen, das mangelhaft ist. Im Kontext von Ethica ad Nicomachum VII diskutiert Albert auch allgemein die Gewißheit der Urteile und die Ähnlichkeit zwischen Ethik und Rhetorik. Wenn das Urteil (1) ganz gewiß ist, kann man nicht gegen es handeln. Manchmal (2) haben die Urteile eine relative Gewißheit, die auf Wahrscheinlichkeit gründet. Manchmal (3) basiert das Urteil auf einem schwachen Indiz und seine Gewißheit bleibt gering. In den zwei letztgenannten Fällen sprechen wir von Meinungen 23 . Diese dreifache Abstufung der Gewißheit hat Ähnlichkeiten mit der aristotelischen Rhetorik24. Im zweiten Ethikkommentar Alberts wird diese Ähnlichkeit noch weiter thematisiert. Dort beschreibt Albert den Charakter der Ethik als Wissenschaft mit Hilfe der rhetorischen Muster: in beiden geschieht keine exakte Beweisführung, und folglich geht es in beiden nicht um das Wissen im strengen Sinne25. Jetzt gliedert Albert die Gewißheit beziehungsweise die Wahrscheinlichkeit des Urteils in vier Kategorien:
quod ex universalibus principiis considerantur et sic certitudinaliter possunt cognosci, et possunt de ipsis etiam demonstrationes fieri, si accipiantur causae moralium, et sic est ipsorum scientia." 20
Vgl. loc. cit.: S. 522, 50-63 und S. 780, 68-72: „cognitio incontinentium et eorum qui secundum passiones vivunt, corrumpitur in minori propositione, et in illa non intelligunt loquentes de moribus; sed manet integra in maiori,..."
21
Vgl. op. cit., lect. 3: S. 532, 85-89 und S. 533, 26-31. Vgl. op. cit., lect. 4: S. 536, 14-31.
22 23
24 25
Vgl. op. cit, lect. 2: S. 523, 61-65: „... est duplex opinio, quaedam quae causatur ex rationibus probabilibus, et haec habet aliquam certitudinem, quaedam autem quae est tantum ex aliquo debili signo, et haec omnino fragilis est." Vgl. ARISTOTELES, Rhetorica 1,2: 1357a 22-b 27. ALBERTUS Magnus: Ethica: Ed. Paris, t. 7, hier 1. I, tr. 4, c. 3-4: ed. cit., S. 53-54: „Et quia principia in hac scientia aestimabilia sunt, conclusio talis erit quae magis ex amore boni recipitur, quam ex necessitate demonstrationis. ... Sciens autem non est moralis. Igitur moralis nec docet, nec vere probat, sed persuadet quacumque ostensione. ... Sicut in rhetoricis judex qui auditor est, auditum refert ad allegationes, et stat in praesumptione et suspicione sibi facta: ita in moribus auitor omne auditum referre habet ad electionem vel fugam, et stare in opere."
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1. ambiguum, 2. opinio, 3. fides und 4. scientia. Man kann bewußt gegen 1-3 handeln, aber nicht gegen 426. Die aristotelische Diskussion in Ethica ad Nicomachum VII bezieht sich auf die scientia. Wenn Sokrates dort sagt, man könne nicht gegen das Wissen handeln, versteht er jedoch die scientia nicht als universal bewiesene Wahrheit, sondern als vollkommene Gewißheit27. Deswegen geht es auch im zweiten Kommentar um die Frage, ob man gegen die vollkommene Gewißheit handeln kann. Die Unterscheidung zwischen cognitio und scientia spielt im zweiten Kommentar keine so explizite Rolle wie im ersten, aber Alberts Erklärung von (XKpacia bleibt im Grunde genommen unverändert. Im praktischen Syllogismus der akratischen Person drückt der Untersatz etwas Partikulares aus, und als solches ist er bzw. sein Mittelterm nicht ein Gegenstand des Wissens im selben Sinne wie der universale Obersatz. Wenn etwas im Untersatz ignoriert wird, verdunkelt die Leidenschaft nicht das Wissen, sondern etwas Sinnliches und Singulares, das als Meinung oder Annahme (acceptio) charakterisiert werden kann28. Die Ungewißheit kommt dadurch zustande, daß die enthaltsame bzw. akratische Person zugleich zwei konträre Annahmen in ihrer Seele hat29. Diese Ambivalenz ist nicht möglich im Falle der scientia, sondern nur im Zustand von
ambiguum, opinio oderfldes. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Albert in seinen beiden Kommentaren zu Ethica ad Nicomachum VII die Frage behandelt, ob man gegen die vollkommene Gewißheit handeln kann. Dies ist an und für sich nicht möglich; allerdings kann man im ungewissen Zustand gegen die eigene Beurteilung handeln. Es ist auch möglich, gegen das universale Wissen zu wählen, wenn die partikularen Umstände falsch beurteilt oder ignoriert werden. Interessant in Alberts Auslegung ist vor allem die Tatsache, daß infolge der Erscheinung der Begriffe certitudo und probabilia im lateinischen Text von Ethica ad Nicomachum VII die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit und Gewißheit eine Schlüsselrolle in der Erklärung von ccKpacria spielen. Albert versteht die ethische Wahrheitsfindung in der Analogie zur Rhetorik. Als Wissenschaften, deren Gegenstände partikular sind, besitzen beide nur eine relative Gewißheit. Eine relative Gewißheit kann von den Leidenschaften überwunden werden; deswegen und in diesem Sinne kommt akratisches Verhalten vor.
26
ALBERTUS Magnus: Ethica, 1. VII, tr. 1, c. 2: Ed. Paris, t. 7, S. 467. Vgl. besonders: „Opinio autem, quando probabilibus rationibus inclinatur ad unum, timet tarnen contradictorium propter rationum ¡nfirmitatem. Fides vero fit ex opinione, quando opinio juvatur et confortatur ad unum rationis, ita quod habere incipit ad aliud cum scientia. Scientia vero est quando totam animam in scientia certificat, ita quod nihil dubitat vel formidat de contradictorio."
27
Vgl. loc. cit., S. 465-467, hier S. 466: „Scientiam autem vocat [Socrates] omnem habitum sive scitivum sive opinativum sive quocumque modo existât in quocumque, qui scientiae alicuius per certitudinem informatur."
28
Vgl. op. cit., 1. VII, tr. 1, c. 5: ed. cit., S. 476. Zitiert in SAARINEN [Anm. 4], 114-115.
29
Vgl. loc. cit.: S. 474-475. „Contrariae acceptiones semper sunt in animo continents." Vgl. EN VII,3: 1147b 1-2.
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Ein weiterer Text, der für Alberts Auslegung bedeutungsvoll ist, ist Robert Grossetestes Commentarius in posteriorem analyticorum libros. Dort diskutiert Grosseteste ausführlich die Eigenart und die Stärke der Meinungen und des Wissens in aristotelischer Wissenschaft. Grosseteste unterscheidet zwischen scientia communiter, die Kontingente Sachverhalte begreift, scientia proprie, deren Gegenstände immer oder zumeist unverändert bleiben, und scientia magis proprie, deren Gegenstände unveränderlich sind. Die letztgenannte scientia kann anhand logischer Beweise fortschreiten, während das Wissen in bezug auf die kontingenten Sachverhalte ohne strenge Beweisführung vorgeht. Darüber hinaus spricht Grosseteste von Meinungen, die im breiten Sinne als cognitio cum assensu bzw.fides bezeichnet werden. Im strengen Sinne ist die Meinung für Grosseteste eine Zustimmung (acceptio) an etwas, dessen Gegensatz auch Evidenz besitzt30. Grosseteste thematisiert die moralische Gewißheit nicht, aber seine Abstufung von scientia und opinio ermöglicht eine differenzierte Rede von der variierenden Stärke, mit der die kontingenten Sachverhalte beurteilt werden. Er sagt zum Schluß seiner Analyse, daß es die Aufgabe der Ethik sei, solche Seelenkräfte zu studieren, die ohne logische Beweisführung ihre Kenntnisse gewinnen müssen31. So haben die nicht-demonstrierbaren Kenntnisse und Meinungen mit der Ethik zu tun.
4. Albertus Magnus und Thomas von Aquin Die spätmittelalterlichen Kommentare zur Nikomachischen Ethik zeigen, daß die Erklärungen von Willensschwäche keineswegs uniform sind. Im Gegenteil versuchen die Autoren originelle Erklärungen zu bieten, die von den Vorgängern deutlich abweichen. William Courtenay betont, daß die spätmittelalterlichen Universitäten einen innovativen und vielfältigen Lehrbetrieb befördert haben32. Die Diskussion um die aristotelische Willensschwäche ist ein gutes Beispiel für diesen Sachverhalt: ein neues Thema wird bewußt in unterschiedliche Richtungen weiterentwickelt. Bei Thomas von Aquin begegnet uns das Problem, daß derselbe Ausleger zwei unterschiedliche Erklärungen von c n K p a o l a zu geben scheint33. In seinem Kommentar zur Nikomachischen Ethik konstatiert Thomas, daß die akratische Person nicht aktuellen
30
31 32
33
Vgl. ROBERTUS Grosseteste: Commentarius in posteriorem analyticorum libros. Ed. Pietro Rossi. Firenze 1981. Vgl. z.B. S. 278, 17-22: „Opinio autem dicta communiter est cognitio cum assensu, et sic est idem quod fides, et secundum hoc opinio est genus scientie et opinionis proprie et magis proprie, et quiequid scitur opinatur hoc modo. Opinio vero proprie dicta est acceptio unius partis cum timore alterius, et secundum hoc non est scientia opinio." Die Dreiteilung der scientia findet sich auf S. 99, 9-28. Vgl. loc. cit.: S. 286, 180. Vgl. COURTENAY, William: Schools and Scholars in Fourteenth Century England, Princeton 1987, S.191. So vor allem KENT, Bonnie: Transitory Vice: Thomas Aquinas on Incontinence. In: Journal of the History of Philosophy 27 (1989), S. 199-223.
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Gebrauch vom Untersatz des praktischen Syllogismus macht. Wenn die Leidenschaft die Beurteilung der partikularen Umstände verdunkelt, reicht die scientia des Obersatzes allein nicht aus, die richtige Handlung zustande zu bringen34. Obwohl Thomas in anderen Kontexten Alberts Einsicht von der Ungewißheit der moralischen Wahrheiten gebraucht35, hat Albert meines Erachtens seine Auslegung von Ethica ad Nicomachum VII nicht beeinflußt. Interessanterweise lehrt Thomas in De malo und in der Summa theologiae, daß die akratische Person die sündige Handlung wählt. So scheint er eine nicht-aristotelische bzw. theologische Erklärung von äicpacria zu bieten, die das Entscheidungsvermögen der Person als Grund der sündigen Handlung gibt. Die Aristoteles-Auslegung im Kommentar zum siebten Buch der Nikomachischen Ethik befürwortet aber eine philosophische Lösung, die die Ignoranz der partikularen Umstände betont und die akratische Handlung nicht als gewählt bezeichnet. In meinem Buch ist vorgeschlagen worden, daß diese zwei Modelle letzten Endes allerdings als miteinander vereinbar verstanden werden können. Dem Vorschlag zufolge vollzieht sich die akratische Überlegung bei Thomas in zwei Schritten. Im ersten Schritt präsentiert die Leidenschaft die partikulare Versuchung, die die anderen partikularen Umstände in den Schatten drängt und somit eine ungewählte Ignoranz verursacht. Daß der ctKpatfiq danach tatsächlich dieser vorgestellten Versuchung folgt, geschieht allerdings als zweiter Schritt, der willentlich (eligens) vollzogen wird36. Obwohl die Position des Thomas so verstanden als konsistent erscheint, haben die lateinischen Ausleger der Ethica ad Nicomachum VII um 1280 drei prinzipielle Alternativen, die aristotelische Willensschwäche zu erklären. Die theologische Erklärung von Thomas kann in die Richtung des Voluntarismus weiterentwickelt werden, während seine philosophische Lösung die ungewählte Ignoranz und somit den Intellektualismus betont. Alberts Kommentare bieten eine dritte Alternative, dergemäß die Ungewißheit der moralischen Urteile die Willensschwäche ermöglicht. Wir wissen, daß diese drei Modelle tatsächlich eine Nachwirkung in der Zeit nach 1280 erlebt haben37. Es ist im weiteren möglich, daß Alberts Gedanken, vermittelt durch Johannes Buridan, bis zur Reformation und zum spanischen Probabiliorismus einen Einfluß ausgeübt haben38.
34
35 36
Vgl. THOMAS de Aquino, Sententia libri Ethicorum, 1. VII, c. 2-3. In: Ders.: Opera omnia (Ed. Leonina), 47. Roma 1969, S. 385-393, bes. S. 393, 310-327. Z.B. in Summa theologiae, IIa-IIae, q. 70, a. 2, c.a. Vgl. THOMAS de Aquino, De malo, q. 3 a. 9-12, in: Ders.: Opera omnia (Ed. Leonina), voi. 23. Roma 1982, S. 83-94. Summa theologiae, IIa-IIae, q. 155, a. 3 und q. 156, a. 3, ad 1. Vgl. SAARINEN [Anm. 4], S. 121-125.
37
Vgl. SAARINEN [Anm. 4],
38
Siehe z.B. KANTOLA, Ilkka: Probability and Moral Uncertainty in Late Medieval and Early M o d e m Period. Helsinki 1994.
COLLEEN
A. MCCLUSKEY, Saint Louis M O
Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action In addition to being the teacher and mentor of Thomas Aquinas, Albert the Great was also his contemporary since Albert enjoyed a career of teaching and writing long after he participated in Aquinas's education. Given their twin roles of mentor-student and prominent, highly respected thinkers in their own rights, comparisons of their theories are inevitable. In this paper, I shall compare Albert's and Aquinas's views on one issue, that of human action and its freedom. My examination raises certain difficult questions, to which I will give tentative and preliminary answers. It will be clear that more research is required on this issue. In particular, it will be apparent from my discussion that Albert and Aquinas hold very different views on this subject. This leads one to wonder about the extent to which Albert influenced Aquinas's theory. Moreover, I shall argue that Aquinas's theory of action is somewhat anomalous in the history of this debate. Many of the medieval theories on human action and its freedom, including that of Albert the Great, exhibit a predilection toward voluntarism, roughly the view that free action is due to the will over and above the intellect. Aquinas's theory is a notable exception to this trend since it features the intellect in the predominant role. One wonders how to account for this distinctive character. Aristotle naturally comes to mind. Aristotle's influence upon Aquinas of course is significant and it is often thought that the ancient Greeks, lacking a concept of the will, located freedom of action in the activities of the intellect to the extent that they wrote about the issue at all.1 But does Aristotle's influence account completely for the character of Aquinas's theory? Many philosophers after Aquinas were voluntarists, despite the attention they paid to Aristotle's works. I shall attempt to address these concerns in this paper. But first I shall discuss the historical context in which these theories developed by examining briefly the nature of the debate over freedom in the thirteenth century. Then, I shall present both Albert's and Aquinas's theories of action. Finally I shall discuss the similarities and differences of their views and conclude with a far too brief discussion of the issues I have raised. Until the middle of the thirteenth century, scholars discussed the topic of human action and its freedom under the rubric of liberum arbitrium. Treatises on liberum arbitrium examine the conditions that enable actions to be free. The term liberum arbitrium is a technical term used to refer to that in virtue of which human beings act freely. Use of the term can be traced back to Augustine. Treatises on liberum arbitrium For discussions of this issue, see especially DIHLE, Albrecht: The Theory of Will in Classical Antiquity. Berkeley, California 1982.
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Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action
during the first part of the thirteenth century took as their starting point a passage in Peter Lombard's Sentences: "Liberum arbitrium is a faculty of reason and will, by which good is chosen with the assistance of grace while evil is chosen when grace is absent." 2 Among other concerns, medieval academics considered how to understand this definition. While it is clear from the definition that both intellect and will have something to do with the ability to act freely, the exact relationship between the intellect and the will in bringing about a free act was much debated. About mid-century, a shift took place in the discussion of free action. Scholars began to refer less to liberum arbitrium and more to voluntas libera.3 One can observe this shift by looking at the works of Thomas Aquinas. In De veritate, dating from the 1250s, Aquinas discusses freedom solely in terms of liberum arbitrium. By the time he is writing Summa theologiae except for a short discussion of liberum arbitrium in prima pars4, he treats the topics covered in De veritate largely in terms of ratio and voluntas. References to liberum arbitrium are scattered throughout the beginning of prima secundae, but the bulk of the discussion is put in terms of intellect and will. By the time of De malo in the 1270s, Aquinas analyses human action, choice, and freedom entirely in terms of intellect and will. Many of the topics that were discussed in De veritate under the heading De libero arbitrio are now discussed under the heading De electione humana. The evolution of Aquinas's technical vocabulaiy mirrors the direction of the discussion of free action during the course of the thirteenth century. With this background in mind, I shall now discuss first Albert's account of action and then Aquinas's account. Writing first in the 1240s, Albert follows the tradition in holding that human beings act freely in virtue of liberum arbitrium. However, he breaks with tradition by holding that liberum arbitrium is a power separate from both intellect and will.5 Albert revised
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PETRUS Lombardus: Sententiae II, d. 24, c. 3: ed. Quaracchi, t. 1. Grottaferrata 3 1981 (Spicilegium Bonaventurianum, 4), pp. 452-453. For a discussion of this shift, see KENT, Bonnie: Virtues of the Will: the Transformation of Ethics in the Late Thirteenth Century. Washington, D.C. 1995, pp. 94-110. T H O M A S de Aquino: Summa theologiae (henceforth: STh) V, q. 83, a. 3-4. There is controversy in the literature over whether Albert held that liberum arbitrium is a separate power over the course of his entire career. I have argued that in De homine, his commentary on the Sentences, and his commentaries on the Nicomachean Ethics, Albert clearly considers it to be separate from intellect and will. His discussion in De anima suggests that he no longer takes liberum arbitrium to be separate but rather to be a composite o f intellect and will. This is puzzling since it is likely that De anima predates the commentaries on the Ethics. I address this concern in a paper, "Worthy Constraints in Albertus Magnus's Theory of Action," forthcoming in Journal of the History of Philosophy. For further discussion, see LOTTIN, Odon: Psychologie et Morale aux Xir etXlir Siècles, vol. 1. Louvain 1942, pp. 119-127; DROUIN, F. M.: Le libre arbitre dans l'organisme psychologique selon Albert le Grand. In: CHENU, Marie-Dominique (ed.): Etudes d'histoire littéraire et doctrinale du XIIIe siècle. Deuxième Série. Ottawa 1932, pp. 91-120;
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his description of action a number of times, from his earliest and most elaborate account in De homine, his treatment in the Sentences commentary, and in his later commentaries on the works of Aristotle, including De anima and Nicomachean Ethics.6 In De homine, he argues that the production of an action involves four steps: deliberation over possible courses of action by intellect, a desire of the will, a choice by liberum arbitrium of either what is proposed by the intellect or what is desired by the will (in the event that they are different) and finally, execution by the will of the particular alternative favored by liberum arbitrium, moving the agent to act.7 Albert modified this account in his later works, dropping the initial desire of the will. On this revised account, action results from the deliberation of intellect, a choice made by liberum arbitrium, and a willing on the part of the will.8 However, in both versions, liberum arbitrium is a power distinct from both intellect and will. Liberum arbitrium is also the human capacity for choice. This is not surprising since Lombard mentions choice in his definition, implying that choosing is the activity of liberum arbitrium. Albert's views on the character of freedom changed significantly over the course of his career. In De homine, he argued that human beings act freely both because they are able to make a particular type of judgment and because they are able to incline themselves in different directions.9 Human beings are able to judge in accordance with the concept of honestum. For Albert, honesta are those things that are valuable in and of themselves, what human beings value for their own sakes, a standard reading in the Middle Ages.10
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REILLY, George C.: The Psychology of Saint Albert the Great Compared With That of Saint Thomas. Washington, D.C. 1934. Whenever available, I have used the Cologne editions of Albert's texts. When unavailable, 1 have relied on the Paris edition. For De homine, I have used both the Paris edition and a recently completed (1998) preliminary version in preparation of the critical edition that the Albertus Magnus Institute graciously made available to me; I wish to thank the Institute and especially Ludger Honnefelder for providing me with this text. Its principal manuscripts are the following: I (Ann Arbor, University of Michigan, Alfred Taubman Library 201, XIII century); O (Oxford, Merton College Library 0.1.7, Coxe 283); and P (Paris, Bibliothèque Nationale de France, lat. 18127, XIII century). The internal divisions of this preliminary text differ to some extent from those of the Paris edition. ALBERTUS Magnus: De homine, q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 575. II Sent. d. 24, a. 5: Ed., Paris, t. 27, p. 402. See also: d. 25, a. 1: ibid., p. 424; Super Ethica, 1. Ill, lect. 4: Ed. Colon., t. 14,1, p. 154, 53-79, and 1. Ill, lect. 5: ibid., p. 160, 37-58. De homine, q. 70, a. 1: Ed. Paris., t. 35, p. 569. See also op. cit., q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 575. See for example De bono, tr. 1, q. 2, a. 6: Ed. Colon., t. 28, p. 33, 15-18; De nat. boni, tr. 1, pars 2, c. 3, II: Ed. Colon., t. 25,1, p. 7, 11-15; Super Ethica, 1. I, lect. 9: Ed. Colon., t. 14,1, p. 50, 66-68; and Super Ethica, 1. X, lect. 2: Ed. Colon., t. 14,2, p. 713, 11-15.
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Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action
In De homine Albert contrasts the human case with that of non-rational animals, which are unable to make judgments of this sort.11 Non-rational animals follow their immediate felt desires. They have no internal mechanism by which the process can be interrupted. A failure to act on the part of a non-rational animal comes about in virtue of an impediment external to the animal's sensory appetite in the event that the appetite has been stimulated. Human beings on the other hand are able to evaluate potential choices for action, considering whether the alternatives to which they are attracted are in fact worthy choices, fitting with their immediate and long-range goals. Because they are able to evaluate possible courses of action in light of their understanding of honestum, they are able to resist a given felt desire if they so choose. This shows that cognitive abilities play a role in checking unrestrained desires. Choice itself is a preference for a given alternative on Albert's view, a function of an appetitive power.12 Thus, human beings act freely in virtue of both intellective and appetitive capacities. On Albert's account, both capacities are functions of liberum arbitrium. Albert modifies this account in later works. He retains his definition of choice as a preference for a given alternative, but he drops the idea that freedom involves the capacity to make judgments secundum rationem honesti. Liberum arbitrium is now wholly an appetitive power.13 Nevertheless, it remains distinct from the will, which is also an appetitive power. Albert does not explain why he altered his theory. His unstated reason in De homine for postulating a third power over and above intellect and will in accounting for the freedom of action is his belief that the intellect is determined by the state of the world.14 This claim implies that the intellect cannot be a source of human freedom. Intellect's activities involve the acquisition of knowledge and judgments about truth. Knowledge and truth are constructed by conditions in the world, over which the intellect has no control. Moreover, the intellect is determined by its recognition of the good.15 Intellect is a necessary condition for free action, since one must identify potential candidates for action before one can act. However, Albert thinks that the constraints present in intellect do not allow the intellect to play a role in the explanation of freedom. Since he holds in De homine that freedom is at least in part a function of a cognitive ability, he must postulate a power over and above the intellect, which lacks the requisite control over its activities, and the will, which lacks the required cognitive capacities, in order to account for human freedom.
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De homine, q. 70, a. 1: Ed. Paris., t. 35, p. 569. Op. cit., q.70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 575. See for example, Super Ethica, 1. Ill, lect. 5: Ed. Colon., t. 14,1, p.160, 42-57. De homine, q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 578; op. cit., q. 70, a. 4,3: Ed. Paris., t. 35, p. 586. Op. cit., q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 575 and 578.
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Thus, Albert's position in De homine is motivated, but it does not remove the problems associated with determinism in the intellect. For liberum arbitrium suffers analogous constraints in judging the worth of alternative courses of action. Perhaps Albert saw this problem later in his career, leading him to drop the idea that the ability to make such judgments plays a role in free action. In that case, freedom would be a matter of being able to choose what one wants, and the power in virtue of which one chooses freely would be an appetitive power. Albert has an additional motive for making this modification. He defines choice, even in De homine, in terms of preferences and inclinations. But preferences and inclinations are the provenance of appetitive powers. There would be no reason to characterize liberum arbitrium as a cognitive power. But this does not address the reasons why Albert maintains that liberum arbitrium is a distinct power, especially in light of his tradition, which defines liberum arbitrium solely in terms of intellect and will. Albert accepts Lombard's definition and must account for what appears to be at least on the surface an apparent deviation.16 In his Sentences commentary, he implies that choice, despite his definition in terms of preferences, differs sufficiently in character from an act of willing. He distinguishes between two kinds of choosing: choosing on the basis of a spontaneous consent and choosing on the basis of right reason. Liberum arbitrium is associated with the first kind of choosing, but not with the second, which interestingly, Albert claims is not a free act. The latter involves choosing the better alternative and Albert argues that such a choice is compelled by right reason and is a function of the will.17 Albert's distinction between two kinds of choices provides a motivation for maintaining a separation between liberum arbitrium and the will. Choice is a matter of inclination so it requires an appetitive power. But Albert thinks there is an important difference between two types of choice, requiring separate powers. This position is surely puzzling but space does not permit further elucidation. Over the course of his long career, Albert simplified his account of action, moving from a four-step theory of action to a three-step theory. Intellect, will, and liberum arbitrium remain distinct powers, but liberum arbitrium evolves from a power with both cognitive and appetitive capabilities to a wholly appetitive power. Having discussed Albert's views of action, I will now go on to examine those of his student and contemporary, Thomas Aquinas. 16
17
He is aware o f this need; see De homine, q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 576. II Sent. d. 24, E, a. 7: Ed. Paris., t. 27, p. 404. He makes a similar although more general distinction in one o f his "Ethics" commentaries: Ethica, 1. Ill, 1,16: Ed. Paris., t. 7, p. 219-220.
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Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action
II The sources for Aquinas's theory of action include De veritate, Summa theologiae, and De malo, and to a lesser extent Summa contra gentiles. In all of these accounts, Aquinas argues that human action results from the interaction between intellect and will. Other powers, especially the passions of the sensory appetite, can influence the particular acts that we perform; intellect can take into account a particular passion in its calculations and the will can consent to a given passion. But the passions cannot overpower a properly functioning intellect and will; if a properly functioning human being acts on passion, she has assented to doing so in virtue of her intellect and will. Aquinas's most elaborate account of action is found in prima secundae of Summa theologiae. After looking at the first principle of human acts (the will and its object, the end or goal), he goes on to describe the process by which an action comes about. Human beings are so constructed that what moves them to act is an end, which they view as a good of some sort.18 The will is a rational appetite insofar as it is an inclination for the good as conceived by the intellect.19 The will is moved towards a given end in virtue of which it moves the intellect to deliberate over the potential means to that end.20 The will consents to and chooses a particular alternative for action in the light of the intellect's deliberation.21 The intellect commands that the selected alternative be brought into being and the will moves the powers of the body to perform the particular course of action in the light of the intellect's command.22 Finally, in virtue of the will, the agent takes delight and enjoys the achievement of the goal or end on account of which she acts.23 Aquinas's theory of freedom is complex and highly nuanced. For Aquinas, human beings act freely by exercising their intellective capacities, that is, intellect and will. On Aquinas's account, the will plays a major role in bringing about a human action, but I shall argue that the intellect plays the larger role in bringing about the freedom of that action.24 In De veritate, Aquinas states, "The entire root of freedom is established in 18
STh I a - i r , q.l, a. 1 and a.4.1 used the Leonine edition for Aquinas's texts except for the commentary, for which I used Mandonnet's edition.
Sentences
19
STh I ' - i r , q. 9, a. 1 and STh I-II, q. 8, a. 1.
20
STh I a -II a e , q.14, a.l.
21
For consent, see STh I-II, q. 15. For choice, see STh I-II, q. 13. m r - i r e , q . l 7 , a . l anda.3. STh I'-II** , q. 9. My interpretation of Aquinas's theory of freedom is highly controversial. For other interpretations, see STUMP, Eleonore: Aquinas's Account of Freedom: Intellect and Will. In: The Monist 80 (1997), pp. 576-597; RIESENHUBER, Klaus: The Bases and Meaning of Freedom in Thomas Aquinas. In: Proceedings of the American Catholic Philosophical Association 48 (1974), pp. 99-
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reason." 25 This is because the appetite follows a judgment about what to do and if that judgment is not in our power, the appetite and the action that follows upon the appetite cease to be in our power as well.26 But human beings retain power over their own judgments in virtue of being able to reflect upon their judgments, and that ability belongs to intellect. 27 This idea is echoed in Summa theologiae where Aquinas argues that human beings choose and perform their actions freely because they are able to evaluate choices freely on account of their intellects.28 Thus, Aquinas calls the intellect the cause of human freedom. 29 The will is important for the production of action, since without a will, no action would come about, but the movement of the will is free precisely because the intellect is free to consider alternative courses of action from various points of view, evaluating their strengths and weaknesses and coming to a particular conclusion about what to do. Thus, in these passages, Aquinas argues that cognitive abilities play a fundamental role in the freedom of human action. On the other hand, in De veritate, Aquinas also claims that "although judgment is a function of reason, the freedom of judging has to do immediately with the will." 30 He argues that the activity of judging insofar as it is judging is an activity of the intellect but insofar as one judges freely, one does so in virtue of the will. Aquinas goes on to define liberum arbitrium in terms of the will as it performs one of its activities, that of choosing. 31 Thus, liberum arbitrium is the will's power to choose. Aquinas does not explain how freedom of judging comes about in virtue of the will's activity of choosing in De veritate. His assertion is puzzling in light of the discussion we examined earlier from De veritate. There we were told that actions are free because of intellect's ability to reflect upon its own judgments, but now we are told that those judgments are free because of the will's ability to choose! Summa theologiae helps to shed light on this puzzle. In his discussion of liberum arbitrium in prima pars, Aquinas also identifies liberum arbitrium as the will's ability to choose. 32 In STh I, q. 83, a. 3, he addresses the objection that since liberum arbitrium
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111; GALLAGHER, David M.: Free Choice and Free Judgment in Thomas Aquinas. In: Archiv für Geschichte der Philosophie 76 (1994), pp. 247-277. T H O M A S de Aquino: De veritate, q. 24, a. 2: Opera omnia (Ed. Leonina), t. 22, 3. Roma 1976, p. 685. Although Aquinas does not state this, his discussion implies that the appetite in question is the will. De veritate, q. 24, a. 2: ibid. STh Ia-IIae, q. 13, a. 6. STAI'-II", q. 17, a. 1 ad 2. De veritate, q. 24, a. 6: Opera omnia (Ed. Leonina), t. 22, 3. Roma 1976, p. 695. De veritate, q. 24, a. 6: ibid. See also STh Ia, q. 83, a. 2-4. STA Ia, q. 83, a. 4.
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Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action
is called a free judgment and judging is an activity of a cognitive power, liberum is a cognitive power, not an appetitive one. Aquinas replies that judgment in the case of liberum arbitrium is a type of conclusion and determination of deliberation. But the determination of deliberation involves both cognitive and appetitive powers, because it includes both a verdict (sententiam) from the intellect and an acceptance from the appetitive power (that is, the will). Thus, this type of judgment is not wholly a function of the intellect. Aquinas's language suggests the termination of deliberation and the subsequent initiation of choice. This fits with his definition of liberum arbitrium as the will's ability to choose. Thus, in order to understand judgment in this sense, we need to consider Aquinas's account of choice, the most elaborate description of which is found in Summa theologiae. In Summa theologiae Aquinas argues that although choice is materially an act of the will, it is formally an act of the intellect.33 Choice is materially an act of the will in the sense that the will is the power that does the actual choosing. Unless an agent had a will, she would never choose. But choice is formally an act of the intellect in the sense that the intellect gives form to the choice by specifying its content. Now this claim is ambiguous between a strong and a weak interpretation. In the weak sense, the intellect provides content for the choice by providing different courses of action from which to choose.34 The final alternative actually chosen is up to the will. On this view, the will plays a direct role in determining the content of the choice. But this interpretation fails to take seriously Aquinas's assertion that choice is formally an act of intellect, since it entails that the will forms the content of the choice through its specification of the alternative that makes up the choice. The intellect is left out of choice altogether; its role is prior to choice in the activity of deliberation. On the strong interpretation, the intellect not only considers alternative courses of action open to the agent, but also determines the alternative that is chosen by the will. Thus, choice is formally an act of the intellect, in the sense that the intellect specifies the actual content of what is chosen (gives it its form, so to speak), while materially an act of the will, since without a will there will be no choice (thus, the will provides the matter, that is, the actual choice). On the strong interpretation, the intellect has the larger role in the formation of the choice. While the will executes the choice, the intellect determines the content of the choice. But Aquinas also thought that the will can act as an efficient cause upon the intellect, thereby having control over the intellect's activities.35 It is able to move the intellect to deliberate in the first place and able to move the intellect to consider one arbitrium
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35
STh I a -II ae , q. 13, a. 1. My discussion here appears to rest on implicit assumptions about the role of alternative possibilities in free action. I think that my point is made clearer if we assume alternative possibilities; however, nothing I say requires that there be alternative possibilities. STh I a , q. 82, a. 4; STh I a -II ae , q. 14, a. 1, ad 1; STh I a -II ae , q. 17, a. 1 and 6.
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thing rather than another or to stop considering a particular thing altogether. It appears from this that the will is in a position to influence directly the content of the choice it eventually makes. While the intellect specifies the content of the choice, the will contributes to that content by shaping the direction of the intellect's activity. This position might suggest that ultimately freedom is a function of the will (or a function of the interaction between intellect and will) in virtue of the will's control over the intellect's activity. It implies that human beings act freely because of the will's ability to move the intellect to its act, which contradicts the claims considered earlier that freedom is primarily a function of the intellect. But this position fails to acknowledge an important part of the complete picture. On Aquinas's account, the will is not an apprehensive power.36 Although the will is able to move the other powers to their activities, including the intellect and the will itself, it does so only in response to a judgment by the intellect that doing so is a good. The will is an appetite for the good as cognized by the intellect; it depends upon the intellect for its object in virtue of which it engages in its characteristic activities. While it is true that the will is able to move the intellect to consider say one alternative for action over another, it does so only in response to the intellect's judgment that doing so is good. Thus, in the end, the intellect directs the will's efforts to direct the intellect's activities. Aquinas's view of the will's control over the intellect's activities does not support the position that ultimately the will is in control. Thus, it does not imply that the content of the choice is determined ultimately by the will. This discussion helps to illuminate Aquinas's notion of free judgment in De veritate. The judgment under consideration is not simply a judgment. Rather it is a choice. That a choice comes about freely is due to the will insofar as the will is the immediate principle of choice. That a choice comes about at all is due to the will. But the will chooses freely in virtue of the intellect's activities. Thus, while the will is the immediate principle of freedom, the intellect is the ultimate principle of freedom. This position harmonizes with Aquinas's other claims in De veritate.
Ill
From my descriptions, it is obvious that Albert and Aquinas hold very different views, especially on the freedom of action. Even in De homine, Albert's theory of freedom retains a voluntarist character. Albert argues that the will preserves a basic independence from the intellect; the will is free to desire in opposition to a judgment of the intellect.37 Despite the role played by certain cognitive abilities concerning free action,
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He makes this clear at STh Ia, q. 83, a.3, ad 3. ALBERTUS Magnus: De homine, q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 578.
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Albertus Magnus and Thomas Aquinas on the Freedom of Human Action
Albert never denies a key idea of voluntarist theories, that is, the will's autonomy. In his early writings, the ultimate source of free action, liberum arbitrium, possesses appetitive capacities, becoming wholly an appetitive power in his later writings. Thus, for Albert appetitive powers play a major role in free action. Aquinas, on the other hand, despite his emphasis on the will and its role in the production of action, maintains an intellectualist theory of freedom, defending the central importance of the intellect in human freedom and never asserting that the will could will in opposition to the intellect's judgment. The medieval debate over freedom prior to Aquinas was generally voluntarist in character. On these accounts, free action is possible ultimately in virtue of the will's activity and largely insofar as the will is able to will in opposition to the intellect's judgment. Both Bernard of Clairvaux (in De gratia et libero arbitrio) and Philip the Chancellor (in Summa de bono) assert these claims. There are important exceptions; In Summa aurea William of Auxerre for example defines freedom in terms of reason. But William also argues that the will is a part of reason and plays an important role in allowing for freedom of action. Thus, the climate in which Aquinas matured emphasized the will over the intellect with respect to human freedom. What explains Aquinas's intellectualism? What role did Albert play in its development? These are intriguing questions. Unfortunately, I am able to suggest only some tentative answers. It will be obvious from my discussion that much more research needs to be done on this issue. Common wisdom dictates that the answer to the first question is surely the influence of Aristotle. If one examines the structure of prima secundae in Summa theologiae, one recognizes its similarity to the Nicomachean Ethics?* Both authors begin with a discussion of the ultimate human end, happiness, continuing on with an examination of action and finally arriving at an in-depth discussion of the virtues. Aquinas's treatment is more elaborate, and there are important differences, of course, but this general pattern illustrates Aquinas's conscious devotion to basic Aristotelian moral concepts. Not only does he adopt Aristotle's method of proceeding, but an examination of the content of his texts demonstrates his incorporation of Aristotelian ideas into his own theory. Thus, Aquinas's theory appears to be very Aristotelian. And Aristotle is thought to fall under the intellectualist tradition to the extent that such labels are appropriate at all in his case. Does Albert play a role in this story? As Aquinas's teacher and contemporary, he surely had some influence on Aquinas's views. He certainly played a role in Aquinas's assimilation of Aristotle's texts. Albert was one of the most vocal champions of the recent influx of Aristotle's works, insisting on the importance of their study. He was one of the first to write systematic commentaries on a large portion of the Aristotelian corpus and his own work demonstrates the influence of Aristotle and his Arabic commentators.39 Concerning Aquinas's own education in ethics and action theory, Aquinas 38
I am grateful to Scott MacDonald for this observation.
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attended and edited Albert's lectures on Nicomachean Ethics during Albert's first tenure as lector at the studium generale at Cologne from 1248-1252.40 Thus, Aquinas gained a familiarity with Aristotle's ethics directly at the hands of his teacher. But did Albert's influence extend beyond his pedagogical role? Did Albert help to shape the content of Aquinas's theory of action? I find no immediate evidence that he did. Aquinas never mentions Albert by name, neither in his examination of competing theories and ideas in the preliminary arguments nor in the presentation of his own views. However, there is evidence that he was familiar with Albert's position. He argues against Albert's view of liberum arbitrium as a distinct power both in his Sentences commentary and in De veritate.4I In his Sentences commentary, Aquinas notes a description of liberum arbitrium as a power situated between the intellect and will, whose act is posterior to both the intellect's judgment and the will's desire. This language matches Albert's description in De homine,42 In De veritate, Aquinas describes (and of course rejects) Albert's position that liberum arbitrium is separate from both intellect and will. If he was familiar with Albert's De homine, Aquinas would have been acquainted with the connection between cognitive abilities and the freedom of human action on Albert's account. Aquinas did not adopt Albert's language of honestum, but he surely would have recognized the substantive role played by cognitive capacities in Albert's early theory. Given the voluntarist climate of the debate, Albert's text provides an example of a cognitive power playing a significant role in the story of human freedom. Albert surely counts as an additional role model for Aquinas. Moreover, Aristotle's work lends itself to a certain fluidity among his interpreters. Among the medieval philosophers who take Aristotle's texts very seriously, one finds a number of conflicting ways in which Aristotle's ideas are incorporated into a given theory. This is illustrated in Albert's theory of action. Although he structures his discussion of liberum arbitrium in De homine in light of Lombard's definition, still we find references to Metaphysics, De anima, and Nicomachean Ethics. The reference to the Ethics is especially interesting. Albert examines an objection that since liberum arbitrium is associated with the voluntary, it ought not be defined in terms of choice. This is because of Aristotle's position that the notion of the voluntary covers more cases than the notion of choice. For example, Aristotle thinks that children act voluntarily but they
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PARK, Katharine: Albert's Influence on Late Medieval Psychology. In: WEISHEIPL, James A. (ed.): Albertus Magnus and the Sciences. Toronto 1980, p. 502. WIELAND, Georg: The reception and interpretation of Aristotle's Ethics. In: The Cambridge History of Later Medieval Philosophy. Cambridge 1982, pp. 660-661. For more information about Albert's interest in and support of Aristotle's works, see V A N STEENBERGHEN, Fernand: Albert le Grand et l'aristotelisme. In: Revue Internationale de Philosophie 34 (1980), pp. 566-574. THOMAS de Aquino: In ¡¡Sent., d. 24, q. 1, a. 3 and De veritate, q. 24, a. 6. ALBERTUS Magnus: De homine, q. 70, a. 2: Ed. Paris., t. 35, p. 576.
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do not act on the basis of a choice. Albert argues that Aristotle associates choice with right reason, but since right reason need not play a role in the choices that come about in virtue of liberum arbitrium, Aristotle's comments don't apply to liberum arbitrium.43 What this reply makes obvious is the fact that Albert sees his position as entirely compatible with Aristotle's theory. Thus, it is possible to see oneself as a good Aristotelian and not hold an intellectualist account of free action. The character of Aristotle's account does not determine the character of his interpreter's accounts. One might respond with some justification that despite his acceptance of and familiarity with Aristotle's texts, Albert is working primarily within the older Augustinian tradition. But the same idea with regard to Aristotle's theory applies to those who come after Albert and Aquinas; one can make the same argument for John Duns Scotus for example (although I don't have space to do so here). Thus, merely working in the Aristotelian tradition is not sufficient to account for the intellectualist nature of Aquinas's account. Obviously, my discussion here is very tentative and raises many questions, none of which I am in a position to answer in this paper. I hope to have laid at least some of the foundations for work on these questions and to have provided some suggestions that may prove to be fruitful for future research.44
43
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Op. cit., q. 70, a. 2: Ed. Paris, t. 35, p. 574 for the objection and q. 70, a. 2: Ed. Paris, t. 35, p. 578 for the reply. I am grateful to Eleonore Stump, Scott MacDonald, and Jeffrey Hause for their many useful comments on this paper.
CHRISTIAN TROTTMANN,
Dijon
La syndérèse selon Albert le Grand Au sein de la psychologie médiévale, la syndérèse constitue une instance atypique qui ne correspond proprement à aucun des schèmes hérités de la philosophie antique. C'est son origine chez Jérôme qui la situe en porte à faux par rapport à ces différentes psychologies, comme nous voudrions le rappeler dans un premier temps. Or ce qu'Albert le Grand a apporté d'original à la réflexion de son temps sur ce thème réside indéniablement dans la place, qu'il fait jouer à la syndérèse lors de l'élaboration du syllogisme pratique dont il reprend le schème à Aristote1. Nous voudrions dans un second temps, en nous limitant à une analyse des passages concernés de la Summa De homme, préciser en quoi consiste cet apport aristotélicien d'Albert qui sera repris par Thomas et son école. Pourtant, cette synthèse reste prudente et attentive à assumer l'héritage de la tradition patristique, voire aussi de la réflexion scolastique des prédécesseurs immédiats d'Albert. L'analyse dans un troisième temps des questions disputées permet de montrer le caractère éclectique et subtil de la synthèse d'Albert.
I. Le terme de syndérèse procède d'un premier éclectisme aux sources mystérieuses Rappelons d'abord la source originelle du terme de syndérèse. Il est repris par la glose au commentaire de saint Jérôme sur Ezéchiel, à travers la médiation de Raban Maur. Citons sans attendre le texte de Jérôme afin de dégager les problèmes qu'il pose: «Plerique, iuxta Platonem, rationale animae et irascentiuum et concupiscentiuum, quod ille XoyiKÔv et GUHIKÔV e t èjti9unTïtiKÔv uocat, ad hominem et leonem ac uitulum referunt: rationem et cogitationem et mentem et consilium eandem uirtutem atque sapientiam in cerebri arce ponentes, feritatem uero et iracundiam atque uiolentiam in leone, quae consistit in felle, porro libidinem, luxuriam et omnium uoluptatum cupidinem in iecore, id est in uitulo, qui terrae operibus haereat; quartumque ponunt quae super haec et extra haec tria est, quam Graeci uocant
La question de la syndérèse chez Albert le grand n'a guère fait l'objet d'une étude spécifique depuis les travaux de Dom Lottin repris dans LOTTIN, Odon: Psychologie et Morale au XlIe-XIIIe siècle, t. II. Louvain 1948. Parmi les travaux qui abordent ce thème dans un cadre plus vaste signalons en particulier: MULLIGAN, R. W.: Ratio inferior and ratio superior in St. Albert and St. Thomas. In: The Tomist 19 (1956), p. 339-367 et PANGALLO, Mario: Lege di Dio, Sinderesi e Coscienza nelle "Quaestiones" diS. Alberto Magno. Rome 1997 (Studi Tomistici, 63).
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La syndérèse selon Albert le Grand
ouvTTipr|aiv— quae scintilla conscientiae in Cain quoque pectore, postquam eiectus est de paradiso, non extinguitur, et, uicti uoluptatibus uel furore, ipsaque interdum rationis decepti similitudine, nos peccare sentimus — , quam proprie aquilae députant, non se miscentem tribus sed tria errantia corrigentem, quam in scripturis interdum uocari legimus spiritum, qui interpellât nobis gemitibus
ineffabilibus.
Nemo enim seit ea quae hominis
sunt, nisi spiritus
pro
qui in eo est,
quem et Paulus ad Thessalonicenses scribens cum anima et corpore seruari integrum deprecatur. Et tarnen hanc quoque ipsam conscientiam, iuxta illud quod in Prouerbiis scriptum est: Impius uenerit in profundum
peccatorum,
contemnit,
amittere, qui ne pudorem quidem et uerecundiam habent in delictis et merentur audire: meretricis facta est tibi, nescis erubescere.
cum
cernimus praeeipitari apud quosdam et suum locum Facies
Hanc igitur quadrigam in aurigae modum Deus regit et
incompositis currentem gradibus réfrénât docilemque facit et suo parere cogit imperio. Quam disputationem partium animae, id est hominis, qui minor mundus ab iisdem philosophis a p p e l l a t o , etiam nos attingemus. 2 » C e t e x t e f o n d a t e u r d e m a n d e r a i t u n c o m m e n t a i r e s u i v i . N o u s n o u s c o n t e n t e r o n s d e relev e r ici q u e l q u e s é l é m e n t s . L e p o i n t d e départ e s t u n e e x é g è s e a l l é g o r i q u e d e s quatre v i v a n t s d e la v i s i o n dì Ezechiel
( 1 , 5 s q . ) qui s e retrouvent, o n l e sait, d a n s Y
Apocalypse
( 4 , 6 - 7 ) . L e s interprétations d e c e t h è m e furent n o m b r e u s e s au c o u r s d e l ' H i s t o i r e , et J é r ô m e p r o p o s e d é j à u n e r e v u e très f o u r n i e d e c e l l e s qui a v a i e n t c o u r s e n s o n t e m p s 3 . L a p l u s c o n n u e reste c e l l e d ' I r é n é e 4 qui fait c o r r e s p o n d r e l e s quatre v i v a n t s a u x É v a n g é l i s t e s , m a i s u n e lecture t r o p o l o g i q u e , d é j à m e n t i o n n é e par J é r ô m e l e s a s s o c i e
aux
m y s t è r e s c h r i s t i q u e s d e la nativité, d e la P a s s i o n , d e la R é s u r r e c t i o n et d e l ' A s c e n s i o n . S o n principal p r o m o t e u r a u M o y e n A g e sera G r é g o i r e le Grand 5 . D e s l e c t u r e s m o r a l e s f o n t c o r r e s p o n d r e à c h a q u e v i v a n t , p a s s i o n s et vertus, v o i r e leur v a l e u r p o l i t i q u e 6 , t a n d i s
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H I E R O N Y M U S Stridonensis: Commentariorum in Hiezechielem libri XIV, I, 6/8: ed. Franciscus Glorie. CChr.SL 75, p. 11,209 - 12,238. Cf. N E U S S , Wilhelm: Das Buch Ezechiel in Theologie und Kunst bis zum Ende des XII. Jahrhunderts. Münster 1912 (Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des Benediktinerordens, 1-2); ALLO, Bernard M.: Saint Jean. L'Apoclypse. Paris 1933; T R O T T M A N N , Christian: La fortune des quatre vivants. A paraître dans les Annales de l'université de Besançon. I R E N A E U S Lugdunensis: Contre les hérésies, III, 1 1 , 8 : éd. Adelin Rousseau. Paris 1985, p. 314315. Notons au passage que l'attribution des vivants aux évangélistes varie selon les auteurs que l'on peut regrouper en trois options principales derrière Irénée, Augustin et Jérôme. G R E G O R I U S Magnus: Homélies sur Ezéchiel II, 15 à V: éd. Charles Morel. Paris 1986 (Sources Chrétiennes [désormais SC] 327), p. 104-195. Cf. par exemple R U P E R T U S Tuitiensis: In Apocalypsim Joannis Apostoli, III, IV: PL 169, 916 CD: «Nam il le prudenter in exterioribus administrando, homo est; alius coelestia sublimiter contemplando, aquila est; alius severitatem magistri digne exercendo, et virga disciplinae bene utendo, leo est; alius per spiritum mansuetudinis inferioribus compatiendo, vitulus est. Qui autem omnium istarum virtutum particeps est et secundum omnia haec pro tempore et re semetipsum
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qu'un axe plus studieux les associera aux différents livres de l'Ancien et du Nouveau Testament, voire aux différentes parties de la philosophie 7 . Mais pour l'heure l'interprétation qui nous intéresse est psychologique. Or Jérôme la cite parmi un grand nombre d'autres. Il ne semble donc pas en être l'auteur, mais plutôt se faire l'écho d'une tradition antérieure où son censés se reconnaître "la plupart des platoniciens", mais qui reste pourtant difficile à déterminer. Cette exégèse associe sans difficulté aux trois premiers vivants les trois composantes de l'âme platonicienne. La partie rationnelle correspond à la figure humaine et le courage, partie irascible, au lion. Quant au bovin qui ne semble pas ici adulte (vitulus), c'est la partie concupiscible qui lui revient. On notera que cette partie inférieure de l'âme est associée au foie, conformément à la physiologie platonicienne que l'on trouve dans le Timée (70 d-e). Quant au quatrième vivant, l'aigle qui vole au-dessus des trois autres, Jérôme lui fait correspondre l'esprit qui ne se mélange pas aux autres puissances de l'âme, mais les corrige, celui qui "intercède pour nous en des gémissements ineffables". Le texte amalgame trois citations de Paul {Rom. 8,26, I Cor. 2,11 et / Thess., 5,23), non sans ambiguïté. S'agit-il de l'esprit humain qui seul peut scruter ce qui est en l'homme, ou de l'Esprit saint qui vient assister sa prière? En fait c'est le schème ternaire paulinien: corps, âme, esprit qui vient en sa verticalité s'articuler à la première tripartition de l'âme platonicienne. Mais du coup la quatrième instance de la syndérèse se retrouve dans une position privilégiée par rapport aux trois autres. Elle est cette étincelle de la conscience qui ne s'éteint pas et poursuit Caín jusque dans sa tombe, produisant le remords de l'impie.
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conformare potest, ille vero utilis est in domo Dei, et illi cum Apostolo dicere licet: "imitatores mei estote, sicut et ego Christi" (I Cor. 4,16).» «Quid etiam tres libri Salomonis nisi trinae hujus sapientiae Salomonem ostendunt fiiisse solertem? De ethicis in Proverbiis scripsit, de naturalibus in Ecclesiaste, vanitati enim creatura mundi subjecta est (Rom. 8), de mirabilibus et rationabilibus in Cantico canticorum, eo quod, cum animae nostrae verbi coelestis amor infunditur, et rationi mens sancta connectitur, admiranda mysteria revelatur. Evangelistis quoque quam putas defuisse sapientiam? Qui, cum variis generibus sapientiae sint referti, singuli tamen diverso genere praestant. Est enim sapientia naturalis in Joanne, qui Verbum in principio (Joh. 1) reperii, transcendens angelos et virtutes coelorum. Mattheus singula prospectus secundum hominem, moraliter edidit nobis praecepta vivendi. Marcus rationabiliter mox in principio locandum putavit: 'Ecce mitto angelum meum' (Marc. 1), et, 'vox clamantis in deserto' (ibid.), ut admirationem moverei et, doceret humilitatem in Joanne Baptista, qua D e o placuit. At vero Lucas velut historicum ordinem tenuit, omnes sapientiae species complectens ... Ergo sapientia spiritualis possidet omnem principium, quem falso sibi vindicat humana prudentia, praesertim cum ipsum mysterium Trinitatis sine hoc principatu non sit. Naturaliter enim Pater genuit Filium, moraliter Filius factus est obediens Patri usque ad mortem, rationabiliter a Patre et Filio procedit Spiritus sanctus, qui rationem divinitatis colendae et vitae regendae humanis pectoribus infundit.», ZACHARIAS Chrysopolitanus: In unum ex quatuor: PL 186, 25B-26A, citant en substance AMBROSIUS Mediolanensis: Traile sur l'Evangile de saint Luc, Prologue, 2-4: éd. Gabriel Tissot. Paris 1956 (SC 45), p. 41-42.
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Dans ces conditions, la syndérèse ne se confond-elle pas alors avec la conscience? La présence même de ce terme ne résulte-t-elle pas simplement d'une erreur de copiste? N e faut-il pas lire CTI)VEÎ5T|CTIV et non pas crovtfipriaiv? A la suite d'études déjà anciennes, l'édition critique de Jérôme retient cette leçon 8 . Pourtant une autre tradition manuscrite qui transite jusqu'à la glose de Laon en particulier par le commentaire de Raban Maur, recopiant largement Jérôme 9 , maintient cwui|pT|aav Súvaniv. Cette puissance vole ainsi au secours des autres. Elle se trouve non à droite ou à gauche, mais au dessus d'elles et n'est autre que l'esprit de l'homme (xô 7tveî>(j.a TOÛ àv0p07cou). Ce rapprochement ne va pas de soi et la glose explique encore qu'il s'agit de I'TJYEHOVIKÓV, rendu dans la traduction latine par princeps anime facultas. Ce texte dont l'origine demeure pourtant problématique opère bien une synthèse où les trois puissances platoniciennes de l'âme sont coiffées par un íyye|¿ovtKÓv qui n'est pas sans rappeler celui des stoïciens. On notera toutefois que cette puissance recouvre aussi ce que Paul désigne par l'esprit de l'homme. L'origine de l'étincelle de la syndérèse reste donc encore bien obscure: erreur de transcription pour CTUVEÎSTICTIÇ, (et pourquoi pas pour oniv0f)p), héritage d'une synthèse monastique entre platonisme et stoïcisme en milieu chrétien? La recherche des sources reste en grande partie à mener, mais Origène semble jouer un rôle déterminant. Ce qui est certain, c'est qu'à partir du Xlle siècle, ce terme mystérieux s'est chargé de sens dans deux domaines principalement: celui de la mystique, et celui de la morale. En ce dernier domaine, ce sont d'abord les premiers commentateurs du Décret de Gratien qui vont reprendre le terme de syndérèse pour en faire la faculté réceptive du droit naturel. La glose fournit ainsi à Simon de Bisignano cette puissance susceptible de remonter infailliblement aux principes du droit naturel13. Certains y verront le reliquat de la condition d'Adam avant le péché. Dans le domaine de la mystique, gardons nous de donner dès le tournant du XlIIe siècle à la syndérèse la valeur affective qu'elle prendra ensuite avec Hugues de Balma et la tradition cartusienne. Chez Thomas Gallus qui écrit dans les années 1230, l'étincelle de la syndérèse représente le point de contact entre l'âme créée et la divinité. Elle est à la fois le sommet de l'âme et la lumière qu'elle reçoit de Dieu.
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«Videre est in quolibet animali animam, et in qualibet facie facultates ejus: facultatem rationis in homine; iram in leone; concupiscentiam in vitulo; virtutem auxiliatricem (xriv ßoT|6o\>aav ôi)va(uv) in aquila. Vnde neque a dextris, neque a sinistris hœc esse dixit, sed tribus superiora. Hic autem, ut videtur, spirilus hominis (io u v e t t a TOÛ àvòpàjtotp,) qui in ipso est, animae auxiliatur (lò ßor|0oüv xfi V^xû). Hoc vero sic intellectum non est tutum, sed hic spiritus nihil aliud esse dicatur, qnam princeps animce facultas (TIYE|ÌOVIKÓV). » ORIGENES: Homiliae in Ezechielem, II, 16: PG 13, 681-682; cf. Origenes Werke, 8, éd. Wilhelm A. Baehrens. Leipzig 1925 (Die Griechischen Christlichen Schrifsteller, 33), p. 340. Nous ajoutons le grec entre parenthèses. N o u s remercions Jacques Hubert Sautel, qui nous a aidé à l'IRHT à consulter les microfilms des manuscrits Chigi graecus RVIII 54, fol. 353 v -354 v et Ottob. graecus 452, fol. 192 v contenant ces gloses. SIMON de Bisignano: Summa, Prologue, cité par LOTTIN [note 1], t. II, 1, p. 74.
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Nous comprenons toutefois que l'origine de la notion de syndérèse est à chercher plutôt du côté du platonisme, et éventuellement d'une synthèse de ses formes tardives avec le stoïcisme dans un cadre christianisé. Dans ces conditions nous mesurons l'originalité de l'apport d'Albert consistant à situer le rôle de cette instance psychologique dans le cadre d'une analyse de l'action morale inspirée d'Aristote.
II. L'aristotélisme de la théorie d'Albert sur la syndérèse et ses limites dans le cadre de la Summa De homine. Une analyse des textes d'Albert tirés de la Summa De homine suffira, sans qu'il soit nécessaire d'en mobiliser d'autres dans le Commentaire des Sentences ou ceux des œuvres d'Aristote, à donner une idée à la fois de cette originalité et des limites dans lesquelles Albert entendait la contenir. L'analyse de la décision morale mettant en œuvre le syllogisme pratique n'est en fait explicite que dans la question sur la conscience. Elle ouvre la réponse du premier article. «Qu'est-ce que la conscience?» Albert répond: « Nous disons que la conscience est la conclusion de la raison pratique obtenue à partir de deux prémisses dont la majeure vient de la syndérèse et la mineure de la raison.14» Chaque instance trouve ainsi sa place: la faculté mise en œuvre est la raison pratique et non d'abord la volonté. La conscience sera la conclusion de son raisonnement. Dans ce syllogisme, la majeure à portée universelle vient de la syndérèse, tandis que la mineure est fournie par la raison, car elle concerne le singulier. L'on notera toutefois l'audace de cette adaptation de la morale aristotélicienne. Pour le Stagirite en effet, la délibération ne porte que sur les moyens et non sur les fins. Les moyens sont objet du choix (de ce qui est à faire), tandis que les fins sont objet du souhait raisonné. Ici, sans devenir objet de choix, elles entrent dans la constitution anhypothétique de la majeure du raisonnement moral. Rappelons que dans ce domaine, Aristote renvoie dos à dos ceux qui ne situent l'objet du souhait que dans le bien véritable ou exclusivement dans le bien apparent15. Le relativisme sceptique des seconds n'est pas acceptable, mais l'idéalisme naïf des premiers ne l'est pas davantage. Le Stagirite suggère alors: « Si ces conséquences ne sont guère satisfaisantes, ne doit-on pas dire que, dans l'absolu et selon la vérité, c'est le bien réel qui est l'objet du souhait, mais que pour chacun de nous c'est ce qui lui apparaît comme tel ? Que par conséquent, pour l'honnête homme, c'est ce qui est véritablement un bien, tandis que pour le méchant c'est tout ce qu'on voudra.16 »
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A L B E R T U S Magnus: De homine, II, q. 72: Ed. Paris, t. 35, p. 599: «Dicimus, quod conscientia conclusio est rationis practicae ex duobus praemissis, quarum major est synderesis, et minor rationis.»
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ARISTOTELES: Ethica Nicomachea, III, 6: 1113 a 12 sq. Op. cit.: 1113 b 23-26, trad. Jules Tricot. Paris 5 1983, p. 138-139.
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Pour sa "morale de vertu", la norme de la moralité vient de l'imprégnation de l'action par la raison opérée par la prudence. Car il existe des vertus naturelles. Certains sont enclins presque sans effort à la tempérance, d'autres au courage. Mais de telles vertus ne seront proprement morales que gouvernées par la prudence 17 . Réciproquement pas plus que l'habileté, la prudence ne suffit à la moralité sans une intuition des principes. Or une telle saisie intuitive des principes moraux n'est possible qu'à l'homme de bien. Tout autre sera trop aveuglé pour y parvenir : «Mais la dite disposition ne se réalise pas pour cet "œil de l'âme" sans l'aide de la vertu ... En effet les syllogismes de l'action ont comme principe: "Puisque la fin, c'est-à-dire le Souverain Bien, est de telle nature" ... ; mais ce Souverain Bien ne se manifeste qu'aux yeux de l'homme de bien: car la méchanceté fausse l'esprit et nous induit en erreur sur les principes de la conduite. "»
Nous atteignons ici le "double bind" de la morale aristotélicienne: pas de vertu sans prudence, mais pas de prudence sans vertu. La norme de la moralité qui est la visée du Souverain Bien échappe à la masse des méchants et n'est accessible qu'à l'élite des vertueux. Cependant nous l'avons vu, si le relativisme n'est pas acceptable, c'est bien parce que la visée du souverain bien par l'homme vertueux garde une valeur normative. Mais réciproquement le réalisme naïf postulant une vision face à face du Souverain Bien par l'homme vertueux n'est pas davantage acceptable. Nous sommes tous mauvais et aveuglés à des degrés divers sur les principes de l'action. Pour sortir de l'aporie, il faut donc à la fois affirmer qu'est possible une intuition du Souverain Bien comme fin, seule normative en morale et que cette intuition reste imparfaite en tout homme, mais à des degrés divers: plus claire chez le vertueux, glauque chez le vicieux. Or précisément, n'est-ce pas le coup de force réalisé par Albert le Grand? Introduire dans le syllogisme pratique, une source infaillible des majeures susceptible de viser toujours le Souverain Bien à travers la fin qu'elle assigne à l'action. Tel est le rôle de la syndérèse. Albert donne un exemple de syllogisme pratique: « Tout bien doit être accompli, ceci est un bien, donc ceci doit être accompli. Or la majeure de ce syllogisme vient de la syndérèse à qui il revient d'incliner au bien par des raisons universelles relatives au bien' 9 ». La proposition universelle vient d'une faculté propre à tout homme et non plus des seules habitudes vertueuses réservées à une élite. Restera à en trouver un fondement naturel, à examiner si elle peut s'éteindre chez le vicieux. Nous y venons en examinant
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Op. cit.: VI, 13, 1144 b 1 4 - 1 8 .
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Op. cit.: 1144 a 28-35.
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A L B E R T U S Magnus: De homine II, q. 72: Ed. Paris, t. 35, p. 599: «Omne bonum faciendum: hoc est bonum: ergo hoc est faciendum. Major autem istius syllogismi est synderesis, cujus est inclinare in bonum per universales rationes boni.»
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la question de la summa consacrée à la syndérèse. Mais en attendant relevons que la conscience est la conclusion de la raison indiquant ce qui doit être accompli, tandis que la mineure venant de la raison ne donnait que les raisons de l'accomplir20. La question de la summa De homine sur la syndérèse est divisée en trois articles selon un plan devenu classique à l'époque d'Albert. Le premier porte sur la substance de la syndérèse, tandis que les deux suivants examinent si elle peut pécher ou se tromper, voire s'éteindre chez certains. L'organisation du premier article est complexe puisque les objections examinent successivement si elle est une puissance ou un habitus, si elle se confond avec l'intellect et la raison, si elle est une puissance unique ou plusieurs, ou encore la conjonction de toutes. Enfin le théologien conscient de toucher avec le statut de cette instance psychologique à une question qui regarde les philosophes, se demande pourquoi ils n'ont pas fait mention de la syndérèse. La syndérèse est-elle une puissance ou un habitus? C'est ainsi qu'à la suite de Philippe le chancelier, la plupart des scolastiques formuleront la question de sa substance. On se souvient que le chancelier avait forgé la formule ambiguë de potentia habitualis. On se souvient encore que Thomas d'Aquin21 ne tranche pas dans les questions De Veritate. Selon lui on peut voir dans la syndérèse la puissance dotée de son habitus, aussi bien que ce dernier pris à part. C'est dans la Somme qu'il opte plus nettement pour cette dernière solution, peut-être par souci de simplification dans cet ouvrage "destiné aux débutants". Or la réponse d'Albert ne reprend même pas le compromis du chancelier Philippe. Le maître dominicain voit sans hésiter en la syndérèse une puissance spéciale de l'âme en laquelle sont inscrits les universalia juris22. Et Albert précise immédiatement que de même qu'il y a des principes universels innés dans l'ordre spéculatif, il doit y avoir dans l'ordre pratique (celui des operabilia, des "choses à réaliser"), des principes universels susceptibles de diriger dans l'action. Il précise encore qu'à partir de ces principes, que l'homme n'apprend pas, mais qui sont inscrits dans son esprit comme une loi naturelle, celui-ci est à même de juger de ce qui est ou non honnête dans le domaine des mœurs. On notera enfin que le maître de Cologne voit dans le naturale judicium d'Augustin la traduction latine du terme grec de syndérèse.
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Ibid.: «Secundus autem qui rationis est, non est de faciendo, sed de ratione f a c i e n d i . . . » . Cf. T H O M A S de Aquino: Quaestio de Ventate, 16; Summa Theologiae, I, q. 79, a. 12. A L B E R T U S Magnus: De homine, II, q. 71, a. 1: Ed. Paris, t. 35, p. 593: «Sine prejudicio dico quod synderesis est specialis vis animae, in qua secundum Augustinum universalia juris descripta sunt: sicut enim in speculativis sunt principia et dignitates, quae non addiscit homo, sed sunt in ipso naturaliter, et juvatur ipsis ad speculationem veri: ita ex parte operabilium quaedam sunt universalia dirigentia in opere, per quae intellectus practicus juvatur ad discretionem turpis et honesti in moribus, quae non discit homo, sed secundum Hieronymum est lex naturalis scripta in spiritu humano ... ab Augustino vocatur naturale judicatorium, a Graecis autem synderesis, eo quod cohaeret judicio infallibili universali circa quae non est deceptio.».
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Dans les réponses aux objections, Albert indique bien que cette puissance est dotée de l'habitus des principes du droit naturel, et que pour cette raison seulement elle est infaillible23. Pourtant, on ne saurait y voir un simple habitus, mais bien la puissance dotée de l'habitus24. Quant au rapport de la syndérèse à l'intellect, nous verrons qu'Albert apporte de nouvelles précisions à ce sujet dans sa question disputée sur la syndérèse. Dès la Somme, il précise que si l'on entend intellect en son sens général comprenant toutes les puissances mues à partir de la connaissance, alors la syndérèse relève de l'intellect. Albert ne répond pas plus précisément à ce niveau aux objections qui assimilaient la syndérèse avec l'intellect pratique, seule puissance motrice connue des philosophes susceptible de diriger vers le bien par la connaissance. Il semble cohérent de penser que pour lui la syndérèse relève de l'intellect pratique, en tant qu'elle lui fournit infailliblement les prémisses de ses syllogismes. Mais Albert a conscience de toucher ici une question de psychologie d'ordre philosophique. Aussi pose-t-il cette question: "Pourquoi aucun des philosophes n'a-t-il placé la syndérèse parmi les puissances motrices de l'âme, alors que bon nombre des Pères l'on fait?2S" C'est que ces derniers ne considèrent pas comme les premiers le seul droit humain, mais aussi la justice divine dont la syndérèse située au sommet de la raison s'attache à contempler les principes selon les raisons éternelles. Quant au fait que la syndérèse soit une puissance unique, les objections ne sont pas difficiles à écarter. Si elle ne se contente pas de juger, mais désire le bien et réprouve le mal, ce n'est pas selon le mode de la concupiscence ou de l'irascible. La réponse à la dernière objection mérite en revanche qu'on s'y arrête. N'y a-t-il pas dans chacune des puissances de l'âme un résidu qui n'a pas été corrompu par le péché originel? La syndérèse résulterait de la convergence de ces puissances résiduelles jugeant ce qui est bon et le désirant conformément à la rectitude originelle d'Adam; réprouvant aussi le mal. A cette objection, Albert répond que si la corruption des puissances par le péché n'est pas totale, c'est bien de la puissance corrompue et non de la corruption même qu'émane l'acte pécamineux. Il en va des rapports de la grâce et de la nature. Entendons que pour
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Ibid.: «Dicendum ergo ad primum, quod in Veritas synderesis vis animae est: sed notabile est quod dicit Basilius, quod in ipsa inserta sunt semina justitiae et universalia juris naturalis, et quod semper erit recta si hujusmodi justitiae, hoc est, potentiae eruditionibus excolatur ... Ad auctoritatem autem Hieronymi dicendum, quod in veritate, synderesis est vis cum habitu principiorum juris naturalis ... ». Op. cit., p. 594: «Ad id quod objicitur quod synderesis est habitus, dicendum quod non est simplex habitus, sed nominat potentiam cum habitu, ut dictum est. » Op. cit., p. 593: «Quare nullus Philosophorum posuit synderesim inter potentias animae motivas, cum multi sanctorum posuerunt earn? »
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Albert, toutes les puissances ont été corrompues par le péché et doivent donc être sauvées. Toutefois, il précise que la syndérèse est la partie de l'âme la plus éloignée du foyer de la corruption26. Nous retrouvons ici l'opposition entre le foyer de la concupiscence (fomes) et la syndérèse, développée par les premiers scolastiques. Signalons dès à présent la très belle objection qui dans l'article III repose sur cette opposition27. Puisque le foyer de la concupiscence a pu être éteint chez certains, au moins dans le cas de la Vierge Marie, la syndérèse ne pourrait-elle aussi s'éteindre chez les pires des damnés? Notons qu'il serait théologiquement plus exact de dire que le foyer de la concupiscence ne fut jamais allumé en Marie. Mais Albert qui est dominicain ne relève pas cette faiblesse de l'objectant, plus claire pour nous après la proclamation du dogme de l'immaculée conception. En revanche, il argue que la grâce s'étend plus loin que le péché et peut donc faire totalement disparaître le foyer de concupiscence tandis que la syndérèse demeure à l'abri des assauts du péché. Il maintient qu'elle ne s'éteint pas, mais continue de ronger les damnés du remords qu'elle oppose toujours au mal auquel consent leur libre arbitre. Pour être la partie de l'âme la plus éloignée du foyer de la concupiscence, la syndérèse n'en est pas moins une et non une combinaison des résidus intègres de plusieurs puissances. En son unité, elle peut d'ailleurs bien constituer un résidu de la rectitude originelle. Notons qu'Albert mentionne sans la réprouver l'opinion des quidam voyant dans la syndérèse une partie de la rectitude originelle dont Adam pouvait jouir dans toutes ses puissances. La syndérèse peut-elle pécher et se tromper? Telle est la question posée par le second article. On notera qu'Albert se conforme à l'opinion reçue depuis les Pères: la syndérèse ne se trompe jamais28. Mais il rapporte cette infaillibilité au fait que la syndérèse concerne des principes universels, qui plus est innés. L'erreur se glisse dans leur application par la raison aux cas particuliers. Les exemples proposés concernant les actes
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Op. cit., p. 594: «Ad id quod quaeritur ulterius, Utrum synderesis sit quoddam conjunctum omnibus viribus? Dicendum quod non: licet enim non omnes vires sunt corruptae in totum, tarnen corruptum ab integro est adeo distinctum, quod corruptio sit principium peccati, et actus sine integro: quia corruptio nullius potest esse principium effectivum: unde efficiens in actu est potentia non perfecta, vel cum corruptione: et propter hoc synderesis est specialis pars animae magis inter coeteras elongata a corruptione fomitis, propter quam elongationem a corruptione non potest vinci. Sunt tamen quidam qui dicunt, quod synderesis est pars rectitudinis primae in omnibus viribus.»
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Cf. op. cit., a. 3, ad 2: p. 597. Op. cit., a. 2, p. 595: «Consentiendo sanctis, dicimus quod synderesis nunquam errat. Cuius causa est, quia ipsa non est nisi circa universalia principia et naturaliter nobis inserta, circa quae non potest esse error, sicut verbi gratia non esse fornicandum, non esse occidendum: sed ratio quae est sub synderesi, conferre habet universale ad particulare, et videre utrum hoc sit fornicatio vel homicidium: et quia circa particularia est error maximus, propter hoc, ratio frequenter decipitur. »
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intrinsèquement mauvais: fornication, meurtre se trouvaient déjà dans l'article précédent qui ajoutait un principe positif: la compassion envers l'affligé, parmi ceux de la syndérèse. Au coeur des réponses aux objections, on notera que se retrouve la question de savoir si la syndérèse échappe ou non à la corruption par le péché originel. La réponse d'Albert une fois de plus ne manque pas de subtilité29: l'homme est totalement corrompu par le péché, mais sa corruption n'atteint pas également les différentes puissances. Certaines comme la sensualité seront affaiblies au point de succomber toujours. D'autres au contraire seront encore aptes à vaincre immanquablement comme la syndérèse qui est toujours droite (semper recta). D'autres enfin seront tantôt droites, tantôt dans l'erreur. On reconnaît ici le cas de la raison. Nous ne revenons pas sur le troisième article. L'essentiel de son argumentation a déjà été évoqué. Pour résumer l'originalité de l'apport d'Albert à la réflexion, disons qu'il fait de la syndérèse la source des majeures des syllogismes pratiques portant sur les principes universels du droit naturel. La conscience, elle, ne sera autre que la conclusion. Pour autant il ne voit pas en la syndérèse un simple habitus mais bien comme le Chancelier Philippe une puissance dotée de l'habitus des premiers principes. Cette puissance relève bien pour lui de l'intellect, mais elle est puissance motrice en direction du bien. Par rapport à la morale du Stagirite, le coup de force du christianisme introduit avec la syndérèse, consiste à affirmer que cette intuition du Souverain Bien et des fins qu'il assigne à l'homme percevant ainsi les premiers principes de la loi naturelle n'est pas réservée à l'élite des citoyens vertueux. Même chez le dernier des damnés, la syndérèse ne peut s'éteindre. Si elle ne triomphe pas en imposant à la conscience et au libre arbitre du pécheur le discernement et le choix du bien, elle les ronge de son reproche inextinguible. Mais du coup, on comprend que la morale peut ainsi "se démocratiser" dans un contexte chrétien. Car la grâce s'étend au-delà de la corruption entraînée par le péché originel, et parce que celui-ci ne saurait éteindre complètement l'aspiration de tout homme au bien. La vieille intuition socratique qui assignait au philosophe la tâche de rendre ses semblables meilleurs, un moment limitée par l'élitisme aristotélicien, retrouve toute sa force dans le cadre chrétien de la morale scolastique, par le rôle même qu'elle assigne à la syndérèse. Loin donc de se contenter de christianiser Aristote, Albert, par le rôle qu'il fait jouer à la syndérèse dans la décision morale, en subvertit l'élitisme. La synthèse qu'il propose reste très respectueuse de l'héritage chrétien transmis par ses prédécesseurs immédiats. Cela apparaîtra plus nettement encore au terme de l'analyse de sa question disputée sur la syndérèse et la conscience.
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Op. cit., p. 596: «Ad aliud dicendum, quod homo secundum totum corruptus est a peccato, sed non aequaliter; Corruptio enim est in quibusdam, secundum victoriam, vel in sensualitatem: et in quibusdam debilius, ita quod semper vincitur, ut in synderesi, quae semper est recta: et in quibusdam medio modo, ut in ratione, quae quandoque est recta et quandoque non recta. »
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La syndérèse selon Albert le Grand
Une synthèse fidèle à la tradition chrétienne attestée par les questions disputées.
L'on sait que parmi les deux séries de questions disputées contenant des développements sur la syndérèse et la conscience, attestées par le manuscrit Vatican Latin 781, seule celle qui se trouve dans la seconde peut être attribuée avec certitude à Albert. Nous nous en tiendrons donc ici à l'étude de ce texte aujourd'hui disponible dans l'édition de Cologne30. La question ne comprend que deux articles et non plus trois comme celle de la Somme, laissant ainsi de côté le problème de savoir si la syndérèse peut s'éteindre chez certains. La structure des deux articles est très proche de ce que nous avons trouvé dans la summa De homine. Ce sont les mêmes objections qui reviennent, avec quelques variantes minimes. Pourtant plusieurs précisions sont apportées (surtout dans les réponses) qui méritent qu'on s'y arrête. Tout d'abord la définition de la syndérèse31. Notons qu'elle est conçue comme une puissance motrice (motiva) et pour autant relevant plus de l'intellect que de la volonté. Elle a quelque chose de la connaissance et quelque chose de l'appétit. Pourtant, elle se tient plutôt du côté cognitif. Car elle meut par Yhabitus du droit relatif aux principes universels. Celui-ci relève de l'intellect pratique auquel s'applique l'adage aristotélicien intellectus semper verus, c'est-à-dire semper rectus, dans le domaine moral ôpGôç dans le texte du Traité de l'âme 433 a 26 dont la citation est tirée). Aussi précise Albert, sous l'autorité du Philosophe, un tel intellect répugnera-t-il plus au mal que la volonté qui peut être droite ou non. Les ambiguïtés de la Somme ne sont pas entièrement levées. Le paradoxe d'une puissance motrice relevant de l'intellect et non de la volonté est maintenu. Mais ici Albert s'en explique: c'est de ce côté que se prend la rectitude absolue requise par la syndérèse. Une telle définition résulte d'une division complexe entre les puissances32, que
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Quaestio de Synderesi: Ed. Colon, t. 25,2, p. 232-238. On trouve dans l'introduction des précisions sur l'authenticité des différentes questions. Op. cit., a. 1, sol., p. 234,1. 29-35: «Sic igitur dicimus quod synderesis est quaedam potentia motiva per habitum universalium iuris et habet aliquid de cognitione et aliquid de appetitu, sed plus se tenet ex parte cognitivarum. Intellectus enim practicus magis répugnât malo, cum sit semper rectus, sicut dicit Philosophus, quam voluntas, quae potest esse recta et non-recta». Op. cit., p. 233,1. 39-234,1. 28: «Solutio: Dicimus, quod synderesis est potentia rationalis animae. Et concedimus rationes ad hoc. Potentiarum autem, quae sunt in natura habente cognitionem, quaedam sunt apprehensivae, quaedam motivae et dicimus communiter 'motivas' non solum eas quae movent animal secundum processivum motum, sed ex quibus etiam movetur appetitus ad prosecutionem et fugam; earum autem, quae sunt sic motivae, quaedam sunt universaliter moventes, quaedam particulariter; quae vero motivae sunt universaliter, quaedam vere sunt motivae, quia earum est motus, quaedam vero, quia determinant motum. Sed determinare motum est dupliciter:
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nous traduisons dans le tableau suivant. A partir de ces distinctions, c'est un arbre qu'il faudrait construire, du type de ceux qu'on trouve parfois en marge des manuscrits. N e pouvant réaliser une telle figure sur l'ordinateur, nous nous contentons de situer toujours dans la colonne de gauche les divisions retenues par l'auteur, et indiquons en italiques les puissances obtenues:
aut secundum rationem boni non consideratam in particulari, sed penitus separatam ab appendiciis materiae, et sic est movens intellectus practicus; aut decernit motum considerando rationem boni in particulari coniuncto appendiciis, licet absente materia, et sic est phantasia, quae multotiens errât, quia particularia considérât. Sed potentiae motivae, quarum est motus, sunt duobus modis: aut enim sunt imperatae sicut virtutes affixae musculis et nervis; aut sunt imperantes sicut appetitivae, licet istae sint duobus modis: aut enim moventur ratione borni abstrahentes a materia universali, et sic est voluntas; vel a ratione boni coniuncta materiae, et sic est irascibilis et concupiscibilis, secundum quod moventur a terribili vel delectabili; et hae non sunt vires rationalis animae, sed sensibilis. Quanto enim aliquid magis spirituale est, minus dividitur; unde voluntas rationis non dividitur hoc modo sicut appetitus sensibilis, quia est in subiecto spirituali, et obiectum eius spirituale est, quod non movet ad irascendum vel concupiscendum. Istae ergo potentiae dicuntur universaliter moventes, quia sunt acceptae secundum universales rationes movendi. Et quia Naturalis non habet considerare ea quae spiritualiter ordinant motum, ideo ulterius non dividit eas. Sed hoc Theologi, qui considérât, ea quae spiritualiter ordinant in motu, penes autem quae ulterius accipit alias spéciales potentias motivas. Quod enim ordinat motum, vel est finis motus; et secundum hoc sumuntur potentiae imaginis, per quas anima fertur in Deum vel actu vel potentia. Aut est regulans ad finem, et hoc est duobus modis. Aut enim regulatur aliquis ad finem universalibus quibusdam principiis; et sic est synderesis, quae habet apud se universalia iuris, circa que non est error, sicut est intellectus principiorum in speculativis. Aut regulatur particularibus regulis determinatis ad speciale opus; et istae regulae vel sunt, acceptae a prima rectitudine; et sic est superior ratio, quae inhaeret contemplandis incommutabilibus, ut accipiat rationes proprias regentes in opere; vel sunt acceptae a rebus inferioribus, quae habent rectitudinem aliquam exemplatam a rectitudine prima, et penes has est ratio inferior. »
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La syndérèse selon Albert le Grand
Puissances ayant une connaissance: motrices
Appréhensives
Mouvant par le désir d'obtenir ou de fuir
Mouvant l'animal selon le déplacement
De manière universelle
De manière particulière
Déterminant le mouvement
Possédant le mouvement
Abstraitement
en particulier
Impérantes
Impérées
Intellect pratique
Imagination
Appétitives
Muscles
Appétitive mouvant abstraitement
Mouvant selon une raison de bien matérielle
Volonté
Irascible et concupiscible (âme sensible)
Limite des domaines du Philosophe et du théologien Motion vers la fin
Motion par la fin du mouvement: images
Par des principes universels
Par des règles particulières
Syndérèse
Raison supérieure et raison inférieure
Ce tableau fait apparaître une psychologie complexe d'où il résulte que la syndérèse est une puissance appétitive, relevant toutefois de l'intellect pratique, non de la volonté. Mais les divisions du philosophe qui n'ont pas à prendre en compte la motion spirituelle ne sauraient l'atteindre. Il faut que les théologiens prennent le relais pour distinguer un mouvement provoqué par la fin elle-même ou dirigé vers elle selon des règles universelles et particulières. C'est alors que l'on obtient la division entre la syndérèse qui précisément vise la fin spirituelle à travers des principes universels et d'autre part les raisons supérieure et inférieure procédant à partir de règles particulières. Toutes trois viendront alimenter le syllogisme pratique. On se souvient que la conscience ne sera autre que la conclusion de ce syllogisme. Or la réponse à la huitième objection permet d'apporter encore une précision 33 . Si l'on dit que la conscience aggrave le péché c'est précisément parce qu'elle est un acte, à la
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Op. cit., p. 235, 1. 10-16: «Tertio modo proprie dicitur conscientia, quam dicimus aggravare peccatimi; et haec non est synderesis nec est aliqua alia potentia vel habitus, sed actus. Quod enim non est actu, sed potentia vel habitu, non potest aggravare peccatum; hie autem actus est actus cuiusdam conclusionis, quae infertur ex duabus propositionibus, quarum maior est in synderesi et minor in ratione.»
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différence de la syndérèse ou de tout autre puissance et habitus. La raison ou la syndérèse peuvent bien fournir la majeure ou la mineure du raisonnement moral, c'est dans sa conclusion que réside l'acte qui sera ou non méritoire. Il demeure pourtant un lien particulier entre la conscience et la syndérèse. Albert en propose une explication dans le cadre de l'analyse aristotélicienne du syllogisme pratique34: la lumière de la conclusion vient de celle de la majeure et c'est pourquoi c'est la syndérèse qui est appelée "étincelle de la conscience", et non la conscience elle-même. Mieux, la question sur la conscience qui fait suite à celle de la syndérèse permet d'apporter encore une précision supplémentaire. Ce n'est pas le lieu de proposer une analyse détaillée de cette question, et nous relevons seulement ce point qui nous intéresse pour les relations entre syndérèse et conscience. Dans l'élaboration du syllogisme pratique, Albert distingue deux actes de la raison35: le premier consiste à appliquer l'universel au particulier, le second à décider que quelque chose de particulier doit être fait en vertu du décret universel de la syndérèse. Ce dernier acte seul est appelé conscience. Pourtant, Yhabitus qui le produit n'est pas distinct de celui qui génère le premier (l'acte de subsumer le particulier sous l'universel) et sera parfois appelé conscience, parfois syndérèse. Le texte n'est pas aisé, mais nous comprenons que dans l'intellect pratique prenant sa décision, il n'y a que deux habitus: celui de la syndérèse et celui de la raison mettant en œuvre la majeure et la mineure du syllogisme. La conclusion qui n'est autre que l'acte de la conscience ne relève pas d'un troisième habitus, mais de ces deux là seulement. C'est bien le même habitus de la raison qui lui permet d'assumer le particulier sous le décret universel de la syndérèse et de conclure ce qui est à faire. Et cette dernière décision (de la conscience) se prend dans la lumière supérieure de la syndérèse. Nous laissons là les précisions apportées par le premier article des questions sur la syndérèse et sur la conscience. La syndérèse peut-elle déchoir? Tel est le problème posé par le second article de la Quaestio de synderesi. Nous remarquons que le terme praecipitari, directement repris à la glose de Jérôme sur Ezéchiel vient ici remplacer peccare et errare qui figuraient dans la summa De homine. Il va permettre à Albert encore un compromis subtil. Car il conclut d'abord conformément à la tradition que la syndérèse ne peut déchoir, et cela pour la raison déjà avancée dans la Somme: c'est parce qu'elle est perfectionnée par Vhabitus qui l'incline toujours au bien que la puissance motrice qu'est la syndérèse reste infaillible. 34
Op. cit., p. 235, 1. 22-25: «et quia lumen conclusionis est ex maiore, ideo dicitur synderesis vel 'scintilla conscientiae', et non ipsa conscientia. »
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Quaestio de conscientia II, a. 1, sol.: ibid., p. 240, 1. 34-42: «Primus ergo actus rationis, qui est accipere particulare sub universali, non est conscientia, sed secundus, qui est decernere aliquid faciendum in particulari propter decretum synderesis in universali. Sed ad istum actum non perficitur alio habitu quam ad primum, qui habitus quandoque dicitur conscientia vel habitus, qui est in synderesi, quia per utrumque habiles sumus ad hunc actum, cum sit ordinatus ad actum utriusque potentiae.».
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La syndérèse selon Albert le Grand
Mais dans la question disputée, Albert en tire les conséquences. Ce n'est pas la puissance en elle-même, entendons sans Yhabitus qui est infaillible, car ainsi aucune puissance motrice de l'âme rationnelle ne pourrait être détournée du droit chemin, ce qui est faux. Mais ce n'est pas non plus Yhabitus seul, car il est un être imparfait qui a besoin d'une puissance opérant par lui36. La conjonction des deux: puissances et habitus est donc requise pour que la syndérèse soit infaillible. Faut-il à ce niveau opposer Albert à Thomas qui dans la Somme théologique?7 semble opter pour une syndérèse réduite au seul habitusl Faut-il considérer que la véritable pensée de Thomas se trouve dans les questions de Veritate qui ne rejettent pas la potentia habitualis héritée de Philippe le Chancelier? Ce n'est pas ici le lieu de se prononcer sur cette question épineuse mais intéressant surtout le thomisme. Admirons plutôt la subtilité d'Albert. Il affirme la nécessité de ne pas dissocier Yhabitus de la puissance si l'on veut sauver l'infaillibilité de la syndérèse, mais il précise encore que cette perfection se prend plutôt de Yhabitus qui vient déterminer la puissance ad unum, entendons ici dans le seul sens du bien moral. Faisant référence à L'Ethique à Nicomaque (1141 a 5-8) il voit ainsi dans la syndérèse la vertu d'intelligence, seule parmi les vertus noétiques à pouvoir saisir intuitivement les principes. Car précisément, cette saisie intuitive des principes, que ce soit dans le domaine spéculatif ou pratique échappe à toute erreur. C'est ainsi qu'Albert entend le propos d'Aristote dans le Traité de l'âme ( 433 a 26) où est évoquée l'infaillibilité de Yintellectus semper verus. Nous saisissons bien ici l'autocritique de la raison pratique impliquée par la conception médiévale de la syndérèse et la lecture d'Aristote qu'Albert inaugure. S'il y a bien une raison infaillible, ce n'est pas dans la mise en œuvre des raisonnements qu'elle réside, mais dans la saisie intuitive des principes. Faut-il en déduire que l'intellectus semper verus est seulement la vertu d'intelligence ou la puissance intellective informée par lui? Chez Aristote c'est le même mot VOÛÇCT qui désigne les deux. Notons simplement ici qu'Albert se garde bien de les dissocier en une éthique désincarnée. Si la perfection se prend de la vertu elle ne saurait être séparée de la puissance qui opère par elle. Reste
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Quaestio de Synderesi, a. 2, sol.: op. cit., p. 237,1. 13-28: «Sed non est ex ratione potentiae tantum quia sic nulla potentia motiva rationalis animae posset deflecti, quod est falsum. Nec est iterum ex habitu tantum, cum habitus sit quid imperfectum in esse, unde indiget aliqua potentia in qua sit, quae per ipsum operatur. Restât ergo, quod hoc sit ex utriusque coniunctione, tamen magis ex ratione habitus, qui est perfectivus potentiae. Habituum enim, qui perficiunt potentias motivas animae rationalis, quidam ex toto complent potentias determinando ad unum necessario, ut ille quo cognoscuntur principia juris, circa quae non est error. Et huiusmodi est intellectus qui est rectus, ut dicitur in De Anima, sicut etiam manifeste dicit Philosophus in VI Ethicorum. Et hunc appellamus synderesim.» THOMAS de Aquino: Summa Theologiae, V, q. 79, a. 12.
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à comprendre comment cette détermination ad unum de l'intellect pratique par la syndérèse préserve encore quelque liberté. Et c'est ce que permet la fin de la solution du second article. Comment un tel habitus peut-il déterminer une puissance qui par elle-même serait ad utrumque, capable du vrai comme du faux, du bien comme du mal, au point de la rendre infaillible 38 ? Albert reprend à titre d'exemple, dans le domaine spéculatif, la distinction classique entre les différents degrés de la certitude intellectuelle. L'opinion ou le soupçon laissent la puissance intellective dans une certaine indétermination (flexibilitas) à l'égard des deux possibilités. L'intelligence au contraire ou encore la science, qui perfectionnent complètement l'intellect, ne laissent plus de place qu'à l'une des alternatives: le vrai. Ainsi la syndérèse prise en elle-même ne peut déchoir car elle est puissance rationnelle par nature, ut natura. Ici Albert précise encore que ut natura peut se comprendre au sens où c'est la nature qui fournit à l'homme ce qui est nécessaire à la conservation de son être. Mais de là, la syndérèse ne saurait tirer son infaillibilité. Il faut plutôt comprendre qu'elle tire sa perfection de principes introduits en elle lors de la création de sa nature. C'est par ce type de principes, ou plutôt d'habitus des principes, que l'intellect comme puissance naturelle, et en particulier l'intellect pratique atteint la perfection qui le rend infaillible. Pour cela, il n'a qu'à suivre sa nature d'intellect, sans avoir à prendre la peine de délibérer. Sans doute retrouvons-nous ici simplement l'opposition entre naturel et délibéré qui a cours à l'époque d'Albert. Dans la réponse à la troisième objection de la question suivante, il précise d'ailleurs que cet habitus des principes est introduit avec la nature, mais non par elle; bien plutôt par Dieu au moment de sa création.39 Pourtant, ce don naturel, qui n'est pas la grâce, n'en préserve pas moins la liberté. Albert précise que ce n'est pas parce que cette puissance est déterminée ad unum sicut natura, qu'elle opère ut natura. Cette détermination par une perfection dont le principe est infus par Dieu n'induit aucune nécessité. Elle n'opère pas ut natura, c'est-à-dire selon la nécessité naturelle mise en œuvre chez les êtres irrationnels. La puissance prise en elle-même (en l'occurrence l'intellect) reste rationnelle et donc ad utrumque, mais elle est dotée d'une vertu d'intelligence capable de saisir les principes et qui lui permet de se tourner infailliblement vers la vérité. 38
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Quaestio de Synderesi, a. 2, sol.: Ed. Colon, t. 25,2, p. 237,1. 28-35: «Quidam vero est habitus, qui ex toto non perficit potentiam, sed adhuc post adventum habitus est: potentia ad utrumque, cuiusmodi est opinio et suspicio, ut dicit Philosophus. Ex hoc ergo habitu remanet flexibilitas in potentia. Sed ex primo habitu est inflexibilitas, sicut etiam in speculativis est. Intellectus et scientia semper ad verum determinantur, ratio vero et opinio ad utrumque.» Op. cit., a. 1, ad 3, p. 234, 1. 44-49: «Ad tertium dicendum, quod synderesis non dicitur esse natura vel naturalis, quia sit solum de his quae se habent ad conservationem naturae in specie vel in individuis, sed quia habitus ille est inditus cum ipsa natura, licet non a natura, sed a Deo in ipsa creatione.»
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La syndérèse selon Albert le Grand
Un tel principe infus par Dieu lors de la Création et qui n'est pas la grâce n'est pas sans poser quelques problèmes théologiques. On perçoit tout de suite les conséquences pélagiennes qu'on pourrait en tirer. Mais loin de tomber dans un tel piège, Albert pense au contraire en quel sens cette faculté infaillible peut tout de même déchoir. Il propose cette fois l'image du cavalier qui tombe parfois non de son propre fait mais lorsque sa monture est elle-même à terre40. Tel est le cas lorsque le pécheur est à ce point obnubilé par la délectation qu'il n'entend plus le reproche de la syndérèse. Or celui-ci ne s'est pas éteint, et en ce sens, la syndérèse ne déchoit pas en elle-même. Mais il n'est plus efficace, et en cela la syndérèse est déchue de son pouvoir par la déchéance même de la volonté du pécheur. Passant ainsi de peccare à precipitari entre la Somme et la Question disputée, Albert peut affirmer à la fois que la syndérèse ne saurait pécher et qu'elle peut pourtant être déchue du moins de son efficace par la chute du libre arbitre. En cela il n'est que plus fidèle à Aristote qui constatait déjà, nous l'avons vu, la surdité de celui qui n'est pas vertueux aux instructions de son intelligence relatives à la fin éthique. Pour Albert, cette connaissance intuitive qu'il attribue à la syndérèse n'en est pas éteinte pour autant, mais seulement offusquée ou plutôt abasourdie par l'obscurité ou le vacarme imposé par les passions du pécheur.
Conclusion A propos de la syndérèse Albert le Grand accomplit ainsi le tour de force d'intégrer une notion psychologique d'origine néoplatonicienne et chrétienne à sa lecture de l'analyse aristotélicienne de l'action. Il en ressort une clarification remarquable de l'un et l'autre point de vue, qui sera reprise par Thomas d'Aquin et son école. La conscience n'est autre que la conclusion du syllogisme mis en œuvre par l'intellect pratique recevant la majeure universelle de la syndérèse et la mineure de la raison (supérieure ou inférieure). Aristote s'en trouve ainsi intégré et subverti à la fois. Pour sa morale de vertu, la norme du bien était indiquée par l'intuition même qu'en pouvait avoir l'homme vertueux. Cette intuition des fins morales n'était claire que pour un tel homme. Une lecture conséquentialiste de la délibération rationnelle devenait ainsi possible, la rattachant à une évaluation des fins qu'aucune lumière absolue ne vient éclairer. Or précisément le christianisme d'Albert voit en la syndérèse la faculté de l'intellect pratique de remonter 40
Op. cit., a. 2, sol., p. 237,1. 35-47: «Unde patet quod synderesis per se non potest praecipitari, sed tamen quod est in aliis viribus ut regens in recto, potest praecipitari, sicut aliquando miles cadit non suo vitio, sed casu equi. Et ita praecipitatio erit synderesis quantum ad effectum, quern non consequitur in libero arbitrio, quod est quasi suus equus. Effectus autem iste potest duplex, scilicet retrahere a peccato, sed ex defectu istius effectus non dicitur praecipitari, quia sic in quolibet peccato praecipitaretur; et sentire suam remurmurationem, et ex hoc defectu dicitur praecipitari, quando scilicet aliquis absorbetur delectatione et consuetudine peccati, et non percipit illud murmur.»
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infailliblement à la source des premiers principes du droit naturel. Le déontique n'est pas ainsi imposé de l'extérieur par Dieu ou par une loi révélée ou non d'ailleurs. Il n'est pas pour autant le fait de la conscience, reléguée au niveau de la conclusion du syllogisme pratique. La normativité morale vient ainsi de l'étincelle de la conscience, c'est à dire d'une lumière intellectuelle qui ne résulte nullement de la logique délibérative, mais en fonde la possibilité même. Pourtant, le statut ontologique de cette faculté morale n'est pas sans poser quelques problèmes philosophiques, mais aussi théologiques. Une série de paradoxes s'enchaînent: la syndérèse est à la fois puissance et habitus, motrice et intellectuelle, naturelle et libre, infuse sans relever explicitement de la grâce. C'est une puissance douée d'un habitus. C'est-à-dire qu'elle ne réside ni dans Yhabitus pris séparément, ni dans la puissance si elle n'était déterminée par Yhabitus. Son infaillibilité n'est pensable que si l'on tient ensemble puissance et habitus. Puissance motrice, elle ne relève pas de la volonté, bien plutôt de l'intellect qui est seul capable de la rectitude absolue dont elle fait preuve. Encore faut-il qu'il soit perfectionné par un habitus susceptible de l'infléchir infailliblement vers le bien. Mais un tel habitus qui est intellect par nature, ne procède pas de la nature même. Il est plutôt placé en elle par Dieu au moment précis de sa Création. Il ne s'agit pas de la grâce qui viendrait sauver une nature déchue. Bien plutôt certains y reconnaissent le reliquat de l'état de l'humanité avant le péché, et Albert sans prendre avec eux le risque pélagien, ne les dément pas. Nous le constatons ici encore, la pensée d'Albert n'échappe pas aux contradictions qu'elle soulève, elle tente de frayer un chemin susceptible d'en opérer un subtil dépassement. Bien avant Rousseau, Albert entend "l'immortelle et céleste voix", il y reconnaît un "instinct divin", mais qui ne s'impose ni de l'extérieur, ni du point de vue d'une conscience subjective. Si la conscience est plutôt acte que sujet, la normativité morale est déjà décentrée par rapport à elle et vers le haut: en direction de la syndérèse, étincelle de la conscience.
JÖRN MÜLLER,
Bonn
Ethics as a Practical Science in Albert the Great's Commentaries on the Nicomachean Ethics This paper focuses on Albert's reflections on the scientific character of ethics as a philosophical discipline which can be found in his two commentaries on Aristotle's Nicomachean Ethics . My considerations are divided into five parts: first, the basic texts on which my interpretation is based will be introduced. In the second part, I will give a short sketch of Aristotle's treatment of ethics as a science. In the third and fourth part, I will try to show how Albert depicts ethics as a practical science in his commentaries. My concluding remarks in the final part concentrate on the rather neglected relationship between the two commentaries and their contribution to Albert's ethics.
I Albert wrote two commentaries on Aristotle's Nicomachean Ethics. One of these commentaries, Super Ethica, was written between 1250 and 1252 at Cologne and has been highly acclaimed by contemporary scholars, especially after the completion of its critical edition in 1987 . It is the first Latin commentary on the whole of the Nicomachean Ethics, which was completely translated into Latin by Robert Grosseteste, Bishop of Lincoln, around 1246/7 , and thus Albert's pioneering commentary represents a milestone in the intellectual history of the 13th century. On the other hand, Albert's second commentary, Ethica, which was written in approximately 12624, has received little at-
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The following text is developed from a paper presented at the International Medieval Congress, Leeds, 12-15 July 1999. ALBERTUS Magnus: Super Ethica commentum et quaestiones: Ed. Colon, t. 14,1 + 2 . GAUTHIER, Réne A. / JOLIF, Jean Y.: L'Ethique à Nicomaque. Introduction, Traduction et Commentaire. Vol. I. Louvain '1958, p. 79*, have praised Super Ethica even before the publication of its critical edition as „le meilleur, et de beaucoup, des innombrables commentaires que nous a légués le moyen âge." Cf. CALLUS, Daniel A.: The Date of Grosseteste's Translations and Commentaries on PseudoDionysius and the Nicomachean Ethics. In: Recherches de Théologie Ancienne et Médiévale 14 (1947), p. 186-210, here: p. 202-208. The exact date of this commentary cannot be firmly established. In the relative chronology of Albert's works Ethica was written before his commentary on the Metaphysics. WEISHEIPL, James A.: The Life and Works of St. Albert the Great. In: Idem (ed.): Albertus Magnus and the
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tention among scholars up to now, not least because of the fact that we do not yet have a critical edition of this work5. I will try my best to remedy this unsatisfactory situation by presenting a critical edition of the first treatise of book I in my forthcoming dissertation thesis on Albert's philosophical ethics6. In this paper, the quotations from this treatise follow the text of my edition. Another reason for the negligence of the second commentary is the fact that it is mainly composed as a paraphrase. Therefore, it is often very difficult to distinguish Albert's own statements from his reconstruction of the Aristotelian text. By contrast, Super Ethica contains quaestiones, which are less ambiguous in this respect. In spite of the stylistic differences between these two works and the hermeneutic problems caused by them, they share an important feature: at the beginning of both commentaries, Albert discusses the scientific nature of ethics by depicting, among other issues, the dignity, subject, unity, method, character and aim of this discipline as well as its place in the philosophical canon in general. But first of all, he attempts to answer the question on which depends the entire idea of a practical science of ethics: how is a science of ethics possible at all?
II This intriguing question, which even today arouses animated and subtle discussions among moral philosophers, is another legacy of Aristotle. But his treatment of the subject leaves some important questions unanswered. On the one hand, he develops a model of science which is characterised by two main features: scientific knowledge is Sciences. Commemorative Essays 1980. Toronto 1980 (Studies and Texts, 49), p. 13-51, here: p. 39, assumes that Albert wrote Ethica during his stay with Pope Urban IV at Viterbo and Orvieto, i.e. between August 1261 and February 1263. The date given in the text is based on the most recent inquiry into the chronology of Albert's writings by Henryk ANZULEWICZ: De forma ré-
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sultante in speculo. Die theologische Relevanz des Bildbegriffs und des Spiegelbildmodells in den Frühwerken des Albertus Magnus. Teil 1. Münster 1999 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N.F. 53,1), p. 16. The uncritical editions by Jammy (t. 4a, Lyon 1651) and Borgnet (t. 7, Paris 1891) are - as I found out in the course of my collation - almost identical with the printed version edited by Octavianus Scottus at Venice in 1520. This edition is based on the 23 manuscripts (20 manuscripts containing the whole work and 3 relevant fragments) described by FAUSER, Winfried: Die Werke des Albertus Magnus in ihrer handschriftlichen Überlieferung. Teil 1: Die echten Werke. Münster 1982 (Alberti Magni Opera omnia, t. subsidiarius, 1), p. 174-178, n. 1-23. Additionally, I have taken into account the manuscript Sion, Bibliothèque du Chapitre, 109, which has been recently described by LOHR, Charles H.: Aristotelica Helvetica. Catalogus codicum latinorum in bibliothecis confederationis Helveticae asservatorum quibus versiones expositionesque operum Aristotelis continentur. Fribourg 1994 (Scrinium Friburgense, Sonderbd. 6), p. 273. The title Ethica is confirmed by the Incipits of 15 of the aforementioned manuscripts.
Ethics as a Practical Science
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based on deduction, and the principles or presuppositions of this deduction are necessarily true7. In consequence, scientific knowledge, at least according to Aristotle's considerations in the Posterior Analytics, is at the same time deductive and categorical, that is: absolutely true. On the other hand, this ideal model of science obviously does not cover all branches of philosophical knowledge. In his ethics, Aristotle ascribes probability rather than certainty to ethical arguments because the subject matter of ethics does not permit absolute certainty. But he nevertheless depicts ethics as a science and concludes his treatment of this subject with the famous remark that „it is the mark of the trained mind never to expect more precision in the treatment of any subject than the nature of that subject permits"8. This short sketch creates the impression that either the conception of science has to be understood in a wider sense than the one defined in the Posterior Analytics, or that ethics, in spite of its philosophical importance, cannot be called a genuine branch of science. Therefore, at least one question necessarily arises for all subsequent readers of Aristotle's Nicomachean Ethics: is a science (in the strict sense of the word) of ethics which does justice to the specific subject matter of ethical inquiry possible at all?
Ill In Super Ethica, Albert defends the possibility of scientific ethics against two lines of argument9. The first objection stresses that the subject matter of ethics, moral habits, cannot meet the criteria which are demanded of a deductive science: necessity and universality. Human actions and the habits constituted by them are not necessary but subject to the freedom of will of the particular agent. Furthermore, moral habits obviously differ depending on the cultural context in which they prevail. Therefore morals are too changeable to make possible an exact science in the sense of the Posterior Analytics. The second objection stresses the practical character of ethics, its claim to be relevant to human actions in general. But scientific knowledge is supposed to be theoretical knowledge, i.e. knowledge sought for its own sake and not for the sake of action. Thus the objections build up a kind of trap: if Albert proves that morals can be investigated in accordance with the standards of the Posterior Analytics, he is at risk of undermining the practical character of ethics. But if he focuses on the practical side of ethics, it is difficult to maintain its scientific character. How does Albert pass the Scylla and Charybdis of these arguments? He counters the first objection by pointing to an important distinction: we have to distinguish the surface appearance of morals from their underlying structures, which
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Cf. ARISTOTELES: Analytica Posteriora, I, 1-4: 71a 1 - 74a 3. ARISTOTELES: Ethica ad Nicomachum, 1 , 1 : 1 0 9 4 b 2 3 - 2 5 . Cf. A L B E R T U S Magnus: Super Ethica, prol.: Ed. Colon, t. 14,1, p. 1,56 - p . 2,1.
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Albert describes as rationes morurn0 This technical term is highly disputed in the literature on the subject, not least because of the numerous meanings of ratio in Latin 11 . In spite of this problem, Albert's discussion in later parts of Super Ethica and in other writings clarifies the intended meaning 12 . The rationes morum signify essential ontological structures, which can be expressed in a formal manner, for example by definitions.
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„Ad primum in contrarium dicendum, quod si consideretur mos secundum id quod est, sic est a causa non necessaria et non cadit in demonstratione scientiae. Si autem consideretur secundum intentionem suam et rationem, sic rationes morum sunt necessariae, et de his potest esse scientia, sicut etiam ipsa generabilia et corruptibilia sunt a causis contingentibus, tarnen de eis est scientia naturalis secundum rationes universales ipsorum." (loc. cit.: p. 2,11-19) While Mechthild DREYER (Ethik als Wissenschaft nach Albertus Magnus. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (eds.): Was ist Philosophie im Mittelalter? Berlin [New York] 1998 (Miscellanea Mediaevalia, 26), p. 1017-1023) interprets rationes in a metaphysical sense and thinks that Albert wants to stress the metaphysical principles in which human action is embedded, Henri Paul F. MERCKEN (Ethics as a Science in Albert the Great's First Commentary on the Nicomachean Ethics. In: F0LLESDAL, Dagfinn e. a. (eds.): Knowledge and the Sciences in Medieval Philosophy. Helsinki 1990 (Annals of the Finnish Society for Missiology and Ecumenics, 55), p. 2 5 1 260) identifies rationes with the intentions of human agents. Further discussions of Albert's conception of ethics as a science can be found in TRACEY, Martin J.: The Character of Aristotle's Nicomachean Teaching in Albert the Great's Super Ethica commentum et quaestiones. Diss, phil., Notre Dame 1999, p. 66-135; WIELAND, Georg: Ethica - Scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert. Münster 1981 (BGPhMA, N.F. 21), p. 98-129; CELANO, Anthony J.: The End of Practical Wisdom: Ethics as Science in the Thirteenth Century. In: Journal of the History of Philosophy 33 (1995), p. 225-243; BERTELLONI, Francisco: Regimen ipsius - regimen alterius. Individuum und Gesellschaft in den Quellen des Prologus zu „Super Ethica" des Albertus Magnus. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (eds.): Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin [New York] 1996 (Miscellanea Mediaevalia, 24), p. 4 7 9 ^ 9 2 ; KÖHLER, Theodor W.: „Scientia perfecta". Zur Konzeption philosophischer Erschließung empirischer Gegenstandsbereiche im 13. Jahrhundert, in: AERTSEN, / SPEER, Philosophie [vide supra], p. 749-755. Cf. ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. VI, lect. 5: Ed. cit., p. 421,60-84: „Dicendum quod contingentia possunt dupliciter considerari: aut quantum ad esse, quod habent in materia subiecta variationi, et sic propter suum fluxum non habent certitudinem. ... Sed secundum rationem ipsorum certitudinem habere possunt, quia rationes mutabilium perpetuae sunt et necessariae, secundum quas de eis est scientia.... sic potest esse scientia universalis in generabilibus per rationes eorum quae sunt necessariae." This argument does not aim at the metaphysical causes of contingent things, as Albert clarifies loc. cit.: p. 421,85-88: „dicendum quod causae contingentium non contingentes sunt causae remotae ... et in talibus causis res non cognoscuntur certitudinarie." Cf. op. cit., 1. VII, lect. 2: p. 523,48-59. Furthermore, Albert argues several times for the possibility of natural science (scientia naturalis) by pointing to the distinction between natural things as they are in their present state and their underlying ontological structure: Op. cit., 1. VI, lect. 5: p. 427,5664; Physica, 1.1, tr. 1, c. 2: Ed. Colon, t. 4,1, p. 4,1-41 and p. 4,81 - p. 5,19. This is important evidence for the understanding of the scientific character of ethics because Albert himself stresses the parallels between ethics and physics in this respect; cf. the quotation above, n. 10.
Ethics as a Practical Science
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They stand for concepts which characterise the basic structure of individual beings and are a bridge between the underlying structure of reality and its cognition by the human mind. In a formal sense, which refers to all sciences, these are concepts like form, matter, property, genus or species. Looking at ethics in particular, concepts like happiness, virtues and their objects, means and impediments as well as classifiable circumstances of action will enter the scene. These concepts are closely intertwined with particular actions but they can be abstracted from their particular occurrence. Since they do not depend on the particular occurrence from which they are abstracted in their existence and characterisation, they fulfill the Aristotelian demand of necessity. Furthermore, Albert argues that it is possible to establish connections between these concepts which fulfill the criteria of deductive arguments. In his understanding, science ascribes specific differences and properties to an object on a necessary basis1 . The aforementioned concepts are the basis for the establishment of these connections and thus make deductive arguments about morals possible. In order to exemplify the meaning of this model we should have a look at the relationship between particular actions and virtues. Particular actions as such cannot be objects of science because they occur in infinite forms. But it is also possible to regard them as expressions of underlying virtues, as tokens of a certain type, and from this point of view a science of them is possible14. Virtues are definite and general enough to allow for definitions and necessary properties, which are the basis of deductive arguments. There are close parallels to this, stressed by Albert himself15, with his discussion of the question of whether a natural science is possible. In Physica he rejects the argument that the infinity of natural things does not allow for a natural science by pointing to their species]6. The natural species, which express the ratio rei, possess the qualities necessary to function as objects of deductive science.
„Item, omne quod habet differentias et passiones, quae de illo probari possunt, habet scientiam, in qua determinantur; sed mores sunt huiusmodi; ergo de moribus potest esse scientia. Quod concedimus." Super Ethica, prol.: Ed. cit., p. 2,6-10). Cf. also De sex princ., tr. 1, c. 1, ed. Benno Sulzbacher. Freiburg i. Br. 1955, p. 50, 108-112; Metaph., 1. I, tr. 1, c. 2: Ed. Colon., t. 16,1, p. 3 , 6 4 68; Politico, 1. 1, c. 1: Ed. Paris., t. 8, p. 6b; Sent. I, d. 1, a. 1: Ed. Paris., t. 25, p. 14b; loc. cit., a. 2: p. 16b. 14
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Cf. the expositio textus in Super Ethica, 1. I lect. 3: Ed. cit., p. 18,40-44: „Quaedam autem in civilibus sunt distributa in multa sicut virtus in species suas, et quantum ad hoc dicit: universaliter, quaedam vero in cognita ex multis sicut temperantia ex omnibus suis circumstantiis ..." Cf. TRACEY [n. 11], p. 88 f., who also emphasises the relevance of the distinction between type and token to Albert's understanding of human actions. Cf. above, no. 10. Cf. A L B E R T U S Magnus: Physica, 1. I, tr. 1, c. 2: Ed. cit., p. 4,42-55. Cf. De gen. et corr., 1. I, tr. 1, c. 1: Ed. Colon., t. 5,2, p. 110,4-6: „... et sic de talibus [scl. generabilibus et corruptibilibus], non in numero acceptis, sed in rationibus talibus, esse scientiam et demonstrationes."
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JÖRN M Ü L L E R
Much more would have to be said to show how Albert puts this model into practice in his commentaries 17 , especially how he links this conception with the precepts of natural law and the idea of a universal medium virtutisn. But for our present purpose it is sufficient to conclude that the basic universal concepts of morals, which underlie the real structure of actions as well as our cognition of them, make possible a deductive doctrine of ethics in the sense of the Posterior Analytics. But Albert still has to counter the second objection that a deductive system of ethics is irrelevant to human actions. He attempts to solve this problem by distinguishing two parts of ethics: Ethica docens, that is a teaching discipline of ethics, and ethica uteris, applied ethics 19 . This distinction was not Albert's invention but had been used before him at Paris, e.g. in Ps.-Peckham's commentary on the Ethica nova and Ethica vetus20. Albert uses the distinction to show that ethics has a twofold aim in accordance with these two parts: while the teaching discipline aims at knowledge, the applied one is directed towards action 21 . This division of aims also has some methodological consequences. While the teaching part of ethics can use genuine syllogistic proofs, applied ethics relies on „persuasive arguments" 22 . „Persuasive arguments" are, for instance, incomplete syllogisms and examples, i.e. arguments which are based on probable and not on necessary presuppositions . In consequence, only the teaching discipline of ethics can fulfil the criteria of science in the strict sense of the word, while applied ethics cannot meet them. But applied ethics can be related to individual human actions, which is not the case for the teaching discipline. Up to now, Albert seems to have avoided the pitfalls set up by the two objections. But an important link between his different lines of argument is obviously missing. Albert has shown that the teaching part of ethics is truly scientific and that the applied part is practical, but he still has to answer a fundamental question: how is ethics as a practi-
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Cf. e.g. Albert's formalised investigation into felicity, where he discusses its genus and its differences: Super Ethica, 1.1, lect. 3: Ed. cit., p. 14,19-24; lect. 7: p. 3 1 , 2 2 - 3 0 ; lect. 8: p. 36,28-29. „... universales rationes, quae cadunt in doctrina huius scientiae, sunt eaedem apud omnes secundum medium determinatum 'determinatione quoad nos'." Op. cit., prol.: Ed. cit., p. 2,30-33. „Ad secundum dicendum, quod scientia morum potest considerari dupliciter, scilicet aut ut utens aut ut docens; unde quamvis ad usum scire non multum valeat, tamen ad doctrinam multum valet." Loc. cit.: p. 2,20-23. Pseudo-JOHANNES Peckham, In Ethicam novam et veterem: „... verbi gratia loqui est de morali philosophia ut est speculans ... vel inquantum est operans" (quoted from WIELAND, Georg: Ethica docens - ethica utens. In: KLUXEN, Wolfgang e. a. (eds.): Sprache und Erkenntnis im Mittelalter. Berlin [New York] 1981 (Miscellanea Mediaevalia, 13,2), p. 5 9 3 - 6 0 1 , here: p. 596, n. 13). „Dicendum, quod dupliciter potest considerari scientia ista: secundum quod est docens, et sic finis est scire; vel secundum quod est utens, et sic finis est, ut boni fiamus." ALBERTUS Magnus: Super Ethica, prol.: Ed. cit., p. 4,16-19. „Dicendum, quod modus huius, inquantum est utens, est persuasivus, inquantum est docens, est demonstrativus sicut cuiuslibet alterius scientiae." Loc. cit.: p. 4,37-39. Cf. op. cit., 1.1 lect. 2: Ed. cit., p. 11,11-17.
Ethics as a Practical Science
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cal science possible? His distinction between the two parts of ethics has fundamentally put at risk the unity of the discipline of ethics as a whole. In order to find a solution which is in accordance with his findings up to the present point, he has to answer the following question: how is the teaching part of ethics connected with the applied one? Albert does not present a solution to this problem in Super Ethica, but this gap can be filled by his treatment of the subject in Ethica, to which I would like to turn now.
IV In the first treatise of Ethica, Albert raises a question similar to the opening question of Super Ethica, but with a different emphasis: is a scientific treatment of virtue possible at all? This question is provoked by some arguments which are borrowed from Plato's Menon4 and claim that the virtues can be neither taught nor learnt. The knowledge of virtue does not result from scientific arguments, based on necessary principles, but from practical self-awareness25. Albert refutes these objections with an argument resembling his treatment of this question in Super Ethica: again, he distinguishes between the surface appearance and the underlying real and, in consequence, conceptual structure of morals. The virtues cannot be taught or learnt in a scientific manner as concrete actions in particular situations, but only insofar as they are regarded as substances (secundum substantiam) with inherent differences and properties which can be deductively demonstrated26. The virtues establish the conceptual scheme in which the scientific treatment of the subject becomes possible. Therefore, the knowledge of virtue is closely connected with scientific arguments and not simply a result of self-awareness. Alberts names genera, species, differentiae, propria, effectus and impedimenta of virtues as central concepts in scientific reasoning about morals27. Thus, my reading of Super Ethica with regard to the meaning of rationes morum is confirmed by Albert's considerations in Ethica.
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GAUL, Leopold: Alberts des Grossen Verhältnis zu Plato. Eine literarische und philosophiegeschichtliche Untersuchung. Münster 1913 (Beiträge zurGeschichte der Philosophie im Mittelalter, 12,1 ), p. 131, doubts that Albert took these arguments directly from Plato's dialogue.
25
Cf. A L B E R T U S Magnus: Ethica, 1.1, tr. 1, c. 2: Ed. Paris., t. 7, p. 3a-b. „... dicimus virtutem esse scibilium bonorum, si secundum substantiam et ea, quae substantiae insunt, consideretur: sic enim est quoddam ens particulare subiectum, cui passiones insunt et differentiae, quae per propria principia scibilium sibi probantur inesse. Si autem virtus accipiatur secundum esse, quod habet in virtuoso, sic bene concedimus quod quantum ad proxima principia non est discibilis" (loc. cit. : p. 4a). Again, Albert draws a parallel between ethics and natural science: Cf. op. cit., c. 3: p. 8b: „ ... ea, quae nec stantia sunt nec ordinata in esse, rationem tamen habent stantem et ordinatam sicut omnia naturalia, quae omnia fluctuantia sunt et opinioni et non scientiae subiecta, ... tamen de rationibus eorum est vera scientia. Ex forma enim et ratione non habent fluctuationem, sed ex materia, in qua sunt." Cf. op. cit., c. 7: ed. cit., p. 16a, together with: op. cit., 1. X, tr. 1, c. 1: p. 599a-b.
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Albert also takes up the distinction between a teaching and an applied part of ethics: „ ... in omni scientia duo sunt: doctrina et usus. Et (om. p) doctrina est sicut informans et dirigens, usus autem sicut exsequens et faciens. Et (om. p) scientiam, quae est doctrina de re, vocant scientiam docentem, illam autem, quae est de usu, vocant utentem (virtutem p)" 28 .
But this time Albert realises the need to bridge the gap between the theoretical and the practical part of ethics, between the teaching discipline and applied ethics. How can they form a practical science together? Albert's answer can be summarised as follows: both parts of ethics can be connected with actions, but on different levels. While the teaching discipline focuses on the overall aims of human action, applied ethics deliberates about the means which are necessary to achieve these goals 2 . Thus, the teaching part of ethics can obtain a guiding role for human practice without referring to particular actions. The applied part is connected with the particular exercise of virtue, but not in a so-called practicistic manner which simply jumps from ethical deliberation to action: in Ethica, Albert explicitly emphasises that ethics in itself cannot cause the virtues and that its relation to particular actions can only be established by the virtues 30 . Furthermore, the applied part of ethics does not usurp the role of prudence as it is the case in Ps.-Peckham . Albert points at the necessity for prudence as an action-guiding principle which is responsible for the formation of concrete practical syllogisms 32 . Prudence
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Op. cit., 1. I, tr. 1, c. 2: p. 4b. Here and in the following I have indicated in brackets where Borgnet's text (p) differs from my edition. „Dupliciter enim stare dicitur (dicitur enim stare dupliciter p) scientia ad aliquid, scilicet sicut ad terminum operis vel sicut ad finem intentionis. Et scientia moralis docens, licet stet ad conclusionem vel ad medium, quod est causa vel signum, sicut ad terminum operis sui, quod est (sicut p) decursus syllogisticus, tamen non stat in ipso sicut in fine intentionis, quod (sed p) refertur ad opus, quod est operatio virtuosi. Haec solutio confirmatur per hoc, quod dicit Aristoteles in secundo Topicorum, quod una scientia est plurium velut amborum finium, unius tamquam finis, alterius tamquam eius, quod est ad finem." Loc. cit. „... talis scientia [sci. moralis] ab Aristotele non scientia sed potentia vocatur, quia sicut potentia est indeterminata inter esse et non esse, sic talis scientia est (om. p) inter facere vel (et p) non facere, cum tamen practica sit et in opere stare debeat. ... Unde deceptus est Socrates in hoc quod scientiae morali attribuit, quod attribuere (tribuere p) debuit virtuti secundum esse, quod habet in virtuoso". Op. cit., c. 3: p. 10a. Cf. op. cit., c. 4: p. 12a: „ ... scire, quod acquiritur scientia morali, non est nisi terminus considerationis moralis, et non est terminus considerantis. Hoc (Hie p) enim non considérât, nisi ut référât ulterius ad opus, quod est finis intentionis eius." Therefore, Albert stresses that ethics is „valde debilis" (op. cit., c. 3: p. 10b) with regard to human perfection. Cf. WIELAND [n. 11], p. 112-114. Cf. ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. VI, lect. 7: p. 441, 21-39
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Ethics as a Practical Science
is itself an i n d i s p e n s a b l e link b e t w e e n the subject matters o f ethica b e t w e e n the ethical universal and the c i r c u m s t a n c e s o f action 3 3 .
docens
and
uteris,
T h e r e f o r e , the applied part o f ethics d o e s not replace but assist prudence b y p r o v i d i n g general o u t l i n e s o f action 3 4 . P e r f o r m i n g this function it r e c e i v e s its central c o n c e p t s and its g u i d i n g principles f r o m the t e a c h i n g discipline. Albert g i v e s the f o l l o w i n g e x a m p l e to s h e d light o n this c o n n e c t i o n : the d e v e l o p m e n t o f virtues through the p e r f o r m a n c e o f virtuous acts is d u e to the deliberations o f the ethica uteris and the w i l l i n g n e s s to c o n tinue the action e v e n under difficult circumstances, but the ethica docens maintains its i n f l u e n c e o n the w h o l e p r o c e s s by d e l i v e r i n g the universal principles w h i c h g o v e r n this virtue. T h u s , the t e a c h i n g discipline is a l s o a c a u s e o f the d e v e l o p m e n t o f virtue, but a distant o n e ( c a u s a remota). T h e ethica uteris and the virtuous acts are „ i n f o r m e d " by the c o n c e p t u a l s c h e m e o f the t e a c h i n g discipline 3 5 . F o l l o w i n g this line o f argument w e can c o n c l u d e that the ethica docens d o e s not p r o d u c e morality but reflect o n its nature and its central universal principles and c o n cepts. T h e s e r e f l e c t i o n s in t h e m s e l v e s d o not m a k e h u m a n b e i n g s g o o d , but b y informing the ethica utens and the virtuous acts they help t h e m to m a x i m i s e their morality 3 6 .
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In Ethica, Albert distinguishes two kinds of prudence which somehow mirror the distinction between ethica docens and ethica utens: Op. cit., 1. VI, tr. 2, c. 23: p. 440a-b (corrected with ms. Erlangen, Universitätsbibliothek, Hs. 263, fol. I57 ra : „ ... propter quod oportet ambas habere in prudentia, scilicet universalium et singularium cognitionem (cognitiones p), si perfecta debeat esse prudentia ... Cum autem ambae sint in prudentia, una erit architectonica, hoc est princeps et ordinatrix (ordinativa p) alterius, altera autem ususalis et ordinata. Quae enim circa universalia est, theorica et architectonica est; quae vero circa singularia, usualis est et practica." Cf. Super Ethica, 1. Ill, lect. 2: ed. cit., p. 150,13-15: „ ... dicendum, quod moralis non est ponere omnes diversitates circumstantiarum, sed sufficit in generali determinare". Cf. also op. cit., 1. V, lect. 12: p. 364,6-9: „Dicendum, quod tractare particulariter omnes circumstantias pertinet ad rhetorem ... Sed determinare de eis in universali pertinet ad ethicum." Cf. also op. cit., 1. II, lect. 2: p. 96,4-13. These passages echo to a certain degree Aristotle's conception of ethics as a typosscience which only provides the outlines of the subject matter; for this model in Aristotle cf. HÖFFE, Otfried: Praktische Philosophie. Das Modell des Aristoteles, Berlin 2 1996, p. 101-180. „Et haec quidem scientia (inv. p) de virtute, licet non sit proximum principium virtutis secundum esse perfectum, tarnen est principium primum, et in (om. p) secundum, quod est proximum, et in tertium (intrinsecum p), quod ipsius virtutis generativum est, quod est in difficilibus perseverare, sui regiminis et informationis habet influxum. Et sie virtutis primum et formale est principium, quod tarnen in principiando (procedendo p) per velie et perseverare, cui (circa p) formam influit et regimen, efficitur proximum et immediatum. ... Quia licet virtus non dependeat ad aeeepta secundum sui generationem in subiecto, tarnen forma agentium ipsam in subiecto aeeipitur de scientia docente, quia velie et perseverare in difficilibus non generant virtutem nisi informata ratione recta, quam sapiens determinavit. Et sie scientia docens prima (principia p) forma est, cuius virtute velie et perseverare virtutem generant" (Ethica, 1. I, tr. 1, c. 2: ed. cit., p. 5b). „... bene operari non potest esse sine virtute morali, virtus autem moralis non potest esse sine prudentia, quae instruitur per doctrinam de moribus, et ideo bene operari non potest esse sine doctrina morali, quamvis potest esse bona operatio." Super Ethica, 1. X. lect. 17: ed. cit., p. 778,1-6.
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Thus, the ethica docens continues a central idea of Aristotle's ethics 37 . On the other hand, the reflections of the teaching discipline make possible syllogistic demonstrations about the principles and concepts of morality in accordance with the demands of the Posterior Analytics. The relevance of ethics to human action is granted by the ethica uteris, which takes into consideration the particular circumstances of action, but in a rather general manner. In order to underpin these considerations, Albert explicitly reflects on the question of whether ethics as a whole is a theoretical or a practical discipline in Ethica 1. I, tr. 1, c. 4. The answer neatly sums up the main findings of the first treatise of Ethica: as regards its scientific method, the teaching part of ethics can be called theoretical, but it is also practical insofar as the consideration of the principles of morals is directed towards action 38 . The teaching discipline, however, is not immediately related to action but needs the mediation of the applied part of ethics, which is in itself practical without being practicistic 39 . Therefore, both parts of ethics together constitute a branch of knowledge which is at the same time scientific as well as practical, in short: a practical science.
V To sum up: in Super Ethica, Albert proves that a science of ethics is possible by pointing out the difference between the surface appearance and the underlying structure of morals (rationes morum), which can be expressed by ethical concepts. In Ethica, he spells out the connection between the two parts of ethics, ethica docens and utens, and thus proves that a practical science of ethics is possible. Therefore, we can speak of a complementary relationship between the two commentaries: the second commentary takes up the main findings of Super Ethica and extends the investigation, thereby solving problems which were not solved or even articulated in the first commentary. Other examples of this complementary character of the two prologues can be easily found: in
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Cf. HÖFFE [n. 34], p. 8 4 - 9 8 , especially p. 90: „Die Ethik, ein integrierender Teil des Polis-Lebens, will aus diesem Leben heraus auf es reflektieren, um durch die Reflexion das sittliche Leben in der Polis sittlicher zu machen. Ethische Reflexion macht nicht gut; ethische Reflexion macht besser."
38
„Et hoc modo bene concedimus quod moralis docens theorica est et moralis utens practica. In omnibus enim talibus theorica ad praxim (proximum p) ordinatur ... Unde constat quod et finis intellects et (om. p) finis affectus opus est; a quo fine tarn docens quam utens scientia practica vocatur, large accipiendo practicam secundum quod practica dicitur rationes operabilium considerans " A L B E R T U S Magnus: Ethica, 1.1, tr. 1, c. 4: Ed. cit., p. 12a-b. Because of the aforementioned reasons I do not agree with the judgement by WIELAND [n. 11], p. 123 and 129, that Albert is guilty of a practicistic misunderstanding of ethics. TRACEY [n. 11], p. 104-109, offers an elaborate criticism of Wieland's position.
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Ethica, Albert for the first time discusses in a comprehensive manner the position of ethics among and its significance in comparison with the other philosophical disciplines (chapters 1 and 3), and he is more interested in weighing up arguments from different philosophical schools than in Super Ethica. All this evidence indicates that we need a more thorough investigation of the rather neglected relationship between the two commentaries 40 and that Ethica should be more definitely taken into consideration for the reconstruction of Albert's philosophical ethics: only the combination of the two commentaries makes possible an adequate and coherent account of ethics as a practical science in Albert. On the whole, Albert takes up Aristotle's conception of ethics as a practical science which is neither merely theoretical nor too practical, i.e. simply eradicating the gulf between action and the reflections of practical reason. But furthermore, Albert successfully answers some questions which were left open by Aristotle, especially in how far the ideal model of science of the Posterior Analytics can be integrated into ethical reflection without ignoring the special nature of morals. Certainly, his conception of ethics is not without problems which I cannot discuss here. But taking into consideration the historical situation which he had to face as the first Latin commentator on the complete Nicomachean Ethics, it is certainly no exaggeration to call his attempt a major achievement.
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Explicit reflections on the relationship between the two commentaries are only available in D U N BABIN, Jean: The T w o Commentaries of Albertus Magnus on the Nicomachean Ethics. In: Recherches de ThéologieAncienne et Médiévale 30 (1963), p. 2 3 2 - 2 5 0 ; VANSTEENKISTE, Clemens: Das erste Buch der Nikomachischen Ethik bei Albertus Magnus. In: MEYER, Gerbert / ZIMMERMANN, Albert (eds.): Albertus Magnus. Doctor universalis: 1280-1980. Mainz 1980 (Walberberger Studien, Philosophische Reihe, 6), p. 3 7 3 - 3 8 4 .
STEPHAN ERNST, W ü r z b u r g
Philosophische Ethik im Rahmen der Theologie bei Albertus Magnus Die Differenzierung zwischen der Ethik als eigenständiger Vernunftwissenschaft und der Theologie als Offenbarungswissenschaft, wie sie sich - grundgelegt durch die rationale Rekonstruktion des Glaubens bei Anselm von Canterbury - im Verlauf des 12. Jahrhunderts herausbildet, findet ihre reflektierte wissenschaftstheoretische Formulierung erstmals zu Beginn des 13. Jahrhunderts bei Wilhelm von Auxerre1. Ausgehend vom aristotelischen Wissenschaftsbegriff, wonach jede Wissenschaft auf spezifische, unmittelbar evidente Prinzipien zurückgeführt wird, versteht Wilhelm die Gebote des ins naturale als principia agendi per se nota des intellectus practicus, die er mit den für das natürliche Licht der Vernunft (per modum nature) evidenten principia per se nota des intellectus speculativus parallelisiert und von denen er die Offenbarungsinhalte der articuli fidei als principia per se nota der Theologie, die allein im Glauben einsichtig sind, unterscheidet2. Mit diesem Schritt ist das ius naturale nicht mehr wie noch bei Augustinus oder Gratian als ein Gesetz verstanden, das wegen der erbsündlichen Infizierung der Natur erst auf Grund göttlicher Offenbarung und erst im Glauben erkennbar ist . Vielmehr wird es nun als ein Gesetz verstanden, das im Ursprung der natürlichen Vernunft des Menschen selbst seinsmäßig verankert ist4 und von dieser aus ihrem eigenen Prinzip und Vermögen heraus erkannt wird5. Damit ist für die nachfolgenden Theologen die Zu dieser Entwicklung vgl. ERNST, Stephan: Ethische Vernunft und christlicher Glaube. Der Prozeß ihrer wechselseitigen Freisetzung in der Zeit von Anselm von Canterbury bis Wilhelm von Auxerre. Münster 1996 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, [in der Folge zit. Als: BGPhMA], N.F. 46). 2
3
4
5
Vgl. GUILELMUS Altissiodorensis: Summa aurea, 1. II, tr. 10, c. 6, q. 1: ed. Jean Ribaillier, t. 2,1. Paris [u. a.] 1982 (Spicilegium Bonaventurianum, 17), S. 302,123-125: „sicut in speculativis sunt quaedam quae per se sunt nota, que sunt principia speculandi, ita in agendis sunt quaedam principia agendi per se nota, in quibus vis naturae consistit". Vgl. GRATIANUS de Clusio: Decretum, d. 1: ed. Aemilius Friedberg. Lipsiae 2 1879 (Nachdruck Graz 1955), S. 1 : „Ius naturale est quod in lege et Evangelio continetur". Wilhelm KORFF (Norm und Sittlichkeit. Untersuchungen zur Logik der normativen Vernunft. Mainz 1973, S. 46) spricht in diesem Zusammenhang von einer „ontologischen Eigenständigkeit der lex naturalis gegenüber der lex divina". Vgl. auch Ders.: Natur/Naturrecht. In: Neues Handbuch Theologischer Grundbegriffe 3 . 2 1 9 9 1 , S. 442^148. Vgl. GUILELMUS Altissiodorensis: Summa aurea, 1. III, tr. 18: ed. Jean Ribaillier, t. 2,1. Paris [u. a.] 1986 (Spicilegium Bonaventurianum, 18A),[Anm. 2], S. 369,21-24: „Stricte sumitur ius naturale secundum quod ius naturale dicitur quod naturalis ratio sine omni deliberatione aut sine magna dictat esse faciendum, ut Deum esse diligendum et similia".
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Grundlage gelegt zur Entfaltung und Ausarbeitung einer eigenständigen philosophischen Ethik als einer auch gegenüber der Theologie autonomen Wissenschaft, einer Wissenschaft, die nun in der Frage nach dem rechten Handeln nicht mehr primär auf die Hl. Schrift, sondern auf die jeweils historisch begegnende philosophische Ethik sowie auf die jeweilige Erkenntnis der konkreten Wirklichkeit der Welt und des Menschen zurückgreift. Zugleich aber ist damit auch die Möglichkeit gegeben, den eigentlichen, spezifischen Beitrag von Offenbarung und Glaube zum ethischen Handeln profilierter herauszuarbeiten. Albert der Große ist einer der ersten, die nach Wilhelm von Auxerre auf dem Weg der Ausarbeitung einer solchen eigenständigen philosophischen Ethik einen entscheidenden Schritt weitergegangen sind. Im Hintergrund steht dabei - nicht zuletzt angeregt durch die Frage nach dem Umgang mit dem Werk des Aristoteles - seine klare methodische Differenzierung und Verselbständigung der einzelnen Wissenschaften und die verstärkte Einbeziehung der konkreten Erfahrung der Wirklichkeit als Quelle verläßlicher Wahrheit, wie sie sich bei ihm vor allem im Bereich der Naturforschung zeigt. Im folgenden soll versucht werden, vor diesem Hintergrund seines Denkens charakteristische Elemente seiner Ethik zu erheben und so eine Grundstruktur seiner moraltheologischen Reflexion zu skizzieren.
1.
Säkulare Wissenschaft und ihre Unabhängigkeit von der Theologie
Alberts Konzeption der Wissenschaften ist grundlegend von dem Bestreben bestimmt, die einzelnen Wissenschaften hinsichtlich ihres Gegenstandes und ihrer Methode klar gegeneinander abzugrenzen und so in ihre jeweilige Eigenständigkeit und Autonomie zu entlassen. Dies gilt vor allem für die säkularen Wissenschaften, deren Unabhängigkeit er sichern möchte gegenüber der Theologie und ihrem Anspruch, das umfassende Wahrheitskriterium zu besitzen. Dies gilt aber auch fiir die Theologie, die nun ihrerseits in ihrer alleinigen Zuständigkeit für ihren eigentümlichen Gegenstandsbereich bestätigt wird. 1. Die Radikalität, mit der Albert zunächst die Unabhängigkeit der säkularen Wissenschaften von der Theologie betont, wird deutlich, wenn er immer wieder hervorhebt, er wolle sich, wenn er die Natur erforscht, nicht darum kümmern, ob Gott in den Ablauf und die Entwicklung der Natur eingreifen und darin etwas verändern könne 6 . Es gehe
6
Vgl. ALBERTUS Magnus: De cáelo et mundo, 1. I, tr. 4, c. 10: Ed. Colon, t. 5,1, S. 103, 7 - 1 2 : ,,nec nos in naturalibus habemus inquirere, qualiter deus opifex secundum suam liberrimam voluntatem creatis ab ipso utatur ad miraculum, quo declaret potentiam suam, sed potius quid in rebus naturalibus secundum causas naturae ínsitas naturaliter fieri possit". - Vgl. ebenso De gen. et corr., I. I, tr. 1, c. 22: Ed. Colon, t. 5,2, S. 129, 13-16: „Si autem quis dicat, quod cessabit volun-
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ihm um eine von allen Maßgaben der Theologie und der Offenbarung unabhängige, vorurteilsfreie Erkundung der rein immanenten Kausalzusammenhänge der Natur, ohne dabei mit der Möglichkeit von Wundern zu rechnen. Ganz im Sinne des Averroes und der lateinischen Averroi'sten wie etwa des Siger von Brabant 7 will er seine Naturforschung geradezu unter methodischer Ausklammerung Gottes betreiben 8 . Albert führt damit Bestrebungen weiter, die sich bereits im 12. Jahrhundert in der sog. „Schule" von Chartres und ihrer Naturforschung 9 bemerkbar machten. Mit der in dieser Zeit erwachten Besinnung der ratio auf ihre Eigenständigkeit als Kriterium der Wahrheit nämlich wird nun die Wirklichkeit der Welt nicht mehr nur von der HI. Schrift her als Symbol für die Wahrheit Gottes gelesen, sondern als ein autonomer, nach eigenen inneren und verläßlichen Gesetzen ablaufender und daher mit Hilfe der Vernunft erforschbarer Zusammenhang begriffen. Die Natur wird als Natur entdeckt 10 . An die Stelle des bisherigen Symbolismus tritt ein Physizismus". Das Werden der Dinge wird aus natürlichen Ursachen im Sinne einer Evolution erklärt, wobei - so bei Thierry von Chartres - auch der Mensch, so sehr er Bild Gottes ist, bruchlos aus dem Tierreich hervorgeht. Die Erkenntnis der Vernunft hat nicht mehr die Grenze ihrer Wahrheit an der Offenbarung; die Auslegung der Hl. Schrift hat vielmehr umgekehrt die Grenze ihrer Wahrheit an der eigenständigen Vernunfterkenntnis der Welt. Während aber die Magister von Chartres in ihren Kosmologien sich neben einigen lateinischen Vätern vor allem auf die Autorität der antiken Philosophen verlassen 12 und ihre Einsichten noch weitgehend, wie das Vorbild der antiken Naturphilosophie auch, in poetisch-weisheitlicher Sprache im Rahmen analogen und metaphorischen Denkens
täte dei aliquando generatio, sicut aliquando non fuerit et post hoc coepit, dico, quod nihil ad me de Dei miraculis, cum ego de naturalibus disseram". 7
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Vgl. SIGERUS de Brabantia: Tractatus de anima intellectiva, c. 3: ed. Bernardo Bazân. Louvain [u. a.] 1972, S. 83, 44 - 84, 48: „Quaerimus enim hie solum intentionem philosophorum et praecipue Aristotelis, etsi forte Philosophus senserit aliter quam Veritas se habeat et sapientia, quae per revelationem de anima sint tradita, quae per rationes naturales concludi non possunt. Sed nihil ad nos nunc de Dei miraculis, cum de naturalibus naturaliter disseramus". Vgl. dazu: LIBERA, Alain de: Albert le Grand et la philosophie. Paris 1990, S. 39f. Vgl. die Kosmologien des THEODORICUS Carnotensis {„De sex dierum operibus": ed. Nikolaus M. Häring: Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and his School. Toronto 1971 [Pontifical Institute o f Medieval Studies, Studies and texts, 20], S. 553-575), des GUILELMUS de Conchis („Philosophia mundF: ed. Gregor Maurach. Pretoria 1974) und des C L A R E M B A L D U S Atrebatensis („Tractatulus": ed. Nikolaus M. Häring. In: BEIERWALTES, Werner [Hrsg.]: Platonismus in der Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 1969, S. 249-267). Vgl. dazu CHENU, Marie-Dominique: Découverte de la nature et philosophie de l'homme à l'école de Chartres au XHe siècle. In: Cahiers d'histoire mondiale 2 (1954), S. 3 1 3 - 3 2 5 . Vgl. LE GOFF, Jacques: Die Intellektuellen im Mittelalter. Stuttgart 2 1987, S. 57. Nämlich „De consolatione Philosophiae" des Boethius, Jn somnio Scipionis" des Macrobius und vor allem Piatons „Timaios".
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vortragen 13 , herrscht bei Albert eine nüchternere und reflektiertere Methode. Albert nämlich will nicht mehr einfach alles ungeprüft übernehmen, was über die Naturzusammenhänge geschrieben wurde und wird 14 . Er will sich - und darin liegt das Charakteristische und Neue seiner Methode - nur noch auf die eigene empirische Beobachtung zur Wahrheitsermittlung verlassen 15 . Dabei führt allein das wiederholte und deshalb auch wiederholbare Experiment zu wirklicher Gewißheit 16 . Unabhängig von allen Vorgaben durch Offenbarung und Theologie will Albert also zunächst einmal mit Hilfe der Erfahrung und der Vernunft die immanente Wahrheit der Welt erforschen. Von daher wird es verständlich, daß sich Albert nun auch in seiner Zeit für einen vorurteilsfreien und sachlichen Umgang mit dem Werk des Aristoteles und den Kommentaren des Averroes einsetzt. In einer Zeit, in der von kirchlicher Seite die Lektüre des Aristoteles an den Universitäten mehrfach verboten worden war (1210 und 1215 für Paris, 1231 auch für Toulouse), möchte Albert in seinen Kommentaren und Paraphrasen der Werke des Aristoteles - viel radikaler auch als später sein Schüler Thomas von Aquin - diese erst einmal in sich selbst zur Geltung bringen, verstehen und auf ihre Wahrheit hin überprüfen, ohne sie sofort am Maßstab der Offenbarung zu beurteilen oder sie harmonisierend mit der christlichen Lehre in Einklang zu bringen. 2. In dem Maß aber, in dem es Albert um die Unabhängigkeit säkularer Wissenschaft vom Wahrheitsanspruch der Theologie geht, in dem Maß wird im Gegenzug die Theologie auf ihren eigentümlichen Gegenstandsbereich eingegrenzt, nämlich auf die Offenbarung. Die Theologie hat innerhalb dieser Grenzen zu bleiben und ihren Wahrheitsanspruch nicht auf einen Bereich auszudehnen, der nicht in ihre Kompetenz fällt 17 . Umgekehrt aber wird mit dieser kritischen Einschränkung der Theologie zugleich auch die Alleinzuständigkeit der Theologie für den ihr eigentümlichen Gegenstandsbereich hervorgehoben. Dieser nämlich ist in seiner Wahrheit allein auf Offenbarung gegründet und kann deshalb von den anderen säkularen, auf Vernunfterkenntnis und Erfahrung aufbauenden Wissenschaften, so auch von der Philosophie, nicht erkannt und beurteilt werden 18 . So läßt sich für Albert etwa über das Weiterleben der Seele nach dem Tod philosophisch nichts ausmachen. Sichere Erkenntnis läßt sich hierüber allein
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Vgl. etwa die Dichtungen des B E R N A R D U S Silvestris und des A L A N U S ab Insulis. Vgl. ALBERTUS Magnus: Miner., 1. II, tr. 2, c. 1: Ed. Paris, t. 5, S. 30a: „Scientiae enim naturalis non est simpliciter narrata accipere, sed in rebus naturalibus inquirere causas". Vgl. Meteora I. III, tr. 1, c. 21: Ed. Paris, t. 4, S. 606a: „Quae probatio (per sensum) in naturis rerum certissima est, et plus dignitatis habet quam ratio sine experimento". Vgl. De veget. , 1. VI, tr. 1, c. 1, n. 1: ed. E. Meyer - C. Jessen, S. 340: „Experimentum enim solum certificat in talibus, eo quod de tarn particularibus naturis syllogismus haberi non potest". Vgl. Super Luc., 1, 5: Ed. Paris, t. 22, S. 13b: „Quae (theologia) casta stat intra limites fidei, nec luxuriatur per phantasias". Vgl. Metaph., 1. XI, tr. 3, c. 7: Ed. Colon, t. 16, S. 542, 2 5 - 2 9 : „Theologica autem non conveniunt cum philosophicis in principiis, quia fundantur super revelationem et inspirationem et non super rationem, et ideo de illis in philosophia non possumus disputare".
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im nicht natürlichen Licht des Glaubens gewinnen 19 . Philosophisch läßt sich die Auferstehung weder beweisen, und es ist unsinnig, den Philosophen vorzuwerfen, daß sie nicht über die Auferstehung handelten, denn dies ist die genuine Aufgabe der Theologie unter Rückgriff auf die Prinzipien der Offenbarung 20 ; noch läßt sie sich mit philosophischen Mitteln widerlegen, denn die Wahrheit des Glaubens widerspricht nicht den mit der Vernunft erfaßbaren immanenten Wahrheiten der Natur 21 . Ist aber die Wahrheit der Offenbarung erst einmal im Licht des Glaubens erfaßt, so fuhrt dieser Glaube für Albert in eine Gewißheit hinein, die die Gewißheit weltlicher Erkenntnis aufgrund von Vernunft und Erfahrung bei weitem übersteigt. Albert verdeutlicht dieses übersteigende Maß der Gewißheit, indem er etwa sagt, die Auferstehung des Fleisches sei sicherer als daß morgen früh wieder die Sonne aufgeht 22 . Noch extremer und paradoxer ist seine Formulierung, daß ein Heiliger, der der Mathematik kundig ist, eher bereit ist zu bestreiten, daß ein Dreieck drei Ecken hat, deren Winkelsumme der von zwei rechten Winkeln gleich ist, als daß er die Wahrheit des Glaubens leugnet 23 . Albert will damit nicht einem blinden, widervernünftigen Glauben das Wort reden. Vielmehr geht es ihm darum, daß die Gewißheit im Glauben, von Gott nicht fallen gelassen zu werden, und die daraus entspringende Hoffnung auf Auferstehung - obwohl sie nicht an der Wirklichkeit der Welt überprüft werden kann - aufgrund der Zusage Gottes ungleich größer ist als jede noch so sichere auf bloßer Erfahrung und Beobachtung der Natur basierende Voraussage innerweltlicher Ereignisse. Albert spricht dem entsprechend von einer zweifachen, unterschiedlichen Gewißheit, einer Gewißheit über die verstandesmäßig erfaßbare Wahrheit, die den Wissenschaften zukommt und aus den
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Vgl. Super Ethica, 1. I, lect. 13: Ed. Colon, t. 14,1, S. 71, 7 3 - 7 9 : „Dicendum, quod hoc quod animae defunctorum remaneant post mortem, non potest per philosophiam sufficienter sciri. Et supp o s t o , quod remaneant, de statu earum et qualiter se habeant ad ea quae circa non fiunt, omnino nihil sciri per philosophiam potest, sed haec cognoscuntur altiori lumine infuso non naturali, quod est habitus fidei". Vgl. IVSent. , d. 43, a. 3: Ed. Paris, t. 30, S. 509b: „Ex ista quaestione patet, quod amentes sunt qui reprehendunt Philosophos non loquentes de resurrectione, quia per philosophiam non potest probari resurrectio, sed potius per principia fidei". Vgl. Super Ethica, 1. I, lect. 13: Ed. Colon, t. 14,1, S. 71, 7 9 - 8 3 : „Sed tamen contra ea quae fide determinata sunt, nihil potest demonstratio esse, eo quod fides non est contra rationem, quia nulla Veritas alii discordât, sed est supra rationem". Vgl. IVSent. , d. 43, a. 1: Ed. Paris, t. 30, S. 502a: „Dicendum ad hoc, quod certius secundum Catholicam fidem nobis est, resurrectionem carnis ejusdem numero in qua nunc vivimus, esse futuram, et unumquemque in eadem recipere bona et mala secundum quod meruit, quam quod sol orietur eras". Vgl. Ill Sent. , d. 23, a. 17: Ed. Paris, t. 28, S. 435a-b: „Et ideo sanctus sciens disciplinas mathematicas, potius abnegat, quod triangulus habet très angulos aequales duobus rectis, quam neget veritatem fidei".
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Prinzipien der Vernunft entspringt, und einer Gewißheit über die existentiell erfaßbare Wahrheit, die die Vernunft übersteigt und den Profanwissenschaften fremd ist, die aber aus der Zusage Gottes entspringt und das Wesen der Glaubenserkenntnis ausmacht24.
2. Strikte Unterscheidung von philosophischer und theologischer Ethik Der strikten Begrenzung des Zuständigkeitsbereichs der Theologie und der gleichzeitigen Freisetzung säkularer Wissenschaft in ihre Eigenständigkeit entspricht nun im Bereich der Ethik bei Albert ebenfalls eine klare Differenzierung und Abgrenzung zwischen philosophischer und theologischer Ethik. Auch philosophische Ethik will er unabhängig von allen Vorgaben und jeglichem Wahrheitsanspruch der Theologie treiben. 1. Alberts Konzeption einer eigenständigen philosophischen Ethik wird dabei bereits rein äußerlich deutlich an der systematischen Grundgestalt, die er seinem eigenen Entwurf der Ethik gibt. Dort nämlich, wo er nicht nur kommentierend einer Vorlage folgt sei es der „Nikomachischen Ethik" oder den „Sentenzen" des Petrus Lombardus - , sondern eine eigene Systematik entwickelt, wählt er nicht mehr, wie noch die meisten Theologen seiner Zeit, das heilsgeschichtliche Schema als Rahmen, in dem die gesamte Wirklichkeit der Welt, und damit auch die Ethik, von vornherein im Lichte des Glaubens verstanden wird. Vielmehr orientiert er sich - sowohl in seinem Traktat De natura boni als auch in der Summe De bono - an dem Vorbild der Summa de bono Philipps des Kanzlers, der erstmals eine begrifflich-systematische Darstellung unter dem leitenden Begriff des bonum vorgelegt hat. Allerdings transformiert Albert diese Vorlage in charakteristischer Weise, indem er nämlich nun alle theologischen Aspekte systematisch ausklammert. Zwar enthält auch die Summa de bono Philipps des Kanzlers weder eine Gotteslehre, noch eine Christologie, Sakramentenlehre oder Eschatologie. Dennoch wird hier - nach den grundsätzlichen Überlegungen zum Begriff des bonum und des summum bonum im Rahmen der Transzendentalien - in einem 1. Teil {De bono naturae) eine vollständige Angelologie, Schöpfungslehre, Anthropologie und Erbsündenlehre entfaltet. Bei Albert fällt all dies aus, er beschränkt sich lediglich auf einige Überlegungen zum Begriff des Guten, um sofort zum eigentlichen Gegenstand, dem bonum moris, überzuleiten, das
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Vgl. dazu G Ö S S M A N N , Elisabeth: Glaube und Gotteserkenntnis im Mittelalter. Freiburg i. Br. [u. a.] 1971 (Handbuch der Dogmengeschichte, I,2b), S. 91, sowie die hier zitierte Stelle aus III Sent. , d. 23, a. 17: Ed. Paris, t. 28, S. 434b: „ ... certitudo duplex ... veritatis intellectivae, et veritatis affectivae ... , quae secundum pietatem est". - Vgl. auch ALBERTUS Magnus: III Sent. , d. 23, a. 17: Ed. Paris, t. 28, S. 435: „Et ideo non trahit certitudinem a principiis rationis, sed potius a lumine, quod est simile primae veritati, quod est simplex quasi aperiens oculum ad videndum primam veritatem".
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dann zunächst grundsätzlich unter der Hinsicht der Umstände (De bono ex circumstantiis) und der politischen Tugenden {De bono virtutis politicae) bestimmt wird. Aber auch in der jeweils daran anschließenden speziellen Tugendlehre unterscheidet sich Albert von Philipp dem Kanzler in auffallender Weise. Philipp nämlich entfaltet nach einem kürzeren 2. Teil über das bonum in genere in einem 3. Teil unter dem Titel De bono gratiae eine ausführliche Gnadenlehre. Sie gliedert sich neben einer allgemeinen Abhandlung über die Gnade in die Abhandlungen De bono gratiae in angelis und De bono gratiae in homine, wobei dieser letzte Abschnitt, nach Ausführungen über die Prophetie als gratia gratis data, unter der Überschrift De gratia gratum faciente eine Tugendlehre bringt, die nach einer allgemeinen Begriffsklärung (A), zuerst die theologischen Tugenden (B), dann die Kardinaltugenden (C) und abschließend die Gaben des Geistes (D) behandelt. Albert dagegen klammert auch hier den theologischen Aspekt, nämlich die Gnadenlehre, aus und beschränkt sich ausschließlich auf die Untersuchung der Kardinaltugenden als virtutes politicae. 2. Diese methodische Ausklammerung der Theologie aber geschieht bei Albert nicht nur implizit durch den systematischen Aufbau, den er seiner Ethik in De bono und De natura boni gibt. Vielmehr nimmt er sie auch ganz bewußt und ausdrücklich reflektiert vor. So wie Albert Naturwissenschaft unabhängig von allen theologischen Vorgaben allein aufgrund eigener Beobachtung betreiben will, so will er auch die Ethik von ihrer Methode her als rein immanente, philosophische Wissenschaft verstanden wissen 25 . Die Aussagen der Theologie über das geoffenbarte Ziel des Menschen und das dem entsprechende Handeln des Menschen möchte er dagegen nicht in die Ethik mit einbeziehen. In seinem Kommentar zur „Nikomachischen Ethik" will er die Aussagen des Aristoteles und dessen Einsichten zur Geltung bringen, ohne sie sofort theologisch zu integrieren oder gar korrigierend zu transformieren. Er wehrt sich ausdrücklich dagegen, in diesem Zusammenhang die von Gott geschenkten Tugenden zu berücksichtigen. Hier werde nicht über die theologischen, sondern über die natürlichen Tugenden gesprochen 26 . Diese aber seien in keinem anderen Sinne von Gott als alles Geschaffene überhaupt von Gott ist. In der Ethik aber gehe es um die nächstliegenden Ursachen27. Die von Gott ver-
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Vgl. Ethica, 1. I, tr. 1, c. 3: Ed. Paris, t. 7, S. 7 - 8 : „Et sic etiam moralis modum philosophiae ponens in his quae sunt virtutis, et in actibus humanis proponendo, assumendo, et concluendo, philosophiae habet modum, per quod philosophus appellator".
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Vgl. Ethica, 1. I, tr. 7, c. 5: S. 114b: „Si quis nobis obiciat de virtutibus infusis a deo, quas theologi praedicant et laudani, dicemus quod nihil ad nos: quia iam non de theologicis, sed de physicis disputamus".
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Vgl. Super Ethica, 1. I, lect. 10: Ed. Colon, t. 14,1, S. 55, 4 4 - 4 9 : „Dicendum, quod operationes nostrae sunt causa felicitatis, de qua hie loquitur Philosophus. Nihilominus dicimus, quod deus est causa prima, a qua procedit omne bonum quod secundum operationes est virtutis vel artis vel propositi. Sed nos quaerimus hie causam propinquam".
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liehenen Tugenden dagegen gehen den Ethiker als Ethiker nichts an 28 . Albert unterscheidet also strikt zwischen der Ethik, die er als immanente philosophische Ethik versteht, und dem Beitrag der Theologie zur Ethik. Diese strikte methodische Differenzierung basiert bei Albert auf der ebenso strikt durchgehaltenen Differenzierung in der Gegenstandsbestimmung der Ethik. So unterstreicht er in seinem Kommentar zur „Nikomachischen Ethik" die aristotelische Eintei29
lung des Glücks in das bürgerliche und in das kontemplative Glück , indem er diese Differenzierung nun selbst anthropologisch unter Hinweis auf die Unterscheidung der Vermögen der ratio und des intellectus fundiert. Während der intellectus im kontern-JA plativen Leben vollendet wird, findet die ratio ihre Erfüllung im bürgerlichen Leben . Und entsprechend differenziert er die Tugend der Weisheit, die er als Vollendung des intellectus der Erreichung des kontemplativen Glücks zuordnet, und die Tugend der Klugheit, die er als Vollendung der ratio versteht und deren Ziel er im bürgerlichen Glück gegeben sieht 31 . Wie sehr es Albert um diese Differenzierung geht, zeigt sich daran, daß für ihn zwar das bürgerliche Glück trotz seines Vorzugs im Blick auf die Nützlichkeit doch letztlich auf das kontemplative Glück als das eine und höchste Gut des Menschen hingeordnet ist32, daß er aber andererseits - um die Eigenständigkeit der philosophischen Ethik gegenüber der Theologie, die ja eigentlich für das eine höchste Gut des Menschen zuständig wäre, durchhalten zu können - noch einmal zwischen einer philosophischen und einer theologischen Kontemplation unterscheidet 33 .
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Vgl. Super Ethica, I. I, lect. 10: Ed. Colon, t. 14,1, S. 55, 5 0 - 5 2 : „Ad primum ergo dicendum, quod Augustinus loquitur de virtutibus infusis, de quibus nihil pertinet ad moralem philosophum". Vgl. Super Ethica, 1. I, lect. 8: Ed. Colon, t. 14,1, S. 39, 8 0 - 8 4 : „Hic autem quaeritur civilis felicitas, quae est bonum vel opus hominis secundum suam naturam, quod ulterius ordinatur ad contemplativam felicitatem, de qua in decimo tractabit...". Vgl. Super Ethica, 1.1, lect. 4: Ed. Colon, t. 14,1, S. 20, 9 0 - 2 1 , 5: „Quae [i. e. anima] perficitur ... vel per operationes intellectus, secundum quod manet in simplicitate sua, et sie perficitur in vita contemplativa, vel secundum discursum ab uno in alterum, quod est proprium rationis, et perficitur sie in civili vita". Vgl. Super Ethica, 1. I, lect. 8: Ed. Colon, t. 14,1, S. 41, 80-83: „Ad quartum dicendum, quod sapientia est de alio ordine, scilicet de perfectione intellectus, non rationis, et pertinet ad felicitatem contemplativam, quae melior est quam civilis, quae est secundum prudentiam". Vgl. auch Super Ethica 1. I, lect. 11: Ed. Colon, t. 14,1, S. 59, 3 - 6 : „Dicendum, quod felicitas civilis est operatio prudentiae, secundum quam intrat in substantiam aliarum virtutum quae sunt in potentiis inferioribus, determinans eis medium". Vgl. Super Ethica, 1. I, lect. 7: Ed. Colon, t. 14,1, S. 35, 2 9 - 3 4 : „Dicendum, quod aliquid dicitur melius dupliciter: ... Aut quia utilior, et sie civilis melior"; ebd., S. 33, 13-15: „Et sie relinquitur, quod tantum sit poni unum optimum hominis". - Vgl. auch den Text in Anm. 29: „... quod ulterius ordinatur ad contemplativam felicitatem ..." Vgl. dazu die Angaben und die Kritik bei WIELAND, Georg: Ethica - scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert. Münster 1981 (BGPhMA, N. F. 21), S. 205f.
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3. Philosophische Ethik soll - so das Anliegen Alberts - nicht wieder von einem umfassenderen theologischen System absorbiert und bestimmt werden. Dennoch bedeutet die strikte Betonung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit philosophischer Ethik gegenüber der Theologie für Albert nicht, daß die Theologie nicht auch Wesentliches über das rechte menschliche Handeln zu sagen hätte. Allerdings berührt oder verändert es die Aussagen der philosophischen Ethik nicht, sondern fugt lediglich auf einer anderen Ebene weitere Aussagen hinzu. Wie Albert dieses Verhältnis von Theologie und philosophischer Ethik genauer bestimmt, läßt sich dabei etwa seiner Lösung der Frage entnehmen, ob alles willentliche Handeln des Menschen immer schon gut oder böse qualifiziert ist oder ob es nicht auch indifferente Handlungen gibt 34 . Albert meint dazu, daß es in der Sicht des Theologen nichts Indifferentes gäbe, während dies in der Sicht des Ethikers der Fall sein kann. In der Sicht des Ethikers nämlich gibt es keine Tugend, die ein allgemeines bewegendes Prinzip für alle willentlichen Handlungen überhaupt darstellt, vielmehr bewege eine jede einzelne Tugend zu Handlungen nur im Bereich ihres jeweiligen spezifischen Gegenstandes 35 . Deshalb gebe es manche Handlungen, die weder gut noch böse seien, sondern wegen einer gerechten Bedürftigkeit der Natur geschehen, zum einen nämlich Verrichtungen lebensnotwendiger Tätigkeiten wie Essen, Trinken, Schlafen, Sich-Kleiden usw., zum anderen Erholung von der Arbeit durch Ruhepausen, Gespräch, Spaziergänge, Gesang, Spielen usw. 36 In der Sicht des Theologen dagegen kommt ein solches allgemeines bewegendes Prinzip aller willentlichen Handlungen in den Blick: die Caritas. Dann aber kann es in der Sicht der Theologie keine Handlung geben, die nicht in irgendeiner Weise von diesem Prinzip alles willentlichen Handelns qualifiziert ist37. Nach diesen Überlegungen läßt sich das Verhältnis von Theologie und philosophischer Ethik in folgender Weise bestimmen: Die philosophische Ethik beschäftigt sich mit konkreten und spezifischen Bereichen und Fragen des menschlichen Handelns; sie versucht, im Blick auf diese Bereiche und Fragen des Handelns das ethisch Richtige zu ermitteln und die entsprechenden Grundhaltungen zu erarbeiten, die sich dann jeweils
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Vgl. A L B E R T U S Magnus: De bono, tr. 1, q. 2, a. 7: Ed. Colon, t. 28, S. 33, 63ff. Vgl. De bono, tr. 1, q. 2, a. 7: Ed. Colon, t. 28, S. 34, 2 6 - 3 2 : „Sine praeiudicio melioris sententiae dicimus nihil esse indifferens in operibus voluntatis cum deliberatione factis secundum theologum, licet secundum ethicum aliquid indifferens possit inveniri. Et hoc est ideo, quia secundum ethicum nulla virtus ponitur, quae sit generale movens ad omnes actus voluntarios, sed unaquaeque movet in sua materia". Vgl. dazu auch De bono, tr.l, q. 4, a. 1: Ed. Colon, t. 28, S. 45, 3 - 7 : „Finis enim motivae potentiae in actu uno est circa materiam, quae movens est specificando et distinguendo voluntatem in actus existentem, et secundum hunc finem distinguuntur virtutes et vitia in suis speciebus". Vgl. De bono, tr. 1, q. 2, a. 7: Ed. Colon, t. 28, S. 34, 3 6 - 5 0 . Vgl. De bono, tr. 1, q. 2, a. 7: Ed. Colon, t. 28, S. 34, 3 3 - 3 5 : „Secundum theologum autem ponitur caritas generale movens omnium operum voluntariorum, et propter hoc de operibus illis nihil est indifferens".
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auch durch Übung erwerben lassen. Demgegenüber geht es der theologischen Ethik um die umfassende Liebe des Menschen zu Gott und zum Nächsten, um die grundlegende Entscheidung des Menschen also für das Gute und gegen das Böse; ihr geht es um die umfassende Umgestaltung des gesamten Menschen und seiner Freiheit, die der Mensch selbst aber nicht mehr durch Übung und Gewöhnung leisten kann, sondern die ihm von Gott geschenkt werden muß.
3.
Ethische Beurteilung von Handlungen gemäß ihrer konkreten Einmaligkeit
Versteht und betreibt Albert der Große die Ethik aber in dieser Weise als eigenständige und vom Wahrheitsanspruch der Theologie unabhängige philosophische Wissenschaft, so kann dies auch nicht ohne Folgen für die Beurteilungskriterien ethisch richtigen und falschen Handelns sowie für die Begründungsprinzipien konkreter ethischer Urteile bleiben. Dieser Zusammenhang wird deutlich durch den Vergleich mit solchen Konzeptionen moraltheologischer Reflexion, in denen - wie etwa paradigmatisch bei Petrus Lombardus - von Augustinus herkommend allein die Bedeutung der Gnade für das gute Handeln herausgestellt wird und das sittliche Naturgesetz entsprechend als ein wesentlich durch die Offenbarung in Dekalog und Evangelium vermitteltes Gesetz verstanden wird 38 . In einer solchen Konzeption nämlich wird die ethische Richtigkeit menschlichen Handelns letztlich erst durch die Offenbarung verbürgt. Zugleich aber wird vor allem die unveränderliche Gültigkeit der Vorschriften des Naturgesetzes betont, die sich nicht zuletzt darin äußert, daß nun die in sich schlechten Handlungen, die durch keine noch so gute Intention und durch keine Umstände in ihrer Art verändert und so gerechtfertigt werden können, stark hervorgehoben werden 39 . 38
39
Daß bei Petrus Lombardus das Interesse an der Gnade im Blick auf die Ethik im Vordergrund steht, zeigt sich in seinem - sowohl gegenüber Abaelard als auch gegenüber Hugo von St. Viktor ausschließlich theologischen Verständnis der Tugend. Er verwendet allein die auf Augustinus zurückgehende Definition der Tugend als bona qualitas mentis, qua recte vivitur et qua nullus male utitur, quam Deus solus in homine operatur. (PETRUS Lombardus: Sententiae, 1. II, d. 27, c.l : Ed. Quaracchi. T. 1. Grottaferrata 1971 [Spicilegium Bonaventurianum, 4], S. 480, 8 - 1 0 ) . Entsprechend werden die Tugenden in die Christologie integriert, wobei die Behandlung der Kardinaltugenden auf ein Minimum reduziert wird. Vgl. zu dieser moraltheologischen Konzeption ERNST [Anm. 1], S. 2 0 1 - 2 3 1 . Vgl. PETRUS Lombardus: Sententiae, 1. II, d. 40, n. 11-12: Ed. Quaracchi. T. 1. Grottaferrata 1971 (Spicilegium Bonaventurianum, 4), S. 560, 14f; 560, 30 - 561, 2: „Ex quo consequi videtur quod non semper ex fine iudicatur voluntas sive actio mala, sicut in illis quae per se peccata sunt. ... Omnia igitur opera secundum intentionem et causam iudicantur bona vel mala, exceptis his quae per se mala sunt, id est quae sine praevaricatione fieri nequeunt".
Philosophische Ethik im Rahmen der Theologie bei Albertus Magnus
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Wo demgegenüber jedoch der theologische Aspekt zugunsten einer eigenständigen philosophischen Ethik ausgeklammert und das sittliche Naturgesetz als immanentes Gesetz der Vernunft unabhängig von normativen Vorgaben der Hl. Schrift aufgefaßt wird, wo darüber hinaus die Erfahrung und Beobachtung der konkreten Wirklichkeit für die Wahrheitsfindung eine so zentrale Rolle spielt wie bei Albert dem Großen, dort kommt es zu einer sehr viel intensiveren und differenzierteren Untersuchung der einzelnen konkreten Handlungen und entsprechend zu einer differenzierteren ethischen Beurteilung von Handlungen gemäß ihrer Einzigartigkeit und Einmaligkeit. Albert selbst sieht jedenfalls die Aufgabe des Ethikers keineswegs in der Betrachtung allgemeiner Grundsätze erschöpft, vielmehr besteht sie für ihn wesentlich - ganz im Sinne einer Situationsethik - in der weitestgehenden Untersuchung der Einzelmomente und Besonderheiten der jeweiligen zur Beurteilung anstehenden Handlung 40 . In Alberts grundsätzlichen Überlegungen über das bonum moris zeigt sich dies darin, daß sich in seiner Sicht das, was eine konkrete Handlung ethisch gut oder schlecht (d. h. richtig oder falsch) macht, nicht einfach nur aus der Gattung der Handlung, sondern wesentlich aus der konkreten Situation ergibt. Für Albert bestimmt sich die sittliche Qualität der einzelnen konkreten Handlungen wesentlich durch die Umstände 41 . Diese sind für ihn nicht nur einfach Schuld vermindernde oder erschwerende akzidentelle Momente einer bereits durch das Objekt ethisch qualifizierten Handlung, sondern stellen selbst das letztlich entscheidende Kriterium ethischer Wertung dar. Gewiß geht Albert zunächst davon aus, daß auch im Bereich des Handelns die einzelnen Handlungen ihrer Gattung nach bereits immer schon zum Guten oder zum Schlechten hingeneigt sind 42 . Albert setzt dies in Parallelität zu seiner für ihn charakteristischen Auffassung im Rahmen der Metaphysik, daß die reine, von aller Form abstra-
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Vgl. A L B E R T U S Magnus: De bono, tr. 1, q. 4, a. 4 ad 5: Ed. Colon, t. 28, S. 56, 7 3 - 8 0 : „circumstantiae principales reducuntur ad quandam summam generis sicut ad locum et tempus etc., et in consideratione illius summae operatur prudentia in opere, sed tanto magis erit cauta, quanto magis descendit ad singularia. Singularia autem vocantur circumstantiae, eo quod ethicus non intendit contemplationem universalis, sed potius particularium, in quibus est actus". Johannes GRÜNDEL (Die Lehre von den Umständen der menschlichen Handlung im Mittelalter. Münster 1963 [BGPhMA, 39,5], S. 500) sieht in Alberts Ausfuhrungen zu den Umständen bereits eine Vorform der „Situationsethik" gegeben. ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 1, q. 3, a. 1: Ed. Colon, t. 28, S. 38, 7 - 9 : „Dicendum, quod circumstantia proprie informat actum secundum illam formam quae dat esse honesti vel vituperabilis". Vgl. De bono, tr. 1, q. 2, a. 4: Ed. Colon, t. 28, S. 29, 4 2 - 5 3 : „Dicendum, quod genus dicitur hic, secundum quod ponit primum subiectum. Simpliciter autem primum in moribus est id quod est possibile ad condicionem laudis, quae est virtus, vel vituperii, quae est Vitium, et hoc est voluntarius actus secundum eligentiam et deliberationem existens super volitum. Iste enim actus possibilis est ad utrumque contrariorum et aequaliter. Bonum autem in genere non dicit simpliciter primum in moribus, sed ordinatum magis ad unum contrariorum, scilicet ad bonum virtutis, sicut nec malum in genere simpliciter dicit primum in moribus, sed inclinatum magis ad Vitium".
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hierte Materie als solche kein Erkenntnisprinzip der jeweiligen Sache ist, sondern erst die Materie, insofern sie bereits immer schon auf Form hin angelegt ist, so daß sie überhaupt eine Form aufnehmen kann, dadurch nämlich daß sie anfanghaft schon eine Form (incohatio formae) enthält43. Dabei sind die Beispiele, die Albert für die der Gattung nach guten bzw. schlechten Handlungen gibt44, dadurch charakterisiert, daß sie durch ihre reduplikative und damit tautologische Formulierung von vornherein immer schon als gut oder schlecht gewertet sind: reflcere - reficiendum, interficere - interficiendum, occidere - occidendum, liberare - liberandum sind Handlungen, die ein bonum in genere darstellen, weil in ihnen eine materia debita verwirklicht, also immer schon das Gesollte bzw. das zu Tuende getan wird; und umgekehrt sind dare, cui non dandum est und occidere non-occidendum Handlungen, die ein malum in genere darstellen, weil in ihnen eine materia indebita, also gerade das, was man per definitionem nicht tun soll, ins Werk gesetzt wird45. Dies gilt freilich aufgrund dieser Formulierung selbstverständlich und mit Notwendigkeit. Die Frage ist allerdings jeweils, unter welche dieser Gattungen denn eine bestimmte konkrete Handlung gehört. Ist es etwa bei einer konkreten Tötung wirklich so, daß jemand getötet wurde, der nicht hätte getötet werden dürfen, oder wurde jemand getötet, dessen Tötung gerechtfertigt war? In der Beantwortung dieser Frage spielen für Albert nun die Umstände der jeweiligen konkreten Handlung eine entscheidende Rolle. Wie nämlich die Materie, die auf eine bestimmte Form hin disponiert ist, dennoch aufgrund einer entgegengesetzten Notwendigkeit unter eine andere Form gelangen kann, so ist es für ihn durchaus ebenfalls möglich, daß eine Handlung, die zunächst einmal allgemein der Gattung nach gut ist, in der konkreten Situation und durch die konkreten Umstände ihrer Art nach schlecht werden kann. Und ebenso kann auch umgekehrt eine Handlung, die zunächst allgemein ihrer Gattung nach schlecht ist, im konkreten Fall dennoch ihrer Art nach gut sein46. Während der erste Fall, daß eine der Gattung nach gute Handlung durch die Um-
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Vgl. etwa: De bono, tr.l, q. 2, a. 4: Ed. Colon, t. 28, S. 29, 5 3 - 6 2 ; Metaph., 1. 5, tr. 2, c. 16: Ed. Colon, t. 16,1, S. 255, 48ff. - Zum Begriff der materia bei Albert vgl. HOSSFELD, Paul: „Erste Materie" oder „Materie im Allgemeinen" in den Werken des Albertus Magnus. In: MEYER, Gerbert / ZIMMERMANN, Albert (Hrsg.): Albertus Magnus - Doctor universalis ¡280-1980. Mainz 1980 (Walberberger Studien. Philos. Reihe, 6), S. 2 0 5 - 2 3 4 ; WIELAND, Georg: Untersuchungen zum Seinsbegriff im Metaphysikkommentar Alberts des Großen. Münster 1972 (BGPhMA, N. F. 7), S. 2 2 - 2 7 .
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Vgl. zu diesen Beispielen ALBERTUS Magnus: De nat. boni, tr. 2, pars 1, c. 1 und 2: Ed. Colon, t. 25,1, S. 9, 1-65. Vgl. De nat. boni, tr. 2, pars 1, c. 1 und 2: Ed. Colon, t. 25,1, S. 8, 65 - 9, 5: „Sic bonum in genere est actus solus super materiam debitam. ... Similiter malum in genere est actus super indebitam materiam ..." Vgl. De bono, tr. 1, q. 2, a. 5: Ed. Colon, t. 28, S. 31, 35—44: „Dicendum, quod genus sumitur hic pro materia et ad similitudinem generis in natura et species similiter. Et sumitur hic secundum illam diffinitionem: «Species est, quae abundat a genere». Et bene concedimus, quod sicut in natu-
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Philosophische Ethik im Rahmen der Theologie bei Albertus Magnus
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stände schlecht wird, dabei eine allgemein vertretene Ansicht ist, erstaunt es, wenn wir den oben genannten Grundsatz des Petrus Lombardus voraussetzen, daß Albert nun auch den Fall für möglich hält, daß eine der Gattung nach schlechte Handlung durch die Umstände gut und ethisch gerechtfertigt wird. Was Albert hier genau meint, kann durch die Beispiele deutlich werden, die er in De natura boni gibt. Für den ersten Fall, daß nämlich eine der Gattung nach gute Handlung durch die Umstände schlecht wird, nennt er als Beispiele, daß man zwar einen Hungernden speist, aber aus Gründen der persönlichen Eitelkeit47, oder daß man zwar einen zu Tötenden tötet, aber aus Neid oder in Selbstjustiz, also ohne die Rechtsordnung zu wahren48. Für den zweiten Fall dagegen, daß eine der Gattung nach schlechte Handlung durch die Umstände gut wird, führt Albert folgende Beispiele an: Jemandem etwas geben, dem man eigentlich nichts geben darf, ist zunächst der Gattung nach schlecht; wenn dies aber im Namen eines Propheten geschieht oder deshalb, um dem Betreffenden so die Grundlage zu einer möglichen Umkehr und Buße zu erhalten, ist für Albert diese Handlung ethisch gerechtfertigt und gut49. Oder: Jemanden töten, den man eigentlich nicht töten darf, ist zunächst der Gattung nach schlecht; wenn allerdings die vorgebrachten Argumente, Beweise und Zeugenaussagen gegen den Angeklagten sprechen, ist es ethisch gerechtfertigt und gut, daß ein Richter, auch wenn er persönlich für sich weiß, daß der Angeklagte unschuldig ist, den Angeklagten verurteilt, deshalb nämlich, weil er als Richter gezwungen ist, nach dem Verfahren des Gerichts vorzugehen50. Aus diesen Beispielen wird klar, daß für Albert bei der ethischen Beurteilung einer Handlung nicht allein das Faktum der isoliert betrachteten äußeren Tat entscheidend ist, sondern wesentlich die Frage, aus welchem Grund diese Tat geschieht und in welchem Zusammenhang sie steht. Dabei kann es durchaus sein, daß eine zunächst schlecht erscheinende Handlung durch den Grund aus dem sie geschieht und durch die Folgen, die sie hat (etwa die Aufrechterhaltung des Rechtssystems), ethisch gerechtfertigt ist und als gut bewertet werden kann. Entscheidend in der ethischen Bewertung einer Handlung
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ris materia disposita ad unam formam prima dispositione tamen potest esse sub alia forma propter necessitatem contrariam, sic etiam in moribus malum in genere potest esse subiectum bono in specie, et e converso bonum in genere subiectum malo in specie". Vgl. auch De nat. boni, tr. 2, pars 1, c. 1 : Ed. Colon, t. 25,1, S. 9, 7 - 8 : „Unde et bonum in genere potest male fieri, et malum in genere potest bene fieri". Vgl. De nat. boni, tr. 2, pars 1, c. 1: Ed. Colon, t. 25,1, S. 9, 10: „ut reficere esurientem causa vanitatis". Vgl. loc. cit.: S. 9, 11-12: „similiter occidere occidendum propter livorem et vindictam non servato ordine iuris". Vgl. op. cit., tr. 2, pars 1, c. 1: S. 9, 12-15: „E contrario autem malum in genere bene fit, ut dare, cui non dandum est, in nomine prophetae, et ut natura servetur ad paenitentiam". Vgl. loc. cit.: S. 9, 15-21: „et occidere non-occidentium, quia sic poscunt allegata et probatio, quae est contra eum; iudex enim secundum allegata procedere cogitur, et ideo etiam conscientia sua sola sciente innocentiam occidere compellitur eum quem allegata et testimonia testium secundum iuris ordinem nocentem comprobaverunt".
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ist für Albert also eine Abwägung der konkreten Umstände und Folgen sowie der dabei jeweils berührten Güter und Übel. Diese Aussagen Alberts über die Kriterien sittlicher Qualifikation von Handlungen finden ihre Bestätigung auch in den Aussagen, die er zum Naturrecht macht51. Hier nämlich nimmt Albert durchaus an, daß eine Veränderung der Umstände und Handlungsbedingungen des Menschen auch zu einer Veränderung der obersten Prinzipien des Naturrechts fuhren kann52. Beispiel ist hier auch für Albert das Prinzip des Naturrechts, daß alles allen gemeinsam ist und es keinen Privatbesitz gibt. Dies Prinzip gilt freilich nur für den Urständ, in dem es keinen Diebstahl und keine Bereicherung gegeben hat. Im postlapsarischen Status dagegen ist dies aufgrund der gewandelten Umstände nicht mehr praktikabel. Vielmehr entspricht es nun der Vernunft und damit dem ius naturale, daß es Eigentum gibt, das man in Not mit anderen teilen soll53. Bei solchen Wandlungen in den Prinzipien des Naturrechts werden freilich die früher gültigen Prinzipien durch die Wandlung der Wirklichkeit nicht aufgehoben, sie sind lediglich nicht mehr anwendbar; andere Prinzipien müssen nun in Anschlag gebracht werden. In seinem Kommentar zur „Nikomachischen Ethik" fuhrt Albert diesen Gedanken dabei noch dahingehend weiter, daß in vielen Fällen eine Güterabwägung und die Wahl des geringsten Übels notwendig ist. So schreibt er, daß manchmal das an sich natürliche Recht aufgrund der Umstände geändert werden müsse, um auf diese Weise größeres Übel zu verhindern54. Was ethisch richtig und falsch, verantwortlich und unverantwortlich ist, steht also - so wird aus diesen Überlegungen zusammenfassend deutlich - für Albert nicht von vornherein immer schon fest, sondern ist vom Menschen mit Hilfe seiner Vernunft und vor allem - für ihn charakteristisch - unter Rückgriff auf die konkrete Erfahrung und den je-
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Vgl. dazu HUFNAGEL, Alfons: Albertus Magnus und das Naturrecht. In: Sapientiae procerum amore. Mélanges Médiévistes offerts à Dom Jean—Pierre Müller OSB. Roma 1974, S. 1 2 3 - 1 4 8 (Studia Anselmiana, 63).
52
Vgl. A L B E R T U S Magnus: De bono, tr. 5, q. 1, a. 3: Ed. Colon, t. 28, S. 274, 2 7 - 3 5 : „Dicimus secundum praedicta, quod ius naturale non est nisi in principiis ultimis iuris humani et est ipsa principia, sicut habitum est. Sicut autem non est unum principium speculativi intellectus, quo seit seibilia omnia, ita non est unum principium practici intellectus, quo seit omnia operabilia; sed sicut variantur illa per materias diversas, ita etiam ipsa per opera diversa et status operantium et locum et tempus". Vgl. Loc. cit.: S. 274, 11-25. Vgl. Super Ethica, 1. 5, lect. 11: Ed. Colon, t. 14,1, S. 359, 8 1 - 9 0 : „Verum est enim, quod naturalia quantum ad essentialia numquam variantur, sed usus eorum variatur, quia aliquando relinquitur id quod est secundum naturam rectam, et expedit facere id quod est secundum naturam infirmam, ut patet in medicina, quae aliquando dat infirmis secundum excessum caloris excedentia in frigiditate, quae simpliciter non sana sunt. Ita etiam oportet aliquando mutari ipsa naturalia propter diversa accidentia, ut evitetur maius malum".
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Philosophische Ethik im Rahmen der Theologie bei Albertus Magnus
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weiligen Kontext des Handelns allererst zu suchen. Diese Haltung entspricht dem gesamten Wissenschaftsverständnis Alberts, das wesentlich vom forschenden Durchgang durch die Wirklichkeit selbst und vom eigenen Hinsehen bestimmt ist.
F R A N Z - B E R N H A R D STAMMKÖTTER,
Trier
Die Entwicklung der Bestimmung der Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus Es ist längst Allgemeingut der historischen Erforschung der Philosophie des Mittelalters geworden, daß mit der Kommentierung durch Albertus Magnus die entscheidende Auseinandersetzung mit dem Corpus Aristotelicum beginnt. Seine Leistungen auf diesem Gebiet waren und sind der Gegenstand zahlreicher Untersuchungen; gerade in diesem Bereich seiner Arbeit wird sein eigentlicher Beitrag zur Entwicklung der Philosophie des Mittelalters gesehen - seine systematischen Beiträge bleiben dagegen bisweilen unterschätzt. Daher gibt es eine Reihe von gleichsam kanonischen Zitaten aus seinen AristotelesKommentaren, in denen er seine Intention bekräftigt, alle Werke des Aristoteles zu kommentieren1 und sich mit diesem Projekt auch gegen massive Widerstände durchzusetzen2; dabei berücksichtigt er jedoch stets, daß auch das Denken des großen Philosophen nicht unfehlbar ist3. Entscheidend für die Beurteilung eines philosophischen Gedankens ist für Albertus indes immer das Prinzip der Rationalität: Ein Argument ist für ihn allein dann ein philosophisches, wenn es das, was es aussagt, allein mit der Vernunft begründet4. Obwohl sich die Aristotelische Philosophie bekanntlich auch durch die große Breite ihrer Themenstellung auszeichnet, ist bisher vor allem Albertus' Auseinandersetzung mit dessen Naturphilosophie Gegenstand der philosophiehistorischen Untersuchungen geblieben5; bisweilen wurde ihm sogar ausdrücklich abgesprochen, auf dem Gebiet der praktischen Philosophie eine gleichwertige Originalität und Bedeutung wie eben in der Naturphilosophie erreicht zu haben6.
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ALBERTUS Magnus: Phys., 1.1, tr. 1, c. 1 : Ed. Colon, t. 4,1, S. 1, 48 f. ALBERTUS Magnus: De animal., 1. XXVI, n. 36: ed. Hermann Stadler. Münster 1920, S. 1598. ALBERTUS Magnus: Physica, VIII, tr. 1, c. 14: Ed. Colon, t. 4,2, S. 578, 23-27. ALBERTUS Magnus: De XVprobl., a. 6: Ed. Colon, t. 17,1, S. 38, 31. Vgl. ANZULEWICZ, Henryk: Die Denkstruktur des Albertus Magnus. Ihre Dekodierung und ihre Relevanz für die Begrifflichkeit und Terminologie. In: HAMESSE, Jacqueline / STEEL, Carlos (Hrsg.): L'élaboration du vocabulaire philosophique au Moyen Age. Turnhout 2000, S. 369-396; MOJSISCH, Burkhard: Grundlinien der Philosophie Alberts des Großen. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 32 (1985), S. 27-44. STURLESE, Loris: Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (748-1280). München 1993, S. 347, Anm. 597: „Nahezu alle Publikationen, die anläßlich des letzten Jubiläums erschienen, waren naturwissenschaftlichen Themen gewidmet." CRAEMER-RUEGENBERG, Ingrid: Albertus Magnus. München 1980, S. 34f.: „Die praktische Philosophie spielt in Alberts Denken offenbar keine so große Rolle ... Insgesamt gesehen, sind die wichtigsten Werke Alberts des Großen sicher seine theologischen Schriften und ... seine zahlrei-
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FRANZ-BERNHARD STAMMKÖTTER
Diese Auffassung resultiert vielleicht aus einigen Stellen, an denen Albertus bemerkt, in Fragen der Ethik müssten die Bibel und Augustinus als höchste Autoritäten beachtet werden 7 . Neuere Untersuchungen haben jedoch vermehrt gezeigt, daß Albertus die Ethik durchaus im Zentrum seiner philosophischen Bemühungen sieht und sich in umfangreichen Schriften philosophisch, mit Vernunft und nicht an Autoritäten gebunden, argumentierend zu Fragen der praktischen Philosophie äußert 8 . Gerade die Vielzahl seiner philosophischen Schriften zur Ethik zeigt, daß Albertus hier einen Schwerpunkt seiner Arbeit gesehen hat: Mit „De natura boni" und „De bono" hatte er bereits zwei systematische Schriften zur Ethik verfaßt, bevor ca. 1250 die „Nikomachische Ethik" vollständig übersetzt vorlag 9 ; sie ist auch der einzige Text des Corpus Aristotelicum, den er zweimal kommentiert hat. In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, daß Albertus bei seiner Arbeit an „De bono" nur die ersten drei Bücher der „Nikomachischen Ethik" kannte, und er daher bestimmte Probleme, die Aristoteles dort zwar anspricht, aber erst in späteren Büchern behandelt, nicht mit dem Aristotelischen Text lösen konnte 10 . Ein Vergleich mit seinen Ethik-Kommentaren kann also zeigen, wie sich seine ethischen Positionen durch die erweiterte Kenntnis des Aristoteles entwickelt haben. Ein gutes Beispiel sowohl für seine eigenständigen Bemühungen, eine systematisch schlüssige Ethik zu entwickeln, als auch seine Offenheit, neue Texte des Aristoteles zu rezipieren, bietet der Begriff der prudentia.
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chen Abhandlungen zum Gesamtbereich der damaligen Naturwissenschaften und seine metaphysischen Traktate." A L B E R T U S Magnus: Summa II, tr. 14, q. 84: Ed. Paris, t. 33, S. 133b; idem: II Sent., d. 13, a. 2 ad 1-5: Ed. Paris, t. 27, S. 247a. WIELAND, Georg: Albert der Große und die Entwicklung der mittelalterlichen Philosophie. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 34 (1980), S. 590-607, hier S. 605: „Es scheint mir allerdings kein Zufall, daß er ausgerechnet die Ethik als ersten philosophischen Gegenstand in extenso behandelt ... Das hängt sicher mit seinem großen Interesse an praktischen Fragen zusammen." Vgl. auch: DREYER, Mechthild, Ethik als Wissenschaft nach Albertus Magnus. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (Hrsg.): Was ist Philosophie im Mittelalterl Berlin - N e w York 1998 (Miscellanea Mediaevalia, 26), S. 1017-1023. Zur Chronologie der mittelalterlichen Aristoteles-Übersetzungen vgl.: DOD, Bernard G.: Aristoteles latinus. In: KRETZMANN, Norman / KENNY, Anthony / PINBORG, Jan (Hrsg.): The Cambridge History of later Medieval Philosophy. Cambridge 1982, S. 45-79. Zur Chronologie der Schriften des Albertus vgl.: WIELAND, Georg: Albertus Magnus. In: LThK31993, Sp. 337-339. Albertus schloß „De bono" vor 1246 ab, vgl: WEISHEIPL, James A.: Albert der Große - Leben und Werke. In: ENTRICH, Manfred (Hrsg.): Albert der Große. Sein Leben und seine Bedeutung. Graz 1982, S. 9-60, hierS. 19 f.
Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus
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Der Begriff der prudentia in der „Nikomachischen Ethik" Am Ende des ersten Buches der „Nikomachischen Ethik" diskutiert Aristoteles zunächst die verschiedenen Teile der Seele, um aus deren Unterscheidung zwei Arten von Tugenden zu bestimmen: Die ethischen und die intellektuellen Tugenden; als Beispiele nennt er für jene Großzügigkeit (liberalitas) und Besonnenheit (sobrietas), für diese Weisheit (sapientia), Verstand (intellectus) und Klugheit {prudentia)11. Er beläßt es allerdings bei diesem Hinweis auf die intellektuellen Tugenden und behandelt in den Büchern zwei bis fünf zunächst allein die ethischen Tugenden. Im sechsten Buch der „Nikomachischen Ethik" erweitert Aristoteles den Kanon auf fünf intellektuelle Tugenden: Kunst (ars), Wissenschaft (scientia), Klugheit (prudentia) Weisheit (sapientia) und Verstand (intellectus)12. Im ganzen Buch untersucht er diese Tugenden nach ihrem Inhalt und ihrem Verhältnis untereinander. Eine ausführliche philosophische Analyse seiner Ergebnisse würde in diesem Zusammenhang den Rahmen sprengen; es sind daher nur einige Bemerkungen zur sapientia und zur prudentia möglich, da diese beiden Tugenden im Zentrum seiner Untersuchung stehen. Die sapientia versteht Aristoteles als die höchste der intellektuellen Tugenden, da diese die scientia und den intellectus in sich vereinigt und die höchsten Gegenstände zum Inhalt hat13, die ihrer Natur nach die ehrwürdigsten sind14 - die Gegenstände der theoretischen Philosophie. Die prudentia richtet sich dagegen auf die praktische Philosophie: Sie untersucht das Menschliche und die Inhalte, die überlegt und entschieden werden können15. Daher ist sie die entscheidende Instanz der Seele, die das Verhalten des Einzelnen zur ethischen Tugend werden läßt; erst wenn eine Handlung durch die richtige Einsicht (recta ratio) geleitet ist, wird sie zur Tugend - es gibt keine ethische Tugend ohne die prudentia b. Die ethischen Tugenden stehen dabei in einem direkten Wechselverhältnis mit der prudentia: Niemand kann gut im Sinne der ethischen Tugenden handeln, wenn er ohne Überlegung, also ohne die prudentia handelt; niemand kann aber auch allein durch die prudentia gut sein, ohne zu handeln. Aristoteles legt größten Wert darauf, daß es die eine ohne die anderen nicht gibt17. Im zweiten Buch der „Nikomachischen Ethik" drückt
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ARISTOTELES: Ethica Nicomachea, I, 13: 1103a 2-7. Die lateinische Begrifflichkeit folgt der allgemein üblichen Übersetzung von Robert Grosseteste: ARISTOTELES, Ethica Nicomachea. Translatio Roberti Grosseteste: Aristoteles latinus, t. 26,1-3, fasc. 4. Leiden / Bruxelles 1973. Zur Aristotelischen Tugendlehre vgl. URMSON, John: Aristotle's Ethics. Oxford 1988; HÖFFE, Otfried (Hrsg.): Aristoteles, Nikomachische Ethik. Berlin 1995.
12
Op. cit., VI, 3: 1139b 16-17. Op. cit., VI, 7: 1141a 18-20. Loc. cit.: 1141b 2-3.
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Op. cit., VI, 8: 1141b 8-9. Op. cit., VI, 13: 1144b 13-14. Loc. cit.: 1144b 29-31.
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er es eindringlich aus: Wer nur über die Ethik nachdenkt, ohne sein Handeln an den Ergebnissen seines Nachdenkens zu orientieren, glaubt nur zu philosophieren 18 ! Dabei hält er an der Hierarchie der intellektuellen Tugenden fest. Am Ende des sechsten Buches hebt er zusammenfassend noch einmal hervor: Die Tugend der sapientia ist der prudentia stets übergeordnet. Die prudentia gebraucht nicht die sapientia, um ihr Ziel im richtigen Handeln zu erreichen - die prudentia schafft durch die vernünftige Ordnung des praktischen Lebens überhaupt erst die Bedingungen, unter denen die sapientia realisierbar ist: Sie leitet nicht die sapientia, sondern leitet die Handlungen, um die sapientia zu ermöglichen 19 .
Der Begriff der prudentia in „De bono" Diese Zusammenhänge der intellektuellen Tugenden untereinander kannte Albertus noch nicht, als er um 1246 an De bono arbeitete; ihm lagen nur die als Ethica Vetus (Buch II und III) und Ethica Nova (Buch I) bekannten ersten drei Bücher der „Nikomachischen Ethik" vor 20 . Das hatte für sein Verständnis der intellektuellen Tugenden wichtige Konsequenzen: Er mußte, wenn er sich an den durch diese Übersetzungen der „Nikomachischen Ethik" vorgegebenen Standard halten wollte, eine Aristotelische Begrifflichkeit berücksichtigen, die er aus den wenigen Andeutungen im ersten Buch der „Nikomachischen Ethik" nicht vollständig erfassen konnte, da ihm das zum Verständnis der intellektuellen Tugenden entscheidend wichtige sechste Buch fehlte. In De bono behandelt Albertus im Rahmen des durch den Titel gegebenen Gegenstandes vornehmlich ethische Probleme; metaphysische Fragen, wie etwa die Kreatürlichkeit des Guten, seine Prädikationen oder sein Verhältnis zum Sein und zur Wahrheit werden nur recht kurz erörtert21. Fast die ganze Schrift widmet er der Darstellung der einzelnen Tugenden, wobei er sich am Kanon der Kardinaltugenden orientiert; als vorletzte der klassischen Kardinaltugenden untersucht er vor der iustitia die prudentia. Zunächst diskutiert er verschiedene Definitionen von Cicero, Macrobius, Augustinus, einer Glosse und eines gewissen Harialdus, ohne eine für ihn befriedigende, einheitliche Bestimmung finden zu können. Eine Definition des Aristoteles kann er nicht heranziehen, da diese eben im ersten Buch der „Nikomachischen Ethik" fehlt. So stellt er abschließend fest, daß die prudentia im gleichen Akt wie die praktische Vernunft {ratio practica) vollzogen wird; die prudentia wirkt dabei auf die Entscheidung, indem sie dieser Vernunftgründe einprägt (informat ... per rationes): Die Vernunft leitet über die prudentia die Handlungen und entscheidet so über ihre jeweilige Tugend, die pru18 19 20 21
ARISTOTELES: Ethica Nicomachea II, 4: 1105b 13. Op. cit., VI, 13: 1145a 6-9. Vgl. Anm. 9. A L B E R T U S Magnus: De bono, Tabula quaestionum: Ed. Colon., t. 28, S. XXVII-XXXII. Zum Aufbau von „De bono" vgl.: CUNNINGHAM, Stephen B.: Albertus Magnus and the Problem of Moral Virtue. In: Vivarium 7 (1969), S. 81-119, hier: S. 97-99.
Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus
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dentia ist die Verbindungsachse zwischen der intellektuellen Vernunft und der Handlung22. Albertus hat so eine allgemeine Bestimmung der prudentia gefunden, die zwar nicht genuin aristotelisch ist, jedoch den Ergebnissen der „Nikomachischen Ethik" recht nahekommt. Einen umfangreichen Abschnitt seiner Überlegungen zur prudentia widmet Albertus den einzelnen Teilen der Klugheit; eine Fragestellung, die wiederum völlig unaristotelisch ist. Dabei stellt ihn der Text der Ethica Nova vor große Schwierigkeiten: Sie übersetzt das Aristotelische Ternar sophia, synesis und phronesis als sapientia, phronesis und intelligentia; Robertus Grosseteste übersetzt in seiner Gesamtübersetzung, dem Liber Ethicorum, besser mit sapientia, intellectus und prudentia. Neben der falschen Reihenfolge steht Albertus somit vor dem Problem, eine Kardinaltugend, die er für die einzige intellektuelle Tugend im System des Aristoteles hält, zu erklären; er kann nicht wissen, daß die prudentia nur eine intellektuelle Tugend neben anderen ist. Ihm ist also nicht bewußt, daß prudentia die adäquate Übersetzung von phronesis und nicht die phronesis eine Einzeltugend der prudentia ist. Die schlechte Übersetzung der Ethica Nova nötigt ihn, einen latinisierten griechischen Begriff {phronesis) als ein Teilgebiet seiner lateinischen Übersetzung [prudentia) zu interpretieren. Dazu muß aber auch festgehalten werden: Albertus weist ausdrücklich darauf hin, daß er sich nicht ganz sicher ist, ob Aristoteles an dieser Stelle wirklich eine Unterteilung der prudentia in Einzeltugenden meint23. Albertus geht also von drei Einzeltugenden der prudentia aus: sapientia, phronesis und intelligentia. Zur Erläuterung der sapientia stützt er sich auf die „Metaphysik" des Aristoteles, wo dieser die sapientia als scientia der ersten Ursachen untersucht. Albertus überträgt diese höchste Positionierung auf die Ethik und weist der sapientia die Erkenntnis der Glückseligkeit zu, da diese als Zielursache die vornehmste (praecipue) Ursache jedes bedachten Handelns ist24. Der phronesis weist er die Analyse der Rechtmäßigkeit der Handlungen zu: Sie schafft so die Basis für die Entscheidungen der prudentia, die selbst nicht nach Recht oder Unrecht fragt, sondern das Urteil der prudentia übernimmt. Der Akt der prudentia bestimmt die Handlungen, ihre Vorgaben gehen von den Ergebnissen der Einzeltugenden aus; deshalb genügt für sie das faktische Wissen {quid), wogegen die sapientia und die phronesis nach den Ursachen fragen {propter quid) 5.
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A L B E R T U S Magnus: De bono, tr. 4 q. 1 a. 6: S. 243, 48-53. Op. cit., tr. 4, q. 2, a. 6: S. 257, 26 f.: „... ubi virtutem intellectualem videtur hoc modo dividere". Loc. cit.: S. 257, 71-78. Loc. cit.: S. 257, 78-86.
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FRANZ-BERNHARD STAMMKÖTTER
Die intelligentia identifiziert er einerseits mit der prudentia', andererseits hält er sie für nicht so allgemein wie diese; die intelligentia entscheidet konkret die einzelne Handlung, wogegen die prudentia mehr die allgemeinen Prinzipien ethischer Urteile bestimmt 26 . Albertus hat damit eine recht schlüssige Deutung der Einzeltugenden der prudentia gewonnen, wenn diese auch völlig an der Theorie der „Nikomachischen Ethik" vorbeigeht. Entscheidend ist aber, daß Albertus sich bereits in De bono bemüht, eine philosophische Lösung für eine konsistente Erklärung der prudentia zu finden. Er greift auf keine theologischen Autoritäten zurück, um etwa Aristoteles zu entkräften, sondern bemüht sich, mit seinen Mitteln zu einem Ergebnis zu kommen, das er philosophisch vertreten kann, wobei er sich seiner eigenständigen Interpretation bewußt ist27. Seine Diskussion der prudentia macht exemplarisch deutlich, daß Albertus bereits in De bono als Philosoph und nicht als Theologe argumentiert. Die Behauptung, er habe erst in der Auseinandersetzung mit Aristoteles eine philosophische Position entwickelt, ist daher nicht zu halten 28 . Dagegen ließen sich gerade aus De bono noch viele andere Beispiele anführen.
Der Begriff der prudentia in den Ethikkommentaren Wie bereits bemerkt, ist die „Nikomachische Ethik" die einzige Schrift des Aristoteles, die Albertus zweimal kommentiert hat. Den ersten Kommentar Super Ethica verfaßte er 1250-1252 in Köln, er ist zugleich sein erster Aristoteles-Kommentar überhaupt. Der zweite Kommentar Ethica wird allgemein zu seinen letzten Aristoteles-Kommentaren gezählt und ist daher auf die Jahre 1265-1270 zu datieren29. Es ist ein deutliches Indiz für die Wertschätzung, die Albertus ethischen Fragen entgegenbrachte, daß ein Kommentar zur „Nikomachischen Ethik" jeweils am Anfang und am Ende seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles steht. In beiden Kommentaren hat Albertus die Aristotelische Analyse der Tugenden übernommen. Besonders deutlich wird diese Veränderung seiner philosophischen Theorie der Tugenden an der Aufgabe des Konzeptes der Kardinaltugenden. Diese auf Piaton zurückgehende Einteilung findet sich in der „Nikomachischen Ethik" nicht wieder, und Albertus scheint dieses Fehlen nicht als Verlust empfunden zu haben; er untersucht ih-
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A L B E R T U S Magnus: De bono, tr. 4, q. 2, a. 6: S. 257, 86-88. Loc. cit.: S. 257, 71: „Unde meo iudicio sapientia ..." Vgl. insgesamt: WIELAND, Georg: Ethica - Scientia practica. Die Anfänge der philosophischen Ethik im 13. Jahrhundert. Münster 1981 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N.F. 21), S. 272-275. So z. B.: STURLESE [Anm. 5], S. 333: „Bis 1248 hatte Albert ganz als Theologe gehandelt und gedacht..." Vgl. Anm. 9.
Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus
309
30
ren Kanon in Super Ethica nur am Rande und auch in Ethica widmet er ihm nur ein völlig aus dem Zusammenhang fallendes kurzes Kapitel31. Da er seine vor 1250 entstandenen ethischen Schriften De natura boni und De bono noch nach der Systematik des Kanons der Kardinaltugenden gegliedert hatte, überrascht die Abwesenheit einer Diskussion der Frage, inwieweit dieser Kanon mit der Aristotelischen Einteilung vereinbar ist. Albertus zeigt mit seiner konsequenten Übernahme des Tugendschemas der „Nikomachischen Ethik", daß der Philosoph nicht nur in Fragen der Naturphilosophie seine überragende Autorität ist. Für seine Darstellung der prudentia gilt der gleiche Befund. Es kommt ihm in beiden Kommentaren bei seinen Erläuterungen des sechsten Buches der „Nikomachischen Ethik" nur darauf an, den Aristotelischen Text zu erklären; die Fragen nach der Einordnung der prudentia in den Kanon der Kardinaltugenden oder des Zusammenhanges ihrer Einzeltugenden interessieren ihn nicht mehr. Da seine Erläuterungen derprxidentia in beiden Kommentaren sehr ausfuhrlich sind, können an dieser Stelle nur einige Hinweise auf sein nun originär Aristotelisches Verständnis dieser intellektuellen Tugend gegeben werden. In Super Ethica, der vornehmlich in der Quaestionen-Form verfaßt ist, betont er ihre Anbindung an die Vernunft: „prudentiae esse cum ratione vera" 32 ; sie ist gleichsam Lenkerin der Tugenden (auriga virtutum), die alle ethischen Tugenden steuert33. Diese Leitungsfunktion resultiert aus ihrer Position, die sie eigentlich zwischen die intellektuellen und die ethischen Tugenden (sit media inter morales et speculativas virtutes) stellt, denn die prudentia verbürgt den notwendigen Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis34. Die Priorität der sapientia stellt Albertus dabei nicht in Frage: Weil sie die Inhalte der theoretischen Philosophie zum Gegenstand hat, ist sie auch wie diese die vornehmste und damit der prudentia übergeordnet 35 . In Ethica, ein Kommentar, der im von Albertus bevorzugten Stil der Paraphrase abgefaßt ist, finden sich keine anderen Ergebnisse. Einzelne Divergenzen in der Betonung bestimmter Theorieteile sind wohl vor allem mit der unterschiedlichen Methode beider Kommentare zu erklären. So hebt Albertus hier besonders die Entscheidungsfunktion der prudentia in offenen Situationen hervor; eine Möglichkeit, die allein der praktischen Philosophie zukommt, und die auch Aristoteles betont36. Die prudentia kann, da sie eine
30
ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. III, lect. 8, n. 200: Ed. Colon, t. 14,1, S. 180, 58-181, 16.
31
A L B E R T U S Magnus: Ethica, 1. III, tr. 2, c. 1 : Ed. Paris, t. 7, S. 234a-236b. A L B E R T U S Magnus: Super Ethica, 1. VI, lect. 7, n. 509: Ed. Colon, t. 14,2, S. 436, 66-69. Loc. cit., n. 510: S. 437, 70-79. Op. cit., 1. VI, lect. 18, n. 596: S. 513, 45-49. Op. cit., 1. VI, lect. 10 n. 535: S. 460, 34-52. A L B E R T U S Magnus: Ethica, 1. VI, tr. 2, c. 9: Ed. Paris, t. 7, S. 417b.
32 33 34 35 36
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FRANZ-BERNHARD STAMMKÖTTER
der praktischen Philosophie zugeordnete Tugend ist, über die notwendigen und daher unentscheidbaren Inhalte der theoretischen Philosophie nicht urteilen - hier ist die scientia maßgebend, die ihr deshalb auch übergeordnet ist37. Im Verhältnis der ethischen zu den intellektuellen Tugenden versteht Albertus in Ethica die prudentia nicht mehr als Vermittlerin zwischen beiden, er betont vor allem den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis. Wie Aristoteles weist er ausdrücklich darauf hin, daß es kein richtiges, an den Tugenden orientiertes Handeln gibt, das nicht durch die prudentia reflektiert ist, und daß es genauso wenig eine philosophische Leistung der prudentia gibt, die sich nicht im richtigen und konsequenten Handeln manifestiert38. In Ethica läßt sich also eine größere Textnähe zur „Nikomachischen Ethik" feststellen, was aber sicherlich in der äußeren Anlage beider Kommentare begründet ist. Sowohl in Super Ethica als auch in Ethica vertritt Albertus konsequent eine Theorie der prudentia, die sich allein an der Auffassung des Philosophen orientiert.
Die Entwicklung der Bestimmung der Prudentia in der Ethik des Albertus Magnus Albertus hat seine philosophische Bestimmung der prudentia also immer eng an der Vorgabe der „Nikomachischen Ethik" orientiert. Bereits in De bono versucht er ihm noch fehlende Theorieteile durch eigene Interpretationen zu ersetzen und so zu einer schlüssigen Lösung zu gelangen. Seine Übernahme des Kanons der Kardinaltugenden zeigt jedoch auch, daß er in seiner Systematik noch der platonischen Tradition verbunden ist. Mit der vollständigen Kenntnis der „Nikomachischen Ethik" bricht er mit dieser Tradition. Er gibt den Kanon der Kardinaltugenden fast gänzlich auf, ihn interessiert jetzt nur noch die Kommentierung des Aristotelischen Textes. Dabei bleibt er im so vorgegebenen Rahmen; traditionelle Definitionen der prudentia, die er in De bono noch diskutiert hat, werden von ihm nicht mehr berücksichtigt. Die inhaltlichen Bestimmungen findet er nun im Zusammenhang mit den anderen intellektuellen Tugenden; wie Aristoteles sieht er ihre entscheidende Bedeutung vor allem in ihrer Funktion als Verbindungsachse von moralischen und intellektuellen Tugenden, als Bindeglied von Theorie und Praxis. Diese enge Orientierung an Aristoteles und sein Anspruch, bei einer defizienten Textvorlage eine eigenständige, philosophisch befriedigende Lösung zu finden, machen deutlich: Nicht nur in der Naturphilosophie, sondern auch in der Ethik wollte Albertus Magnus als Philosoph argumentieren. Seine Leistungen auf diesem Gebiet werden noch viel Anlaß zu interessanten philosophiehistorischen Einsichten bieten. 37
A L B E R T U S Magnus: Ethica, 1. VI, tr. 2, c. 10: S. 418a-b.
38
A L B E R T U S Magnus: Ethica, I. III, tr. 4, c. 5: S. 461b-462b.
MARTIN
J. TRACEY, Lisle 111.
Albert's Readings of Aristotle's Moral-Philosophical Treatises on Pleasure vis-à-vis Three Recent Perspectives on his Thought It is little wonder that Alain de Libera offers some of the most compelling recent perspectives on Albert's thought. His scholarship seeks nothing less than "to revise the conventions for reading Albert", so as to uncover the German Dominican's "true intellectual visage" beneath layers of misreading'. This volume affords a fitting forum in which to reflect on the usefulness of de Libera's revisions. We shall do so by examining how well these perspectives illumine a discrete and intrinsically interesting set of texts: Albert's explications of Aristotle's treatises on pleasure in the Nicomachean Ethics.
1. Aristotle's Treatises on Pleasure in the Ethica Nicomachea The Nicomachean Ethics contains two extended discussions of pleasure, one in Book VII and the other in Book X. R.-A. Gauthier believes that the former derives from Aristotle's lectures on ethics at Athens between 355 and 347 B.C. - i.e., those underlying the text now called the Eudemian Ethics. The latter, Gauthier believes, derives from his lectures on ethics at Athens between 335 and 330 B.C. - i.e., those underlying the text now called the Nicomachean Ethics. In the interest of clarity, but without intending to endorse the chronology, we shall refer to the two discussions respectively as the Eudemian and the Nicomachean treatises on pleasure2. Albert exposits both the Eudemian and the Nicomachean treatises twice: first, in 1250-1252, within his expositio litteralis cum quaestionibus of the Ethics, the Super Ethica, and then, in 1262-1263, within his Avicennian paraphrase of it, the Ethica3. His
LIBERA, Alain de: Albert le Grandet la Philosophie. Paris 1990, pp. 10 and 39. GAUTHIER, René-Antoine / JOLIF, Jean-Yves: L'Éthique à Nicomaque, Vol. 2: Commentaire. Paris 2 1970, pp. 778-781. The view that the Eudemian Ethics is earlier than and philosophically inferior to the Nicomachean Ethics is forcefully challenged in: KENNY, Anthony: Aristotle on the Perfect Life. Oxford 1992, pp. 113-142. GAUTHIER, René-Antoine / JOLIF, Jean-Yves: L'Éthique à Nicomaque, Vol. 1 : Introduction. Paris 2 1970, pp. 123-124. Although the Stams Catalogue claims that Albert also commented per modum scripti and per modum commenti on the Prior Analytics, the Ethics is the only Aristotelian text for which both a literal exposition and paraphrase are known to survive. Cf. SCHEEBEN, Heribert C.: Les écrits d'Albert le Grand d'après les catalogues. In: Revue Tho-
312
MARTIN J. TRACEY
principal objective in both works is to illumine the argumentative structure of Aristotle's texts. To review Albert's division and explication of them in the Super Ethica is to recognize that, for him, the two treatises raise and resolve similar questions in similar ways. Albert's Aristotle begins the Eudemian treatise with a set of arguments to the effect that the moral scientist can and must "determine" pleasure4. The remainder of the treatise is concerned with determining it. Aristotle arrives at his initial determinations by reviewing three received opinions about pleasures, and resolving arguments adduced to support them. The opinions are that pleasure is not good, that some pleasures are good but many are bad, and that no pleasure is the best good5. Albert reads Aristotle to resolve these arguments "briefly" (per instantiam) in the Eudemian treatise. By contrast, he offers a "complete" (completa) resolution of them in the Nicomachean treatise6. In undercutting his opponents's opinions about pleasure, Albert's Aristotle supports his own opinions that pleasure is good, that some pleasures are bad, but many are good, and that one pleasure is indeed the best good. The Eudemian treatise ends with certain determinations about bodily pleasures - the class of pleasures that Aristotle finds most commonly invoked in support of erroneous views about pleasure in general. These determinations articulate the sense and the bounds within which these pleasures are good. They also explain what makes intellectual pleasures superior to bodily ones and why, in spite of this, some people choose bodily pleasures over intellectual ones7. Aristotle's Nicomachean treatise has the same basic structure for Albert. It also begins by explaining the need to determine pleasure within a scientific discussion of human action, and then proceeds to determine it8. Here too there is a survey of received but deficient opinions about pleasure and the arguments that support them, and a resolution of those arguments. In the Nicomachean treatise, the received opinions are that pleasure is absolutely good {per se bona), that pleasure is not good, and that pleasure is bad9. Aristotle refutes these arguments "completely", and proceeds to state what kind of thing pleasure is and what properties it has. Pleasure, we learn, is a "certain simultaneously-existing whole"
miste 14 (1931), pp. 260-292, here p. 274; FAUSER, Winfried: Die Werke des Albertus Magnus in ihrer handschriftlichen Überlieferung, Teil I: Die echten Werke. Münster i. W. 1982 (Alberti Magni Opera omnia, t. subsid. 1,1), p. X X X . For bibliography on 13th-century Latin commentaries on the Nicomachean Ethics, cf.: TRACEY, Martin J.: The Character of Aristotle 's Nicomachean Teaching 4 5 6 7 8 9
in Albert the Great's
Super Ethica Commentum
et Quaestiones
Notre Dame 1999 (Ph.D. Dissertation), pp. 180-200. ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. VII, lect. 12: Ed. Colon, t. 14,2, pp. 570-575. Op. Op. Op. Op.
cit., cit., cit., cit.,
I. VII, lect. 13: ed. cit., pp. 575-578. 1. VII, lect. 13: pp. 575-576. 1. VII, lect. 15-16: pp. 582-590. l . X , lect. 1: pp. 708-711
Op. cit., 1. X, lect. 2-4: pp. 712-724.
(1250-1252).
Albert's Readings o f Aristotle's Moral Philosophical Treatises on Pleasure
313
subsisting within acts of perception and intellection10. Albert's Aristotle is very concerned to explain its relationship to activity and examines several models for doing so. He is especially concerned to articulate the relation between happiness, which is the best human activity, and the pleasure proper to happiness". Here we are not interested in the details of Albert's readings of these treatises as such, but rather in what these readings offer for thinking about Alain de Libera's revisionary perspective on three important topics: Albert's understanding of the relationship of philosophy to theology; his method and aims as a commentator on Aristotle; and his "Peripateticism".
2. Philosophy and Theology For de Libera's Albert, philosophy and theology are both sciences. As discrete sciences, philosophy and theology rest on different principles. Like all sciences, philosophy and theology include particular conclusions drawn from the principles proper to each12. Their difference in principles has an important implication: the conclusions drawn from philosophical and theological principles are, strictly speaking, incommensurable. That is to say, the conclusions of the two sciences neither complement nor contradict one another, because they cannot validly be compared. Thus, it is invalid - a category error - for theologians to draw conclusions about the truth or falsity of philosophical teachings when theological teachings and philosophical teachings clash on some particular matter. For the truth or falsity of the teachings of any science rests on their coherence with the principles of that science and not on their compatibility with the teachings of a different science. Sciences like philosophy and theology, which proceed from fundamentally different principles, may well yield fundamentally different conclusions on certain matters. Such differences attest to their difference in principles, and not to the truth or falsity of their respective teachings as such13. Certain features of Albert's explications of the Nicomachean and Eudemian pleasure-treatises reinforce this view. Perhaps the strongest evidence is negative: Albert's inquiry into the truthfulness of Aristotle's determinations in the pleasure-treatises invokes scores of philosophical auctoritates, but very few theological ones. As familiar as citations from Scripture, theologi, patres and sancti were to Albert and his auditors, few of them appear. This is significant, considering the breadth and sophistication of Christian
10 11 12 13
Op. cit., 1. X, lect. 5-6: pp. 724-730. Op. cit., 1. X, lect. 7: pp. 730-734. LIBERA, A. de [Note 1], pp. 37-43. LIBERA, A. de [Note 1], pp. 37-43; Idem: Philosophie et théologie chez Albert le Grand et dans l'école dominicaine allemande. In: ZIMMERMANN, Albert (ed.): Die Kölner Universität im Mittelalter. Berlin 1989 (Miscellanea Mediaevalia, 20), pp. 49-67.
314
MARTIN J. TRACEY
discourse de delectatione14. Albert's reluctance to draw on its riches seems self-conscious, not accidental. It thus seems reasonable to infer with de Libera that Albert consciously limits his use of such authorities in his inquiry in the conviction that they have no bearing on its subject: the truthfulness of Aristotle's determinations. But it is not merely the small number of references to theological authorities in Albert's two commentaries that encourages this inference; the nature of the references that he does make is also telling. Albert does not refer at all to certain kinds of theological auctoritates. For example, he invokes no theologi whatsoever. He quotes Scripture just twice, and adduces auctoritates from just two sancti (viz., Anselm and Dionysius)15. A theologian of Albert's time disposed over a wide range of resources for describing, differentiating, and ranking pleasures. Albert himself had a magisterial command of these resources. His Ethics-commentaries do not draw on it. Negative evidence is only so strong. Does Albert ever express the view about the relation of philosophy and theology that his infrequent use of theological authorities seems to presuppose? Although there are texts in Albert's Ethics-commentaries where he explicitly discusses the relationship of philosophical and theological sciences, there are no such "methodological" discussions within his readings of the pleasure-treatises16. This absence admits of easy explanation and need not undermine our impression. The passages in Albert's Super Ethica and Ethica where Albert discusses methodology are typically occasioned by conflicts between Aristotle's teaching and religious faith adumbrated by Aristotle's Muslim or Christian commentators. Although the canonical commentators for both Eudemian and Nicomachean treatises are Byzantine Christians (the so-called "Recent Anonymous" and Michael of Ephesus respectively), neither author inspires any special consideration of the relation of Aristotle's teaching de delectatione to Christian theological teachings about it17. Likewise, neither Averroes nor Avicenna seem to have given Albert special reason to doubt that teaching. Wherever any conflicts between Christian, Muslim, and Aristotelian teachings on pleasure may lie, Albert's study of Aristotle's commentators did not appear to have raised any.
This sophistication is in evidence in the nearly contemporaneous articulus, Quid sit voluptas substantia vel diffmitione, from Albert's first known theological work: De bono, tr. 3, q. 5, a. 3: ed. Colon, t. 28, pp. 206-209. For helpful analysis of Albert's early theological discussions of moral goodness, virtue, and pleasure, cf.: CANAVERO, Alessandra Tarabocchia: Introduzione. In: ALBERTUS Magnus: Il Bene, transl. A. T. Canavero. Firenze 1989 (I Classici del Pensiero II: Medioevo e Rinascimento), pp. 7-42. ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. X, lect. 1: ed. cit., p. 708, 76; Loc. cit.: p. 707, 79. For a detailed examination of these discussions, cf.: TRACEY [Note 3], pp. 33-65. For some information about the Christian tendency of these commentators, cf. MERCKEN, H.Paul F.: The Greek Commentators on Aristotle's Ethics. In: SORABJI, Richard (ed.): Aristotle Transformed. London 1990, pp. 407-433.
Albert's Readings of Aristotle's Moral Philosophical Treatises on Pleasure
315
Of the theological authorities Albert does cite, only one - an auctoritas attributed to Dionysius - plays a significant role in his discussion. The auctoritas in question is an account of the origin of pleasure: Pleasure arises from the conjoining of like with like18. Albert is concerned at several places in both commentaries to reconcile this claim about the genesis of pleasure with Aristotle's teaching19. However, it would be mistaken to infer anything about the relevance of theological authorities to the truth of philosophical teachings since the "Dionysian" auctoritas is actually, as Albert himself elsewhere indicates, from Avicenna's Metaphysics20. Albert's uses of it thus seem to bear on his view about the relation between moral-scientific and metaphysical discourses about pleasure, not on his view about the relation between philosophical and theological ones. Yet even the tightly circumscribed use of theological authorities here raises a question for de Libera's view about the relation of philosophy and theology for Albert. Consider the function of his reference to Prov. 30,8 in his explication of 1153b 21-24. That passage of the Eudemian treatise, Albert tells us, articulates a central teaching about happiness and good fortune. The teaching is this: Although happiness requires good fortune, excessive fortune impedes happiness. Albert's reference to Prov. 30,8 ("Give me neither poverty nor riches") seems intended to corroborate the truthfulness of this teaching21. He appears to be inviting his auditors to recognize that excessive fortune does indeed impede happiness because Scripture also affirms this. Albert's reference to Anselm in Super Ethica X,1 serves a similar function. Anselm's authority {Beatitudo constat ex commodis) affirms the existence of an intrinsic relation between beatitude and pleasure. Albert invokes it to corroborate Aristotle's argument that moral science must treat pleasure, because moral science establishes what true happiness is, and this cannot be done without discussing pleasure, since pleasure and happiness are so closely related22. In using theological authorities in this corroborative way, Albert seems to suspend or retreat from his purported conviction about the incommensurabilty of the conclusions of theological and philosophical sciences. His doing so must either cast doubt on the adequacy of this perspective on Albert, or else invite us to convict Albert of a fundamental inconsistency. For it would not be consistent to claim that the fact that philosophical and theological conclusions conflict does not bear on the truthfulness of these conclusions - that to compare them is a kind of category error - and then to proceed as if the fact that a philosophical conclusion agrees with a theological one corroborates the truthfulness of that teaching. There are, to be sure, ways of explaining this apparent in-
"Delectatio est ex coniunctione convenientis cum conveniente". ALBERTUS Magnus: Ethica, 1. X, lect. 1: ed. cit., p. 708, 79-80 et passim. 19 20 21 22
Cf. op. cit., 1. VII, lect. 12: p. 571, 35-39; Ethica, 1. X, 1, c. 1-2: ed. Paris. 1.1, pp. 599-604. Cf. Super Ethica, 1. II, lect. 2: Ed. Colon, t. 14,1, p. 98, 45 cum nota. Op. cit., 1. VII, lect. 14: p. 581, 48-53. Op. cit., 1. X, lect. 1: pp. 708-709.
Super
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MARTIN J . T R A C E Y
consistency. It may be that inconsistency on this point serves Albert well in his effort to shield Aristotle from attack by theologians even as he attempts to persuade them of the value of Aristotle's teaching. We point to Albert's corroborative uses of theological authorities here as one example of an aspect of Albert's pleasure-treatises that de Libera's "neue Perspektive" on the relationship of philosophical and theological sciences cannot easily explain 23 .
3. Methods and Aims as a Commentator on Aristotle In the profusion of opinions considered in Albert's Aristotle commentaries, it is often difficult to differentiate those views that Albert wishes merely to attribute to Aristotle from those he wishes to endorse or assert in his own voice24. The differentiations scholars make invariably rest on some account, implicit or explicit, of Albert's methods and aims as a commentator. De Libera's perspective on this issue coheres with his perspective on Albert's understanding of the relationship between philosophical and theological sciences. For de Libera, Albert's methods and aims arise from his recognition that philosophy and theology proceed from different principles. To recognize this difference is to grasp the science-theoretical explanation as to why speaking philosophically about a subject is a fundamentally different matter than speaking theologically about it. Now, for de Libera's Albert, it is the case that when Aristotle speaks philosophically about some philosophical subject, he does so with unparalleled authority. That being said, his Aristotle nevertheless does not himself always articulate clearly the justifications or implications of his views. De Libera's Albert seeks to supply these justifications and implications for Aristotle in his Aristotelian commentaries and paraphrases - this is their principal aim. Thus, for de Libera, these works do not merely comment on Aristotle's teaching. They rewrite it in a creative and innovative way. His Albert's commentaries are an expansive "reecriture" of Aristotle's philosophy in accordance with Peripatetic principles. To achieve it, Albert suspends principles and conclusions that he holds as a theologus to employ principles that he holds as a philosophus. His methods are thus those of a philosopher reasoning naturally, and his aim is to perfect or complete Aristotle's teaching.
For a recent discussion of Albert's understanding of the relationship between philosophy and theology, with explicit criticism of de Libera's view of the same, cf.: TWETTEN, David: Albert the Great, Double Truth, and Celestial Causality [forthcoming]. The definitive study remains: WEISHEIPL, James: Albert's Disclaimers in the Aristotelian Paraphrases. In: Proceedings of the Pontifical Institute of Medieval Research Conference 5 (1980), pp. 1-27. For an outstanding discussion of related issues in Thomas Aquinas, cf.: JENKINS, John: Expositions of the Text: Aquinas's Aristotelian Commentaries. In: Medieval Philosophy and Theology 5 (1996), pp. 39-62.
Albert's Readings of Aristotle's Moral Philosophical Treatises on Pleasure
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De Libera presents this account in response to critics, whom he submits undervalue Albert's achievements as a philosophus25. He defends Albert's philosophical originality as an independent thinker who uses, with varying degrees of self-consciousness, Neoplatonic concepts to complete Aristotle's philosophy. This perspective makes sense of many features of Albert's readings of the pleasure-treatises. Yet it obscures a central conviction of Albert's commentary on the Ethics, which emerges clearly in Albert's questions on the pleasure-treatises in the Super Ethica: namely, that Aristotle's moral-philosophical teaching is extraordinarily complete. Indeed, Aristotle's teaching on human action in the Ethics is so complete, Albert believes, that it virtually exhausts what a philosopher reasoning rightly can know about human action. This extraordinary regard for Aristotle's moral teaching cannot be overlooked, and the way Albert constructs his quaestiones in the Super Ethica is a telling reminder of it. The vast majority of his questions concern particular utterances (dicta) of Aristotle in the Ethics. Some questions transcend particular utterances to inquire into the order in which Aristotle proceeds and the degree of certainty and generality that he assigns to particular conclusions. But most fall into one of three other categories: questions asking whether what Aristotle says is true, those asking whether what he says is fitting (conveniens), and those asking whether what he says is sufficient. So, for example, Albert considers what grounds there are for believing, contra Aristotelem, that no pleasure is good26, that excessive good fortune is not evil27, that God experiences pleasure28, that pleasure is a motion29, that the sense of vision is not purer than other senses30. He also considers whether Aristotle establishes sufficiently that determinations about pleasure pertain to moral science31, whether he ought to determine pleasure at the beginning rather than at the end of Book VII32, whether he ought to determine pleasure after he determines happiness in Book X33.
I take this to be the force of de Libera's criticism of "la légende d'un Albert subjectivement ambigu" and his insistence that Albert does have an original philosophy ("11 y a une philosophie d'Albert le Grand, en d'autres termes: un corps de doctrines logiques, métaphysiques, psychologiques, éthiques reliées entre elles et formant un système que l'on peut décrire et analyser"): LIBERA, A. de [Note 1]: pp. 37-39. 26
ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. VII, Iect. 12: ed. cit., pp. 573-574.
27
Op. cit., 1. VII, Iect. 14: pp. 581-582. Op. cit., 1. VII, Iect. 16: pp. 588-589. Op. cit., 1. X, Iect. 3 : pp. 719-720.
28 29 30 31 32 33
Op. Op. Op. Op.
cit., cit., cit., cit.,
1. X, Iect. 9: p. 740. 1. VII, Iect. 12: pp. 570-571; 1. X, Iect. 1: pp. 708-709. 1. VII, Iect. 12: p. 572. 1. X, Iect. 1: p. 709.
318
MARTIN J. TRACEY
Albert resolves every quaestio in the Super Ethica on the content and form of Aristotle's teaching in a way that flatters Aristotle. Although numerous statements that Aristotle makes are examined, and although the order in which he proceeds is carefully scrutinized, Albert uniformly concludes that both what Aristotle says and the way he says it is true, fitting, and sufficient. Moreover, however much Albert's conclusions incorporate extra-Aristotelian concepts and distinctions, they all operate "within the box" prescribed by the actual contents of the Ethics in the forms that he knows it. The questions Albert raises are sometimes surprising for the attention they lavish upon seemingly trivial or ornamental utterances. The fact that he never finds any solid ground for doubting the truth, fittingness or sufficiency, or even the placement or modality of these utterances, is significant. It shows that Albert's esteem for Aristotle's moral teaching is so great as tacitly to affirm that nothing substantial can be added, taken away, or improved in Aristotle's articulation of moral science in the Nicomachean Ethics. Seen in the context of mid-thirteenth-century debates within the Dominican Order and at the University of Paris about the truthfulness and value of Aristotle's teaching, Albert's exceptionless refusal to find even so much as a single aesthetic deficiency in Aristotle's moral teaching emerges as a vigorous defense of the pro-Aristotelian side of the debate34. To recognize these convictions about the character of Aristotle's Nicomachean teaching (i.e., its completeness, sufficiency, etc.) is to see the context within which Albert must explain, as he famously does, that Aristotle is no god, as well as the basis upon which he is prepared to reason from what Aristotle says about human action in the Ethics to conclusions about what philosophical reason must conclude about it35. Albert's interest in justifying the content and form of Aristotle's text comes across clearly in the solutions he offers to a celebrated question within the history of Ethicscommentary: Why does the Ethics contain two treatises on pleasure?36 Given that these treatises appear to raise and resolve several questions in very similar ways, what reasons does Aristotle have for placing the Eudemian treatise where he does in Book VII and
Cf. STURLESE, Loris: Die deutsche Philosophie im Mittelalter - Vom Bonifatius bis zu Albert dem Großen. München 1993, pp. 332-342; TUGWELL, Simon: Introduction. In: TUGWELL, Simon (ed.): Albert and Thomas: Selected Writings. N e w York, 1988, pp. 3-129, here pp. 29-36. For a discussion of this statement vis-à-vis similar statements by medieval authors, cf.: BIANCHI, Luca: "Aristotele fu un uomo e potè errare": sulle origini medievali della critica al principio di autorità. In: BIANCHI, Luca (ed.): Filosofìa e teologia nel Trecento. Louvain-la-Neuve 1994, pp. 509-533. For an overview o f scholarly discussions of this topic, cf.: GOSLING, J. C. B. / TAYLOR, C. C. W.: The Greeks on Pleasure. Oxford 1982, pp. 250-254.
Albert's Readings of Aristotle's Moral Philosophical Treatises on Pleasure
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the Nicomachean treatise where he does in Book X? The question has a straightforward answer for many modern students of Aristotle: the Ethics contains two treatises on pleasure because an editor who redacted the Ethics after Aristotle's death chose to put them there 37 . By contrast, Albert makes every effort to show that Aristotle himself had strong reasons for treating pleasure twice in the Ethics. Indeed, the fact that Aristotle treats pleasure twice, and treats the subject where he does (i.e., after continence in Book VII and before contemplative happiness in Book X) and as he does provides further reason in Albert's eyes for regarding the Ethics as the articulation par excellence of scientific knowledge about morals. He offers a variety of justifications for the content and form of these treatises. The Ethics includes two treatises, we are told, because corporeal pleasures and intellectual pleasures differ in kind, and as such are best treated separately, as Aristotle himself does, in Book VII and Book X, respectively 38 . The Eudemian treatise on pleasure follows Aristotle's treatise on continence because continence concerns pleasure, and for this reason cannot be fully understood until pleasure is understood. Both treatises come after the discussion of virtue (Books II-VI) and before the discussion of contemplative happiness (Book X.6-9), because contemplative happiness is a kind of composite wherein virtue is the matter and pleasure the form 39 . Albert adapts the notion that pleasure is the "formal part" of the composite that is happiness or perfect human activity from Michael of Ephesus. Pleasure is distinct from perfect human activity even as it is mixed together with it. For this reason, Aristotle is right to treat the two subjects in different chapters of the same book (Book X)40. The treatise on happiness rightly follows the treatise on pleasure, since good teaching proceeds from generalities to particulars, and pleasure is a more general subject than happiness - indeed, Albert calls contemplative happiness a species within the genus of pleasure 41 . The Nicomachean treatise concludes by distinguishing this pleasure from other kinds of pleasure and introduces the central question of the next treatise: What is happiness or the best human activity? Using the Aristotelian distinction between quia and propter quid demonstration, Albert even claims that the Eudemian treatise establishes the fact that virtuous activity has pleasure as its goal (its quia), whereas the Nicomachean treatise provides the reason for this fact (its propter quid). Albert explains why: Virtuous activity has pleasure as its goal because it aims at happiness, perfect human activity, and pleasure is "an essential and formal part" of happiness 42 .
GAUTHIER / JOLIF [Note 3], pp. 778-781. 38 39 40 41 42
ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. X, lect. 1: ed. cit., pp. 708-709. Op. cit., 1. VII, lect. 12: p. 572. Op. cit., 1. X, lect. 10: p. 743,73-83. Op. cit., 1. X, lect. 1: p. 709. Op. cit., 1. VII, lect. 12: p. 573,16-23.
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These multiple and divergent justifications for the presence and positioning of the two discussions of pleasure provide some sense of Albert's eagerness to justify the letter of Aristotle's text in the forms that he knows it. The difficulty of the task emerges more clearly when one recalls that most modern scholars believe that the two discussions were never meant by Aristotle to appear within the same work, because they offer different and incompatible definitions of pleasure. Indeed, the Nicomachean treatise submits its definition as an improvement over the Eudemian definition, which it explicitly criticizes43. Albert glosses over this detail, claiming that the Eudemian and Nicomachean definitions reflect two ways of defining pleasure: per causam and per essentiam. Thus, in Albert's eyes, even the inclusion of two different and seemingly incompatible definitions within the Ethics testifies to Aristotle's completeness, and not, as most modern readers would have it, to poor judgment (or self-effacing indecision) on the part of Aristotle's commentator. De Libera is hardly unappreciative of the intensity with which Albert defends the study of Aristotle. However, his thesis that Albert does not merely seek to explain or parrot Aristotle's teaching but also to complete and perfect it fails to convey Albert's conviction that Aristotle's teaching - or, at any rate, his teaching on pleasure in the Ethics - is already perfect and complete. Nevertheless, his thesis has its advantages. One advantage is that it accounts well for the text De intellectu et intelligibili, which Albert claims to compose in order to fill a gap in Aristotle's corpus. It also accounts well for Albert's life-long defense, in the face of increasing evidence to the contrary, that the Liber de causis completes Aristotle's metaphysics. Yet what it does not account for, and actually obscures, is the strength of Albert's conviction in the Super Ethica and Ethica that every letter of the Ethics is true, fitting, and sufficient. Any convention for reading Albert's Ethics-commentaries that does not recognize it is not one, we submit, that can uncover Albert's "true intellectual visage".
4. Albert's Peripateticism As aphilosophus, de Libera's Albert is neither a Neoplatonist nor an Aristotelian, but a Peripatetic. By this, de Libera means to account for the fact that Albert numbers himself among the Peripatetics at various places in his works44.
Cf. GAUTHIER / JOLIF [Note 2], p. 780. de Libera discusses Albert's sense of the history of philosophy and his place in it, among other places, in: LIBERA, Alain de: Albert le Grand ou l'Antiplatonisme sans Platon. In: DIXSAUT, Monique (éd.): Le Platonisme dévoilé. Paris 1993, pp. 247-271, here p. 249-254; and, Idem: Albert le Grand et le Platonisme. In: BOS, E. P. / MAIJER, P. A. (eds.): On Proclus and his Influence in Medieval Philosophy. Leiden 1992 (Philosophia antiqua, 53), pp. 89-119, here pp. 89-96.
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He also means to defend a particular and eminently plausible position about where Albert expresses his philosophical views and about how he arrives at them. On this position, Albert expresses his philosophical views in his commentaries on Latin translations of numerous works ascribed to Aristotle. Albert arrives at these views by reading this corpus through a "grille de lecture" erected by certain Neoplatonizing Greek and Arabic commentators. The result is a body of teachings very different from any that a contemporary historian of philosophy would call "Aristotelian" or "Neoplatonic". Thus, a Peripatetic body of teachings. To be sure, for de Libera, Albert's philosophy does have Aristotelian and Platonic elements. It is reasonable that it should, since he sees Albert's philosophy as emerging from a dialectical engagement of Neoplatonizing commentators on Aristotle's texts. Still, it is properly neither Aristotelian nor Neoplatonic. For de Libera, one of the principal causes for the failure of scholars to recognize "Albert's true intellectual visage" is their belief that his philosophy is Aristotelian or Neoplatonic 45 . What light do Albert's commentaries on the pleasure-treatises shed on this perspective? In particular, what light do they shed on the adequacy of the adjective "Aristotelian" as a descriptor for the doctrines on pleasure they contain? There is no doubt that Albert's commentaries frequently invoke extra-Nicomachean notions in their defense of the truth, fittingness, and sufficiency of Aristotle's moral-scientific utterances. Our question is this: Does Albert use these concepts in his teaching on pleasure in such a way as to make it misleading or otherwise inappropriate to call that teaching "Aristotelian"? We address this question by considering Albert's use of extra-Nicomachean concepts within a particular context. In Super Ethica X,2, Albert examines Aristotle's review of a dispute between Eudoxus and Plato about pleasure. Eudoxus figures in it as the author of an argument that "Pleasure is per se bonum"; Plato as the author of a counterargument intended to defeat Eudoxus 46 . The major premise of that counterargument is as follows: Any good that can be made more choiceworthy through the addition of other goods cannot be a per se good. Aristotle's Plato justifies this premise through two stipulative definitions: first he defines per se goods as perfectly choiceworthy goods, and then he defines perfectly choiceworthy goods as goods that cannot be made more choiceworthy through the addition of other goods. His minor premise is a simple claim about pleasure: Pleasure is a good that is made more choiceworthy through the addition of other goods.
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LIBERA, A. de [Note 1], pp. 34-39 and 54ff. For an instructive discussion of some o f the pitfalls of speaking o f Albert and other 13th-century Latin philosophers as "Aristotelians," cf.: Idem: La philosophie médiévale. Paris 1993 (Collection Premier Cycle), pp. 363-367; BIANCHI, Luca / RANDI, Eugenio: Les Aristotélismes de la Scolastique. In: Id.: Vérités dissonantes: Aristote à la fin du Moyen Age. Fribourg 1993, pp. 1-37. ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. X, lect. 2: ed. cit., pp. 714-715.
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M A R T I N J. TRACEY
Aristotle clarifies Plato's premise with an example concerning the choiceworthiness of a certain pleasant action. In this example, Aristotle makes claims about the choiceworthiness of a some pleasant action, X, as considered in two distinct circumstances: when X is combined with some other good, like prudence; and when X is without prudence. Without the good of prudence, Aristotle submits, X is choiceworthy. For X is pleasant, and pleasure, when good, is choiceworthy. However with the good of prudence, X is more choiceworthy. Thus it seems that although the pleasure in action X is choiceworthy without prudence, it becomes more choiceworthy when X contains prudence as well as pleasure. Now, if any good that can be made more choiceworthy through the addition of other goods cannot be a per se good, and if pleasure can be made more choiceworthy through the addition of other goods, then an important conclusion follows for Plato: Pleasure cannot be a per se good. Within the Greek text, it is clear that Plato's first premise (i.e., Pleasure cannot be a per se good if it is made more choiceworthy through the addition of another good) rests on the logical point that anything that can be made more choiceworthy cannot be perfectly choiceworthy. In the Latin translation that Albert comments, Plato's argument seems to rest on a metaphysical conviction that what can be combined with corporeal goods is not perfectly choiceworthy, since per se or perfectly choiceworthy goods are by definition goods that do not admit of combination with imperfectly choiceworthy ones, and corporeal goods are such. Albert's question concerning Plato's argument in Super Ethica X,2 is about the validity of this explanatory justification for its first premise: i.e., the claim that what can be combined with corporeal goods is not per se bonum. The question effectively asks whether Plato is wrong to affirm that a per se bonum is one that cannot be combined with corporeal goods. Albert's principal reason for suspecting that Plato may be wrong is his conviction that Aristotle speaks of per se bona that can be combined in this way. One can see that Plato is not wrong, Albert argues, if one recognizes that per se bonum is spoken of in many senses, and understands his claim in the relevant sense. For per se bonum can denote three things: the first cause of goodness; the nature or essence of goodness; or anything that participates in the nature or essence of goodness through its own specific nature. Certain kinds of per se bona admit of combination with other goods, but other kinds do not. In particular, what is good per se in the first sense does not admit of combination with other goods, whereas what is good per se in the second sense does, albeit accidentally. When such accidental combination occurs, Albert suggests, the goodness proper to the nature or essence of goodness combines with the goodness proper to some specific nature. It does so to the degree that the nature or essence of goodness exists within that specific nature. Albert's differentiation of kinds of per se bonum thus preserves the truthfulness of Plato's utterance, "Pleasure is not per se bonum". It also saves Aristotle's utterance "Pleasure is per se bonum". Albert explains that Aristotle speaks only of the third of the three kinds of per se good in the Ethics. He restricts his use of the concept of per se bonum in this way because he believes that moral science concerns only goods that are
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attainable in human action during earthly life, and this is the only kind of per se good that can be so attained47. Indeed, the good specific to human nature is the best good that human beings can attain in earthly life, and the one at which all felicific human activity aims. Plato's claim about per se goods, although true in a sense, is not true of this good. Therefore, the argument to the effect that pleasure cannot be good per se, which is premised on this claim - and which is the source of Albert's reflections - is invalid, since Aristotle is asking whether pleasure might be the best good that human beings can attain in earthly life, and Plato's claim is not. Albert's differentiation of different senses of per se bonum draws on an account of the emanation of goodness from its first cause. It is important to recognize that Albert does not regard this account as a philosophical invention of his own, but rather regards it to be presupposed by Aristotle's teaching. Albert thus attributes to Aristotle a "Neoplatonizing" belief in a single source or principle of goodness, a separately existing nature of goodness, and a plurality of specific natures that participate in this separately existing nature48. Indeed, he presents these ideas as deep metaphysical presuppositions of Aristotle's thought - and not as fundamental postulates of an independent Peripatetic philosophy of Albert's own design, intended to complete or perfect Aristotle's own. Albert's sense here of the history of philosophy resembles the concordizing tendencies of certain of Aristotle's "Neoplatonizing" Byzantine commentators. Interestingly, Albert also presents his account as of a piece with that of Dionysius, who, as he notes here, holds that there is a procession of goodness from the first principle, wherein the unparticipated goodness of the first is better (literally, "less obscured") than the participated nature of goodness that emanates from it, and this nature is better than that of the specific natures that participate in it. To be sure, a lectio like Super Ethica X,2 clearly shows that Albert's explication of Aristotle is not narrowly or philologically Aristotelian. Nevertheless, even though Albert uses certain extra-textual notions in his explication of Aristotle that are clearly not Aristotelian, he does affirm the most central doctrines of Aristotle's moral-philosophical account of pleasure. Thus, with Aristotle and contra Speusippus, Albert affirms that pleasure is a good. Likewise, philosophice loquendo, Albert affirms that pleasures differ in kind49, and that corporeal pleasures are good50. The Nicomachean treatise concludes
For a discussion o f this restriction in Albert and other 13th-century Latin commentators, cf.: CELANO, Anthony: The «finis hominis » in the thirteenth-century Commentaries on Aristotle's Nicomachean Ethics. Archives d'histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 53 (1986), pp.2353, here 34; Cf. WIELAND, Georg: Ethica - scientia practica. Munster i. W. 1981 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie im Mittelalter, N. F. 21), pp. 99-105 et passim. 48 49
ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. X, lect. 2: ed. cit., p. 715,21-30. Op. cit., 1. X, lect. 4: ed. cit., p. 723. For a discussion of how Aristotle reconciles the claim that pleasures differ in kind (and hence generically different pleasures cannot be compared as if they were different amounts of the same thing) with the claim that contemplation is the most plea-
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by distinguishing this pleasure from other kinds of pleasure and introduces the central question of the next treatise: What is happiness or the best human activity? Moreover, with Aristotle and contra Plato, he affirms that the best pleasures are neither motions nor generations 51 . So too he affirms that pleasure is not the goal of human action - instead, its goal is a certain perfect human activity that is pleasant, and its pleasantness is one cause of its perfection 52 . Finally, Albert says that this pleasure - which he identifies as the pleasure that attends contemplative activity practiced in accordance with the virtue of wisdom - is the pleasure proper to human nature 53 . Given the number and substance of such shared affirmations, it hardly seems accurate to refuse the descriptor "Aristotelian" to Albert's moral-philosophical teaching. And there is another feature of Albert's teaching in his Ethics-commentaries that strengthens this impression: The fact that Albert devotes considerable energy to carrying forward one of Aristotle's most impoitant ethical-theoretical initiatives concerning pleasure. We mean Aristotle's complex if not recherché effort in the Nicomachean treatise to account for the relation of pleasure to activity within certain dialectical parameters 54 . Aristotle needs to associate pleasure and activity closely in order to establish that the best human activity, which is the goal of all human action, is pleasant. At the same time, he must not associate them so closely as to identify them, since that would support a position that the Nicomachean treatise is constructed to defeat: That pleasure is the goal of all human action. Sharing with Aristotle this fundamental ethical-theoretical conviction (i.e., that pleasure is not the ultimate end of human action), Albert supports his effort to explain the close-yet-distinct way that pleasure relates to activity55. Thus, once again, Albert's pleasure-treatises show something that is overlooked by recent de Liberan perspectives on Albert's thought. We saw how de Libera's perspective on the relation of philosophy and theology for Albert overlooks Albert's corroborative uses of theological authorities in his exposition of Aristotle. We also saw how his per-
surable activity, cf.: GONZALEZ, Francisco J.: Aristotle on Pleasure and Perfection. In: Phronesis 36 (1991), pp. 141-159. 50 51 52 53 54
55
ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. VII, lect. 15: ed. cit., pp. 582-583. Op. cit., 1. X, lect. 3: pp. 719-720. Op. cit., 1. X, lect. 7: pp. 730-731; 1. X, lect. 8: pp. 735-736. Op. cit., 1. X, lect. 9: pp. 738-739. For a recent analysis of these efforts, cf.: WIGGINS, David: Pleasure and Activity in Aristotle's Ethics. In: Phronesis 33 (1988), pp. 251-272. Albert signals the importance of this conviction with a rare "ego"-utterance. For a sense of the infrequency, function, and importance of such statements, with a list of some from Albert's De homine, cf.: ANZULEWICZ, Henryk: Grundlagen von Individuum und Individualität in der Anthropologie des Albertus Magnus. In: AERTSEN, Jan / SPEER, Andreas (eds.): Individuum und Individualität im Mittelalter. Berlin 1996 (Miscellanea Mediaevalia, 24), pp. 155-160.
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spective on the methods and aims of Albert's Aristotle commentaries overlooks the fervency of Albert's insistence on the truthfulness, fittingness, and sufficiency of Aristotle's teachings. We now see that de Libera's perspective on the Peripatetic character of Albert's thought - his belief that to read Albert as an Aristotelian is to misread him overlooks how thoroughly Aristotelian his thought can be. Our presentation of aspects of Albert's pleasure-treatises that are overlooked or obscured by certain of Alain de Libera's recent interpretations does not begin to address the question of what those same perspectives reveal. That is the work of another article. For now, to note exceptions of this kind seems an appropriate way to encourage, in short compass, a more critical engagement of a set of perspectives that have exercised a seminal influence on Albert studies in the last decade 56 .
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De Libera's perspective on Albert certainly merits a study comparable to C. Vasoli's study o f Bruno Nardi: VASOLI, C.: L'immagine di Alberto Magno in Bruno Nardi. In: Freiburger Zeitschrift fiir Philosophie und Theoìogoie 32 (1985), pp. 45-64.
JOSE RICARDO PIERPAULI,
Florianopolis
Ordo naturae et ordo politicus unter ontotheologischer Perspektive bei Albert dem Großen 1. Einleitung Die Beziehung zwischen ordo naturae und ordo politicus ermöglicht uns, die großen Richtungen der politischen Philosophie zumindest in zwei Gruppen1 einzuordnen: Erstens die jener politischen Philosophen, die eine antinomische Beziehung zwischen Natur und Politik postulieren. So hat Hobbes2, wie bekannt, eine Überwindung des Naturzustandes vorgeschlagen, um die Entstehung des Politischen vom legitimierenden Maßstab des Vertrages3 abhängig zu machen. Zweitens die der politischen Philosophen, die eine harmonische Beziehung zwischen Natur und Politik vertreten. Diese Philosophen verstehen das Politische als eine vernünftige unter den dem Menschen innewohnenden Bestrebungen4. Um Albertus Magnus aber in die zweite Gruppe einzureihen, in die er tatsächlich gehört, sind einige vorausgehende Beobachtungen erforderlich. Erstens: Albert war nicht nur ein politischer Philosoph, sondern auch Theologe. Unter dieser Perspektive ist eine bedeutende Transformation des Naturbegriffes und seiner Beziehung zur übernatürlichen sowie zur politischen Ordnung festzuhalten5. Der Doctor universalis, der ein guter Kenner der Werke Ciceros war und diese sehr oft benutzte, um die politischen Begriffe des Aristoteles zu erklären, hat die letztgültige Unterscheidung Augustins
3
4
5
Vgl. dazu WIELAND, Georg: Secundum naturam vivere. Über den Wandel des Verhältnisse von Natur und Sittlichkeit. In: FRALING, Bernhard (Hrsg.): Natur im ethischen Argument, Freiburg i. Br. 1990, S. 13-31. „Frequentissima autem causa, quare homines se mutuo laedere cupiunt, ex eo nascitur, quod multi simul eandem rem appetant, qua tamen saepissime neque frui communiter, neque dividere possunt; unde sequitur fortitiori dandam esse; quis autem fortior sit, pugna iudicandum est." HOBBES, Thomas: De cive, c. 1: In Ders.: Opera Philosophica, hrsg. von Guilelmi MOLESWORTH, Bd. 2. Darmstadt 1966, S. 163. Für einen vollständigen Überblick über die aktuellen Debatten innerhalb der Politischen Vertragsphilosophie vgl. KERSTING, Wolfgang: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags. Darmstadt 1994. „ ... iustitia politica quae est in rebus humanis, exemplatur a iustitia naturali quae consistit in hoc quod quaelibet res suam implet naturam". THOMAS de Aquino: Quaestiones disputatae de ventate, q. 23., a. 6, arg. 3: Opera omnia (ed. Leonina), t. 22,3. Roma 1976, S. 667, 13-16. Vgl. PIERPAULI, José R.: Ordo naturae und ordo politicus: Albert und Thomas im Vergleich. In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 47 (2000), S. 352-367.
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JOSE R . PIERPAULI
zwischen natürlicher und übernatürlicher Ordnung aufgenommen 6 . Deshalb war für Albert die Natur ein göttlichen Spiegel des Gesetzes, welches die ganze Weltordnung determiniert. In diesem Kontext ergibt sich die politische Ordnung als ein Legitimitätskriterium, das von demjenigen verschieden ist, das von Th. Hobbes und, im Grunde genommen, auch von den neuen Naturrechtspositionen 7 aufgestellt wurden. Nach Albert hat die Struktur der politischen Ordnung die menschliche Vernunft als ihre causa efficiens. Diese menschliche Vernunft ist aber nicht völlig autonom, sondern bleibt in die ganze Weltordnung einbezogen. Diese Einbeziehung der Vernunft bedeutet für sie den Besitz des ursprünglichen Zustands. Dieser vollkommene Zustand der Vernunft bedeutet wiederum den Besitz nicht nur von Intelligibilitätsprinzipien, d. h. den sogenannten ersten Prinzipien, sondern auch - in einer politischen Perspektive - eines spezifischen Verständnisses des Guten und des Rechten. Daß Albert nicht nur Philosoph, sondern auch Theologe war, bringt noch andere hermeneutische Schwierigkeiten mit sich. Vielleicht ist die wichtigste die Tatsache, daß auf Grund des fast allumfassende Wissens Alberts und seines theologisch begründeten Einheitsdenkens die politischen Ideen im Bereich seines ganzen Werkes gesucht werden müssen 8 . Der Titel des vorliegenden Beitrags soll deshalb als Schlüssel zur Lektüre und zum Verständnis dienen für das, was heute politische Philosophie genannt wird. Die Bestimmung der richtigen Linien dieser politischen Philosophie, welche aus der Theologie stammen, setzt ihrerseits zwei Hauptfeldanalysen voraus: Die erste betrifft die Werke Alberts, in denen die Politik ganz deutlich im Vordergrund steht, die zweite umfaßt die übrigen Werke, in denen die Politik nur einen sekundären Platz einnimmt. Zur ersten Gruppe gehört selbstverständlich der berühmte Politik-Kommentar (ca. 1264) und auch der Ethik-Kommentar (Super Ethica, ca. 1250). Den zuerst ge-
6
Vgl. KRIEGER, Gerhard / WINGENDORF, Ralf: Christsein und Gesetz: Augustinus als Theoriker des Naturrechts, in: A U G U S T I N U S , Aurelius: De Civitate
dei, hrsg. von Christoph Horn.
Berlin 1997 (Klassiker auslegen), S. 238. 7
„Der neuzeitliche Naturrechtsbegriff wird vor allem durch zwei Faktoren bestimmt: a ) Das Naturrecht findet eine von der Theologie unabhängige Begründung, die sich sozialgeschichtlich darin ausdrückt, daß nun nicht mehr Theologen, sondern Juristen und Philosophien sich des N a turrechtes annehmen, b ) Der aristotelische und teleologische Naturbegriff wird verdrängt durch den mechanistischen Naturbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaften. Der Übergang v o m antiken und mittelalterlichen zum neuzeitlichen Naturrechtsbegriff, obwohl schon in der Spätscholastik vorbereitet, vollzieht sich jedoch nur zögernd und kommt erst mit Hobbes voll zum Durchbruch." HÜGLI, Albert: Naturrecht. In: RITTER, Joachim / G R Ü N D E R , Karlfried (Hrsg.): Historisches
8
Wörterbuch
der Philosophie,
Bd. 6, Darmstadt 1984, S. 582.
Ich verweise hier auf ANZULEWICZ, Henryk: De forma Relevanz
des Bildbegriffs
und des Spiegelbildungsmodells
resultante
in speculo.
in den Frühwerken
nus, Bd. 1. Münster 1999 (BGPhMA, N.F. Bd. 53,1), S. 4-18.
Die
theologische
des Albertus
Mag-
Ordo naturae et ordo politicus
329
nannten (Politica), der von Albert als Abschluß seiner philosophischen Enzyklopädie geschrieben wurde, sollte man nicht für die einzige Quelle seiner Politikauffassung halten, und zwar deshalb, weil der entstehende Aristotelismus unter kirchlicher Zensur stand9, so daß Albert nur eine expositio der aristotelischen Politik für seine geistlichen Brüder schreiben konnte. Albert hatte zum Beginn dieses Vorhabens die Absicht, keine eigenen Ausführungen hinzuzufügen, streute im Verlauf seiner Albert dann aber doch kurze und klare persönliche Kommentare in dieses Werk10 ein. Das Werk Alberts, das die aufschlußreichsten Überlegungen zur praktischen Philosophie enthält, ist der Kommentar Super Ethica (1250- 1252). Inhaltlich eng damit verbunden sind die Bemerkungen, die von Albert in der sogenannten Summa de creaturis (1242), im frühen Traktat De natura boni (1241-43), im Traktat De bono (ein wirklicher Traktat über das Naturrecht), in seinem wertvollen zweiten Kommentar zur Ethik {Ethica 1262) sowie zwischen den Zeilen im Kommentar zur Politik gemacht werden: sie alle handeln über die praktische Philosophie - und zwar aus rein rationaler Perspektive. Innerhalb seines theologischen Systems finden sich ähnliche Bemerkungen, politische Thesen und Begriffe im Rahmen seines Matthäus-Kommentars. Der Kommentar Super Ethica hat eine zweifache Bedeutung: Erstens dient er zur Klärung der kurzen Bemerkungen im Politik-Kommentar, zweitens dient er auch dazu die Weiterentwicklung der politischen Überlegungen Alberts bei seinem Schüler Thomas zu studieren, denn jener Kommentar (E-1) ist, wie bekannt, ein Kompendium der Vorlesungen, die der Aquinate bei seinem Meister im Köln gehört hat. Von daher legt sich ein Vergleich der politischen Begriffe Alberts mit der des Thomas nahe, weil nach unserer, dieser Studie zugrunde liegender Auffassung die Thesen des Doctor universalis in das Innere des thomanischen Systems hineinwirken, wo sie ihre Vollendung erreichen".
Folgende Ausführungen Alberts sind nur in jenem historischen Kontext verständlich: „Et hoc dico propter quosdam inertes, qui solatium suae inertiae quaerentes, nihil quaerunt in scriptis, nisi quod reprehendant, et cum tales sint torpentes in inertia, ne soli torpentes videantur, quaerunt ponere maculam in electis. Tales Socrates occiderunt, Platonem de Athenis in Academiam fugaverunt, in Aristotelem machinantes etiam eum exire compulerunt, sicut ipse dixit". ALBERTUS Magnus: Politica, 1. VIII, c. 6: ed. Paris., t. 8, S. 803 f. 10
„Nec ego dixi aliquid in isto libro, nisi exponendo quae dicta sunt, et rationes et causas adhibendo. Sicut enim in omnibus libris physicis, numquam de meo dixi aliquid, sed opiniones peripateticorum quanto fidelius potui exposui..." ALBERTUS Magnus, Politica, loc. cit.: S. 803.
11
Vgl. G R A B M A N N , Martin: Das Studium der aristotelischen Ethik an der Artistenfakultät der Universität Paris in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In: Ders.: Mittelalterliches Geistesleben, Bd. 3. München 1956, S. 128-141, hier S. 141.
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JOSE R . PIERPAULI
Aus systematischer Perspektive betrachtet war für Albert wie für Thomas die Praxis das Gebiet, dem alle theoretischen Spekulationen dienen sollten, um dem Menschen den Weg zur Erlösung zu erschließen. Dabei bezogen sich beide nicht zuletzt auf die politische Ordnung. Die Tatsache, daß Albert in seinem Politik- Kommentar nicht die zahlreichen Fragestellungen aufgegriffen hat, die er in Super Ethica behandelte, ferner die Tatsache, daß Thomas' Kommentar knapper ausfielt als der seines Meisters und daß er ihn unvollendet hinterließ, sind kein Indiz dafür, daß sie sich in ihren jeweiligen Systemen nur wenig mit der Politik befaßt hätten. Dieser Umstand deutet unseres Erachtens vielmehr darauf hin, daß die Politik als wissenschaftliche Disziplin bei Albert und Thomas jeweils noch in ihr Gesamtsystem integriert und noch nicht, wie später bei Ockham, verselbständigt war. Während Albert am Beginn der Vollendung des aristotelischen Paradigma steht, bedeutet Ockham der Anfang des neuen Paradigmas der politischen Philosophie, das von Hobbes vollendet wurde. Auf Grund der bisherigen Erörterungen gliedere ich meinen Beitrag folgendermaßen: Erstens möchte ich die grundlegende Denkweise Alberts hinsichtlich seines Gottesbegriffs als causa efficiens der Schöpfungsordnung rekonstruieren. Zweitens werde ich mich mit einer unmittelbaren Schlußfolgerung, nämlich mit der doppelten Bedeutung des Regnum-QQgvliis als Anfang, Richtung und Maß der politischen Ordnung unter einer ontotheologischen und politischen Perspektive beschäftigen. Schließlich soll in einigen kurzen Schlußfolgerungen eine möglichst vollständige Wertung der politischen Philosophie Alberts im Licht der dynamischen Beziehung zwischen ordo naturae und ordo politicus geboten werden.
2. Gott als causa efficiens der Schöpfungsordnung und erstes Analogon der übrigen Ordnungen, unter denen sich die politische Ordnung befindet Gott ist das Alpha und Omega der Überlegungen Alberts. Deswegen muß die Beziehung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Gesetz12, die eine fundamentale Struktur der politischen Ordnung bildet, innerhalb des vom Doctor universalis entworfenen Schemas des exitus-reditusn gesucht werden. Die Erkenntnis der göttlichen Vollkommenheit, welche sich in der menschlichen Vollkommenheit ausdrückt, bietet einen Ansatz für die Bildung der Struktur der politischen Ordnung. Naturgesetz bedeu-
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Die Begriffe »Gesetz« (lex) und »Recht« (¡ms) werden hier äquivalent verwendet. Die sicherste Quelle, die Albert fälschlicherweise Cicero zuschreibt, ist jene Aussage: "lex est ius scriptum adsciens honestum prohibensque contrarium." Super Ethica, prol.: Ed. Colon, t. 14, S. 1-14. Mit diesem Terminus läßt sich das theologische System Alberts und Thomas 1 am besten charakterisieren, vgl. METZ, Wilhelm: Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Hamburg 1998 (Paradeigmata, 18).
Ordo naturae
et ordo
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tet in dieser Hinsicht d e n B e s i t z e i n e s g r u n d l e g e n d e n Gerechtigkeitskriteriums, das z u einer g a n z a l l g e m e i n e n U n t e r s c h e i d u n g d e s G u t e n und d e s B ö s e n befähigt 1 4 . A b e r e s bedeutet auch den s p e z i e l l e r e n B e s i t z der s o g e n a n n t e n g o l d e n e n R e g e l 1 5 : „ Q u a e c u m que vultis, ut faciant v o b i s h o m i n e s , et v o s facite illis" 1 6 . D i e s e s g r u n d l e g e n d e Kriterium zur U n t e r s c h e i d u n g d e s s e n , w a s gerecht ist, wird a u f z w e i f a c h e W e i s e vervollständigt und v e r v o l l k o m m n e t 1 7 : zuerst durch die Kenntnis der s p e z i f i s c h e r e n G e s e t z e d e s M o s e s 1 8 , s o d a n n mit H i l f e der Gnade 1 9 . D a s g ö t t l i c h e G e s e t z steht in Alberts Werk in B e z i e h u n g mit d e m B e g r i f f der G e rechtigkeit und mit d e m der Ordnung. D a s m e n s c h l i c h - positive G e s e t z m u ß betrachtet w e r d e n g e m ä ß d e m Kriterium der politischen Gerechtigkeit. Albert zieht e s aber vor, d i e s e G e r e c h t i g k e i t letztlich in der A n p a s s u n g an das göttliche G e s e t z z u sehen 2 0 . D i e p o l i t i s c h e Gerechtigkeit w i e d e r u m ist ein Teil der v o n Albert s o g e n a n n t e n allgem e i n e n Gerechtigkeit. A l l g e m e i n e Gerechtigkeit bedeutet für ihn ein g e w i s s e s debitum innerhalb e i n e s d o p p e l t e n O r d n u n g s b e g r i f f s , und z w a r e i n e s a n t h r o p o l o g i s c h e n und e i n e s politischen. S o sagt Albert:
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„lus naturale est lumen morum impressum nobis secundum naturam rationis". ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 5, q. 1, a. 1: ed. Colon, t. 27,1,1:: S. 270,5. Zu ihrer Bedeutung innerhalb der gegenwärtigen Politischen Philosophie vgl. HÖFFE, Ottfried: Positivismus plus Moralismus: Zu Augustinus'eschatologischer Staatstheorie. In: AUGUSTINUS [Anm. 5], S.259-289. Albert fugt hinzu: „Lex autem naturae aut est in utendi nobis aut in distribuendis proximo. Si secundo modo, tunc est iustitia iuxta illud VI Luc: ,Quaecumque vultis, ut faciant vobis homines, et vos facite illis'." De bono, tr. 1, q. 6, a. 1: Ed. Colon, t. 27,1, S. 79,59. In diesem Punkt nimmt Albert einen anderen Standpunkt als die bisherige Tradition ein. Wie Lottin formuliert: "Au sens strict le droit naturel se cantonne dans les premiers principes, que,à la suite de Guillaume d'Auxerre, il compare volontiers aux premiers axiomes de la raison spéculative. Cependant Albert intègre aussi dans le droit naturel les déductions assez proches des premiers principes, telle la nécessité d'une autorité sociale, telle la nécessité de la propriété privée. Ces conclusiones, in effet, relèvent elles aussi de la ratio naturalis." LOTTIN, Odon: Psychologie et morale aux Xlle et Xllle siècles, vol. II. Louvain [u.a.] 1948, S. 85. Vgl. auch ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 5, q. 1, a. 3: Ed. Colon, t. 27,1, S. 274,:27-276,55.
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„ ... in moribus additur ut magis determinans et specificans, eo quod lex naturalis non est nisi de universalibus iuris ... " ALBERTUS Magnus: De bono,tr. 5, q. 11, a. 2: Ed. Colon, t. 27,1, S. 286,82. „Sola lex naturalis sine gratia mediatoris non sufficiebat ad salutem, sicut bene probant verba Augustini". De bono, tr. 5, q. 11, a. 2: S. 285,35. „Appetere autem îustitiam plus est, quia appetens iustitiam requiescit in iustitiae operibus propter bonum. Et hic melior est, praecipue si appétit iustitiam, quae est ordinata lege divina ..." ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 5: Ed. Colon, t. 21,1, S. 109,53.
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„Est enim iustitia generalis sicut omnis iustitia consistens in debito. Debitum autem generale facit iustitiam generalem. Debitum autem generale est debitum rectitudinis totius animae secundum vires ordinatas ad actum et ad alterum et ad se et ad deum secundum ordinem rectitudinis, in qua creatus est homo" 21 .
In enger Verbindung mit dieser These erklärt Albert den Umfang seiner Idee, um die Beziehung, die hier als Grundlage für die Bildung der politischen Ordnung gesetzt wurde, ganz klar zu beleuchten, d. h. die Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer im Hinblick auf den Gerechtigkeitsbegriff. So fährt Albert fort: „... rectitudo animae, quae est iustitia generalis, consistit in debito ordine virium omnium ad actum et ad superiorem et parem et inferiorem secundum rectitudinem status primi, in quo 22
creatus est homo" .
Der Abschnitt im Werk des Doctor universalis, der am besten diese vieldeutige Dimension des Ordnungsbegriffs ergänzt, findet sich in De homine. Dort sagt Albert: „Tribus ordinibus ordinatum est universum, scilicet in se et ad hominem et ad deum creantem" 23 . Die Ordnung in se gehört zur kosmologischen Ebene: „ ... in se autem triplicem habet ordinem generaliter loquendo, scilicet locati ad locum, et moventis ad motum et potentia ad actum" 24 . Diese erste Ebene der Ordnung beschreibt den konkreten Bereich, in den die menschliche Kreatur, aufgefaßt als eine geschaffene und vollkommen ausgestattete Natur, gestellt ist. Die zweite Ebene des von Albert vorgeschlagenen Ordnungsbegriffs ist die einer Beziehung zwischen dem Menschen als einer vollendbaren Kreatur, seinen vernünftigen Aktivitäten und dem Lohn, der diesen Handlungen im jenseitigen Leben gebührt. Diese zweite Ebene beinhaltet die relevantesten Beiträge für eine praktische Philosophie und gleichzeitig einen hermeneutischen Schlüssel für die hier vorgelegte Studie. So sagt der Doctor universalis: „ ... omnium autem creaturarum multiplex est ordo. Dicit enim Apostolus, quod omnia nostra sunt - Ad Romanos XIII, 1 - . Superiora enim bona nostra sunt ad ministerium in custodaindo hic, et ad iucunditatem societatis in futuro. Inferiora autem bona nostra sunt ad necessitatem vitae in cibo, et ad iuvamentum laboris,vel ad exercitium sapientiae in ipsis, vel ad exercitium virtutis «25
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ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 5, q. 3, a. 1: Ed. Colon, t. 27,1, S. 292,15. Albert ergänzt in seinem Matthäus-Kommentar. „Generalis iustitia ... dicta e s t , quae in debitum et rectum statum ponit totum, quod est in homine, respectu interiorum et exteriorum ... " c. 5,6: S. 109,21-24. ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 8, 21: Ed. Colon, t. 21,1, S. 292,34. ALBERTUS Magnus: De homine, tr. 2, q. 81, a. 3: Ed. Paris, t. 35, S. 661. Ebd. Ebd.
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Während die höheren Gaben, die der Mensch von Gott erhalten hat, eine Beziehung zum Lohn im jenseitigen Leben aufweisen, d.h. zur übernatürlichen Dimension, beziehen sich die niedrigeren auf die Bedürfnisse des irdischen Lebens. Die hier gebotene Einteilung dient dazu, den genauen Umfang und die richtige Bedeutung der Erklärung, die Albert für das erste Buch der Politik des Aristoteles gibt, näher zu erfassen. Die zwei zuletzt zitierten Texten weisen auf eine innere Verbindung hin, welche ganz deutlich die Beziehung zwischen der geschaffenen Welt als einer Einheit und ihrem Schöpfer zum Ausdruck bringt. So sagt Albert: „Dicendo autem mundum esse unum dicimus extra ipsum nec locum esse nec tempus, sed vitam beatam, non ut in loco, sed uti in obiecto, eo quod dicimus Deum ad mensuram mundi non includi" 26 . In der Rangordnung der niedrigeren Güter steht auch das Böse mit seiner metaphysischen Negativität und seiner moralischen und politischen Wirkung. Diesbezüglich äußert er sich wie folgt: „ ... et huic ordini subiacet etiam malum, licet malum in se careat fine proprio, tantum in altero utente malo bene multiplicem habet bonum finem, vel patientiae in malis ad alterum illatis, vel compassionis super peccatores, vel cautelae, quia felix est ille quem faciunt aliena pericula cautum. Et sic intelligit Dionysius, quod malum est conferens ad omnem plenitudinem. Et dicit Augustinus, quod Deus non permitteret malum fieri, si non posset ipso uti in bonum" 27 .
Albert drückt dieselbe Idee in einem erweiterten und schlechthin ontotheologischen Kontext aus. Diesen Kontext kann man für das letzte Entwicklungsstadium der These des Doctor universalis halten. Es handelt sich hier um folgenden Abschnitt aus der Summa theologiae (nach 1274): „Ordo est in universo, nec Deus permitteret rem inordinatam fieri, nisi ante disposuisset et praevidisset qualiter reduceretur et revocaretur ad ordinem. Unde duplex est ordo, scilicet rei ordinatae, et sapientiae ordinantis ... Quantum ad ordinem rei ordinatae, si ordinis ratio ex ipso accipitur quantum ad debitum naturae vel meriti absolute, multa sunt inordinata et per errorem facta. Si autem accipitur ratio ordinis ex ratione sapientiae ordinantis, nihil penitus est inordinatum vel confusum in mundo, sed omnia decentissime ordinata: quia etiam mala quae a Deo permittuntur, ordinantur optime vel ad excercitium virtutis, vel ad ampliorem commendationem boni, vel ad commendationem iustitiae, vel pulchritudinem. Et ordo qui est secundum congruentiam rei ordi28
natae, est ordo secundum quid. Ordo autem qui est ex dispositione sapientiae, est simpliciter" .
Nach Alberts Auffassung können weder die natürlichen Prozesse des Entstehens und des Vergehens noch das moralische Übel durch sich selbst erklärt werden. Es bedarf dazu einer dritten Ebene, die sich aus einer strikt theologischen Betrachtung ableitet:
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Op. cit., tr. 2, q. 80, a. 2, sol., Ed. Paris, t. 35, S. 656b
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Op. cit., tr. 2, q. 81, a. 3, Ed. Paris, t. 35, S. 661.
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ALBERTUS Magnus: Summa theologiae
II, tr. 11, q. 63: Ed. Paris, t. 32, S. 607.
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„ ... generatio et corruptio finem non accipiunt ex impotentia causarum naturalium, sed secundum theologiam finis eorum erit ad inventionem mundi, et statum gloriae, de quo nihil habet dicere philosophia naturalis, eo quod ex principiis naturalibus non potest probari"29.
Aus diesem Grund fuhrt der Doctor universalis eine dritte und letzte Einteilung der Ordnung ein, von der aus die beiden vorhergehenden Zitate aus De homine zu verstehen sind. Mit dieser dritten Ordnungsstufe vollendet Albert das von ihm für die Erarbeitung der sogenannten Summa de creaturis benutzte exitus-reditus-Schzma.. Er sagt: „Deus omnibus aequaliter adest, sed non omnia aequaliter adsunt, eo quod non aequaliter bonitates suas participant seu percipiunt"30. Hier stellt Albert bereits vorab die zentrale Struktur vor, die Thomas dann für seine fünf Wege zum Erweis der Existenz Gottes benutzen wird. Tatsächlich stellt Albert als Fundament seiner Argumentation den Begriff der Seinsanalogie31 heraus, mit dessen Hilfe sich nicht nur eine solide Beziehung zwischen der natürlichen, einschließlich der politischen und der übernatürlichen Ordnung aufzeigen läßt, sondern der auch die Bildung einer Idee von politischer Gerechtigkeit ermöglicht, die sich, wenn man sie von der Naturordnung unterscheidet, gleichzeitig als Ausfluß aus der göttlichen Gerechtigkeit erweist. Albert sagt etwas später, um diese letzte Idee zu erklären: „ ... et entia quae plura de his [sei. bonitates] percipiunt et nobiliori modo sunt ei propinquora, quae vero pauciora et modo minus nobili, sunt remotiora per convenientiam essentiae"32. Auf diese Weise wurde das ganze geschaffene Universum durch Albert als eine gewisse Einheit der Ordnung und ein potestatives Ganzes dargestellt, denn das ganze Universum besitzt nur ein einziges Prinzip und ein einziges Ziel: den Deus creans. Es ist allein Gott, in dem die Teile des Ganzen ihre Vollkommenheit erreichen gemäß der Wesenheit, die jedem eigen ist. Die Struktur, die die vernünftigen von Gott geschaffenen Wesen zeigen und die nach Alberts dreifacher Abstufung eingeteilt ist, bildet jetzt den Ausgangspunkt für die Überlegung über den Begriff der politischen Gerechtigkeit, denn: „ ... pars trahit rationem a toto, et non e converso"33. Aber die Beziehung der Teile zum Ganzen und untereinander müssen durch gewisse Gesetze bestimmt werden: erstens durch die göttlichen Gesetzen, die von Gott erlassen wurden, um seine ganze Schöpfung zu regieren; zweitens durch die menschlichen Gesetze, die
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ALBERTUS Magnus: De homine, tr. 2, q. 80, a 1 : S. 652. Op. cit., tr. 2, q. 8 1 , a 3 : S . 661. Vgl. RAMIREZ, Jacobus: De analogia. Madrid 1970, t. 1, S. 21 und 25. ALBERTUS Magnus: De homine, tr. 2, q. 81, a 3: Ed. Paris, t. 35, S. 661. ALBERTUS Magnus: Politica, 1.1, c. 1 : Ed. Paris, t. 8, S. 14.
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von dem menschlichen Gesetzgeber (rex)34 geschaffen wurden, um das potestative Ganze, d. h. die politische Gemeinschaft, zu regieren, und zwar als einen Teil des von Gott geschaffenen Ganzen.
3. Quid sit regnum Dieser Begriff des totum, der von Aristoteles stammt und von Albert an seine Theologie angepaßt wurde, hat eine platonisierende Nuance erfahren, indem man ihn unter der Perspektive der Dynamik des Ganze analysierte, d. h. unter der Perspektive der Regierung. Albert hat die Notwendigkeit des Gesetzgebers (rex) und der Regierung aus dem Vergleich der politischen mit der kosmologischen Ordnung und mit dem menschlichen Leib abgeleitet35. Somit ergänzt und erweitert er jenen anderen Begriff, den er im Kommentar zur Politik des Aristoteles36 vorgeführt hat. Der Doctor universalis schließt: „Sic enim motor orbium habet particulares motores sphaerarum, sie anima in corpore particulares habet vires membrorum, et sie est in ómnibus aliis videre"37. Für Albert ist der politische Begriff des regnum ein Analogon des theologischen Sinnes womit er die Bedeutung und den Umfang der Bibelstelle: „adveniat regnum tuum"38 erklärt, und zwar im theologischen Kontext seines Kommentars zum Matthäus-Evangelium. An dieser Stelle schreibt Albert: „ ... regnum nihil aliud est nisi completa in uno potestas et dominatus, iustitia animata, legibus ordinata, urbanitatibus sicut partibus determinata, armorum strenuitate roborata, civilitates óptimas gubernans et bonis exterioribus sive copiis organice subservientibus, quantum sufficit, superabundans" 39 .
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Vgl. PIERPAULI, José Ricardo: Die praktische Vernunft als vis ordinativa. Albert und Thomas im Vergleich. In: Archives d'Histoire Dottrinale et Littéraire du Moyen Age 66 (1999), S. 82-86.
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Vgl. RIEDEL, Manfred: Metaphysik und Metapolitik: Studien zu Aristoteles und zur politischen Sprache der neuzeitlichen Philosophie. Frankfurt a. M., 1975, S.38. „Rex enim est prineipatum tenens super gentem propria potestate". ALBERTUS Magnus: Politica, 1.1, c. 1: Ed. Paris, t. 8, S. 8 C. ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 6,10: Ed. Colon, t. 21,1, S. 193,34-37. Matth. 6, 10a. ALBERTUS Magnus: Super Matth., loc. cit.: S. 191,85 - 192,4.
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Ich werde im Folgenden nur die Konzepte der Regierung und der Gerechtigkeit analysieren, denn die der urbanitas40 und der äußerlichen Güter 41 haben nur eine relative und abgeleitete Bedeutung, wenn man sie mit den vorhergehenden Ideen der Regierung und der Gerechtigkeit vergleicht. Für Albert zeigt die Macht und infolgedessen das Vermögen zu regieren eine doppelte Perspektive, und zwar eine personelle, d. h. in Bezug auf die Macht über die eigenen willentlichen Tätigkeiten, und eine andere in Hinblick auf das Ganze der politischen Gemeinschaft. Was die erste betrifft, sagt Albert: „Dominus [sei. der irdische dominus] enim est, qui secundum mentem sapientia et prudentia praeditus, convenienter praeordinat et disponit" 42 . In bezug auf diejenige Regierung der politischen Gemeinschaft, welche für den Doctor universalis die vollkommenste Dimension darstellt, heißt es: „Est enim divinum gubernare seipsum in bono hominis, divinius autem est, quod est gubernare civitatem secundum bonum civitatis, divinissimum autem est, quod est gubernare gentes secundum bonum gentis, quod est res publica" 43 . Die Idee der Gerechtigkeit, die Albert aus Aristoteles und Cicero geschöpft und die er näher vertieft hat44, wie aus seinem Matthäuskommentar ersichtlich, muß jetzt unter einer rein positiven Hinsicht untersucht werden. Erstens ist festzustellen, daß eine genaue Überprüfung von Alberts Prolog zur Politik uns eine gewisse Unbestimmtheit in der Bestimmung des Begriffs der Gerechtigkeit zeigt. Zwar bezieht sich Albert auf die Ordnung recti et iusti als grundlegende Strukturen der politischen Ordnung. Er spricht von einer politischen Gerechtigkeit, die als fundamentales Maß für die politische Gemeinschaft dient, und auch von einer Gerechtigkeit inter communicantes. Aber nur durch die Beziehung dieser Begriffe auf die im Kommentar zur Politik implizit genannten Quellen 45 kann man verstehen, daß Albert dort von der distributiven und von
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Vgl. ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 6: Ed. Colon, t. 21,1, S. 192,1-5; Politica, 1. IV, c. 5: Ed. Paris, t. 8, S. 352 d; Loc. cit, S. 354 m; 1 II, c. 10: S. 190 g; 1. II, c. 1 : S. 91 e. Super Ethica, 1. V, 4: Ed. Colon, t. 14,1, S. 326,64; 1. VIII, 10: Ed. Colon, t. 14,2, S. 631,52. Albert untersucht die Frage nach den äußeren Gütern im Verhältnis zur Ordnung von Recht und Gerechtigkeit unter den Namen possesiva sive pecuniativa. Vgl. dazu ALBERTUS Magnus: Politica, 1. I, c. 6, 7, 8, 9: Ed. Paris, t. 8, S. 42-82. Eine separate Behandlung der Problematik des Geldverleihens und Zinsnehmens findet sich in dem unedierten Brief Alberts an einen gewissen Berthold von Regensburg in der Handschrift Osnabrück, Ratsgymnasium, Hs. C 1, fol. 117v. ALBERTUS Magnus: Politica, 1.1, c. 1: Ed. Paris, t. 8, S. 9 g. ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 5: Ed. Colon, t. 21,1, S. 104,15. Im Prolog zum Politik-Kommentar schreibt Albert: „Subiectum autem sive materia [sci.: der Politik, J. R. P.] est communicatio oeconomica et communicatio civilis secundum ordinem recti et iusti, in qua ostenditur homo perfectus secundum virtutem secundum quam naturaliter est homo animal coniugale, et secundum quam homo naturaliter animal est animal civile." Politica, prol.: Ed. Paris, t. 8, S. 6. Siehe ARISTOTELES: Ethica Nicomachea, 1132a 14-18.
V,2: 1130b 30- 1131a 1; V,3: 1131a 11-13; V,4:
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der kommutativen Gerechtigkeit spricht. Diese letzen bilden ihrerseits den Ausgangspunkt für seine Vertragstheorie46. Die philosophisch-juridische These, die von Albert in seinem Matthäuskommentar erarbeitet wurde, erlaubt uns, die zwei letztgenannten Bestimmungen der Gerechtigkeit, der distributiven und kommutativen, in die von ihm so genannte spezielle Gerechtigkeit mit einzubeziehen. Diese letzte bleibt ihrerseits durch ihre Unterordnung unter eine doppelte Idee der allgemeinen Gerechtigkeit im theologischen Kontext einbegriffen. Diese Idee bedeutet eine Erweiterung des Begriffes der allgemeinen Gerechtigkeit, wie er uns bis jetzt begegnet ist. So schreibt Albert: „iustitia dicitur dupliciter: specialis et generalis. Specialis est, quae est ius suum reddens secundum rationem aequalis inter plus et minus damni et lucri in distruibuendis et communicandis, sicut dicit Aristoteles in V° Ethicorum" 47 .
Der Parallelismus zwischen diesem letzten Zitat und dem, was er in seinem Kommentar zur Politik gesagt hat, wird somit evident48. Aber jetzt übertrifft Albert nicht nur die aristotelische These, sondern auch die Ciceros und die eigene, wie sie sich in De homine findet, indem er über die allgemeine Gerechtigkeit folgendes äußert:
„Passiones autem quae probantur de hoc subiecto, sunt ordines recti et iusti, quibus communicat homo iis qui sunt in homo, vel iis qui sunt in civitate secundum omnem urbanitatem monarchiae, aristocratiae, democratiae, quae sumuntur secundum medietatem arithmeticam, vel geometricam, ut dicit Aristoteles in V Ethicorum, in commutando vel distribuendo. Et dicit Tullius, quod principia omnia ilia quibus concluduntur passiones de subiecto, profiscuntur a tribus, scilicet a pari, a pacto, et iudicato ..." ALBERTUS Magnus: Politica, 1. I, c. 1: Ed. Paris, t. 8, S.6 f. Hinsichtlich der Vertragstheorie fügt Albert an anderer Stelle hinzu: „Contractus autem et pacta non possunt fieri nisi in actionibus voluntariis, et voluntates non sibi mutuo innotescunt nisi per verba. Verba igitur faciunt obligationes et pacta et contractus, secundum quod indicia sunt voluntatis. Nihil autem mobilius et instabilius et dubitabilius et ignorantiae permixtus est quem voluntas. Igitur de se verba, nuntia voluntatis, nihil habent stabilitatis, cui aliquis inniti possit, oportet autem inniti tam in iudiciis quam in contractibus et pactis et aliis obligationibus. Ergo veritatem dicti hominis oportet fulcri aliquo immobili; non est autem immobile aliquid, quod ei applicari possit, nisi exemplar eius, quod est divina Veritas; illam ergo oportet facere fidem ad confirmationem dicti hominis. Et haec duo simul tangit Apostolus, Rom. 111,4: ,Est autem deus verax, omnis autem homo mendax. Et quia sic mendax est homo, oportet, quod firmitas dicit sui roboretur superiori veritate confirmanteV ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 5,33: Ed. Colon, t. 21,1, S. 149,31-50. Vgl. ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 5, q. 1, a. 3: Ed. Colon, t. 27,1, S. 274,43. 47 48
ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 5,6: S. 109,3. „Dicit Tullius, quod principia omnia illa quibus concluduntur passiones de subiecto, proficiscuntur a tribus, scilicet a pari, a pacto, et iudicato, ut scilicet fiat secundum par rei inter communicantes, ne alter scilicet velit habere plus in lucro et minus in damno. Hoc enim, ut dicit Aristoteles in V° Ethicorum, principium iniquitatis est." ALBERTUS Magnus: Politica, 1. I, c. 1 : Ed. Paris, t. 8, S. 7.
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„Generalis autem iustitia est dicta dupliciter: a generalitate eius quem iustum facit, et a generalitate ipsius iustitiae. Generaliter iustitia priori modo dicta est, quae in debitum et rectum statum ponit totum, quod est in homine, respectu interiorum et exteriorum; interiorum quidem, ut ratio imperet et sensualitas imperetur et corpus subdatur et omnis animae vis et omne membrum corporis debite perficiat opus suum, in proprio gradu consistens et ordinem suum non confundens. Iustitia autem generalis secundo modo dicta est, ut dicit Aristoteles, 'omnis virtus', prout accipitur 'ut legi concordans'". 4 9
Jene endgültige Bearbeitung der Bedeutung von Gerechtigkeit wird für uns im folgenden Text evident, in dem Albert das erwähnt, was wir heute den legitimierenden Maßstab der politischen Gemeinschaft (d. h. die sogenannte politische Gerechtigkeit) nennen: „Omne enim quod lege praecipitur et ad legis civilitatem ordinatur et legis ordinem consequitur, iuris et recti et debiti habet rationem et habet nomen generalis iustitiae"50. So wie Gott die causa ejficiens der Ordnung des ganze Universums ist, ist nach Albert der menschliche Gesetzgeber (rex) durch seine Vernunft, die causa ejficiens der politischen Ordnung in ihrer Gesamtheit51. Die menschliche Vernunft spiegelt ihrerseits auf analoge Weise die vollkommene Ordnung wider, die von Gott, dem ersten Analogon schlechthin, geschaffen wurde, und bildet gleichzeitig die unmittelbare Ursache der politischen Ordnung52. In diesem Punkt verbindet Albert seine Überlegungen über die Bedeutung und den Umfang des von Gott in die menschliche Natur eingeschriebenen Naturgesetzes und des Naturrechts mit dem politischen und juridischen Realismus, den wir von ihm bei der Behandlung der Vertragstheorie ausgedrückt fanden. Seine Vertragstheorie ist umfassend genug um darin die Umstände einzubeziehen, die die moralische und politische Tätigkeit mitbestimmen53. Sie ist zugleich aber auch restriktiv genug, um die Bewertung der Umstände und der politischen Handlungen abhängig zu machen, von einer präzisen Erkenntnis der Ordnung, welche diesen Tätigkeiten naturgemäß eigen sein muß.
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ALBERTUS Magnus: Super Matth., c. 5,6: Ed. Colon, t. 21,1, S. 109,19-31.
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Loc. cit., S. 109,31. Albert verbindet die politische Gerechtigkeit mit der göttlichen Gerechtigkeit: „ ... sola iustitia generalis per ambitum suae communitatis concludit in se et fidem et omnia alia bona, ut sciamus, quoniam non solum, quando fides quaeritur, sed etiam quidquid partium iustitiae quaeritur, pro Christi nomine sustinere debemus". Loc. cit., S. 115,54.
51
„Totus ordo est ipsius rationis, a quo fluit omnibus aliis et bonum et bene ..." ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. I, lect. 8: Ed. Colon, t. 14,1, S. 39,54 f.
52
„Illud autem solum perfectissimum est et formale respectu aliorum, quod ordinem de se habet, et haec est ratio; et ideo secundum ipsam accipitur opus hominis". Loc. cit., S. 39,42.
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Vgl. GRÜNDEL, Johannes: Die Lehre von den Umständen Mittelalter. Münster 1963, S. 485-518 und auch 580-668.
der menschlichen
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D i e Erkenntnis der O r d n u n g secundum naturam ist aber nach Albert A u f g a b e d e s w e i s e n rex. D e r R e g i e r e n d e m u ß als g r u n d l e g e n d e V o r a u s s e t z u n g für s e i n e G e s e t z g e b u n g ein W i s s e n v o n der Wahrheit besitzen. S o finden wir bei Albert e i n e deutliche B e z i e h u n g z w i s c h e n der spekulativen Vernunft, die als Ziel die Erkenntnis der Wahrheit hat, und der praktischen Vernunft, die a u f die konkrete V e r w i r k l i c h u n g d e s G u t e n zielt, s o daß die spekulative Vernunft die Grundlage der praktischen ist. E i n e s o l c h e B e z i e h u n g gibt e s auch z w i s c h e n der natürlichen O r d n u n g ( n a t u r a sicut ratio) und d e m m o r a l i s c h e n und p o l i t i s c h e n Handeln, w i e T h o m a s v o n A q u i n das später erklären wird 5 4 . D i e B e d e u t u n g d i e s e s Punktes für die spätere praktische P h i l o s o p h i e - und z w a r nicht nur für die m o d e r n e praktische P h i l o s o p h i e , sondern auch für die aktuellen A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n über die praktische P h i l o s o p h i e d e s Aristoteles 5 5 und d e s T h o m a s v o n A q u i n 5 6 - basiert a u f der größeren A u t o n o m i e , d i e der praktischen V e r n u n f t als vis ordinativa im Verhältnis zur spekulativen Vernunft z u g e s p r o c h e n wird. D e r aktuelle Zustand dieser A u s e i n a n d e r s e t z u n g , d. h. die F u n d i e r u n g s b e z i e h u n g der spekulativen V e r n u n f t g e g e n ü b e r der praktischen, rechtfertigt, die längere Zitation der w i c h t i g s t e n B e l e g s t e l l e bei Albert:
„Sicut Philosophus dicit in principio Metaphysicae, sapientis est ordinare. Cuius ratio est quia sapientia est potissima perfectio rationis, cuius proprium est cognoscere ordinem; nam, etsi vires sensitivae cognoscant res aliqua absolute, ordinem tarnen unius rei ad aliam cognoscere est solius intellectus aut rationis. Invenitur autem duplex ordo in rebus: unus quidem partium alicuius totius seu alicuius multitudinis ad invicem, sicut partes domus ad invicem ordinantur; alius autem est ordo rerum in finem, et hic ordo est principalior quam primus, nam, ut Philosophus dicit in XI Metaphysicae, ordo partium exercitus ad invicen est propter ordinem totius exercitus ad ducem. Ordo autem quadrupliciter ad rationem comparatur: est enim quidam ordo quem ratio non facit, sed solum considérât, sicut est ordo rerum naturalium; alius autem est ordo quam ratio considerando facit in proprio actu, puta cum ordinat conceptus suos ad invicem et signa conceptuum, quae sunt voces significativae; tertius autem est ordo quem ratio considerando facit in operationibus voluntatis; quartus autem est ordo quem ratio considerando facit in exterioribus rebus quarum ipsa est causa, sicut in arca et domo. Et quia considerando rationis per habitum scientiae perficitur, secundum hos diversos ordines quos proprie ratio considérât sunt diversae scientiae: nam ad philosophiam naturalem pertinet considerare ordinem rerum quem ratio humana considérât sed non facit, ita quod sub naturali philosophia comprehendemus et mathematicam et metaphysicam; ordo autem quem ratio considerando facit in proprio actu pertinet ad rationalem philosophiam, cuius est considerare ordinem partium orationis ad invicem et ordinem principiorum in conclusiones; ordo autem actionum voluntariarum pertinet ad consideartionem moralis philosophiae ..." THOMAS de Aquino: Sententia Libri Ethicorum, 1. 1,1: Opera omnia (ed. Leonina), t. 47,1. Roma 1972, S. 3,1- 4,37. 55
Vgl. HÖFFE, Ottfried: Praktische Philosophie: Das Modell des Aristoteles. Berlin 1971. Vgl. KLUXEN, Wolfgang: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin. Hamburg 3 1998.
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JOSE R . PIERPAULI
„ ... intellectus speculativus et practicus conveniunt in substantia, et differunt ratione: et haec ratio est extensio a vero in bonum, sicut dicit Philosophus. Extenditur autem principaliter ad tria, scilicet ad bonum, et ad actuale sive operabile, et ad appetitum. Bonum enim est primum movens: primus autem motus boni est eius cui fit nuntium de ipso: et hic est intellectus practicus in quantum practicus. Cum autem bonum sit actuale sive operabile, ipsum erit in particularibus: quia omne opus est circa particularia. Quod patet per circumstantias in quibus est opus, quae dicuntur in ethicis singularia, ubi dicit Philosophus, quod voluntarium est, cuius principium est in ipso cognoscente singularia in quibus est opus" 5 7 . In t h e o l o g i s c h e r B e t r a c h t u n g ist der rex e i n vicarius vicarius
G o t t e s 5 8 . S e i n e w i c h t i g e R o l l e als
dei übt er in der r i c h t i g e n A u s l e g u n g d e s ordo
naturae
aus, d.h. e n t s p r e c h e n d
u n s e r e n b i s h e r i g e n B e o b a c h t u n g e n : s i e v o l l z i e h t s i c h in der h a r m o n i s c h e n B e z i e h u n g z w i s c h e n s p e k u l a t i v e m u n d p r a k t i s c h e m Intellekt. Ihre V o l l e n d u n g als B e g r ü n d u n g der T ä t i g k e i t d e s p r a k t i s c h e n Intellekt f i n d e t d i e s p e k u l a t i v e n I n t e l l i g e n z i m s o g e n a n n t e n intellectus
adeptus59.
D i e g e s a m t e A u f g a b e d e s rex als vicarius
dei k a n n m a n
m i t A l b e r t f o l g e n d e r m a ß e n z u s a m m e n f a s s e n : „ O f f i c i u m a u t e m r e g u m ut m u l t u m in o r e est, o f f i c i u m s c i l i c e t d e c e r n e n d i , i m p e r a n d i , m a n d a n d i , s e n t e n t i a n d i et in o m n i b u s aliis huiusmodi"60.
57 58
59
60
A L B E R T U S Magnus: De homine, tr. 1, q. 40, a. 1: Ed. Paris, t. 35, S. 344. „Ius naturale nunquam recipit dispensationem ab homine, sed a deo potest recipere dispensationem, et ab homine, qui vicarius dei est in auctoritate potestatis et ordine sapientiae et bonitate vitae, potest recipere interpretationem". ALBERTUS Magnus: De bono, tr. 5, q. 1, a. 4: Ed. Colon, t. 27,1, S. 277,88-278,4. Die Intellektlehre, wie Albert sie formuliert, umfaßt zwei Moment: Entwicklung und Anwendung. M. E. findet sich ihre klarste Formulierung in De unitate intellectus (1256-1257): „Et hic vocatur intellectus adeptus et non est, nisi quod convertit speciositatem suam ad intelligentias, unde venit primo ista speciositas, et sie per omnes deveniet ad causam primam, unde dependet secundum esse suae necessitatis, et sic continuabitur radici immortalitatis et felicitatis aeternae". A L B E R T U S Magnus: De unitate intellectus, pars II, § 1: Ed. Colon, t. 17,1, S. 23,39-44. Später - in den ersten Zeilen des Politik-Kommentars von 1264 - bezieht Albert diese Idee auf eine bestimmte Notwendigkeit der politischen Regierung. Vielleicht hat er hier platonische Einflüße aufgenommen, denn es scheint, daß er die Idee eines Rechtsphilosophen - ähnlich dem Philosophenkönig - favorisiert. Vgl. dazu A L B E R T U S Magnus: Politico, 1. I, c. 1: Ed. Paris, t. 8, S. 6. Diese Idee scheint er auch in sein theologisches Denken einbezogen zu haben, denn dort postuliert Albert einen heiligmäßigen König, wenn er sagt: „Sola autem ilia est quae cor elevat et elevatum purificat et in aeterna fundat immortalitate. Sap. 15,3: ,Nosse te est consummata iustitia, et scire iustitiam tuam et virtutem tuam radix est immortalitatis'. Hinc est, quod dicit Alfarabius in libro de intellectu et intelligibili, quod omnes philosophi in intellectu adepto divino radicem posuerunt immortalitatis animae". ALBERTUS Magnus: Summa I, prol.: Ed. Colon, t. 34,1, S. 1 f. Vgl. auch SCHNEIDER, Arthur: Die Psychologie Alberts des Großen nach den Quellen dargestellt. Münster 1903, S. 356. A L B E R T U S Magnus: Super Is., c. 49: Ed. Colon, t. 19, S. 486,23-25.
Ordo naturae et ordo politicus
341
4. Schlußfolgerungen Die politische und die Rechtsphilosophie Alberts ist ganz offenkundig eine realistische. Für ihn hat die Wirklichkeit zwei Bedeutungen: sie ist erstens eine ontotheologische Struktur und zweitens eine sich in der ganzen Schöpfung verwirklichende Bewegung zur Vollkommenheit. Dies sind auch die wichtigsten Merkmale der politischen Philosophie bei Thomas. Beide praktischen Philosophien von Albert und Thomas ergänzen sich in der Weise, daß die thomanische Systematik auf den von Albert bereit gestellten Elementen aufruht. Diese Behauptung muß erläutert werden. Albert hat keine unzusammenhängenden philosophisch-politischen Begriffe und Thesen vorgelegt. Ganz im Gegenteil: sie sind Elemente eines Systems. Es handelt sich um eine theologische und metaphysische Synthese, die sich durch die neuplatonischen Nuancierung von der ganz und gar aristotelisch bestimmten Synthese des Thomas unterscheidet. Was die Auswertung der aktuellen Fragen der politischen und der Rechtsphilosophie betrifft, kann man sagen, daß die praktische Philosophie Alberts sogar relevanter ist als die seines Schülers Thomas, weil sie eine nicht nur mit der Theologie, sondern auch mit den Naturwissenschaften harmonisierte praktische Philosophie ist. Als Zusammenfassung der Konzeption Alberts eignet sich ganz gut ein Zitat, das Albert gegen Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit von Boethius übernommen hat: „Providentia est ipsa illa divina ratio in summo omnium principe constituta, quae cuncta disponit, fatum vero inhaerens rebus mobilibus dispositio, per quam Providentia suis quaeque nectit ordinibus"61. Die Darstellung der politischen Philosophie Alberts im Licht der vorgeschlagenen Perspektive (ordo naturae et ordo politicus in ontotheologischer Perspektive) kann gegenüber der immer noch beachtenswerten Monographie von Wilhelm Arendt62 als Fortschritt betrachtet werden. Aber sie kann noch nicht das letzte Wort sein, solange die kritische Edition des Politik-Kommentars Alberts noch aussteht63. Unter diesem Vorbehalt mögen die Auswertung der Quellen und die hier vorgeschlagenen begrifflichen Beziehungen im Rahmen von Alberts Werk als ein weiterführender und zukünftige Forschung anregender Beitrag angesehen werden.
61
62
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Albert zitiert in seinem Politik-Kommentar Boethius, vgl. Politica, 1. I, c. 1: Ed. Paris, t. 8, S. 13; entsprechend ARISTOTELES: Politica, 1,2: 1253 a 1. Das Boethius-Zitat stammt aus BOETHIUS: Consolatio philosophiae, ed. G. Weinberger. Lipsiae 1934 (Bibliotheca Teubneriana), S. 96. ARENDT, Wilhelm: Die Staats- und Gesellschaftslehre Alberts des Grossen: nach den Quellen dargestellt. Jena 1929 (Deutsche Beiträge zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre, 8). Vgl. dazu PIERPAULI, José Ricardo: Vorstellung eines neuen Editions- und Forschungsprojekts zur Politik des Albertus Magnus. In: Bulletin SIEPM (40) 1998, S. 61-75.
HANS-JOACHIM SCHMIDT, Freiburg i. Ue. (Schweiz)
Politische Theorie und politische Praxis. Albertus Magnus und die städtische Gemeinde 1) Philosophische Methode und politische Kontroverse Albertus Magnus stand im Spannungsfeld schwer zu versöhnender Gegensätze. Bruder eines dem Armutsideal verpflichteten Bettelordens einerseits und zwischen 1260 und 1262 Bischof von Regensburg und damit zugleich Reichsfurst andererseits, schon zu Lebzeiten in höchstem Ansehen stehender Gelehrter und Verteidiger des christlichen Glaubens auf der einen Seite und zugleich einer der ersten, der um das Verständnis der neu zugänglichen Texte des Aristoteles rang, zum einen die klösterliche Existenzform wählend, aber zum anderen den Ansprüchen des städtischen Milieus ausgesetzt, war er darauf angewiesen, sich um Ausgleich zu bemühen und für seine Umgebung Ausgleich zu finden 1 . In vielen Fällen suchten Kontrahenten, im Streit um Rechtsansprüche miteinander verstrickt, seine Entscheidung 2 . In den folgenden Überlegungen soll der Frage nachgegangen werden, welche Verbindungslinien sich zwischen dem philosophischen Werk und dem politischen Handeln aufzeigen läßt. Statt beide Bereiche - wie bislang meist üblich - unvermittelt nebeneinander zu stellen, soll versucht werden, aus dem theoretischen Fundus der Schriften Alberts Elemente zu gewinnen, die die von ihm erbetenen politischen Entscheidungen grundgelegt haben könnten 3 . Bereits die philosophische Methode Alberts eignete sich, unvereinbare Standpunkte miteinander in einen Argumentationszusammenhang zu bringen, sie damit einem Diskurs zu erschließen, der zwar auf eine Schlußfolgerung ausgerichtet war, aber zumindest die prinzipielle Berechtigung und Diskussionswürdigkeit konträrer Positionen vor-
1
2
3
Zur Biographie von Albert vgl. LOE, Paulus: De vita et scriptis B. Alberti Magni. In: Analecta Bollandiana 19 (1900), S. 257-284; 20 (1901), S. 273-316; SCHEEBEN, Heribert Christian: Albert der Große. Zur Chronologie seines Lebens. Vechta 1931 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland, 27); SCHIEFFER, Rudolf: Albertus Magnus. Mendikantentum und Theologie im Widerstreit mit dem Bischofsamt. Münster 1999 (Lectio Albertina, 3). Vgl. STEHKÄMPER, Hugo: Pro bonis pacis. Albertus Magnus als Friedensmittler und Schiedsrichter. In: BANNASCH, Hermann / LACHMANN, Hans-Peter (Hrsg.): Aus Geschichte und ihren Hilfswissenschaften. Festschrift für Walter Heinemeyer zum 65. Geburtstag. Marburg 1979 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 40), S. 297-382. Einige Überlegungen, die in die skzizierte Richtung weisen bei: WENDEHORST, Horst: Albertus Magnus und Konrad von Hochstaden. In: Rheinische Vierteljahrblätter 18 (1953), S. 30-54.
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HANS-JOACHIM SCHMIDT
aussetzte. Ein Problem, das sich aus der Seelenlehre des Aristotoles ergab und das durch die Kommentierung von Averroes noch akzentuiert wurde, mußte jeden christlichen Theologen, der sich mit den seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzten aristotelischen Texten befaßte, aufs Höchste beunruhigen: Es ging um die Frage, ob die Seele, nach dem Hinscheiden des Körpers mit den Seelen anderer Verstorbener eine Identität bilde, was der individuellen Unsterblichkeit entgegenstand. Alberts Schrift De unitate intellectus contra Averroistas überrascht indes durch einige methodische Überlegungen, die auch für das hier zu behandelnde Thema von Interesse sind. Er wolle, so schrieb Albert, das Problem erörtern, ohne dabei zunächst in Betracht zu ziehen, was die christliche Religion dazu vorschreibe. Insgesamt 30 Argumente benennt er, die für das Verlöschen der individuellen Seele bei Fortdauer der allgemeinen Seele sprechen; insgesamt 36 Argumente stellt er entgegen und gelangt dann zu einer eigenen Lösung 4 . Es kann hier nicht darum gehen, die Motive und den Gedankengang dieser um die Jahre 1256/1257 entstandenen Schrift nachzuzeichnen, entscheidend aber ist der methodische Zugriff, der die scholastische „Methode" insgesamt charakterisierte5. Die Paraphrasierung von Argumenten bildete die Basis für die Interpretation, die jene aber nicht überwuchert, sondern in ihrem Bedeutungsgehalt weitgehend ungestört, d.h. nicht intentional auf eine abschließende Argumentation hin ausgerichtet, beläßt 6 . Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen, der Verzicht auf eine generelle Verurteilung, aber auch der Verzicht, in einem die Gegensätze abmildernden Kompromiß eine Lösung herbeizuführen, vielmehr das Bemühen, die disparaten Argumentationsstränge zunächst unvermittelt weiterzuführen und ihre Berechtigung zunächst nicht anzutasten - dies alles liegt in ähnlicher Weise auch den Urteilssprüchen des Dominikaners über politische Auseinandersetzungen zugrunde. Konstrastierung der Themen und der Forderungen erlaubte einen argumentativen Diskurs. Eine Möglichkeit war damit eröffnet, in einem rational gesteuerten und methodisch regulierten Umgang mit unterschiedlichen Ausgangspositionen Urteile zu fällen. Der Europa langfristig erfassen-
4 5
6
ALBERTUS Magnus: De unitate intell, pars 1 : Ed. Colon, t. 17,1, S. 13. Vgl. GLORIEUX, Pierre: L'enseignement au moyen âge. Techniques et méthodes en usage à la faculté de théologie de Paris, au 13e siècle. In: Archives d'Histoire doctrinale et littéraire de moyen âge 43 (1968), S. 65-186; FLASCH, Kurt: Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli. Stuttgart 1986, S. 255-262; VERGER, Jacques, Grundlagen. In: RÜEGG, Walter (Hrsg.): Geschichte der Universität in Europa. Bd. 1: Mittelalter. München 1993, S. 4980, hier S. 53-56. Vgl. HOSSFELD, Paul: Die Arbeitsweise des Albertus Magnus in seinen naturphilosophischen Schriften. In: MEYER, Gerbert / ZIMMERMANN, Albert (Hrsg.): Albertus Magnus - Doctor universalis 1280-1980. Mainz 1980 (Walberberger Studien der Albertus-Magnus-Akademie, Philosophische Reihe, 6), S. 195-204; VANSTEENKISTE, Clemens: Das erste Buch der Nikomachischen Ethik bei Albertus Magnus. In: ebd., S. 373-384; LIBERA, Alain de: Albert le Grand et la philosophie. Paris 1990.
Politische Theorie und politische Praxis.
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de und sich im 13. Jahrhundert beschleunigende Vorgang der Versachlichung und Rationalisierung und die Zurückdrängung symbolischer Weltdeutung erlaubte neue Problemlösungsstrategien 7 . Albert war weder im philosophischen Disput noch im politischen Konflikt unbeteiligter oder gar nur neutraler Interpretator; Präferenzen wurden kenntlich gemacht und sie tendierten häufig zugunsten einer Infragestellung von Autoritäten. Er verhehlte nicht eine in entscheidenden Punkten Aristoteles und Averroes zustimmende Auffassung, scheute sich dabei auch nicht, eine der dogmatischen Orthodoxie verdächtige Zustimmung auszudrücken 8 . Die Vieldeutigkeit von Texten und von Situationen setzte das Nachdenken in ihr Recht und entlastete von der Bindung an ein Absolutes. Sofern dies betraf die Philosophie - die Erlaubnis zum Irrtum eingeräumt und eingestanden war, blieb Raum für einen diskursiven Umgang mit der Wahrheit 9 . Albertus erkannte die Komplexität auch des moralischen Urteilens an; dessen Einheitlichkeit, also die Tatsache, daß sie eine einzige disciplina moralis darstelle, war angesichts unterschiedlicher Lebensumstände - in Haushalt, Gemeinde, Familie - nicht vorgegeben, sondern war in einem komplizierten Gedankengang mühsam zu begründen. Divergenzen zogen Paradoxien nach sich, die sich einfachen Urteilen entzogen 10 . Die gemäß unterschiedlicher thematischer Kontexte freigesetzte Potentialität divergenter Schlußfolgerungen öffnete ein Tor zur Erörterung konkurrierender Konzepte. Sie waren nicht a priori und nicht einmal a posteriori immer einem moralischen Verdikt ausgesetzt". Daß die Wider-
7
Vgl. WEBER, Max: Die Stadt. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 47 (1921), S. 621-772; SCHREINER, Klaus: Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalismus. In: KOCKA, Jürgen (Hrsg.): Max Weber. Der Historiker. Göttingen 1986, S. 119-150; SCHREINER, Klaus: Legitimität, Autonomie, Rationalisierung. Drei Kategorien Max Webers zur Analyse mittelalterlicher Stadtgesellschaften - wissenschaftsgeschichtlicher Ballast oder unabgegoltene Herausforderung? In: MEIER, Christian (Hrsg.): Die okzidentale Stadt und Max Weber. Zum Problem der Zugehörigkeit in Antike und Mittelalter. München 1994 (Historische Zeitschrift, Beiheft N F 17), S. 161-211.
8
Vgl. A L B E R T U S Magnus: De anima, 1. III, tr. 2, c. 3, 7, 14, 18: Ed. Colon, t. 7,1, S. 180 f., 186 f., 196, 205. Vgl. M A R Q U A R D , Odo: Neugier als Wissenschaftsantrieb oder die Entlastung von der Unfehlbarkeitspflicht. In: STRÖKER, Elisabeth (Hrsg.): Ethik der Wissenschaften? Philosophische Fragen. Münster 1984, S. 15-27.
9
10
Vgl. LAMBERTINI, Roberto: Individuelle und politische Klugheit in den mittelalterlichen Ethikkommentaren (von Albert bis Buridan). In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (Hrsg.): Individuum und Individualität im Mittelalter. Berlin [New York] 1996 (Miscellanea mediaevalia, 24), S. 464-478.
"
Vgl. MOJSISCH, Burkhard: Grundlinien der Philosophie Alberts des Großen. In: IMBACH, Ruedi / FLÜELER, Christoph (Hrsg.): Albert der Große und die deutsche Dominikanerschule. Philosophische Perspektiven. Freiburg (Schweiz) 1985, S. 27-44; BERTELLONI, Francisco: De la politica como "scientia legislativa" a la politica "secundum naturam" (Alberto Magno receptor de la Politica de Aristoteles. In: Patristica et mediaevalia 12 (1991), S. 3-34, hier S. 25-29.
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HANS-JOACHIM SCHMIDT
Sprüche letztlich nicht aufgelöst wurden, eine Lösung nicht erreicht werden konnte, nährte für die folgenden Jahrzehnte die philosophischen Kontroversen, deren Protagonisten - von Thomas von Aquin bis zu den westlichen Averroisten - sich auf ihn beriefen 12 . Und genausowenig waren viele der politische Konflikte, zu deren Schlichtung Albert berufen wurden, mit seinen Urteilen beendet.
2) Politische Theorie Die Schiedsgerichtsbarkeit von Albert dem Großen begann 1252 in Köln und erreichte dort auch den größten Widerhall, der mit dem sogenannten Großen Schied sechs Jahre später noch gesteigert wurde. Genau während dieser Zeit beschäftigte sich Albert mit der Politik des Aristoteles; die translatio imperfecta lag ihm vor; auf dieser Textbasis verfaßte er seinen Kommentar 13 . Zuvor schon widmete er sich der Kommentierung der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, als deren Frucht sein Werk Super Ethica hervorgegangen ist, welches über viele Passagen Aussagen zur politischen Verfassung enthält, nachdem er bereits um das Jahr 1245 in seinem Sentenzenkommentar Fragen nach dem Verhältnis von Freiheit und Knechtschaft und von göttlichem und positivem Recht behandelt hatte. Albert war also in den fünfziger Jahren ein ausgewiesener Kenner von Themen, die auch in aktuellen politischen Auseinandersetzungen wichtig waren 14 . Mit Sicherheit war seine theoretische Kompetenz hinsichtlich des politischen Entfaltungsspielraums von Kommunen bekannt und führte dazu, ihn als Schiedsrichter in den Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Stadt Köln zu berufen. Ein eindeutiger Hinweis hierfür fehlt zwar in den Bestallungsurkunden, aber in der städtischen Chronistik - so etwa in der Reimchronik von Gottfried Hagen - war die herausgehobene Stellung Alberts im Vergleich zu den anderen Schiedsrichtern deutlich und er war als der Verhandlungsführer, als der Sucher nach Lösungen vorgestellt, so wie auch in einem anderen Schiedsspruch - im Streit zwischen der Stadt Köln und der Abtei Deutz Albert als superior bezeichnet wurde, dem bei Meinungsverschiedenheit unter den Richtern die endgültige Entscheidung zustand 15 . Es ist also anzunehmen, daß das Pre-
12
13
Vgl. LIBERA, Alain de (Hrsg.): Albertus Magnus und der Albertinismus. Deutsche philosophische Kultur des Mittelalters. Leiden [New York] 1995. Vgl. FLÜELER, Christoph: Rezeption und Interpretation der Aristotelischen "Politica" im späten Mittelalter, Teil 1. Amsterdam [Philadelphia] 1992 (Bochumer Studien zur Philosophie, 19/1), S. 22 f.
14
Vgl. A L B E R T U S Magnus: Ethica, 1. V, tr. 1-4: Ed. Paris, t. 7, S. 329-390; 1. VIII, tr. 3, c. 1-13: S. 537-558; Super Ethica, 1. IV, lect. 4: Ed. Colon, t. 14,1, S. 239-241; 1. V, lect. 1-17: Ed. Colon, t. 14,2, 306-389; Politica: Ed. Paris, t. 8; IVSent. d 36, a. 1-6: Ed. Paris, t. 30, S. 367-378.
15
Vgl. ENNEN, Leonhard / ECKERTZ, Gottfried (Hrsg.): Quellen der Stadt Köln, Bd. 2. Köln 1863 (Neudr. Aalen 1970), Nr. 381, 407, S. 376-378, 424-426; Die Chroniken der deutschen Städte
Politische Theorie und politische Praxis.
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stige des in Köln lehrenden Lektors auch in seiner unmittelbaren Umgebung bedeutend war und es wohl das theoretisch abgestützte Wissen war, das ihn zur Aufgabe prädestinierte, die Konflikte zwischen Stadt und Stadtherrn zu beenden. Bis heute ist Albert als politischer Denker wenig beachtet worden und dies obwohl er einer der ersten war, der die Politica und ebenso die politisch relevanten Aussagen der Nikomachischen Ethik analysierte 16 . Damit aktivierte er einen Textfundus, der aus der Perspektive der griechischen Polis entstanden war, um die Mitte des 13. Jahrhunderts in ein anderes politisches und soziales Umfeld transformiert werden sollte und zugleich ein theoretisches Werkzeug darstellte, die Manifestation kommunaler Autonomie und stadtbürgerlicher Selbstverwaltung gedanklich zu erfassen - mehr noch: sie ausdrücklich zu würdigen und damit der von zahlreichen Geistlichen verbreiteten ablehnenden Beurteilung städtischer Lebenswelten und städtischer politischer Verfassungen ein positives Bild entgegenzustellen 17 . In dem vermutlich 1257 oder 1263 in Augsburg gehaltenen Predigtzyklus entwirft Albert ein Bild der Stadt, das sie als idealen Ort menschlicher Vergesellschaftung vorstellt und in der die humanen Potentiale zur Vollendung gelangen könnten. Die auf Breitenwirkung angelegten Predigten waren dazu geeignet, ein Publikum mit dem vertraut zu machen, was durch die Aristoteles-Rezeption an gedanklichen Möglichkeiten angeboten wurde. Civitas war anders als bei Augustinus eindeutig als Stadt definiert, wodurch das Paradigma des Predigtthemas quasi ausgetauscht wurde und sich einer aristotelischen Lesart öffnete. Die „Theologie der Stadt" - so Ulrich Meier - speiste sich aus dieser neu erschlossenen Quelle, und Albert ließ sie mit in das Ideal christlich fundierter fraternitas einfließen. Gegenseitige Hilfe, Freundschaft und Eintracht waren das Kennzeichen der Stadt: und zwar der konkret und Alberts Zeitgenossen vertrauten Stadt, nicht eines entrückten und nur eschatologisch deutbaren Zustandes. Der zentrale Begriff, auf den Albertus verweist, ist der der communicatio, die sich in der Stadt am besten verwirkliche und Handwerk, Handel, aber auch gemeinsames politisches Handeln grundlege 18 .
16
17
18
vom 14. bis 16. Jahrhundert, Bd. 12: Die Chroniken der niederrheinischen Städte. Coin. Bd. 1. Leipzig 1875 (2. Aufl. Göttingen 1968), S. 55, 110-113. Bezeichnenderweise fehlt jeglicher Hinweis auf ihn in FETSCHER, Iring / MÜNKLER, Herfried (Hrsg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen. Bd. 2: Mittelalter: Von den Anfängen des Islams bis zur Reformation. München [Zürich] 1993. Vgl. STEENBERGHEN, Fernand van: Aristotle in the West. Löwen 1955; SCHMIDT, HansJoachim: Societas christiana in civitate. Städtekritik und Städtelob im 12. und 13. Jahrhundert. In: Historische Zeitschrift 257 (1993), S. 297-354. Vgl. SCHNEYER, Johann Baptist: Alberts des Großen Augsburger Predigtzyklus über den heiligen Augustinus. In: Recherches de Théologie Ancienne et Médiévale 36 (1969), S. 100-147; MEIER, Ulrich: Mensch und Bürger: Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen. München 1994, S. 55-58.
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Auf die Bedeutung der communicatio hat Albert mehrmals auch in seinen philosophischen Schriften verwiesen, ja diesen Begriff als gedanklichen Zugang zum Verständnis von Stadt konzipiert. Die civilis communicatio ist zugleich naturalis, da sie der Wesensbestimmung des Menschen entspreche. In unterschiedlichen sozialen Bindungen manifestiere sie sich: in Familie, Haus und Gemeinschaft, im wirtschaftlichen Austausch, am besten aber in der civitas, weil communicatio civilis zugleich auch communicatio politica sei. All diejenigen, die ihrer entbehrten, litten an einem Mangel. Und da - Albertus verweist auf Boethius - jedes Höhere das Niedere leite, müsse der Mensch auf das übergeordnet Gute hin ausgerichtet sein. Nichts was in der Natur vorhanden sei, sei überflüssig, noch fehle es in der Natur an dem Notwendigen. Die Schlußfolgerung: nicht aus Zufall, sondern aus Notwendigkeit lebten die Menschen in einer politisch verfaßten Gemeinschaft. Das bene vivere ließe sich sine communicatione nicht errreichen. Für Albert handelt es sich nicht um eine akzidentelle Hinzufügung, sondern um eine Wesensbestimmung, die den Menschen definiere. Das Maximum dessen, was den Mensch auszeichne, verwirkliche sich in der Stadt19. Diejenigen, die an der communicatio partizipieren, erwarten Vorteile. Die Opfer, die der Gemeinschaft erbracht werden, sind allgemein, sie sind zugleich reziprok. Zum Funktionieren dieses Verhältnisses bedarf es mehr als einer Abwägung von Vor- und Nachteilen. Getragen wird das Gesamtgefüge durch die amicitia und erhält damit eine emotionale Fundierung, zugleich auch eine den allgemeinen Nutzen mehrende Zuversicht, unabhängig von den individuellen Lasten stets zu den Gewinnern der urbanitas zu gehören, in dem sozialen Raum also, wo sich die communicatio am besten realisiere. Deren Regeln zu verletzen, ziehe nicht nur einen Verlust von Gerechtigkeit nach sich, sondern untergrabe auch die amicitia. Die Grundlagen politischer Verfassung ruhen auf ethischen Werten20. Zweierlei Arten des moralischen Guten gebe es: erstens die bonitas, die den Menschen als Privatperson fördere und zweitens die bonitas civis, die sich auf die öffentlichen Angelegenheiten beziehe. Albert hat in seiner Schrift De Ethica den Begriff der Sünde eingeführt, um den hohen moralischen Anspruch, der auf die Realisierung des guten Lebens ausgerichtet ist, herauszustellen. Das Bemühen, civilitas zu bewahren, damit ein dem städtischen Leben angemessenes soziales Umfeld, steigert sich in eine religiös fundamentierte Pflicht, die sich auch in der Bereitstellung von Steuern manifestiert21. Die politische Realisierung erfolge in der congregatio. Sie war ein Machtorgan, juristisch definiert und mit Kompetenzen ausgestattet, Zwangsgewalt ausübend und Gehorsam heischend. Die Analogie, die Albert vorschlägt, bezieht auch die geistlichen Gemeinschaften ein, die Schlüsselgewalt besitzen und Kirchenstrafen verhängen kön-
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Vgl. A L B E R T U S Magnus: Politica, 1. I, c. 1: Ed. cit., S. 13-15; Super Ethica, 1. V, lect. 4, c. 6: Ed. cit., S. 327, 28-33. Ders.: Ethica, 1. VIII, tr. 3, c. 1-5: Ed. cit., S. 537-546. Ders.: IVSent., the Aristotelian
d. 16, a. 46: Ed. Paris, t. 29, S. 636-638; LANGHOLM, Odd: Price and Value in Tradition. A Study in scholastic economic sources. Bergen [Oslo] 1979, S. 62-67.
Politische Theorie und politische Praxis.
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nen. Im politischen Bereich, und hier verweist er auf Aristoteles, sei die potestas außer in der Herrschaft des Hauses auch in den unterschiedlichen Verfassungsformen verwirklicht, worunter auch die Herrschaft durch die Volksmenge subsumiert wird22. Prinzipiell war damit legitimiert, was später Kanonisten unter dem Diktum einer Stadt, die keinen höheren Herrn anerkennt, prägnant zusammenfaßten 23 . Aber auch die Delegation von Organisationskompetenz, die in der excellentia potestatis zusammengefaßt war, zugunsten solcher Institutionen und Gruppen, die keine Gewalt, wohl aber rechtliche Befugnisse haben, ist möglich; in diesem Falle habe die Menge lediglich den Gebrauch der Gewalt: usum clavis24. Das Problem blieb indes offen, welche Form der politia, d.h. der Verfassung von Herrschaft, die beste sei. Der Bürger, der iudex und princeps in der Stadt war, sei allein derjenige, der im vollem Besitz des Bürgerrechts war, wobei aber durchaus Abstufungen und Einschränkungen, was den Kreis der Vollberechtigten umschrieb, eingeräumt wurden 25 . Die Argumentation sah ein gegliedertes politisches und soziales corpus vor. Volksherrschaft, die diese Hierarchisierung mißachte, sei, so meinte Albertus, die schlimmste Verfassung; sie sei gleichbedeutend mit der Zerstörung der Ordnung, die nach dem Körpermodell konzipiert war26. Eindeutig war aber Alberts Stellungnahme nicht. Denn in derselben Schrift - Super Ethica - legte er dar, daß alle Menschen von Natur aus gleich seien, so daß keiner dem anderen vorstehen dürfe. Dies gelte aber nur hinsichtlich der substantia des Humanen. Bezogen ad actum - also auf Handlungen und Handlungsbefugnisse - gebe es durchaus Ungleichheit. Schlußfolgerungen hinsichtlich der politischen Praxis waren daraus aber nur schwer zu ziehen. Auch nicht aus dem Argument, daß wegen der Unvollkommenheit einiger Menschen, die wegen ihrer Schlechtigkeit Tieren glichen, Unterordnung unter eine Herrschaft notwendig sei und daß dieser Zustand Resultat eines Defizits, nämlich des Sündenfalls der ersten Menschen, sei, somit also nicht in der Natur des Menschen selbst begründet, vielmehr ex institutione vorgegeben sei. Damit blieb aber die Frage offen, welcher Mensch zur Herrschaft berufen sein könne, da doch alle unter dem Verdikt einer prinzipiell möglichen Unvollkommenheit stünden. Die aptitudo zu herrschen war erforderlich. Nur derjenige, der sie besitze, dürfe Befehlsgewalt ausüben und Gesetze erlassen. Messen mußte sich diese Befähigung daran, inwieweit das bonum commune - und präziser
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A L B E R T U S Magnus: IVSent,
d. 19, a. 6: Ed. cit., S. 807 f.
Vgl. WOOLF, Cecil, N. S.: Bartolus of Sasso/errato. His Position in the History of Medieval Political Thought. Cambridge 1913; LAGARDE, Georges: La naissance de l'esprit laïque au déclin du moyen âge, vol. 1. Paris 1934, S. 179-182; LADNER, Gerhart B.: Aspects of Medieval Thought on Church and State. In: Revue politique 9 (1947), S. 403-422; FEENSTRA, Robert: Bartolus de Saxoferato et la science politique. In: Atti del seminario romanistica internazionale (Perugia, Spoleto, Todi). Perugia 1972, S. 7-17. Vgl. A L B E R T U S Magnus: IVSent., d. 19, a. 6: Ed. cit., S. 808. Ders.: Politica, I. III, c. 1: Ed. cit., S. 209. Ders.: Super Ethica, I. VIII, lect. 10 u. 11 : Ed. cit., S. 632-637.
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noch das bonum civitatis, welches mit dem Wohl der großen Menge gleichgesetzt wurde - gefördert würde27. Die große Menge war indes nicht lediglich Objekt einer guten Regierung, sondern Albert konnte in ihr durchaus den participans potestatis sehen und leitete von ihr politische Gewalt ab. Der Gedanke wird insbesondere im Kommentar zur aristotelischen Politik ausgeführt, ohne daß indes deutlich wird, welche Position Albert selbst als die richtige ansieht: Paraphrasierend fuhrt er aus: Die Freiheit sei das Ziel der Volksherrschaft. Dies manifestiere sich darin, daß jeder Bürger sowohl der Herrschaft unterworfen sei, als sie auch ausübe. Die Gleichheit aller Bürger war damit Voraussetzung einer Regierungsweise, in der nach der Zahl gewichtet wurde. Dies sei gerecht. Im Ergebnis herrsche so die congregatio selbst. Ja, die Volksherrschaft sei das Beste für das Glück aller28. Damit war die Frage gestellt - und Albert behandelte sie mehrmals in seinen Werken - ob Freiheit als Ergebnis einer Privilegierung anzusehen sei oder aus der Natur des Menschen entspringe29. Indem er die zweite Alternative bevorzugte, öffnete er den Weg, nach der Regierungsform zu suchen, welche diese naturwüchsige Freiheit am besten zu wahren in der Lage sei. Freiheit war dabei kein Thema abstrakter Spekulation, sondern richtete sich an der eigenen städtischen Lebensumwelt aus und gewann damit politische Sprengkraft30. Albert schreitet in seinen politischen Schriften zu Konkretisierungen, die mehr bieten als Interpretation der Textvorlage, sondern Problemlösungen hinsichtlich zeitgenössischer Bedingungen der städtischen Autonomie. Da Herrschaftsausübung in der Demokratie auf viele verteilt sei, Herrschaft im praktischen Vollzug aber nur durch wenige ausgeübt werden könne, seien Rotation der Ämter und kurze Amtsdauer erforderlich. Auf diese Weise könnten im zeitlichen Verlauf möglichst viele an der Regierung partizipieren. Die Einsetzung in die Ämter geschehe durch Wahl, wobei der Modus von Stadt zu Stadt unterschiedlich sei31. Wie war diese Forderung aber auf die mittelalterliche Realität zu übertragen? Wie war die Mitwirkung auch von Handwerkern am städtischen Regiment zu begründen, wo doch dazu die aristotelische Textvorlage keine Angebote bereithielt? Welche Ämter waren vorgesehen, und welche Zuständigkeiten
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A L B E R T U S Magnus: Super Ethica 1. VIII, lect. 11: Ed. cit., S. 635-636. Ders.: Politica, 1. VI, c. 1: Ed. cit., S. 560, 563-565; I. VII, c. 1: S. 620 f.. Vgl. G R U N D M A N N , Herbert: Freiheit als religiöses, politisches und persönliches Postulat im Mittelalter. In: Historische Zeitschrift 183 (1957), S. 23-53; FRIED, Johannes: Über den Universalismus der Freiheit im Mittelalter. In: HZ 240 (1985), S. 313-361.
30
Vgl. DISTELKAMP, Bernhard: "Freiheit der Bürger - Freiheit der Stadt". In: FRIED, Johannes (Hrsg.): Die abendländische Freiheit vom 10. zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich. Sigmaringen 1991 (Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, 39), S. 485-510, hier S. 486 f., 509.
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Vgl. A L B E R T U S Magnus: Politica, 1: S. 563-565.
1. III, c. 1 : Ed. cit., S. 209-211; 1. III, c. 7: S. 261 ; 1. VI, c.
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konnten Stadtgemeinden beanspruchen? Albertus war bei diesen Fragen herausgefordert, in einen politischen Interessenkonflikt vorzustoßen und Stellung zu beziehen, was umso heikler war, als sich die mannigfachen Manifestationen städtischer Autonomie eines systematischen Zugriffs zu entziehen und sie einer theoriegesättigten Deutung zu versperren schienen. Insofern politisches Denken in den Anfangen steckte und erst durch die Bearbeitung von Texttraditionen, welche aus der Antike stammten - Philosophie des Aristoteles und römisches Recht - angestoßen wurde, war die Gefahr von Anachronismen groß, die zeitgenössische Realität anhand der Modelle einer fernen Vergangenheit interpretierten. Nur eingeschränkt und gefiltert drang Empirie in die Überlegungen ein. Insofern Albert theoretische Angebote mit zeitgenössischen Erfahrungen konfrontierte, gelang es ihm, eigenständige Positionen zu begründen, um politische Verfassung zu bewerten. Albertus untersuchte in seinem Politikkommentar die Ämter in der Stadtgemeinde. Ihre prinzipielle Legitimität war dabei vorausgesetzt, so daß die skeptische Einstellung hinsichtlich der Berechtigung von Volksherrschaft, vor allem in seinem Werk Super Ethica ausgeführt, nach nur wenigen Jahren eine deutliche Korrektur erfuhr. Die Ämter in der Stadt seien in jeder guten Gemeindeverfassung notwendig. Eine differenzierte Arbeitsteilung gliederte die vielfaltigen Aufgaben: Rechtsprechung, Anlage und Reparatur öffentlicher Bauten, Straßenbau, Bauaufsicht, Grundstücksabgrenzung, Errichtung von Stadtmauern und Stadttoren, deren Bewachung, eventuell Anlage und Unterhalt von Häfen, desweiteren außerhalb der Stadt die Grenzziehung von Ackerfluren, dann die Ämter zur Steuereinschätzung und Steuererhebung, zur Verwaltung der Ausgaben und der Schulden; Albert nennt die Stadtschreiber und Notare, die Gefängniswärter und die Aufseher der Prostituierten; schließlich benötigten die Städte militärische Führer, die auch die Befugnis hätten, ein Bürgeraufgebot zusammenzustellen und Waffen und Ausrüstung einzuziehen und im Krieg die Befehlsgewalt auszuüben. Sicher - nicht in allen Städten sei eine solch differenzierte Ämterorganisation möglich, kleinere Städte müßten sich mit einer geringeren Anzahl weniger spezialisierter Amtsleute begnügen. Aber ohne Ämter - so zitiert Albert zustimmend Aristoteles - könne eine Stadt nicht existieren; und ohne eine geordnete Verfassung dieser Ämter sei kein gutes Leben möglich32. Hinsichtlich der Steuern - ein Thema, das in der Stadt Köln ja so umstritten war - stellt Albert in seinem Sentenzenkommentar Bedingungen, die indes für jede Regierungsform gültig und nicht auf die Gemeinde beschränkt waren: die Steuern dürften nur mit Bewilligung der obersten Autorität erhoben, sie müßten zugunsten des allgemeinen Nutzens verwendet und nur bei Notwendigkeit erlassen werden, sie müßten in ihrer Höhe für den verwendeten Zweck angemessen sein". Waren mit diesen Bedingungen nur die hinsichtlich der Verfassungsform unspezifischen Voraussetzungen benannt, so
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Vgl. Politica,
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Vgl. IV Sent., d. 16, a. 46: Ed. cit., S. 636-638; ARENDT, Wilhelm: Die Staats- und Gesellschaftslehre Alberts des Großen. Jena 1929 (Deutsche Beiträge zur Wirtschafts- und Gesellschaftslehre 8), S. 43 f.
1. VI, c. 6: Ed. cit., S. 607-613.
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konnten sie - in Verbindung mit einer grundsätzlich möglichen Legitimierung von städtischer Gemeinde - auch von dieser in Anspruch genommen werden. Indes war dann die Frage zu klären, wer die Befehlsgewalt in einer Stadt ausübe und damit die Steuererhebung zu seinem exklusiven und zugleich delegierbaren Recht deklarieren könne. Diese Frage ist Albert nicht nachgegangen, und sie kann auch nur im Kontext einer Diskussion geklärt werden, in der nach den konkreten Grundlagen der städtischen Autonomie geforscht wird. Albert präsentiert in dem Politikkommentar gedankliche Konstrukte und Optionen, die durchaus Angebote bereithielten, Gemeindeautonomie theoretisch zu fundieren und damit auch zu legitimieren. Die Gemeinde ist indes kein monolithisches Ganzes, sondern ist wiederum in kleinere Gemeinschaften gegliedert, die eigenständig auf der Grundlage einer ihnen eigenen communicatio ihre Angelegenheit subsidiär gestalten: Es gebe gesonderte Institutionen für Handel, Schiffahrt, für Handwerke u.s.w.34 Die artificium societates sind aber nicht nur für die berufsspezifischen Belange zuständig; sie sind Teil der Gesamtgemeinde und übernehmen somit politische Aufgaben. Ein System abgestufter Ordnungen ermöglicht Partizipation. Das Ergebnis beruht nicht auf einer textgetreuen Aristotelesrezeption, sondern auf eigenen theoretischen Überlegungen, die die Realität von Zünften in den Städten zu erfassen suchen und ihnen einen politisch definierten Platz zuweisen. Folglich ist es für Albert möglich, daß sich auch die Handwerker am städtischen Regiment beteiligen, insofern sie sich selbst unterhalten und damit frei sind. Idiotae sollten nicht in Ämter gewählt werden, aber mit dem Begriff waren nicht Menschen einer sozial oder wirtschaftlich definierten Bevölkerungsschicht gemeint - so die Auffassung von Albert - sondern solche Personen, die in Dingen der Herrschaft unerfahren und unwissend seien. Nicht nach dem Reichtum dürfe unterschieden werden. Die congregatio populi als oberste Entscheidungsinstanz ist nicht nur als Ideal konzipiert, sie ist auch sozial verankert und garantiert eine möglichst breite Partizipation vieler aus unterschiedlichen Lebensbereichen35. Die soziale Kohäsion unter den Gemeindemitgliedern ergebe sich nicht allein aus gemeinsamen Interessen, sondern würde durch ethische Bindungen bewirkt, die auch Opfer, selbst die Auffopferung des eigenen Lebens, verlangten. Bürger einer Gemeinde seien daher tapferer als adlige Ritter, eher bereit, im Kampf um die gemeinsame Sache zu sterben. Widerstand gegen Tyrannen - unter ihnen versteht Albert diejenigen, die dem öffentlichen Wohl entgegenstehen - sei legitim. Indem Tyrannen der civilitas schadeten, verhinderten sie Gemeinde, verhinderten zugleich die individuelle Entfaltung humaner Potentiale36. Daß Albert gleichwohl die
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Vgl. ALBERTUS Magnus: Politica, 1. IV, c. 3: Ed. cit., S. 328; c. 4 : S. 342 f. Vgl. Politica, 1. III, c. 3: S. 225-228; 1. III, c. 7 : S. 261; 1. VI, c. 1: S. 564 f. Vgl. Politica, 1. III, c. 1 : S. 212 f.; 1. III, c. 4: S. 233; Super Ethica, 1. III, lect. 10: Ed. cit., S. 188; DREYER, Mechthild: "Bellum dicitur quasi bonum". Zur sittlichen Beurteilung des Krieges bei Albertus Magnus. In: BEESTERMÖLLER, Gerhard / JUSTENHOVEN, Heinz-Gerhard (Hrsg.): Friedensethik im Mittelalter: Theologie im Ringen um die gottgegebene Ordnung. Stuttgart 1999 (Beiträge zur Friedensethik, 30), S. 10-23.
Politische Theorie und politische Praxis.
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Volksherrschaft ablehnt, da Überordnung und Knechtschaft notwendig seien37, zeigt die Widersprüchlichkeit der Überlegungen, die mannigfachen Deutungen offenstanden. Argumente für unterschiedliche Positionen ließen sich gewinnen, die - in zeitgenössische Konflikte verwoben - die Virulenz philosophischer Theoreme für den politischen Machtkampf erweisen.
3) Politische Praxis Als Albert der Große im Jahre 1252 von der Stadt Köln und vom Erzbischof von Köln, Konrad von Hochstaden, zum Schiedsrichter in einem Streit der beiden Parteien bestellt wurde - neben dem päpstlichen Legaten Hugo von St. Cher, der aber zunächst abwesend war - , war sein Urteil zum erstenmal in innerstädtischen Auseinandersetzungen gefragt. Es ging um die Machtverteilung in der Stadt, in der die Auseinandersetzungen seit dem gescheiterten Aufstand der Kölner gegen Erzbischof Anno im Jahre 1073 nicht mehr abrissen und zu stets neuen und immer wieder aufs neue in Frage gestellten Kompromissen führten 38 . Diesmal entzündete sich der Streit vor allem an der Münzprägung. Albert bestätigte im Grundsätzlichen den Standpunkt der Gemeinde, beließ aber im konkreten Fall dem Erzbischof das Recht, die Münzen zu verändern, wobei in Zukunft nur zwei gültige Anlässe zur Münzverrufung bestünden: bei der Wahl und Inthronisation eines neuen Erzbischofs und bei dessen Romzug im Gefolge des Kaisers. Die Zuständigkeit der Stadtgemeinde zur Fälschungssicherheit und Wertbeständigkeit der Münzen war durch den Urteilsspruch anerkannt worden, auch wenn Albert die Maßnahmen des Stadtherrn nicht in Frage stellte. Der Kompromiß beruhte auf der Anerkennung gemeindlichen Verwaltungsvollzugs und gemeindlicher Interessenswahrung im wirtschaftlichen Bereich. Dies galt auch für das im Schiedsspruch festgelegte Verbot neuer erzbischöflicher Zölle, womit der Handlungsbefugnis des Erzbischofs Schranken gesetzt und unter Berufung früherer Privilegien die Rechte der Bürger geschützt wurden. In der Form einer Quintessenz vorgetragen ist die Verpflichtung der beiden Streitparteien zu einer einvernehmlichen Kooperation. Der Bischof habe die Pflicht, die Bürger Kölns in ihren Freiheiten und in ihren Rechten zu schützen, welche durch Schriftzeugnisse oder alte Gewohnheit erlangt - es heißt bezeichnenderweise nicht: verliehen - worden seien. Damit war das Wesen der Gemeinde, die mehr war als Objekt von Privilegierungen durch den Stadtherrn, sondern Inhaber originärer Rechte, festgestellt 37
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Vgl. ALBERTUS Magnus: Super Ethica, 1. V, lect. 4, c. 6: Ed. cit., S. 327; 1. V, lect. 5: S. 332; Politica, 1. I, c. 3-4: Ed. cit., S. 25-29. Vgl. ENNEN, Edith: Erzbischof und Stadtgemeinde in Köln bis zur Schlacht von Worringen (1288). In: PETRI, Franz (Hrsg.): Bischofs- und Kathedralstädte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Köln [Wien] 1976 (Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, Reihe A, Bd. 1), S. 28-46; SCHULZ, Knut: „Denn sie liebten die Freiheit so sehr .. ". Kommunale Aufstände und Entstehung des europäischen Bürgertums im Hochmittelalter. Darmstadt 1992, S. 75-100.
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worden. Umgekehrt seien die Bürger aber zu Gehorsam gegenüber dem Erzbischof durch den von ihnen geleisteten Eid verpflichtet 39 . Die Positionen waren nicht harmonisierend aufzulösen, da beide Seiten Rechte besaßen und diese Rechte Albert auch unangetastet wissen wollte. Der Sühnespruch sah dann auch folgerichtig praktische Lösungsmöglichkeiten vor, die beide Seiten zufriedenstellen sollten, während die politischen Verfassungsgrundsätze unvermittelt nebeneinander gestellt wurden. Die Gegensätze prallten nur wenige Jahre später mit noch größerer Heftigkeit aufeinander; wiederum war Albert als Schiedsrichter eingesetzt, diesmal aber in einem Streit, der die Fragen grundsätzlich anging. Beide - Stadt und Erzbischof - formulierten schriftlich ihre Klagen; auf beide Klageschriften suchte Albert eine Antwort zu geben in der Form eines Kommentars, der einzelne Argumente paraphrasierte und eine Entscheidung formulierte, die eine Synthese sein sollte. Dabei war indes nicht die scholastische Methode adaptiert worden; dies ging allein schon deswegen nicht, da die gegensätzlichen Positionen nicht in Form von Rede und Gegenrede formuliert waren, vielmehr als auf Situationen bezogene Beschwerden, so daß die Kontrahenten eigentlich nicht in eine Diskussion eintraten 40 . Es war also Aufgabe der Schiedsrichter - und damit vor allem von Albert - den argumentativen Zusammenhang herzustellen. Der Erzbischof Konrad von Hochstaden stellte bereits in den beiden ersten Punkten seiner Schrift die grundsätzliche Position klar: Nur ihm gebühre als summus judex die gesamte Jurisdiktion in der Stadt, nur er könne einzelne Aufgaben delegieren, wobei aber die Macht ungeteilt bei ihm verbleibe. Er beruft sich auf die angeblich seit alters bestehende Gewohnheit, die die Stadtgemeinde nun mißachte. Außerdem verweist Konrad auf Rechtssetzungen seines Vorgängers Engelbert, die weiterhin bindend seien. Nach Auffassung des Erzbischofs dürfe die Gemeinde keine Bündnisse eingehen, keine neuen Gerichtsinstanzen schaffen, keine Steuern erheben, keine eigene Finanzverwaltung einrichten. Die gewählten Räte der Gemeinde - die der Richerzeche - und die Bürgermeister hätten keine rechtmäßigen Befugnisse, maßten sich diese aber gleichwohl an zum Schaden der Herrschaft des Erzbischofs über die Stadt. Die Behauptung, die städtischen Organe würden das Wohl der res publica befördern, sei Lug, vielmehr beuteten die reichen Bürger die ärmeren aus unter dem Vorwand, Pflichten und Abgaben zugunsten der Gemeinde einzufordern. Der Stadtherr verwahrt sich dagegen, daß Gemeindeorgane Statuten erlassen und damit neues Recht setzen - nach ihrem eigenen Willen und ohne sein Einverständnis. Jede politische Organisation sei - so forderte der Erzbischof - ihm reserviert und damit stets delegiert, nie autochthon 41 .
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Vgl. ENNEN / ECKERTZ [Anm. 15], Nr. 304, 306, 314, 315, S. 309-313, 328 f.*; WENDEHORST [Anm. 3], S. 33 f.; STEHKÄMPER [Anm. 2], S. 299-301; LOHRUM, Meinolf: Albert der Große: Forscher, Lehrer, Anwalt des Friedens. Mainz 1991, S. 70 f. Vgl. WENDEHORST [Anm. 3], S. 36-37, 48-53. Vgl. ENNEN / ECKERTZ [Anm. 15], Nr. 384, S. 380-400.
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Die Klageschrift der Stadtgemeinde war keine Erwiderung auf die Vorwürfe des Erzbischofs, vielmehr präsentierte sie Vorstellungen, die mit denen Konrads nicht einmal komplementär waren. Die Argumente mieden eine grundsätzliche Stellungnahme. Die Position der Gemeinde wurde mehrmals mit den alten Gewohnheiten, Rechten und Privilegien der Stadt begründet, die der Erzbischof verletzt habe, ohne daß indes auf bestimmte Urkunden und Texte verwiesen worden wäre. Auch wenn die libertas civitatis genannt wurde, dann nicht im Zusammenhang eines politischen Wertes, sondern einer Summe von Rechtsverleihungen. Insofern kam die städtische Argumentation der erzbischöflichen in diesem Punkt entgegen, als der Entfaltungsspielraum der Gemeinde als von höhergestellten Autoriäten - die aber nicht genannt werden - abgeleitet gelten konnte42. Die Schiedsrichter - neben Albertus Kölner Stiftskleriker - zogen bei ihrer Entscheidung juristische Sachverständige heran, und in der Tat basierte ihr Spruch auf einer Sichtung von Textzeugnissen und auf der Berücksichtigung älteren Rechts. Ausdrücklich werden dabei auch Urkunden genannt, die die Schiedsrichter prüften. Die Vielzahl von Einzelfallentscheidungen hinsichtlich von Zoll- und Geleitsrechten u.s.w. ließ sich durch Kompromiß und besser noch durch das bessere Recht, das bewiesen werden konnte, begründen. Beides aber reichte nicht aus, wenn es um die grundlegende Differenz, um die Legitimierung der Stadtgemeinde, ging. In Antwort zur erzbischöflichen Feststellung, daß alle Gewalt vom Stadtherrn ausgehe und daß niemand anderer Befugnisse beanspruchen könne, sofern sie nicht von jenem verliehen seien, wurde die summa potestas dem Erzbischof reserviert, dem auch die Möglichkeit offenstehe, Macht zu delegieren und städtische Räte mit ihnen auszustatten. Sub ipso et ab ipso bestünden städtische Institutionen. Andererseits legten Albert und die anderen Schiedsrichter fest, daß die Gemeinde ihre Befugnisse aus alter Gewohnheit ableite und daß ihre Tätigkeit dem Wohl der Stadt dienen müsse. Es gab also eine zweite, vom Erzbischof unabhängige Legitimation. Hier setzt dann die weitere Argumentation des Schiedsspruchs an: es geht um die communitas, die Gemeinde, deren Vorsteher durch eine schlechte Regierung Schaden stiften könnten und tatsächlich auch oft gestiftet hätten, insofern nicht die für die Beförderung des allgemeinen Wohls Geeignetsten gewählt worden seien, sondern durch Geldgeschenke Wahlen manipuliert würden. Um diesem Mißstand vorzubeugen, sah man vor, daß alle diejenigen, die die Bürgermeister wählten, sich eidlich dazu verpflichten mußten, sich weder durch Geld noch durch Freundschaft noch durch Verwandtschaft in ihrer Entscheidung beeinflussen zu lassen, sondern allein intuitu iusticie, durch die Anwendung des Rechts, und gemäß ihres Gewissens die für die res publica nützlichsten Personen wählen würden. Die rechtliche Legitimität der Gemeinde wird also nicht auf den „Boden eines strengen Privilegienrechts"43 gestellt, sondern auch - und vielleicht vor allem - auf die anthropologisch
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Vgl. ebd. So die Formulierung bei WENDEHORST [Anm. 3], S. 49.
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gültige Vergesellschaftung, die damit nicht mehr verfugbar ist und herrschaftlich nicht zurückgenommen werden kann. Diese Beurteilung ist gewiß Resultat neuer, aristotelisch geprägter Denkformen des Politischen, die Albert als einer der ersten einführte. Entscheidend ist bei dem Schiedsentscheid, daß sich die Passage zwar als Antwort auf die erzbischöflichen Beschwerden ausgibt, ja vorgibt, ihnen Genugtuung zu leisten, tatsächlich aber ein Reformprogramm für die gute Regierung der Stadtgemeinde entwickelt. Mag zwar die oberste Gewalt des Erzbischofs über die Stadt Köln auch anerkannt worden sein, so war doch in gleicher Deutlichkeit die Existenzberechtigung der städtischen Gremien, der Bruderschaften, Zünfte und der Richerzeche als Elemente eines politischen Verfassungskörpers bestätigt worden. Letztlich war - entgegen den Intentionen Konrads von Hochstaden - die Perfektionierung städtischer Autonomie von Albert und seinen Schiedsrichterkollegen gefordert worden. Ausdrücklich wurden die interne Gestaltungsautonomie der Zünfte, ausdrücklich ihre Wahlverfahren und schließlich das Recht, auch Zunftfremde zu wählen, anerkannt. Die Institutionen der Stadt besaßen das Recht, Statuten zu erlassen. Steuererhebung durch die Stadtgemeinde wurde erlaubt, und auch hier die Verbesserung von Verfahren - einerseits in der Einsetzung der damit Beauftragten, andererseits in der gerechten Verteilung von Lasten angemahnt. Zugleich hielten die Schiedsrichter aber fest, daß die städtischen Steuern dem Erzbischof keinen Schaden zufügen dürften. Die gleiche Bedingung galt auch für Bündnisse Kölns mit anderen Städten44. Die prinzipielle Berechtigung der Stadtgemeinde und ihrer politischen Handlungsfreiheit stand somit nicht zur Disposition - im Gegenteil: sie wurde als der Natur des Menschen angemessene politische und soziale Organisationsform angesehen. In einer Umformung der vorgetragenen Argumente gelangte Albert zu einer eigenständigen Stellungnahme, die nicht einmal durch die städtische Klageschrift vorgegeben war. Ähnlich wie bei der Behandlung aristotelisch überlieferter Themen, widerlegte sie Albert nicht, wohl aber schritt er zu einer Denkoperation, die die Intentionen des Textes zwar aufnahm, zugleich aber in eine Richtung umkehrte, die diesen Intentionen eine andere Bedeutung zuwies. Am deutlichsten hat der sogenannte Große Schied die Positionen klargestellt. Im politischen Handeln waren aber keine Prinzipien anzuwenden, sondern das Mach- und Durchsetzbare auszuloten. Als Albert im Jahre 1265 - diesmal in einem Streit zwischen Bischof und Stadt Würzburg - zu urteilen hatte, stattete er die Gemeinde, die weniger mächtig und unabhängig als die von Köln war, mit sehr viel geringeren Rechten aus: Die Bürger sollten Rat und Bürgermeister nur haben, wenn der Bischof dies wolle; Siegel und Schlüssel der Tore müßten sie ihm aushändigen, der darüber nach seiner Gnade verfügen könne 45 . Angelegenheiten von Gemeinden regelte Albert noch in einigen weiteren Schiedsverfahren. Die Wachszinsigkeit der Leute der Abtei St. Trond
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Vgl. ENNEN / ECKERTZ [Anni. 15], Nr. 384, S. 380-400. Vgl. WELLER, Karl (Hrsg.): Hohenlohisches Urkundenbuch. Bd. 1. Stuttgart 1889, Nr. 293, S. 193-195.
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Politische Theorie und politische Praxis.
bestätigte er 1277, wobei die Begründung von Urkunden und Gewohnheitsrecht absieht, sondern auf einer grundsätzlichen Erklärung basiert, daß das ius gentium und das ins civile die Pflicht zur Abgabenleistung vorsähen. Albert stellt das Abhängigkeitsverhältnis der Wachszinsigkeit in die Sphäre des Vertragsrechts, löste es somit von Treue und Gehorsambindungen älteren Typs, die aus der Grundherrschaft erwuchsen 46 . Albert als politisch Handelnder applizierte keine Theorien, er berücksichtigte die rechtlichen Beweisgründe von Streitgegnern und vor allem ungleiche Machtverteilungen, aber der theoretische Fundus aus den philosophischen Texten gewährte ihm einen Vorsprung in der Beurteilung und Lösung von Kontroversen. Gemeinde interpretierte er auf der Basis aristotelischer Texte. Widersprüche suchte er mit dem Instrumentarium schulmäßiger Abwägung von Argumenten in eine Synthese zu überfuhren. Daß die Widersprüche im politischen Geschäft noch schwerer aufzulösen waren als im philosphischen Diskurs, ließ sich nicht vermeiden, insofern diplomatische und militärische Aktionen Fakten schufen, die vieles von dem wieder in Frage stellten, was Albert festgelegt hatte.
46
Vgl. STEHKÄMPER [Anm. 2]; PIOT, Charles (Hrsg.): Cartulaire Brüssel 1870, S. 281, S. 347.
de l'Abbaye
de
Saint-Trond.
HUGO STEHKÄMPER, Köln / Bergisch-Gladbach
Albertus Magnus und politisch ausweglose Situationen in Köln In Dantes „Göttlicher Komödie" - entstanden zwischen 1307 und 1321 - haben die beiden hervorragendsten Gelehrten der Hochscholastik selbstverständlich einen Ehrenplatz im Paradies. Als der Dichter es durchwandert, stellt sie ihm der Aquinate vor: „Er, der zur rechten mir am nächsten stehet, war Bruder mir und Meister, es ist Albert von Köln, und ich bin Thomas von Aquin" (X, 97-99).
„Albert von Köln" nannten ihn die Zeitgenossen und meist auch die Späteren, nicht „Albert von Lauingen", wo er geboren und aufgewachsen war und wie er sich selbst auf seinem Siegel bezeichnete. „Albertus Magnus" kam erst im 15. Jahrhundert auf. Den Beinamen „von Köln" gab man ihm sicherlich nicht nur deswegen, weil er hier längere Jahre lebte und hier schließlich starb und begraben wurde. Sein in Köln entfaltetes Wirken - weil er das 1248 von ihm hier eingerichtete Generalstudium des Dominikanerordens auf Anhieb zum weltweit angesehenen Mittelpunkt von Philosophie und Theologie und darüber hinaus auch der Naturwissenschaften emporhob - diese seine eigenen, in Köln erbrachten einzigartigen organisatorischen und - noch bedeutender wissenschaftlichen Leistungen, nicht irgendwelche Anerkennungen oder ihm gewordene Belobigungen der Stadt brachten ihm diesen Beinamen ein. Für Köln und zum Wohle Kölns erwarb sich Albert überdies auf einem von der Wissenschaft weitab gelegenen Feld überragendes Ansehen. Schon ein Jahr nach seiner Ankunft hier schlichtete er am 1. Mai 1249 einen Streit zwischen der Abtei Steinfeld und dem Kölner Bürger Konrad Flacke. In den insgesamt 25 Friedensvermittlungen und Schiedsverfahren, die er, soweit bislang bekannt, in seinem Leben durchführte, gehörte immerhin in fünf die Stadt Köln zu den streitenden Parteien, und es spricht alles dafür, daß die Stadt ihn jedesmal - die Streitparteien ernannten die Schiedsleute - in die Schlichtungskommissionen berufen hatte. Das bedeutete nicht, daß Albert ihr vorheriges Verhalten gebilligt und ihren Rechtsstandpunkt geteilt hätte. Das wird sich in folgenden Ausführungen zeigen. Diese werden sich nicht mit allen fünf Verfahren beschäftigen, sondern nur mit denjenigen, die von einer mal politisch mal rechtlich verfahrenen Lage auszugehen und daraus einen Ausweg zu suchen hatten. Zur Sprache kommen der sog. Kleine Schied von 1252, der Große Schied von 1258 und die Sühne zwischen Erzbischof Engelbert von Falkenburg mit der Stadt Köln von 1271. Zuvor empfiehlt sich es jedoch, kurz an die damaligen politischen Verhältnisse zu erinnern.
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1. Die politische Lage um die Mitte des 13. Jahrhunderts Mit unbedingtem Willen zur Macht herrschte, als Albert 1248 nach Köln gekommen war, über das Rheinland und Westfalen und auch darüber hinaus Erzbischof Konrad von Hochstaden (1239 - 1261). Schon 1239 hatte er sich von Kaiser Friedrich II. (1212 - 1250) losgesagt, sich 1241 zusammen mit dem Mainzer Erzbischof Siegfried von Eppstein (1230 - 1249) öffentlich erhoben, 1246 und 1248 Gegenkönige aufgestellt und den zuletzt von ihm auf den Thron gebrachten Wilhelm von Holland (1248 - 1256) politisch und militärisch ganz und gar von sich abhängig gemacht. Er war der mächtigste Fürst im Reich. Als am 9. Mai 1249 Erzbischof Siegfried gestorben war, wollte man in Mainz den Kölner ebenfalls zum Oberhirten und Landesfürsten. Das verhinderte, obwohl er Konrads engster Verbündeter war, Papst Innozenz IV. (1243 - 1254); auch in späteren Jahrhunderten, die über Bistumskumulationen duldsamer dachten, sind diese beiden vornehmsten und größten deutschen Erzstifte niemals in eine Hand gegeben worden. Im übrigen hatte Innozenz in seinem unerbittlichen Kampf gegen Kaiser Friedrich seinem schlagkräftigsten Bundesgenossen im Reich seit vielen Jahren, wie Matthias Werner kürzlich ermittelt und aufgerechnet hat, die ergiebigsten Geldquellen eröffnet und zu nutzen erlaubt. Am 13. Dezember 1250 war Kaiser Friedrich ganz plötzlich gestorben. Der Papst, seines Widersachers ledig, am Ziel seines Ehrgeizes und auf dem Höhepunkt seiner Macht, bedurfte des Kölners nicht länger. Wie anders danach der Wind von der Kurie her ihm wehte, konnte Konrad u. a. einem päpstlichen Erlaß vom Februar 1251 entnehmen; der unterwarf seinen Klerus einer Steuer, deren Aufkommen nicht mehr wie zuvor seiner Verfugung überlassen wurde. Die errungene Machtstellung hatte der Hochstadener, der im Reich keinen gleich starken Fürsten neben sich sah, fortan auf sich selbst gestellt zu behaupten und die Mittel dazu ohne Hilfe von Papst oder König zu gewinnen. So ist in etwa der allgemeine politische Hintergrund zu skizzieren, der die nun anhebenden Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Stadt hoffentlich verstehen hilft. Und nicht von ungefähr war Geld der Anlaß des ersten Streits.
2. Der Kleine Schied vom 17. April 1252 Ein Münzherr, der in Geldnöten steckt, kann sich durch eine Inflation daraus retten. Das kennt man ja auch noch heute. Konrad, durch die ihm verliehenen Regalien Münzherr in Köln, ließ um die Jahreswende 1251/52 die umlaufenden, an Silber höherwertigen Pfennige einziehen und dafür neue, an Gewicht und Feingehalt geringerwertige ausgeben und allein diese für gültiges Geld erklären. Gegen diese Münzverrufung sagten die Bürger ihrem Stadtherrn Fehde an. Rechtens durfte kein Herrscher Münze, Maß und Gewicht eigenmächtig ändern; über deren Richtigkeit und Gesetzmäßigkeit wachten die, die in seinem Herrschaftsbereich damit umgingen. Die Festigkeit ihres Geldes war aber für die Kölner von existenzieller Bedeutung. Der Kölner Pfennig war damals Leit-
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Währung in ganz Nordwest- und Nordeuropa. Die Vormacht Kölns im internationalen Handel wäre mit einer manipulierbaren Kölner Währung ruiniert gewesen. Nach 178 Jahren bekämpften sich also erstmals Erzbischof und Bürger wieder mit Waffen. Konrad versuchte, mit Wurfmaschinen von Deutz aus sowie vom Strom her mit Brandern gegen die am Kölner Ufer liegenden Schiffe die Stadt zu bezwingen, mit lächerlichem Erfolg. Daraufhin willigte er am 26. März 1252 in einen durch Schiedsspruch zu vereinbarenden Frieden ein. Zum ersten Mal bequemte sich in Deutschland ein fürstlicher Stadtherr, ohne vom Reichsoberhaupt gedrängt worden zu sein, dazu, gleichrangig mit seinen Bürgern - so wie es Schiedsverfahren erforderten - beurteilt zu werden. Mit welchen Gründen Albert den stolzen Fürsten dahin gebracht hat, läßt sich nicht mehr feststellen: vielleicht mit der zuvor von den Bürgern erlangten Zusage, das Ansehen des Stadtherrn in jeder Hinsicht zu schonen. Fest steht jedenfalls, daß nur er den Friedenswillen des Hochstadeners geweckt haben kann. Denn beide Parteien einigten sich, zu Schiedsrichtern ihn und den Dominikaner-Kardinal und päpstlichen Legaten Hugo von St. Cher zu bestellen. Dieser aber war noch in Braunschweig oder auf dem Wege von dort nach Bremen, jedenfalls fern von Köln. Die von Albert schon nach drei Tagen, nämlich am 29. März - ohne den Kardinal - vorgelegte Punktation des künftigen Spruches deutet zwingend daraufhin, daß allein er es zuvor fertig gebracht hatte, die Widersacher dahin zu bewegen, daß sie ihren Zwist nicht weiter mit Gewalt austrügen, sondern durch ein Schiedsverfahren friedlich beilegten. Die hohe Kunst aller Schiedsgerichtsbarkeit bestand ja darin, die streitenden Parteien überhaupt dazu zu veranlassen, sich einem solchen Verfahren zu unterwerfen und ihnen vorweg die Verpflichtung abzunötigen, den künftigen Spruch anzunehmen; erst danach ließ sich ein Verfahren sachgerecht durchfuhren. Die erwähnte Punktation war offenbar das Ergebnis von Alberts vorheriger Vermittlung; dazu hatte er das Einverständnis der Parteien erhalten. Danach blieben die seit alters als rechtmäßig anerkannten Anlässe zu einer Münzveränderung, nämlich nach Wahl und Bestätigung eines neuen Erzbischofs sowie nach Rückkehr eines Erzbischofs von einem kaiserlichen Romzug - nach beiden Anlässen waren die Erzbischöfe in der Regel finanziell am Ende - auch für alle Zukunft die einzig gültigen. Ganz neutral heißt es dann: "Weil die gängige Münze, die das Bild des erwähnten Erzbischofs trägt, durch viele Veränderungen entstellt und verfälscht ist, bestimmen wir, daß zu einer einzigen Umschrift und zu einem Bilde zurückgekehrt wird und deren Aussehen so klar und deutlich gestaltet werden soll, damit von nun an leicht von jedem eine fremde Fälschung erkannt werden kann". Mit anderen Worten, abermals neue Münzen mit der Begründung, daß sie falschungssicherer sein sollten, aber von Rückkehr zum vorherigen Gewicht und Feingehalt war keine Rede. Der Erzbischof erhielt, grob gesagt, mithin für den Augenblick seinen Willen und die Stadt grundsätzlich Recht. Genauer und im einzelnen betrachtet, ergibt sich, daß Albert die Bürger dahin brachte, den Rechtsbruch des Erzbischofs für diesmal hinzunehmen, und daß er andererseits den Erzbischof bewog, sich urkundlich zu verpflichten, von künftigen Rechtsbrüchen dieser Art abzusehen: das war der Kompromiß in der Sache, anscheinend annehmbar für beide Parteien. Doch er konnte so nicht zu Pergament gebracht werden.
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Mit der Würde und Ehre des Fürsten vertrug es sich nicht, als Rechtsbrecher bloßgestellt zu werden; und die Bürger konnten es nicht auf sich nehmen, zu Unrecht die Waffen gegen ihren Herrn erhoben zu haben. Ohne an ihrem Ansehen Schaden zu nehmen, wollten die Kontrahenten den Kampf beendet sehen: kein Gewinner und kein Verlierer. Das war die heikelste Klemme, aus der Albert den Ausweg zu finden hatte. In Zukunft mehr Fälschungssicherheit war seine Lösung. Dem Erzbischof war sie offenbar genehm, weil sie den Blick der Öffentlichkeit nach vorn richtete und von seinem Rechtsbruch in der Vergangenheit ablenkte; der Stadt indessen kam er entgegen, weil mit der Hinterlegung von zwei Proben des neuen Gepräges sowohl in der Sakristei des Domes wie auch bei der Stadt über die verbriefte Rechtssicherheit hinaus diese durch die Möglichkeit konkreter Nachprüfung zusätzlich gewährleistet wurde. Die damals der Stadt ausgehändigte Erstausgabe der neuen Münzen verwahrt noch heute das Kölnische Stadtmuseum. Nachdem der Kardinal-Legat in Köln angelangt war, wurde der Schied in einer feierlichen Urkunde mit Datum vom 17. April 1252 zu Pergament gebracht; wörtlich folgte ihr Text dem von Alberts Punktation. Bei der Stadt fand er bleibende Zufriedenheit. Nach einem halben Jahrhundert, am 9. Mai 1300, ließen die Oberen der Stadt die Schiedsurkunde im Dom vor viel hoher Geistlichkeit verlesen, damit diese den Erzbischof Wikbold (1297-1304) ermahnten, daß er gemäß diesen Vorgaben mit den Bürgern freundschaftlich umgehe und sie in Frieden lasse.
3. Der Große Schied vom 28. Juni 1258 Der Große Schied befaßt sich vor allem mit der Verfassung der Stadt. In zentralen Problemfeldern grenzte er die Rechte und Pflichten von Stadtherr und Stadt voneinander ab. Aber mit Anlaß, Gegenstand und Verlauf des zwischen beiden vorangegangenen Streits stand er weder in äußerem noch innerem Zusammenhang. Ein Landfriedensbruch, zwar außerhalb des Herrschaftsbereichs, aber verübt von Verwandten des Erzbischofs einerseits und andererseits die danach von Bürgern verletzte Hoheit und Ehre des fürstlichen Stadtherrn sollten über Klärung der zwischen Erzbischof und Stadt schwebenden, bis dahin ungeschiedenen, oft umstrittenen Rechtslage sozusagen überbrückt werden. Noch heute will dieser damals gewählte Weg zum Ausgleich, der doch zusätzlichen Konfliktstoff in Fülle barg, als geradezu unmöglich erscheinen. Und doch betraten die Streitenden diese Brücke. Wer anders als Albert mag sie gebaut haben? Die verbrieften Rechte und Vorrechte sowie die ungeschriebenen rechtmäßigen Verfassungsgewohnheiten der Stadt hatte erstmals 1180 Erzbischof Philipp von Heinsberg (1167 - 1191) - offenbar unter Druck von Kaiser Friedrich Barbarossa (1152 - 1191) — urkundlich anerkannt. Könige, Kaiser sowie Päpste hatten sie danach der Stadt immer wieder großzügig bestätigt, des Heinsbergers Amtsnachfolger wollten allerdings, wenn sie es eben vermeiden konnten, von solchen Verbriefungen nichts wissen. Um so er-
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staunlicher ist, daß Konrad von Hochstaden 1239, im ersten Jahr nach seiner Wahl, den Kölnern mindestens viermal in Urkunden versicherte, daß er ihre Rechte und Freiheiten nicht nur achten, sondern mehren wolle. 1249 und 1252 im Kleinen Schied zog er sich allerdings auf eine allgemeine Bestätigung der städtischen Rechte zurück und ließ im letzteren überdies vermerken, daß die Bürger "ihm mit besonderen Eiden verpflichtet sind". Das war ein neuer Ton gegenüber den Bürgern, inhaltlich jedoch genau so pauschal und undifferenziert wie alle vorausgegangenen Rechtsbeglaubigungen. Der Streit und seine Beilegung, die den Großen Schied auslösten, vollzogen sich, wie gesagt, weitab von Fragen der Stadtverfassung. In der zweiten Jahreshälfte 1257 wurde an der Mosel ein angesehener Kölner aus dem Geschlecht der Kleingedank von einem Verwandten des Erzbischofs überfallen und gefangen gesetzt. Gewußt hat dieser davon vorher nichts. Im Gegenzug wollten die Kleingedank einen nahen Verwandten des Gewalttäters, den Domherrn Heinrich von Neuerburg, ebenfalls mit dem Hochstadener verwandt, in Köln aufgreifen und festsetzen. Der Erzbischof, der gerade in seinem Palast zu Gericht saß, hörte den Lärm, fragte nach der Ursache, bezog den Anschlag sofort auf sich selbst, erklärte ihn als Angriff auf die unantastbare Hoheit der Person des Bischofs und Landesfürsten und ritt voll Zorn nach Bonn. Die Stadt deckte den Übergriff der Kleingedanks. Das führte nun abermals zum Krieg "Köln contra Köln". In einem Gefecht bei Frechen gewannen die Bürger zwar die Oberhand, aber keinen entscheidenden Sieg. Überlegen zeigte sich jedoch nach einem halben Jahr, im März 1258 in den Friedensverhandlungen der Erzbischof. Er hatte den ganzen Winter über die Zufuhr zur Stadt blockiert und dadurch anscheinend die dort herrschenden Geschlechter von der übrigen Stadtbevölkerung isoliert; die aber wollte unter dem Rachedurst der Kleingedanks nicht länger leiden. Die ersten drei der vier Vereinbarungen regelten die Beendigung der Auseinandersetzungen zunächst mit den üblichen Bestimmungen: Geld an den Gewinner, beidseitiger Verzicht auf Entschädigungen, Erneuerung der städtischen Huldigung gegen neues Schutzgelöbnis des Erzbischofs, Einschluß von Helfern in den Frieden, Vorbehalt für noch zu treffende Sonderregelungen. Nur eine Bestimmung fiel - Aufsehen erregend aus dem Rahmen: diejenigen, die den Domherrn überfallen und damit Konrad die von ihm so bewertete ehrverletzende Beleidigung ihres fürstlichen Herrn zugefügt hatten, mußten barfuß und im Bußkleid von der Severinspforte bis zum Judenbüchel pilgern; an dieser seiner erzbischöflichen Richtstätte präsentierte sich ihnen der Hochstadener als ihr höchster Gerichtsherr. Sie hatten den dort wartenden Erzbischof um Gnade zu bitten; mitziehen mußten die Stadtoberen, um dort ebenfalls Verzeihung zu erflehen. In diesen symbolschweren Formen hatten sich letztmalig 184 Jahre zuvor Kölner Aufständische ihrem Stadtherrn unterwerfen müssen. Und in der langen Zwischenzeit waren aber das Selbstgefühl und der Standesstolz der nun gebrandmarkten Geschlechter ganz ungeheuer gewachsen. Vorausschauende und kluge Friedensvermittler - wer denkt da nicht an den in diesem Bereich erfahrenen Albert? - werden vorausgesehen haben, daß den so mit
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Schmach und Schande Bestraften zu einem Ausgleich verholfen werden mußte, den diese als ihrem Rang und Ansehen angemessen empfanden. Die Stadtverfassung war nicht Gegenstand der vorangegangenen oder einhergehenden Auseinandersetzungen. Ihre im einzelnen und insgesamt nur durch Gewohnheit fixierte, schriftlich nicht genau greifbare Beschaffenheit mag in den Friedensverhandlungen als Mangel bemerkt und unterschiedliche Auffassungen zwischen Stadtherr und Stadt mögen dabei schon deutlich geworden sein. Zwietracht darüber stand allenfalls zu erwarten. Am selben 20. März 1258 wurde in einer vierten Urkunde verabredet, daß fünf Schiedsrichter - vier hochadlige Kölner Prälaten und der Lesemeister Albert - die Rechte von Erzbischof und Erzstifit einerseits und andererseits die der Stadt prüfen und feststellen sollten. Gültige Rechtsgrundlagen sollten beider Parteien "unbezweifelbare Rechte, Freiheiten, gute und rechtmäßige Rechtsgewohnheiten sowie Urkunden" sein. Der Erzbischof soll klagen, in welchen Punkten ihm selbst, den Seinen und seinem Erzstifit die Bürger Unrecht zufügen, und die Bürger sollen gleichermaßen klagen, worin der Erzbischof sie, die Ihren und die Stadt zu Unrecht benachteilige. Worin ist nun die Wiederherstellung des zuvor gekränkten Ranges der Bürger zu erblicken? Als Schiedspartner standen die Streitgegner von ehedem, darunter die an ihrer Ehre Bestraften, nun gleichberechtigt auf einer Stufe, die Rechtsgrundlagen, auf denen der Schied fußen und aufbauen sollte, waren gleichwertig und der Schied selbst - darauf hatten sich Erzbischof und Stadt einschwören lassen - besaß demnächst für beide die gleiche Bindekraft. War der Friedensschluß für die Stadt nachteilig, teilweise erniedrigend, so stellte das damit in enger Verbindung verabredete Schiedsverfahren eine gewisse Parität, wie sie zuvor bestand, wieder her. Das Rezept vom März 1258, die Gegner auf einen Frieden einzustimmen und schließlich für einen Abschluß zu gewinnen, ähnelt ziemlich dem von 1252: nämlich dem Erzbischof Vorteile - u. a. wieder in Geld - sofort auf die Hand und der Stadt beurkundete Rechtssicherheit auf lange Sicht. Natürlich wollte auch Konrad von Hochstaden nicht als Verlierer aus dem in Gang gesetzten Verfassungsverfahren hervorgehen. Als Stadtherr sah er sich aber vielleicht schon von vornherein auch rechtlich als Sieger. Der Große Schied wurde am 28. Juni 1258 im Palast des Erzbischofs in dessen Anwesenheit vor zahlreichem Volk von den Schiedsleuten feierlich verkündet. Die umfangreiche Urkunde ist zweigeteilt. Ein erster Teil führt die Klagen der Parteien auf: 53 des Erzbischofs gegen die Stadt, 21 der Stadt gegen den Erzbischof. Die Schiedsleute leiteten sie zunächst der jeweils anderen Seite zur Stellungnahme zu. Deren Antworten sind nicht erhalten, vereinzelt wird in den Entscheidungen der Schiedsrichter daraus referiert. Bei ihren Entscheidungen ließen diese sich selbstverständlich auch von Rechtskundigen und rechtschaffenen Männern beraten. Diese Entscheidungen bilden den zweiten Teil des Schieds. Gottfried Hagen, Alberts Zeitgenosse und vor allem vertrauter Kenner der Ereignisse, benennt in seiner Reimchronik (Vers 1172 ff.) allein den Gelehrten als Verfasser, und danach heißt der Schied entweder Laudum Alberti oder Laudum Albertinum. Schon die Mitlebenden und unmittelbaren Nachfahren rühmten also das Werk als außerordentliche Leistung nur dieses Mannes.
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Die Stadt klagte zumeist über Übergriffe des Erzbischofs und seiner Beamten gegen ihren Handel: Zoll, Stapel, Münze, ungerechtfertigte Beschlagnahme von Waren, kirchenrechtlich längst verpönte gerichtliche Zweikampfaufforderungen und unbegründete Arrestierung von Bürgern im Erzstift usw. Der Erzbischof stellte dagegen Verfassungsfragen in den Vordergrund. Diese sollen im folgenden näher behandelt werden; Alberts Denkschärfe läßt sich daran besonders gut aufweisen. Konrads Klageschrift beginnt und wiederholt einige mal, er sei "höchster Richter und Herr der Stadt Köln" (summus iudex et dominus civitatis Coloniensis). Ein schmetternder Trompetenstoß! Aber er beeindruckte die Schiedsleute keineswegs. Sie wählten die erzbischöfliche Höchstherrschaft nicht zum Ausgangspunkt der Entscheidungen ihres Schiedes. Sie stellten das zurück und begannen mit den Schöffen, damals noch das oberste Gerichts- und Verwaltungsorgan der Stadt. Gericht und Verwaltung waren in jenen Zeiten noch eine Einheit. In ihr Amt eingeführt wurden die Schöffen zwar durch den Erzbischof, aber Einfluß auf ihre Auswahl hatte er nicht. Die Schöffen besaßen das Selbstergänzungsrecht. Nur Angehörige der obersten Bevölkerungsschicht ließen sie in das hochangesehene, auf 25 Mitglieder beschränkte Kollegium gelangen. Gleichwohl hatten sie Minderjährige, Behinderte, Unfähige, übel Beleumundete, Vorbestrafte gewählt, sich bestechen lassen oder unzulässige Einsprüche geduldet. Das tadelten die Schiedsleute ebenso scharf wie zuvor der Erzbischof. Sie erteilten diesem jedoch nicht das Recht, offensichtliche Fehlbesetzungen bei der Einsetzung abzulehnen oder, wenn sich Mißbräuche nachträglich herausstellten, dagegen einzuschreiten. Sie achteten das geltende und gültige Selbstergänzungsrecht der Schöffen. Unmittelbar abhängig vom Erzbischof waren Untergraf und Untervogt. Dies waren die ebenfalls aus der obersten Bürgerschicht berufenen Richter, die in den fast täglichen Gerichtssitzungen die Stelle und die Plätze des abwesenden Erzbischofs oder - an dessen Stelle - der ebenfalls abwesenden adligen Richter, Burggraf und Edelvogt, einnahmen. Wenn diese es unterließen, Unterrichter, die gegen Pflicht und Ehre verstoßen hatten, abzusetzen, dann darf sie der Erzbischof entlassen. Konnte er gegen Wahlen auf noch besetzte Schöffenstühle - wegen des Selbstergänzungsrechts - nichts unternehmen, so darf er, wenn die Schöffen unbesetzte Schöffenstühle nicht wieder besetzen, sie zu Wahlen - unter Beachtung ihres Selbstergänzungsrechts - zwingen. Der Erzbischof hatte nach den Schiedsleuten - unter Umständen mit Zwangsgewalt - darauf zu achten, daß die Stadtverfassung im ganzen unverletzt blieb; wo aber in diesem Rahmen den Bürgern Rechte gewährt oder zugewachsen waren, blieben diese ihnen vollständig erhalten. Mit anderen Worten: was die Bürger bis dahin an Unabhängigkeit sich erworben hatten, blieb unangetastet. Doch Konrad von Hochstaden ging es um Einfluß auf die Entscheidungen des Stadtregiments. Noch einmal sind Verfassungsverhältnisse vorweg zu erläutern, die uns heute fremd vorkommen. Den selbsturteilenden Richter nämlich kennt das germanisch geprägte Recht nicht. Die Schöffen finden und weisen das Urteil, der Richter hatte es rechtskräftig zu verkünden und vor allem: er vollstreckt es. Gleichwohl versuchte der Hochstadener Urteile nach seinem Geschmack, wenn ihm daran lag, zu bekommen, auf
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zweierlei Weise. Wenn - so sein Ansinnen - der kleinere Teil der Schöffen ein nach seiner Meinung "gerechtes" Urteil weise, dann hätte die Mehrheit nachzugeben. Ein solches Vorrecht hätte dem Erzbischof über einzelne ergebene, gekaufte, bedrohte Schöffen unabsehbares Einwirken auf die städtische Verwaltung und Politik erlaubt. Die Schiedsrichter lehnten ab mit der Begründung, es sei Rechtsgewohnheit in Land und Städten, daß die Minderheit der Mehrheit folge. Konrads weiteres Begehren war, daß den Unterrichtern und Schöffen verboten würde, Kautionen von denjenigen Bürgern zu verlangen, die nach einem sozusagen erstinstanzlichen Urteil ein von ihm selbst geleitetes Berufungsverfahren mit anderen Schöffen als im ersten Verfahren forderten. Konrad wünschte die Abschaffung der Sicherheitsleistung, um an ihn gerichtete Berufungen zu fordern und auf diesem Wege nach Möglichkeit genehme Urteile zu gewinnen. Die anderen Schöffen haben die Schiedsleute selbstverständlich bewilligt, auf der rechtsüblichen Kaution aber haben sie bestanden. Schöffengericht und Schöffen waren durch ihre Rechtsgrundlage fraglos an den Stadtherrn gebunden. Ersteres tagte entweder unter seinem Vorsitz oder in seinem Auftrag, letztere stützten sich auf die durch den Erzbischof vollzogene Einweisung in ihr Amt. Doch bei der Ausübung ihres Amtes unterlagen sie keineswegs seiner Weisungsbefugnis. Eigenberechtigt - Ausdruck war das Selbstergänzungsrecht - vertraten sie die Gerichts- und damit auch die Stadtgemeinde. An der Eigenberechtigung, einem aus selbständiger Wurzel erwachsenen Recht jeder Gemeinde gegenüber ihrem Herrn, rüttelte und zerrte Konrad von Hochstaden indessen mit aller Macht. Erst nachdem die Schiedsrichter das Schöffenwesen abgehandelt hatten, wandten sie sich der Rechtsauffassung zu, die Konrad betont an den Anfang seiner Klagen gestellt hatte; seinen herausfordernden Trompetenstoß dämpften sie indessen nüchtern und bedachtsam. Sie bestätigten ihm, "daß es freilich wahr ist, daß die Summe der Gewalt und Herrschaft in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten dem Erzbischof zukommt", schränkten fortfahrend sogleich aber ein: " E s gibt... Amtleute, die Bürgermeister heißen, welche nach seit alters beobachtetem Brauch von der Richerzechen-Bruderschaft gewählt werden und die schwören, gewisse Anordnungen zu erlassen und aufrecht zu erhalten laut Inhalt einer darüber angefertigten Urkunde; wenn sie dies tun und einhalten nach dem Wortlaut des Eides, den sie bei ihrer Amtseinführung leisten, dann sagen wir, daß dies viel bedeutet für die Erhaltung der Stadt". Den Bestand Kölns sahen die Schiedsrichter also untrennbar verknüpft mit dem Bestehen jener beiden bürgerlichen Organe, der Richerzeche und der jährlich von ihr gewählten zwei Bürgermeister. Die Existenz der Stadt rechtfertigte in ihren Augen deren altüberkommenes, vom Erzbischof vollkommen unabhängiges und von seinen Vorgängern niemals angefochtenes Eigenrecht neben dem nach voller Gewalt zielenden Recht, das der Stadtherr beanspruchte. Wenn aber, so die Schiedsrichter weiter, die Bürgermeister - was leider häufig geschehe - pflichtwidrig handeln, dann würden sie doppelt eidbrüchig, was der geistliche Richter der Stadt - gemeint war offenbar das zuständige Sendgericht - zu ahnden habe. Wie zuvor den Schöffen halten die Schiedsrichter auch den Bürgermeistern eine schlimme Liste von Vergehen, Mißbräuchen und Versäumnissen vor. Dar-
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über beklage sich die Bevölkerung zu Recht, und große Verwirrung entstehe ihretwegen in der Gemeinde. Gleichwohl räumten die Schiedsrichter der Stadt die Zuständigkeiten und Vollmachten ein, die sie zu selbstbestimmtem politischen Handeln benötigte: Der Stadt gestatteten sie nämlich die von Konrad angefochtenen Rechte, Bündnisse mit auswärtigen Landesherren abzuschließen, diesen Hilfen zukommen zu lassen sowie selbst Kredite aufzunehmen, allerdings alles schadlos für den Erzbischof und die Kölner Kirche. Den Bürgermeistern erlaubten sie, Satzungen zu erlassen und den Stadtoberen Steuern auszuschreiben, selbstverständlich alles, ohne dem Erzbischof und seiner Kirche zu schaden. Damit waren der Stadt wichtige Freiheiten geblieben, die Konrad als entscheidende Hemmnisse seiner Landeshoheit ansah; dieser wollte er Köln ebenso unterwerfen wie die übrigen Städte des Erzstifts. Geschickt suchte er überdies die öffentliche Meinung in der Stadt für sich zu gewinnen; er verwob seine Machtansprüche mit Fürsprache für Arme und Unterdrückte; damit warb er in der breiten Bevölkerung um deren Gunst. Gleichwohl sprachen die Schiedsleute den Geschlechtern, also den Mitgliedern der geborenen Führungsschicht, Befugnisse zu, die der Erzbischof zugunsten der breiten Masse ebenfalls nicht gelten lassen wollte. Die Zünfte dürfen Personen zu Zunftmeistern wählen, die ihrem Kreis nicht angehören. Ferner dürfen die Mächtigen in der Stadt Muntmannen, d. h. Leute, die sich deren Schutz anbefehlen, aufnehmen. Beide Vorrechte halfen anscheinend, in der Stadt die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung zu unterstützen. Denn die Zunftmeister, die den herrschenden Geschlechtern angehörten, konnten Widerspenstige in den Zünften zähmen, die Mächtigen sollten dagegen ihre Schutzbefohlenen nur in gerechten und ehrbaren Sachen verteidigen. Beide Vorrechte waren offenbar unaufgebbare Mittel der Geschlechterherrschaft, innerstädtische Konflikte in deren Sinn zu regulieren. In diesem Rahmen lassen sich nicht alle Einzelbestimmungen des Schieds behandeln, und eine Gesamtwürdigung benötigte noch mehr Zeit. Doch welche Zuständigkeiten räumten die Schiedsleute dem Erzbischof ein? Von seiner Aufgabe, für nicht fristgerecht besetzte Schöffenstühle Schöffenwahlen zu erzwingen sowie unehrbare Unterrichter abzusetzen, wenn Burggraf und Edelvogt dies unterließen, war bereits die Rede. In die von ihm nicht abhängige Gerichtsbarkeit der Bürgermeister darf er eingreifen, wenn diese jemanden wegen gegen sie gerichteter Beschimpfungen oder tätlicher Beleidigung verurteilt haben, diese Person sich indessen ungerecht bestraft fühlt. Leute aus den Zünften oder der Gemeinde dürfen ihn wegen zu harter Steuerauflagen anrufen. Wenn arme, schwache oder fremde Personen wegen eines Vergehens, das Bürgermeister oder Mächtige an ihnen begangen haben, nicht zu klagen wagen, dann soll er eine Untersuchung einleiten. In "bestechender Ausgewogenheit" (Manfred Groten: Köln im 13. Jahrhundert, S. 191) hatten die Schiedsrichter das oberste Herrschaftsrecht des Erzbischofs gegen das selbständige und selbstmächtige Eigenrecht der Stadt abgegrenzt. Eine unabhängige politische Führung und selbstbestimmende Verwaltung der Stadt, freilich immer unschädlich für Erzbischof und Kirche, hatten sie mit auskömmlichen Rechten den Stadtoberen unter Wahrung des Geltungsanspruchs der Geschlechter zugesprochen. Auch
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das oberste Herrschaftsrecht des Erzbischofs hatten sie definiert. Er sollte eine Aufsichtsgewalt über die geordnete und gerechte Ausübung des Stadtregiments durch die städtischen Gewalthaber wahrnehmen mit Eingriffsrechten gegen deren etwaigen Amtsmißbrauch. Die von Konrad von Hochstaden geforderte "Summe der Gewalt und Herrschaft in geistlichen und weltlichen Angelegenheiten" schränkten sie in den weltlichen Angelegenheiten erheblich ein: keine durchgängig vom Stadtherrn abgeleitete, allgemeine ausübende Ordnungs- und Zwangsgewalt, keine Abhängigkeit der Stadt im militärischen und finanziellen Bereich und in Fragen der Außenpolitik, keine Beschneidung der gewachsenen Kompetenzen der städtischen Institutionen und der sie tragenden Geschlechter. Das Höchst-Herrscherrecht des Erzbischofs war als Oberhoheit mit Aufsichtsvollmachten, nicht als direkte, ausübende und allgemeine Gebots- und Vollzugsgewalt bestimmt worden. "In dem schiedsrichterlichem Urteile herrscht ein klarer, fast philosophischer Geist, die Hand des Albertus ist nicht zu verkennen", befand schon 1843 der bedeutende Schweizer Kultur- und Kunsthistoriker Jacob Burckhardt (1818 1897); er rühmte es als "eines der wichtigsten politischen Denkmäler des Mittelalters".
4. Die Sühne vom 17. April 1271 Albert, der sich damals seit längerem in Straßburg aufhielt, erhielt Ende des Jahres 1270 von Johannes von Vercelli, Ordensmeister der Dominikaner, einen aufgeregten, ungestümen Brief: "Ich bitte Euch flehentlich, bei Eurem würdigen und nützlichen Plan, mit dem erwünschten und den Brüdern so notwendigen Vorhaben zu bleiben und nach Köln zu gehen, zumal da Eure Anwesenheit die Geistlichkeit jener Stadt sehnlichst wünscht und fordert, wo Ihr Ströme des Euch anvertrauten heiligen Quells mit vielfacher Förderung der Brüder anderen zuleiten und sehr vielen nützen könnt". Albert hat sich nach diesem Schreiben zunächst nach Köln begeben wollen, sah dann jedoch davon wieder ab. Der Grund für seinen Rückzieher erschließt sich wohl am ehesten aus der katastrophal ausweglosen Lage, in die der Streit der Stadt mit dem Erzbischof Engelbert von Falkenburg (1261-1274), dem Nachfolger Konrads von Hochstaden, sich inzwischen hineingesteigert hatte. Nach dem, was der neue Erzbischof sich an Heimtücke und Vertragsbrüchen und die Stadt hinwiederum an Gewalttat und Mißachtung geistlicher Strafen geleistet hatten, schien jeder Ansatz, mit der Suche nach Friedensmöglichkeiten zwischen beiden auch nur zu beginnen, von vornherein als zum Scheitern verurteilt. Vom Zaun gebrochen hatte den Streit noch Konrad von Hochstaden. Mit den Rechten, die ihm der Große Schied in Köln eingeräumt hatte, mochte er sich nicht zufrieden geben. Die Willkür, Selbstsucht, Verschwendung, Käuflichkeit, Verwandtenbegünstigung, wovon die in Köln herrschenden Patrizier-Geschlechter offenbar nicht abließen, erlaubten es ihm im April 1259 - unterstützt von der Mehrheit der Bevölkerung - , die nach dem geltenden Recht unabsetzbaren Schöffen bis auf einen zu entmachten und
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diese durch von ihm ernannte Personen zumeist nichtpatrizischer Herkunft zu ersetzen. Für beide Maßnahmen berief sich Konrad auf das noch nicht ein Jahr alte Friedensinstrument. Gerade dies gab ihm jedoch dazu kein Recht. Darin war die hergebrachte, nur den Patriziern zukommende Stadtverwaltung bekräftigt worden. Nun aber hatte der Erzbischof diese Verfassung über den Haufen geworfen. Das war eine Revolution von oben. Aufstände der Geschlechter konnte er 1260 nicht nur niederschlagen, vielmehr eine große Zahl ihrer Anfuhrer gefangen nehmen und auf seinen Burgen festsetzen. Diesen gelang bald nach des Falkenburgers Amtsantritt 1261 die Flucht. Überdies verhandelte der neue Erzbischof - freilich nur zum Schein - mit ihnen über ihre Wiedereinsetzung in die alten Ämter. Die neuen Stadtoberen, die er kurz zuvor feierlich anerkannt hatte, fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Er brachte sie vollends gegen sich auf, als er am 8. Juni 1262 mit einem Heer in Köln einrückte, die Stadttore und Stadtmauern mit seinen Truppen besetzte, den Riehler Turm und den Bayenturm zu Festungen auszubauen, die Stadt also militärisch in Schach zu halten begann. Das hatte vor ihm niemals ein Erzbischof gewagt und danach keiner mehr gekonnt. Darüber hinaus verlangte Engelbert die gesamten Einnahmen der Stadt von den Rheinmühlen, der Akzise, dem Wegezoll und der Biersteuer; das waren die ergiebigsten Steuerquellen. Den Schöffen, die der Hochstadener eingesetzt hatte, ließ er ankündigen, daß er sie durch andere ersetzen und überdies deren Tätigkeit durch einen von ihm eingesetzten Amtmann und einen von ihm ernannten Bürgermeister überwachen lassen wollte. Konrad von Hochstaden hatte trotz starker Lenkung dem von ihm berufenen Stadtregiment nach außen den Schein von Unabhängigkeit und Selbständigkeit belassen, Engelbert wollte Köln in Untertänigkeit den übrigen Städten des Erzstifts gleichgeschaltet wissen. Er hatte den Bogen überspannt. Die Gemeinde rief ohne Rücksicht auf die neuen Stadtoberen die vor der Stadt versammelten Geschlechter zurück, und in äußerst hartem Kampf besiegten sie gemeinsam noch am selben 8. Juni die Truppen des Erzbischofs. Die Stadt machte finanzielle Zugeständnisse, und der Erzbischof verbriefte ihr die wieder erkämpfte Unabhängigkeit. Maßgeblich sollte dafür der Große Schied sein; alles, was danach geschehen war, ob beurkundet oder nicht, wurde für nichtig erklärt. Die Geschlechter erhielten ihre alten Rechte und Ämter zurück. Damit hatte der Erzbischof deren gleichsam geblütsrechtliches Eigentum am Stadtregiment anerkannt. Aber abgefunden hatte er sich mit dieser Niederlage nicht. Verbissen und mit hinterhältigen Anschlägen und Gewalttaten kämpfte er weiter um die Stadtherrschaft. Noch vier weitere Sühnen bzw. Schiedssprüche, die er bis Ende 1265 beschworen hatte, hat er alsbald wieder gebrochen. Sie hatten ihm nicht nur zusätzliche Zugeständnisse besonders in Zoll- und Gerichtsangelegenheiten abgenötigt, vielmehr landauf landab ihn um jegliches Vertrauen gebracht. Ungehemmt schürte er immer wieder Zwietracht unter der Bevölkerung. Die Zünfte scheiterten 1264 und 1265 gegen die Geschlechter mit Umsturzversuchen; die Overstolzen kämpften 1267 und 1268 das von Engelbert gestützte Geschlecht der von der Mühlengasse-Weisen nieder. Auf der Hand liegt wegen der fuhrenden Teilnahme von des Erzbischofs Bruder Dietrich, der dabei den Tod fand,
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sowie wegen der Komplizenschaft mit dem verbündeten hochvornehmen MühlengasseGeschlecht, daß Engelbert der Drahtzieher des tollkühnen Unternehmens an der Ulrepforte in der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1268 war. Die Möglichkeit, den weltlichen Streit auf das kirchliche Gebiet hinüberzuziehen, verschafften ihm voreilige, vielleicht hitzköpfige Bürger. Gegen die geistlichen Waffen, die er alsdann ungehemmt gegen sie ausspielte, war die Stadt so gut wie schutzlos. Während einer Gerichtssitzung, so hatten im November 1263 Bürger erfahren, wollte der Erzbischof sich einiger der Ihren tückisch bemächtigen. Sie kamen ihm zuvor, überfielen ihn ihrerseits in seinem Palast und hielten ihn dann 20 Tage im Haus "Zum Roß" in der Rheingasse gefangen. Das hatte noch niemals zuvor ein Erzbischof von ihnen hinnehmen müssen. Die über die Beteiligten verhängte Exkommunikation erweiterte er zu einem Interdikt über die ganze Stadt. Seine am 10. Mai 1266 erlassenen Diözesanstatuten nutzte er, um alle Kölner und den Grafen Wilhelm von Jülich zu exkommunizieren. Für diese beiden Verbündeten verschärfte sich die Aussicht, das Seelenheil zu verwirken, alsbald dramatisch. Der Graf nahm am 18. Oktober 1267 den Erzbischof in der Schlacht am Marienholz bei Zülpich in voller Waffenrüstung und mit dem Schwerte in der Hand gefangen und kerkerte ihn danach auf Schloß Nideggen ein. Papst Clemens IV. schickte 1268 als Nuntius seinen Kaplan Bernhard von Castaneto. Dieser vermittelte aber nicht, hielt es vielmehr von Anfang an mit dem Erzbischof und mied auch Köln, das mit dem Jülicher verbündet war. Am 3. August 1268 verbot er hier mit päpstlicher Vollmacht jeden Gottesdienst, jede Sakramentenspendung, überhaupt jede Seelsorge. Sofort appellierte die Stadt an den Papst. Der aber starb schon am 29. November 1268, und erst nach fast drei Jahren, am 1. September 1271, konnten sich die Kardinäle auf einen Nachfolger einigen. Castanetos Interdikt wurde nicht immer streng beobachtet; sein Vorgehen mißfiel auch der Kölner Geistlichkeit. Der Nuntius verschärfte daraufhin die Strafe. Er befahl allen Weltgeistlichen, die Stadt binnen zwei Monaten zu verlassen und nicht vor der Haftentlassung des Erzbischofs zurückzukehren. Damit machte der Klerus nun ernst. Überdies untersagte Castaneto jeglichen Handel mit den Bürgern; das traf die Stadt besonders schwer. Hatte die erste Berufung an den nicht vorhandenen Papst schon nicht gefruchtet, so war abzusehen, daß auch der neue Einspruch gegen das strengere Einschreiten des Nuntius vorerst kaum eine Wirkung haben konnte. Denn noch immer gab es keinen Papst. Jeden Willen zum Frieden hatte der seit Jahren ausgeuferte Krieg ausgelöscht und harte Unversöhnlichkeit und Rachedurst wachsen lassen. Das war die Lage, als der vorhin zitierte Brief des Ordensmeisters Albert, obwohl dieser es sich anders überlegt hatte, so inständig bat, doch nach Köln zu gehen. Daß hier die Dominikaner sein Kommen für notwendig hielten, wie der Brief ausfuhrt, und die Kölner Geistlichkeit es sehnlichst wünschte und sogar forderte, wird Albert dahin verstanden haben, daß schwere Sorgen sie bedrückten, weil in der Stadt nicht nur keine Messe mehr gefeiert, sondern darüber hinaus nicht getauft, getraut und kirchlich beerdigt wurde, der breiten Bevölkerung alle Heilsmittel der Kirche versagt blieben. Die Stadt hingegen glaubte, das Interdikt unterlaufen zu können. Sie bezahlte hergelaufene Priester für Gottesdienste. Moch-
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te Albert die Einsicht in die offenbare politische Ausweglosigkeit aller Verhältnisse veranlaßt haben, die zuvor zugesagte Reise nach Köln wieder abzusagen, so machte er sich doch auf, als ihm seine Ordensbrüder die geistliche Not des Volkes vor Augen führten. Es war der Seelsorger, der eine politisch ihm unlösbar erscheinende Aufgabe dennnoch zu lösen unternahm. Der Schlüssel zum Frieden lag vor allem in Erzbischof Engelberts Händen. Oftmals besiegt, aber die Unterwerfung Kölns starrsinnig weiter anstrebend, von den Prälaten und Kapiteln in der Stadt und Diözese Köln als Landfriedensbrecher bezichtigt, immer noch ohne Einsicht in seinen Mißerfolg, durch eine inzwischen dreieinhalbjährige Gefangenschaft gedemütigt und über den Tod seines Bruders Dietrich verbittert, versagte er sich dem Willen wie der Kraft, sich aus diesen Verstrickungen zu befreien. Kann man Gottfried Hagen vertrauen, der bereits ein Jahr nach diesen Ereignissen seine Chronik reimte, dann hätte Albert dem Erzbischof mit strengen Vorwürfen ins Gewissen geredet. Die einzelnen Vorhaltungen allerdings sind gewiß nach Hagens Geschmack, nicht Alberts Worte. Daß Engelbert von vornherein Albert zerknirscht gegenüber getreten wäre, dürfte gleichfalls Erfindung des Reimchronisten sein. Aber unbezweifelbar stimmt, daß Albert den Falkenburger umgestimmt und die Aussöhnung mit der Stadt Köln angebahnt hat. Die Sühne vom 17. April 1271 läßt überdeutlich erkennen, wie er dies geschafft hat. In den politischen und Sachbestimmungen setzte sich die Stadt uneingeschränkt durch. Da gab es offenbar ein unverhandelbares Diktat. Für Engelbert lag darin das Eingeständnis, daß seine gesamte Regierungskunst bis dahin ein einziger Fehlschlag war. Doch gewisse Formulierungen der Sühne lassen aufmerken: etwa wenn Engelbert bekundet "... wir wollen, daß die, die unter unserer Gewalt stehen, sich jedweden Friedens erfreuen"; oder: "wir anerkennen, daß wir jenen, die uns untergeben sind, zu jeder Zeit die Wohltat des Schutzes und des Friedens zu leisten schuldig sind"; oder: "... in großem Frieden ... werden wir die Untertanen regieren". Fünfmal nennt Engelbert die Kölner in dem Dokument mit unbestimmtem Artikel, aber 38 mal - in dieser Häufung zweifellos seinen Anspruch bekundend - mit dem Possessivpronomen "unsere" Bürger. Hier hat man sich zu erinnern, daß 1226, als Erzbischof Heinrich von Müllenark (1225 - 1238) die Kölner als seine Untertanen bezeichnet hatte, diese das Dokument zurückwiesen und eine neue Urkunde ohne den anstößigen Begriff erhielten. In seinen 53 Klagen zum Großen Schied hat Konrad von Hochstaden die Worte "untergeben" oder "untertänig" nicht benutzt. Selbst in der Not von Niederlage und Gefangenschaft ließ sich der stolze Falkenburger nicht davon abbringen, daß die Kölner seine und des Erzstifts Untertanen zu sein hatten. Albertus Magnus hat ihm diese das Selbstverständnis der Bürger verletzende Bezeichnung offenbar als deren Gegenleistung zugebracht. Vermutlich hatte er es diesen nur sehr schwer abhandeln können. Die Bürger betrachteten sich als frei, und ihre und der Stadt Freiheit verteidigten sie als höchstes aller ihrer Güter. Auf Ausdrücke, die daran rührten, reagierten sie empfindlich. Albert dürfte sie schließlich mit dem Argument zum Nachgeben bewogen haben, daß jene angeführten Wendungen sie nicht direkt und unmißverständlich als Untertanen des Erzbischofs bezeichneten, daß sie vielmehr alle diejenigen meinten, die der
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Erzbischof zu schützen und deren Frieden er zu sichern hatte; das waren vor allem die Einwohner des Erzstifts, und Stadtkölner nur dann, wenn sie sich dort aufhielten. Engelbert wird dagegen, ohne zu zögern, auch auf die Bürger der Stadt Köln jene Aussagen bezogen haben: Den Ausweg aus diesem offenbar unüberwindbaren Gegensatz der beiden in diesem Punkt unnachgiebigen Gegner fand Albert also mit einem - wie man heute sagt - Formelkompromiß. Dieser Formelkompromiß, in dem die Parteien bestimmte Formulierungen unterschiedlich auslegten, vermittelte nur für die nächste Zukunft zwischen den in der Sache nicht auszugleichenden Standpunkten der Widersacher; den weiterhin unversöhnlichen Erzbischof befriedete er, wie Engelberts alsbald folgende Maßnahmen erweisen, mit den weiterhin mißtrauischen Bürgern nicht. Das alles wird Albert genau gewußt haben; aber daraufkam es ihm wohl, verhärtet wie die Fronten nun einmal waren, für das von ihm im Endstadium seiner Vermittlungsbemühungen angestrebte Ziel vermutlich nicht mehr an. Mit jenen schwebenden Formeln erreichte er immerhin etwas, was angesichts der aussichtslosen Ausgangslage kaum zu erhoffen, auf keinen Fall zu erwarten war, dass nämlich der verbohrte, sture Falkenberger seine Lage nüchterner sah und sich endlich gewissen Realitäten beugte. Die Bürger wird er, wenn auch nach schwerem Ringen mit ihrem Stolz, schließlich damit überzeugt haben, dass das schon beinahe zehn Jahre auf der Stadt lastende Interdikt mit den ständig schlimmeren Begleiterscheinungen, die auch die weltliche Ordnung und vor allem den Handel der Stadt belasteten, nicht anders zu beenden wäre. Daß Engelbert die Sühne, die der Sache nach eine Kapitulationsurkunde war, um ihren Gnadencharakter vorzuspiegeln, einseitig als erzbischöfliches Privileg ausfertigen ließ, wird die Bürger weniger gestört haben, eher schon - wie übrigens auch Albert - , daß er anschließend beim neuen Papst gegen sein Versprechen nichts unternahm, um diesen zur Aufhebung des Interdikts zu veranlassen, daß er sich vielmehr anderthalb Jahre danach vom Kirchenoberhaupt von allen, auch den beeideten Verpflichtungen wieder entbinden ließ. Die für Köln und die Kölner schlimme Zeit seit Engelberts II. Regierungsantritt 1261 endete erst mit seinem Tod 1274. Aber seit April 1271 gab es in der Stadt, wenn auch kirchenrechtlich noch nicht endgültig geordnet, wieder Gottesdienste. Daraufkam es Albert an, deswegen hatte er sich, wenn auch erst nach eindringlichem Zureden, nach Köln aufgemacht, und das hat er schließlich offenbar unter äußerster Strapazierung der Kompromißbereitschaft der streitenden Gegner erreicht. Behandelte der Kleine Schied noch einen Streitfall in einem leicht abzugrenzenden Rechtsbereich, so waren im Großen Schied übergreifende und ineinandergreifende Fragen der Verfassung sowie der Wirtschafts- und Sozialpolitik von grundsätzlicher Bedeutung zu regeln. War dies eine rechtsschöpferische Meisterleistung, so die Sühne von 1271 eine politische höchsten Grades. Je älter Albert wurde, desto schwieriger, schließlich heikler wurden die Gegensätze, die er zu vereinbaren hatte. Hatte er als Gegenüber einserseits die Kölner Bürger, die zweifellos ihren Teil zu den entstandenen Gegensätzen beigetragen hatten und alles andere als Unschuldslämmer waren, so andererseits mächtige Reichsfursten, die wie Konrad von Hochstaden und Engelbert von Falkenburg von der Erhabenheit ihres Herrentums und ihrer Hoheit felsenfest überzeugt waren, so
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daß über deren Geltung eigentlich nichts zu verhandeln und eine Mißachtung ohne weiteres mit dem Schwerte zu ahnden war. Mit Zwangsmitteln konnte Albert beiden nicht begegnen. Bezwingen konnte er sie nur mit seinem überlegenen Geist, seiner unparteiischen Rechtlichkeit und vielleicht mit einem Appell an die Mächtigen, ihrem leidenden Volk den geschuldeten Frieden zu gewähren.
Wichtigste Quellen und Literatur zum Thema: Kleiner Schied: ENNEN, Leonard / ECKERTZ, Gottfried (Bearb.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln. Bd. 2. Köln 1863 (Neudr. Aalen 1970), S. 309-313, Nr. 304, 306. Großer Schied: Op. cit.: S. 380-400, Nr. 384; mit Erläuterungen und deutscher Übersetzung: JAHN, Leopold G.: Der Gelehrte als Streitschlichter. In: ROSEN, Wolfgang / WIRTLER, Lars (Hrsg.): Quellenzur Geschichte der Stadt Köln. Bd. 1. Köln 1999, S. 173-214. Sühne 1271: LACOMBLET, Theodor J. (Bearb.): Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins. Bd. 2. Düsseldorf 1846, S. 357-360, Nr. 607. BRENDLER, Albrecht: Engelbert von Falkenburg (ca. 1225-1274). In: Rheinische Lebensbilder 16(1997), S. 7-31. GROTEN, Manfred: Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungswirklichkeit, Köln ^ 1998 (Städteforschung, Reihe A Bd. 36), S. 180-218, 257-290. STEHKÄMPER, Hugo: Konrad von Hochstaden, Erzbischof von Köln (1238-1261). In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 36-37 (1962), S. 95-116. — Über die rechtliche Absicherung der Stadt Köln gegen eine erzbischöfliche Landesherrschaft vor 1288. In: BESCH, Werner u.a. (Hrsg.): Die Stadt in der europäischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen. Bonn 1972, S. 343-377. — Pro bono pacis. Albertus Magnus als Friedensmittler und Schiedsrichter. In: Archiv für Diplomatie Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 23 (1977), S. 297-382. — (Bearb.): Albertus Magnus. Ausstellung zum 700. Todestag. Katalog. Köln 1980, S. 89-112. — Der Reichsbischof und Territorialfiirst (12. und 13. Jahrhundert). In: BERGLAR, Peter / ENGELS, Odilo (Hrsg.): Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festgabe für Joseph Kardinal Höjfner, Erzbischof von Köln. Köln 1986, S. 95-184. WERNER, Matthias: Prälatenschulden und hohe Politik im 13. Jahrhundert. Die Verschuldung der Kölner Erzbischöfe bei den italienischen Bankiers und ihre politischen Implikationen. In: VOLLRATH, Hanna / WEINFURTER, Stefan (Hrsg.): Köln - Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels. Köln 1993, S. 511-570.
RUTH MEYER, Bonn
Positio vero est quidam situs partium et generationis ordinatio. Zur Kategorie der Lage bei Albertus Magnus Der erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandene, von einem Unbekannten verfaßte Uber sex principiorum befaßt sich mit jenen sechs Kategorien, die, um es in Worten des Albertus Magnus auszudrücken, in der Kategorienschrift des Aristoteles „non nisi breviter et per modum exemplarem" behandelt werden 2 . Als Ergänzung zur Kategorienschrift gedacht, aber wohl von keinem erstrangigen Autor stammend 3 , wirft der Text allerdings mehr Fragen auf, als er zu lösen vermag. Dies gilt auch für seine Darstellung der Kategorie der Lage. Sie wurde für diesen Beitrag ausgewählt, weil sie Albertus Magnus zu einer bemerkenswert subtilen Interpretation angeregt hat. Da sich der Doctor universalis in seiner Aristotelesparaphrase darum bemüht, die Lehre des Stagiriten überall dort zu ergänzen, w o sie lückenhaft erscheint 4 , ist ihm das Organon in seiner um den Uber sex principiorum und die boethianische Schrift De divisione erweiterten Fassung eine willkommene Grundlage für seine Ausfuhrungen zur aristotelischen Logik. Mit Robert Kilwardby 5 und einem als Robertus Parisiensis
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Categoriarum supplementa. Porphyrii Isagoge translatif) Boethii et anonymi fragmentum vulgo vocatum Liber sex principiorum accedunt Isagoges fragmenta M. Victorino Interprete et specimina translationum recentiorum categoriarum. Ed. Lorenzo Minio-Paluello. Bruges / Paris 1966 (Aristoteles Latinus, 1.1, 6-7), S. 35-57. Dieser Text wird im folgenden zitiert als LSP AL, S. nnn, [linea] nn. Der Wortlaut des Textes von Alberts De sex principiis wird so wiedergegeben, wie er dem derzeitigen Stand der in Vorbereitung befindlichen, kritischen Edition (Editio Coloniensis, t. 1,1) entspricht. Weicht dieser Text vom Wortlaut der Editio Parisiensis ab, wird die Borgnet-Variante in Klammer angegeben und mit der Sigle "p" kenntlich gemacht. Auf den Nachweis von Umstellungen, die nicht sinntragend sind, wird verzichtet. Die Seitenangaben bei den Zitaten beziehen sich auf Seite und Spalte der Editio Parisiensis als derzeit einzig zitierbarer Ausgabe fiir den Traktat über die Kategorie der Lage, vgl. ALBERTUS Magnus: Liber sex principiorum. Ed. Auguste BORGNET. Paris 1899. t. 1, S. 205-372. Das obige Zitat findet sich auf S. 353a. Vgl. LEWRY, Osmund: The Liber sex principiorum, a supposedly Porretanean Work. A Study in Ascription. In: Gilbert de Poitiers et ses contemporains aux origines de la Logica Modernorum. Actes du septième colloque européen d'Histoire de la Logique et de la semantique mediévales.éd. par Jean JOLIVET et Alain de LIBERA. Bibliopolis 1987 (History of Logic, 5), S. 251-278, hier S. 278. Vgl. ALBERTUS Magnus: Phys., 1.1, tr. 1, c. 1: Ed. Colon, t. 4,1, S.l, 38-41.
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b e k a n n t e n Magister 6 gehört Albertus M a g n u s z u den ersten Autoren d e s 13. Jahrhunderts, v o n d e n e n K o m m e n t a r e z u m Liber sex principiorum erhalten g e b l i e b e n sind 7 . D i e V e r w e n d u n g der für s e i n e K o m m e n t i e r u n g aller aristotelischen S c h r i f t e n t y p i s c h e n Paraphrasentechnik m a c h t s e i n e n O r g a n o n k o m m e n t a r s c h o n rein formal einzigartig. D i e s e Paraphrasierung erzeugt e i n e e n g e V e r b i n d u n g z w i s c h e n d e m z u k o m m e n t i e r e n d e n T e x t e s und d e n Erläuterungen 8 , und bindet den K o m m e n t a r inhaltlich und terminol o g i s c h stark an den Liber sex principiorum zurück. D i e s z e i g t sich s c h o n z u B e g i n n , w e n n e s i m Liber sex principiorum über die Kategorie der L a g e heißt: „ P o s i t i o vero est quidam situs partium et generationis ordinatio"9, w a s Albert f o l g e n d e r m a ß e n paraphrasiert: „ P o s i t i o , secundum quod est principium et praedicamentum, est quidam partium situs et generationis ordinatio". B i s a u f das vero, hat der Doctor universalis also j e d e s Wort d e s Liber sex principiorum in s e i n e Paraphrase a u f g e n o m m e n 1 0 . D a m i t setzt er s i c h w i e der z u k o m m e n t i e r e n d e T e x t d e m V o r w u r f aus, e i n e t a u t o l o g i s c h e D e finition z u bieten, w e i l er mit positio (als das z u D e f i n i e r e n d e ) und situs (als das, w o d u r c h definiert wird) b e i d e im lateinischsprachigen W e s t e n g e b r ä u c h l i c h e n N a m e n für d i e Kategorie der L a g e v e r w e n d e t " .
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Vgl. dazu LEWRY, Osmund: Robert Kilwardby's Writings on the „Logica vetus" studied with regard to their teaching and method. Oxford 1978 (maschinenschriftl. Diss.). Der Kommentar ist unediert. Vgl. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14246, fol. 64 ra -82 va . Der Kommentar ist unediert. Die Passagen über die Kategorie der Lage befinden sich auf fol. 79 ra -80 ra . Eine exakte Datierung ist leider nicht möglich. Aus den Querverweisen kann geschlossen werden, daß Alberts Kommentar zwischen 1252 und 1257 entstanden ist. Diese Technik erläutert Albert in der Physica, mit der seine Aristotelesparaphrase beginnt: „Erit autem modus noster in hoc opere Aristotelis ordinem et sententiam sequi et dicere ad explanationem eius et ad probationem eius, quaecumque necessaria esse videbuntur, ita tarnen quod textus eius nulla fiat mentio" Phys., 1. 1 tr. 1 c. 1: Ed. Colon, t. 4,1, S. 1,23-27. Daß der Text nirgends Erwähnung findet, stimmt nur insofern, als er nicht in traditioneller Weise anzitiert wird. Die Wörter des zu kommentierenden Textes sind nämlich in Alberts Kommentartext integriert und werden in der Editio Coloniensis durch Kursivierung kenntlich gemacht. L S P A L ( A n m . 1), S. 48,14-15. Dieses fehlende vero steht allerdings in einigen Handschriften des Liber sex principiorum nicht und war Albert daher möglicherweise als Satzbestandteil unbekannt, vgl. den Apparat zu Zeile 14 in LSP AL (Anm. 1), S. 48. Daß es überhaupt zwei Namen für diese Kategorie gibt, geht auf die boethianische Übertragung der Kategorienschrift zurück, vgl. ARISTOTELES: Categoriae vel praedicamenta. Translatio Boethii - Editio composita - Translatio Guilelmi de Moerbeka - Lemmata e Simplicii commentario decerpta - Pseudo-Augustini Paraphrasis Themistiana. Ed. Laurentius MINIO-PALUELLO. Bruges / Paris 1961 (Aristoteles Latinus 1,1-5), S. 5-41. Das von Aristoteles im ersten Kapitel der Kategorien gebrauchte keisthai wurde von Boethius nämlich mit situs wiedergegeben, vgl. ARISTOTELES: Categoriae, c. 4: l b 25 = translatio Boethii, c. 4: Aristoteles Latinus, Bd. 1,1-5, S. 6,29; ARISTOTELES: Op. cit.: 2a 2 = ibid., S. 7,2. Positio hingegen findet sich in Kapitel sechs (ARISTOTELES Categoriae, c. 6: 4b 21-22 = transl. Boethii: Aristoteles Latinus, t. 1,1-5, S. 13,21-23),
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Albertus Magnus versucht den Vorwurf der Tautologie dadurch zu entkräften, daß er zum einen nachweist, daß sich positio und situs in Gebrauch und Bedeutung unterscheiden, so daß es gar nicht zu einer Tautologie kommt, und zum anderen zeigt, daß es sich bei dem fraglichen Satz gar nicht um eine Definition im strengen Sinne handelt. Verglichen mit positio ist nach seiner Auffassung situs der allgemeinere Begriff, weil situs die Ordnung von Teilen einer Quantität auch bei mathematischen Dingen ausdrückt und sich mehr auf den Ort bezieht als auf die Teile, die untereinander oder in Bezug auf das Ganze verglichen werden12. Oben und unten, rechts und links, sowie vorne und hinten sind daher nach Albert „differentiae loci [qui] dicuntur etiam esse differentiae situs"li. Soll hingegen mehr die Ordnung der Teile prädiziert werden, dann kommt dies der Lage im Sinne von positio zu. Obwohl situs der allgemeinere Begriff ist und damit nicht jeder situs automatisch eine positio (modern gesprochen die positio also als Teilmenge von situs betrachtet werden könnte), verhält sich situs zu positio nicht wie eine übergeordnete Gattung zu der ihr untergeordneten Art, sondern analog zu positio. Wäre dies nicht so, könnte die positio nicht genus primum und Prädikament sein14. Weil die Analogie weder eine Univokation noch eine Äquivokation ist, sind situs und positio weder völlig identisch, noch völlig verschieden voneinander. Beide haben vielmehr das Verhältnis der Teilhabe zueinander, welches durch das „quidam situs partium" zum Ausdruck gebracht wird15. Daher erzeugt Alberts Unterscheidung auch keine zwei Kategorien von Lage, sondern es gibt nur eine Kategorie der Lage, und Perspektive und Bezeichnungsintention des Sprechers entscheiden darüber, ob ein Begriff eher unter die Kategorie der Lage im Sinne von situs oder eher unter die
sieben (ARISTOTELES: Op. cit., c.7: 6b 2-6 = transi. Boethii: Aristoteles Latinus, 1,1-5, S. 18,914; ARISTOTELES, ibid.: 6b 11-14 = transi. Boethii: ibid., S. 18,17-21) und acht (ARISTOTELES Categoriae, c.8: 10a 19-20 = transi. Boethii, ibid.: Aristoteles Latinus, 1,1-5, S. 27,12-13). In der 1266 angefertigten, möglichst eng am griechischen Wortlaut orientierten Neuübersetzung Wilhelm von Moerbekes hingegen wird ein terminologischer Wechsel vermieden. Wenn dort von der Kategorie der Lage die Rede ist, kommen nur Ableitungen vom Verb ponere vor, vgl. Aristoteles Latinus, 1,1-5 (s.o.), S. 86, 26. Anders ist es in seiner ebenfalls 1266 angefertigten Übersetzung des Kategorienkommentars von Simplicius. Dort setzt Moerbeke für to keisthai immer positio, für thésis aber sowohl positio als auch situs, vgl. SIMPLICIUS: Commentaire sur les Catégories d'Âristote. Trad, de Guillaume de Moerbeke. Ed. Par Adrian Pattin. Louvain 1971, Register. 12
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„Situs enim communior est quam sit positio, quia situs dicit ordinationem partium quantitatis etiam (etiam] et p) in mathematicis et (et om. p) magis refertur ad locum quam ad partes (superficiei add. p) inter se vel in toto (toto] loco p) comparatas" De sex princ., tr. 6 c.l : p, S. 353a. Ed. Paris, t. 1, S. 353a „Cum autem sie communiter dicatur situs magis quam positio, non tarnen ad positionem habet generis communitatem, quia aliter (aliter] tunc p) positio non esset genus primum, sed habet analogiae communitatem, quod per (quod per] propter quod p) prius quidem (quidem om. p) dicitur de naturalibus et per (per om. p) posterius de mathematicis" ebd. „Non omnis enim situs proprie et principaliter dicta positio est sed quidam, ut dictum est" ebd.
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Kategorie der Lage im Sinne von positio fällt. Steht nämlich die Anordnung der Teile im Ort im Vordergrund und wird erst in einem zweiten Schritt die Ordnung der Teile betrachtet, dann fällt die Prädikation unter die Kategorie der Lage im Sinne von situs. Geht es aber zuerst um die Anordnung der Teile im Ganzen und erst in einem zweiten Schritt um die Anordnung des Ganzen im Ort, dann wird durch einen Begriff, der eine Lage ausdrückt, die positio einer Sache angegeben16. Nachdem Albert dies alles erklärt hat, kann er begründen, warum es sich bei dem eingangs zitierten, umstrittenen ersten Satz des Liber sex principiorum nicht um eine tautologische Definition der Kategorie der Lage handelt, sondern lediglich um eine Umschreibung (assignatio), die den Zweck hat, situs zu bestimmen, indem gesagt wird, daß die positio ein gewisser situs von Teilen ist17. Wenn der Satz nämlich nur eine Umschreibung ist, dann können darin (anders als in der strenger geregelten Definition) Begriffe wie situs und positio gleichzeitig auftreten. Die daraus möglicherweise resultierende Ambiguität ist dann lösbar, wenn durch eine Formulierung wie quidam situs Klarheit über das Verhältnis der Begriffe zueinander geschaffen wird18. Der Doctor universalis bemüht sich, die komplex verschränkte Differenzierung beider Begriffe auch ontologisch zu begründen, indem er den bereits im ersten Traktat seines Kommentars zum Liber sex principiorum entfalteten Formbegriff einbezieht. Demnach muß alles, was allmählich entsteht, was integrale Teile hat und über Quantität verfugt, von einer Form bestimmt werden, welche die Ordnung der Teile bewirkt19. Die Benennung solch einer Form fällt nach Albert unter das Prädikament der positio, weil bei ihr, wie bereits gesagt, die Anordnung der Teile in einem Ganzen im Vordergrund steht20. Mit diesem steten Verweis auf die Bedeutung der Unterscheidbarkeit von Teilen für die Prädikation der positio deutet sich im Kommentar zum Liber sex principiorum bereits an, was Albert später im Metaphysikkommentar genauer ausfuhrt: die Relevanz der Homo- bzw. Heterogenität des Gegenstandes. In Anlehnung an Metaphysik Buch V21 ist dort zu lesen, daß situs als kategoriale Bestimmung nur homogenen Dingen zukommt, weil diese sich als Ganzes, das heißt ohne voneinander un-
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„Adhuc: cum situs dicat per prius ordinationem partium in loco et per posterius dicat ordinationem partium (partium om. p) in toto, positio autem e converso per prius dicit ordinationem partium in toto et per posterius ordinationem partium (partium om. p) in loco"p, S. 353a. „Propter hoc, ut determinetur situs, dicitur in assignatione positionis quod positio est situs quidam partium" ebd. „Et in talibus assignationibus talia ambigua determinata ad partem (ad] sic a parte p) suae ambiguitatis poni consueverunt; et ideo dicit 'quidam (quidam] quod e s t p ) situs'" p, S. 353b. p, S. 353b. p, S. 354a. 1022a 35-37.
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terscheidbare Teile, im Ort befinden, während eine positio nur bei heterogenen Dingen angegeben werden kann, weil nur diese über klar zueinander abgrenzbare Teile verfugen 22 . Wenn auch die kategoriale Bestimmung des situs sich mehr auf die Lage eines Ganzen im Ort als auf die Anordnung seiner Teile bezieht, so ist damit nicht bereits das Wo einer Sache erfaßt. Erst die kategoriale Bestimmung des ubi ermöglicht es, anzugeben, in wiefern sich etwas Körperhaftes als ein Umgrenztes an einer bestimmten Stelle im Raum befindet, diese einnimmt und das Wo damit gleichsam erleidet. Deshalb heißt es im Liber sex principiorum über die Kategorie des Wo: „Ubi est circumscriptio corporis a loci circumscriptione procedens"23, und deshalb sieht Albert auch die Kategorie des ubi mit den Kategorien der actio und passio verknüpft 24 . Die kategoriale Bestimmung des situs setzt das Verortetsein einer Sache voraus und bestimmt näher, in welcher Lage sich etwas als Ganzes im Ort befindet, während nach der Interpretation des Albertus Magnus mit positio erfaßt wird, in welcher Lage sich dabei die Teile eines Ganzen zueinander befinden. Daß dies zu unterscheiden sinnvoll ist, sei an einem Beispiel erläutert: Wenn ausgesagt wird, daß Sokrates auf dem Markt steht, dann wird die Bestimmung des Wo mit dem Ausdruck „auf dem Markt" wiedergegeben und die Angabe des Stehens wird hinsichtlich des situs gemacht. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird zwar bei der Verwendung des Verbums „stehen" automatisch mitgedacht, daß die betreffende Person eine aufrechte Körperhaltung eingenommen hat, bei der die Füße den Boden berühren und sich Beine, Becken, Oberkörper und Kopf darüber befinden, es ist aber damit nichts darüber ausgesagt, welche Position genau die einzelnen Körperglieder dabei eigentlich haben. Denn die Körperhaltung des Stehens erlaubt dem Menschen eine Vielfalt an Positionen (positio) der einzelnen Glieder. So kann beispielsweise im Stehen ein Arm angewinkelt sein und einer gestreckt, ein Bein kann das Stand- und das andere das Spielbein sein - und es bleibt dennoch immer der situs des Stehens. Es ist nun zu prüfen, ob Albertus Magnus die eben skizzierte Differenzierung konsequent innerhalb des gesamten Traktates über die Kategorie der Lage anwendet. Weil er die Kommentarform der Paraphrase gewählt hat, muß er den Wortlaut des zu kommentierenden Textes in seinen Text aufnehmen. Nun verwendet der Autor des Liber sex principiorum beispielsweise zu Beginn von Abschnitt [63] als Benennung der
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Vgl. ALBERTUS Magnus: Met., 1. I, tr. 3, c. 15: Ed. Colon, t. 16,1: S. 46,10-25, sowie op. cit., 1. V, tr. 5, c. 1:S. 276 f. LSP A L ( A n m . 1), p. 45,8. „Est enim circumscriptio corporis continentis, et haec est actio quaedam, et est circumscriptio circumscripta et haec (haec om. p) est quaedam passio, et est circumscriptio procedens et causata ab utraque istarum, et haec (haec om. p) est commensuratio locati ad locum, secundum quam loco in se et in communi vel huic particulari loco comparatur. Et haec circumscriptio est ubi secundum quod est speciale praedicamentum, quia haec est una specierum entis primarum (primarum om. p), quae est praedicamentum, quando sub voce designatur" p, S. 344a.
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Kategorie der Lage nicht mehr positio, sondern situs, wenn er eingangs dieses Abschnittes formuliert: „Suscipere autem videtur situs contrarietates"25. Albert kann hier nicht einfach wie der Liber sex principiorum von positio zu situs wechseln, weil er ja beide Begriffe differenziert betrachtet, andererseits muß er das im Liber sex principiorum vorhandene situs in seine Paraphrase aufnehmen. Er behilft sich nun damit, daß er dem situs ein positio sive voranstellt. Die Paraphrase lautet bei ihm daher: „ Videtur autem positio sive situs contrarietatem habere secundum apparentiam"26. Da aber ein sive Egalität zwischen den durch es verbundenen Begriffen anzeigt, kann dadurch der Eindruck entstehen, daß Albert hier die zuvor so oft betonte Differenzierung beider Begriffe aufgibt. Dem ist aber nicht so, denn es gilt ja auch wenn man Alberts Differenzierung voraussetzt, für situs wie positio gleichermaßen, daß sie kein Gegenteil annehmen können. Körperhaltungen wie Sitzen und Stehen beispielsweise - in der terminologischen Unterscheidung Alberts gesprochen Prädikationen hinsichtlich des situs können ebensowenig als zueinander entgegengesetzt betrachtet werden, wie die positio der einzelnen Körpergliedern. Die Gegensätzlichkeit eines erhobenen oder gesenkten Armes ist ebenso eine nur scheinbare, wie das Stehen zum Sitzen entgegengesetzt zu sein scheint. Denn faktisch ist jedes einzelne Moment einer Bewegung ein eigener situs bzw. eine eigenständige positio. Entsprechendes gilt für das Mehr oder Minder, wie Albert im vierten Kapitel des Traktates über die Kategorie der Lage zeigt, denn wer sitzt, sitzt und wer steht, steht. Hierbei ist keine Zu- oder Abnahme des Zustandes möglich, weil eine Körperhaltung nicht ein bißchen mehr oder weniger eingenommen werden kann27. Wer daher zunächst sitzt und dann aufsteht, nimmt also im Verlauf der Bewegung des Aufstehens in jedem Moment eine eigenständig zu wertende Körperhaltung ein, die weder der Gegensätzlichkeit noch der quantitativen Veränderung unterliegt. Bereits am Ende des zweiten Kapitels verknüpft Albert situs und positio mit einem vel, das eine dem sive vergleichbare syntaktische Funktion hat.28 Der Blick in den Liber sex principiorum zeigt, daß Albert an dieser Stelle nicht aufgrund der Paraphrasetechnik gezwungen gewesen wäre, das im Text befindliche positio mit vel situm zu ergänzen 9. Er tut es aber trotzdem, weil es um ein heikles Thema geht, das (seine Unterscheidung vorausgesetzt) sowohl den situs als auch die positio betrifft. Anhand ausgewählter Beispiele gilt es nämlich zu klären, ob es überhaupt eine eigenständige Kategorie der Lage gibt, eine Frage, die in der mittelalterlichen Geschichte der Katego-
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LSP AL (Anm. 1), S. 49,12. p, S. 355b f. p, S. 356 a f. „Erit ergo unumquodque praedictorum non positio principaliter, sed erit dicens quale quoddam circa positionem vel situm" p, S. 355b. Im Liber sex principiorum heißt es ja: „Erit igitur unumquodque praedictorum non positio, sed quale quod circa positiones nascitur" LSP AL (Anm. 1), S. 49,11.
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rienlehre durchaus unterschiedlich beantwortet worden ist30. Und weil Albert bezüglich positio und situs differenziert, muß er im zweiten Kapitel diese Frage auch für die beiden von ihm unterschiedenen Weisen einer Prädikation von Lage diskutieren. Der Autor des Liber sex principiorum verwendet zur Diskussion dieser Frage folgende Beispiele: stehen, sitzen und liegen, rauh und glatt, gebogen und gerade, Quadrat und Dreieck, zwei und drei Ellen, groß und klein, sowie kurz und lang. Albert beginnt seine Überlegungen mit den drei Beispielen für Körperhaltungen, nämlich stehen, sitzen und liegen. Er bringt in die Argumentation seine naturkundlichen Kenntnisse ein und erklärt zunächst einmal, welche anatomischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Lebewesen überhaupt eine dieser Körperhaltungen einnehmen kann. Werden Lebewesen als stehend, liegend und sitzend bezeichnet (animalia dicuntur sedentia, stantia, iacentia), müssen sie seiner Meinung nach über Körperteile verfugen, die es ihnen ermöglichen, die Beine in Hüfte und Knie zu beugen oder zu strecken31. Weil diese Körperhaltungen also von der Lage verschiedener Körperteile zueinander abhängig sind, ist es gerechtfertigt, die Ausdrucksweise „stehende, liegende und sitzende Lebewesen" unter die kategoriale Bestimmung der positio zu rechnen. Verwendet man hingegen „sitzen" und „liegen", so erfolgt dies seiner Auffassung nach in davon nur abgeleiteter Weise (denominative dicta). Daher sind sitzen und liegen strenggenommen keine Angaben von positio, sondern Angaben, die hinsichtlich des situs gemacht werden. Für das Beispielpaar „rauh und glatt" verweist Albertus Magnus auf seine Ausfuhrungen im Kategorienkommentar32, der in seinem Organonkommentar dem Liber sex principiorum unmittelbar voraus geht. Demnach sind rauh und glatt nur dann Ausdruck für die Kategorie der Lage im Sinne von positio, wenn in der Bezeichnungsintention auf die Anordnung der Punkte einer Oberfläche abgehoben werden soll. Bei einer rauhen Oberfläche sind nämlich die einzelnen Punkte in der Oberfläche entweder teils erhoben teils vertieft. Bei einer glatten Oberfläche hingegen sind die einzelnen Punkte völlig plan angeordnet. Rauh und glatt dienen nach Albert aber noch zwei weiteren Bezeichnungsintentionen. Geht es nämlich um die Art und Weise, wie sich die ganze
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Tatsächlich entwickeln sich Darstellungen der Kategorienlehre, in denen die Lage überhaupt nicht mehr als eigene Kategorie vorkommt. Ein rezeptiongeschichtlich besonders interessantes Beispiel ist die logische Summe des Petrus Hispanus. Hier wird im ursprünglichen Text auf die Lage als mögliche Kategorie nicht eingegangen. Entsprechende Aussagen über die Kategorie der Lage finden sich dann aber im Kapitel über die Quantität aber in einigen Handschriften nachgetragen, vgl. PETRUS Hispanus: Summulae logicales. Ed. par Lambert M. DE RIJK. Assen 1972, S. 33f., Apparat zu Z. 11.
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p, S. 354b. Ergänzend dazu weist Albert übrigens gegen Ende des 3. Kapitels daraufhin, daß für die Möglichkeit, eine Körperhaltung einzunehmen, auch entscheidend ist, ob das Lebewesen ein Mensch ist oder nicht. Denn nur der Mensch sei in der Lage, zu sitzen (p, S. 357a). Vgl. ALBERTUS Magnus, De praedic., tr.5, c. 9: Ed. Paris, t. 1, S.260b - 261a.
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Form eines Gegenstandes zusammensetzt, dann fallen sie unter die Kategorie der Qualität33. Soll mit rauh und glatt aber die Sinneserfahrung des Menschen prädiziert werden, dann charakterisiert das Begriffspaar die sinnenhafte Qualität eines Körpers. Daran anschließend wendet Albert sich gerade und gebogen, sowie Quadrat und Dreieck als Beispielen zu. Wie rauh und glatt sind sie seiner Meinung nach nur dann Ausdrücke für eine bestimmte Lage, wenn damit auf die Anordnung von Teilen abgehoben werden soll, die nötig ist, damit eine Linie oder eine geometrische Figur zustande kommen. Eine Linie ist eine Abfolge von Punkten. Befindet sich der Bezugspunkt, auf den hin sich die Anordnung der einzelnen Punkte der Linie bezieht, außerhalb der Linie selbst, dann ist sie gebogen. Befindet sich dieser Punkt aber innerhalb der Linie, dann ist sie gerade34. Bei planen geometrischen Figuren wie Quadrat und Dreieck bestimmen Anzahl und Anordnung der Seiten und Winkel, ob ein Viereck oder Dreieck entsteht. Quadrat und Dreieck sind daher nur dann Beispiele für die Prädikation der Kategorie der positio, wenn damit zum Ausdruck gebracht werden soll, daß eine bestimmte Anzahl von Geraden und Winkeln in einer für die jeweilige Figur typischen Weise zueinander positioniert sind. Geht es hingegen um die Prädikation der Geschlossenheit einer geometrischen Figur, wird mit den Begriffen Quadrat und Dreieck eben diese Qualität der Geschlossenheit erfaßt. Werden Quadrat und Dreieck schließlich hinsichtlich des Sinneseindruckes, den sie als Ganzes hervorrufen, betrachtet, dann drücken die beiden Begriffe eine sinnenhafte Qualität aus35. Wird also von der Bestimmung der Lage der einzelnen Bestandteile zueinander abgesehen und das Ganze erfaßt, dann handelt es sich bei rauh, glatt, Quadrat und Dreieck um Beschaffenheiten und Qualitäten, die hinsichtlich des situs existieren36. Was die Längenangaben „zwei Ellen lang" und „drei Ellen lang" angeht, sind sie, als gesamtes Maß betrachtet, Wesensarten der Quantität. Als genau bestimmte Anzahl der Maßeinheit Elle hingegen betrachtet, wird in ihnen nach Alberts Meinung zwar auf die Elle als Körperteil rekurriert, doch dies reicht nicht aus, um sie unter die Kategorie der Lage zu rechnen. Entsprechendes gilt auch für die anderen Größenangaben wie groß, klein, kurz und lang. Kurz und lang sind, schlechthin genommen, Quantitätsangaben. Ansonsten handelt es sich bei diesem Begriffspaar nicht um die Angabe von Lage oder Anordnung, sondern von Proportionen. Der Doctor universalis erläutert dies in für ihn typischer Weise an einem naturkundlichen Beispiel: man spreche nämlich davon, daß kurze Ohren an Lebewesen mit runden Köpfen vorkommen, während Le37 bewesen mit langgestreckten Köpfen auch entsprechend lange Ohren haben .
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p, S. 354b. p, S. 355a. Ebd. Vgl. p., S. 355b. p, S. 355a.
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Die Diskussion, ob es eine Kategorie der Lage gibt oder nicht, speist sich also sämtlich aus Beispielen, die vor allem Prädikationen sinnenhafter Qualitäten sind. Eigens von einer Kategorie der Lage zu sprechen, wäre dann obsolet, wenn sich nachweisen ließe, daß überhaupt erst die Sinneswahrnehmung die Prädikation von Lage ermöglicht und somit Ursache für die Bestimmung einer Lage ist. Dann nämlich wäre die sinnenhafte Qualität das eigentliche Prädikament unter das all diese Begriffe zu rechnen wären und eine Kategorie der Lage gäbe es dann gar nicht. Albert tritt den Gegenbeweis an und zeigt, daß die Lage Ursache der Sinneswahrnehmung ist und nicht umgekehrt: „Ex eo enim quod partes sic vel sic in toto vel in loco totius dispositae sunt, ex eodem tales vel tales sensibus inferunt passiones pungendo scilicet vel non pungendo; et ex eodem quod sie sensibus passiones inferunt, talia sive qualia esse a sensibus iudicantur; et ideo in talibus positio par38 tium est causa talis sensus vel talis et non e converso" .
Und er schließt ein Resumé an, in dem er das Gesagte auf die von ihm eingeführte Unterscheidung von positio und situs hin anwendet: „Unde positio causa est sensibilitatis et non e converso. Similiter autem est et in aliis huiusmodi, quae partibus habent dispositionem in toto et in loco totius. Erit ergo unumquodque praedictorum non positio principaliter, sed erit dicens quale quoddam circa positionem vel situm. Hoc autem ideo quod nomen magis est impositum effectui quam causae, eo quod sensui effectus magis notus est quam causa. Unde cum situs causa sit sensibilitatis in tactu, quod scilicet sie vel sie secundum tactum id quod positum est sentiatur, erunt ista nomina qualitatum ex situ et circa situm causa39 tarum et dictarum" .
Am Ende des dritten Satz ergänzt Albert das im Liber sex prineipiorum vorhandene circa positionem durch ein vel situm und spricht im weiteren Verlauf dann nicht mehr von positio, sondern von situs. Nur wenn man seiner zuvor entfalteten Argumentation zustimmt, daß die positio einzelner Punkte Ursache für das Zustandekommen von Rauhheit, Glattheit, Gebogenheit und Geradheit ist, und wenn man zugleich als gültig erwiesen anerkennt, daß der Sinneseindruck nicht von der Erfassung einzelner Punkte, sondern letztlich von der Wahrnehmung des Ganzen her gespeist wird, nur dann versteht man, daß Adjektive wie rauh, glatt, gebogen und gerade auf der Mikroebene betrachtet, Ausdruck von positiones sein können, auf der Makroebene betrachtet, von ihnen aber gleichzeitig gilt, daß sie Ausdruck von Beschaffenheiten und sinnenhaften Qualitäten sind, die hinsichtlich des situs verursacht und prädiziert werden. Ziel von Alberts komplexer Argumentation ist es in diesem Kapitel also, gerade durch die Verwendung seiner Unterscheidung zwischen der Prädikation einer Lage im Sinne von positio und der Prädikation einer Lage im Sinne von situs plausibel zu machen, daß die 38 39
p, S. 355b; scilicet ] om. p. p, S. 355b; est et ] et om. p; partibus ] partium p; ideo quod ] ideo quia p.
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Lage eine eigene und notwendige Kategorie ist, und Verständnis dafür zu wecken, daß es gerade durch die von ihm eingeführte Differenzierung möglich ist, den Geltungsbereich einer Kategorie der Lage präzise gegen den der Qualität und Quantität abzugrenzen. Im fünften und letzten Kapitel des Traktates über die Lage verwendet Albert stets positio, also den seiner Meinung nach eigentümlichen Namen der Kategorie. Dies ist insofern eine konsequente Anwendung der von ihm eingeführten Begriffsdifferenzierung, als es in diesem Kapitel zu erklären gilt, warum es nach Meinung des Verfassers des Liber sex principiorum der Kategorie der Lage am eigentümlichsten ist, unter den akzidentellen Kategorien die der Substanz am meisten angrenzende Kategorie zu sein40. Albertus Magnus betont zu Beginn seiner Kommentierung der entsprechenden Passage, es sei die besondere Leistung Gilberts von Poitiers, den er für den Autor des Liber sex principiorum hält, erstmals überhaupt zwischen innewohnenden und angrenzenden Kategorien unterschieden zu haben41. Demnach gehören das Tun und Erleiden zu jenen Kategorien, die schlechthin in der Substanz sind42. Die Relation, das Wo, das Wann, die Lage und das Haben hingegen grenzen mehr an, als daß sie innewohnen, weil sie stets Eigenschaften ausdrücken, die der Veränderung unterworfen sind und daher nicht der unveränderlichen Substanz innewohnen können43. Die genannten sechs Kategorien werden also immer von etwas außerhalb Seiendem verursacht44. Diese Ursache ist eine Form, die der Substanz angrenzt wie etwas von außen Angeheftetes45.
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„Magis proprium autem videtur esse positionis substantiae proprius assistere omnibus quidem aliis formis superpositis (LSP AL (Anm. 1), S. 51,2). Zur Übersetzung von assistere mit „angrenzen" vgl. Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert. Bd. 1, red. Otto PRINZ. München 1967, S. 1081, 49-54 u. S. 1082, 26-32. p, S. 357b. „Actio autem et passio, cum a principiis sint interioribus, non numerantur inter assistentia (assistentia] accidentia vicissim p) sed inter ea quae insunt simpliciter et (et om. p) absolute" p, S. 358b. „Et quia hae formae assistant potius quam insunt, ideo dixit idem Gilbertus quod secundum tales mutationes formarum non proprie mutatur substantia sed talibus formis mutatis substantia manet immutabilis"p, S. 3 5 8 a - V g l . a. den Text in Anm. 45. „Quaedam enim accidentia dicuntur inesse (inesse] esse p), quae simpliciter insunt, quaedam autem assistunt plus quam insint (insint] insunt p), quae non sunt simpliciter in uno (in uno om. p) nec causantur ab intrinsecis (intrinsecis] extrinsecis p) subiecti, sed causata ab extrínseco (extrínseco] intrinseco p) secundum ea subiecta comparantur ad alia sicut (et add. p) relatio et quando et ubi et positio et habitus"/?, S. 358a. „Dixit ergo Gilbertus quod non insunt proprie, sed assistunt quasi affixae (affixae om. p) extrinsecus, et ideo mutationes secundum ipsas possibile est fieri nulla mutatione facta in substantia vel in aliquo accidente ipsius"p, S. 358b.
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In der Geschichte der Kategorienlehre ist es nicht unumstritten, die Kategorie der Relation als der Substanz angrenzend zu betrachten46. Um die Lehre des Liter sex principiorum zu stützten, unterscheidet Albert daher zwei Arten von Relation. Wenn die Relation aus einem Vergleich mit dem hervorgeht, was ist, also aus einem Vergleich mit der Substanz selbst, ist sie nach seiner Auffassung eine innewohnendende Kategorie, und dann handelt es sich um Relation im eigentlichen Sinne. Findet aber ein Vergleich mit etwas statt, das außerhalb der Substanz ist, dann ist die Relation lediglich eine angrenzende Kategorie47. Da sie also sowohl als innewohnend als auch als angrenzend bestimmt werden kann, nimmt sie in der Ordnung der Kategorien keinen festen Platz ein, sondern ihr Platz muß jeweils neu bestimmt werden, je nachdem, ob man sie als innewohnend oder angrenzend bestimmt. Von den angrenzenden Kategorien ist die Lage die der Substanz nächste, weil sie definitionsgemäß nichts anderes ist als die Ursache für die den Naturdingen eigene Geordnetheit48. Körperhaltungen beispielsweise setzen eine Entstehung des Lebewesens durch Komplexion voraus. Und diese Entstehung wird, wie bereits im ersten Kapitel des Traktates von Albert bewiesen wurde, durch Formen gesteuert, die unter das Prinzip der Lage fallen. Weil die positio in dieser Weise zur Ordnung der entstehenden Naturdinge wesentlich beiträgt, ist sie auch der Substanz der Naturdinge besonders nahe49. Albert gibt allerdings zu bedenken, daß das Vorhandensein einer ausgedehnten Quantität unabdingbare Voraussetzung für das Entstehen einer Lage ist. Daher bestimmt er die der Substanz innewohnende Kategorie der Quantität naturgemäß der Substanz näher als die Kategorie der Lage50. Entsprechendes gilt für die Kategorie der 46
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Vgl. dazu Friedrich Überwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie. Bd. 2: Die patristische und scholastische Philosophie. Hrsg. von Bernhard GEYER, Tübingen l 2 1951, S. 240. „Assistere autem dixit Gilbertus has formas, quae rationem ... trahunt ... ab eo quod per ipsas substantia ad extra se ens aliquid comparatur, sicut relatio et quando et ubi et positio et habitus, quorum nullum nomine suo dicit quod insit, sed nomine sui generis tantum scilicet accidens (scilicet accidens] vel substantiae vel accidentis p)\ sed nomine proprio dicit comparationem substantiae ad exterius aliquid, sicut relatio et quando et ubi et huiusmodi: Relatio enim ut relatio et non ut accidens substantiae dicit comparationem secundum id quod est, et similiter est de aliis, quamvis non relationis dicant comparationes (comparationes] compositionem p) sed loci vel temporis vel ordinis vel alicuius huiusmodi"p, S. 358a f. „Hoc autem syllogimso probatur per diffinitionem positionis: substantiae enim positio nihil aliud est quam naturalis substantiae secundum hanc vel illam positionem ordo"p, S. 357b. Man beachte, daß hier der erste Satz des Liber sex principiorum, in dem die ordinatio generations erwähnt wird, auf die hier argumentativ abgehoben wird, doch als Definition bezeichnet wird. „Haec autem naturalis ordinatio vel a principio quidem compositionis substantiae innata est ipsi substantiae, aut innata est a (a] ipsi substantiae p) consueto motu naturae. A principio quidem est (est om. p) compositionis, sie (sie] sicut p) in leni et aspero et (et] vel p) aequalibus secundum superficiem vel inaequalibus secundum eandem, sicut sunt plana et hispida, a ( a om. p) naturae autem motu facta (facta om. p) flexura membrorum, sicut est sessio et statio et alia huiusmodi" p, S. 357b f. p, S. 358a.
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Qualität, die durch die Form im Zusammengesetzten verursacht wird. Auch sie steht als innewohnende Kategorie immer der Substanz näher als die Kategorie der Lage, denn die positio ist im Entstehungsprozeß nur zuständig für die Ordnung und Anordnung des Zusammengesetzten, während die Qualität weitaus mehr Eigenschaften einer Sache bestimmt51. Weil das Wo und das Wann durch Orts- und Zeitveränderungen bestimmt werden, grenzen beide nach Alberts Lehre innerhalb der Gruppe der angrenzenden Kategorien in mittlerer Weise der Substanz an. Seiner Meinung nach steht auch die Kategorie des Habens der Substanz näher als die der Relation, insofern man diese unter die angrenzenden Kategorien rechnet52. Berücksichtigt man hingegen alle Kategorien, also sowohl die innewohnenden als auch die angrenzenden, und versucht dann die Relation einzuordnen und in ihrem Verhältnis zur Kategorie der Lage zu bestimmen, wird sie wegen ihrer Möglichkeit, zu beiden Gruppen zu gehören, ein delikater Grenzfall. Als angrenzende Kategorie ist sie dann nämlich (verglichen mit den innewohnenden Kategorien) die der Substanz fernere, als innewohnende aber (verglichen mit den angrenzenden Kategorien) die der Substanz nähere. Vielleicht kann man sich den Grad der Nähe einer Kategorien zur Substanz versinnbildlicht vorstellen wie konzentrisch Ineinandergefügtes: Den Kern bildet die Substanz, der Tun und Erleiden, Quantität und Qualität, sowie die Relation innewohnen, insofern die Relation als innewohnende Kategorie bestimmt wird. Um diesen Kern herum folgen, in konzentrischen Kreisen angeordnet zu denken, Lage, Wo, Wann, Haben und nochmals die Relation, nun aber insofern sie als angrenzende Kategorie bestimmt wird53. Es ist sinnvoll, diese zweite Art von Relation, weil sie sich daraus ergibt, daß das Verhältnis mehrerer Dinge zueinander gleichsam von Außen her und nicht aus dem Inneren nur einer Substanz heraus bestimmt wird, der Kategorie der Lage nachzuordnen. Denn die Anordnung von Tei-
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„Cum qualitas (qualitas] quantitas p) causetur a forma in composito, positio autem sit ordinatio compositorum, quorum qualitas activa et passiva est causa, qualitas etiam (quorum - etiam] quorum activa est causa quantitas non p) proximior est substantiae quam positio"p, S. 358a. „Quando autem et ubi medio modo assistunt, quia in his in subiecto aliqua mutatio fit: aliquid enim abicitur in praeterito et aliquid acquiritur in futuro. Et similiter et (et om. p) ubi totum mutatur de loco ad locum. Sed habitus plus assistit quam relatio, quia habitus mutatur ad formam habentis" p, S. 358b. Das abschließende Resumé Alberts zur Einordnung der Kategorie der Relation im Vergleich mit der Kategorie der Lage ist in der handschriftlichen Überlieferung und der Drucktradition leider mit konträrem Sinn überliefert. In den meisten Handschriften des 13. bis 15. Jahrhunderts heißt es: „Inter assistentia positio, ut dictum est, proximius assistit et inter omnia relatio longinquius assistit, quia in ilia secundum id quod est, non est nisi quod alterius". In zwei italienischen Handschriften des 15. Jahrhunderts (Biblioteca Apostolica Vaticana, Cod. Vat. lat. 2118 und Cod. Reg. lat. 1906), deren Text Vorlage für die Drucktradition ist, heißt es hingegen: „Inter assistentia autem positio, ut dictum est, proximius assistit et inter omnia relatio propinquius assistit, quia nulla istarum secundum id quod est, non est nisi alterius". In der Inkunabel und Drucktradition wird dann aus dem propinquius dieser beiden Handschriften ein proximius, vgl. p, S. 358b.
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len, welche nach Albert mit Hilfe der Kategorie der Lage im Sinne von positio prädiziert wird, ist ja gerade die Voraussetzung dafür, daß überhaupt etwas über die Relation von Teilen zueinander ausgesagt werden kann. Somit kann Albert mit Recht behaupten, daß die positio unter den angrenzenden Kategorien die der Substanz nächste ist 54 . Die hier ausfuhrlich dargelegte Unterscheidung von situs und positio wird nicht nur im eigentlichen Traktat über die Kategorie der Lage beachtet, sondern darüber hinaus auf den gesamten Kommentar zum Uber sex principiorum angewendet. Außerhalb des sechsten Traktates werden beide Benennungen nur noch im sechsten Kapitel des zweiten Traktats mit sive verbunden gebraucht, weil die dort gemachten Aussagen für beide Lagenbenennungen gleichermaßen gelten 55 . Ansonsten verwendet Albert in seinem Kommentar entweder nur situs oder nur positio. Die meisten Belege dafür finden sich im ersten Traktat, wo drei Mal positio56 und fünf Mal situs vorkommen 57 . Dabei sind jeweils alle Kriterien für die Anwendung der beiden Bezeichnungen erfüllt. Im ersten Kapitel des ersten Traktates geht es nämlich um die Kategorie der Lage als Ursache von Seiendem, das aus Teilen besteht und in sich geordnet ist, weshalb dort von der positio die Rede ist58. Wird in den anderen Kapiteln des ersten Traktates dann nurmehr situs verwendet, erklärt sich dies daraus, daß dann von situs zu sprechen ist, wenn es mehr um die Anordnung im Ort geht als um die Ordnung von Teilen 59 . Dieses trifft auch auf die
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Leider findet sich in Alberts Kommentar zur Kategorienschrift kein Abschnitt, der dies weiter erhellen könnte. Im dritten Kapitel des vierten Traktates (bes. p, S. 228a) wird zwar, von der Relation ausgehend, auch auf die Kategorie der positio eingegangen, aber nur unter grammatischem Aspekt. Im achten Kapitel desselben Traktates (p, S. 236b-239a) wird in Auseinandersetzung mit Plato erörtert, ob die Relation von der ersten oder der zweiten Substanz prädiziert werden kann, aber Albert bedient sich dort nicht der erst im Uber sex principiorum ausgeführten Unterscheidung in angrenzende und innewohnende Kategorien. Vgl./?, S. 328b-329a. p, S. 306b. Je ein Beleg findet sich in Traktat 1 Kapitel 1 (p, S. 306a) und 2 (p, S. 307b), die sind in Kapitel 6 zu finden (p, S.316a+b). „Positio vera, quae (quae om. p) dicit partium ordinationem in loco et in toto, etiam (etiam] et p) dicit principium plus quam genus, quia motus et actio et passio transmutantia ea, in quae comparantur (comparantur] operantur p), sunt causa ordinis partium ad formam totius; et ideo positio non dicit quid positi, sed secundum suum nomen - quod est positio - dicit principium existentiae (existentiae] essentiae p) totius, quod principiatur a partium positione in toto et in loco" p, S. 306 b. - „Si autem est secundum effectum, quod (quod] quem p) facit agens in ipso patiente, tunc est positio, quia ex actione agentis et passione patientis situantur partes in passo ad susceptionem formae, quam imprimit agens, et efficitur una supra et altera infra et una dextra et altera sinistra, secundum quod operatur in eo virtus agentis"/?, S. 306b f. „Situs autem propter hoc extrinsecum est, quia dicit ordinem partium in loco, et hoc est extra substantiam partium et totius" c. 2: p, S. 307b. - „Sunt tarnen secundum causam et non secundum subiectum haec sita in complexione generantis, quae complexio est causa complexionis seminis, et secundum causam sunt sitae in compositione generantium, quae compositio attenditur in situ et or-
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einzige Belegstelle für situs im vierten Kapitel des fünften Traktates zu60. Die beiden Erwähnungen von positio im siebten und achten Traktat sind ebenfalls gerechtfertigt, weil es hier auch wirklich um die positio im Sinne der Albertschen Differenzierung geht. Im dritten Kapitel des siebten Traktates wird nämlich die positio von dem locus abgegrenzt, was sinnvoll ist, weil sich positio im Unterschied zu situs ja mehr auf die Teile als auf den Ort bezieht61. Im fünften Kapitel des achten Traktates ist dann die Verwendung von positio insofern gerechtfertigt, als dort eben jene Formulierung wieder aufgenommen wird, die im ersten Kapitel des sechsten Traktates für die Charakterisierung der positio verwendet wird62. Ziel dieser Studie war es, zu zeigen, daß Albertus Magnus in seiner Kommentierung des Liber sex principiorum zu einer bemerkenswert subtilen Lehre über die Kategorie der Lage findet. Um dem Vorwurf einer tautologischen Definition zu begegnen, differenziert er situs und positio und wendet dann die gewonnene Differenzierung auch durchgängig in seinem Kommentar an. Die für ihn typische Paraphrasetechnik erlaubt es ihm, an doktrinell oder terminologisch problematischen Stellen den oftmals knappen und dadurch schwer verständlichen Wortlaut des Liber sex principiorum durch Einschöbe und Hinzufügungen klarer und in seiner Bedeutung wesentlich verständlicher zu machen. Wo zunächst der Eindruck entsteht, daß die von Albert eingeführte Begriffsdifferenzierung bezüglich situs und positio wieder aufgehoben würde, zeigt sich bei näherer Betrachtung, daß die dann in der Paraphrase vorkommende unmittelbare Verbindung von positio und situs mit einem vel oder sive inhaltlich immer gerechtfertigt und gerade aufgrund der Differenzierung auch sinnvoll ist. In wieweit Albert den anhand des Liber sex principiorum entwickelten differenzierten Sprachgebrauch bezüglich positio und situs in seinen anderen Kommentaren verwendet, wäre eingehender zu prüfen. Die hier nur kurz erwähnten Ausführungen zum situs aus seinem Metaphysikkommentar legen dies zumindest nahe.
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dine membrorum ..." p, S. 316a. - „Eorum vero quae extrinsecus secundum causam (extrinsecus secundum causam] secundum substantiam extrinsecus p) contingunt sive adveniunt substantiae, ilia sunt aut actus, qui est agere,... aut dispositio sive situs" p, S. 316b. „ ... et (et] vel p) moventur secundum locum, quia moventur secundum loci differentias et situs, quae sunt ante et retro secundum distantiam (distantiam] situm p) polorum, et a dextro et sinistra secundum distantiam orientis et occidentis et huiusmodi" p, S. 350b. „ ... et nullo modo est in loco positio, quia locus ut locus non est ubi vel alicubi" p, S. 362b. „ ... positio autem comparatio partium ad totum et locum totius" p, S. 372b.
MIGUEL DE ASUA, Cambridge / Buenos Aires
Minerals, Plants and Animals from A to Z. The Inventory of the Natural World in Albert the Great'sphilosophia naturalis Around the middle of the thirteenth century, discourse on the three kinds of natural beings (minerals, plants, animals) was articulated in a variety of literary genres which conveyed popular and learned lore about nature1. Herbals, lapidaries and many of the works de natura rerum included lists of things—alphabetically organized—with information on their natures, properties, potentially useful virtues and/or allegorical meanings. These works, for the most part, were intended and used as sources of information for medical or, broadly speaking, religious purposes2. Albert the Great's treatises on the three realms of nature (De mineralibus, De vegetabilibus and De animalibus) were a different thing: they had been conceived as part of his ambitious project of commenting upon the whole Aristotelian corpus. Interestingly, in each of these works Albert included one or more books consisting in an alphabetical list of natural beings (stones, plants, animals). This unique combination of different literary traditions of knowledge on nature within the conceptual unity of the Aristotelian treatise suggests a number of questions: why did Albert think necessary to incorporate these sequences of stones, plants and animals?, did the incorporation of the alphabetical material in Albert's works on minerals, plants and animals had any relation with his conception of the proper way to proceed in scientia naturalist, how did he handle his source material (treatises on the nature of things, lapidaries, medical works) to adapt it to his own aims?
For the case of animals cf. ASÚA, Miguel de: El De animalibus de Alberto Magno y la organización del discurso sobre los animales en el siglo XIII. In: Patrística et Mediaevalia 15 (1994), p. 3-26, here 5-7. For the herbals and works on materia medica cf. SIGERIST, Henry E.: Materia Medica in the Middle Ages. A Review. In: Bulletin of the History of Medicine 7 (1939), p. 417-423. For the encyclopedias cf. MEYER, Heinz: Zum Verhältnis von Enzyklopädik und Allegorese im Mittelalter. In: Frühmittelalterliche Studien 24 (1990), p. 290-313.
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The third part of Albert's philosophia naturalis In the opening paragraphs of the Mete ora Albert rehearses the plan of exposition of the Aristotelian libri naturales already spelled out in the first book of his Physics3. Assuming a scheme based on the principle of mixture (commixtio) he distinguishes three parts in the scientia naturalis: on the simple corpus mobile (Physica, De caelo et mundo, De generatione et corruptione), on the simple changeable body on its way to mixture (Meteora) and on the mixed changeable body (minerals, plants, animals). But immediately after, Albert goes through a second division, that of philosophia naturalis, which, he says, embraces all the libri naturales that follow De caelo. Thus, the first part of philosophia naturalis concerns the simple corpus mobile from the point of view of the processes of generation and corruption; its second part attends to the changeable body on its way to mixture; its third part is about the changeable body contracted to mineral, vegetal and animal species4. In other words, philosophia naturalis is implicitly viewed as the investigation of the movements towards form, mixtures and kinds of sublunary bodies. In both divisiones (that of scientia and that of philosophia naturalis), minerals, plants and animals are considered together as the proper subject of a distinctive department of knowledge which deals with the kinds and species of mixed bodies. In the discussion about the material cause of physical things, Albert distinguishes three genera of matter considered in relation to its subsequent form: commixta or mixture of the elements (minerals), complexionata (complexion of the humors in plants), organizata (composition of the organs in animals)5. In De animalibus, the culmination of the third part of his natural philosophy, Albert's description of the levels of complexity as commixtio elementorum, complexio humorum and compositio membrorum can be found in various parts of the work6. Albert's theory, as expounded in his commentary on animals, is a blend of Aristotelian ideas about the mixture of the qualities with the medical Galenic concept of the complexion of humours7. The levels of organization of matter find a counterpart in the hierarchy of forms. Albert points out this symmetry in the last treatise of book IV of the Meteora, where he studies the similar parts (homiomera) in general. If we conceive natural things secundum formam, we will see that what comes first is always formally in what comes later, from which it receives the being (esse) and the form: elements receive their form and
3
4 5
7
ALBERTUS Magnus: Meteora, 1. I, tr. 1, c. 1: Ed. Paris, t. 4, p. 477a-478a. Cf. ASHLEY, Benedict M.: St. Albert and the Nature of Natural Science. In: WEISHEIPL, James A. (ed.): Albertus Magnus and the Sciences. Toronto 1980, p. 87-94. ALBERTUS Magnus: Meteora, 1. I, tr. 1, c. 1: Ed. cit., p. 478a. Phys., 1. II, tr. 2., c. 1: Ed. Colon, t. 4,1, p. 97, 24-35. De animal., 1. I, tr. 1, c. 1, n. 1: ed. Hermann Stadler. Münster 1916, p. 1; 1. XII, tr. 1, c. 4, n. 50: p. 817. r Cf. A S U A , Miguel de: Albert the Great and the Controversia inter Medicos et Philosophos. In: Proceedings of the PMR Conference 19/20 (1994/1996), p. 143-156, here p. 148-150.
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being from the mixed body (mixtum), the mixed body from the flesh or any of the similar parts, the flesh from the organs like the hand or the head and the organs from the soul, which is the form of the whole composite 8 . Articulating the hylomorphic notion along a multilevel conception that accounts for the complexity of each individual being as well as for the whole of nature, book IV of the Meteora paves the way for the deployment of the study of similar parts (homiomera), organic parts (anhomiomera) and the three genera of "res naturales constitutae per formas specificas", i.e. minerals, plants and animals9.
Minerals The study of beings composed out of elements precedes that of the complexioned animated beings and constitutes the first stage in the development of the program of research of the natural things with specific forms advanced in the Meteora Albert's De mineralibus, far more an original work than a commentary, was conceived upon a rather symmetrical plan11. The work comprises five books which treat, respectively, minerals, precious stones, metals in general, metals individually and minerals that seem to be intermediate between stones and metals. Albert announces that he will treat about the natures of stones in general and then will examine in specie those that have names12. The nature and complexion of stones will be accounted for once their material, formal, efficient causes, place of origin and accidental properties are known, what constitutes the contents of book I13. Book II is devoted to the nature of particular precious stones, beginning with the causes of the powers of stones and ending with the properties of sigils and images in stones; the intermediate treatise is a lapidary. The second treatise of book II of De mineralibus is what for all purposes could be considered as a lapidarium, consisting in a list of around 100 precious stones arranged alphabetically and grouped in 20 chapters14. Each of the chapters is devoted to precious
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ALBERTUS Magnus: Meteora,
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Meteora, 1. IV, tr. 4, c. 8: p. 808a. Miner. I, tr. 1, c. 1 : Ed. Paris, t. 5, r p. lab; cf. Meteora,
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h
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1. IV, tr. 4, c. 7: Ed. Paris, t. 4, p. 804b. Cf. ibid.: p. 805b-806a. 1. IV, tr. 4, c. 8: Ed. Paris, t. 4, rp. 808a.
For a general overview o f this work cf. RIDDLE, John M. / MULHOLLAND, James A.: Albert on Stones and Minerals. In: WEISHEIPL [note 3], p. 203-234. There is an excellent English translation with introduction and commentaries: ALBERTUS Magnus: Book on Minerals. Trans, by Dorothy Wyckoff. Oxford 1967. ALBERTUS Magnus: Miner., 1.1, tr. 1, c. 1: Ed. Paris, t. 5, p. lb. Ibid.: p. 1 b-2a. For a panoramic treatment of lapidaries cf. EVANS, Joan: Magical Jewels of the Middle Ages Renaissance particularly in England. Oxford 1922, here p. 51-94.
and
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stones beginning with a given letter. Albert drew on various sources to write his lapidary and the many parallels between his text and the lapidary in book XIV of Thomas of Cantimpre's De natura rerum, suggests that either he used Thomas' work as one of his models or that both of them drew upon an anonymous common source15. Albert intended to sift the materials taken from his sources in terms of the demands of his own program and claimed that, of all the things said by the auctoritates, he would only include those relevant to the causal inquiry which is the hallmark of science: "scientiae enim naturalis non est simpliciter narrata accipere, sed in rebus naturalibus inquirere causas"16. His criticism of Pliny rests on the grounds that the Naturalis historia was not conceived as a search for common causes: the Roman dealt insufficiently with stones, "non sapienter causas lapidum in communi assignans"17. In his De mineralibus, Albert distinguishes the mode of conducing the causal inquiry in the books corresponding to the last part of philosophia naturalis from that which he has followed so far. He affirms that in the treatises that deal with particulars we should proceed from effect to causes: "oportet nos prius ex signis et effectibus cognoscere naturas istorum [the particular things], et ex illis devenire in causas eorum et compositione: eo quod signa et effectus nobis sunt magis manifesta". Conversely, the books that precedes De mineralibus do not treat a multitude of particulars, so that the way to proceed in them is the inverse: "a causa videlicet ad effectus et ad virtutes et signa"18. It would seem then, that in the books on minerals, plants and animals—all of them dealing with a multitude of particular natures - the investigation of these should be accomplished taken as a point of departure the effects of those natures. When in book III of De mineralibus Albert mentions his travels through the mining districts and his experience with transmutations, he also affirms that this is the best way to investigate this kind of things, because each thing is known with respect to its particular cause and there remains little doubt about the accidental properties it could possess19. In the last chapter of the lapidary, Albert repeats this methodological principle, i.e. to advance from effects to causes in the investigation of the particular natures of stones, when he affirms that "si quis experimentari voluerit, vix Iapillum inveniet qui non habeat aliquam virtutem"20. Albert's claim about the necessity of going from effects to causes in the case of many particulars seems to square well with what he does in the lapidarium, and also in books IV and V of De mineralibus. But the lay out of the work always proceeds from common things to particulars21.
15
Cf. R I D D L E e. a. [note 11], p. 2 3 0 - 2 3 4 ; W Y C K O F F [note 11], p. 2 6 4 - 2 7 1 .
16
A L B E R T U S M a g n u s : Miner., 1. II, tr. 2, c. 1: Ed. Paris, t. 5, p. 30a.
17
O p . cit., 1.1, tr. l , c . l : p . 2a.
18
Ibid.: p. 2b.
19
O p . cit., 1. Ill, tr. 1, c. 1: p. 59b.
20
O p . cit., 1. II, tr. 2, c. 20: p. 47b.
21
O p . cit., 1.1, tr. 1, c. 1: p. l b ; cf. 1. Ill, tr. 1, c. 1: p. 60a; 1. IV, c. 1: p. 83a; 1. V, c. 1: p. 97ab.
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In the lapidary, Albert is true to his proclaimed principle of explaining through causes. For example, we read in the chapter on epistrites that if this stone is thrown into boiling water, ebullition stops and the water cools itself. The cause of this, says Albert, is that the stone is extremely cold and when it is moved by the heat of the boiling water, its coldness begins to act22. At the beginning of his lapidary, he expressly says that the virtues of stones were known to him "aut per experimentum aut ex scripturis Auctorum" 23 . Indeed, in his lapidary, Albert distinguishes whether he himself or someone else has observed the properties of a given stone, for example, when he talks about saphirus, he affirms that "hujus autem virtutem ego vidi, quod anthraces duos fugavit" 24 . Finally, it is worth noticing that Albert decides not to discuss the reasons of the virtues of the diacodos, because they are exposed in the books of magi and his is a work of natural philosophy 25 .
Plants De vegetabilibus is the result of Albert's reworking of the two books of the pseudoAristotelian De plantis, so that books I and IV are closely based on De plantis and books II, III and V are digressiones, i.e. Albert's elaboration of other sources and his own original observations and reflections 26 . Book VI contains alphabetical lists of trees and herbs and book VII treats the cultivation of plants. Stannard has claimed that the lists of plants in book VI could be considered as a herbal divided in two treatises, the first on trees (37 chapters) and the other on herbs 27
(22 chapters), both listing alphabetically around 400 species . It has been established that Albert's most important sources for his herbal were the "Canon" of Avicenna and Constantine's De gradibus simplicium, but there are parallels with other works like the herbals of Rufinus and of Matthaeus 28Platearius and the three books on plants in Thomas of Cantimpre's De natura rerum . Now, how does Albert justify the introduction of a herbal in his Aristotelian commentary? He says that although both the philosopher and the physician investigate the nature of herbs, the latter conduces his inquiry from 22
24
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Op. cit., 1. II, tr. 2, c. 5: p. 36b; cf. WYCKOFF [note 11], p. 90-91. Op. cit., c. 1: Ed. cit., p. 30a. Op. cit., c. 16: p. 44b. Op. cit., c. 4: p. 34b. For a first approximation to this work cf. STANNARD, Jerry: The Botany of St. Albert the Great. In: MEYER, Gerbert / ZIMMERMANN, Albert (eds.): Albertus Magnus Doctor Universalis: 1280/1980. Mainz 1980 (Walberberger Studien. Philosophische Reihe, 6), p. 345-372. For an analysis of Albert's herbal cf. STANNARD, Jerry: Albertus Magnus and Medieval Herbalism. In: WEISHEIPL [note 3], pp. 355-377. Cf. S T A N N A R D [Note 27], p. 359; idem [note 26], p. 353-357. For herbals cf. S T A N N A R D , Jerry: Medieval Herbals and their Development. In: Clio Medica 9 (1974), p. 23-33.
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the point of departure of their operations (parts, qualities and effects) while the former does it with the purpose of using the plants as remedies. Knowledge of the operations of plants conduces to knowledge of their natures and the point of departure of this process is experience: "non enim aliter cognoscimus naturas earum, nisi experiamur ea quae dicta sunt de eisdem"29. In the opening chapter of the herbal, Albert affirms that the operations and qualities of plants might proceed either from the elemental components or from their composition or from the species as such (a tota specie). In the later case the operations are cause by forms which flow from the motors of the heavenly spheres through the figures of the stars and also from the soul, so that "ad harum igitur trium naturarum indagationem qualitates et compositiones et operationes specierum ponimus plantarum"30. In the closing chapter of the herbal, Albert develops a threefold scheme of the formal 31
causes operating in the plants (complexional, celestial and the vegetal soul) . In this way, the inquiry about the nature of particular plants is situated within a framework that spells out the hierarchy of virtues in the plant world and their cosmological relationships. Albert considers his two works on corpora animata as the final part of his philosopia naturalis 2. He declares that in De vegetabilibus he will investigate firstly the common causes because there is no disciplina of particular beings33. And when he apologizes for the inclusion of the alphabetical lists of plants in the work he again affirms that "de particularibus enim etiam philosophia non esse"34. But, how is it we come to know about the natures of particular species, since "de particularibus naturis simile haberi non potest"? Albert's answer is that "experimentum enim solum certificat in talibus"35. It is per experimentum that we acquire proper knowledge of the operations of plants which, in its turn, reveals their natures to us: "dicentes igitur de quibusdam herbis, dicemus figuras et qualitatem et operationem ipsarum, ut ex his etiam indagemus alia quae sunt scienda de ipsis. Non enim aliter cognoscimus naturas earum, nisi experiamur ea quae dicta sunt de eisdem" .
Albert says that he has either tested the virtues of some of the plants or, when this was not possible, he has relied in the dicta of those who "non de facili aliqua dicere nisi
ALBERTUS Magnus: Loc. cit.: p. 219a. 31 32
33 34
36
De veget.,
Op. cit., c. 22: p. 266b-268b. Op. cit., 1.1, tr. 1, c. 1: p. lb. Loc. cit.: p. 3a. Op. cit., 1. VI, tr. l , c . l : p . 159b. Loc. cit.: p. 160a. Op. cit., tr., 2 c. 1: p. 218a.
1. VI, tr. 2, c. 1: Ed. Paris, t. 10, p. 218a.
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probata per experimentum" 37 . In the science of plants knowledge of the parts, qualities and effects conduces to knowledge of the nature of plants, like in the science of animals knowledge of the food, workings and parts conduce to knowledge of the nature of animals 38 . (And, we could add, like in the science of minerals knowledge of their virtues conduces to knowledge of their natures.) Although Albert's herbal contains rich information on the virtues of plants and on remedies obtained from them and their medical uses, the intention of the text is the knowledge of the nature of plants from their operations; in the chapter about the ulnns, it is said that, although this tree has many operations, "quae dicta sunt sufficiunt ad sciendum naturam ejus" 39 . And, as we have already seen, the sure path to obtain knowledge of the nature of particular plants is experience 40 . Albert claims that his approach to plants is akin but not altogether the same as that of the physicians; he does not wish to investigate the medical uses of herbs and once and again, after enumerating a number of therapeutic applications, concludes saying that the plant has many other properties, into which he does not wish to enter, since that is the territory of medicine: of squinatum he says that "multa alia bona operatur arte medicorum, de qua non est nobis intentio" 41 . In fact, in some cases the medical uses of plant are not even mentioned, e.g. when in the chapter on gauda it is said that "utilitas autem ejus ad medicamina, aut nulla est, aut inexperta" 42 .
Animals De animalibus consists of the three parts of Michael Scot's translation from the Arabic of Aristotle's 19 books on animals (books I-XIX), two chapters with Albert's own materials (books XX and XXI) and, finally, the alphabetic list or dictionary of animals, the principal source of which was Thomas of Cantimpre's De natura rerum (books XXII-XXVI) 43 . Books XX and XXI constitute a consideration secundum genus, which consists in assigning causes to the complexio and the complexionantes, and an investigation secundum species, which attends to the causes of the perfection and imperfection
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Op. cit., tr. 1, c. 1: p. 159b-160a.
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Op. cit., tr. 2, c. 1: p. 217b; cf. 1.1, tr. 2, c. 1: p. 27b. Op. cit., 1. V, tr. 1, c. 35: p. 204a-b.
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Op. cit., 1. VI, tr. 2, c. 1: p. 218a. Op. cit., c. 7: p. 256b. Op. cit., c. 8: p. 238b. For general considerations about the work cf. HÜNEMÖRDER, Christian: Die Zoologie des Albertus Magnus. In: MEYER / ZIMMERMANN [note 26], p. 235-248. For Thomas o f Cantimpre's work cf. GARCÍA BALLESTER, Luis: El códice C-67 de la Biblioteca Universitaria de Granada y la problemática sociocientífica del De naturis rerum de Tomás de Cantimpré (c. 1201c. 1276). In: Cuadernos de Historia de la Medicina Española 12 (1973), p. 81-124.
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of animals according to the activities of the soul and its potencies44. They are equivalent to an introduction to the last part of the work (the alphabetic list of animals) and thus function as a link of articulation between the two major parts of the work. The dictionary of animals is organized in five books, each of them alphabetically arranged and devoted to a group of animals: book XXII (de homine and de quadrupedibus), book XXIII {de natura avium), book XXIV (de aquaticis), book XXV (de natura serpentum), book XXVI (de vermibus). Each book provides an alphabetic listing of the animals of the group. But it should be noted that this list is preceded by the general theory expounded in books XX and XXI, that accentuates the relationships between the material and formal constitution of animata to the whole cosmos and, in particular, to the heavenly virtues. Together with the Liber de Causis, De animalibus has been considered as one of Albert's most neoplatonic texts45. Albert expressly affirms that the list of animals is useful "ut et naturae animalium melius sciantur, cum in speciali et per nomen cuiuslibet animalis natura describitur"46. Like in De mineralibus and De vegetabilibus, it seems he considered necessary to go into the investigation of particular natures47. It is well known that Albert drew upon Thomas of Cantimpre's De natura rerum to write his dictionary of animals48. What kind of textual strategies did he use to incorporate Thomas's encyclopedia as the last part of De animalibusl The most significant is that he eliminates the allegorical interpretations that constituted an essential part of De natura rerum. Besides, he postulates his own assessment of the sources, on occasion criticizes passages on fabulous beasts on the grounds of experimenta or observations and also adds causal explanations49. Albert's criticisms of some of the passages taken from Thomas (or from other sources) deserve closer examination. Some of them are made adducing that the corresponding phenomenon has not been corroborated by Albert's personal observations or testing. For example, he famously denies the long-held belief that the barliates (barnacles) are generated from trees because "ego et multi mecum de sociis vidimus eas et coire et ovare"50. A somewhat different kind of criticism raised by Albert rests on what is, in fact, an assessment of the degree of the auctoritas of the source. With respect to the harpy, for example, he says that "quidam non magnae auctoritatis viri, quorum dicta
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ALBERTUS Magnus: De animal., 1.1, tr. 1, c. 1, n. 8: [note 6], p. 3. PAGNONI-STURLESE, Maria R.: A propos du néoplatonisme d'Albert le Grand. Aventures et mésaventures de quelques textes d'Albert dans le Commentaire sur Proclus de Berthold de Moosburg. In: Archives de Philosophie 43 (1980), p. 635-654, here p. 637. ALBERTUS Magnus: De animal., 1.1, tr. 1, c. 1, n. 9: [note 6], p. 4. Op. cit., 1. XI, tr. l , c . l , n . 7: p. 763. Cf. AIKEN, Pauline: The Animal History of Albertus Magnus and Thomas of Cantimpré. In: Speculum 22(1947), p. 205-225. Cf. ASÚA [note 1], p. 19-25. ALBERTUS Magnus: De animal., 1. XXIII, tr. 1, c. 31, n. 31: [note 6], p. 1446.
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non sunt experta, dicunt esse avem rapacem"51. As to the affirmation that a certain genus of basilisk could fly, he just says that this has not been reported "in libris sapientum philosophorum"52. Finally, there are places in which Albert flatly denies the story told by his source, as in the case of the fight of the dragon with the elephant ("sed hoc puto esse fabulosum")53. An example will illustrate how Albert completes the factual information taken from Thomas with causal explanations. De natura rerum affirms that the caladrius can be used to prognosticate the outcome of sickness. The caladrius should be taken into the presence of the sick individual: if the bird averts its sight from the patient, it means that he or she will die; if the caladrius looks intently into the face of the person, it means that he or she will be cured, because the bird has taken the sickness into him; when the bird flies into the sky, the sickness is dissolved and purified and the patient reestablished54. Albert explains this account in terms of the materia infirmitatis: the bird looks into the sick person because it is attracted by the odor of the evaporated matter that is supposedly causing the illness, which is then dispelled by the air during the flight of the bird. If the caladrius avoids the patient, it is because the materia infirmitatis is so compacted that its odor cannot spread around (the explanation presupposes that in cases of severe illness the materia is solidified, but it becomes subtle and vaporous when the sickness subsides)55.
Discussion Why, then, did Albert include alphabetical lists of natural beings in each of the works? In De mineralibus, he justifies the alphabetical order alleging that he is following the order in which physicians describe the simples56. In De vegetabilibus Albert says that "magis satisfacimus curiositati studentium quam philosophiae: de particularibus enim etiam philosophia esse non poterit"57. In De animalibus, Albert explains that he will use the alphabetical order because he has to take into account the variety of his audience, a part of which is unlearned. He adds that much quoted expression that this method is "non proprium phylosophiae eo quod in eo saepe eadem reiterare oportet"58. Thus, if we give credit to his own manifestations on the subject, Albert's purpose of incorporating the material taken from lapidaries, herbals and encyclopedias was connected with
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Loc. cit., c. 9, n. 19: p. 1439. Loc. cit., 1. X X V , c. 2, n. 19: p. 1562. Loc. cit., 1. XXII, tr. 2, c. 1, n. 50: p. 1376. THOMAS Cantimpratensis: De natura rerum, 1. V, c. 24: ed. Helmut Boese. Berlin-New York 1973, p. 187. ALBERTOS Magnus: De animal., I. XXIII, tr. 1, c. 31, n. 31: [note 6], p. 1446. Miner., 1. II, tr. 2, c. 1: Ed. Paris, t. 5, p. 30a. De veget., 1. VI, tr. 1, c. I: Ed. Paris, t. 10, p. 159b. De animal., 1. XXII, tr. 1, c. 1, n. 1: [note 6 ] , p. 1349.
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his teaching functions in the studium, where the students were seemingly eager to hear about those things and some of them were not as sophisticated as to prefer the more demanding discourse of proper philosophy. French and Cunningham have explored the important role played by knowledge about the natural world in general and about the nature of things in particular in the activity of the Dominican order during the 13th century, which gives credibility to the idea that teacher and students could well have shared a common interest59. In De animalibus Albert certainly drew upon the chapters on animals in Thomas of Cantimpre's De natura rerum; he could have also used Thomas' lapidary (or a common source) for his De mineralibus and there are parallels between the herbals in both works. Albert's use of a work by a former student and fellow Dominican seems an instance of an standard practice of collaborative effort among the members of the order60. But Albert's motivation for the use of alphabetic sequences of minerals, plants and animals seems to be related not only to the requirements of his teaching practice, but also to his particular conception of science (this concerns our second question). On the one hand, Albert's adhesion to the Aristotelian notion that scientia must necessarily start from common principles is not only a topos repeated once and again throughout his books on natural philosophy, but also constitutes the principle of organization of the plan of exposition in De mineralibus and De vegetabilibus61. On the other hand, the texts explored so far have shown us that almost as frequent as Albert's affirmations of his belief in the deductive structure of science are his claims about the necessity of knowing particulars and using the way from effects to causes and to proceed per experimentum to reach knowledge of a given particular nature. Taken as a whole, his statements on this issue look somewhat puzzling. The contrast between a deductive conception of science and the exigency of the knowledge of particulars could be explained as follows: Albert insists on the knowledge of particular things because he is highlighting the empirical side of Aristotelian natural science, that which proceeds from the observed world to the principles, the via inveniendi of his philosophy of science— that is, if I understood him correctly, Ashley's solution62. If we follow Jordan's commentary on the fist treatise of Albert's first book of the Physics, it seems clear that, while chapter 5 discusses the deductive, finished state of natural science, chapter 6 is concerned with the way in which we proceed from those things that are more evident to us to the things more evident to nature, which are "speciales causae efficientes, et ele-
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Cf. FRENCH, Roger / CUNNINGHAM, Andrew: Before Science. The Invention of the Friar's Natural Philosophy. Aldershot 1996, p. 182. Cf. CONGAR, Yves: "In dulcedine societatis quaerere veritatem". Notes sur le travail en équipe chez S. Albert et chez les Prêcheurs au XIIIe siècle". In: MEYER / ZIMMERMANN [note 26], p. 47-57. Cf. ALBERTUS Magnus: Phys, 1. I, tr. 1, c. 5: Ed. Colon, t. 4,1, p. 8, 26-31. Cf. ARISTOTELES: Phys. I, 1: 184a 10-15. Cf. ASHLEY [note 3], p. 80-81, 87-88.
Minerals, Plants and Animals from A to Z
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menta, quae sunt speciales forma et materia, quae ingreduntur in esse rei specialis"63. Köhler offers an interpretation that goes beyond that. After a close analysis of book XI of De animalibus, he claims that Albert - at least for what concerns the science of animals - is postulating that knowledge of particulars is not only the point of departure for reaching universal knowledge of principles, but is also worth in its own terms, being characterized by a lesser degree of certainty than deductive knowledge and exhibiting a two-step structure consisting in going from the description of a state of affairs to its causal explanation 64 . A part of the methodological statements culled from De mineralibus and De vegetabilibus and Albert's claim distinguishing the proper way to conduct an inquiry into the three books dealing with particular beings (to proceed from effects to natures and thence to the causes thereof) from the way used in the preceding books, suggests that Albert's idea about a science of particulars - as analyzed by Köhler could have been operative, if not totally explicit, during the writing of the whole last part of his philosophia naturalis,65. In any case, his praxis testifies at least to an interest in the study of the particular natures of sublunary beings: the incorporation of a lapidary, a herbal and a dictionary of animals in the commentaries allowed him to incorporate into his work a wealth of empirical knowledge and to give free rein to his inclination toward the observation of nature. Finally, our last question: what were the theoretical strategies Albert used to build a unitary discourse out of so different genres of writing? Albert handled his sources using a fourfold strategy: (1) He sought to distinguish his own intentio (natural philosophical) from the literary genre of his sources (medical, encyclopedic), incorporating in De vegetabilibus only a part of the recipes found in the herbals and eliminating the allegorical interpretations from the texts of De natura rerum used in the dictionary of animals. (2) He reworked his sources and, on occasion, supplemented the narrationes with causal explanations when possible, thus adapting his materials to his commentaries, conceived as a search for causes. (3) He took care to distinguish between his own experiences and the various shades of auctoritates, holding implicitly a theory about the different degrees of belief that should be granted to an empirical statement.
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ALBERTUS Magnus: Phys., 1.1, tr. 1, c. 6: Ed. Colon, t. 4,1, p. 10, 8-11. Cf. JORDAN, Mark D.: Albert the Great and the Hierarchy of Sciences. In: Faith and Philosophy 9 (1992), p. 483-499, here p. 485-488. ••
Cf. KOHLER, Theodor W.: Wissenschaftliche Annäherung an das Individuelle im 13. Jahrhundert. Der Einfluß von „De animalibus" des Aristoteles. In: AERTSEN, Jan A. / SPEER, Andreas (eds.): Individuum und Individualität im Mittelalter. Berlin-New York 1996 (Miscellanea Mediaevalia, 24); idem: „Processus narrativus". Zur Entwicklung des Wissenschaftskonzepts in der Hochscholastik. In: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 39 (1994), p. 109-127. ALBERTUS Magnus: Miner., 1.1, tr. 1, c. 1: Ed. Paris, t. 5, p. 2b.
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MIGUEL DE ASÙA
(4) Through the first and last chapter of the herbal and books XX and XXI of De animalibus, he integrated the catalogues of live species within a hierarchical order of the cosmos with neoplatonic echoes. Summarizing, it would seem that Albert's incorporation of a herbal, a lapidary and a dictionary of animals in his Aristotelian commentaries was stimulated and made possible by the actual circumstances of his teaching practice and the interests of the Dominicans in the study of the nature of things. But it also found justification in Albert's conception of the last part of philosophia naturalis as a distinctive part of natural science, grounded on a natural philosophical theory of the levels of organization of matter and form and on an epistemological conception of the science of particular natural beings, which stressed the way from effects to causes and the empirical acquisition of knowledge per experimentum. The incorporation of texts with an alphabetic principle of organization into a commentary posed problems that Albert strove to solve through the use of various textual and conceptual devices that aimed at the unity of discourse. It is to hope that this brief considerations might suggest new ways to explore the role played by Albert's virtual inventory of the natural world within the process of introduction of empirical, Aristotelian scientia into the West.
AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI, L a u s a n n e
Le Spéculum Astronomiae. Enquête sur les manuscrits La paternité du Spéculum Astronomiae1 a été récemment l'objet d'une importante étude de la part de Paola Zambelli2, qui avait déjà dirigé l'équipe qui a publié la première édition critique de cette œuvre célèbre en 19773. Tout en considérant que la paternité du Spéculum Astronomiae constitue une énigme, mot qui figure dans le titre même de son ouvrage, Paola Zambelli arrive à la conclusion que l'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand doit être maintenue. Tout en proposant de maintenir l'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand, Paola Zambelli s'est en outre demandée si l'auteur n'avait pas composé son œuvre en collaboration avec le groupe d'hommes de science qui ont vécu à la cour des papes dans les années 1260, avant tout avec l'astronome et mathématicien Campanus de Novare4.
Les raisons de l'enquête Le problème d'une éventuelle collaboration entre Albert le Grand et Campanus de Novare (et d'autres hommes de science qui ont vécu à la cour des papes dans les années 1260) ne pouvait pas ne pas retenir mon attention, à cause de l'intérêt que je porte depuis longtemps au mouvement scientifique romain du XlIIe siècle5. Cette thèse consti-
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Les pages qui suivent présentent un bref résumé d'une plus ample recherche qui sera publiée dans la collection 'Micrologus' Library' (Firenze, Sismel-Edizioni del Galluzzo, 2001), sous le titre : Le Speculum Astronomiae, une énigme ? Enquête sur les manuscrits. Pour des raisons de commodité, et parce qu'il s'agit du titre le plus connu, j'ai choisi d'utiliser le titre Speculum Astronomiae pour me référer au texte qui est au centre de cette enquête, ce qui ne signifie en aucune façon que je considère ce titre comme étant l'original. ZAMBELLI, Paola: The Speculum Astronomiae and it's Enigma. Astrology, Theology and Science in Albertus Magnus and His Contemporaries. Dordrecht [e.a.] 1997 (Boston Studies in the philosophy of science, 135). ALBERTUS Magnus (Alberto Magno): Speculum Astronomiae. Edizione a cura di Stefano CAROTI, [e.a.], sotto la direzione di Paola ZAMBELLI. Pisa 1977 (Domus Galilaeana, Quaderni di storia e critica della scienza, n.s., 10). Cité par la suite: Speculum astronomiae. Campanus of Novara and Medieval Planetary Theory. Theorica Planetarum, ed. with intr., engl. translation and commentary by Francis S. BENJAMIN / Gerald J. TOOMER. Madison Wis. 1971.
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tue une proposition si neuve au sein d'une recherche érudite qui dure désormais depuis un siècle, autour de la paternité du Spéculum Astronomiae, qu'elle ne pouvait pas ne pas susciter une discussion, du moins sur le plan textuel et chronologique. Une autre raison encore m'a incité à m'intéresser de près à l'histoire de la paternité du Spéculum Astronomiae. Paola Zambelli, en réexaminant l'ancienne question de la paternité du Spéculum Astronomiae, confie le soin de mettre sur pied l'analyse codicologique à qui, à l'avenir, aura la charge de préparer une nouvelle édition critique de cette œuvre. Il s'agit d'une proposition méthodologique qui doit être discutée. S'il est vrai que toute édition critique doit affronter l'histoire de la paternité de l'œuvre, il est vrai aussi que la récolte et l'analyse des éléments codicologiques qui concernent au premier abord l'histoire du titre de l'œuvre et/ou des différentes attributions à un ou à plusieurs auteurs, peuvent, et souvent doivent, être envisagées indépendamment d'une édition critique. Surtout, pouvons-nous vraiment progresser dans la discussion de la paternité du Spéculum Astronomiae, sans disposer d'informations précises et de première main en ce qui concerne les titres et les attributions qui figurent dans les manuscrits ? A première vue, cette question peut paraître oisive, étant donné que la recherche érudite autour de la paternité du Spéculum Astronomiae est plus que centenaire. Le problème est que l'histoire de la paternité de ce célèbre traité ne s'appuie pas sur un fondement codicologique solide. Le catalogue des manuscrits du Spéculum Astronomiae qui accompagne l'édition critique de 1977 peut être considéré comme une tentative louable, ne serait-ce que parce qu'il signale toujours l'ensemble du contenu du manuscrit. Il ne peut toutefois pas satisfaire aux exigences méthodologiques d'une enquête qui se veut codicologique. Les auteurs de ce catalogue, lorsqu'ils nous donnent des informations sur le titre du Spéculum Astronomiae ne précisent pas, de manière systématique, si le titre et/ou le nom de l'auteur sont de la main du copiste du Spéculum Astronomiae ; n'indiquent pas où le titre et le nom de l'auteur ont été écrits : avant (et/ou dans Yincipit) le texte du Spéculum Astronomiae ou seulement après (et/ou dans Yexplicit) ; ne signalent pas toujours s'il s'agit de titres ajoutés et/ou de titres qui proviennent d'un index et n'indiquent à ce propos que peu d'éléments de datation ; ils transcrivent souvent dans leur notice des titres qui ne figurent pas comme tels dans les manuscrits mais proviennent, lorsqu'on arrive à les identifier, de catalogues modernes de manuscrits ou d'autres sources érudites. Pour toutes ces raisons, le catalogue de 1977 ne peut constituer un point de départ satisfaisant pour une histoire du titre du Spéculum Astronomiae et de son attribution à Albert le Grand.
PARAVICINI BAGLIANI, Agostino : Medicina Duecento.
e scienze
Spoleto 1991 (Biblioteca di Medioevo latino, 4).
della natura alla corte dei papi
nel
Le Speculum Astronomiae
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L'enquête sur les manuscrits : objectifs et démarches Pour tenter de fournir à cette histoire une base codicologique plus sûre, il a fallu donc commencer ab initio, c'est-à-dire recueillir des informations de première main sur le titre et le nom de l'auteur. C'est à quoi s'est employée notre enquête codicologique, dont les objectifs prioritaires consistaient à vérifier - si le texte du Spéculum Astronomiae est introduit par un titre ou par un nom d'auteur ou si le texte a été copié sans aucun titre et/ou sans aucun nom d'auteur ; - si le titre et/ou le nom de l'auteur sont de la main du copiste du Spéculum Astronomiae ou s'il s'agit d'ajouts, contemporains ou postérieurs ; - si le titre et/ou le nom de l'auteur ont été écrits par la main du copiste seulement au début (et/ou dans l'incipit) ou seulement à la fin (et/ou dans Yexplicit) du texte, ou aussi bien au début qu'à la fin du texte. La très grande majorité des manuscrits du Spéculum Astronomiae avait déjà été répertoriée par les auteurs du catalogue de 1977. Ce catalogue comprenait 52 manuscrits. Un manuscrit conservé à Londres a été signalé pour la première fois par Loris Sturlese 6 . Au cours de nos recherches, nous avons pu identifier sept nouveaux manuscrits, ce qui porte à 60 le nombre des manuscrits du Spéculum Astronomiae aujourd'hui connus. L'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand étant très ancienne, il fallait, en parcourant l'ensemble de la tradition manuscrite, accorder une attention particulière à la présence, dans ces manuscrits, d'oeuvres d'Albert le Grand. Il ne s'agissait pas d'offrir un tableau complet du contexte codicologique de la tradition manuscrite du Spéculum Astronomiae, mais de vérifier si la présence d'œuvres d'Albert le Grand dans un manuscrit déterminé a pu influencer l'attribution de paternité du Spéculum Astronomiae. Une attention analogue, et pour les mêmes raisons, a été réservée à la présence, dans les manuscrits du Spéculum Astronomiae, des œuvres de Campanus de Novare. L'enquête comporte finalement trois parties : la première comprend le catalogue des manuscrits et présente l'ensemble des données codicologiques intéressant l'histoire du titre et de son attribution à Albert le Grand ou à d'autres auteurs ; dans la deuxième, les résultats de l'enquête codicologique sont comparés avec les informations, concernant les titres et/ou les attributions, qui proviennent de l'extérieur des manuscrits, notamment de la tradition littéraire. Le nom de Campanus de Novare, comme éventuel collaborateur d'Albert le Grand, faisant partie désormais de l'historiographie intéressant le Spéculum Astronomiae, il était important de lui accorder une attention toute particulière. C'est ce que nous avons fait dans la troisième partie.
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London, British Meteorological Association, Institution of Electrical Engineers, Collection, 5.
Thompson
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Pour l'enquête codicologique il nous a apparu essentiel de garder séparés, dans toutes les étapes de l'analyse, les titres écrits par la main du copiste des titres ajoutés. Ces deux typologies ont une histoire différente, de sorte que les titres correspondants doivent être examinés indépendamment les uns des autres, avant de pouvoir les confronter et en tirer des informations générales. Ce qui importe, c'est d'avoir un fondement codicologique sûr et précis, permettant de mettre sur pied une vraie histoire du titre et des attributions. Titres et attributions doivent pouvoir être étudiés sur la base de leur contenu textuel, afin de tenter de reconstituer, le cas échéant, leur genèse et leur évolution. Grâce aux informations codicologiques recueillies, trois groupes distincts de manuscrits ont émergé : - le groupe A réunit les manuscrits dans lesquels le texte du Spéculum Astronomiae a été copié, par la main du copiste, sous forme anonyme et sans aucun titre ; - dans les manuscrits du groupe B, le Spéculum Astronomiae est accompagné d'un titre ou d'un nom d'auteur, écrits par la main du copiste, seulement au début ou à la fin du texte ; - dans les manuscrits du groupe C, enfin, le Spéculum Astronomiae est accompagné d'un titre et/ou d'un nom d'auteur, écrits de la main du copiste, aussi bien au début qu'à la fin du texte.
Quelques résultats Il est impossible dans ces quelques pages de donner en résumé l'ensemble des résultats d'une recherche qui s'est avérée plus ample et complexe que nous n'avions pensé au départ. Il nous semble toutefois que certaines données méritent d'être signalées ici. 1. Avoir distingué les soixante manuscrits du Spéculum Astronomiae en trois groupes - A, B, C - a permis de dégager un groupe de manuscrits qui occupera à coup sûr une place très importante dans l'histoire de la paternité de ce texte : le groupe A réunit en effet les quinze manuscrits (un quart du total), dans lesquels le Spéculum Astronomiae ne comporte ni titre ni attribution à un auteur (de la main du copiste). Le fait que parmi les quinze manuscrits du groupe A figurent tous les (huit) manuscrits antérieurs au milieu du XlVe siècle (à l'exception d'un seul7) est un résultat qui pèsera lourd sur la possibilité de maintenir l'attribution à Albert le Grand. Ceci d'autant plus que même ce manuscrit, qui est donc le plus ancien manuscrit du groupe B, contient un explicit qui offre un titre, mais aucune attribution à un auteur.
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München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8001.
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A cela s'ajoute que dans deux des manuscrits les plus anciens, du groupe A et du groupe B, des notes ajoutées, l'une de la fin du XlIIe siècle, l'autre du début du XlVe siècle, attribuent le Spéculum Astronomiae, non pas à Albert le Grand, mais, respectivement, à Thomas d'Aquin et à Philippe le Chancelier 8 . Ce qui précède met en lumière deux éléments qui ne pourront pas être passés sous silence: - aucun manuscrit antérieur au milieu du XlVe siècle (ou, si l'on veut, au plus tôt à 13399) ne présente une attribution à Albert le Grand ; - les deux plus anciennes attributions à un auteur autre qu'Albert le Grand sont antérieures à la première apparition, dans un manuscrit, de l'attribution du Spéculum Astronomiae au savant dominicain de Cologne. 2. L'existence d'un nombre si important de manuscrits anciens, appartenant au groupe A, coïncide parfaitement avec le fait que, dans le prologue du Spéculum Astronomiae, l'auteur a voulu dissimuler son identité. Il s'agit d'un fait majeur : la correspondance entre ces deux faits permet en effet d'émettre l'hypothèse selon laquelle le Spéculum Astronomiae est né (volontairement) anonyme et sans titre. 3. L'existence, dans le groupe B, d'un nombre élevé de manuscrits, dans lesquels le titre et/ou l'attribution ont été écrits par la main du copiste après le texte (surtout dans Vexplicit), est un fait qui suggère l'hypothèse selon laquelle, à l'époque de sa rédaction, le Spéculum Astronomiae ne comportait pas d'incipit, et le traité était par conséquent anonyme et sans titre. Cela semble être confirmé par le fait que le titre le plus ancien dans un manuscrit 10 , qui est du reste de la fin du XlIIe siècle, se trouve à la fin du texte, est calqué sur le titre du dernier chapitre et ne comporte aucun nom d'auteur. 4. Le fait que l'attribution à Albert le Grand figure pour la première fois dans un manuscrit qui appartient, au plus tôt, à la dernière décennie de la première moitié du XlVe siècle", est confirmé par la tradition littéraire : aucun auteur n'attribue le Spéculum Astronomiae à Albert le Grand avant Guglielmo de Pastrengo (1290 ca-1362), dont l'œuvre De originibus rerum libellus, in quo agitur de scripturis virorum insignium est postérieure à 134612. Quant à Pierre d'Abano 13 et à Taddeo Alderotti de Parme 14 , ils ont
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München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8001; Oxford, Bodleian Library, Ms. Digby 228. Voir note 12. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 8001. Bernkastel-Kues, St. Nikolaus-Hospital, Cod. Cus. 209. CIPOLLA, Carlo : «Attorno a Giovanni Mansionario e a Guglielmo da Pastrengo». In : Miscellanea Ceriani, Milano 1910, p. 743-88, ici p. 784, n° 65. Cipolla a trouvé ce passage dans deux manuscrits de la Biblioteca Apostolica Vaticana: le Vat. lat. 5271, fol. 2-5r, et l'Ottobonianus lat. 92, fol. lv-33, qu'il faut préférer au ms. Venezia, Marcianus lat. X, 51, utilisé par l'éditeur du XVIe siècle, qui avait laissé tomber beaucoup de passages, notamment celui qui concerne le
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AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI
v r a i s e m b l a b l e m e n t été i n f l u e n c é s par le Spéculum Astronomiae, m a i s leurs œ u v r e s ne c o n t i e n n e n t a u c u n e référence précise à c e texte. Ils n e sont d o n c pas d e s t é m o i n s direct e s d e l'histoire d u titre et de l'attribution d u Spéculum Astronomiae à Albert le Grand. L a c h r o n o l o g i e et le c o n t e n u d e s t é m o i g n a g e s littéraires, postérieurs à celui de G u i l l a u m e d e Pastrengo, correspondent parfaitement à c e que n o u s a appris l ' e n q u ê t e c o d i c o l o g i q u e : N i c o l a s d ' O r e s m e 1 5 , Pierre d ' A i l l y 1 6 et Jean G e r s o n 1 7 parlent d ' A l b e r t le Grand, en relation a v e c le Spéculum Astronomiae, q u ' i l s citent parfois, dans l e s a n n é e s o ù la tradition manuscrite o f f r e de plus en plus d ' e x e m p l e s d e titres et d'attributions d e c e g e n r e . L e s titres cités par Pierre d ' A i l l y et Jean G e r s o n s e retrouvent d a n s l e s m a n u s crits de cette é p o q u e . Grâce au prestige de leurs œ u v r e s , N i c o l a s d ' O r e s m e , Pierre d ' A i l l y et Jean G e r s o n ont sans aucun doute contribué à c o n f i r m e r et à généraliser l'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand; o n peut m ê m e p e n s e r q u e l ' u s a g e , s o m m e toute p r é c o c e , q u ' i l s font du titre Spéculum
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ait servi é g a l e m e n t à s a
Speculum Astronomiae. Sur la question v. ZAMBELLI (n. 2), pp. 113 s. A propos de Guillelmus de Pastrengo, on consultera toujours avec profit, SABBADINI, Paolo: Le scoperte dei codici latini e greci ne ' secoli XIV e XV, Firenze 2 1967, vol. I, cap. I : pp. 4-20. PETRUS de Abano : Lucidator dubitabilium astronomiae, cf. ZAMBELLI (n. 2) : p. 116. Deux autres œuvres de cette période auraient subi l'influence du Speculum Astronomiae, la Chyromantia, un traité pseudo-aristotélicien composé peu après 1280 (cf. ZAMBELLI, ibid., p. 115), éditée par PACK, Roger A. : « Pseudo-Aristoteles: Chiromantia ». In : Archives d'histoire doctrinale et littéraire du Moyen Age 39 (1972), pp. 289-320; et la Philosophia, attribuée à OLIVERIUS Brito (cf. ZAMBELLI, ibid., p. 115). THADDEUS Alderotti de Parma : Expositio theoriae planetarum Gerardi Cremonensis. NICOLAUS Oresme (Maistre Nicole Oresme) : Le livre de Ethiques d'Aristote : pubi, from the Text of MS: 2902, Bibliothèque Royale de Belgique, with a critical introduction and notes by Albert D. MENUT, New York 1940, 405 ; CAROTI, Stefano : La critica contro l'astrologia di Nicole Oresme. Roma 1979 (Memorie dell'Accademia Nazionale dei Lincei, Classe di Scienze morali storiche e filologiche, série Vili, XXIII, 6), p. 562; cf. ZAMBELLI (n. 2), p. 117. PETRUS de Alliaco : Apologetica defensio astronomice veritatis, in idem : De Ymagine mundi, s. 1. ed. [ca 1480]; cit. CAROTI (n. 15), p. 639. PETRUS de Alliaco : Vigintiloquium de concordantia astronomicae veritatis cum theologia, in idem : De Ymagine mundi, s. 1. ed. [ca 1480], fol. 3, ad verbum 3; cit. ZAMBELLI (n. 2), p. 118 et p. 198, n. 36. Dans son Elucidarius astronomicae concordiae cum theologia et hystorica narratione, c. 2, Pierre d'Ailly affirme qu' « Albert le Grand s'est trompé dans son Speculum » : PETRUS de Alliaco : Elucidarius, fol. 3ra, verbum 3um, in idem : De Ymagine mundi, s. 1. ed. [ca 1480], caput 2:... « Albertus is mistaken in his Speculum » ; cf. ZAMBELLI (n. 2), p. 198, n. 30. JOHANNES (Jean) Gerson: Œuvres complètes, éd. Palémon Glorieux, vol. II. Paris 1960, p. 221 (d'après Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. lat. 2692, fol. 147v; cf. THORNDIKE, Lynn: A History of Magic and Experimental Science, vol. IV. New York 1934, p. 112, avec le titre: Apologia defensiva astronomiae ad magistrum Johannem cancellerium parisiensem): JO[H]ANNES Gerson: Opera omnia, éd. Louis-E. Dupin, t. I. Hagae 2 1728, p. 201, propositio III : cit. CAROTI (n. 15), p. 650, n. 26; ZAMBELLI (n. 2), p. 198, n. 40.
Le Speculum
Astronomiae
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diffusion. Leurs témoignages n'innovent cependant pas par rapport à la tradition manuscrite. Considérer, comme le fait Paola Zambelli, que la tradition littéraire relative à l'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand « est unanime », de Pierre d'Abano à Campanella et Naudé, à la seule exception de Pic de la Mirandole 18 , ne permet pas de mettre l'accent sur le fait que la première attestation certaine (Guillaume de Pastrengo) ne date que du milieu du XlVe siècle et que les données provenant des autres témoignages (Nicole Oresme, Pierre d'Ailly, Jean Gerson) ne contiennent aucun élément nouveau par rapport à ce que nous apprend la tradition manuscrite. 5. Si aucun manuscrit n'attribue le Spéculum Astronomiae à Albert le Grand avant le milieu du XlVe siècle 19 , deux sources extérieures le font. Il s'agit du catalogue thématique de la grande librairie de la Sorbonne et du catalogue dit de Stams. La difficulté à dater ces deux textes ne permet pas de remonter, ni à 1297 pour le catalogue de la Sorbonne 20 , ainsi que l'avait suggéré Paola Zambelli 21 , ni au tout début du XlVe siècle pour la source du catalogue dit de Stams. Pour ce dernier, les différentes tentatives de remonter au tout début du XIVe siècle ne s'appuient que sur des hypothèses, qui portent bien davantage sur la naisssance même d'un tel catalogue que sur tel ou tel aspect de son contenu. En ce qui concerne le catalogue thématique de la grande librairie de la Sorbonne et la source du catalogue dit de Stams, une datation vers les décennies centrales de la première moitié du XlVe siècle n'est en tout cas pas moins invraisemblable que celle qui anticiperait le tout au début du XlVe siècle. 6. Le catalogue de la Sorbonne et la source du catalogue dit de Stams renvoient à Paris, un lieu vers lequel nous conduit également le manuscrit le plus ancien contenant l'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand. Même le témoignage de Guillaume de Pastrengo, dont le séjour à Avignon et l'amitié avec Pétrarque sont bien attestés, reflète peut-être des contacts intellectuels d'origine française. Si ces éléments ont une quelconque validité, l'hypothèse selon laquelle la ville de Paris (université, couvent de Saint-Jacques) pourrait avoir été le lieu où l'attribution à
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IOANNES Pico della Mirandola: Disputationes adversus astrologiam divinatricem, éd. Eugenio Garin, vol. I. Firenze 1946, pp. 64-67; cf. ZAMBELLI (n. 2), p. 19 et p. 136, n. 26. Plus en avant dans son traité, après avoir parlé de Roger Bacon, Pic se réfère à Albert le Grand, mais cite l'ouvrage en question avec le titre générique à'opusculum : « qua temeritate vel ignorantia Eboracensis cuiusdam opusculum multi referunt ad Albertum » ; cf. ZAMBELLI (n. 2), p. 19 et p. 136, n. 26. Voir note 12. DELISLE, Léopold : Le Cabinet des manuscrits de la Bibliothèque impériale, vol. III. Paris 1881, p. 90. ZAMBELLI (n. 2), p. 194, n. 9 : « L. Delisle, Le Cabinet cit., II (il s'agit en fait du vol. III), p. 90, published a catalog of 1297 where we already find the attribution to Albert ».
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Albert le Grand a pris naissance, dans les décennies centrales de la première partie du XlVe siècle, n'est donc pas dénuée de tout fondement. Nous aurions même là le terminus a quo pour l'histoire de la paternité albertinienne du Spéculum Astronomiae, puisque deux manuscrits du groupe A nous permettent de supposer que ni le titre ni l'attribution du Spéculum Astronomiae à Albert le Grand ne circulaient pas encore à Paris et au sein de l'ordre dominicain avant 1300. Faudra-t-il donc se tourner vers la Paris des années 1320-1330 pour comprendre pourquoi le Spéculum Astronomiae a été attribué à Albert le Grand ? A ce titre, il est en tout cas intéressant de rappeler que le catalogue thématique de la grande librairie de la Sorbonne et le catalogue dit de Stams présentent des titres qui sont bien plus polémiques que le titre nomina librorum astronomiae, attesté pour la première fois dans un manuscrit de la fin du XHIe siècle. Cela pourrait signifier que l'attribution du Spéculum Astronomiae est née dans un contexte culturel de défense de l'astrologie et de l'image d'Albert le Grand, et non au sein même de la tradition manuscrite. Dans cette perspective, il était juste d'analyser séparément les titres figurant dans les manuscrits de ceux provenant des autres sources. En conclusion, dans la perspective de notre enquête, ce qu'il importe de retenir, c'est que les raisons qui expliquent l'attribution à Albert le Grand deviennent compréhensibles, si on se place à l'époque de leur premières apparitions et si on les étudie dans le cadre de la naissance de la légende d'Albert le Grand ; cette attribution rencontre par contre de très sérieux obstacles - codicologiques et textuels - si l'on se reporte à l'époque de la rédaction (années centrales du XlIIe siècle) du Spéculum Astronomiae, aucun indice, ni codicologique ni textuel, n'étant en faveur d'Albert le Grand avant les décennies centrales du XlVe siècle.
La collaboration entre Albert le Grand et Campanus de Novare Selon la thèse de Paola Zambelli22, Albert le Grand aurait écrit le Spéculum Astronomiae en collaboration avec l'astronome de Novare, et subsidiairement, avec d'autres hommes de science qui ont vécu à la cour des papes dans les années 1260. Le travail en équipe est une notion (trop) moderne. Elle a cependant une certaine valeur dans le contexte qui nous intéresse. Au fond, la notice du manuscrit Ashmolean 424 va dans le même sens, puisqu'elle renvoie aux liens intellectuels existant, de manière très étroite, entre trois savants : Campanus de Novare, Witelo et Guillaume de Moerbeke. 23 Ces trois « hommes de science » ont effectivement vécu ensemble à la
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Voir note 21. PARAVICINI BAGLIANI (n. 5), p. 166.
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cour pontificale 24 , en tout cas sous le pontificat du pape Jean XXI, Pierre d'Espagne : le 7 février 1277, Witelo est présent à la rédaction du troisième testament du cardinal Simone Paltanieri da Monselice, un document qui permet de dater de manière précise le séjour curial de Witelo. Nous savons par ailleurs que Witelo connaissait bien les travaux de Guillaume de Moerbeke sur la vision, puisqu'il en parle dans le prologue de sa Perspectiva, dédiée, justement, au savant dominicain. Campanus de Novare avait en tout cas suivi de près l'avancement des travaux de Simon de Gênes, dans le cadre de sa Clavis sanationis. Il le dit dans la lettre adressée à l'auteur de la Clavis. Des exemples de collaboration entre hommes de science, qui, pour une raison ou pour une autre, ont vécu à la cour des papes du XlIIe siècle, ont donc existé. Il est vrai, par contre, que nous ne connaissons aucun exemple d'œuvre écrite « en collaboration » au sein de ce cercle d'amis, partageant pourtant des intérêts communs pour les sciences de la nature et la médecine. La thèse de Paola Zambelli doit donc être largement nuancée, du moins en ce qui concerne sa formulation, d'autant plus qu'aucun indice textuel, venant du Spéculum Astronomiae lui-même, ne soutient l'idée que son auteur ait composé son ouvrage en collaborant étroitement avec d'autres savants. Au contraire, l'ensemble du texte est construit très fortement autour de la première personne ; et le fait même que l'auteur ait voulu dissimuler son identité, et son identité seule, constitue un élément textuel explicite qui contraste avec la thèse d'une collaboration, importante et suivie. Le problème majeur est cependant d'ordre chronologique et concerne la durée des séjours à la cour des papes des protagonistes eux-mêmes, Albert le Grand, Campanus de Novare et Guillaume de Moerbeke. Tout d'abord, les sources ne nous permettent pas de fixer avec exactitude la durée des deux séjours d'Albert le Grand à la Curie romaine 25 . Malgré des recherches de longue date, des zones d'ombre existent sur ce point de la biographie du savant dominicain. Albert le Grand arriva la première fois à la cour pontificale, qui séjournait à Anagni, au mois d'octobre 1256. C'était son premier voyage en Italie, où il demeura pendant neuf mois, jusqu'au chapitre général de l'ordre dominicain, qui se tint à Florence au mois de juin 1257. C'est à Anagni qu'Albert le Grand aurait rédigé le De fato, selon Yexplicit d'un des manuscrits. A l'occasion de ce séjour, Albert le Grand ne put rencontrer ni Campanus de Novare, ni Guillaume de Moerbeke. En 1261, sans doute avant le 25 mai, Albert repart pour l'Italie ; il veut soumettre sa résignation en tant qu'évêque de Ratisbonne au pape Alexandre IV. Le savant dominicain arrive en juillet à Viterbe, où il apprend que le pape était mort le mois précédent (25 mai 1261). Le nouveau pape Urbain IV - est élu le 20 août 1261. La résignation d'Albert le Grand est acceptée vers le mois de novembre de la même année. Combien de temps, Albert le Grand est-il resté
24 25
Pour toutes ces informations, v. PARAVICINI BAGLIANI (n. 5), passim. Voir surtout SCHEEBEN, Heribert C.: Albert der Grosse: zur Chronologie seines Lebens. Vechta i.O. 1931 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 27); WEISHEIPL, James A.: «The Life and Works of St. Albert the Great». In : idem (Ed.): Albertus Magnus and the Sciences : Commemorative Essays. Toronto 1980, pp. 13-52.
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AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI
à la cour pontificale ? Nous ne le savons pas ; et les hypothèses selon lesquelles il aurait vécu à Viterbe d'août 1261 à l'automne 1262 et à Orvieto d'automne 1262 au mois de février 1263 veulent tout simplement faire coïncider l'éventuel séjour en Italie d'Albert le Grand avec l'itinéraire de la cour pontificale dans ces années. On suppose en effet qu'Albert le Grand soit resté à la cour pontificale dès son arrivée en juillet 1261 jusqu'au 21 mars 1263, date à laquelle le pape Urbain IV le charge de prêcher la croisade en Allemagne. A cette date, Albert le Grand est sans doute à la Curie romaine, mais selon Heribert Christian Scheeben lui-même, la question de savoir si Albert est resté à la cour pontificale depuis son arrivée, en juillet 1261, jusqu'aux premiers mois de 1263, demeure malheureusement sans réponse 6. Albert le Grand a-t-il pu rencontrer Campanus de Novare et Guillaume de Moerbeke à la cour pontificale? Pour ce dernier, la réponse ne peut être que négative : le séjour de Guillaume de Moerbeke à la cour pontificale est attesté pour la première fois le 22 novembre 1267, sous le pontificat du pape Clément IV. S'il est vrai que l'atmosphère culturelle de la cour d'Urbain IV, ainsi que la présence de Thomas d'Aquin, ont incité les biographes de Guillaume de Moerbeke à avancer à ce pontificat son arrivée à la cour pontificale, aucun indice d'ordre textuel ne permet de l'affirmer. En l'état de nos connaissances, le premier séjour curial de Guillaume de Moerbeke est attesté du 22 novembre 1267 jusqu'à son élection à l'archevêché de Corinthe, survenue le 27 novembre 1277. Des documents découverts récemment démontrent que Guillaume de Moerbeke agit comme légat pontifical à Pérouse dans les mois de janvier et de mars 1284. Nous ne savons pas si le savant dominicain flamand est reparti pour Corinthe, ou s'il a passé, plus vraisemblablement, les derniers mois de sa vie en Italie, auprès de la Curie romaine. Nous savons seulement que l'archevêque de Corinthe est donné comme bone memorie le 26 octobre 1286. 27
Quant à Campanus de Novare, les choses sont un peu plus compliquées . Nous avons vu qu'Albert le Grand a quitté la cour des papes au plus tard au début du mois
26
SCHEEBEN (n. 25), p. 69 : « Damit ist die Frage nicht beantwortet, ob Albert die Zeit vom Ende 1261 bis Anfang 1263 ununterbrochen in Italien weilte». WEISHEIPL (n. 15), p. 39, doit se contenter d'hypothèses, les remarques critiques de Scheeben gardant leur valeur (en l'absence d'indices textuels nouveaux): « Albert himself seems to have remained in the illustrious circle around Urban IV at Viterbo (August 1261 to autumn 1262) and at Orvieto (autumn 1262 to February 1263) by request of the pope (?); he was even allowed to draw up a last will and testament, depositing a copy in the papal archives ». L'hypothèse est introduite par le verbe « seems », mais le reste de la phrase fait croire qu'effectivement Albert le Grand a vécu pendant deux ans à la cour pontificale, « à la requête du pape » (!) et qu'il a même pu déposer son testament dans les archives pontificales. La base documentaire pour toutes ces dernières informations manque, et c'est la raison pour laquelle la durée du deuxième séjour curial d'Albert le Grand reste dans l'obscurité.
27
Cf. PARAVICINI BAGLIANI (n. 5), passim.
Le Spéculum
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d'avril 1263. Or, le premier document qui atteste la présence à la cour pontificale de Campanus de Novare est de l'extrême fin de la même année. Il s'agit d'une lettre du pape Urbain IV du 21 décembre 1263, dans laquelle le pape lui confert de novo l'église de Saujean, dans le diocèse d'Arles, qui lui avait été attribuée auparavant par le délégué de l'archevêque de Narbonne. Campanus porte à cette époque le titre de chapelain du cardinal Ottobono Fieschi. Quelques mois plus tard (16 mai 1264), Campanus fait partie de la chapelle du pape Urbain IV. L'appartenance à la familia du cardinal Ottobono Fieschi n'est donc attestée que pour quelques mois, mais la lecture des nombreux bénéfices ecclésiastiques en possession du mathématicien et astronome de Novare montre que la protection de la famille Fieschi ne lui a jamais manqué. Campanus de Novare a-t-il donc pu rencontrer (et collaborer) avec Albert le Grand à la cour des papes ? Nous ne saurions l'exclure, certes. Mais nous devons en même temps garder à l'esprit que les documents à notre disposition ne nous permettent pas d'affirmer que leurs séjours aient coïncidé, le premier ayant quitté la Curie romaine dans les premiers mois de 1261, le deuxième y séjournant, de manière certaine, seulement depuis la fin de la même année.
PAUL HOSSFELD, B o n n
Das zweite Buch der Meteora des Albertus Magnus Vorausgeschickt sei eine Bemerkung zu den alten Drucken von A. Borgnet (Paris = p ) aus dem Jahr 1890, von P. Jammy (Lyon 1651 = t) und des Frühdrucks (Venedig 1517/18 = v). Sie alle sind schlecht wie die nachfolgenden Variantenbeispiele von nur vier Kapiteln des ersten Traktats des zweiten Buchs der Meteora Alberts zeigen: p. p. p. p. p. p. p. p. p. p. p.
50 50 51 51
v. v. v. v.
3 vaporibus] corporibus edd. und p. 50 v. 37 gratia] genera lp 38 coloribus] om. edd. und p. 50 v. 41-43 sive ... alto] om. Ip 22 tarnen] non add. edd. und p. 51 v. 24 elevat] evolat v evocat l p 23 omnium] om. edd. \ et] sed edd. und p. 51 v. 33 concomitantes] cum qualitates v per qualitates / p 51 v. 57 compositi] oppositi edd. und p. 52 v. 40 ros] res v 52 v. 6 vapor roridus] vapor rotundus edd. und p. 52 v. 60 nubes] modum v l modum roris p 52 v. 9 praehabitis] physicis edd. 53 v. 32/33 aer per calidum inductus] aer per totum in duobus edd. 53 v. 35 ante] quando edd. 53 v. 46 granant] generaverunt vel generant edd. 53 v. 50/51 signum serenitatis] Signum edd.
Man dürfte schwerlich fehlgehen, wenn man behauptet, die Anzahl der groben Fehler dieser alten Drucke sei mehr als 1.200 für den gesamten Text. Der kritisch erstellte Text von Alberts Meteora in der Reihe der Editio Coloniensis, Band 6,1, der gerade seine zweite Korrektur durchläuft, beruht auf acht ausgewählten Handschriften des 13. bis 15. Jahrhunderts aus gut 50 heute noch einsehbaren Codices, die das ganze Opus oder große Teile davon bieten. Als Paraphrase eines Übersetzungstextes der aristotelischen Meteora wird im Text der kritischen Edition der jeweils zu kommentierende Übersetzungstext dem zugehörigen Alberttext vorangesetzt, nicht wie früher in der Editio Coloniensis üblich „unter dem Strich" angeführt. Für die drei ersten Bücher lag Albert eine (griechisch-syrisch-) arabisch-lateinische Übersetzung vor, die des Gerhard von Cremona. Deren erstes Buch erschien 1978 kritisch ediert durch Pieter Leendert Schoonheim in Leiden, während die beiden folgenden Bücher nach fünf Handschriften des 13. Jahrhunderts von mir „behelfsmäßig" kritisch oder „halbwegs" kritisch und dabei auf den Text Alberts bezogen ediert wurden. Wie weit das für eine kritische Edition trägt, möge man jeweils an konkreten Fällen beurteilen. Das vierte Buch wurde auf der Grundlage des griechischen Bekker-Textes von 1831 in der griechisch-lateinischen Übertragung des Henricus Aristippus auf ähnliche Weise ediert.
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Im ersten Buch der Meteora hatte Albert eine Worterklärung von Meteora gegeben (Buch 1, Traktat 1, Kapitel 1; gegen Ende) als Betrachtung von dem, was in der Höhe oder am Himmel entstanden ist oder was in der Luft erzeugt wurde. Dann handelte Albert das Thema Galaxie oder Milchstraße ab sowie das Thema Kometen; schließlich Feuererscheinungen wie die senkrecht stehende Säule, die Kerze und Assub oder weißhelles Feuer, mal in seiner aufsteigenden, mal in seiner absteigenden Form. Im zweiten Buch geht es dann um uns bekannte meteorologische Erscheinungen wie Tau, Rauhreif, Wolken, Nebel, Regen und Schnee, Frost und Hagel, nicht zu vergessen Eis. Dann, für uns eher verwunderlich, werden Flüsse in ihrer Entstehung und in ihrem Stoffprinzip usw. behandelt, ebenso das Meer oder der Ozean und die Meere. Im folgenden dritten Buch kommen die Winde zur Sprache, aber zu unserem Erstaunen heute auch die Erdbeben; dem schließen sich Themen wie Blitz und Donner, Regenbogen, jedoch auch Mineralien im allgemeinen an. Im vierten Buch der Meteora tun wir uns wiederum mit dem Verständnis schwer, wenn es z. B. um Entstehen oder Zerfall von gemischten Körpern (bzw. von gewissen chemischen Verbindungen in unserem heutigen Verständnis) geht oder um den Fäulnisvorgang oder um Verdauung usw.
Hauptteil: Inhalt und Quellen des zweiten Buchs der Meteora Im ersten Traktat geht Albert auf die feuchten Dämpfe oder Schwaden ein, die aus dem Wasser und der Erde und ihrem Gemisch emporsteigen und in der mittleren Region der Luft umgewandelt oder verändert werden. Zunächst geht es um das, was aus feuchtem Dampf oben hoch entsteht, also um Tau, Regen, Schnee, Hagel und dergleichen. Die Ursache dafür, daß der kalte und feuchte Dampf, aber auch der kalte und trockene dorthin aufsteigen und dort verdichtet und zum Abstieg umgewandelt werden, ist in erster Linie die Wärme (calor), die sich aus der Bewegung der Gestirnskreise bzw. der Kugelschalen der Gestirne ergibt, nämlich der Sonne und der anderen Sterne, die durch Bestrahlung die unteren oder inferioren Elemente in den Verdampfungszustand versetzen. Deswegen ist vorab die Sonne die Ursache von Entstehen und Vergehen. Hierbei ergeben sich folgende Dampfarten: der warme und trockene Dampf, der höher als die anderen steigt und sich dem himmelsnahen Feuer nähert, durch das er entflammt wird; der warme und feuchte Dampf, der zu Luft verwandelt wird, sofern nicht Kälte dazwischenkommt; das führt nämlich zu Niederschlägen. Der Dampf der ersten Art heißt (Sommer-)Hitze (aestus), und die ihm entsprechende Luft- und Feuerregion heißt auch Hitze oder Glut {aestus). Zu beachten ist nun, daß der Dampf ein Mittleres ist zwischen Wasser und Luft, das in sich etwas von der Natur, der Form und der Handlungskraft der Luft hat. Deswegen strebt er auch dessen Ortsraum zwischen dem Wasser unten und dem Feuer oben an. Ursache dessen ist das Warme (calidum), das auch dem Element Wasser die Bereitschaft zum Dünnlockeren und Hauchartigen mitgibt. Ohne Zweifel würde die Wärme
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den Dampf in Feuer umwandeln, wenn sie zugenüge vorhanden wäre und innerhalb der mittleren Region nichts an Kälte dazwischenkäme. Doch die Wärme verwandelt bisweilen Wasser zu Luft; letzteres dann, wenn zusätzlich das Kalte {frigidum) und Feuchte wirken können. Nur das Kalte wirkt jedoch bei der Bildung von Hagel, aber auch bei der Bildung von Reif und Regen, während bei der Entstehung von Tau beide zusammenarbeiten, das Kalte und das Warme; das Kalte zusammendrückend, das Warme auflösend. Wo entsteht der Tau (ras)? Die Luftschicht zwischen der trockenen Hitzeregion und der besonders kalten Luftregion ist der Ort, wo der Tau erzeugt wird, hier von einer maßvollen Kälte, die zusammendrückt (oder kondensiert), dort von einer gemäßigten Wärme, die ein Gefrieren verhindert. Diese Luftschicht ist nahe der Hitze (oben hoch = aestus) wärmer und in der Nähe des Kalten kälter, aber in der Mitte gemäßigt; und eben dort entsteht der Tau, der seiner Natur nach von einem gemäßigten Charakter ist. Diese Region, wo der Tau entsteht, ist eng begrenzt. In diesem Sinn ist Aristoteles zu verstehen, wenn er sagt, der Dampf für den Tau stehe uns bezüglich des Orts seiner Entstehung näher als der trockene Dampf der Hitzeregion, der entflammbar ist; denn der tauige Dampf verwandelt sich anders als der Hitzedampf der Aestusregion hoch oben zu Wasser. Überwiegt das Kalte der unteren Region, so daß kein Tau entstehen kann, dann wird der tauige Dampf zu Wolken verdichtet. Bleiben nach den Niederschlägen in Form von Tau und Regen feine Reste ihrer Dämpfe zurück, bilden sie den Stoff für den Nebel (nebula), und diese Bildung findet wegen der Kälte der Nacht mehr unten statt. Aber es müssen feine Teile sein, da der Nebel in kurzer Zeit bei aufsteigender Sonne auflockert und zu Luft umgewandelt wird, was nicht einträte, wenn er aus groben Teilen bestünde. Und damit ist schon klar, warum der Nebel ein Zeichen für heiteres Wetter ist: Alles grob Wässrige ist aufgelöst, und zurück bleibt nur das fein Luftige, das sich durch etwas Sonnenwärme zu Luft verflüchtet und dann insgesamt Luft ist, frei von Dämpfen; und dann ist es heiter. Nicht unzutreffend kann man sagen, daß der Nebel der Rest eines zweifachen Dampfes ist, nämlich des Tauenden und einer Wolke; denn auch der Dampf des Taus und der einer regnerischen Wolke stimmen in der Beschaffenheit (oder in der Art) überein, wobei das Tauende mehr vom Feinen besitzt und die Wolke mehr vom Groben. Kommen wir zur Wirk- und Stoffursache des Taus. Leider hat Aristoteles nur sehr wenig dazu gesagt, nämlich: Wenn sich die Sonne dem Dampf nähert, wird er aufsteigend emporgehoben, und wenn sie sich von ihm entfernt, sinkt er nach unten. Hiermit zeigt der Philosoph an, daß sich der Dampf des Taus nur erhebt, wenn die Sonne einen freien Zugang zum unteren Luftbereich hat, wie es in der gemäßigten Frühlingszeit geschieht; denn zur Zeit großer Hitze wird der feine Dampf, aus dem der Tau entsteht, versengt/verbrannt. Die gemäßigte Frühlingskälte unterstützt von der Nachtkälte vertreibt nicht ganz die Wärme. Deshalb bleibt der Tau mäßig warm und mäßig kalt zurück.
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Wie unterscheiden sich Tau, Regen, Rauch und Nebel? Leider geht Aristoteles auf den Unterschied von Tau und Regen nur ganz kurz ein, wobei er den Unterschied nicht in Materie und Form der beiden Niederschlagsarten sieht, sondern nur in der Menge oder dem Mehr oder Weniger. Der Unterschied besteht bei ihm anscheinend nur im Nebensächlichen (oder Akzidentellen) und nicht im Wesentlichen. Aber das ist nicht wahr! Denn der Tau ist auf seine Art warm und feucht und der Regen im Vergleich dazu kalt und feucht. Der Regen bildet sich niemals bei heiterem Wetter, wohl aber der Tau. Daraus ergibt sich, daß Tau und Regen einen wesentlichen Unterschied haben und nicht nur nebenbei so sind. Wenn nun für den Tau wenig Dampf hinreicht, so deshalb, weil er fein ist und seiner Entstehung nach früher als der Regendampf vorhanden ist. Deshalb verdampft auch der Tau in einer Muschelschale schneller als der Regen bei einem ähnlichen Vorgang. Deshalb sagt Messellach, daß der Tau in einer Eierschale, deren Poren verstopft wurden, diese bei starker Sonneneinstrahlung schneller entlang eines Pfostens aufsteigen lassen werde. Dasselbe, was gegen Aristoteles über den Tau im Unterschied zum Regen gesagt wurde, gilt auch für den Nebel, der auch ein Zeichen heiteren Wetters ist. Im Volksmund heißt es dazu, daß wenn der Nebel tröpfchensweise sinkt, dies ein Zeichen für heiteres Wetter ist; wenn er jedoch im Ganzen unaufgelöst aufsteigt, dies auf Regen hinweist. Das stimmt! Aber wenn es beim Volk heißt, der Nebel sei jedem beliebigen Rauch gleich, der durch die Kälte der Luft zur Erde gedrückt wurde, dann stimmt das nicht. Denn eine Wolke (nubes) oder der Rauch (caligo) durch die Kälte der Nacht oder der Luft oder des Ortsraums niedergedrückt hat die groben Bestandteile vom feinen Dampf. Wenn also das Grobe aufgelöst wird und in Tropfen niedergeht, bleibt das Feine, das heiteres Wetter anzeigt; aber wenn das eine mit dem anderen aufsteigt, dann erzeugt es eine Wolke und zeigt Regen an. Nachdem Albert im Anschluß an einen kurzen Aristotelestext in Übersetzung noch über die Materie des Taus nachgedacht hat, der mangels hinreichender Wärme nicht in die Formgestalt des Taus hinübergeht, weil er zu früh in Luft umgewandelt wird, behandelt er anschließend das Thema Stoff und Entstehungsursache des Reifs (pritina). Der Dampf des Reifs ist gering und fein und anders als beim Tau kann er wegen einer starken Kälte nicht bis zum Entstehungsbereich des Taus aufsteigen, sondern bleibt um den mittleren Luftbereich herum stehen, wo er gefriert. Die nötige Kälte für die Reifbildung ist jahreszeitlich gebunden, z. B. an klare Winternächte; aber auch Frühling und Herbst kommen infrage. Auch die Luft als Stoffprinzip der Reifbildung ist günstig im Frühling und im Herbst, wenn es reichlich Reif gibt, besonders wenn der Planet Saturn als ein kalter Planet diesen Vorgang fördert. Saturn ist auch dafür verantwortlich, daß die Frucht bereits in der Blüte zerstört wird. Es gibt den Dampf auf dreierlei Weise, nämlich der des Reifs, der des Schnees und der des Regens oder des Taus. Zwei dieser Arten werden durch Kälte erzeugt, die den Dampf früher zu Wolken verdichtet, nämlich Schnee und Regen. Die zwei anderen werden von einem nicht zur Wolke verdichteten Dampf erzeugt, nämlich Tau und Reif. Der Tau entsteht durch eine mäßige Kälte, die den Dampf nur auflöst, der Reif jedoch
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bildet sich durch heftige Kälte, die den Dampf vereisen läßt, bevor er anfängt, in Wasser verwandelt zu werden. Der Reif ist daher nicht rund, sondern wie Dampf ausgebreitet; auch ist er nicht teilchenhaft zusammenhängend. Weil nun der Dampf des Reifs fein ist, wird bei seiner Bildung die Wärme überall plötzlich von ihm weggestoßen oder ausgestoßen. Daher gibt es nichts, was den veränderten und gefrorenen Dampf weich machte. Deshalb ist der Reif erstarrt und rauh. Dennoch wird die in den Dampf eingeführte Luft nicht hinausgestoßen, und daher sind die Teile des Reifs locker und unterbrochen, also nicht zusammenhängend. In einer Digressio oder Unterbrechung der fortlaufend paraphrasierenden Kommentierung seiner aristotelischen Übersetzungsvorlage behandelt Albert etwas ausfuhrlicher den äußerst kalten Entstehungsbereich (locus frigidissimus) des Reifs in der Luft. Das kann man an dieser Stelle nur als eine Fortführung seiner vorherigen breit angelegten Ausführung zu einer sehr kurzen Textpassage seiner Vorlage ansehen. Albert weist darauf hin, daß der Dampf, der zu Reif wird, hierbei einem erdhaften (terrestre) Körper anhaftet, der für die verstärkte Kältezufuhr verantwortlich ist, was beim Tau nicht der Fall ist. Einem sehr kurzen Aristotelestext in arabisch-lateinischer Übersetzungsgestalt folgend legt jetzt Albert ausführlich den Unterschied zwischen Tau und Reif im Hinblick auf diese erzeugende Kälte (frigus generans) dar. Der Ansatzpunkt für Alberts weiterführende Betrachtung dieses schon vorher angeschnittenen Themas ist die Gestalt (figura) des Reifs, der im Unterschied zum Schnee, der wie zarte auseinandergezogene oder wie gekräuselte Wolle ist, aus gewissen Strahlen besteht, die auf eine einzige Mitte zulaufen oder an beiden Enden nur eine Linie umstehen. Verursacht wird dies durch die dreifache Kälte, nämlich als Kälte allein (solum frigus), viel Kälte {frigus multum) und strenge Kälte (frigus vehemens). Jede dieser Kälteformen wirkt auf spezifische Weise; hierbei entsteht der Reif häufig bei strenger Kälte als schneidender Kälte {frigus acutum), z. B. des Nordwindes. Doch das Thema „Tau und Reif' ist noch keineswegs erschöpft, weder in der Übersetzungsvorlage noch bei Albert selbst. Es werden weitere Betrachtungen angestellt, z. B. über den zeitlich und örtlich bedingten Unterschied von Tau und Reif; über die Übereinstimmung beider in doppelter Hinsicht, sei es in der Zeit des Dampfaufstiegs von unten oder darin, daß weder Tau noch Reif auf den höchsten Bergen anzutreffen sind. Es folgt eine sich an den Übersetzungstext anschließende spezielle Erörterung der Entstehung des Taus in Korinth. Dem fügt Albert eine Digression an über die Bildung von Tau, der Pflanzen austrocknet; also über Mehltau, der Tieren und besonders Schafen, die Mehltau mit den Blättern aufnehmen, schadet; und über die Bildung von Manna, zum Teil im Anschluß an den Liber canonis des Avicenna. Nach ihm ist Manna, so der Interpret Albert, Tau und von Art des Honigs {met) in warmen Gegenden der Erde; er ist dichter/konzentrierter als der gewöhnliche Honig und wird deshalb trokken und zieht von dem viel Kraft ab, über das er fällt. Mit dem Entstehen von Regen und Schnee im allgemeinen und deren Unterscheidung von Tau und Reif wechselt endlich das Thema.
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Regen, Schnee und Hagel, die auf die Erde fallen, entstehen dort, wo die Wolken sind oder wo sich aus Dämpfen Wolken bilden. Das geschieht im mittleren Bereich der Luft, der am kältesten ist. Von den drei zur Erde fallenden Körpern ist der Regen (pluvia) nicht gefroren, während beim Schnee (nix) mit dem Gefrieren zugleich eine Umwandlung zu Wasser eintritt. Folgt jedoch der Gefrorenenzustand der Umwandlung zu Wasser, gibt es Hagel. Formgemäß kann es nur drei zur Erde hinabfallende Körper geben und nicht mehr, es sei denn nebenbei (oder akzidentell), z. B. durch ein Mehr oder Weniger, wie Schnee viel Reif ist und Regen viel Tau. Diese beiherspielenden Faktoren ergeben sich aus der Zeit, dem Ort und dem Kälte-„grad". Zu diesem paraphrasierend kommentierten Text der Übersetzungsvorlage sagt uns dann Albert in einer Reihe von Digressionen, in der er sich freier oder unabhängiger äußern kann, Weiteres. Die Materie (oder der Stoff) des Schnees ist eine warme Wolke; oder einfacher ausgedrückt: die nächste (oder eigentliche) Materie des Schnees ist eine Wolke, während die nächste Materie des Reifs ein Dampf ist. Diese warme Wolke als Stoff des Schnees hat in ihrem Aufstieg in die Höhe viel von dem Luftigen, das durch die Wärme, die den Dampf emporbringt, in die Materie eingeführt wurde. Dadurch wird die Wolke dazu bereit gemacht, daß sie in sich nicht die Materie des Regens besitzt, die eine kalte Wolke ist, noch die Materie des Taus, die gemäßigt temperierter und feiner Dampf ist. Von der Materie des Hagels unterscheidet sich die Materie des Schnees dadurch, daß die Hagelwolke ganz warm ist, von der dann zugleich die ganze Wärme ausgestoßen wird, während es bei der Schneewolke allmählich geschieht. Man muß auch zur Kenntnis nehmen, daß der Dampf für Schnee viel von erdhafter Beimischung mit sich fuhrt; deshalb gehört er zu den Dämpfen, die von den auf der Erde laufenden Wassern emporgetragen werden. Ein Zeichen dessen ist, daß das Wasser von verflüssigtem (oder aufgeweichtem) Schnee nicht rein ist und daß daher die Hände oft genug beschmutzt werden, wenn sie mit flüssig gewordenem Schnee gewaschen werden. Deshalb befruchtet Schneewasser auch sehr das Erdreich und läßt die Samen gedeihen, weil das Warme, das allmählich austritt, in ihnen die Kälte mäßigt und weil sie gut mit Luftigem und Erdhaftem versorgt werden. Wie schon erwähnt ist der Entstehungsort des Schnees der mittlere kalte Bereich der Luft, vorausgesetzt, die Kälte hat sich überall in der Luft verbreitet. Das trifft hauptsächlich für den Winter zu und für den Spätherbst und den Frühlingsbeginn. Es gibt Gebiete, in denen der Schnee häufiger entsteht als anderswo, wie in den nördlichen Gebieten mit schrägem Sonnenstand, die weit entfernt sind vom Erdkreis der Tag-undNachtgleiche; oder in gebirgigen Gegenden. In jenen Regionen ist die Kälte nicht nur örtlich konzentriert und daher nicht schneidend in ihrer Arbeit, obwohl sie dennoch intensiv ist. Auf Grund des Gesagten ist auch klar, daß die südlichen ebenen Regionen keinen Schnee haben oder nur kurz und ihn nicht lange erhalten oder konservieren. Die Wirkursache des Schnees, die ihn begleitet, ist die herausragende Kälte, die nicht nur an einem Ort tätig wird, sondern durch die ganze Luft verbreitet ist. Diese nannten wir früher (im ersten Buch schon) „viel Kälte". Aber die Ursache, die die Emp-
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fänglichkeit (Disposition) des Schnees begleitet, die in seiner Weichheit (mollities) liegt, ist die der Luft zugehörige Wärme, die allmählich aus der Schneewolke heraustritt. Es ist nämlich nicht unpassend, daß sich auf diese Weise zwei Entgegengesetzte in ein und demselben „Ding" befinden wie das Eindringende (nämlich die Kälte) und das Entweichende (die Wärme), wobei das eine vordringt, das andere etwas von seiner Stärke zurückläßt. Diese Kälte ergreift wegen ihrer Heftigkeit in der Menge die Wolke und ihre Teile, bevor sie zu Wasser verwandelt werden kann, damit dann das Warme nach und nach in die Luft abgeschoben wird. Deswegen kennt das Volk zwei Anzeichen dafür, daß es bald Schnee gibt; einmal die Hinneigung zur weißen Verfärbung im oberen Teil der Luft, wenn die Luft unruhig ist; zweitens das Empfinden, daß die Luft ein wenig nach dem Erscheinen einer entsprechenden Wolke im Winter wärmer wird. Der Schnee ist notwendig weiß, weil er stofflich zu den Körpern gehört, die durchsichtig sind, aber gleichsam abgenutzt/erschöpft in ihren Teilen und verzerrt (oder: verquert). Alle derartigen Teile nehmen viel Licht in sich auf und sind deshalb weiß; hierbei begrenzen sie dennoch das Erscheinungsbild, wie es sich bei einem abgenutzten Kristall zeigt oder bei blind gewordenem Glas. Schnee, der lange liegt, wird durch vervielfältigte Kälte des Erdbodens hart. Die hierfür nötige Kälte kann sich aber auch aus der Menge des Schnees ergeben, so daß er sich zu Eis verfestigt. Kommt es dazu, daß durch immerwährende Kälte die Wärme insgesamt vom Eis beseitigt wird, wird der hart gewordene Eisschnee zu Kristall oder Beryll oder zu einem anderen Stein, der aus Feucht-Wässrigem entstehbar ist. Bei diesen Körpern schließt die Kälte die Poren so sehr, daß keine Wärme folgen und in Teile des Steins eindringen kann, um zu verflüssigen und das Feuchte aufzulösen, das in ihm ist. Ein Zeichen für diesen Porenverschluß ist die Härte des Steins, der weder mit einer Feile bearbeitet noch auch behauen werden kann; und wenn er auf Stahl oder etwas anderes sehr Hartes gestoßen wird, sprühen Funken. Aber darüber wird im Buch über die Mineralien abgehandelt werden. In den folgenden vier Digressionen spricht Albert über Stoff, Wirkursache und Entstehungsort des Regens und sucht anschließend eine Antwort auf die Frage, warum der Regen in runden Tropfen niederfallt, ein Problem, das gut 600 Jahre später sogar den bedeutenden Physiker Heinrich Hertz beschäftigen sollte: Woher die Tropfenform? Nach Aristoteles und anderen (z. B. Averroes) ist die nächste (proxima) oder eigentliche Materie des Regens eine wasserhaltige Wolke, die durch die Kälte des mittleren (Lufit-)Bereichs verdichtet wird. Der Philosoph Xutos fragt nun gemäß Albert, wie Wolken zu Wasser verdichtet werden oder verdichtet werden können. Albert greift zur Beantwortung auf eine Textstelle seiner Aristotelesübersetzungsvorlage der Physica zurück, wo das Vakuumproblem behandelt wird und im Übersetzungstext neben Xutos immerhin auch Luft und Wasser und nach einer anderen Aristotelesübersetzungsvorlage auch der Himmel erwähnt werden. Albert gibt im Geist der peripatetischen Tradition eine Antwort. Die Wirkursache des Regens ist die in einer Wolke von der sie umgebenden Wärme hineingestoßene Kälte; daher regnet es zu einer kalten Zeit nicht. Wenn die Wärme das Kalte heftiger bedrängt, das die Wolke zu Wasser auflöst, geschieht das eher im Som-
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mer als im Winter. Aber weil die Kälte eine tötungsfähige Qualität ist, bekommen starke Regengüsse den Pflanzen schlecht; anders die milden Regen, in denen mehr Wärme enthalten ist und daher ähnlich dem Tau sind. Aber weil der Regen aus Dampf hervorgeht, der viel vom Erdhaften an sich hat, deshalb werden bisweilen mit dem Regen, so er milde ist, zahlreiche Wassertiere hervorgebracht wie Fröschlein, Würmchen und bisweilen auch kleine Fische. Albert läßt sodann eine Begründung für derartige Erzeugungen folgen. Die Reihe der Entstehungsstufen dieser Wassertiere verläuft über die feine Feuchtigkeit am Anfang, geht weiter über fein Erdhaftes, das gut gemischt wird, hin zur Viskosität; es folgt ein Erhärten unter Lufteinfluß, Festigung, Hautbildung, zusammenhängende pulsierende Wärme, die den Lebensgeist bewirkt, dem durch Gestirnskraft eine Empfindungsseele beigegeben wird - das Tier ist entstanden. Beim Ort {locus) des Entstehens von Regen hat man den Ort per se und den Ort per accidens zu unterscheiden. Entstehungsort an und für sich ist der untere mittlere (Luft-) Bereich, Entstehungsregion nebenher ist ebenfalls diese Luftregion, nämlich wenn die obere Luftkälte dorthin drückt. Aber weil der Dampf für den Regen gleichsam ein mittleres ist und leichter emporsteigt als die anderen feuchten Dämpfe, deswegen regnet es häufiger, als irgendeine andere Wettererscheinung vorkommt. So geschieht es denn auch, daß es zu Winter und im Sommer, im Frühling und im Herbst regnet. Die Ursache jedoch dafür, daß der Regen länger fortgesetzt wird als Schnee und Hagel, liegt darin, daß der Dampf wegen der Leichtigkeit seines Emporsteigens, früher aufgestiegen, beständig neue Dampfzufuhr erhält, wobei der vorhergehende Regen Stoff für den folgenden bildet. Hierbei ist es zu berücksichtigen, was Algazel über den Entstehungsort des Regens sagt (in: Logica et Philosophiä). Was die runde Figur/Gestalt des Regentropfens betrifft ist die Ursache der Rundheit keine andere als die Schwere (gravitas) des Wassers, das aus der Wolke entstanden ist. Das und die Ursache für die unterschiedliche Größe der Wassertropfen wird von Albert eingehend dargelegt. Nach dieser Digressionsreihe Alberts über Schnee und Regen wollen wir jetzt mit Albert zur „Summa des Aristoteles" zurückkehren, indem wir über den Hagel das bringen, was von den Philosophen darüber gesagt wurde; das heißt konkret, was der Aristotelestext der Übersetzungsvorlage mit Interpretationsbrocken des Kommentars des Averroes vorbringt. Nach Aristoteles entsteht der Hagel in den Wolken weitab von der Erde. Die Ursache seiner Entstehung (generatio) ist die Wärme, die im Dampf vorliegt, der von der Erde aufsteigt. Und Albert fährt nach dem Zitat mit folgender Bemerkung fort: Aber weil der Philosoph sagt, daß er (der Hagel) in den Wolken weitab von der Erde entsteht, und auch überliefert, daß es Hagel von großen Teilen (Brocken) nahe bei der Erde gibt, scheint es in den Aussagen des Philosophen einen Widerspruch zu geben. Um dies einzusehen, ist zu bemerken, daß der Hagel zwei Entstehungsorte (oder Entstehungsbereiche) hat, nämlich den einen per se (oder an und für sich), das heißt durch nichts behindert gemäß der Übereinstimmung mit seinem Dampf. Und weil der Hagel aus einer ganz warmen Wolke entsteht, folgt, daß er vermittels der ganz warmen Kraft des Warmen ganz hoch aufsteigt, wie halt grober Dampf von Feuchtigkeit aufsteigen
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kann; das jedoch ist bis zu einem Ort der mittleren Luftzone entsprechend der mittleren Breite (oder Größe) jenes Zwischenraums, die unter allen Regionen der Luft am kältesten ist. Aber wenn einmal eine von oben unterdrückte Einkühlung/Abkühlung dem emporgehobenen Dampf begegnet, dann wird er weiter unten verwandelt - und so hat der Hagel zwei Bereiche seiner Entstehung. (Der Entstehungsort per accidens als Gegenstück zum Entstehungsort per se scheint hier nur per accidens behandelt zu sein.) Beim Hagel ist ein solcher Unterschied im Entstehungsort ausgeprägter als bei den anderen feuchten Witterungsvorgängen, weil der Hagel aus einer ganz warmen Wolke entsteht, die überall für Kälte offen ist. Dieser eigenen eingehenden Ausführung über den Entstehungsbereich des Hagels läßt Albert im Anschluß an einen längeren Übersetzungstext seiner Vorlage ein Kapitel über die Entstehungszeiten des Hagels folgen, aus dem man dann auch erkennen könne, warum der Hagel öfter in warmen Orten (der Luft) entsteht als in kalten. Und zu Beginn dieses Kapitels lauten in Übereinstimmung mit Aristoteles seine Worte: Wenn wir auch im Winter sehen, daß nahe der Erde das Wasser gefriert und daher der Winter die Zeit ist, in der Wasser zu Eis wird, muß vom Hagel gesagt werden, daß es ihn im Winter nur selten gibt, obwohl er doch in einer gewissen Weise gefrorenes Wasser ist. Doch im Frühjahr, zur Zeit der Früchte, bildet sich oft Hagel. - Es folgen weitere Ausführungen zu diesem Thema, dem sich wiederum zwei Digressionen Alberts anschließen. In seiner ersten Abschweifung (digressio) geht Albert ausdrücklich auf die Materie des Hagels und seine Wirkursache ein. Hierzu bedenkt er die sehr große Wärme der warmen Wolke, die für das Entstehen des Hagels benötigt wird und die aus dem warmen Dampf in der kalten Luftzone erzeugt wurde. Die Wolke wurde sehr warm genannt, nicht weil sie stark die Wärme festhält, sondern weil sie als akzidentelle (beiherspielende) Wärme sehr warm ist, die sich auf Grund der Sonneneinstrahlung bildete, als der Dampf aufstieg. Hielte nämlich die Wolke die Wärme sehr fest, dann könnte die Wolke nicht plötzlich in grobe Teile verwandelt werden, noch gefrieren. Das Gut-Festhaltende ist nämlich von anderem Vermögen (potentia) als das Gut-Aufnehmende, weil das Gut-Festhaltende dies von dem Vermögen (der Potenz) des Trockenen hat, aber das Gut-Aufnehmende dies vom Vermögen des Feuchten. Deshalb nun, weil diese Wolke sehr wässrig ist, nimmt sie gut den „Eindruck" (impressio) des Warmen auf, behält ihn aber schlecht. Aber das Kalte nimmt aus drei Gründen (oder Ursachen; causae) gut auf, von denen einer sich aus der Natur des Wassers ergibt, weil die Kälte dem Wasser natürlich ist. Der zweite Grund ergibt sich aus der Natur des Feuchten, das jeden beliebigen „Eindruck" (impressio) gut aufnimmt. Der dritte ist, daß die Wolke überall auf Grund des sie zerstreuenden Warmen zugänglich ist und daher ganz stark erstarrt. Weiterhin muß man wissen, daß diese Wolke wenig Luftbeimischung hat und viel vom erdhaft Feinen und Groben. Und weil in ihr wenig Luftiges ist, deshalb tritt die heraustretende Wärme zugleich ganz heraus und tritt das Luftige nicht allmählich heraus, das unter Auflösung der Strenge der Kälte den Hagel dünn und weich machen würde, wie es der Schnee ist. Und weil dieser Wolke viel grob und fein Erdhaftes beigemischt ist,
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deshalb findet man bei den Hagelbrocken Staub, Haare (oder: Fasern) und auch schon mal kleines Holz oder Spreu, die eine starke Wärme mit dem Dampf emporgetragen hat. In der folgenden Digressio setzt sich Albert mit der Wirkursache des Hagels auseinander und meint zusammenfassend, daß die Ursache für das Entstehen von Hagel zweifach ist, nämlich per se (an sich) die Kälte, die von der Luft überall zum Ort des Hagels ausgetrieben wurde, und die per accidens Wärme (die unwesentliche Wärme), die die Wolke überall öffnet und der Kälte den freien Zutritt verschafft. Das ereignet sich besonders zur Frühlingszeit. In einem Kapitel über die Beschaffenheit oder Gestalt (figura) des Hagels kommt mit dem Text der aristotelischen Übersetzungsvorlage die vorhin bereits erwähnte Doppelerscheinung des Hagels zur Sprache, je nachdem, ob er ganz oben hoch in der mittleren Luftregion entstand oder ziemlich unten und erdnah innerhalb derselben Luftzone. Entsprechend tritt der Hagel klein und rund auf oder groß und nicht rund, gleichsam zusammengebacken. Er ist klein und rund, weil er von der Höhe kommend durch warme Luft fiel, und deshalb auch wässrig; er ist groß und nicht rund, weil er in der kalten unteren Luft entstand. - Albert spricht dann noch über weitere Eigenheiten der so gebildeten Hagelarten und ihr jahreszeitliches Auftreten. Mit dem Aristotelestext der arabisch-lateinischen Übersetzung werden wir sodann durch Albert mit der Eigenart großer Wassertropfen (guttae magnae) von Regengüssen bekannt gemacht, die in warmen Zeiten mit Ungestüm niedergehen oder niederprasseln; ihre Gemeinsamkeit mit dem Hagel und ihr Unterschied. Anschließend stellt Albert besonders die Schädlichkeit des Hagels mit den langfristigen Folgen heraus im Unterschied zu den im allgemeinen guten Regengüssen und gibt dafür die Ursachen an. So versteht er nämlich Philosophie: Daß mit Angabe von Gründen und Ursachen geredet wird. Und so erweist sich seine Verbundenheit mit dem Volk: Daß er ihm (schon vor Martin Luther) „aufs Maul schaut" und auf seine konkreten Probleme, hier der Bauern, eingeht. In einer weiteren Digressio geht Albert auf eine Frage ein, die er anscheinend einem potenziellen aliquis (irgendwer) in den Mund legt: Warum nicht geschieht, daß eine Wolke zugleich umgewandelt wird und gefriert, auf daß irgendein Teil von ihr zu Wasser und gleichzeitig irgendein Teil zu Eis wird, da doch Aristoteles (z. B. in der Physik) sagt: Was in einem Teil geschieht, kann auch im Ganzen geschehen. - Wenn also die Umwandlung zu Wasser und Eis in einem Teil der Wolke vorkommt, scheint es doch möglich zu sein, daß es geschieht, daß die ganze Wolke zugleich und auf einmal sowohl zu Wasser als auch in Eis umgewandelt wird. Das wird durch eine Erfahrung (experimentum) bewiesen. Oft kommt nämlich ein Wasserguß aus einer Wolke, der irgendwelche Häuser umwirft und Pflanzen entwurzelt und bisweilen Berge unterspült und große Steine weit von ihrem Ort fortschafft. - Nebenbei: Seneca schildert Derartiges in seinen Naturales quaestiones (1. 3 (7) c. 27 n. 4-7) weit dramatischer und ausfuhrlicher; und
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Albert hat „seinen Seneca" reichlich benutzt! - Und dies haben wir zu unserer Zeit (idiebus nostris) oft gesehen. Und jener Guß kommt mit großer Heftigkeit herunter und wird vom Volk Wolkenbruch (fractura nubiutri) genannt. Es scheint also keine vollständige Lehrmeinung vorzuliegen, es sei denn, die Ursache davon wird dargelegt. Wir (Albert) sagen zu dem und ähnlichem, daß es unmöglich ist, daß eine ganze Wolke zugleich und auf einmal umgewandelt wird, und das deshalb, weil von einem Zusammenhängenden nicht zugleich das Entgegengesetzte vom Entgegengesetzten ausgestoßen werden kann; und daher treibt die umgebende Wärme die Kälte in die Wolken. Aber die Wolke hat in sich akzidentelle Wärme, durch die sie nach oben gehoben wurde. Diese Wärme zieht sich zur Mitte der Wolke zurück und dabei verdampft sie, weil sie dort vervielfältigt wird und die Poren der Wolke verdampfend öffnet und ausdünstet. Zum „Experiment" jedoch ist zu sagen, daß jener Guß nicht aus einer zugleich umgewandelten Wolke stammt, wohl aber plötzlich. Und dies ist offensichtlich, weil eine solche Ausschüttung einen Dauerregen bildet und seine Heftigkeit nicht nur von der Wolke kommt, sondern auch vom Abschüssigen der Berge; - usw. usw. Mit einer paraphrasierenden Kommentierung unter dem Thema: „Über die Ursache dessen, daß das Entgegengesetzte durch ein Entgegengesetztes verstärkt wird" beschließt Albert den ersten Traktat des zweiten Buchs seiner Meteora, der den größeren Anteil dessen behandelt, was im engsten Verständnis von Meteorologie im heutigen Sinn „meteorologisch" ist. Dieses Schlußkapitel leitet er mit folgenden Worten ein: Aber weil es irgendjemand bewegen könnte, wie die Kälte in der Luft zu einer warmen Zeit so viel gefrieren machen kann, mögen wir auch im ersten Buch dieses Werks eine hinreichende Begründung angeführt haben, werden wir dennoch hier auch etwas darüber sagen. Daher sage ich (ich = Aristoteles in der Übersetzung und Albert), daß wenn die Wärme in der Luft ist wie im Frühling oder im Sommer, es dann in der Luft auf Grund der Kälte ein schnelleres und heftigeres Gefrieren des Wassers gibt, als wenn in der Luft keine Wärme ist. Aber die Ursache dessen ist, daß dann die Kälte zu nur einem Ortsraum verdrängt ist, jede vereinte Kraft jedoch mehr vermag als eine verstreute und auf diese Weise vervielfältigte. Der Beweis dafür ergibt sich aus einer wahrnehmbaren Erfahrung (per experimentum sensibile). Denn wenn Wasser warm wird und sich an kalten Orten ausbreitet, wird es durch gefrierende Kälte schneller und stärker gefrieren als kaltes Wasser, das am selben Ort ausgegossen wurde. Das aber geschieht deshalb, weil wenn die der Kälte entgegengesetzte Wärme auftritt, die Kraft „des einen Entgegengesetzten über das andere" offensichtlich wird und verstärkt wird und heftiger wirkt, als sie täte, wenn dort kein Entgegengesetztes wäre. - Dieser Begründung schließt Albert von sich aus eine kurze Reihe weiterer Begründungen an. Dann folgt mit der Übersetzungsvorlage ein weiteres Begründungsbeispiel auf Grund der Arbeit von Fischern mit ihren Fischnetzen.
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Nur kurz und vom wörtlichen Text möglichst losgelöst sei folgendes über die beiden nächsten Traktate des zweiten Buchs von Alberts Meteora gesagt; zunächst über das Entstehen der Flüsse, sodann über die Natur des Meeres. Damit fanden die Ausführungen zum zweiten Buch ihr Ende. Sowohl Albert als auch der seiner Paraphrase zugrundeliegende Übersetzungstext der Meteora des Aristoteles sprechen zu Beginn des zweiten Traktats von den Winden, den Flüssen und den Meeren. Erst das zweite Kapitel Alberts läßt in Übereinstimmung mit seiner Vorlage erkennen, daß nur Flüsse und Meere zur Untersuchung anstehen, nicht jedoch die zuerst erwähnten Winde. Dies, nämlich die Behandlung der Winde, würde man m. E. als heutiger Leser eher erwarten, nachdem Wettererscheinungen wie Tau, Reif, Regen, Schnee, Hagel und Wolken besprochen worden waren. Aber Albert schließt sich seiner Vorlage an, die das Thema Wind nach der Behandlung von Flüssen und Meeren ausführlich bringt, wenn auch nicht so umfassend wie Albert, der auch noch die Lehrmeinungen des Seneca und des Isidor von Sevilla (aus dem 6./7. Jahrhundert n. Chr.) miteinbezieht. Und nun zu den Flüssen! Es ist angebracht, über den Ursprung der Flüsse und der Quellen zu reden, weil die in den „Eingeweiden" der Erde eingeschlossene Wärme und der dort erzeugte Dampf (vapor) jedes Wasser, woher auch immer es stammt, zum Ursprung seines Fließens emporheben. Und so hat das Wasser, das in die Luft hochsteigt, und das Wasser, das zum Ursprung seines Fließens vom unterirdischen Teil der Erde erhoben wird, nur eine Ursache des Emporhebens. Das Wasser der Flüsse wird von dem Wasser gespeist, das auf die Erde fallt und dort versickert. Der Regen macht hierbei die Erde auf eine doppelte Weise naß; einmal die Oberfläche der Erde im allgemeinen, sodann derart, daß Land überschwemmt wird oder versumpft oder (gleichsam) in einem einzigen Sammelbecken aufgenommen wird. Im ersten Fall ist die Bewässerung maßvoll und reicht bis zu zehn Fuß Tiefe; im zweiten Fall wird das Erdreich kräftig naß, und das Wasser dringt durch das poröse Erdreich ins Innere der Erde vor. So geschieht es und nur zum Teil so, wie Seneca es uns vierfach begründet glauben machen will. In einer Einlage oder Abschweifung (digressio) geht Albert der Frage nach, was in der Erde die Abzugskanäle und die Sammelbecken für jenes Wasser verursacht, das tiefer ins Erdreich eindringen konnte und nicht einfach an der Oberfläche verdunstet oder wie an Bergabhängen abfließt. So zu fragen ist berechtigt, weil ein Körper von Natur aus zusammenhängend und gleichgeartet (homogen) ist und durch keine ausgedehnte Höhlung unterbrochen wird, die Erde aber ein derartiger Körper ist; ihrer Natur nach dürfte sie im Innern keine Hohlräume haben. Diese und weitere Fragen beantwortet Albert wie folgt. Im Hinblick auf ihre besondere Natur ist die Erde fest. Aber aufgrund der andauernden Erwärmung durch die Sonne und die Gestirne gibt sie das Feuchte, das in ihren Poren sitzt, in Form von Dunst ab. Hierbei entstehen weitere Poren und gekrümmte oder konkave Öffnungen, wie man an ausgetrockneten Sümpfen feststellen kann, wo die Erde aufgerissen ist, was in warmen Regionen der Erde und zu warmen Jahreszeiten im Großen geschieht. Aber wie man es an der Erdoberfläche an-
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trifft, so findet man es unter der Erde, nämlich daß der angesammelte und eingeschlossene Dampf, unfähig zu entweichen, die feuchte Erde erschlaffen läßt und in ihr eine Höhle macht; und je fester der Boden darüber ist, um so mehr hebt er ihn nach oben und bildet einen Berg oder einen Hügel, weswegen man unter Bergen häufig derartige Höhlen findet. Und weiter fuhrt die Untersuchung und Erörterung zum Quellfluß der Flußgewässer, zur Ursache, warum Quellen bisweilen austrocknen und dort neue Quellen Flüsse entstehen, wo bisher keine waren, und warum manche Erdregionen überschwemmt werden oder andere austrocknen - usw. usw. Dies möge für eine exemplarische Betrachtung über die Flüsse und Quellen nach Albert genügen, um einen kleinen Einblick in die von Aristoteles in der Brechung einer Übersetzung und von Senecas Naturales quaestiones mitbestimmte Denk- und Argumentationsweise Alberts zu gewinnen. Nach Art von Hinweisen läßt sich zum Inhalt des dritten Traktats über das Meereswasser oder das Meer sagen: Im Aufbau des Untermondbereichs der sphärischen Welt gehört das Wasser im Gegensatz zu den von einer Formgestalt geprägten Elementen Feuer hoch oben am sichtbaren Himmel und der darunter befindlichen Luftsphäre, zusammen mit der Erde, zu den materie- oder stoffgekennzeichneten Elementen. Während die Erde als stoffliches Element das Zentrum des ganzen Kosmos ausmacht, bringt es das Wasser nicht einmal zu einer einheitlichen Untermondbereichssphäre, sondern hat nur kreisförmige Gestalt von Pol zu Pol mit einem Gefalle vom Norden, dem eigentlichsten Ortsraum des Wassers (propriissimus locus aquarum), zum Süden; es füllt deshalb nur unvollständig seinen sphärischen Raum zwischen Luft und Erde aus im Gegensatz zu den drei anderen Elementen. Deshalb hat das Meereswasser auch nie die ganze Erde bedeckt. Aber warum fließt das Meereswasser im allgemeinen vom Norden nach Süden und nicht umgekehrt? Weil im Norden immer wieder Wasser neu entsteht, im Süden jedoch immer wieder durch die Sonnenwärme Wasser durch Verdunstung verbraucht wird. Und wie kommt es, daß das Meer mal vom Osten nach dem Westen und umgekehrt mal vom Westen Richtung Osten fließt? Weil die Bewegung des Mondes, genauer, die Bewegung der ganzen Mondsphäre gleichsam als einer gläsernen Kugelschale, diesen OstWest-Einfluß mit seinem Wechsel (von Ebbe und Flut) bewirkt. Die Ursache für den Salzgehalt des Meeres und für den bitteren Salzgeschmack ist der Dampf (vapor), der als kalt-feuchter und als kalt-trockener Dampf im Meereswasser wirksam wird, wenn die Bewegung der Sonne und der Gestirne den kalt-feuchten Dampf vom kalt-trockenen so trennt, daß der eine zur Luft aufsteigt, während der andere, der erdhafte Dampf, als grobe Substanz im Meereswasser aufgelöst zurückbleibt. Ein Beispiel dafür bietet die Verdauung, die das stoffhaltig Feine, das an das Wässrige erinnert, als Nährstoff in die Körperglieder schickt, während das Grobe unverdaut zurückbleibt und beispielsweise im Urin als salziger oder gar bitterer Stoff anzutreffen ist.
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Im Meereswasser wirkt die Kälte des Wassers, das den erdhaften Dampf umgibt, derartig, daß die Wärme in diesen Dampf hinausgedrückt wird, die ihrerseits diejenigen Teile des Dampfes brennt oder versengt, die verbrannt den Geschmack von Salz annehmen und das Wasser salzig machen. Wird hierbei die brennende Wärme unmäßig groß, dann wird der Dampf kein Salz, sondern gleichsam Asche, und dann gibt es im Wasser einen ganz bitteren (oder: scharfen) Geschmack (sapor amarissimus). Soweit die „Kostproben" zum Thema Meer aus der Fülle sehr ins Konkrete gehender Untersuchungen und Ausfuhrungen, die einen heutigen Leser fragen lassen, was sie denn noch mit Meteorologie zu tun haben könnten. Als Quellen des letzten Traktats benutzte Albert neben dem Text der (griechisch-syrisch-)arabisch-lateinischen Aristotelesübersetzung des Gerhard von Cremona seine bereits veröffentlichten Schriften zu naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Fragen und Themen; ferner Senecas Naturales quaestiones sowie Avicennas Liter canonis und den Kommentar des Averroes; sodann auch Algazels (al-Ghazälls) Logica et Philosophia, etwas Alpetragius (al-Bitrüjl) mit seinem Opus De motibus caelorum und auch mal Plato, vermittelt durch den Kommentar des Chalcidius zum Timaeus.
UTA LINDGREN, Bayreuth
Abschied von Aristoteles. Die Zeit als Problem Alberts Beschäftigung mit dem Problem der Zeit im Rahmen seiner Bewegungslehre ist von Historikern bislang wenig beachtet worden. Ferdinand Rosenberger überging Albertus Magnus 1965 faktisch ganz, weil er kein „selbständiger Forscher" gewesen sei. Aus seinen Schriften sei nicht zu erkennen, worauf sein „großer Ruf... [zu recht]"1 gründete. Heinrich Lange räumte 1956 zwar ein, daß die Entwicklung einer Bewegungslehre „im Grunde genommen"2 bei Albertus beginne, ging aber auf die Abhandlung über die Zeit gar nicht ein. Lange ging davon aus, daß das Mittelalter keine Möglichkeit besessen habe, nichtstatische Probleme zu erfassen. Vielleicht hat er Alberts Traktat nicht gekannt. Der von Lange - offenbar in Anlehnung an Anneliese Maier3 - Albert zugeschriebene qualitative Bewegungsbegriff spielt jedenfalls in dessen Traktat De tempore (Physica 4, 3) keine Rolle. Für diese Schrift hat sich auch Maier wohl nicht näher interessiert. Zwar findet man ein langes Zitat4 daraus in ihrem Kapitel „Zeit und Bewegung", was aber nicht verhindert, daß Maier die eigentliche Einfuhrung der Zeit in die Bewegungslehre wie üblich erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts beginnen läßt. Shlomo Pines5 erkannte 1975 durchaus, daß arabische Physiker den Aufbruch initiiert haben, den er im Abendland allerdings erst im 14. Jahrhundert weitergeführt sieht. Albertus Magnus wurde nicht erwähnt. Bei Edward Grant6, der der Bewegungslehre 1980 ein umfangreiches Kapitel widmete, kommt Albert nicht vor. Das gilt auch für andere Studien von Grant.
ROSENBERGER, Ferdinand: Die Geschichte 2
der Physik im Altertum und im Mittelalter.
Braun-
schweig 1882, N D Hildesheim 1965, S. 95. LANGE, Heinrich: Geschichte der Grundlagen der Physik. Freiburg [München] 1954, S. 156. Vgl. MAIER, Anneliese: Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert. Studien zur Naturphilosophie der Spätscholastik. Rom 1949, S. 11-13.
4
5
Uber die Problematik von Zitaten aus Alberts De tempore vgl. LINDGREN, Uta: Albertus Magnus, De tempore (Physica IV, 3). In: KRINGS, Ulrich / SCHMITZ, Wolfgang / WESTERMANNANGERHAUSEN, Hiltrud (Hrsg.): Thesaurus Coloniensis. Festschrift für Anton von Euw. Köln 1999, S. 131-146, hier S. 131-132, 142 f. Vgl. PINES, Shlomo: Mittelalter. In: SAMBURSKY, Shmuel (Hrsg.): Der Weg der Physik. 2500 Jahre physikalischen Denkens. Zürich [München] 1975, S. 174. Vgl. GRANT, Edward: Das physikalische Weltbild des Mittelalters. Zürich [München] 1980, hat zwar S. 66-105 ein ganzes Kapitel über Bewegungslehre, aber darin kommt Albert nicht vor. Ebenso bei GRANT, Edward: Place and Space in Medieval Physical Thought. In: DERS.: Studies in Medieval Science and Natural Philosophy. London 1981, S. 137-167.
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Für Pierre Duhem 7 beginnt 1956 die Thematik „Le mouvement et le temps" erst mit der Pariser Schule im 14. Jahrhundert. Hierbei wird Albert völlig übergangen. Er wird zwar von Duhem häufig genannt, aber nicht eigentlich in das „Système du monde" eingebunden. Arno Borst 8 zitierte 1988 nach einer theologischen Schrift Alberts Meinung, die Zeit sei rein geistig aufzufassen, da sie ihren Sitz in anima habe. Dies wäre eine extrem subjektivistische Auffassung, die Albert in der vorliegenden Schrift offenbar überwunden hat. Einzig James A. Weisheipl 9 ging 1959 in einer frühen, wenig verbreiteten Schrift mit knapp anderthalb Seiten auf De tempore ein, streicht dabei aber nur heraus, daß Albert den Sitz der Zeit nicht in anima sieht. Weisheipl weist dort auch nach, daß Albert deshalb, weil er die Auffassungen der Peripatetiker verließ, von Zeitgenossen wie Siger von Brabant und Boethius von Dacien getadelt wurde. Alberts Abschied von Aristoteles ist also schon früher bemerkt worden. Wie Aristoteles behandelt Albertus Magnus die Zeit in Buch 4 seiner Physica Traktat 3. Wie bei Aristoteles ist die Zeit daher nicht in die Astronomie eingebettet, sondern in die (irdische) Physik und unterliegt deren Gesetzen. Buch 4 der Physik ist bei beiden Autoren der Bewegung (KÎvr|